BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

28. Januar 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs — Unternehmensübergang — Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer — Auslegung der Richtlinie 2001/23/EG — Veräußerer, gegen den ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde — Garantie der Nichtübernahme bestimmter Schulden des veräußerten Unternehmens durch den Erwerber“

In der Rechtssache C‑688/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Mercantil no 3 de Barcelona (Spanien) mit Entscheidung vom 11. Dezember 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Dezember 2013, in dem Verfahren

Gimnasio Deportivo San Andrés SL in Liquidation,

Beteiligte:

Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS),

Fondo de Garantía Salarial

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin sowie der Richter A. Borg Barthet und F. Biltgen (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Gimnasio Deportivo San Andrés SL in Liquidation, vertreten durch G. Atarés París, Konkursverwalterin,

der Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS), vertreten durch M. F. Mijares García-Pelayo als Bevollmächtigte,

der spanischen Regierung, vertreten durch L. Banciella Rodríguez-Miñón als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Enegren und R. Vidal Puig als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. L 82, S. 16).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines von der in Liquidation befindlichen Gimnasio Deportivo San Andrés SL (im Folgenden: Gimnasio) angestrengten Verfahrens zu der Frage, bezüglich welcher Schulden von Gimnasio dem Erwerber erlaubt werden konnte, sie im Rahmen der Übertragung der Tätigkeiten dieser Gesellschaft auf ihn nicht zu übernehmen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 lautet:

„Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.“

4

Art. 2 dieser Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)

‚Veräußerer‘ ist jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 als Inhaber aus dem Unternehmen, dem Betrieb oder dem Unternehmens- bzw. Betriebsteil ausscheidet.

b)

‚Erwerber‘ ist jede natürliche oder juristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder den Unternehmens- bzw. Betriebsteil eintritt.

d)

‚Arbeitnehmer‘ ist jede Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund des einzelstaatlichen Arbeitsrechts geschützt ist.“

5

Art. 3 in Kapitel II („Wahrung der Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer“) der Richtlinie 2001/23 sieht vor:

„1.   Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.

Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Veräußerer und der Erwerber nach dem Zeitpunkt des Übergangs gesamtschuldnerisch für die Verpflichtungen haften, die vor dem Zeitpunkt des Übergangs durch einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis entstanden sind, der bzw. das zum Zeitpunkt des Übergangs bestand.

3.   Nach dem Übergang erhält der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf des Kollektivvertrags bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags in dem gleichen Maße aufrecht, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren.

Die Mitgliedstaaten können den Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen begrenzen, allerdings darf dieser nicht weniger als ein Jahr betragen.

a)

Sofern die Mitgliedstaaten nicht anderes vorsehen, gelten die Absätze 1 und 3 nicht für die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten.

b)

Die Mitgliedstaaten treffen auch dann, wenn sie gemäß Buchstabe a) nicht vorsehen, dass die Absätze 1 und 3 für die unter Buchstabe a) genannten Rechte gelten, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum Zeitpunkt des Übergangs bereits aus dem Betrieb des Veräußerers ausgeschieden sind, hinsichtlich ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter, einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus den unter Buchstabe a) genannten Zusatzversorgungseinrichtungen.“

6

Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 dieser Richtlinie „[stellt der] Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils … als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar“.

7

In Art. 5 der Richtlinie 2001/23, der ebenfalls zu Kapitel II gehört, heißt es:

„1.   Sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen, gelten die Artikel 3 und 4 nicht für Übergänge von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen, bei denen gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein von einer zuständigen Behörde ermächtigter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde.

2.   Wenn die Artikel 3 und 4 für einen Übergang während eines Insolvenzverfahrens gegen den Veräußerer (unabhängig davon, ob dieses Verfahren zur Auflösung seines Vermögens eingeleitet wurde) gelten und dieses Verfahren unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (worunter auch ein nach dem innerstaatlichen Recht bestimmter Insolvenzverwalter verstanden werden kann) steht, kann ein Mitgliedstaat vorsehen, dass

a)

ungeachtet des Artikels 3 Absatz 1 die vor dem Übergang bzw. vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fälligen Verbindlichkeiten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen nicht auf den Erwerber übergehen, sofern dieses Verfahren nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats einen Schutz gewährt, der dem von der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers [ABl. L 283, S. 23] vorgesehenen Schutz zumindest gleichwertig ist, und/oder

b)

der Erwerber, der Veräußerer oder die seine Befugnisse ausübenden Personen auf der einen Seite und die Vertreter der Arbeitnehmer auf der anderen Seite Änderungen der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer, insoweit das geltende Recht oder die geltende Praxis dies zulassen, vereinbaren können, die den Fortbestand des Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils sichern und dadurch der Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen.

3.   Die Mitgliedstaaten können Absatz 2 Buchstabe b) auf Übergänge anwenden, bei denen sich der Veräußerer nach dem einzelstaatlichen Recht in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befindet, sofern das Bestehen einer solchen Notlage von einer zuständigen öffentlichen Stelle bescheinigt wird und die Möglichkeit einer gerichtlichen Aufsicht gegeben ist, falls das innerstaatliche Recht solche Bestimmungen am 17. Juli 1998 bereits enthielt.

4.   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit Insolvenzverfahren nicht in missbräuchlicher Weise in Anspruch genommen werden, um den Arbeitnehmern die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte vorzuenthalten.“

8

Art. 8 der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie schränkt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten nicht ein, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer günstigere Kollektivverträge und andere zwischen den Sozialpartnern abgeschlossene Vereinbarungen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind, zu fördern oder zuzulassen.“

Spanisches Recht

9

Der Unternehmensübergang wird durch das Real Decreto Legislativo 1/1995 vom 24. März 1995 zur Billigung der Neufassung des Gesetzes über das Arbeitnehmerstatut (Estatuto de los Trabajadores, BOE Nr. 75 vom 29. März 1995, S. 9654) in der Fassung des Gesetzes 12/2001 vom 9. Juli 2001 (BOE Nr. 164 vom 10. Juli 2001, S. 24890) (im Folgenden: Arbeitnehmerstatut) geregelt.

10

Art. 44 Abs. 1 des Arbeitnehmerstatuts sieht vor:

„Wechselt der Inhaber eines Unternehmens, eines Betriebs oder einer selbständigen Produktionseinheit, führt dies nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern der neue Unternehmer tritt in die arbeits- und sozialrechtlichen Rechte und Pflichten des früheren Unternehmers ein, einschließlich der Rentenverbindlichkeiten nach Maßgabe der insoweit geltenden besonderen Vorschriften sowie allgemein aller Verpflichtungen im Bereich des zusätzlichen sozialen Schutzes, die der Veräußerer eingegangen ist.“

11

Nach Art. 57bis des Arbeitnehmerstatuts gelten jedoch im Konkursverfahren die besonderen Bestimmungen des Gesetzes 22/2003 vom 9. Juli 2003 über den Konkurs (Ley 22/2003 Concursal, BOE Nr. 164 vom 10. Juli 2003, S. 26905) in der Fassung des Gesetzes 38/2011 vom 10. Oktober 2011 (BOE Nr. 245 vom 11. Oktober 2011) (im Folgenden: Konkursgesetz) für die kollektive Änderung, Aussetzung oder Beendigung der Arbeitsverträge und den Unternehmensübergang.

12

Nach dem Konkursgesetz kann das Insolvenzverfahren auf zweifache Weise abgeschlossen werden, nämlich durch Vereinbarung oder durch Liquidation. Während der Liquidationsphase gelten die Art. 148 und 149 dieses Gesetzes, die unterschiedliche rechtliche Regelungen vorsehen, je nachdem, ob ein Liquidationsplan erstellt und genehmigt wurde oder nicht.

13

Nach Art. 148 Abs. 1 des Konkursgesetzes hat der Konkursverwalter dem Richter bei der Eröffnung der Liquidationsphase einen Abwicklungsplan vorzulegen und ist in Bezug auf diesen Plan, sofern dies machbar ist, „die einheitliche Veräußerung der Niederlassungen, Betriebe und sonstigen Einheiten des Konkursschuldners, die Waren herstellen oder Dienstleistungen erbringen, oder eines Teils davon in Betracht zu ziehen“.

14

Gemäß Art. 148 Abs. 2 des Konkursgesetzes muss der Abwicklungsplan vom Richter genehmigt werden, der „Änderungen an diesem Plan vornehmen oder die Liquidation entsprechend den zusätzlichen Vorschriften [des Art. 149 des Konkursgesetzes] genehmigen“ kann.

15

In Art. 149 des Konkursgesetzes heißt es:

„1.   Wenn kein Liquidationsplan genehmigt wurde und in durch einen solchen Plan nicht geregelten Punkten richtet sich die Liquidation nach den folgenden Regeln:

a)

Die Niederlassungen, Betriebe und sonstigen Einheiten des Schuldners, die Waren herstellen oder Dienstleistungen erbringen, werden als Ganzes veräußert, es sei denn, dass der Richter auf den Bericht der Konkursverwaltung hin der Ansicht ist, es sei für die Belange des Konkurses zweckmäßiger, diese Gesamtheit vorab zu teilen oder alle Bestandteile oder auch nur einige von ihnen einzeln zu verwerten. Die Veräußerung der Gesamtheit oder gegebenenfalls jeder einzelnen Produktionseinheit erfolgt im Wege der Versteigerung; wenn diese ergebnislos bleibt, kann der Richter die unmittelbare Übertragung anordnen.

2.   Wenn infolge einer Veräußerung nach Abs. 1 Buchst. a eine wirtschaftliche Einheit im Sinne einer Gesamtheit von zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit organisierten Ressourcen ihre Identität bewahrt, ist für die Zwecke des Arbeitsrechts von einem Unternehmensübergang auszugehen. In einem solchen Fall kann der Richter entscheiden, dass der Erwerber insoweit nicht in die Pflicht zur Zahlung der Gehälter oder Abfindungen eintritt, als diese bereits vor der Veräußerung fällig waren und nach Art. 33 des Arbeitnehmerstatuts vom Fondo de Garantía Salarial [Lohngarantiefonds] übernommen werden. Um die künftige Existenzfähigkeit des Betriebs und die Erhaltung der Arbeitsplätze sicherzustellen, können der Erwerber und die Arbeitnehmervertretung außerdem Vereinbarungen zur Änderung der allgemeinen Arbeitsbedingungen abschließen.

3.   Der Beschluss über die Genehmigung des Angebots oder der Übertragung der Sachen oder Rechte, sei es in getrennter Form, als Lose oder als Teil eines Unternehmens oder einer Produktionseinheit, bewirkt gemäß Art. 90 das Erlöschen aller vor dem Konkurs bestehenden Lasten zugunsten der Masseforderungen, die nicht besonders privilegiert sind.“

16

Dem vorlegenden Gericht zufolge sieht die elfte Abschlussbestimmung des Konkursgesetzes, durch die das Allgemeine Steuergesetz 58/2003 (Ley 58/2003 General Tributaria) vom 17. Dezember 2003 (BOE Nr. 302 vom 18. Dezember 2003, S. 44987) geändert wird, ausdrücklich vor, dass die steuerliche Rechtsnachfolge oder die Haftungserweiterung nicht auf Erwerber von Betrieben oder wirtschaftlichen Tätigkeiten eines in Konkurs befindlichen Schuldners anwendbar ist, wenn der Erwerb im Rahmen eines Konkursverfahrens stattfindet. Im Bereich des Sozialversicherungsrechts gebe es jedoch keine vergleichbare Bestimmung.

17

Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (Ley General de la Seguridad Social) in der durch das Real Decreto Legislativo 1/1994 vom 20. Juni 1994 (BOE Nr. 154 vom 29. Juni 1994, S. 20658) angenommenen konsolidierten Fassung (im Folgenden: LGSS) enthält einen Art. 127 („Sonderfälle der Haftung für Leistungen), dessen Abs. 2 lautet:

„Beim Übergang der Inhaberschaft des Betriebs, des Gewerbes oder des Geschäfts haftet der Erwerber mit dem früheren Inhaber oder seinen Erben gesamtschuldnerisch für die Erfüllung der vor diesem Übergang fälligen Leistungen. Dieselbe Haftung besteht zwischen dem veräußernden Arbeitgeber und dem Erwerber bei der vorübergehenden Überlassung von Arbeitnehmern, auch wenn diese unentgeltlich oder nicht gewinnbringend erfolgt.“

18

Art. 15 („[Beitrags]verpflichtung“) LGSS in der später geänderten Fassung bestimmt in Abs. 3:

„Für die Erfüllung der Beitragspflicht und die Zahlung der übrigen Mittel der Sozialversicherung haften die natürlichen oder juristischen Personen oder die Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit, die nach den Vorschriften jedes Systems bzw. Mittels unmittelbar zur Zahlung verpflichtet sind, und darüber hinaus diejenigen, die gesamtschuldnerisch, hilfsweise oder als deren Rechtsnachfolger mortis causa aufgrund einer Vorschrift mit Gesetzesrang, die sich auf die Sozialversicherungspflichten bezieht oder diese nicht ausdrücklich ausschließt, oder aufgrund von nicht gesetzwidrigen Absprachen oder Vereinbarungen für Handlungen, Unterlassungen, Geschäfte und Rechtsgeschäfte, die diese Haftung zur Folge haben, haften. Diese gesamtschuldnerische, hilfsweise oder mortis causa bestehende Haftung wird im Beitreibungsverfahren, das in diesem Gesetz und seinen Durchführungsvorschriften geregelt ist, festgestellt und eingefordert.“

19

Art. 104 („Haftende“) LGSS sieht in Abs. 1 vor:

„Der Arbeitgeber haftet für die Erfüllung der Beitragspflicht und führt seine eigenen Beiträge sowie die Beiträge seiner Arbeitnehmer in vollem Umfang ab.

Die Personen oder Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit, auf die sich Art. 15 und Art. 127 Abs. 1 und 2 dieses Gesetzes beziehen, haften ebenfalls, gesamtschuldnerisch, hilfsweise oder mortis causa.

Die in Art. 127 vorgesehene gesamtschuldnerische Haftung beim Übergang der Inhaberschaft des Betriebs, des Gewerbes oder des Geschäfts erstreckt sich auf sämtliche vor dem Übergang entstandene Schulden. Dieser Übergang wird auch dann vermutet, wenn eine Gesellschaft mit Arbeitnehmerbeteiligung oder mit Arbeitnehmern als Gesellschaftern [‚sociedad laboral‘] den Betrieb, das Gewerbe oder das Geschäft fortführt, unabhängig davon, ob diese Gesellschaft aus Arbeitnehmern besteht, die im Dienst des früheren Arbeitgebers standen, oder nicht.

Falls es sich bei dem Arbeitgeber um eine Gesellschaft oder Einheit handelt, die aufgelöst und abgewickelt wurde, gehen deren nicht erfüllte Beitragsverpflichtungen gegenüber der Sozialversicherung auf die Gesellschafter oder Inhaber von Kapitalbeteiligungen über, die für ihre Erfüllung in den Grenzen des ihnen zustehenden Liquidationserlöses gesamtschuldnerisch haften.

…“

Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefragen

20

Gimnasio ist eine Handelsgesellschaft, deren Haupttätigkeit in der Leitung der Escuela Laia, einer Schule mit mehr als 150 Schülern, bestand.

21

Mit Beschluss vom 2. September 2013 wurde das Konkursverfahren über Gimnasio eröffnet.

22

Das zuständige Gericht genehmigte mit Beschluss vom 15. Oktober 2013 die Übertragung der Escuela Laia auf das Institució Pedagógica Sant Andreu SL, eine aus einer Gruppe von Lehrern der Schule bestehende Gesellschaft, die als einzige ein Übernahmeangebot vorgelegt hatte. Diese Gesellschaft verpflichtete sich, die Tätigkeit von Gimnasio aufrechtzuerhalten und die Arbeitsverträge von deren Arbeitnehmern zu übernehmen.

23

Nach diesem Beschluss waren für die Übertragung folgende Voraussetzungen zu erfüllen:

„(1)

Binnen einer Frist von 45 Werktagen ab der Zustellung dieses Beschlusses sind die Beträge festzustellen, die aus gleich welchem Rechtsgrund den Arbeitnehmern geschuldet sind, damit diese dem Fondo de Garantía Salarial mitgeteilt werden können und dieser die Zahlungen nach Maßgabe von Art. 33 des Arbeitnehmerstatuts übernehmen kann …

(5)

Die Übertragung der mit der Nutzung der Produktionseinheit verbundenen Vertragsverhältnisse, die möglicherweise zwischen der Konkursschuldnerin und Dritten bestehen, insbesondere der Aufträge, Bestellungen, Franchise-Verträge, Mietverhältnisse im städtischen Bereich, Lieferungs- oder Dienstleistungsverträge, wird ausdrücklich genehmigt. Der Erwerberin wird aufgegeben, dem Gericht über die sich aus den Übertragungen ergebenden Auswirkungen Mitteilung zu machen.

Es wird ausdrücklich verfügt, dass durch die Übertragung alle Lasten und Verbindlichkeiten erlöschen, die möglicherweise auf den aus der Aktivmasse übertragenen Vermögensgegenständen ruhen, ausgenommen jene, die besonders privilegiert und im Abschlussbericht aufgeführt sind. Daher werden auf die Schuldnerin ausschließlich die Schulden, die im verbindlichen Angebot aufgeführt sind, zu den dort genannten Bedingungen [übertragen], während die Erwerberin oder die von ihr benannte Person nicht die älteren Steuerschulden und älteren Verpflichtungen der Konkursschuldnerin, also möglicherweise bestehende Schulden der Konkursschuldnerin gegenüber der Tesorería General de la Seguridad Social [Sozialversicherungsanstalt, im Folgenden: TGSS], übernimmt, weshalb hiermit ebenfalls verfügt wird, diese Entscheidung der Agencia Estatal de Administración Tributaria [Staatliche Steuerverwaltung] und der TGSS zuzustellen.

…“

24

Am 25. Oktober 2013 erhob die TGSS Beschwerde gegen den Übertragungsbeschluss vom 15. Oktober 2013 mit der Begründung, dass dieser gegen Art. 44 des Arbeitnehmerstatuts verstoße, da darin vorgesehen sei, dass die Verbindlichkeiten von Gimnasio gegenüber der Sozialversicherung nicht auf die Erwerberin übergingen.

25

Am 21. November 2013 erhob eine Gruppe früherer Arbeitnehmer von Gimnasio ebenfalls Beschwerde gegen den Beschluss.

26

Angesichts der damit bestehenden Unwägbarkeiten in Bezug auf Umfang der Lasten, die von der Erwerberin, der Institució Pedagógica Sant Andreu SL, zu übernehmen sind, hat der Juzgado de lo Mercantil no 3 de Barcelona beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Besteht die Garantie, dass der Erwerber eines Unternehmens, das sich in Konkurs befindet, oder einer Produktionseinheit desselben nicht die bereits vor der Übertragung der Produktionseinheit bestehenden Schulden aus Verbindlichkeiten gegenüber der Sozialversicherung oder aus Arbeitsverhältnissen übernimmt, wenn in dem Insolvenzverfahren ein Schutz gewährt wird, der dem durch die gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien vorgesehenen Schutz zumindest gleichwertig ist, einzig und allein in Bezug auf die unmittelbar mit den Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen verbundenen Verpflichtungen, oder muss diese Garantie im Zusammenhang mit einem umfassenden Schutz der Rechte der Arbeitnehmer und der Erhaltung der Arbeitsplätze auf die schon vor der Übertragung an einen Dritten bestehenden Schulden aus Arbeitsverhältnissen oder gegenüber der Sozialversicherung ausgedehnt werden?

2.

Kann in diesem Zusammenhang einer Garantie für die Rechte der Arbeitnehmer der Erwerber der Produktionseinheit von dem Richter, der mit dem Konkurs befasst ist und die Übertragung genehmigt, eine Garantie nicht nur in Bezug auf die Rechte aus den Arbeitsverträgen, sondern auch in Bezug auf vor der Übertragung bestehende Schulden, die das insolvente Unternehmen möglicherweise gegenüber Arbeitnehmern hatte, deren Arbeitsverhältnisse bereits beendet sind, oder in Bezug auf ältere Schulden gegenüber der Sozialversicherung erhalten?

3.

Wenn jemand ein Unternehmen, das sich in Konkurs befindet, oder eine Produktionseinheit unter der Bedingung erwirbt, dass alle oder ein Teil der Arbeitsverträge fortgeführt werden, und in die Rechte und Pflichten aus diesen eintritt, erhält er dann die Garantie, dass keine weiteren Verbindlichkeiten des Veräußerers gegen ihn geltend gemacht werden können oder auf ihn übertragen werden, die die Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse betreffen, in die er eingetreten ist, insbesondere keine älteren Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen in Form von Schulden gegenüber der Sozialversicherung?

4.

Kann die Richtlinie 2001/23 letztlich in Bezug auf die Übertragung von Produktionseinheiten oder Unternehmen, die gerichtlich oder auf dem Verwaltungsweg für insolvent und in Liquidation befindlich erklärt worden sind, dahin ausgelegt werden, dass sie nicht nur den Schutz der Arbeitsverträge zulässt, sondern auch die Gewissheit, dass der Erwerber nicht für bereits vor dem Erwerb dieser Produktionseinheit bestehende Schulden haften muss?

5.

Ist die Fassung von Art. 149 Abs. 2 des Konkursgesetzes in Bezug auf den Unternehmensübergang die gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der genannten Richtlinie 2001/23 für die Geltung der Ausnahme erforderliche Regelung des nationalen Rechts?

6.

Falls ja, ist der vom Richter im Konkursverfahren mit diesen Garantien und Schutzmechanismen erlassene Übertragungsbeschluss in jedem Fall auch für die übrigen Gerichtsbarkeiten oder Verwaltungsverfahren bindend, die gegen den neuen Erwerber wegen vor dem Erwerb bestehender Schulden eingeleitet werden könnten, so dass Art. 44 des Arbeitnehmerstatuts nicht dazu führen kann, dass die Regelungen in Art. 149 Abs. 2 und 3 des Konkursgesetzes keine Wirkung entfalten?

7.

Falls hingegen Art. 149 Abs. 2 und 3 des Konkursgesetzes nicht als Ausnahme im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 2001/23 anzusehen sind, erfasst die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie enthaltene Regelung nur die sich aus fortbestehenden Arbeitsverträgen ergebenden arbeitsrechtlichen Rechte und Pflichten im engeren Sinne, so dass Rechte und Pflichten wie die zur Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen oder andere Verbindlichkeiten aus Arbeitsverträgen, die schon vor der Einleitung des Insolvenzverfahrens beendet waren, in keinem Fall auf den Erwerber übergehen?

Zu den Vorlagefragen

27

Gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder die Beantwortung einer solchen Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

28

Diese Bestimmung ist im vorliegenden Fall anzuwenden.

29

Zunächst ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen vom Gerichtshof wissen möchte, ob bestimmte Vorschriften der Regelung des betreffenden Mitgliedstaats die zur Umsetzung der Richtlinie 2001/23 erforderlichen Maßnahmen darstellen, und allgemeiner, ob diese Vorschriften mit dem Unionsrecht in Einklang stehen.

30

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 267 AEUV nicht befugt ist, nationale Vorschriften auszulegen oder zu beurteilen, ob ihre Auslegung durch die Behörden des betreffenden Mitgliedstaats richtig ist (vgl. u. a. Urteil Vueling Airlines, C‑487/12, EU:C:2014:2232, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Ferner kann der Gerichtshof im Rahmen seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV nicht über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Rechtsnormen mit dem Unionsrecht entscheiden (vgl. u. a. Urteil Lombardini und Mantovani, C‑285/99 und C‑286/99, EU:C:2001:640, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Der Gerichtshof ist aber befugt, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu befinden (vgl. u. a. Urteil Lombardini und Mantovani, EU:C:2001:640, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Deshalb sind die sieben Fragen des vorlegenden Gerichts, die zusammen zu prüfen sind, so zu verstehen, dass geklärt werden soll, ob die Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die vorsieht oder zulässt, dass dem Erwerber bei Übergängen von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, bei denen gegen den Veräußerer ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, erlaubt wird, Lasten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen einschließlich der Lasten im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Sozialversicherungssystem nicht zu übernehmen, wenn diese Schulden bereits vor dem Zeitpunkt des Übergangs der Produktionseinheit bestanden. Das vorlegende Gericht möchte ferner wissen, ob es dabei von Bedeutung ist, dass die Arbeitsverhältnisse vor diesem Zeitpunkt beendet waren.

34

Zur Beantwortung dieser Fragen ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2001/23 nach ihrem dritten Erwägungsgrund und ihrem Art. 3 bezweckt, die Arbeitnehmer dadurch zu schützen, dass die Wahrung ihrer Ansprüche bei einem Unternehmensübergang gewährleistet ist (vgl. Urteil Kirtruna und Vigano, C‑313/07, EU:C:2008:574, Rn. 36).

35

Die Richtlinie will jedoch in Anbetracht der zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf den Umfang des Arbeitnehmerschutzes auf diesem Gebiet bestehenden Unterschiede diese durch eine Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften verringern, ohne aber eine vollständige Harmonisierung auf dem Gebiet vorzusehen (vgl. Erwägungsgründe 4 und 6 der Richtlinie 2001/23 sowie Urteil Amatori u. a., C‑458/12, EU:C:2014:124, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Wie sich aus seiner Überschrift ergibt, enthält Kapitel II der Richtlinie 2001/23 vor allem in den Art. 3 bis 5 die Vorschriften über die Wahrung der Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer.

37

Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23 enthält den Grundsatz, dass die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis auf den Erwerber übergehen.

38

Unter dem gleichen Blickwinkel der Wahrung der Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer sieht die Richtlinie 2001/23 zum einen in Art. 3 Abs. 3 vor, dass der Erwerber nach dem Übergang die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen bis zur Kündigung oder zum Ablauf dieses Vertrags bzw. bis zur Anwendung eines neuen Kollektivvertrags in dem gleichen Maß aufrechterhalten muss, wie sie in dem Kollektivvertrag für den Veräußerer vorgesehen waren (Urteil Juuri, C‑396/07, EU:C:2008:656, Rn. 32). Zum anderen bestimmt die Richtlinie in Art. 4 Abs. 1, dass der Übergang eines Unternehmens als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung darstellt.

39

Diese Schutzregeln sind als zwingend anzusehen, da die Mitgliedstaaten von ihnen nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers abweichen dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Italien, C‑561/07, EU:C:2009:363, Rn. 46), sofern nicht in der Richtlinie selbst Ausnahmen vorgesehen sind.

40

Was dies betrifft, dürfen die Mitgliedstaaten erstens gemäß Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/23 den Zeitraum der Aufrechterhaltung der Arbeitsbedingungen begrenzen, sofern dieser nicht weniger als ein Jahr beträgt.

41

Zweitens gilt nach Art. 3 Abs. 4. Buchst. a der Richtlinie, sofern die Mitgliedstaaten nichts anderes vorsehen, Art. 3 Abs. 1 und 3 nicht für die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten.

42

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die Ausnahme von der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2001/23, wonach der Erwerber die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus dem Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis sowie die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen aufrechterhalten muss, unter Berücksichtigung der von dieser Richtlinie verfolgten allgemeinen Zielsetzung des Schutzes der Rechte der Arbeitnehmer beim Unternehmensübergang eng auszulegen ist (Urteil Kommission/Italien, EU:C:2009:363, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Folglich können nur die außerhalb der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit gewährten Leistungen, die in Art. 3 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 abschließend aufgezählt sind, vom zwingenden Übergang der Rechte der Arbeitnehmer ausgenommen werden (Urteil Kommission/Italien, EU:C:2009:363, Rn. 32).

44

Weiter muss nach Art. 3 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie, auch wenn die Mitgliedstaaten von dieser Ausnahme Gebrauch machen, der in dieser Bestimmung genannte Ausschluss des zwingenden Übergangs damit einhergehen, dass der betreffende Mitgliedstaat die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer – einschließlich derer, die zum Zeitpunkt des Übergangs bereits aus dem Betrieb des Veräußerers ausgeschieden sind – hinsichtlich ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter und Leistungen für Hinterbliebene, aus den unter Art. 3 Abs. 4 Buchst. a genannten Zusatzversorgungseinrichtungen trifft (Urteil Kommission/Italien, EU:C:2009:363, Rn. 31).

45

Drittens können die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/23 von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 abweichen, indem sie vorsehen, dass die dort genannten Kündigungsvorschriften auf einige abgegrenzte Gruppen von Arbeitnehmern, auf die sich die Rechtsvorschriften oder die Praxis der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Kündigungsschutzes nicht erstrecken, keine Anwendung finden.

46

Viertens gelten gemäß Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 die Art. 3 und 4 grundsätzlich nicht für Unternehmensübergänge, bei denen gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet wurde.

47

Wie sich aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 und 2 erster Satzteil ergibt, können sich die Mitgliedstaaten aber dafür entscheiden, die Art. 3 und 4 auf einen Unternehmensübergang im Rahmen eines Insolvenzverfahrens anzuwenden, das gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle eröffnet wurde.

48

Sofern ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit der Anwendung Gebrauch macht, erlaubt Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2001/23 ihm gleichwohl unter bestimmten Voraussetzungen, einige Gewährleistungen der Art. 3 und 4 der Richtlinie nicht anzuwenden, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde und es unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle steht (Urteil Kommission/Italien, EU:C:2009:363, Rn. 38).

49

So kann der Mitgliedstaat unter Abweichung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 gemäß deren Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b vorsehen, dass die vor dem Übergang bzw. vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fälligen Verbindlichkeiten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen nicht auf den Erwerber übergehen, sofern dieses Verfahren nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats einen Schutz gewährleistet, der dem von der Richtlinie 80/987 garantierten Schutz zumindest gleichwertig ist, und/oder dass – soweit das geltende Recht oder die geltende Praxis dies zulassen – die Arbeitsbedingungen, die den Fortbestand des Unternehmens sichern und dadurch der Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen, vertraglich geändert werden können.

50

Art. 5 der Richtlinie 2001/23 bestimmt ferner in Abs. 4, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen müssen, damit Insolvenzverfahren nicht in missbräuchlicher Weise in Anspruch genommen werden, um den Arbeitnehmern die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte vorzuenthalten.

51

Schließlich sind, wie in Rn. 39 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, die in der Richtlinie genannten Schutzvorschriften vorbehaltlich der darin ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen zwar zwingend, doch schränkt die Richtlinie nach ihrem Art. 8 die Möglichkeit der Mitgliedstaaten nicht ein, eine für die Arbeitnehmer günstigere Regelung anzuwenden oder zu erlassen.

52

Nach alledem stellt die Richtlinie 2001/23 erstens den Grundsatz auf, dass der Erwerber an die Rechte und Pflichten aus dem zum Zeitpunkt des Unternehmensübergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Veräußerer gebunden ist. Wie sich aus dem Wortlaut und der Struktur von Art. 3 dieser Richtlinie ergibt, umfasst der Übergang der Lasten, die der Veräußerer zum Zeitpunkt des Unternehmensübergangs zu tragen hat, weil er Arbeitnehmer beschäftigt, auf den Erwerber alle Ansprüche der Arbeitnehmer, sofern sie nicht unter eine in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehene Ausnahme fallen (vgl. entsprechend Urteil Beckmann, C‑164/00, EU:C:2002:330, Rn. 36 und 37).

53

Zu diesen Lasten gehören deshalb nicht nur die den Arbeitnehmern des betreffenden Unternehmens geschuldeten Gehälter und sonstigen Bezüge, sondern auch die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung, die der Veräußerer zu tragen hat, da sich diese Belastung aus den den Veräußerer bindenden Arbeitsverträgen und ‑verhältnissen ergibt. Wie auch aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 hervorgeht, ist nämlich mit einem Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis nach dieser Richtlinie ein Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeint, da Gegenstand des Arbeitsvertrags oder ‑verhältnisses die Regelung der Arbeitsbedingungen ist (Urteil Kirtruna und Vigano, EU:C:2008:574, Rn. 41).

54

Zweitens gilt diese Grundregel nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie nicht, wenn wie im Ausgangsverfahren gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle des betreffenden Mitgliedstaats ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. In diesem Fall wird den Arbeitnehmern die Befriedigung der Ansprüche aus ihrem Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis mit dem insolventen Arbeitgeber nämlich durch die Richtlinie 80/987 garantiert.

55

Drittens ermächtigt Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 ungeachtet dieser in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme jeden Mitgliedstaat, insbesondere Art. 3 der Richtlinie auf einen Unternehmensübergang im Rahmen eines Insolvenzverfahrens gegen den Veräußerer anzuwenden. Wenn ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, darf er nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie dahin abweichen, dass die Lasten, die der Veräußerer beim Unternehmensübergang oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund von Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen zu tragen hat, nicht auf den Erwerber übergehen, sofern in diesem Mitgliedstaat ein Schutz besteht, der dem durch die Richtlinie 80/987 begründeten Schutz zumindest gleichwertig ist. Nach dieser Richtlinie ist ein Mechanismus einzuführen, um die Befriedigung der Ansprüche der Arbeitnehmer aus mit dem insolventen Arbeitgeber geschlossenen Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen zu garantieren. Diese Möglichkeit einer Abweichung ist nicht nur geeignet, die Zahlung der Gehälter der betreffenden Arbeitnehmer zu gewährleisten, sondern kann auch den Fortbestand des Unternehmens in Schwierigkeiten sichern und dadurch der Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen.

56

Viertens steht es den Mitgliedstaaten nach Art. 8 der Richtlinie 2001/23 frei, jede andere Regelung für den Unternehmensübergang vorzusehen oder anzuwenden, wenn sie für die Arbeitnehmer günstiger ist als die Regelung dieser Richtlinie. Ein solches Vorgehen steht nämlich, wie in Rn. 34 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, im Einklang mit dem durch die Richtlinie verfolgten Ziel. Deshalb wird einem Mitgliedstaat nicht die Möglichkeit genommen, Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie auch dann anzuwenden, wenn jemand ein Unternehmen, das sich in Konkurs befindet, übernimmt.

57

Fünftens geht sowohl aus dem Wortlaut der Richtlinie 2001/23 als auch aus der mit ihr eingeführten Regelung hervor, dass der Unionsgesetzgeber mit Ausnahme der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Rechte oder Anwartschaftsrechte der zum Zeitpunkt des Übergangs aus dem Betrieb des Veräußerers bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer auf die in Art. 3 Abs. 4 Buchst. b dieser Richtlinie genannten Leistungen zu schützen, keine Vorschriften über die Lasten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen vorgesehen hat, die zum Zeitpunkt des Übergangs bereits beendet waren. Ein Mitgliedstaat ist jedoch aus den in der vorigen Randnummer angeführten Gründen nicht daran gehindert, vorzusehen, dass diese Lasten auf den Erwerber übergehen.

58

Im Licht dieser Auslegungskriterien des Unionsrechts ist es Sache des vorlegenden Gerichts, den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden, wobei es zu beurteilen hat, ob die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende Regelung mit den Anforderungen des Unionsrechts vereinbar ist, und dabei sämtliche Gesichtspunkte, die die diesem Rechtsstreit zugrunde liegende rechtliche und tatsächliche Situation kennzeichnen, zu berücksichtigen hat.

59

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Richtlinie 2001/23 dahin auszulegen ist, dass

sie, falls im Rahmen eines Unternehmensübergangs gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde und sich der betreffende Mitgliedstaat dafür entschieden hat, von Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie Gebrauch zu machen, den Mitgliedstaat nicht daran hindert, vorzusehen oder zuzulassen, dass die zum Zeitpunkt des Übergangs bzw. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehenden Lasten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen, einschließlich der Lasten im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Sozialversicherungssystem, nicht auf den Erwerber übergehen, sofern dieses Verfahren einen Schutz der Arbeitnehmer gewährleistet, der dem durch die Richtlinie 80/987 begründeten Schutz zumindest gleichwertig ist; dem Mitgliedstaat ist es allerdings nicht verwehrt, vorzusehen, dass der Erwerber diese Lasten auch bei Zahlungsunfähigkeit des Veräußerers zu tragen hat.

sie vorbehaltlich von Art. 3 Abs. 4 Buchst. b keine Verpflichtungen in Bezug auf die Lasten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen vorsieht, die vor dem Übergang beendet waren, aber dem nicht entgegensteht, dass die Regelung der Mitgliedstaaten den Übergang dieser Lasten auf den Erwerber zulässt.

Kosten

60

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass

 

sie, falls im Rahmen eines Unternehmensübergangs gegen den Veräußerer unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde und sich der betreffende Mitgliedstaat dafür entschieden hat, von Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie Gebrauch zu machen, den Mitgliedstaat nicht daran hindert, vorzusehen oder zuzulassen, dass die zum Zeitpunkt des Übergangs bzw. der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehenden Lasten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen, einschließlich der Lasten im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Sozialversicherungssystem, nicht auf den Erwerber übergehen, sofern dieses Verfahren einen Schutz der Arbeitnehmer gewährleistet, der dem durch die Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers begründeten Schutz zumindest gleichwertig ist; dem Mitgliedstaat ist es allerdings nicht verwehrt, vorzusehen, dass der Erwerber diese Lasten auch bei Zahlungsunfähigkeit des Veräußerers zu tragen hat.

 

sie vorbehaltlich von Art. 3 Abs. 4 Buchst. b keine Verpflichtungen in Bezug auf die Lasten des Veräußerers aufgrund von Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen vorsieht, die vor dem Übergang beendet waren, aber dem nicht entgegensteht, dass die Regelung der Mitgliedstaaten den Übergang dieser Lasten auf den Erwerber zulässt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.