STELLUNGNAHME

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

Sonderunterstützung im Rahmen des ELER / Ukraine

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Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 hinsichtlich einer Sondermaßnahme zur Gewährung einer befristeten Sonderunterstützung im Rahmen des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) als Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine
[COM(2022) 242 final – 2022/0166 (COD)]

NAT/872

Hauptberichterstatter: Arnold PUECH D‘ALISSAC

DE

Befassung

Rat, 25/05/2022

Europäisches Parlament, 06/06/2022

Rechtsgrundlagen

Artikel 42, Artikel 43 Absatz 3 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Verabschiedung im Plenum

16/06/2022

Plenartagung Nr.

570

Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

188/0/3

1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1Die russische Invasion der Ukraine hat erhebliche negative Auswirkungen auf die Agrar- und Lebensmittelwirtschaft der Europäischen Union. Daher begrüßt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene neue Sonderunterstützung. Der Ausschuss hält diese Maßnahme für absolut notwendig und fordert die EU-Organe auf, sie schnellstmöglich anzunehmen.

1.2Der Krieg in der Ukraine macht den geostrategischen Charakter des Agrar- und Lebensmittelsektors und die Notwendigkeit deutlich, die Ernährungssicherheit in der Europäischen Union zu gewährleisten. Daher sind Unterstützungsmaßnahmen für die Liquiditätslage landwirtschaftlicher Betriebe und KMU in der Agrar- und Ernährungswirtschaft unerlässlich, um ihr wirtschaftliches Überleben in dieser neuerlichen Krisenzeit zu sichern, die zu der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Krise hinzukommt.

1.3Der Haushalt des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) ist jedoch bereits zur Deckung des bestehenden Finanzierungsbedarfs sowie für mittel- und langfristige Mittelbindungen vorgesehen. Er sollte nicht zur Finanzierung von Sofortmaßnahmen eingesetzt werden. Da einige EU-Länder ihre ELER-Mittel zudem bereits ausgeschöpft oder gebunden haben, sollte die Europäische Kommission nach Ansicht des EWSA auf eine andere Finanzierungsquelle außerhalb des GAP-Haushalts zurückgreifen, um die Umsetzung dieser Maßnahme zu ermöglichen, ohne die ELER-Mittel für die nächsten Jahre zu schmälern.

1.4Angesichts der außergewöhnlichen Umstände der Situation und des raschen Handlungsbedarfs ist der Ausschuss zudem der Auffassung, dass die Kommission den Zeitplan für die Auszahlung der Unterstützung verkürzen und die Förderkriterien für die Begünstigten vereinfachen sollte. 

2.Wesentlicher Inhalt des Vorschlags der Kommission

2.1Die Kommission schlägt vor, die Verordnung Nr. 1305/2013 über den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) zu ändern, indem folgender neuer Artikel 39c eingefügt wird: „Befristete Sonderunterstützung für Landwirte und KMU, die von den Auswirkungen der russischen Invasion der Ukraine besonders betroffen sind“.

2.2Die geplante Maßnahme würde es den Mitgliedstaaten ermöglichen, bis zum 15. Oktober 2023 einen einmaligen Pauschalbetrag an Landwirte sowie Agrar- und Lebensmittelunternehmen zu zahlen, die aufgrund der russischen Invasion der Ukraine und des damit verbundenen Anstiegs der Betriebsmittelkosten (für Energie, Dünge- und Futtermittel) mit Liquiditätsproblemen und -engpässen konfrontiert sind.

2.3Im Vorschlag der Kommission ist vorgesehen, dass diese finanzielle Sonderunterstützung Landwirten und KMU zugutekommen soll, die an einer oder mehreren der folgenden Tätigkeiten mitwirken:

·Kreislaufwirtschaft

·Nährstoffbewirtschaftung

·effiziente Nutzung von Ressourcen

·umwelt- und klimafreundliche Produktionsverfahren.

2.4Die geplante Unterstützung beläuft sich auf maximal 15 000 EUR je Landwirt und 100 000 EUR je KMU.

2.5Die Mitgliedstaaten hätten die Möglichkeit, die verfügbaren Mittel in Höhe von 5 % ihres ELER-Haushalts für die Jahre 2021/2022 zu nutzen, was in der gesamten EU einem potenziellen Budget von 1,4 Mrd. EUR entspräche.

3.Allgemeine Bemerkungen

3.1Der Krieg in der Ukraine hat die Lage auf den Agrarrohstoffmärkten, die bereits vor der russischen Invasion mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, nochmals erheblich verschlechtert. So haben sich die Preise der wichtigsten landwirtschaftlichen Betriebsmittel im Vergleich zum Niveau von vor einem oder zwei Jahren verdoppelt bzw. sogar verdreifacht. Dies kommt zu den anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie noch hinzu.

3.2In ihrer Mitteilung vom 23. März 2022 hat die Kommission bereits einige Sonderinitiativen zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Lebensmittelsysteme vorgelegt. Die aktuelle Situation ist jedoch beispiellos und erfordert zusätzliche Maßnahmen.

3.3Der EWSA begrüßt daher den Vorschlag der Kommission, durch den die Liquiditätslage von Landwirten und KMU, die seit der russischen Invasion der Ukraine in finanziellen Schwierigkeiten stecken, ein wenig entlastet werden könnte.

3.4Der Vorschlag der Kommission ist eine begrüßenswerte ergänzende Maßnahme zur Verbesserung der Ernährungssicherheit in der EU und zur Eindämmung des beispiellosen Anstiegs der Betriebsmittelkosten.

3.5Der EWSA befürwortet die vorgeschlagene Maßnahme und erachtet es als sehr wichtig, dass die EU-Organe sie möglichst rasch annehmen.

3.6Er hegt jedoch Bedenken bezüglich der Finanzierungsquelle der Maßnahme, des Zeitplans für die Zahlungen, der Kriterien für die Förderfähigkeit und des Risikos eines übermäßigen Verwaltungsaufwands für die Begünstigten, auf die er die Kommission aufmerksam machen möchte.

Finanzierungsquelle

3.7Der EWSA weist darauf hin, dass der ELER 1 , die zweite Säule der gemeinsamen Agrarpolitik, das wichtigste Finanzierungsinstrument für die Entwicklung des ländlichen Raums ist. Dadurch trägt er maßgeblich zum ökologischen Wandel der ländlichen Gebiete und des Agrarsektors bei, indem er die Klimaresilienz stärkt, Innovationen unterstützt und die Wettbewerbsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe fördert.

3.8Der ELER soll somit zur langfristigen Bewältigung der Herausforderungen beitragen, mit denen ländliche Gebiete konfrontiert sind. Insbesondere sollen die Entwicklungsziele, die die Kommission am 30. Juni 2021 in ihrer langfristigen Vision für die ländlichen Gebiete festgelegt hat, bis 2040 verwirklicht werden. 2

3.9Der ELER, aber auch die GAP insgesamt sollten nicht als zusätzliche Finanzierungsquelle für die Bewältigung von Notsituationen herangezogen werden. Der Haushalt des ELER ist bereits für die Deckung des bestehenden Finanzierungsbedarfs und der Verpflichtungen vorgesehen, die eingehalten werden müssen.

3.10Da die Haushaltsmittelansätze und die verfügbaren Mittel nicht beziffert werden, ist auch die Höhe des Gesamtbetrags der Hilfen, die den Begünstigten konkret ausgezahlt werden können, mit vielen Fragezeichen versehen.

3.11Der EWSA fordert die Kommission daher auf, die tatsächlich verfügbaren Mittel genau zu beziffern und andere Finanzierungsquellen in Betracht zu ziehen, die weder dem Zweck noch der Verwirklichung der Ziele des ELER im Wege stehen.

Zeitplan für die Zahlungen

3.12Im Vorschlag der Kommission ist eine Zahlung an die Begünstigten der Maßnahme bis zum 15. Oktober 2023 vorgesehen. Aus Sicht des EWSA stellt sich die Frage, ob diese Zahlungen angesichts der aktuellen Sorgen hinsichtlich des Einkommens der Landwirte und Erzeuger in der Lebensmittelversorgungskette nicht zu spät kommen. Diese Betriebe haben bereits jetzt mit zahlreichen Liquiditätsproblemen zu kämpfen.

3.13Viele Landwirte benötigen rasch finanzielle Unterstützung, um ihre Tätigkeit weiter ausüben zu können. Eine Zahlung der Sonderunterstützung erst Ende 2023 würde der Dringlichkeit der Lage nicht gerecht.

3.14Daher sollte die Auszahlung der Unterstützung möglichst weit vorverlegt werden, um Landwirten und KMU zu helfen, den derzeitigen Anstieg der Produktionskosten zu bewältigen.

Kriterien für die Förderfähigkeit der Begünstigten

3.15Der EWSA begrüßt, dass die von der Kommission geplante finanzielle Unterstützung vorrangig den am stärksten betroffenen Landwirten und KMU auf der Grundlage objektiver und nichtdiskriminierender Auswahlkriterien zugutekommen soll.

3.16Im Vorschlag der Kommission ist zudem vorgesehen, dass die Unterstützung nur Begünstigten gewährt werden darf, die eine oder mehrere Tätigkeiten im Rahmen der Kreislaufwirtschaft, der Nährstoffbewirtschaftung, der effizienten Nutzung von Ressourcen oder eines umweltfreundlichen Produktionsverfahrens ausüben.

3.17Diese zusätzlichen Kriterien würden vom eigentlichen Ziel der Maßnahme, d. h. der Unterstützung von Betrieben und Landwirten, die vom Krieg in der Ukraine betroffen sind, ablenken. Darüber hinaus sind die Mitglieder des EWSA der Auffassung, dass diese Kriterien die Anträge auf Unterstützung, die von den Begünstigten eingereicht werden müssen, noch komplizierter machen werden.

3.18Vielmehr sollten die Kriterien für die Gewährung der Soforthilfe vereinfacht werden, um einen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, der potenzielle Begünstigte von der Einreichung eines Antrags bei den zuständigen Behörden abhalten könnte.

3.19Der EWSA ist der Auffassung, dass Landwirte, die bereits GAP-Direktbeihilfen erhalten und von den Folgen der russischen Invasion der Ukraine betroffen sind, automatisch für die aus dem ELER finanzierte Sonderunterstützung in Betracht kommen sollten.

3.20Auf diese Weise würde sich die von der Kommission vorgeschlagene Sonderunterstützung in die mit der neuen GAP verfolgten Ziele der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit einreihen. Gleichzeitig würde so verhindert, dass neue Kriterien hinzukommen, die zu Verwirrung und zu einer Verkomplizierung führen würden. Die Dringlichkeit der Lage erfordert pragmatische Solidarität mit den am stärksten (vom Anstieg der Produktionskosten oder dem Zusammenbruch der Märkte) betroffenen Betrieben und Landwirten. Die Unterstützung bestimmter nachhaltiger Produktionsweisen, wie die Förderung der Kreislaufwirtschaft, sollte zuvorderst durch spezifische Langzeitinstrumente erfolgen.

Brüssel, den 16. Juni 2022

Christa SCHWENG

Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

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(1)    Stellungnahme des EWSA Die GAP bis 2020 , ABl. C 191 vom 29. Juni 2012 , S. 116 .
(2)     Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Eine langfristige Vision für die ländlichen Gebiete der EU – Für stärkere, vernetzte, resiliente und florierende ländliche Gebiete bis 2040“.