61995C0120

Verbundene Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro vom 16. September 1997. - Nicolas Decker gegen Caisse de maladie des employés privés. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Conseil arbitral des assurances sociales - Grossherzogtum Luxemburg. - Rechtssache C-120/95. - Raymond Kohll gegen Union des caisses de maladie. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour de cassation - Grossherzogtum Luxemburg. - Rechtssache C-158/96. - Freier Warenverkehr - Freier Dienstleistungsverkehr - Erstattung in einem anderen Mitgliedstaat angefallener Krankheitskosten - Vorherige Genehmigung der zuständigen Krankenkasse.

Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-01831


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Der Binnenmarkt, also der Raum ohne innergemeinschaftliche Grenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist, müsste eigentlich bereits vollendet sein und sollte einen der wesentlichen Aspekte darstellen, die die Gemeinschaft besonders auszeichnen. Die dem Gerichtshof von zwei luxemburgischen Gerichten, dem Conseil arbitral des assurances sociales (Rechtssache C-120/95) und der Cour de cassation (Rechtssache C-158/96), vorgelegten Fragen geben jedoch in dieser Hinsicht Anlaß zu gewissen Zweifeln und zeigen, daß der Gemeinschaftsbürger bis heute grundsätzlich verpflichtet ist, ärztliche Leistungen im Inland des Staates in Anspruch zu nehmen, in dem er versichert ist, es sei denn, er verzichtet auf die Erstattung der entsprechenden Kosten.

Die Erstattung in einem anderen Mitgliedstaat angefallener Krankheitskosten - die durch den Kauf medizinischer Erzeugnisse oder durch ärztliche Behandlungen entstanden sein können - hängt nämlich davon ab, ob vorher eine Genehmigung eingeholt wurde, die vom zuständigen Sozialversicherungsträger nur unter besonders strengen Voraussetzungen erteilt wird. Eine solche Situation muß jedenfalls die weniger wohlhabenden Kranken davon abhalten, ihre Freizuegigkeit im Gesundheitswesen in Anspruch zu nehmen, was für die betroffenen Kranken an sich bereits einen negativen Faktor darstellt. Auf dieser Situation beruhen die beim Conseil arbitral des assurances sociales und bei der Cour de cassation anhängigen Rechtsstreitigkeiten. Der Conseil arbitral hat darüber zu entscheiden, ob die Krankenkasse die Erstattung der Kosten für eine Brille verweigern durfte, die ein Versicherter in einem anderen Mitgliedstaat gekauft hatte, ohne die vorgeschriebene Genehmigung vorher beantragt und erhalten zu haben. In dem Rechtsstreit vor der Cour de cassation geht es dagegen um die Nichterteilung einer Genehmigung, die ein Versicherter für seine jüngste Tochter beantragt hatte, um die Übernahme der Kosten für eine zahnregulierende Behandlung zu erreichen, die in einem anderen Mitgliedstaat vorgenommen werden sollte.

2 Mit ihren Fragen ersuchen diese Gerichte den Gerichtshof im wesentlichen um eine Entscheidung darüber, ob eine nationale Regelung, vorliegend die luxemburgische, nach der im Ausland angefallene Krankheitskosten nur erstattet werden, wenn die ärztliche Behandlung oder der Kauf der jeweiligen medizinischen Erzeugnisse und/oder Hilfsmittel ordnungsgemäß vom zuständigen Sozialversicherungsträger genehmigt wurden, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Diese Regelung wird aus zwei verschiedenen Gründen in Frage gestellt, und zwar zum einen im Hinblick auf die Artikel 30 und 36 des Vertrages, da sie den freien Verkehr medizinischer Erzeugnisse und Hilfsmittel - im vorliegenden Fall geht es um eine Brille - beschränke (Rechtssache C-120/95), zum anderen im Hinblick auf die Artikel 59 und 60 des Vertrages, da sie insoweit eine Beschränkung der ärztlichen Dienstleistungsfreiheit - im vorliegenden Fall geht es um eine zahnregulierende Behandlung - darstellen könne, als den Empfängern dieser Dienstleistungen Beschränkungen auferlegt würden (Rechtssache C-158/96).

Somit ist zu prüfen, ob die für die Erstattung notwendige vorherige Genehmigung den freien Warenverkehr (Rechtssache C-120/95) oder den freien Dienstleistungsverkehr (Rechtssache C-158/96) behindert, und wenn ja, ob dieses Hindernis in Anbetracht der besonderen Erfordernisse einer nationalen Gesundheitsfürsorge als gerechtfertigt angesehen werden kann.

3 Obwohl die beiden vorliegenden Rechtssachen auf Vorlagen von zwei verschiedenen Gerichten zurückgehen und zumindest auf den ersten Blick die Auslegung verschiedener Normen betreffen, halte ich es für angebracht, sie zusammen zu erörtern, da die beanstandete nationale Maßnahme in beiden Verfahren dieselbe ist und da die Beteiligten und die Regierungen, die Stellung genommen haben, im wesentlichen dasselbe vortragen. Diese Vorgehensweise beruht übrigens auch auf dem Umstand, daß den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eine nicht unwesentliche Bedeutung für die Beurteilung der Beschränkungen des (Waren- oder Dienstleistungs-)verkehrs zukommen könnte, die die Kläger der Ausgangsverfahren beanstanden; diese Bedeutung ist grundsätzlich nicht anders zu beurteilen, ob es nun um Artikel 30 oder um die Artikel 59 und 60 geht.

Der rechtliche Rahmen

4 Artikel 20 Absatz 1 des luxemburgischen Code des assurances sociales (im folgenden: Code), der durch Gesetz vom 27. Juli 1992 erlassen wurde und am 1. Januar 1994 in Kraft trat, sieht vor, daß sich die Versicherten - ausser wenn sie wegen eines Unfalls im Ausland oder einer dort aufgetretenen Krankheit dringend behandelt werden müssen - nur dann im Ausland behandeln lassen oder an eine Klinik oder einen Lieferanten von Hilfsmitteln wenden dürfen, wenn der zuständige Sozialversicherungsträger dies vorher genehmigt hat. Die Voraussetzungen und das Verfahren der Genehmigungserteilung sind in den Artikeln 25 bis 27 des Statut de l'Union des caisses de maladie (im folgenden: UCM-Statut) in der am 1. Januar 1995 in Kraft getretenen Fassung festgelegt. Im einzelnen ist dort vorgesehen, daß die Genehmigung nicht für Leistungen erteilt werden kann, die nach den nationalen Rechtsvorschriften von der Erstattung ausgeschlossen sind (Artikel 25), daß ordnungsgemäß genehmigte Behandlungen nach den für die Versicherten des Staates, in dem die Behandlung erfolgt, geltenden Sätzen übernommen werden (Artikel 26) und daß die Genehmigung nur nach Untersuchung durch einen Vertrauensarzt und auf Vorlage einer schriftlichen Überweisung eines in Luxemburg niedergelassenen Arztes erteilt werden kann, in der der im Ausland empfohlene Arzt oder das Krankenhaus und die Umstände anzugeben sind, aus denen sich ergibt, daß diese Behandlung in Luxemburg nicht möglich ist (Artikel 27).

Da die vorgenannten nationalen Vorschriften in dem für die Rechtssache C-120/95 maßgeblichen Zeitraum noch nicht in Kraft waren, ist noch darauf hinzuweisen, daß die in der früheren Fassung des Code enthaltene Regelung, soweit hier von Bedeutung, im wesentlichen die gleiche war. So waren die Fragen der Behandlungen im Ausland und der entsprechenden vorherigen Genehmigung in Artikel 60 Absatz 3 geregelt; diese Vorschrift entspricht im wesentlichen Artikel 20 Absatz 1 des heute geltenden Code. Hinzuzufügen ist noch, daß das Erstattungsverfahren bei Brillen damals in Artikel 78 der Statuts des caisses de maladie des salariés geregelt war, der auf eine entsprechende Vereinbarung verwies. Jedenfalls wurden die Kosten damals wie heute pauschal erstattet, und zwar bei Brillengestellen bis zu einem Hoechstbetrag von 1 600 LFR(1).

5 Was das einschlägige Gemeinschaftsrecht angeht, so kommt - wie wir noch sehen werden - neben den Bestimmungen über den Waren- und Dienstleistungsverkehr Artikel 22 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern(2) (im folgenden: Verordnung), erhebliche Bedeutung zu.

Diese Vorschrift sieht, soweit hier von Bedeutung, folgendes vor:

"(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18, erfuellt und

a) ...

b) ...

c) der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten,

hat Anspruch auf:

i) Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei diesem versichert wäre; die Dauer der Leistungsgewährung richtet sich jedoch nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates;

ii) Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts können diese Leistungen jedoch vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für Rechnung des zuständigen Trägers gewährt werden.

(2) ...

Die nach Absatz 1 Buchstabe c) erforderliche Genehmigung darf nicht verweigert werden, wenn die betreffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dessen Gebiet der Betreffende wohnt, und wenn er in Anbetracht seines derzeitigen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit diese Behandlung nicht in einem Zeitraum erhalten kann, der für diese Behandlungen in dem Staat, in dem er seinen Wohnsitz hat, normalerweise erforderlich ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 finden entsprechend auf die Familienangehörigen eines Arbeitnehmers oder Selbständigen Anwendung.

..."(3)

Diese Bestimmung sieht also ebenso wie die hier beanstandeten luxemburgischen Rechtsvorschriften vor, daß in einem anderen Mitgliedstaat angefallene Krankheitskosten nur erstattet werden, wenn der Versicherte (der die betreffenden Leistungen in Anspruch genommen hat) vorher die Genehmigung des zuständigen Sozialversicherungsträgers erhalten hat. Nur in diesem Fall wird der zuständige Sozialversicherungsträger nämlich die entstandenen Kosten übernehmen(4).

Der Sachverhalt und die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen

- Rechtssache C-120/95

6 Im Ausgangsverfahren der Rechtssache C-120/95 stehen sich Herr Decker, ein luxemburgischer Staatsbürger, und die Caisse de maladie des employés privés (im folgenden: Caisse) gegenüber; es geht um die Weigerung der Caisse, ihm die Kosten für eine Brille zu erstatten, die er - auf Vorlage einer Verschreibung eines luxemburgischen Augenarztes - bei einem Optiker in Arlon (Belgien) gekauft hatte. Herr Decker war der Ansicht, daß die Weigerung, die damit begründet wurde, daß die nach den einschlägigen Rechtsvorschriften vorgeschriebene vorherige Genehmigung nicht eingeholt worden sei, gegen die Gemeinschaftsbestimmungen über den freien Warenverkehr verstosse; er erhob zunächst Widerspruch bei der Caisse und daraufhin Klage beim Conseil arbitral des assurances sociales(5).

7 Dieser hält es im Hinblick auf die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits für zweckmässig, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen. Die Frage lautet wie folgt:

Ist Artikel 60 des luxemburgischen Code des assurances sociales, nach dem eine Einrichtung der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats A einem Versicherten, der Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats A ist, die Erstattung der Kosten für eine Brille mit Brillengläsern zur Korrektur eines Sehfehlers, die von einem in diesem Mitgliedstaat niedergelassenen Arzt verordnet, aber bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Optiker gekauft wurde, mit der Begründung verweigern kann, daß eine medizinische Behandlung im Ausland zuvor von dieser Einrichtung der sozialen Sicherheit genehmigt werden muß, mit den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag vereinbar, soweit er allgemein die Einfuhr von Arzneimitteln oder, wie im vorliegenden Fall, von Brillen aus anderen Mitgliedstaaten durch Privatpersonen mit einem Nachteil belegt?

- Rechtssache C-158/96

8 Der Kläger des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C-158/96 ist ebenfalls ein luxemburgischer Staatsbürger, Herr Kohll, der anders als Herr Decker bei der Union des caisses de maladie (im folgenden: UCM), bei der er versichert ist, beantragt hatte, seiner jüngsten Tochter Aline eine zahnregulierende Behandlung in Trier (Deutschland) zu genehmigen. Diese Genehmigung wurde ihm jedoch mit Entscheidung vom 7. Februar 1994 mit der Begründung verweigert, daß die beantragte Behandlung nicht dringend sei und daß diese Art von Behandlung in Luxemburg möglich sei und angemessen durchgeführt werden könne.

Der Conseil arbitral des assurances sociales, bei dem Herr Kohll die vom Verwaltungsrat der UCM bestätigte ablehnende Entscheidung anfocht, wies die Klage mit Urteil vom 6. Oktober 1994 ab. Gegen dieses Urteil legte Herr Kohll beim Conseil supérieur des assurances sociales Berufung ein. Dieser bestätigte mit Urteil vom 17. Juli 1995 die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts, da Artikel 20 des Code und die Artikel 25 und 27 des UCM-Statuts, auf denen die ablehnende Entscheidung beruhe, in vollem Umfang mit Artikel 22 der Verordnung vereinbar seien.

9 Da das Berufungsgericht nur die Vereinbarkeit der luxemburgischen Rechtsvorschriften mit der Verordnung geprüft, jedoch überhaupt nicht die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr berücksichtigt habe, hält es die Cour de cassation, bei der Herr Kohll die Berufungsentscheidung angefochten hat, für erforderlich, den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Die von der Cour vorgelegten Fragen lauten wie folgt:

1. Sind die Artikel 59 und 60 des Vertrages zur Gründung der EWG dahin auszulegen, daß sei einer Regelung entgegenstehen, die die Übernahme der Kosten für erstattungsfähige Leistungen von der Genehmigung durch eine Einrichtung der sozialen Sicherheit des Versicherten abhängig macht, wenn die Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat des Versicherten erbracht werden?

2. Ändert es etwas an der Antwort auf die vorangegangene Frage, wenn die Regelung den Zweck hat, eine finanziell ausgewogene, allen offenstehende ärztliche und klinische Versorgung in einer bestimmten Region aufrechtzuerhalten?

Problemstellung und Aufbau der Schlussanträge

10 Die vom Conseil arbitral des assurances sociales und der Cour de cassation vorgelegten Fragen beziehen sich ausdrücklich nur auf die Auslegung der Bestimmungen des Vertrages über den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr. Der Gerichtshof wird nämlich um eine Entscheidung darüber ersucht, ob das Erfordernis der vorherigen Genehmigung als Voraussetzung für die Erstattung von Krankheitskosten, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat angefallen sind, den Artikeln 30 und 59 des Vertrages zuwiderläuft.

Im Laufe des Verfahrens ist jedoch ausführlich die Frage erörtert worden, ob vorliegend die Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit anwendbar sind, und zwar konkret Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c Ziffer i der Verordnung. So wird insbesondere vorgetragen, daß die Frage der vorherigen Genehmigung und der Erstattung in dieser Vorschrift geregelt werde und daß - da die streitigen Rechtsvorschriften in vollem Umfang mit dieser Bestimmung vereinbar seien - von einem Verstoß gegen die Artikel 30 und 59 nicht die Rede sein könne. Dieser Standpunkt kommt der im Laufe des Verfahrens ebenfalls vertretenen Auffassung sehr nahe, daß selbst für den Fall, daß die Verordnung in den vorliegenden Fällen nicht anwendbar sein sollte, wegen des sozialversicherungsrechtlichen Charakters der streitigen Maßnahme eine Beurteilung derselben nach den Gemeinschaftsbestimmungen über den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr nicht in Frage komme. Dies hauptsächlich deshalb, weil der Bereich der Sozialversicherung bis heute in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle, zumindest soweit dieser nicht durch spezielle Vorschriften der Gemeinschaft geregelt werde.

11 Daher ist meiner Ansicht nach zunächst zu bestimmen, ob die vorliegend streitige nationale Regelung in den Anwendungsbereich der Artikel 30 und 59 fällt. In diesem Zusammenhang ist auch im Licht der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes zu prüfen, inwieweit und in welchem Umfang der Umstand, daß es sich um sozialversicherungsrechtliche Vorschriften handelt, dazu führen kann, daß jede Prüfung unter dem Gesichtspunkt der im Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten ausgeschlossen ist.

Unter demselben Gesichtspunkt wird auch zu prüfen sein, ob Artikel 22 der Verordnung in den vorliegenden Fällen anwendbar ist und ob allein daraus auf die Unerheblichkeit der Artikel 30 und 59 zu schließen ist. Dazu ist bereits an dieser Stelle festzustellen, daß eine Vorschrift des abgeleiteten Rechts wie Artikel 22 der Verordnung keinesfalls jede Prüfung anhand von Vertragsbestimmungen wie den Artikeln 30 und 59 auszuschließen vermag. Ohne der entsprechenden Prüfung vorgreifen zu wollen, bin ich daher der Ansicht, daß selbst wenn sich ergeben sollte, daß die luxemburgischen Rechtsvorschriften in den Geltungsbereich der Verordnung fallen und mit dieser vereinbar sind, daraus nicht auf die Unanwendbarkeit der Artikel 30 und 59 in den vorliegenden Fällen geschlossen werden darf.

12 Steht einmal fest, daß weder der sozialversicherungsrechtliche Charakter der fraglichen nationalen Maßnahme noch die Existenz einer im wesentlichen inhaltsgleichen Gemeinschaftsvorschrift die Anwendbarkeit der Artikel 30 und 59 ausschließen, so ist zweitens die Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit den fraglichen Gemeinschaftsbestimmungen zu prüfen. Es wird somit zu prüfen sein, ob die Verpflichtung zur Einholung einer vorherigen Genehmigung, ohne die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat angefallene Krankheitskosten nicht erstattet werden, zumindest grundsätzlich auf eine Behinderung des Waren- und/oder Dienstleistungsverkehrs hinausläuft.

Selbstverständlich wird das Ergebnis, zu dem ich gelangen werde, auch für Artikel 22 Gültigkeit haben, sofern die streitige nationale Regelung mit diesem vereinbar sein sollte. Mit anderen Worten, sollte die Verpflichtung zur Einholung einer vorherigen Genehmigung - bei deren Nichtvorliegen der zuständige Träger die Erstattung der Kosten, die einem Versicherten in einem anderen Mitgliedstaat entstanden sind, ablehnt - ein Hindernis für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr darstellen, so versteht sich von selbst, daß die nationale Maßnahme den Waren- und Dienstleistungsverkehr ebenso behindert wie die Gemeinschaftsvorschrift.

13 Schließlich bleibt zu prüfen, ob die beschränkenden Wirkungen, die von der fraglichen nationalen Maßnahme - und somit auch von Artikel 22 der Verordnung - ausgehen, dennoch gerechtfertigt sein könnten. Insoweit ist zunächst zu bestimmen, ob die streitige Maßnahme diskriminierend oder unterschiedslos anwendbar ist, da je nachdem verschiedene Rechtfertigungsgründe in Frage kommen: ausdrücklich vorgesehene Ausnahmen (Artikel 36 und 56) im ersten Fall, zwingende Erfordernisse oder - anders ausgedrückt - Gründe des Allgemeininteresses im zweiten Fall. Nur in diesem zweiten Fall können nämlich besondere Erfordernisse, gegebenenfalls auch wirtschaftlicher Art, Berücksichtigung finden, die mit dem Bestehen, der Funktionsfähigkeit und der Aufrechterhaltung einer allen offenstehenden nationalen Gesundheitsfürsorge zusammenhängen.

Ich möchte hinzufügen, daß sowohl die Prüfung der angeführten Rechtfertigungsgründe als auch das entsprechende Ergebnis zwangsläufig eine Stellungnahme zur Gültigkeit des Artikels 22 der Verordnung beinhalten wird. Die eventuelle Unvereinbarkeit der streitigen Regelung mit den Artikeln 30 und 59 könnte nämlich dazu führen - sofern und soweit die nationale und die Gemeinschaftsvorschrift dieselbe Regelung vorschreiben, beiden derselbe Grundgedanke zugrunde liegt und sie denselben Zweck verfolgen -, daß die betreffende Gemeinschaftsvorschrift ipso facto für ungültig zu erklären wäre.

14 Ich weise schließlich noch darauf hin, daß sicherlich auch eine gedrängtere und weniger ausführliche Erörterung denkbar gewesen wäre, bei der einige der eben genannten gedanklichen Schritte übergangen worden wären. Ich bin jedoch der Auffassung, daß es zumindest in den Schlussanträgen nicht zulässig ist, auf eine eingehende Prüfung, wie sie in einem solch bedeutenden Fall unerläßlich ist, zu verzichten.

I - Zur Anwendbarkeit der Artikel 30 und 59

15 Obwohl in den vorliegenden Verfahren viele Fragen - vielleicht zuviele - streitig sind, sind glücklicherweise doch einige wesentliche Punkte unstreitig, die eine zutreffende Eingrenzung des Problemkreises ermöglichen. So ist unstreitig, daß medizinische Erzeugnisse Waren im Sinne von Artikel 30 des Vertrages sind, woraus folgt, daß eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Einfuhren solcher Waren - auch, wenn sie von einem einzelnen für den Privatgebrauch eingeführt werden - gegen diese Bestimmung verstösst(6). Ebenso unstreitig ist zum einen, daß die ärztlichen Tätigkeiten, wie Artikel 60 im übrigen ausdrücklich bestimmt(7), Dienstleistungen darstellen, und zum anderen, daß - wie der Gerichtshof ausgeführt hat - "der freie Dienstleistungsverkehr die Freiheit der Leistungsempfänger einschließt, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ... und daß Touristen sowie Personen, die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen, und solche, die Studien- oder Geschäftsreisen unternehmen, als Empfänger von Dienstleistungen anzusehen sind"(8).

Daher halte ich es ferner für unbestreitbar, daß eine Regelung, nach der die Erstattung von Krankheitskosten davon abhängt, daß die medizinischen Erzeugnisse und/oder Leistungen, für die sie aufgewandt worden sind, im Inland "gekauft" wurden, zumindest grundsätzlich durchaus negative Auswirkungen auf den Waren- und Dienstleistungsverkehr haben kann. Insoweit ist an dieser Stelle lediglich festzustellen, daß eine solche Regelung - gerade weil den Versicherten die Erstattung der im Ausland angefallenen Krankheitskosten verweigert wird, sofern sie nicht die vorherige Genehmigung erhalten haben - die Betroffenen davon abhalten kann, solche Erzeugnisse in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat zu kaufen oder sich dort behandeln zu lassen, was je nachdem eine Beschränkung der Einfuhr der jeweiligen Erzeugnisse oder eine Einschränkung des freien Verkehrs der betreffenden Dienstleistungen sein könnte.

16 Die Anwendbarkeit der Bestimmungen des Vertrages, die den freien Warenverkehr und die Dienstleistungsfreiheit regeln, wird dennoch - wie bereits erwähnt - mit der Begründung in Zweifel gezogen, die streitige nationale Maßnahme betreffe das Sozialversicherungsrecht und entspreche einer konkreten und spezifischen Vorschrift der Verordnung. Diese beiden Gründe, die - wie wir noch sehen werden - einige Berührungspunkte aufweisen, sollen die streitige Maßnahme dem Anwendungsbereich der Artikel 30 und 59 entziehen. Die folgenden Ausführungen werden zeigen, daß diese Auffassung, die von den meisten Mitgliedstaaten, die in den beiden Verfahren Stellung genommen haben, vertreten wird, nicht zutrifft.

- Der sozialversicherungsrechtliche Charakter der streitigen Maßnahme

17 Zunächst möchte ich bemerken, daß der sozialversicherungsrechtliche Charakter der streitigen nationalen Regelung jedenfalls für sich allein sicher nicht geeignet ist, sie dem Anwendungsbereich der Gemeinschaftsregelung auf dem Gebiet des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs zu entziehen. Dem ist sogleich hinzuzufügen, daß die vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung, daß "das Gemeinschaftsrecht ... die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt lässt, ihre Systeme der sozialen Sicherheit auszugestalten"(9), durchaus nicht bedeutet, daß der Bereich der sozialen Sicherheit ein gemeinschaftsrechtsfreier Raum wäre, und daß somit alle nationalen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet ausserhalb des Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechts stuenden(10).

18 Gewiß, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts ist es "Sache jedes Mitgliedstaats, durch den Erlaß von Rechtsvorschriften die Voraussetzungen festzulegen, unter denen eine Person einem System der sozialen Sicherheit beitreten kann oder muß"(11), was dazu führt, daß die Personen, für die diese Rechtsvorschriften gelten, keinem anderen System beitreten dürfen, wenn diese Rechtsvorschriften eine Beitrittspflicht vorsehen. Ferner hat der Gerichtshof im Urteil Poucet und Pistre entschieden, daß die Tätigkeit der Krankenkassen oder der Einrichtungen, die bei der Verwaltung der öffentlichen Aufgabe der sozialen Sicherheit mitwirken, "keine wirtschaftliche Tätigkeit [ist], und die mit ihr betrauten Einrichtungen ... daher keine Unternehmen im Sinne der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag [sind]"(12).

Dieser Rechtsprechung ist jedoch eine geringere und begrenztere Bedeutung zuzumessen, als ihr von den Mitgliedstaaten beigemessen wird, die ihre Auffassung hinsichtlich der Unanwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit darauf stützen. Meiner Ansicht nach muß man sie daher wieder in den richtigen Zusammenhang stellen und ihre Bedeutung dementsprechend beurteilen.

19 Erstens ist es selbstverständlich, daß mangels einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen festlegen, unter denen der Beitritt zu einem System der sozialen Sicherheit erfolgt, oder die zumindest grundsätzlich "die Leistungsansprüche auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eröffnen"(13). Der Gerichtshof selbst hat jedoch klargestellt, daß die den Mitgliedstaaten damit belassene Freiheit nicht zu "einer diskriminierenden Unterscheidung zwischen Inländern und Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten"(14) führen darf.

Mit anderen Worten, es steht zwar fest, daß die Ausgestaltung des Systems der sozialen Sicherheit den Mitgliedstaaten überlassen bleibt und daß die nationalen Rechtsvorschriften die Beziehungen zwischen den Sozialversicherungsträgern und ihren Versicherten regeln, doch dürfen diese Mitgliedstaaten deshalb nicht ungestraft gegen einen zur Gewährleistung der Freizuegigkeit der Personen im Vertrag niedergelegten tragenden Grundsatz wie das Verbot von Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit verstossen(15).

20 Zweitens ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof zwar zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Sozialversicherungsträger nicht dem Wettbewerbsrecht unterliegen, dies jedoch nur deshalb, weil die Tätigkeit dieser Einrichtungen auf dem "Grundsatz der ... Solidarität" in dem Sinne beruht, daß die Leistungen "von Gesetzes wegen und unabhängig von der Höhe der Beiträge" erbracht werden(16). Mit anderen Worten, der ausschlaggebende Grund für diese Entscheidung war zweifellos - obwohl der Gerichtshof in diesem Urteil auch hervorgehoben hat, daß diese Einrichtungen eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter erfuellen und daß sie ihre Tätigkeit ohne Gewinnzweck ausüben - gerade der Umstand, daß das betreffende System auf dem Grundsatz der Solidarität beruhte(17). Dies bestätigt ein späteres Urteil, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, daß diese (oder ähnliche) Einrichtungen dagegen als Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsbestimmungen des Vertrages zu qualifizieren sind, wenn sie ein ergänzendes Versicherungssystem verwalten, das nach dem Kapitalisierungsprinzip arbeitet und bei dem sich die gewährten Leistungen unmittelbar nach der Höhe der Beiträge richten(18) (bei dem der Solidaritätsgrundsatz also nicht gilt).

Im Grunde ist die Verpflichtung, einem bestimmten System beizutreten, also notwendig (obwohl dadurch jeder etwaige Wettbewerb anderer Einrichtungen unterbunden oder jedenfalls auf rein marginale Tätigkeitsbereiche begrenzt wird), um die Funktionsfähigkeit eines Systems der sozialen Sicherheit zu gewährleisten, das auf dem Solidaritätsgrundsatz beruht und daher auf die Beiträge aller angewiesen ist, damit alle Leistungen erhalten können. Somit fallen nur solche Einrichtungen nicht in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, die Systeme der sozialen Sicherheit dieser Art verwalten.

21 Richtig ist zwar auch, daß der Gerichtshof im Urteil García ausgeführt hat, daß die Artikel 57 Absatz 2 und 66 des Vertrages, die die Rechtsgrundlage für den Erlaß der Richtlinien zur Erleichterung des Zugangs zu (und der Ausübung von) selbständigen Tätigkeiten bilden, es nicht erlauben, "den Bereich der sozialen Sicherheit [zu] regeln, der anderen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts unterliegt"(19). Ich glaube jedoch, daß diese Feststellung im Licht der Besonderheiten des konkreten Falles zu verstehen ist und keineswegs dahin ausgelegt werden darf, daß die Regelung, die der Vertrag für die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit vorsieht, schon per definitionem nicht auf nationale Rechtsvorschriften anwendbar wäre, die die soziale Sicherheit betreffen(20).

Da nun im vorgenannten Fall die Pflicht zur Versicherung in einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit beanstandet wurde, und zwar unter Berufung auf die Liberalisierung durch eine Richtlinie zur Koordinierung der nationalen Vorschriften auf dem Gebiet der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), ist lediglich zu bemerken, daß der (im übrigen in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene) Ausschluß der Tätigkeiten der Einrichtungen, die gesetzliche Systeme der sozialen Sicherheit verwalten, von der Liberalisierung zwangsläufig daraus folgte, daß deren Tätigkeiten - wie bereits festgestellt - nicht dem Wettbewerbsrecht unterliegen. Anderenfalls wäre die Beitrittspflicht unvermeidlich entfallen; der Gerichtshof hat jedoch die Notwendigkeit dieser Pflicht bekräftigt, "damit die Anwendung [des Solidaritäts]grundsatzes sowie das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme gewährleistet sind", und ausgeführt, daß im Fall der Beseitigung dieser Pflicht "der Fortbestand der betreffenden Systeme unmöglich gemacht" würde(21).

22 Aus alledem ergibt sich eindeutig, daß die Feststellung, daß das Gemeinschaftsrecht die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit nicht einschränkt, ganz einfach nur bedeutet, daß das Gemeinschaftsrecht dieses Sachgebiet nicht unmittelbar regelt und auch nicht einmal darauf ausstrahlt, wenn seine Anwendung die Lebensfähigkeit der Systeme der sozialen Sicherheit, die die söben genannten Merkmale aufweisen, gefährden würde. Ausser in diesem Fall sind die Mitgliedstaaten jedoch verpflichtet, sich auch bei der Ausübung der ihnen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zustehenden Befugnis an das Gemeinschaftsrecht zu halten.

Ein anderer Schluß würde jeder Grundlage entbehren. Es bleibt also dabei, daß im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinerlei Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit zulässig ist(22) und daß ausser in dem Fall, in dem eine nationale Regelung eng mit der Funktions- und Lebensfähigkeit des betreffenden Sozialversicherungssystems verknüpft ist, das Gebiet der sozialen Sicherheit nicht dem Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts entzogen ist. So ist im vorliegenden Fall insbesondere darauf hinzuweisen, daß ungerechtfertigte Beschränkungen der Freizuegigkeit der Personen (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) und des freien Warenverkehrs nicht schon deshalb zulässig sind, weil der Anspruch, den das einschlägige Gemeinschaftsrecht dem einzelnen einräumt, im Widerspruch zu einer nationalen Maßnahme steht, die in irgendeiner Weise mit dem Sozialversicherungsrecht zu tun hat.

23 Die einschlägige Rechtsprechung auf diesem Gebiet bestätigt diesen Schluß. So hat der Gerichtshof z. B. anerkannt, daß ein Mitgliedstaat beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts davon ausgehen kann, daß das von ihm ausgestaltete Sozialhilfesystem, "dessen Durchführung grundsätzlich den Behörden anvertraut ist [und das] auf dem Grundsatz der Solidarität [beruht]"(23), nur dann seine Ziele erreichen kann, wenn zu diesem System nur solche privaten Wirtschaftsteilnehmer zugelassen werden, die keinen Erwerbszweck verfolgen; der Gerichtshof kam daher zu dem Schluß, daß eine nationale Regelung, die eine solche Voraussetzung aufstellt, nicht gegen Artikel 52 des Vertrages verstösst(24). Ausschlaggebende Bedeutung für die Entscheidung wurde offensichtlich - sei es nun zu Recht oder zu Unrecht - dem Umstand beigemessen, daß das betreffende System auf dem Solidaritätsgrundsatz beruhte.

Eine ganz andere Auffassung findet man dagegen in der Rechtsprechung zu nationalen Maßnahmen, die zwar das Sozialversicherungsrecht betrafen, jedoch bereits auf den ersten Blick keine negativen Auswirkungen auf die Lebensfähigkeit der auf dem Solidaritätsgrundsatz beruhenden Systeme der sozialen Sicherheit haben konnten. So hat der Gerichtshof, als er eine belgische Regelung für mit Artikel 52 vereinbar erklärte, nach der Labors, die von einer juristischen Person betrieben wurden, der wiederum selbst nur juristische Personen angehörten, keine Erstattung für von ihnen erbrachte Leistungen der klinischen Biologie erhielten, nicht nur hervorgehoben, daß diese Regelung unterschiedslos für die belgischen Staatsangehörigen und die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten galt, sondern auch, daß sie nicht "zu diskriminierenden Zwecken" erlassen worden war oder "derartige Wirkungen" entfaltete(25). Ferner hat der Gerichtshof ebenfalls in bezug auf Artikel 52 - allerdings allgemeiner - festgestellt, daß die Mitgliedstaaten diese Vorschrift selbst zu der Zeit zu beachten hatten, "als sie mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung über die sozialrechtliche Stellung der Selbständigen weiterhin zur Rechtsetzung in diesem Bereich befugt waren"(26).

24 Der Gerichtshof hat auch in bezug auf die Bestimmungen über den freien Warenverkehr bereits darauf hingewiesen, daß auch sozialversicherungsrechtliche Maßnahmen, die nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Einfuhr stehen, "sich je nach ihrer Ausgestaltung und ihrer Durchführung auf die Möglichkeiten des Absatzes der Erzeugnisse und insofern mittelbar auch auf die Importmöglichkeiten auswirken können"(27), was unter Umständen einen Verstoß gegen Artikel 30 darstellen kann. Dies wäre z. B. bei nationalen Rechtsvorschriften der Fall, die die Art und Weise der Erstattung so regeln würden, daß nur nationale Erzeugnisse erstattungsfähig wären.

Ich erinnere schließlich daran, daß der Gerichtshof im Urteil Sodemare, in dem auch ein möglicher Verstoß gegen die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr geltend gemacht worden war, bewusst klargestellt hat, daß in jenem Fall keine Dienstleistung im Sinne des Vertrages vorlag. Daraus folgerte er, daß "Artikel 59 EG-Vertrag eine Gesellschaft nicht erfasst, die sich in einem Mitgliedstaat niedergelassen hat, um dort Wohnheime für Senioren zu betreiben, und den Heimbewohnern, die sich zu diesem Zweck ständig oder für unbestimmte Zeit in diesen Wohnheimen aufhalten, Dienstleistungen erbringt"(28). Diese Begründung zeigt jedoch - soweit überhaupt noch erforderlich -, daß das Sozialversicherungsrecht nicht als solches dem Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen entzogen ist.

25 Wenn also beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für das Sozialversicherungsrecht - wie auch für andere Sachgebiete(29) - unangetastet bleibt, so dürfen sie auf diesem Gebiet deshalb noch lange nicht Regelungen erlassen, die gegen das Gemeinschaftsrecht verstossen. Daraus folgt, daß der sozialversicherungsrechtliche Charakter der streitigen Regelung durchaus nicht von vorneherein jede Prüfung anhand der Artikel 30 und 59 des Vertrages verwehrt.

- Artikel 22 der Verordnung

26 An dieser Stelle ist nun zu untersuchen, ob gegen das Ergebnis, zu dem ich söben gelangt bin, der Umstand sprechen könnte, daß es eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift - im vorliegenden Fall Artikel 22 der Verordnung - gibt, die gerade den Problemkreis regelt, mit dem wir uns hier befassen. Diese Frage kann eigentlich nur verneint werden, da eine Ungültigkeit der betreffenden Gemeinschaftsvorschrift jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann.

Doch gehen wir der Reihe nach vor. Zunächst einmal ist zu bestimmen, ob diese Vorschrift den vorliegenden Sachverhalt regelt, sodann ist zu prüfen, ob die streitige nationale Maßnahme mit dieser Vorschrift vereinbar ist; wenn ja, ist schließlich zu klären, ob dieser Umstand allein genügt, um jede weitere Prüfung hinsichtlich der Wahrung der grundlegenden Freiheiten auszuschließen, die der Vertrag dem einzelnen gewährt und zu denen der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr sicherlich gehören.

27 Da Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung die Möglichkeit vorsieht, wenn auch nur nach vorheriger Genehmigung durch den zuständigen Träger in einem anderen Mitgliedstaat die erforderlichen ärztlichen und medizinischen Leistungen zu erhalten, "gehört [er] zu denjenigen Maßnahmen, die es den Arbeitnehmern, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ohne Rücksicht darauf, bei welchem nationalen Träger sie versichert sein mögen und wo ihr Wohnort liegen mag, ermöglichen sollen, Sachleistungen zu erhalten, die in einem anderen Mitgliedstaat gewährt werden"(30), und dies wohlgemerkt, ohne auf die Erstattung der entstandenen Kosten verzichten zu müssen. Die Kläger der Ausgangsverfahren begehren offensichtlich, ihnen diese Möglichkeit zu gewähren.

Dem ist noch hinzuzufügen, daß sie auch als luxemburgische Staatsangehörige, die nicht ihr Recht auf Freizuegigkeit in Anspruch genommen haben, in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung fallen. Diese gilt nämlich bekanntlich nicht nur für Wanderarbeitnehmer und deren Familienangehörige, sondern auch für (im Inland beschäftigte) Arbeitnehmer und deren Familienangehörige, die aus anderen als Gründen der Erwerbstätigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern(31).

28 Unter diesen Umständen sieht es zumindest auf den ersten Blick so aus, als würden Fälle wie diejenigen, mit denen wir uns hier beschäftigen, von Artikel 22 der Verordnung erfasst und als müsste Artikel 22 somit solche Fälle regeln. Eine derartige Schlußfolgerung ist unstreitig richtig, wenn die vom Versicherten beantragten Leistungen z. B. aus der Konsultation eines Facharztes oder aus fachärztlichen Behandlungen bestehen (wie im Fall Kohll); streitig ist jedoch, ob sie auch dann richtig ist, wenn die beantragten Leistungen aus dem Kauf von medizinischen Erzeugnissen und Hilfsmitteln bestehen (wie im Fall Decker).

So trägt die Kommission vor, daß der Begriff "Leistungen" in Artikel 22 lediglich medizinische Leistungen im eigentlichen Sinne erfasse, nicht jedoch medizinische Erzeugnisse und Hilfsmittel wie Arzneimittel und Brillen. Dagegen vertreten die am Verfahren beteiligten Staaten (Rechtssache Decker) die Ansicht, daß dieser Begriff alle für die Behandlung einer bestimmten Krankheit erforderlichen Leistungen erfasse, also auch alle Erzeugnisse, die für diese Behandlung unentbehrlich seien. Für die Anwendbarkeit von Artikel 22 auch auf medizinische Erzeugnisse und Hilfsmittel spreche ausserdem Artikel 19 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72(32), der ausdrücklich vorsehe, daß Grenzgänger, die sich sowohl im Wohnstaat als auch im Beschäftigungsstaat behandeln lassen könnten, u. a. Arzneimittel und Brillen nur im Inland des Mitgliedstaats kaufen dürften, in dem diese "Erzeugnisse" verschrieben worden seien(33).

29 Nun umfassen die Leistungen bei "Krankheit und Mutterschaft" im Sinne von Titel III Kapitel 1 der Verordnung, zu dem Artikel 22 gehört, zweifellos auch "Leistungen ..., die ihrer Art nach zur medizinischen oder chirurgischen Versorgung gehören"(34). Ich halte übrigens die Ansicht der Kommission, daß Artikel 19 der Verordnung Nr. 574/72 im vorliegenden Fall nicht einschlägig sei, nicht für überzeugend. Zwar betrifft diese Vorschrift tatsächlich nur die Grenzgänger, die verpflichtet werden, medizinische Erzeugnisse und Hilfsmittel nur in dem Staat zu kaufen (und auch nur dort Laboranalysen vornehmen zu lassen), in dem sie verschrieben worden sind, dies jedoch nur deshalb, weil diese Arbeitnehmer als einzige ohne vorherige Genehmigung Zugang zu den fraglichen "Leistungen" in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten haben. Dennoch wäre die Auffassung abwegig, daß das, was Grenzgängern nicht erlaubt wird, damit diese die betreffenden Erzeugnisse nicht in demjenigen der beiden Staaten kaufen, in dem eine günstigere Erstattungsregelung gilt, den anderen Arbeitnehmern in einem beliebigen der 14 Mitgliedstaaten hingegen erlaubt wäre.

Im übrigen räume ich gerne ein, daß dann, wenn die beantragte Leistung wie im Fall Decker aus dem Kauf einer Brille oder allgemeiner von medizinischen Erzeugnissen besteht, nur selten anzunehmen sein wird, daß die betreffende Behandlung nicht so schnell vorgenommen werden kann, daß es nicht zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Versicherten kommt, daß also der Fall vorliegt, in dem Artikel 22 die Verweigerung der Genehmigung verbietet. Diesem Umstand ist jedoch keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen, da dies lediglich bedeutet, daß die Genehmigung praktisch niemals für den Kauf von medizinischen Erzeugnissen und Hilfsmitteln erteilt werden wird(35), es sei denn, es handelt sich um Erzeugnisse (ich denke dabei z. B. an eine Prothese oder an ein spezielles Gerät), die im Inland des betreffenden Staates nicht erhältlich sind.

30 Ich meine daher, daß Artikel 22 nicht nur - wie die Kommission ausführt - bei ärztlichen Leistungen im eigentlichen Sinne Anwendung finden kann, sondern auch bei allen Leistungen, die im Rahmen einer bestimmten Behandlung von Bedeutung sind, also auch bei medizinischen Erzeugnissen und vorliegend beim Kauf einer Brille. Daraus schließe ich, daß die beiden Sachverhalte, um die es vorliegend geht, durchaus in den Geltungsbereich des Artikels 22 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung fallen.

31 Ich prüfe nun, ob die streitige Regelung mit Artikel 22 der Verordnung vereinbar ist. Unstreitig ist, daß die Erstattung in einem anderen Mitgliedstaat angefallener Krankheitskosten sowohl nach der gemeinschaftlichen als auch nach der nationalen Regelung davon abhängt, daß zuvor eine Genehmigung eingeholt wurde. Beide Regelungen verlangen für die Erteilung dieser Genehmigung ausserdem, daß die vom Versicherten beantragten Leistungen zu denen gehören, die nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates erstattungsfähig sind. Ferner sind die Mitgliedstaaten nach Artikel 22 Absatz 2 nur dann zur Erteilung der Genehmigung verpflichtet, wenn die beantragte Behandlung nicht innerhalb eines solchen Zeitraums durchgeführt werden kann, daß die Wirksamkeit der Behandlung gewährleistet ist, so daß es den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, zu entscheiden, in welchen anderen Fällen dies ebenfalls möglich ist. Die luxemburgische Regelung, konkret Artikel 25 des UCM-Statuts, macht die Erteilung der Genehmigung davon abhängig, daß die beantragte Behandlung im Inland nicht erhältlich ist oder daß die Qualität der Behandlung in Anbetracht der konkreten Krankheit des Versicherten nicht ausreicht.

Unter diesen Umständen kann kein Zweifel daran bestehen, daß die streitige Regelung mit Artikel 22 der Verordnung vereinbar ist. Ganz offenkundig überschreitet diese (zumindest so, wie sie formuliert ist) nämlich nicht die durch die genannte Gemeinschaftsvorschrift gesetzten Grenzen(36).

32 Wie bereits angedeutet, darf aus dieser Feststellung jedoch nicht der Schluß gezogen werden (wie es einige Regierungen im Laufe des vorliegenden Verfahrens getan haben), daß die streitige Regelung deshalb nicht im Widerspruch zu den Artikeln 30 und 59 stehen könne und daß folglich die erstere gar nicht anhand dieser Bestimmungen geprüft werden müsse. Das Vorbringen zur Stützung dieser Auffassung entbehrt schon auf den ersten Blick jeder Grundlage.

So verdient meiner Ansicht nach insbesondere das Vorbringen keine besondere Erörterung, daß eine eventuelle Unvereinbarkeit der streitigen Regelung mit den Artikeln 30 und 59 des Vertrages, da dies (auch) die Rechtswidrigkeit des Artikels 22 der Verordnung zur Folge hätte, bedeuten würde, daß diese Bestimmungen Artikel 51, der Rechtsgrundlage der Verordnung, vorgingen, wodurch eine Rangordnung zwischen den Vertragsbestimmungen geschaffen würde, die im Vertrag selbst keinerlei Grundlage habe. Ich möchte dazu nur anmerken, daß die Vereinbarkeit einer bestimmten nationalen Regelung mit einer Bestimmung des Vertrages jedenfalls keinen hinreichenden Grund dafür darstellen kann, diese Regelung dem Anwendungsbereich anderer (einschlägiger) Bestimmungen des Vertrages zu entziehen(37). Man kann sich auch nur sehr schwer vorstellen, daß eine Verordnung nur deshalb ungestraft gegen Bestimmungen des Vertrages verstossen dürfte, weil (und soweit) sie sich innerhalb der Grenzen der ihre Rechtsgrundlage bildenden Bestimmung des Vertrages (also vorliegend des Artikels 51) hielte(38).

33 Hinzu kommt, daß die Verordnung "kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit geschaffen hat, sondern eigene nationale Systeme bestehen lässt und daß sie nur die nationalen Systeme koordinieren soll"(39), so daß "die materiellen und verfahrensmässigen Unterschiede zwischen den Systemen ... der Mitgliedstaaten und damit den Ansprüchen der dort Beschäftigten ... durch Artikel 51 EWG-Vertrag nicht berührt [werden]"(40). Es wäre daher angesichts des Fehlens einer gemeinsamen Regelung auf diesem Gebiet willkürlich, davon auszugehen, daß eine nationale Maßnahme jeder Prüfung auf ihre Vereinbarkeit mit den Bestimmungen des Vertrages nur deshalb entzogen sei, weil sie von den aufgrund des Artikels 51 erlassenen Koordinierungsvorschriften der Gemeinschaft erfasst werde.

Auch die einschlägige Rechtsprechung geht wohl in diese Richtung. Ich denke dabei insbesondere an ein Urteil, in dem der Gerichtshof die damals geltend gemachten Vorschriften der Verordnung dahin ausgelegt hat, daß Familienleistungen für Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, nicht auch Selbständigen gewährt werden können, die freiwillig in einem System der sozialen Sicherheit versichert sind, wenn für die Gewährung dieser Leistungen der deutsche Träger zuständig ist(41). Dieses Ergebnis hat den Gerichtshof jedoch nicht daran gehindert, zu prüfen, ob die nationale Regelung, wonach die betreffenden Leistungen nur gewährt wurden, wenn die Selbständigen in einer gesetzlichen Sozialversicherung versichert waren, mit Artikel 52 vereinbar war(42). So hat er zunächst darauf hingewiesen, daß diese Regelung "die eigenen Staatsangehörigen, die von ihrem Recht auf Freizuegigkeit keinen Gebrauch gemacht haben, und die Wanderarbeitnehmer zum Nachteil der letzteren unterschiedlich [behandelt], denn es sind vor allem deren Kinder, die nicht im die Leistung erbringenden Mitgliedstaat wohnen", und sodann ausgeführt, daß diese Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt war und daß die betreffende Regelung infolgedessen "als diskriminierend einzustufen und daher mit Artikel 52 EG-Vertrag unvereinbar ist"(43).

34 Letztlich hat der Gerichtshof in diesem Urteil zum einen festgestellt, daß die Kläger nach den einschlägigen Vorschriften der Verordnung keinen Anspruch auf die beantragten Leistungen hatten, wobei er diesen Ausschluß im übrigen als rechtmässig anerkannte(44), und zum anderen, daß diese Kläger gemäß Artikel 52 des Vertrages, mit dem die einschlägige nationale Regelung unvereinbar war, Anspruch auf diese Leistungen hatten(45). Diese Lösung bestätigt (obwohl dies eigentlich keiner Bestätigung mehr bedarf) eindeutig, daß die Auffassung nicht zutrifft, es sei dem Gerichtshof verwehrt, die Vereinbarkeit einer nationalen Vorschrift mit den unmittelbar anwendbaren Bestimmungen des Vertrages zu prüfen, und zwar nur deshalb, weil die betreffende Regelung mit der Verordnung vereinbar sei oder die Verordnung sie jedenfalls nicht verbiete.

II - Zu den beschränkenden Wirkungen der streitigen Maßnahme

35 Da ich somit von der Prämisse ausgehe, daß vorliegend die im Vertrag niedergelegten grundlegenden Freiheiten von Bedeutung sind, prüfe ich nun, ob die streitige nationale Regelung den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr behindern kann. Dem ist noch hinzuzufügen, daß das Ergebnis dieser Prüfung angesichts der festgestellten Vereinbarkeit der betreffenden nationalen Regelung mit Artikel 22 der Verordnung auch für diese Vorschrift Gültigkeit haben wird. Mit anderen Worten, eventuelle Beschränkungen des freien Waren- und/oder Dienstleistungsverkehrs werden sowohl auf die nationale als auch auf die Gemeinschaftsvorschrift zurückzuführen sein.

36 Wie bereits erwähnt, werden nach der streitigen Regelung Krankheitskosten - mag es sich nun um Kosten für den Kauf von medizinischen Erzeugnissen und Hilfsmitteln oder um Kosten für Leistungen von Ärzten und Krankenhäusern handeln -, die einem Versicherten in einem anderen als seinem Wohnstaat entstanden sind, nur dann erstattet, wenn der betreffende Versicherte zuvor vom zuständigen Sozialversicherungsträger eine Genehmigung erhalten hat. Somit ist zu prüfen, ob - wie die Kläger der Ausgangsverfahren vortragen - die als notwendig vorgeschriebene vorherige Genehmigung zumindest grundsätzlich gegen die Artikel 30 und/oder 59 des Vertrages verstösst.

Insoweit sind sich alle Mitgliedstaaten, die im Laufe der beiden Verfahren Stellung genommen haben, darüber einig, daß keinerlei Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels vorliege. Sie sind der Ansicht, die betreffende Regelung habe weder den Zweck noch die Wirkung, die Handelsströme einzuschränken, sondern beschränke sich vielmehr darauf, die Art und Weise der Erstattung von Krankheitskosten zu regeln. Sie betreffe somit nur das Verhältnis zwischen dem Versicherten und dem Sozialversicherungsträger, bei dem er versichert sei. Einem solchen Vorbringen, das auf einer - gelinde gesagt - verkürzten Darstellung des Problems beruht, das uns hier beschäftigt, ist weder im Hinblick auf den Warenverkehr noch im Hinblick auf den Dienstleistungsverkehr zu folgen.

- Zum Warenverkehr

37 Wie bereits erwähnt, verstösst eine Regelung, die den einzelnen hinsichtlich der Möglichkeit der Einfuhr von medizinischen Erzeugnissen für den persönlichen Gebrauch einschränkt und nicht gerechtfertigt ist, nach der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes gegen Artikel 30(46). Dem ist noch hinzuzufügen, daß dies auch für eine Brille und ganz allgemein für medizinisch-chirurgisches Material gilt.

Nun läuft zwar die streitige Regelung durchaus nicht auf ein Verbot der Einfuhr der betreffenden Erzeugnisse hinaus, ja sie wirkt sich nicht einmal unmittelbar auf die Möglichkeit aus, sie im Ausland zu kaufen. Den Versicherten steht es in der Tat nach wie vor frei, diese Erzeugnisse dort zu kaufen, wo sie wollen, auch in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat(47). Das bedeutet jedoch nicht - zumindest nicht unbedingt -, daß die betreffende Regelung die Einfuhr dieser Erzeugnisse nicht behindert.

38 Zunächst einmal liegt auf der Hand, daß diese Regelung dadurch, daß eine vorherige Genehmigung nur bei Käufen im Ausland verlangt wird, eine auf dem Ort des Kaufs der Erzeugnisse beruhende unterschiedliche Behandlung schafft(48). Selbst wenn man davon ausgeht, daß eine solche unterschiedliche Behandlung für sich allein für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über den Warenverkehr nicht relevant sei, kann nicht geleugnet werden, daß die fragliche Regelung - da Versicherten, die keine Genehmigung haben, die Erstattung der im Ausland angefallenen Krankheitskosten verweigert wird - die Betroffenen davon abhält, medizinische Erzeugnisse oder auch eine Brille in einem anderen Mitgliedstaat zu kaufen. Mit anderen Worten, eine solche Regelung schreckt zweifellos vom Kauf der betreffenden Erzeugnisse in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat ab, was auf eine Beschränkung der Einfuhren solcher Erzeugnisse hinausläuft (oder jedenfalls hinauslaufen kann).

Im übrigen wird die betreffende Genehmigung in Anbetracht der besonders strengen Voraussetzungen, unter denen sie erteilt wird, nur selten erteilt werden, wenn es nur um den Kauf einer Brille und/oder von Erzeugnissen im allgemeinen geht, die im Wohnstaat verschrieben wurden(49). Unter solchen Umständen regeln die betreffenden Vorschriften die Art und Weise der Erstattung offensichtlich so, daß nur die im Inland gekauften Erzeugnisse erstattungsfähig sind(50). Angesichts meiner Ausführungen zur abschreckenden Wirkung der Nichterstattung lässt sich daher nicht leugnen, daß eine solche Regelung - wenn auch nur mittelbar - die Einfuhr von medizinischen Erzeugnissen und Hilfsmitteln für den persönlichen Gebrauch durch Privatpersonen behindert.

39 Dies genügt meiner Ansicht nach, um zu dem Schluß zu gelangen, daß die in Rede stehende nationale Regelung eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmässige Beschränkungen ist, da sie nach der bekannten Dassonville-Formel geeignet ist, "den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern"(51). Daraus folgt, daß sie - von möglichen Rechtfertigungen einmal abgesehen - als Verstoß gegen Artikel 30 des Vertrages anzusehen ist. Derselbe Schluß - dies sei noch hinzugefügt - ist auch im Hinblick auf Artikel 22 der Verordnung zu ziehen.

- Zum Dienstleistungsverkehr

40 Die streitige Regelung ist dieselbe, die Art des Hindernisses ebenfalls, jedoch sind andere Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts einschlägig, nämlich diesmal die Artikel 59 und 60 des Vertrages; auch befindet sich der Hauptbetroffene (und das ist in solchen Fällen immer der Kranke) in einer anderen Position. Im vorliegenden Fall tritt der Kranke nämlich gemeinschaftsrechtlich gesehen nicht mehr nur mittelbar als Einführer von Erzeugnissen auf, sondern als Empfänger von Dienstleistungen(52), was ein nicht unwesentlicher Umstand ist. Geht man also davon aus, daß sich der Kranke als Begünstigter der Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr ins Ausland begibt, um sich dort einer seinem Gesundheitszustand angemessenen ärztlichen Behandlung zu unterziehen, wie ist dann die betreffende Regelung zu beurteilen?

Ich kann schon jetzt sagen, daß diese Regelung auch als Verstoß gegen die Artikel 59 und 60 zu betrachten ist, und zwar zum grossen Teil aus ähnlichen Gründen, wie ich sie bei der Prüfung der Vereinbarkeit dieser Regelung mit Artikel 30 angeführt habe. Bevor ich mich näher mit den Beschränkungen befasse, die sie für den freien Dienstleistungsverkehr mit sich bringt, halte ich es für angebracht, einige Mißverständnisse auszuräumen, die im Laufe des Verfahrens zutage getreten sind.

41 So wird nämlich vorgetragen, die fragliche Regelung beschränke sich darauf, die Art und Weise der Erstattung von Krankheitskosten zu regeln; sie betreffe daher nur die Beziehung zwischen dem Versicherten und dem Sozialversicherungsträger, bei dem er versichert sei, so daß ein Rechtsstreit über die Erstattung der in Rede stehenden Kosten rein innerstaatliche Bedeutung habe. Kurz, die in einem solchen Fall relevante Leistung sei die Leistung, die der Sozialversicherungsträger dem Versicherten erbringe, nicht jedoch eine Dienstleistung im Sinne der Artikel 59 und 60 des Vertrages. Jedenfalls könne eine vom Staat mit öffentlichen Mitteln finanzierte Tätigkeit keine Dienstleistung im Sinne dieser Bestimmungen sein.

Solche Ausführungen zeigen meiner Ansicht nach, daß eine gewisse Unklarheit darüber besteht, mit welchem Problem wir es hier zu tun haben. Es geht nämlich eigentlich darum, zu prüfen, ob eine nationale Regelung, die die Erstattung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat angefallener Krankheitskosten von einer vorher erteilten Genehmigung abhängig macht, den freien Dienstleistungsverkehr in dem betreffenden Tätigkeitsbereich behindern und somit beschränken kann. Daß die betreffende Regelung das Sozialversicherungsrecht betrifft und unmittelbar die Art und Weise der Erstattung von Krankheitskosten regelt, ist dagegen unter diesem Gesichtspunkt völlig unerheblich(53). Man kann das Vorliegen einer Dienstleistung auch nicht allein deshalb leugnen, weil der Staat die betreffende Leistung mitfinanziert: das ändert nämlich nichts daran, daß die medizinische Leistung gegen Entgelt erbracht wird(54) und daß sich der Versicherte durch die für die Krankenfürsorge gezahlten Beiträge in erheblichem Umfang an deren Finanzierung beteiligt(55).

42 Nun steht zwar fest, daß die betreffende Regelung es den Versicherten (die im vorliegenden Fall die Dienstleistungsempfänger sind) nicht verbietet, die Leistungen eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers in Anspruch zu nehmen, und daß sie - allgemeiner - den Zugang zu ärztlichen Behandlungen in anderen Mitgliedstaaten jedenfalls nicht unmittelbar behindert. Da die Pflicht zur Einholung einer vorherigen Genehmigung im übrigen für alle Personen gilt, die in dem betreffenden Staat wohnen und sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben wollen, um sich einer erforderlichen Behandlung zu unterziehen, steht ebenso fest, daß diese Regelung keine Diskriminierung der betreffenden Dienstleistungsempfänger aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellt.

Dennoch ist nicht zu leugnen, daß die besagte Genehmigung nur dann gebraucht wird, wenn man einen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer in Anspruch nehmen will; dies bedeutet - wenn auch nur mittelbar -, daß die Versicherten je nach dem Ort der Erbringung der Dienstleistung unterschiedlich behandelt werden. Darüber hinaus wird die Erstattung nur den Versicherten verweigert, die eine ärztliche Leistung in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch genommen haben, ohne jedoch im Besitz der vorgeschriebenen Genehmigung zu sein, was eine unterschiedliche Behandlung darstellt, bei der danach unterschieden wird, ob der Versicherte sich für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen der inländischen Anbieter oder der Dienstleistungen der Anbieter in einem anderen Staat entschieden hat.

43 Es zeigt sich also nur zu deutlich, daß die betreffende Regelung - gerade weil die Erstattung der in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Kosten von einer vorherigen Genehmigung abhängt, und gerade weil den Versicherten, die diese Genehmigung nicht haben, die Erstattung dieser Kosten verweigert wird - ausgesprochen abschreckend wirkt und so eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt. Im übrigen ist nicht zu leugnen, daß sich eine solche Situation negativ auf die betreffenden Dienstleistungserbringer auswirken muß, die nicht in diesem Mitgliedstaat niedergelassen sind(56). Diese können nämlich ausser in den seltenen Fällen, in denen die Genehmigung gewährt wird, nur nicht erstattungsfähige Leistungen anbieten.

Letztlich führt die beanstandete nationale Maßnahme (und aus denselben Gründen Artikel 22 der Verordnung) zu Beschränkungen, die - wenn auch nur mittelbar - auf dem Niederlassungsort des Erbringers der Dienstleistung beruhen(57). Diese Vorschriften verkürzen nämlich die Freiheit derjenigen, die medizinische Leistungen (auch) bei Leistungserbringern in anderen Mitgliedstaaten in Anspruch nehmen wollen (Leistungsempfänger) und behindern schon dadurch die grenzueberschreitende Tätigkeit dieser Leistungserbringer. Es handelt sich offenkundig um Beschränkungen, die zumindest grundsätzlich eindeutig gegen Artikel 59 des Vertrages verstossen(58).

III - Zu den zur Rechtfertigung der streitigen Maßnahme angeführten Gründen

44 Da es vorliegend um eine Regelung geht, die den freien Warenverkehr und den freien Dienstleistungsverkehr in gleicher Weise behindert, nimmt es nicht wunder, daß die zu ihrer Rechtfertigung angeführten Gründe bei beiden Freiheiten im wesentlichen dieselben sind. So machen sowohl die luxemburgische Regierung als auch die meisten Regierungen, die in den beiden vorliegenden Verfahren Stellung genommen haben, geltend, daß die sich aus der streitigen Regelung ergebenden Beschränkungen aus Gründen des Gesundheitsschutzes und besonders deshalb notwendig seien, weil die Aufrechterhaltung einer ausgewogenen, allen offenstehenden ärztlichen und klinischen Versorgung gewährleistet werden müsse.

Wie bereits erwähnt, werde ich im Rahmen der Würdigung dieser Rechtfertigungsgründe auch zur Gültigkeit des Artikels 22 der Verordnung Stellung nehmen müssen. Steht nämlich einmal fest, daß diese Vorschrift, die eine Pflicht zur Einholung einer vorherigen Genehmigung auferlegt, dieselben beschränkenden Wirkungen hat wie die streitige nationale Maßnahme, so wird auch die Prüfung unumgänglich, ob sie ebenso wie die nationale Maßnahme mit den Artikeln 30 und 59 des Vertrages vereinbar ist oder nicht(59). Zu einem anderen Ergebnis könnte man nur dann kommen, wenn sich die beiden einschlägigen Regelungen (die nationale und die gemeinschaftsrechtliche) zwar inhaltlich im wesentlichen entsprächen, wenn sie jedoch unterschiedliche Zwecke verfolgen würden und/oder ihnen ein anderer Grundgedanke zugrunde läge.

45 Um nunmehr beurteilen zu können, welche Rechtfertigungsgründe in Frage kommen könnten, ist zunächst zu prüfen, ob die streitige Maßnahme als formal diskriminierend oder vielmehr als unterschiedslos anwendbar zu qualifizieren ist. Im ersten Fall kann die betreffende Maßnahme nämlich nur dann gerechtfertigt sein und somit für mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar erklärt werden, wenn sie in den Anwendungsbereich des Artikels 36 (Waren) und des Artikels 56, auf den Artikel 66 (Dienstleistungen) verweist, also unter eine der im Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmebestimmungen fällt(60); daraus folgt weiter, daß eventuelle wirtschaftliche Ziele der restriktiven Maßnahme(61) überhaupt nicht berücksichtigt werden dürfen, sondern im vorliegenden Fall nur der Schutz der öffentlichen Gesundheit.

Im zweiten Fall kann die Maßnahme mit einer ganzen Reihe von Erfordernissen gerechtfertigt werden, die mit dem Allgemeininteresse zusammenhängen. Um mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar zu sein, müssen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes "nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, vier Voraussetzungen erfuellen ... : Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist"(62). Dies bedeutet zum einen, daß auch unterschiedslos anwendbare Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sein können, wenn sie restriktiv und nicht wegen zwingender Erfordernisse, also aus Gründen des Allgemeininteresses, gerechtfertigt sind(63), und zum anderen - wie wir noch sehen werden -, daß in diesem zweiten Fall auch wirtschaftlichen Zielen der restriktiven Maßnahme, wie z. B. der Sicherung der Wirtschaftlichkeit des Gesundheitssystems, Rechnung getragen werden kann.

46 Die Parteien der Ausgangsverfahren und die beteiligten Regierungen rechtfertigen die streitige Maßnahme jedoch sowohl mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, also mit einer in den Artikeln 36 und 56 vorgesehenen Ausnahme, als auch mit der Sicherung der Wirtschaftlichkeit des Gesundheitssystems, also mit einem Grund des Allgemeininteresses. Nach Ansicht der Kommission soll ausserdem dieselbe Maßnahme in bezug auf Waren diskriminierend sein, da die vorherige Genehmigung beim Kauf der betreffenden Erzeugnisse im Inland nicht vorgeschrieben sei; dagegen soll sie in bezug auf Dienstleistungen unterschiedslos anwendbar sein, da die Verpflichtung, eine solche Genehmigung einzuholen (obwohl sie nur bei Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen im Ausland bestehe) In- und Ausländer in gleicher Weise treffe. Damit scheint wohl gemeint zu sein, daß hinsichtlich der Bestimmungen über den Warenverkehr auch solche Maßnahmen diskriminierend seien, die Einfuhren weniger attraktiv machen könnten, selbst wenn die Einfuhr an sich keinen besonderen Formalitäten unterliege, während hinsichtlich der Bestimmungen über den Dienstleistungsverkehr nur solche Maßnahmen diskriminierend seien, die zu einer Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit führten(64).

Ich kann diese Auffassung nicht teilen. Zwar behindert die fragliche Maßnahme weder den Waren- noch den Dienstleistungsverkehr unmittelbar. Sie kann aber in beiden Fällen eine Beschränkung mit sich bringen, da mit dem nicht genehmigten Kauf medizinischer Erzeugnisse oder der Inanspruchnahme von Leistungen im Ausland offenkundige Nachteile (Nichterstattung) verbunden sind. Daher ist vielmehr zu prüfen, ob Beschränkungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, die - wenn auch nur mittelbar - auf dem Niederlassungsort des Verkäufers der betreffenden Ware oder des Erbringers der fraglichen Dienstleistung beruhen, als diskriminierend oder als unterschiedslos anwendbar zu qualifizieren sind.

47 In bezug auf die Bestimmungen über den Warenverkehr möchte ich vorausschicken, daß der Gerichtshof zum ersten Mal darüber zu entscheiden hat, ob eine Maßnahme, die nur denjenigen, die die betreffenden Erzeugnisse im Ausland kaufen wollen, eine zusätzliche Belastung (vorherige Genehmigung) auferlegt, diskriminierend im Sinne von Artikel 30 des Vertrages ist. Da die Genehmigung nur für die Gewährung eines Vorteils (vollständige oder teilweise Erstattung der Kosten für ein bestimmtes Erzeugnis), nicht jedoch für die Einfuhr(65) erforderlich ist, ist allerdings einzuräumen, daß die betreffende Maßnahme keine unterschiedliche Regelung für die eingeführten Erzeugnisse vorsieht, sondern zu einer unterschiedlichen Behandlung der Personen (Versicherten) führt, die alle in demselben Mitgliedstaat wohnen, die jedoch je nachdem, ob sie ein bestimmtes Erzeugnis im Wohnstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat gekauft haben, unterschiedlich behandelt werden. Der Umstand, daß die unterschiedliche Behandlung der Versicherten - wenn auch nur mittelbar - vom Niederlassungsort des Optikers oder Apothekers abhängt, der die betreffenden Erzeugnisse anbietet, spielt übrigens für das Recht des Warenverkehrs keine Rolle, und zwar selbst dann nicht, wenn man dies als formale Diskriminierung aufgrund der Niederlassung qualifizieren wollte(66).

Die eventuelle Beschränkung der Einfuhren ist vielmehr darauf zurückzuführen, daß die Nichterstattung der Kosten für in einem anderen Mitgliedstaat gekaufte Erzeugnisse die Kaufentscheidung der Versicherten beeinflusst und sie vom Kauf abhält. Ich glaube daher, daß die fragliche Maßnahme, obwohl sie den Kauf im Inland verkaufter Erzeugnisse begünstigt, formal nicht diskriminierend ist. Von anderen Gründen einmal ganz abgesehen, müssen nämlich u. a. keine besonderen Formalitäten bei der Einfuhr erfuellt werden, und die nationalen Erzeugnisse werden nicht zum Nachteil der eingeführten Erzeugnisse privilegiert.

48 Ich gehe nun zur Prüfung der Bedeutung der streitigen nationalen Maßnahme unter dem Gesichtspunkt der Bestimmungen über den Dienstleistungsverkehr über; dabei verweise ich zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach als formal diskriminierend nur Rechtsvorschriften anzusehen sind, die für Ausländer(67) und/oder für Dienstleistungen, deren "Herkunft" in anderen Mitgliedstaaten liegt(68), eine andere Regelung vorsehen. Als unterschiedslos anwendbar werden dagegen diejenigen Maßnahmen angesehen, die grundsätzlich für alle gelten sollen, die im Hoheitsgebiet eines bestimmten Mitgliedstaats die betreffende Tätigkeit ausüben, und zwar auch dann, wenn als Voraussetzung ausdrücklich ein Wohnsitz(69) oder eine Niederlassung(70) verlangt wird, wenn es also um Voraussetzungen geht, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringern die Ausübung der betreffenden Tätigkeit unmöglich machen(71).

Die Maßnahme, um die es vorliegend geht, stellt keinerlei Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar und enthält - zumindest unmittelbar - auch keine unterschiedliche Regelung für Dienstleistungserbringer, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind. Die unterschiedliche Behandlung betrifft nämlich zumindest formal alle Versicherten, die dem betreffenden System der sozialen Sicherheit angeschlossen sind. Berücksichtigt man jedoch, daß diese unterschiedliche Behandlung davon abhängt, welcher Arzt oder welches Krankenhaus gewählt wurde, so wird ganz deutlich, daß die Versicherten je nach dem Niederlassungsort des Dienstleistungserbringers unterschiedlich behandelt werden. Kann man allein deswegen annehmen, daß die fragliche Maßnahme - da sie auf eine unterschiedliche Regelung für in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Dienstleistungen hinausläuft - jedenfalls als diskriminierend zu qualifizieren ist?

49 Die bereits erwähnte Rechtsprechung zum Dienstleistungsverkehr, nach der Regelungen, die zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit eine Niederlassung vorschreiben, aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein können, könnte dahin ausgelegt werden, daß diese Frage (trotz des möglicherweise unbefriedigenden Ergebnisses) zu verneinen sei, weil es sich um ein Erfordernis handele, das für alle diejenigen gelte, die im Hoheitsgebiet eines bestimmten Staates eine bestimmte Tätigkeit ausübten, und das daher - wohlgemerkt formal - keinerlei Diskriminierung darstelle. Genausowenig könnten dann Rechtsvorschriften als diskriminierend betrachtet werden, die zumindest formal und unmittelbar keine unterschiedliche Regelung für die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer vorsähen.

Gerade in dem hier streitigen Punkt ist die Rechtsprechung zu Maßnahmen, bei denen ähnlich wie bei der vorliegenden ein bestimmter Vorteil nur gewährt wird, wenn man sich eines im Inland niedergelassenen Dienstleistungserbringers bedient, jedoch nicht frei von Unklarheiten und Widersprüchen. So hat der Gerichtshof im Urteil Bachmann entschieden, daß die streitige Maßnahme, die daraus bestand, daß gewisse Beiträge nur abzugsfähig waren, wenn sie im Inland gezahlt worden waren, aus Gründen der Kohärenz des nationalen Steuersystems gerechtfertigt war, und sie somit als unterschiedslos anwendbare Maßnahme anerkannt(72). Dagegen hat der Gerichtshof im späteren Urteil Svensson u. a. eine Maßnahme, die daraus bestand, daß eine soziale Beihilfe für den Wohnungsbau nur gewährt wurde, wenn das entsprechende Darlehen bei einem im Inland niedergelassenen Kreditinstitut aufgenommen wurde(73), als Diskriminierung aus Gründen der Niederlassung angesehen, die somit nur aufgrund der im Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt sein konnte. Auch der Umstand, daß der Gerichtshof in demselben Urteil die Auffassung, die fragliche Maßnahme sei zur Wahrung der Kohärenz des Steuersystems notwendig, widerlegt hat(74), hat nicht mehr Klarheit gebracht: Der Gerichtshof hat dabei nämlich auch geprüft, ob diese Maßnahme mit Erfordernissen zu rechtfertigen war, die nur bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen berücksichtigt werden können.

50 Meiner Ansicht nach dürfen aber im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht nicht beliebig und/oder kumulativ entweder die ausdrücklich im Vertrag vorgesehenen Ausnahmen oder Gründe des Allgemeininteresses herangezogen werden(75), dies insbesondere deshalb, weil es um Rechtfertigungsgründe geht, die verschiedene Fallgestaltungen betreffen und teilweise unterschiedliche Regelungen zur Folge haben. Ich gebe zwar zu, daß es schwierig sein kann, festzustellen, ob eine bestimmte Maßnahme diskriminierend ist oder nicht - in einigen Fällen ist die diskriminierende Wirkung (tatsächlich) unübersehbar, während in anderen die Besonderheiten eines bestimmten Sektors Anlaß zu grösserer Vorsicht geben -, doch ändert dies nichts daran, daß die Maßnahme zutreffend qualifiziert werden muß.

Ich bin daher der Auffassung, daß der Gerichtshof im vorliegenden Fall - und um die Unklarheiten der söben dargestellten Rechtsprechung zu beseitigen - entweder (wie sich dem Urteil Svensson entnehmen lässt) feststellen sollte, daß zu den diskriminierenden Maßnahmen auch diejenigen gehören, die eine mittelbare unterschiedliche Behandlung in der Weise darstellen, daß im Inland niedergelassene Dienstleistungserbringer anders behandelt werden als nicht im Inland niedergelassene, oder aber (wie sich wohl dem Urteil Bachmann entnehmen lässt) entscheiden sollte, daß Maßnahmen, die formal keine unterschiedliche Regelung für nicht im Inland niedergelassene Dienstleistungserbringer darstellen, auch unterschiedslos anwendbar sind. Ich möchte dazu nur anmerken, daß mir diese zweite Möglichkeit zur Zeit am ehesten mit der gesamten einschlägigen Rechtsprechung im Einklang zu stehen scheint. Das heisst jedoch nicht, daß eine Überprüfung dieser Rechtsprechung nicht angebracht wäre.

51 Ausgehend von der Prämisse, daß die vorliegend streitige nationale Maßnahme sowohl unter dem Gesichtspunkt der Gemeinschaftsbestimmungen über den Warenverkehr als auch unter dem Gesichtspunkt der Bestimmungen über den Dienstleistungsverkehr unterschiedslos anwendbar ist, gehe ich nunmehr zur Prüfung der Erfordernisse über, mit denen sie gerechtfertigt wird, nämlich mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit und mit der Aufrechterhaltung einer ausgewogenen, allen offenstehenden ärztlichen und klinischen Versorgung in einer bestimmten Region. Dieses letztere Erfordernis spricht das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage in der Rechtssache C-158/96 (Kohll) ausdrücklich an, während sich die beteiligten Mitgliedstaaten eher auf die Gewährleistung der Wirtschaftlichkeit des Versorgungssystems berufen. Beide Ziele sind in der Tat insofern eng miteinander verknüpft, als das zweite - naheliegendere - Ziel nach Auffassung der Mitgliedstaaten ein Mittel darstellt, mit dem die Erreichung des ersten Zieles sichergestellt werden kann.

Ich halte eine weitere Präzisierung für erforderlich. Meine Erwägungen zu der Frage, ob die streitige Maßnahme möglicherweise aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt sein könnte, und das Ergebnis dieser Erwägungen würden - da es sich um ein in den Artikeln 36 und 56 des Vertrages ausdrücklich genanntes Erfordernis handelt - nicht ihre Gültigkeit verlieren, wenn man die streitige Maßnahme diskriminierend ansähe(76). Dies gilt jedoch keineswegs für das Erfordernis der Aufrechterhaltung einer ausgewogenen, allen offenstehenden ärztlichen und klinischen Versorgung in einer bestimmten Region. Selbst wenn man nämlich den Begriff der öffentlichen Gesundheit so weit auslegen wollte, daß dieses Ziel davon erfasst würde(77), müsste man einräumen, daß damit im Grunde nur die Wirtschaftlichkeit des Systems bezweckt, also ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird, der als solcher keinesfalls eine diskriminierende Maßnahme rechtfertigen kann(78).

52 Aus alledem ergibt sich unmittelbar, daß die von der luxemburgischen Regierung vertretene Auffassung, die beanstandete Regelung sei notwendig, um die Qualität der medizinischen Erzeugnisse und Leistungen zu gewährleisten - was bei denjenigen, die sie im Ausland in Anspruch nähmen, nur im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung überprüft werden könne -, jeder Grundlage entbehrt. Die Voraussetzungen für die Aufnahme (und Ausübung) der betreffenden Tätigkeiten sowie die Bedingungen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln sind nämlich Gegenstand von Koordinierungs- und Harmonisierungsrichtlinien der Gemeinschaft(79). Im übrigen hat der Gerichtshof - nicht zuletzt unter Verweisung auf diese Richtlinien - bereits festgestellt, daß die Verschreibung eines Arzneimittels durch einen Arzt in einem anderen Mitgliedstaat und der Kauf dieses Arzneimittels in diesem Mitgliedstaat eine Garantie bieten, die derjenigen gleichwertig ist, die die Verschreibung durch einen Arzt im Einfuhrstaat oder der Verkauf dieses Arzneimittels in einer Apotheke des Mitgliedstaats bieten, in den das Arzneimittel von einer Privatperson eingeführt wird(80). Grundlage dieser Ausführungen, die zwangsläufig für den Kauf aller Arten von medizinisch-chirurgischem Material, also auch einer Brille, gelten müssen, ist der Umstand, daß die Garantien, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Ärzte, Apotheker und Optiker bieten, denen gleichwertig sind, die im Inland niedergelassene Ärzte, Apotheker und Optiker bieten.

Unter diesen Umständen halte ich die Ansicht, die Gesundheit der Versicherten sei nicht ausreichend geschützt, wenn sie sich in einem anderen Mitgliedstaat behandeln ließen, nicht für vertretbar(81). Daraus folgt offenkundig, daß die fragliche Maßnahme nicht als zum Schutz der Gesundheit erforderlich angesehen werden kann.

53 Zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit des Systems möchte ich zunächst bemerken, daß es sich dabei meiner Ansicht nach durchaus um ein Erfordernis handelt, das den Schutz des Gemeinschaftsrechts verdient. Zwar lehnt es die Rechtsprechung manchmal kategorisch ab, wirtschaftliche Zwecke, die (auch) unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen zugrunde liegen(82), als gerechtfertigt anzusehen; betrachtet man diese Rechtsprechung jedoch genauer, so zeigt sich, daß ein wirtschaftlicher Zweck doch gerechtfertigt sein kann, wenn es sich dabei nicht um einen Selbstzweck handelt, sondern wenn er vielmehr für die Funktionsfähigkeit des betreffenden Systems von Bedeutung ist(83) oder empfindliche und besonders wichtige Interessen der Mitgliedstaaten berührt(84).

Aus dieser Sicht halte ich es für unbestreitbar, daß die Sicherung der Wirtschaftlichkeit des Systems der sozialen Sicherheit, die schließlich den wesentlichen Zweck der fraglichen Maßnahme darstellt, kein Selbstzweck ist, sondern ein Mittel, das (zumindest) dazu beiträgt, den Versicherten ein gewisses Leistungsniveau zu bieten, und zwar sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch hinsichtlich der Qualität der Leistungen. Eine Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts des Systems könnte in der Tat zu einem niedrigeren Niveau des Gesundheitsschutzes führen, was offensichtlich und unvermeidlich nachteilige Folgen vor allem für die Versicherten hätte, die den wirtschaftlich schwächeren Schichten angehören. Hinzu kommt, daß der Gerichtshof z. B. im Zusammenhang mit der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit(85) sowie im Rahmen der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Beamtenstatuts(86) bereits anerkannt hat, daß die Wirtschaftlichkeit der Systeme der sozialen Sicherheit ein legitimes Ziel darstellt, das somit Schutz verdient.

54 Daher prüfe ich nun, ob die streitige Maßnahme erforderlich und angemessen ist, um die Wirtschaftlichkeit und damit die Aufrechterhaltung einer allen offenstehenden ärztlichen und klinischen Versorgung zu gewährleisten. Alle Regierungen, die Stellung genommen haben, tragen hierzu vor, daß die vorherige Genehmigung unerläßlich sei, wenn verhindert werden solle, daß die Sozialversicherungsträger die betreffenden Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Staates erstatten müssten, in dem sich der einzelne Versicherte habe behandeln lassen und/oder in dem er die entsprechenden Erzeugnisse gekauft habe. Diese Mitgliedstaaten führen ferner aus, daß der Versicherte normalerweise die betreffenden Leistungen in dem Staat in Anspruch nehmen werde, in dem fortschrittlichere - aber gerade aus diesem Grund auch teurere - Leistungen geboten würden.

Nun ist ohne weiteres einzuräumen, daß eine eventuelle Verpflichtung zur Erstattung der Leistungen, die Versicherte im Ausland in Anspruch genommen haben, nach den unterschiedlichen Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten tatsächlich zu einer Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts führen könnte, was nachteilige Folgen für die Aufrechterhaltung einer ausgewogenen, allen offenstehenden ärztlichen und klinischen Versorgung hätte. In diesem Zusammenhang sei lediglich angemerkt, daß sich zur Zeit die Kosten des Gesundheitswesens und die Grundsätze der Finanzierung der Krankenfürsorgesysteme von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat stark unterscheiden(87). Eine uneingeschränkte Freizuegigkeit im Gesundheitswesen würde zu Ungleichgewichten und eindeutigen Schwierigkeiten in den Mitgliedstaaten führen, in denen die Leistungen erheblich weniger kosten als die Sozialversicherungsträger den Versicherten, die diese Leistungen in anderen Mitgliedstaaten in Anspruch nehmen, erstatten müssten.

55 Unter diesen Umständen wäre die beanstandete Maßnahme als zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich und verhältnismässig anzusehen. Die Verpflichtung zur Einholung einer vorherigen Genehmigung stellt nämlich das einzige Mittel dar, das es den Sozialversicherungsträgern erlaubt, die den Versicherten in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Kosten nur dann zu den in diesem Mitgliedstaat vorgesehenen Bedingungen zu übernehmen, wenn dies wegen des Gesundheitszustands des Versicherten als erforderlich anzusehen ist, und auf diese Weise zu hohe Ausgaben zu vermeiden, die das wirtschaftliche Gleichgewicht des Systems stören könnten.

Die Kommission geht davon aus, daß Artikel 22 der Verordnung zwar eine Verpflichtung auferlege, die Genehmigung in einem bestimmten Fall nicht zu versagen, daß er aber nichts über andere Fälle aussage, die eintreten könnten; dennoch vertritt sie die Ansicht, daß von Fall zu Fall geprüft werden müsse, ob die Erteilung der Genehmigung für eine bestimmte Leistung, somit die entsprechende finanzielle Belastung, zu einer Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts führen könne(88). Diese Auffassung hat zwar einiges für sich, scheint mir aber nicht konsequent genug zu sein. Es ist offenkundig (und nicht nur wünschenswert), daß die Mitgliedstaaten großzuegiger sein könnten (und tatsächlich sein können), als es Artikel 22 der Verordnung verlangt; ich frage mich jedoch, weshalb eine nationale Regelung, die es zulässt, daß sich die Versicherten in andere Mitgliedstaaten begeben, um sich dort ärztlich behandeln zu lassen, zumindest in den Fällen, in denen Artikel 22 dies verlangt, mit dieser Vorschrift (die die Kommission selbst für gültig hält) vereinbar sein, jedoch gegen die Bestimmungen des Vertrages über den Dienstleistungsverkehr verstossen soll(89).

56 Dagegen verlangt Artikel 22 der Verordnung durchaus nicht (auch nicht implizit), daß die Versicherten in den Fällen, in denen die Genehmigung nicht gewährt wird, weil die dort genannten Voraussetzungen nicht erfuellt sind, die Kosten der entsprechenden Leistungen in vollem Umfang selbst tragen müssten, d. h., daß sie keinerlei Erstattungsanspruch hätten. Zweck der fraglichen Vorschrift ist es vielmehr, dafür zu sorgen, daß der Anspruch des Versicherten auf bestimmte Leistungen abweichend von dem Grundsatz der Anwendbarkeit der Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats, auf dem die von der Verordnung bezweckte Koordinierung beruht, auch in einem anderen Mitgliedstaat erfuellt werden kann, und zwar (zumindest) in den Fällen, in denen dies in Anbetracht des Gesundheitszustands des Betroffenen erforderlich ist. Mit anderen Worten, die fragliche Vorschrift soll das Recht der Versicherten gewährleisten, in einem anderen Mitgliedstaat eine angemessene Behandlung zu erhalten, ohne deshalb wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen und ohne daß dadurch die in den verschiedenen Mitgliedstaaten bestehenden Systeme erschüttert würden.

57 Wenn dem aber so ist, so folgt daraus zum einen, daß die Beschränkungen, die die einschlägigen Vorschriften des Artikels 22 darstellen - gerade weil sie gewährleisten sollen, daß die Versicherten ärztliche Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat unter den Voraussetzungen in Anspruch nehmen können, die die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats vorsehen -, sachlich gerechtfertigt, also mit den Artikeln 30 und 59 des Vertrages vereinbar sind, und zum anderen, daß der mit der nationalen Maßnahme verfolgte Zweck, nämlich die Sicherung der Wirtschaftlichkeit, nur insoweit Bedeutung erlangt, als man davon ausgeht, daß die Erstattung der Kosten für Leistungen, die die Versicherten in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nehmen wollen, nach den in dem Staat, in dem diese Leistungen erbracht werden, geltenden Kriterien und Bedingungen erstattet werden müssten.

Unter diesen Umständen ist somit zu prüfen, ob die Gefahr einer Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts und damit die Notwendigkeit einer vorherigen Genehmigung auch dann weiterhin bestuende, wenn der zuständige Sozialversicherungsträger die Kosten der Behandlung, der sich der Versicherte im Ausland unterzogen hat, nicht nach den Rechtsvorschriften des Staates erstatten müsste, in dem die Behandlung durchgeführt wurde, sondern nach den Rechtsvorschriften und Sätzen des Staates, in dem derjenige, der die Behandlung in Anspruch genommen hat, versichert ist. Es geht also um die Prüfung, ob die von Herrn Decker beantragte Erstattung unter den Voraussetzungen, unter denen er einen Anspruch gehabt hätte, wenn er die Brille bei einem in Luxemburg niedergelassenen Optiker gekauft hätte, oder eine eventuelle Erstattung nach den nationalen Sätzen im Fall Kohll tatsächlich geeignet wäre, die Wirtschaftlichkeit des Systems zu beeinträchtigen.

58 Betrachtet man das Problem unter diesem Aspekt, so wird klar, daß der unterschiedlichen Art der Finanzierung und den unterschiedlichen Gesundheitskosten der einzelnen Systeme dann keinerlei Bedeutung mehr zuzumessen wäre, wenn der zuständige Sozialversicherungsträger die Kosten der Leistungen, die Versicherte in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch genommen haben, nicht nach den in diesem Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften erstatten müsste. Es ist in der Tat nicht zu leugnen, daß eine Erstattung in Höhe von 1 600 LFR, auf die Herr Decker Anspruch gehabt hätte, wenn er die Brille bei einem in Luxemburg niedergelassenen Optiker gekauft hätte, keinerlei Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit des Systems gehabt hätte; genausowenig wären irgendwelche Auswirkungen festzustellen, wenn die Kosten für eine in Deutschland durchgeführte zahnregulierende Behandlung, der sich eine bei der luxemburgischen Krankenkasse versicherte Person unterzogen hat, nach den "luxemburgischen" Kosten erstattet würden(90).

Daraus folgt, daß auch im Hinblick auf die Aufrechterhaltung einer allen offenstehenden rztlichen Versorgung in einer bestimmten Region negative Auswirkungen auszuschließen sind. Zwar kann es in Grenzregionen öfter vorkommen, daß die Grenze auch zur Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen überschritten wird, doch wird dieser grenzueberschreitende Verkehr grundsätzlich nicht nur in eine Richtung gehen; vor allem aber sind die Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit nicht grösser, als sie es wären, wenn die Leistungen im Wohnstaat der Betroffenen erbracht würden.

59 Ganz anders ist die Situation meiner Ansicht nach allerdings bei den Krankenhäusern, so daß die Antwort hier anders ausfallen muß. Anders als bei den Leistungen, die von Selbständigen erbracht werden, ist zum einen einzuräumen, daß sich Standort und Anzahl der Krankenhäuser nach einem Bedarfsplan bestimmen, und zum anderen, daß die Kosten des Aufenthalts einer einzelnen Person in einem Krankenhaus nicht von den gesamten Krankenhauskosten zu trennen sind. Es versteht sich nämlich von selbst, daß die Krankenhäuser im Inland teilweise ungenutzt bleiben würden, wenn viele Versicherte die Krankenhäuser in anderen Mitgliedstaaten aufsuchen würden, daß sie jedoch weiterhin die gleichen Kosten für Personal und Geräte zu tragen hätten, die bei einer optimalen Auslastung anfallen würden(91).

Mit anderen Worten, würde der zuständige Sozialversicherungsträger die Kosten ärztlicher Leistungen erstatten, die Versicherte in Krankenhäusern anderer Mitgliedstaaten in Anspruch genommen haben, so liefe dies selbst dann, wenn die Kosten auf der Grundlage eines den "luxemburgischen" Kosten der betreffenden Leistung entsprechenden Pauschalbetrags erstattet würden, doch auf eine zusätzliche finanzielle Belastung für das betreffende System hinaus. In diesem Bereich ist somit einzuräumen, daß die Beantragung und Gewährung einer vorherigen Genehmigung weiterhin unbedingt erforderlich sind, wenn die Wirtschaftlichkeit des Systems nicht gefährdet und die Aufrechterhaltung einer Versorgung gewährleistet werden soll, die sowohl finanziell als auch logistisch gesehen allen offensteht, also auch denjenigen, die sich nicht ins Ausland begeben, sondern die Behandlung, die sie benötigen, an einem möglichst nahegelegenen Ort durchführen lassen wollen(92).

60 Ich bin daher der Auffassung, daß die streitige Maßnahme bei allen Leistungen, die dem Versicherten in Krankenhäusern erbracht werden, und allgemeiner bei allen Leistungen gerechtfertigt ist, für die der Versicherte die Kostenübernahme oder die vollständige Erstattung der Kosten durch den zuständigen Sozialversicherungsträger in Anspruch nehmen will. Dagegen ist diese Maßnahme nicht zu rechtfertigen, wenn der Versicherte für den Kauf von Erzeugnissen oder für ärztliche Leistungen wie Konsultationen und Untersuchungen durch freiberuflich tätige Fachärzte eine pauschale Erstattung nach den Sätzen des Staates beantragt, in dem er versichert ist.

Ich möchte hinzufügen, daß ein Tätigwerden des Gemeinschaftsgesetzgebers mit dem Ziel, das betreffende Sachgebiet so zu harmonisieren, daß eine echte und effektive Freizuegigkeit im Gesundheitswesen ermöglicht würde, als wichtiger Schritt auf dem Weg zur Errichtung eines integrierten Binnenmarkts sicherlich wünschenswert wäre. Ich weiß sehr wohl, daß dies ein ehrgeiziges Ziel ist, das sich zur Zeit nur schwer verwirklichen lässt, bin aber der Auffassung, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber zumindest alsbald die möglichen Fälle erweitern sollte, in denen die Erteilung der Genehmigung nicht verweigert werden darf. Es kann in der Tat kein Zweifel daran bestehen, daß es aus mehreren Gründen angebracht wäre, die Genehmigung in all den Fällen zu erteilen, in denen der Versicherte in einem anderen Mitgliedstaat jedenfalls wirksamer behandelt werden könnte oder in denen - wie sich im Fall Kohll im Laufe der mündlichen Verhandlung herausgestellt hat - im Wohnstaat nur ein Facharzt die beantragte Leistung erbringen kann.

Ergebnis

61 Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof daher vor, die vom Conseil arbitral des assurances sociales und von der Cour de cassation des Großherzogtums Luxemburg in den jeweiligen Rechtssachen vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

a) in der Rechtssache C-120/95:

Die Artikel 30 und 36 des Vertrages sind dahin auszulegen, daß sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der ein Sozialversicherungsträger es mit der Begründung, jede Behandlung im Ausland müsse zuvor genehmigt werden, ablehnen kann, einem Versicherten die Kosten für eine Brille, die von einem in seinem Wohnstaat niedergelassenen Arzt verschrieben, jedoch bei einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Optiker gekauft wurde, nach den im ersten Mitgliedstaat geltenden Rechtsvorschriften zu erstatten.

b) in der Rechtssache C-158/96:

Die Artikel 59 und 60 des Vertrages sind dahin auszulegen, daß sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Sozialversicherungsträger des Versicherten die Kosten für erstattungsfähige Leistungen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat des Versicherten erbracht wurden, nur übernimmt, wenn er sie genehmigt hat, sofern und soweit es sich um Leistungen handelt, die ausserhalb der Krankenhäuser erbracht und nicht nach den Sätzen des Staates, in dem sie erbracht werden, sondern nach den Sätzen des Staates, in dem der Betroffene versichert ist, erstattet werden; handelt es sich hingegen um Leistungen, die in Krankenhäusern erbracht werden müssen, oder allgemeiner um Leistungen, die nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie erbracht werden, und somit eines anderen Mitgliedstaats als dem Wohnstaat des Versicherten zu erstatten sind, so sind die Artikel 59 und 60 des Vertrages dahin auszulegen, daß sie einer solchen Regelung nicht entgegenstehen, da sie der Sicherung der Wirtschaftlichkeit und damit der Aufrechterhaltung einer allen offenstehenden klinischen Versorgung in einer bestimmten Region dient.

(1) - Vgl. in diesem Sinne Artikel 119 des heute geltenden UCM-Statuts.

(2) - Vgl. die durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 kodifizierte Fassung (ABl. 1997, L 28, S. 4).

(3) - Interessant ist übrigens, daß nach dem durch die Verordnung (EG) Nr. 3095/95 (ABl. L 335, S. 1) eingefügten Artikel 22a "abweichend von Artikel 2 dieser Verordnung ... Artikel 22 Absatz 1 Buchstaben a und c auch für Personen, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats und nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats versichert sind, und für die bei ihnen wohnenden Familienangehörigen [gilt]". Nach dieser Änderung muß man also nicht mehr Arbeitnehmer oder Familienangehöriger eines Arbeitnehmers sein, um sich auf Artikel 22 berufen zu können; es kommt nur auf das Bestehen einer Versicherung an, nicht darauf, in welcher Eigenschaft der Betroffene versichert ist.

(4) - In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß nach Artikel 36 Absatz 1 der Verordnung "Aufwendungen für Sachleistungen, die aufgrund dieses Kapitels vom Träger eines Mitgliedstaats für Rechnung des Trägers eines anderen Mitgliedstaats gewährt worden sind, ... in voller Höhe zu erstatten [sind]".

(5) - Der Conseil arbitral des assurances sociales wies die Klage mit Beschluß vom 24. August 1993 ab. Mit Urteil vom 20. Oktober 1993 wies er auch den Einspruch, den Herr Decker gegen diesen Beschluß eingelegt hatte, zurück. Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch die Cour de cassation ist der Conseil arbitral des assurances sociales nun wieder mit dem Rechtsstreit befasst.

(6) - Vgl. hierzu Urteil vom 7. März 1989 in der Rechtssache 215/87 (Schumacher, Slg. 1989, 617) und Urteil vom 8. April 1992 in der Rechtssache C-62/90 (Kommission/Deutschland, Slg. 1992, I-2575).

(7) - Vgl. in diesem Sinne ausserdem Urteil vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-159/90 (Grogan u. a., Slg. 1991, I-4685), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, daß "der ärztliche Schwangerschaftsabbruch, der im Einklang mit dem Recht des Staates vorgenommen wird, in dem er stattfindet, eine Dienstleistung im Sinne von Artikel 60 EWG-Vertrag darstellt" (Randnr. 21).

(8) - Urteil vom 31. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 286/82 und 26/83 (Luisi und Carbone, Slg. 1984, 377, Randnr. 16).

(9) - Urteil vom 7. Februar 1984 in der Rechtssache 238/82 (Duphar, Slg. 1984, 523, Randnr. 16). Ebenso zuletzt Urteil vom 17. Juni 1997 in der Rechtssache C-70/95 (Sodemare u. a., Slg. 1997, I-3395, Randnr. 27).

(10) - Eine erschöpfende Erörterung der einschlägigen Rechtsprechung und ihrer Bedeutung findet sich in den Schlussanträgen des Generalanwalts Fennelly vom 6. Februar 1997 in der Rechtssache C-70/95 (Sodemare u. a., Slg. 1997, I-3395, Nrn. 23 bis 30).

(11) - Es ist kein Zufall, daß diese Wendung eine Konstante in der Rechtsprechung des Gerichtshofes zur Auslegung der Verordnung Nr. 1408/71 darstellt. Vgl. u. a. Urteil vom 24. April 1980 in der Rechtssache 110/79 (Coonan, Slg. 1980, 1445, Randnr. 12) und Urteil vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-349/87 (Paraschi, Slg. 1991, I-4501, Randnr. 15).

(12) - Urteil vom 17. Februar 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-159/91 und C-160/91 (Slg. 1993, I-637, Randnr. 19).

(13) - So das Urteil vom 30. Januar 1997 in den verbundenen Rechtssachen C-4/95 und C-5/95 (Stöber und Piosa Pereira, Slg. 1997, I-511, Randnr. 36).

(14) - Vgl. Urteile Coonan und Paraschi (zitiert in Fußnote 11, Randnrn. 12 bzw. 15).

(15) - Man denke in diesem Zusammenhang nur daran, daß gerade der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung von Inländern und den in diesem Staat wohnenden Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten ein Grundprinzip der Verordnung ist, obwohl diese eigentlich nur die Koordinierung der nationalen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet bezweckt.

(16) - Urteil Poucet und Pistre (zitiert in Fußnote 12, Randnr. 18).

(17) - Für dieses Ergebnis spricht - wenn auch nur im Umkehrschluß - das Urteil vom 23. April 1991 in der Rechtssache C-41/90 (Höfner und Elser, Slg. 1991, I-1979), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, daß der Begriff des Unternehmens im Rahmen des Wettbewerbsrechts "jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung[, umfasst]" (Randnr. 21).

(18) - Urteil vom 16. November 1995 in der Rechtssache C-244/94 (FFSA u. a., Slg. 1995, I-4013, Randnrn. 17 bis 22).

(19) - Urteil vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-238/94 (Slg. 1996, I-1673, Randnr. 13).

(20) - Da diese - allerdings krasser formulierte - Feststellung im übrigen auf Ausführungen in meinen Schlussanträgen in dieser Rechtssache beruht (Schlussanträge vom 29. Februar 1996, Slg. 1996, I-1675, Nr. 9), kann ich nicht umhin, darauf hinzuweisen, daß ich gewiß nicht zu einem solchen Ergebnis gelangen wollte. Wie meinen Schlussanträgen zu entnehmen ist, wollte ich vielmehr hervorheben, daß beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts keine der Bestimmungen des Vertrages, auch nicht diejenigen, die unmittelbar den Bereich der sozialen Sicherheit oder überhaupt den sozialen Bereich betreffen, "den Erlaß von Maßnahmen [erlauben], die auf den Abbau der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit gerichtet sind" (vgl. Fußnote 6), wobei mit dem Begriff "Abbau" eben gerade die Zerstörung der verschiedenen Systeme gemeint ist, die es zur Zeit in den einzelnen Mitgliedstaaten gibt. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, daß - falls es je zu einer Harmonisierung der betreffenden Systeme kommen sollte - die Artikel 57 Absatz 2 und 66 des Vertrages die richtige Rechtsgrundlage für eine Liberalisierung der Tätigkeit (auch) der Einrichtungen bilden würden, die diese Systeme verwalten.

(21) - Urteil García (zitiert in Fußnote 19, Randnr. 14).

(22) - Vgl. oben, Nr. 19 und Fußnote 14.

(23) - Urteil Sodemare u. a. (zitiert in Fußnote 9, Randnr. 29).

(24) - Idem, Randnrn. 32 und 34. Im übrigen hat es der Gerichtshof in demselben Urteil dennoch für notwendig erachtet, klarzustellen, daß jedenfalls durch dieses System "Gesellschaften mit Erwerbszweck aus anderen Mitgliedstaaten gegenüber solchen Gesellschaften des Niederlassungsmitgliedstaats weder sachlich noch rechtlich benachteilig[t]" werden dürfen (Randnr. 33).

(25) - Urteil vom 12. Februar 1987 in der Rechtssache 221/85 (Kommission/Belgien, Slg. 1987, 719, Randnr. 11).

(26) - Urteil vom 7. Juli 1988 in der Rechtssache 143/87 (Stanton u. a., Slg. 1988, 3877, Randnr. 10). Vgl. ebenso Urteil vom gleichen Slg. 1988, 3897, Randnr. 10).

(27) - Urteil Duphar (a. a. O., Fußnote 9), Randnr. 18. Vgl. ausserdem Urteil vom 19. März 1991 in der Rechtssache C-249/88 (Kommission/Belgien, Slg. 1991, I-1275, Randnrn. 38 und 42), in dem der Gerichtshof eine nationale Regelung als Verstoß gegen Artikel 30 angesehen hat, die nur nationale Arzneimittel im Hinblick auf die Erstattungsfähigkeit bevorzugte.

(28) - Urteil Sodemare u. a. (zitiert in Fußnote 9, Randnrn. 36 bis 40).

(29) - Auf dem Gebiet der direkten Steuern findet man z. B. einen ähnlichen Ansatz. Im Steuerrecht ist es nämlich ständige Rechtsprechung, daß "zwar der Bereich der direkten Steuern als solcher beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt, die Mitgliedstaaten die ihnen verbliebenen Befugnisse jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen" (Urteil vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225, Randnr. 21; vgl. ebenso zuletzt Urteil vom 15. Mai 1997 in der Rechtssache C-250/95, Futura Participations SA, Slg. 1997, I-2471, Randnr. 19).

(30) - So das Urteil vom 16. März 1978 in der Rechtssache 117/77 (Pierik I, Slg. 1978, 825, Randnr. 14).

(31) - Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Mai 1979 in der Rechtssache 182/78 (Pierik II, Slg. 1979, 1977, Randnr. 4) und bereits Urteil vom 19. März 1964 in der Rechtssache 75/63 (Unger, Slg. 1964, 379, insbesondere 397). Darüber hinaus ist es seit der Einfügung des Artikels 22a in die Verordnung - wohlgemerkt im Hinblick auf die Anwendbarkeit von Artikel 22 - auch nicht einmal mehr erforderlich, Arbeitnehmer oder Familienangehöriger eines Arbeitnehmers zu sein; es genügt vielmehr, versichert zu sein (vgl. oben, Fußnote 3).

(32) - Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (vgl. die im ABl. 1997, L 28, S. 102, veröffentlichte kodifizierte Fassung).

(33) - Artikel 19 der Verordnung Nr. 574/72 sieht in der Tat folgendes vor: "Für Grenzgänger oder deren Familienangehörige dürfen Arzneimittel, Bandagen, Augengläser, kleinere Hilfsmittel, Laboranalysen und -untersuchungen nur im Gebiet und nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats geliefert oder durchgeführt werden, in dem sie verordnet worden sind, sofern sich aus den vom zuständigen Träger anzuwendenden Rechtsvorschriften oder einem Abkommen zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten nichts Günstigeres ergibt."

(34) - Urteil vom 10. Januar 1980 in der Rechtssache 69/79 (Jordens-Vosters, Slg. 1980, 75, Randnr. 9). Zu dieser Feststellung kam es in einem Fall, in dem der zuständige niederländische Sozialversicherungsträger einer belgischen Staatsangehörigen die Erstattung der Kosten verweigert hatte, die ihr in Belgien für Arzneien und medizinische Erzeugnisse entstanden waren.

(35) - Selbstverständlich gilt die vorher erteilte Genehmigung, sich in einem anderen Mitgliedstaat medizinisch behandeln zu lassen, auch für Kosten, die in diesem Mitgliedstaat für den Kauf medizinischer Erzeugnisse und Hilfsmittel aufgewandt wurden; dies scheint mir jedoch unbestreitbar und unbestritten zu sein.

(36) - Anders wäre es nur, wenn die in Artikel 22 Absatz 1 Buchstabe c gebrauchte Wendung "seinem Zustand angemessene Behandlung" immer noch so auszulegen wäre, wie es der Gerichtshof in der Vergangenheit getan hat. Nach den Ausführungen des Gerichtshofes ergibt sich nämlich aus dieser Wendung, daß "sich die Sachleistungen, für die die Genehmigung, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, erteilt wurde, auf alle Maßnahmen erstrecken, die eine wirksame Behandlung der Krankheit oder des Leidens des Betroffenen sicherstellen können" (Urteil Pierik I, zitiert in Fußnote 30, Randnr. 15, und Urteil Pierik II, zitiert in Fußnote 31, Randnr. 10; Hervorhebung von mir). Eine solche Auslegung ist leider als überholt zu betrachten: Im Anschluß an die Urteile Pierik wurde Artikel 22 Absatz 2 nämlich enger gefasst, so daß jetzt ausdrücklich und eindeutig nur noch der Fall vorgesehen ist, in dem die Genehmigung nicht verweigert werden darf.

(37) - Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteil vom 20. März 1990 in der Rechtssache C-21/88 (Du Pont de Nemours, Slg. 1990, I-889, Randnrn. 20 und 21), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, daß eine eventuelle Qualifizierung einer nationalen Regelung als Beihilfe im Sinne von Artikel 92 diese Maßnahme nicht dem Verbot des Artikels 30 entziehen kann.

(38) - Der Gerichtshof hat im übrigen darauf hingewiesen, daß das dem Gemeinschaftsgesetzgeber in Artikel 51 eingeräumte Ermessen so ausgeuebt werden muß, wie es nach den Umständen gerechtfertigt ist (Urteil vom 13. Juli 1976 in der Rechtssache 19/76, Triches, Slg. 1976, 1243, Randnr. 18). Ich füge hinzu, daß diese Feststellung nur dahin ausgelegt werden kann, daß die aufgrund von Artikel 51 getroffenen Maßnahmen nicht grundlos den Umfang der den Gemeinschaftsbürgern im Vertrag zuerkannten Rechte einschränken dürfen.

(39) - Urteil vom 9. Juli 1980 in der Rechtssache 807/79 (Gravina, Slg. 1980, 2205, Randnr. 7), Urteil vom 5. Juli 1988 in der Rechtssache 21/87 (Borowitz, Slg. 1988, 3715, Randnr. 23) und Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-227/89 (Rönfeldt, Slg. 1991, I-323, Randnr. 12).

(40) - Urteil vom 15. Januar 1986 in der Rechtssache 41/84 (Pinna, Slg. 1986, 1, Randnr. 20).

(41) - Urteil Stöber und Piosa Pereira (zitiert in Fußnote 13, Randnrn. 32 bis 34).

(42) - Ein solcher Ansatz zeigt im übrigen, daß die bereits erwähnte Feststellung des Gerichtshofes, wonach die Mitgliedstaaten eine unmittelbar anwendbare Bestimmung wie Artikel 52 des Vertrages selbst zu der Zeit zu beachten hatten, "als sie mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung über die sozialrechtliche Stellung der Selbständigen weiterhin zur Rechtsetzung in diesem Bereich befugt waren" (Urteile Stanton u. a. und Wolf u. a., zitiert in Fußnote 26, jeweils Randnr. 10), ihre Bedeutung keineswegs nur deswegen verloren hat, weil die Verordnung in der Zwischenzeit auch auf die Selbständigen ausgedehnt worden ist.

(43) - Urteil Stöber und Piosa Pereira (zitiert in Fußnote 13, Randnrn. 38 und 39).

(44) - Hierzu hat der Gerichtshof nämlich in diesem Urteil ausgeführt, daß "nichts ... die Mitgliedstaaten daran [hindert], die Gewährung von Familienleistungen auf Personen zu beschränken, die einer durch ein Altersrentensystem gebildeten Solidargemeinschaft angehören", und daß es den Mitgliedstaaten "frei[steht], die Voraussetzungen festzulegen, die Leistungsansprüche auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit eröffnen, wobei die Verordnung Nr. 1408/71 nur eine Koordinierungsaufgabe erfuellt" (Randnr. 36).

(45) - In diesem Zusammenhang füge ich hinzu, daß der Umstand, daß der Gerichtshof sich nicht veranlasst gesehen hat, die Gültigkeit der Vorschrift der Verordnung in Frage zu stellen, die es erlaubte, nicht in einer gesetzlichen Sozialversicherung versicherte Arbeitnehmer vom Anspruch auf Familienleistungen auszuschließen, doch Anlaß zu gewissen Bedenken gibt. Dies insbesondere, wenn man bedenkt, daß der Gerichtshof gerade zur Begründung der Unvereinbarkeit der nationalen Regelung mit Artikel 52 ausgeführt hat, daß dieser Ausschluß letztendlich die Bürger benachteiligte, die von ihrem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch gemacht hatten. Wenn dem aber so ist, so kann daraus nur die Ungültigkeit der Vorschrift der Verordnung folgen, die einen solchen Ausschluß zulässt. Ich möchte daran erinnern, daß nach ständiger Rechtsprechung "der Zweck der Artikel 48 bis 51 ... verfehlt [würde], wenn die Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlören, die ihnen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats sichern" (vgl. u. a. Urteil vom 25. Februar 1986 in der Rechtssache 284/84, Spruyt, Slg. 1986, 685, Randnr. 19, und Urteil vom 9. Dezember 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-45/92 und C-46/92, Lepore und Scamuffa, Slg. 1993, I-6497, Randnr. 21). Offensichtlich muß dies auch für Selbständige gelten, da die Verordnung mittlerweile auch auf Selbständige anwendbar ist, die von ihrem Recht auf Freizuegigkeit Gebrauch machen.

(46) - Vgl. oben, Nr. 15, insbesondere Fußnote 6.

(47) - So war es für Herrn Decker nicht schwierig, die Brille, um die es im Ausgangsverfahren geht, in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Wohnstaat zu kaufen. Schwierigkeiten tauchten erst auf, als er beim zuständigen Sozialversicherungsträger die Erstattung beantragte, die ihm prompt verweigert wurde.

(48) - In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, daß diese Genehmigung, obwohl sie nur für den Kauf von Erzeugnissen "im Ausland" verlangt wird, dennoch nicht mit anderen vorherigen Genehmigungen gleichgesetzt werden kann, die der Gerichtshof "verurteilt" hat (vgl. z. B. Urteil vom 8. Februar 1983 in der Rechtssache 124/81, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg.1983, 203, Randnr. 18), und zwar deshalb, weil im vorliegenden Fall die Einfuhr an sich nicht von der Genehmigung abhängt.

(49) - In einem solchen Fall wird der zuständige Sozialversicherungsträger nämlich selbstverständlich die Erteilung der vorherigen Genehmigung ablehnen, da zum einen anzunehmen sein wird, daß eine Brille (selbst eine spezielle Brille) oder Arzneimittel, die von einem in einem bestimmten Mitgliedstaat niedergelassenen Augenarzt oder Arzt verschrieben wurden, auch im Inland dieses Mitgliedstaats erhältlich sind; zum anderen wird anzunehmen sein, daß sich der Gesundheitszustand des Versicherten nicht verschlechtern wird, wenn er diese Erzeugnisse nicht im Ausland kauft (vgl. hierzu auch oben, Nr. 29). Allenfalls, so möchte ich hinzufügen, könnte sich der Gesundheitszustand des Versicherten dann verschlechtern, wenn er, statt so bald wie möglich die Erzeugnisse zu kaufen, die er braucht, die vorherige Genehmigung beantragen und das (fast mit Sicherheit negative) Ergebnis einer Reihe von medizinischen und Verwaltungsformalitäten abwarten wollte.

(50) - In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß sich aus dem Urteil Duphar im Umkehrschluß ganz klar ergibt, daß nationale Rechtsvorschriften mit Artikel 30 unvereinbar wären, die die Art und Weise der Erstattung so regeln würden, daß nur die inländischen Erzeugnisse erstattungsfähig wären (Urteil zitiert in Fußnote 9, Randnrn. 18 bis 22). Der Umstand, daß im vorliegenden Fall nur die im Inland gekauften Erzeugnisse erstattungsfähig sind, kann meiner Ansicht nach kein anderes Ergebnis begründen.

(51) - Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 (Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5).

(52) - Vgl. Urteil Luisi und Carbone (zitiert in Fußnote 8, Randnr. 16). Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, halte ich nicht einmal den Gedanken für abwegig, daß die Bestimmungen über den Dienstleistungsverkehr auch dann erheblich sein könnten, wenn es um den Kauf von Waren geht (Fall Decker). In Anbetracht der besonderen Eigenart der betreffenden Waren und mit Rücksicht darauf, daß der Gerichtshof selbst anerkannt hat, daß sowohl beim Verkauf von Brillen und Kontaktlinsen als auch beim Verkauf von Arzneimitteln qualifiziertes Personal eingesetzt werden muß (vgl. Urteile vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-369/88, Delattre, Slg. 1991, I-1485, und in der Rechtssache C-60/89, Monteil und Samanni, Slg. 1991, I-1547, die beide den Apothekerberuf betrafen, sowie Urteil vom 25. Mai 1993 in der Rechtssache C-271/92, LPO, Slg. 1993, I-2899, in dem es um den Optikerberuf ging), ist die Ansicht durchaus vertretbar, daß die betreffende Regelung auch in diesem Fall in den Anwendungsbereich der Artikel 59 und 60 falle. Kurz gesagt, es ist meines Erachtens nicht - jedenfalls nicht grundsätzlich - auszuschließen, daß für Herrn Decker, der sich zum Zweck des Kaufs einer Brille in einen anderen Mitgliedstaat begeben hat, die Bestimmungen über den Dienstleistungsverkehr gelten könnten, weil er dies nicht zum Zweck des Kaufs einer beliebigen Ware getan hat, sondern um die gewerblichen Leistungen eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Optikers in Anspruch zu nehmen. Sollte man zu dem Ergebnis kommen, daß auch im Fall Decker der Dienstleistungsaspekt eine Rolle spielt, so könnten meine Ausführungen zum Fall Kohll selbstverständlich auch im Fall Decker Gültigkeit beanspruchen.

(53) - Die Rechtsprechung zum Dienstleistungsverkehr enthält einige Beispiele für nationale Maßnahmen, die zwar nicht selbst eine Dienstleistung betrafen, die aber dennoch als Verstoß gegen Artikel 59 angesehen wurden, weil sie sich negativ auf die betreffende Dienstleistung auswirken konnten. So hat der Gerichtshof z. B. eine nationale Regelung als mit Artikel 59 unvereinbar angesehen, die die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau davon abhängig machte, daß die entsprechenden Darlehen bei im betreffenden Mitgliedstaat niedergelassenen Kreditinstituten aufgenommen wurden, und zwar deshalb, weil die Betroffenen durch diese Regelung davon abgehalten wurden, sich wegen der Gewährung von Darlehen zur Finanzierung des Baus, des Kaufs oder der Renovierung von Wohnungen an in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Kreditinstitute zu wenden (Urteil vom 14. November 1995 in der Rechtssache C-484/93, Svensson u. a., Slg. 1995, I-3955). Auch in diesem Fall betraf die geprüfte Regelung - wie im vorliegenden Fall - nicht unmittelbar die Erbringung der fraglichen Dienstleistungen.

(54) - Insoweit hat der Gerichtshof im übrigen klargestellt, daß das betreffende Entgelt nicht unmittelbar von denen gezahlt werden muß, die die Dienstleistung in Anspruch nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. April 1988 in der Rechtssache 352/85, Bond van Adverteerders u. a., Slg. 1988, 2085, Randnr. 16), so daß sich an der Fragestellung auch dann nichts ändert, wenn der zuständige Sozialversicherungsträger unmittelbar die Zahlung der Leistung übernimmt.

(55) - Daher kann die ärztliche Tätigkeit keineswegs mit einer öffentlichen Lehrtätigkeit gleichgesetzt werden (vgl. Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 263/86, Humbel, Slg. 1988, 5365, Randnrn. 4 bis 6, sowie Urteil vom 7. Dezember 1993 in der Rechtssache C-109/92, Wirth, Slg. 1993, I-6447).

(56) - Insoweit erinnere ich daran, daß Artikel 59 "die Aufhebung aller Beschränkungen ... verlangt, wenn sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmässig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern" (Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90, Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 12). Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die betreffende Regelung nicht für alle im Inland ansässigen Dienstleistenden gilt, sondern nur für diejenigen unter ihnen, mit denen ein Vertrag geschlossen wurde. Nach ständiger Rechtsprechung ist nämlich der Umstand, daß eine nationale Regelung nicht allen inländischen Dienstleistenden zugute kommt, im Hinblick auf Artikel 59 unerheblich (vgl. z. B. Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-353/89, Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-4069, Randnr. 25).

(57) - In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, daß bereits im Allgemeinen Programm zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs (ABl. vom 15. Januar 1962, S. 32) die Aufhebung auch derjenigen Beschränkungen geplant war, die den Leistungserbringer mittelbar, z. B. über den Leistungsempfänger, betreffen.

(58) - Diese Auffassung, daß auch Artikel 22 der Verordnung grundsätzlich nicht mit den Dienstleistungsbestimmungen des Vertrages vereinbar sei, wird von der Lehre weitgehend geteilt. Vgl. u. a. Bosscher, La seguridad social de los trabajadores migrantes en la perspectiva del establecimiento del mercado interior in Los sistemas de seguridad social y el mercado único europeo, Madrid, 1993, S. 23 ff, insbesondere S. 31 f., sowie Cornelissen, The Principle of Territoriality and the Community Regulations on Social Security in Common Market Law Review, 1996, S. 439 ff., insbesondere S. 463-466.

(59) - Der Vollständigkeit halber erinnere ich daran, daß die Europäische Menschenrechtskommission zu der betreffenden luxemburgischen Regelung und zu Artikel 22 der Verordnung in einem Fall Stellung genommen hat, in dem die Beschwerdeführerin - eine luxemburgische Staatsbürgerin, der von der Krankenkasse die Erstattung von nicht vorher genehmigten Krankheitskosten verweigert wurde, die ihr in einem anderen Mitgliedstaat (Belgien) entstanden waren - einen Verstoß gegen Artikel 6 Absatz 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geltend machte, da das Verfahren übermässig lange gedauert habe und da die Cour de cassation (ein gemäß Artikel 177 des Vertrages zur Vorlage verpflichtetes Gericht) ihre Berufung als unzulässig zurückgewiesen und ihr so eine Entscheidung des Gerichtshofes über die Auslegung des Artikels 59 vorenthalten habe, dem die nationale Regelung ihrer Ansicht nach offenkundig widersprach. Die EMRK verwies zunächst darauf, daß die luxemburgische Krankenkasse und die luxemburgischen Gerichte die Klage abgewiesen hätten, da die Beschwerdeführerin nach Artikel 60 Absatz 3 des Code des assurances sociales und den Artikeln 51 des Vertrages und 22 der Verordnung keinen Anspruch auf Erstattung der in einem anderen Mitgliedstaat angefallenen Krankheitskosten gehabt habe, wenn sie nicht vorher die vorgeschriebene Genehmigung beantragt und erhalten habe, und führte dann aus, "que la législation applicable en l'espèce ne reconnaissait pas à la requérante le droit d'être remboursée pour les soins qu'elle a reçus en Belgique". Indem die EMRK Artikel 22 der Verordnung dahin auslegte, daß kein Erstattungsanspruch bestehe, gelangte sie zu dem Ergebnis, daß die Beschwerdeführerin keine Trägerin eines Rechtes im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 der Konvention gewesen sei, und erklärte die Beschwerde daher für unzulässig (Entscheidung vom 16. April 1996, Marie-Anne München/Luxemburg, Nr. 28895/95).

(60) - In bezug auf Waren vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juni 1981 in der Rechtssache 113/80 (Kommission/Irland, Slg. 1981, 1625, Randnrn. 8 und 11) sowie zuletzt Urteil vom 7. Mai 1997 in den verbundenen Rechtssachen C-321/94, C-322/94, C-323/94 und C-324/94 (Pistre u. a., Slg. 1997, I-2343, Randnr. 52). In bezug auf Dienstleistungen hat der Gerichtshof erst im Urteil Bond van Adverteerders u. a. (zitiert in Fußnote 54) klargestellt, daß "sich [diskriminierende] innerstaatliche Vorschriften ... mit dem Gemeinschaftsrecht nur dann vereinbaren lassen, wenn sie unter eine ausdrücklich abweichende Bestimmung fallen" (Randnr. 32); so zuletzt auch Urteil Svensson u. a. (zitiert in Fußnote 53), Randnr. 15.

(61) - In bezug auf Waren vgl. in diesem Sinne Urteil Duphar (a. a. O., Fußnote 9, Randnr. 23) und bereits Urteil vom 19. Dezember 1961 in der Rechtssache 7/61 (Kommission/Italien, Slg. 1961, 693, insbesondere 718). In bezug auf Dienstleistungen vgl. u. a. Urteil Bond van Adverteerders u. a. (a. a. O., Fußnote 54, Randnr. 34) sowie zuletzt Urteil vom 4. Mai 1993 in der Rechtssache C-17/92 (Fedicine, Slg. 1993, I-2239, Randnrn. 16 und 21).

(62) - Urteil vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94 (Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37), in dem der Gerichtshof - wie ich betonen möchte - bezeichnenderweise gleichermassen auf alle im Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten Bezug genommen und damit deutlich gemacht hat, daß die entsprechenden Regelungen unter diesem Gesichtspunkt eine Einheit darstellen.

(63) - Ein solcher Ansatz, der ursprünglich im Urteil "Cassis de Dijon" nur in bezug auf Waren anerkannt worden war, wurde später auch im Hinblick auf andere im Vertrag gewährleistete grundlegende Freiheiten zugrunde gelegt. Auf dem Gebiet der Dienstleistungen wurde dieser Ansatz insbesondere in den Urteilen vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-288/89 (Gouda u. a. , Slg. 1991, I-4007, Randnrn. 11 bis 15), Kommission/Niederlande (zitiert in Fußnote 56, Randnrn. 15 bis 19) und Säger (zitiert in Fußnote 56, Randnr. 15) ausdrücklich anerkannt. Berücksichtigt man jedoch, daß der Gerichtshof die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Maßnahmen schon seit seinen ersten Entscheidungen auf diesem Gebiet als im Allgemeininteresse gerechtfertigt angesehen hatte (vgl. z. B. Urteil vom 3. Dezember 1974 in der Rechtssache 33/74, Van Binsbergen, Slg. 1974, 1299), so wird klar, daß die Urteile Gouda u. a., Kommission/Niederlande und Säger keineswegs eine Neuerung darstellen, sondern daß darin der zugrundegelegte Ansatz lediglich klar zum Ausdruck kommt und systematisch und theoretisch ausführlicher begründet wird.

(64) - Diese Auffassung ist inzwischen nach der Rechtsprechung überholt. Der Gerichtshof sieht auch solche nationalen Rechtsvorschriften als diskriminierend an (so daß sie nur aufgrund einer der abweichenden Bestimmungen in Artikel 56 zu rechtfertigen sind), die je nach der Herkunft der Leistung unterschiedliche Regelungen vorsehen (vgl. u. a. Urteil Bond van Adverteerders u. a., zitiert in Fußnote 54, Randnrn. 26 und 29, Urteil vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-211/91, Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-6757, Randnrn. 9 bis 11, sowie Urteil Fedicine, zitiert in Fußnote 61, Randnr. 14).

(65) - Die Einfuhr als solche bleibt völlig frei. Vgl. hierzu oben, Nr. 37, und insbesondere Fußnote 48.

(66) - Ein solcher Umstand wäre dagegen zu berücksichtigen, wenn man auch im Fall Decker den Dienstleistungsaspekt für erheblich hielte. Vgl. dazu oben, Fußnote 52.

(67) - Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 1993 in der Rechtssache C-20/92 (Hubbard, Slg. 1993, I-3777, Randnrn. 14 und 15) und Urteil vom 15. März 1994 in der Rechtssache C-45/93 (Kommission/Spanien, Slg. 1994, I-911, Randnrn. 9 und 10).

(68) - Vgl. oben, Fußnote 64.

(69) - So z. B. Urteil Van Binsbergen (zitiert in Fußnote 63, Randnr. 14) sowie Urteil vom 26. November 1975 in der Rechtssache 39/75 (Cönen, Slg. 1975, 1547, Randnrn. 7/8 und 9/10).

(70) - Vgl. insbesondere Urteil vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84 (Kommission/Deutschland, "Versicherungen", Slg. 1986, 3755, Randnrn. 52 bis 57) sowie Urteil vom 6. Juni 1996 in der Rechtssache C-101/94 (Kommission/Italien, Slg. 1996, I-2691, Randnr. 31).

(71) - Vgl. zuletzt Urteil vom 9. Juli 1997 in der Rechtssache C-222/95 (Parodi, Slg. 1997, I-3899), in dem der Gerichtshof erneut darauf hingewiesen hat, daß das Erfordernis der Niederlassung "zur Folge [hat], daß Artikel 59 des Vertrages, der gerade die Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit solcher Personen beseitigen soll, die nicht in dem Staat niedergelassen sind, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, jede praktische Wirksamkeit genommen wird". Er hat allerdings hinzugefügt, daß "für die Zulässigkeit eines solchen Erfordernisses ... nachgewiesen werden [muß], daß es eine unerläßliche Voraussetzung für die Erreichung des verfolgten Zieles ist" (Randnr. 31).

(72) - Urteil vom 28. Januar 1992 in der Rechtssache C-204/90 (Bachmann, Slg. 1992, I-249). Dabei hat sich der Gerichtshof auf die Feststellung beschränkt, daß "das Erfordernis einer Niederlassung ... mit Artikel 59 EWG-Vertrag vereinbar [ist], wenn es eine unerläßliche Voraussetzung für die Erreichung des im Allgemeininteresse verfolgten Zwecks darstellt" (Randnr. 32). Diese Feststellung erweckt den Anschein, als müssten Regelungen, mit denen für diejenigen, die nicht im betreffenden Mitgliedstaat niedergelassene Dienstleistungserbringer in Anspruch nehmen, gewisse Nachteile verbunden sind oder die jedenfalls bestimmte Vorteile nicht gewähren, erst recht gerechtfertigt sein können, wenn aus Gründen des Allgemeininteresses sogar das sich aus dem Erfordernis der Niederlassung ergebende Verbot, bestimmte Tätigkeiten im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats auszuüben, gerechtfertigt sein soll.

(73) - Urteil Svensson u. a. (zitiert in Fußnote 53, Randnr. 15). Im einzelnen hat der Gerichtshof ausgeführt, daß "die fragliche Regelung zu einer Diskriminierung aus Gründen der Niederlassung [führt]" und daher "nur aus den Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein [kann], die in Artikel 56 Absatz 1 des Vertrages genannt sind, auf den Artikel 66 verweist; wirtschaftliche Ziele gehören nicht zu diesen Gründen".

(74) - Idem, Randnrn. 16 bis 18.

(75) - Unter diesem Gesichtspunkt ist darauf hinzuweisen, daß das Urteil Svensson u. a. weder der einzige noch der erste Fall war, in dem der Gerichtshof im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit einer den Dienstleistungsverkehr einschränkenden nationalen Maßnahme mit Artikel 59 sowohl die in Artikel 56 genannten Erfordernisse als auch Gründe des Allgemeininteresses berücksichtigt hat (vgl. z. B. Urteil Kommission/Italien, a. a. O., Fußnote 70, Randnrn. 31 und 32).

(76) - Vgl. hierzu insbesondere Urteil vom 25. Juli 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-1/90 und C-176/90 (Aragonesa de Publicidad u. a., Slg. 1991, I-4151, Randnr. 13).

(77) - Ich weise jedoch darauf hin, daß in der einschlägigen Rechtsprechung der Begriff der "öffentlichen Gesundheit" bisher eng ausgelegt wurde und daher solche Maßnahmen nur dann als aus diesem Grund gerechtfertigt angesehen wurden, wenn sie darauf abzielten, Gefahren für die Gesundheit von Menschen und Tieren abzuwenden.

(78) - Vgl. die in Fußnote 61 zitierten Urteile. Ich möchte an dieser Stelle nur daran erinnern, daß der Gerichtshof im Urteil Duphar eindeutig festgestellt hat, daß Artikel 36, da er Maßnahmen nichtwirtschaftlicher Art betrifft, Maßnahmen nicht zu rechtfertigen vermag, durch die eine "Verringerung der laufenden Kosten eines Krankenversicherungssystems" erreicht werden soll (zitiert in Fußnote 9, Randnr. 23).

(79) - Ich denke dabei insbesondere an die Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizuegigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise (ABl. L 165, S. 1) sowie die spezifischen Richtlinien, darunter die Richtlinien 78/686/EWG und 78/687/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome und zur Koordinierung der nationalen Vorschriften für die Tätigkeiten des Zahnarztes (ABl. L 233, S. 1 und 10). Ferner erinnere ich an die Richtlinien 85/432/EWG und 85/433/EWG des Rates vom 16. September 1985 zur Koordinierung der nationalen Vorschriften und über die gegenseitige Anerkennung der Diplome für bestimmte pharmazeutische Tätigkeiten (ABl. L 253, S. 34 und 37). Ausserdem wird der freie Verkehr von Arzneimitteln auf Gemeinschaftsebene durch die Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 (ABl. Nr. 22, S. 369) gewährleistet, in der der Gesundheitsschutz durchaus Berücksichtigung gefunden hat.

(80) - Vgl. Urteil Schumacher (zitiert in Fußnote 6, Randnr. 20) und Urteil Kommission/Deutschland (zitiert in Fußnote 6, Randnr. 18).

(81) - Da die luxemburgische Regierung ausgeführt hat, daß es den Versicherten dennoch freistehe, ärztliche Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen, stellt sich übrigens die Frage, warum man sich dann nicht mehr um den Schutz der Gesundheit sorgt, wenn keine Kostenerstattung beantragt wird.

(82) - Vgl. in diesem Sinne Urteil Gouda u. a. (zitiert in Fußnote 63, Randnr. 11). Vgl. ausserdem zuletzt Urteil vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-398/95 (SETTG, Slg. 1997, I-3091, Randnr. 23), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, daß "die Wahrung des Arbeitsfriedens als Mittel, einen Tarifkonflikt zu beenden und so negative Auswirkungen auf einen Wirtschaftszweig und damit auf die Wirtschaft eines Landes zu verhindern, ... als Ziel wirtschaftlicher Art anzusehen [ist], das keinen Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der eine Beschränkung einer durch den Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit rechtfertigen könnte".

(83) - Insoweit erinnere ich z. B. an das Urteil vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-275/92 (Schindler, Slg. 1994, I-1039), in dem der Gerichtshof ausgeführt hat: "Schließlich ist, ohne daß dies allein als sachliche Rechtfertigung angesehen werden könnte, nicht ohne Bedeutung, daß Lotterien in erheblichem Masse zur Finanzierung uneigennütziger oder im Allgemeininteresse liegender Tätigkeiten wie sozialer oder karitativer Werke, des Sports oder der Kultur beitragen können" (Randnr. 60; Hervorhebung von mir). Ausserdem hat der Gerichtshof im Urteil vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93 (Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnrn. 106 und 107) den Zweck, das finanzielle und sportliche Gleichgewicht zwischen den Vereinen aufrechtzuerhalten, als berechtigt bezeichnet, da er der Wahrung einer bestimmten Chancengleichheit und der Ungewißheit der Ergebnisse dient.

(84) - Dahin lässt sich z. B. die Anerkennung der Kohärenz des Steuersystems (zweifellos ein Ziel wirtschaftlicher Art) als Grund des Allgemeininteresses auslegen (Urteil Bachmann, zitiert in Fußnote 72, Randnrn. 21 bis 28).

(85) - Vgl. zuletzt Urteil vom 19. Oktober 1995 in der Rechtssache C-137/94 (Richardson, Slg. 1995, I-3407, Randnrn. 18 bis 29).

(86) - Vgl. zuletzt Urteil vom 25. Februar 1992 in der Rechtssache T-41/90 (Barassi/Kommission, Slg. 1992, II-159, Randnrn. 32 bis 35).

(87) - Eine Übersicht über die zur Zeit bestehenden Unterschiede findet man in Le Grand: La asistencia sanitaria y la construcción del mercado único: perspectiva y problemática in Los sistemas de seguridad social y el mercado único europeo, a. a. O, S. 321 ff. Vgl. ferner zur allgemeineren Problematik der Finanzierung der sozialen Sicherheit Euzeby: Le financement de la protection sociale dans les pays de la CEE: problèmes et perspectives, in Quel avenir pour l'Europe sociale: 1992 et après?, Brüssel 1990, S. 133 ff., sowie vom gleichen Verfasser: Financement de la protection sociale, efficacité économique et justice sociale in Revü du Marché commun et de l'Union européenne, 1997, S. 253 ff.

(88) - Ich weise darauf hin, daß eine solche Lösung nur auf Dienstleistungen anwendbar wäre. Da die Kommission die streitige Maßnahme hinsichtlich der Bestimmungen über den Warenverkehr für diskriminierend hält, führt sie folgerichtig aus, daß die fragliche Maßnahme nicht mit den in Artikel 36 des Vertrages genannten Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt werden könne.

(89) - Obwohl ich sie nicht teile (vgl. oben, Nr. 31 und Fußnote 36), halte ich doch die von Mavridis in Le citoyen européen peut-il se faire soigner dan l'État de son choix? in Droit social, 1996, S. 1086 ff. vertretene Auffassung für richtiger, daß Artikel 22, wie er vom Gerichtshof in den Urteilen Pierik I und II (zitiert in Fußnoten 30 bzw. 31) ausgelegt worden sei, verlange, daß die Genehmigung für alle Behandlungen erteilt werden müsse, die einer wirksamen Bekämpfung der Krankheit des Betroffenen dienlich seien.

(90) - Die einzige Auswirkung, die ich mir vorstellen kann, ist die, daß ein in Luxemburg niedergelassener Optiker eine Brille weniger verkauft und daß der einzige dort niedergelassene Kieferorthopäde eine Patientin weniger haben wird. Die negativen Auswirkungen treffen also die einzelnen Angehörigen der jeweiligen Berufe, nicht jedoch das System an sich.

(91) - Damit möchte ich mich aber keinesfalls der Auffassung einiger Mitgliedstaaten anschließen, die die Ansicht vertreten, bei einer freien Wahl des Arztes und des Krankenhauses könnten Kranke in unkontrolliertem und unkontrollierbarem Umfang auf andere Mitgliedstaaten ausweichen. Wer sich nämlich aus seinem Wohnstaat in einen anderen Mitgliedstaat begibt, muß erhebliche Unannehmlichkeiten - oft auch sprachliche Schwierigkeiten - und zusätzliche Kosten in Kauf nehmen; dies gilt zumindest für die Personen, die den betreffenden Kranken begleiten.

(92) - Dennoch könnte man sich in diesem Zusammenhang fragen, ob und inwiefern diese Situation hinsichtlich der Aufrechterhaltung einer allen offenstehenden klinischen Versorgung anders ist als bei den Mitgliedstaaten, in denen der zuständige Sozialversicherungsträger die Kosten für Leistungen, die die Versicherten in Privatkliniken in Anspruch nehmen, - wenn auch nur pauschal und teilweise - erstattet.