Rechtssache C‑148/09 P

Königreich Belgien

gegen

Deutsche Post AG

und

DHL International

„Rechtsmittel – Nichtigkeitsklage – Staatliche Beihilfen – Art. 88 Abs. 3 EG – Verordnung (EG) Nr. 659/1999 – Entscheidung der Kommission, keine Einwände zu erheben – Begriff ‚Bedenken‘ – Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“

Leitsätze des Urteils

1.        Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Entscheidung der Kommission, mit der die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, ohne dass das förmliche Prüfungsverfahren eingeleitet wird – Klage der Beteiligten gemäß Art. 88 Abs. 2 EG – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 88 Abs. 2 EG und 230 Abs. 4 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 1 Buchst. h, 4 Abs. 3 und 6 Abs. 1)

2.        Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Entscheidung der Kommission, mit der die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, ohne dass das förmliche Prüfungsverfahren eingeleitet wird – Klage der Beteiligten gemäß Art. 88 Abs. 2 EG – Bestimmung des Klagegegenstands

(Art. 88 Abs. 2 EG und 230 Abs. 4 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 1 Buchst. h, 4 Abs. 3 und 6 Abs. 1)

3.        Staatliche Beihilfen – Beihilfevorhaben – Prüfung durch die Kommission – Vorprüfungsphase und kontradiktorische Prüfungsphase – Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt – Beurteilungsschwierigkeiten – Verpflichtung der Kommission, das kontradiktorische Prüfungsverfahren einzuleiten – Begriff „Bedenken“ – Objektiver Charakter

(Art. 88 Abs. 2 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 4 Abs. 3, 4 Abs. 5 und 6 Abs. 1)

1.        Im Bereich der staatlichen Beihilfen hängt die Rechtmäßigkeit einer auf Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 88 des EG-Vertrags gestützten Entscheidung der Kommission, keine Einwände zu erheben, davon ab, ob Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt bestehen. Da solche Bedenken in die Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens münden müssen, an dem die Beteiligten im Sinne von Art. 1 Buchst. h der genannten Verordnung teilnehmen können, ist davon auszugehen, dass jeder Beteiligte im Sinne dieser letztgenannten Bestimmung von einer solchen Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen ist. Die Personen, denen die Verfahrensgarantien nach Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 zugutekommen, können deren Beachtung nämlich nur durchsetzen, wenn sie die Möglichkeit haben, die Entscheidung, keine Einwände zu erheben, vor dem Unionsrichter anzufechten.

(vgl. Randnr. 54)

2.        Im Bereich der staatlichen Beihilfen kann ein Kläger, der die Entscheidung der Kommission beanstandet, das förmliche Prüfverfahren nicht einzuleiten, jeden Klagegrund anführen, der geeignet ist, zu zeigen, dass die Beurteilung der Informationen und Angaben, über die die Kommission in der Phase der vorläufigen Prüfung der angemeldeten Maßnahme verfügt, Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der fraglichen Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt hätte geben müssen. Der Vortrag solcher Argumente kann aber weder den Gegenstand der Klage noch die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit ändern. Vielmehr liegt im Bestehen von Bedenken hinsichtlich dieser Vereinbarkeit gerade der Nachweis, der zu erbringen ist, um zu zeigen, dass die Kommission verpflichtet war, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 88 des EG-Vertrags zu eröffnen.

Es ist nicht Sache des Unionsrichters, die Klage eines Klägers, der ausschließlich die Begründetheit einer Entscheidung selbst, mit der die Beihilfe beurteilt wird, in Frage stellt, dahin auszulegen, dass mit ihr in Wirklichkeit die Wahrung der vom Kläger aus Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 abgeleiteten Verfahrensrechte bezweckt wird, wenn der Kläger nicht ausdrücklich einen darauf abzielenden Klagegrund vorgebracht hat. In einem solchen Fall würde die Auslegung des Vorbringens tatsächlich zu einer Neubestimmung des Streitgegenstands führen.

(vgl. Randnrn. 55, 58)

3.        Nach Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 88 des EG-Vertrags ist die Kommission, wenn sie nach der vorläufigen Prüfung feststellt, dass das Beihilfevorhaben Anlass zu Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt, verpflichtet, eine Entscheidung über die Eröffnung des in Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen förmlichen Prüfverfahrens zu erlassen.

Da der in Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 659/1999 genannte Begriff „Bedenken“ seinem Wesen nach objektiv ist, ist die Frage, ob solche Bedenken vorgelegen haben, nicht nur anhand der Umstände des Erlasses der angefochtenen Maßnahme, sondern auch anhand der Beurteilung zu prüfen, auf die sich die Kommission gestützt hat.

Was die Dauer und die Umstände des Vorprüfungsverfahrens angeht, trifft es zwar zu, dass eine Dauer, die über die in Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehene Frist von zwei Monaten hinausgeht, und die Zahl der an den betroffenen Mitgliedstaat gerichteten Auskunftsersuchen für sich genommen nicht den Schluss zulassen, dass die Kommission das förmliche Prüfverfahren hätte eröffnen müssen, doch können diese Gesichtspunkte Anhaltspunkte dafür sein, dass die Kommission hinsichtlich der Vereinbarkeit der beanstandeten Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt Bedenken haben konnte.

(vgl. Randnrn. 77, 79, 81)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

22. September 2011(*)

„Rechtsmittel – Nichtigkeitsklage – Staatliche Beihilfen – Art. 88 Abs. 3 EG – Verordnung (EG) Nr. 659/1999 – Entscheidung der Kommission, keine Einwände zu erheben – Begriff ‚Bedenken‘ – Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“

In der Rechtssache C‑148/09 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 24. April 2009,

Königreich Belgien, vertreten durch C. Pochet und T. Materne als Bevollmächtigte im Beistand von J. Meyers, advocaat,

Kläger,

andere Verfahrensbeteiligte:

Deutsche Post AG mit Sitz in Bonn (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte T. Lübbig und J. Sedemund,

DHL International mit Sitz in Diegem (Belgien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte T. Lübbig und J. Sedemund,

Klägerinnen im ersten Rechtszug,

Europäische Kommission, vertreten durch B. Martenczuk und D. Grespan als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter J.‑J. Kasel, A. Borg Barthet, E. Levits (Berichterstatter) und M. Safjan,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. September 2010,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Dezember 2010

folgendes

Urteil

1        Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Königreich Belgien, unterstützt durch die Europäische Kommission, die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 10. Februar 2009, Deutsche Post und DHL International/Kommission (T‑388/03, Slg. 2009, II‑199, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht die Entscheidung der Kommission vom 23. Juli 2003, nach einem Vorprüfungsverfahren gemäß Art. 88 Abs. 3 EG keine Einwände gegen mehrere von den belgischen Behörden zugunsten des belgischen öffentlichen Postunternehmens La Poste SA getroffene Maßnahmen zu erheben (K[2003] 2508 endg., im Folgenden: streitige Entscheidung), für nichtig erklärt hat.

 Rechtlicher Rahmen

2        Die Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88] des EG-Vertrags (ABl. L 83, S. 1) soll nach ihrem zweiten Erwägungsgrund die von der Kommission in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Anwendung von Art. 88 EG entwickelte und festgelegte kohärente Praxis kodifizieren und verstärken.

3        Art. 1 dieser Verordnung sieht vor:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

h)      ‚Beteiligte‘ Mitgliedstaaten, Personen, Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, deren Interessen aufgrund der Gewährung einer Beihilfe beeinträchtigt sein können, insbesondere der Beihilfeempfänger, Wettbewerber und Berufsverbände.“

4        Art. 4 („Vorläufige Prüfung der Anmeldung und Entscheidungen der Kommission“) Abs. 2 bis 4 dieser Verordnung bestimmt:

„(2)      Gelangt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung zu dem Schluss, dass die angemeldete Maßnahme keine Beihilfe darstellt, so stellt sie dies durch Entscheidung fest.

(3)      Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme, insoweit sie in den Anwendungsbereich des Artikels [87] Absatz 1 des Vertrags fällt, keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt, so entscheidet sie, dass die Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist (nachstehend: ‚Entscheidung, keine Einwände zu erheben‘ genannt). In der Entscheidung wird angeführt, welche Ausnahmevorschrift des Vertrags zur Anwendung gelangt ist.

(4)      Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt, so entscheidet sie, das Verfahren nach Artikel [88] Absatz 2 des Vertrags zu eröffnen (nachstehend ‚Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens‘ genannt).“

5        Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 bestimmt:

„Die Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens enthält eine Zusammenfassung der wesentlichen Sach- und Rechtsfragen, eine vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters der geplanten Maßnahme durch die Kommission und Ausführungen über ihre Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt. Der betreffende Mitgliedstaat und die anderen Beteiligten werden in dieser Entscheidung zu einer Stellungnahme innerhalb einer Frist von normalerweise höchstens einem Monat aufgefordert. In ordnungsgemäß begründeten Fällen kann die Kommission diese Frist verlängern.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

6        Die La Poste SA (im Folgenden: La Poste) wurde 1992 in eine öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft umgewandelt, ist aber weiterhin Betreiber des Universalpostdienstes in Belgien und unterliegt spezifischen Verpflichtungen zur Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Die Modalitäten des Ausgleichs der Nettomehrkosten der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind in dem mit dem belgischen Staat geschlossenen Betreibervertrag geregelt.

7        Der Bereich Expresspakete stellt 4 % des Umsatzes von La Poste dar, was einem Marktanteil von 18 % in diesem Bereich entspricht. Die Deutsche Post AG (im Folgenden: Deutsche Post) und ihre belgische Tochtergesellschaft DHL International haben einen Anteil von 35 % bis 45 % an diesem Markt.

8        Mit Schreiben vom 3. Dezember 2002 meldeten die belgischen Behörden bei der Kommission eine geplante Erhöhung des Kapitals von La Poste um 297,5 Mio. Euro an.

9        Am 22. Juli 2003 ersuchten die Klägerinnen die Kommission um Auskunft über den Stand des Verfahrens zur Prüfung der angemeldeten Maßnahme, um sich gegebenenfalls daran zu beteiligen.

10      Am 23. Juli 2003 erließ die Kommission, aus deren Sicht die angemeldete Kapitalerhöhung keine staatliche Beihilfe darstellte, die streitige Entscheidung im Anschluss an das Vorprüfungsverfahren gemäß Art. 88 Abs. 3 EG.

 Verfahren vor der Kommission und streitige Entscheidung

11      Nach drei Besprechungen mit den belgischen Behörden und mehreren Schriftwechseln kam die Kommission zu dem Schluss, dass die von diesen Behörden angemeldete Kapitalerhöhung mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei.

12      Dabei prüfte die Kommission zunächst sechs nicht angemeldete Maßnahmen zugunsten von La Poste nach deren Umwandlung in ein eigenständiges öffentliches Unternehmen, da sie der Ansicht war, dass von ihnen die Rechtmäßigkeit der angemeldeten Kapitalerhöhung abhänge.

13      Die erste Maßnahme bestand in einer Befreiung von der Körperschaftsteuer. Da La Poste von 1992 bis 2002 einen kumulierten Nettoverlust in Höhe von 238,4 Mio. Euro verzeichnet hatte, vertrat die Kommission die Ansicht, dass eine derartige Befreiung keine Übertragung von staatlichen Mitteln zur Folge gehabt habe.

14      Die zweite Maßnahme bestand in der Übertragung von für den Gemeinwohlauftrag notwendigen Immobilien durch den belgischen Staat zugunsten von La Poste im Gegenzug für die Umwandlung einer von La Poste gebildeten Pensionsrückstellung in Höhe von 100 Mio. Euro. Nach Ansicht der Kommission hat diese Maßnahme La Poste keinen Vorteil verschafft.

15      Die dritte Maßnahme bestand in einer staatlichen Garantie für aufgenommene Kredite. Da die Kommission feststellte, dass La Poste diese Garantie nie in Anspruch genommen habe, sah sie darin keine staatliche Beihilfe.

16      Die vierte Maßnahme bestand in einer Befreiung von der Grundsteuer für die einem Gemeinwohlauftrag dienenden Immobilien. Die Kommission befand, dass eine solche Maßnahme eine staatliche Beihilfe darstellen könne.

17      Die fünfte Maßnahme bestand in einer Überkompensation der Finanzdienstleistungen von allgemeinem Interesse für den Zeitraum 1992 bis 1997. Die Kommission befand, dass eine solche Maßnahme eine staatliche Beihilfe darstellen könne.

18      Die sechste Maßnahme bestand in zwei Kapitalerhöhungen vom März und vom Dezember 1997 um insgesamt 62 Mio. Euro, die zum Ausgleich einer unzureichenden Kompensation der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bestimmt waren. Die Kommission befand, dass eine solche Maßnahme eine staatliche Beihilfe darstellen könne.

19      Hinsichtlich der vierten, der fünften und der sechsten nicht angemeldeten Maßnahme sowie der angemeldeten Maßnahme ging die Kommission davon aus, dass diese Maßnahmen, auch wenn sie Elemente staatlicher Beihilfen enthielten, nach Art. 86 Abs. 2 EG mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar seien, da sie keine Überkompensation der Nettomehrkosten der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse enthielten.

20      Abschließend wies die Kommission darauf hin, dass die angemeldete Maßnahme mit einer Kapitalerhöhung um 297,5 Mio. Euro unter den in der Vergangenheit nicht ausgeglichenen Nettomehrkosten der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gelegen habe, so dass sie keine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG darstelle.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

21      Die Klägerinnen erhoben gegen die streitige Entscheidung eine auf sieben Klagegründe gestützte Nichtigkeitsklage. Die Kommission erhob eine Unzulässigkeitseinrede, die darauf gestützt war, dass den Klägerinnen die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse fehlten.

22      Mit Beschluss des Gerichts vom 15. Dezember 2004 ist die Entscheidung über die Zulässigkeit dem Endurteil vorbehalten worden.

23      Hinsichtlich der Zulässigkeit hat das Gericht nacheinander die Klagebefugnis und das Rechtsschutzinteresse der Klägerinnen geprüft.

24      Es hat erstens darauf hingewiesen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Personen, denen die Verfahrensgarantien nach Art. 88 Abs. 2 EG zugutekämen, deren Beachtung nur durchsetzen könnten, wenn sie die Möglichkeit hätten, die aufgrund von Art. 88 Abs. 3 EG getroffene Entscheidung der Kommission, eine Beihilfe ohne Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären, vor dem Unionsrichter anzufechten.

25      In Randnr. 43 des angefochtenen Urteils hat das Gericht hervorgehoben, dass die Personen, denen diese Garantien zugutekämen, die Beteiligten im Sinne von Art. 88 Abs. 2 EG seien, d. h. insbesondere die mit den Empfängern der streitigen Beihilfen konkurrierenden Unternehmen.

26      Unter Hinweis darauf, dass die Klagebefugnis in diesem Zusammenhang nur dann zu bejahen sei, wenn die Beteiligten mit ihrer Klage auf die Wahrung ihrer Verfahrensgarantien abzielten, und nicht, wenn sie die Begründetheit einer aufgrund von Art. 88 Abs. 3 EG getroffenen Entscheidung in Frage stellten, hat das Gericht dann die von den Klägerinnen geltend gemachten Klagegründe geprüft und festgestellt, dass es sich dabei um zwei Arten von Klagegründen handele.

27      Bezüglich der gegen die Begründetheit der streitigen Entscheidung gerichteten Klagegründe hat das Gericht in Randnr. 49 des angefochtenen Urteils die Ansicht vertreten, die Klägerinnen hätten nicht dargetan, dass die Beihilfe, die Gegenstand der streitigen Entscheidung sei, ihre Wettbewerbsstellung auf dem Markt spürbar beeinträchtigt habe. Es hat daher entschieden, dass den Klägerinnen die Klagebefugnis fehle, um die Begründetheit der streitigen Entscheidung in Frage zu stellen.

28      Bezüglich der auf die Wahrung ihrer Verfahrensgarantien gerichteten Klagegründe hat das Gericht in Randnr. 52 des angefochtenen Urteils befunden, dass die Klägerinnen als unmittelbare Wettbewerber von La Poste Beteiligte im Sinne von Art. 88 Abs. 2 EG seien. Insoweit hat das Gericht zum einen in Randnr. 55 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass mit dem zweiten Klagegrund ausdrücklich die Verletzung der Verfahrensrechte der Klägerinnen geltend gemacht werde. Zum anderen ist es in Randnr. 56 dieses Urteils davon ausgegangen, dass der dritte, der vierte, der fünfte und der siebte Klagegrund Gesichtspunkte enthielten, die den zweiten Klagegrund stützten. Demzufolge hat es die Klagebefugnis der Klägerinnen bejaht und den zweiten Klagegrund und das Vorbringen zu dessen Stützung für zulässig erklärt.

29      Das Gericht hat zweitens in Randnr. 62 des angefochtenen Urteils entschieden, dass die Klägerinnen als Beteiligte im Sinne von Art. 88 Abs. 2 EG ein Interesse an der Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung hätten, da die Kommission im Fall einer solchen Nichtigerklärung das förmliche Prüfverfahren eröffnen müsste.

30      Daher hat das Gericht die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückgewiesen.

31      In der Sache hat das Gericht zunächst ausgeführt, dass der Begriff der ernsthaften Schwierigkeiten, bei deren Vorliegen die Kommission im Rahmen der Prüfung einer Beihilfe das förmliche Verfahren eröffnen müsse, seinem Wesen nach objektiv sei, und dann in den Randnrn. 96 bis 107 des angefochtenen Urteils die Anhaltspunkte genannt, die vom Vorliegen solcher ernsthaften Schwierigkeiten bei der Prüfung einer Beihilfe zeugten, nämlich die Dauer und die Umstände der Prüfung, die Unzulänglichkeit und Unvollständigkeit der Prüfung und den Inhalt der streitigen Entscheidung.

32      Erstens hat das Gericht zunächst festgestellt, dass zwischen der Anmeldung der Beihilfe und dem Erlass der streitigen Entscheidung sieben Monate vergangen seien, d. h. ein weit längerer Zeitraum als die in Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 659/1999 für die Dauer der vorläufigen Prüfung vorgesehenen zwei Monate.

33      Sodann sei es in dem Verfahren zu drei Besprechungen der belgischen Behörden mit der Kommission und zu mehreren Auskunftsersuchen gekommen, in denen die Kommission es nicht versäumt habe, die Komplexität des Vorgangs und den ihr obliegenden breiten Untersuchungsumfang zu betonen, wobei für sie die Vereinbarkeit der angemeldeten Maßnahme von der der sechs nicht angemeldeten Maßnahmen abhing.

34      Schließlich hat das Gericht in Randnr. 103 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Kommission in Bezug auf die Rechtsgrundlage für den Erlass der streitigen Entscheidung unentschieden gewesen sei, ob sie als Grundlage für ihr Vorgehen Art. 87 EG wählen oder es auf Art. 86 Abs. 2 EG stützen solle.

35      Das Gericht hat daraus in Randnr. 106 des angefochtenen Urteils den Schluss gezogen, dass das von der Kommission durchgeführte Verfahren beträchtlich über das für eine erste Prüfung im Rahmen von Art. 88 Abs. 3 EG Übliche hinausgegangen sei.

36      Zweitens hat das Gericht geprüft, ob sich auch aus dem Inhalt der angefochtenen Entscheidung Anhaltspunkte dafür ergäben, dass die Kommission bei der Prüfung der fraglichen Maßnahmen möglicherweise auf ernsthafte Beurteilungsschwierigkeiten gestoßen sei.

37      In diesem Zusammenhang hat das Gericht zum einen festgestellt, dass die von der Kommission durchgeführte Prüfung der zweiten nicht angemeldeten Maßnahme zugunsten von La Poste, nämlich die Umwandlung der Pensionsrückstellung, unzulänglich sei, da die Kommission nicht über die notwendigen Informationen verfügt habe, um zu beurteilen, welcher Vorteil aus der unentgeltlichen Überlassung von Immobilien durch den belgischen Staat entstanden sei.

38      Zum anderen hat das Gericht darauf hingewiesen, dass nach Randnr. 93 des nach Erlass der streitigen Entscheidung verkündeten Urteils vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C‑280/00, Slg. 2003, I‑7747), die Kommission prüfen müsse, ob die vom Staat kompensierten Kosten der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse den Kosten eines durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens entsprächen oder unter diesen Kosten lägen („Benchmarking“‑Kriterium), und sodann festgestellt, dass im vorliegenden Fall eine solche Nachprüfung nicht vorgenommen worden sei. Es hat daraus deshalb den Schluss gezogen, dass die Prüfung der angemeldeten Maßnahme unvollständig sei.

39      Daher hat das Gericht die streitige Entscheidung für nichtig erklärt.

 Verfahren vor dem Gerichtshof

40      Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Königreich Belgien, unterstützt durch die Kommission,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben und

–        Deutsche Post und DHL International die Kosten aufzuerlegen.

41      Deutsche Post und DHL International beantragen,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        dem Königreich Belgien und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

42      Das Königreich Belgien stützt sein Rechtsmittel auf drei Gründe, nämlich erstens eine falsche Bewertung der Umstände des Falles, zweitens einen Rechtsfehler des Gerichts und drittens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit. Die Kommission unterstützt die Anträge des Königreichs Belgien und macht darüber hinaus als eigenständigen Rechtsmittelgrund einen Verstoß des Gerichts gegen Art. 230 Abs. 4 EG geltend.

43      Zunächst sind die Rechtsmittelgründe zu prüfen, mit denen das Königreich Belgien und die Kommission die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage durch das Gericht und die Beurteilung bestimmter Klagegründe, denen das Gericht stattgegeben hat, beanstanden.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund und zum eigenständigen Rechtsmittelgrund der Kommission

 Vorbringen der Parteien

44      Das Königreich Belgien macht geltend, das Gericht habe den vierten und den siebten Klagegrund rechtsfehlerhaft für zulässig erklärt, obgleich die Klägerinnen mit diesen Klagegründen die Begründetheit der streitigen Entscheidung in Frage gestellt hätten.

45      Nach Ansicht der Kommission hat das Gericht gegen Art. 230 Abs. 4 EG verstoßen, indem es die Klage mit der Begründung für zulässig erklärt habe, dass sich die Klägerinnen auf die Wahrung ihrer aus Art. 88 Abs. 2 EG hergeleiteten Verfahrensgarantien berufen hätten. Ein solches Begehren ergebe sich nämlich aus keinem der von den Klägerinnen vorgetragenen Klagegründe, so dass der Gerichtshof das angefochtene Urteil auf dieser Grundlage von Amts wegen aufzuheben habe.

46      Außerdem habe das Gericht damit vorab über die Frage der Rechtmäßigkeit der beanstandeten Beihilfe entschieden.

47      Deutsche Post und DHL International machen zunächst die Unzulässigkeit des eigenständigen Rechtsmittelgrundes der Kommission geltend.

48      Zur Begründetheit führen sie aus, dass sich das Gericht darauf beschränkt habe, alle relevanten Gesichtspunkte zu berücksichtigen, um das eventuelle Vorliegen ernsthafter Schwierigkeiten zu beurteilen. Außerdem gehe die Kommission fehl in der Annahme, dass der die Wahrung der Verfahrensrechte betreffende Grund im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sei. Die Klägerinnen führen hierzu die verschiedenen auf diese Problematik Bezug nehmenden Passagen ihrer Klageschrift an.

 Würdigung durch den Gerichtshof

–       Zulässigkeit des eigenständigen Rechtsmittelgrundes der Kommission

49      Zunächst ist zu prüfen, ob der auf einen Verstoß des Gerichts gegen Art. 230 Abs. 4 EG gestützte eigenständige Rechtsmittelgrund der Kommission vor dem Gerichtshof zulässig ist.

50      Insoweit ist zu beachten, dass nach Art. 56 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs ein Rechtsmittel von einer Partei eingelegt werden kann, die mit ihren Anträgen bei dem Gericht ganz oder teilweise unterlegen ist. Da die Kommission Beklagte vor dem Gericht war, kann sie nach Art. 115 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs gemäß den in § 2 dieses Artikels und in Art. 116 dieser Verfahrensordnung genannten Anforderungen binnen zwei Monaten nach Zustellung der Rechtsmittelschrift eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen.

51      Folglich ist der eigenständige Rechtsmittelgrund der Kommission zulässig.

–       Zur Begründetheit

52      In der Sache macht die Kommission einen Verstoß gegen Art. 230 Abs. 4 EG geltend, da das Gericht künstlich aus dem Vorbringen in der Klageschrift einen auf die Verletzung von Verfahrensrechten gestützten Klagegrund geschaffen und dadurch eine Umdeutung der gegen die Begründetheit der streitigen Entscheidung gerichteten Klage vorgenommen habe. Das Königreich Belgien macht ebenfalls geltend, die Klägerinnen hätten mit ihrem vierten und ihrem siebten Klagegrund ausschließlich die Begründetheit dieser Entscheidung in Frage gestellt, so dass das Gericht zu Unrecht diese Klagegründe für zulässig erklärt habe.

53      Was erstens die Rüge eines Verstoßes gegen die Voraussetzungen von Art. 230 Abs. 4 EG betrifft, ist vorab darauf hinzuweisen, dass Art. 4 der Verordnung Nr. 659/1999 eine vorläufige Prüfung angemeldeter Beihilfemaßnahmen einführt, die es der Kommission ermöglichen soll, sich eine erste Meinung über die Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu bilden. Am Ende dieses Verfahrens stellt die Kommission fest, dass die fragliche Maßnahme entweder keine Beihilfe darstellt oder in den Anwendungsbereich von Art. 87 Abs. 1 EG fällt. Im letztgenannten Fall kann die Maßnahme keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt geben oder aber im Gegenteil solche Bedenken aufwerfen. (Urteil vom 24. Mai 2011, Kommission/Kronoply und Kronotex, C‑83/09 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 43).

54      Im vorliegenden Fall ist die streitige Entscheidung eine auf Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 gestützte Entscheidung, keine Einwände zu erheben, deren Rechtmäßigkeit davon abhängt, ob Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt bestehen. Da solche Bedenken in die Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens münden müssen, an dem die Beteiligten im Sinne von Art. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 659/1999 teilnehmen können, ist davon auszugehen, dass jeder Beteiligte im Sinne dieser letztgenannten Bestimmung von einer solchen Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen ist. Die Personen, denen die Verfahrensgarantien nach Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 zugutekommen, können deren Beachtung nämlich nur durchsetzen, wenn sie die Möglichkeit haben, die Entscheidung, keine Einwände zu erheben, vor dem Unionsrichter anzufechten (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Kronoply und Kronotex, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Beantragt ein Kläger die Nichtigerklärung der Entscheidung, keine Einwände zu erheben, rügt er damit im Wesentlichen, dass die Kommission die Entscheidung über die fragliche Beihilfe ohne Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens getroffen und dadurch seine Verfahrensrechte verletzt habe. Um mit seiner Klage durchzudringen, kann der Kläger jeden Klagegrund anführen, der geeignet ist, zu zeigen, dass die Beurteilung der Informationen und Angaben, über die die Kommission in der Phase der vorläufigen Prüfung der angemeldeten Maßnahme verfügt, Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der fraglichen Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt hätte geben müssen. Der Vortrag solcher Argumente kann aber weder den Gegenstand der Klage noch die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit ändern. Vielmehr liegt im Bestehen von Bedenken hinsichtlich dieser Vereinbarkeit gerade der Nachweis, der zu erbringen ist, um zu zeigen, dass die Kommission verpflichtet war, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 zu eröffnen (vgl. Urteil Kommission/Kronoply und Kronotex, Randnr. 59).

56      Anhand dieser Grundsätze ist die vom Gericht vorgenommene Würdigung der Zulässigkeit der im Rahmen der Nichtigkeitsklage geltend gemachten Klagegründe zu prüfen.

57      Im vorliegenden Fall hat das Gericht in Randnr. 45 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass mit dem zweiten Klagegrund ein Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EG gerügt werde, der darin liege, dass die Kommission beschlossen habe, das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG nicht zu eröffnen, obwohl sie bei der Beurteilung der Vereinbarkeit der beanstandeten Maßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt auf ernsthafte Schwierigkeiten gestoßen sei.

58      Das Gericht hat daher in Randnr. 54 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass es nicht Sache des Unionsrichters sei, die Klage eines Klägers, der ausschließlich die Begründetheit einer Entscheidung selbst, mit der die Beihilfe beurteilt werde, in Frage stelle, dahin auszulegen, dass mit ihr in Wirklichkeit die Wahrung der vom Kläger aus Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 abgeleiteten Verfahrensrechte bezweckt werde, wenn der Kläger nicht ausdrücklich einen darauf abzielenden Klagegrund vorgebracht habe. In einem solchen Fall würde die Auslegung des Vorbringens tatsächlich zu einer Neubestimmung des Streitgegenstands führen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. November 2007, Stadtwerke Schwäbisch Hall u. a./Kommission, C‑176/06 P, Randnr. 25, und Kommission/Kronoply und Kronotex, Randnr. 55).

59      Unter diesen Umständen ist das Gericht in Randnr. 55 des angefochtenen Urteils zu dem Schluss gelangt, dass die Klägerinnen mit ihrem zweiten Klagegrund ausdrücklich geltend gemacht hätten, dass die von ihnen aus Art. 88 Abs. 2 EG hergeleiteten Verfahrensrechte beim Erlass der streitigen Entscheidung verletzt worden seien.

60      Damit hat das Gericht aber keinen Rechtsfehler begangen.

61      Zum einen ist nämlich unstreitig, dass Gegenstand der Klage tatsächlich die Nichtigerklärung einer Entscheidung der Kommission ist, das in Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehene förmliche Prüfverfahren nicht einzuleiten.

62      Zum anderen gehen zwar aus der Klageschrift die Klagegründe und insbesondere ein eindeutig identifizierbarer Klagegrund, der auf die Wahrung ihrer Verfahrensrechte aus Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 gestützt wäre, nicht besonders deutlich hervor, doch machen die Klägerinnen nach dem Wortlaut der Klageschrift geltend, dass ihnen aufgrund der Nichteinleitung des Prüfungsverfahrens die Verfahrensgarantien nicht zugutegekommen seien, auf die sie nach diesen Bestimmungen Anspruch hätten, und tragen ferner Argumente vor, mit denen dargetan werden soll, dass die Kommission das in diesen Bestimmungen vorgesehene Verfahren hätte durchführen müssen.

63      Daher hat das Gericht zu Recht die Auffassung vertreten, dass die Klageschrift einen Klagegrund enthalten habe, mit dem die Klägerinnen die sich aus Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 ergebenden Verfahrensrechte verteidigen wollten, ohne dass es damit gegen Art. 230 Abs. 4 EG verstoßen hätte.

64      Zweitens kann dem Gericht nicht vorgeworfen werden, im Rahmen des zweiten Klagegrundes die Bestandteile der Klageschrift berücksichtigt zu haben, mit denen dargetan werden soll, dass der Kommission Bedenken an der Vereinbarkeit der beanstandeten Maßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt hätten kommen müssen.

65      Insoweit hat das Gericht in Randnr. 45 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Klägerinnen mit dem vierten und dem siebten Klagegrund der Kommission vorgeworfen hätten, die beanstandeten Maßnahmen unzureichend oder unvollständig geprüft zu haben. Daher hat das Gericht nach der Feststellung in Randnr. 52 des angefochtenen Urteils, dass die Klägerinnen als unmittelbare Wettbewerber von La Poste auf dem Markt für die Expresszustellung von Paketen lediglich als Beteiligte im Sinne von Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 659/1999 klagebefugt seien, in Randnr. 69 des angefochtenen Urteils zu Recht angenommen, dass es u. a. den vierten und den siebten Klagegrund prüfen könne, soweit mit ihnen dargetan werden solle, dass die Kommission das förmliche Prüfverfahren hätte einleiten müssen.

66      Daher kann dem Gericht auch nicht vorgeworfen werden, Klagegründe für zulässig erklärt zu haben, mit denen die Klägerinnen vorgetragen hätten, dass die Kommission einen Fehler begangen habe, indem sie die geprüften Maßnahmen nicht als staatliche Beihilfen angesehen habe. Das Gericht hat vielmehr diese Klagegründe in Randnr. 67 des angefochtenen Urteils ausdrücklich für unzulässig erklärt.

67      Daher sind der zweite Rechtsmittelgrund des Königreichs Belgien und der eigenständige Rechtsmittelgrund der Kommission als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum ersten und zum dritten Rechtsmittelgrund

 Vorbringen der Parteien

68      Das Königreich Belgien macht mit seinem ersten Rechtsmittelgrund geltend, das Gericht habe eine falsche Bewertung der Umstände des Falles vorgenommen.

69      Was im vorliegenden Fall die Umstände betreffe, unter denen das Prüfungsverfahren abgelaufen sei, habe der vom Gericht herangezogene Bezugszeitraum von zwei Monaten nur Hinweischarakter, so dass seine Überschreitung nicht ohne Weiteres bedeuten könne, dass die Kommission auf ernsthafte Schwierigkeiten gestoßen sei. Die Kommission fügt hinzu, die Dauer der vorläufigen Prüfung sei unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht übermäßig lang gewesen.

70      Außerdem hat nach Ansicht des Königreichs Belgien das Gericht es unterlassen, einen Zusammenhang zwischen dem weiten Untersuchungsfeld, das die Prüfung der beanstandeten Maßnahmen erfordert habe, sowie der offenbaren Komplexität der Prüfung und dem Vorliegen ernsthafter Schwierigkeiten herzustellen. Nach Auffassung der Kommission haben tatsächliche Schwierigkeiten nicht notwendigerweise ernsthafte Schwierigkeiten zur Folge.

71      Das Königreich Belgien betont schließlich, die Unentschiedenheit in Bezug auf die Rechtsgrundlage zeuge eher von der Wahlfreiheit der Kommission beim Abschluss des Vorgangs als von ernsthaften Schwierigkeiten. Die Kommission macht geltend, die abschließende Entscheidung wäre unabhängig von der Rechtsgrundlage die gleiche gewesen.

72      Hinsichtlich des Inhalts der streitigen Entscheidung ist das Königreich Belgien der Ansicht, das Gericht sei, als es sich mit der Frage befasst habe, ob die beanstandeten Maßnahmen hinreichend geprüft worden seien, zu einem in der Sache anderen Ergebnis gekommen als die Kommission. Dies erlaube jedoch nicht den Schluss, dass ernsthafte Schwierigkeiten vorgelegen hätten. Jedenfalls könne ein derartiger Umstand nicht zu der Annahme führen, dass die von der Kommission durchgeführte Prüfung unvollständig sei.

73      Darüber hinaus machen das Königreich Belgien und die Kommission mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund geltend, das Gericht habe gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen, indem es das vierte Kriterium des Urteils Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg rückwirkend angewandt habe.

74      Die Kommission macht darüber hinaus geltend, die Prüfung des im Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg entwickelten „Benchmarking“‑Kriteriums sei im Rahmen der Kontrolle der Wahrung der in Art. 88 Abs. 2 EG vorgesehenen Verfahrensgarantien nicht relevant.

75      Deutsche Post und DHL International sind allgemein der Ansicht, dass die im Zusammenhang mit der Privatisierung von staatlichen Postunternehmen eingeleiteten Prüfungsverfahren der Kommission von dieser traditionell im Rahmen eines förmlichen Prüfverfahrens behandelt würden. Solche Vorgänge seien nämlich durch komplexe tatsächliche Zusammenhänge gekennzeichnet, die notwendigerweise das Vorliegen ernsthafter Schwierigkeiten zur Folge hätten.

76      Die Klägerinnen weisen insbesondere zunächst darauf hin, dass die Kommission selbst im Prüfungsverfahren die Komplexität des ihr vorgelegten Vorgangs betont habe. Ferner sei das Königreich Belgien eine Erwiderung auf die Feststellungen des Gerichts schuldig geblieben, wonach die Kommission nicht über alle Sachinformationen verfügt habe, um die Übertragung der Immobilien und die Umwandlung der Pensionsrückstellung zu prüfen. Schließlich habe das „Benchmarking“ der Kosten der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne des vierten Kriteriums des Urteils Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg zum damaligen Zeitpunkt einer Erwartung – insbesondere seitens der Kommission selbst – entsprochen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

77      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wenn sie nach der vorläufigen Prüfung feststellt, dass die beanstandete Maßnahme Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt, nach Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 659/1999 verpflichtet ist, eine Entscheidung über die Eröffnung des in Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen förmlichen Prüfverfahrens zu erlassen (vgl. Urteil Kommission/Kronoply und Kronotex, Randnr. 46).

78      Im vorliegenden Fall ist die streitige Entscheidung eine auf Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 gestützte Entscheidung, keine Einwände zu erheben, deren Rechtmäßigkeit davon abhängt, ob Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der betreffenden Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt bestehen.

79      Da der in Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 659/1999 genannte Begriff „Bedenken“ seinem Wesen nach objektiv ist, ist die Frage, ob solche Bedenken vorgelegen haben, nicht nur anhand der Umstände des Erlasses der angefochtenen Maßnahme, sondern auch anhand der Beurteilung zu prüfen, auf die sich die Kommission gestützt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. April 2009, Bouygues und Bouygues Télécom/Kommission, C‑431/07 P, Slg. 2009, I‑2665, Randnr. 63).

80      Im vorliegenden Fall hat das Gericht zunächst die Dauer und die Umstände des Vorprüfungsverfahrens in den Randnrn. 96 bis 107 des angefochtenen Urteils geprüft. Sodann hat es im Rahmen der Prüfung des Inhalts der streitigen Entscheidung zum einen in den Randnrn. 108 bis 110 dieses Urteils die Unzulänglichkeit der Prüfung in Bezug auf die Umwandlung der Pensionsrückstellung festgestellt und zum anderen in den Randnrn. 111 bis 117 dieses Urteils die Unvollständigkeit der Prüfung in Bezug auf die Kosten der Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. In Randnr. 118 des angefochtenen Urteils ist das Gericht schließlich zu dem Ergebnis gelangt, dass alle diese Gesichtspunkte objektive und übereinstimmende Anhaltspunkte darstellten, die bestätigten, dass die Kommission das förmliche Prüfverfahren hätte eröffnen müssen.

81      Was erstens die Dauer und die Umstände des Vorprüfungsverfahrens angeht, trifft es zwar zu, dass eine Dauer, die über die in Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehene Frist von zwei Monaten hinausgeht, und die Zahl der an die belgischen Behörden gerichteten Auskunftsersuchen für sich genommen nicht den Schluss zulassen, dass die Kommission das förmliche Prüfverfahren hätte eröffnen müssen, doch können diese Gesichtspunkte, wie das Gericht in Randnr. 106 des angefochtenen Urteils hervorgehoben hat, Anhaltspunkte dafür sein, dass die Kommission hinsichtlich der Vereinbarkeit der beanstandeten Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt Bedenken haben konnte.

82      Insoweit ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass die Kommission sechs nicht angemeldete, zwischen 1992 und 1997 erlassene Maßnahmen prüfen musste, um die angemeldete Maßnahme für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären.

83      Was zweitens den Inhalt der streitigen Entscheidung angeht, hat das Gericht insbesondere darauf verwiesen, dass er von einer unzulänglichen Prüfung der beanstandeten Maßnahmen zeuge.

84      So hat das Gericht in Randnr. 109 des angefochtenen Urteils die Auffassung vertreten, die Kommission habe die streitige Entscheidung erlassen, ohne über Informationen zu verfügen, anhand deren sie den Vorteil hätte beurteilen können, der aus der unentgeltlichen Überlassung von Immobilien im Gegenzug für die Umwandlung der Pensionsrückstellung entstanden sei.

85      Insofern ergibt sich aus der streitigen Entscheidung, dass La Poste zur Deckung der Versorgungsansprüche ihrer verbeamteten Mitarbeiter 1992 bei ihrer Umwandlung in ein eigenständiges Unternehmen eine Rückstellung in Höhe von 100 Mio. Euro gebildet hatte, die 1997 umgewandelt wurde. Die Gegenleistung für diese Rückstellung bestand in der Übertragung von für den Gemeinwohlauftrag notwendigen Immobilien.

86      Unter diesen Umständen hat das Gericht zu Recht angenommen, dass die Kommission genauere Angaben von den belgischen Behörden hätte verlangen müssen, insbesondere in Bezug auf den Wert des Immobilienbestands, der La Poste unentgeltlich vom belgischen Staat überlassen wurde.

87      Dem Gericht kann nämlich nicht vorgeworfen werden, dass es in einem solchen Umstand einen möglichen Anhaltspunkt dafür gesehen hat, dass die Kommission hinsichtlich der Vereinbarkeit der beanstandeten Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt hätte Bedenken haben müssen. Es ist in der Tat nicht ausgeschlossen, dass je nach dem Wert der überlassenen Immobilien La Poste aus dieser Maßnahme einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil zieht, der eine staatliche Beihilfe darstellt. Um sich jedoch vom Gegenteil zu überzeugen, hätte die Kommission zumindest über Schätzungen hinsichtlich des finanziellen Vorteils verfügen müssen, den diese Überlassung für La Poste darstellt.

88      Was den auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit gestützten dritten Rechtsmittelgrund angeht, ist darauf hinzuweisen, dass, wie aus den Randnrn. 81 und 87 des vorliegenden Urteils hervorgeht, in der vom Gericht vorgenommenen Prüfung der Umstände des Erlasses und des Inhalts der streitigen Entscheidung die Bedenken aufgezeigt wurden, die die Kommission hinsichtlich der Vereinbarkeit der angemeldeten Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt hätte haben müssen und die ausreichen, um die Schlussfolgerung zu untermauern, dass die Kommission das in Art. 88 Abs. 2 EG und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehene förmliche Prüfverfahren hätte einleiten müssen.

89      Daher ist dieser Rechtsmittelgrund nicht zu prüfen.

90      Aufgrund dessen ist der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet und der dritte als irrelevant zurückzuweisen.

91      Folglich ist das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen.

 Kosten

92      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der gemäß Art. 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien und die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Das Königreich Belgien und die Europäische Kommission tragen die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.