Rechtssache C-42/01


Portugiesische Republik
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften


«Gemeinschaftskontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen – Artikel 21 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates – Schutz berechtigter Interessen durch die Mitgliedstaaten – Zuständigkeit der Kommission»

Schlussanträge des Generalanwalts A. Tizzano vom 22. Januar 2004
    
Urteil des Gerichtshofes (Plenum) vom 22. Juni 2004
    

Leitsätze des Urteils

1.
Wettbewerb – Zusammenschlüsse – Prüfung durch die Kommission – Verpflichtung der Mitgliedstaaten, jedes öffentliche Interesse im Sinne von Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Richtlinie 4064/89 mitzuteilen – Befugnis der Kommission, über die Vereinbarkeit eines solchen Interesses mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden, auch wenn keine Mitteilung erfolgt ist

(Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, Artikel 21 Absatz 3 Unterabsätze 2 und 3)

2.
Handlungen der Organe – Begründungspflicht – Umfang – Entscheidung, die in einem dem Adressaten bekannten Kontext ergeht – Zulässigkeit einer summarischen Begründung

(Artikel 253 EG)

1.
Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen kann nicht dahin ausgelegt werden, dass die Kommission mangels Mitteilung der nicht in Unterabsatz 2 dieses Absatzes genannten, durch das nationale Recht geschützten Interessen keine Entscheidung über die Vereinbarkeit dieser Interessen mit dem Gemeinschaftsrecht treffen darf.
Wenn nämlich die Kommission mangels Mitteilung durch den betreffenden Mitgliedstaat lediglich ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG einleiten könnte, wäre es in den durch die Verordnung Nr. 4064/89 gesetzten kurzen Fristen unmöglich, eine Entscheidung auf Gemeinschaftsebene zu erlangen, wodurch ein erhöhtes Risiko entstünde, dass eine solche Entscheidung erst erginge, wenn die nachteiligen Folgen der nationalen Maßnahmen für den Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung bereits endgültig eingetreten wären. Im Übrigen würde Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 dieser Verordnung durch eine solche Auslegung seine praktische Wirkung genommen, indem die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhielten, sich den durch ihn vorgesehenen Kontrollen ohne Mühe zu entziehen.

Damit die Kommission die ihr durch Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Verordnung übertragene Kontrolle der anderen als der in Unterabsatz 2 dieses Absatzes vorgesehenen öffentlichen Interessen wirksam ausüben kann, muss ihr daher die Befugnis zuerkannt werden, über die Vereinbarkeit dieser Interessen mit den allgemeinen Grundsätzen und den sonstigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu entscheiden, unabhängig davon, ob diese Interessen ihr mitgeteilt wurden oder nicht.

Zwar kann die von dem betreffenden Mitgliedstaat unterlassene Mitteilung die Aufgabe der Kommission mit einer größeren Ungewissheit und Komplexität belasten, da sie Schwierigkeiten haben könnte, die durch die nationalen Maßnahmen geschützten Interessen festzustellen, doch bleibt ihr in jedem Fall die Möglichkeit, von dem betreffenden Mitgliedstaat Auskünfte zu verlangen. Wenn dieser trotz dieser Aufforderung nicht die verlangten Auskünfte erteilt, kann die Kommission eine Entscheidung auf der Grundlage der ihr vorliegenden Informationen erlassen.

(Randnrn. 54-58)

2.
Die durch Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung muss der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Artikels 253 EG genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet.
Daher kann eine Entscheidung der Kommission in einem Verfahren nach Artikel 21 der Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, die in einem dem betreffenden Mitgliedstaat wohlbekannten Kontext, nämlich einem gegen ihn geführten Vertragsverletzungsverfahren, ergangen ist, in dem dieser Mitgliedstaat keinerlei Angaben zur Vereinbarkeit der durch die Maßnahmen, die Gegenstand dieser Entscheidung sind, geschützten öffentlichen Interessen mit dem Gemeinschaftsrecht gemacht hat, summarisch begründet werden.

(Randnrn. 66, 69-70)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Plenum )
22. Juni 2004(1)

„Gemeinschaftskontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen – Artikel 21 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates – Schutz berechtigter Interessen durch die Mitgliedstaaten – Zuständigkeit der Kommission“

In der Rechtssache C-42/01

Portugiesische Republik, vertreten durch L. I. Fernandes und L. Duarte als Bevollmächtigte im Beistand von M. Marques Mendes, advogado, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Oliver und M. França als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung C(2000) 3543 final-PT der Kommission vom 22. November 2000 in einem Verfahren nach Artikel 21 der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Verfahren Nr. COMP/M.2054 – Secil/Holderbank/Cimpor)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Plenum ),



unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, C. Gulmann, J.-P. Puissochet und J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. La Pergola und R. Schintgen sowie der Richterin N. Colneric und des Richters S. von Bahr (Berichterstatter),

Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: M.Múgica Arzamendi, Hauptverwaltungsrätin,

nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 9. September 2003,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Januar 2004,

folgendes



Urteil



1
Mit Klageschrift, die am 1. Februar 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Portugiesische Republik gemäß Artikel 230 Absatz 1 EG eine Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung C(2000) 3543 final-PT der Kommission vom 22. November 2000 in einem Verfahren nach Artikel 21 der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Verfahren Nr. COMP/M.2054 – Secil/Holderbank/Cimpor, im Folgenden: angefochtene Entscheidung) erhoben.


Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2
Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. L 395, S. 1, im Folgenden: Fusionskontrollverordnung) bestimmt:

„Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung im Sinne dieser Verordnung sind innerhalb einer Woche nach dem Vertragsabschluss, der Veröffentlichung des Kauf- oder Tauschangebots oder des Erwerbes einer die Kontrolle begründenden Beteiligung bei der Kommission anzumelden. Die Frist beginnt mit der ersten der vorgenannten Handlungen.“

3
Gemäß Artikel 6 Absatz 1 der Fusionskontrollverordnung beginnt die Kommission unmittelbar nach dem Eingang der Anmeldung mit deren Prüfung.

4
Wie sich aus Artikel 10 Absatz 1 der Fusionskontrollverordnung ergibt, steht der Kommission für die Entscheidung, ob sie das förmliche Verfahren zur Prüfung der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt einleitet, eine Frist von einem Monat zu. Nach Artikel 10 Absatz 3 muss eine Entscheidung, mit der ein angemeldeter Zusammenschluss für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt wird, innerhalb einer Frist von höchstens vier Monaten nach der Einleitung des förmlichen Verfahrens erlassen werden.

5
Artikel 21 der Fusionskontrollverordnung bestimmt:

„(1)   Vorbehaltlich der Nachprüfung durch den Gerichtshof ist die Kommission ausschließlich dafür zuständig, die in dieser Verordnung vorgesehenen Entscheidungen zu erlassen.

(2)     Die Mitgliedstaaten wenden ihr innerstaatliches Wettbewerbsrecht nicht auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung an.

...

(3)     Unbeschadet der Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen als derjenigen treffen, welche in dieser Verordnung berücksichtigt werden, sofern diese Interessen mit den allgemeinen Grundsätzen und den übrigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts vereinbar sind.

Im Sinne des Unterabsatzes 1 gelten als berechtigte Interessen die öffentliche Sicherheit, die Medienvielfalt und die Aufsichtsregeln.

Jedes andere öffentliche Interesse muss der betreffende Mitgliedstaat der Kommission mitteilen; diese muss es nach Prüfung seiner Vereinbarkeit mit den allgemeinen Grundsätzen und den sonstigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts vor Anwendung der genannten Maßnahmen anerkennen. Die Kommission gibt dem betreffenden Mitgliedstaat ihre Entscheidung binnen eines Monats nach der entsprechenden Mitteilung bekannt.“

Nationales Recht

6
Die Regelung der portugiesischen Rechtsordnung über Privatisierungen findet sich, soweit in der vorliegenden Rechtssache von Interesse, im Gesetz Nr. 11/90 vom 5. April 1990 − dem Rahmengesetz über Privatisierungen (Diário da República I, Serie A, Nr. 80, vom 5. April 1990, S. 1664) − und im Decreto-lei Nr. 380/93 vom 15. November 1993 (Diário da República I, Serie A, Nr. 267, vom 15. November 1993, S. 6362), das aufgrund des Gesetzes Nr. 11/90 erlassen wurde. Das Decreto-lei Nr. 380/93 führt ein besonderes Verfahren zur fortlaufenden Kontrolle der Entwicklung der Eigentumsverhältnisse an vor der Privatisierung stehenden Unternehmen durch den Staat ein und regelt dieses. Nach Artikel 1 des Decreto bedarf es für den Erwerb von stimmberechtigten Anteilen, die mehr als 10 % des Kapitals darstellen, bei Gesellschaften, die noch nicht vollständig privatisiert sind, einer Genehmigung des Ministers der Finanzen.


Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt

7
Am 15. Juni 2000 gab die − zu 100 % von der portugiesischen Gesellschaft Secil-Companhia Geral de Cal e Cimento SA (im Folgenden: „Secil“) kontrollierte − spanische Gesellschaft Secilpar SL (im Folgenden: „Secilpar“) bekannt, dass sie ein öffentliches Angebot zum Erwerb der portugiesischen Gesellschaft Cimpor-Cimentos de Portugal SGPS SA (im Folgenden: „Cimpor“) abgeben wolle. Cimpor ist ein ehemaliges, zu Beginn des Jahres 1994 privatisiertes öffentliches Unternehmen, an dem der portugiesische Staat nach schrittweisem Verkauf seiner Anteile zum Zeitpunkt der Vorankündigung 12,7 % der Aktien besaß, von denen 10 % mit Sonderrechten ausgestattet waren. In der Vorankündigung hieß es, die schweizerische Gesellschaft Holderbank Financière Glaris SA (im Folgenden: „Holderbank“) werde gemeinsam mit Secilpar und Secil tätig werden.

8
Der Vorankündigung zufolge galten für das öffentliche Übernahmeangebot folgende Bedingungen:

Annahme des Angebots durch die Inhaber von mindestens 67 % der gesamten Anteile an Cimpor,

Aufgabe der dem portugiesischen Staat als Aktionär von Cimpor zustehenden Sonderrechte,

Aufhebung der in Artikel 7 der Satzung von Cimpor vorgesehenen Stimmrechtsbeschränkungen.

9
Am 16. Juni 2000 stellten Secilpar und Holderbank beim portugiesischen Minister der Finanzen gemäß dem Decreto-lei Nr. 380/93 den Antrag, den Erwerb eines stimmberechtigten Anteils von bis zu 100 % am Gesellschaftskapital von Cimpor in dem zeitlichen Rahmen und unter den Bedingungen, wie sie sich namentlich aus der Vorankündigung ergäben, zu genehmigen.

10
Wie sich aus dem Antrag ergab, sah das öffentliche Übernahmeangebot in einem ersten Abschnitt den Erwerb von bis zu 100 % der Anteile an Cimpor durch die eigens hierzu gegründete Secilpar vor. In einem zweiten Abschnitt wollten Secil und Holderbank die Aktiva von Cimpor aufteilen, mit dem Ergebnis, dass die Tätigkeiten in Spanien und Ägypten sowie ein Teil der Tätigkeiten in Brasilien von Secil, die Tätigkeiten in Portugal, Marokko, Tunesien und Mosambik sowie der restliche Teil der Tätigkeiten in Brasilien von Holderbank übernommen würden.

11
Am 4. Juli 2000 wurde bei der Kommission gemäß Artikel 4 der Fusionskontrollverordnung der beabsichtigte Zusammenschluss angemeldet, in dessen Rahmen Holderbank und Secil im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b dieser Verordnung die gemeinsame Kontrolle über Cimpor durch das öffentliche Übernahmeangebot vom 15. Juni 2000 (siehe Bekanntmachung der vorherigen Anmeldung eines Zusammenschlusses, ABl. C 198, S. 5, im Folgenden: Anmeldung vom 4. Juli 2000) erwerben wollten.

12
Mit Verfügung vom 5. Juli 2000 lehnte der portugiesische Finanzminister den Antrag vom 16. Juni 2000 mit der Begründung ab, der portugiesische Staat wolle nicht auf die ihm als Aktionär von Cimpor zustehenden Sonderrechte verzichten und lehne die Aufhebung der in der Satzung dieser Gesellschaft vorgesehenen Stimmrechtsbeschränkungen ab.

13
Mit Schreiben vom 7. Juli 2000 teilte Secil der Comissão do Mercado de Valores Mobiliários (Kommission für den Wertpapiermarkt, im Folgenden: CMVM) in Beantwortung eines Schreibens vom Vortag ihre Absichten betreffend das öffentliche Übernahmeangebot mit. Am selben Tag richteten Secilpar und Holderbank einen neuen Antrag an den Finanzminister, um gemäß dem Decreto-lei Nr. 380/93 mehr als 10 % der Anteile an Cimpor vor allem auf dem Markt zu erwerben. In diesem Antrag verzichteten sie u. a. darauf, das öffentliche Übernahmeangebot von der Aufgabe der dem portugiesischen Staat als Aktionär von Cimpor zustehenden Sonderrechte abhängig zu machen.

14
Am 20. Juli 2000 gewährte die Kommission den Parteien eine Frist bis zum 28. August 2000, um die Anmeldung vom 4. Juli 2000, die sie als unvollständig ansah, zu ergänzen. Diese Frist wurde auf Antrag der Parteien bis zum 15. September 2000 verlängert. Da diese der Kommission die verlangten Angaben jedoch nicht übermittelten, setzte diese die Prüfung des Zusammenschlusses aus.

15
Mit Verfügung vom 11. August 2000 verwies der portugiesische Finanzminister zum einen darauf, dass die Hauptversammlung von Cimpor den Vorschlag, die Stimmrechtsbeschränkungen aufzuheben, zurückgewiesen habe, so dass das öffentliche Übernahmeangebot offensichtlich gegenstandslos geworden sei. Zum anderen lehnte er den Antrag von Secilpar und Holderbank erneut ab, da die von ihnen verfolgten Ziele generell im Widerspruch zum Zweck der Privatisierung stünden. Die Verfügung vom 11. August 2000 nannte folgende Gründe für diese Ablehnung: i) Der Erwerb würde dazu führen, dass Cimpor sich vom portugiesischen Kapitalmarkt zurückziehe; ii) das Industrieprojekt der Antragsteller sei mit der Strategie der portugiesischen Regierung für die Umstrukturierung des Sektors unvereinbar; iii) der Erwerb würde eine Abgabe der staatlichen Beteiligung an Cimpor unter optimalen wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen verhindern, und iv) der Erwerb würde in der letzten Phase des Prozesses der Privatisierung von Cimpor zu einer Verletzung des Gleichheitssatzes führen.

16
Ebenfalls am 11. August 2000 teilte Secilpar der CMVM einige Änderungen der Vorankündigung des öffentlichen Angebots zum Erwerb von Cimpor-Aktien mit, um von den portugiesischen Behörden ausgedrückte Besorgnisse auszuräumen.

17
Mit Schreiben vom selben Tag teilte die CMVM unter Berücksichtigung der Verfügung vom 11. August 2000 Secilpar ihre Entscheidung mit, die Rücknahme des öffentlichen Übernahmeangebots anzuordnen.

18
Mit Schreiben vom 16. August 2000 übermittelte der Kabinettschef des portugiesischen Finanzministers dem Kabinettschef des für Wettbewerbsfragen zuständigen Kommissionsmitglieds inoffiziell eine Abschrift der Verfügung vom 11. August 2000.

19
Mit Schreiben vom 21. September 2000 unterrichtete Letzterer den portugiesischen Finanzminister über die Anmeldung vom 4. Juli 2000 und teilte mit, die erste Reaktion der Kommission sei die gewesen, dass die Portugiesische Republik gegen ihre Verpflichtung aus den gemeinschaftsrechtlichen Fusionskontrollvorschriften verstoßen habe, der Kommission vorab mitzuteilen, dass sie einen Zusammenschluss ablehnen wolle und welche Interessen sie damit schützen wolle.

20
In diesem Schreiben hieß es weiter, die Portugiesische Republik habe offensichtlich gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 21 Absatz 3 der Fusionskontrollverordnung verstoßen, indem sie beschlossen habe, dem beabsichtigten Erwerb von Cimpor durch Secil und Holderbank entgegenzutreten, ohne der Kommission ihre Gründe mitzuteilen und ohne dieser vor dem Erlass der streitigen Maßnahmen die Prüfung zu ermöglichen, ob die öffentlichen Interessen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar seien. Wenn die Kommission zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die von der Portugiesischen Republik angeführten Gründe keine der drei in Artikel 21 Absatz 3 der Fusionskontrollverordnung aufgestellten Voraussetzungen erfüllten, könnte sie selbst die nach dieser Vorschrift gebotenen Maßnahmen treffen. Die Portugiesische Republik wurde aufgefordert, zu dieser Frage spätestens bis zum 5. Oktober 2000 Stellung zu nehmen.

21
Schließlich wurde im Schreiben vom 21. September 2000 darauf hingewiesen, dass die Kommission die geeigneten Maßnahmen treffen werde, wenn sie zu der Auffassung gelangen sollte, dass die Verfügungen des Finanzministers nicht durch den Schutz anderer berechtigter Interessen im Sinne von Artikel 21 Absatz 3 der Fusionskontrollverordnung gerechtfertigt seien. Die Portugiesische Republik wurde aufgefordert, auch hierzu spätestens bis zum 5. Oktober 2000 Stellung zu nehmen.

22
Mit Schreiben vom 3. Oktober 2000 antwortete der Finanzminister, dass er auf das öffentliche Übernahmeangebot von Secilpar und Holderbank nicht das nationale Wettbewerbsrecht, sondern das Decreto-lei Nr. 380/93 angewandt habe. Er wies ferner darauf hin, dass die letzte Phase der Privatisierung von Cimpor bevorstehe, mit der Folge, dass die dem portugiesischen Staat als deren Aktionär eingeräumten Sonderrechte wegfielen und der Erwerb von Anteilen an Cimpor nicht mehr unter das Decreto-lei Nr. 380/93 falle.

23
Am 22. November 2000 erließ die Kommission die angefochtene Entscheidung.

24
Am 11. Januar 2001 wurde die Anmeldung vom 4. Juli 2000 zurückgezogen.

25
Mit Urteil vom 4. Juni 2002 in der Rechtssache C-367/98 (Kommission/Portugal, Slg. 2002, I-4731) hat der Gerichtshof einer von der Kommission am 14. Oktober 1998 wegen Verstoßes gegen Artikel 73b EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 EG) erhobenen Vertragsverletzungsklage stattgegeben. Er stellte fest, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus diesem Artikel verstoßen hatte, dass sie u. a. das Gesetz Nr. 11/90 und das Decreto-lei Nr. 380/93 erlassen und beibehalten hatte.


Die angefochtene Entscheidung

26
Wie sich aus der ersten und zweiten Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung ergibt, geht es in dieser um die Vereinbarkeit der Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 mit Artikel 21 der Fusionskontrollverordnung.

27
In der 11. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung stellt die Kommission fest, der angemeldete Vorgang bestehe aus dem Erwerb von Cimpor durch Secil und Holderbank mit dem Ziel der sofortigen Aufteilung der erworbenen Aktiva. Dieser Erwerb führe also zu zwei Zusammenschlüssen, durch die jedes Unternehmen einen Teil von Cimpor erwerbe.

28
Unter der Überschrift „Vereinbarkeit der von den portugiesischen Behörden getroffenen Maßnahmen mit Artikel 21 der [Fusionskontroll‑]Verordnung“ stellt die Kommission in der 49. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung fest, die portugiesischen Behörden hätten ihr kein öffentliches Interesse mitgeteilt, dessen Schutz durch die Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 sie für erforderlich gehalten hätten.

29
In der 50. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung führt die Kommission aus: „Die Entwicklung der Aktionärsstruktur der zur Privatisierung anstehenden Gesellschaften im Hinblick auf eine Erhöhung der unternehmerischen Fähigkeit und der Effizienz des nationalen Produktionsapparats entsprechend den Leitlinien der portugiesischen Wirtschaftspolitik wurde in den Verfügungen vom 5. Juli und vom 11. August 2000 als offenkundiges Ziel des Decreto-lei Nr. 380/93 bezeichnet.“

30
In der 55. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung stellt die Kommission fest, dieses Ziel entspreche keinem der berechtigten Interessen per se im Sinne des Artikels 21 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Fusionskontrollverordnung (öffentliche Sicherheit, Medienvielfalt und Aufsichtsregeln).

31
In der 56. und 57 Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung führt die Kommission aus, die Portugiesische Republik habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 21 der Fusionskontrollverordnung verstoßen, dass sie ihr nicht das betreffende Interesse mitgeteilt habe. Die Gründe, auf denen die Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 beruhten, ergäben sich allerdings klar aus dem Wortlaut der Verfügungen selbst.

32
Insoweit heißt es in der 58. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung: „Die Argumente, auf die die beiden Entscheidungen gestützt sind, mit denen der Zusammenschluss abgelehnt wurde, sind in der zweiten Verfügung angeführt, wonach die Entwicklung der Aktionärsstruktur der zur Privatisierung anstehenden Gesellschaften im Hinblick auf eine Erhöhung der unternehmerischen Fähigkeit und der Effizienz des nationalen Produktionsapparats entsprechend den Leitlinien der portugiesischen Wirtschaftspolitik geschützt werden muss. Die beiden Verfügungen stellen Beschränkungen für die durch den Vertrag verbriefte Niederlassungsfreiheit und Freiheit des Kapitalverkehrs dar und sind nicht durch in der Rechtsprechung des Gerichtshofes anerkannte wesentliche Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt; jedenfalls hat die portugiesische Regierung keine solchen Gründe vorgetragen. Im Übrigen trägt der Grundsatz der Gleichbehandlung, auf den sich die portugiesische Regierung in der ersten Verfügung beruft, in der Sache nichts zu den vorgenannten Argumenten bei.“

33
In der 59. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung kommt die Kommission zu dem Ergebnis: „Ganz unabhängig davon, dass die portugiesische Regierung der Kommission nicht gemäß Artikel 21 Absatz 3 der [Fusionskontroll‑]Verordnung die Gründe für ihre Verfügungen mitgeteilt hat, kann die Kommission diese … nicht als rechtmäßig ansehen.“

34
In der 60. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung im Abschnitt „Schlussfolgerungen“ stellt die Kommission fest, mit dem Erlass der Entscheidung, durch die die Genehmigung zum Erwerb von mehr als 10 % der Anteile an Cimpor abgelehnt worden sei, habe die Portugiesische Republik de facto den Erwerb der Kontrolle über Cimpor durch die Antragstellerinnen untersagt.

35
In der 61. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung führt die Kommission aus, da die Verfügung vom 5. Juli 2000 in der Fassung vom 11. August 2000 betreffend die Ablehnung der Erlaubnis zum Erwerb von mehr als 10 % der Anteile an Cimpor offensichtlich nicht auf die öffentliche Sicherheit, die Medienvielfalt und die Aufsichtsregeln gestützt sei, hätten die portugiesischen Behörden nicht eingreifen und einen Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung verbieten dürfen, ohne der Kommission ein anderes öffentliches Interesse im Sinne von Artikel 21 Absatz 3 der Fusionskontrollverordnung mitzuteilen, das sie schützen wollten, bevor sie die Maßnahmen erlassen hätten, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung seien.

36
In der 62. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung heißt es: „Artikel 21 Absatz 3 [der Fusionskontrollverordnung] hätte keinerlei praktische Wirkung, wenn die Kommission mangels Mitteilung nicht die Frage prüfen könnte, ob eine von einem Mitgliedstaat getroffene Maßnahme durch eines der in Artikel 21 Absatz 3 ausdrücklich als berechtigt angesehenen Interessen gerechtfertigt ist. Die Mitgliedstaaten könnten die Prüfung durch die Kommission leicht verhindern, indem sie solche Maßnahmen nicht mitteilten. Die Struktur des Artikels 21 beruht auf dem Gleichgewicht zwischen der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, der Kommission im Voraus das Interesse mitzuteilen, das sie als berechtigt ansehen, und der Verpflichtung der Kommission, eine Entscheidung über die Vereinbarkeit des geltend gemachten Interesses mit dem Gemeinschaftsrecht innerhalb einer Frist von einem Monat zu erlassen.“

37
Daraus folgt, wie die Kommission in der 63. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung ausführt, dass „Artikel 21 … in der Weise ausgelegt werden [sollte], dass die Kommission unabhängig davon, ob eine Maßnahme mitgeteilt worden ist, befugt ist, eine Entscheidung zu erlassen, in der festgestellt wird, ob diese Maßnahme gegen den in der [Fusionskontroll‑)Verordnung … aufgestellten Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit verstößt.“

38
Im Ergebnis stellt die Kommission in der 64. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung fest, dass „die von den portugiesischen Behörden im Zusammenhang mit dem angemeldeten Zusammenschluss getroffenen Maßnahmen, insbesondere … [die Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000], nicht als Maßnahmen zum Schutz berechtigter Interessen angesehen werden können, die mit den allgemeinen Grundsätzen und den sonstigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts vereinbar sind. Diese Maßnahmen verstoßen daher gegen das Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen Artikel 21 der [Fusionskontroll-]Verordnung …“

39
In der 65. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung heißt es sodann: „Die Portugiesische Republik ist daher verpflichtet, die Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um dem Gemeinschaftsrecht nachzukommen, und die genannten Verfügungen zurückzunehmen.“

40
Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung bestimmt:

„Die Interessen, die der Verfügung des portugiesischen Finanzministers vom … [5.] Juli 2000 in der Fassung vom 11. August 2000 – der Kommission entgegen Artikel 21 Absatz 3 der [Fusionskontrollverordnung] … nicht mitgeteilt – zugrunde liegen, sind mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar.“


Zur Klage

41
Die Portugiesische Republik wirft vorab die Frage der Hinfälligkeit der angefochtenen Entscheidung auf. Sodann trägt sie zur Stützung ihrer Klage die folgenden sechs Klagegründe vor:

Verstoß gegen Artikel 253 EG wegen Fehlens einer konkreten und ausreichenden Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung,

Verstoß gegen Artikel 253 EG wegen fehlender Begründung für die angebliche Unvereinbarkeit der nationalen Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht,

Verstoß gegen die Artikel 7 Absatz 1 EG und 21 Absätze 1 und 3 Unterabsatz 3 der Fusionskontrollverordnung, da die Kommission nicht befugt gewesen sei, die angefochtene Entscheidung zu erlassen, obwohl die Portugiesische Republik nicht die durch die nationalen Maßnahmen geschützten Interessen mitgeteilt habe,

Verstoß gegen die Artikel 220 EG und 21 Absatz 1 der Fusionskontrollverordnung, da die Kommission gegen den Vorbehalt gerichtlicher Nachprüfung verstoßen habe, indem sie die angefochtene Entscheidung erlassen habe, obwohl die besagte Mitteilung nicht vorgelegen habe,

Verstoß gegen Artikel 5 Absatz 3 EG und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da die Kommission sich zum einen bei ihrer Prüfung nicht allein auf den Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung, d. h. Holderbank/Cimpor, beschränkt habe, und da sie zum anderen ungeachtet des Untätigbleibens der Anmelderinnen eine endgültige und unumstößliche Maßnahme getroffen habe,

Verfahrensmissbrauch insofern, als die Kommission ungeachtet der erwähnten fehlenden Mitteilung von Seiten der Portugiesischen Republik die angefochtene Entscheidung erlassen habe, statt ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG einzuleiten.

Zur Vorfrage betreffend die Hinfälligkeit der angefochtenen Entscheidung

42
Die Portugiesische Republik macht geltend, die angefochtene Entscheidung sei in der Folge und im Rahmen des Verfahrens ergangen, das durch die Anmeldung vom 4. Juli 2000 eingeleitet worden sei. Deren Rücknahme am 11. Januar 2001 nach Erlass der angefochtenen Entscheidung habe das Verfahren jedoch beendet, so dass die Rechtsgrundlage, auf die die Kommission ihre Befugnis zum Tätigwerden gemäß Artikel 21 der Fusionskontrollverordnung habe stützen können, weggefallen sei. Die angefochtene Entscheidung sei daher hinfällig geworden.

43
Insoweit genügt die Feststellung, dass aus den vom Generalanwalt in den Nummern 32 und 33 seiner Schlussanträge dargelegten Gründen die Rücknahme der Anmeldung nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung letztere keinesfalls hinfällig machen kann. Die angefochtene Entscheidung besteht also weiterhin und bleibt Gegenstand der von der Portugiesischen Republik erhobenen Klage.

Zum dritten, vierten und sechsten Klagegrund

44
Mit ihrem dritten, vierten und sechsten Klagegrund, die gemeinsam und an erster Stelle zu prüfen sind, macht die portugiesische Regierung im Wesentlichen geltend, mangels einer Mitteilung der durch die Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 geschützten Interessen durch die Portugiesische Republik sei die Kommission nicht zum Erlass der angefochtenen Entscheidung befugt gewesen.

45
Die portugiesische Regierung räumt zunächst ein, dass die den Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 zugrunde liegenden Interessen keiner der in Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Fusionskontrollverordnung ausdrücklich vorgesehenen Kategorien von berechtigten Interessen entsprächen, und trägt vor, Unterabsatz 3 dieser Vorschrift erlaube den nationalen Schutz anderer öffentlicher Interessen, wobei er dem betroffenen Mitgliedstaat eine Pflicht zur Mitteilung an die Kommission auferlege.

46
Nur in dem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Kommission seine Absicht mitteile, sich auf solche anderen öffentlichen Interessen zu berufen, könne diese dem betreffenden Mitgliedstaat ihre Entscheidung bekannt geben. Solange der Mitgliedstaat eine solche Mitteilung nicht vorgenommen habe, sei die Kommission auch nicht befugt, sich zu den in Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Fusionskontrollverordnung angeführten Interessen zu äußern.

47
Ohne Mitteilung laufe die Kommission Gefahr, sich zu einem öffentlichen Interesse zu äußern, das nicht dem von dem Urheber der nationalen Entscheidung tatsächlichen verfolgten Interesse entspreche.

48
Da die Kommission mangels Mitteilung von Seiten des betreffenden Mitgliedstaats keine Entscheidung nach Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Fusionskontrollverordnung erlassen könne, obliege es dem Gerichtshof oder den nationalen Gerichten im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsschutzmöglichkeiten, die Rechtmäßigkeit zu kontrollieren und zu gewährleisten. Durch den Erlass der angefochtenen Entscheidung habe die Kommission somit in deren Zuständigkeit eingegriffen und damit gegen Artikel 21 Absatz 1 der genannten Verordnung sowie gegen Artikel 220 EG verstoßen.

49
Vorbehaltlich der Befugnis der Kommission zum Erlass einer Entscheidung unter den Voraussetzungen des Artikels 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Fusionskontrollverordnung in der von der portugiesischen Regierung vertretenen Auslegung müsse wegen jedes potenziellen Verstoßes der Mitgliedstaaten gegen die Mitteilungspflicht oder die materiellen Grenzen für die Vereinbarkeit der öffentlichen Interessen gegebenenfalls eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG erhoben werden. Mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung habe die Kommission somit unmittelbar gegen diesen Artikel verstoßen und einen Verfahrensmissbrauch begangen.

50
Zum einen ist daran zu erinnern, dass die Fusionskontrollverordnung auf dem Grundsatz einer exakten Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den nationalen und gemeinschaftlichen Kontrollbehörden beruht. Die 29. Begründungserwägung ihrer Präambel bestimmt: „Unternehmenszusammenschlüsse, die nicht unter diese Verordnung fallen, gehören grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten.“ Umgekehrt ist allein die Kommission zuständig, Entscheidungen über Unternehmenszusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung zu treffen (Urteil vom 25. September 2003 in der Rechtssache C‑170/02 P, Schlüsselverlag J. S. Moser u. a./Kommission, Slg. 2003, I-9889, Randnr. 32).

51
Zum anderen enthält die Fusionskontrollverordnung auch Bestimmungen, deren Ziel aus Gründen der Rechtssicherheit und im Interesse der betroffenen Unternehmen darin besteht, die Dauer der Verfahren der Überprüfung von Zusammenschlüssen, zu denen die Kommission verpflichtet ist, zu begrenzen. Daher muss die Anmeldung eines Zusammenschlusses von gemeinschaftsweiter Bedeutung bei der Kommission nach Artikel 4 dieser Verordnung innerhalb einer Woche erfolgen. Nach den Artikeln 6 und 10 Absatz 1 der Verordnung muss die Kommission sofort mit ihrer Prüfung beginnen und verfügt in der Regel über eine Frist von einem Monat, um zu entscheiden, ob das förmliche Verfahren zur Prüfung der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt eingeleitet wird. Nach Artikel 10 Absatz 3 der Verordnung muss die Kommission über die Akten nach Ablauf einer Frist von grundsätzlich vier Monaten entscheiden, die mit der Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens in Lauf gesetzt wird. Artikel 10 Absatz 6 bestimmt weiter: „Hat die Kommission innerhalb der ... Fristen keine Entscheidung ... erlassen, so gilt der Zusammenschluss ... als [für] mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt (Urteil Schlüsselverlag J. S. Moser u. a./Kommission, Randnr. 33).

52
Daher muss ferner gemäß Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Fusionskontrollverordnung jedes andere öffentliche Interesse als die drei in Unterabsatz 2 aufgeführten Interessen von dem betreffenden Mitgliedstaat der Kommission mitgeteilt werden, und diese muss ihre Entscheidung binnen eines Monats nach der entsprechenden Mitteilung bekannt geben.

53
Hieraus ergibt sich, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Zuständigkeit klar auf die nationalen und die Gemeinschaftsbehörden verteilen wollte und dass er eine Kontrolle der Unternehmenszusammenschlüsse innerhalb von Fristen sicherstellen wollte, die sowohl mit den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Verwaltung als auch mit denen des Geschäftslebens vereinbar sind (in diesem Sinne Urteil Schlüsselverlag J. S. Moser u. a./Kommission, Randnr. 34).

54
Der von der portugiesischen Regierung vertretenen Auslegung des Artikels 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Fusionskontrollverordnung, wonach die Kommission mangels Mitteilung der durch die Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 geschützten Interessen keine Entscheidung über die Vereinbarkeit dieser Interessen mit dem Gemeinschaftsrecht treffen durfte, kann daher nicht gefolgt werden.

55
Wie der Generalanwalt in Nummer 51 seiner Schlussanträge zutreffend ausgeführt hat, wäre es nämlich, wenn die Kommission mangels Mitteilung durch den betreffenden Mitgliedstaat lediglich ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 226 EG einleiten könnte, in den durch die Fusionskontrollverordnung gesetzten kurzen Fristen unmöglich, eine Entscheidung auf Gemeinschaftsebene zu erlangen, wodurch ein erhöhtes Risiko entstünde, dass eine solche Entscheidung erst erginge, wenn die nachteiligen Folgen der nationalen Maßnahmen für den Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung bereits endgültig eingetreten wären.

56
Im Übrigen würde Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Fusionskontrollverordnung durch die Auslegung der portugiesischen Regierung seine praktische Wirkung genommen, indem die Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhielten, sich den durch ihn vorgesehenen Kontrollen ohne Mühe zu entziehen.

57
Damit die Kommission die ihr durch Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Fusionskontrollverordnung übertragene Kontrolle der anderen als der in Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Verordnung vorgesehenen öffentlichen Interessen wirksam ausüben kann, muss ihr daher die Befugnis zuerkannt werden, über die Vereinbarkeit dieser Interessen mit den allgemeinen Grundsätzen und den sonstigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu entscheiden, unabhängig davon, ob diese Interessen ihr mitgeteilt wurden oder nicht.

58
Zwar kann die von dem betreffenden Mitgliedstaat unterlassene Mitteilung die Aufgabe der Kommission mit einer größeren Ungewissheit und Komplexität belasten, da sie Schwierigkeiten haben könnte, die durch die nationalen Maßnahmen geschützten Interessen festzustellen, doch bleibt ihr, wie der Generalanwalt zutreffend in Nummer 55 seiner Schlussanträge ausführt, in jedem Fall die Möglichkeit, von dem betreffenden Mitgliedstaat Auskünfte zu verlangen. Wenn dieser trotz dieser Aufforderung nicht die verlangten Auskünfte erteilt, kann die Kommission eine Entscheidung auf der Grundlage der ihr vorliegenden Informationen erlassen (vgl. entsprechend, auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen, Urteil vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-301/87, Frankreich/Kommission, „Boussac Saint Frères“, Slg. 1990, I-307, Randnr. 22).

59
Im Übrigen ist es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Mitgliedstaat nicht die durch die fraglichen nationalen Maßnahmen geschützten Interessen mitgeteilt hat, unvermeidlich, dass die Kommission zunächst prüft, ob diese Maßnahmen durch eines der in Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Fusionskontrollverordnung geschützten Interessen gerechtfertigt sind. Wenn sie nämlich hierbei feststellt, dass der Mitgliedstaat die fraglichen Maßnahmen erlassen hat, um den Schutz eines der in diesem Unterabsatz aufgeführten berechtigten Interessen zu gewährleisten, braucht sie ihre Prüfung nicht fortzusetzen und nicht zu prüfen, ob diese Maßnahmen im Hinblick auf ein anderes öffentliches Interesse im Sinne von Unterabsatz 3 gerechtfertigt sind.

60
Da die Kommission, wie sich aus Randnummer 57 dieses Urteils ergibt, nach Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Fusionskontrollverordnung befugt ist, eine Entscheidung über die Vereinbarkeit der von einem Mitgliedstaat geschützten anderen öffentlichen Interessen als diejenigen, die in Unterabsatz 2 dieses Absatzes genannt sind, zu treffen, auch ohne dass der betreffende Mitgliedstaat diese Interessen mitteilt, ist daher festzustellen, dass die Kommission mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht in die Zuständigkeiten des Gerichtshofes oder der nationalen Gerichte eingegriffen und damit weder gegen Artikel 21 Absatz 1 der Fusionskontrollverordnung noch gegen Artikel 220 EG verstoßen hat. Sie hat auch nicht gegen Artikel 226 EG verstoßen oder einen Verfahrensmissbrauch begangen.

61
Der dritte, der vierte und der sechste Klagegrund sind daher als unbegründet zurückzuweisen.

Zum ersten Klagegrund

62
Mit ihrem ersten Klagegrund macht die portugiesische Regierung geltend, die Kommission habe ihre Begründungspflicht aus Artikel 253 EG verletzt, indem sie die Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung nicht hinreichend deutlich angegeben habe.

63
Insoweit genügt die Feststellung, dass sich aus dem Wortlaut der angefochtenen Entscheidung, insbesondere ihrer 60. bis 64. Begründungserwägung, klar ergibt, dass sie auf Artikel 21 Absatz 3 Unterabsatz 3 der Fusionskontrollverordnung gestützt ist.

64
Auch der erste Klagegrund der portugiesischen Regierung ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Zum zweiten Klagegrund

65
Mit ihrem zweiten Klagegrund wirft die portugiesische Regierung der Kommission vor, die angebliche Unvereinbarkeit der nationalen Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht nicht hinreichend begründet zu haben. Insbesondere enthalte die angefochtene Entscheidung keine spezifische materielle, auf tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte gestützte Würdigung des durch die nationalen Entscheidungen geschützten Interesses im Licht des maßgeblichen Gemeinschaftsrechts.

66
Nach ständiger Rechtsprechung muss die durch Artikel 253 EG vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Artikels 253 EG genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. insbesondere Urteile vom 13. März 1985 in den verbundenen Rechtssachen 296/82 und 318/82, Niederlande und Leeuwarder Papierwarenfabriek/Kommission, Slg. 1985, 809, Randnr. 19, vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-367/95 P, Kommission/Sytraval und Brink's France, Slg. 1998, I-1719, Randnr. 63, und vom 30. September 2003 in der Rechtssache C‑301/96, Deutschland/Kommission, Slg. 2003, I-9919, Randnr. 87).

67
Es trifft zu, dass die angefochtene Entscheidung eine kurze Zusammenfassung der Gründe enthält, aus denen die Kommission annahm, dass die den Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 zugrunde liegenden Interessen mit den allgemeinen Grundsätzen und den sonstigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts unvereinbar seien.

68
Wie jedoch der Generalanwalt in den Nummern 66 und 67 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat die Kommission, nachdem sie die durch die nationalen Maßnahmen geschützten Interessen ermittelt und festgestellt hatte, dass diese nicht den berechtigten Interessen per se im Sinne des Artikels 21 Absatz 3 Unterabsatz 2 der Fusionskontrollverordnung zuzurechnen seien, in der 58. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung eine Begründung gegeben, die zwar äußerst knapp war, jedoch das Verständnis der Feststellungen erlaubte, auf die sie ihre Argumentation stützte.

69
Überdies ist die angefochtene Entscheidung, wie der Generalanwalt in Nummer 68 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, in einem der portugiesischen Regierung wohlbekannten Kontext ergangen, nämlich dem Vertragsverletzungsverfahren, das zu dem zitierten Urteil Kommission/Portugal geführt hat, und die portugiesische Regierung hat der Kommission keinerlei Angaben zur Vereinbarkeit der durch die fraglichen Maßnahmen geschützten öffentlichen Interessen mit dem Gemeinschaftsrecht gemacht, auch nicht in Beantwortung des Schreibens der Kommission vom 21. September 2000.

70
Angesichts dieses Kontextes ist festzustellen, dass die angefochtene Entscheidung summarisch begründet werden konnte (vgl. insoweit Urteile vom 26. November 1975 in der Rechtssache 73/74, Papiers peints/Kommission, Slg. 1975, 1491, Randnr. 31, und vom 19. September 2000 in der Rechtssache C-156/98, Deutschland/Kommission, Slg. 2000, I-6857, Randnr. 105) und dass die angefochtene Entscheidung somit hinreichend begründet war (vgl. Urteil vom 30. September 2003, Deutschland/Kommission, Randnrn. 92 f.).

71
Daraus folgt, dass der von der portugiesischen Regierung geltend gemachte dritte Klagegrund unbegründet ist.

Zum fünften Klagegrund

72
Im ersten Teil ihres fünften Klagegrundes, der auf einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gestützt ist, macht die portugiesische Regierung geltend, die Kommission sei über das hinausgegangen, was zur Wahrung des Gemeinschaftsrechts erforderlich gewesen sei, als sie in der angefochtenen Entscheidung festgestellt habe, die Portugiesische Republik müsse die Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 insgesamt zurücknehmen, und im Tenor dieser Entscheidung generell befunden habe, die diesen Verfügungen zugrunde liegenden Interessen seien mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar, obwohl sich aus der angefochtenen Entscheidung ergebe, dass das angemeldete Vorhaben zu zwei Zusammenschlüssen geführt hätte, nämlich Secil/Cimpor und Holderbank/Cimpor, und dass nur der zweite von gemeinschaftsweiter Bedeutung gewesen sei.

73
In einem zweiten Teil dieses Klagegrundes trägt die portugiesische Regierung vor, in Anbetracht dessen, dass das Verfahren der Beurteilung des angemeldeten Zusammenschlusses mangels der von den Anmelderinnen verlangten Informationen zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung ausgesetzt gewesen sei und diese daher in einer Phase der Ungewissheit betreffend die Fortsetzung des Verfahrens ergangen sei, hätte die Kommission vorsichtiger agieren müssen und keine endgültigen Anordnungen treffen dürfen. Die Verpflichtung, die Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 zurückzuziehen, sei weder den verfolgten Zielen angemessen noch mit ihnen vereinbar und verstoße daher gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

74
Zum ersten Teil dieses Klagegrundes ist festzustellen, dass die beiden Zusammenschlüsse, wie die Kommission ausgeführt hat, untrennbar miteinander verbunden waren, da das öffentliche Angebot zur Übernahme des Gesellschaftskapitals von Cimpor durch Secilpar zu dem Zweck abgegeben worden war, die Aktiva von Cimpor zwischen Secil und Holderbank aufzuteilen. Die Wirkungen der angefochtenen Entscheidung konnten daher nicht auf den Zusammenschluss Holderbank/Cimpor beschränkt werden. Die Kommission hat somit in der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt, dass die Portugiesische Republik die Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 insgesamt zurücknehmen müsse, und ganz allgemein erklärt, dass die diesen Verfügungen zugrunde liegenden Interessen mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar seien.

75
Zum zweiten Teil des Klagegrundes genügt die Feststellung, dass die Kommission, wie der Generalanwalt in Nummer 74 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, annehmen konnte, dass die Untätigkeit der Anmelderinnen zumindest teilweise auf den Erlass der Verfügungen vom 5. Juli und 11. August 2000 zurückzuführen war und dass es daher besonders wichtig und dringend war, eine endgültige Entscheidung zu treffen.

76
Nach alledem ist auch der fünfte Klagegrund unbegründet.

77
Da keiner der Klagegründe begründet ist, ist die Klage abzuweisen.


Kosten

78
Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission beantragt hat, die Portugiesische Republik zur Tragung der Kosten zu verurteilen, und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

DER GERICHTSHOF (Plenum)

für Recht erkannt und entschieden:

1.
Die Klage wird abgewiesen.

2.
Die Portugiesische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Skouris

Jann

Timmermans

Rosas

Gulmann

Puissochet

Cunha Rodrigues

La Pergola

Schintgen

Colneric

von Bahr

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. Juni 2004.

Der Kanzler

Der Präsident

R. Grass

V. Skouris


1
Verfahrenssprache: Portugiesisch.