Rechtssache C‑48/07
État belge – Service public fédéral Finances
gegen
Les Vergers du Vieux Tauves SA
(Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel de Liège)
„Körperschaftsteuer – Richtlinie 90/435/EWG – Muttergesellschaft – Kapitalbeteiligung – Nießbrauch an Gesellschaftsanteilen“
Leitsätze des Urteils
1. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen – Auslegungsersuchen aufgrund der Anwendbarkeit der in nationales Recht umgesetzten Bestimmungen einer Richtlinie auf rein innerstaatliche Sachverhalte
(Art. 234 EG)
2. Rechtsangleichung – Gemeinsames Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten – Richtlinie 90/435 – Geltungsbereich – Muttergesellschaft – Begriff
(EG-Vertrag, Richtlinie 90/435 des Rates, Art. 3)
1. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs erstreckt sich grundsätzlich auf eine Gemeinschaftsbestimmungen betreffende Frage in Fällen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zwar nicht in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, in denen diese Bestimmungen aber durch das nationale Recht für anwendbar erklärt worden sind.
Wenn sich auch das vorlegende Gericht im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens insoweit nicht explizit dazu äußert, ob und in welchem Umfang es an das Urteil des Gerichtshofs für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits gebunden wäre, führt jedoch der Umstand, dass sich dieses Gericht mit einer Frage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof gewandt hat und dass es in dieser Frage ein Verhältnis zwischen der fraglichen nationalen Regelung und dem Gemeinschaftsrecht herstellt, dazu, dieses Gericht als an dieses Urteil gebunden anzusehen. Wenn die dem Gerichtshof in diesem Zusammenhang vorgetragenen Erklärungen keine objektiven Angaben enthalten, mit denen offensichtlich dargetan würde, dass dies nicht der Fall wäre, kann das Vorbringen, dass die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts nur einen der bei der Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigenden Gesichtspunkte darstelle und dass das vorlegende Gericht daher an das Urteil des Gerichtshofs nicht gebunden sei, die Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht in Frage stellen.
Im Übrigen steht der Umstand allein, dass sich die vom vorlegenden Gericht einer Vorschrift des nationalen Rechts zur Umsetzung einer Richtlinie zu gebende Auslegung nicht ausschließlich aus dem vom Gerichtshof zu erlassenden Urteil ergibt, dessen Zuständigkeit zur Entscheidung über die Vorlagefrage nicht entgegen. Im Rahmen der in Art. 234 EG vorgesehenen Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof kann dieser in seiner Antwort an das vorlegende Gericht nämlich nicht die allgemeine Systematik der Vorschriften des nationalen Rechts berücksichtigen, die zugleich mit der Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht den Umfang dieser Verweisung festlegen. Für die Berücksichtigung der Grenzen, die der nationale Gesetzgeber der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf rein innerstaatliche Sachverhalte setzen wollte, gilt nämlich das nationale Recht, so dass dafür ausschließlich die Gerichte des betreffenden Mitgliedstaats zuständig sind. Dagegen kann das vorlegende Gericht hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts innerhalb der Grenzen der Verweisung des nationalen Rechts auf das Gemeinschaftsrecht nicht von der Auslegung des Gerichtshofs abweichen.
(vgl. Randnrn. 21, 23, 25-27)
2. Der Begriff des Anteils am Kapital einer Gesellschaft eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 90/435 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten umfasst nicht den Nießbrauch an Anteilen. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435 schreibt nämlich für die Anerkennung einer Gesellschaft als Muttergesellschaft vor, dass diese Gesellschaft einen Anteil am Kapital einer anderen Gesellschaft besitzt. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie gilt als „Tochtergesellschaft“ die Gesellschaft, an deren Kapital dieser Anteil gehalten wird. Daraus folgt, dass der Begriff des „Anteils am Kapital“ im Sinne von Art. 3 auf das zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft bestehende Rechtsverhältnis verweist. Aus dem Wortlaut von Art. 3 folgt daher, dass er sich nicht auf den Fall bezieht, in dem die Muttergesellschaft einem Dritten, im vorliegenden Fall einem Nießbraucher, eine Rechtsstellung gegenüber der Tochtergesellschaft einräumt, aufgrund deren dieser Dritte ebenfalls als Muttergesellschaft angesehen werden könnte.
Wenn ein Mitgliedstaat jedoch zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der bezogenen Dividenden sowohl die Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer anderen gebietsansässigen Gesellschaft bezieht, an der sie Anteile in Volleigentum hält, als auch die Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer anderen gebietsansässigen Gesellschaft bezieht, an der sie Anteile im Nießbrauch hält, von der Steuer befreit, muss er gemäß den vom EG‑Vertrag garantierten, für grenzüberschreitende Sachverhalte geltenden Verkehrsfreiheiten für die Zwecke der Steuerbefreiung der bezogenen Dividenden dieselbe steuerliche Behandlung den Dividenden zuteil werden lassen, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft bezieht, an der sie Anteile in Volleigentum hält, und solchen Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft bezieht, die Anteile in Nießbrauch hält.
(vgl. Randnrn. 38, 49 und Tenor)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
22. Dezember 2008(*)
„Körperschaftsteuer – Richtlinie 90/435/EWG – Muttergesellschaft – Kapitalbeteiligung – Nießbrauch an Gesellschaftsanteilen“
In der Rechtssache C‑48/07
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour d’appel de Liège (Belgien) mit Entscheidung vom 31. Januar 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Februar 2007, in dem Verfahren
État belge – Service public fédéral Finances
gegen
Les Vergers du Vieux Tauves SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter), E. Juhász, G. Arestis und J. Malenovský,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Februar 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Les Vergers du Vieux Tauves SA, vertreten durch L. Herve und O. Robijns, avocats,
– der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von G. Vandersanden, avocat,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
– der griechischen Regierung, vertreten durch K. Georgiadis, I. Pouli, Z. Chatzipavlou und S. Alexandridou als Bevollmächtigte,
– der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigten,
– der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J. C. Gracia als Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
– der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und D. J. M. de Grave als Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch V. Jackson als Bevollmächtigte im Beistand von K. Bacon, Barrister,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und J.‑P. Keppenne als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 3. Juli 2008
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter‑ und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Les Vergers du Vieux Tauves SA (im Folgenden: VVT) und dem État belge – Service public fédéral Finances (Belgischer Staat − föderaler öffentlicher Dienst für Finanzen) in Bezug auf die steuerliche Behandlung der von der NARDA SA (im Folgenden: NARDA) an VVT ausgeschütteten Dividenden durch die Behörden des Königreichs Belgien.
Rechtlicher Rahmen
Die Richtlinie 90/435
3 Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 90/435 lautet:
„Die für die Beziehungen zwischen Mutter‑ und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten geltenden Steuerbestimmungen weisen von einem Staat zum anderen erhebliche Unterschiede auf und sind im Allgemeinen weniger günstig als die auf die Beziehung zwischen Mutter‑ und Tochtergesellschaften desselben Mitgliedstaats anwendbaren Bestimmungen. Die Zusammenarbeit von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten wird auf diese Weise gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats benachteiligt. Diese Benachteiligung ist durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems zu beseitigen, wodurch Zusammenschlüsse von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene erleichtert werden.“
4 Die Art. 3 und 4 dieser Richtlinie bestimmen:
„Artikel 3
(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als
a) ‚Muttergesellschaft‘ wenigstens jede Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen des Artikels 2 erfüllt und die einen Anteil von wenigstens 25 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats, die die gleichen Bedingungen erfüllt, besitzt;
b) ‚Tochtergesellschaft‘ die Gesellschaft, an deren Kapital eine andere Gesellschaft den unter Buchstabe a) genannten Anteil besitzt.
(2) Abweichend von Absatz 1 haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit,
– durch bilaterale Vereinbarung als Kriterium die Stimmrechte statt des Kapitalanteils vorzusehen;
– von dieser Richtlinie ihre Gesellschaften auszunehmen, die nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren im Besitz einer Beteiligung bleiben, aufgrund deren sie als Muttergesellschaften gelten, oder an denen eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren eine solche Beteiligung hält.
Artikel 4
(1) Bezieht eine Muttergesellschaft als Teilhaberin ihrer Tochtergesellschaft Gewinne, die nicht anlässlich der Liquidation der Tochtergesellschaft ausgeschüttet werden, so
– besteuert der Staat der Muttergesellschaft diese Gewinne entweder nicht oder
…
(2) Jeder Mitgliedstaat kann bestimmen, dass Kosten der Beteiligung an der Tochtergesellschaft und Minderwerte, die sich aufgrund der Ausschüttung ihrer Gewinne ergeben, nicht vom steuerpflichtigen Gewinn der Muttergesellschaft abgesetzt werden können. Wenn in diesem Fall die mit der Beteiligung zusammenhängenden Verwaltungskosten pauschal festgesetzt werden, darf der Pauschalbetrag 5 % der von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht übersteigen.
…“
Belgisches Recht
5 Art. 578 des Zivilgesetzbuchs bestimmt:
„Der Nießbrauch ist das Recht, Sachen, an denen ein anderer das Eigentum hat, wie der Eigentümer selbst zu nutzen, jedoch unter der Bedingung, deren Substanz zu erhalten.“
6 Am 23. Oktober 1991 wurde das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter‑ und Tochtergesellschaften (Moniteur belge vom 15. November 1991, S. 25619) verkündet.
7 Mit diesem Gesetz wurde die in der seinerzeit geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzbuchs vom 26. Februar 1964 (Moniteur belge vom 10. April 1964, S. 3810) enthaltene Voraussetzung aufgehoben, wonach eine Gesellschaft, die Dividenden bezieht, die zum Bezug berechtigenden Gesellschaftsanteile als Volleigentümerin besitzen musste, um die Dividenden von ihren steuerpflichtigen Einkünften abziehen zu können.
8 Art. 202 des Code des impôts sur les revenus (Einkommensteuergesetzbuch) 1992, angepasst durch Königliche Verordnung vom 10. April 1992 (Moniteur belge vom 30. Juli 1992, S. 17120; im Folgenden: CIR 1992), in seiner für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung lautet wie folgt:
„§ 1 Von Gewinnen des Besteuerungszeitraums werden in dem Maße, wie sich darin befinden, ebenfalls abgezogen:
1. Dividenden ausschließlich der Einkünfte, die anlässlich der Übertragung auf eine Gesellschaft ihrer eigenen Aktien oder Anteile oder anlässlich der Gesamt- oder Teilverteilung des Gesellschaftsvermögens einer Gesellschaft erzielt werden,
…
§ 2 In § 1 Nr. 1 … erwähnte Einkünfte sind nur abzugsfähig, sofern am Datum der Zuerkennung oder Ausschüttung dieser Einkünfte die Gesellschaft, die sie ausschüttet, eine Beteiligung von mindestens 5 Prozent oder mit einem Investitionswert von mindestens 50 Millionen [BEF] besitzt.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
9 VVT, eine Gesellschaft mit Sitz in Belgien, erwarb im Jahr 1999 den Nießbrauch an den Anteilen von NARDA für einen Zeitraum von zehn Jahren. NARDA hat ihren Sitz ebenfalls in Belgien, wie den von VVT und der belgischen Regierung beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen zu entnehmen ist. An diesen Anteilen erwarb die BEPA SA (im Folgenden: BEPA) das bloße Eigentum (nue-propriété).
10 Die belgische Regierung führt unter Hinweis auf Art. 578 des belgischen Zivilgesetzbuchs aus, dass der Nießbrauch seinem Inhaber das Recht der Fruchtziehung aus Sachen verleihe, die im Eigentum eines anderen stünden. Der Nießbraucher habe nur Anspruch auf die ausgeschütteten Gewinne, während die in eine Rücklage eingestellten Gewinne dem Eigentümer zustünden.
11 Für die Besteuerungszeiträume 2000 bis 2002 wurde VVT, die in ihrer Körperschaftsteuererklärung die von NARDA bezogenen Dividenden als endgültig besteuerte Einkünfte abgezogen hatte, dieser Abzug von der Verwaltung für direkte Abgaben versagt, die die Zahlung der auf diese Dividenden entfallenden Steuern verlangte.
12 VVT legte gegen diese zusätzliche Abgabenerhebung Widerspruch mit der Begründung ein, dass die streitigen Dividenden als endgültig besteuerte Einkünfte anzusehen seien, auch wenn sie zum Zeitpunkt der Auszahlung dieser Dividenden lediglich einen Nießbrauch an den betreffenden Anteilen gehabt habe.
13 Dieser Widerspruch wurde zurückgewiesen; die Verwaltung für direkte Abgaben machte geltend, dass der Nießbrauch an den fraglichen Anteilen keinen Anspruch auf den Abzug nach Art. 202 des CIR 1992 gebe, der nur dem Inhaber des Volleigentums an den Anteilen gewährt werden könne. VVT focht diese Entscheidung vor dem Tribunal de première instance de Namur an, das der Klage mit Urteil vom 23. November 2005 stattgab.
14 Die Cour d’appel de Liège, bei der der État belge − Service public fédéral Finances ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil eingelegt hat, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist das Gesetz vom 28. Dezember 1992, mit dem der Wortlaut des Art. 202 des CIR 1992 unter Bezugnahme auf die Richtlinie 90/435 geändert wurde und das verlangt, dass der Dividendenempfänger eine Beteiligung am Kapital der Gesellschaft hält, die die Dividende ausgeschüttet hat, im Hinblick darauf, dass es nicht ausdrücklich die Beteiligung mit vollen Eigentumsrechten vorschreibt und die Berufungsbeklagte dies so auslegt, dass die bloße Nießbrauchsberechtigung an den Kapitalanteilen ausreiche, um in den Genuss einer Steuerbefreiung für Dividenden zu kommen, mit den Bestimmungen der genannten Richtlinie zum Kapitalanteil und insbesondere mit ihren Art. 3, 4 und 5 vereinbar?
Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs und zur Zulässigkeit der Vorlagefrage
15 Während VVT, die griechische Regierung und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften der Auffassung sind, dass das Vorabentscheidungsersuchen zulässig sei, hält die italienische Regierung es für unzulässig, und die deutsche, die französische und die niederländische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs äußern Zweifel an seiner Zulässigkeit. Die belgische Regierung, die in ihren schriftlichen Erklärungen keinen förmlichen Einwand gegen die Zuständigkeit des Gerichtshofs erhoben hatte, hat diese in der mündlichen Verhandlung bestritten.
16 Vorab ist daran zu erinnern, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten nach Art. 234 EG allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhängigen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 15. Dezember 1995, Bosman, C‑415/93, Slg. 1995, I‑4921, Randnr. 59, vom 17. Juli 1997, Leur-Bloem, C‑28/95, Slg. 1997, I‑4161, Randnr. 24, vom 7. Januar 2003, BIAO, C‑306/99, Slg. 2003, I‑1, Randnr. 88, und vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio, C‑217/05, Slg. 2006, I‑11987, Randnr. 16).
17 Betreffen die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts, ist der Gerichtshof somit grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden, es sei denn, er soll offensichtlich in Wirklichkeit dazu veranlasst werden, über einen konstruierten Rechtsstreit zu entscheiden oder Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben, die begehrte Auslegung des Gemeinschaftsrechts steht in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Rechtsstreits oder der Gerichtshof verfügt nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. Urteile BIAO, Randnr. 89, und Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio, Randnr. 17).
18 Dies ist hier indes nicht der Fall.
19 Zunächst ist festzustellen, dass der geringe Informationsgehalt in der Vorlageentscheidung das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen nicht unzulässig macht. Die Entscheidung erlaubt es nämlich trotz der wenigen Angaben, die sie zum Sachverhalt und zum nationalen Recht enthält, die Tragweite der Vorlagefrage zu bestimmen, wie dies der Inhalt der Erklärungen zeigt, die die anderen Beteiligten als die Parteien des Ausgangsverfahrens vor dem Gerichtshof abgegeben haben. Im Übrigen haben die von VVT und der belgischen Regierung eingereichten schriftlichen Erklärungen dem Gerichtshof hinreichende Angaben geliefert, so dass er die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts in Bezug auf den Sachverhalt, der Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, auslegen und die vorgelegte Frage sachdienlich beantworten kann.
20 Auch die von der italienischen Regierung mit der Begründung erhobene Einrede der Unzulässigkeit, das vorlegende Gericht habe in diesem Stadium des Verfahrens nicht dargetan, dass eine Antwort des Gerichtshofs auf die vorgelegte Frage erforderlich sei, um den Ausgangsrechtsstreit zu entscheiden, ist zurückzuweisen. Nach Art. 234 Abs. 2 EG ist es nämlich Sache des nationalen Gerichts, darüber zu entscheiden, in welchem Verfahrensstadium es ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof richten soll (vgl. Urteile vom 10. März 1981, Irish Creamery Milk Suppliers Association u. a., 36/80 und 71/80, Slg. 1981, 735, Randnr. 5, vom 30. März 2000, JämO, C‑236/98, Slg. 2000, I‑2189, Randnr. 30, und vom 17. Juli 2008, Coleman, C‑303/06, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 29).
21 Hinsichtlich der von der belgischen Regierung erhobenen Einwände schließlich ist einleitend daran zu erinnern, dass sich die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich auf eine Gemeinschaftsbestimmungen betreffende Frage in Fällen erstreckt, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zwar nicht in den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, in denen diese Bestimmungen aber durch das nationale Recht für anwendbar erklärt worden sind (vgl. u. a. Urteile Leur-Bloem, Randnr. 27, vom 17. Juli 1997, Giloy, C‑130/95, Slg. 1997, I‑4291, Randnr. 23, vom 3. Dezember 1998, Schoonbrodt, C‑247/97, Slg. 1998, I‑8095, Randnr. 14, und vom 17. März 2005, Feron, C‑170/03, Slg. 2005, I‑2299, Randnr. 11).
22 Erstens hat die belgische Regierung in der mündlichen Verhandlung bezweifelt, dass Art. 202 § 2 des CIR 1992 die einschlägige Bestimmung der Richtlinie 90/435 umsetzen solle und dass er für interne Sachverhalte auf die in der Richtlinie getroffenen Regelungen verweise. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die belgische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen vorgetragen hat, dass der belgische Gesetzgeber beschlossen habe, die Umsetzung dieser Richtlinie auf die Verhältnisse zwischen belgischen Mutter‑ und Tochtergesellschaften zu erstrecken, um eine Diskriminierung belgischer Gesellschaften in Bezug auf die steuerliche Behandlung der von einer Tochtergesellschaft an eine Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne aufgrund der Staatszugehörigkeit der Tochtergesellschaft zu vermeiden. Außerdem bezweckt das Gesetz vom 23. Oktober 1991 zur Umsetzung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter‑ und Tochtergesellschaften ausweislich seines Titels ausdrücklich die Umsetzung dieser Richtlinie.
23 Zweitens kann das Vorbringen der belgischen Regierung, dass die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts nur einen der bei der Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigenden Gesichtspunkte darstelle und das vorlegende Gericht an das Urteil des Gerichtshofs nicht gebunden sei, die Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht in Frage stellen.
24 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Sachverhalt des vorliegenden Ausgangsverfahrens sich von dem unterscheidet, der dem Urteil vom 28. März 1995, Kleinwort Benson (C‑346/93, Slg. 1995, I‑615), zugrunde lag, mit dem sich der Gerichtshof für die Entscheidung über eine Vorlagefrage für nicht zuständig erklärt hat, weil das vorlegende Gericht durch sein Urteil nicht gebunden gewesen wäre. Die in jener Rechtssache in Rede stehende nationale Regelung beschränkte sich nämlich darauf, das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) als Muster heranzuziehen, und gab seinen Wortlaut nur teilweise wieder.
25 Es trifft zu, dass sich das vorlegende Gericht im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht explizit dazu äußert, ob und in welchem Umfang es an das Urteil des Gerichtshofs für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits gebunden wäre. Der Umstand jedoch, dass sich dieses Gericht mit einer Frage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof gewandt hat und dass es in dieser Frage ein Verhältnis zwischen der nationalen Regelung und der Richtlinie 90/435 herstellt, führt dazu, dieses Gericht als an dieses Urteil gebunden anzusehen. Die in diesem Zusammenhang von der belgischen Regierung in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Erklärungen enthalten keine objektiven Angaben, mit denen offensichtlich dargetan würde, dass dies nicht der Fall wäre.
26 Drittens steht, wie den Randnrn. 21 und 33 des Urteils Leur-Bloem zu entnehmen ist, der Umstand allein, dass sich die Art. 202 § 2 des CIR 1992 zu gebende Auslegung nicht ausschließlich aus dem vom Gerichtshof zu erlassenden Urteil ergibt, dessen Zuständigkeit zur Entscheidung über die Vorlagefrage nicht entgegen.
27 Im Rahmen der in Art. 234 EG vorgesehenen Verteilung der Rechtsprechungsaufgaben zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof kann dieser in seiner Antwort an das vorlegende Gericht nämlich nicht die allgemeine Systematik der Vorschriften des nationalen Rechts berücksichtigen, die zugleich mit der Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht den Umfang dieser Verweisung festlegen (vgl. Urteil vom 18. Oktober 1990, Dzodzi, C‑297/88 und C‑197/89, Slg. 1990, I‑3763, Randnr. 42). Für die Berücksichtigung der Grenzen, die der nationale Gesetzgeber der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf rein innerstaatliche Sachverhalte setzen wollte, gilt nämlich das nationale Recht, so dass dafür ausschließlich die Gerichte des betreffenden Mitgliedstaats zuständig sind (Urteile Dzodzi, Randnr. 42, vom 12. November 1992, Fournier, C‑73/89, Slg. 1992, I‑5621, Randnr. 23, und Leur-Bloem, Randnr. 33). Dagegen kann das vorlegende Gericht hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts innerhalb der Grenzen der Verweisung des nationalen Rechts auf das Gemeinschaftsrecht nicht von der Auslegung des Gerichtshofs abweichen.
28 Daher ist das Vorbringen der belgischen Regierung, mit dem die Zuständigkeit des Gerichtshofs in Frage gestellt werden soll, zurückzuweisen.
29 Nach alledem ist die Vorlagefrage zu beantworten.
Zur Vorlagefrage
30 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff des Anteils am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 90/435 die Innehabung des Nießbrauchs an Anteilen umfasst.
31 Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst die Rechtsstellung des Eigentümers von Gesellschaftsanteilen mit der eines Nießbrauchers solcher Anteile zu vergleichen.
32 Aus den Erklärungen der belgischen Regierung ergibt sich, dass der Nießbrauch nach Art. 578 des belgischen Zivilgesetzbuchs seinem Inhaber das Recht zur Ziehung der Nutzungen von Sachen verleiht, die im Eigentum eines anderen stehen. Folglich stellt der Nießbrauch ein Rechtsverhältnis zwischen dem Nießbraucher und dem Eigentümer dar, dessen Eigentum um die Ziehung der Nutzungen der Sache verkürzt ist.
33 So ergibt sich im Ausgangsverfahren das Rechtsverhältnis, in dem VVT, die nicht Eigentümerin der Anteile von NARDA ist, zu dieser steht, nicht aus einer Stellung als Gesellschafter, sondern aus dem Nießbrauch, den sie innehat. Dieser Nießbrauch erlaubt VVT die Ausübung bestimmter Rechte, die normalerweise BEPA als Eigentümerin dieser Anteile zustünden.
34 Dagegen ist das Rechtsverhältnis von BEPA zu NARDA durch ihre Gesellschafterstellung geprägt, die sich daraus ergibt, dass BEPA als bloße Eigentümerin Anteile am Kapital von NARDA hält. Die von BEPA gehaltene Beteiligung erfüllt offenkundig das Kriterium eines „Anteils am Kapital“ im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 90/435, und diese Gesellschaft ist, sofern sie auch die übrigen in der Richtlinie festgelegten Kriterien erfüllt, als „Muttergesellschaft“ im Sinne von Art. 3 anzusehen.
35 Daher ist zu prüfen, ob der Nießbraucher von Anteilen einer Gesellschaft, bei der es sich um eine andere Gesellschaft als diejenige handelt, die diese Anteile hält, ebenfalls als Muttergesellschaft, d. h. eine Gesellschaft, die im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 90/435 einen Anteil am Kapital einer Gesellschaft besitzt, angesehen werden kann.
36 Wie sich insbesondere aus ihrem dritten Erwägungsgrund ergibt, bezweckt die Richtlinie 90/435, durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems jede Benachteiligung der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats zu beseitigen und damit den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene zu erleichtern (Urteile vom 4. Oktober 2001, Athinaïki Zythopoiïa, C‑294/99, Slg. 2001, I‑6797, Randnr. 25, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑446/04, Slg. 2006, I‑11753, Randnr. 103, vom 3. April 2008, Banque Fédérative du Crédit Mutuel, C‑27/07, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 23, und in diesem Sinne Urteil vom 26. Juni 2008, Burda, C‑284/06, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 51).
37 Wenn die Richtlinie 90/435 darauf gerichtet ist, Fälle der Doppelbesteuerung von Gewinnen, die von Tochtergesellschaften an ihre Muttergesellschaften ausgeschüttet werden, zu beseitigen, soll sie allgemein die Nachteile für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gesellschaften beseitigen, die sich ausweislich ihres dritten Erwägungsgrundes daraus ergeben, dass die für die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten geltenden Steuerbestimmungen im Allgemeinen weniger günstig sind als die auf die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften desselben Mitgliedstaats anwendbaren Bestimmungen.
38 Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435 schreibt für die Anerkennung einer Gesellschaft als Muttergesellschaft vor, dass diese Gesellschaft einen Anteil am Kapital einer anderen Gesellschaft besitzt. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie gilt als „Tochtergesellschaft“ die Gesellschaft, an deren Kapital dieser Anteil gehalten wird. Daraus folgt, dass der Begriff des „Anteils am Kapital“ im Sinne von Art. 3 auf das zwischen Mutter‑ und Tochtergesellschaft bestehende Rechtsverhältnis verweist. Aus dem Wortlaut von Art. 3 folgt daher, dass er sich nicht auf den Fall bezieht, in dem die Muttergesellschaft einem Dritten, im vorliegenden Fall einem Nießbraucher, eine Rechtsstellung gegenüber der Tochtergesellschaft einräumt, aufgrund deren dieser Dritte ebenfalls als Muttergesellschaft angesehen werden könnte.
39 Folglich ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 3 der Richtlinie 90/435, dass der Begriff des Anteils am Kapital einer Gesellschaft im Sinne dieser Bestimmung nicht den Nießbrauch umfasst, den eine Gesellschaft an den Anteilen des Kapitals einer anderen Gesellschaft innehat.
40 Dieses Ergebnis wird durch die Systematik der Bestimmungen der Richtlinie 90/435 bestätigt.
41 Erstens betrifft Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie nämlich den Fall, dass „eine Muttergesellschaft als Teilhaberin ihrer Tochtergesellschaft Gewinne [bezieht]“. Der Nießbraucher der Anteile einer Gesellschaft erhält indes die von dieser ausgeschütteten Gewinne aufgrund seines Nießbrauchs. Wie die Generalanwältin in Nr. 57 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, kann ihm seine Rechtsstellung gegenüber der Tochtergesellschaft nicht die Eigenschaft eines Teilhabers verschaffen, da sich diese Rechtsstellung allein aus dem Nießbrauch ergibt, den ihm der Eigentümer der Anteile am Kapital der Tochtergesellschaft übertragen hat.
42 Zweitens behalten die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 90/435 die Befugnis, vorzusehen, dass Minderwerte, die sich aufgrund der Ausschüttung der Gewinne der Tochtergesellschaft ergeben, nicht vom steuerpflichtigen Gewinn der Muttergesellschaft abgesetzt werden können. Diese Bestimmung erlaubt den Mitgliedstaaten den Erlass von Maßnahmen, um zu verhindern, dass der Muttergesellschaft ein doppelter Steuervorteil zufließt. Diese Gesellschaft könnte nämlich einmal nach Art. 4 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie Gewinne beziehen, ohne besteuert zu werden, und außerdem eine Steuerermäßigung durch eine Teilwertabschreibung erlangen.
43 Wie sich aus den schriftlichen Erklärungen der belgischen Regierung ergibt, hat der Nießbraucher nur Anspruch auf die ausgeschütteten Gewinne, während die als Rücklagen eingestellten Gewinne dem bloßen Eigentümer zustehen. So fließt bei einer Gewinnausschüttung weder dem Nießbraucher noch dem bloßen Eigentümer eine doppelte Steuervergünstigung zu, denn der bloße Eigentümer erhält keine Gewinne, und der Nießbraucher hat nur Anspruch auf die ausgeschütteten Gewinne. Führt die Gewinnausschüttung zu einem Minderwert der Beteiligung, kann die jedem Mitgliedstaat eingeräumte Befugnis, vorzusehen, dass dieser Minderwert nicht vom steuerpflichtigen Gewinn der Muttergesellschaft abgezogen werden kann, nur in dem Fall ausgeübt werden, in dem ein und dieselbe Gesellschaft die ausgeschütteten Gewinne bezieht und sich infolge dieser Ausschüttung für sie der Minderwert ihrer Beteiligung ergibt. Dies bestätigt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die „Muttergesellschaft“ im Sinne der Richtlinie 90/435 nur eine einzige, bestimmte Gesellschaft ist.
44 Angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts der Bestimmungen der Richtlinie 90/435, wie er durch ihre Systematik bestätigt wird, kann der Begriff des Anteils am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats in Art. 3 der Richtlinie nicht dahin ausgelegt werden, dass er sich auf die Innehabung des Nießbrauchs von Anteilen am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats erstreckt, um so die in dieser Hinsicht bestehenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu erweitern (vgl. entsprechend Urteile vom 8. Dezember 2005, EZB/Deutschland, C‑220/03, Slg. 2005, I‑10595, Randnr. 31, und vom 28. Februar 2008, Carboni e derivati, C‑263/06, Slg. 2008, I‑1077, Randnr. 48).
45 Auch wenn das Ausgangsverfahren einen rein internen Sachverhalt betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass das Gemeinschaftsrecht in Bezug auf grenzüberschreitende Sachverhalte verlangt, dass ein Mitgliedstaat, der zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Dividenden sowohl die Dividenden, die an eine Gesellschaft ausgeschüttet werden, die als Volleigentümerin Anteile an der ausschüttenden Gesellschaft hält, als auch diejenigen Dividenden, die an eine Gesellschaft ausgeschüttet werden, die einen Nießbrauch solcher Anteile innehat, von der Steuer befreit, die Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer ebenfalls gebietsansässigen Gesellschaft bezieht, und diejenigen Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft bezieht, steuerlich gleich behandelt.
46 Zwar ist es in der Tat Sache der Mitgliedstaaten, in Bezug auf nicht unter die Richtlinie 90/435 fallende Beteiligungen festzulegen, ob und in welchem Umfang die Doppelbesteuerung der ausgeschütteten Gewinne vermieden werden soll, und dazu einseitig oder durch mit anderen Mitgliedstaaten geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen Mechanismen zur Vermeidung oder Abschwächung dieser Doppelbesteuerung einzuführen. Dies allein erlaubt es ihnen aber nicht, Maßnahmen anzuwenden, die gegen die vom EG-Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten verstoßen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C‑374/04, Slg. 2006, I‑11673, Randnr. 54, und vom 8. November 2007, Amurta, C‑379/05, Slg. 2007, I‑9569, Randnr. 24).
47 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verletzt es somit unabhängig davon, welcher Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung oder wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eingesetzt wird, die im Vertrag gewährleisteten Verkehrsfreiheiten, wenn ein Mitgliedstaat Dividenden aus ausländischen Quellen ungünstiger behandelt als Dividenden aus inländischen Quellen, es sei denn, diese Ungleichbehandlung betrifft Situationen, die nicht objektiv vergleichbar sind, oder sie ist durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 46 und die dort zitierte Rechtsprechung).
48 Im Übrigen entspricht die Auslegung, nach der ein Mitgliedstaat, der eine Gesellschaft, die Anteile in Nießbrauch hält, und diejenige, die Anteile in Volleigentum hält, zum Zweck der Steuerbefreiung der bezogenen Dividenden gleich behandelt, diese steuerliche Behandlung auf die Dividenden erstrecken muss, die von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft stammen, den Zielen der Richtlinie 90/435, denen zufolge die Benachteiligung von Zusammenschlüssen von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene beseitigt und Doppelbesteuerungen von innerhalb einer grenzüberschreitenden Gruppe ausgeschütteten Dividenden vermieden werden sollen.
49 Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass der Begriff des Anteils am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 90/435 nicht die Innehabung des Nießbrauchs von Anteilen umfasst. Wenn ein Mitgliedstaat jedoch zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der bezogenen Dividenden sowohl die Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer anderen gebietsansässigen Gesellschaft bezieht, an der sie Anteile in Volleigentum hält, als auch die Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer anderen gebietsansässigen Gesellschaft bezieht, an der sie Anteile im Nießbrauch hält, von der Steuer befreit, muss er gemäß den vom EG-Vertrag garantierten, für grenzüberschreitende Sachverhalte geltenden Verkehrsfreiheiten für die Zwecke der Steuerbefreiung der bezogenen Dividenden dieselbe steuerliche Behandlung den Dividenden zuteil werden lassen, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft bezieht, an der sie Anteile in Volleigentum hält, und solchen Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft bezieht, die Anteile in Nießbrauch hält.
Kosten
50 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Der Begriff des Anteils am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter‑ und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten umfasst nicht die Innehabung des Nießbrauchs an Anteilen.
Wenn ein Mitgliedstaat jedoch zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der bezogenen Dividenden sowohl die Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer anderen gebietsansässigen Gesellschaft bezieht, an der sie Anteile in Volleigentum hält, als auch die Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer anderen gebietsansässigen Gesellschaft bezieht, an der sie Anteile in Nießbrauch hält, von der Steuer befreit, muss er gemäß den vom EG-Vertrag garantierten, für grenzüberschreitende Sachverhalte geltenden Verkehrsfreiheiten für die Zwecke der Steuerbefreiung der bezogenen Dividenden dieselbe steuerliche Behandlung den Dividenden zuteil werden lassen, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft bezieht, an der sie Anteile in Volleigentum hält, und solchen Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft bezieht, die Anteile in Nießbrauch hält.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Französisch.