Verbundene Rechtssachen C-453/03, C-11/04, C-12/04 und C‑194/04

ABNA Ltd u. a.

gegen

Secretary of State for Health u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice [England & Wales], Queen's Bench Division [Administrative Court], des Consiglio di Stato und der Rechtbank ’s-Gravenhage)

„Gesundheitspolizei – Mischfuttermittel – Genaue Angabe der Gewichtshundertteile der Bestandteile eines Erzeugnisses – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“

Schlussanträge des Generalanwalts A. Tizzano vom 7. April 2005 

Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 6. Dezember 2005 

Leitsätze des Urteils

1.     Handlungen der Organe – Wahl der Rechtsgrundlage – Kriterien – Handlung, die Mischfuttermittel betrifft – Maßnahme, die unmittelbar zum Schutz der öffentlichen Gesundheit beiträgt – Erlass auf der Grundlage von Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b EG – Rechtmäßigkeit

(Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b EG; Richtlinie 2002/2 des Europäischen Parlaments und des Rates)

2.     Schutz der öffentlichen Gesundheit – Mischfuttermittel – Richtlinie 2002/2 – Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit – Objektiv gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung

(Artikel 152 Absatz 1 EG; Richtlinie 2002/2 des Europäischen Parlaments und des Rates, Artikel 1 Nummern 1 Buchstabe b und 4)

3.     Schutz der öffentlichen Gesundheit – Mischfuttermittel – Richtlinie 2002/2 – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Verpflichtung der Hersteller zur genauen Angabe der Bestandteile eines Futtermittels gegenüber den Kunden – Verstoß – Verpflichtung zur Angabe der Gewichtshundertteile der Bestandteile eines Futtermittels – Kein Verstoß

(Richtlinie 2002/2 des Europäischen Parlaments und des Rates, Artikel 1 Nummern 1 Buchstabe b un 4)

4.     Schutz der öffentlichen Gesundheit – Mischfuttermittel – Richtlinie 2002/2 – Anwendung – Voraussetzung – Verabschiedung einer Positivliste von Ausgangserzeugnissen, die mit ihren spezifischen Namen angegeben sind – Fehlen

(Richtlinie 2002/2 des Europäischen Parlaments und des Rates, 10. Begründungserwägung)

5.     Handlungen der Organe – Aussetzung des Vollzugs einer Handlung der Gemeinschaft durch ein nationales Gericht – Anrufung des Gerichtshofes im Wege des Vorabentscheidungsersuchens zur Prüfung der Gültigkeit – Keine Befugnis der Verwaltungsbehörden anderer Mitgliedstaaten zur Aussetzung des Vollzugs dieser Handlung bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofes

1.     Im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Gemeinschaft muss sich die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts. Die Richtlinie 2002/2 über den Verkehr mit Mischfuttermitteln ist auf Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b EG gestützt, der den Erlass von Maßnahmen in den Bereichen Veterinärwesen und Pflanzenschutz erlaubt, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben. Die Prüfung der Begründungserwägungen dieser Richtlinie ergibt, dass das vom Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Erlass der in Artikel 1 Nummern 1 Buchstabe b und 4 enthaltenen Vorschriften über die Angabe der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse verfolgte Ziel darin bestand, der Notwendigkeit ausführlicherer Informationen im Zusammenhang mit den Angaben der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse Rechnung zu tragen, um u. a. die Rückverfolgung von möglicherweise kontaminiertem Material zu bestimmten Partien zu gewährleisten, was für die Gesundheit der Bevölkerung von Nutzen ist. Diese Vorschriften können somit unmittelbar zur Erreichung des Zieles des Schutzes der öffentlichen Gesundheit beitragen und konnten daher rechtswirksam auf der Grundlage des Artikels 152 Absatz 4 Buchstabe b EG erlassen werden.

(vgl. Randnrn. 54-57, 60)

2.     Das mit der Richtlinie 2002/2 über den Verkehr mit Mischfuttermitteln verfolgte Ziel des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung könnte eine Ungleichbehandlung insbesondere in Anbetracht der Verpflichtung aus Artikel 152 Absatz 1 EG, bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und ‑maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen, rechtfertigen. Auch wenn im Übrigen dargetan werden könnte, dass derart restriktive Maßnahmen wie die in Artikel 1 Nummern 1 Buchstabe b und 4 dieser Richtlinie vorgesehenen auch in Sektoren gerechtfertigt wären, in denen solche Maßnahmen noch nicht getroffen wurden, wie demjenigen der Lebensmittel für den menschlichen Verzehr, würde dies keinen ausreichenden Grund für die Annahme darstellen, dass die in dem Sektor, auf den sich die streitigen Gemeinschaftsmaßnahmen beziehen, getroffenen Maßnahmen wegen ihres diskriminierenden Charakters rechtswidrig seien. Anderenfalls würde dies dazu führen, dass das Niveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit an diejenige bestehende Regelung angeglichen würde, die den niedrigsten Schutz aufweist.

(vgl. Randnrn. 64-65)

3.     Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b der Richtlinie 2002/2 über den Verkehr mit Mischfuttermitteln, der Mischfuttermittelhersteller verpflichtet, dem Kunden auf Antrag die genaue Zusammensetzung eines Futtermittels zu übermitteln, ist im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ungültig. Diese Verpflichtung stellt nämlich eine schwere Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Hersteller dar, da sie diese zwingt, den Kunden die Formeln für die Zusammensetzung ihrer Erzeugnisse offen zu legen, auf die Gefahr hin, dass diese Erzeugnisse als Modelle benutzt werden – womöglich von den Kunden selbst – und dass die Hersteller nicht mehr die Gewinne aus den Investitionen ziehen können, die sie im Rahmen der Forschung und Neuentwicklung vorgenommen haben.

Eine solche Verpflichtung ist nicht durch das verfolgte Ziel des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt und geht offensichtlich über das hinaus, was zu Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. Erstens steht diese Verpflichtung in keinem Zusammenhang mit Problemen der Verunreinigung von Futtermitteln und muss auf bloßen Antrag des Kunden erfüllt werden. Außerdem müsste die Angabe der Gewichtshundertteile im Rahmen von Prozentspannen auf dem Etikett normalerweise die Identifizierung eines möglicherweise verunreinigten Futtermittels erlauben, um seine Gefährlichkeit nach Maßgabe des angegebenen Gewichts einzuschätzen und gegebenenfalls seine vorläufige Rücknahme beschließen zu können, bis die Ergebnisse der Laboranalysen vorliegen, oder um die Rückverfolgung des Erzeugnisses durch die betreffenden Behörden zu ermöglichen. Schließlich ist, unabhängig von den im Rahmen der Verordnung Nr. 178/2002 – die am selben Tag verabschiedet wurde wie die Richtlinie 2002/2 – eingeführten Kontrollverfahren, daran zu erinnern, dass Artikel 1 Nummer 5 der Richtlinie 2002/2 vorsieht, dass die Mischfutterhersteller gehalten sind, den mit der Durchführung der amtlichen Kontrollen beauftragten Behörden alle Dokumente, die die Zusammensetzung der zum Inverkehrbringen bestimmten Futtermittel betreffen und anhand deren die Zuverlässigkeit der Angaben auf den Etiketten kontrolliert werden kann, auf Anforderung dieser Behörden zur Verfügung zu stellen.

Dagegen verstößt Artikel 1 Nummer 4 der Richtlinie 2002/2, der zur Angabe der Gewichtshundertteile der Bestandteile eines Futtermittels im Rahmen von Prozentspannen verpflichtet, nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da diese Verpflichtung im Rahmen des weiten Ermessens, über das der Gemeinschaftsgesetzgeber in diesem Bereich verfügt, eine Maßnahme darstellt, die zum Ziel des Schutzes der Gesundheit von Tieren und Menschen beitragen kann. Sie erlaubt es nämlich, die vermutlich verunreinigten Bestandteile eines Futtermittels zu identifizieren, ohne die Ergebnisse der Laboruntersuchungen abzuwarten, und dieses Futtermittel schnell dem Verbrauch zu entziehen.

(vgl. Randnrn. 69, 76, 82-86, Tenor 3)

4.     Die Richtlinie 2002/2 über den Verkehr mit Mischfuttermitteln ist dahin auszulegen, dass ihre Anwendung nicht von der Verabschiedung der in der zehnten Begründungserwägung dieser Richtlinie vorgesehenen Positivliste von Ausgangserzeugnissen abhängig ist, die mit ihren spezifischen Namen angegeben sind.

Aus dem Wortlaut dieser Begründungserwägung ergibt sich nämlich, dass sie nur einen Wunsch des Gemeinschaftsgesetzgebers darstellt, dass ein Vorschlag für eine Positivliste der Ausgangserzeugnisse vorgelegt wird. Sie sieht nur die Erstellung einer Durchführbarkeitsstudie, die Abfassung eines Berichts und die Vorlage eines geeigneten Vorschlags vor, der den Schlussfolgerungen aus diesem Bericht Rechnung trägt. Im Übrigen findet sich der Inhalt dieser Begründungserwägung im verfügenden Teil der Richtlinie nicht wieder, und ihre Prüfung ergibt in keiner Weise, dass ihre Durchführung von der Verabschiedung dieser Positivliste abhängig wäre. Insbesondere ist weder festzustellen, dass die Etikettierungspflicht in Ermangelung einer solchen Liste nicht eingehalten werden könnte, noch dass die Aufhebung der Richtlinie 91/357 zur Festlegung der Kategorien von Futtermittel-Ausgangserzeugnissen, die zur Kennzeichnung von Mischfuttermitteln für andere Tiere als Heimtiere verwendet werden dürfen, die Durchführung der Richtlinie 2002/2 unmöglich gemacht hätte, da die Hersteller mangels einer Gemeinschafts- oder nationalen Regelung auf diesem Gebiet die geläufigen spezifischen Bezeichnungen der Ausgangserzeugnisse verwenden können.

(vgl. Randnrn. 95-98, Tenor 4)

5.     Auch dann, wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats festgestellt hat, dass die Voraussetzungen, unter denen es die Durchführung eines Gemeinschaftsrechtsakts aussetzen darf, erfüllt sind, und zwar insbesondere, wenn die Frage nach der Gültigkeit dieses Rechtsakts dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden ist, sind die zuständigen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Durchführung dieses Rechtsakts auszusetzen, bis der Gerichtshof über seine Gültigkeit entschieden hat. Es ist nämlich allein Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung der Umstände des Falles, mit dem es befasst ist, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen erfüllt sind.

Die Kohärenz des Systems des vorläufigen Rechtsschutzes verlangt nämlich, dass das nationale Gericht den Vollzug eines auf eine Gemeinschaftsverordnung gestützten nationalen Verwaltungsakts aussetzen kann, wenn dessen Rechtmäßigkeit bestritten wird. Allerdings bedeutet die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts, die ein Grunderfordernis der gemeinschaftlichen Rechtsordnung ist, dass jedenfalls für die Aussetzung der Vollziehung von auf einer Gemeinschaftsverordnung beruhenden Verwaltungsakten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das hinsichtlich der Antragstellung und der Sachverhaltsfeststellung dem nationalen Verfahrensrecht unterliegt, in allen Mitgliedstaaten einheitliche Regeln gelten müssen und dass diese Voraussetzungen dieselben sind, wie sie für den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch den Gerichtshof gelten. Um insbesondere festzustellen, ob die Voraussetzungen hinsichtlich der Dringlichkeit und der Gefahr eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens erfüllt sind, hat der Richter der einstweiligen Anordnung die Umstände des Falles zu untersuchen und zu prüfen, ob die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts, hinsichtlich dessen der Erlass einstweiliger Anordnungen beantragt wird, dem Antragsteller irreversible Schäden zufügen könnte, die nicht mehr wieder gutzumachen wären, wenn die Gemeinschaftshandlung für ungültig erklärt werden müsste. Als Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit Gemeinschaftsrecht anzuwenden hat und daher verpflichtet ist, dessen volle Wirkung sicherzustellen, muss das nationale Gericht, bei dem ein Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnungen gestellt wird, die Beeinträchtigung berücksichtigen, die von der Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes für die durch einen Gemeinschaftsrechtsakt in der gesamten Gemeinschaft eingeführte rechtliche Regelung ausgehen kann. Zu berücksichtigen sind sowohl die kumulative Wirkung, die eintreten würde, wenn zahlreiche Gerichte aus ähnlichen Gründen ebenfalls Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes erlassen würden, als auch die Besonderheit der Situation des Antragstellers, die diesen von den übrigen betroffenen Wirtschaftsteilnehmern unterscheidet. Insbesondere wenn der Erlass von Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes ein finanzielles Risiko für die Gemeinschaft darstellt, muss das nationale Gericht im Übrigen die Möglichkeit haben, von dem Antragsteller hinreichende Sicherheiten zu verlangen.

Nationale Verwaltungsbehörden sind dagegen nicht in der Lage, einstweilige Maßnahmen unter Einhaltung der vom Gerichtshof festgelegten Voraussetzungen zu erlassen. Zunächst gewährleistet der Status dieser Behörden bei ihnen im Allgemeinen nicht dasselbe Ausmaß an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, wie es den Gerichten zuerkannt ist. Ebenso wenig ist gewährleistet, dass für sie der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens gilt, der für das gerichtliche Verfahren kennzeichnend ist und der es ermöglicht, die Standpunkte der verschiedenen Beteiligten zu hören, bevor die betroffenen Interessen beim Erlass einer Entscheidung gegeneinander abgewogen werden.

(vgl. Randnrn. 103-109, 111, Tenor 5)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Große Kammer)

6. Dezember 2005(*)

„Gesundheitspolizei – Mischfuttermittel – Genaue Angabe der Gewichtshundertteile der Bestandteile eines Erzeugnisses – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“

In den verbundenen Rechtssachen C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Administrative Court) (Vereinigtes Königreich) (C‑453/03), vom Consiglio di Stato (Italien) (C‑11/04 und C‑12/04) und von der Rechtbank ’s-Gravenhage (Niederlande) (C‑194/04) mit Entscheidungen vom 23. Oktober 2003, vom 11. November 2003 und vom 22. April 2004, beim Gerichtshof jeweils eingegangen am 27. Oktober 2003, am 15. Januar 2004 und am 26. April 2004, in den Verfahren

The Queen, auf Antrag von:

ABNA Ltd (C‑453/03),

Denis Brinicombe,

BOCM Pauls Ltd,

Devenish Nutrition Ltd,

Nutrition Services (International) Ltd,

Primary Diets Ltd

gegen

Secretary of State for Health,

Food Standards Agency,


Fratelli Martini & C. SpA (C‑11/04),

Cargill Srl

gegen

Ministero delle Politiche Agricole e Forestali,

Ministero della Salute,

Ministero delle Attività Produttive,


Ferrari Mangimi Srl (C‑12/04),

Associazione nazionale tra i produttori di alimenti zootecnici (Assalzoo)

gegen

Ministero delle Politiche Agricole e Forestali,

Ministero della Salute,

Ministero delle Attività Produttive


und

Nederlandse Vereniging Diervoederindustrie (Nevedi) (C‑194/04)

gegen

Productschap Diervoeder

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans und A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin N. Colneric, der Richter S. von Bahr und J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter P. Kūris, E. Juhász, G. Arestis, A. Borg Barthet und M. Ilešič,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin, und K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–       der ABNA Ltd, vertreten durch D. Anderson, QC, und E. Whiteford, Solicitor,

–       der Fratelli Martini & C. SpA, vertreten durch F. Capelli, avvocato, und B. Klaus, Rechtsanwältin,

–       der Ferrari Mangimi Srl, vertreten durch E. Cappelli, P. De Caterini und A. Bandini, avvocati,

–       der Nederlandse Vereniging Diervoederindustrie (Nevedi), vertreten durch H. Ferment, advocaat,

–       der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Bethell (C‑453/03) als Bevollmächtigten im Beistand von C. Lewis (C‑453/03), Barrister,

–       der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia und M. Fiorilli (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04) als Bevollmächtigte sowie durch G. Albenzio (C‑194/04), avvocato dello Stato,

–       der niederländischen Regierung, vertreten durch S. Terstal (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04), H. G. Sevenster (C‑453/03 und C‑194/04) und J. G. M. van Bakel (C‑453/03 und C‑194/04) als Bevollmächtigte,

–       der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04) als Bevollmächtigten,

–       der griechischen Regierung, vertreten durch K. Marinou (C‑453/03) und S. Charitaki (C‑11/04 und C‑12/04) sowie durch G. Kanellopoulos und V. Kontolaimos (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04) als Bevollmächtigte,

–       der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez (C‑453/03, C‑11/04 und C‑12/04) und J. M. Rodríguez Cárcamo (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04) als Bevollmächtigte,

–       der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues (C‑453/03) und R. Loosli-Surrans (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04) als Bevollmächtigte,

–       des Europäischen Parlaments, vertreten durch E. Waldherr (C‑453/03) sowie durch M. Moore, G. Ricci (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04) und A. Baas (C‑194/04) als Bevollmächtigte,

–       des Rates der Europäischen Union, vertreten durch T. Middleton und F. Ruggeri Laderchi (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04) sowie durch A.‑M. Colaert (C‑194/04) als Bevollmächtigte,

–       der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Doherty und P. Jacob (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04) sowie durch C. Cattabriga (C‑453/03, C‑11/04, C‑12/04 und C‑194/04) als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. April 2005

folgendes

Urteil

1       Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen im Wesentlichen die Gültigkeit der Richtlinie 2002/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Änderung der Richtlinie 79/373/EWG des Rates über den Verkehr mit Mischfuttermitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 91/357/EWG der Kommission (ABl. L 63, S. 23), insbesondere ihres Artikels 1 Nummern 1 Buchstabe b und 4.

2       Diese Ersuchen ergehen im Rahmen der Prüfung von Klagen auf Nichtigerklärung oder Aussetzung der zur Umsetzung der angegriffenen Vorschriften der Richtlinie 2002/2 in nationales Recht erlassenen Regelung, die von Mischfuttermittelherstellern oder Vertretern dieses Industriezweigs erhoben worden waren.

 Rechtlicher Rahmen

3       Die Richtlinie 2002/2 ist auf Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b EG gestützt, der bestimmt:

„Der Rat trägt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen mit folgenden Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele dieses Artikels bei:

b)      abweichend von Artikel 37 Maßnahmen in den Bereichen Veterinärwesen und Pflanzenschutz, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben“.

4       Folgende Begründungserwägungen der Richtlinie 2002/2 sind von Bedeutung:

„(2)      Was die Etikettierung betrifft, so soll mit der Richtlinie 79/373/EWG dafür gesorgt werden, dass Tierhalter objektiv und so genau wie möglich über die Zusammensetzung und Verwendung der Futtermittel unterrichtet werden.

(3)      Bisher sah die Richtlinie 79/373/EWG bei Futtermitteln für Nutztiere eine flexible Regelung vor, nach der nur die Futtermittel-Ausgangserzeugnisse ohne Mengenangabe genannt werden mussten, und es war möglich, statt der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse selbst lediglich Kategorien von Ausgangserzeugnissen anzugeben.

(4)      Die BSE-Krise und die jüngste Dioxinkrise haben jedoch die Unzulänglichkeit der geltenden Bestimmungen und die Notwendigkeit ausführlicherer qualitativer und quantitativer Informationen über die Zusammensetzung von Mischfuttermitteln für Nutztiere aufgezeigt.

(5)      Detaillierte quantitative Angaben über die Zusammensetzung können zur Rückverfolgung von möglicherweise kontaminiertem Material zu bestimmten Partien beitragen, was für die Gesundheit der Bevölkerung von Nutzen wäre und die Vernichtung von Erzeugnissen überflüssig machen würde, die kein signifikantes Gesundheitsrisiko aufweisen.

(6)      Daher empfiehlt es sich, nunmehr bei Mischfuttermitteln für Nutztiere eine obligatorische Angabe aller Futtermittel-Ausgangserzeugnisse mit der jeweiligen Mengenangabe vorzuschreiben.

(7)      Aus praktischen Gründen ist zuzulassen, dass die Angabe der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse, die in Mischfuttermitteln für Nutztiere enthalten sind, auf einem geeigneten Etikett oder einem Begleitdokument erfolgt.

(8)      Die Angabe der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse stellt für Tierhalter in bestimmten Fällen eine wichtige Information dar. Deshalb ist es angebracht, dass der für die Etikettierung Verantwortliche auf Antrag des Kunden die ausführliche Liste aller verwendeten Ausgangserzeugnisse unter exakter Angabe der Gewichtshundertteile mitteilt.

(10)      Die Kommission legt auf der Grundlage der Durchführbarkeitsstudie dem Europäischen Parlament und dem Rat spätestens am 31. Dezember 2002 einen Bericht mit einem geeigneten Vorschlag für eine Positivliste vor, wobei der Vorschlag den Schlussfolgerungen aus dem Bericht Rechnung trägt.

(12)      Da es in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, bei für Nutztiere bestimmten Mischfuttermitteln statt der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse selbst lediglich Kategorien von Futtermittel-Ausgangserzeugnissen anzugeben, ist die Richtlinie 91/357/EWG der Kommission vom 13. Juni 1991 zur Festlegung der Kategorien von Futtermittel-Ausgangserzeugnissen, die zur Kennzeichnung von Mischfuttermitteln für andere Tiere als Heimtiere verwendet werden dürfen …, aufzuheben.“

5       Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b der Richtlinie 2002/2 ändert Artikel 5 der Richtlinie 79/373/EWG des Rates vom 2. April 1979 über den Verkehr mit Mischfuttermitteln (ABl. L 86, S. 30). Er bestimmt:

„1.      Artikel 5 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

b)      Folgender Buchstabe wird angefügt:

‚1)      Im Falle von nicht für Heimtiere bestimmten Mischfuttermitteln der Hinweis: ´Die genaue Angabe der Gewichtshundertteile der in diesem Futtermittel enthaltenen Einzelfuttermittel ist erhältlich bei: …´ (Name oder Firma, Anschrift oder Firmensitz sowie Telefonnummer und E-Mail-Adresse des für die Angaben gemäß diesem Absatz Verantwortlichen). Diese Information wird auf Antrag des Kunden übermittelt.‘“

6       Artikel 1 Nummer 4 der Richtlinie 2002/2 enthält eine Reihe von Vorschriften, die Artikel 5c der Richtlinie 79/373 ersetzen. Er lautet wie folgt:

„4.      Artikel 5c erhält folgende Fassung:

         ‚…

(1) Alle Futtermittel-Ausgangserzeugnisse des Mischfuttermittels werden mit ihrem spezifischen Namen genannt.

(2) Für die Aufzählung der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse gelten folgende Vorschriften:

a)       Mischfuttermittel für andere Tiere als Heimtiere:

i)      Aufzählung der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse mit Angabe, in absteigender Reihenfolge, ihres Gewichtshundertteils in den Mischfuttermitteln;

ii)      in Bezug auf die oben genannten Hundertteile ist eine Toleranzspanne von ± 15 % des angegebenen Wertes zulässig;

…‘“

7       Artikel 1 Nummer 5 der Richtlinie 2002/2 sieht vor, dass Artikel 12 der Richtlinie 79/373 ein Absatz angefügt wird. Hiernach „schreiben [die Mitgliedstaaten] vor, dass Mischfutterhersteller gehalten sind, den mit der Durchführung der amtlichen Kontrollen beauftragten Behörden alle Dokumente, die die Zusammensetzung der zum Inverkehrbringen bestimmten Futtermittel betreffen und anhand deren die Zuverlässigkeit der Angaben auf den Etiketten kontrolliert werden kann, auf Anforderung dieser Behörden zur Verfügung zu stellen“.

8       Artikel 2 der Richtlinie 2002/2 bestimmt:

„Die Richtlinie 91/357/EWG der Kommission wird zum 6. November 2003 aufgehoben.“

9       Die für die vorliegenden Rechtssachen relevanten Etappen der Verabschiedung der Richtlinie 2002/2 lassen sich wie folgt darstellen.

10     Am 7. Januar 2000 legte die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 79/373 vor (KOM[1999] 744 endg.).

11     In der Begründung dieses Vorschlags wird daran erinnert, dass das Europäische Parlament in der Folge der BSE-Krise verlangt habe, die Hersteller von Mischfuttermitteln zu einer quantitativen Deklaration der verschiedenen in die Zusammensetzung der Futtermittel eingehenden Bestandteile zu verpflichten. Im Laufe der sich anschließenden Diskussionen wurde diese Deklaration als „offene Deklaration“ bezeichnet.

12     In dieser Begründung heißt es u. a.:

„Die Kommission ist sich der Vorteile bewusst, die eine ‚offene Deklaration‘ in den Vorschriften über die Etikettierung von Mischfuttermitteln für Nutztiere für die Herkunftssicherung von Ausgangserzeugnissen bietet.

Die jüngsten Fälle von Dioxinkontamination von Ölen und Zusatzstoffen in Belgien bzw. Deutschland haben wieder gezeigt, wie wichtig ausführliche Informationen auf den Etiketten von Mischfuttermitteln sind. Der Kontaminationsgrad eines Mischfuttermittels hängt davon ab, welche Menge kontaminierter Ausgangserzeugnisse in das Futtermittel eingegangen ist. Daher ist die vollständige Angabe aller im Mischfuttermittel enthaltenen Ausgangserzeugnisse mit ihren jeweiligen Mengen so wichtig.“

13     In Beantwortung der von den Mitgliedstaaten, die für eine fakultative Deklaration eintraten, und den Futtermittelherstellern, die das geistige Eigentum der Futtermittelformulierungen schützen wollten, erhobenen Einwände heißt es in der Begründung:

„Die Kommission ist dagegen der Ansicht, dass eine fakultative offene Deklaration dem Recht des Landwirts auf Information sowie der angestrebten Transparenz nicht gerecht wird. Außerdem würde eine fakultative offene Deklaration der Kommission zufolge zwangsläufig zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Futtermittelherstellern führen.

… Das Argument, dass das geistige Eigentum der Futtermittelformulierungen geschützt werden müsse, kann die Kommission im Interesse einer größtmöglichen Transparenz nicht akzeptieren. Im Übrigen wird nicht gegen die Geheimhaltung der Herstellungsinformationen verstoßen, weil es normalerweise keine patentierten Futtermittelformeln gibt. Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte die Formel nicht geheim gehalten werden. Die Veröffentlichung der Zutaten würde auch nicht gegen die geistigen Eigentumsrechte verstoßen.“

14     Am 4. Oktober 2000 formulierte das Parlament in erster Lesung fünf Abänderungen zu diesem Richtlinienvorschlag (ABl. 2001, C 178, S. 177).

15     Am 19. Dezember 2000 legte der Rat den Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2001 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2002/2 (ABl. 2001, C 36, S. 35) fest. Wie sich aus der Begründung des Rates ergibt, war es seines Erachtens nicht realistisch, den Herstellern zur Auflage zu machen, die genauen Mengen der Ausgangserzeugnisse in Mischfuttermitteln anzugeben, weshalb er sich auf eine Lösung verständigte, wonach eine Angabe zu erfolgen hat, in der die Ausgangserzeugnisse nach ihrem Gewichtsanteil in Prozent, in abnehmender Reihenfolge, innerhalb von Prozentspannen aufzuführen sind. Allerdings sollte die ausführliche und genaue Liste dieser Mengen vom Hersteller auf Einzelantrag eines Kunden diesem mitgeteilt werden. Am 21. Dezember 2000 legte die Kommission in Übereinstimmung mit dem Gemeinsamen Standpunkt einen geänderten Vorschlag einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 79/373 (KOM[2000] 780 endg., ABl. 2001, C 120 E, S. 178) vor.

16     Am 5. April 2001 legte das Parlament in zweiter Lesung Abänderungen an diesem geänderten Richtlinienvorschlag vor, durch die die „offene Deklaration“ wieder eingeführt wurde (Dokument A5‑0079/2001, ABl. 2002, C 21 E, S. 310).

17     Zum Abschluss eines Vermittlungsverfahrens wurde eine in die Richtlinie 2002/2 eingegangene Kompromissfassung angenommen. Hiernach müssen die Hersteller die Mengen der Ausgangserzeugnisse in den Mischfuttermitteln mit einer Toleranzspanne von ± 15 % des angegebenen Wertes angeben; sie sind jedoch auf Antrag des Kunden verpflichtet, die Gewichtshundertteile der in einem Futtermittel enthaltenen Einzelfuttermittel genau anzugeben.

18     Am 24. April 2003 legte die Kommission einen Bericht zur Praktikabilität einer Positivliste von Futtermittel-Ausgangserzeugnissen (KOM[2003] 178 endg.) vor. In diesem heißt es, dass die Aufstellung einer solchen Liste nicht zur Futtermittelsicherheit beitrage und die Kommission folglich keinen dahin gehenden Vorschlag unterbreiten werde. Die Kommission kündigte in diesem Bericht jedoch Initiativen in anderen Bereichen zur Verbesserung der Sicherheit von Futtermitteln an.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

 Rechtssache C‑453/03

19     Die Kläger des Ausgangsverfahrens, die auf die Herstellung von Mischfuttermitteln spezialisiert sind, begehren die Nichtigerklärung der zur Umsetzung der angefochtenen Vorschriften der Richtlinie 2002/2 in innerstaatliches Recht erlassenen Regelung. Mit Entscheidung vom 6. Oktober 2003 hat der High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Administrative Court), die Durchführung dieser Regelung vorläufig ausgesetzt.

20     Ebenfalls mit Entscheidung vom 6. Oktober 2003 hat der High Court die Gründe für sein Vorabentscheidungsersuchen dargelegt. Die Frage – in der Fassung einer Entscheidung vom 23. Oktober 2003 – lautet wie folgt:

Sind Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b der Richtlinie 2002/2 und/oder Artikel 1 Nummer 4 der Richtlinie 2002/2, soweit damit Artikel 5c Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 79/373 dahin geändert wird, dass Hundertteile angegeben werden müssen, aus einem der folgenden Gründe ungültig:

a)      weil Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b EG dafür keine Rechtsgrundlage bildet,

b)      weil gegen die Eigentumsgarantie verstoßen wurde,

c)      weil gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen wurde?

21     Mit Antrag, der am 18. Februar 2004 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Lambey SA beantragt, gemäß Artikel 40 der Satzung des Gerichtshofes in der Rechtssache C‑453/03 als Streithelferin zugelassen zu werden, um Erklärungen abgeben zu können. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 30. März 2004 ist dieser Antrag für unzulässig erklärt worden.

 Rechtssachen C‑11/04 und C‑12/04

22     Die Richtlinie 2002/2 wurde durch das Dekret des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft vom 25. Juni 2003 über die Ergänzungen und Änderungen in den Anhängen zu dem Gesetz Nr. 281 vom 15. Februar 1963 über die Regelung der Zubereitung und des Handels mit Futtermitteln zur Durchführung der Richtlinie 2002/2/EG vom 28. Januar 2002 (GURI Nr. 181 vom 6. August 2003; im Folgenden: Gesetz Nr. 281/1963), das ab 6. November 2003 anwendbar ist, in italienisches Recht umgesetzt.

23     Wie der Consiglio di Stato in den Vorlageentscheidungen, die den Rechtssachen C‑11/04 und C‑12/04 zugrunde liegen, ausführt, werden die Mischfuttermittelhersteller durch dieses Dekret verpflichtet, auf dem Etikett die Aufzählung der Ausgangserzeugnisse unter Angabe ihres Gewichtshundertteils in absteigender Reihenfolge in Bezug auf das Gesamtgewicht aufzuführen. Nach der Richtlinie 2002/2 seien die Ausgangserzeugnisse mit ihrem spezifischen Namen zu nennen, der durch die Angabe der Kategorie ersetzt werden könne, der das Futtermittel-Ausgangserzeugnis angehöre, wobei die Kategorien, die gemäß Artikel 10 Buchstabe a der Richtlinie 79/373 – seinerseits durchgeführt durch die Richtlinie 91/357/EWG der Kommission vom 13. Juni 1991 – zur Zusammenfassung mehrerer Futtermittel-Ausgangserzeugnisse geschaffen wurden, zugrunde zu legen seien.

24     Die aufgrund dieses Artikels 10 Buchstabe a erlassene Richtlinie 91/357 sei durch die Richtlinie 2002/2 zum 6. November 2003 aufgehoben worden, ohne dass die Kommission einen Vorschlag für eine Maßnahme mit einem Positivverzeichnis der verwendbaren Ausgangserzeugnisse vorgelegt hätte. Die italienischen Behörden hätten sich auf das vorläufige Verzeichnis der Ausgangserzeugnisse, das im Anhang VII Teil A des Gesetzes Nr. 281/1963 enthalten sei, und hinsichtlich derjenigen, die in diesem Verzeichnis nicht aufgeführt seien, auf die Bezeichnungen in Teil B, d. h. genau auf die allgemeinen Kategorien bezogen, die seinerzeit durch die Richtlinie 91/357 festgelegt worden seien.

25     Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, die auf die Herstellung von Mischfuttermitteln spezialisiert sind, haben beim Consiglio di Stato Berufung gegen Entscheidungen des Tribunale amministrativo regionale del Lazio eingelegt. Sie begehren die Nichtigerklärung der zur Umsetzung der angefochtenen Vorschriften der Richtlinie 2002/2 in italienisches Recht erlassenen Regelung. Mit zwei gesonderten Entscheidungen hat das vorlegende Gericht die Durchführung dieser Regelung vorläufig ausgesetzt.

26     In Bezug auf den Schutz der öffentlichen Gesundheit führt dieses Gericht aus, Futtermittel pflanzlichen Ursprungs begründeten weniger Risiken als Mischfuttermittel, die Tiermehl enthielten, dessen Verwendung dem Auftreten von BSE zugrunde liege. Im Übrigen beziehe sich Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b EG nur auf Maßnahmen, die die Krankheiten und die Behandlung von Tieren beträfen, während die Etikettierung von pflanzlichen Futtermitteln nicht den Schutz der Gesundheit zum unmittelbaren Ziel habe.

27     In dem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑11/04 vertritt der Consiglio di Stato die Auffassung, angesichts der vorgetragenen Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der angefochtenen Gemeinschaftsmaßnahme sei eine Frage nach der Verletzung des Eigentumsrechts des Artikels 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, übernommen in Artikel 17 der am 7. Oktober 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1), betreffend das geistige Eigentum, das Unternehmensgeheimnis und das betriebliche Know-how, nicht offensichtlich unbegründet.

28     In dem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑12/04 äußert der Consiglio di Stato Zweifel an der Anwendbarkeit der Richtlinie 2002/2. Die fehlende Erstellung des Verzeichnisses der verwendbaren Ausgangserzeugnisse bewirke die Unvollständigkeit der Gemeinschaftsregelung, die Unmöglichkeit, zu Angaben auf der Etikettierung der Futtermittelerzeugnisse zu verpflichten, und die Zwecklosigkeit der Verpflichtungen zum Zweck der Nahrungsmittelsicherheit.

29     Der Consiglio di Stato führt in diesem Vorabentscheidungsersuchen weiter aus, in den Vorschriften über die Etikettierung der Lebensmittel, d. h. der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 109, S. 29), sei die Pflicht zur Angabe der Mengen der Ausgangserzeugnisse nicht vorgesehen. Daraus ergebe sich die paradoxe Situation, dass Mischfuttermittel für Tiere im Hinblick auf die Informationspflichten auf den Etiketten einer strengeren Regelung unterlägen als für Menschen bestimmte Lebensmittel.

30     In der Rechtssache C‑11/04 hat der Consiglio di Stato beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b EG dahin auszulegen, dass er die zutreffende Rechtsgrundlage für den Erlass der Bestimmungen der Richtlinie 2002/2 über die Etikettierung ist, soweit diese sich auf pflanzliche Futtermittel bezieht?

2.      Ist die Richtlinie 2002/2 in dem Teil, in dem sie die – auch für Futtermittel auf pflanzlicher Basis geltende – Verpflichtung zur genauen Angabe der in den Mischfuttermitteln enthaltenen Ausgangserzeugnisse enthält, sowohl auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips – wenn das wissenschaftliche Beweismaterial für die Annahme einer Gefahr nicht ausreicht und deswegen Vorsorgemaßnahmen wegen eines möglichen Zusammenhangs zwischen der Menge der verwendeten Ausgangserzeugnisse und der Gefahr von Erkrankungen erforderlich sind – als auch im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt, weil die Informationspflichten der Futtermittelindustrie gegenüber öffentlichen Stellen, die zur Geheimhaltung verpflichtet und für Kontrollen zum Schutz der Gesundheit zuständig sind, für den Gesundheitsschutz, der Zweck der Maßnahme ist, nicht ausreichen, wenn sie eine generalisierende Verpflichtung zur Angabe des mengenmäßigen Anteils der verwendeten Ausgangserzeugnisse auf den Etiketten der Futtermittel auf pflanzlicher Basis enthält?

3.      Widerspricht die Richtlinie 2002/2, soweit sie nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, der den Bürgern der Mitgliedstaaten gegebenen Eigentumsgarantie?

31     In der Rechtssache C‑12/04 hat der Consiglio di Stato beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      [Identisch mit Frage 1 in der Rechtssache C‑11/04].

2.      [Identisch mit Frage 2 in der Rechtssache C‑11/04].

3.      Ist die Richtlinie 2002/2 dahin auszulegen, dass ihre Anwendung und somit ihre Wirksamkeit vom Erlass einer Positivliste von Ausgangserzeugnissen abhängig sind, die mit ihren spezifischen Namen angegeben sind, wie in der zehnten Begründungserwägung und im Bericht der Kommission (KOM[2003] 178 endg.) vom 24. April 2003 ausgeführt, oder muss die Anwendung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten erfolgen, bevor die in der Richtlinie vorgesehene Positivliste der Ausgangserzeugnisse erstellt ist, wobei auf eine Aufstellung der Ausgangserzeugnisse in den Mischfuttermitteln mit den allgemeinen Bezeichnungen und Definitionen ihrer Warenkategorien zurückgegriffen wird?

4.      Ist die Richtlinie 2002/2 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung zum Nachteil der Futtermittelhersteller gegenüber den Herstellern von Nahrungsmitteln für den menschlichen Verzehr rechtswidrig, soweit die Futtermittelhersteller Vorschriften unterliegen, die zu mengenmäßigen Angaben der Ausgangserzeugnisse der Mischfuttermittel verpflichten?

32     In beiden Ausgangsverfahren weist der Consiglio di Stato darauf hin, dass der High Court of Justice dem Gerichtshof am [23.] Oktober 2003 zwar ähnliche Fragen vorgelegt habe, der Vorlagebeschluss jedoch gerechtfertigt sei, um die Verfahrensrechte der Berufungsklägerinnen vor dem Gemeinschaftsrichter zu wahren.

33     Die Rechtssachen C‑11/04 und C‑12/04 sind durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 25. März 2004 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 Rechtssache C‑194/04

34     Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Nederlandse Vereniging Diervoederindustrie (Nevedi) (niederländischer Verband der Tierfutterhersteller; im Folgenden: Nevedi), hat beantragt, die zur Umsetzung der streitigen Vorschriften der Richtlinie 2002/2 in niederländisches Recht erlassene Regelung auszusetzen.

35     Der Beklagte des Ausgangsverfahrens, der Productschap Diervoeder (Wirtschaftsverband Futtermittel; im Folgenden: Productschap), ist eine Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne des Gesetzes über die Betriebsorganisation (Wet op de Bedrijfsorganisatie). Dieses Gesetz gibt dieser Einrichtung die Befugnis zum Erlass von Verordnungen betreffend Futtermittel. Diese Verordnungen müssen allerdings vom Minister für Landwirtschaft, Natur und Lebensmittelqualität genehmigt werden.

36     Artikel 1 Absatz 4 der Richtlinie 2002/2 wurde mit Wirkung vom 6. November 2003 durch die Artikel 7.3.2 Absatz 1 und 7.3.1 Absatz 1 Buchstabe l der Futtermittel-Verordnung 2003 des Productschap Diervoeder (Verordening PDV Diervoeders 2003) in der Fassung der Änderungsverordnung Nr. PDV-25 vom 11. April 2003 (PBO-blad Nr. 42 vom 27. Juni 2003) in niederländisches Recht umgesetzt.

37     Mit Schreiben vom 24. November 2003 ersuchte der Productschap den Minister für Landwirtschaft, Natur und Lebensmittelqualität um Genehmigung einer neuen Verordnung zur Aufhebung der sich aus der Umsetzung der Vorschriften der Richtlinie 2002/2 ergebenden Etikettierungsvorschriften. Am 19. Januar 2004 lehnte der Minister in Beantwortung dieses Antrags die Genehmigung des ihm vorgelegten Entwurfs mit der Begründung ab, er verstoße gegen das Gemeinschaftsrecht. Nur der Gerichtshof oder ein nationales Gericht – in Erwartung einer Entscheidung des Gerichtshofes – dürften in bestimmten Fällen die Durchführung von Maßnahmen zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts aussetzen. Eine solche Befugnis sei der nationalen Stelle selbst nicht zuerkannt.

38     Nevedi beantragte beim vorlegenden Gericht die Aussetzung der Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2002/2 bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofes über deren Gültigkeit. Sie verwies insbesondere auf eine in diesem Zusammenhang von einem Gericht des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage.

39     Mit der Vorlageentscheidung gab die Rechtbank ’s‑Gravenhage dem bei ihm anhängigen Aussetzungsantrag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes statt und beschloss ferner, das Verfahren hinsichtlich der weiteren Anträge auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b der Richtlinie 2002/2 und/oder Artikel 1 Nummer 4 der Richtlinie 2002/2, soweit damit Artikel 5c Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 79/373 dahin geändert wird, dass Hundertteile angegeben werden müssen, ungültig wegen

a)      Fehlens einer Rechtsgrundlage in Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b EG-Vertrag,

b)      Verstoßes gegen Grundrechte, wie das Eigentumsrecht und das Recht auf freie Berufsausübung,

c)      Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit?

2.      Sind, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen ein nationales Gericht eines Mitgliedstaats befugt ist, die Durchführung einer angefochtenen Maßnahme der Gemeinschaftsorgane auszusetzen, und zwar insbesondere auch die Voraussetzung, dass die Frage nach der Gültigkeit dieser angefochtenen Maßnahme bereits von einem nationalen Gericht dieses Mitgliedstaats dem Gerichtshof vorgelegt worden ist, dann auch die zuständigen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten befugt, ohne richterliche Mitwirkung selbst die angefochtene Maßnahme auszusetzen, bis der Gerichtshof über die Gültigkeit dieser Maßnahme entschieden hat?

40     Angesichts der Ähnlichkeit der vorgelegten Fragen sind die verschiedenen Rechtssachen zur Verkündung eines gemeinsamen Urteils zu verbinden.

 Zu den Anträgen auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung

41     Mit Schreiben vom 9. Mai 2005 haben die Fratelli Martini & C. SpA (im Folgenden: Fratelli Martini) und die Cargill Srl, Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑11/04, den Gerichtshof ersucht, gemäß Artikel 61 der Verfahrensordnung die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Zur Begründung haben sie vorgetragen, in dem in der Verhandlung vom Bevollmächtigten der dänischen Regierung gegebenen Beispiel, das vom Generalanwalt als Stütze für seine Auffassung verwendet worden sei, seien wissenschaftliche Fehler festgestellt worden. Sie haben ihrem Antrag ein Sachverständigengutachten beigefügt.

42     Insoweit ist festzustellen, dass der Gerichtshof von Amts wegen, auf Vorschlag des Generalanwalts oder auf Antrag der Parteien die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung anordnen kann, wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder ein zwischen den Parteien nicht erörtertes Vorbringen als entscheidungserheblich ansieht (vgl. Urteile vom 19. Februar 2002 in der Rechtssache C‑309/99, Wouters u. a., Slg. 2002, I‑1577, Randnr. 42, vom 14. Dezember 2004 in der Rechtssache C‑434/02, Arnold André, Slg. 2004, I‑11825, Randnr. 27, und in der Rechtssache C‑210/03, Swedish Match, Slg. 2004, I‑11893, Randnr. 25).

43     Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof jedoch nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er über sämtliche Angaben verfügt, die für die Beantwortung der Vorlagefragen erforderlich sind. Der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist daher zurückzuweisen.

 Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen in der Rechtssache C‑194/04

44     Das Parlament, der Rat und die Kommission machen geltend, die Vorabentscheidungsfragen seien unzulässig, da das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang sowie die Gründe, die es zur Vorlage dieser Fragen veranlasst hätten, nicht hinreichend dargelegt habe. Unter anderem mache es keinerlei Angaben zu den geltend gemachten Verstößen gegen die Grundrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch zur zweiten Vorlagefrage.

45     Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht sachdienlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gelangen, es erforderlich macht, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfügen, festlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen (vgl. u. a. Beschluss vom 8. Oktober 2002 in der Rechtssache C‑190/02, Viacom, Slg. 2002, I‑8287, Randnr. 15 mit weiteren Nachweisen, Urteil vom 17. Februar 2005 in der Rechtssache C‑134/03, Viacom Outdoor, Slg. 2005, I‑1167, und Urteil vom 12. April 2005 in der Rechtssache C‑145/03, Keller, Slg. 2005, I‑2529, Randnr. 29).

46     Des Weiteren hat der Gerichtshof die Notwendigkeit hervorgehoben, dass das nationale Gericht die genauen Gründe angibt, aus denen ihm die Auslegung des Gemeinschaftsrechts fraglich und die Vorlage von Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof erforderlich erscheinen. So hat der Gerichtshof entschieden, dass es unerlässlich ist, dass das nationale Gericht ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Gemeinschaftsbestimmungen, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Bestimmungen und den auf den Rechtsstreit anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften herstellt (vgl. insbesondere Beschluss Viacom, Randnr. 16, und Urteil vom 21. Januar 2003 in der Rechtssache C‑318/00, Bacardi-Martini und Cellier des Dauphins, Slg. 2003, I‑905, Randnr. 43).

47     Diese Anforderungen beruhen insbesondere darauf, dass die Angaben in den Vorlageentscheidungen dem Gerichtshof nicht nur sachdienliche Antworten ermöglichen, sondern auch den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit geben sollen, gemäß Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes Erklärungen abzugeben (Beschlüsse vom 2. März 1999 in der Rechtssache C‑422/98, Colonia Versicherung u. a., Slg. 1999, I‑1279, Randnr. 5, und Viacom, Randnr. 14, sowie Urteil Keller, Randnr. 30).

48     Im Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht, dessen Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen ist, den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen dargestellt, in den sich die von ihm vorgelegten Fragen einordnen. Es hat die Gründe, die es zur Vorlage dieser Fragen veranlasst haben, knapp, aber ausreichend beschrieben.

49     Ferner ist darauf hinzuweisen, dass dieses Gericht auf die von einem Gericht des Vereinigten Königreichs vorgelegten Fragen zum selben Thema verwiesen hat. Es konnte für das Parlament, den Rat und die Kommission kein Problem sein, die Rechtssache C‑453/03 zu identifizieren, in der jedes dieser Organe zu dem Zeitpunkt, zu dem ihnen die Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑194/04 mitgeteilt wurde, bereits Erklärungen abgegeben hatte. Diese Organe können also nicht mit Erfolg geltend machen, es sei ihnen unmöglich gewesen, in Kenntnis aller Umstände Erklärungen abzugeben.

50     Was schließlich die zweite Frage angeht, kann diese nicht deswegen als hypothetisch angesehen werden, weil die Klägerin des Ausgangsverfahrens ohnehin ein nationales Gericht um Aussetzung der Anwendung des Gemeinschaftsrechtsakts ersucht hat. Aus den von der Klägerin des Ausgangsverfahrens abgegebenen Erklärungen geht nämlich hervor, dass diese sich gegen die Weigerung des zuständigen Ministers wendet, die nationale Regelung zur Umsetzung der Richtlinie 2002/2 aufzuheben, sowie gegen das Erfordernis, einen Richter um Aussetzung der Anwendung dieser Regelung zu ersuchen, die damit verbundenen Kosten und den dem Rechtsbürger hierdurch entstehenden Schaden. Demnach ist die Frage im Zusammenhang des Ausgangsrechtsstreits nicht offensichtlich unerheblich.

51     Die in der Rechtssache C‑194/04 vorgelegten Fragen sind daher für zulässig zu erklären.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Rechtsgrundlage

52     Mit Buchstabe a der in der Rechtssache C‑453/03 vorgelegten Frage, mit der ersten Frage in den beiden Rechtssachen C‑11/04 und C‑12/04 sowie mit der ersten Frage, Buchstabe a, in der Rechtssache C‑194/04 ersuchen die vorlegenden Gerichte den Gerichtshof im Wesentlichen, über die Gültigkeit von Artikel 1 Absätze 1 Buchstabe b und 4 der Richtlinie 2002/2 zu entscheiden, da Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b EG keine geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass dieser Vorschriften darstelle, namentlich angesichts dessen, dass sie die Etikettierung von Futtermitteln pflanzlichen Ursprungs beträfen.

53     Wie der Rat in seinen Erklärungen ausgeführt und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, hätte die streitige Maßnahme, wenn sie nicht unmittelbar dem Schutz der öffentlichen Gesundheit gedient hätte, unter Artikel 37 EG fallen können, der dem Gemeinschaftsgesetzgeber ebenfalls eine Zuständigkeit verleihe. Die Prüfung der Rechtsgrundlage der Richtlinie 2002/2 bleibe jedoch von Bedeutung, um festzustellen, ob das Verfahren zum Erlass dieser Richtlinie nicht rechtswidrig war (in diesem Sinne Urteil vom 10. Dezember 2002 in der Rechtssache C‑491/01, British American Tobacco [Investments] und Imperial Tobacco, Slg. 2002, I‑11453, Randnr. 111).

54     Nach ständiger Rechtsprechung muss sich im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Gemeinschaft die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts (vgl. z. B. Urteile vom 4. April 2000 in der Rechtssache C‑269/97, Kommission/Rat, Slg. 2000, I‑2257, Randnr. 43, und vom 30. Januar 2001 in der Rechtssache C‑36/98, Spanien/Rat, Slg. 2001, I‑779, Randnr. 58, sowie Urteil British American Tobacco [Investments] und Imperial Tobacco, Randnr. 93).

55     Die Richtlinie 2002/2 ist auf Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b EG gestützt, der den Erlass von Maßnahmen in den Bereichen Veterinärwesen und Pflanzenschutz erlaubt, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben.

56     In der dritten und vierten Begründungserwägung dieser Richtlinie werden die Rechtslage in Bezug auf die Angabe der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse, wie sie bis zum Erlass dieser Richtlinie bestand, und die Notwendigkeit ausführlicherer Informationen, wie sie durch die BSE-Krise und die Dioxinkrise aufgezeigt wurden, dargestellt. Nach der fünften Begründungserwägung dieser Richtlinie können detaillierte quantitative Angaben über die Zusammensetzung zur Rückverfolgung von möglicherweise kontaminiertem Material zu bestimmten Partien beitragen, was für die Gesundheit der Bevölkerung von Nutzen wäre.

57     Die Prüfung dieser Begründungserwägungen ergibt, dass das vom Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem Erlass der Vorschriften über die Angabe der Futtermittel-Ausgangserzeugnisse verfolgte Ziel darin bestand, den Schutz der öffentlichen Gesundheit sicherzustellen.

58     Anders als vom Consiglio di Stato in den Vorlageentscheidungen in den Rechtssachen C‑11/04 und C‑12/04 dargestellt, können Futtermittel pflanzlichen Ursprungs vergleichbare Gesundheitsrisiken wie Futtermittel tierischen Ursprungs aufweisen. Fratelli Martini und die Organe, die in den vorliegenden Rechtssachen Erklärungen abgegeben haben, haben zu Recht auf die mit Aflatoxin B1, einem kanzerogenen Toxin, das von einigen Pilzarten gebildet wird, die sich speziell auf Getreide und Nüssen entwickeln, verbundenen Risiken, auf die Dioxinkrise des Jahres 1999, die die Herstellung von Futtermitteln in Belgien betroffen habe, auf Fälle von Getreideverunreinigungen durch Pflanzenschutzmittel und auf das Vorkommen eines für die Herstellung von Verhütungsmitteln für Menschen verwendeten Hormons in Abwässern aus der Herstellung von Futtermitteln hingewiesen.

59     Wie der Bevollmächtigte der dänischen Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, erlaubt es die Angabe der Gewichtshundertteile der Bestandteile eines Erzeugnisses, im Falle der Kontaminierung die Nachforschungen zu konzentrieren und die verdächtigen Futtermittel schnell vom Markt zu nehmen. Die Angabe eines hohen Anteils von biologischem Mais in einem Futtermittel, das von einem Landwirt an Rinder verfüttert worden sei, habe es den dänischen Behörden im Jahr 2004 erlaubt, diesen Bestandteil als wahrscheinliche Quelle eines erhöhten Aflatoxingehalts der von diesem Züchter erzeugten und für den menschlichen Verbrauch bestimmten Milch zu identifizieren. Dies habe die sofortige Rücknahme des verunreinigten Erzeugnisses ermöglicht, ohne dass die Ergebnisse von Laboranalysen hätten abgewartet werden müssen.

60     Somit ist festzustellen, dass die in den Ausgangsverfahren streitigen Vorschriften der Richtlinie 2002/2 unmittelbar zur Erreichung des Zieles des Schutzes der öffentlichen Gesundheit beitragen können.

61     Nach alledem sind die Rügen, diese Vorschriften seien aufgrund einer falschen Rechtsgrundlage ungültig, nicht begründet.

 Zum Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz

62     Die vierte Frage des Consiglio di Stato in der Rechtssache C‑12/04 geht dahin, ob die Richtlinie 2002/2 wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung rechtswidrig ist, weil die Futtermittelhersteller Vorschriften unterliegen, die zu mengenmäßigen Angaben für die Ausgangserzeugnisse der Mischfuttermittel verpflichten.

63     Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist (Urteile Arnold André, Randnr. 68, und Swedish Match, Randnr. 70, sowie Urteil vom 12. Juli 2005 in den verbundenen Rechtssachen C‑154/04 und C‑155/04, Alliance for Natural Health u. a., Slg. 2005, I‑0000, Randnr. 115).

64     Ziel der Richtlinie 2002/2 ist der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Ein solches Ziel könnte eine Ungleichbehandlung insbesondere in Anbetracht der Verpflichtung aus Artikel 152 Absatz 1 EG, bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und ‑maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen, rechtfertigen.

65     Auch wenn im Übrigen dargetan werden könnte, dass derart restriktive Maßnahmen auch in Sektoren gerechtfertigt wären, in denen solche Maßnahmen noch nicht getroffen wurden, wie demjenigen der Lebensmittel für den menschlichen Verzehr, würde dies, wie der Rat zu Recht ausgeführt hat, keinen ausreichenden Grund für die Annahme darstellen, dass die in dem Sektor, auf den sich die streitigen Gemeinschaftsmaßnahmen beziehen, getroffenen Maßnahmen wegen ihres diskriminierenden Charakters rechtswidrig seien. Anderenfalls würde dies dazu führen, dass das Niveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit an diejenige bestehende Regelung angeglichen würde, die den niedrigsten Schutz aufweist.

66     Die Prüfung der vorgelegten Frage hat somit nichts ergeben, was die Gültigkeit des Artikels 1 Nummern 1 Buchstabe b und 4 der Richtlinie 2002/2 im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung beeinträchtigen könnte.

 Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

67     Mit Buchstabe c der in der Rechtssache C‑453/03 vorgelegten Frage, der zweiten Frage in den beiden Rechtssachen C‑11/04 und C‑12/04 sowie der ersten Frage, Buchstabe c, in der Rechtssache C‑194/04 möchten die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen wissen, ob Artikel 1 Nummern 1 Buchstabe b und 4 der Richtlinie 2002/2 gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. In diesem Zusammenhang fragt der Consiglio di Stato den Gerichtshof ferner nach einem etwaigen Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip dadurch, dass die betreffenden Vorschriften erlassen worden seien, ohne dass eine auf wissenschaftlichen Studien beruhende Risikoanalyse vorgenommen worden sei.

68     Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört, dass die von einer Gemeinschaftsbestimmung eingesetzten Mittel zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet sind und nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (vgl. Urteile Arnold André, Randnr. 45, und Swedish Match, Randnr. 47).

69     Was die gerichtliche Nachprüfbarkeit der in der vorstehenden Randnummer genannten Voraussetzungen angeht, so verfügt der Gemeinschaftsgesetzgeber in einem Bereich wie dem hier betroffenen, der von ihm politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen verlangt und in dem er komplexe Prüfungen durchführen muss, über ein weites Ermessen. Folglich ist eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie im Hinblick auf das Ziel, das die zuständigen Organe verfolgen, offensichtlich unverhältnismäßig ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Arnold André, Randnr. 46, Swedish Match, Randnr. 48, und Alliance for Natural Health u. a., Randnr. 52).

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

70     Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren, unterstützt durch die spanische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs, machen im Wesentlichen geltend, die Angabe der genauen Zusammensetzung der betreffenden Futtermittel stelle eine erhebliche Verletzung ihrer Rechte und wirtschaftlichen Interessen dar und sei angesichts der im Sektor Futtermittel bereits bestehenden Regelung nicht für den Gesundheitsschutz erforderlich.

71     Sie verweisen insoweit auf die anderen Vorschriften der Richtlinie 79/373 in der Fassung der Richtlinie 2002/2, insbesondere auf Artikel 5 Absatz 5 Buchstabe d, der die Angabe der Bezugsnummer der Partie vorschreibt, und Artikel 12, der vorschreibt, dass die Hersteller den Behörden alle Dokumente, die die Zusammensetzung der Futtermittel betreffen, zur Verfügung stellen müssen. Nach Ansicht der Klägerinnen der Ausgangsverfahren ermöglichen diese beiden Verpflichtungen, deren Notwendigkeit sie nicht in Abrede stellen, die Rückverfolgung der Futtermittel unter Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Hersteller, da die Behörden an die Verschwiegenheitspflicht gebunden seien und die erlangten Informationen nur verwenden dürften, um die öffentliche Gesundheit zu schützen.

72     Zum Inhalt der Futtermittel verweisen die Klägerinnen der Ausgangsverfahren auf die Richtlinie 70/524/EWG des Rates vom 23. November 1970 über Zusatzstoffe in der Tierernährung (ABl. L 270, S. 1) und auf die Richtlinie 1999/29/EG des Rates vom 22. April 1999 über unerwünschte Stoffe und Erzeugnisse in der Tierernährung (ABl. L 115, S. 32). Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung galt die letztgenannte Richtlinie in der durch die Richtlinie 2002/32/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Mai 2002 über unerwünschte Stoffe in der Tierernährung (ABl. L 140, S. 10) geänderten und neugefassten Form.

73     Die Klägerinnen der Ausgangsverfahren verweisen schließlich auf die am selben Tag wie die Richtlinie 2002/2 verabschiedete Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31, S. 1), die ihrer Auffassung nach die neue Rahmenregelung auf dem Gebiet der Lebensmittelsicherheit darstellt. Artikel 18 dieser Verordnung schreibe vor, dass alle Stoffe, von denen erwartet werden könne, dass sie in einem Futtermittel verarbeitet werden könnten, rückverfolgbar sein müssten, und Artikel 20 sehe Verfahren für die Rücknahme von Futtermitteln, von denen anzunehmen sei, dass sie die Anforderungen an die Futtermittelsicherheit nicht erfüllten, vom Markt vor.

74     Die italienische, die niederländische, die dänische, die griechische und die französische Regierung sowie das Parlament, der Rat und die Kommission vertreten dagegen die Auffassung, das Erfordernis der Angabe der Gewichtshundertteile der Bestandteile eines Futtermittels verstoße in Anbetracht des verfolgten Zieles der öffentlichen Gesundheit nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

75     Das Parlament verweist ferner auf das Ziel der Transparenz. Es stellt einen durch die BSE-Krise eingetretenen Glaubwürdigkeitsverlust der zuständigen Behörden fest, der nur durch eine Politik der Transparenz gemildert werden könne. Dieser Gesichtspunkt müsse bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme, deren Ziel es lediglich sei, den Tierhaltern die Entscheidung über die Fütterung ihrer Tiere zu überlassen, berücksichtigt werden. Schon aus diesem Grund reiche es nicht aus, wenn die Hersteller die genaue Zusammensetzung der Futtermittel den zuständigen Gesundheitsbehörden übermittelten.

 Antwort des Gerichtshofes

76     Wie bereits in den Randnummern 59 und 60 dieses Urteils ausgeführt, stellt die Verpflichtung zur Angabe der Gewichtshundertteile der Bestandteile eines Futtermittels eine Maßnahme dar, die zum Ziel des Schutzes der Gesundheit von Tieren und Menschen beitragen kann. Sie erlaubt es nämlich, die vermutlich verunreinigten Bestandteile eines Futtermittels zu identifizieren, ohne die Ergebnisse der Laboruntersuchungen abzuwarten, und dieses Futtermittel schnell dem Verbrauch zu entziehen.

77     Diese Maßnahme erscheint nicht überflüssig im Hinblick auf das Erfordernis der Angabe der Bezugsnummer der Partie gemäß Artikel 1 Nummer 3 der Richtlinie 2002/2. Diese Angabe ermöglicht nämlich die Rückverfolgung der Partie eines Mischfuttermittels, nicht aber unmittelbar diejenige seiner Bestandteile. Überdies kann die Prüfung der Rückverfolgbarkeit eine bestimmte Zeit in Anspruch nehmen, während in einer Situation, in der eine Nahrungsmittelkrise droht, eine schnelle Reaktion erforderlich ist.

78     Dasselbe gilt für die anderen Regelungen, auf die die Klägerinnen der Ausgangsverfahren Bezug nehmen. Diese betreffen nämlich den Inhalt der Erzeugnisse (Richtlinien 70/524 und 1999/29) oder die Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (Verordnung Nr. 178/2002); jedoch enthält keine von ihnen Vorschriften, die die Angabe der Bestandteile eines Erzeugnisses auf diesem verlangen. Diese Regelungen erlauben es den betreffenden Behörden oder dem Benutzer eines Erzeugnisses also nicht, über ausreichende Angaben zu verfügen, um im Falle einer Nahrungsmittelkrise sofort die geeigneten Vorsorgemaßnahmen zu treffen.

79     Die verschiedenen Klägerinnen der Ausgangsverfahren machen geltend, die Angabe der genauen Gewichtshundertteile der Bestandteile des Erzeugnisses gewährleiste weder, dass das Mischfuttermittel einwandfrei sei, noch dass seine Bestandteile nicht verunreinigt seien. Allerdings ist es nicht das Ziel der Verpflichtung zur Angabe der Bestandteile, das Nichtvorliegen einer Verunreinigung zu gewährleisten, sondern vielmehr – für den Fall, dass diese Bestandteile verunreinigt wären – eine schnelle Identifizierung der Futtermittel zu erlauben, die diese enthalten.

80     Allerdings ist es – wie der Generalanwalt in den Nummern 115 bis 119 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – für die Erreichung dieses Zieles nicht erforderlich, den Hersteller zu verpflichten, den Kunden, die dies begehren, die genaue mengenmäßige Zusammensetzung der Futtermittel mitzuteilen.

81     Abgesehen von Angaben im Rahmen von „Prozentspannen“, d. h. mit einer Toleranzspanne von ± 15 % des angegebenen Wertes, die gemäß Artikel 1 Nummer 4 der Richtlinie 2002/2 auf dem Etikett des Erzeugnisses enthalten sein müssen, ist der Hersteller nämlich gemäß Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b dieser Richtlinie verpflichtet, dem Kunden auf Antrag schriftlich die genaue Angabe der Gewichtshundertteile der in dem Futtermittel enthaltenen Einzelfuttermittel zu übermitteln.

82     Wie die Klägerinnen der Ausgangsverfahren ausgeführt haben, stellt die Verpflichtung zur genauen Angabe der Bestandteile eines Futtermittels gegenüber den Kunden eine schwere Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Hersteller dar, da sie diese zwinge, den Kunden die Formeln für die Zusammensetzung ihrer Erzeugnisse offen zu legen, auf die Gefahr hin, dass diese Erzeugnisse als Modelle benutzt würden – womöglich von den Kunden selbst – und dass die Hersteller nicht mehr die Gewinne aus den Investitionen ziehen könnten, die sie im Rahmen der Forschung und Neuentwicklung vorgenommen hätten.

83     Eine solche Verpflichtung ist nicht durch das verfolgte Ziel des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt und geht offensichtlich über das hinaus, was zu Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. Insbesondere steht diese Verpflichtung in keinem Zusammenhang mit Problemen der Verunreinigung von Futtermitteln und muss auf bloßen Antrag des Kunden erfüllt werden. Außerdem ergibt sich aus den Erläuterungen, die dem Gerichtshof gegeben wurden, und den Beispielen, die ihm vorgelegt wurden, dass die Angabe der Gewichtshundertteile im Rahmen von Prozentspannen auf dem Etikett normalerweise die Identifizierung eines möglicherweise verunreinigten Futtermittels erlauben muss, um seine Gefährlichkeit nach Maßgabe des angegebenen Gewichts einzuschätzen und gegebenenfalls seine vorläufige Rücknahme zu beschließen, bis die Ergebnisse der Laboranalysen vorliegen, oder um die Rückverfolgung des Erzeugnisses durch die betreffenden Behörden zu ermöglichen.

84     Schließlich ist, unabhängig von den im Rahmen der Verordnung Nr. 178/2002 – die am selben Tag verabschiedet wurde wie die Richtlinie 2002/2 – eingeführten Kontrollverfahren, daran zu erinnern, dass Artikel 1 Nummer 5 dieser Richtlinie vorsieht, dass die Mischfutterhersteller gehalten sind, den mit der Durchführung der amtlichen Kontrollen beauftragten Behörden alle Dokumente, die die Zusammensetzung der zum Inverkehrbringen bestimmten Futtermittel betreffen und anhand deren die Zuverlässigkeit der Angaben auf den Etiketten kontrolliert werden kann, auf Anforderung dieser Behörden zur Verfügung zu stellen.

85     Aufgrund all dessen ist festzustellen, dass Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b der Richtlinie 2002/2, der Mischfuttermittelhersteller verpflichtet, dem Kunden auf Antrag die genaue Zusammensetzung eines Futtermittels zu übermitteln, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ungültig ist. Dagegen hat die Prüfung der vorgelegten Frage nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 1 Nummer 4 dieser Richtlinie im Hinblick auf diesen Grundsatz beeinträchtigen könnte.

86     Mit Buchstabe b der Vorlagefrage in der Rechtssache C‑453/03, der dritten Frage in der Rechtssache C‑11/04 und der ersten Frage Buchstabe b in der Rechtssache C‑194/04 haben die vorlegenden Gerichte den Gerichtshof im Wesentlichen ferner ersucht, sich zur Gültigkeit der Vorschriften des Artikels 1 Nummern 1 Buchstabe b und 4 der Richtlinie 2002/2 zu äußern, weil diese gegen die Grundrechte, insbesondere gegen das Eigentumsrecht und das Recht auf freie Berufsausübung, verstießen.

87     Nach ständiger Rechtsprechung gehört das Eigentumsrecht wie auch das Recht auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Diese Grundsätze können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich können die Ausübung des Eigentumsrechts wie auch das Recht auf freie Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. zuletzt Urteil Alliance for Natural Health u. a., Randnr. 126).

88     In Anbetracht der Antwort auf die Frage betreffend den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit braucht jedoch nicht mehr geprüft zu werden, ob die streitige Vorschrift das Eigentumsrecht der Hersteller von Mischfuttermitteln oder das Recht auf freie Berufsausübung verletzt.

 Zur unterbliebenen Verabschiedung einer Positivliste

89     Mit seiner dritten Frage in der Rechtssache C‑12/04 fragt der Consiglio di Stato, ob die Richtlinie 2002/2 dahin auszulegen ist, dass ihre Anwendung und somit ihre Wirksamkeit von der Verabschiedung der in der zehnten Begründungserwägung dieser Richtlinie vorgesehenen Positivliste von Ausgangserzeugnissen abhängig sind, die mit ihren spezifischen Namen angegeben sind.

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

90     Ferrari Mangimi Srl und die spanische Regierung tragen vor, dies müsse der Fall sein. Die frühere Regelung habe die Verpflichtung aufgestellt, die Ausgangserzeugnisse anhand einer provisorischen Liste anzugeben, und, für den Fall, dass diese nicht verwendbar sei, die hilfsweise Verpflichtung, die allgemeinen Kategorien der Ausgangserzeugnisse, wie im Anhang der Richtlinie 91/357 enthalten, anzugeben. Die Richtlinie 2002/2 habe diese Regelung aufgehoben und die Erstellung einer Positivliste der Ausgangserzeugnisse durch die Kommission vorgesehen. Im Anschluss an eine Studie sei die Kommission jedoch zu der Auffassung gelangt, die Festlegung einer solchen Liste sei absolut nicht ausschlaggebend, um die Sicherheit der Futtermittel zu gewährleisten, und sie habe keinen Vorschlag für die Erstellung einer solchen Liste vorgelegt. Im Bericht der Kommission werde darauf hingewiesen, dass es unmöglich sei, in eine Positivliste Tausende von unterschiedlichen Produkten aufzunehmen, die an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Verfahren hergestellt würden und die sich möglicherweise im Sicherheitsstatus sowie in den ernährungsphysiologischen und technischen Merkmalen unterschieden. Ferner heißt es in dem Bericht, dass das Sicherheitsrisiko nicht in den Ausgangserzeugnissen selbst liege, sondern vielmehr in ihrer zufällig oder vorsätzlich verursachten Verunreinigung.

91     Die spanische Regierung beharrt auf dem Gebot der Rechtssicherheit, dem zufolge eine Gemeinschaftsregelung es den Betroffenen ermöglichen müsse, den Umfang der ihnen durch diese Regelung auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen.

92     Die griechische Regierung stellt fest, die Eintragung der Stoffe, die verwendet werden könnten, in eine einheitliche Liste sei gemeinschaftsrechtlich nicht harmonisiert worden, so dass die Regelung dieser Frage dem nationalen Recht obliege. Diese Sachlage stehe einer wirksamen Anwendung der Richtlinie 2002/2 in den Mitgliedstaaten nicht entgegen.

93     Das Parlament, der Rat und die Kommission vertreten die Auffassung, es bestehe kein Zusammenhang zwischen der Verabschiedung der Positivliste der zehnten Begründungserwägung der Richtlinie 2002/2, die nur noch einen Wunsch ohne eigenständige rechtliche Bedeutung darstelle und die Kommission nur politisch verpflichte, und der Durchführung der Etikettierungsvorschriften. Folglich seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, diese Richtlinie unabhängig von der Verabschiedung einer solchen Liste anzuwenden und sich darauf zu beschränken, die Verwendung der gemeinsamen Bezeichnungen der Ausgangserzeugnisse zu verlangen.

 Antwort des Gerichtshofes

94     Es ist daran zu erinnern, dass die zehnte Begründungserwägung der Richtlinie 2002/2 vorsah, dass die Kommission auf der Grundlage einer Durchführbarkeitsstudie dem Europäischen Parlament und dem Rat spätestens am 31. Dezember 2002 einen Bericht mit einem geeigneten Vorschlag für eine Positivliste aller Futtermittel-Ausgangserzeugnisse bei Mischfuttermitteln für Nutztiere vorlegen würde, wobei der Vorschlag den Schlussfolgerungen aus dem Bericht Rechnung tragen sollte.

95     Aus dem Wortlaut dieser Begründungserwägung ergibt sich, dass sie nur einen Wunsch des Gemeinschaftsgesetzgebers darstellt, dass ein Vorschlag für eine Positivliste der Ausgangserzeugnisse vorgelegt wird. Sie sieht nämlich nur die Erstellung einer Durchführbarkeitsstudie, die Abfassung eines Berichts und die Vorlage eines geeigneten Vorschlags vor, der den Schlussfolgerungen aus diesem Bericht Rechnung trägt.

96     Im Übrigen findet sich der Inhalt dieser Begründungserwägung im verfügenden Teil der Richtlinie nicht wieder, und ihre Prüfung ergibt in keiner Weise, dass ihre Durchführung von der Verabschiedung dieser Positivliste abhängig wäre. Insbesondere ist nicht festzustellen, dass die Etikettierungspflicht in Ermangelung einer solchen Liste nicht eingehalten werden könnte.

97     Die Aufhebung der Richtlinie 91/357 hat die Durchführung der Richtlinie 2002/2 nämlich nicht unmöglich gemacht, da die Hersteller mangels einer Gemeinschafts- oder nationalen Regelung auf diesem Gebiet die geläufigen spezifischen Bezeichnungen der Ausgangserzeugnisse verwenden können.

98     Nach alledem ist die Richtlinie 2002/2 dahin auszulegen, dass ihre Anwendung nicht von der Verabschiedung der in der zehnten Begründungserwägung dieser Richtlinie vorgesehenen Positivliste von Ausgangserzeugnissen abhängig ist, die mit ihren spezifischen Namen angegeben sind.

 Zur Befugnis der zuständigen nationalen Behörden, die Anwendung eines Gemeinschaftsrechtsakts auszusetzen

99     Die zweite Frage der Rechtbank ’s-Gravenhage geht dahin, ob, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen ein nationales Gericht eines Mitgliedstaats die Durchführung einer angefochtenen Maßnahme der Gemeinschaftsorgane aussetzen darf, und zwar insbesondere auch die Voraussetzung, dass die Frage nach der Gültigkeit dieser angefochtenen Maßnahme bereits von einem nationalen Gericht dieses Mitgliedstaats dem Gerichtshof vorgelegt worden ist, dann auch die zuständigen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten befugt sind, ohne richterliche Mitwirkung selbst die Durchführung der angefochtenen Maßnahme auszusetzen, bis der Gerichtshof über die Gültigkeit dieser Maßnahme entschieden hat.

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

100   Nevedi, Klägerin des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑194/04, trägt vor, das vorlegende Gericht habe dem Gerichtshof seine zweite Frage deswegen vorgelegt, weil der Productschap in seiner Eigenschaft als für den Erlass der Regelungen auf dem Gebiet des Viehfutters in den Niederlanden zuständige Einrichtung beabsichtigt habe, die Anwendung der Vorschriften über die offene Deklaration bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofes in der Rechtssache C‑453/03 von Amts wegen auszusetzen. Wegen der Weigerung des Ministers, die geltende Regelung auszusetzen, habe Nevedi ein gerichtliches Verfahren einleiten und im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um Aussetzung dieser Regelung ersuchen müssen.

101   Wenn die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes einzuhaltenden Voraussetzungen für die Berufung auf die Bestimmungen einer Richtlinie vor einem nationalen Gericht erfüllt seien, seien alle Stellen einschließlich der Verwaltungsbehörden ebenfalls verpflichtet, diese Bestimmungen selbst anzuwenden (siehe Urteil vom 22. Juni 1989 in der Rechtssache 103/88, Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839, Randnrn. 31 und 32). Wenn die Verwaltungsbehörden ebenso wie die Gerichte verpflichtet seien, die Bestimmungen einer Richtlinie anzuwenden, so müssten sie auch aus Gründen der Verfahrensökonomie befugt sein, die Anwendung eines angefochtenen Gemeinschaftsrechtsakts unter denselben Voraussetzungen auszusetzen wie die Gerichte.

102   Die italienische, die niederländische und die griechische Regierung sowie die Kommission verweisen auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes betreffend einstweilige Maßnahmen, die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit nationaler Gerichte, das Erfordernis einer einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und die Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens.

 Antwort des Gerichtshofes

103   Wie der Gerichtshof im Urteil vom 21. Februar 1991 in den verbundenen Rechtssachen C‑143/88 und C‑92/89 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest, Slg. 1991, I‑415, Randnr. 18; im Folgenden: Urteil Zuckerfabrik) ausgeführt hat, stellt das Vorabentscheidungsersuchen zur Beurteilung der Gültigkeit, ebenso wie die Nichtigkeitsklage, eine Form der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaftsorgane dar. Im Rahmen einer Nichtigkeitsklage kann nach Artikel 242 EG der Gerichtshof auf Antrag des Klägers den Vollzug der angefochtenen Handlung aussetzen. Die Kohärenz des Systems des vorläufigen Rechtsschutzes verlangt somit, dass auch das nationale Gericht den Vollzug eines auf eine Gemeinschaftsverordnung gestützten nationalen Verwaltungsakts aussetzen kann, wenn dessen Rechtmäßigkeit bestritten wird (siehe auch Urteile vom 9. November 1995 in der Rechtssache C‑465/93, Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a. [I], Slg. 1995, I‑3761, Randnr. 22, und vom 26. November 1996 in der Rechtssache C‑68/95, T. Port, Slg. 1996, I‑6065, Randnr. 49; zur Unzuständigkeit des Gerichtshofes für den Erlass einstweiliger Anordnungen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens siehe Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 24. Oktober 2001 in der Rechtssache C‑186/01 R, Dory, Slg. 2001, I‑7823, Randnr. 13).

104   Allerdings hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts, die ein Grunderfordernis der gemeinschaftlichen Rechtsordnung ist, bedeutet, dass jedenfalls für die Aussetzung der Vollziehung von auf einer Gemeinschaftsverordnung beruhenden Verwaltungsakten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das hinsichtlich der Antragstellung und der Sachverhaltsfeststellung dem nationalen Verfahrensrecht unterliegt, in allen Mitgliedstaaten einheitliche Regeln gelten müssen und dass diese Voraussetzungen dieselben sind, wie sie für den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch den Gerichtshof gelten (Urteil Zuckerfabrik, Randnrn. 26 f.).

105   Der Gerichtshof hat insbesondere ausgeführt, dass das jeweilige Gericht im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen hinsichtlich der Dringlichkeit und der Gefahr eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens erfüllt sind, die Umstände des Falles zu untersuchen und zu prüfen hat, ob die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts, hinsichtlich dessen der Erlass einstweiliger Anordnungen beantragt wird, dem Antragsteller irreversible Schäden zufügen könnte, die nicht mehr wieder gutzumachen wären, wenn die Gemeinschaftshandlung für ungültig erklärt werden müsste (Urteile Zuckerfabrik, Randnr. 29, und Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a. [I], Randnr. 41).

106   Als Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit Gemeinschaftsrecht anzuwenden hat und daher verpflichtet ist, dessen volle Wirkung sicherzustellen, muss das nationale Gericht, bei dem ein Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnungen gestellt wird, die Beeinträchtigung berücksichtigen, die von der Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes für die durch einen Gemeinschaftsrechtsakt in der gesamten Gemeinschaft eingeführte rechtliche Regelung ausgehen kann. Zu berücksichtigen sind sowohl die kumulative Wirkung, die eintreten würde, wenn zahlreiche Gerichte aus ähnlichen Gründen ebenfalls Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes erlassen würden, als auch die Besonderheit der Situation des Antragstellers, die diesen von den übrigen betroffenen Wirtschaftsteilnehmern unterscheidet (Urteil Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a. [I], Randnr. 44).

107   Insbesondere wenn der Erlass von Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes ein finanzielles Risiko für die Gemeinschaft darstellt, muss das nationale Gericht im Übrigen die Möglichkeit haben, von dem Antragsteller hinreichende Sicherheiten, etwa eine Kaution oder eine Hinterlegung, zu verlangen (Urteile Zuckerfabrik, Randnr. 32, und Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a. [I], Randnr. 45).

108   Insoweit ist festzustellen, dass nationale Verwaltungsbehörden wie diejenigen in der Rechtssache C‑194/04 nicht in der Lage sind, einstweilige Maßnahmen unter Einhaltung der vom Gerichtshof festgelegten Voraussetzungen zu erlassen.

109   In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass der Status dieser Behörden bei ihnen im Allgemeinen nicht dasselbe Ausmaß an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gewährleistet, wie es den Gerichten zuerkannt ist. Ebenso wenig ist gewährleistet, dass für sie der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens gilt, der für das gerichtliche Verfahren kennzeichnend ist und der es ermöglicht, die Standpunkte der verschiedenen Beteiligten zu hören, bevor die betroffenen Interessen beim Erlass einer Entscheidung gegeneinander abgewogen werden.

110   Zu dem Vorbringen, Erwägungen betreffend die Schnelligkeit oder die Kosten könnten es rechtfertigen, die Zuständigkeit der nationalen Verwaltungsbehörden für erforderlich zu halten, ist festzustellen, dass die nationalen Gerichte, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheiden, Entscheidungen im Allgemeinen sehr kurzfristig treffen können. Jedenfalls kann ein Argument, das auf die Schnelligkeit oder die Kosten abstellt, in Anbetracht der Garantien, die von den in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten eingerichteten Systemen des gerichtlichen Rechtsschutzes geboten werden, nicht ausschlaggebend sein.

111   Somit ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass auch dann, wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats festgestellt hat, dass die Voraussetzungen, unter denen es die Durchführung eines Gemeinschaftsrechtsakts aussetzen darf, erfüllt sind, und zwar insbesondere, wenn die Frage nach der Gültigkeit dieses Rechtsakts dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden ist, die zuständigen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten nicht befugt sind, die Durchführung dieses Rechtsakts auszusetzen, bis der Gerichtshof über seine Gültigkeit entschieden hat. Es ist nämlich allein Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung der Umstände des Falles, mit dem es befasst ist, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen erfüllt sind.

 Kosten

112   Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Prüfung der in der Rechtssache C‑453/03 vorgelegten Frage, Buchstabe a, der ersten Frage in den beiden Rechtssachen C‑11/04 und C‑12/04 sowie der ersten Frage, Buchstabe a, in der Rechtssache C‑194/04 hat nichts ergeben, was die Annahme stützen würde, dass Artikel 1 Nummern 1 Buchstabe b und 4 der Richtlinie 2002/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Änderung der Richtlinie 79/373/EWG des Rates über den Verkehr mit Mischfuttermitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 91/357/EWG der Kommission nicht rechtswirksam auf der Grundlage des Artikels 152 Absatz 4 Buchstabe b EG erlassen wurde.

2.      Die Prüfung der vierten Frage in der Rechtssache C‑12/04 hat nichts ergeben, was die Gültigkeit des Artikels 1 Nummern 1 Buchstabe b und 4 der Richtlinie 2002/2 im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung beeinträchtigen könnte.

3.      Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b der Richtlinie 2002/2, der Mischfuttermittelhersteller verpflichtet, dem Kunden auf Antrag die genaue Zusammensetzung eines Futtermittels zu übermitteln, ist im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ungültig. Dagegen hat die Prüfung der in der Rechtssache C‑453/03 vorgelegten Frage, Buchstabe c, der zweiten Frage in den beiden Rechtssachen C‑11/04 und C‑12/04 sowie der ersten Frage, Buchstabe c, in der Rechtssache C‑194/04 nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 1 Nummer 4 dieser Richtlinie im Hinblick auf diesen Grundsatz beeinträchtigen könnte.

4.      Die Richtlinie 2002/2 ist dahin auszulegen, dass ihre Anwendung nicht von der Verabschiedung der in der zehnten Begründungserwägung dieser Richtlinie vorgesehenen Positivliste von Ausgangserzeugnissen abhängig ist, die mit ihren spezifischen Namen angegeben sind.

5.      Auch dann, wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats festgestellt hat, dass die Voraussetzungen, unter denen es die Durchführung eines Gemeinschaftsrechtsakts aussetzen darf, erfüllt sind, und zwar insbesondere, wenn die Frage nach der Gültigkeit dieses Rechtsakts dem Gerichtshof bereits vorgelegt worden ist, sind die zuständigen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Durchführung dieses Rechtsakts auszusetzen, bis der Gerichtshof über seine Gültigkeit entschieden hat. Es ist nämlich allein Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung der Umstände des Falles, mit dem es befasst ist, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen erfüllt sind.

Unterschriften.


* Verfahrenssprachen: Englisch, Italienisch und Niederländisch.