URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

10. November 2011(*)

„Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2004/17/EG – Art. 1 Abs. 3 Buchst. b – Richtlinie 92/13/EWG – Art. 2d Abs. 1 Buchst. b – Begriff ‚Dienstleistungskonzession‘ – Dienstleistungen des öffentlichen Busverkehrs – Recht zum Betreiben eines Dienstes und Zahlung eines Ausgleichs für Verluste an den Diensterbringer – Infolge der nationalen Rechtsvorschriften und des Vertrags begrenztes Betriebsrisiko – Vergabenachprüfungsverfahren – Unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13/EWG auf vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66/EG geschlossene Verträge“

In der Rechtssache C‑348/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Augstākās tiesas Senāts (Lettland) mit Entscheidung vom 2. Juli 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juli 2010, in dem Verfahren

Norma-A SIA,

Dekom SIA

gegen

Latgales plānošanas reģions als Rechtsnachfolger der Ludzas novada dome

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter) sowie der Richter U. Lõhmus, A. Rosas, A. Ó Caoimh und A. Arabadjiev,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Norma-A SIA, vertreten durch L. Krastiņa und I. Azanda, advokāte,

–        der Latgales plānošanas reģions als Rechtsnachfolger der Ludzas novada dome, vertreten durch J. Pļuta,

–        der lettischen Regierung, vertreten durch M. Borkoveca und K. Krasovska als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Zadra und A. Sauka als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juli 2011

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. L 134, S. 1) sowie von Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 76, S. 14) in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 (ABl. L 335, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 92/13).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Norma-A SIA und der Dekom SIA (im Folgenden: Klägerinnen des Ausgangsverfahrens) einerseits und dem Latgales plānošanas reģions als Rechtsnachfolger der Ludzas novada dome (im Folgenden: Beklagter des Ausgangsverfahrens) wegen der Vergabe der „Konzession“ für öffentliche Busverkehrsleistungen in der Stadt und im Kreis Ludza an die Ludzas autotransporta uzņēmums SIA.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 1 der Richtlinie 2004/17 sieht in seinem Abs. 2 Buchst. a und d sowie in seinem Abs. 3 Buchst. b vor:

„(2)       a)      ‚Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge‘ sind zwischen einem oder mehreren der in Artikel 2 Absatz 2 aufgeführten Auftraggeber und einem oder mehreren Unternehmern, Lieferanten oder Dienstleistern geschlossene entgeltliche schriftliche Verträge.

      …

d)      ‚Dienstleistungsaufträge‘ sind Aufträge über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne von Anhang XVII, die keine Bau- oder Lieferaufträge sind.

(3)      …

b)      ‚Dienstleistungskonzession‘ ist ein Vertrag, der von einem Dienstleistungsauftrag nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht.“

4        In Art. 2 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

a)      ‚öffentlicher Auftraggeber‘ den Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts und die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen.

(2)      Diese Richtlinie gilt für Auftraggeber, die

a)      öffentliche Auftraggeber oder öffentliche Unternehmen sind und eine Tätigkeit im Sinne der Artikel 3 bis 7 ausüben …

…“

5        Art. 5 der Richtlinie 2004/17 bestimmt:

„(1)      Unter diese Richtlinie fallen die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Schiene, automatische Systeme, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Kabel.

(2)      Die vorliegende Richtlinie gilt nicht für Stellen, die Busverkehrsleistungen für die Allgemeinheit erbringen, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie 93/38/EWG nach deren Artikel 2 Absatz 4 ausgenommen worden sind.“ 

6        In Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) heißt es:

„(2)      a)      ‚Öffentliche Aufträge‘ sind zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene schriftliche entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie.

(4)      ‚Dienstleistungskonzessionen‘ sind Verträge, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht.“

7        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 92/13 sieht vor:

„Diese Richtlinie gilt für Aufträge im Sinne der Richtlinie 2004/17 …, sofern diese Aufträge nicht gemäß Artikel 5 Absatz 2, Artikel 18 bis 26, Artikel 29 und 30 oder Artikel 62 der genannten Richtlinie ausgeschlossen sind.

…“

8        Art. 2d Abs. 1 der Richtlinie 92/13 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten tragen in folgenden Fällen dafür Sorge, dass ein Vertrag durch eine von dem Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird oder dass sich seine Unwirksamkeit aus der Entscheidung einer solchen Stelle ergibt[:]

b)      bei einem Verstoß gegen Artikel 1 Absatz 5, Artikel 2 Absatz 3 oder Artikel 2a Absatz 2 der vorliegenden Richtlinie, falls dieser Verstoß dazu führt, dass der Bieter, der eine Nachprüfung beantragt, nicht mehr die Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags Rechtsschutz zu erlangen, und dieser Verstoß verbunden ist mit einem Verstoß gegen die Richtlinie 2004/17 …, falls der letztgenannte Verstoß die Aussichten des Bieters, der eine Nachprüfung beantragt, auf die Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt hat,

…“

9        In Art. 2f Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13 heißt es:

„(1)      Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass eine Nachprüfung gemäß Artikel 2d Absatz 1 innerhalb der folgenden Fristen beantragt werden muss:

b)      und in jedem Fall vor Ablauf einer Frist von mindestens sechs Monaten, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der Vertrag geschlossen wurde.“

10      Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2007/66, mit der die in den Randnrn. 7 bis 9 des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen in die Richtlinie 92/13 eingefügt worden sind, bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens am 20. Dezember 2009 nachzukommen. …“

 Nationales Recht

11      Nach Art. 1 Abs. 7 des Gesetzes über die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor (Publiskās un privātās partnerības likums, Latvijas Vēstnesis 2009, Nr. 107, S. 4093), das am 1. Oktober 2009 in Kraft trat, ist ein Vertrag über eine Dienstleistungskonzession ein Vertrag, dem zufolge ein privater Auftragnehmer auf Verlangen eines öffentlichen Auftraggebers Dienstleistungen im Sinne des Anhangs 2 des Gesetzes über öffentliche Aufträge (Publisko iepirkumu likums) erbringt und als Gegenleistung bzw. als wesentlichen Bestandteil der Gegenleistung das Recht zum Betreiben dieser Dienstleistungen erhält, aber gleichzeitig die mit ihrer Erbringung verbundenen Risiken oder einen wesentlichen Teil dieser Risiken trägt.

12      Nach Art. 1 Abs. 8 des erstgenannten Gesetzes ist unter dem Recht zum Betreiben des Bauwerks oder der Dienstleistungen der Anspruch auf ein von den Nutzern des Bauwerks oder der Dienstleistungen zu zahlendes Entgelt oder auf eine Gegenleistung des öffentlichen Vertragspartners zu verstehen, deren Höhe sich nach der Nachfrage durch die Nutzer richtet, oder aber der Anspruch sowohl auf ein von den Nutzern der Dienstleistungen zu zahlendes Entgelt als auch auf eine Gegenleistung des öffentlichen Vertragspartners.

13      Nach Art. 1 Abs. 9 dieses Gesetzes liegt ein mit den Dienstleistungen oder dem Bauwerk verbundenes Betriebsrisiko (wirtschaftliches Risiko) vor, wenn die Einnahmen des privaten Auftragnehmers entweder von der Nachfrage nach diesem Bauwerk oder diesen Dienstleistungen durch die Nutzer (Nachfragerisiko) oder davon, dass die Dienstleistungen den Nutzern nach Maßgabe der im Konzessionsvertrag niedergelegten Bedingungen angeboten werden (Verfügbarkeitsrisiko), oder aber sowohl vom Nachfragerisiko als auch vom Verfügbarkeitsrisiko abhängen.

14      Art. 6 Abs. 3 des Gesetzes über öffentliche Beförderungsdienste (Sabiedriskā transporta pakalpojumu likums, Latvijas Vēstnesis 2007, Nr. 106, S. 3682, im Folgenden: ÖBG) bestimmt u. a., dass öffentliche Beförderungsdienste entsprechend der Nachfrage nach diesen Dienstleistungen organisiert werden; hierbei sind die Häufigkeit und Regelmäßigkeit der Fahrten innerhalb des Netzes, der Umfang und die Qualität der Dienstleistungen sowie die Wirtschaftlichkeit der Fahrten zu berücksichtigen und die Art und Weise der Beförderung der Fahrgäste festzulegen.

15      Art. 10 Abs. 1 ÖBG zufolge wird an den Beförderungsunternehmer nach Maßgabe der Art. 11 und 12 dieses Gesetzes ein Ausgleich für die Verluste und Kosten gezahlt, die im Zusammenhang mit der Erbringung des öffentlichen Beförderungsdienstes entstanden sind.

16      In Art. 11 Abs. 1 ÖBG heißt es:

„[D]er Beförderungsunternehmer [erhält] einen Ausgleich für seine im Zusammenhang mit dem öffentlichen Beförderungsdienst entstandenen Verluste:

1.      in voller Höhe aus den hierfür im Staatshaushalt vorgesehenen Rücklagen für Strecken in den regionalen Fernnetzen und in regionalen Ortsnetzen;

11.      zulasten der hierfür vorgesehenen Rücklagen im Staatshaushalt für Strecken, die zu einem regionalen Netz von lokaler Bedeutung gehören;

12.      zulasten des Haushalts lokaler Gebietskörperschaften, wenn die Strecken zu einem regionalen Netz von lokaler Bedeutung gehören, soweit der öffentliche Beförderungsdienst die Grenze der im Staatshaushalt vorgesehenen Rücklagen für die Sicherstellung des Dienstes übersteigt;

…“

17      Art. 12 ÖBG sieht vor:

„(1)      Stellt der Staat Mindestanforderungen an die Qualität der öffentlichen Beförderungsdienste auf, die ein nach Gewinn strebender Beförderungsunternehmer nicht erfüllen müsste und deren Erfüllung zusätzliche Kosten verursacht, hat der Beförderungsunternehmer gegenüber dem Staat einen Anspruch auf Ausgleich dieser Kosten.

(2)      Beförderungsunternehmer, die Beförderungsdienste im Rahmen des öffentlichen Beförderungswesens erbringen, erhalten die Ausgleichszahlung nach Abs. 1, wenn die Mindestanforderungen an die Qualität nach der Aufnahme des Beförderungsdienstes aufgestellt wurden.

(3)      Die Vorschriften über die Bestimmung, die Berechnung und den Ausgleich der in Abs. 1 genannten Kosten, die Zuweisung von Mitteln aus dem Staatshaushalt an die lokalen Körperschaften zur Begleichung dieser Kosten sowie die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Verwendung dieser Mittel werden vom Ministerrat erlassen.“

18      Das Dekret Nr. 672 des Ministerrats über den Ausgleich von Kosten und Verlusten aufgrund der Erbringung von öffentlichen Beförderungsdiensten und zur Festlegung der Tarife für öffentliche Beförderungsdienste (Sabiedriskā transporta pakalpojumu sniegšanā radušos zaudējumu un izdevumu kompensēšanas un sabiedriskā transporta pakalpojuma tarifa noteikšanas kārtība, Latvijas Vēstnesis 2007, Nr. 175, S. 3751) vom 2. Oktober 2007, das bis zum 20. November 2009 galt, und das Dekret Nr. 1226 des Ministerrats (Latvijas Vēstnesis 2009, Nr. 183, S. 4169, im Folgenden: Dekret Nr. 1226) vom 26. Oktober 2009, das das erstgenannte Dekret zum 21. November 2009 ersetzt hat, sind beide auf das ÖBG gestützt worden.

19      Art. 2 des Dekrets Nr. 1226 sieht vor:

„[D]er Beförderungsunternehmer [erhält] einen Ausgleich für folgende im Zusammenhang mit der Erfüllung des Vertrags über öffentliche Beförderungsdienste entstandenen Verluste:

2.1      die mit der Erfüllung des Vertrags über öffentliche Beförderungsdienste zusammenhängenden unumgänglichen Kosten, soweit sie die Einnahmen übersteigen;

2.2      die Kosten, die durch die Anwendung der vom Auftraggeber festgelegten Tarife verursacht werden;

2.3      die Kosten, die dadurch entstehen, dass der Auftraggeber eine Herabsetzung des Beförderungspreises für bestimmte Kategorien von Fahrgästen vorschreibt.“

20      Nach Art. 3 des Dekrets hat der Beförderungsunternehmer einen Anspruch auf Ausgleich der Kosten, die in Erfüllung der vom Auftraggeber oder durch eine rechtliche Regelung nach der Aufnahme der öffentlichen Beförderungsdienste aufgestellten Anforderungen an die Qualität entstanden sind, soweit dies zusätzliche Kosten verursacht.

21      Nach Art. 38 des Dekrets Nr. 1226 legt der Auftraggeber anhand des Berichts gemäß Art. 32 Abs. 2 dieses Dekrets und der Informationen gemäß dessen Art. 32 Abs. 3 und 4 den Umfang der Verluste fest, für den das Beförderungsunternehmen einen Ausgleich erhalten muss, und berücksichtigt dabei auch, ob er Tarife (Fahrpreise) festgesetzt hat.

22      Gemäß Art. 39 des Dekrets Nr. 1226 ermittelt der Auftraggeber die tatsächlichen Verluste anhand der Gesamteinnahmen aus dem Vertrag über die Erbringung der Beförderungsdienste unter Abzug der nachgewiesenen Kosten, die durch die Erbringung der öffentlichen Beförderungsdienste entstanden sind. Einnahmen im Sinne dieser Bestimmung sind die Einnahmen aus dem Verkauf von Fahrscheinen einschließlich der Beförderungsabonnements und ähnliche Einnahmen aus dem Vertrag über öffentliche Beförderungsdienste.

23      Art. 40 des Dekrets Nr. 1226 sieht vor, dass der Auftraggeber die Höhe der Ausgleichszahlung festlegt, indem er zu den nach Maßgabe des Art. 39 des Dekrets Nr. 1226 ermittelten Verlusten den Betrag des Gewinns addiert. Dieser errechnet sich aus der Multiplikation der Einnahmen mit einer prozentualen Gewinnspanne, die sich durch die Erhöhung des durchschnittlichen Euribor-Satzes während der zwölf Monate des Referenzjahrs um 2,5 % ergibt.

24      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Betrag des Verlustausgleichs nach Art. 49 dieses Dekrets die errechneten tatsächlichen Verluste nicht übersteigen darf, wenn der Beförderungsunternehmer die vom Auftraggeber festgelegten Tarife (Beförderungspreis) angewandt hat.

25      Nach Art. 50 des Dekrets Nr. 1226 wird die Höhe des Ausgleichs auf der Grundlage des Unterschieds zwischen dem im Vertrag festgelegten Entgelt für die öffentlichen Beförderungsdienste und den tatsächlichen Einnahmen errechnet, wenn der Auftrag für die Erbringung des öffentlichen Beförderungsdienstes nach Maßgabe des Gesetzes über öffentliche Aufträge vergeben wird.

26       In Art. 57 des Dekrets Nr. 1226 heißt es:

„[Wird] der Vertrag über öffentliche Beförderungsdienste aufgelöst,

1.      erstattet der Beförderungsunternehmer dem Auftraggeber die zu viel gezahlten Beträge, wenn während der Erbringung des öffentlichen Beförderungsdienstes die Höhe des Verlustausgleichs den ermittelten tatsächlichen Ausgleichsbetrag übersteigt und der Auftraggeber diese Geldbeträge für den Verlustausgleich zugunsten anderer Beförderungsunternehmer verwendet;

2.      zahlt der Auftraggeber einen Verlustausgleich, wenn während der Erbringung des öffentlichen Beförderungsdienstes die Höhe des Verlustausgleichs niedriger war als der ermittelte tatsächliche Ausgleichsbetrag.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

27      Am 17. Juni 2009 schrieb die Ludzas rajona padome (Kreistag von Ludza) einen Auftrag für die Erbringung von öffentlichen Busverkehrsleistungen in der Stadt und im Kreis Ludza öffentlich aus. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens reichten am 6. August 2009 ihr Angebot ein.

28      Am 31. August 2009 erhielt die Ludzas autotransporta uzņēmums SIA den Zuschlag für den betreffenden Auftrag, und die Ludzas novada dome beschloss infolgedessen am 2. September 2009, mit dieser Gesellschaft einen Konzessionsvertrag über öffentliche Transportleistungen zu schließen.

29      Am 16. September 2009 erhoben die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens beim Administratīvā rajona tiesa (Verwaltungsgericht für den Kreis) Klage auf Nichtigerklärung des vorgenannten Beschlusses der Ludzas novada dome vom 2. September 2009 und beantragten dessen einstweilige Aussetzung. Diesem Antrag gab das Verwaltungsgericht mit Entscheidung vom 16. Oktober 2009 statt, die am 14. Dezember 2009 vom Administratīvā apgabaltiesa (Berufungsgericht in Verwaltungsstreitsachen) bestätigt wurde.

30      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nach dem geltenden nationalen Recht die Möglichkeit gehabt hätten, beim Amt für die Kontrolle von Verträgen Einwände gegen die Entscheidung der Ludzas novada dome vom 2. September 2009 zu erheben, und der öffentliche Auftraggeber infolgedessen bis zu der Entscheidung dieses Amtes am Abschluss des Vertrags gehindert gewesen wäre.

31      Am 9. Oktober 2009 schloss die Ludzas rajona padome mit der Ludzas autotransporta uzņēmums SIA einen Vertrag über die „Konzession“ für die Erbringung der betreffenden Transportleistungen.

32      Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens erhoben daraufhin beim Administratīvā rajona tiesa Klage auf Nichtigerklärung dieses Vertrags. Diese Klage wurde am 3. Dezember 2009 mit der Begründung abgewiesen, dass sich der Vertrag nach bürgerlichem Recht richte und die Verwaltungsgerichte daher für die Klage nicht zuständig seien.

33      Am 11. Mai 2010 hob der Administratīvā apgabaltiesa das erstinstanzliche Urteil auf, wies aber gleichzeitig die Klage auf Nichtigerklärung als unzulässig ab und begründete die Klageabweisung damit, dass der Vertrag vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 geschlossen worden sei und die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens daher kein subjektives Recht zur Erhebung einer solchen Klage hätten.

34      Am 21. Mai 2010 legten die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens gegen die Entscheidung des Administratīvā apgabaltiesa ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein. Sie machten u. a. geltend, dass ihnen die Richtlinie 2007/66 ein subjektives Recht auf Nichtigerklärung des Vertrags verleihe, das sich aus dem Ziel dieser Richtlinie ergebe, dass Dritte das Recht erhalten sollten, die Unwirksamkeit von Verträgen, an denen der Staat oder Gebietskörperschaften beteiligt seien, feststellen zu lassen.

35      Unter diesen Bedingungen hat der Augstākās tiesas Senāts das bei ihm anhängige Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17 dahin auszulegen, dass es sich bei einem Vertrag, durch den dem Auftragnehmer das Recht eingeräumt wird, öffentliche Busverkehrsdienste zu erbringen, um eine öffentliche Dienstleistungskonzession handelt, wenn ein Teil der Gegenleistung in dem Recht zum Betreiben der öffentlichen Beförderungsleistungen besteht, der öffentliche Auftraggeber aber gleichzeitig an den Dienstleistungserbringer für die infolge der Erbringung der Dienstleistung entstandenen Verluste einen Ausgleich zahlt und darüber hinaus die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zur Regelung der Dienstleistungserbringung und die Vertragsbestimmungen das mit der Dienstleistung verbundene Betriebsrisiko begrenzen?

2.      Sofern die erste Frage zu verneinen ist: Ist Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13 seit dem 21. Dezember 2009 in Lettland unmittelbar anwendbar?

3.      Falls die zweite Frage zu bejahen ist: Ist Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13 dahin auszulegen, dass er auf öffentliche Aufträge Anwendung findet, die vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 in innerstaatliches Recht vergeben wurden?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

36      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2004/17 ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. a zufolge für Auftraggeber gilt, die „öffentliche Auftraggeber“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie – einschließlich der „Gebietskörperschaften“ – sind und die „eine Tätigkeit im Sinne der Artikel 3 bis 7 [dieser Richtlinie] ausüben“.

37      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts fällt das Ausgangsverfahren unter die Richtlinie 2004/17, da der dortige Auftraggeber im Bereich der Verkehrsleistungen per Bus im Sinne von Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie tätig sei.

38      Nach Auffassung der lettischen Regierung hingegen erbringt der dortige Auftraggeber nicht selbst öffentliche Verkehrsleistungen für die Bewohner; daher sei die Richtlinie 2004/18 auf das Ausgangsverfahren anwendbar.

39      Insoweit genügt der Hinweis, dass die Richtlinie 2004/18 in ihrem Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und 4 Definitionen des „öffentlichen Auftrags“ und der „Dienstleistungskonzession“ enthält, die im Wesentlichen mit den entsprechenden Definitionen in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17 vergleichbar sind. Aufgrund dieser Übereinstimmung müssen bei der Auslegung der Begriffe des Dienstleistungsauftrags und der Dienstleistungskonzession in den jeweiligen Anwendungsbereichen dieser Richtlinie die gleichen Erwägungen zugrunde gelegt werden (Urteil vom 10. September 2009, Eurawasser, C‑206/08, Slg. 2009, I‑8377, Randnrn. 42 und 43). Daher lässt sich die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17 unmittelbar auf die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2004/18 übertragen, was im Übrigen auch die lettische Regierung einräumt.

40      Die Frage, ob ein Vorgang als Dienstleistungskonzession oder als öffentlicher Dienstleistungsauftrag einzustufen ist, ist ausschließlich anhand des Unionsrechts zu beurteilen (vgl. u. a. Urteil vom 10. März 2011, Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler, C‑274/09, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Aus den in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und d und Abs. 3 der Richtlinie 2004/17 definierten Begriffen des öffentlichen Dienstleistungsauftrags und der Dienstleistungskonzession geht hervor, dass der Unterschied zwischen einem Dienstleistungsauftrag und einer Dienstleistungskonzession in der Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen liegt. Der Dienstleistungsauftrag umfasst eine Gegenleistung, die vom öffentlichen Auftraggeber unmittelbar an den Dienstleistungserbringer gezahlt wird, während im Fall einer Dienstleistungskonzession die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung besteht, sei es ohne oder zuzüglich der Zahlung eines Preises (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Eurawasser, Randnr. 51).

42      Bei einem Vertrag über Dienstleistungen erfüllt der Umstand, dass eine unmittelbare Entgeltzahlung des öffentlichen Auftraggebers an den Auftragnehmer nicht erfolgt, sondern der Auftragnehmer das Recht erhält, Entgelte von Dritten zu erheben, das in Art. 1 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/17 vorgesehene Erfordernis einer Gegenleistung (vgl. u. a. Urteil Eurawasser, Randnr. 57).

43      Das ist der Fall, wenn – wie im Ausgangsverfahren – der Erbringer von öffentlichen Busverkehrsleistungen das Recht zum Betreiben der Dienstleistungen erhält, wofür ihm diejenigen, die die Dienstleistung in Anspruch nehmen, als Gegenleistung ein Entgelt entsprechend dem festgesetzten Tarif zahlen.

44      Auch wenn die Art der Vergütung eines der ausschlaggebenden Kriterien für die Einordnung als Dienstleistungskonzession darstellt, ergibt sich aus der Rechtsprechung darüber hinaus, dass bei einer Dienstleistungskonzession der Konzessionär das Betriebsrisiko der in Rede stehenden Dienstleistungen übernimmt. Die fehlende Übertragung des mit der Erbringung der Dienstleistungen verbundenen Risikos auf den Dienstleistungserbringer weist darauf hin, dass es sich bei dem betreffenden Vorgang um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag handelt und nicht um eine Dienstleistungskonzession (vgl. u. a. Urteil Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler, Randnr. 26).

45      Daher ist zu prüfen, ob der Leistungserbringer das Betriebsrisiko übernimmt. Dieses Risiko kann zwar von Beginn an erheblich eingeschränkt sein; für die Einordnung als Dienstleistungskonzession ist allerdings erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber das auf ihm lastende Risiko in vollem Umfang oder zumindest zu einem wesentlichen Teil auf den Konzessionär überträgt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler, Randnr. 29).

46      Es ist nämlich üblich, dass für bestimmte Tätigkeitsbereiche, insbesondere solche, die – wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden – die öffentliche Daseinsvorsorge betreffen, Regelungen gelten, die eine Begrenzung der wirtschaftlichen Risiken bewirken können. Zum einen erleichtert die öffentlich‑rechtliche Ausgestaltung, der die Nutzung der Dienstleistung in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht unterworfen ist, die Kontrolle ihres Betriebs und vermindert die Faktoren, die die Transparenz beeinträchtigen und den Wettbewerb verfälschen können. Zum anderen muss es den redlich handelnden öffentlichen Auftraggebern weiterhin freistehen, Dienstleistungen mittels einer Konzession erbringen zu lassen, wenn sie der Auffassung sind, dass die Erbringung der betreffenden Gemeindienstleistung so am besten sicherzustellen ist, und zwar selbst dann, wenn das mit dem Betrieb verbundene Risiko erheblich eingeschränkt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Eurawasser, Randnrn. 72 bis 74).

47      Der öffentliche Auftraggeber, der keinen Einfluss auf die öffentlich‑rechtliche Ausgestaltung der Dienstleistung hat, kann in solchen Fällen keine Risikofaktoren einführen und daher auch nicht übertragen, die durch diese Ausgestaltung ausgeschlossen sind. Es wäre außerdem nicht sachgerecht, von einer Behörde, die eine Konzession vergibt, zu verlangen, dass sie für einen schärferen Wettbewerb und ein höheres wirtschaftliches Risiko sorgt, als sie in dem betreffenden Sektor aufgrund der für ihn geltenden Regelungen existieren (vgl. Urteil Eurawasser, Randnrn. 75 und 76).

48      Unter dem Betriebsrisiko ist das Risiko zu verstehen, den Unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt zu sein (vgl. in diesem Sinne Urteil Eurawasser, Randnr. 67), das sich im Risiko der Konkurrenz durch andere Wirtschaftsteilnehmer, dem Risiko eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage, dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit derjenigen, die die Bezahlung der erbrachten Dienstleistungen schulden, dem Risiko einer nicht vollständigen Deckung der Betriebsausgaben durch die Einnahmen oder dem Risiko der Haftung für einen Schaden im Zusammenhang mit einem Fehlverhalten bei der Erbringung der Dienstleistung äußern kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler, Randnr. 37).

49      Hingegen sind Risiken, die sich aus einer mangelhaften Betriebsführung oder aus Beurteilungsfehlern des Wirtschaftsteilnehmers ergeben, für die Einordnung eines Vertrags als öffentlichen Dienstleistungsauftrag oder als Dienstleistungskonzession nicht entscheidend, da diese Risiken jedem Vertrag immanent sind, ob es sich dabei um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag oder um eine Dienstleistungskonzession handelt (Urteil Privater Rettungsdienst und Krankentransport Stadler, Randnr. 38).

50      Zwar kann das wirtschaftliche Betriebsrisiko – wie in Randnr. 45 des vorliegenden Urteils ausgeführt – wegen der öffentlich‑rechtlichen Ausgestaltung der Dienstleistung von Beginn an erheblich eingeschränkt sein; für die Einordnung als Dienstleistungskonzession ist allerdings erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber das auf ihm lastende Betriebsrisiko vollständig oder zumindest zu einem wesentlichen Teil auf den Konzessionär überträgt.

51      Den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge sieht die im Ausgangsverfahren anwendbare Regelung vor, dass der Auftraggeber an den Dienstleistungserbringer für die infolge der Erbringung der Dienstleistung entstandenen Verluste einen Ausgleich zahlt und der Dienstleistungserbringer darüber hinaus wegen der öffentlich-rechtlichen Vorschriften und der Vertragsbestimmungen, die die Dienstleistungserbringung regeln, keinen wesentlichen Teil des Betriebsrisikos trägt.

52      Insoweit führt das vorlegende Gericht u. a. aus, dass der Auftraggeber in Anwendung der vertraglichen Bestimmungen im Rahmen des Staatshaushalts Gelder bereitstellt, um dem Beförderungsunternehmer einen Ausgleich für Verluste im Zusammenhang mit der Erbringung des öffentlichen Beförderungsdienstes gewähren zu können, die durch die Erbringung dieses Dienstes sowie die damit verbundenen Kosten abzüglich der Einnahmen des Beförderungsunternehmers aus diesem Dienst entstehen.

53      Ferner erhält der Beförderungsunternehmer gemäß den Art. 2 und 3 des Dekrets Nr. 1226 einen Ausgleich für im Zusammenhang mit der Erfüllung des Vertrags entstandene Verluste, soweit es um folgende Kosten geht: die mit der Erfüllung des Vertrags über öffentliche Beförderungsdienste zusammenhängenden unumgänglichen Kosten, die die Einnahmen übersteigen, die Kosten, die durch die Anwendung der vom Auftraggeber festgelegten Tarife verursacht werden, die Kosten, die dadurch entstehen, dass der Auftraggeber eine Herabsetzung des Beförderungspreises für bestimmte Kategorien von Fahrgästen vorschreibt, und die Kosten, die in Erfüllung der nach der Aufnahme der öffentlichen Beförderungsdienste aufgestellten Anforderungen an die Qualität entstanden sind, soweit diese Kosten die mit den zuvor aufgestellten Qualitätsanforderungen zusammenhängenden Kosten übersteigen.

54      Zudem sieht Art. 40 des Dekrets Nr. 1226 vor, dass dem Auftragnehmer ein Gewinn gezahlt wird, der sich aus der Multiplikation der Einnahmen mit einer prozentualen Gewinnspanne errechnet, die sich durch die Erhöhung des durchschnittlichen Euribor-Satzes während der zwölf Monate des Referenzjahrs um 2,5 % ergibt.

55      In Anbetracht dieser Klauseln und Bestimmungen des nationalen Rechts lässt sich nicht feststellen, dass ein wesentlicher Teil des Risikos, den Unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt zu sein, vom Auftragnehmer getragen wird. Ein solcher Vorgang wäre daher als „Dienstleistungsauftrag“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/17 und nicht als „Dienstleistungskonzession“ im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Buchst. b dieser Richtlinie einzustufen.

56      Allerdings haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof in Bezug auf den Umfang des Risikos, das der Auftragnehmer tatsächlich trägt, entgegengesetzte Standpunkte vertreten. So haben die lettische Regierung und der Beklagte des Ausgangsverfahrens im Gegensatz zu den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens und der Europäischen Kommission geltend gemacht, dass verschiedene Faktoren, wie die Verringerung der öffentlichen Mittel zur Erstattung eventueller Verluste, die fehlende Erstattung bestimmter Arten von Kosten und Verlusten – u. a. im Zusammenhang mit Änderungen von Linien und Streckenverläufen – oder auch die Ungewissheit hinsichtlich der Nachfrage der Benutzer, das Risiko in einer Art und Weise erhöhten, dass ein wesentlicher Teil davon in Wirklichkeit vom Auftragnehmer getragen werde, zumal die Vertragsdauer acht Jahre betrage. Es handele sich somit sehr wohl um eine Dienstleistungskonzession.

57      Es ist nicht Sache des Gerichtshofs, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorgänge konkret zu beurteilen, da diese Beurteilung in die alleinige Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fällt. Die Aufgabe des Gerichtshofs ist darauf beschränkt, dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Auslegung des Unionsrechts zu geben (vgl. u. a. Urteil vom 13. Oktober 2005, Parking Brixen, C‑458/03, Slg. 2005, I‑8585, Randnr. 32).

58      Das nationale Gericht ist allein in der Lage, die Bestimmungen seines nationalen Rechts auszulegen sowie den Anteil des Risikos zu bewerten, den der Auftragnehmer aufgrund der nationalen Rechtsvorschriften und der einschlägigen Vertragsbestimmungen tatsächlich übernimmt. Eine Bewertung des streitigen Vorgangs im Licht der Rechtsvorschriften und Vertragsbestimmungen, wie sie in der Vorlageentscheidung wiedergegeben wurden, spricht jedoch dem ersten Anschein nach dafür, dass der betreffende Vorgang die Merkmale eines Dienstleistungsauftrags aufweist.

59      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2004/17 dahin auszulegen ist, dass ein „Dienstleistungsauftrag“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. d dieser Richtlinie ein Vertrag ist, bei dem der Auftragnehmer nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften und den Vertragsbestimmungen, die die Dienstleistungserbringung regeln, keinen wesentlichen Teil des auf dem öffentlichen Auftraggeber lastenden Risikos übernimmt. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vorgang bei Berücksichtigung seiner gesamten Merkmale als Dienstleistungskonzession oder öffentlicher Dienstleistungsauftrag einzustufen ist.

 Zur zweiten und zur dritten Frage

60      Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13, die ihrem Art. 1 zufolge für Aufträge im Sinne der Richtlinie 2004/17 gilt, in dem Fall, dass der im Ausgangsverfahren streitige Vertrag als „öffentlicher Dienstleistungsauftrag“ im Sinne der Richtlinie 2004/17 einzustufen ist, auf diesen Auftrag anwendbar ist, obwohl der diesen betreffende Vertrag vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66, mit der der genannte Art. 2d Abs. 1 Buchst. b in die Richtlinie 92/13 eingefügt wurde, abgeschlossen wurde, und – falls dies zu bejahen ist – ob die letztgenannte Vorschrift unmittelbar anwendbar ist.

61       Falls, wie die lettische Regierung meint, die Richtlinie 2004/18 anwendbar sein sollte, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist, ist festzustellen, dass Art. 1 der Richtlinie 2007/66 in die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 (ABl. L 209, S. 1) geänderten Fassung Bestimmungen eingefügt hat, die mit denen der Art. 2d und 2f der Richtlinie 92/13 identisch sind, so dass sich die Auslegung der letztgenannten Vorschriften auf die entsprechenden Vorschriften der Richtlinie 89/665 in der vorgenannten Fassung unmittelbar übertragen lässt.

62      Gemäß Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13 tragen die Mitgliedstaaten u. a. dann dafür Sorge, dass ein Vertrag durch eine von dem Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle für unwirksam erklärt wird oder dass sich seine Unwirksamkeit aus der Entscheidung einer solchen Stelle ergibt, wenn er geschlossen wurde, während eine von dem Auftraggeber unabhängige Stelle in erster Instanz gemäß Art. 2 Abs. 3 dieser Richtlinie mit der Nachprüfung einer Zuschlagsentscheidung befasst war, oder sein Abschluss ohne Beachtung der Stillhaltefrist des Art. 2a Abs. 2 dieser Richtlinie erfolgt ist.

63      Ohne dass es erforderlich wäre, die Frage zu prüfen, ob sich ein Einzelner vor den nationalen Gerichten nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 im Verhältnis zu einem öffentlichen Auftraggeber wie dem Beklagten des Ausgangsverfahrens auf Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13 berufen kann, genügt die Feststellung, dass die genannte Bestimmung jedenfalls nicht auf Verträge anwendbar ist, die, wie im Ausgangsverfahren, vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 am 20. Dezember 2009 geschlossen wurden, sofern die Richtlinie nicht vor dem Ablauf dieser Frist umgesetzt wurde.

64      Es steht fest, dass die Entscheidung über den Zuschlag für den streitigen Auftrag am 2. September 2009 getroffen und der streitige Vertrag am 9. Oktober 2009 geschlossen wurde.

65      Der Umstand, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 2f Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13 vorsehen können, dass eine Nachprüfung gemäß Art. 2d Abs. 1 dieser Richtlinie in jedem Fall vor Ablauf einer Frist von „mindestens sechs Monaten, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der Vertrag geschlossen wurde“, beantragt werden muss, erlaubt nicht die Schlussfolgerung, dass Aufträge, die, wie im Ausgangsverfahren, innerhalb von sechs Monaten vor Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 geschlossen wurden, in den Anwendungsbereich von Art. 2f Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie fallen können.

66      Da die Richtlinie 2007/66 keinen Hinweis bezüglich einer Rückwirkung der in Rede stehenden Bestimmung enthält, widerspräche es dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn diese Bestimmung als auf Aufträge anwendbar angesehen würde, die vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung jener Richtlinie geschlossen wurden.

67      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13 auf öffentliche Aufträge, die vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 vergeben wurden, keine Anwendung findet.

 Kosten

68      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste ist dahin auszulegen, dass ein „Dienstleistungsauftrag“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. d dieser Richtlinie ein Vertrag ist, bei dem der Auftragnehmer nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften und den Vertragsbestimmungen, die die Dienstleistungserbringung regeln, keinen wesentlichen Teil des auf dem öffentlichen Auftraggeber lastenden Risikos übernimmt. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vorgang bei Berücksichtigung seiner gesamten Merkmale als Dienstleistungskonzession oder öffentlicher Dienstleistungsauftrag einzustufen ist.

2.      Art. 2d Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor in der durch die Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 geänderten Fassung findet auf öffentliche Aufträge, die vor dem Ablauf der Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2007/66 vergeben wurden, keine Anwendung.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Lettisch.