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STELLUNGNAHME
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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
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Lage der Energieunion 2022
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Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Lage der Energieunion 2022 (gemäß der Verordnung (EU) 2018/1999 über das Governance-System für die Energieunion und für den Klimaschutz)
[COM(2022) 547 final]
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TEN/791
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Berichterstatter: Marcin NOWACKI, Angelo PAGLIARA, Lutz RIBBE
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Befassung
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Europäische Kommission, 24/11/2022
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Rechtsgrundlage
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Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Union
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Zuständige Fachgruppe
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Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft
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Annahme in der Fachgruppe
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07/03/2023
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Verabschiedung im Plenum
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22/03/2023
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Plenartagung Nr.
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577
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Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)
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208/4/7
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1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1Mit ihrem Bericht zur Lage der Energieunion 2022 legt die Europäische Kommission eine recht optimistische Reflexion über die Maßnahmen und Ziele der letzten Monate vor.
1.2Bei der Lektüre des Berichts zeigt sich, dass viele Ziele, die vor dem Krieg gegen die Ukraine noch als zu ehrgeizig galten, nun als realistische Antworten auf die Energiekrise dargestellt werden. Es stellt sich die Frage, was die EU insgesamt daran gehindert hat, bereits vor dem 24. Februar 2022 bei Klimaschutz, Versorgungssicherheit, Energieautonomie und Resilienz des europäischen Energiesystems entschlossener zu handeln.
1.3Zwar enthält die Mitteilung aufschlussreiche Fakten und Zahlen, doch geht es bei der Energieunion um viel mehr als mathematisch oder statistisch festzulegende Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien, Energieeinsparungen oder die Senkung der Emissionen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) weist darauf hin, dass die Energieunion vor allem ein politisches Projekt mit folgenden genau festgelegten politischen Zielen ist, die in Form von Visionen formuliert werden
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(1)eine Energieunion, in der Solidarität und Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten herrschen, die in der globalen Politik mit einer Stimme sprechen;
(2)ein integriertes Energiesystem, in dem die Energieströme ungehindert über die Grenzen hinweg fließen, das auf Wettbewerb, einer wirksamen Regulierung und der bestmöglichen Nutzung der Ressourcen basiert;
(3)eine nachhaltige, CO2-arme und klimafreundliche Wirtschaft, die auf Dauer angelegt ist;
(4)starke, innovative und wettbewerbsfähige europäische Unternehmen, die die notwendigen Produkte und Technologien zur Erreichung von Energieeffizienz und zur Verringerung von CO2-Emissionen entwickeln, um die Energiekosten zu senken, aktiv am Markt teilzunehmen und für den Schutz besonders schutzbedürftiger Verbraucher zu sorgen;
(5)die Qualifizierung der europäischen Arbeitskräfte zur Vermittlung der für den Aufbau und das Management der europäischen Energiewirtschaft erforderlichen Kompetenzen;
(6)die Schaffung von Vertrauen bei den Investoren aufgrund von Preissignalen, die auf langfristigen Bedürfnissen und politischen Zielen beruhen, was u. a. voraussetzt, dass die Subventionen für fossile Brennstoffe nach und nach abgeschafft werden, und
(7)eine Energieunion, in deren Mittelpunkt die Bürgerinnen und Bürger stehen, die Verantwortung für die Umstellung des Energiesystems übernehmen, sich neue Technologien zunutze machen, um ihre Energiekosten zu senken, und aktiv am Markt teilnehmen, und in der für den Schutz besonders schutzbedürftiger Verbraucher gesorgt wird.
In dem Bericht werden die bisher ergriffenen oder geplanten Maßnahmen zur Umsetzung dieser Visionen beschrieben. Der EWSA bedauert jedoch, dass sich die Beschreibung in dem Bericht nicht auf die Visionen, sondern auf die fünf sich gegenseitig verstärkenden und eng miteinander verknüpften Dimensionen bezieht, mit denen größere Energieversorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit angestrebt werden. Die Tatsache, dass auf der einen Seite Zielsetzungen oder Visionen und auf der anderen Seite Dimensionen nebeneinander bestehen, macht es äußerst schwierig, die Umsetzung der Visionen zu verfolgen, auch weil beispielsweise das Anliegen, die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt der Energieunion zu stellen, oder die Notwendigkeit der Weiterbildung und Umschulung von Arbeitnehmern in mehreren Dimensionen genannt werden. Der EWSA bedauert, dass es dadurch sehr schwierig ist, die Fortschritte bei der Umsetzung der Ziele der Strategie für die Energieunion zu verfolgen.
1.4In der Mitteilung wird zu Recht auf den REPowerEU-Plan verwiesen, den der EWSA unterstützt und der dem Grünen Deal und den Instrumenten des Pakets „Fit für 55“ neue Impulse verleiht und sie stärkt. Zentrale Aspekte sind dabei Diversifizierung, Einsparungen, Versorgungssicherheit und die Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Die derzeitige Klima- und Energiekrise und der Mangel an Sicherheit, Stabilität und Verlässlichkeit der Versorgung und der Preise stellen eine enorme Belastung für die Europäische Union dar. Die Krise wäre weniger schwerwiegend, wenn bereits früher gezieltere Maßnahmen ergriffen worden wären, z. B. wenn die eigenen Ziele der EU (wie die der Europäischen Energieunion) ernster genommen worden wären.
1.5Laut dem Bericht zur Lage der Energieunion 2022 müssen öffentliche Mittel in Höhe von schätzungsweise 300 Milliarden Euro in die verschiedenen Maßnahmenbereiche investiert werden, die darauf abzielen, dass die EU bis 2030 vollkommen unabhängig von fossilen Brennstoffen aus Russland wird, was erhebliche Auswirkungen auf den Gesamthaushalt der EU haben wird. Darüber hinaus werden weitere private Investitionen erforderlich sein, einschließlich Investitionen der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Nach Auffassung des EWSA sollten diese Mittel so ausgegeben werden, dass sie zur Verwirklichung der oben genannten Ziele der Energieunion beitragen. Zudem sollten die Ausgaben nicht zu einer Verringerung der Mittel für den gerechten Übergang, für Forschung und Innovation oder für die unter den steigenden Energiepreisen leidenden Unternehmen und Verbraucher führen.
1.6Der beispiellose Anstieg der Energiepreise infolge der russischen Invasion in die Ukraine hat enorme soziale und wirtschaftliche Folgen sowie Auswirkungen auf die Industrie- und Produktionsstruktur der Länder. Der EWSA betont, dass es an einer klaren europäischen Koordinierung während der Energiekrise gefehlt hat, und fordert als Teil der Lösung die Schaffung eines Instruments auf der Grundlage des SURE-Modells, mit dem Arbeitnehmer und Unternehmen in Schwierigkeiten unterstützt werden.
1.7Durch die jüngsten Ereignisse wurde das potenzielle Risiko von Cyberangriffen und Sabotageakten gegen kritische Infrastrukturen wie das Energienetz und Kraftwerke erhöht. Der EWSA empfiehlt daher die Konzipierung und Annahme einer umfassenden Strategie zum Schutz der EU vor diesen Bedrohungen.
1.8Das wichtigste mittelfristige strategische Ziel der EU-Mitgliedstaaten muss – insbesondere vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und angesichts einer möglichen weiteren Verkomplizierung der internationalen Lage – auch weiterhin Energieautonomie lauten. Unter strategischer Energieautonomie ist ein politisches Konzept zu verstehen, das zur Gestaltung eines künftigen EU-Energiemarkts beiträgt, in dem autonome Entscheidungen der EU die Energieunabhängigkeit von unzuverlässigen Lieferanten gewährleisten. Der EWSA bedauert, dass dieses Thema in dem Bericht unzureichend berücksichtigt und weiterhin hintangestellt wird, wobei der Schwerpunkt ausschließlich auf der Unabhängigkeit von Energieeinfuhren aus Russland liegt.
1.9Damit die Ziele der strategischen Autonomie der EU umgesetzt werden können, fordert der EWSA den Rat und die Kommission auf, geeignete Instrumente zu entwickeln, auch durch die Schaffung eines Europäischen Souveränitätsfonds, um Investitionen in saubere in Europa verfügbare Energietechnologien und Energieinfrastrukturen zu fördern. Zugleich müssen die Mitgliedstaaten dazu angehalten werden, die Mittel optimal und effizient für den Ausbau sauberer Energien einzusetzen. Eine solche Strategie muss auch Leitlinien dazu umfassen, wie Unternehmen, öffentliche Einrichtungen, die Öffentlichkeit und Energiegemeinschaften zu mehr Investitionen motiviert werden können. Die derzeit zur Verfügung gestellten Instrumente und Ressourcen scheinen nicht auszureichen, um die großen Herausforderungen meistern zu können. Der EWSA fordert die Kommission auf, besonders auf die Auswirkungen neuer Ressourcen und Lieferungen auf die Umwelt sowie auf neue Abhängigkeiten von Drittländern zu achten.
1.10Der EWSA schlägt vor, bei der Stärkung der Energieautonomie einen Bottom-up-Ansatz zu verfolgen, da sich so die in Ziffer 1.3 genannten Ziele leichter erreichen lassen.
1.11Der europäische Grüne Deal geht noch nicht mit den für einen gerechten Übergang erforderlichen sozialpolitischen Maßnahmen einher. Angesichts der großen Auswirkungen, die der Übergangsprozess auf die Beschäftigung und das industrielle Gefüge haben wird, bedauert der EWSA, dass in dem Bericht nicht angemessen berücksichtigt wird, wie wichtig eine umfassende Beschäftigungs-, Qualifikations- und Sozialpolitik ist. Investitionen in die Bildung sowie Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen müssen als sozioökonomische Verantwortung betrachtet werden.
2.Allgemeine Bemerkungen
2.1Die beste und am meisten mit den strategischen Zielen der Energieunion in Einklang stehende Antwort auf die durch Russlands Aggression gegen die Ukraine verursachten extremen Lieferengpässe wäre ein Energiesystem, das zu 100 % auf in Europa erzeugter sauberer Energie beruht. Der EWSA ist sich bewusst, dass die Ansichten darüber, ob dieses Ziel erreicht werden kann, auseinandergehen. In dem erwarteten Szenario hätte ein solches Energiesystem jedoch den wesentlichen Vorteil absoluter Autonomie und hoher Resilienz. Sobald die Ausgaben für Investitionen in Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, intelligente Technologien, saubere Verkehrsmittel und Energieeffizienz refinanziert sind, würde es den Endverbraucherinnen und ‑verbrauchern die erschwinglichste Energie bieten und gleichzeitig die lokale und regionale Wirtschaft stärken und die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen ermöglichen als das alte System. All diese Vorteile sind in den jeweiligen Erwägungsgründen des Pakets „Saubere Energie“ klar beschrieben. Während Energieautonomie theoretisch und rein technisch gesehen auf der Grundlage der erneuerbaren Energien erreicht werden kann, muss immer noch sichergestellt werden, dass das gesamte Ökosystem, einschließlich des Materials für die Anlagen für erneuerbare Energien, eine lokale Erzeugung ermöglichen. Aus dem Bericht zur Lage der Energieunion geht jedoch hervor, dass das europäische Energiesystem noch weit davon entfernt ist, diesem Ziel zu entsprechen.
2.2Daher ist eine Differenzierung erforderlich: Wenn absolute Autonomie nicht erreichbar ist, wird die EU strategische Autonomie benötigen. Hinsichtlich der strategischen Autonomie müsste ermittelt werden, in welchem Umfang Energieimporte auch in Zukunft unvermeidbar bleiben und was dies für die Anfälligkeit/Resilienz des europäischen Energiesystems bedeutet. Der Bericht über die Lage der Energieunion gibt hierauf jedoch keinerlei Antwort, noch enthält irgendein anderes Strategiepapier der Kommission dahingehende Hinweise.
2.3Um die unter Ziffer 2.2 angesprochene Frage zu beantworten, muss der Beitrag erneuerbarer Energien, einschließlich Stromspeicherung und Nachfragesteuerung sowie anderer Flexibilitätsoptionen, zur Deckung der Nachfrage in den Bereichen Strom, Heizung und Verkehr berechnet werden (Kapazitätseffekt). Der Kapazitätseffekt ist der Teil der installierten Kapazität eines Kraftwerks, auf den zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückgegriffen werden kann. Da es sich bei erneuerbaren Energien um dezentral erzeugte Energien handelt, ist es sinnvoll, mit dieser Bewertung am Erzeugungsort zu beginnen. Gemäß diesem Ansatz müsste der Kapazitätseffekt zunächst auf lokaler Ebene (z. B. auf Bezirksebene) ermittelt werden. Er drückt den Beitrag aus, den Prosumenten, Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften und andere Erzeuger leisten können. Eine der Zielsetzungen oder Visionen der Energieunion, nämlich die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt des Energiesystems zu stellen, muss auf lokaler Ebene umgesetzt werden. Die nächste Stufe wäre die regionale Ebene, auf der Defizite (Kapazitätseffekt von unter 100 %) und Überschüsse (Kapazitätseffekt von über 100 %) so weit wie möglich ausgeglichen werden könnten. Dann würde die interregionale, die nationale und schließlich die europäische Ebene folgen. Da die erneuerbaren Energien erhebliche systemische Ausgaben für die Energieinfrastruktur erfordern, besteht das Hauptziel darin, Energie aus erneuerbaren Quellen lokal zu nutzen. Andernfalls müssen die Kosten von den Energieerzeugern getragen werden.
2.4Dieser in Ziffer 2.3 beschriebene Bottom-up-Ansatz entspricht am besten dem Wesen der erneuerbaren Energien und Flexibilitätsoptionen in Bezug auf Erzeuger jeglicher Größe, einschließlich großer Energiekraftwerke sowie kleiner Erzeuger, darunter auch sogenannter Prosumenten.
2.5Im Hinblick auf die Energieunion hat der in Ziffer 2.3 beschriebene Ansatz drei grundlegende Vorteile.
2.5.1Erstens muss unter dem Blickwinkel der Investitionsplanung das heute und künftig benötigte Volumen der Energieimporte in die EU vorhergesehen werden. Nur dann lassen sich Fehlinvestitionen und insbesondere Lock-in-Effekte vermeiden. Um es ganz konkret zu sagen: Ohne die beschriebene Analyse ist es nicht möglich, die tatsächliche Nachfrage nach LNG für 2025, 2030 und 2035 korrekt vorherzubestimmen. Kaufentscheidungen, insbesondere solche, die sich auf langfristige Verträge stützen, drohen, sich als falsch zu erweisen, wenn die Kapazitätseffekte nicht auf lokaler, regionaler, interregionaler und europäischer Ebene geprüft werden. Dies ist von besonderer Bedeutung, da für LNG-Lieferungen jetzt langfristige Verträge geschlossen werden müssen. Hiervon hängt der Erfolg der Energieunion ab, diese Analyse fehlt aber.
2.5.2Der zweite Vorteil einer auf lokaler, regionaler, interregionaler und europäischer Ebene durchgeführten Analyse der Kapazitätseffekte erneuerbarer Energien, einschließlich der Flexibilitätsoptionen, besteht darin, dass sie zu einer zukunftsorientierten Energieinfrastrukturplanung beitragen würde, die das Stromnetz, das Verteilungsnetz für CO2‑armes Gas und die Fernwärmenetze umfasst. Hier ist unbedingt darauf hinzuweisen, dass die Gasinfrastruktur in Europa für Wasserstoff geeignet sein muss. Derzeit gibt es jedoch kein zuverlässiges Kriterium für die Wasserstofftauglichkeit. Der EWSA fordert die Kommission auf, mit der Entwicklung entsprechender Standards zu beginnen, um so bald wie möglich einen Vorschlag vorzulegen.
2.5.3Ein dritter Vorteil steht in engem Zusammenhang mit dem in Ziffer 1.10 genannten Vorteil: Es ist ein Überdenken der Systemstabilität erforderlich. Die künftigen Übertragungs- und Verteilernetze in Europa und den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sollten aus einem Grundgerüst standardisierter Verbindungsleitungen bestehen, die einen Verbund bilden und sowohl zentral verwaltete Hochspannungsleitungen als auch Energiegenossenschaften auf der Grundlage kommerziell genutzter Mittel- und Niederspannungsleitungen umfassen. Auf lokaler Ebene muss der Ausbau und die vereinfachte Weiterentwicklung dezentraler Energiequellen durch rechtliche und organisatorische Mechanismen beschleunigt werden, die die Nutzung so genannter Direktleitungen, eine Kabelbündelung und eine Zusammenarbeit mit Erzeugern erneuerbarer Energien auf der Grundlage gemeinsamer, festgelegter Grundsätze im Rahmen von Strombezugsverträgen ermöglichen.
2.6Heutzutage sind die Betreiber der Übertragungsnetze auf nationaler Ebene nicht ausreichend am Ausbau lokaler Netze interessiert, der die Flexibilität des Stromsektors erhöhen würde, da dies aus ihrer Sicht das Stromnetz destabilisieren könnte. Die Betreiber der Verteilungsnetze werden nicht ermutigt, in lokale Netze zu investieren, da es unter den derzeitigen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen an klaren Leitlinien fehlt. Die Regelung für die Netzentgelte schafft lediglich Anreize für die Übertragung und Verteilung von Strom. Es mangelt jedoch an Anreizen für intelligente Strommanagementkonzepte. Der EWSA ist überzeugt, dass sich die Energieversorgungssicherheit auf lokaler Ebene mit der Entwicklung von Energiegenossenschaften und des Prosumentenmodells für die Energieerzeugung verbessern und die Netzlast verringern lassen. Der lokale Verbrauch volatiler erneuerbarer Energien verringert den Druck auf das Netz, weshalb der lokale Verbrauch die bevorzugte Option sein sollte, wenn dies ressourcen- und kosteneffizient ist. Prosumenten und Energiegemeinschaften (unter Beteiligung von Energieverteilern, lokalen Gebietskörperschaften, Unternehmern und Bürgern) können im Haushalt, im Unternehmen und in öffentlichen Gebäuden für ein Gleichgewicht zwischen den verfügbaren Ressourcen und der Stromnachfrage sorgen – insbesondere dank der Entwicklung von Energiespeichertechnologien und digitalen Technologien. Der EWSA weist auf die Gefahr hin, dass Stromverteiler diesbezüglich in einen Interessenkonflikt geraten, und fordert, dass die zuständigen Aufsichtsbehörden Maßnahmen prüfen, mit denen negativen Auswirkungen auf die vertikale Integration vorgebeugt werden kann.
2.7Angesichts der in Ziffer 2.6 beschriebenen unzulänglichen Praktiken wird es umso wichtiger, dem in Ziffer 2.3 dargelegten Ansatz zu folgen, um die drei in den Ziffern 2.5.1, 2.5.2 und 2.5.3 erläuterten Vorteile zu erzielen. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, einen Vorschlag für die Einbeziehung dieses Ansatzes in ihre Strategie für die Energieunion auszuarbeiten. Um die strategische Perspektive einer Energieunabhängigkeit zu verwirklichen, unabhängig von den erforderlichen Sofortmaßnahmen des letzten Jahres, gilt es, folgende Aspekte ständig zu überwachen und weiterzuentwickeln:
·das Gleichgewicht der vorhandenen Ressourcen (Öl, Gas, erneuerbare Energiequellen und Kernenergie usw.);
·das Gleichgewicht potenzieller Ressourcen (Exploration, Abbau konventioneller Ressourcen, Entwicklung innovativer Technologien usw.);
·die Strategie und Prioritätensetzung für einen optimalen Ausbau der verschiedenen Energieträger in Europa sowie das Finanzierungssystem für die Strategie für eine unabhängige Energieversorgung.
Hierfür muss zudem geprüft werden, welche noch in Betrieb befindlichen Anlagen beibehalten werden sollten und welche alten Energieträger, einschließlich konventioneller Kapazitäten, im Zuge eines reibungslosen und komplementären Prozesses ersetzt werden sollten. Auch sollten Nutzen und Kosten der Methanumwandlung mit Wasserdampf (SMR) und von Technologien für die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) bzw. CO2-Abscheidung und -nutzung (CCU) geprüft werden.
2.8In diesem Zusammenhang bekräftigt der EWSA, wie wichtig es ist, die Genehmigung von Projekten im Bereich erneuerbare Energien zu beschleunigen. Hierbei handelt sich um eine wichtige Maßnahme, die sich relativ leicht umsetzen lässt. Durch den großen Verwaltungsaufwand werden einige Projekten erheblich verzögert, insbesondere Projekte, bei denen es um große Erzeugungskapazitäten geht. Der EWSA weiß um und begrüßt die diesbezüglichen Bemühungen der Kommission, doch es ist endlich Zeit für effektive Änderungen.
2.9Bei der Erfüllung der in Ziffer 2.5.3 genannten Aufgabe sollte die Kommission auch die strategische Verbindung zwischen der europäischen Energiestrategie und der Notwendigkeit eines soliden, nachhaltigen und innovativen europäischen Industriesystems berücksichtigen, was in den Berichten zur Lage der Energieunion bisher nicht der Fall war. Der EWSA hat in seiner Stellungnahme zur Lage der Energieunion 2021 (TEN/767) empfohlen, im Rahmen der Governance und Steuerung der Energieunion Synergien mit der neuen Industriestrategie für Europa stärker zu berücksichtigen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, ab dem nächsten Bericht der Bedeutung dieser strategischen Verbindung Rechnung zu tragen und für eine bessere Abstimmung mit der strategischen Vorausschau zu sorgen.
2.10Auch wird die zentrale und aktive Rolle der Bürgerinnen und Bürger, die im Zentrum der Maßnahmen stehen sollten, im Dokument und den Anhängen nicht angemessen berücksichtigt. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Bürger in den Mittelpunkt der Energieunion gestellt werden sollten, indem sie in den Markt integriert und zu echten „Prosumenten“ gemacht werden. Das Konzept des Prosums muss auf die gemeinsame Nutzung von Energie, den virtuellen Eigenverbrauch und andere Formen des Prosums, bei denen das öffentliche Netz genutzt wird, ausgeweitet werden. Hierzu fordert der EWSA die politischen Entscheidungsträger auf, alle Maßnahmen zu fördern und voranzutreiben, die erforderlich sind, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher zu Energieprosumenten werden können.
2.11Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, bis Juni 2023 ihre nationalen Energie- und Klimapläne vorzulegen. Zu diesem Zweck muss eine klare Botschaft an die Mitgliedstaaten gerichtet werden, mit einem Fahrplan, auf dessen Grundlage sie ihren Weg zur Energiewende wie in Ziffer 2.3 beschrieben angemessen planen können und der den Empfehlungen der Ziffern 2.7, 2.8 und 2.9 Rechnung trägt.
2.12Die für die Neugestaltung des Marktes geplanten Maßnahmen sind in den Kontext der oben genannten Aspekte einzuordnen. Der EWSA teilt die Auffassung, dass Maßnahmen für eine optimale und bessere Gestaltung des EU-Strommarkts erforderlich sind, auch im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Energielandschaft, wie in Ziffer 2.3 beschrieben, neue Technologien, geopolitische Entwicklungen und die Lehren aus der derzeitigen Krise. Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, den REMIT-Rahmen zu überarbeiten, um die Risiken eines Marktmissbrauchs zu mindern, und fordert die Kommission auf, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Funktionsfähigkeit des Markts zu erhalten und die wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen der Preisbildung und Spekulation zu vermeiden. Der europäische Energiemarkt sollte nicht wie die Finanzmärkte funktionieren. Der Energiebinnenmarkt muss ein realistisches Bild der Lage im europäischen Energiesystem vermitteln. Der EWSA verweist auf den jüngsten Bericht des Europäischen Rechnungshofs, in dem darauf hingewiesen wird, dass die EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) nicht über ausreichende Ressourcen verfügt, um den Markt zu überwachen und Missbrauch zu verhindern, und fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass die ACER ihre diesbezüglichen Aufgaben erfüllen kann.
2.13Der EWSA ist besorgt darüber, dass die Subventionen für erneuerbare Energien 2021 gekürzt wurden, während die Subventionen für fossile Brennstoffe stabil geblieben sind. Nach der Krise müssen grundlegende Maßnahmen ergriffen werden, um den Wettbewerb um Subventionen zwischen erneuerbaren Energien und fossilen Energieträgern zu beenden. Dazu macht die Kommission in ihrem Bericht allerdings keinerlei Aussagen.
2.14Der EWSA weist darauf hin, dass der Frage der Kosten und Folgen, die sich aus der die Senkung der Energienachfrage betreffenden Säule der EU-Strategie ergeben, im Bericht zur Lage der Energieunion 2022 nicht gebührend Rechnung getragen wird. Der EWSA empfiehlt der Kommission daher, näher zu untersuchen, wie sich diese Senkung im jeweiligen regionalen Kontext auswirken könnte, und die zur Abmilderung ihrer Auswirkungen erforderlichen Instrumente aufzuzeigen.
2.15Die klimapolitischen Maßnahmen werden große Auswirkungen auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Unternehmen haben und umfangreiche Schulungs-, Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen erfordern. Dieser Übergang sollte als Chance dafür genutzt werden, in allen Sektoren und Regionen hochwertige Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen zu schaffen. Der gerechte Übergang wird in dem Bericht nicht hinreichend berücksichtigt. Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, den Mechanismus für einen gerechten Übergang zu stärken und dabei besonderes Augenmerk auf die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer, die Arbeitsplätze und das Industriesystem zu legen. Ebenso sollten die Sozialpartner kontinuierlich und strukturell in die Entwicklung von Strategien für Nachhaltigkeit, Sicherheit und Solidarität einbezogen werden. Der gerechte Übergang ist nicht nur eine Frage der Finanzierung. Er umfasst auch das Ziel, die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu wahren, für menschenwürdige Arbeit, hochwertige Arbeitsplätze und soziale Sicherheit zu sorgen sowie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen zu erhalten und weiter auszubauen, und erfordert besondere Maßnahmen auf allen Ebenen, insbesondere der regionalen.
Brüssel, den 22. März 2023
Christa SCHWENG
Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
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