URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

25. Juni 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Gemeinschaftlicher Sortenschutz — Verordnung (EG) Nr. 2100/94 — In Art. 14 vorgesehene Ausnahme — Verwendung des Ernteguts zu Vermehrungszwecken durch Landwirte ohne Zustimmung des Sortenschutzinhabers — Pflicht der Landwirte, für diese Verwendung eine angemessene Entschädigung zu zahlen — Frist, innerhalb deren diese Entschädigung zu zahlen ist, um in den Genuss der Ausnahme kommen zu können — Möglichkeit des Sortenschutzinhabers, auf Art. 94 zurückzugreifen — Verletzung“

In der Rechtssache C‑242/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Mannheim (Deutschland) mit Entscheidung vom 9. Mai 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 2014, in dem Verfahren

Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH

gegen

Gerhard und Jürgen Vogel GbR,

Jürgen Vogel,

Gerhard Vogel

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev, J. L. da Cruz Vilaça und C. Lycourgos (Berichterstatter),

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte K. von Gierke und E. Trauernicht,

der Gerhard und Jürgen Vogel GbR sowie von Herrn G. Vogel und Herrn J. Vogel, vertreten durch Rechtsanwälte J. Beismann und M. Miersch,

der spanischen Regierung, vertreten durch A. Gavela Llopis als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman, C. Schillemans und J. Langer als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. von Rintelen und I. Galindo Martín als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. März 2015

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung mehrerer Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. L 227, S. 1) und der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2100/94 (ABl. L 173, S. 14).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (im Folgenden: STV), die die Rechte des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes für die Wintergerstensorte Finita vertritt, auf der einen und der Gerhard und Jürgen Vogel GbR, einem landwirtschaftlichen Betrieb, sowie den persönlich haftenden Gesellschaftern dieser Gesellschaft G. und J. Vogel (im Folgenden zusammen: Beklagte des Ausgangsverfahrens) auf der anderen Seite wegen des Nachbaus dieser Sorte durch die Letztgenannten.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung Nr. 2100/94

3

Art. 13 („Rechte des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes und verbotene Handlungen“) der Verordnung Nr. 2100/94 bestimmt:

„(1)   Der gemeinschaftliche Sortenschutz hat die Wirkung, dass allein der oder die Inhaber des gemeinschaftlichen Sortenschutzes, im folgenden ‚Inhaber‘ genannt, befugt sind, die in Absatz 2 genannten Handlungen vorzunehmen.

(2)   Unbeschadet der Artikel 15 und 16 bedürfen die nachstehend aufgeführten Handlungen in Bezug auf Sortenbestandteile oder Erntegut der geschützten Sorte – beides im Folgenden ‚Material‘ genannt – der Zustimmung des Inhabers:

a)

Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung),

Der Inhaber kann seine Zustimmung von Bedingungen und Einschränkungen abhängig machen.

…“

4

Art. 14 („Abweichung vom gemeinschaftlichen Sortenschutz“) dieser Verordnung sieht vor:

„(1)   Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 2 können Landwirte zur Sicherung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu Vermehrungszwecken im Feldanbau in ihrem eigenen Betrieb das Ernteerzeugnis verwenden, das sie in ihrem eigenen Betrieb durch Anbau von Vermehrungsgut einer unter den gemeinschaftlichen Sortenschutz fallenden Sorte gewonnen haben, wobei es sich nicht um eine Hybride oder eine synthetische Sorte handeln darf.

(2)   Absatz 1 gilt nur für folgende landwirtschaftliche Pflanzenarten:

b)

Getreide:

Hordeum vulgare L. – Gerste

(3)   Die Bedingungen für die Wirksamkeit der Ausnahmeregelung gemäß Absatz 1 sowie für die Wahrung der legitimen Interessen des Pflanzenzüchters und des Landwirts werden vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung in einer Durchführungs[ver]ordnung gemäß Artikel 114 nach Maßgabe folgender Kriterien festgelegt:

Kleinlandwirte sind nicht zu Entschädigungszahlungen an den Inhaber des Sortenschutzes verpflichtet …

andere Landwirte sind verpflichtet, dem Inhaber des Sortenschutzes eine angemessene Entschädigung zu zahlen, die deutlich niedriger sein muss als der Betrag, der im selben Gebiet für die Erzeugung von Vermehrungsmaterial derselben Sorte in Lizenz verlangt wird; die tatsächliche Höhe dieser angemessenen Entschädigung kann im Laufe der Zeit Veränderungen unterliegen, wobei berücksichtigt wird, inwieweit von der Ausnahmeregelung gemäß Absatz 1 in Bezug auf die betreffende Sorte Gebrauch gemacht wird;

verantwortlich für die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Artikels oder der aufgrund dieses Artikels erlassenen Bestimmungen sind ausschließlich die Inhaber des Sortenschutzes; bei dieser Überwachung dürfen sie sich nicht von amtlichen Stellen unterstützen lassen;

die Landwirte sowie die Erbringer vorbereitender Dienstleistungen übermitteln den Inhabern des Sortenschutzes auf Antrag relevante Informationen; auch die an der Überwachung der landwirtschaftlichen Erzeugung beteiligten amtlichen Stellen können relevante Informationen übermitteln, sofern diese Informationen im Rahmen der normalen Tätigkeit dieser Stellen gesammelt wurden und dies nicht mit Mehrarbeit oder zusätzlichen Kosten verbunden ist …“

5

In Art. 94 dieser Verordnung, der zivilrechtliche Ansprüche betrifft, die bei Verwendung einer Pflanzensorte geltend gemacht werden können, die eine Verletzung darstellt, heißt es:

„(1)   Wer

a)

hinsichtlich einer Sorte, für die ein gemeinschaftlicher Sortenschutz erteilt wurde, eine der in Artikel 13 Absatz 2 genannten Handlungen vornimmt, ohne dazu berechtigt zu sein, …

kann vom Inhaber auf Unterlassung der Verletzung oder Zahlung einer angemessenen Vergütung oder auf beides in Anspruch genommen werden.

(2)   Wer vorsätzlich oder fahrlässig handelt, ist dem Inhaber darüber hinaus zum Ersatz des weiteren aus der Verletzung entstandenen Schadens verpflichtet. Bei leichter Fahrlässigkeit kann sich dieser Anspruch entsprechend dem Grad der leichten Fahrlässigkeit, jedoch nicht unter die Höhe des Vorteils, der dem Verletzer aus der Verletzung erwachsen ist, vermindern.“

Verordnung Nr. 1768/95

6

Die Verordnung Nr. 1768/95 enthält nach ihrem Art. 1 Abs. 1 die Durchführungsbestimmungen hinsichtlich der Bedingungen für die Wirksamkeit der Ausnahmeregelung gemäß Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94.

7

Art. 2 der Verordnung Nr. 1768/95 lautet:

„(1)   Die in Artikel 1 genannten Bedingungen sind von dem Sortenschutzinhaber, der insoweit den Züchter vertritt, und von dem Landwirt so umzusetzen, dass die legitimen Interessen des jeweils anderen gewahrt bleiben.

(2)   Die legitimen Interessen sind dann als nicht gewahrt anzusehen, wenn eines oder mehrere Interessen verletzt werden, ohne dass der Notwendigkeit eines vernünftigen Interessenausgleichs oder der Verhältnismäßigkeit der effektiven Umsetzung der Bedingung gegenüber ihrem Zweck Rechnung getragen wurde.“

8

Art. 6 („Individuelle Zahlungspflicht“) dieser Verordnung bestimmt in Abs. 1:

„Unbeschadet der Bestimmungen des Absatzes 2 entsteht die individuelle Pflicht des Landwirts zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung zum Zeitpunkt der tatsächlichen Nutzung des Ernteguts zu Vermehrungszwecken im Feldanbau.

Der Sortenschutzinhaber kann Zeitpunkt und Art der Zahlung bestimmen. Er darf jedoch keinen Zahlungstermin bestimmen, der vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Pflicht liegt.“

9

Art. 7 („Kleinlandwirte“) dieser Verordnung sieht in Abs. 2 vor:

„Anbauflächen des landwirtschaftlichen Betriebs, die in dem am 1. Juli beginnenden und am 30. Juni des darauffolgenden Jahres endenden Jahr (‚Wirtschaftsjahr‘), in dem die Entschädigung fällig ist, vorübergehend oder auf Dauer stillgelegt wurden, gelten weiterhin als Anbauflächen, sofern die Gemeinschaft oder der von der Stilllegung betroffene Mitgliedstaat Prämien oder Ausgleichszahlungen für diese Stilllegungsflächen gewährt.“

10

Art. 17 („Verletzung“) der Verordnung Nr. 1768/95 bestimmt:

„Der Sortenschutzinhaber kann seine Rechte aus dem gemeinschaftlichen Sortenschutzrecht gegen jedermann geltend machen, der gegen die in dieser Verordnung verankerten Bedingungen bzw. Beschränkungen hinsichtlich der Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 der Grundverordnung verstößt.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11

STV ist eine Vereinigung von Sortenschutzinhabern geschützter Pflanzensorten, die u. a. die Rechte des Inhabers der Wintergerstensorte Finita vertritt, die nach der Verordnung Nr. 2100/94 geschützt ist. STV veröffentlicht auf ihrer Website eine Liste, in der die geschützten Pflanzensorten, für die ihr die Verwaltung der Rechte in den einzelnen Wirtschaftsjahren übertragen wurde, sowie die für den Nachbau dieser Sorten zu entrichtende Gebühr aufgelistet sind. Außerdem fordert STV die Landwirte jährlich in nicht sortenspezifischer Form auf, über etwa betriebenen Nachbau der geschützten Sorten, für die sie die Rechte verwaltet, Auskunft zu geben, indem sie zu diesem Zweck Vordrucke einer Nachbauerklärung nebst einem Ratgeber versendet, in dem sämtliche geschützten Sorten, für die sie in dem betreffenden Wirtschaftsjahr die Rechte verwaltet, sowie die jeweiligen Sortenschutzinhaber und Nutzungsberechtigten aufgeführt sind. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens, die keine vertragliche Beziehung zu STV unterhalten, ließen diese Anfragen unbeantwortet.

12

Am 16. Dezember 2011 erfuhr STV über einen Aufbereiter, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens im Wirtschaftsjahr 2010/2011 35 dt Saatgut der Wintergerstensorte Finita hatten aufbereiten lassen.

13

Mit Schreiben vom 31. Mai 2012 forderte STV die Beklagten des Ausgangsverfahrens unter Fristsetzung bis zum 20. Juni 2012 auf, die Angaben bezüglich eines Nachbaus der Wintergerstensorte Finita, über die sie von diesem Aufbereiter in Kenntnis gesetzt worden war, zu prüfen und ihr Auskunft über diesen Nachbau zu erteilen. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens beantworteten dieses Schreiben nicht.

14

Mit Schreiben vom 27. Juli 2012 verlangte STV von den Beklagten des Ausgangsverfahrens die Zahlung von 262,50 Euro, was der vollen Höhe der Gebühr entspricht, die für die Nutzung des Saatguts der Wintergerstensorte Finita in Lizenz, sogenannte Z-Lizenzgebühr, geschuldet wird, als Ersatz des aus dem verhehlten Nachbau dieser geschützten Sorte entstandenen Schadens. Mangels Zahlung erhob STV am 18. März 2013 Klage auf Ersatz dieses Schadens auf der Grundlage von Art. 94 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 2100/94.

15

Zur Stützung ihrer Klage macht STV geltend, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens nach Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Höhe der vollen Z-Lizenzgebühr verpflichtet seien, weil sie einen Nachbau betrieben hätten, zu dem sie nicht „berechtigt“ im Sinne dieser Bestimmung gewesen seien, und nicht in den Genuss der Ausnahmeregelung in Art. 14 Abs.1 dieser Verordnung kommen könnten, da sie der Pflicht zur Zahlung der in Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich dieser Verordnung genannten Entschädigung nicht nachgekommen seien. Diese Zahlungspflicht bestehe unabhängig von einem Auskunftsverlangen des Inhabers des Schutzes der betreffenden Sorte und ein Landwirt müsse diese Zahlungspflicht vor der Aussaat, jedenfalls aber vor dem Ende des Wirtschaftsjahrs erfüllen, in dem der Nachbau betrieben worden sei. Im Übrigen erlaubten die auf ihrer Website veröffentlichten Informationen und der Ratgeber, der alle geschützten Sorten aufliste, für die ihr die Verwaltung der Rechte übertragen worden sei, und der jährlich an die Landwirte versandt werde, diesen, den für den Nachbau dieser Sorten geschuldeten Betrag selbst zu berechnen und mithin zu zahlen.

16

Die Beklagten des Ausgangsverfahrens bestreiten, als Schadensersatz einen Betrag zu schulden, der der vollen Höhe der Z-Lizenzgebühr entspreche. Allenfalls hätten sie einen reduzierten Betrag zu zahlen, da sie den Nachbau im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 hätten betreiben „können“. Außerdem seien sie nicht verpflichtet gewesen, auf das Auskunftsverlangen vom 31. Mai 2012 zu antworten, da sich dieses nicht auf das laufende Wirtschaftsjahr bezogen habe. Ein Verstoß gegen die Auskunftspflicht sei jedoch erforderlich, um die Voraussetzungen für den Anspruch auf Schadensersatz als erfüllt anzusehen.

17

Das vorlegende Gericht führt aus, dass gegen das Vorbringen von STV, wonach der Landwirt nach Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 verpflichtet sei, die genannte Entschädigung unaufgefordert vor der Aussaat zu entrichten, insbesondere im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1768/95 Bedenken bestünden. Die letztgenannte Bestimmung scheine der Annahme entgegenzustehen, dass der Landwirt verpflichtet sei, die Entschädigung im Voraus, vor der Aussaat, zu zahlen. Könnte die Entschädigung nach dem Nachbau der geschützten Sorte gezahlt werden, stellte sich außerdem die Frage, vor welchem Zeitpunkt der Landwirt diese zahlen müsse, um in den Genuss der Ausnahmeregelung in Art. 14 der Verordnung Nr. 2100/94 kommen und somit den Bestimmungen von Art. 94 dieser Verordnung über die Verletzung entgehen zu können. Die Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 2100/94 und 1768/95 lieferten aber keine klare und genaue Antwort auf diese Frage, die zu beantworten der Gerichtshof im Übrigen noch keine Gelegenheit gehabt habe.

18

Unter diesen Umständen hat das Landgericht Mannheim beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist ein Landwirt, der, ohne hierüber vertragliche Vereinbarungen mit dem Sortenschutzinhaber getroffen zu haben, durch Nachbau gewonnenes Vermehrungsgut einer geschützten Sorte genutzt hat, zur Zahlung einer angemessenen Vergütung nach Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 und – bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit – zum Ersatz des weiteren Schadens aus der Sortenschutzverletzung nach Art. 94 Abs. 2 dieser Verordnung schon dann verpflichtet, wenn er die ihm nach Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich dieser Verordnung in Verbindung mit Art. 5 ff. der Durchführungsverordnung obliegende Verpflichtung zur Entrichtung einer angemessenen Entschädigung (Nachbaugebühr) zum Zeitpunkt der tatsächlichen Nutzung des Ernteguts zu Vermehrungszwecken im Feldanbau noch nicht erfüllt hat?

2.

Falls die erste Frage in dem Sinne zu beantworten ist, dass der Landwirt die ihm obliegende Verpflichtung zur Entrichtung einer angemessenen Nachbaugebühr auch nach der tatsächlichen Nutzung des Ernteguts zu Vermehrungszwecken im Feldanbau noch erfüllen kann: Sind die genannten Bestimmungen dahin auszulegen, dass sie eine Frist bestimmen, innerhalb deren der Landwirt, der durch Nachbau gewonnenes Vermehrungsgut einer geschützten Sorte genutzt hat, die ihm obliegende Verpflichtung zur Entrichtung einer angemessenen Nachbaugebühr erfüllen muss, damit der Nachbau im Sinne von Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 in Verbindung mit Art. 14 dieser Verordnung als „berechtigt“ anzusehen ist?

Zu den Vorlagefragen

19

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, innerhalb welcher Frist ein Landwirt, der durch Nachbau gewonnenes Vermehrungsgut einer geschützten Pflanzensorte (hofeigenes Saatgut) genutzt hat, ohne hierüber vertragliche Vereinbarungen mit dem Inhaber des betreffenden Sortenschutzes getroffen zu haben, die Pflicht zur Zahlung der nach Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 geschuldeten angemessenen Entschädigung (im Folgenden: angemessene Ausnahmeentschädigung) erfüllen muss, um in den Genuss der in diesem Art. 14 vorgesehenen Ausnahme von der Pflicht kommen zu können, die Zustimmung dieses Inhabers einzuholen.

20

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 in Bezug auf Sortenbestandteile oder Erntegut einer geschützten Sorte u. a. die Erzeugung oder Fortpflanzung (Vermehrung) der Zustimmung des Inhabers des Sortenschutzes bedarf. In diesem Zusammenhang sieht Art. 14 Abs. 1 dieser Verordnung eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor, da die Verwendung des Ernteguts der Landwirte in ihrem eigenen Betrieb zu Vermehrungszwecken im Feldanbau nicht der Zustimmung des Sortenschutzinhabers bedarf, wenn sie bestimmte, in Art. 14 Abs. 3 dieser Verordnung ausdrücklich genannte Bedingungen erfüllen (vgl. Urteil Geistbeck, C‑509/10, EU:C:2012:416, Rn. 21 und 22).

21

Eine dieser in Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2100/94 aufgestellten Bedingungen ist die Zahlung einer angemessenen Ausnahmeentschädigung, die dem Inhaber des betreffenden Sortenschutzes für diese Nutzung geschuldet wird.

22

Ein Landwirt, der diesem Sortenschutzinhaber keine solche Entschädigung zahlt, wenn er das durch Anbau von Vermehrungsmaterial einer geschützten Sorte gewonnene Erntegut nutzt, kann sich nicht auf Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 berufen, so dass davon auszugehen ist, dass er eine der in Art. 13 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Handlungen vornimmt, ohne dazu berechtigt zu sein. Daher kann dieser Landwirt nach Art. 94 dieser Verordnung vom Sortenschutzinhaber auf Unterlassung der Verletzung oder Zahlung einer angemessenen Entschädigung oder auf beides in Anspruch genommen werden. Handelt der Landwirt vorsätzlich oder fahrlässig, so ist er darüber hinaus zum Ersatz des dem Sortenschutzinhaber entstandenen Schadens verpflichtet (Urteil Schulin, C‑305/00, EU:C:2003:218, Rn. 71).

23

Das vorlegende Gericht fragt sich zunächst, ob der betreffende Landwirt die angemessene Ausnahmeentschädigung vor der tatsächlichen Nutzung des Ernteguts zu Vermehrungszwecken im Feldanbau entrichten muss.

24

Hierzu bestimmt Art. 6 der Verordnung Nr. 1768/95, der die Durchführungsbestimmungen hinsichtlich der Pflicht zur Zahlung der angemessenen Ausnahmeentschädigung festlegt, in seinem Abs. 1 Unterabs. 2, dass der Inhaber des betreffenden Sortenschutzes zwar Zeitpunkt und Art der Zahlung bestimmen kann, er jedoch keinen Zahlungstermin bestimmen darf, der vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Pflicht liegt, diese angemessene Entschädigung zu zahlen. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Verordnung entsteht diese Pflicht zum Zeitpunkt der tatsächlichen Nutzung des Ernteguts der geschützten Sorte zu Vermehrungszwecken im Feldanbau. Daraus folgt, dass der Landwirt diese Pflicht noch erfüllen kann, nachdem er das Erntegut der geschützten Sorte ausgesät hat, da dieser Zeitpunkt der tatsächlichen Nutzung dieses Gutes zu Vermehrungszwecken im Feldanbau nicht das Ende der Frist darstellt, innerhalb deren die Zahlung der angemessenen Ausnahmeentschädigung erfolgen muss, sondern den Zeitpunkt, ab dem diese Entschädigung fällig wird.

25

Zwar erlaubt diese Bestimmung die Annahme, dass der Landwirt die Pflicht zur Zahlung der angemessenen Ausnahmeentschädigung noch erfüllen kann, nachdem er das Erntegut der geschützten Sorte tatsächlich ausgesät hat, doch nennt sie keinerlei Frist, innerhalb deren der Landwirt diese Entschädigung zahlen muss, wenn ihm vom Inhaber nicht gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1768/95 eine Frist gesetzt worden ist.

26

Hierzu machen die Beklagten des Ausgangsverfahrens und die spanische Regierung im Wesentlichen geltend, dass diese Frist unbegrenzt laufen könne. Sie stützen sich dabei gerade auf Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1768/95 und weisen darauf hin, dass diese Bestimmung zwar die Entstehung dieser Zahlungspflicht regele, jedoch kein Fälligkeitsdatum vorsehe.

27

Dieser Auslegung kann jedoch nicht gefolgt werden.

28

Wie der Generalanwalt in Nr. 39 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, würde es nämlich erstens der in Art. 94 der Verordnung Nr. 2100/94 vorgesehenen gerichtlichen Inanspruchnahme die praktische Wirksamkeit nehmen, würde man einem Landwirt, der durch Nachbau gewonnenes Vermehrungsgut einer geschützten Pflanzensorte (hofeigenes Saatgut) genutzt hat, erlauben, die Pflicht zur Zahlung der angemessenen Ausnahmeentschädigung ohne jede zeitliche Begrenzung zu erfüllen und sich demzufolge unbegrenzt auf die in Art. 14 dieser Verordnung genannte Ausnahme zu berufen. Mit der Einführung dieser Inanspruchnahme eines jeden Verletzers, der dieser Zahlungspflicht nicht nachgekommen ist, steht Art. 94 darüber hinaus dem entgegen, dass dieser selbst nach der Entdeckung einer verhehlten Verwendung der geschützten Pflanzensorte durch den Sortenschutzinhaber seine Situation bereinigen kann. Daraus folgt, dass nur das Bestehen einer Zahlungsfrist geeignet ist, die wirksame Ausübung dieser Inanspruchnahme zu garantieren.

29

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass ausschließlich die Inhaber des Sortenschutzes für die Kontrolle und die Überwachung der Verwendung der geschützten Sorten im Rahmen des berechtigten Nachbaus verantwortlich und daher auf die Ehrlichkeit und die Kooperation der betroffenen Landwirte angewiesen sind (Urteil Geistbeck, C‑509/10, EU:C:2012:416, Rn. 42). Daher birgt das Fehlen einer genau bestimmten Frist, innerhalb deren die Landwirte die Pflicht zur Zahlung der angemessenen Ausnahmeentschädigung erfüllen müssen, die Gefahr, diese dazu zu verleiten, die Zahlung unbegrenzt hinauszuzögern in der Hoffnung, ihr zu entgehen. Einen solchen Verstoß der Landwirte gegen die Beachtung ihrer eigenen Verpflichtungen gegenüber den Sortenschutzinhabern zu erlauben, liefe jedoch dem in Art. 2 der Verordnung Nr. 1768/95 genannten Ziel eines vernünftigen Ausgleichs der wechselseitigen legitimen Interessen der Landwirte und der betreffenden Sortenschutzinhaber zuwider.

30

Bei der Prüfung, ob in den einschlägigen Bestimmungen tatsächlich eine Zahlungsfrist vorgesehen ist, ist festzustellen, dass aus Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1768/95 hervorgeht, dass das Wirtschaftsjahr, in dem die Entschädigung fällig ist, am 1. Juli beginnt und am 30. Juni des darauffolgenden Jahres endet. Obwohl diese Bestimmung die Ermittlung der Flächen von Kleinlandwirten betrifft, die für den Pflanzenanbau verwendet werden, macht sie deutlich, dass das Wirtschaftsjahr, in dem das aus Nachbau gewonnene Vermehrungsgut einer geschützten Pflanzensorte (hofeigenes Saatgut) genutzt wurde, von dem Organ, das Urheber dieser Verordnung ist, bei der Festlegung der Durchführungsbestimmungen zu Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 als die relevante Frist aufgefasst wurde, innerhalb deren die angemessene Ausnahmeentschädigung zu zahlen ist.

31

In Ermangelung der Zahlung der angemessenen Ausnahmeentschädigung innerhalb einer Frist, die mit Ablauf des Wirtschaftsjahrs endet, in dem die Nutzung des durch Nachbau gewonnenen Vermehrungsguts einer geschützten Pflanzensorte stattgefunden hat, ohne dass der Landwirt hierüber mit dem Sortenschutzinhaber vertragliche Vereinbarungen getroffen hat, nimmt er daher eine der in Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 genannten Handlungen vor, ohne dazu berechtigt zu sein, was dem Sortenschutzinhaber erlaubt, die in Art. 94 dieser Verordnung vorgesehenen Klagen anzustrengen.

32

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass, um in den Genuss der in Art. 14 der Verordnung Nr. 2100/94 vorgesehenen Ausnahme von der Pflicht kommen zu können, die Zustimmung des Inhabers des betreffenden Sortenschutzes einzuholen, ein Landwirt, der durch Nachbau gewonnenes Vermehrungsgut einer geschützten Pflanzensorte (hofeigenes Saatgut) genutzt hat, ohne hierüber vertragliche Vereinbarungen mit diesem Inhaber getroffen zu haben, verpflichtet ist, die angemessene Ausnahmeentschädigung innerhalb einer Frist zu zahlen, die mit Ablauf des Wirtschaftsjahrs endet, in dem diese Nutzung stattgefunden hat, d. h. spätestens am auf die Wiederaussaat folgenden 30. Juni.

Kosten

33

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Um in den Genuss der in Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz vorgesehenen Ausnahme von der Pflicht kommen zu können, die Zustimmung des Inhabers des betreffenden Sortenschutzes einzuholen, ist ein Landwirt, der durch Nachbau gewonnenes Vermehrungsgut einer geschützten Pflanzensorte (hofeigenes Saatgut) genutzt hat, ohne hierüber vertragliche Vereinbarungen mit diesem Inhaber getroffen zu haben, verpflichtet, die nach Art. 14 Abs. 3 vierter Gedankenstrich dieser Verordnung geschuldete angemessene Entschädigung innerhalb einer Frist zu zahlen, die mit Ablauf des Wirtschaftsjahrs endet, in dem diese Nutzung stattgefunden hat, d. h. spätestens am auf die Wiederaussaat folgenden 30. Juni.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.