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NAT/899

Die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die Landwirtschaft und den ländlichen Raum

STELLUNGNAHME

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die Landwirtschaft und den ländlichen Raum

(Initiativstellungnahme)

Kontakt

nat@eesc.europa.eu  

Verwaltungsrat

Nicolas STENGER

Datum des Dokuments

27/11/2023

Berichterstatter: Simo TIAINEN

Beschluss des Plenums

23/02/2023

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

22/11/2023

Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

48/0/0

Verabschiedung im Plenum

DD/MM/YYYY

Plenartagung Nr.

Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

…/…/…



1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1Der Anstieg der Energiepreise und die Gefahr von Unterbrechungen der Energieversorgung gehörten im vergangenen Jahr zu den größten Problemen der Europäischen Union. Die EU und die Mitgliedstaaten haben dagegen ein ganzes Bündel von Maßnahmen ergriffen. Die ländlichen Gebiete und insbesondere die Landwirtschaft in der EU sind stark von den hohen Energiepreisen betroffen.

1.2Der EWSA stellt fest, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten mehrere Maßnahmen ergriffen haben, um den Auswirkungen der steigenden Energiepreise entgegenzuwirken. Der EWSA meint, dass die Mitgliedstaaten anstelle nationaler Ad-hoc-Maßnahmen stärker die Instrumente im Rahmen der nationalen GAP-Strategiepläne nutzen sollten, um Krisen zu bewältigen, die sich aus raschen Marktveränderungen ergeben.

1.3Der EWSA weist darauf hin, dass rasch steigende Preise und somit rasch steigende Produktionskosten auch im Hinblick auf die Instrumente der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) problematisch sind. Daher schlägt der EWSA der Kommission vor, in Erwägung zu ziehen, nach 2027 antizyklische Elemente in die GAP-Instrumente aufzunehmen.

1.4Der EWSA unterstützt alle Initiativen, die darauf abzielen, die Abhängigkeit von fossilen Betriebsmitteln und Energiequellen zu verringern. Der EWSA betont, dass die Politikkohärenz verbessert werden muss, um den ökologischen Wandel, insbesondere die Dekarbonisierung und die Nutzung nichtfossiler Energien, voranzutreiben. Neben der GAP und der Politik für den ländlichen Raum müssen diese Ziele auch in anderen Politikbereichen stärker berücksichtigt werden.

1.5Der EWSA ist entschieden der Ansicht, dass die Vertragspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette die höheren Produktionskosten in der Primärproduktion besser reflektieren sollten. In der Lebensmittelbranche sind die Verträge in der Regel so starr, dass sie rasche Änderungen der Produktionskosten nicht ausreichend abbilden. Der EWSA sieht hier eindeutig einen Verbesserungsbedarf. Der EWSA spricht sich für eine Angleichung der verschiedenen vertragsrechtlichen Vorschriften und Praktiken aus, um für Kohärenz und Effizienz unter den Mitgliedstaaten zu sorgen. Der EWSA betont, dass die Qualität der statistischen Daten über die Erzeugungskosten und die Gewinnspannen der Landwirte verbessert werden muss.

1.6Die hohen Energiepreise belasten Gewerbe und Wirtschaft in den ländlichen Gebieten. Die Unsicherheit trübt das Investitionsklima und erhöht die Schwelle bei der Einstellung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist zu befürchten, dass sich die Beschäftigungsaussichten insbesondere auf dem Land und in abgelegenen ländlichen Gegenden, in denen es kaum Beschäftigungsalternativen gibt, verschlechtern. Der Ausbau der Energieinfrastruktur schafft neue Beschäftigungsmöglichkeiten und ggf. auch alternative Einkommensquellen für die Landwirtschaft und andere Akteure im ländlichen Raum.

1.7Der EWSA weist darauf hin, dass die Zukunft und die Prosperität ländlicher Gebiete von großer Bedeutung für die Ernährungssicherheit, die strategische Autonomie 1 und die Resilienz Europas sowie für einen nachhaltigen Energiemix sind, der zur Energieunabhängigkeit der EU beiträgt. Der EWSA hält es für wichtig, sich für die Umsetzung der Ziele der langfristigen Vision der EU für den ländlichen Raum einzusetzen 2 . Darüber hinaus betont der EWSA, wie wichtig es ist, die ländliche Infrastruktur in der gesamten EU zu erhalten und auszubauen. Eine angemessene und gut unterhaltene Infrastruktur verbessert die Resilienz und ermöglicht die Anpassung an sich abzeichnende Krisen.

1.8Der EWSA betont, dass die Rolle lokaler und regionaler Energiegemeinschaften anerkannt und gefördert werden muss, um eine gerechte und effiziente Energiewende in ländlichen Gebieten zu erreichen. 3 Der EWSA sieht viele Chancen in Energiegemeinschaften. Aus der Perspektive der ländlichen Gebiete sind besonders die Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften höchst interessant. Die Förderung lokaler und regionaler Energiegemeinschaften muss mit einem einfachen Zugang, bürokratischer Flexibilität und geringerem Verwaltungsaufwand einhergehen. Es ist wichtig, dass diese Arten von Projekten in ländlichen Gebieten auch mit EU‑Mitteln unterstützt werden.

1.9Der EWSA unterstreicht, dass Energieeinsparungen und Energieeffizienz sowohl für den privaten als auch für den öffentlichen Verbrauch bedeutungsvoll sind. Der Weg dorthin führt unter anderem über die energetische Renovierung von Gebäuden, Investitionen in neue Maschinen und andere Technologien sowie weniger energieintensive landwirtschaftliche Tätigkeiten.

2.Einleitung

2.1Der brutale, grundlose und ungerechtfertigte Krieg Russlands gegen die Ukraine hat eine beispiellose Energiekrise in der EU ausgelöst. Die Energiepreise begannen im Herbst 2021 rasch zu steigen, und nach dem Ausbruch des Krieges Ende Februar 2022 schnellten sie sprunghaft in die Höhe. Stark gestiegene Energiepreise bereiten seitdem den Menschen und den Unternehmen überall in der EU Schwierigkeiten. Der Anstieg der Energiepreise und die Gefahr von Unterbrechungen der Energieversorgung gehörten im vergangenen Jahr zu den größten Problemen der Europäischen Union. Die EU und die Mitgliedstaaten haben dagegen ein ganzes Bündel von Maßnahmen ergriffen. Gleichzeitig bemüht sich die EU, den ehrgeizigen Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft zu bewerkstelligen. In dieser Stellungnahme sollen die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die Landwirtschaft und den ländlichen Raum eingehender untersucht und Empfehlungen zur Minderung der Auswirkungen unterbreitet werden.

2.2Die Landwirtschaft, die ein strategischer Sektor der EU und ein tragender Pfeiler unserer ländlichen Gebiete ist, wurde von den hohen Energiepreisen schwer getroffen. Die landwirtschaftliche Produktion erfordert sehr viel Energie, entweder direkt oder indirekt in Form von energieintensiven Produktionsmitteln, insbesondere Dünger. Die gestiegenen Energiepreise machen die landwirtschaftliche Produktion erheblich teurer und führen zu einer größeren Marktunsicherheit. Infolgedessen mussten viele Landwirte eine Verschlechterung ihrer Finanzsituation hinnehmen und hatten es schwer, den Betrieb weiterzuführen.

2.3Landwirtschaft ist eine oftmals saisonale Tätigkeit, und demnach unterliegt auch der Energieverbrauch der Landwirtschaft saisonalen Schwankungen. In der Saison ist eine Anpassung des Energieverbrauchs als Reaktion auf Preissteigerungen oder Energieengpässe oft kaum möglich. In der Vegetationsperiode müssen Bewässerungs- und sonstige Wasserbewirtschaftungsverfahren in Gang gehalten und Landmaschinen zeitgenau eingesetzt werden. Abrupte Preisspitzen verursachen unvorhergesehene Kosten und können die Liquidität und Rentabilität landwirtschaftlicher Betriebe und sonstiger Wirtschaftstätigkeiten auf dem Land gefährden.

2.4In ländlichen Gebieten haben die hohen Energiepreise zu höheren Kosten für Grundbedürfnisse wie Heizung, Strom, Logistik und Transport geführt. Auf dem Lande ist die Energieinfrastruktur häufig weitmaschiger und oftmals sind lange Entfernungen zurückzulegen. Die Situation hat die Landbevölkerung und ländliche Unternehmen erheblich belastet. Das Durchschnittseinkommen ist in ländlichen Gebieten niedriger als in Städten 4 . Die Menschen auf dem Lande sind stärker von sozialer Ausgrenzung und Energiearmut bedroht. Die Situation macht es auch den Unternehmen auf dem Lande schwer, ihre Tätigkeit aufrechtzuerhalten und wettbewerbsfähig zu bleiben. Angesichts der hohen Energiepreise ist es für die Menschen und die Unternehmen auf dem Lande schwieriger geworden, sich eine erschwingliche und verlässliche Energieversorgung zu sichern. Dies stellt eine zunehmende Armutsgefährdung im ländlichen Raum dar.

2.5Rasche Marktveränderungen haben Folgen für die gesamte Gesellschaft. Turbulenzen auf den Energiemärkten waren eine der Hauptursachen für die Inflation in der EU. Der harmonisierte Verbraucherpreisindex für Strom, Gas und andere Brennstoffe lag 2022 im Durchschnitt 60 % über dem Preisniveau von 2020. In der Landwirtschaft war die entsprechende Verteuerung der Energiepreise sogar noch stärker zu spüren. Dort stiegen die Energiepreise im selben Zweijahreszeitraum nämlich um insgesamt 86 % 5 .

3.Auswirkungen der hohen Energiepreise auf den Agrarsektor

3.1Das Tempo der auf dem EU-Energiemarkt in den Jahren 2021 und 2022 beobachteten Veränderungen spiegelt sich am deutlichsten in der Entwicklung der Erdgaspreise wider. Der Erdgaspreis ist ein guter Indikator für den Trend bei den allgemeinen Energiepreisen, da Gas eine wichtige Quelle thermischer Energie und preisbestimmend auf dem EU-Strommarkt ist. Im Bereich der Landwirtschaft ist Erdgas ein wichtiger Einsatzstoff für die Herstellung von Stickstoffdüngern. Zusätzlich zum Marktgeschehen bei Erdgas hat die weltweite Entwicklung der Ölpreise zu einem raschen Anstieg der Kraftstoffpreise geführt. Der gleichzeitige Anstieg der Öl- und Gaspreise ist in der Landwirtschaft weitaus folgenschwerer.

3.2Bei Landwirten zeigen sich die Auswirkungen steigender Energiepreise in den direkten Produktionskosten, den Zwischenprodukten und im privaten Verbrauch. Der allgemeine Energiepreis in der landwirtschaftlichen Erzeugung war 2022 um 86 % höher als 2020. Der stärkste Anstieg war bei Heizstoffen mit einem Anstieg von 225 % im Vergleich zu 2020 zu verzeichnen. Zum Vergleich: Der Preisanstieg bei Düngemitteln betrug 142 % und bei Strom 72 % 6 .

3.3Aufgrund der höheren Preise für Betriebsmittel sind die Gesamtproduktionskosten in der Landwirtschaft deutlich gestiegen. Die wichtigsten landwirtschaftlichen Betriebsmittel weisen eine sehr geringe Nachfrageelastizität auf. Das bedeutet, dass sich die Nachfrage bei einer Preisänderung nur wenig verändert.

3.4In der Landwirtschaft lassen rasche kurzfristige Preisänderungen je nach Sektor oder Produktionszweig oft nur wenig Spielraum für Anpassungen. Energie und Düngemittel machen einen relativ bedeutenden Anteil am gesamten Betriebsmitteleinsatz in der Landwirtschaft aus. Eurostat 7 zufolge betrug der Anteil der Energie im Agrarsektor der EU im Jahr 2022 13,2 %. Darüber hinaus stiegen die Preise für andere landwirtschaftliche Betriebsmittel.

3.5In der EU-Landwirtschaft legten die Düngemittelkosten zwischen 2020 und 2022 um 103 % zu. Da der beobachtete Preisanstieg im Vergleich zu den Kostenänderungen etwas höher ist, war die Gesamtmenge der in der Produktion eingesetzten Düngemittel 2022 niedriger als 2020. Im Vergleich dazu waren die Gesamtenergiekosten im selben Zeitraum um 66 % höher. Folglich war der Energieverbrauch in der Landwirtschaft 2022 ebenfalls geringer 8 .

3.6Die starken Schwankungen der Energiepreise haben sowohl mittel- als auch langfristige Folgen. Mittelfristig könnte der energiepreisbedingte Anstieg der Produktionskosten den Strukturwandel in der Landwirtschaft beschleunigen und sowohl zur Aufgabe von Höfen als auch zu Umstellungen in der Produktion führen. Ähnliche Auswirkungen sind auch bei anderen ländlichen Unternehmen zu verzeichnen. Langfristig beschleunigen steigende Energiepreise die Umstellung auf wirksamere oder effizientere Produktionsverfahren, die die natürlichen Ressourcen oder Betriebsmittel wirtschaftlicher nutzen.

4.Auswirkungen der hohen Energiepreise auf den ländlichen Raum

4.1Die speziellen Faktoren, die die energiepreisbedingte Inflation beeinflussen, sind je nach Region, Land und individuellen Gegebenheiten unterschiedlich. Die Auswirkungen steigender Energiekosten sind in ländlichen Gebieten größer als in stadtnahen und städtischen Gebieten. Dies ist insbesondere auf höhere Verteilungs- und Lieferkosten, einen begrenzten Wettbewerb zwischen den Energieversorgern, Herausforderungen bei der Energieinfrastruktur sowie auf Subventionen und Unterschiede in der Politikgestaltung zurückzuführen.

4.2Die rasch steigenden Energiepreise und die insgesamt hohe Inflation haben die Kaufkraft der Verbraucher geschwächt. Im Allgemeinen reichte das Tempo der Lohn- und Einkommensentwicklung nicht aus, um mit der rasch steigenden Inflation Schritt zu halten.

4.32022 war der durchschnittliche Strompreis für Verbraucher in der EU um 44 % höher als 2020. Der Verbraucherpreis für Gas stieg im selben Zeitraum um 72 % und für Heizenergie um 24 %. Der relative Anteil der Gesamtverbrauchsausgaben für Strom, Gas und andere Brennstoffe nahm von 2020 bis 2022 zu 9 .

4.4Die hohen Energiepreise treiben die Lebenshaltungskosten der Landbevölkerung in die Höhe. Das macht Grundbedürfnisse wie Heizung, Strom und Transport für sie schwerer erschwinglich. Steigende Energiepreise tragen zu Energiearmut auf dem Land bei. Einzelne oder Haushalte können es sich nicht mehr leisten, ausreichend Energie zu kaufen. Dies kann dazu führen, dass sie Abstriche bei einer verlässlichen Heizung, Kühlung, Beleuchtung und anderen wesentlichen Energiebedürfnissen machen müssen. Energiearmut kann schädliche Folgen für die Gesundheit, die Bildung und die allgemeine Lebensqualität in ländlichen Gebieten haben, insbesondere bei schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen und älteren Menschen.

4.5Die hohen Energiepreise schaden auch Unternehmen und der Wirtschaftstätigkeit in ländlichen Gebieten. Nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch viele Unternehmen auf dem Lande leiden darunter. Die Unsicherheit trübt das Investitionsklima und erhöht die Schwelle bei der Einstellung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch der in vielen ländlichen Gebieten so wichtige Tourismus bekommt die hohen Energiepreise schmerzlich zu spüren. Es ist zu befürchten, dass sich die Beschäftigungsaussichten insbesondere auf dem Land und in abgelegenen ländlichen Gegenden, in denen es kaum Beschäftigungsalternativen gibt, verschlechtern.

5.Allgemeine Bemerkungen

5.1Der EWSA stellt fest, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten mehrere Maßnahmen ergriffen haben, um den Auswirkungen der steigenden Energiepreise entgegenzuwirken. Zu diesen Maßnahmen gehören u. a. die außerordentlichen Unterstützungspakete für die am stärksten von den Ereignissen in der Ukraine im Jahr 2022 und den anhaltend hohen Betriebsmittelkosten im Jahr 2023 betroffenen Landwirte, höhere Obergrenzen für begrenzte Beihilfebeträge für Landwirte, Flexibilität und etwaige Unterstützung für Unternehmen, die unter den steigenden Energiekosten leiden, sowie die vorübergehende Abschaffung der Zölle auf Düngemittel mit Ausnahme von Düngemitteln aus Russland und Belarus. Steigende Energiepreise machen Investitionen in alternative Energiequellen auch in der Landwirtschaft attraktiver. Es gibt immer mehr Anreize zur Ausweitung der Präzisionslandwirtschaft. Kostspielige Technologien werden sich in kurzer Zeit auszahlen und kurzfristig bereits höhere Erlöse ermöglichen.

5.2Der EWSA unterstützt die Initiativen der Kommission zur Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Betriebsmitteln und Energiequellen. Der Mitteilung über die Sicherstellung der Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von Düngemitteln 10 zufolge wird die Kommission eine bessere Versorgung mit organischen Düngemitteln und Nährstoffen aus recycelten Abfallströmen fördern, insbesondere in Regionen mit geringem Einsatz von organischen Düngemitteln. Sie wird die europäische Stickstoffdüngemittelindustrie bei der Umstellung auf Ammoniak, das mittels erneuerbarem und sauberem Wasserstoff hergestellt wird, unterstützen und für ein stabiles und praktikables Regelungsumfeld für die Erzeugung von erneuerbarem und CO2-armem Wasserstoff sorgen. Damit will sie erreichen, dass sich rasch ein Markt für Düngemittel auf Basis erneuerbaren und CO2-armen Wasserstoffs entwickeln kann. Die Europäische Kommission muss stärker darauf setzen, den Einsatz organischer Düngemittel in der künftigen GAP zu fördern, was durch Umweltprogramme geschehen könnte, die Anreize für die Landwirte schaffen.

5.3Der EWSA meint, dass die Mitgliedstaaten anstelle nationaler Ad-hoc-Maßnahmen stärker die Instrumente im Rahmen der nationalen GAP-Strategiepläne nutzen sollten, um Krisen zu bewältigen, die sich aus raschen Marktveränderungen ergeben. Eine Überprüfung 11 ergab, dass nur 14 Mitgliedstaaten GAP-Risikomanagementinstrumente in ihren nationalen GAP-Strategieplänen umsetzen. Sie sollten auch Instrumente zur Absicherung gegen Kosten oder andere kostendämpfende Maßnahmen umfassen. Die bisherigen, im Rahmen der Pläne genehmigten Instrumente ergänzen hauptsächlich Versicherungsregelungen gegen Ernteverluste oder sonstige wetterbedingte Ergebnisse. Es gibt jedoch auch ein Beispiel für ein Instrument zur Einkommensstabilisierung in den genehmigten nationalen GAP-Strategieplänen.

5.4Der EWSA weist darauf hin, dass rasch steigende Preise und somit rasch steigende Produktionskosten auch im Hinblick auf die Instrumente der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) problematisch sind. Die direkten Beihilfen im Rahmen der GAP werden oft als Maßnahmen zur Stabilisierung der Einkommen der Landwirte angesichts rascher Marktveränderungen gerechtfertigt. Mit der derzeitigen GAP kann den Folgen des raschen Anstiegs der Produktionskosten in der Landwirtschaft jedoch nicht ausreichend Rechnung getragen werden. Daher schlägt der EWSA der Kommission vor, in Erwägung zu ziehen, ab 2027 antizyklische Elemente mit ausreichender Mittelausstattung in das Instrumentarium der GAP aufzunehmen. Ein antizyklisches Vorgehen würde das Stützungsniveau stärker an die Marktentwicklungen koppeln und das Sicherheitsnetz gegen steigende Kosten und sinkende Gewinne verstärken.

5.5Der EWSA ist entschieden der Ansicht, dass die Vertragsgestaltung in der Lebensmittelversorgungskette die fluktuierenden Produktionskosten in der Primärproduktion besser widerspiegeln sollte. In der Lebensmittelbranche sind die Verträge in der Regel so starr, dass sie rasche Änderungen der Produktionskosten nicht ausreichend abbilden. Der EWSA sieht hier eindeutig einen Verbesserungsbedarf. Der EWSA spricht sich für eine Angleichung der verschiedenen vertragsrechtlichen Vorschriften und Praktiken aus, um für Kohärenz und Effizienz unter den Mitgliedstaaten zu sorgen.

5.6Der europäische Grüne Deal und die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ zielen darauf ab, den Einsatz anorganischer Stickstoffdünger in der Landwirtschaft zu verringern. Ein zentrales Ziel ist die Verringerung der Abhängigkeit der EU-Landwirtschaft von mit fossiler Energie produzierten Stickstoffdüngern. Eine verstärkte Nutzung recycelter Nährstoffe und nichtfossiler Stickstoffquellen wäre gut für die Umwelt und würde regional neue Geschäfts- und Innovationsmöglichkeiten eröffnen. 12 Dies ist auch wichtig, um das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 zu erreichen.

5.7Der EWSA betont, dass die Politikkohärenz verbessert werden muss, um den ökologischen Wandel, insbesondere die Dekarbonisierung und die Nutzung nichtfossiler Energien, voranzutreiben. Neben der GAP und der Politik für den ländlichen Raum müssen diese Ziele auch in anderen Politikbereichen stärker zum Tragen kommen. Dies erfordert u. a. eine bessere Nutzung von Investitions- und Risikokapitalprogrammen außerhalb des EU-Haushalts. Um die Kohärenz der Politik zu gewährleisten, sollten bei allen politischen Programmen die Auswirkungen auf den ländlichen Raum geprüft werden.

5.8Der EWSA weist darauf hin, dass die Zukunft und die Prosperität ländlicher Gebiete von großer Bedeutung für die Ernährungssicherheit, die strategische Autonomie 13 und die Resilienz Europas sowie für einen nachhaltigen Energiemix sind, der zur Energieunabhängigkeit der EU beiträgt. Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den ländlichen Raum beim Ausbau der nachhaltigen Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen weiter zu unterstützen, auch durch die Beseitigung bestehender Hindernisse, die Dezentralisierung von Erzeugungs- und Speichersystemen, den Ausbau der Energienetze und die Ausbildung qualifizierter Fachkräfte sowie durch die Förderung der Nutzung erneuerbarer Energien als Beitrag zur Energieautonomie, zur Einkommensdiversifizierung und zur Bekämpfung der Energiearmut und des Klimawandels.

5.9Darüber hinaus betont der EWSA, wie wichtig es ist, die ländliche Infrastruktur in der gesamten EU zu erhalten und auszubauen. Eine angemessene und gut unterhaltene Infrastruktur verbessert die Resilienz und ermöglicht die Anpassung an sich abzeichnende Krisen. Ein wesentliches Element der Infrastruktur ist ein flächendeckendes Breitbandnetz in allen ländlichen Gebieten. Breitbandnetze verringern den Pendelbedarf und schaffen somit bessere Bedingungen für Telearbeit. Darüber hinaus verbessern sie die Betriebsbedingungen ländlicher Unternehmen und tragen somit unmittelbar zur Beschäftigung im ländlichen Raum bei.

5.10Der EWSA betont, dass erneuerbare Energien und die Förderung der lokalen Energieerzeugung und von Energiegemeinschaften ein wichtiger Bestandteil der langfristigen Vision der EU für den ländlichen Raum sind. 14 Der EWSA hält es für wichtig, sich für die Umsetzung der Ziele dieser Vision einzusetzen. In diesem Zusammenhang sieht der EWSA Initiativen wie den Pakt für den ländlichen Raum 15 als wichtig an, denn er stärkt die Multi-Level-Governance, erleichtert die Zusammenarbeit zwischen den Interessenträgern und trägt aktiv zur Förderung erneuerbarer Energien und zur nachhaltigen Entwicklung im Agrarsektor und in ländlichen Gebieten bei.

5.11Der EWSA betont, dass die Rolle lokaler und regionaler Energiegemeinschaften anerkannt und gefördert werden muss, um eine gerechte und effiziente Energiewende in ländlichen Gebieten zu erreichen. 16 Energiegemeinschaften stellen eine neue Form der Energieerzeugung und des Energieverbrauchs dar. Der EWSA sieht viele Chancen in Energiegemeinschaften. Aus der Perspektive der ländlichen Gebiete sind besonders die Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften höchst interessant. Es gibt mehrere Beispiele für gut funktionierende Energiegemeinschaften wie Wildpoldsried 17 , Elektrizitätswerke Schönau 18 , Muttersholtz 19 , Claremorris und Western District Energy Co-Op 20 .

5.12Investitionen in Biogas, Windkraft, Solarenergie und andere erneuerbare Energieträger tragen dazu bei, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und die Energieautarkie in der EU insgesamt zu verbessern. Diese Investitionen sollten verstärkt werden, insbesondere in landwirtschaftlichen Betrieben. Auf der Grundlage dieser Investitionen könnten lokale und regionale Energienetze den Energiemarkt stabilisieren und ein Sicherheitsnetz zum Schutz vor Marktturbulenzen bieten, was insbesondere Verbrauchern, Landwirten und Kleinbetrieben auf dem Lande zugutekäme.

5.13Besonders wichtig sind aus Sicht des EWSA die Energieeinparung und die Verbesserung der Energieeffizienz. Neben anderen Vorteilen können Energieeinsparungen dazu beitragen, künftigen Krisen besser standzuhalten. Es gibt viele Möglichkeiten zur Energieeinsparung, wie z. B. eine bessere Wärmedämmung der Gebäude, eine höhere Energieeffizienz, eine intelligentere Nutzung von Strom, verschiedene Mobilitätsoptionen und Telearbeit. In der Landwirtschaft kommen dafür unter anderem die Präzisionslandwirtschaft sowie kraftstoff- und energieeffizientere Produktionsmethoden und Maschinen infrage.

Brüssel, den 22. November 2023

Peter SCHMIDT

Vorsitzender der Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

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(1)    Stellungnahme des EWSA „Strategische Autonomie sowie Sicherheit und Nachhaltigkeit der Lebensmittelversorgung“ (NAT/822) , ABl. C 105 vom 4.3.2022, S. 56.
(2)     Vision für die ländlichen Gebiete .
(3)    Stellungnahme des EWSA zur Energiewende und Digitalisierung in ländlichen Gebieten (NAT/859), ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 59 .
(4)     Eurostat, Jahrbuch der Regionen 2023 .
(5)     Eurostat , eigene Berechnungen.
(6)     Landwirtschaftliche Gesamtrechnung , Eurostat, eigene Berechnungen.
(7)     Landwirtschaftliche Gesamtrechnung .
(8)     Landwirtschaftliche Gesamtrechnung , eigene Berechnungen.
(9)     Konsumausgaben der privaten Haushalte, Eurostat , eigene Berechnungen.
(10)     COM(2022) 590 final .
(11)     Thünen Working Paper 191a .
(12)    EWSA-Informationsbericht „Vorteile der extensiven Viehhaltung und organischer Düngemittel im Rahmen des europäischen Grünen Deals“ (NAT/825 ).
(13)    Stellungnahme des EWSA „Strategische Autonomie sowie Sicherheit und Nachhaltigkeit der Lebensmittelversorgung“ (NAT/822) , ABl. C 105 vom 4.3.2022, S. 56 .
(14)     Eine langfristige Vision für die ländlichen Gebiete der EU .
(15)     Pakt für den ländlichen Raum .
(16)    Stellungnahme des EWSA zur Energiewende und Digitalisierung in ländlichen Gebieten (NAT/859), ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 59 .
(17)    Thematische Debatte zu dem Pakt für den ländlichen Raum Nr. 1: Erneuerbare Energien im ländlichen Raum .
(18)     Elektrizitätswerke Schönau .
(19)     Muttersholtz, Territoire à énergie positive .
(20)     Claremorris Energy Coop .