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STELLUNGNAHME
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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
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Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten
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Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt
[COM(2022) 453 final]
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REX/565
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Hauptberichterstatter: Thomas WAGNSONNER
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Befassung
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Europäisches Parlament, 06/10/2022
Rat, 12/10/2022
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Rechtsgrundlage
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Artikel 114 und Artikel 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
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Beschluss des Plenums
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14/12/2022
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Zuständige Fachgruppe
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Fachgruppe Außenbeziehungen
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Annahme in der Fachgruppe
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–
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Verabschiedung im Plenum
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25/01/2023
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Plenartagung Nr.
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575
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Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)
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196/1/4
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1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt (COM(2022) 453 final)
. Denn die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und arbeitsbezogenen Rechte und daher die Beseitigung aller Formen von Zwangsarbeit und Ausbeutung, wie in Ziffer 1.4 Buchstabe j des EU‑Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie 2020–2024
dargelegt, sind von entscheidender Bedeutung.
1.2Der EWSA stellt fest, dass in dem vorliegenden Verordnungsvorschlag die Perspektive der Arbeitnehmer, die innerhalb und außerhalb der Europäischen Union zur Ausbeutung gezwungen werden, nicht ausreichend berücksichtigt wird. Um die Stellung von Zwangsarbeit leistenden Arbeitnehmern zu stärken, sollte in europäischen Rechtsvorschriften eine angemessene Entschädigung der Opfer in Erwägung gezogen werden. Der EWSA weist darauf hin, dass der Ratifizierung des Protokolls von 2014 zum Übereinkommen über Zwangsarbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) von 1930
durch alle EU-Mitgliedstaaten zentrale Bedeutung zukommt.
1.3Der EWSA unterstützt die Definition in Artikel 2 Buchstabe a der Verordnung, die auf der Definition der IAO für Zwangsarbeit beruht. Diese Definition umfasst „jede Art von Arbeit oder Dienstleistungen“, daher sollten Waren, die mit Hilfe von Zwangsarbeit transportiert werden, in den Kommissionsvorschlag aufgenommen werden.
1.4Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission Kinderzwangsarbeit in der vorgeschlagenen Verordnung erwähnt. Um die Abschaffung der Kinderarbeit zu beschleunigen, sollte der Geltungsbereich dieser Verordnung jedoch das IAO-Übereinkommen über das Mindestalter von 1973 (Nr. 138)
, die IAO-Empfehlung Nr. 146
, das IAO-Übereinkommen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 (Nr. 182)
und die IAO‑Empfehlung Nr. 190
einbeziehen. Der EWSA weist auf die Notwendigkeit einer entsprechenden EU-Gesetzgebungsinitiative zur Bekämpfung aller anderen Formen der Kinderarbeit hin.
1.5Der EWSA begrüßt, dass alle Wirtschaftsakteure berücksichtigt werden. Bei den Untersuchungen durch die zuständigen nationalen Behörden sollten die Größe und die wirtschaftlichen Ressourcen der Wirtschaftsakteure ausschlaggebend sein. Unternehmen, bei denen ein hohes Risiko des Einsatzes von Zwangsarbeit besteht, sowie große Wirtschaftsakteure sollten vorrangig untersucht werden.
1.6Der EWSA stellt fest, dass dem Vorschlag keine Folgenabschätzung vorausging, die hingegen zu anderen Initiativen wie bspw. dem Vorschlag für eine Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit durchgeführt wurden. Der Schwerpunkt dieser Verordnung liegt auf dem Verbot, der Aussetzung der Inverkehrbringung und dem Zurückhalten ein- und ausgeführter Erzeugnisse durch den Zoll bzw. in Häfen, was zu neuen Verfahren führen wird. Die Folgenabschätzung sollte ausgewogen sein und den Nutzen und die Kosten der Bekämpfung von Zwangsarbeit berücksichtigen.
1.7Der organisierten Zivilgesellschaft kommt eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu. Die Sozialpartner sind strategisch gut aufgestellt, um institutionelles Engagement und Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Die institutionelle Verankerung der Sozialpartner und NGO in diesen Rechtsvorschriften ist von größter Bedeutung.
1.8Aufgrund der Verknüpfung des vorliegenden Vorschlags mit dem Richtlinienvorschlag zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Hinblick auf Nachhaltigkeit muss noch geklärt werden, wie sich die beiden Rechtsakte in der Praxis zueinander verhalten. Die Europäische Kommission sollte abgestimmt vorgehen und Unstimmigkeiten vermeiden.
1.9Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, gemäß Artikel 23 der Verordnung Leitlinien herauszugeben, um Unternehmen dabei zu unterstützen, das Zwangsarbeitsrisiko in ihren Geschäftstätigkeiten und Wertschöpfungsketten zu erkennen, zu minimieren, zu verhindern oder zu beseitigen. Dies gilt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Die Leitlinien sollten unbedingt sofort bei Inkrafttreten der Verordnung herausgegeben werden.
1.10Die Europäische Kommission muss eine aktive und führende Rolle in dem in Artikel 24 der Verordnung vorgeschlagenen Unionsnetzwerk gegen in Zwangsarbeit hergestellte Produkte übernehmen, um die nationalen Behörden, die die Verordnung durchsetzen, zu unterstützen und zu koordinieren. Der EWSA betont, dass ausreichende Finanzmittel für die Schaffung einer angemessenen und wirksamen Infrastruktur auf europäischer und nationaler Ebene zur Bekämpfung von Zwangsarbeit von entscheidender Bedeutung sind.
1.11Der EWSA weist darauf hin, dass die in Artikel 11 vorgeschlagene Datenbank ein Kerninstrument des Zwangsarbeitsverbots sein wird. Wie diese Datenbank aufgebaut sein soll, muss detailliert dargelegt werden. Der EWSA betont die Notwendigkeit präziser und transparenter Risikoindikatoren, die sich auf den Ursprung und die Bestandteile eines Produkts sowie weitere relevante Informationen stützen, aber nicht darauf beschränkt sind. Um eine wirksame Durchsetzung zu gewährleisten, sind detaillierte Informationen über das Produkt, den Hersteller, den Einführer, den Ursprung und die Bestandteile sowie die in dem Produkt und seinen Bestandteilen verwendeten Ressourcen und Mineralien erforderlich. Diese Datenbank muss auf dem neuesten Stand gehalten und um neue Informationen z. T. aufgrund von Untersuchungsverfahren erweitert werden.
1.12Der EWSA betont, wie wichtig Transparenz und offener Informationszugang für Unternehmen, die zuständigen Behörden, die organisierte Zivilgesellschaft und die breite Öffentlichkeit sind. Der EWSA schlägt vor, ein Benchmarking-System als Teil der Datenbank einzuführen. Kernstück dieses Benchmarking-Systems ist ein System für die Einstufung von Regionen und Sektoren bis hin zu Produktgruppen, Produkten und Unternehmen mit hohem und geringem Risiko. Es beruht auf den von Experten in der Datenbank gesammelten Informationen, ist aber nicht auf diese beschränkt. Der EWSA betont, wie wichtig es ist, dass die organisierte Zivilgesellschaft, einschließlich der Sozialpartner die Möglichkeit haben, einschlägige Informationen beizusteuern.
1.13Nach Auffassung des EWSA sollten die zuständigen Behörden das Recht haben, Waren an der EU-Grenze zurückzuhalten, sobald sie einen begründeten Verdacht gemäß Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung hegen. Der EWSA schlägt vor, dass die Wirtschaftsakteure nach Maßgabe ihrer Risikoeinstufung unterschiedliche Pflichten haben sollten. Darüber hinaus sollten sich die zuständigen nationalen Behörden in der Voruntersuchungsphase auf Produkte konzentrieren, die mit Hochrisikoregionen, -unternehmen und/oder -sektoren verbunden sind. Geschäftsgeheimnisse müssen in jedem Fall z. B. durch geeignete Vertraulichkeitsklauseln gewährleistet werden.
1.14Im Rahmen der Voruntersuchung muss der Wirtschaftsakteur eine Sorgfaltserklärung abgeben, wenn das Produkt mit Hochrisikoregionen, -unternehmen und/oder -sektoren verbunden ist. Die Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten, die laut Artikel 23 in den Leitlinien detailliert angegeben werden sollen, sowie die Nichtübermittlung der erforderlichen Sorgfaltserklärungen müssen als begründete Bedenken eingestuft werden und die Zurückhaltung des Produkts und die direkte Einleitung einer Untersuchung zur Folge haben.
1.15Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, eine Machbarkeitsstudie bezüglich einer öffentlichen EU-Ratingagentur für ökologische und soziale Nachhaltigkeit sowie für Menschenrechte im wirtschaftlichen Kontext vorzulegen. Eine solche Agentur sollte neben anderen Aufgaben wie der technischen Unterstützung der zuständigen nationalen Behörden europäische Standards für Sorgfaltspflichtregelungen entwickeln. Diese Standards könnten im Wesentlichen zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen beitragen, was insbesondere im Interesse der europäischen Unternehmen liegt.
1.16Der EWSA weist darauf hin, dass sowohl klare als auch verständliche Formulierungen erforderlich sind, um Rechtssicherheit und einfache Leitlinien zu gewährleisten. Es gilt, den Verwaltungsaufwand für die Wirtschaftsakteure, insbesondere für KMU, überschaubar zu halten. Die zuständigen nationalen Behörden müssen Unternehmen, insbesondere KMU, bei der Ausarbeitung ihrer Sorgfaltspflichtregelungen technisch unterstützen.
1.17Der EWSA betont die Notwendigkeit eines einheitlichen EU-weiten Mindeststrafmaßes für Verstöße gegen die Verordnung. Dadurch wird ein Wettlauf nach unten durch die Mitgliedstaaten vermieden und es werden gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet.
1.18Die Europäische Kommission sollte sich verstärkt für die Schaffung internationaler Strukturen zur Lösung des Problems der Zwangsarbeit einsetzen. Der EWSA fordert erneut die Unterstützung der EU für ein verbindliches UN-Übereinkommen über Wirtschaft und Menschenrechte. Zudem sollte die Ausarbeitung eines eventuellen IAO-Übereinkommens über menschenwürdige Arbeit in Lieferketten erwogen werden. Die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch mit Drittländern und internationalen Organisationen sind wichtig für eine ordnungsgemäße Umsetzung.
2.Hintergrund
2.1Die IAO schätzt in ihrer jüngsten Veröffentlichung zu moderner Sklaverei, dass täglich ca. 27,6 Millionen Menschen Zwangsarbeit leisten müssen. Zwangsarbeit kommt überall auf der Welt vor, sogar in Europa.
2.2Im Übereinkommen Nr. 29 der IAO über Zwangsarbeit von 1930
wird Zwangsarbeit definiert als „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“. Das Protokoll über Zwangsarbeit (Artikel 1 Absatz 3) umfasst drei Aspekte:
·„Arbeit oder Dienstleistung“ bezieht sich auf jede Art von Arbeit, die in einer Tätigkeit, in der Industrie oder in einem Sektor, auch in der Schattenwirtschaft, ausgeübt wird;
·„unter Androhung irgendeiner Strafe“ bezieht sich auf ein breites Spektrum von Strafen, mit denen eine Person zur Arbeit gezwungen wird;
·„freiwillig zur Verfügung gestellt“ bezieht sich auf die freie Zustimmung nach vorheriger Aufklärung eines Arbeitnehmers zur Aufnahme einer Arbeit und die Freiheit, diese Arbeit jederzeit wieder zu beenden (dies betrifft Fragen wie die unfreiwillige Aushändigung eines Ausweisdokuments).
Die IAO stuft das IAO-Übereinkommen Nr. 29, das Protokoll von 2014 zum IAO‑Übereinkommen Nr. 29
und das IAO-Übereinkommen Nr. 105
über die Abschaffung der Zwangsarbeit als grundlegende IAO-Übereinkommen ein.
2.3Der EWSA weist darauf hin, dass Zwangsarbeit in mehreren grundlegenden internationalen und europäischen Übereinkommen verboten ist, bspw. gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
und Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
. In Artikel 8 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte
heißt es: „Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.“ Wirksame Instrumente zum Umgang mit Zwangsarbeit werden gebraucht, um die in den Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals – SDG) der Vereinten Nationen
(insbesondere SDG 8) festgelegten Zielsetzungen zu erreichen. Die Europäische Sozialcharta
bietet einen Rahmen für sozial gerechte Arbeitsbedingungen und faire soziale Rechte. Der EWSA verweist auf die entscheidende Bedeutung der Durchsetzung der Menschenrechte, einschließlich der Arbeitnehmerrechte, unabhängig von einem möglichen Konflikt mit den vier Freiheiten des Binnenmarkts (freier Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr).
2.4Der EWSA hat seine Stellungnahme REX/395 „Bekämpfung von Zwangsarbeit in Europa und weltweit: Die Rolle der EU – Beitrag des EWSA zur Konferenz der ILO 2014“
diesem Thema gewidmet und es in weiteren Stellungnahmen aufgegriffen, u. a. in den Stellungnahmen SOC/727
, INT/911
, INT/973
, REX/532
und REX/518
.
2.5Die Zahl der Zwangsarbeit leistenden Menschen ist zwischen 2016 und 2021 um 2,7 Millionen gestiegen. Die jüngsten Krisen, insbesondere die COVID‑19-Pandemie, die Klimakrise sowie zahlreiche bewaffnete Konflikte, zuletzt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, haben zu Einkommensausfällen geführt und die Armut und dadurch das Problem der Zwangsarbeit verschärft.
2.6Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über ein Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt (COM(2022) 453 final). Im Rahmen der Verpflichtung der EU, menschenwürdige Arbeit weltweit zu fördern, muss die Bekämpfung von Zwangsarbeit eine Priorität der Menschenrechtsagenda der EU sein.
2.7Wie in Ziffer 1.4 Buchstabe j des EU-Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie 2020‑2024 dargelegt, ist die Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Rechte und der Arbeitnehmerrechte und damit die Beseitigung aller Formen von Zwangsarbeit und Ausbeutung von entscheidender Bedeutung, um insbesondere die weltweite Führungsrolle der EU in den Bereichen Menschenrechte und Demokratie zu sichern. Zusammen mit der Mitteilung der Kommission über menschenwürdige Arbeit weltweit
zählt diese Verordnung zu einer Reihe von Instrumenten, die erforderlich sind, um dieses Ziel zu erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit der sozial verantwortlichen europäischen Hersteller im Binnenmarkt und in Drittländern zu fördern.
2.8Der EWSA betont, dass unbedingt ein harmonisierter Rechtsrahmen der EU für diesen Bereich geschaffen werden muss. Zusammen mit dem Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit
, die sich mit dem Verhalten von Unternehmen und den Verfahren zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht für Unternehmen befasst, sollte diese Verordnung ein geeignetes Regulierungsinstrument sein, um Kohärenz zwischen den EU-Rechtsvorschriften (z. B. der Verordnung (EU) 2019/1020) und nationalen Rechtsvorschriften herzustellen. Sie sollte auch die Bemühungen um die Beseitigung von Zwangsarbeit und die Umsetzung internationaler Standards für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln ergänzen, wie bspw. die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte
und die Leitlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für multinationale Unternehmen
. Darüber hinaus können die dreigliedrige Grundsatzerklärung der IAO über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik
und das IAO-Handbuch für Arbeitgeber und Unternehmen zur Bekämpfung der Zwangsarbeit
als Unterstützung für Unternehmen und Regierungen bei der Beseitigung von Zwangsarbeit herangezogen werden.
2.9Der organisierten Zivilgesellschaft kommt eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung aller Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit zu. Insbesondere die Sozialpartner sind strategisch gut aufgestellt, um institutionelles Engagement und Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Daher ist die institutionelle Verankerung der Sozialpartner und NGO in der künftigen Umsetzung auf allen Ebenen der Lieferkette in dieser Rechtsvorschrift von größter Bedeutung.
2.10Die Praxis der Gewinnmaximierung auf Kosten der Achtung der Menschenrechte ist eine der Hauptursachen für Zwangsarbeit. Der EWSA weist darauf hin, dass die Gründe und Ursachen von Zwangsarbeit umfassender angegangen werden müssen. Diese Verordnung kann dennoch ein wichtiger zusätzlicher Schritt zur Schaffung der globalen Grundlagen für gleiche Wettbewerbsbedingungen sein.
3.Allgemeine Bemerkungen
3.1Der EWSA weist darauf hin, wie wichtig es ist, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um den Einsatz von Zwangsarbeit innerhalb und außerhalb der EU zu verhindern und zu unterbinden. Die Opfer müssen Schutz und Zugang zu geeigneten und wirksamen Rechtsbehelfen wie Entschädigungen erhalten und die Auftraggeber von Zwangs- oder Pflichtarbeit müssen bestraft werden. Der EWSA weist darauf hin, dass die Ratifizierung des IAO-Protokolls von 2014 zum Übereinkommen Nr. 29 (P029)
durch alle EU-Mitgliedstaaten der erste Schritt zur wirksamen Umsetzung dieser Maßnahmen ist. Die EU muss die Empfehlungen des Protokolls in ihrer politischen Arbeit und Legislativtätigkeit umsetzen und die internationale Ratifizierung mit allen zur Verfügung stehenden Instrumenten fördern (z. B. Handelsabkommen, Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechtsdialog usw.). Darüber hinaus ist die weltweite Förderung der Ratifizierung und wirksamen Umsetzung des IAO-Übereinkommens von 1949 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen (Nr. 98)
ein Schlüsselelement bei der Bekämpfung der Ursachen von Zwangsarbeit.
3.2Die Umsetzung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen ist ein wichtiger Schritt zur Anwendung der Verantwortung von Unternehmen im Produktionsprozess entlang der gesamten Lieferkette, auf dem daher der Fokus liegt. Sowohl die effektive Anwendung als auch die Sicherstellung eines überschaubaren Verwaltungsaufwands insbesondere für KMU erfordern klar definierte und realistische Verpflichtungen, die voll und ganz mit den bereits von der Europäischen Kommission vorgelegten Rechtsakten, insbesondere der Initiative zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit, im Einklang stehen. Der EWSA begrüßt, dass sich das Einfuhrverbot, das den bestehenden und geplanten Rechtsrahmen ergänzt, auf die Produktlinie konzentriert.
3.3Bei der Fokussierung auf die Produktlinie wird jedoch außer Acht gelassen, dass Zwangsarbeit häufig ein systemisches Muster in der gesamten Organisation eines Erzeugers, Herstellers oder Einführers ist. Der EWSA betont, dass die Identifizierung von Produkten zwar ein wichtiger Ausgangspunkt ist, das Thema Zwangsarbeit jedoch nicht isoliert angegangen werden darf. Die Verordnung muss ausdrücklich darauf abzielen, alle Produkte eines Wirtschaftsakteurs einzubeziehen, da Zwangsarbeit nicht auf eine Produktlinie innerhalb einer Fabrik beschränkt ist.
3.4Der EWSA stellt fest, dass dem Vorschlag keine Folgenabschätzung vorausging, die hingegen zu anderen Initiativen wie bspw. dem Vorschlag für eine Richtlinie zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit durchgeführt wurden. Der Schwerpunkt dieser Verordnung liegt auf dem Verbot, der Aussetzung der Inverkehrbringung und dem Zurückhalten ein- und ausgeführter Erzeugnisse durch den Zoll bzw. in Häfen, was zu neuen Verfahren führen wird. Dennoch sollte die Folgenabschätzung ausgewogen sein und den Nutzen und die Kosten der Bekämpfung von Zwangsarbeit berücksichtigen.
3.5Da der Vorschlag für eine Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Hinblick auf Nachhaltigkeit jedoch derzeit ausgearbeitet wird und der Verordnungsvorschlag auch deutliche Elemente der Sorgfaltspflicht in Lieferketten enthält, ist noch zu klären, wie sich die beiden Rechtsakte in der Praxis zueinander verhalten. Die Europäische Kommission sollte daher abgestimmt vorgehen und Unstimmigkeiten vermeiden.
3.6Der EWSA stellt fest, dass der Vorschlag gravierende Mängel bezüglich der Bekämpfung systemischer Zwangsarbeit aufweist. Um dieses Problem angemessen anzugehen, könnte ein klares Verfahren für die Berücksichtigung von Regionen und Sektoren mit hohem Zwangsarbeitsrisiko die Wirksamkeit der Verordnung erheblich steigern, um die Verbreitung staatlich auferlegter Zwangsarbeit, insbesondere in den Lieferketten der EU, zu bekämpfen und Unternehmen zu deren Beseitigung zu verpflichten.
3.7Der EWSA weist darauf hin, dass die in Artikel 11 beschriebene Datenbank ein zentrales Instrument zur Durchsetzung des Verbots sein wird. Gleichwohl muss der Aufbau dieser Datenbank detailliert ausgearbeitet werden. Der EWSA betont die Notwendigkeit klar definierter, präziser, transparenter und genauer Risikoindikatoren, die sich auf den Ursprung und die Bestandteile eines Produkts sowie weitere relevante Informationen stützen, aber nicht darauf beschränkt sind. Diese Datenbank muss auf dem neuesten Stand gehalten und um neue Informationen z. T. aufgrund von Untersuchungsverfahren erweitert werden.
3.8Der EWSA betont, wie wichtig Transparenz und offener Informationszugang für Unternehmen, die zuständigen Behörden, die organisierte Zivilgesellschaft und die breite Öffentlichkeit sind. Daher schlägt der EWSA vor, im Rahmen der Datenbank ein Benchmarking-System einzuführen, das sich an dem System orientiert, das die Kommission in ihrem Vorschlag für eine Verordnung über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt sowie ihre Ausfuhr aus der Union (COM(2021) 706 final) ausführt. Kernstück dieses Benchmarking-Systems ist ein System für die Einstufung von Regionen und Sektoren bis hin zu Produktgruppen, Produkten und Unternehmen mit hohem und geringem Risiko. Es beruht auf den von Experten in der Datenbank gesammelten Informationen, ist aber nicht auf diese beschränkt. Zudem betont der EWSA, wie wichtig es ist, dass die organisierte Zivilgesellschaft, einschließlich der Sozialpartner, die Möglichkeit haben, einschlägige Informationen beizusteuern. Ein besonderer Schwerpunkt muss sein, es Organisationen der Zivilgesellschaft in Drittländern zu ermöglichen, sachdienliche Informationen über Zwangsarbeit problemlos bereitzustellen. Eine enge Zusammenarbeit mit den Ständigen Vertretungen und Delegationen der EU sowie mit den Büros der Vereinten Nationen und der IAO, der kürzlich eingerichteten IAO-Beobachtungsstelle für Zwangsarbeit und ihrer Datenbank sowie anderen Organisationen der Zivilgesellschaft wie Delta 8.7, die sich mit dem Problem der Zwangsarbeit befassen, ist für die Sammlung einschlägiger Informationen von entscheidender Bedeutung.
3.9Ein Schlüsselelement der vorgeschlagenen Verordnung besteht darin, dass die zuständigen nationalen Behörden von sich aus oder aufgrund von Informationen, die sie erhalten haben, eine Untersuchung einleiten müssen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass diese Waren in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Nach Auffassung des EWSA sollten die zuständigen nationalen Behörden das Recht haben, Waren an der EU-Grenze zurückzuhalten, sobald sie einen begründeten Verdacht gemäß Artikel 2 Buchstabe n hegen. Ein ähnlicher Ansatz wird von den US-Zollbehörden bereits im Rahmen der Withhold Release Order verfolgt. Der EWSA schlägt vor, dass die Wirtschaftsakteure nach Maßgabe ihrer Risikoeinstufung unterschiedliche Pflichten haben sollten.
3.10Bei einem hohen Risiko muss eine Sorgfaltspflichtregelung verbindlich vorgeschrieben sein, die die Erhebung von Informationen, die Risikobewertung und die Risikominderung umfasst. Das Vorbild sollte hier das System sein, das in der Verordnung über entwaldungsfreie Produkte dargelegt ist, das jedoch auf den Vorschlag bezüglich der Zwangsarbeit abgestimmt werden muss. Daher sind detaillierte Informationen über das Produkt, den Hersteller, den Importeur, den Ursprung und die Bestandteile sowie die in dem Produkt und seinen Bestandteilen verwendeten Ressourcen und Mineralien im Rahmen der Nachvollziehung und Offenlegung der Lieferkette erforderlich. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Feststellung, wo genau in der Wertschöpfungskette Zwangsarbeit vorkommt. Für KMU sollte angesichts ihrer Voraussetzungen eine vereinfachte Sorgfaltspflicht gelten, die sich auf die Erhebung relevanter Informationen beschränkt. Darüber hinaus sollten die zuständigen nationalen Behörden ihre Voruntersuchungen auf Produkte im Zusammenhang mit Hochrisikoregionen, -unternehmen und/oder -sektoren konzentrieren. Geschäftsgeheimnisse müssen in jedem Fall z. B. durch geeignete Vertraulichkeitsklauseln gewährleistet werden.
3.11Im Rahmen der Voruntersuchung muss der Wirtschaftsakteur eine Sorgfaltserklärung abgeben, wenn das Produkt mit Hochrisikoregionen, -unternehmen und/oder -sektoren verbunden ist. Die Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten, die laut Artikel 23 in den Leitlinien detailliert angegeben werden sollen, sowie die Nichtübermittlung der erforderlichen Sorgfaltserklärungen müssen als begründete Bedenken eingestuft werden und die Zurückhaltung des Produkts und die direkte Einleitung einer Untersuchung zur Folge haben. Bei Produkten im Zusammenhang mit Regionen, Unternehmen und/oder Sektoren mit geringem Risiko sind die Wirtschaftsakteure von der obligatorischen Sorgfaltspflicht befreit, und das Verfahren muss wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen durchgeführt werden. Der EWSA betont jedoch, dass die Sorgfaltspflicht nicht als Schutz gegen die Einleitung von Untersuchungen eingesetzt werden sollte, um die verantwortungslose Beendigung bestehender Geschäftsverhältnisse zu vermeiden.
3.12Der EWSA weist darauf hin, dass eine ordnungsgemäße Durchsetzung nur dann möglich ist, wenn die EU-Mitgliedstaaten ihren zuständigen nationalen Behörden ausreichende Mittel und Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Europäische Kommission hat bereits eingestanden, dass eine unzureichende Ausstattung der nationalen Zollbehörden die wirksame Durchsetzung massiv beeinträchtigt. Darüber hinaus sollten die zuständigen nationalen Behörden ausreichend Zeit für eine eingehende und sorgfältige Untersuchung haben.
3.13Wie in der jüngsten Veröffentlichung der IAO zur modernen Sklaverei dargelegt, haben die Opfer von Zwangsarbeit ganz unterschiedliche soziodemografische Hintergründe. Insbesondere bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen wie Wanderarbeitnehmern ist das Zwangsarbeitsrisiko höher. Daher fordert der EWSA, die Situation von Wanderarbeitnehmern, Staatenlosen und Kindern zu berücksichtigen. Besonderes Augenmerk ist auf die Geschlechterperspektive zu legen.
3.14Nach Angaben der IAO müssen weltweit 160 Millionen Kinder Kinderarbeit leisten. Die effektive Abschaffung der Kinderarbeit ist Teil der Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit. Das Engagement der EU im Kampf gegen Kinderarbeit ist in ihrem Null-Toleranz-Ansatz gegenüber Kinderarbeit auf der Grundlage von Artikel 32 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der EU-Kinderrechtsstrategie
und Ziffer 1.4 Buchstabe c des EU-Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie 2020-2024 verankert. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission Kinderzwangsarbeit in Artikel 2 Buchstabe a des Vorschlags für eine Verordnung ausdrücklich erwähnt. Um die Abschaffung der Kinderarbeit zu beschleunigen, sollte der Geltungsbereich dieser Verordnung jedoch das IAO-Übereinkommen über das Mindestalter von 1973 (Nr. 138), die IAO‑Empfehlung Nr. 146, das IAO-Übereinkommen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 (Nr. 182) und die IAO-Empfehlung Nr. 190 einbeziehen. Darüber verweist der EWSA auf die Notwendigkeit einer entsprechenden EU-Gesetzgebungsinitiative zur Bekämpfung aller anderen Formen der Kinderarbeit.
3.15Der EWSA stellt fest, dass in dem vorliegenden Verordnungsvorschlag die Perspektive der Arbeitnehmer, die innerhalb und außerhalb der Europäischen Union zur Ausbeutung gezwungen werden, nicht ausreichend berücksichtigt wird. Um die Stellung von Zwangsarbeit leistenden Arbeitnehmern zu stärken, sollte in europäischen Rechtsvorschriften eine angemessene Entschädigung der Opfer in Erwägung gezogen werden. Arbeitnehmervertreter, lokale Gewerkschaften, der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) und die Arbeitnehmer selbst sowie zivilgesellschaftliche Organisationen sollten in die Untersuchungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Es gilt sicherzustellen, dass die Ansichten und Interessen der betroffenen Arbeitnehmer in jeder Phase berücksichtigt werden.
3.16Die Europäische Kommission sollte sich verstärkt für die Schaffung internationaler Strukturen zur Lösung des Problems der Zwangsarbeit und die Harmonisierung der Aktivitäten und Maßnahmen zur Gewährleistung der Rechtssicherheit auf internationaler Ebene einsetzen. Außerdem hat der EWSA bereits mehrfach die Unterstützung der EU für ein verbindliches UN‑Übereinkommen über Wirtschaft und Menschenrechte gefordert. Auch die Ausarbeitung eines eventuellen IAO-Übereinkommens über menschenwürdige Arbeit in Lieferketten sollte erwogen werden, wie bereits in der EWSA-Stellungnahme SOC/727
erwähnt. Die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch mit Drittländern und internationalen Organisationen sind wichtig für eine ordnungsgemäße Umsetzung der Ziele der Verordnung.
3.17Der EWSA betont, dass starke und ambitionierte Rechtsvorschriften für die Bekämpfung von Zwangsarbeit in der EU und allen ihren Partnerländern entscheidend sind. Daher muss der vorliegende Vorschlag an die Definitionen und Kriterien insbesondere in den USA, Kanada und anderen entwickelten und ausgereiften Märkten (z. B. der US-amerikanische UFLPA, der US Tariff Act und das derzeit erörterte Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsarbeit und Kinderarbeit in Lieferketten) angepasst werden, um Inkohärenzen zu vermeiden und das Problem der Zwangsarbeit auf globaler Ebene wirksam anzugehen. Die EU sollte aber gleichwohl über ein effizientes institutionelles System zur Überprüfung von Fällen von Zwangsarbeit weltweit verfügen, das die Unternehmen befolgen müssen. Der Vorschlag sollte die Schaffung gemeinsamer internationaler Strukturen zur Bekämpfung von Zwangsarbeit fördern, um eine stärkere Harmonisierung, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit auf internationaler Ebene zu erreichen, insbesondere um zu verhindern, dass europäische Unternehmen mit ausländischen Rechtsvorschriften in Konflikt geraten.
3.18Da Zwangsarbeit ein globales Problem ist und die globalen Wertschöpfungsketten eng miteinander verflochten sind, muss die internationale Zusammenarbeit gegen Zwangsarbeit gefördert werden. Der EWSA betont, dass eine enge Zusammenarbeit und ein intensiver Informationsaustausch mit Behörden in Drittländern sowie mit internationalen Organisationen, insbesondere der IAO und den Vereinten Nationen, für die ordnungsgemäße Umsetzung des Verbots von entscheidender Bedeutung sind.
3.19Die Ständigen Vertretungen und Delegationen der EU vor Ort sollten eine Schlüsselrolle bei der Kommunikation mit Opfern von Zwangsarbeit und mit Organisationen der Zivilgesellschaft spielen. Sie sollten auch eine Schlüsselrolle bei der Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und der IAO bei der Erhebung und Bereitstellung wertvoller Daten für Risikobewertungen (z. B. durch die Einrichtung oder Unterstützung nationaler Erhebungen über Zwangsarbeit) spielen und als Kooperationspartner bei laufenden Untersuchungen fungieren. Ferner sollten sie die erste Anlaufstelle bei Beschwerden sein.
3.20Die Globalisierung hat die Stellung weltweit tätiger Unternehmen gestärkt und die Macht der staatlichen Institutionen, insbesondere im Globalen Süden, geschwächt. Der EWSA betont, dass die Bekämpfung der Zwangsarbeit in die Handels- und Entwicklungszusammenarbeit der EU einbezogen werden muss. In Bezug auf die weniger entwickelten Länder sollte die aktive Unterstützung der lokalen Arbeitsbehörden Priorität haben. Der EWSA betont, dass bei diesen Rechtsvorschriften alle Länder gleich behandelt werden sollten, und warnt davor, weniger und am wenigsten entwickelte Länder unverhältnismäßig zu benachteiligen.
3.21Der EWSA begrüßt den Geltungsbereich des Vorschlags, der alle Wirtschaftsakteure unabhängig von ihrer Größe umfasst. Dennoch sollten die Behörden bei ihren Untersuchungen vor allem die Größe und die wirtschaftlichen Ressourcen der Wirtschaftsakteure berücksichtigen. Daher sollten Unternehmen, bei denen ein hohes Risiko des Einsatzes von Zwangsarbeit besteht, sowie große Wirtschaftsakteure vorrangig untersucht werden. Der EWSA weist darauf hin, dass die Besonderheit der digitalen Märkte eine Sonderbehandlung bei der Durchsetzung dieser Rechtsvorschriften erforderlich macht.
3.22Der EWSA möchte die Vorlage dieses Rechtsakts zum Anlass nehmen und die Europäische Kommission bitten, die Durchführbarkeit einer öffentlichen EU-Ratingagentur für ökologische und soziale Nachhaltigkeit sowie Menschenrechte im wirtschaftlichen Kontext zu prüfen, wie dies bereits in der EWSA-Stellungnahme REX/518, Ziffer 3.11, erörtert wurde. Eine solche Agentur sollte europäische Standards für Sorgfaltspflichtregelungen entwickeln. Diese Standards könnten wesentlich zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen beitragen, was insbesondere im Interesse europäischer Unternehmen liegt. Darüber hinaus muss die Agentur verbindliche Qualitätsstandards für Unternehmen aufstellen, die Prüfungen und Akkreditierungsverfahren für diese Prüfungsgesellschaften in der EU durchführen, und ein Aufsichtssystem für regelmäßige Kontrollen dieser Unternehmen entwickeln.
3.23Der EWSA fordert, dass in den Mitgliedstaaten zuständige nationale Behörden benannt oder eingerichtet werden. Diese sollen für die Akkreditierung von Unternehmen zuständig sein, die Prüfungen im Bereich der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit sowie der Menschenrechte im wirtschaftlichen Kontext durchführen. Die öffentliche Rating-Agentur muss den zuständigen nationalen Behörden mittels technischer Unterstützung und Schulung bei der Umsetzung nationaler Systeme zur Unterstützung von Unternehmen in Bezug auf Haftung und Sorgfaltspflicht zur Seite stehen. Der EWSA weist darauf hin, dass für die Umsetzung dieser Verordnung klare und verständliche Formulierungen erforderlich sind, um Rechtssicherheit und leicht verständliche Leitlinien zu gewährleisten, und um den Verwaltungsaufwand für die Wirtschaftsakteure, insbesondere KMU, in ihrer täglichen Arbeit überschaubar zu halten. Daher müssen die zuständigen nationalen Behörden Unternehmen, insbesondere KMU technische Unterstützung leisten bei der Konzipierung ihrer Sorgfaltspflichtregelungen (im Einklang mit den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, den OECD‑Leitsätzen für multinationale Unternehmen und der dreigliedrigen Grundsatzerklärung der IAO über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik).
4.Besondere Bemerkungen
4.1Der EWSA begrüßt die Definition in Artikel 2 Buchstabe a, die auf der Definition der IAO für Zwangsarbeit beruht und „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung“ umfasst. Waren, die mit Hilfe von Zwangsarbeit transportiert werden, sollten daher in den Vorschlag aufgenommen werden, um der Definition zu entsprechen. Zudem sind Verkehrsdienstleistungen ein wesentlicher Teil der Lieferkette von Waren.
4.2Die Europäische Kommission muss eine starke, aktive und führende Rolle in dem in Artikel 24 vorgeschlagenen Unionsnetzwerk gegen in Zwangsarbeit hergestellte Produkte übernehmen, um die nationalen Behörden, die die Verordnung durchsetzen, zu unterstützen und zu koordinieren. Der EWSA fordert die Kommission auf, für dieses Netzwerk eine klar definierte Struktur vorzusehen und es finanziell ausreichend auszustatten, um die EU-Mitgliedstaaten bei der Sammlung von Informationen und der Nutzung des Netzwerks für die Gewährleistung eines ständigen Informationsflusses zu unterstützen. Das Netzwerk sollte Maßnahmen wie die Durchführung internationaler Untersuchungen koordinieren und die Durchsetzung von Einfuhrverboten unterstützen. Ferner sollte die Kommission die Möglichkeit in Betracht ziehen, selbst Untersuchungen durchzuführen, wie dies bereits bei der Überwachung und Untersuchung wettbewerbswidriger Praktiken der Fall ist. Der EWSA fordert die Kommission auf, die organisierte Zivilgesellschaft, insbesondere die Sozialpartner, an allen Tätigkeiten des Netzwerks zu beteiligen.
4.3Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, gemäß Artikel 23 des Vorschlags Leitlinien herauszugeben, um Unternehmen dabei zu unterstützen, das Zwangsarbeitsrisiko in ihren Geschäftstätigkeiten und Wertschöpfungsketten zu erkennen, zu minimieren, zu verhindern oder zu beseitigen. Darüber hinaus sollten die Kommission oder andere Behörden klare Empfehlungen dazu abgeben, wie Systeme zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht für KMU entwickelt werden können, und daher insbesondere KMU unterstützen. Der EWSA fordert die Kommission auf, die organisierte Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung zu beteiligen und diese Leitlinien (Artikel 11 und 23) so zeitig zu veröffentlichen, dass sie leicht – und möglichst bald, in jedem Fall vor Inkrafttreten der Verordnung, – zugänglich sind. Dadurch können sich die zuständigen nationalen Behörden, die Zollbehörden und die Unternehmen auf die Umsetzung des Rechtsakts und die damit verbundenen möglichen Schwierigkeiten vorbereiten.
4.4Der EWSA weist darauf hin, dass die zuständigen nationalen Behörden gemäß Artikel 5 Absatz 6 die Zustimmung der Wirtschaftsakteure benötigen, um Untersuchungen durchzuführen. Dies schwächt die Untersuchungen und schafft eine Lücke in der vorgeschlagenen Verordnung.
4.5Der EWSA betont die Notwendigkeit eines einheitlichen EU-weiten Mindeststrafmaßes für Verstöße gegen die Verordnung. Dadurch wird ein Wettlauf nach unten durch die Mitgliedstaaten vermieden und es werden gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet. Darüber hinaus wäre es hilfreich, wenn die Kommission regelmäßig (z. B. alle zwei Jahre) über die Durchführung der Verordnung in den einzelnen Mitgliedstaaten Bericht erstatten würde.
4.6Der EWSA bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die nationalen Zollbehörden für die Umsetzung der Verordnung zuständig sind (Artikel 12). Dies könnte zu Ineffizienzen bei der Umsetzung führen, da es Fälle unterschiedlicher Anwendung durch die verschiedenen nationalen Zollstellen geben kann, wodurch Inkonsistenzen innerhalb der EU entstehen könnten. Daher sollte eine ordnungsgemäße Umsetzung in den verschiedenen Ländern betont und institutionell sichergestellt werden. Die nationalen Durchsetzungsbehörden müssen klare Leitlinien und die erforderlichen Ressourcen erhalten, um die Verordnung wirksam überwachen und durchsetzen zu können. Den Unternehmen sollte technische Unterstützung an die Hand gegeben werden, damit sie die Rechtsvorschriften einhalten können. Zu diesem Zweck benötigt die EU nach Ansicht des EWSA ein Rahmenkonzept für eine gemeinsame Risikobewertung sowie klare Leitlinien, um – wenn möglich – Doppelarbeit zu vermeiden und die Verfahren zu erleichtern.
4.7In Bezug auf die Fristen für die Untersuchungen sollte der Zeitraum, der den Unternehmen für die Vorlage von Beweismitteln gewährt wird, länger sein als die im Rahmen der Voruntersuchung zugestandenen 15 Tage. Für die zweite Phase der Untersuchung sollten ihnen weitere 15 Tage gewährt werden. Darüber hinaus sollte die 30-Tage-Frist, die Unternehmen für den Rückruf von Produkten, die gegen die Verordnung verstoßen, eingeräumt wird, verlängert werden. Ferner muss mehr Klarheit darüber geschaffen werden, wie die Rücknahme in der Praxis erfolgen soll, einschließlich der eventuellen Vernichtung von Produkten.
4.8Wie in der EWSA-Stellungnahme INT/973 zum Thema „Nachhaltige Unternehmensführung“
erwähnt, wissen Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter genau, wo Fehlverhalten auftreten kann. Der EWSA weist daher darauf hin, dass Arbeitnehmervertreter und lokale Gewerkschaften sowie der IGB in die Einrichtung von Verfahren bezüglich der Sorgfaltspflichten (Risikokartierung) sowie in deren Überwachung (Umsetzung) und die Meldung von Verstößen (Warnmechanismen) einbezogen werden müssen. Der EWSA fordert eine ausdrückliche Erwähnung der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter in der EU und in Drittländern in Artikel 26 Buchstabe a.
4.9Der EWSA weist darauf hin, dass die organisierte Zivilgesellschaft bei der Ausarbeitung der in Artikel 27 der Verordnung genannten delegierten Rechtsakte konsultiert werden sollte.
Brüssel, den 25. Januar 2023
Christa SCHWENG
Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
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