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ECO/674

Ergänzende Überlegungen zum weiteren Vorgehen im Hinblick auf das Europäische Semester 2025

STELLUNGNAHME

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Ergänzende Überlegungen zum weiteren Vorgehen im Hinblick auf das Europäische Semester 2025

(Initiativstellungnahme)

Kontakt

eco@eesc.europa.eu

Verwaltungsrätin

Anna PANTAZI

Datum des Dokuments

9/9/2025

Berichterstatter: Javier DOZ ORRIT

Berater

Olivier Cédric VAUZELLE (für den Berichterstatter)

Beschluss des Plenums

27/3/2025

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

Zuständiges Arbeitsorgan

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme im Arbeitsorgan

5/9/2025

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

40/0/1

Verabschiedung im Plenum

D/M/YYYY

Plenartagung Nr.

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

…/…/…



1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist besorgt über zahlreiche Einflussfaktoren und zugleich Ursachen von Instabilität und geopolitischen Risiken. Dies betrifft insbesondere die Bedrohungen für Frieden, Demokratie und Achtung der Menschenrechte, aber auch Gefahren wie Handelskriege mit Auswirkungen auf Wachstum und Inflation, die Sicherheit der Lieferketten und den Zugang zu kritischen Rohstoffen.

1.2In der Frühjahrsprognose waren die ohnehin schwachen Wachstumsaussichten für die EU und das Euro-Währungsgebiet weiter gesenkt worden, wodurch das Einhalten der geldpolitischen Inflationsziele erleichtert wird. Der EWSA ist darüber besorgt, dass die Entwicklung der öffentlichen und privaten Investitionen bei Weitem nicht ausreicht, um das hohe, in den europäischen Volkswirtschaften aufgelaufene Investitionsdefizit spürbar abzubauen oder sich an die im Draghi-Bericht genannten Zielwerte anzunähern.

1.3Der EWSA unterstützt die beiden wichtigsten politischen Prioritäten des Frühjahrspakets 2025 des Europäischen Semesters, nämlich die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Verteidigungsfähigkeiten. Er unterstützt das Hauptziel, die Investitionen und Reformen der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne bis 2026 umzusetzen. Er ist ferner der Auffassung, dass die spezifischen Empfehlungen im Großen und Ganzen angemessen sind. Er bedauert jedoch, dass die Stärkung des sozialen Zusammenhalts nicht als zentrale politische Priorität definiert wurde.

1.4Sobald die Inflation unter Kontrolle ist, muss nach Auffassung des EWSA eine moderat expansive Geldpolitik entwickelt werden, die Investitionen fördert und gleichzeitig den schwachen Dollar nutzt, um die Rolle des Euro als globale Reservewährung durch die folgenden drei Maßnahmen zu stärken: Einführung des digitalen Euro; Nutzung des Schuldenstocks nicht nur zur Finanzierung der Investitionspolitik, sondern auch um die Attraktivität des Euro für den Handel auf den Märkten zu steigern; und die dringende Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion.

1.5Der EWSA hält es für notwendig, dass der mehrjährige Finanzrahmen (MFR) für die Zeit nach 2027 den Umfang von 2 % des BIP der EU erreicht, um die Investitionsziele in folgenden Bereichen zu erfüllen: Aufholen des Wettbewerbsrückstands; Förderung von Forschung und technologischer Innovation; Sicherung eines gerechten ökologischen und digitalen Wandels; Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der Einhaltung der europäischen Säule sozialer Rechte; Stärkung der strategischen Autonomie in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik; Stärkung der europäischen Industrie durch Strategien und Maßnahmen zur Erleichterung von Investitionen, um internes und externes Kapital zu mobilisieren.

1.6Nach Ansicht des EWSA müssen bis 2028 u. a. folgende Maßnahmen zur Stärkung der Investitionen ergriffen werden: Ausschöpfung aller Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) mit den neuen Zielen und ggf. Verwendung ungenutzter Mittel für neue Investitionsprogramme für europäische öffentliche Güter; Schaffung eines Europäischen Fonds für strategische Investitionen; Stärkung der Darlehenskapazität der EIB zum Ausbau von InvestEU; eventuelle Verwendung von Mitteln aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus.

1.7Der EWSA bekräftigt seine Besorgnis über die Verzögerungen bei der Überarbeitung des derzeitigen Modells der Schuldentragfähigkeitsanalyse. In einer Zeit, in der die Mitgliedstaaten unveränderte Defizitziele erreichen müssen, könnte dies zu ungerechtfertigten Einschnitten bei den Sozialausgaben zugunsten anderer Ausgaben führen. Dies könnte durch den ReArmEU‑Plan noch verschärft werden, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, zur Finanzierung zusätzlicher Verteidigungsausgaben ihr öffentliches Defizit um bis zu 1,5 % des BIP zu erhöhen.

1.8Der EWSA begrüßt den allgemeinen Grundsatz der Legislativpakete „Omnibus I“ und „Omnibus II“, die EU-Rechtsvorschriften zu präzisieren und zu vereinfachen und unnötigen Verwaltungsaufwand für Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), zu verringern. Er hegt jedoch die Sorge, dass einige Bestimmungen die Rechtsvorschriften für ein nachhaltiges Finanzwesen verwässern und somit die Verwirklichung der Ziele des Grünen Deals und seines Aktionsplans gefährden könnten. Er betont, dass das wichtigste Mittel zur Steigerung von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit Investitionen sind, vor allem in Forschung, Entwicklung und Innovation (FEI), Ausbildung und gute Unternehmensorganisation.

1.9Der EWSA bekräftigt seine Forderung nach einer ständigen und strukturierten Einbeziehung der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft in die verschiedenen Phasen des Europäischen Semesters. Er fordert die Kommission, das Europäische Parlament und den Rat auf, einen institutionellen Dialog mit dem EWSA und dem Ausschuss der Regionen einzuleiten, um zu prüfen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um die Einbeziehung der Zivilgesellschaft sowie der nationalen Parlamente und der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sicherzustellen.

2.Der geopolitische Rahmen

2.1Zu den vom EWSA bereits zu Beginn des Jahres ermittelten Risiken und Schwierigkeiten des geopolitischen Rahmens 1 kam eine neue Gefahr hinzu: die neuen Maßnahmen der zweiten Amtszeit von US-Präsident Trump. Der einseitig und unter Verstoß der WTO-Regeln ausgelöste Handelskrieg ist gekennzeichnet durch: die Missachtung einer regelbasierten internationalen Ordnung und multilateraler Institutionen; offene Feindseligkeit gegenüber der Europäischen Union und ihren Werten; Unterstützung für politische Entscheidungen, die die Werte der EU in Frage stellen. All dies hat in einer ohnehin sehr komplexen geopolitischen Lage zu großen neuen Unsicherheiten und Risiken geführt. Diese Risiken betreffen Sicherheit und Verteidigung, Handel und Wirtschaft, politische Beziehungen und supranationale Institutionen und letztlich Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Die sich weltweit verschlechternde Lage in Bezug auf die drei letztgenannten Werte wurde von allen unabhängigen Institutionen, die für ihre Überwachung zuständig sind, hervorgehoben.

2.2Die Krise der internationalen Ordnung und der internationalen Institutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind (die Vereinten Nationen (VN) und die damit verbundenen Institutionen), hat sich in den letzten drei Jahren zugespitzt. Sie ist in den Angriffskriegen deutlich zu Tage getreten, die gegen die Grundprinzipien der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und internationale Verträge verstoßen. Die Verstöße gegen das Völkerrecht und das humanitäre Recht in der Ukraine und im Gazastreifen sind offensichtlich. Die Rückkehr zu diesen Rechtsordnungen ist für jedes Friedensszenario sowie die Wiedererlangung der für die Entwicklung und das Wohlergehen der Menschen unerlässlichen politischen und wirtschaftlichen Stabilität unerlässlich. Aus diesem Grund unterstützt der EWSA nachdrücklich sowohl die Forderung der ukrainischen Regierung an die russische Regierung nach einem sofortigen Waffenstillstand, um Friedensgespräche zu ermöglichen, als auch die jüngste Forderung von 25 demokratischen Nationen in Europa, Amerika und Asien an Israel, den Krieg und das Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu beenden und die erforderliche Nahrungsmittel- und medizinische Versorgung in vollem Umfang in das Gebiet zu lassen.

2.3Obwohl sich die wirtschaftlichen Folgen und Auswirkungen der politischen Entscheidungen des Weißen Hauses noch nicht absehen lassen (auch, weil sie sehr erratisch sind), muss doch auf den aktuellen Rückgang des Wachstums in den USA und eine Tendenz zur Dollarabwertung und zum Inflationsanstieg hingewiesen werden. Zudem wurden die globalen Wachstumsaussichten für Handel und Wirtschaft sowohl von der WTO (die nun einen Rückgang des Welthandels um 0,2 % anstelle des zuvor erwarteten Wachstums von 3 % prognostiziert) 2 als auch vom IWF (Rückgang des BIP-Wachstums um 0,5 Prozentpunkte weltweit und um 0,9 Prozentpunkte in den USA) 3 nach unten korrigiert. All dies verdeutlicht, dass in einer unvorhersehbaren und instabilen Lage genaue Vorhersagen schwierig sind.

2.4Lieferkettenrisiken, Versorgungssicherheit und Komponentenpreise sind Risikofaktoren, die bei der Gestaltung der Politik stets berücksichtigt werden müssen. Diese Risiken werden durch die Folgen des Handelskriegs und des intensiven Wettbewerbs um die Sicherung, ja sogar die Kontrolle der Versorgung mit strategischen Rohstoffen für die Sektoren mit den größten Kapazitäten für technologische Innovation und für Sektoren und Produkte der grünen Wirtschaft bedingt.

2.5Auf dem G7-Gipfel und auf der Finanzministertagung im Juni wurde beschlossen, multinationale US-Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 750 Mio. EUR von der Mindeststeuer von 15 % auszunehmen, die im Rahmen der ab 2021 von 147 Ländern unterzeichneten Säule 2 (globale Mindestertragssteuern) der OECD vereinbart wurde und die auch für alle US-amerikanischen multinationalen Unternehmen gilt. Dieses Zugeständnis wurde gemacht, nachdem die Trump-Regierung mit „Vergeltungssteuern“ gegen ausländische Investoren in den USA gedroht hatte. Nach dem G7-Beschuss wurden die konkreten Maßnahmen für diese Vergeltungssteuern schließlich aus dem US-Haushaltsgesetz gestrichen. Nach Auffassung des EWSA schafft der G7-Beschluss eine sehr günstige Situation für US-amerikanische multinationale Unternehmen, was sich nachteilig auf die Steuergerechtigkeit auswirkt und ein völlig ungleiches Umfeld für Unternehmen fördert.

3.Frühjahrsprognose und Frühjahrspaket 2025 4

3.1Aufgrund der berechtigten Sorge, dass in einer besonders volatilen Zeit in der globalen Geopolitik und der Weltwirtschaft nur schwerlich genaue Prognosen erstellt werden können, korrigiert die Europäische Kommission ihre bereits in der Herbstprognose bescheidenen Erwartungen weiter nach unten. Für 2025 und 2026 wurden die Prognosen für das BIP‑Wachstum sowohl der gesamten EU als auch des Euro-Währungsgebiets gesenkt. Ebenso wurden die voraussichtliche Inflation für beide Einheiten leicht nach unten korrigiert, wobei davon ausgegangen wird, dass die Zielwerte der traditionellen Geldpolitik erreicht werden.

3.2Auch die Wachstumsprognosen für die öffentlichen und privaten Gesamtinvestitionen wurden für die kommenden Jahre revidiert, es wird von einem leichten Anstieg ausgegangen. Dieser wird jedoch nicht ausreichen, um den Wachstumsrückgang im Vorjahr wettzumachen. Es wird mit einem leichten Anstieg des Investitionswachstums im Jahr 2026 gerechnet, auch wenn es schwierig ist, genaue Prognosen zu erstellen, insbesondere im Hinblick auf einen möglichen Anstieg der Verteidigungsausgaben. Die öffentlichen Investitionen in Prozent des BIP dürften stabil und die Ziele für das öffentliche Defizit unverändert bleiben. Die veranschlagten Bruttoanlageinvestitionen sind ebenfalls leicht rückläufig. Zudem dürften die öffentlichen Schuldenquoten in den nächsten Jahren schrittweise steigen.

3.3Die länderspezifischen Empfehlungen konzentrieren sich auf zwei Bereiche: Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten und der Wettbewerbsfähigkeit sowie auf ein weiteres Ziel: Umsetzung der im Rahmen von NextGenerationEU vorgesehenen nationalen Aufbau- und Resilienzpläne, Investitionen und Reformen, um ihre Vollendung bis zum Zieldatum 2026 sicherzustellen. In den länderspezifischen Empfehlungen wird auch gefordert, die Investitionen in Forschung und Entwicklung zu erhöhen, die öffentliche und private Finanzierung zu erleichtern, die Wirksamkeit der Innovationsförderung sowie den Zugang zu Finanzmitteln zu verbessern, Verwaltungs- und Regulierungsverfahren zu vereinfachen, den Fachkräftemangel zu beheben und die Infrastruktur und die Sozialsysteme zu modernisieren, um auf wachsende globale Herausforderungen zu reagieren und nachhaltiges Wachstum zu fördern.

4.Allgemeine Bemerkungen

4.1Seit der Verabschiedung der Stellungnahme des EWSA zum Herbstpaket des Europäischen Semesters 2025 5 sind insbesondere im ersten Halbjahr 2025 zahlreiche geopolitische und geoökonomische Entwicklungen eingetreten, die die Erarbeitung dieser Stellungnahme mit ergänzenden Überlegungen rechtfertigen. Diese Ereignisse und Trends haben wichtige makroökonomische Indikatoren, den Welthandel, Investitionen, den Zugang zu kritischen Rohstoffen und die Sicherheit der Lieferketten bereits beeinträchtigt oder könnten dies tun. Zudem geht von den derzeitigen und den drohenden neuen Kriegen – abgesehen den menschlichen Tragödien – eine potenziell noch erheblichere destabilisierende Wirkung aus.

4.2Die Risiken und Unsicherheiten der geopolitischen Lage sowie infolge des ungewissen Ausgangs des von der US-Regierung ausgelösten Handelskriegs schlagen negativ auf die Investitionsentscheidungen der Unternehmen in Europa und weltweit durch. Eine klare und entschlossene Politik der Union, die die Förderung der strategischen Autonomie in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit einer europäischen Industriepolitik kombiniert, die den Zielen des gerechten ökologischen und digitalen Wandels dient, sowie spezifische Strategien und Maßnahmen zur Investitionsförderung würde jedoch inländisches und ausländisches Kapital – u. a. aus Quellen, die nicht in den USA investieren wollen – für produktive Investitionen anziehen. Dies gilt auch für die Sozialwirtschaft, die für die Förderung von inklusivem Wachstum und Resilienz maßgeblich ist. Nach Ansicht des EWSA ist es notwendiger denn je, dass die EU auf der Grundlage einer soliden Politik ein Bild der Sicherheit, Kohärenz, Stärke und Handlungsfähigkeit vermittelt.

4.3Prognosen deuten darauf hin, dass die Inflationsziele gemäß den Zielvorstellungen der Geldpolitik im Jahr 2025 erreicht werden und dass die Inflation, insbesondere im Euro-Währungsgebiet, 2026 sogar unter diese Ziele sinken könnte. Der EWSA ist der Auffassung, dass angesichts des anhaltend schwachen Wachstums erwogen werden sollte, die restriktive Geldpolitik zu beenden und zu einer moderat expansiven Geldpolitik überzugehen, um das Wachstum wieder anzukurbeln.

4.4Die andere große geldpolitische Herausforderung liegt darin, in einer Zeit erheblicher Schwächen und Wertschwankungen des Dollar infolge der Politik der Trump-Regierung den Euro in seiner Rolle als globale Reservewährung zu stärken. Dafür ist nach Auffassung des EWSA neben einer kohärenten und berechenbaren Geld- und Fiskalpolitik Folgendes erforderlich: a) die unverzügliche Vollendung der Banken- und der Kapitalmarktunion, wie in den Berichten von Draghi und Letta vorgeschlagen wird und wie der EWSA in seinen Stellungnahmen der letzten Jahre gefordert hat; b) den Bestand an gemeinsamen Schulden in Euro – dank des breiten Spektrums der EU-Instrumente und stets im Rahmen ihrer Tragfähigkeit – nicht nur zur Deckung des Bedarfs an öffentlichen und privaten Investitionen, sondern auch für die Förderung des Euro als Reservewährung zu nutzen; und c) die Einführung des digitalen Euro voranzutreiben.

4.5In den kommenden Jahren wird die EU mit einer Reihe von Zielen und wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und sozialen Herausforderungen konfrontiert sein, die erhebliche Investitionen erfordern, um die Investitionslücke der letzten Jahrzehnte zu schließen. Diese Lücke ist der Hauptgrund für die Wachstumsschwäche in der EU und den Rückgang ihrer Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere in den technologisch fortschrittlichsten Sektoren der europäischen Wirtschaft. Die Investitionsmaßnahmen müssen erhebliche Anstrengungen zur Mobilisierung privater Mittel für Risikokapital umfassen, um den wachsenden Innovationsrückstand aufzuholen.

4.6Im Draghi-Bericht wird der zusätzliche jährliche Bedarf an öffentlichen und privaten, nationalen und europäischen Investitionen der europäischen Volkswirtschaften auf 830 Mrd. EUR veranschlagt, um folgende Ziele zu erreichen: a) fairer ökologischer und digitaler Wandel; b) FuE- und Innovationsinvestitionen, insbesondere in KI, um den Abstand der EU auf ihre direkten Wettbewerber (USA und China) im Hochtechnologiebereich zu verringern; c) mehr Sicherheit und Verteidigung; d) Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte – einschließlich aller damit verbundenen Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung und Inklusion schutzbedürftiger Gruppen wie Menschen mit Behinderungen – und der Kohäsionspolitik. Der EWSA fordert die EU-Organe auf, die notwendigen Pläne zu erstellen, um die wichtigsten Schlussfolgerungen des Draghi-Berichts umzusetzen.

4.7Der EWSA ist der Auffassung, dass der MFR für die Zeit nach 2027 der Kaufkraft nach zumindest dem derzeitigen MFR und der NextGenerationEU-Fonds zusammengenommen entsprechen sollte, um den großen Herausforderungen und neuen Ausgabenanforderungen der EU gerecht zu werden. Das bedeutet, dass der MFR, wie in der EWSA-Stellungnahme 6 empfohlen, 2 % des BIP der EU erreichen sollte. Der EWSA schlägt ferner vor, im nächsten MFR der Ausweisung und Bereitstellung europäischer öffentlicher Güter besonderes Augenmerk zu widmen.

4.8Er ist jedoch auch der Ansicht, dass mit der Finanzierung vorrangiger europäischer Investitionsprogramme nicht bis 2028 gewartet werden kann. Der EWSA empfiehlt deshalb der Kommission,

-sicherzustellen, dass die Mittel der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) und der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne (NARP) in vollem Umfang eingesetzt werden, a) gegebenenfalls durch Neuausrichtung der Investitionen und Unterstützung der nationalen Regierungen bei der vollständigen Umsetzung der Mittel; b) indem der Durchführungszeitraum der Fonds bis 2028 verlängert wird, wo dies die einzige Option für die Durchführung wichtiger Programme und Projekte ist; c) gegebenenfalls durch Verwendung der verbleibenden Mittel für neue, von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Investitionsprogramme in öffentliche europäische Güter;

-einen Europäischen Fonds für strategische Investitionen einzurichten, der, wie in der Stellungnahme des EWSA 7 vorgeschlagen, gemischt finanziert wird durch Beiträge der Mitgliedstaaten, neue Eigenmittel und die Emission gemeinsamer europäischer Schuldtitel, um strategische europäische Programme in Bereichen wie KI, erneuerbare Energien, Energieverbundnetze, kritische Mineralien und Rohstoffe, hochrangige Forschungsprogramme, vorrangige Ausbildungsprogramme usw. zu finanzieren;

-die Darlehenskapazität der EIB zu stärken und InvestEU zur Finanzierung von Investitionen in den oben genannten vorrangigen Investitionsbereichen auszubauen;

-die Finanzierungskapazität des Europäischen Verteidigungsfonds zur Förderung der europäischen Verteidigungsindustrie zu stärken;

-eventuell Mittel des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Finanzierung von Investitionsprojekten der EU und der Mitgliedstaaten zu verwenden.

4.9Die Europäische Kommission bestätigte in einer aktuellen Mitteilung 8 den 31. Dezember 2026 als Frist für Auszahlungen im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität für NARP-Projekte. Der EWSA begrüßt die vorgeschlagenen Alternativen für die Ausschöpfung der Mittel: a) Laufzeitverlängerung bei bestehenden Projekte; b) Reduzierung überzeichneter Programme; c) Aufteilung von NARP-Projekten im Hinblick auf eine Projektfortführung mit nationalen oder anderen EU-Mitteln; d) Schaffung von Finanz- und Förderinstrumenten; e) Übertragungen an InvestEU; f) Kapitalbeiträge an nationale Förderbanken und -institute und Beiträge zum Programm für die Europäische Verteidigungsindustrie und zu EU-Programmen für Satellitenkommunikation. Gleichwohl ist unklar, ob sich mit all diesen Maßnahmen die angestrebten Ziele erreichen lassen. Für die Mitgliedstaaten ist es schwierig, binnen eines guten Jahres die Umsetzung der derzeitigen Pläne zu beschleunigen und gleichzeitig Alternativen vorzubereiten. Es ist anerkanntermaßen nicht einfach, solche Programme umzusetzen, die eine angemessene Gestaltung, die Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft und die mit der Verwendung öffentlicher Mittel verbundenen Garantien erfordern. Der EWSA hat bereits auf die Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Fähigkeit zur Verwaltung solcher Investitionen hingewiesen – sowohl bezüglich administrativer als auch unterschiedlicher wirtschaftlicher und institutioneller Strukturen. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände schlägt der EWSA vor, die organisierte Zivilgesellschaft aktiv in die Überprüfung der Durchführung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne am Ende dieses Jahres einzubeziehen, um eine wirksamere und angemessenere Umsetzung zu fördern und ggf. technische Hilfe zu ermöglichen. Sollten nach Ergreifen aller Maßnahmen zur Erleichterung der Umsetzung Mittel ungenutzt bleiben, schlägt der EWSA vor, dass die Kommission sie zur Finanzierung von Programmen für gemeinsame europäische Güter verwendet.

4.10Die Förderung der strategischen Autonomie in der Industrie-, Handels-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik muss nach Auffassung des EWSA ein wesentliches und dauerhaftes Anliegen der EU-Governance sein. Es bedarf auch einer engeren Koordinierung zwischen diesen Politikbereichen und der Ausweitung der strategischen Autonomie Europas. Zudem muss der Übergang zur Konzipierung gemeinsamer europäischer Maßnahmen in den Bereichen Industrie, Sicherheit und Verteidigung (wie bereits in der Handelspolitik) mithilfe einer solchen Koordinierung und ggf. des Verfahrens der verstärkten Zusammenarbeit eingeleitet werden. Heute hängt die wirtschaftliche Sicherheit in sensiblen Bereichen wie dem garantierten Zugang zu Rohstoffen und zu wesentlichen und kritischen Ressourcen sowie die Sicherheit der Lieferketten von einer wirksamen Handelspolitik und einer wirksamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ab, die gemeinsame oder eng koordinierte Politikbereiche sein sollten.

4.11Die Verteidigungsausgaben und -investitionen nehmen in Europa und weltweit zu. Dass dies zu einer Zeit geschieht, in der demokratische Werte, die Menschenrechte und das Völkerrecht von vielen Ländern und Mächten untergraben werden und die multilateralen Institutionen des VN‑Systems angegriffen und ausgehöhlt werden, gibt Anlass zu ernster Besorgnis. Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU durch eine gemeinsame oder eng koordinierte Außenpolitik mehr denn je eine führende Rolle beim Streben nach Frieden und einer gerechten Weltordnung spielen muss, die weithin Wohlergehen, Demokratie und Menschenrechte fördert. Dieser Ansatz muss jedoch als Teil einer Friedensstrategie formuliert werden, die auf dem Primat der Diplomatie und der Verpflichtung zum Nichtangriff basiert. Dies ist kein Widerspruch dazu zum Engagement des EWSA für verstärkte Investitionen in die europäische Sicherheit und Verteidigung im Rahmen einer gemeinsamen oder eng koordinierten Politik. Nach Ansicht des EWSA sollte die notwendige Stärkung der Verteidigungsfähigkeiten Europas auf der Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie und einer engen Koordinierung der Streitkräfte der Mitgliedstaaten im Rahmen der NATO beruhen. Der EWSA stellt enttäuscht fest, dass dieser Ansatz nicht als Grundlage für die Vorschläge von ReArmEU und Sicherheitsmaßnahmen für Europa (SAFE) verwendet wurde. Vorgesehen ist lediglich eine europäische Mittelaufnahme und die Gestattung der nationalen Mittelaufnahme – durch Aktivierung der Schutzklauseln des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Dadurch können die europäischen Staaten Waffen und Munition erwerben, ohne dass ein genauer Plan mit Anforderungen oder gemeinsamen Zielen und nicht einmal eine europäische Präferenz als Bedingung festgelegt worden wäre.

4.12Die Einbeziehung der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft in das Europäische Semester in seinen nationalen Phasen ist nicht gewährleistet. Ganz zu schweigen von strukturierten oder ständigen Konsultationsprozessen, wie sie vom EWSA wiederholt eingefordert wurden. 9 Die nationalen mittelfristigen finanzpolitisch-strukturellen Pläne des neuen europäischen Rahmens für die makroökonomische Steuerung wurden kaum erläutert und fast ohne Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft angenommen. Es wurde argumentiert, die Fristen seien knapp und könnten nicht verlängert werden, sodass für Konsultationen keine Zeit bleibe. Dies sollte im Europäischen Semester nicht wiederholt werden. Auch der EWSA hält es für wichtig, die nationalen Parlamente und die lokalen und regionalen Institutionen in die wirtschaftspolitische Steuerung der EU einzubeziehen, und unterstützt die jüngste Entschließung des Ausschusses der Regionen (AdR) 10 zu diesem Thema. Der EWSA fordert die Kommission, das Europäische Parlament und den Rat auf, einen institutionellen Dialog zu diesem Thema einzuleiten, an dem sowohl der EWSA als auch der AdR beteiligt sind. Es gilt, die Art der Maßnahmen zu untersuchen, die ergriffen werden sollten, um die vom EWSA geforderte Beteiligung sicherzustellen. Dies würde sich zweifellos positiv auf die nationale Eigenverantwortung für die im Rahmen des Europäischen Semesters zu ergreifenden Maßnahmen auswirken.

5.Besondere Bemerkungen

5.1Die Legislativpakete „Omnibus I“ und „Omnibus II“ befassen sich mit der Vereinfachung der Rechtsvorschriften für ein nachhaltiges Finanzwesen, insbesondere der Vorschriften über die Offenlegung von Informationen und der diesbezüglichen Sorgfaltspflicht der Unternehmen. Hauptgrund für diese Initiative ist die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch Verringerung des Verwaltungsaufwands für die Unternehmen. Der EWSA stimmt dem allgemeinen Grundsatz zu, die europäischen Rechtsvorschriften klarer zu fassen und zu vereinfachen und unnötigen Verwaltungsaufwand für Unternehmen, insbesondere KMU, zu verringern. Dies darf allerdings nicht bedeuten, dass die für die Verwirklichung der Ziele des Grünen Deals und seines Aktionsplans erforderlichen Anforderungen aufgegeben oder die Rechtsvorschriften über ein nachhaltiges Finanzwesen abgeschwächt werden. Zudem sollten KMU von den zuständigen Behörden bei der Erfüllung ihrer diesbezüglichen Verpflichtungen unterstützt werden. Zugleich weist der EWSA darauf hin, dass die Vereinfachung der Rechtsvorschriften allein nicht der wichtigste Hebel zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ist. Diese Vereinfachung muss vor allem mit Maßnahmen einhergehen, die – wie in dieser Stellungnahme erwähnt – auf zielgerichtete Investitionen, d. h. Instrumente zur Steigerung von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, abzielen.

5.2Der EWSA bekräftigt seine Besorgnis 11 über die verzögerte Überarbeitung des derzeitigen Modells der Schuldentragfähigkeitsanalyse. Im jüngsten Debt Sustainability Monitor 12 wird die Schuldentragfähigkeit in zwei Mitgliedstaaten als kurzfristig mit hohem Risiko behaftet eingestuft, in elf Mitgliedstaaten mittelfristig mit hohem Risiko und in vier Mitgliedstaaten langfristig mit hohem Risiko. Diese Analyse wurde jedoch durchgeführt, bevor im Rahmen von ReArmEU vorgeschlagen wurde, dass die Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsausgaben durch bei der EU aufgenommene Anleihen erhöhen und sie gleichzeitig zur Anwendung der Schutzklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts ermächtigt wurden. Dadurch wird ein zusätzliches öffentliches Defizit von bis zu 1,5 % des BIP für die Mittelaufnahme auf den Anleihemärkten ermöglicht. Der EWSA hat bei der Reform des Rahmens für die makroökonomische Steuerung die Sorge geäußert, dass die Verwendung des laufenden Schuldentragfähigkeits-Modells bedeuten würde, dass Sozialausgaben zur Erhöhung der Ausgaben in anderen Bereichen geopfert werden, um die unveränderten Defizit- und Schuldenziele zu erreichen. Diese Sorge ist nun umso größer, da die Mitgliedstaaten auch mit einem erheblichen Anstieg der Verteidigungsausgaben konfrontiert sind.

5.3Ebenso wichtig ist es, die Kriterien für ein übermäßiges Defizit zu überarbeiten, zumal die Kommission die Mitgliedstaaten ermächtigt hat, die Schutzklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts (zusätzliches öffentliches Defizit von bis zu 1,5 % des BIP) anzuwenden, um Mittel für Verteidigungsausgaben aufzunehmen. Der EWSA hält ferner die von der Kommission verwendeten Indizes für die Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte für überholt. Doch damit nicht genug: unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die abschließende Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne und der Beginn der nationalen Haushalts- und Strukturpläne mit den länderspezifischen Empfehlungen des regulären Zyklus überschneiden, dass die Schaffung von Verbindungen zwischen dem Instrument für die Koordinierung der Wettbewerbsfähigkeit und dem Semester angekündigt wurde und dass es einen Vorschlag zu möglichen Verbindungen mit dem Semester für die Ausgaben des nächsten MFR gibt, zumindest für einen Teil des künftigen Kohäsionsfonds, drängt sich geradezu auf, dass der EU-Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung, d. h. das Europäische Semester, dringend überprüft werden muss. Bei dieser Überprüfung müssen die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft eingebunden werden. Der EWSA sollte dabei ein privilegierter Partner sein. 

5.4Der EWSA betont, dass sich das Europäische Semester auch auf soziale Kriterien, Verbesserungen des Lebensstandards und wachsende Ungleichheiten sowie auf zentrale Themen wie die Wohnungskrise und den Rückgang der Tarifbindung konzentrieren sollte. Die EU-Organe müssen über die Erfüllung technischer und wirtschaftlicher Kriterien hinaus die Lebensqualität zu ihrem zentralen Anliegen machen.

Brüssel, 5. September 2025

Der Vorsitzende der Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Ioannis VARDAKASTANIS

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(1)

    Europäisches Semester 2025 – Herbstpaket , ABl. C, C/2025/2019, 30.4.2025, ELI:  http://data.europa.eu/eli/C/2025/2019/oj .

(2)     https://www.wto.org/english/res_e/publications_e/trade_outlook25_e.htm .
(3)     https://www.imf.org/en/Publications/WEO/Issues/2025/04/22/world-economic-outlook-april-2025 .
(4)     Frühjahrsprognose 2025 und Frühjahrspaket des Europäischen Semesters 2025 .
(5)    Europäisches Semester 2025 – Herbstpaket, ABl. C, C/2025/2019, 30.4.2025, ELI:  http://data.europa.eu/eli/C/2025/2019/oj .
(6)     „Der Weg zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen“ , ABl. C, C/2025/3202, 2.7.2025, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2025/3202/oj .
(7)     „Ein EU-Investitionsfonds für wirtschaftliche Resilienz und nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit“ , ABl. C 6862, 28.11.2024, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/6862/oj .
(8)    NextGenerationEU – Der Weg bis 2026, COM(2025) 310 final .
(9)    Siehe die Empfehlungen des EWSA für eine solide Reform des Europäischen Semesters“, ABl. C 228 vom 29.6.2023 , den „ Standpunkt der organisierten Zivilgesellschaft in den EU-Mitgliedstaaten zu nationalen Reform- und Investitionsvorschlägen und ihrer Durchführung (Europäisches Semesters 2024/2025) “, und die „Empfehlungen des EWSA zu den Reform- und Investitionsvorschlägen im Rahmen des Europäischen Semesters 2024-2025“, ABl: C/2025/3194, 2.7.2025, ELI:  http://data.europa.eu/eli/C/2025/3194/oj .
(10)

   Entschließung im Hinblick auf den nächsten MFR (RESOL-VIII/005), Ausschuss der Regionen.

(11)    Stellungnahme des EWSA „Neue Vorschriften für eine zukunftsfähige wirtschaftspolitische Steuerung“ , ABl. C, C/2023/880, 8.12.2023, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2023/880/oj .
(12)     Debt Sustainability Monitor , Europäische Kommission, März 2025.