Rechtssache C-74/03
SmithKline Beecham plc
gegen
Lægemiddelstyrelsen
(Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret)
„Arzneimittel – Genehmigung für das Inverkehrbringen – Abgekürztes Verfahren – Im Wesentlichen gleiche Erzeugnisse – Wirkstoff in verschiedenen Salzformen – Zusätzliche Unterlagen“
Schlussanträge des Generalanwalts F. G. Jacobs vom 16. September 2004
Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 20. Januar 2005.
Leitsätze des Urteils
1. Rechtsangleichung – Arzneimittel – Genehmigung für das Inverkehrbringen – Abgekürztes Verfahren – Im Wesentlichen gleiche
Erzeugnisse – Arzneimittel, das den gleichen therapeutisch wirksamen, aber an ein anderes Salz gebundenen Bestandteil wie
das Referenzarzneimittel aufweist – Zulässigkeit – Voraussetzungen
(Richtlinie 65/65 des Rates, Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii)
2. Rechtsangleichung – Arzneimittel – Genehmigung für das Inverkehrbringen – Abgekürztes Verfahren – Im Wesentlichen gleiche
Erzeugnisse – Nachweis der Gleichheit – Ergebnisse von pharmakologischen, toxikologischen und ärztlichen oder klinischen Versuchen
– Zulässigkeit
(Richtlinie 65/65 des Rates, Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii)
1. Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 über Arzneimittel in der durch die Richtlinien 87/21,
89/341 und 93/39 geänderten Fassung, der es erlaubt, für die Genehmigung des Inverkehrbringens von Arzneimitteln auf ein abgekürztes
Verfahren zurückzugreifen, wenn das Arzneimittel, für das eine solche Genehmigung beantragt wird, im Wesentlichen einem Erzeugnis
gleicht, das seit mindestens sechs oder zehn Jahren in der Gemeinschaft nach den Gemeinschaftsvorschriften zugelassen und
in dem Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wird, in Verkehr gebracht ist, ist dahin auszulegen, dass er die Behandlung
eines solchen Antrags auf Zulassung eines Arzneimittels nach dem in dieser Bestimmung vorgesehenen abgekürzten Verfahren nicht
ausschließt, wenn dieses Arzneimittel den gleichen therapeutisch wirksamen, aber an ein anderes Salz gebundenen Bestandteil
wie das Referenzarzneimittel aufweist. Eine solche Gleichheit ist ausgeschlossen, wenn anhand konkret festgestellter Gründe
davon auszugehen ist, dass ein erheblicher Unterschied zum Referenzarzneimittel in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit des
Arzneimittels besteht, für das die Genehmigung für das Inverkehrbringen beantragt wird.
(vgl. Randnrn. 39, 44, Tenor 1)
2. Ein Antragsteller kann zur Begründung eines nach Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 über
Arzneimittel in der durch die Richtlinien 87/21, 89/341 und 93/39 geänderten Fassung gestellten Antrags von sich aus oder
auf Aufforderung der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats zusätzliche Unterlagen in Form bestimmter pharmakologischer,
toxikologischer oder ärztlicher oder klinischer Versuche zum Nachweis dafür vorlegen, dass sein Arzneimittel dem Referenzarzneimittel
im Wesentlichen gleicht.
(vgl. Randnr. 25, Tenor 2)
-
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
20. Januar 2005(1)
„Arzneimittel – Genehmigung für das Inverkehrbringen – Abgekürztes Verfahren – Im Wesentlichen gleiche Erzeugnisse – Wirkstoff in verschiedenen Salzformen – Zusätzliche Unterlagen“
In der Rechtssache C-74/03betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Østre Landsret (Dänemark) mit Entscheidung
vom 14. Februar 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Februar 2003, in dem Verfahren
SmithKline Beecham plc
gegen
Lægemiddelstyrelsen ,
Streithelferinnen: Synthon BV und Genthon BV,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer),
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter C. Gulmann (Berichterstatter) und J.-P. Puissochet,
der Richterin N. Colneric sowie des Richters J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: M. Múgica Arzamendi, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2004,unter Berücksichtigung der Erklärungen
- –
der SmithKline Beecham plc, vertreten durch K. Dyekjær-Hansen, C. Blomgren-Hansen und C. Karhula Lauridsen, advokater,
- –
des Lægemiddelstyrelse und der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten im Beistand von P. Biering,
advokat,
- –
der Synthon BV und der Genthon BV, vertreten durch O. Damsbo und C. Johannesen, advokater, sowie durch S. Kon und C. Firth,
Solicitors,
- –
der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
- –
der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und M. da Guia Manteigas als Bevollmächtigte,
- –
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch K. Manji als Bevollmächtigten im Beistand von P. Sales und J. Coppel,
Barristers,
- –
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. C. Støvlbæk als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. September 2004,
folgendes
Urteil
- 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie
65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. 1965,
Nr. 22, S. 369) in der durch die Richtlinien des Rates 87/21/EWG vom 22. Dezember 1986 (ABl. 1987, L 15, S. 36), 89/341/EWG
vom 3. Mai 1989 (ABl. L 142, S. 11) und 93/39/EWG vom 14. Juni 1993 (ABl. L 214, S. 22) geänderten Fassung (im Folgenden:
Richtlinie 65/65).
-
- Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
- 2
Nach Artikel 3 der Richtlinie 65/65 ist die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen (im Folgenden: Genehmigung
oder Zulassung) notwendige Voraussetzung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels in einem Mitgliedstaat.
- 3
Artikel 4 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 ist von der für das Inverkehrbringen verantwortlichen Person bei
der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats zu beantragen.
…
Dem Antrag sind folgende Angaben und Unterlagen beizufügen:
…
- 8.
- Ergebnisse von Versuchen:
-
- –
- physikalisch-chemischer, biologischer oder mikrobiologischer Art;
-
- –
- pharmakologischer und toxikologischer Art;
-
- –
- ärztlicher oder klinischer Art.
-
- Unbeschadet des Rechtsschutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gilt jedoch Folgendes:
-
- a)
- Der Antragsteller ist nicht verpflichtet, die Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen Versuche oder die Ergebnisse
der ärztlichen oder klinischen Versuche vorzulegen, wenn er entweder nachweisen kann,
-
-
- …
-
- iii)
- oder dass das Arzneimittel im Wesentlichen einem Erzeugnis gleicht, das seit mindestens sechs Jahren in der Gemeinschaft nach
den Gemeinschaftsvorschriften zugelassen und in dem Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wird, in Verkehr gebracht ist;
… ein Mitgliedstaat [kann] diese Frist durch eine einheitliche, alle in seinem Gebiet auf dem Markt befindlichen Erzeugnisse
erfassende Entscheidung auf zehn Jahre verlängern, wenn dies seiner Ansicht nach im Interesse der öffentlichen Gesundheit
erforderlich ist. ...
-
-
- Ist jedoch das Arzneimittel zu einem anderen therapeutischen Zweck bestimmt oder muss es auf anderem Wege oder in anderer
Dosis als die übrigen bereits im Handel befindlichen Arzneimittel verabreicht werden, so sind die entsprechenden Ergebnisse
der pharmakologischen und toxikologischen Versuche und/oder der ärztlichen oder klinischen Prüfungen vorzulegen.
-
- b)
- …“
- 4
Die in Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffern i bis iii der Richtlinie 65/65 vorgesehenen Verfahren werden gemeinhin
als „abgekürzte Verfahren“ bezeichnet. Das besondere Genehmigungsverfahren nach Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a letzter
Unterabsatz (im Folgenden: Vorbehaltsklausel) ist ein so genanntes hybrides abgekürztes Verfahren.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
- 5
Die SmithKline Beecham (im Folgenden: SmithKline Beecham) ist Inhaberin einer Genehmigung für das als Seroxat bezeichnete
Arzneimittel. Den Wirkstoff in Seroxat bildet Paroxetinhydrochloridhemihydrat in Dosen von 20 mg oder 30 mg. Die Erstzulassung
von Seroxat wurde 1993 erteilt.
- 6
Im Juli 1999 legten die Gesellschaften Synthon BV und Genthon BV (im Folgenden: Synthon und Genthon) bei der zuständigen dänischen
Behörde – der Lægemiddelstyrelse – weitgehend gleichlautende Anträge auf Zulassung von Paroxetin „Synthon“ bzw. Paroxetin
„Genthon“ (im Folgenden: Synthon/Genthon-Arzneimittel) vor. Die Anträge erfolgten nach dem abgekürzten Verfahren unter Angabe
von Seroxat als Referenzarzneimittel.
- 7
Wie Seroxat enthält das Synthon/Genthon-Arzneimittel Paroxetin, jedoch in der Form eines anderen Salzes, nämlich Paroxetinmesylat.
- 8
Zusätzlich zur Dokumentation, die Synthon und Genthon nach dem abgekürzten Verfahren einreichen mussten, legten sie Ergebnisse
ausgesuchter pharmakologischer und toxikologischer Versuche an Tieren vor, wie sie im Anhang der Richtlinie 75/318/EWG des
Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die analytischen,
toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneimitteln
(ABl. L 147, S. 1) in der durch die Richtlinie 91/507/EWG der Kommission vom 19. Juli 1991 (ABl. L 270, S. 32) geänderten
Fassung (im Folgenden: Richtlinie 75/318) vorgesehen sind. Die Lægemiddelstyrelse forderte sie daraufhin auf, weitere Informationen
vorzulegen.
- 9
Unter Berufung auf einen Ausnahmefall, der sich daraus ergebe, dass die Anwendung des Synthon/Genthon-Arzneimittels bei Menschen
bereits indirekt durch die Bioäquivalenz gegenüber dem Referenzarzneimittel Seroxat belegt sei, das bei freiwilligen gesunden
Probanden getestet worden sei, legten Synthon und Genthon keine Ergebnisse ärztlicher oder klinischer Versuche an Patienten
vor.
- 10
Gestützt auf eine präklinische Beurteilung des Salzes Paroxetin auf der Grundlage der eingereichten Unterlagen stellte die
Lægemiddelstyrelse fest, dass in toxischer Hinsicht zwischen den beiden Salzen von Paroxetin kaum Unterschiede bestünden,
dass aber Paroxetinhydrochloridhemihydrat, das in Seroxat enthalten sei, eine leicht stärkere toxische Tendenz aufweise als
Paroxetinmesylat in den von Synthon und Genthon eingereichten präklinischen Unterlagen. Die externen Gutachter der Lægemiddelstyrelse,
die ebenfalls eine Beurteilung der von Synthon und Genthon eingereichten Antragsunterlagen durchführten, gelangten u. a. zu
dem Ergebnis, dass „die pharmakologische Wirkung und die damit zusammenhängenden Nebenwirkungen ausschließlich durch das Paroxetinmolekül
bedingt sind und das Salz von untergeordneter Bedeutung ist, solange die Bioverfügbarkeit gleich ist“. Bei der Bioverfügbarkeit
der beiden Salze wurden keine Unterschiede festgestellt.
- 11
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse erteilte die Lægemiddelstyrelse die Genehmigungen für das Synthon/Genthon-Arzneimittel.
- 12
SmithKline Beecham focht die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Lægemiddelstyrelse über die Zulassung des Synthon/Genthon-Arzneimittels
mit einer Klage vor dem Østre Landsret an.
- 13
Sie trägt vor, dass Seroxat und das Synthon/Genthon-Arzneimittel einander nicht im Wesentlichen gleich seien, da sie unterschiedliche,
wenn auch verwandte Wirkstoffe enthielten. Allein schon die Tatsache, dass weitere pharmakologische und toxikologische Daten
erforderlich gewesen seien, um die wesentliche Gleichheit nachzuweisen, bestätige, dass die Wirkstoffe in Seroxat und im Synthon/Genthon-Arzneimittel
unterschiedlich seien. Die Vorlage zusätzlicher Daten in Form pharmakologischer, toxikologischer oder ärztlicher oder klinischer
Versuche in einem abgekürzten Verfahren sei nur gemäß der Vorbehaltsklausel erlaubt, nämlich wenn das neue Arzneimittel für
eine andere therapeutische Indikation bestimmt oder auf anderem Wege oder in anderer Dosierung zu verabreichen sei.
- 14
Das Østre Landsret hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- 1.
- Steht die Zulassung eines Erzeugnisses nach dem abgekürzten Antragsverfahren in Einklang mit Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe
a Ziffer iii der Richtlinie 65/65, wenn das Erzeugnis den Wirkstoff in einer anderen Salzform enthält als das Referenzerzeugnis?
- 2.
- Ist das abgekürzte Antragsverfahren zulässig, wenn ein Antragsteller von sich aus oder auf Aufforderung der nationalen Gesundheitsbehörden
zusätzliche Unterlagen in Form bestimmter pharmakologischer, toxikologischer oder ärztlicher oder klinischer Versuche zum
Nachweis dafür vorlegt, dass das Erzeugnis dem Referenzerzeugnis „im Wesentlichen gleicht“?
Zu den Vorlagefragen Vorbemerkungen
- 15
Das vorlegende Gericht fragt, ob das Synthon/Genthon-Arzneimittel Seroxat im Wesentlichen gleicht im Sinne des Artikels 4
Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65, obwohl sich der Wirkstoff der beiden Arzneimittel in Bezug
auf die verwendeten Salze unterscheidet.
- 16
Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 3. Dezember 1998 in der Rechtssache C‑368/96 (Generics
[UK] u. a., Slg. 1996, I‑7967, Randnr. 36) ausgeführt hat, dass ein Arzneimittel einem originalen Arzneimittel im Sinne des
Artikels 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 im Wesentlichen gleicht, wenn es die Kriterien der
gleichen qualitativen und quantitativen Zusammensetzung an Wirkstoffen, der gleichen Darreichungsform und der Bioäquivalenz
erfüllt, sofern es nicht nach dem Stand der Wissenschaft gegenüber dem originalen Arzneimittel offensichtlich in Bezug auf
Sicherheit und Wirksamkeit erhebliche Unterschiede aufweist.
- 17
Im Ausgangsverfahren ist unbestritten, dass in den Fällen, in denen sich die Wirkstoffe zweier bestimmter Arzneimittel in
Bezug auf die verwendeten Salze unterscheiden, derjenige, der eine Zulassung beantragt, im Allgemeinen zusätzliche Daten liefern
muss, um nachzuweisen, dass sich die beiden Arzneimittel auf der Ebene von Sicherheit und Wirksamkeit nicht unterscheiden.
- 18
Allein aus diesem Grund sind nach Ansicht von SmithKline Beecham und der Regierung des Vereinigten Königreichs zwei Arzneimittel,
die Wirkstoffe enthalten, die sich hinsichtlich der verwendeten Salze unterscheiden, nicht im Sinne des Artikels 4 Absatz
3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 im Wesentlichen gleich. Zwei Arzneimittel seien nämlich nicht im Wesentlichen
gleich, wenn zusätzliche Daten vorgelegt werden müssten, um diese Gleichheit nachzuweisen.
- 19
Sie weisen auf die Bedeutung der Unterscheidung zwischen dem abgekürzten Verfahren nach Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe
a Ziffer iii und dem hybriden abgekürzten Verfahren nach der Vorbehaltsklausel für das System der Richtlinie 65/65 hin. Nach
Ansicht von SmithKline Beecham und der Regierung des Vereinigten Königreichs verlöre diese Unterscheidung ihren Sinn, wenn
die Definition der wesentlichen Gleichheit durch den Gerichtshof im Urteil Generics (UK) u. a. gelockert würde und die übliche
Vorlage zusätzlicher Daten auch in anderen Fällen als denen zulässig wäre, die ausdrücklich oder stillschweigend in der Vorbehaltsklausel
vorgesehen seien.
- 20
So tragen SmithKline Beecham und die Regierung des Vereinigten Königreichs vor, dass die Definition der wesentlichen Gleichheit
im Urteil Generics (UK) u. a. so auszulegen sei, dass dann, wenn die genannten Kriterien erfüllt seien, als sicher gelten
könne, dass die beiden verglichenen Arzneimittel den gleichen Grad an Sicherheit und Wirksamkeit aufwiesen. Die letzte Voraussetzung,
nämlich dass die beiden Arzneimittel keine wesentlichen Unterschiede in Bezug auf die Sicherheit und die Wirksamkeit aufwiesen,
dürfe nur zusätzlich angewandt werden, um zu verhindern, dass eine die verwendeten Trägerstoffe betreffende Auswechslung das
neue Erzeugnis weniger sicher oder wirksam machen könnte.
- 21
Da ein Antragsteller in der Regel zusätzliche Daten vorlegen müsse, um nachzuweisen, dass sich trotz der Verwendung einer
anderen Salzform kein erheblicher Unterschied für die Sicherheit und die Wirksamkeit der beiden zu vergleichenden Arzneimittel
ergebe, handele es sich bei dem Kriterium der „gleichen qualitativen und quantitativen Zusammensetzung an Wirkstoffen“ nicht
mehr um ein unabhängiges Kriterium.
- 22
Diese Argumentation hat Anlass zur zweiten Frage gegeben, die als erste zu beantworten ist.
Zur zweiten Frage
- 23
Nach dem Wortlaut des Artikels 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a der Richtlinie 65/65 selbst ist der Antragsteller nicht verpflichtet,
die Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen Versuche oder die Ergebnisse der ärztlichen oder klinischen Versuche
vorzulegen, wenn er nachweisen kann, dass sein Arzneimittel im Wesentlichen einem Referenzarzneimittel gleicht. Für einen
solchen Nachweis kann es aber erforderlich sein, dass der Antragsteller zusätzliche Daten vorlegt.
- 24
Außerdem bietet die Vorbehaltsklausel keinen Anlass zu der Annahme, dass zusätzliche Daten nur in Anwendung dieser Bestimmung
vorgelegt werden können. Die im Rahmen der Vorbehaltsklausel vorzulegenden und die in Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe
a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 genannten Daten dienen nämlich verschiedenen Zwecken. Die Erstgenannten sollen das Fehlen
wesentlicher Gleichheit kompensieren, während die Zweiten auf den Nachweis gerichtet sind, dass diese Gleichheit gegeben sei.
- 25
Demnach ist auf die zweite Frage zu antworten, dass ein Antragsteller zur Begründung eines nach Artikel 4 Absatz 3 Nummer
8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 gestellten Antrags von sich aus oder auf Aufforderung der zuständigen Behörde
eines Mitgliedstaats zusätzliche Unterlagen in Form bestimmter pharmakologischer, toxikologischer oder ärztlicher oder klinischer
Versuche zum Nachweis dafür vorlegen kann, dass sein Arzneimittel dem Referenzarzneimittel im Wesentlichen gleicht.
Zur ersten Frage
- 26
Zur ersten Frage des vorlegenden Gerichts vertreten SmithKline Beecham und die Regierung des Vereinigten Königreichs die Meinung,
dass Seroxat und das Synthon/Genthon-Arzneimittel unter Berücksichtigung des Unterschieds beim verwendeten Wirkstoff einander
nicht im Wesentlichen glichen. Sie verweisen auf die sich aus dem Urteil Generics (UK) u. a. ergebende Definition des Begriffes
der wesentlichen Gleichheit, wonach das betreffende Arzneimittel im Wesentlichen einem anderen gleiche, wenn es u. a. das
Kriterium der gleichen qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Wirkstoffs erfülle. Der Unterschied hinsichtlich
der verwendeten Salze schließe jedoch aus, dass die entsprechenden Stoffe identisch seien.
- 27
SmithKline Beecham und die Regierung des Vereinigten Königreichs tragen vor, dass die einfache Substitution eines Salzes durch
ein anderes in einem Arzneimittel dessen therapeutische Wirksamkeit durch die Verbesserung oder Reduzierung der Absorption
dieses Arzneimittels und seiner Bioverfügbarkeit oder sein toxisches Potenzial oder seine toxische Stabilität beeinflussen
und damit zu nachteiligen Wirkungen führen könne.
- 28
Nach Ansicht von Synthon und Genthon, der dänischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission ergibt sich die
Notwendigkeit einer genauen molekularen Entsprechung der Wirkstoffe nicht aus dem im Urteil Generics (UK) u. a. festgestellten
Kriterium. Es sei auf eine Bewertung der therapeutischen Wirksamkeit der beiden zu vergleichenden Arzneimittel abzustellen.
- 29
Synthon und Genthon sowie die dänische Regierung weisen darauf hin, dass der negative Teil des Salzes, d. h. der Teil des
Salzes, der bei den betreffenden Arzneimitteln verschieden sei, nur ein inerter Bestandteil sei, um die Herstellung der Erzeugnisse
in Tablettenform zu ermöglichen. Bei der Einnahme einer solchen Tablette trennten sich die beiden Teile des Salzes, die in
die Zusammensetzung dieser Tablette eingingen, und nur der positive Teil werde absorbiert, während der andere Teil vom Körper
ausgeschieden werde.
- 30
Ebenso treffen die Kommission und die niederländische Regierung dann, wenn der Wirkstoff der zu vergleichenden Arzneimittel
wie im Ausgangsverfahren an verschiedene Salze gebunden ist, eine Unterscheidung zwischen dem therapeutisch wirksamen Teil
dieses Salzes und dem negativen Teil, den sie als inerten Bestandteil einstufen.
- 31
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in seinem Urteil Generics (UK) u. a. den Begriff „Wirkstoff“ nicht definiert
hat.
- 32
Wie aus den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen hervorgeht, wird dieser Begriff verwendet, um einmal den therapeutisch
wirksamen Bestandteil eines Wirkstoffs und ein anderes Mal den Wirkstoff selbst zu bezeichnen.
- 33
Die Notwendigkeit einer genauen molekularen Entsprechung der beiden Wirkstoffe ergibt sich nicht aus dem Kriterium der wesentlichen
Gleichheit, wie es der Gerichtshof im Urteil Generics (UK) u. a. aufgestellt hat.
- 34
Weder der Wortlaut des Artikels 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65, der sich auf die Forderung
nach einer wesentlichen Gleichheit der beiden Arzneimittel beschränkt, noch die vom Gerichtshof im Urteil Generics (UK) u. a.
gegebene Definition dieses Begriffes schließen aus, dass zwei Arzneimittel, die nicht identisch sind, weil ihr Wirkstoff unterschiedliche
Salze enthält, Erzeugnisse sein können, die im Sinne dieser Bestimmung im Wesentlichen gleich sind.
- 35
Im Übrigen stimmen die Parteien des Ausgangsverfahrens, die Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, und die Kommission
anscheinend darin überein, dass es für die Prüfung, ob zwei Erzeugnisse einander im Wesentlichen gleichen, sachgerechter ist,
sich auf die therapeutische Wirksamkeit zu konzentrieren als auf die genaue Molekularstruktur der wirksamen Bestandteile.
- 36
Zwar kann, wie u. a. die Regierung des Vereinigten Königreichs bemerkt, in Ausnahmefällen die Gefahr bestehen, dass die Ersetzung
einer Salzform durch eine andere selbst dann, wenn der therapeutisch wirksame Bestandteil der gleiche bleibt, zu einer Änderung
führt, die die Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels beeinträchtigt, jedoch reicht diese Gefahr als solche nicht für
die Schlussfolgerung aus, dass der Unterschied hinsichtlich der im Wirkstoff verwendeten Salze bedeutet, dass die Arzneimittel
nicht im Sinne des Artikels 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 im Wesentlichen gleich sind.
- 37
Diese Gefahr unterscheidet sich nämlich nicht von derjenigen, die sich aus einer jeden anderen inerten Bestandteil eines Arzneimittels
betreffenden Änderung ergeben könnte.
- 38
Gerade um dieser Gefahr zu entgehen, werden Arzneimittel entsprechend der sich aus dem Urteil Generics (UK) u. a. ergebenden
Definition nicht als im Wesentlichen gleich angesehen, wenn sich unter Berücksichtigung des Standes der Wissenschaft zeigt,
dass das Arzneimittel, für das eine Genehmigung beantragt wird, gegenüber dem originalen Arzneimittel in Bezug auf Sicherheit
und Wirksamkeit erhebliche Unterschiede aufweist.
- 39
Ein Unterschied wie der, um den es hier geht, kann nicht generell ausschließen, dass zwei Arzneimittel als im Wesentlichen
gleich angesehen werden. Dies ist nicht der Fall, soweit anhand konkret festgestellter Gründe davon auszugehen ist, dass dieser
Unterschied in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels, für das die Genehmigung beantragt wird, erheblich ist.
- 40
Zum Vorbringen der Regierung des Vereinigten Königreichs, dass eine enge Definition des Begriffes der wesentlichen Gleichheit
gelten müsse, damit ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen von Innovationsunternehmen und Generikaherstellern gewahrt
bleibe, genügt der Hinweis, dass diese Unternehmen durch den sechs- oder zehnjährigen Zeitraum geschützt werden, der gemäß
Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 für die Ausschließlichkeit von Daten vorgesehen ist,
und dass das Erfordernis der wesentlichen Gleichheit in erster Linie dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung dient.
- 41
Außerdem entspricht die Auslegung, wonach zwei Arzneimittel selbst dann im Sinne des Artikels 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe
a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 im Wesentlichen gleich sein können, wenn ihre Wirkstoffe an verschiedene Salze gebunden
sind, am ehesten dem spezifischen Zweck des abgekürzten Verfahrens, die Ersparnis an Zeit und Kosten zu ermöglichen, die erforderlich
sind, um die Ergebnisse der pharmakologischen, toxikologischen und ärztlichen oder klinischen Versuche zusammenzutragen, und
die Wiederholung von Versuchen bei Menschen und Tieren zu vermeiden.
- 42
Im Übrigen ist die Auslegung, wonach zwei verschiedene Salze, die den gleichen therapeutisch wirksamen Bestandteil aufweisen,
im Sinne des Artikels 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 im Wesentlichen gleich sein können,
den Hinweisen zugrunde gelegt worden, die die Kommission in der „Regelung der Arzneimittel in der Europäischen Gemeinschaft,
Band II, Mitteilung an die Antragsteller betreffend die Genehmigung für das Inverkehrbringen der für den Menschen bestimmten
Arzneimittel in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft“ in der Fassung von 1998 veröffentlicht hat, die galt, als
Synthon und Genthon Zulassungsanträge für ihre Erzeugnisse stellten.
- 43
Schließlich und aus den gleichen Gründen, wie sie der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen dargelegt hat, sind die folgenden
von SmithKline Beecham und der Regierung des Vereinigten Königreichs vertretenen Argumente zurückzuweisen:
- –
- Die im Anhang der Richtlinie 75/318 gegebene Definition der „qualitativen Zusammensetzung“ eines Arzneimittels zeige, dass
der Wirkstoff bei Salzen so zu verstehen sei, dass er sowohl den therapeutisch wirksamen Bestandteil als auch den hinzugefügten
Teil des Moleküls umfasse, und so zu definieren sei (vgl. Nr. 80 der genannten Schlussanträge);
- –
- nach Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 541/95 der Kommission vom 10. März 1995 über die Prüfung von Änderungen einer Zulassung,
die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats erteilt wurde (ABl. L 55, S. 7), sei im Fall von „Änderungen bei dem
(den) Wirkstoff(en)“, die nach diesem Anhang das „Ersetzen des (der) Wirkstoffe(s) durch ein(en) anderen (anderes) Salz (bei
gleichem therapeutischen Anteil)“ einschlossen, ein neuer Zulassungsantrag zu stellen (Nr. 82);
- –
- die in der Verordnung (EG) Nr. 847/2000 der Kommission vom 27. April 2000 zur Festlegung von Bestimmungen für die Anwendung
der Kriterien für die Ausweisung eines Arzneimittels als Arzneimittel für seltene Leiden und von Definitionen für die Begriffe
„ähnliches Arzneimittel“ und „klinische Überlegenheit“ (ABl. L 103, S. 5) enthaltenen Definitionen seien zu berücksichtigen
(Nrn. 85 bis 89).
- 44
Angesichts aller vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe
a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 dahin auszulegen ist, dass er die Behandlung eines Antrags auf Genehmigung auf Inverkehrbringen
eines Arzneimittels nach dem in dieser Bestimmung vorgesehenen abgekürzten Verfahren nicht ausschließt, wenn dieses Arzneimittel
den gleichen therapeutisch wirksamen, aber an ein anderes Salz gebundenen Bestandteil wie das Referenzarzneimittel aufweist.
Kosten
- 45
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem
Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
-
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
- 1.
- Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung
der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel in der durch die Richtlinien des Rates 87/21/EWG vom 22. Dezember
1986, 89/341/EWG vom 3. Mai 1989 und 93/39/EWG vom 14. Juni 1993 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er die Behandlung
des Antrags auf Zulassung eines Arzneimittels nach dem in dieser Bestimmung vorgesehenen abgekürzten Verfahren nicht ausschließt,
wenn dieses Arzneimittel den gleichen therapeutisch wirksamen, aber an ein anderes Salz gebundenen Bestandteil wie das Referenzarzneimittel
aufweist.
- 2.
- Ein Antragsteller kann zur Begründung eines nach Artikel 4 Absatz 3 Nummer 8 Buchstabe a Ziffer iii der Richtlinie 65/65 in
geänderter Fassung gestellten Antrags von sich aus oder auf Aufforderung der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats zusätzliche
Unterlagen in Form bestimmter pharmakologischer, toxikologischer oder ärztlicher oder klinischer Versuche zum Nachweis dafür
vorlegen, dass sein Arzneimittel dem Referenzarzneimittel im Wesentlichen gleicht.
Unterschriften.
- 1 –
- Verfahrenssprache: Dänisch.