URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

2. Juni 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Steuerwesen — Verbrauchsteuern — Richtlinie 92/12/EWG — Tabakwaren, die unter Steueraussetzung befördert werden — Haftung des zugelassenen Lagerinhabers — Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, den zugelassenen Lagerinhaber gesamtschuldnerisch für die Zahlung der Beträge haftbar zu machen, die den gegen Schmuggler verhängten finanziellen Sanktionen entsprechen — Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit“

In der Rechtssache C‑81/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland), mit Entscheidung vom 21. Januar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Februar 2015, in dem Verfahren

Kapnoviomichania Karelia AE

gegen

Ypourgos Oikonomikon

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter C. G. Fernlund (Berichterstatter) und S. Rodin,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Kapnoviomichania Karelia AE, vertreten durch V. Antonopoulos, dikigoros,

der griechischen Regierung, vertreten durch K. Paraskevopoulou, K. Nasopoulou und S. Lekkou als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Tomat und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Januar 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. 1992, L 76, S. 1) in der durch die Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 (ABl. 1992, L 390, S. 124) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 92/12).

2

Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Kapnoviomichania Karelia AE (im Folgenden: Karelia) und dem Ypourgos Oikonomikon (Finanzministerium, Griechenland) über einen Abgabenbescheid, mit dem Karelia wegen eines Schmuggels als Gesamtschuldnerin für Steuern und Abgaben haftbar gemacht wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Die Art. 1 und 3 der Richtlinie 92/12 bestimmten, dass diese Richtlinie „die Verbrauchsteuern und die anderen indirekten Steuern, die unmittelbar oder mittelbar auf den Verbrauch von Waren erhoben werden, mit Ausnahme der Mehrwertsteuer und der von der Gemeinschaft festgelegten Abgaben“ regelt und „auf Gemeinschaftsebene Anwendung auf … Tabakwaren“ findet.

4

In Art. 4 dieser Richtlinie war der Begriff „zugelassener Lagerinhaber“ definiert als „die natürliche oder juristische Person, die von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats ermächtigt wurde, in Ausübung ihres Berufs unter Steueraussetzung verbrauchsteuerpflichtige Waren in einem Steuerlager herzustellen, zu bearbeiten, zu lagern, zu empfangen und zu versenden“.

5

Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie galten verbrauchsteuerpflichtige Waren als unter Steueraussetzung stehend, wenn ihr Herkunfts- oder Bestimmungsort in einem Drittland lag und sie sich in einem anderen gemeinschaftlichen Zollverfahren als dem der Abfertigung zum freien Verkehr befanden.

6

Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie entstand die „Verbrauchsteuer … mit der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr“, wozu „jede – auch unrechtmäßige – Entnahme der Ware aus dem Verfahren der Steueraussetzung“ gehörte.

7

Nach Art. 13 der Richtlinie 92/12 musste der zugelassene Lagerinhaber u. a. „eine Sicherheit in Bezug auf die Beförderung nach näherer Bestimmung der Steuerbehörden des Mitgliedstaats, in dem er zugelassen worden ist, sowie gegebenenfalls eine Sicherheit in Bezug auf die Herstellung, die Verarbeitung und die Lagerung leisten“.

8

Art. 15 Abs. 3 und 4 dieser Richtlinie bestimmte:

„(3)   Die mit der innergemeinschaftlichen Warenbeförderung verbundenen Risiken werden von der Sicherheitsleistung gemäß Artikel 13, die der zugelassene Lagerinhaber als Versender gestellt hat, und gegebenenfalls durch eine gesamtschuldnerische Sicherheitsleistung des Versenders und des Beförderers gedeckt. Die Mitgliedstaaten können gegebenenfalls vom Empfänger eine Sicherheitsleistung verlangen.

Die Einzelheiten der Sicherheitsleistung werden von den Mitgliedstaaten geregelt. Die Sicherheitsleistung muss für die gesamte Gemeinschaft gültig sein.

(4)   Unbeschadet des Artikels 20 können der zugelassene Lagerinhaber als Versender und gegebenenfalls der Beförderer erst dann aus ihrer Verantwortung entlassen werden, wenn der Nachweis dafür vorliegt, dass der Empfänger die Waren übernommen hat, insbesondere mittels des … Begleitdokuments …“.

9

In Art. 20 Abs. 1 und 3 der Richtlinie hieß es:

„(1)   Wurde während des Verfahrens der Steueraussetzung eine Zuwiderhandlung oder Unregelmäßigkeit begangen, aufgrund derer eine Verbrauchsteuer entsteht, so wird die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem die Unregelmäßigkeit oder die Zuwiderhandlung begangen wurde, ungeachtet einer etwaigen Strafverfolgung von der natürlichen oder juristischen Person geschuldet, die gemäß Artikel 15 Absatz 3 eine Sicherheit für die Zahlung der Verbrauchsteuern geleistet hat.

(3)   … Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um Zuwiderhandlungen oder Unregelmäßigkeiten zu begegnen und wirksame Sanktionen zu verhängen.“

Griechisches Recht

10

Die Richtlinie 92/12 wurde mit dem Gesetz 2127/1993 über die Harmonisierung der Steuerregelung für Mineralöle, Alkohol und alkoholische Getränke, Tabakwaren und anderer Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht (FEK A’ 48) in das griechische Recht umgesetzt. In diesem Gesetz waren zum im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt neben dem Verbrauchsteuersystem und dem Zeitpunkt der Entstehung des Steueranspruchs auch die Fragen zum Nichterhebungsverfahren des Steuerlagers und zum zugelassenen Lagerinhaber geregelt.

11

Nach Art. 11 Abs. 3 dieses Gesetzes haftet der zugelassene Lagerinhaber „dem Staat gegenüber für die Steuern auf die Waren“ und „auch für Handlungen, die die zuständige Behörde gegebenenfalls den Lageristen in [seinen] Lagern vorwirft“.

12

Nach Art. 67 Abs. 5 des Gesetzes werden „[j]ede Umgehung oder versuchte Umgehung der Zahlung der geschuldeten Verbrauchsteuern und sonstigen Abgaben sowie die Nichteinhaltung der gesetzlich vorgesehenen Förmlichkeiten mit dem Ziel, die genannten Verbrauchsteuern und sonstigen Abgaben nicht zu zahlen, … als Schmuggel im Sinne der Vorschriften der Art. 89 ff. des Gesetzes 1165/1918 über das Zollgesetzbuch (im Folgenden: Zollgesetzbuch) angesehen; diese Handlungen werden mit einer in diesen Vorschriften vorgesehenen erhöhten Abgabe belegt, auch wenn die zuständige Behörde feststellt, dass die Merkmale des Straftatbestands des Schmuggels nicht erfüllt sind“.

13

Art. 97 Abs. 3 des Zollgesetzbuchs sieht vor, dass „zulasten derjenigen, die an dem Zollvergehen im Sinne von Art. 89 Abs. 2 dieses Gesetzbuchs beteiligt waren, … im Verhältnis zum Grad ihrer jeweiligen Beteiligung und unabhängig von der strafrechtlichen Verfolgung, der sie unterliegen, gesamtschuldnerisch eine erhöhte Abgabe in doppelter bis zehnfacher Höhe der auf den Gegenstand des Vergehens erhobenen Verbrauchsteuern und sonstigen Abgaben erhoben“ wird. Gemäß Art. 97 Abs. 5 des Zollgesetzbuchs „erstellt und erlässt der … Direktor der zuständigen Zollstelle so schnell wie möglich einen mit Gründen versehenen Akt, mit dem er die nach dem Zollgesetzbuch Verantwortlichen entlastet bzw. benennt, bestimmt den Grad der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen sowie die hinsichtlich der Schmuggelware geschuldeten oder entgangenen Zölle und anderen Abgaben und zieht die erhöhte Abgabe im Sinne dieses Artikels und die gegebenenfalls entgangenen Zölle und anderen Abgaben ein“.

14

Art. 99 Abs. 2 des Zollgesetzbuchs bestimmt, dass die „fehlende Kenntnis der zivilrechtlich mitverantwortlichen Personen von der Absicht der Haupttäter, das Vergehen zu begehen, diese Personen nicht von ihrer Haftung befreit“.

15

Art. 108 des Zollgesetzbuchs sieht vor:

„Das Strafgericht, das über die Anklage wegen Schmuggels befindet, kann in seinem Strafurteil feststellen, dass der Eigentümer oder der Empfänger der Schmuggelware mit dem Verurteilten zivilrechtlich als Gesamtschuldner für die Zahlung der verhängten Geldbuße, der Kosten und des Betrags, der dem als Nebenkläger auftretenden Staat auf dessen Antrag zugesprochen wurde, haftet; dies gilt auch dann, wenn gegen den Mitverantwortlichen kein Strafverfahren durchgeführt wird, sofern der Verurteilte über die Schmuggelware als Bevollmächtigter, Verwalter oder Vertreter des Eigentümers oder des Empfängers verfügt hat, unabhängig davon, wie der Auftrag rechtlich gestaltet ist oder verschleiert wird; es kommt demnach nicht darauf an, ob der Auftragnehmer in eigenem Namen handelt …, ob er sich als Eigentümer der Waren oder als in einer sonstigen rechtlichen Beziehung zu diesen Waren stehend ausgibt oder ob es sich bei der tatsächlichen Vertretung des Eigentümers um eine besondere oder allgemeine Vertretung handelt, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass die vorgenannten Personen nicht wissen konnten, dass möglicherweise Schmuggel begangen würde.“

16

Art. 109 des Zollgesetzbuchs bestimmt:

„Das Strafgericht kann auch feststellen, dass außer dem Eigentümer und dem Empfänger der Schmuggelware im Sinne des vorstehenden Artikels die Eigentümer von Schiffen, Booten, Kraftwagen und Karren, die Land‑, See‑ und Luftverkehrsunternehmen sowie die Vermittler und Vertreter – unabhängig von ihrer Eigenschaft oder Bezeichnung – dieser Unternehmen oder der Eigentümer von Schiffen, Booten, Kraftwagen, Karren und Flugzeugen sowie die Leiter von Hotels, Gasthäusern, Cafés und sonstigen öffentlich zugänglichen Geschäftsräumen, auch wenn sie für den Schmuggel nicht strafrechtlich verantwortlich sind, zivilrechtlich als Gesamtschuldner für die Zahlung der verhängten Geldbuße, der Kosten und des Betrags, der dem als Nebenkläger auftretenden Staat auf dessen Antrag zugesprochen wurde, haften, wenn der Schmuggel in oder mit diesen Beförderungsmitteln oder in diesen Geschäftsräumen oder durch deren Nutzung zur Begehung des Schmuggels oder als Versteck für die Schmuggelware begangen wurde, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass die vorgenannten Personen nicht wissen konnten, dass möglicherweise Schmuggel begangen würde.“

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

17

Karelia ist eine griechische Gesellschaft, die in der Produktion von Tabakwaren tätig und als Lagerinhaberin zugelassen ist. Zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt beabsichtigte sie, Tabakwaren, die sich in einem Nichterhebungsverfahren befanden, nach Bulgarien auszuführen, das damals noch nicht Mitglied der Europäischen Union war.

18

Den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen zufolge reichte Karelia am 9. Juni 1994, nachdem sie von der Bulgakommerz Ltd eine Bestellung über 760 Kartons Zigaretten erhalten hatte, bei der zuständigen Zollstelle eine Ausfuhranmeldung ein.

19

Diese Ladung gelangte jedoch nie an ihren Bestimmungsort. Die von der Zollbehörde durchgeführte Untersuchung ergab, dass der für den Transport der Ladung bestimmte Lastkraftwagen leer nach Bulgarien gefahren und die Ladung in einen anderen Lastkraftwagen umgeladen worden war. Im Lauf der Untersuchung erklärte der Exportabteilungsleiter von Karelia, dass er nach der Bestellung einen dem Warenwert entsprechenden Betrag erhalten habe, den er auf ein Bankkonto der Karelia in Griechenland eingezahlt habe. Der Generaldirektor von Karelia gab an, dass er nicht wisse, ob Bulgakommerz tatsächlich existiere, und jeder Versuch einer Identifizierung dieses Unternehmens in Bulgarien vergeblich gewesen wäre.

20

Da der Nachweis der Ausfuhr der im Ausgangsverfahren fraglichen Ladung nicht erbracht worden war, wurde die Bankgarantie, die Karelia zur Deckung der Verbrauchsteuern geleistet hatte, nämlich 114726750 griechische Drachmen (GRD) (336688,92 Euro), einbehalten.

21

Anschließend erließen die Zollbehörden einen Abgabenbescheid hinsichtlich des Schmuggels der 760 Kartons Zigaretten, mit dem sie u. a. die Personen, die im Namen von Bulgakommerz die Bestellung der Zigaretten beim Exportabteilungsleiter von Karelia aufgegeben hatten, zu gemeinschaftlichen Tätern des Schmuggels erklärten. Diesen Tätern wurden die erhöhte Abgabe von insgesamt 573633750 GRD (1683444,60 Euro) und die erhöhte Verbrauchsteuer von 9880000 GRD (28994,86 Euro) auferlegt. In demselben Bescheid wurde festgestellt, dass Karelia zivilrechtlich als Gesamtschuldnerin für diese Beträge hafte.

22

Der von Karelia gegen den Abgabenbescheid erhobenen Klage gab das Dioikitiko Protodikeio Peiraia (erstinstanzliches Verwaltungsgericht Piräus, Griechenland) mit der Begründung statt, dass weder ein Auftrag noch eine Vertretung, noch ein anderes Rechtsverhältnis nachgewiesen worden sei, mit dem ein Auftrag zwischen Karelia und den als Schmuggler eingestuften Personen verschleiert werde.

23

Der Berufung des Finanzministeriums gegen dieses Urteil gab das Dioikitiko Efeteio Peiraia (Berufungsgericht in Verwaltungssachen Piräus, Griechenland) statt, setzte den Betrag der erhöhten Abgabe aber auf 344180250 GRD (336688,91 Euro) herab. Unter Hinweis darauf, dass sich die Zigaretten im Verfahren der Steueraussetzung befunden hätten, entschied das Gericht, dass die Schmuggler als Bevollmächtigte von Karelia gehandelt hätten, die als zugelassene Lagerinhaberin die Besitzerin der Waren gewesen sei und die alleinige Verantwortung für die Beförderung der Waren bis zu ihrer Ausfuhr getragen habe, und zwar unabhängig von der Eigenschaft, in der die Schmuggler vorgeblich gehandelt hätten, nämlich als Fahrer, Zwischenhändler, Empfänger, Käufer usw.

24

Karelia legte gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel beim Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat, Griechenland) ein.

25

In der Vorlageentscheidung hat dieses Gericht festgestellt, dass nach Art. 99 Abs. 2, Art. 108 und Art. 109 des Zollgesetzbuchs die Eigentümer der Waren, deren Empfänger und die Beförderer sowie ihre Vermittler und Vertreter u. a. für die finanziellen Folgen von Schmuggel, zu denen die Entrichtung der entgangenen Zölle und Abgaben sowie der entsprechenden Geldbußen gehöre, gesamtschuldnerisch hafteten, wenn diese Unregelmäßigkeiten zu einer Zeit, als sich die betreffenden Waren in ihrem beruflichen Verantwortungsbereich befänden, von Personen begangen würden, mit denen zusammenzuarbeiten sie sich entschieden hätten. Die Mithaftenden seien nur dann von ihrer Haftung befreit, wenn sie den Nachweis erbrächten, dass sie nicht – auch nicht leicht – fahrlässig gehandelt hätten, wobei auf die im Rahmen ihrer Tätigkeit und ihres Berufs aufzuwendende Sorgfalt abzustellen sei. Diese zivilrechtliche Haftung, die nach griechischem Recht keine Verwaltungsstrafe darstelle, ziele nicht nur auf die Erhebung der entgangenen Zölle und Abgaben, sondern auch darauf ab, so weit wie möglich die Zahlung und somit die Wirksamkeit der verhängten Geldbußen zu gewährleisten. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass die genannten Wirtschaftsbeteiligten, die aus der wirtschaftlichen Tätigkeit, in deren Rahmen der Schmuggel begangen werde, Gewinn zögen, alle geeigneten Maßnahmen ergreifen müssten, um sicherzustellen, dass sie nicht durch Personen, zu denen sie Geschäftsbeziehungen unterhielten, an einem Schmuggel beteiligt würden.

26

Nach dieser nationalen Regelung in ihrer Auslegung im Licht der Bestimmungen der Richtlinie 92/12 könne der zugelassene Lagerinhaber zusammen mit den Schmugglern von Waren, die im Verfahren der Steueraussetzung in das Lager befördert und unrechtmäßig aus diesem Verfahren entnommen worden seien, zivilrechtlich als Gesamtschuldner haftbar gemacht werden.

27

Nach der Mehrheitsansicht dieses Gerichts erstreckt sich die gesamtschuldnerische Haftung des zugelassenen Lagerinhabers nicht nur auf die Verbrauchsteuern gemäß der Richtlinie 92/12, sondern auch auf die sonstigen wirtschaftlichen Folgen des Schmuggels, insbesondere die gegen die Schmuggler verhängten finanziellen Sanktionen. Dies gelte unabhängig von etwaigen besonderen Vereinbarungen zwischen dem Lagerinhaber und dem Erwerber, wonach das Eigentum an den unter Steueraussetzung stehenden Waren mit ihrer Übergabe auf den Erwerber übergehe, der ihre Beförderung übernehme. Diese verschärfte Haftung des zugelassenen Lagerinhabers diene dem Ziel der Verhinderung von Steuerhinterziehung, weil ein starker Anreiz für ihn geschaffen werde, die ordnungsgemäße Durchführung des Ausfuhrverfahrens zu gewährleisten, indem er im Rahmen seiner Vertragsbeziehungen die geeigneten Maßnahmen ergreife, um sich vor der Gefahr zu schützen, als Gesamtschuldner zur Tragung sämtlicher finanziellen Folgen von Schmuggel verurteilt zu werden. Diese Haftung verstoße nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da der zugelassene Lagerinhaber sich ihr entziehen könne, indem er nachweise, dass er gutgläubig gehandelt und alle möglichen geeigneten Maßnahmen ergriffen habe und dabei die von einem umsichtigen Berufsangehörigen zu erwartende Sorgfalt aufgewandt habe.

28

Im Gegensatz hierzu ist die Minderheitsansicht des vorlegenden Gerichts der Auffassung, dass der zugelassene Lagerinhaber nur für die Verbrauchsteuern gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden dürfe, nicht aber für die gegen die Schmuggler verhängten finanziellen Sanktionen. Weder aus den griechischen Rechtsvorschriften noch aus der Richtlinie 92/12 gehe hervor, dass der zugelassene Lagerinhaber so lange als Eigentümer der gelagerten Waren, die sein Steuerlager verließen und unter Steueraussetzung in ein Drittland befördert würden, gelte, bis sie ihre rechtmäßige Bestimmung erreicht oder das Gebiet der Europäischen Union verlassen hätten. Aus diesen Vorschriften und der Richtlinie ergebe sich auch keine gesetzliche Vermutung dafür, dass die natürlichen Personen, die in irgendeiner Weise an der Beförderung dieser Waren beteiligt seien, bis zu deren Entnahme aus dem Steueraussetzungsverfahren als Bevollmächtigte oder Vertreter des zugelassenen Lagerinhabers handelten. Die von der Mehrheit befürwortete verschärfte Haftung sei nicht erforderlich, um die effektive Anwendung der Richtlinie zu gewährleisten, und verstoße gegen verschiedene unionsrechtliche Grundsätze. Zum einen widerspreche sie dem Grundsatz der Rechtssicherheit, insbesondere dem Grundsatz der Klarheit und der Vorhersehbarkeit der Grenzen der Unternehmensfreiheit und dem Eigentumsrecht des zugelassenen Lagerinhabers. Zum anderen verletze sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da es offensichtlich unverhältnismäßig sei, dem zugelassenen Lagerinhaber die Verpflichtung aufzubürden, Verwaltungsstrafen – die sich nach dem Gesetz auf mindestens das Doppelte der geschuldeten Abgaben beliefen, und zwar unabhängig von deren Höhe – für Verstöße zu zahlen, die sich aus dem betrügerischen Verhalten von Dritten ergäben, die keine der in Art. 108 des Zollgesetzbuchs genannten Eigenschaften aufwiesen und auf die dieser Lagerinhaber, der die angemessene Sorgfalt aufgewandt habe, keinen Einfluss habe.

29

Unter diesen Umständen hat der Symvoulio tis Epikrateias (Staatsrat) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Richtlinie 92/12 im Licht der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts wie der Grundsätze der Effektivität, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass sie in einem Fall wie dem vorliegenden der Anwendung einer gesetzlichen Bestimmung eines Mitgliedstaats wie jener des Art. 108 des griechischen Zollgesetzbuchs entgegensteht, wonach der zugelassene Lagerinhaber in Bezug auf Waren, die unter Steueraussetzung aus seinem Steuerlager verbracht und diesem Verfahren aufgrund eines Schmuggels unrechtmäßig entnommen wurden, für die Zahlung der Verwaltungssanktionen wegen Schmuggels gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden kann, und zwar unabhängig davon, ob er zur Tatzeit nach den privatrechtlichen Vorschriften Eigentümer der Waren war, und auch unabhängig davon, ob die an der Beförderung beteiligten Täter mit dem zugelassenen Lagerinhaber in einem bestimmten Vertragsverhältnis standen, aus dem sich ergibt, dass sie als seine Bevollmächtigten gehandelt haben?

Zur Vorlagefrage

30

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 92/12 im Licht der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit, dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung – wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nach der u. a. die Eigentümer von Waren unter Steueraussetzung für die Zahlung der Beträge, die den wegen einer Zuwiderhandlung bei der Beförderung dieser Waren verhängten finanziellen Sanktionen entsprechen, haftbar gemacht werden können, wenn sie in einer Vertragsbeziehung zu den Zuwiderhandelnden stehen, die diese zu ihren Bevollmächtigten macht – entgegensteht, wonach der zugelassene Lagerinhaber für gesamtschuldnerisch für die Zahlung dieser Beträge haftbar erklärt wird, auch wenn er nach nationalem Recht weder Eigentümer dieser Waren war, als die Zuwiderhandlung begangen wurde, noch in einer Vertragsbeziehung zu den Zuwiderhandelnden stand, die diese zu seinen Bevollmächtigten machte.

31

Zur Beantwortung dieser Frage ist vorab darauf hinzuweisen, dass sich aus der Systematik der Richtlinie 92/12, insbesondere von Art. 13, Art. 15 Abs. 3 und 4 sowie Art. 20 Abs. 1, ergibt, dass der Gesetzgeber dem zugelassenen Lagerinhaber eine zentrale Rolle im Rahmen des Verfahrens der Beförderung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren unter Steueraussetzung zugedacht hat.

32

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 34 bis 36 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, führt die Richtlinie 92/12 zulasten des zugelassenen Lagerinhabers eine Haftungsregelung für alle mit der Beförderung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren unter Steueraussetzung verbundenen Risiken ein, so dass dieser Lagerinhaber für die Zahlung der Verbrauchsteuern haftet, wenn es bei der Beförderung dieser Waren zu einer Unregelmäßigkeit oder einer Zuwiderhandlung kommt, die zur Entstehung des Steueranspruchs führt. Dabei handelt es sich also um eine objektive Haftung, die nicht auf dem nachgewiesenen oder vermuteten Verschulden des Lagerinhabers, sondern auf seiner Beteiligung an einer wirtschaftlichen Tätigkeit beruht.

33

Im vorliegenden Fall wird die objektive Haftung eines zugelassenen Lagerinhabers wie Karelia für die Zahlung der Verbrauchsteuern nicht bestritten.

34

Hingegen ist zu prüfen, ob die Richtlinie 92/12 es den Mitgliedstaaten erlaubt, den zugelassenen Lagerinhaber als Gesamtschuldner auch für die Zahlung der Beträge in Anspruch zu nehmen, die den gegen die Schmuggler verhängten finanziellen Sanktionen entsprechen.

35

Nach Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie 92/12 haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen oder Unregelmäßigkeiten zu begegnen und wirksame Sanktionen zu verhängen.

36

Nach Ansicht der griechischen Regierung ergibt sich aus dieser Bestimmung eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine zusätzliche strafrechtliche Haftung des zugelassenen Lagerinhabers für Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren vorzusehen.

37

Zwar ist der Zigarettenmarkt, wie der Gerichtshof bereits wiederholt festgestellt hat, für die Entwicklung eines illegalen Handels besonders anfällig (Urteil vom 13. Dezember 2007, BATIG, C‑374/06, EU:C:2007:788, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die sich aus Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie 92/12 ergebende Verpflichtung, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen oder Unregelmäßigkeiten zu begegnen und wirksame Sanktionen zu verhängen, ist im Licht dieser Feststellung auszulegen.

38

Hieraus folgt jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung verpflichtet wären, eine zusätzliche strafrechtliche Haftung des zugelassenen Lagerinhabers für Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren vorzusehen.

39

Erstens ist nämlich in dieser Bestimmung weder festgelegt, welche Sanktionen geeignet sind, noch, welche Kategorien von Personen dafür in Anspruch zu nehmen sind.

40

Zweitens ist die in der Richtlinie 92/12 vorgesehene Risikohaftungsregelung, wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, auf die Übernahme der Zahlung der Verbrauchsteuern beschränkt. Diese Richtlinie schreibt daher keine Gesamtschuldregelung vor, die den zugelassenen Lagerinhaber für die Beträge haftbar macht, die den gegen die Schmuggler verhängten finanziellen Sanktionen entsprechen.

41

Wenn die Richtlinie 92/12 die Mitgliedstaaten auch nicht verpflichtet, eine gesamtschuldnerische Haftung des zugelassenen Lagerinhabers für die Zahlung der den verhängten finanziellen Sanktionen entsprechenden Beträge vorzusehen, so ist zu prüfen, ob sie dies verbietet.

42

Nach ständiger Rechtsprechung verstößt es nicht gegen das Unionsrecht, wenn von einem Wirtschaftsteilnehmer gefordert wird, dass er alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (Urteil vom 21. Februar 2008, Netto Supermarkt, C‑271/06, EU:C:2008:105, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Es ist daher festzustellen, dass die Richtlinie 92/12, wie der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, es den Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht verwehrt, die Haftung des zugelassenen Lagerinhabers dadurch zu verschärfen, dass sie ihn für die finanziellen Folgen der Zuwiderhandlungen, die bei der Beförderung der Waren unter Steueraussetzung festgestellt wurden, gesamtschuldnerisch haften lassen.

44

Es ist jedoch zu prüfen, ob eine verschärfte Haftung wie die im Ausgangsverfahren fragliche den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit entspricht.

45

Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten den Grundsatz der Rechtssicherheit wahren müssen, wenn sie ihre Zuständigkeiten ausüben, um im Rahmen der Umsetzung einer Richtlinie die geeigneten Sanktionen zu wählen. Die Rechtsakte der Union müssen nämlich eindeutig sein, und ihre Anwendung muss für die Betroffenen vorhersehbar sein, wobei dieses Gebot der Rechtssicherheit in besonderem Maß gilt, wenn es sich um eine Regelung handelt, die sich finanziell belastend auswirken kann, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen (Urteil vom 16. September 2008, Isle of Wight Council u. a., C‑288/07, EU:C:2008:505, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46

In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ist jedoch festzustellen, dass die verschärfte Haftung des zugelassenen Lagerinhabers, der nicht Eigentümer der von der Zuwiderhandlung betroffenen Waren geblieben ist und nicht in einer Vertragsbeziehung zu den Zuwiderhandelnden steht, die diese zu seinen Bevollmächtigten macht, weder in der Richtlinie 92/12 noch in den nationalen Rechtsvorschriften ausdrücklich vorgesehen ist.

47

Unter diesen Umständen erscheinen die Sanktionen, die gegen einen solchen zugelassenen Lagerinhaber nach diesen Rechtsvorschriften verhängt werden können, in Anbetracht insbesondere der unterschiedlichen Auslegungen, die innerhalb des vorlegenden Gerichts vertreten werden, nicht so eindeutig und für die Betroffenen vorhersehbar, dass sie als den Erfordernissen der Rechtssicherheit genügend angesehen werden könnten, was allerdings von diesem Gericht zu überprüfen ist.

48

Was zweitens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit betrifft, so können die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung in Ermangelung einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Union auf dem Gebiet der Sanktionen bei Nichtbeachtung der Voraussetzungen, die eine nach dem Unionsrecht geschaffene Regelung vorsieht, die Sanktionen wählen, die ihnen sachgerecht erscheinen. Sie sind jedoch verpflichtet, bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht und seine allgemeinen Grundsätze, also auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, zu beachten (vgl. insbesondere Urteil vom 29. Juli 2010, Profaktor Kulesza, Frankowski, Jóźwiak, Orłowski, C‑188/09, EU:C:2010:454, Rn. 29).

49

Zu Maßnahmen, die der Steuerhinterziehung vorbeugen sollen, hat der Gerichtshof im Bereich der Mehrwertsteuer entschieden, dass die Verteilung des Risikos aufgrund eines von einem Dritten begangenen Betrugs dann nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, wenn ein Steuersystem dem Lieferer unabhängig davon, ob er an dem vom Abnehmer begangenen Betrug beteiligt war, die gesamte Verantwortung für die Zahlung der Mehrwertsteuer auferlegt (Urteil vom 21. Februar 2008, Netto Supermarkt, C‑271/06, EU:C:2008:105, Rn. 22 und 23).

50

Der Gerichtshof hat außerdem bereits festgestellt, dass nationale Maßnahmen, die de facto ein System der unbedingten gesamtschuldnerischen Haftung einführen, über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Ansprüche der Staatskasse zu schützen. Er hat daher entschieden, dass es als unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzusehen ist, die Haftung für die Mehrwertsteuer einer anderen Person als dem Steuerschuldner aufzuerlegen – auch wenn es sich bei dieser Person um den zugelassenen Inhaber eines Steuerlagers handelt, dem die spezifischen Verpflichtungen nach der Richtlinie 92/12 obliegen –, ohne es dieser Person zu ermöglichen, sich der Haftung zu entziehen, indem sie den Beweis erbringt, dass sie mit den Machenschaften des Steuerschuldners nichts zu tun hat, und weiter ausgeführt, dass es offenkundig unverhältnismäßig wäre, dieser Person bedingungslos den Verlust von Steuereinnahmen anzulasten, der durch das Tun eines Dritten verursacht worden ist, auf das sie keinen Einfluss hat (Urteil vom 21. Dezember 2011, Vlaamse Oliemaatschappij, C‑499/10, EU:C:2011:871, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51

Die Einhaltung dieser Anforderungen ist auch bei einer Maßnahme wie der Zuweisung der Haftung für finanzielle Folgen von Schmuggel an den zugelassenen Lagerinhaber geboten.

52

Wie das vorlegende Gericht ausführt, ist Art. 108 des Zollgesetzbuchs nach Auffassung der Mehrheit seiner Mitglieder dahin auszulegen, dass ein zugelassener Lagerinhaber, der alle vernünftigerweise von ihm zu erwartenden Maßnahmen ergriffen hat, um sich zu vergewissern, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt, sich nur dann dieser Haftung entziehen kann, wenn er nachweisen kann, dass er nicht wissen konnte, dass möglicherweise Schmuggel begangen würde. Ist dies der Fall – was das vorlegende Gericht zu überprüfen hat –, bedeutet diese verschärfte Haftung des zugelassenen Lagerinhabers, dass er als Gesamtschuldner für die Zahlung der den verhängten finanziellen Sanktionen entsprechenden Beträge haftbar gemacht werden kann, auch wenn der Schmuggel von Personen begangen wird, mit denen zusammenzuarbeiten er sich nicht entschieden hat, und dass damit de facto ein System der unbedingten gesamtschuldnerischen Haftung eingeführt wird, das als unverhältnismäßig anzusehen ist.

53

Nach alledem kann eine Regelung der verschärften Haftung wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende nur dann den sich aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit ergebenden Erfordernissen genügen, wenn sie eindeutig und ausdrücklich im nationalen Recht vorgesehen ist und dem zugelassenen Lagerinhaber eine wirksame Möglichkeit vorbehält, sich von seiner Haftung zu befreien.

54

Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass die Richtlinie 92/12 im Licht der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit, dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung – wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nach der u. a. die Eigentümer von Waren unter Steueraussetzung für die Zahlung der Beträge, die den wegen einer Zuwiderhandlung bei der Beförderung dieser Waren verhängten finanziellen Sanktionen entsprechen, haftbar gemacht werden können, wenn sie in einer Vertragsbeziehung zu den Zuwiderhandelnden stehen, die diese zu ihren Bevollmächtigten macht – entgegensteht, wonach der zugelassene Lagerinhaber für gesamtschuldnerisch für die Zahlung dieser Beträge haftbar erklärt wird, auch wenn er nach nationalem Recht weder Eigentümer dieser Waren war, als die Zuwiderhandlung begangen wurde, noch in einer Vertragsbeziehung zu den Zuwiderhandelnden stand, die diese zu seinen Bevollmächtigten machte, ohne dass er sich dieser Haftung entziehen könnte, indem er den Beweis erbringt, dass er mit den Machenschaften der Zuwiderhandelnden nichts zu tun hat.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

1. Die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren in der durch die Richtlinie 92/108/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 geänderten Fassung ist im Licht der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit, dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung – wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nach der u. a. die Eigentümer von Waren für die Zahlung der Beträge, die den wegen einer bei der Beförderung der Waren unter Steueraussetzung begangenen Zuwiderhandlung verhängten finanziellen Sanktionen entsprechen, haftbar gemacht werden können, wenn sie in einer Vertragsbeziehung zu den Zuwiderhandelnden stehen, die diese zu ihren Bevollmächtigten macht – entgegensteht, wonach der zugelassene Lagerinhaber für gesamtschuldnerisch für die Zahlung dieser Beträge haftbar erklärt wird, auch wenn er nach nationalem Recht weder Eigentümer dieser Waren war, als die Zuwiderhandlung begangen wurde, noch in einer Vertragsbeziehung zu den Zuwiderhandelnden stand, die diese zu seinen Bevollmächtigten machte, ohne dass er sich dieser Haftung entziehen könnte, indem er den Beweis erbringt, dass er mit den Machenschaften der Zuwiderhandelnden nichts zu tun hat.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Griechisch.