STELLUNGNAHME

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

Mehrjährige strategische Politik für das integrierte europäische Grenzmanagement

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Mehrjährige strategische Politik für das integrierte europäische Grenzmanagement

[COM(2023) 146 final]

SOC/772

Berichterstatter: Cristian PÎRVULESCU

Ko-Berichterstatter: José Antonio MORENO DÍAZ

DE

Befassung

Europäische Kommission, Schreiben vom 2.5.2023

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

05/09/2023

Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

79/0/7

Verabschiedung im Plenum

20/09/2023

Plenartagung Nr.

581

Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

179/4/6

1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Strategie für das integrierte europäische Grenzmanagement der Europäischen Union als Verwaltungsinstrument zur Stärkung der Koordinierung und der gemeinsamen Ziele der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Außengrenzen.

1.2Der EWSA ist sich bewusst, wie wichtig eine gemeinsame Strategie für ein besseres Außengrenzenmanagement ist, das die innere Sicherheit der Europäischen Union und die Sicherheit der in ihr ansässigen Personen sowie den Schutz der Grundrechte und die Gewährleistung des freien Personenverkehrs innerhalb der EU sicherstellt.

1.3Der EWSA begrüßt, dass im Rahmen des integrierten europäischen Grenzmanagements (European integrated border management – EIBM) die Notwendigkeit einer besseren Abstimmung zwischen den europäischen Agenturen bzw. Instrumenten und den entsprechenden Stellen bzw. Instrumenten der Mitgliedstaaten, die sich mit Fragen des Grenzschutzes befassen, betont wird, insbesondere im Hinblick auf den Informationsaustausch und die Schaffung einer gemeinsamen „Grenzkultur“, die den Schutz der Menschenrechte und der grundlegenden Garantien gewährleistet.

1.4Der EWSA unterstützt voll und ganz die strategische Leitlinie des EIBM, der zufolge die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten Grundrechtsgarantien in alle ihre Tätigkeiten integrieren sollten. Die Umsetzung dieser strategischen Leitlinie ist in ihrer ganzen Komplexität jedoch in erster Linie von dem Vorhandensein und der Arbeit von Grundrechtsbeobachtern innerhalb von Frontex abhängig. Der EWSA fordert die Kommission und Frontex auf, die Grundrechtsstrategie dahingehend zu überarbeiten, dass sie mit Blick auf die Arbeit und den Einfluss der Grundrechtsbeobachter konkrete Ziele beinhaltet.

1.5Da in der Strategie keine Präzisierung der Verpflichtungen der nationalen Grenzschutzeinrichtungen erfolgt, empfiehlt der EWSA der Kommission, den EIBM-Rahmen zu nutzen, um von jedem Mitgliedstaat einen Grundrechteplan für den Bereich des Grenzmanagements zu verlangen, der den Leitlinien für die Tätigkeit von Frontex entspricht und sie ergänzt.

1.6Der EWSA betont, dass ein echtes Gemeinsames Europäisches Asylsystem geschaffen werden muss, das wirksam, sicher und geschützt sowie für alle 27 Mitgliedstaaten gleich und verbindlich ist. Gleichzeitig bekräftigt er seinen Standpunkt, dass legale, sichere und wirksame Zugangswege für die Einwanderung zu Arbeitszwecken geschaffen werden sollten. Darüber hinaus bekräftigt der EWSA im Sinne einer ausgewogenen Migrationspolitik die Notwendigkeit, wirksame und realistische legale und sichere Migrationswege in die EU zu schaffen.

1.7Der EWSA bedauert, dass im Rahmen des EIBM die Rückschiebungspraktiken (Push-backs) nicht angemessen zur Kenntnis genommen und behandelt werden. Der EWSA fordert die Kommission in dieser Frage auf, klare Strategien auszuarbeiten und die nationalen Grenzbehörden zu verpflichten, diese inakzeptablen Praktiken zu vermeiden.

1.8Es ist sicherlich nützlich, ein integriertes europäisches Grenzmanagement zu fördern, das sich durch die Einhaltung des Unions- und des Völkerrechts, einschließlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, und durch die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte auszeichnet, jedoch weist der EWSA darauf hin, dass es sich bei der Achtung der Grundrechte um eine rechtliche Verpflichtung handelt, die für alle Institutionen der EU und der Nationalstaaten gilt und die auch dementsprechend behandelt werden sollte.

1.9Der EWSA betont, dass die Außen- und Kooperationspolitik der EU unter keinen Umständen von der Mitwirkung der Herkunftsländer an den Rückführungs- und Rückübernahmeverfahren abhängig gemacht werden dürfen.

1.10Das derzeitige Rückführungssystem, bei dem nur fünf Mitgliedstaaten für 80 % der von Frontex unterstützten Rückführungen verantwortlich sind, zeigt, dass es sich nicht lediglich um eine Frage der institutionellen Kapazitäten oder der Koordinierung handelt. In dieser Hinsicht unterscheiden sich in sämtlichen Ländern der EU die geografischen Gegebenheiten sowie die entsprechenden Rechtsrahmen und Praktiken. Es wäre ein strategischer und politischer Fehler, die EU zu einem Akteur zu machen, dem vor allem an Rückführungen gelegen ist.

1.11Der EWSA fordert alle Regierungen der Mitgliedstaaten der EU auf, durch die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum auf die Stärkung der Einheit der EU hinzuarbeiten und so die Personenfreizügigkeit der Unionsbürger zu fördern und das Grenzmanagement durch eine Ausrichtung der Institutionen der beiden Länder auf die Ziele der EU zu stärken.

2.Allgemeine Bemerkungen

2.1Laut der strategischen Risikoanalyse von Frontex wird das Management der Außengrenzen von verschiedenen Trends beeinflusst. Themen wie weltweite Ungleichheit, Klimawandel, Bevölkerungswachstum und mögliche gemeinsame Pandemien kommen zu den eher kurzfristigen geopolitischen Herausforderungen hinzu. So bestätigt sich beispielsweise im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erneut die Existenz eines feindlichen geopolitischen Umfelds an Europas östlichen Grenzen. All diese Herausforderungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Steuerung von Migration und Rückführungen sowie auf die Art und Weise, wie das Management der Außengrenzen der EU erfolgen sollte.

2.2Auf der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates am 9. Februar 2023 wurde darauf hingewiesen, wie wichtig eine wirksame Kontrolle der Außengrenzen der Europäischen Union als Teil eines umfassenden Migrationskonzepts ist. Als Reaktion hat die Europäische Kommission die Mitteilung zur Festlegung der mehrjährigen strategischen Politik für das integrierte europäische Grenzmanagement vorgelegt – das erste mehrjährige Instrument zur Schaffung eines gemeinsamen Rahmens und einer Orientierungshilfe für die wirksame Umsetzung des integrierten europäischen Grenzmanagements (EIBM) im Zeitraum 2023–2027.

2.3Gestützt auf die Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache zielt das EIBM auf die Steuerung der Arbeit der für das Grenzmanagement zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten sowie der Agentur Frontex ab. Auf operativer Ebene bildet diese Strategie den gemeinsamen Rahmen, der die Arbeit von über 120 000 Grenzschutzbeamten von Frontex und der Mitgliedstaaten lenken und somit für ein wirksames und effizientes integriertes europäisches Grenzmanagement sorgen soll.

2.4Das oberste Ziel des integrierten Grenzmanagements der gemeinsamen Außengrenzen ist die Erhöhung der inneren Sicherheit der Europäischen Union ohne Beeinträchtigung der Grundrechte und der erforderlichen Garantien für den freien Personenverkehr innerhalb der EU. Insbesondere verfolgt das EIBM folgende Ziele: Erleichterung legaler Grenzübertritte und Verbesserung der Wirksamkeit der europäischen Rückführungspolitik; Sicherstellung einer effektiven Verhinderung unbefugter Grenzübertritte an den Außengrenzen; Verhinderung und Aufdeckung grenzüberschreitender Kriminalität wie Schleusung von Migranten, Menschenhandel, Terrorismus und Drogenhandel; effektive Zusammenarbeit mit Drittländern sowie Versorgung von Personen, die internationalen Schutz benötigen.

2.5Die Grundsätze des EIBM sind in der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache festgelegt und beinhalten eine gemeinsame Verantwortung der für das Grenzmanagement und die Rückführung zuständigen Mitgliedstaaten sowie von Frontex, was auch die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch umfasst. Das EIBM basiert darüber hinaus auf einem Vierstufenmodell der Zugangskontrolle, das Maßnahmen in Drittstaaten, Maßnahmen in Zusammenarbeit mit benachbarten Drittstaaten, Kontrollmaßnahmen an den Außengrenzen sowie Maßnahmen innerhalb des Schengen-Raums und im Bereich Rückführungen umfasst. Daneben erfordert das EIBM eine umfassende, echtzeitnahe Lageerfassung für rechtzeitige Reaktionen sowie eine ständige Bereitschaft, auf neu auftretende Bedrohungen mit den erforderlichen und geeigneten Instrumenten zu reagieren. Die Anwendung des EIBM erfordert einen hohen Grad an Spezialisierung und Professionalität mit dem Ziel, eine auf Ausbildung beruhende gemeinsame Arbeitskultur der Grenzschutzbeamten mit ethischen Werten und Integrität zu entwickeln.

2.6Das Ziel des fünfjährigen Arbeitsplans des EIBM besteht darin, eine strategische Antwort auf die festgestellten Herausforderungen zu geben und durch die Schaffung von Synergien zwischen der Europäischen Union und den Nationalstaaten eine effiziente Verwaltung der Außengrenzen der Union zu gewährleisten.

3.Besondere Bemerkungen

3.1Der EWSA erkennt die Bedeutung der Europäischen Grenzwache an und begrüßt die Strategie für das integrierte europäische Grenzmanagement der Europäischen Union als Verwaltungsinstrument zur Stärkung der Koordinierung und der gemeinsamen Ziele der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Außengrenzen.

3.2Der EWSA ist sich bewusst, wie wichtig eine gemeinsame Strategie für ein besseres Außengrenzenmanagement ist, das die innere Sicherheit der Europäischen Union, ihrer Bürger und sonstiger in der EU ansässiger Personen sowie den Schutz der Grundrechte und die Gewährleistung des freien Personenverkehrs innerhalb der EU sicherstellt.

3.3Der EWSA begrüßt, dass im Rahmen des EIBM die Notwendigkeit einer besseren Abstimmung zwischen den europäischen Agenturen bzw. Instrumenten und den entsprechenden Stellen bzw. Instrumenten der Mitgliedstaaten, die sich mit Fragen des Grenzschutzes befassen, betont wird, insbesondere im Hinblick auf den Informationsaustausch und die Schaffung einer gemeinsamen „Grenzkultur“, die den Schutz der Menschenrechte und der grundlegenden Garantien gewährleistet.

3.4Der EWSA ist der Auffassung, dass die Zusammenarbeit mit den Institutionen und Beamten der Mitgliedstaaten für den Erfolg der Strategie von entscheidender Bedeutung ist. Auch wenn Frontex nicht reibungslos funktioniert, scheint der Kapazitätenaufbau, die Mitarbeiterausbildung und -überwachung sowie die Verbesserung der Arbeitsverfahren schneller vonstatten zu gehen. Die nationalen Grenzschutzeinrichtungen, die den größten Teil der Zuständigkeiten und Ressourcen auf sich vereinen und die von ihrer Organisationskultur her hinsichtlich Reformen und Zusammenarbeit eher zurückhaltend sind, müssen angehalten werden, sich den Herausforderungen des gemeinsamen Grenzmanagements zu stellen.

3.5Der EWSA unterstützt voll und ganz die strategische Leitlinie des EIBM, der zufolge Frontex und die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten Grundrechtsgarantien in alle ihre Tätigkeiten integrieren sollten, und dass dies auch für operative Tätigkeiten, Analysen und Risikobewertungen, Planungstätigkeiten, Rückführungsmaßnahmen, Schulungen und Fortbildungen sowie für die Zusammenarbeit mit externen Partnern gilt. 1

3.6Die Umsetzung dieser strategischen Leitlinie ist in ihrer ganzen Komplexität jedoch in erster Linie von dem Vorhandensein und der Arbeit von Grundrechtsbeobachtern unter Anleitung eines Grundrechtsbeauftragten innerhalb von Frontex abhängig. 2 Um wirklich etwas bewirken zu können, muss es eine ausreichende Zahl von Grundrechtsbeobachtern geben, und sie müssen gut qualifiziert, unabhängig und an allen relevanten Orten, auch in Grenzgebieten, präsent sein. Der EWSA fordert die Kommission und Frontex auf, die Grundrechtsstrategie dahingehend zu überarbeiten, dass sie mit Blick auf die Arbeit und den Einfluss der Grundrechtsbeobachter konkrete Ziele beinhaltet.

3.7In diesem Zusammenhang erfolgt in der Strategie – mit weitreichenden negativen Folgen – keine Präzisierung der Verpflichtungen der nationalen Grenzschutzeinrichtungen. Grundrechtsgarantien, Verfahren, Zuständigkeiten und Kapazitäten werden hier nur vereinzelt genannt. Der EWSA empfiehlt der Kommission, den EIBM-Rahmen zu nutzen, um von jedem Mitgliedstaat einen Grundrechteplan für den Bereich des Grenzmanagements zu verlangen, der den Leitlinien der Tätigkeit von Frontex entspricht und sie ergänzt.

3.8Der EWSA bedauert, dass das EIBM das Narrativ verstärkt, dem zufolge Einwanderung und Asyl zu potenziellen Risiken für die Europäische Union umgedeutet werden. Die irreguläre Einwanderung als Bedrohung zu behandeln, die mit Menschenhandel, illegalem Waffenhandel oder Terrorismus auf einer Stufe steht, ist vollkommen inakzeptabel und belastet und vergiftet den Umgang mit Menschen, die versuchen, irregulär in die EU einzureisen, und möglicherweise internationalen Schutz benötigen.

3.9Der EWSA betont, dass ein echtes Gemeinsames Europäisches Asylsystem geschaffen werden muss, das wirksam, sicher und geschützt sowie für alle 27 Mitgliedstaaten gleich und verbindlich ist. Gleichzeitig bekräftigt er seinen Standpunkt, dass legale, sichere und wirksame Zugangswege für die Einwanderung zu Arbeitszwecken geschaffen werden sollten. Solange wir auf der falschen Vorstellung einer so genannten „Festung Europa“ beharren, werden sich die Migrationsbewegungen nach Zugangsmöglichkeiten ausrichten, die leider in vielen Fällen nicht legal sind.

3.10Der EWSA hofft, dass die an Grenzverfahren beteiligten Personen im Rahmen der interinstitutionellen Verhandlungen über die Umsetzung des neuen Migrations- und Asylpakets zwischen dem Rat der EU, den Ratsvorsitzen und dem Europäischen Parlament mehr Verfahrensgarantien erhalten. In dem kürzlich vom Rat der EU angenommenen Standpunkt werden Schritte in die richtige Richtung vorgeschlagen, z. B. sollen für Asylbewerber Dolmetscher bereitgestellt werden, und es soll ein Anspruch auf Rechtsberatung und ‑vertretung bestehen. 3 Dennoch birgt das Grenzverfahren aufgrund der Unsicherheiten, der Notwendigkeit einer Verkürzung der Verfahrensdauer und des wirksamen Zugangs zu Schutz und Unterstützung erhebliche Risiken mit Blick auf die Wahrung der Grundrechte.

3.11Der EWSA bedauert, dass im Rahmen des EIBM die Praktiken der Push-backs nicht angemessen zur Kenntnis genommen und behandelt werden. Strategien und Vorschriften verlieren jeglichen Wert, wenn Menschen verletzt werden oder sogar zu Tode kommen, weil einige Grenzbeamte ihren Pflichten mitunter nicht angemessen nachkommen. Der EWSA fordert die Kommission in dieser Frage auf, klare Strategien auszuarbeiten und die nationalen Grenzbehörden anzuhalten, diese inakzeptablen Praktiken zu vermeiden.

3.12Beim Umgang mit Menschen – vor allem wenn sich diese in unmittelbaren Gefahrensituationen befinden – sollte sich die Arbeit der nationalen Grenzschutzbeamten und anderer Mitarbeiter der Strafverfolgungsbehörden nach eindeutigen Regeln und Verfahren richten. Diese müssen kodifiziert werden, und das Verhalten des Personals sollte von nationalen Institutionen, Einrichtungen der EU und zivilgesellschaftlichen Organisationen transparent überwacht werden.

3.13Der EWSA hält es für problematisch, dass die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung den Schutz der Grundrechte durch Frontex und die Mitgliedstaaten als Teil eines integrierten europäischen Grenzmanagements sieht, „das sich durch die Einhaltung des Unionsrechts und des Völkerrechts, einschließlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, und die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte auszeichnet“. Ein derartiges Grenzmanagement (oder eine solche Kultur, wie es in der englischen Version des Textes heißt – Anm.d.Ü.), sollte gefördert werden, aber bei der Achtung der Grundrechte handelt es sich um eine rechtliche Verpflichtung, die für alle Institutionen der EU und der Nationalstaaten gilt. Und so sollte sie auch behandelt werden.

3.14Der EWSA ist sich der in den meisten Mitgliedstaaten vorhandenen Schwierigkeiten einer effektiven Rückführung und des Wunsches der Kommission bewusst, ein gemeinsames und wirksames europäisches Rückführungssystem zu schaffen. In jedem Fall müssen die Grundrechte der zurückzuführenden Personen stets gewährleistet sein. Das gilt insbesondere für den Grundsatz der Nichtzurückweisung, der besagt, dass niemand in irgendeiner Weise über die Grenzen von Gebieten zurückgeführt werden darf, in denen sein Leben oder seine Freiheit aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Überzeugung bedroht wäre.

3.15Der EWSA möchte jedoch darauf hinweisen, dass die meisten Rückführungen aufgrund der mangelnden Einbeziehung und Beteiligung der Herkunftsländer nicht richtig funktionieren, und verweist auf die Risiken, die damit einhergehen, die Migrationspolitik der EU vom Willen von Drittstaaten (und Anreizen, die von diesen gefordert werden) abhängig zu machen. Der EWSA betont, dass die Außen- und Kooperationspolitik der EU unter keinen Umständen von der Mitwirkung der Herkunftsländer an den Rückführungs- und Rückübernahmeverfahren abhängig gemacht werden dürfen: Im Gegenteil, die EU-Politik muss die Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit als Grundlage für jegliche Zusammenarbeit mit Drittstaaten einfordern.

3.16Das derzeitige Rückführungssystem, bei dem nur fünf Mitgliedstaaten für 80 % der von Frontex unterstützten Rückführungen verantwortlich sind, zeigt, dass es sich nicht lediglich um eine Frage der institutionellen Kapazitäten oder der Koordinierung handelt. In dieser Hinsicht unterscheiden sich in sämtlichen Ländern der EU die geografischen Gegebenheiten sowie die entsprechenden Rechtsrahmen und Praktiken. Es wäre ein strategischer und politischer Fehler, die EU zu einem Akteur zu machen, dem vor allem an Rückführungen gelegen ist.

3.17Der EWSA betont, dass die Verwendung von Begriffen wie „Instrumentalisierung“ zur Kriminalisierung von Migrationsströmen und insbesondere von Menschen, die internationalen Schutz brauchen, führen könnte. Der EWSA ist weiter der Ansicht, dass der Begriff „Instrumentalisierung von Migration“ auch als politischer Vorwand verwendet wurde, um in katastrophalen humanitären Situationen eine Blockadehaltung hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte zu verschleiern.

3.18Aber selbst wenn es an der EU-Außengrenze Fälle gibt, in denen Migranten staatlich gefördert instrumentalisiert werden – eine Praxis, die der Ausschuss voll umfänglich verurteilt –, sollte eine Reaktion auch dann im Einklang mit den höchsten Standards des EU- und des Völkerrechts erfolgen und die uneingeschränkte und unverzügliche Anerkennung der Rechte der betreffenden Personen gewährleisten. 4

3.19Der EWSA begrüßt, dass die angespannte Lage hinsichtlich des Schutzes der Menschenrechte und der Einhaltung der internationalen Verpflichtungen in der Welt zur Kenntnis genommen wird sowie dass sich die EU verpflichtet hat, für deren Schutz einzutreten. Er weist darauf hin, dass der bestehende internationale Rahmen für Flüchtlinge eingehalten werden muss und dass der Schutz des Asylrechts von zentraler Bedeutung ist und besonders an den Außengrenzen der EU gewährleistet werden muss.

3.20Der EWSA betont, dass die Unterstützung von Drittstaaten, vor allem über das Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit – Europa in der Welt (NDICI-GE) und das Instrument für die Heranführungshilfe (IPA III), nicht dazu führen darf, dass Mittel von den wichtigsten Entwicklungszielen abgezogen und für die Migrationskontrolle verwendet werden.

3.21Der EWSA ist der Ansicht, dass bei der Entwicklung der Komponenten des EIBM ein erhebliches Ungleichgewicht besteht, da Fragen der Grenzkontrolle und der Rückführung eingehend dargelegt werden, während Themen wie der Schutz der Grundrechte oder die Ausbildung derjenigen, die sich mit diesen Fragen befassen, nicht ausführlich genug behandelt werden.

3.22Der EWSA bedauert, dass angesichts der in der jüngsten Vergangenheit zu beobachtenden Fälle von Übergriffen und Rechtsverletzungen nicht mehr Instrumente zur Bewertung und Überwachung der Tätigkeit jener Personen entwickelt werden, die mit Aufgaben im Zusammenhang mit dem Schutz der Außengrenzen betraut sind.

3.23Der EWSA hält es für unerlässlich, die Koordinierung und den Informationsaustausch zwischen den mit Fragen der Grenzkontrolle befassten Institutionen und Agenturen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten voranzutreiben, und ist sich in diesem Zusammenhang der Bedeutung der neuen Technologien bewusst. Er betont, dass der Schutz und der Austausch von Daten 5 (Visa-Informationssystem), insbesondere im Hinblick auf schutzbedürftige Personen 6 , stets gewährleistet sein müssen.

3.24Der EWSA begrüßt die Zusage der Kommission, die Entwicklung des EIBM in vier Jahren zu bewerten, ist jedoch der Ansicht, dass der beigefügte Vorschlag keine konkreten Maßnahmen enthält, die über die strategischen Vorgaben und politischen Prioritäten hinausgehen.

3.25Der EWSA fordert alle Regierungen der Mitgliedstaaten der EU auf, durch die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum auf die Stärkung der Einheit der EU hinzuarbeiten und so die Personenfreizügigkeit der Unionsbürger zu fördern und das Grenzmanagement durch eine Ausrichtung der Institutionen der beiden Länder auf die Ziele der EU zu stärken.

Brüssel, den 20. September 2023

Oliver RÖPKE

Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

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(1)    COM(2023) 146 final, Anhang, Komponente 13 „Grundrechte“, S. 29.
(2)    Grundrechtsstrategie der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache, Februar 2021.
(3)    Rat der EU: „Migrationspolitik: Rat erzielt Einigung über wichtige Asyl- und Migrationsgesetze“, Pressemitteilung vom 8. Juni 2023.
(4)     ABl. C 365 vom 23.9.2022, S. 60 .
(5)    IT-Großsysteme wie bspw. Eurodac, das Visa-Informationssystem, das Schengener Informationssystem, das Zollinformationssystem usw.
(6)     ABl. C 228 vom 29.6.2023, S. 97 .