Rechtssache C-496/99 P
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
gegen
CAS Succhi di Frutta SpA
«Rechtsmittel – Gemeinsame Agrarpolitik – Nahrungsmittelhilfe – Ausschreibungsverfahren – Entscheidung der Kommission zur nachträglichen Änderung der Ausschreibungsbedingungen – Bezahlung der Zuschlagsempfänger mit anderen als den in der Ausschreibung angegebenen Früchten»
|
| Schlussanträge des Generalanwalts S. Alber vom 24. Oktober 2002 |
|
|
|
|
|
|
|
|
| Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 29. April 2004 |
|
|
|
|
|
|
|
Leitsätze des Urteils
- 1.
- Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Entscheidung der Kommission, die nach der Vergabe die Ausschreibungsbedingungen ändert – Klage eines nicht berücksichtigten Bieters – Zulässigkeit
(EG-Vertrag, Artikel 173 Absatz 4 [nach Änderung jetzt Artikel 230 Absatz 4 EG])
- 2.
- Nichtigkeitsklage – Rechtsschutzinteresse – Klage eines nicht berücksichtigten Bieters gegen eine Entscheidung, die die Bedingungen der von den einzelnen Bietern einzureichenden
Angebote unmittelbar berührt – Zulässigkeit
(EG-Vertrag, Artikel 173 [nach Änderung jetzt Artikel 230 EG])
- 3.
- Landwirtschaft – Gemeinsame Agrarpolitik – Nahrungsmittelhilfe – Maßnahmen zur unentgeltlichen Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse an die Bevölkerung von Armenien und Aserbaidschan
– Verordnung Nr. 228/96 – Ausschreibungsverfahren – Grundsätze der Gleichbehandlung der Bieter und der Transparenz – Tragweite – Änderung einer der Ausschreibungsbedingungen durch die ausschreibende Stelle nach der Vergabe – Verstoß
(Verordnung Nr. 228/96 der Kommission)
- 1.
- In einem Ausschreibungsverfahren müssen sich die Bieter an den Gemeinschaftsrichter wenden können, um die Rechtmäßigkeit des
Verfahrens insgesamt und unabhängig davon, ob sie letztlich berücksichtigt worden sind oder nicht, überprüfen zu lassen. Wenn
nämlich nur die Zuschlagsempfänger berechtigt wären, eine Entscheidung über die Änderung der Ausschreibungsbedingungen gegebenenfalls
anzufechten, könnten die Rechtsverstöße, die ein Auftraggeber nach der Auftragsvergabe begeht, die aber die Rechtmäßigkeit
des Ausschreibungsverfahrens in seiner Gesamtheit in Frage stellen, nicht mit Sanktionen belegt werden, soweit sie die Lage
des oder der Zuschlagsempfänger nicht beeinträchtigen. Ein solches Ergebnis wäre sowohl mit Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag
(nach Änderung jetzt Artikel 230 Absatz 4 EG), der dem Einzelnen, der von dem angefochtenen Akt unmittelbar und individuell
betroffen ist, eine Klagebefugnis einräumt, als auch mit dem allgemeinen Grundsatz unvereinbar, dass in einer Rechtsgemeinschaft
die Wahrung der Rechtmäßigkeit gebührend sichergestellt sein muss.
- Infolgedessen muss ein nicht berücksichtigter Bieter als von einer Entscheidung individuell betroffen angesehen werden, auch
wenn diese vom Auftraggeber nachträglich erlassen worden ist, sofern sich die Entscheidung unmittelbar auf die Abfassung des
vom Bieter eingereichten Angebots und auf die Chancengleichheit sämtlicher an dem betreffenden Verfahren beteiligter Unternehmen
auswirken kann.
(vgl. Randnrn. 59, 61-64, 66)
- 2.
- Im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens hat ein nicht berücksichtigter Bieter ein Interesse an der Nichtigerklärung einer
Entscheidung, die die Bedingungen der von den einzelnen Bietern einzureichenden Angebote unmittelbar berührt, insbesondere
an der Feststellung durch den Gemeinschaftsrichter, dass der Auftraggeber unter Umständen rechtswidrig gehandelt hat. Eine
solche Feststellung kann nämlich als Grundlage einer eventuellen Schadensersatzklage mit dem Ziel einer angemessenen Wiedergutmachung
des nicht berücksichtigten Bieters dienen.
(vgl. Randnrn. 82-83)
- 3.
- Die Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung der Bieter und der Transparenz muss wegen ihrer Bedeutung, ihres Zieles
und ihrer praktischen Wirksamkeit auch im Fall einer besonderen Ausschreibung wie der zur Durchführung der Verordnung Nr.
228/96 zur Lieferung von Fruchtsäften und Fruchtkonfitüren für die Bevölkerung von Armenien und Aserbaidschan gewährleistet
sein, wobei gegebenenfalls den Besonderheiten dieses Verfahrens Rechnung zu tragen ist. In diesem Kontext muss die Kommission
als Auftraggeberin bis zum Ende des Abschnitts der Auftragsausführung die von ihr selbst festgelegten Kriterien strikt einhalten.
Daher ist sie nicht befugt, die allgemeine Systematik der Ausschreibung durch eine einseitige Änderung einer der wesentlichen
Ausschreibungsbedingungen abzuändern, insbesondere wenn es sich um eine Bestimmung handelt, die den Bietern, wenn sie in der
Ausschreibungsbekanntmachung enthalten gewesen wäre, die Abgabe eines erheblich abweichenden Angebots erlaubt hätte.
- Ohne eine entsprechende ausdrückliche Ermächtigung in den einschlägigen anwendbaren Bestimmungen kann der Auftraggeber nämlich
nach der Auftragsvergabe und außerdem durch eine von den zuvor erlassenen Verordnungen inhaltlich abweichende Entscheidung
eine wesentliche Ausschreibungsbedingung wie die über die Modalitäten der Bezahlung der zu liefernden Waren nicht abändern,
ohne die Bestimmungen für die Auftragsvergabe, wie sie ursprünglich festgelegt wurden, zu verzerren. Zudem würde eine solche
Praxis unweigerlich die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Bieter verletzen, da die einheitliche Anwendung
der Ausschreibungsbedingungen und die Objektivität des Verfahrens nicht mehr gewährleistet wären.
(vgl. Randnrn. 112, 115-117, 120-121)