STELLUNGNAHME

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

Auswirkungen der Maßnahmen in den Bereichen Inflationsbekämpfung, Energie und Stärkung der Energieresilienz der EU auf wesentliche Wirtschaftszweige

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Auswirkungen der Maßnahmen in den Bereichen Inflationsbekämpfung, Energie und Stärkung der Energieresilienz der EU auf wesentliche Wirtschaftszweige

(Initiativstellungnahme)

TEN/803

Berichterstatter: Felipe MEDINA MARTÍN

DE

Beschluss des Plenums

25/01/2023

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

26/06/2023

Verabschiedung im Plenum

12/07/2023

Plenartagung Nr.

580

Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

151/1/2

1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1Mit dieser Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) sollen die Auswirkungen der Energiekrise nach der COVID-19-Pandemie und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die europäischen Unternehmen, Arbeitnehmer und Bürgerinnen und Bürger bewertet werden. Der EWSA stellt fest, dass in der gesamten Wirtschaft ein ganze Reihe von Problemen aufgetreten ist: unverhältnismäßiger Anstieg der Produktionskosten, Neuorganisation der Lieferketten, Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern, steigende Investitionskosten und Kaufkraftverlust für die europäischen Haushalte.

1.2Der EWSA ist besorgt über die aufgrund der Energie- und Rohstoffkosten sowie der Preise für Dienstleistungen und Industrieerzeugnisse hohen Inflationsraten in Europa. Die Inflation in Europa ist auf dem höchsten Stand seit der Einführung des Euro. Der EWSA ersucht die EU‑Organe, wie im Dokument des Europäischen Verbraucherverbands (BEUC) vorgeschlagen Kontrollmechanismen einzurichten. Dies sollte beispielsweise die vollständige Umsetzung der im Entwurf der einschlägigen Ratsverordnung vorgesehenen Maßnahme umfassen, der eine umfassende Reform und Umgestaltung des Strommarkts vorsieht. Der EWSA fordert die EU‑Mitgliedstaaten auf, bereits verabschiedete EU-Rechtsakte wie das Paket „Saubere Energie“ umzusetzen, das zur Beschleunigung des ökologischen Wandels und zur Vertiefung des Binnenmarkts beiträgt.

1.3Nach Ansicht des EWSA muss der überarbeitete befristete EU-Krisenrahmen für staatliche Beihilfen angesichts des enormen Kostenanstiegs infolge des Krieges in der Ukraine und der Energiekrise dringend reformiert werden. Außerdem empfiehlt der EWSA, den befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen so anzuwenden, dass die in der Energie- Notfallverordnung und in der Aufbau- und Resilienzfazilität vorgesehenen Beihilfen für alle von der Energiekrise betroffenen Sektoren gelten, wobei der Schwerpunkt auf wesentlichen Sektoren liegen sollte. Es geht darum, die Überlebensfähigkeit vieler Unternehmen nicht zu gefährden, negative Auswirkungen auf die Lebenshaltungskosten der Verbraucher zu vermeiden und ihre Möglichkeiten der Grundversorgung nicht zu beeinträchtigen. Darüber hinaus fordert der EWSA erneut die Einführung einer „goldenen Regel“, um die notwendigen öffentlichen Investitionen zu ermöglichen.

1.4Nach Auffassung des EWSA müssen die privaten Haushalte und die wesentlichen Sektoren von den Plänen zur Verringerung der Auswirkungen der hohen Energiepreise profitieren. Ungeachtet der Tatsache, dass in einigen Sektoren sehr hohe Gewinne zu verzeichnen waren, die deutlich (um 26,8 %) über denen des Vorquartals lagen, stieg das Insolvenzniveau in der EU gemessen an dem von Eurostat im Jahr 2015 verwendeten Index von 100 auf 113,1 und damit auf den höchsten jemals verzeichneten Stand. Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass die Energieversorgung der Haushalte und Schlüsselsektoren auch während der Maßnahmen zur Senkung der Nachfragespitzen dauerhaft gewährleistet ist. Gleichzeitig haben einige Unternehmen, vor allem im Energiesektor, unter dem Deckmantel der bestehenden Inflation ihre Profite gesteigert, wie die EZB 1 hervorhebt. Die Profite in diesem Sektor haben die Inflation in der EU weiter angeheizt, und dieses Problem muss angegangen werden.

1.5Die Auswirkungen der Energiekrise auf die Wirtschaft sind hohe Inflation, schwaches Wirtschaftswachstum, großer Druck auf die öffentlichen Finanzen und die Kaufkraft der Haushalte und Unternehmen sowie eine Verschlechterung der externen wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Aufbauend auf den Empfehlungen der EZB schlägt der EWSA vor, ein „Grünes Dreifach-T“-Kriterium (tailored, targeted, transition-proof) einzuführen, damit künftige Maßnahmen maßgeschneidert und zielgerichtet sind und dem Wandel gerecht werden. Ungezielte Preismaßnahmen wie Preisobergrenzen für bestimmte Nahrungsmittel würden die hohe Inflation langfristig nur verlängern.

1.6Die anhaltend hohe Inflation, insbesondere aufgrund der Energiepreise, führt zu einem allgemeinen Kaufkraftverlust der europäischen Arbeitnehmer, Verbraucher und Unternehmen, was sich auf die Lebensbedingungen vieler Familien, die Binnennachfrage und das Wachstum auswirkt. Dies, zusammen mit dem Festhalten an einer von Zinsanhebungen geprägten Geldpolitik, schlägt auch auf viele Unternehmen durch. Der EWSA hält den sozialen Dialog im Energiesektor für wichtig, um angemessene Entscheidungen auf nationaler Ebene zu treffen.

1.7Der EWSA fordert die Regierungen auf, die Umsetzung von Energiespar- und Energieeffizienzmaßnahmen in Unternehmen und Haushalten zu fördern, die es ermöglichen, den Energiebedarf dauerhaft zu senken. Insofern sollte der Ausbau erneuerbarer Energien (durch die Schaffung der erforderlichen rechtlichen und steuerlichen Voraussetzungen, einschließlich der Einführung einer „goldenen Regel für Investitionen“) gefördert werden, um unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Es gilt, die derzeitige Situation als Hebel zur Beschleunigung der Dekarbonisierung der EU-Wirtschaft zu nutzen. Diese Maßnahmen sollten damit einhergehen, dass sich Unternehmen im Gegenzug für Finanzhilfen zur Nichtverlagerung verpflichten. Es ist jetzt an der Zeit, die für die Energiewende in Europa notwendigen Investitionen zu tätigen (und die steuerlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen), um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Der EWSA ist überdies der Auffassung, dass die in REPowerEU vorgeschlagenen Änderungen weiter vorangetrieben werden sollten, um die Erteilung von Genehmigungen für den Bau alternativer Energieinfrastrukturen zu straffen und zu beschleunigen. In diesem Zusammenhang fordert der EWSA die EU und die Mitgliedstaaten auf, zu prüfen, wie mit dem Preis, der für in das Netz eingespeiste überschüssige Energie gezahlt wird, tragfähige Investitionen möglich sind, um die Kapazität zur Erzeugung erneuerbarer Energie zu maximieren und sie, wenn sie den Eigenbedarf übersteigt, zu teilen. Die Neugestaltung des Energiemarkts sollte in die langfristige Agenda der Europäischen Kommission aufgenommen werden, um künftige Störungen der Energieversorgung und überhöhte Preise zu vermeiden. 

2.Allgemeine Bemerkungen

2.1Europa wird von einer allgemeinen Inflationswelle überrollt, bei der sich zwei Phasen klar voneinander unterscheiden lassen. Die erste begann in Erholungsphase nach dem Lockdown während der COVID-19-Pandemie. Die schlagartige Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeiten in allen Sektoren führte zu Engpässen in den Lieferketten, die höhere Rohstoffpreise und Frachtkosten nach sich zogen. Die Rohstoffpreise stiegen zwischen Januar 2020 und März 2022 um 101 % 2 und die Frachtkosten im selben Zeitraum um 545 % 3 .

2.2Eine zweite Inflationsphase wurde im Februar 2022 durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und den sich anschließenden Krieg ausgelöst. Sie betraf vor allem Energieprodukte und einige Güter, für die sowohl Russland als auch die Ukraine wichtige Lieferanten der EU waren, wie Erdgas, Weizen, Sonnenblumenöl und Düngemittel. Zwischen Februar und April 2022 stiegen die Preise für diese Güter um 18,6 %, 16,8 %, 38,6 % bzw. 16,7 %. 4 Seither wurden diese Preise eingedämmt, auch wenn der IWF-Grundstoffpreisindex im März 2023 noch 40,9 % über dem Niveau von Januar 2020 lag; bei den Frachtraten betrug dieser Prozentsatz 3,6 %.

2.3Diese Entwicklungen spiegelten sich in der globalen und europäischen Wirtschaft in Form der Inflation wider. Die jährliche Änderung des harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) 5 im Euro-Währungsgebiet lag im Oktober 2022 bei 11,5 % (Eurostat). Diese hohen Werte, die zuletzt im vergangenen Jahrhundert erreicht wurden, erweisen sich trotz des Rückgangs in den letzten Monaten (auf 8,3 % im März 2023) als sehr hartnäckig. Ein Beleg dafür, dass es sich nicht, wie ursprünglich angenommen, um einen vorübergehenden Preisschock handelt, ist der Aufwärtstrend der Kerninflation (ohne Energie) in den meisten europäischen Ländern. Dies bedeutet unter Umständen, dass die von der EZB eingeleitete Geldpolitik nicht die erwarteten Ergebnisse zeitigt.

3.Auswirkungen der Inflation auf die europäische Wirtschaft

3.1Der EWSA stellt fest, dass sich die wirtschaftlichen Aussichten seit der russischen Invasion in die Ukraine im Februar 2022 verschlechtert haben. Laut dem Wirtschaftsszenario 6 für die nächsten Jahre kühlt sich das Wachstum im Vergleich zum Jahr 2022 ab, auch wenn sich diese Prognosen im Laufe der letzten Monate verbessert haben. Während die Europäische Kommission das BIP-Wachstum im Winter für die EU insgesamt 2023 noch auf 0,8 % und 2024 auf moderate 1,6 % schätzte, sind diese Prozentsätze in der jüngsten Frühjahrsprognose auf 1,0 % bzw. 1,7 % gestiegen. Parallel dazu dürfte die Inflation allmählich zurückgehen, wenn auch langsamer als ursprünglich prognostiziert (erwartet werden 9,2 % im Jahr 2022, 6,7 % im Jahr 2023 und 3,1 % im Jahr 2024). Am Arbeitsmarkt werden wegen des geringen Wachstums Spannungen entstehen, und die Staatsverschuldung steigt unter anderem aufgrund der raschen Zinserhöhungen durch die EZB, wodurch der Haushalt in den meisten Mitgliedstaaten unter Druck geraten wird.

3.2Die 96,5 Millionen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen in Europa leiden am meisten unter der hohen Inflation. 41 % der Teilnehmer an einer Eurobarometer‑Umfrage nennen die Preise, die Inflation und die Lebenshaltungskosten als eines der größten Probleme in ihrem Land, noch vor der Gesundheit (32 %) und der Wirtschaftslage (19 %).

3.3Russland hat seine Gaslieferungen in die EU aufgrund der politischen Entscheidungen der Union nahezu ganz eingestellt, und fast die Hälfte der Mitgliedstaaten war von den Lieferkürzungen mehr oder weniger stark betroffen. Der Anstieg der Inflation und der Rohstoffpreise, der Arbeitskräftemangel und die Störungen der globalen Lieferketten wirken sich negativ auf die Versorgungsketten für Lebensmittel und andere Güter in Europa aus. Dem Wirtschaftsausblick der OECD zufolge dürfte sich das globale Wachstum im Jahr 2023 drastisch verlangsamen und nur rund 2,2 % erreichen.

3.4Der EZB zufolge ist der Anstieg der Energiepreise für zwei Drittel des Inflationsanstiegs in der Eurozone verantwortlich. Nach Angaben der Kommission wuchsen die Gewinnmargen im Energiesektor zwischen 2019 und 2022 um 54 %, während die Löhne nur um 6 % stiegen. Der allgemeine Kaufkraftverlust der europäischen Arbeitnehmer, Verbraucher und Unternehmen wirkt sich nicht nur auf die Lebensbedingungen vieler Familien aus, sondern könnte auch die Binnennachfrage und das Wachstum und damit andere Wirtschaftszweige beeinträchtigen, falls keine Korrekturmaßnahmen ergriffen werden. Ein Grund für diese Problematik ist auch das Festhalten an einer von Zinsanhebungen geprägten Geldpolitik. Der EWSA hält den sozialen Dialog im Energiesektor für wichtig, um angemessene Entscheidungen auf nationaler Ebene zu treffen.

3.5Während die Verbraucherpreise in Europa allgemein gestiegen sind, blieb die Lohnentwicklung dahinter zurück, was die Kaufkraft der europäischen Bürgerinnen und Bürger und insbesondere der schutzbedürftigsten Bevölkerungsgruppen, die über keine Mittel zum Schutz vor der Inflation verfügen, geschwächt hat. Bereits jetzt ändert sich das Verbraucherverhalten durch den Kaufkraftverlust der Haushalte, die aufgrund des schwindelerregenden Anstiegs der Energierechnungen und der Auswirkungen der Inflation mit dramatisch gestiegenen Lebenshaltungskosten konfrontiert sind. Die von den Mitgliedstaaten zum Schutz vulnerabler Haushalte eingesetzten Instrumente sind sehr unterschiedlich und in einigen Fällen möglicherweise nur begrenzt wirksam. Die Europäische Kommission sollte Mindeststandards erwägen, die von Regulierungsbehörden und politischen Entscheidungsträgern anzuwenden sind, um vulnerable Haushalte zu schützen und zu unterstützen.

3.6Einer der Sektoren, die am stärksten unter den kombinierten Auswirkungen der Pandemie und des Krieges leiden, ist die Erzeugung von Lebensmitteln – Landwirtschaft, Viehzucht und Lebensmittelindustrie – und ihr Vertrieb an den Endverbraucher. Die Nähe des Krieges und seine Folgen für die Energie- und Rohstoffmärkte führen zu einem Preisgefälle für landwirtschaftliche Erzeugnisse zwischen Europa und den internationalen Märkten, da die Preise in Europa stärker gestiegen sind. Laut dem Commodity price dashboard von April 2023 liegt die Preissteigerungsrate für die meisten europäischen landwirtschaftlichen Erzeugnisse über dem weltweiten Preisanstieg, insbesondere bei Fleischprodukten. Diese Entwicklung hat drei wichtige Auswirkungen. Erstens trifft die Inflation die europäische Bevölkerung bei den Grundbedarfsgütern härter. Zweitens verlieren europäische Lebensmittel weltweit an Wettbewerbsfähigkeit, und drittens sind die den Landwirten gezahlten Preise aufgrund der höheren Produktionskosten gestiegen.

3.7Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat in der Lebensmittelversorgungskette enorme Probleme verursacht, die über die Spirale der Energiekosten hinausgehen: höhere Preise für wichtige Produktionsmittel (Futter- und Düngemittel) und Engpässe bei bestimmten Grundstoffen (z. B. Pflanzenölen oder Weizen), die für eine voll funktionsfähige Lieferkette erforderlich sind. Die steigenden Kosten ziehen als Dominoeffekt eine Drosselung der Düngemittelproduktion nach sich, wodurch die Preise noch weiter steigen werden. Die Dürren im Sommer 2022 und seit Beginn 2023 in ganz Europa erhöhen den Preisdruck noch weiter, da das verfügbare Angebot sinkt.

3.8Einige Schlüsselsektoren und die zugehörigen Unternehmen und Arbeitnehmer, die ihre Aktivität auf keinen Fall einstellen können, sind einer doppelten Belastung ausgesetzt: weniger zahlungsbereite Verbraucher und steigende Kosten – insbesondere exorbitante Energierechnungen. Die Lebensmittelunternehmen haben versucht, den Kostenanstieg zu begrenzen, um wettbewerbsfähige Preise für die Verbraucher sicherzustellen, und befürchten nun eine Konsumkrise (Hidalgo, M., 2023 7 ; Eurocommerce, 2023). Laut dem kürzlich von der spanischen Regierung veröffentlichten ersten Bericht über die Beobachtungsstelle für Gewinnspannen 8 sind die Margen innerhalb der Lebensmittelkette seit 2021 um 25 % zurückgegangen, was zeigt, dass die Entwicklung der Margen sehr heterogen ist.

9 Gleichzeitig haben einige Unternehmen, vor allem im Energiesektor, unter dem Deckmantel der bestehenden Inflation ihre Profite gesteigert, wie die EZB hervorhebt. Die Profite in diesem Sektor haben die Inflation in der EU weiter angeheizt, und dieses Problem muss angegangen werden.

3.9Die spanische Zentralbank 10 verweist auf die sehr positiven Auswirkungen der sogenannten „iberischen Ausnahmeregelung“ bzw. des „iberischen Mechanismus“ auf das Strommarktpreissystem. In dem Bericht werden auch die – wenn auch begrenzteren – positiven Auswirkungen der MwSt-Ermäßigung auf die Nahrungsmittel- und Kraftstoffpreise erwähnt, wobei jedoch ergänzt wird, dass die Maßnahme bei einer Fokussierung der Beihilfen auf einkommensschwache Familien geringere Kosten verursacht hätte. Ferner weist die spanische Zentralbank auf die positiven Auswirkungen hin, die die spanische Regierung durch die Anhebung des branchenübergreifenden Mindestlohns, der Renten und des Mindestsicherungseinkommens (IMV) herbeigeführt hat, um die Auswirkungen der Inflation auf einkommensschwache Haushalte abzufedern.

4.Auswirkungen des Anstiegs der Energiekosten auf die Rentabilität europäischer Unternehmen

4.1Die Großhandelspreise für Strom und Gas sind seit Anfang 2021 bis um das 15fache gestiegen, was schwerwiegende Auswirkungen auf Verbraucher und Unternehmen hat. Die europäischen Regierungen reagieren mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen darauf. Zum einen sollen die Auswirkungen der gestiegenen Kosten auf Verbraucher und Unternehmen abgefedert werden. Zum anderen wird versucht, die Großhandelspreise zu stabilisieren und zu senken und die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten. Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Gestaltung des Strommarkts und das Strompreisberechnungssystem im Einklang mit den Vorschlägen der Stellungnahme TEN/793 umfassend zu reformieren.

4.2Die Energiepreise beeinflussen die Unternehmenskosten in sehr unterschiedlicher Art und Weise: erstens direkt durch die Kosten der Stromversorgung selbst; zweitens indirekt durch die Folgen für die übrige Lieferkette und drittens durch die sich daraus möglicherweise ergebenden finanziellen Folgen. So wurde beispielsweise in einer im Frühjahr 2022 veröffentlichten Prognose der spanischen Zentralbank 11 geschätzt, dass ein kumulativer Anstieg der Energiekosten der Unternehmen um 25 % ihre Bruttowertschöpfung im Jahr 2023 um 1,6 % verringern würde. Hierbei handelt es sich allerdings um den durchschnittlichen Effekt. Laut dem Bericht sind einige Sektoren stärker betroffen als andere. Am meisten profitieren die Erdöl- und Erdgasförderung von der Lage, während folgende Wirtschaftszweige mit den größten Einbußen rechnen müssen: Fischerei und Aquakultur, Landverkehr, See- und Binnenschifffahrt, Handel mit und Reparatur von Kraftfahrzeugen, Landwirtschaft und Viehzucht, Bildungswesen, Luftverkehr, Grundstücks- und Wohnungswesen, Kokereien und Erdölraffinerien, Gesundheits‑ und Sozialwesen sowie Hotel- und Gastgewerbe. Einige dieser Sektoren haben sich während der Pandemie als für das reibungslose Funktionieren der EU-Wirtschaft wichtige Branchen erwiesen. Viele der am stärksten betroffenen Sektoren produzieren nicht stromintensiv, verbrauchen aber dennoch viel Strom.

4.3Neben den direkten und indirekten Auswirkungen auf die Bruttowertschöpfung (die Margen) der Unternehmen kann auch deren Finanzschwäche zunehmen. In dem Bericht der spanischen Zentralbank werden die am stärksten betroffenen Sektoren genannt. Besonders anfällig ist demnach eine Gruppe von Sektoren, die nicht nur überschuldet sein, sondern 2023 auch eine negative Rentabilität aufweisen dürften: Handel mit und Reparatur von Kraftfahrzeugen, Landverkehr und Transport in Rohrfernleitungen, Fischerei und Aquakultur, Landwirtschaft und Viehzucht sowie Textilien, Bekleidung, Leder und Schuhe.

4.4In dem Maße, in dem sich die Erdgasspeicher in Europa leeren – im Mai 2023 waren sie noch zu 68 % gefüllt 12 –, wird die Energiepolitik vor zusätzlichen Herausforderungen stehen. Nach wie vor lassen sich die zuvor aus Russland gelieferten Mengen nicht komplett ersetzen, so dass ein kurzfristiger Preisrückgang unwahrscheinlich ist. Allerdings ist die Nachfrage deutlich zurückgegangen. Die hohen Energiepreise beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Lieferketten in Europa, was wiederum die Auslagerung von Tätigkeiten in Drittstaaten begünstigt und damit die strategische Unabhängigkeit der EU verringert. Besonders groß sind die Auswirkungen auf die privaten Haushalte, insbesondere auf die schutzbedürftigsten Gruppen, mit einem wachsenden Anteil von Armut bedrohter oder betroffener Menschen. Diese Entwicklung wird mindestens bis 2024 anhalten. 13 Der EWSA empfiehlt eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Probleme, darunter Standortgarantien bei Finanzhilfen, weitere notwendige Energieeinsparungen und Energieeffizienzmaßnahmen in Unternehmen zur Verringerung der Nachfrage, umfassende Investitionen und die Schaffung der notwendigen steuerlichen Rahmenbedingungen für den Ausbau der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern.

4.5Folglich bedroht die Explosion der Energiekosten in zunehmendem Maße potenziell zahlreiche Unternehmen und Haushalte in ihrer Existenz. Obwohl der Winter relativ mild war, lässt sich nicht davon ausgehen, dass die Umweltbedingungen immer günstig sein werden. Aus diesem Grund sollten Maßnahmen ergriffen werden, um besonders vulnerable Haushalte durch spezifische Maßnahmen in diesem Bereich zu schützen.

4.6In Bezug auf die Unternehmen wird darauf hingewiesen, dass ein massiver und weitgehend unkalkulierbarer Anstieg der Unternehmenskosten in Verbindung mit der Zurückhaltung der Verbraucher bei den Ausgaben dazu führen kann, dass eine beträchtliche Zahl von Unternehmen Verluste schreibt und in einigen Fällen sogar ihren Standort verlagern muss. Aber das geht nicht bei Unternehmen, die systemrelevante Dienstleistungen für die Kunden und die übrige Lieferkette erbringen und nicht einfach ihre Tätigkeit aufgrund von Energiepreiserhöhungen einstellen können.

4.7Während der COVID-19-Pandemie wurde eine große Zahl von Sektoren und Arbeitnehmern als systemrelevant eingestuft, eine solche Anerkennung ist jedoch in der derzeitigen Energiekrise völlig ausgeblieben. Bislang haben die Mitgliedstaaten viele der entsprechenden Sektoren nicht gezielt unterstützt. Die Unternehmen dieser Branchen und ihre Arbeitnehmer haben sich bemüht, die Verbraucher auf Kosten ihrer eigenen Margen zu schützen, und sie tun sich schwer, die vollen Kosten des übermäßigen Energiepreisanstiegs auf die Kunden abzuwälzen. Diese Situation ist langfristig nicht tragbar. Zudem schützen die Regierungen nach Ansicht des EWSA die Menschen nicht mit der gleichen Intensität wie zu Zeiten der Pandemie.

4.8Viele Unternehmen tätigen zahlreiche Investitionen zur Senkung des Energieverbrauchs und zur Erhöhung ihrer Kapazitäten für den Zugang zu erneuerbaren Energiequellen. Nach Ansicht des EWSA können Unternehmen auch die Elektrifizierung des Verkehrs beschleunigen, nicht mehr mit Gas heizen und so eine Schlüsselrolle bei der Energiewende und bei den Zielen der EU für erneuerbare Energien bis 2030 spielen. Dies erfordert jedoch einen günstigen Rechtsrahmen, der z. B. die Erteilung von Genehmigungen und die Bekämpfung von Preishemmnissen für die Erzeugung von mehr Energie umfasst.

4.9Der EWSA betont, wie wichtig es ist, die Verpflichtungen im Rahmen der Programme REPowerEU und zur Energieeffizienz von Gebäuden mit der Unterstützung und Fähigkeit der Betreiber in Einklang zu bringen, die Kosten der damit verbundenen erheblichen Investitionen zu tragen. Diese Maßnahmen werden wichtig sein, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, doch müssen die Verpflichtungen an die Verfügbarkeit öffentlicher und privater Finanzmittel geknüpft werden. Die Neugestaltung des Energiemarkts sollte in die langfristige Agenda der Europäischen Kommission aufgenommen werden, um künftige Störungen der Energieversorgung und überhöhte Preise zu vermeiden. Zudem sollte die Ausbildung von Arbeitskräften für diesen Sektor in Betracht gezogen werden.

Insofern ist der EWSA der Auffassung, dass in beiden Programmen auch die praktischen Aspekte im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von technischen Ressourcen und qualifizierten Arbeitskräften bei den Verpflichtungen zur Installation von Schnellladestationen für Fahrzeuge oder Infrastrukturen für alternative Kraftstoffe berücksichtigt werden sollten. Es muss sichergestellt werden, dass die im Rahmen der neuen Vorschläge ausgezahlten Mittel dazu verwendet werden können, zu garantieren, dass dieser Übergang innerhalb der vorgesehenen Fristen vollzogen werden kann.

Brüssel, den 12. Juli 2023

Oliver RÖPKE

Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

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