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SOC/841

Beschäftigungspolitische Leitlinien

STELLUNGNAHME

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten

(COM(2025) 230 final – 2025/0154 (NLE))

Kontakt

SOC@eesc.europa.eu

Verwaltungsrat

Antoni Torras Estruch

Datum des Dokuments

9/9/2025

Berichterstatterin: Mariya MINCHEVA

Beraterin

Anna KWIATKIEWICZ

(für die Berichterstatterin, Gruppe I)

Beschluss des Plenums

17/6/2025

Befassung

Rat, 4/6/2025

Rechtsgrundlage

Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständiges Arbeitsorgan

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme im Arbeitsorgan

3/9/2025

Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

94/5/1

Verabschiedung im Plenum

D/M/YYYY

Plenartagung Nr.

Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

…/…/…



1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet die Verlängerung der beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2025 als Teil des Frühjahrspakets des Europäischen Semesters. Sie dienen der Kommission in den jeweiligen Bereichen als Grundlage für die von ihr vorgeschlagenen länderspezifischen Empfehlungen.

1.2Der EWSA ist der Auffassung, dass die 2025 eingeführten Neuerungen in den Erwägungsgründen den Veränderungen und Herausforderungen, die sich auf die wirtschaftliche Entwicklung bzw. die Arbeitsmärkte auswirken, angemessen Rechnung tragen.

1.3Der EWSA nimmt zudem erfreut zur Kenntnis, dass zu den im Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte festgelegten Kernzielen Verweise auf die nationalen Ziele für 2030 hinzugefügt wurden, was eine angemessene Überwachung und Bewertung der ergriffenen Maßnahmen und der weiteren Anstrengungen ermöglicht, die erforderlich sind, um auf Kurs zu bleiben.

1.4Jegliche Bemühungen, das Beschäftigungs-Kernziel bis 2030 zu erreichen, sind zu begrüßen. Es sei darauf hingewiesen, dass die Beschäftigungsquoten in Branchen mit einem relativ großen Arbeitskräftemangel stärker gestiegen sind. Gleichzeitig ist die Nichterwerbstätigkeit bei den unterrepräsentierten Gruppen (Frauen, Jugendliche, ältere Menschen, Personen mit geringen bis mittleren Qualifikationen, Menschen mit Behinderungen und Migranten) relativ hoch. Dies erfordert verstärkte Anstrengungen auf nationaler Ebene, in die die Sozialpartner und die einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen angemessen eingebunden werden müssen.

1.5Da sich eine anhaltend niedrige Arbeitsproduktivität negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit, das Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Lebensstandard auswirkt, besteht dringender Handlungsbedarf seitens der Mitgliedstaaten zur Umkehr dieses Trends. Sie müssen dabei verstärkt auf solche Maßnahmen setzen, mit denen die nötigen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Unternehmen in Digitalisierung und Robotisierung, neue Technologien, FuI sowie die Qualifizierung und Weiterbildung von Arbeitnehmern investieren können. Gut funktionierende Tarifverhandlungssysteme sind nach wie vor ein wichtiges Instrument, um die Arbeitsproduktivität zu steigern und bei der Lohnfestsetzung ein angemessenes Gleichgewicht bezüglich der Fairness und der Anpassung der Löhne an Produktivitätsentwicklungen zu finden.

1.6Der EWSA ist besorgt darüber, dass die meisten Mitgliedstaaten ihre für 2030 angestrebten Ziele für die Erwachsenenbildung nicht erreichen werden. Allerdings gehen die tatsächlich absolvierten Lernaktivitäten nicht im vollen Umfang aus den Daten hervor, da verschiedene Arten der nichtformalen Bildung nicht berücksichtigt werden. Die Mitgliedstaaten sollten dazu angehalten werden, wirksame nationale Lösungen in Bezug auf das in der europäischen Säule sozialer Rechte vorgesehene Recht auf Weiterbildung und lebenslanges Lernen umzusetzen, um Hindernisse und mangelnde Motivation für Qualifizierung und Weiterbildung aus dem Weg zu räumen.

1.7Hochwertige und inklusive Bildung auf allen Ebenen sowie qualifizierte Arbeitskräfte sind wesentliche Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der EU und einen besseren Lebensstandard. Es bedarf entschiedener Maßnahmen, um das Niveau an Grundkompetenzen zu verbessern und die berufliche Aus- und Weiterbildung attraktiv, inklusiv und innovativ sowie bedarfsorientiert zu gestalten. Die EU braucht wirksame Mittel, um Fachkräfte in den Bereichen MINT und KI auszubilden und anzuwerben. KI-Kompetenzen sollten als Schlüsselkompetenz anerkannt und in umfassendere Strategien für lebenslanges Lernen integriert werden.

1.8Bedauerlicherweise sind bei der Integration unterrepräsentierter Gruppen in den Arbeitsmarkt keine ausreichenden Fortschritte zu verzeichnen. Aufgrund der möglichen negativen Auswirkungen einer hohen Nichterwerbsquote auf das Wirtschaftswachstum und den sozialen Zusammenhalt ist es wichtig, diesen Gruppen auch in ländlichen und dünn besiedelten Gebieten besondere Aufmerksamkeit zu widmen und die Beschäftigungsfähigkeit von insbesondere geringqualifizierten Nichterwerbstätigen durch entsprechende Maßnahmen zu verbessern.

1.9Vor dem Hintergrund schrumpfender Arbeitsmärkte und historisch niedriger Arbeitslosenzahlen unterstützt der EWSA die Bemühungen vieler öffentlicher Arbeitsverwaltungen, Aktivierungsmaßnahmen und Qualifikationen sowie die Unterstützung von Arbeitnehmern bei Arbeitsplatzwechseln stärker in den Mittelpunkt zu rücken, um so den grünen und den digitalen Wandel voranzutreiben. Der EWSA betont, dass der Schwerpunkt auf jungen Menschen liegen sollte, um ihnen den Übergang von der Schule ins Berufsleben zu erleichtern.

1.10Der EWSA stellt mit Besorgnis fest, dass die Bilanz der Fortschritte der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung ihrer Zielvorgaben zur Verringerung der Armut bis 2030 trotz einiger positiver Entwicklungen sehr unterschiedlich ausfällt. In den nächsten fünf Jahren werden verstärkte Anstrengungen erforderlich sein, um das EU-Ziel noch zu erreichen. Darüber hinaus ist die Kinderarmut nach wie vor alarmierend hoch. Der EWSA ist der Auffassung, dass produktivitätssteigernde und beschäftigungsfördernde Strategien sowie wirksame Maßnahmen zur Verringerung der Erwerbstätigenarmut – je nach den nationalen Gegebenheiten gegebenenfalls flankiert von Sozialschutzsystemen – ein entscheidender Faktor für die Bekämpfung der Armut sind. Eine regelmäßige Bewertung der auf nationaler Ebene ergriffenen Maßnahmen und gegebenenfalls deren Überarbeitung sind entscheidende Faktoren, um einen Wandel zu bewirken.

1.11Der EWSA betont, dass die Kohäsionspolitik trotz geopolitischer Herausforderungen und neuer politischer Ziele in Sachen Vorsorge, Sicherheit und Verteidigung auch weiterhin im Mittelpunkt der politischen Agenda der EU stehen und im Rahmen des MFR angemessen finanziert werden muss.

1.12Der EWSA erinnert daran, dass die Sozialpartner gemäß den nationalen Gepflogenheiten des sozialen Dialogs und Tarifverhandlungen nach wie vor eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung und Umsetzung von Arbeitsmarktreformen, einschließlich Lohnfestsetzungsmechanismen, spielen. Die Mitgliedstaaten sollten auch das Fachwissen zivilgesellschaftlicher Organisationen nutzen, die sich für die Integration in den Arbeitsmarkt und die soziale Inklusion einsetzen.

2.Allgemeine Bemerkungen

2.1Laut Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union leisten die beschäftigungspolitischen Leitlinien einen wertvollen Beitrag zur Koordinierung und Reform der nationalen Arbeitsmärkte im Rahmen des Europäischen Semesters. Die wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen der Union und ihrer Mitgliedstaaten sollten ineinandergreifen, um die Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität zu erhöhen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die sozioökonomische Aufwärtskonvergenz zu fördern, die zu einer besseren Lebensqualität führen kann.

2.2Der EWSA befürwortet die Verlängerung der beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2025, nachdem sie 2024 vollständig aktualisiert worden waren. Diese Aktualisierung umfasste das Hinzufügen von Verweisen auf die nationalen Ziele für 2030, um die Umsetzung des Aktionsplans zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte, in dem die Kernziele der EU festgelegt sind, besser überwachen zu können. Dabei wurden die Auswirkungen des technologischen Fortschritts und der künstlichen Intelligenz stärker in den Mittelpunkt gerückt. Darüber hinaus wurde hervorgehoben, wie wichtig es ist, den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel anzugehen, auch durch legale Migration, um qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittländern anzuwerben. Der EWSA hält diesen Ansatz nach wie vor für geeignet, wobei er sich bewusst ist, dass die eingeleiteten Reformen erst nach einer gewissen Zeit greifen.

2.3Der EWSA befürwortet die 2025 vorgeschlagenen Änderungen, die der sich verändernden geopolitischen Landschaft besser Rechnung tragen sollen, darunter neue Elemente im Zusammenhang mit handelspolitischen Spannungen sowie die Initiative zur „Union der Kompetenzen“, die soziale Aufwärtskonvergenz nach dem zweiten Jahr der Umsetzung des Rahmens für soziale Konvergenz und ein besonderer Schwerpunkt auf der Wettbewerbsfähigkeit. 

2.4Der EWSA stellt fest, dass die geopolitischen Spannungen zu wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit führen. Die Kohäsionspolitik muss ihren Platz im MFR erhalten, auch wenn es um neue politische Ziele im Zusammenhang mit Vorsorge, Sicherheit und Verteidigung geht.

2.5Das Europäische Semester steht nun auch im Einklang mit dem Kompass für Wettbewerbsfähigkeit, der, wie im Vorschlag der Kommission dargelegt, einen Rahmen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit bietet, indem die Innovationslücke geschlossen und unsere Wirtschaft dekarbonisiert wird, übermäßige Abhängigkeiten verringert, die Sicherheit erhöht und horizontale Erfolgsfaktoren wie Kompetenzen, hochwertige Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit festgelegt werden. Zusammen mit dem Rahmen für soziale Konvergenz wird dies zur Inklusivität der Arbeitsmärkte beitragen.

2.6Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Leitlinien mit dem neuen Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung der Union in Einklang stehen, der am 30. April 2024 in Kraft trat. Die begrenzten verfügbaren Ressourcen müssen so eingesetzt werden, dass sie eine möglichst hohe Wirkung auf die Zielgruppen ausüben können und inklusive Arbeitsmärkte gefördert werden, auch unter Berücksichtigung der für 2030 festgelegten nationalen Ziele. Es ist wichtig dafür zu sorgen, dass die Haushaltsdisziplin eingehalten wird, ohne Abstriche bei den dringend erforderlichen Investitionen in die Sozialpolitik der einzelnen Länder zu machen.

2.7Arbeitsmarktreformen müssen sorgfältig geprüft und gemeinsam mit den Sozialpartnern und den einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich für die Integration in den Arbeitsmarkt und die soziale Inklusion einsetzen, konzipiert werden.

3.Besondere Bemerkungen

3.1Leitlinie 5: Ankurbelung der Nachfrage nach Arbeitskräften

3.1.1Der EWSA stellt erfreut fest, dass das Beschäftigungswachstum zwischen 2023 und 2024 sowie im Jahr 2025 trotz einer Konjunkturabschwächung stabil war. Die EU ist somit weiterhin auf Kurs, ihr Kernziel für die Beschäftigungsquote bis 2030 zu erreichen. 1 In Branchen mit einem relativ großen Arbeitskräftemangel 2 war das Beschäftigungswachstum stärker ausgeprägt. Allerdings weist die EU immer noch relativ hohe Nichterwerbsquoten (insbesondere bei Menschen mit Behinderungen 3   4 ) sowie eine hohe Arbeitslosigkeit bei Frauen 5 und jungen Menschen 6 auf, die Anlass zur Sorge geben 7 . Der EWSA weist darauf hin, dass viele Arbeitnehmer in der gesamten EU nach wie vor unter Arbeitsplatzunsicherheit und schlecht bezahlten Jobs leiden. Die Gründe dafür sind sehr vielschichtig.

3.1.2Demografische Trends, die technologische Entwicklung und der doppelte Übergang sind wesentliche Ursachen für diesen Mangel und den Kompetenzbedarf. Alle Branchen 8 , sowohl kleine als auch große Unternehmen, sind vom Fachkräftemangel betroffen. Wirtschaftstätigkeiten, Wachstum und soziale Fortschritte 9 werden dadurch ausgebremst.

3.1.3Das Beschäftigungswachstum trägt heute in den meisten Mitgliedstaaten stärker zum BIP‑Wachstum bei als die Produktivität. Der EWSA teilt die Auffassung, dass sich eine anhaltend niedrige Arbeitsproduktivität 10 negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit, das Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen 11 und den Lebensstandard auswirkt. Vor dem Hintergrund des Bevölkerungsrückgangs kann die Produktivität unter anderem durch Investitionen in Digitalisierung und Robotisierung, neue Technologien, FuI sowie in die allgemeine und berufliche Bildung gesteigert werden. Verstärkte Investitionen in Bildung und Kompetenzen sind ein wirksames Mittel zur Erhöhung der Einkommen und zur Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze. Gleichzeitig sind sie eine wirkungsvolle Präventivmaßnahme gegen Ausgrenzung, Marginalisierung und Ungleichheit.

3.1.4Die Selbständigkeit ist, allerdings in unterschiedlichem Maß je nach Land und Branche, seit 2022 rückläufig 12 . Daher muss die echte und freiwillig gewählte Selbständigkeit nach Ansicht des EWSA gefördert werden. Darüber hinaus 13 sollte auf allen Bildungsebenen mehr Gewicht auf unternehmerische Kompetenzen und auf die Verbesserung der Finanzkompetenz gelegt werden, um neben Verdienstmöglichkeiten und Produktivität auch die berufliche Entwicklung zu fördern.

3.2Leitlinie 6: Verbesserung des Arbeitskräfteangebots und des Zugangs zu Beschäftigung sowie des lebenslangen Erwerbs von Fähigkeiten und Kompetenzen

3.2.1Der EWSA ist besorgt darüber, dass die meisten Mitgliedstaaten ihre für 2030 angestrebten Ziele für die Erwachsenenbildung nicht erreichen werden. 14 Diese Daten basieren jedoch auf der Erhebung zur Erwachsenenbildung, bei der vier Arten des nichtformalen Lernens nicht berücksichtigt werden: Kurse; Workshops und Seminare; innerbetriebliche Weiterbildung (planmäßige innerbetriebliche Ausbildungs-, Schulungs- oder Weiterbildungszeiten, organisiert vom Arbeitgeber mit Hilfe eines Ausbilders); Privatunterricht. Daher gehen die tatsächlich absolvierten Lernaktivitäten nicht in vollem Umfang aus den Daten hervor. Die Mitgliedstaaten müssen in Absprache mit den Sozialpartnern und den einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen in die Umsetzung wirksamer nationaler Lösungen im Hinblick auf das in der europäischen Säule sozialer Rechte vorgesehene Recht auf Weiterbildung und lebenslanges Lernen einbezogen werden. Dabei sollen, soweit dies im nationalen Kontext relevant ist, Hindernisse und mangelnde Motivation für Qualifizierung und Weiterbildung aus dem Weg geräumt werden.

3.2.2Der EWSA befürwortet 15 die Zielsetzungen der Union der Kompetenzen und unterstreicht die strategische Bedeutung einer hochwertigen, inklusiven Bildung und qualifizierter Arbeitskräfte als Schlüsselelemente für die Wettbewerbsfähigkeit der EU und bessere Arbeitsbedingungen.

3.2.3Grundkompetenzen sind von entscheidender Bedeutung. Schwache schulische Leistungen in der Grundschule, die sich in den meisten Mitgliedstaaten verstärken, setzen sich bis in die berufliche Aus- und Weiterbildung, die Hochschulbildung und die Erwachsenenbildung fort und führen zu Beeinträchtigungen. Berufsausbildungen berücksichtigen häufig nicht den geänderten Kompetenzbedarf. Es muss alles getan werden, um das Ansehen der beruflichen Aus- und Weiterbildung zu stärken und sie attraktiver, inklusiver und innovativer zu gestalten, auch für Menschen mit Behinderungen, deren Bedürfnisse entsprechend zu berücksichtigen sind.

3.2.4Der EWSA stellt fest, dass bei der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in den letzten zehn Jahren nur wenige Fortschritte erzielt wurden und zwischen den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede bestehen. Positiv zu vermerken ist, dass die Zahl der Schul- und Ausbildungsabbrecher in der gesamten EU abnimmt, auch wenn dies insbesondere bei jungen Männern nach wie vor ein Problem ist. Wenn es gelingt, dieses Problem zu lösen, lassen sich positive Auswirkungen auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, die Gleichstellung der Geschlechter und die Entwicklung von Kindern erzielen und gleichzeitig die Erwerbsbeteiligung von Frauen und deren Beschäftigungsmöglichkeiten verbessern.

3.2.5Um die Zukunft der Wirtschaft in Europa zu gestalten und Produktivitäts- und Innovationslücken zu schließen, ist mehr Ehrgeiz bei der Förderung von Spitzenkräften in den Bereichen MINT und KI erforderlich. KI-Kompetenzen sollten als Schlüsselkompetenz anerkannt und in umfassendere Strategien für lebenslanges Lernen integriert werden. Wichtig sind allgemeine und berufliche Bildung, die Förderung der Inklusivität und die Einbeziehung unterrepräsentierter Gruppen, insbesondere von Frauen.

3.2.6Der EWSA bekräftigt, dass Europa, wenn es für Fachkräfte aus aller Welt attraktiver werden will, mit gestrafften Verwaltungsverfahren, Visaerleichterungen und Schnellverfahren für qualifizierte Migranten in strategischen Sektoren aufwarten muss. Gleichzeitig ist dafür zu sorgen, dass sie einen gleichberechtigten und fairen Zugang zum EU-Arbeitsmarkt haben und dort fair behandelt werden. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch die mögliche entsprechende Abwanderung von Fachkräften aus den Herkunftsländern zu berücksichtigen.

3.2.7Bedauerlicherweise sind Frauen, junge Menschen, ältere Menschen, Menschen mit geringen bis mittleren Qualifikationen, Menschen mit Behinderungen und Migranten trotz einiger Fortschritte je nach länderspezifischem Kontext nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt unterrepräsentiert. Der EWSA teilt die Auffassung, dass im Rahmen der Union der Kompetenzen besonderes Gewicht auf diese Gruppen sowie auf Menschen aus ländlichen und dünn besiedelten Gebieten gelegt werden sollte. Über die vom Cedefop untersuchten Zentren des lebenslangen Lernens in der Gemeinschaft kann gemeinschaftliches Lernen im Sinne des Vorschlags bezüglich der Union der Kompetenzen ausgeweitet werden. 16

3.2.8Die Mitgliedstaaten müssen unbedingt mehr tun, um die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen, da eine hohe Nichterwerbsquote das Wirtschaftswachstum ausbremsen und somit die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen kann. Dies kann durch strukturelle Maßnahmen zur Förderung der Inklusion benachteiligter Gruppen erreicht werden, flankiert von geeigneten nationalen Strategien. Denkbar sind hier z. B. Lohnergänzungsleistungen 17 zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit, Weiterqualifizierung und Umschulung geringqualifizierter Personen, eine Kombination von Einkünften aus verschiedenen Quellen, wie Teilzeitarbeit und Kindergeld, als Anreiz für Eltern, schneller wieder in den Beruf einzusteigen, die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben durch flexible Arbeitsregelungen und die Unterstützung vielfältiger Vertragsmodelle, die aber gleichzeitig Planungssicherheit bieten. Außerdem muss gewährleistet sein, dass den Menschen ein zuverlässiges und hochwertiges Angebot öffentlicher Dienstleistungen in den Bereichen Transport sowie Pflege und Betreuung zur Verfügung steht, dass diskriminierende Verhaltensweisen bekämpft und Maßnahmen für angemessene Vorkehrungen am Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderungen unterstützt werden. 18

3.3Leitlinie 7: Verbesserung der Funktionsweise der Arbeitsmärkte und der Wirksamkeit des sozialen Dialogs

3.3.1Der EWSA begrüßt den Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit in der gesamten EU, insbesondere in den Mitgliedstaaten mit den höchsten Zahlen. Zwischen den Mitgliedstaaten bestehen jedoch nach wie vor erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Teilnahme an aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. In diesem Zusammenhang spielen die Sozialpartner eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die Gestaltung und Umsetzung von Arbeitsmarktreformen durch sozialen Dialog und Tarifverhandlungen voranzubringen. Sie sind maßgeblich daran beteiligt, auf der geeigneten Ebene (Landes-, Branchen-, Unternehmensebene) konkrete Lösungen vorzuschlagen.

3.3.2Der EWSA teilt die Auffassung 19 , dass die Konsultation der zivilgesellschaftlichen Organisationen für die Schaffung wirksamer und inklusiver politischer Maßnahmen von entscheidender Bedeutung sein kann.

3.3.3Vor dem Hintergrund der niedrigen Arbeitslosenzahlen begrüßt der EWSA die Bemühungen vieler öffentlicher Arbeitsverwaltungen, Aktivierungsmaßnahmen und Qualifikationen sowie die Unterstützung von Arbeitnehmern bei Arbeitsplatzwechseln stärker in den Mittelpunkt zu rücken, um so den grünen und den digitalen Wandel voranzutreiben. Er fordert alle Arbeitsverwaltungen dazu auf, diesem Beispiel zu folgen. Der EWSA betont, dass der Schwerpunkt auf jungen Menschen liegen sollte, um ihnen den Übergang von der Schule ins Berufsleben zu erleichtern. Die vollständige Umsetzung der Jugendgarantie ist von zentraler Bedeutung.

3.4Leitlinie 8: Förderung von Chancengleichheit für alle, Förderung der sozialen Inklusion und Bekämpfung der Armut

3.4.1Der EWSA unterstützt uneingeschränkt die Bemühungen, die Chancengleichheit für alle zu fördern, integrative Arbeitsmärkte zu schaffen und die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen. Integrative Arbeitsmärkte sind aufgrund des Fachkräfte- und Arbeitskräftemangels und des Drucks auf die öffentlichen Haushalte heute wichtiger denn je.

3.4.2Trotz der jüngsten Krisen und ihrer sozioökonomischen Folgen in der EU (COVID-19-Krise, hohe Energiekosten, Inflation und Lebenshaltungskosten) ist die Armut zurückgegangen. 20 Die Fortschritte der einzelnen Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung ihrer jeweiligen Armutsbekämpfungsziele fallen jedoch höchst unterschiedlich aus. Dies gilt insbesondere für die Kinderarmut, die trotz eines leichten Rückgangs im Jahr 2023 nach wie vor alarmierend hoch ist. Der EWSA ist der Auffassung, dass produktivitätssteigernde und beschäftigungsfördernde Strategien sowie wirksame Maßnahmen zur Verringerung der Erwerbstätigenarmut – flankiert von Sozialschutzsystemen – ein entscheidender Faktor für die Bekämpfung der Armut sind. Eine regelmäßige Bewertung der auf nationaler Ebene ergriffenen Maßnahmen und gegebenenfalls deren Überarbeitung sind entscheidende Faktoren, um einen Wandel zu bewirken und die Lebensqualität zu verbessern. Den Sozialpartnern und den Organisationen der Zivilgesellschaft kommt bei der Armutsbekämpfung eine große Bedeutung zu.

3.4.3Der EWSA ist besorgt darüber, dass die Erwerbstätigenarmut in der EU bei Nicht-Unionsbürgern (22,5 %), außerhalb der EU geborenen Personen (18,5 %), gering qualifizierten Beschäftigten (18,4 %), Teilzeitbeschäftigten (12,6 %), Leiharbeitskräften (12,6 %) und Haushalten mit unterhaltsberechtigten Kindern (10,0 %) höher ist. 21 Erwerbstätigenarmut ist ein komplexes Thema, das von vielen Ansatzpunkten ausgehend angepackt werden muss. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, allgemeine und berufliche Bildung, Unterstützung bei der Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, faire Löhne im Einklang mit der Produktivitätsentwicklung und bezahlbarer Wohnraum sind wichtige Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung. Günstige Rahmenbedingungen für Tarifverhandlungen tragen ebenfalls dazu bei.

3.4.4Die demografische Entwicklung stellt die Sozialsysteme und ihre Fähigkeit, angemessene und finanziell tragfähige Rentensysteme und Langzeitpflege zu garantieren, vor erhebliche Herausforderungen. In diesem Zusammenhang spielen angesichts der unterschiedlichen nationalen Modelle und Gepflogenheiten die Sozialpartner und Tarifverhandlungen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die Möglichkeit von Zusatzrenten als Ergänzung zur staatlichen Renten zu prüfen und solche Zusatzrenten auszuhandeln. Finanzkompetenz ist in dieser Hinsicht wichtig, um das Wissen über andere Arten zusätzlicher Einkommensunterstützung für den Ruhestand zu stärken. 22

3.4.5Die strukturellen Probleme, die durch den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel noch verschärft werden, müssen dringend angegangen werden. Auch die Verfügbarkeit, Erschwinglichkeit und Qualität von Langzeitpflege und -betreuung gehören dazu.

Brüssel, den 3. September 2025

Die Vorsitzende der Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Cinzia Del Rio

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(1)    Europäische Kommission, Joint Employment Report 2025 .
(2)    Europäische Kommission, Joint Employment Report 2025 .
(3)    2024 lag die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen bei 51,8 % und damit 24 Prozentpunkte unter der Gesamtbeschäftigungsquote, die 75,8 % betrug ( Eurostat ).
(4)    Siehe auch die EWSA-Stellungnahme „ Gesellschaftliche Integration von Menschen mit Behinderungen “ (SOC/807), 2024.
(5)    70,8 % Beschäftigungsquote bei Frauen gegenüber 80,8 % bei Männern im Jahr 2024 ( Eurostat ).
(6)    Siehe auch die EWSA-Stellungnahme „ Gleichbehandlung junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt “ (SOC/721), 2023.
(7)    Die Arbeitslosenquote in der Altersklasse 15 bis 24 Jahre lag 2022 und 2023 bei 14,6 % und stieg 2024 leicht auf 14,9 % ( Eurostat ).
(8)    Besonders ausgeprägt ist der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel im Gesundheitswesen, in den MINT-Bereichen (insbesondere IKT), im Bauwesen, im Transportwesen und in bestimmten Dienstleistungsberufen (z. B. Köche und Kellner). Der Arbeitskräftemangel im verarbeitenden Gewerbe ist besonders hoch und hat in einigen Ländern weiter zugenommen (Eurofound, European Company Survey 2019 ; Europäische Kommission, Employment and social developments in Europe, 2023: Addressing labour shortages and skills gaps in the EU ).
(9)    EWSA-Stellungnahme „ Union der Kompetenzen “ (SOC/837), 2025.
(10)    Europäische Kommission, Joint Employment Report 2025 .
(11)    Das Produktivitätswachstum lag vor 2007 bei durchschnittlich 1,4 % und ging 2010-2019 auf 0,8 % und 2023 weiter auf 0,7 % zurück (Europäische Kommission, Labour Market and Wage Developments in Europe 2024 ).
(12)    10,5 % im Jahr 2024 gegenüber 11,7 % im Jahr 2022 ( Eurostat ).
(13)    EWSA-Stellungnahme „ Union der Kompetenzen “ (SOC/837), 2025.
(14)    Von 37,4 % im Jahr 2016 auf 39,5 % im Jahr 2022. ( Joint Employment Report 2025 ).
(15)    EWSA-Stellungnahme „ Union der Kompetenzen “ (SOC/837), 2025.
(16)    EWSA-Stellungnahme „ Union der Kompetenzen “ (SOC/837), 2025.
(17)    Die OECD definiert Lohnergänzungsleistungen als dauerhafte Steuergutschriften, Steuervergünstigungen oder gleichwertige Systeme für arbeitsbedingte Leistungen, die dem doppelten Zweck dienen, Erwerbstätigenarmut zu verringern und die Arbeitsanreize für einkommensschwache Arbeitnehmer zu erhöhen.
(18)     Beschäftigungspolitische Leitlinien 2025 .
(19)    Europäische Kommission, Joint Employment Report 2025 .
(20)    Im Jahr 2023 war die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffenen Personen im Vergleich zu 2022 um 703 000 und im Vergleich zum Basisjahr 2019 um 1 571 000 zurückgegangen. Diese jüngste Auswertung der Daten zeigt das zweite Jahr in Folge einen Rückgang nach einer Phase der Stabilität zwischen 2018 und 2021, Joint Employment Report 2025 .
(21)    Europäische Kommission, Joint Employment Report 2025 .
(22)    EWSA-Stellungnahme „ Finanzwissen und -kompetenz für die Europäerinnen und Europäer “ (ECO/677), 2025.