URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
9. Juni 2016 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung — Pflanzenschutz — Richtlinie 2000/29/EG — Schutz der Europäischen Union gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse — Durchführungsbeschluss (EU) 2015/789 — Maßnahmen zum Schutz der Union gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Xylella fastidiosa (Wells und Raju) — Art. 6 Abs. 2 Buchst. a — Pflicht zur unverzüglichen Entfernung der Wirtspflanzen, unabhängig von ihrem Gesundheitszustand, auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um die befallenen Pflanzen — Gültigkeit — Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2000/29 — Grundsatz der Verhältnismäßigkeit — Vorsorgeprinzip — Begründungspflicht — Anspruch auf Entschädigung“
In den verbundenen Rechtssachen C‑78/16 und C‑79/16
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium, Italien) mit Entscheidungen vom 16. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Februar 2016, in den Verfahren
Giovanni Pesce u. a. (C‑78/16),
Cesare Serinelli u. a. (C‑79/16)
gegen
Presidenza del Consiglio dei Ministri (C‑79/16),
Presidenza del Consiglio dei Ministri – Dipartimento della Protezione Civile,
Commissario Delegato Per Fronteggiare il Rischio Fitosanitario Connesso alla Diffusione della Xylella nel Territorio della Regione Puglia,
Ministero delle Politiche Agricole Alimentari e Forestali,
Regione Puglia
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter A. Arabadjiev, C. G. Fernlund, S. Rodin und E. Regan (Berichterstatter),
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund der Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 13. April 2016, die vorliegenden Rechtssachen dem in Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und in Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen beschleunigten Verfahren zu unterwerfen,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
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von Herrn Pesce u. a., vertreten durch G. Pesce, avvocato, |
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von Herrn Serinelli u. a., vertreten durch M. Alterio und M. Tagliaferro, avvocati, |
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der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino und G. Caselli, avvocati dello Stato, |
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der griechischen Regierung, vertreten durch E. Leftheriotou, A. Vassilopoulou und G. Kanellopoulos als Bevollmächtigte, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Moro, I. Galindo Martín, D. Bianchi und A. Sauka als Bevollmächtigte, |
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Mai 2016
folgendes
Urteil
1 |
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Gültigkeit von Art. 6 Abs. 2 bis 4 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2015/789 der Kommission vom 18. Mai 2015 über Maßnahmen zum Schutz der Union gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Xylella fastidiosa (Wells et al.) (ABl. 2015, L 125, S. 36). |
2 |
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen mehreren Eigentümern von Agrarflächen in der Provinz Brindisi der Region Apulien (Italien), die für den Anbau von Olivenbäumen der Pflanzenart Olea europaea L. genutzt werden, auf der einen und der Presidenza del Consiglio dei Ministri (Präsidium des Ministerrats) (Rechtssache C‑79/16), der Presidenza del Consiglio dei Ministri – Dipartimento della Protezione Civile (Präsidium des Ministerrats – Abteilung für Zivilschutz [Italien]), dem Commissario Delegato Per Fronteggiare il Rischio Fitosanitario Connesso alla Diffusione della Xylella nel Territorio della Regione Puglia (Bevollmächtigter Kommissar für die Bekämpfung des mit der Ausbreitung von Xylella im Gebiet der Region Apulien [Italien] verbundenen pflanzengesundheitlichen Risikos, im Folgenden: bevollmächtigter Kommissar), dem Ministero delle Politiche Agricole Alimentari e Forestali (Minister für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten [Italien]) und der Regione Puglia (Region Apulien [Italien]) auf der anderen Seite über Maßnahmen, die diese Behörden zur Tilgung der Bakterie Xylella fastidiosa (Wells und Raju) (im Folgenden: Xylella) in der genannten Region und zur Verhinderung ihrer Ausbreitung ergriffen haben. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2000/29/EG
3 |
In Art. 16 der Richtlinie 2000/29/EG des Rates vom 8. Mai 2000 über Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaft gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse (ABl. 2000, L 169, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 2002/89/EG des Rates vom 28. November 2002 (ABl. 2002, L 355, S. 45) (im Folgenden: Richtlinie 2000/29) heißt es: „(1) Kommen Schadorganismen des Anhangs I Teil A Kapitel I … im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats vor …, so unterrichtet der betreffende Mitgliedstaat hiervon unverzüglich in schriftlicher Form die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten. Er trifft alle erforderlichen Maßnahmen zur Tilgung oder, falls dies nicht möglich ist, zur Eindämmung der betreffenden Schadorganismen. Er unterrichtet die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten über die getroffenen Maßnahmen. (2) Treten Schadorganismen, die weder in Anhang I noch in Anhang II aufgeführt sind und deren Vorkommen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats bislang nicht bekannt war, dort tatsächlich auf oder besteht ein entsprechender Verdacht, so unterrichtet der betreffende Mitgliedstaat hiervon unverzüglich in schriftlicher Form die Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten. … … (3) Bei den in den Absätzen 1 und 2 genannten Fällen prüft die Kommission die Situation baldmöglichst im Ständigen Ausschuss für Pflanzenschutz. Untersuchungen an Ort und Stelle können unter Aufsicht der Kommission gemäß den entsprechenden Bestimmungen des Artikels 21 durchgeführt werden. Nach dem Verfahren des Artikels 18 Absatz 2 können auf der Grundlage einer Schadorganismus-Risikoanalyse bzw. in den Fällen nach Absatz 2 einer vorläufigen Schadorganismus-Risikoanalyse die erforderlichen Maßnahmen einschließlich eines etwaigen Beschlusses über die Rücknahme oder Änderung der von den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen erlassen werden. Die Kommission verfolgt die Entwicklung der Situation und nimmt dementsprechend nach demselben Verfahren die Änderung oder Aufhebung der vorgenannten Maßnahmen vor. Bis zur Genehmigung einer Maßnahme nach dem vorgenannten Verfahren kann der Mitgliedstaat die Maßnahmen aufrechterhalten, die er angewandt hat. … (5) Sind der Kommission die Maßnahmen, die in Anwendung der Absätze 1 oder 2 getroffen wurden, nicht mitgeteilt worden oder hält sie die getroffenen Maßnahmen für unzulänglich, so kann sie bis zur Sitzung des Ständigen Ausschusses für Pflanzenschutz auf der Grundlage einer vorläufigen Schadorganismus-Risikoanalyse vorläufige Schutzmaßnahmen erlassen, um den betreffenden Schadorganismus auszumerzen bzw., wenn dies nicht möglich ist, seine Verbreitung zu verhindern. …“ |
4 |
Teil A des Anhangs I der Richtlinie 2000/29 enthält nach seiner Überschrift eine Liste der „Schadorganismen, deren Einschleppung und Ausbreitung in die bzw. in den Mitgliedstaaten verboten ist“. Sein Kapitel I („Schadorganismen, deren Auftreten nirgends in der Gemeinschaft festgestellt wurde und die für die gesamte Gemeinschaft von Belang sind“) enthält unter Buchst. b („Bakterien“) die Ziff. 1 mit folgendem Wortlaut: „Xylella …“. |
Durchführungsbeschlüsse 2014/87/EU und 2014/497/EU
5 |
Der Durchführungsbeschluss 2014/87/EU der Kommission vom 13. Februar 2014 über Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von Xylella … innerhalb der Union (ABl. 2014, L 45, S. 29), der auf der Grundlage der Richtlinie 2000/29 und insbesondere ihres Art. 16 Abs. 3 Satz 4 erlassen wurde, enthält in seinen Erwägungsgründen 2, 3 und 7 folgende Ausführungen:
…
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6 |
In diesem ersten Durchführungsbeschluss verbot die Kommission daher „[die] Verbringung von zum Anpflanzen bestimmten Pflanzen aus der Provinz Lecce, Region Apulien (Italien), heraus“ (Art. 1), schrieb die Durchführung jährlicher amtlicher Erhebungen über das Vorkommen der Bakterie Xylella vor (Art. 2) und wies die Mitgliedstaaten an, sicherzustellen, dass eine Person, die feststellt oder Grund zu der Annahme hat, dass die Bakterie vorkommt, dies der zuständigen Behörde innerhalb von zehn Tagen meldet (Art. 3). |
7 |
Dieser Beschluss wurde durch den Durchführungsbeschluss 2014/497/EU der Kommission vom 23. Juli 2014 über Maßnahmen zum Schutz der Union gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Xylella … (ABl. 2014, L 219, S. 56) aufgehoben. |
8 |
In diesem zweiten Durchführungsbeschluss, der dieselbe Rechtsgrundlage wie der erste Beschluss hat, beschränkte die Kommission die Verbringung von Pflanzen, die Wirtspflanzen der Bakterie Xylella sind, und machte ihre Einfuhr in die Union von bestimmten Voraussetzungen abhängig, wenn ihr Ursprung in Drittländern liegt, in denen die Bakterie bekanntermaßen vorkommt (Art. 2 und 3). Zur Tilgung der Bakterie Xylella und zur Verhinderung ihrer Ausbreitung wies die Kommission die Mitgliedstaaten zudem an, erforderlichenfalls „abgegrenzte Gebiete“ mit einer „Befallszone“ und einer „Pufferzone“ festzulegen, in denen die Mitgliedstaaten insbesondere alle von der Bakterie Xylella befallenen Pflanzen sowie alle Pflanzen mit Symptomen, die auf einen möglichen Befall durch diese Bakterie hindeuten, und alle Pflanzen, bei denen ein Befall als wahrscheinlich gilt, entfernen müssen (Art. 7 und Anhang III Abschnitt 2 Buchst. a). |
Durchführungsbeschluss 2015/789
9 |
Der Durchführungsbeschluss 2014/497 wurde durch den Durchführungsbeschluss 2015/789 aufgehoben, der auf derselben Rechtsgrundlage wie die ersten beiden Beschlüsse erlassen wurde. Er enthält folgende hier einschlägige Erwägungsgründe:
…
…
…
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10 |
In Art. 1 („Begriffsbestimmungen“) des Durchführungsbeschlusses 2015/789 heißt es: „Für die Zwecke dieses Beschlusses bezeichnet der Begriff
…“ |
11 |
Art. 4 („Festlegung abgegrenzter Gebiete“) des Beschlusses bestimmt: „(1) Wird das Auftreten des spezifizierten Organismus bestätigt, nimmt der betroffene Mitgliedstaat unverzüglich in Übereinstimmung mit Absatz 2 die Abgrenzung eines Gebiets, im Folgenden ‚abgegrenztes Gebiet‘, vor. (2) Das abgegrenzte Gebiet besteht aus einer Befallszone und einer Pufferzone. …“ |
12 |
In Art. 6 („Tilgungsmaßnahmen“) des Beschlusses heißt es: „(1) Der Mitgliedstaat, der das in Artikel 4 genannte abgegrenzte Gebiet festgelegt hat, ergreift in diesem Gebiet die Maßnahmen gemäß den Absätzen 2 bis 11. (2) Der betroffene Mitgliedstaat entfernt auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um die Pflanzen, die getestet wurden und nachweislich mit dem spezifizierten Organismus befallen sind, unverzüglich
(3) Der betroffene Mitgliedstaat nimmt in Übereinstimmung mit dem Internationalen Standard für pflanzengesundheitliche Maßnahmen ISPM Nr. 31 … auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um jede der befallenen Pflanzen Proben von den spezifizierten Pflanzen und testet diese. (4) Der betroffene Mitgliedstaat führt vor dem Entfernen der in Absatz 2 genannten Pflanzen geeignete Pflanzenschutzbehandlungen gegen die Vektoren des spezifizierten Organismus und an Pflanzen durch, die möglicherweise als Wirte für diese Vektoren dienen. Eine solche Behandlung kann auch im Entfernen von Pflanzen bestehen. (5) Der betroffene Mitgliedstaat vernichtet an Ort und Stelle oder an einem dafür bestimmten nahegelegenen Ort innerhalb der Befallszone die in Absatz 2 genannten Pflanzen und Pflanzenteile derart, dass eine Verbreitung des spezifizierten Organismus nicht möglich ist. …“ |
13 |
Art. 7 („Eindämmungsmaßnahmen“) des Durchführungsbeschlusses 2015/789 sieht vor: „(1) Abweichend von Artikel 6 kann die zuständige amtliche Stelle des betroffenen Mitgliedstaats beschließen, Eindämmungsmaßnahmen gemäß den Absätzen 2 bis 6 anzuwenden, aber nur in der Provinz Lecce … (2) Der betroffene Mitgliedstaat entfernt unverzüglich zumindest alle Pflanzen, bei denen ein Befall mit dem spezifizierten Organismus festgestellt wurde, wenn sie an einem der folgenden Orte stehen: …“ |
14 |
Art. 8 („Festlegung einer Überwachungszone in Italien“) des Beschlusses sieht in Abs. 1 vor, dass die Mitgliedstaaten ein mindestens 30 km breites Überwachungsgebiet um das abgegrenzte Gebiet mit der Befallszone der Provinz Lecce festlegen. |
15 |
In den Anhängen I („Liste der bekanntermaßen für die europäischen und außereuropäischen Isolate des spezifizierten Organismus anfälligen Pflanzen [‚spezifizierte Pflanzen‘]“) und II („Liste der bekanntermaßen für die europäischen Isolate des spezifizierten Organismus anfälligen Pflanzen [‚Wirtspflanzen‘]“) des Durchführungsbeschlusses 2015/789 ist Olea europaea L. aufgeführt. |
Italienisches Recht
16 |
Mit dem Decreto del Ministero delle Politiche Agricole Alimentari e Forestali n. 2180 con cui sono state disposte nuove misure di emergenza per la prevenzione, il controllo e l’eradicazione di Xylella fastidiosa (Dekret des Ministers für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten Nr. 2180 zur Festlegung neuer Dringlichkeitsmaßnahmen zur Prävention, Kontrolle und Tilgung von Xylella fastidiosa) vom 19. Juni 2015 (im Folgenden: Dekret vom 19. Juni 2015) wurde der Durchführungsbeschluss 2015/789 umgesetzt. Die Art. 8 und 9 des Dekrets entsprechen im Wesentlichen den Art. 6 und 7 des Beschlusses. |
17 |
Am 30. September 2015 nahm der bevollmächtigte Kommissar einen Interventionsplan an, mit dem ebenfalls die im Dekret vorgesehenen Maßnahmen auferlegt werden. |
Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen
18 |
Mit einer Reihe von Beschlüssen, die im Juli und Oktober 2015 zugestellt wurden, wies der Servizio Agricoltura della Regione Puglia (Landwirtschaftlicher Dienst der Region Apulien) die Kläger der Ausgangsverfahren an, die auf den ihnen gehörenden Agrarflächen stehenden Olivenbäume, die als von der Bakterie Xylella befallen gelten, sowie alle Wirtspflanzen auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um die befallenen Pflanzen zu fällen. Diese Beschlüsse sahen auch vor, dass den Eigentümern im Fall der Nichtbefolgung die mit der Tilgung der Bakterie durch die zuständige Behörde verbundenen Kosten auferlegt würden und dass eine Verwaltungsstrafe verhängt werden könne. |
19 |
Die Kläger der Ausgangsverfahren haben beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium, Italien) Klage auf Nichtigerklärung der Beschlüsse und der von den zuständigen Behörden der Region Apulien und vom bevollmächtigten Kommissar zur Bekämpfung der Ausbreitung der Bakterie Xylella im Gebiet dieser Region erlassenen Rechtsakte erhoben, darunter insbesondere das Dekret vom 19. Juni 2015 und der Interventionsplan vom 30. September 2015. |
20 |
Nach Ansicht der Kläger sind diese verschiedenen nationalen Maßnahmen rechtswidrig, da der Durchführungsbeschluss 2015/789, auf den sie gestützt seien, selbst gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Vorsorgeprinzip verstoße und einen Begründungsmangel aufweise. |
21 |
Da das Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium) an der Gültigkeit des Durchführungsbeschlusses 2015/789 zweifelt, hat es nach Aussetzung des Vollzugs der streitigen nationalen Maßnahmen, soweit mit ihnen die unverzügliche Entfernung aller Wirtspflanzen auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um die befallenen Pflanzen angeordnet wird, beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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22 |
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 13. April 2016, Pesce u. a. (C‑78/16 und C‑79/16, EU:C:2016:251), ist dem Antrag des vorlegenden Gerichts, diese Rechtssachen dem in Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und in Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vorgesehenen beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, stattgegeben worden. |
Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens
23 |
Im Anschluss an die Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts haben Herr Pesce u. a. mit Schriftsatz, der am 13. Mai 2016 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt. Zur Stützung dieses Antrags machen Herr Pesce u. a. im Wesentlichen geltend, dass der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen unzutreffende Argumente und neue Gesichtspunkte vortrage, die nicht Gegenstand einer kontradiktorischen Erörterung gewesen seien. |
24 |
Die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und seine Verfahrensordnung sehen keine Möglichkeit für die in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs bezeichneten Beteiligten vor, eine Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts einzureichen (vgl. u. a. Urteil vom 4. September 2014, Vnuk, C‑162/13, EU:C:2014:2146, Rn. 30). |
25 |
Der Generalanwalt hat nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen zu stellen, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Mitwirkung erforderlich ist. Die Schlussanträge des Generalanwalts oder ihre Begründung binden den Gerichtshof nicht (Urteil vom 3. Dezember 2015, Banif Plus Bank, C‑312/14, EU:C:2015:794, Rn. 33). |
26 |
Dass eine Partei nicht mit den Schlussanträgen des Generalanwalts einverstanden ist, kann folglich unabhängig von den darin untersuchten Fragen für sich genommen kein Grund sein, der die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens rechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2015, Mory u. a./Kommission, C‑33/14 P, EU:C:2015:609, Rn. 26). |
27 |
Der Gerichtshof kann gemäß Art. 83 seiner Verfahrensordnung jedoch jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder wenn ein zwischen den Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. April 2016, Marchon Germany, C‑315/14, EU:C:2016:211, Rn. 19). |
28 |
Dies ist hier nicht der Fall. Die Kläger der Ausgangsverfahren, die italienische Regierung, die griechische Regierung und die Kommission haben nämlich im schriftlichen und – außer der griechischen Regierung – im mündlichen Verfahren ihr gesamtes tatsächliches und rechtliches Vorbringen zur Gültigkeit des Durchführungsbeschlusses 2015/789 dargelegt. Der Gerichtshof ist daher nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er über alle für die Entscheidung erforderlichen Informationen verfügt und dass diese Informationen Gegenstand der Erörterungen vor ihm waren. |
29 |
Aufgrund dieser Erwägungen sieht der Gerichtshof keine Veranlassung, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens anzuordnen. |
Zu den Vorlagefragen
30 |
Mit seinen sich teilweise überschneidenden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die dem betroffenen Mitgliedstaat durch Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 auferlegte und nicht mit einer Entschädigungsregelung verbundene Pflicht, Wirtspflanzen unabhängig von ihrem Gesundheitszustand auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um Pflanzen, die getestet wurden und nachweislich mit dem spezifizierten Organismus – vorliegend der Bakterie Xylella – befallen sind, unverzüglich zu entfernen, ungültig ist, weil sie gegen das Unionsrecht und insbesondere gegen die Richtlinie 2000/29 (erste bis dritte und sechste Frage), betrachtet im Licht des Vorsorgeprinzips (vierte Frage) und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (erste, dritte, vierte und sechste Frage), sowie gegen die Anforderungen verstößt, die sich aus der Erfüllung der in Art. 296 AEUV und in Art. 41 der Charta aufgestellten Begründungspflicht (fünfte Frage) ergeben. |
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In diesem Zusammenhang wirft das vorlegende Gericht auch die Frage nach der inneren Kohärenz der in Art. 6 Abs. 2 bis 4 des Durchführungsbeschlusses enthaltenen Bestimmungen auf, soweit sie zugleich zum einen die Pflicht zur „unverzüglich[en]“ Entfernung der Wirtspflanzen im genannten Radius und zum anderen die Pflicht zur Entnahme von Proben und zur Durchführung von Pflanzenschutzbehandlungen, die auch im Entfernen von Pflanzen bestehen kann, aufstellen (erste und dritte Frage). |
32 |
Vor der Beantwortung der Fragen nach der Gültigkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 ist die letztgenannte Frage zu prüfen, da sie die Tragweite der in diesem Artikel aufgestellten Pflichten betrifft. |
Zur Tragweite der in Art. 6 Abs. 2 bis 4 des Durchführungsbeschlusses 2015/789 aufgestellten Pflichten
33 |
Herr Pesce u. a. machen geltend, die Bestimmungen von Art. 6 des Durchführungsbeschlusses 2015/789 seien in sich widersprüchlich. Während sich aus Art. 6 Abs. 2 Buchst. a ergebe, dass die Mitgliedstaaten alle in der Nähe befallener Pflanzen befindlichen Wirtspflanzen unabhängig von ihrem Gesundheitszustand „unverzüglich“ entfernen müssten, schreibe Art. 6 Abs. 3 und 4 den betroffenen Staaten vor, vor der Entfernung Maßnahmen durchzuführen. Daher sei Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses dahin auszulegen, dass er die Entfernung der Wirtspflanzen nur nach der Überprüfung ihres Gesundheitszustands und der Durchführung der geeigneten pflanzengesundheitlichen Maßnahmen vorschreibe. |
34 |
Nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 ist der betroffene Mitgliedstaat verpflichtet, Wirtspflanzen unabhängig von ihrem Gesundheitszustand unverzüglich auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um die Pflanzen zu entfernen, die von der Bakterie Xylella befallen sind; diese gehört nach dem Wortlaut von Anhang I Teil A Kapitel I Buchst. b der Richtlinie 2000/29 zu den Schadorganismen, deren Auftreten nirgends in der Union festgestellt wurde und deren Einschleppung und Ausbreitung in die bzw. in den Mitgliedstaaten verboten ist. |
35 |
Im Einklang mit der Kommission ist festzustellen, dass diese Pflicht nicht im Widerspruch zu den in Art. 6 Abs. 3 und 4 vorgesehenen Pflichten steht. Wie sich nämlich schon aus dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 4 ergibt, muss der betroffene Mitgliedstaat „vor“ dem Entfernen der in Abs. 2 Buchst. a genannten Wirtspflanzen eine geeignete Pflanzenschutzbehandlung durchführen, die entgegen der Annahme der Kläger der Ausgangsverfahren nicht die Pflanzen selbst betrifft, sondern die „Vektoren“ der Bakterie, nämlich die infektiösen Insekten; diese sollen bekämpft werden, indem sie getilgt oder auch die als ihre Wirte dienenden Pflanzen entfernt werden. |
36 |
Wie die EFSA in ihrem von der Kommission im zweiten Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses 2015/789 in Bezug genommenen Gutachten „Scientific Opinion on the risk to plant health posed by Xylella … in the EU territory, with the identification and evaluation of risk reduction options“ (Wissenschaftliches Gutachten über das von Xylella … ausgehende Risiko für die Pflanzengesundheit im EU-Gebiet, mit der Ermittlung und Bewertung der Optionen zur Risikoverringerung) vom 6. Januar 2015 (im Folgenden: Gutachten der EFSA vom 6. Januar 2015) darlegt, ist diese vorgeschaltete Maßnahme geboten, da die Vektorinsekten von befallenen Pflanzen zu anderen Pflanzen wandern können (S. 109). Wie die Kommission in ihren schriftlichen Stellungnahmen erläutert hat, ermöglicht es diese Maßnahme, das Risiko einer Ausbreitung der Vektoren und damit der Bakterie selbst bei der gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses vorzunehmenden Entfernung der möglicherweise als Wirte für die Vektoren dienenden Pflanzen zu begrenzen. |
37 |
Im Übrigen hat der betroffene Mitgliedstaat nach Art. 6 Abs. 3 zu einem nicht näher festgelegten Zeitpunkt auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um jede der befallenen Pflanzen Proben von den „spezifizierten Pflanzen“ zu nehmen und diese zu testen, was nicht nur die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a genannten „Wirtspflanzen“, d. h. die für die europäischen Isolate der Bakterie Xylella anfälligen Pflanzen, einschließt, sondern auch die für die außereuropäischen Isolate der Bakterie anfälligen Pflanzen. |
38 |
Folglich sehen die in Art. 6 Abs. 2 bis 4 des Durchführungsbeschlusses 2015/789 aufgestellten Pflichten keine selbständigen, sich gegenseitig ausschließenden Pflichten vor, sondern einen Komplex untrennbar miteinander verbundener Maßnahmen unterschiedlicher Natur und Tragweite, die – was die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a und 4 vorgesehenen Maßnahmen anbelangt – nacheinander durchzuführen sind. Die in Art. 6 Abs. 3 und 4 genannten Pflichten können daher nicht so verstanden werden, dass sie den zwingenden Charakter der Pflicht zur „unverzüglich[en]“ Entfernung der Wirtspflanzen in dem betreffenden Radius um die befallenen Pflanzen berühren. |
39 |
Im Licht dieser Vorbemerkungen ist die Gültigkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 zu prüfen. |
Zur Gültigkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 im Hinblick auf die Richtlinie 2000/29, betrachtet im Licht des Vorsorgeprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
40 |
Die meisten der vom vorlegenden Gericht in seiner ersten Vorlagefrage angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2000/29 sind für die Prüfung der Gültigkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 unerheblich. |
41 |
Zunächst betreffen Art. 11 Abs. 3 und Art. 13c Abs. 7 der Richtlinie 2000/29 nicht den in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 genannten Fall, da sich diese Bestimmungen auf die Verbringung von Pflanzen innerhalb der Mitgliedstaaten oder die Verbringung von Pflanzen aus Drittstaaten in die Union beziehen. |
42 |
Sodann betreffen die Abs. 1 und 2 des Art. 16 der Richtlinie 2000/29 isoliert gesehen die Maßnahmen, die nicht von der Kommission, sondern von den Mitgliedstaaten zu treffen sind, wobei Art. 16 Abs. 2 zudem auf die Schadorganismen abzielt, die im Unterschied zur Bakterie Xylella nicht in den Anhängen der Richtlinie aufgeführt sind. |
43 |
Schließlich soll es Art. 16 Abs. 5 der Richtlinie 2000/29 der Kommission ermöglichen, auf der Grundlage einer vorläufigen Schadorganismus-Risikoanalyse „bis zur Sitzung des Ständigen Ausschusses für Pflanzenschutz“ vorläufige Schutzmaßnahmen zu erlassen, um den betreffenden Schadorganismus auszumerzen bzw., wenn dies nicht möglich ist, seine Verbreitung zu verhindern. Im vorliegenden Fall steht aber fest, dass dem Durchführungsbeschluss 2015/789 – wie seinem 17. Erwägungsgrund zu entnehmen ist – eine befürwortende Stellungnahme des zuständigen Ausschusses für Pflanzenschutz vorausging. |
44 |
Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 wurde dagegen auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 3 Satz 4 der Richtlinie 2000/29 erlassen, der die Kommission ermächtigt, nach Maßgabe der Entwicklung der Situation im Bereich des pflanzengesundheitlichen Risikos die von den Mitgliedstaaten insbesondere gemäß Art. 16 Abs. 1 zur Tilgung des betreffenden Schadorganismus getroffenen „erforderlichen Maßnahmen“ zu ändern oder aufzuheben. |
45 |
Folglich ist die Gültigkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 anhand von Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2000/29 zu prüfen. |
46 |
Insoweit ist die Kommission nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen ihrer Durchführungsbefugnis, deren Grenzen insbesondere nach Maßgabe der wesentlichen allgemeinen Ziele des fraglichen Gesetzgebungsakts zu beurteilen sind, berechtigt, alle für die Durchführung dieses Akts erforderlichen oder zweckmäßigen Maßnahmen zu ergreifen, soweit sie nicht gegen diesen Akt verstoßen. Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 290 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 291 Abs. 2 AEUV, dass die Kommission bei der Ausübung einer Durchführungsbefugnis den Gesetzgebungsakt weder ändern noch ergänzen kann, auch nicht in seinen nicht wesentlichen Teilen (Urteil vom 15. Oktober 2014, Parlament/Kommission, C‑65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 44 und 45). |
47 |
Des Weiteren muss der Unionsgesetzgeber das Vorsorgeprinzip berücksichtigen, nach dem bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden. Wenn es sich als unmöglich erweist, das Vorliegen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unschlüssig sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die Gesundheit der Bevölkerung jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintreten sollte, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen (vgl. u. a. Urteil vom 17. Dezember 2015, Neptune Distribution, C‑157/14, EU:C:2015:823, Rn. 81 und 82). |
48 |
Das Vorsorgeprinzip ist außerdem unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anzuwenden, der verlangt, dass die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei dann, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen (vgl. u. a. Urteil vom 17. Oktober 2013, Schaible, C‑101/12, EU:C:2013:661, Rn. 29). |
49 |
Hinsichtlich der gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Einhaltung dieses Prinzips und dieses Grundsatzes hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Kommission über ein weites Ermessen verfügt, wenn sie Risikomanagementmaßnahmen erlässt. Dieser Bereich impliziert nämlich insbesondere politische Entscheidungen und komplexe Beurteilungen seitens der Kommission. Eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme ist nur dann rechtswidrig, wenn sie offensichtlich ungeeignet ist (vgl. u. a. Urteil vom 22. Dezember 2010, Gowan Comércio Internacional e Serviços, C‑77/09, EU:C:2010:803, Rn. 82). |
50 |
Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass die Gültigkeit eines Rechtsakts der Union anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen ist und somit nicht von nachträglichen Beurteilungen seines Wirkungsgrads abhängen kann. Wenn der Unionsgesetzgeber künftige Auswirkungen einer zu erlassenden Regelung zu beurteilen hat, die nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden können, kann seine Beurteilung nur beanstandet werden, wenn sie sich im Licht der Informationen, über die er zum Zeitpunkt des Erlasses der betreffenden Regelung verfügte, als offensichtlich fehlerhaft erweist (vgl. u. a. Urteil vom 17. Oktober 2013, Schaible, C‑101/12, EU:C:2013:661, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
51 |
Nach der Rechtsprechung müssen die Organe, insbesondere die Kommission, die das Initiativrecht hat, allerdings für eine Anpassung der Regelung an die neuen Gegebenheiten sorgen, wenn neue Informationen die Einstufung eines Risikos ändern oder zeigen, dass ihm durch Maßnahmen begegnet werden kann, die weniger einschränkend sind als die bestehenden (Urteil vom 12. Januar 2006, Agrarproduktion Staebelow, C‑504/04, EU:C:2006:30, Rn. 40). Somit obliegt es im vorliegenden Fall der Kommission, wie bereits in Rn. 44 des vorliegenden Urteils ausgeführt, gemäß Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2000/29 in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob die zum Umgang mit dem betreffenden pflanzengesundheitlichen Risiko getroffenen Maßnahmen geändert oder aufgehoben werden müssen. |
52 |
Im Licht dieser Bestimmungen und Grundsätze ist die Gültigkeit der in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 aufgestellten Pflicht, Wirtspflanzen unabhängig von ihrem Gesundheitszustand auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um die befallenen Pflanzen unverzüglich zu entfernen (erste bis vierte Frage), zu prüfen, bevor darauf einzugehen ist, wie sich insoweit das Fehlen einer Entschädigungsregelung in diesem Beschluss auswirkt (sechste Frage). |
Zur Prüfung der Gültigkeit der in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 aufgestellten Pflicht
53 |
Die Richtlinie 2000/29 soll ein hohes Pflanzenschutzniveau gewährleisten, um das Verbringen von Schadorganismen in den aus Drittländern eingeführten Erzeugnissen in die Union zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. September 2003, Anastasiou u. a., C‑140/02, EU:C:2003:520, Rn. 45). |
54 |
Im vorliegenden Fall soll Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789, wie aus seinem vierten Erwägungsgrund hervorgeht, im Einklang mit diesem Ziel die Bakterie Xylella tilgen und so ihre Ausbreitung über die Region Apulien hinaus verhindern, indem die mit den Durchführungsbeschlüssen 2014/87 und 2014/497 im Anschluss an die Mitteilung der italienischen Behörden, dass diese Bakterie in der Provinz Lecce vorkommt, auferlegten Maßnahmen verschärft werden. |
55 |
Fest steht aber, dass der Gesundheitsschutz und die Vollendung des Agrarbinnenmarkts im betreffenden Sektor im Allgemeininteresse liegende legitime Ziele des Unionsrechts darstellen (vgl. u. a. Urteil vom 17. Oktober 2013, Schaible, C‑101/12, EU:C:2013:661, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
56 |
Unter diesen Umständen ist zu prüfen, ob die Kommission unter Berücksichtigung des weiten Ermessens, über das sie gemäß Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2000/29 und dem Vorsorgeprinzip in dem betreffenden Bereich verfügt, annehmen durfte, dass die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 vorgesehene Pflicht, Wirtspflanzen unabhängig von ihrem Gesundheitszustand auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um die befallenen Pflanzen unverzüglich zu entfernen, angesichts der zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der zu diesem Zeitpunkt in Betracht kommenden alternativen Maßnahmen angemessen und erforderlich war, um das genannte Ziel zu erreichen, und im engeren Sinne in angemessenem Verhältnis zu ihm stand. |
57 |
Erstens bestreiten die Kläger der Ausgangsverfahren bereits, dass die Vernichtung der befallenen Pflanzen als solche geeignet sei, den Befall zu tilgen. Es sei nämlich kein Kausalzusammenhang zwischen der Bakterie Xylella und der in der Region Apulien beobachteten raschen Austrocknung der Olivenbäume nachgewiesen. Daraus folge erst recht, dass auch die Vernichtung aller Wirtspflanzen, die sich in der Nähe befallener Pflanzen befänden, nicht geeignet sei, den Befall zu tilgen. |
58 |
Insoweit ist festzustellen, dass aus dem Gutachten der EFSA vom 6. Januar 2015 eindeutig hervorgeht, dass Olivenbäume ebenso wie eine relativ große Zahl anderer Pflanzen zu den Wirtspflanzen der Bakterie Xylella gehören, was die Kläger der Ausgangsverfahren nicht bestreiten. |
59 |
Die EFSA hat in ihrem Gutachten zwar nicht das Vorliegen eines sicheren Kausalzusammenhangs zwischen der Bakterie Xylella und der raschen Austrocknung der Olivenbäume in der Region Apulien nachgewiesen, doch hat sie darin – wie der Generalanwalt in Nr. 116 seiner Schlussanträge ausführt – eine signifikante Korrelation zwischen der Bakterie und dem Auftreten dieser Krankheit aufgezeigt (S. 3). |
60 |
Insoweit ist hervorzuheben, dass das Vorsorgeprinzip entgegen der Ansicht der Kläger der Ausgangsverfahren keineswegs den Erlass jeder Maßnahme verbietet, wenn hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs eines Gesundheitsrisikos keine wissenschaftliche Gewissheit besteht, sondern – wie in den Rn. 46 und 47 des vorliegenden Urteils ausgeführt – den Erlass von Schutzmaßnahmen durch den Unionsgesetzgeber rechtfertigen kann, auch wenn insoweit wissenschaftliche Ungewissheiten fortbestehen. |
61 |
Des Weiteren ist festzustellen, dass die Kläger der Ausgangsverfahren zwar das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen der Bakterie Xylella und der raschen Austrocknung der Olivenbäume in der Region Apulien bestreiten, jedoch keinen ihr Vorbringen stützenden Beweis vorgelegt haben. |
62 |
Deshalb durfte die Kommission annehmen, dass die Pflicht zur unverzüglichen Entfernung der befallenen Pflanzen eine angemessene und zur Verhinderung der Ausbreitung der Bakterie Xylella erforderliche Maßnahme war. Zudem ist, was die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne dieser Pflicht angeht, auf keine weniger belastende alternative Maßnahme bezüglich der befallenen Pflanzen verwiesen worden, mit der das gleiche Ziel erreicht werden könnte. |
63 |
Daher ist zweitens zu prüfen, ob die Pflicht, Wirtspflanzen „unabhängig von ihrem Gesundheitszustand“ auf einer Fläche „mit einem Radius von 100 Metern“ um die befallenen Pflanzen unverzüglich zu entfernen, eine im Hinblick auf das Vorsorgeprinzip und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignete Maßnahme darstellt. |
64 |
Zunächst sind, um zu klären, ob die Pflicht, die Wirtspflanzen auf einer Fläche „mit einem Radius von 100 Metern“ um die befallenen Pflanzen zu entfernen, zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist, die Daten hinsichtlich des Risikos einer von den befallenen Pflanzen ausgehenden Ausbreitung des Befalls zu prüfen, über die die Kommission beim Erlass ihres Beschlusses verfügte. |
65 |
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die EFSA in ihrem Gutachten vom 6. Januar 2015 nach der Feststellung, dass sich „[i]nfektiöse Vektoren … lokal fliegend ausbreiten oder über längere Strecken passiv vom Wind transportiert werden [können]“ (S. 4), zwar einräumt, dass „[d]ie Beiträge der Ausbreitungsmechanismen durch den Menschen und den Wind … noch ungewiss [sind und] Daten darüber [fehlen], wie weit die Vektorinsekten fliegen können“ (S. 4), aber klarstellt, dass „[e]inige Daten … aus Publikationen verfügbar [sind], die darauf hindeuten, dass eine Größenordnung von 100 Metern eine angemessene durchschnittliche Ausbreitungsdistanz ist“ (S. 62). Außerdem heißt es in dem Gutachten, dass „[d]ie Ausbreitung … hauptsächlich auf Zikaden mit engem Wirkungskreis beschränkt [ist], die durchschnittlich 100 Meter weit fliegen, aber vom Wind auch über längere Strecken verbreitet werden können“ (S. 94). |
66 |
In Anbetracht dieser wissenschaftlichen Daten durfte die Kommission unter Berücksichtigung des weiten Ermessens, über das sie in diesem Bereich verfügt, annehmen, dass die Pflicht zur unverzüglichen Entfernung der Wirtspflanzen auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um die befallenen Pflanzen eine zur Verhinderung einer von diesen Pflanzen ausgehenden Ausbreitung der Bakterie Xylella durch ihre Vektorinsekten angemessene und erforderliche Maßnahme war. |
67 |
Zur Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne dieser Pflicht machen Herr Pesce u. a. geltend, beim Erlass des Durchführungsbeschlusses 2015/789 durch die Kommission habe eine gewisse wissenschaftliche Ungewissheit über die Art und Weise der Ausbreitung der Bakterie Xylella bestanden. Insbesondere sei nicht ausgeschlossen, dass die Vektoren dieser Ausbreitung den Befall weit über den Radius von 100 Metern um die befallenen Pflanzen ausdehnen könnten. |
68 |
Der Umstand, dass die Kommission die Pflicht zur unverzüglichen Entfernung der Wirtspflanzen auf eine Fläche mit einem Radius von 100 Metern begrenzt hat, obwohl die Vektoren die Bakterie über diesen Radius hinaus ausbreiten können, stellt die Verhältnismäßigkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 jedoch keineswegs in Frage, sondern belegt im Gegenteil, dass diese Pflicht auf das zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderliche Maß beschränkt wurde (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Juli 2001, Jippes u. a., C‑189/01, EU:C:2001:420, Rn. 120). |
69 |
Was sodann die Pflicht anbelangt, Wirtspflanzen „unabhängig von ihrem Gesundheitszustand“, d. h., selbst wenn sie keine Symptome des Befalls mit der Bakterie Xylella aufweisen und bei ihnen ein Befall als nicht wahrscheinlich gilt, im betreffenden Radius unverzüglich zu entfernen, haben die Kläger der Ausgangsverfahren sowohl in ihren schriftlichen Stellungnahmen als auch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass sich der in Art. 16 der Richtlinie 2000/29 enthaltene Begriff der Tilgung ausschließlich auf Schadorganismen beziehe. Daher sei die Kommission nur befugt, die Entfernung der von diesen Organismen befallenen Pflanzen anzuordnen. |
70 |
Da die Bestimmungen von Art. 16 der Richtlinie 2000/29 allgemein formuliert sind, lässt sich aus ihnen – wie der Generalanwalt in Nr. 92 seiner Schlussanträge ausführt – jedoch keine solche Beschränkung des Anwendungsbereichs der Maßnahmen ableiten, die von der Kommission ergriffen werden können. Unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips ist Art. 16 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 vielmehr so zu verstehen, dass er es der Kommission erlaubt, jede Maßnahme zu erlassen, die im Sinne der in den Rn. 46 und 47 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung erforderlich ist, um die Schadorganismen zu tilgen oder einzudämmen, so dass die Kommission, wenn es zur Erreichung dieses Ziels geboten ist, nicht nur die befallenen Pflanzen zu entfernen, sondern auch alle in der Nähe stehenden Wirtspflanzen, selbst wenn sie keine Symptome für den Befall mit der Bakterie Xylella aufweisen und bei ihnen ein Befall als nicht wahrscheinlich gilt, zur Auferlegung einer solchen Maßnahme befugt ist. |
71 |
Um im vorliegenden Fall zu klären, ob diese Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist, ist zu prüfen, ob die Kommission beim Erlass ihres Beschlusses über schlüssige Daten verfügte, nach denen trotz der Entfernung der befallenen Pflanzen die benachbarten Wirtspflanzen, selbst wenn sie keine Symptome für den Befall mit der Bakterie Xylella aufweisen und bei ihnen ein Befall als nicht wahrscheinlich gilt, dennoch Träger der Bakterie sein und zu ihrer Verbreitung beitragen können. |
72 |
Insoweit ist festzustellen, dass nach dem Gutachten der EFSA vom 6. Januar 2015„[a]symptomatische Wirtspflanzen und asymptomatische oder leichte Infektionen … bei ausschließlich auf eine visuelle Untersuchung und sogar bei auf Labortests gestützten Studien unerkannt bleiben [können], weil Infektionen im Frühstadium oder eine heterogene Verteilung der Bakterie in der Pflanze zu falschen negativen Ergebnissen führen können“ (S. 6). Nach dem Gutachten folgt daraus, dass es schwierig sei, das Vorliegen der Bakterie Xylella bei Pflanzen festzustellen, die symptomfrei oder erst kürzlich kontaminiert worden seien (S. 97). Das Gutachten kommt deshalb zu folgendem Schluss: „Da die Krankheit durch Vektorinsekten von einer Pflanze zur anderen verbreitet wird und zwischen der Infektion mit der Bakterie durch den Vektor und dem Auftreten von Symptomen und selbst bis zur Feststellbarkeit der Bakterie in der Pflanze gewisse Zeit vergeht, ist es bei der Vernichtung bekanntermaßen befallener Pflanzen besonders wichtig, auch alle anderen Pflanzen in ihrer Umgebung zu vernichten“ (S. 100). |
73 |
Angesichts dieser wissenschaftlichen Daten durfte die Kommission unter Berücksichtigung des weiten Ermessens, über das sie in diesem Bereich verfügt, annehmen, dass die Pflicht zur unverzüglichen Entfernung aller in der Nähe befallener Pflanzen befindlichen Wirtspflanzen – anders als die von Herrn Pesce u. a. befürwortete Entfernung nur der von der Bakterie befallenen Pflanzen oder vertrocknender Pflanzen – eine zur Verhinderung einer von diesen Pflanzen ausgehenden Ausbreitung der Bakterie Xylella durch ihre Vektorinsekten angemessene und erforderliche Maßnahme war. |
74 |
Zur Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne dieser Pflicht ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber eine Abwägung der verschiedenen betroffenen Interessen vornehmen musste, nämlich einerseits insbesondere des Eigentumsrechts der Eigentümer von Olivenbäumen in der Region Apulien und der sich aus der Entfernung der betreffenden Pflanzen ergebenden wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen für diese Region und andererseits der Bedeutung der Pflanzenproduktion in der Union und des Allgemeininteresses daran, einen wirksamen Schutz des Unionsgebiets, unter Einschluss von Italien außerhalb der Provinz Lecce, vor der Ausbreitung der Bakterie Xylella im gesamten Unionsgebiet zu gewährleisten. |
75 |
Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Kommission die Pflicht zur unverzüglichen Entfernung aller Wirtspflanzen in dem betreffenden Radius auferlegte, weil sich die Bakterie im Norden der Provinz Lecce rasch ausbreitete, nachdem sie im Durchführungsbeschluss 2014/87 lediglich die Verbringung zur Anpflanzung bestimmter Pflanzen aus dieser Provinz verboten und anschließend im Durchführungsbeschluss 2014/497 die Entfernung nur der befallenen Pflanzen angeordnet hatte, woraus eine gewisse Abstufung der erlassenen Maßnahmen hervorgeht. |
76 |
Sodann ist festzustellen, dass die Kommission die streitige Pflicht zur Entfernung nicht unter allen Umständen auferlegte. Art. 7 des Durchführungsbeschlusses 2015/789 ermächtigt nämlich, abweichend von seinem Art. 6, die zuständigen nationalen Behörden nur in der Provinz Lecce – in der eine Tilgung nicht mehr möglich ist – zum Erlass von Eindämmungsmaßnahmen, die nicht in der Entfernung aller Wirtspflanzen in der Nähe befallener Pflanzen bestehen. |
77 |
In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger der Ausgangsverfahren jedoch vorgetragen, diese Ausnahme belege im Gegenteil die Unverhältnismäßigkeit der Pflicht zur unverzüglichen Entfernung dieser Pflanzen, da sie in der von der Bakterie am meisten kontaminierten geografischen Zone gerade nicht angeordnet worden sei. |
78 |
Wie sich aus dem siebten Erwägungsgrund des Durchführungsbeschlusses 2015/789 ergibt, strebt die Kommission jedoch in der Provinz Lecce unstreitig nicht mehr die Tilgung der Bakterie Xylella an, da dies nicht mehr möglich ist, sondern die Eindämmung ihrer Ausbreitung, indem den Mitgliedstaaten gestattet wird, die Entfernung befallener Pflanzen nur in bestimmten festgelegten Zonen anzuordnen, um die Produktionsflächen, Pflanzen von besonderem kulturellen, sozialen oder wissenschaftlichen Wert sowie die Abgrenzung zum übrigen Unionsgebiet zu schützen. Hierzu wird in Art. 8 des Beschlusses die Einrichtung einer Überwachungszone unmittelbar außerhalb der Pufferzone um die Befallszone der Provinz Lecce herum angeordnet. Wie die italienische Regierung in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, zielen diese Maßnahmen aufgrund des Umstands, dass diese Provinz vom Meer umgeben ist, somit darauf ab, die Bakterie Xylella in dieser Provinz so weit wie möglich abzuschotten, um zu verhindern, dass sie sich in die nördlich von ihr gelegenen Zonen ausbreitet. |
79 |
Außerhalb der Provinz Lecce strebt die Kommission mit den in Art. 6 des Durchführungsbeschlusses 2015/789 vorgesehenen Maßnahmen dagegen die – noch mögliche – Tilgung der Bakterie Xylella an, um ihre Ausbreitung in der gesamten Union zu verhindern. Aus den bereits in den Rn. 69 bis 73 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen erfordert die Verwirklichung dieser Ziele jedoch die Entfernung nicht nur der befallenen Pflanzen, sondern auch aller in ihrer Nähe befindlichen Wirtspflanzen. |
80 |
Schließlich ist hinsichtlich der Frage, ob bei den Wirtspflanzen keine weniger belastenden Maßnahmen, wie die von Herrn Pesce u. a. angesprochenen Maßnahmen des Beschneidens der Olivenbäume oder des Absägens ihrer Krone und einer Behandlung mit Pestiziden, getroffen werden könnten, festzustellen, dass Herr Pesce u. a. ihr dahin gehendes Vorbringen auf keine wissenschaftlichen Daten stützen und dass es zudem nach dem Gutachten der EFSA vom 6. Januar 2015„derzeit keine Behandlung [gibt], um befallene Pflanzen vor Ort zu heilen, und zumeist … kontaminierte Pflanzen ihr ganzes Leben befallen [bleiben] oder … rasch [eingehen]. Änderungen in der Anbauweise (z. B. Ausästen, Düngung und Bewässerung) könnten gewissen Einfluss auf die Krankheit haben, reichen im Allgemeinen jedoch nicht aus, damit die Pflanzen wieder gesunden“ (S. 97). Überdies enthält das Gutachten folgende Feststellung: „In Apulien hat das starke Ausästen befallener Olivenbäume zur Entstehung neuer Triebe am Baumstamm geführt, doch gibt es bisher keinen Nachweis dafür, dass die Pflanzen gesunden und ihr Absterben verhindert wird“ (S. 97). |
81 |
Daher durfte die Kommission, auch wenn die Pflicht zur Entfernung aller in der Nähe befallener Pflanzen befindlichen Wirtspflanzen, wie Herr Pesce u. a. vortragen, sowohl ihr Eigentumsrecht als auch die Umwelt in der Region Apulien beeinträchtigen kann, im Rahmen des ihr insoweit zustehenden weiten Ermessens nach Abwägung der verschiedenen betroffenen Interessen diese Pflicht auferlegen. |
82 |
Sollte sich – wie in Rn. 51 des vorliegenden Urteils ausgeführt – die Lage jedoch in der Weise entwickeln, dass die Tilgung der Bakterie Xylella aufgrund neuer einschlägiger wissenschaftlicher Daten nicht mehr die unmittelbare Entfernung aller Wirtspflanzen auf einer Fläche mit einem Radius von 100 Metern um die befallenen Pflanzen erfordert, obläge es der Kommission, gemäß Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2000/29 den Durchführungsbeschluss 2015/789 zu ändern oder einen neuen Beschluss zu erlassen, um dieser Entwicklung unter Beachtung des Vorsorgeprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. |
Zum Fehlen einer Entschädigungsregelung im Durchführungsbeschluss 2015/789
83 |
Nach Ansicht von Herrn Pesce u. a. hätte die Kommission, da der Durchführungsbeschluss 2015/789 zu einer regelrechten Enteignung der Eigentümer der betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe führe, darin ausdrücklich eine Entschädigung vorsehen müssen, die in angemessenem Verhältnis zum tatsächlichen Wert der nicht befallenen Pflanzen stehe, deren Entfernung er vorschreibe. |
84 |
Der Gerichtshof hat insoweit bereits entschieden, dass der Unionsgesetzgeber im Rahmen des weiten Ermessens, über das er auf dem Gebiet der Agrarpolitik verfügt, die Auffassung vertreten kann, dass die teilweise oder vollständige Entschädigung der Inhaber von Betrieben, in denen Tiere vernichtet und geschlachtet werden, angebracht ist. Er hat allerdings festgestellt, dass daraus nicht abgeleitet werden kann, dass es einen allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz gäbe, der in jedem Fall zur Gewährung einer Entschädigung verpflichtete (vgl. Urteil vom 10. Juli 2003, Booker Aquaculture und Hydro Seafood, C‑20/00 und C‑64/00, EU:C:2003:397, Rn. 85). |
85 |
Der das Eigentumsrecht betreffende Art. 17 der Charta sieht in Abs. 1 nunmehr u. a. vor, dass „[n]iemandem … sein Eigentum entzogen werden [darf], es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums“, und dass „[die] Nutzung des Eigentums … gesetzlich geregelt werden [kann], soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist“. |
86 |
Da sich der Entschädigungsanspruch unmittelbar aus Art. 17 der Charta ergibt, kann der bloße Umstand, dass weder die Richtlinie 2000/29 noch der Durchführungsbeschluss 2015/789 selbst eine Entschädigungsregelung enthält oder ausdrücklich dazu verpflichtet, eine solche Regelung vorzusehen, nicht dahin ausgelegt werden, dass ein solcher Anspruch ausgeschlossen ist. Folglich kann der Beschluss nicht aus diesem Grund als ungültig angesehen werden. |
87 |
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 weder gegen die Richtlinie 2000/29 noch gegen das Vorsorgeprinzip oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. |
Zur Gültigkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 im Hinblick auf die sich aus der Begründungspflicht ergebenden Anforderungen
88 |
Die in Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung muss zwar die Überlegungen des Unionsorgans, das den fraglichen Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig erkennen lassen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die getroffene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann; sie braucht jedoch nicht sämtliche rechtlich oder tatsächlich erheblichen Gesichtspunkte zu enthalten (vgl. Urteil vom 18. Juni 2015, Estland/Parlament und Rat, C‑508/13, EU:C:2015:403, Rn. 58). Dies gilt umso mehr, wenn die Mitgliedstaaten am Entstehungsprozess des Rechtsakts eng beteiligt waren und daher wissen, auf welchen Gründen er beruht (vgl. u. a. Urteil vom 9. September 2004, Spanien/Kommission, C‑304/01, EU:C:2004:495, Rn. 50). |
89 |
Zudem kann sich bei Handlungen mit allgemeiner Geltung die Begründung darauf beschränken, die Gesamtlage anzugeben, die zu ihrem Erlass geführt hat, und die allgemeinen Ziele zu bezeichnen, die mit dem fraglichen Rechtsakt erreicht werden sollen (vgl. u. a. Urteil vom 9. September 2004, Spanien/Kommission, C‑304/01, EU:C:2004:495, Rn. 51). |
90 |
Lässt sich dem angegriffenen Rechtsakt der von dem Organ verfolgte Zweck in seinen wesentlichen Zügen entnehmen, wäre es folglich unnötig, eine besondere Begründung für jede der fachlichen Entscheidungen zu verlangen, die das Organ getroffen hat (vgl. u. a. Urteil vom 18. Juni 2015, Estland/Parlament und Rat, C‑508/13, EU:C:2015:403, Rn. 60). |
91 |
Vorliegend ist festzustellen, dass in den Erwägungsgründen 1 bis 4 des Durchführungsbeschlusses 2015/789 eindeutig dargelegt wird, aus welchen Gründen die Kommission beschlossen hat, die Tilgungsmaßnahmen auf alle in der Nähe befallener Pflanzen befindlichen Wirtspflanzen auszudehnen. Aus ihnen geht nämlich hervor, dass mit dieser Ausdehnungsmaßnahme das allgemeine Ziel verfolgt werden soll, die zuvor getroffenen Tilgungsmaßnahmen nach der Entdeckung neuer Ausbrüche der Bakterie Xylella zu verschärfen und die Ausbreitung der Bakterie auf die übrige Union zu verhindern, unter Berücksichtigung der neuen wissenschaftlichen Gutachten der EFSA, mit denen die Liste der für die Bakterie anfälligen Pflanzen erweitert wurde, und zugleich unter Beschränkung bestimmter Maßnahmen „[i]m Interesse der Verhältnismäßigkeit“ allein auf die Wirtspflanzen. Zudem waren nach dem ersten Erwägungsgrund des Beschlusses die italienischen Behörden an seinem Erlass beteiligt, so dass sie sowohl die Gründe für seinen Erlass als auch die von der Kommission zur Tilgung der Bakterie Xylella in Betracht gezogenen Maßnahmen kennen mussten. |
92 |
Daher war die Kommission nicht verpflichtet, in den Erwägungsgründen ihres Beschlusses die Gründe für jede einzelne der mit ihm auferlegten Sondermaßnahmen zu erläutern. |
93 |
Somit genügt der Durchführungsbeschluss 2015/789 der in Art. 296 AEUV vorgesehenen Begründungspflicht. |
94 |
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Prüfung der Vorlagefragen nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses 2015/789 im Hinblick auf die Richtlinie 2000/29, betrachtet im Licht des Vorsorgeprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie angesichts der in Art. 296 AEUV und in Art. 41 der Charta vorgesehenen Begründungspflicht, berühren könnte. |
Kosten
95 |
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt: |
Die Prüfung der Vorlagefragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Durchführungsbeschlusses (EU) 2015/789 der Kommission vom 18. Mai 2015 über Maßnahmen zum Schutz der Union gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Xylella fastidiosa (Wells et al.) im Hinblick auf die Richtlinie 2000/29/EG des Rates vom 8. Mai 2000 über Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaft gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse in der Fassung der Richtlinie 2002/89/EG des Rates vom 28. November 2002, betrachtet im Licht des Vorsorgeprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie angesichts der in Art. 296 AEUV und in Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehenen Begründungspflicht, berühren könnte. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.