URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

12. Februar 2015 ( *1 )

„Nichtigkeitsklage — Richtlinie 2013/51/Euratom — Wahl der Rechtsgrundlage — EAG-Vertrag — Art. 31 EA und 32 EA — AEU‑Vertrag — Art. 192 Abs. 1 AEUV — Schutz der menschlichen Gesundheit — Radioaktive Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch — Rechtssicherheit — Loyale Zusammenarbeit zwischen den Organen“

In der Rechtssache C‑48/14

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV und Art. 106a Abs. 1 EA, eingereicht am 30. Januar 2014,

Europäisches Parlament, vertreten durch L. Visaggio und J. Rodrigues als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch O. Segnana und R. Liudvinaviciute-Cordeiro als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagter,

unterstützt durch

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek und E. Ruffer als Bevollmächtigte,

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas und N. Rouam als Bevollmächtigte,

Europäische Kommission, vertreten durch P. Van Nuffel und M. Patakia als Bevollmächtigte,

Streithelferinnen,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts (Berichterstatter) sowie der Richter A. Arabadjiev, J. L. da Cruz Vilaça und C. Lycourgos,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit seiner Klage beantragt das Europäische Parlament die Nichtigerklärung der Richtlinie 2013/51/Euratom des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Festlegung von Anforderungen an den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung hinsichtlich radioaktiver Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch (ABl. L 296, S. 12, im Folgenden: angefochtene Richtlinie).

Rechtlicher Rahmen

EAG-Vertrag

2

Die Art. 30 EA bis 32 EA, die zu Kapitel 3 („Der Gesundheitsschutz“) des Titels II des EAG-Vertrags gehören, lauten:

„Artikel 30

In der Gemeinschaft werden Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen festgesetzt.

Unter Grundnormen sind zu verstehen:

a)

die zulässigen Höchstdosen, die ausreichende Sicherheit gewähren,

b)

die Höchstgrenze für die Aussetzung gegenüber schädlichen Einflüssen und für schädlichen Befall,

c)

die Grundsätze für die ärztliche Überwachung der Arbeitskräfte.

Artikel 31

Die Grundnormen werden von der Kommission nach Stellungnahme einer Gruppe von Persönlichkeiten ausgearbeitet, die der Ausschuss für Wissenschaft und Technik aus wissenschaftlichen Sachverständigen der Mitgliedstaaten, insbesondere aus Sachverständigen für Volksgesundheit, ernennt. Die Kommission holt zu den in dieser Weise ausgearbeiteten Grundnormen die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses ein.

Nach Anhörung des Europäischen Parlaments legt der Rat die Grundnormen auf Vorschlag der Kommission, die ihm die von ihr eingeholten Stellungnahmen der Ausschüsse zuleitet, mit qualifizierter Mehrheit fest.

Artikel 32

Die Grundnormen können auf Antrag der Kommission oder eines Mitgliedstaats nach dem Verfahren des Artikels 31 überprüft oder ergänzt werden.

Die Kommission hat jeden von einem Mitgliedstaat gestellten Antrag zu prüfen.“

3

Nach Art. 106a Abs. 3 EA „[beeinträchtigen] [d]ie Vorschriften des [EU‑]Vertrags … und des [AEU‑]Vertrags … nicht die Vorschriften dieses Vertrags“.

Richtlinie 98/83/EG

4

Die Richtlinie 98/83/EG des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (ABl. L 330, S. 32) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 (ABl. L 188, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/83) bestimmt in ihrem Art. 1:

„(1)   Diese Richtlinie betrifft die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch.

(2)   Ziel dieser Richtlinie ist es, die menschliche Gesundheit vor den nachteiligen Einflüssen, die sich aus der Verunreinigung von für den menschlichen Gebrauch bestimmtem Wasser ergeben, durch Gewährleistung seiner Genusstauglichkeit und Reinheit zu schützen.“

5

Art. 5 der Richtlinie 98/83 („Qualitätsstandards“) bestimmt in seinen Abs. 1 und 2:

„(1)   Die Mitgliedstaaten setzen die für Wasser für den menschlichen Gebrauch geltenden Werte für die Parameter in Anhang I fest.

(2)   Die nach Absatz 1 festgesetzten Werte dürfen nicht weniger streng als die in Anhang I enthaltenen sein. Für die in Anhang I Teil C aufgeführten Parameter gilt, dass die Werte nur für Überwachungszwecke und die Einhaltung der Verpflichtungen aus Artikel 8 festgesetzt zu werden brauchen.“

6

Anhang I Teil C der Richtlinie 98/83 („Indikatorparameter“) sieht vor:

„…

RadioaktivitätParameterParameterwertEinheitAnmerkungenTritium100Bq/lAnm. 8 und 10Gesamtrichtdosis0,10mSv/JahrAnm. 9 und 10

...

Anmerkung 8: Die Kontrollhäufigkeit wird später in Anhang II festgelegt.

Anmerkung 9: Mit Ausnahme von Tritium, Kalium-40, Radon und Radonzerfallsprodukten. Die Kontrollhäufigkeit, die Kontrollmethoden und die geeignetsten Überwachungsstandorte werden später in Anhang II festgelegt.

Anmerkung 10: Die Kommission erlässt die gemäß Anmerkung 8 erforderlichen Maßnahmen betreffend die Kontrollhäufigkeit sowie die gemäß Anmerkung 9 für Anhang II erforderlichen Maßnahmen betreffend die Kontrollhäufigkeit, die Kontrollmethoden und die geeignetsten Überwachungsstandorte. Diese Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Richtlinie werden nach dem in Artikel 12 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.

Bei der Ausarbeitung dieser Maßnahmen berücksichtigt die Kommission unter anderem die geltenden einschlägigen Bestimmungen sowie die von ihnen abgeleiteten angemessenen Überwachungsprogramme einschließlich der Überwachungsergebnisse.

…“

Angefochtene Richtlinie

7

Da der Vorschlag COM(2012) 147 final der Kommission vom 28. März 2012 zur Festlegung von Anforderungen an den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung hinsichtlich radioaktiver Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch auf die Art. 31 EA und 32 EA gestützt war, billigte das Parlament mit legislativer Entschließung vom 12. März 2013 Abänderungen zur Ersetzung dieser Rechtsgrundlage durch Art. 192 Abs. 1 AEUV.

8

Der Rat lehnte jedoch die vom Parlament beabsichtigte Änderung der Rechtsgrundlage ab und erließ die angefochtene Richtlinie am 22. Oktober 2013 auf der Grundlage der Art. 31 EA und 32 EA.

9

Die Erwägungsgründe 1 bis 5 der angefochtenen Richtlinie lauten:

„(1)

Durch die Aufnahme von Wasser können radioaktive Stoffe in den menschlichen Körper gelangen. Gemäß der Richtlinie 96/29/Euratom des Rates [vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen (ABl. L 159, S. 1)] muss der Beitrag der mit einer Gefährdung durch ionisierende Strahlung verbundenen Tätigkeiten zur Strahlenexposition der Bevölkerung insgesamt so niedrig gehalten werden, wie dies vernünftigerweise erreichbar ist.

(2)

Angesichts der Bedeutung, die die Qualität des für den menschlichen Gebrauch bestimmten Wassers für die menschliche Gesundheit hat, sind auf Gemeinschaftsebene Qualitätsstandards festzulegen, die eine Indikatorfunktion haben, und ist die Überwachung der Einhaltung dieser Standards vorzusehen.

(3)

Die Richtlinie [98/83] enthält in Anhang I Teil C Indikatorparameter für radioaktive Stoffe, während in Anhang II der Richtlinie die zugehörigen Überwachungsvorschriften festgelegt sind. Diese Parameter fallen jedoch in den Geltungsbereich der in Artikel 30 [EA] definierten Grundnormen.

(4)

Die Anforderungen an die Überwachung radioaktiver Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch sollten daher in gesonderten Rechtsvorschriften festgelegt werden, die die Einheitlichkeit, Kohärenz und Vollständigkeit der Strahlenschutzvorschriften im Rahmen des [EAG]‑Vertrags gewährleisten.

(5)

Da die Gemeinschaft für die Festlegung der Grundnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlung zuständig ist, ersetzen die Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie diejenigen der Richtlinie [98/83] in Bezug auf radioaktive Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch.“

10

Art. 1 der angefochtenen Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie legt Anforderungen an den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung hinsichtlich radioaktiver Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch fest. Sie bestimmt Parameterwerte sowie Häufigkeit und Methoden für die Überwachung radioaktiver Stoffe.“

11

Art. 2 Nr. 3 der angefochtenen Richtlinie definiert „Richtdosis“ (im Folgenden: RD) als „die effektive Folgedosis für die Aufnahme während eines Jahres, die sich aus allen Radionukliden sowohl natürlichen als auch künstlichen Ursprungs ergibt, welche in einem Versorgungssystem für Wasser für den menschlichen Gebrauch nachgewiesen wurden, mit Ausnahme von Tritium, Kalium–40, Radon und kurzlebigen Radon-Zerfallsprodukten“.

12

Nach Art. 5 Abs. 1 der angefochtenen Richtlinie „[legen] [d]ie Mitgliedstaaten … nach Anhang I Parameterwerte für die Überwachung radioaktiver Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch fest“.

13

Anhang I („Parameterwerte für Radon und Tritium und RD von Wasser für den menschlichen Gebrauch“) der angefochtenen Richtlinie lautet:

 

„Parameter

Parameterwert

Einheit

Anmerkungen

 

Radon

100

Bq/l

(Anm. 1)

 

Tritium

100

Bq/l

(Anm. 2)

 

RD

0,10

mSv

 

Anmerkung 1:

a)

Die Mitgliedstaaten können einen Wert für Radon festsetzen, der nicht überschritten werden sollte und unterhalb dessen die Optimierung des Schutzes fortgesetzt werden sollte, ohne dabei die Wasserversorgung auf nationaler oder regionaler Ebene zu gefährden. Der von einem Mitgliedstaat festgesetzte Wert kann höher als 100 Bq/l sein, darf aber 1000 Bq/l nicht übersteigen. Um die nationale Gesetzgebung zu vereinfachen, können die Mitgliedstaaten beschließen, den Parameterwert an diesen Wert anzupassen.

b)

Abhilfemaßnahmen gelten aus Strahlenschutzgründen ohne weitere Prüfung als gerechtfertigt, wenn die Radonkonzentration mehr als 1000 Bq/l beträgt.

Anmerkung 2: Erhöhte Tritiumwerte können auf das Vorhandensein anderer künstlicher Radionuklide hindeuten. Liegt die Tritiumkonzentration über dem für sie festgelegten Parameterwert, ist eine Analyse im Hinblick auf das Vorhandensein anderer künstlicher Radionuklide erforderlich.“

14

In Art. 6 Abs. 1 und 2 der angefochtenen Richtlinie heißt es:

„(1)   Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Überwachung hinsichtlich radioaktiver Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch im Einklang mit den Überwachungsstrategien und der Überwachungshäufigkeit nach Anhang II erfolgt, damit geprüft werden kann, ob die Konzentration radioaktiver Stoffe den nach Artikel 5 Absatz 1 festgesetzten Parameterwerten entspricht.

(2)   Eine Überwachung hinsichtlich der RD hat zu erfolgen, und die Leistungsmerkmale der Analysen haben die Anforderungen nach Anhang III zu erfüllen.“

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Verfahrensbeteiligten

15

Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Mai, 28. Mai und 26. Juni 2014 sind die Französische Republik, die Kommission und die Tschechische Republik als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden.

16

Das Parlament beantragt,

die angefochtene Richtlinie für nichtig zu erklären und

dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

17

Der Rat, unterstützt durch die Tschechische Republik, die Französische Republik und die Kommission, beantragt,

die Klage abzuweisen und

dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

18

Der Rat, unterstützt durch die Französische Republik und die Kommission, beantragt hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof der Klage stattgeben sollte, die Wirkungen der angefochtenen Richtlinie aufrechtzuerhalten, bis innerhalb einer angemessenen Frist eine neue, sie ersetzende Regelung in Kraft tritt.

Zur Klage

19

Das Parlament stützt seine Klage auf drei Gründe. Erstens wird geltend gemacht, dass die Wahl der Rechtsgrundlage für die angefochtene Richtlinie fehlerhaft sei. Zweitens liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit vor und drittens ein Verstoß gegen den in Art. 13 Abs. 2 EUV genannten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen.

Zum ersten Klagegrund: fehlerhafte Wahl der Rechtsgrundlage für die angefochtene Richtlinie

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

20

Das Parlament trägt unter Berufung auf die Erwägungsgründe 3 bis 5 der angefochtenen Richtlinie vor, dass das Hauptziel der angefochtenen Richtlinie den in Art. 191 Abs. 1 AEUV aufgeführten Zielen der Umweltpolitik der Europäischen Union entspreche, insbesondere den Zielen des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen. Die angefochtene Richtlinie hätte daher auf Art. 192 Abs. 1 AEUV gestützt werden müssen (vgl. Urteil Kommission/Parlament und Rat, C‑411/06, EU:C:2009:518, Rn. 45 bis 47).

21

Aus Art. 1 der Richtlinie 98/83 gehe hervor, dass die mit ihr geschaffene Regelung für alle Formen der Verunreinigung von Wasser für den menschlichen Gebrauch ungeachtet ihrer Quelle gelten sollte. Die angefochtene Richtlinie breche daher die Einheitlichkeit der mit der Richtlinie 98/83 geschaffenen Regelung auf.

22

Aus der Begründung des Vorschlags COM(2012) 147 final der Kommission ergebe sich, dass diese davon ausgehe, dass bestimmte Vorschriften der Richtlinie 98/83, nämlich die in Anhang I Teil C und Anhang II, in Wirklichkeit in den Anwendungsbereich der Art. 30 EA bis 32 EA fielen. Durch die Verordnung Nr. 596/2009 sei jedoch in Anhang I Teil C der Richtlinie 98/83 eine Anmerkung 10 betreffend radioaktive Stoffe eingefügt worden. Die Verordnung Nr. 596/2009 sei auf Art. 175 Abs. 1 EG, jetzt Art. 192 Abs. 1 AEUV, gestützt worden. Weder der Unionsgesetzgeber noch die Kommission habe es bei dieser Gelegenheit als erforderlich angesehen, dieser Verordnung Bestimmungen des EAG-Vertrags als Rechtsgrundlage hinzuzufügen.

23

Anstatt im vorliegenden Fall die Richtlinie 98/83 zu ändern, um Bestimmungen über die Parameterwerte für radioaktive Stoffe und deren Kontrolle aufzunehmen, habe der Rat einen Vorschlag gebilligt, der die mit dieser Richtlinie geschaffene einheitliche Regelung verfälsche.

24

In seiner Erwiderung macht das Parlament ferner geltend, dass sein Vorbringen den in Art. 106a Abs. 3 EA genannten Grundsatz nicht in Frage stelle. Die angefochtene Richtlinie hätte ihre Rechtsgrundlage nämlich in Art. 192 Abs. 1 AEUV haben müssen, da sie sich in den mit der Richtlinie 98/83 geschaffenen Regelungsrahmen einfüge. Mit der angefochtenen Richtlinie habe der Rat auf der Grundlage der Art. 31 EA und 32 EA neue Vorschriften über einen besonderen Aspekt des mit der Richtlinie 98/83 geschaffenen Rahmens, nämlich die Schutzstandards bezüglich radioaktiver Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch, erlassen und damit dem Ziel dieser Richtlinie zuwidergehandelt. Bei der Bestimmung der geeigneten Rechtsgrundlage für die angefochtene Richtlinie hätte erstens berücksichtigt werden müssen, dass die Richtlinie 98/83 den Eckpfeiler der Regelung über den Schutz der menschlichen Gesundheit vor den nachteiligen Einflüssen bilde, die sich aus der Verunreinigung von für den menschlichen Gebrauch bestimmtem Wasser ergäben, und zweitens, dass die angefochtene Richtlinie gerade einen Aspekt der mit der Richtlinie 98/83 geschaffenen Regelung betreffe (vgl. Urteil Vereinigtes Königreich/Rat, C‑656/11, EU:C:2014:97, Rn. 50, 51, 64 und 66).

25

Der Rat und die Streithelferinnen weisen darauf hin, dass die Bestimmungen von Titel II Kapitel 3 des EAG-Vertrags, zu denen die Art. 31 EA und 32 EA gehörten, weit auszulegen seien, um ihnen praktische Wirksamkeit zu verleihen (Urteile Parlament/Rat, C‑70/88, EU:C:1991:373, Rn. 14, Kommission/Rat, C‑29/99, EU:C:2002:734, Rn. 78 bis 80, und ČEZ, C‑115/08, EU:C:2009:660, Rn. 100 und 112). Die angefochtene Richtlinie sei angesichts ihres Ziels und Inhalts zu Recht auf die Art. 31 EA und 32 EA gestützt worden.

Würdigung durch den Gerichtshof

26

Nach Art. 31 EA erlässt der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments mit qualifizierter Mehrheit die Grundnormen nach Art. 30 EA für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen. Art. 32 EA bestimmt, dass die so erlassenen Grundnormen auf Antrag der Kommission oder eines Mitgliedstaats nach demselben Verfahren überprüft werden können.

27

Auch wenn in der Präambel der angefochtenen Richtlinie auf die Art. 31 EA und 32 EA Bezug genommen wird, könnte nur Art. 31 EA die Rechtsgrundlage der Richtlinie bilden, da diese keine Überprüfung von zuvor auf der Grundlage des EAG-Vertrags erlassenen Grundnormen beinhaltet.

28

Art. 192 Abs. 1 AEUV sieht vor, dass das Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren über das Tätigwerden der Union zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der Umwelt, die insbesondere den Schutz der menschlichen Gesundheit umfassen, beschließen.

29

Hinsichtlich der Frage, ob die angefochtene Richtlinie rechtsgültig auf der Grundlage von Art. 31 EA erlassen werden konnte, ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung, dass die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen muss, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören (vgl. u. a. Urteile Parlament/Rat, EU:C:1991:373, Rn. 9, Parlament/Rat, C‑130/10, EU:C:2012:472, Rn. 42, Kommission/Rat, C‑137/12, EU:C:2013:675, Rn. 52, sowie Kommission/Parlament und Rat, C‑43/12, EU:C:2014:298, Rn. 29).

30

Dabei spielt es keine Rolle, welche Rechtsgrundlage für den Erlass anderer Rechtsakte der Union, die gegebenenfalls ähnliche Merkmale aufweisen, herangezogen wurde, da die Rechtsgrundlage eines Rechtsakts anhand seines Ziels und Inhalts zu bestimmen ist (vgl. Urteil Vereinigtes Königreich/Rat, EU:C:2014:97, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Parlament kann sich daher nicht darauf berufen, dass die angefochtene Richtlinie bestimmte Bestandteile aufweist, die denen in Anhang I Teil C der Richtlinie 98/83 entsprechen, welche ihrerseits auf Art. 130s Abs. 1 des EG-Vertrags, jetzt Art. 192 Abs. 1 AEUV, gestützt wurde.

31

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die angefochtene Richtlinie nach ihrem Art. 1 darauf abzielt, durch die Festlegung von Anforderungen hinsichtlich radioaktiver Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. In den Erwägungsgründen 1 und 2 dieser Richtlinie heißt es insoweit, dass durch die Aufnahme von Wasser radioaktive Stoffe in den menschlichen Körper gelangen können und dass daher auf Gemeinschaftsebene Qualitätsstandards festzulegen sind, die eine Indikatorfunktion haben, und die Überwachung der Einhaltung dieser Standards vorzusehen ist.

32

Die Zielsetzung der angefochtenen Richtlinie entspricht somit der Zielsetzung einer Grundnorm im Sinne von Art. 30 EA, mit der der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen gewährleistet werden soll.

33

Was den Inhalt der angefochtenen Richtlinie anbelangt, so werden Parameterwerte sowie Häufigkeit und Methoden für die Überwachung radioaktiver Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch festgelegt. Auch ihrem Inhalt nach entspricht die angefochtene Richtlinie einer Grundnorm im Sinne von Art. 30 EA, mit der gemäß Abs. 2 Buchst. a und b dieses Artikels für ionisierende Strahlungen die zulässigen Höchstdosen, die ausreichende Sicherheit gewähren, und die Höchstgrenze für die Aussetzung gegenüber schädlichen Einflüssen und für schädlichen Befall festgelegt werden. Darüber hinaus ist die Überwachung der Radioaktivität von Wasser in den Bestimmungen von Titel II Kapitel 3 des EAG-Vertrags, zu denen die Art. 30 EA und 31 EA gehören, ausdrücklich vorgesehen.

34

Zum Vorbringen des Parlaments, das Hauptziel der angefochtenen Richtlinie entspreche den in Art. 191 Abs. 1 AEUV aufgeführten Zielen der Umweltpolitik der Union, so dass sie auf Art. 192 Abs. 1 AEUV hätte gestützt werden müssen, ist festzustellen, dass die Umweltpolitik der Union nach Art. 191 Abs. 1 AEUV zwar u. a. zur Verfolgung des Ziels des Schutzes der menschlichen Gesundheit beiträgt.

35

Jedoch hat der Gerichtshof bereits wiederholt entschieden, dass die Bestimmungen von Titel II Kapitel 3 des EAG-Vertrags weit auszulegen sind, um ihnen praktische Wirksamkeit zu verleihen (vgl. u. a. Urteile Kommission/Rat, EU:C:2002:734, Rn. 78, und ČEZ, EU:C:2009:660, Rn. 100). Diese Bestimmungen, zu denen die Art. 30 EA und 31 EA gehören, zielen darauf ab, einen lückenlosen und wirksamen Gesundheitsschutz der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen sicherzustellen, und zwar ungeachtet der Strahlungsquelle und unabhängig davon, welche Personengruppen diesen Strahlungen ausgesetzt sind (Urteile Parlament/Rat, EU:C:1991:373, Rn. 14, und ČEZ, EU:C:2009:660, Rn. 112).

36

Im Übrigen ist der betreffende Rechtsakt, wenn die Verträge eine spezifischere Bestimmung enthalten, die als Rechtsgrundlage für ihn dienen kann, auf diese Bestimmung zu stützen (vgl. Urteile Kommission/Rat, C‑338/01, EU:C:2004:253, Rn. 60, und Kommission/Rat, C‑533/03, EU:C:2006:64, Rn. 45).

37

Hinsichtlich des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung vor radioaktiven Stoffen in Wasser für den menschlichen Gebrauch stellt Art. 31 EA eine spezifischere Rechtsgrundlage dar als die allgemeine Rechtsgrundlage von Art. 192 Abs. 1 AEUV. Der EAG-Vertrag enthält nämlich eine Reihe von Vorschriften gerade im Hinblick auf den Schutz der Bevölkerung und der Umwelt vor ionisierenden Strahlungen (Urteil ČEZ, EU:C:2009:660, Rn. 83).

38

Könnte ein Rechtsakt mit Bezug zu radioaktiven Stoffen allein deshalb auf die Rechtsgrundlage von Art. 192 Abs. 1 AEUV gestützt werden, weil er auf den Schutz der menschlichen Gesundheit im Sinne von Art. 191 Abs. 1 AEUV abzielt, könnte Art. 31 EA jedenfalls nicht mehr als Rechtsgrundlage für eine Handlung der Gemeinschaft dienen, da die Grundnormen im Sinne von Art. 30 EA naturgemäß auf den Schutz der menschlichen Gesundheit abzielen. Das Vorbringen des Parlaments verkennt daher nicht nur die praktische Wirksamkeit von Art. 31 EA, der eine spezifischere Rechtsgrundlage als Art. 192 Abs. 1 AEUV darstellt, sondern auch den in Art. 106a Abs. 3 EA enthaltenen Grundsatz, dass die Vorschriften des AEU-Vertrags die Vorschriften des EAG-Vertrags nicht beeinträchtigen.

39

Nach alledem ist die angefochtene Richtlinie rechtsgültig auf der Grundlage von Art. 31 EA erlassen worden.

40

Der erste Klagegrund, mit dem eine fehlerhafte Wahl der Rechtsgrundlage für die angefochtene Richtlinie gerügt wird, ist daher zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

41

Das Parlament trägt vor, der Rat habe eine Situation rechtlicher Unsicherheit geschaffen, da der Erlass der angefochtenen Richtlinie nicht mit der Aufhebung der Richtlinie 98/83 in ihrem radioaktive Stoffe betreffenden Teil einhergegangen sei. Mangels ausdrücklicher Aufhebung seien die Parameterwerte des Anhangs I Teil C dieser Richtlinie nach wie vor in Kraft, neben denen der angefochtenen Richtlinie. Ebenso verhalte es sich mit der der Kommission eingeräumten Ermächtigung, Maßnahmen gemäß des Regelungsverfahrens mit Kontrolle zu erlassen, wie in Anmerkung 10 von Anhang I Teil C der Richtlinie 98/83 vorgesehen. Die Überlagerung zweier Regelungen, derjenigen der angefochtenen Richtlinie und derjenigen der Richtlinie 98/83, beeinträchtige die Rechtssicherheit.

42

Der fünfte Erwägungsgrund der angefochtenen Richtlinie, wonach die Bestimmungen dieser Richtlinie diejenigen der Richtlinie 98/83 ersetzten, reiche für sich allein genommen nicht aus, um diese Rechtsunsicherheit zu überwinden. Denn das Nebeneinander zweier Rechtstexte, die beide das gleiche Ziel verfolgten, nämlich den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor radioaktiver Verunreinigung von Wasser für den menschlichen Gebrauch, sich jedoch inhaltlich voneinander unterschieden, schaffe eine Situation der Unsicherheit, die nicht durch Berufung auf den Grundsatz lex specialis derogat legi generali ausgeräumt werden könne. In jedem Fall seien die Mitgliedstaaten weiterhin verpflichtet, in Anwendung der Richtlinie 98/83 die zur Umsetzung von Anhang I Teil C und Anhang II dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften in Kraft zu belassen, und ein Verstoß gegen diese Verpflichtung könne von jedem Betroffenen vor den zuständigen nationalen Gerichten geltend gemacht werden. Diese Verpflichtung könne nur durch eine ausdrückliche Aufhebung der fraglichen Vorschriften beendet werden, was einen Rückgriff auf die Rechtsgrundlage von Art. 192 Abs. 1 AEUV erfordert hätte. Aus der angefochtenen Richtlinie gehe jedoch eindeutig hervor, dass die fehlende Aufhebung dieser Vorschriften kein einfaches Versehen darstelle. Im Übrigen könne sich der Verfasser eines Rechtsakts nicht auf den Grundsatz lex specialis derogat legi generali berufen, um einen Konflikt zwischen zwei von ihm selbst geschaffenen Rechtsakten zu rechtfertigen.

43

Der Rat und die Streithelferinnen weisen darauf hin, dass der fünfte Erwägungsgrund der angefochtenen Richtlinie klarstelle, dass deren Vorschriften diejenigen der Richtlinie 98/83 ersetzten, was die Anforderungen an den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor radioaktiven Stoffen in Wasser für den menschlichen Gebrauch anbelange.

44

Somit bestehe keine Unklarheit hinsichtlich der Beziehung zwischen den Bestimmungen der angefochtenen Richtlinie und denjenigen der Richtlinie 98/83. Die Mitgliedstaaten als Adressaten der angefochtenen Richtlinie seien im Einklang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit in der Lage, die ihnen obliegenden Verpflichtungen zu ermitteln.

Würdigung durch den Gerichtshof

45

Nach ständiger Rechtsprechung gebietet der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Rechtsvorschriften klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sind, damit sich die Betroffenen bei unter das Unionsrecht fallenden Tatbeständen und Rechtsbeziehungen orientieren können (vgl. Urteile France Télécom/Kommission, C‑81/10 P, EU:C:2011:811, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie LVK – 56, C‑643/11, EU:C:2013:55, Rn. 51).

46

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass im Verhältnis zwischen der angefochtenen Richtlinie und der Richtlinie 98/83 kein Widerspruch besteht. Die angefochtene Richtlinie bestimmt vielmehr in ihrem Anhang I genau die gleichen Parameterwerte wie Anhang I Teil C der Richtlinie 98/83, nämlich 100 Becquerel pro Liter für Tritium und 0,10 mSv pro Jahr als Gesamtrichtdosis der Radioaktivität.

47

Daher ist, auch wenn sowohl die angefochtene Richtlinie als auch die Richtlinie 98/83 Rechtsvorschriften über radioaktive Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch enthalten, die Überlagerung der beiden Regelungen nicht geeignet, die Klarheit, Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit der anwendbaren Vorschriften zu beeinträchtigen.

48

Auch soweit die angefochtene Richtlinie neue Bestimmungen, insbesondere in Bezug auf Radon, enthält, kann die sich aus dieser Richtlinie und der Richtlinie 98/83 ergebende Überlagerung rechtlicher Regelungen die Klarheit, Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit dieser Bestimmungen nicht beeinträchtigen, da sie nur in der angefochtenen Richtlinie enthalten sind.

49

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die angefochtene Richtlinie im Verhältnis zur Richtlinie 98/83, die allgemein die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch betrifft, eine lex specialis für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gegen Gefahren, die von radioaktiven Stoffen in diesem Wasser ausgehen, darstellt. Der Grundsatz lex specialis derogat legi generali ist entgegen dem Vorbringen des Parlaments auch dann anwendbar, wenn die lex generalis und die lex specialis von demselben Organ stammen.

50

Daher ersetzen – sollten die beiden Rechtsakte, wie vom Parlament erstmals in seiner Stellungnahme zu den Streithilfeschriftsätzen vorgetragen, in ihrem Regelungsinhalt voneinander abweichen – bei Unvereinbarkeit der mit den beiden Richtlinien geschaffenen Regelungen die Bestimmungen der angefochtenen Richtlinie diejenigen der Richtlinie 98/83, wie im fünften Erwägungsgrund der angefochtenen Richtlinie ausdrücklich bestätigt wird.

51

Unter diesen Umständen kann kein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit festgestellt werden.

52

Dem zweiten Klagegrund kann somit nicht stattgegeben werden.

Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen den in Art. 13 Abs. 2 EUV genannten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

53

Das Parlament trägt vor, dass kein stichhaltiger rechtlicher Grund dafür ersichtlich sei, auf der Grundlage des EAG-Vertrags eine gesonderte Regelung für radioaktive Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch zu schaffen, die die gleichen Schutz- und Überwachungsvorschriften wie Anhang I Teil C und Anhang II der Richtlinie 98/83 zum Gegenstand habe. Diese Vorschriften beträfen zwar den Strahlenschutz, stellten aber lediglich einen Bestandteil des allgemeinen Rahmens von Schutzmaßnahmen dar, der mit der Richtlinie 98/83 – die dasselbe Endziel, nämlich den in Art. 191 Abs. 1 AEUV vorgesehenen Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit, verfolge – geschaffen worden sei.

54

Die Wahl der Rechtsgrundlage könne in keinem Fall auf Erwägungen zu dem für den Erlass des fraglichen Rechtsakts einzuhaltenden Verfahren oder zu der auf diesen Rechtsakt nach seinem Erlass anwendbaren Regelung beruhen (Urteil Kommission/Rat, EU:C:2013:675, Rn. 74). Es verstoße gegen den in Art. 13 Abs. 2 EUV genannten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen, wenn ein Bestandteil eines geltenden Rechtsakts, der nach dessen allgemeiner Systematik offensichtlich von untergeordneter Bedeutung sei, künstlich isoliert werde, um ihn in einem gesonderten Rechtsakt zu regeln, der auf einer anderen Rechtsgrundlage beruhe und einer anderen rechtlichen Regelung unterliege.

55

In seiner Stellungnahme zu den Streithilfeschriftsätzen trägt das Parlament ferner vor, dass es im Hinblick auf die Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit erforderlich gewesen wäre, zunächst die Richtlinie 98/83 auf der Grundlage von Art. 192 Abs. 1 AEUV und im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren teilweise aufzuheben. Dadurch hätten alle betroffenen Organe die Möglichkeit erhalten, sich zu der Frage zu äußern, ob es rechtlich korrekt und politisch opportun sei, die Bestimmungen über die radioaktive Verunreinigung von Wasser für den menschlichen Gebrauch aus der Richtlinie 98/83 herauszunehmen und in einem eigenen Rechtsakt auf der Grundlage des EAG-Vertrags zu regeln.

56

Der Rat und die Streithelferinnen sind der Ansicht, dass die angefochtene Richtlinie nicht gegen Art. 13 Abs. 2 EUV verstoße.

Würdigung durch den Gerichtshof

57

Nach Art. 13 Abs. 2 EUV arbeiten die Organe loyal zusammen.

58

Die loyale Zusammenarbeit erfolgt jedoch in den Grenzen der den einzelnen Organen durch die Verträge zugewiesenen Befugnisse. Die Verpflichtung aus Art. 13 Abs. 2 EUV ist also nicht geeignet, diese Befugnisse zu verändern.

59

Hinsichtlich der Frage, ob der Rat durch den Erlass der angefochtenen Richtlinie gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verstoßen hat, ist daran zu erinnern, dass diese, wie in Rn. 39 des vorliegenden Urteils festgestellt, auf eine geeignete Rechtsgrundlage, nämlich Art. 31 EA, gestützt wurde.

60

Dass das Parlament zum Zweck des Erlasses der angefochtenen Richtlinie angehört, nicht aber im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren als Mitgesetzgeber tätig wurde, beruht daher allein auf der Entscheidung der Verfasser der Verträge und nicht auf einem Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (vgl. in diesem Sinne Urteil Parlament/Rat, EU:C:2012:472, Rn. 82).

61

Schließlich kann auch dem Vorbringen des Parlaments nicht gefolgt werden, wonach vor Erlass der angefochtenen Richtlinie die Richtlinie 98/83 auf der Grundlage von Art. 192 Abs. 1 AEUV und unter Beachtung der Bestimmungen des AEU-Vertrags über das ordentliche Gesetzgebungsverfahren teilweise hätte aufgehoben werden müssen.

62

Die Auffassung des Parlaments läuft nämlich darauf hinaus, dass die Ausübung von Befugnissen des Rates, die diesem durch die Art. 30 EA und 31 EA übertragen werden, seiner vorherigen Zustimmung unterworfen werden kann, obwohl es nach diesen Vorschriften nur in Form der Anhörung beteiligt ist. Wie aus Rn. 58 des vorliegenden Urteils hervorgeht, können die Befugnisse des Parlaments und des Rates aus den Art. 30 EA und 31 EA jedoch nicht nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit begrenzt oder erweitert werden.

63

Der dritte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

64

Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Kosten

65

Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß des Antrags des Rates die Kosten aufzuerlegen.

66

Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Tschechische Republik, die Französische Republik und die Kommission ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Das Europäische Parlament trägt die Kosten.

 

3.

Die Tschechische Republik, die Französische Republik und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Französisch.