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STELLUNGNAHME
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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
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Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten
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Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten COM(2021) 282 final – 2021/0137 (NLE)
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SOC/699
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Berichterstatterin: Marina Elvira CALDERONE
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Befassung
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Rat der Europäischen Union, 11/06/2021
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Rechtsgrundlage
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Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
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Zuständige Fachgruppe
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Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft
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Annahme in der Fachgruppe
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07/09/2021
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Verabschiedung im Plenum
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23/09/2021
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Plenartagung Nr.
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563
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Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)
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185/1/16
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1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Die Leitlinien bilden einen nützlichen Bezugsrahmen, um beschäftigungspolitische Maßnahmen auf die angestrebte schrittweise Überwindung der Pandemiekrise und die verschiedenen wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen auf positive Beschäftigungsergebnisse auszurichten. Sie sind auch eine sinnvolle Richtschnur, um mit den Maßnahmen im Bereich Resilienz und Wiederaufbau die Grundlagen für die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze in einer ökologisch und sozial nachhaltigen Wirtschaft zu legen. Die Koordinierung wirksamer beschäftigungspolitischer Maßnahmen ist für die Verbesserung des Zusammenhalts zwischen den Mitgliedstaaten und für die Verringerung des sozialen und wirtschaftlichen Gefälles grundlegend.
1.2Die beschäftigungspolitischen Leitlinien müssen den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Arbeitsmarkt, dem Aktionsplan der europäischen Säule sozialer Rechte und den auf dem Sozialgipfel von Porto ermittelten ehrgeizigen sozialen Zielen für Beschäftigung, Armutsbekämpfung und Zugang zu Qualifikationen Rechnung tragen. Die beschäftigungspolitischen Auswirkungen von Hilfsprogrammen wie SURE und NextGenerationEU, die mit „Gemeinschaftsanleihen“, eine Art vergemeinschafteter Schulden, finanziert und auch zur Unterstützung der Arbeitsmarktpolitik eingesetzt werden, müssen ebenfalls überwacht werden. Die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne stellen zudem Ressourcen für die Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten sicher, allerdings mit spezifischen Auflagen in Bezug auf die Ziele, Politikbereiche und Ausgabemodalitäten sowie mit einem besonderen Schwerpunkt auf aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
1.3Die Maßnahmen der EU müssen mit den Zielen der beschäftigungspolitischen Leitlinien abgestimmt werden, den Arbeitsmarkt zu stärken, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie die soziale Marktwirtschaft der Europäischen Union zu unterstützen und die Strukturmaßnahmen für den Übergang von befristeten Beschäftigungsschutzmaßnahmen zur Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze zu verstärken. In diesem Prozess müssen der soziale Dialog, die Tarifverhandlungen und die Beteiligung der Sozialpartner und der Vertreter der Zivilgesellschaft gefördert werden.
1.4In Bezug auf die Leitlinie 5 „Ankurbelung der Nachfrage nach Arbeitskräften“ muss die Nachfrageerholung nach Ansicht des EWSA mit Maßnahmen für eine Verbesserung der Nachfrage an sich einhergehen, die darauf abzielen, den Zugang zum Arbeitsmarkt, die wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit der Unternehmen, die Professionalisierung der Arbeitnehmer und bessere Arbeitsbedingungen zu fördern. Damit dies erreicht werden kann, müssen die sich im Zuge des Umbaus der Produktionssysteme bietenden Möglichkeiten voll ausgeschöpft, digitale Technologien und Instrumente für ökologische Nachhaltigkeit eingeführt und lebenslanges Lernen gefördert werden. Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen müssen mit den politischen Maßnahmen zur Ankurbelung der Arbeitskräftenachfrage eng abgestimmt werden.
1.5In Bezug auf Leitlinie 6 zur Verbesserung des Arbeitskräfteangebots und des Zugangs zu Beschäftigung, Fähigkeiten und Kompetenzen kommt es nach Auffassung des EWSA entscheidend darauf an, wie die einzelnen Mitgliedstaaten in der Lage sind, die in den nationalen Aufbau- und Resilienzplänen und in den Strukturfonds vorgesehenen Investitionsmaßnahmen für Ausbildung und Arbeitsmarkt wirksam miteinander zu kombinieren. Die derzeitige Krise hat noch deutlicher gemacht, dass das Recht auf lebenslanges Lernen und auf einen wirksamen Zugang zu solider Bildung, Berufsbildung, Weiterbildung und Anpassung der Kompetenzen anerkannt und sichergestellt werden muss – das aktuelle Gefälle sowohl zwischen den einzelnen Produktivsektoren als auch zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf Weiterbildungsmaßnahmen muss verringert werden. Mit dem im Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte festgelegten Ziel für den Zugang zu Bildung wird gemessen, inwieweit die Mitgliedstaaten in der Lage sind, sich mit neuen Instrumenten auszustatten, die Ungleichheiten beim Zugang verringern und auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes in Bezug auf die benötigten neuen Kompetenzen eingehen.
1.6In Bezug auf die Leitlinie 7 „Verbesserung der Funktionsweise der Arbeitsmärkte und der Wirksamkeit des sozialen Dialogs“ unterstützt der EWSA die Einrichtung einer europäischen digitalen Plattform für die Abstimmung von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage. Diese Plattform sollte einen gemeinsamen Standard für die Mitgliedstaaten und die Arbeitsverwaltungen setzen, um aktive Maßnahmen und die Mobilität in Europa zu fördern, auch durch die Stärkung der öffentlichen und privaten Arbeitsvermittlungsdienste. Strenge Maßnahmen im Bereich Arbeitsschutz und Vorbeugung von Arbeitsrisiken müssen in den einzelnen Mitgliedstaaten die Grundlage für die Förderung einer umfassenderen Präventionskultur bilden. Dies ist ein Schlüsselelement für die Verbreitung einer gemeinsamen Arbeitskultur, die das Potenzial jedes Einzelnen voll erschließt, das Wohlbefinden fördert und alle Gefährdungs- und Risikosituationen am Arbeitsplatz beseitigt. Der soziale Dialog und die Tarifverhandlungen sind ein wichtiger Stützpfeiler nachhaltiger und resilienter Volkswirtschaften in Europa. Dafür bedarf es in einigen Mitgliedstaaten aber auf nationaler Ebene noch eines ordnungspolitischen und institutionellen Rahmens, der die Strukturen für die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern fördert und unterstützt.
1.7In Verbindung mit der Stärkung der beschäftigungspolitischen Maßnahmen für abhängige Beschäftigung sollte nach Ansicht des EWSA auch die Fähigkeit der Mitgliedstaaten gestärkt werden, Maßnahmen für die Selbstständigkeit und freiberufliche Tätigkeit insbesondere junger Menschen zu fördern.
1.8Die Leitlinie 8 zielt auf die „Verbesserung der Chancengleichheit für alle, Förderung der sozialen Inklusion und Bekämpfung der Armut“ ab. Der EWSA unterstützt diesen Ansatz, da eine beschäftigungspolitische Strategie aufgestellt werden muss, die die Chancengleichheit beim Zugang zum Arbeitsmarkt und in den Beschäftigungsverhältnissen gewährleistet. Die Verbindung zwischen Wohlstand, Arbeitsmarkt, Funktionieren der Wirtschaft und Bekämpfung von Ungleichheit und Armut ist eine Grundausrichtung und Richtschnur für beschäftigungspolitische Maßnahmen, die Wirtschaftswachstum und soziale Entwicklung miteinander verknüpfen. Der EWSA betont außerdem, dass wirksame Maßnahmen für die Arbeitsmarktintegration als entscheidende Investitionen für Wachstum und Stärkung der Wirtschafts- und Produktionssysteme eingestuft werden sollten. Es müssen auch unbedingt Maßnahmen ergriffen werden, die zusammen mit weiteren kohärenten Strategien zur Armutsbekämpfung das Risiko einer „neuen Armut“ bei Geringverdienern beseitigen.
2.Hintergrund
2.1Einleitung
2.1.1Die beschäftigungspolitischen Leitlinien wurden bereits 2019 angenommen, im Jahr 2020 jedoch angepasst, um angesichts der COVID-19-Krise, des ökologischen und des digitalen Wandels sowie der Ziele für nachhaltige Entwicklung bestimmte Elemente aufzunehmen. Der EWSA hat die Leitlinien bereits in seiner Stellungnahme SOC/646 analysiert und bewertet, die hier bekräftigt wird. In der vorliegenden Stellungnahme sollen jedoch Bemerkungen zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bürgerinnen und Bürger in Europa und zur Notwendigkeit einer Anpassung der Handlungsprioritäten der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen vorgebracht werden.
2.1.2Der Vorschlag der Kommission sieht vor, dass die dem Beschluss EU 2020/1512 des Rates beigefügten beschäftigungspolitischen Leitlinien 2021 beibehalten werden und den Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer Beschäftigungspolitik und ihrer nationalen Reformprogramme weiter als Orientierungsrahmen dienen. Das vorrangige Ziel besteht heute ganz klar darin, mit den Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz und zur wirtschaftlichen und produktiven Erholung eine positive soziale Wirkung zu gewährleisten.
2.2Die Leitlinien lauten wie folgt:
·Leitlinie 5: Ankurbelung der Nachfrage nach Arbeitskräften
·Leitlinie 6: Verbesserung des Arbeitskräfteangebots und des Zugangs zu Beschäftigung, Fähigkeiten und Kompetenzen
·Leitlinie 7: Verbesserung der Funktionsweise der Arbeitsmärkte und der Wirksamkeit des sozialen Dialogs
·Leitlinie 8: Verbesserung der Chancengleichheit für alle, Förderung der sozialen Inklusion und Bekämpfung der Armut
2.3Laut dem Vorschlag sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten:
2.3.1soziale Ausgrenzung und Diskriminierung bekämpfen sowie soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung der Geschlechter, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes fördern. Die Mitgliedstaaten haben sich auf dem Sozialgipfel in Porto verpflichtet, ehrgeizige soziale Ziele zur Entwicklung nationaler Strategien und neuer europäischer Instrumente umzusetzen, um damit den ökologischen und digitalen Wandel und eine wirtschaftliche und soziale Konvergenz, die die Wettbewerbsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft in der EU stärkt, zu unterstützen;
2.3.2ihre Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik aufeinander abstimmen, um Klimaneutralität in der EU zu erreichen, den Übergang Europas zu einer nachhaltigen digitalen und grünen Wirtschaft zu begleiten, Kompetenzen zu aktualisieren, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, angemessene Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, Innovationen anzuregen, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu fördern und Ungleichheiten und regionale Unterschiede zu beseitigen. Der Austausch von Maßnahmen und die Umsetzung wirksamer und einheitlicher beschäftigungspolitischer Strategien ist von entscheidender Bedeutung, um von der Notfallbewältigung zur Phase der Erholung überzugehen, durch die eine ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung gefördert und neue Arbeitsplätze und bessere Beschäftigungsbedingungen geschaffen werden;
2.3.3bei der Bewältigung struktureller Probleme wie Klimawandel oder Herausforderungen im Umweltbereich, Globalisierung, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Telearbeit, Plattformwirtschaft und demografischer Wandel zusammenarbeiten und erforderlichenfalls die bestehenden Systeme anpassen;
2.3.4die erforderlichen Maßnahmen und Strategien zur Förderung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums, hochwertiger Beschäftigung und der Produktivität auf den Weg bringen und gleichzeitig den sozialen und territorialen Zusammenhalt, die Aufwärtskonvergenz und die Resilienz der Volkswirtschaften stärken sowie eine verantwortungsvolle Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten fördern;
2.3.5dafür zu sorgen, dass die Arbeitsmarktreformen, einschließlich der nationalen Lohnfestsetzungsmechanismen, den nationalen Gepflogenheiten des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen Rechnung tragen, um faire Löhne und angemessene Lebens- und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten;
2.3.6sicherstellen, dass die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf Wirtschaft, Soziales und Beschäftigung durch wirksame Maßnahmen und Instrumente abgefedert werden.
2.4Die Mitgliedstaaten und die Union müssen auf eine koordinierte Beschäftigungsstrategie hinarbeiten, die insbesondere auf die Förderung qualifizierter, gut ausgebildeter Arbeitskräfte mit den für die derzeitigen Veränderungen nötigen Kompetenzen abstellt (sowie auf zukunftsorientierte Arbeitsmärkte, die auf den wirtschaftlichen Wandel reagieren können). Die Mitgliedstaaten müssen die Förderung der Beschäftigung als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse betrachten und ihre diesbezüglichen Tätigkeiten im Rat aufeinander abstimmen. Artikel 148 AEUV sieht vor, dass der Rat beschäftigungspolitische Leitlinien annimmt, die Umfang und Ausrichtung der politischen Koordinierung unter den Mitgliedstaaten bestimmen und die Grundlage für die länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters bilden.
2.5Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Wirtschafts- und Sozialsysteme hat die bestehenden Risikofaktoren aufgezeigt, zu deren Bewältigung Förderinstrumente, auch für finanzielle Unterstützung, eingesetzt werden müssen. Dies muss es den Mitgliedstaaten ermöglichen, gemeinsame Initiativen zu verfolgen, um den Auswirkungen von Krisen auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der europäischen Bürgerinnen und Bürger entgegenzuwirken.
2.6Der EWSA hält die von der Kommission in den letzten Monaten gefassten Beschlüsse, die zur Annahme nationaler Aufbau- und Resilienzpläne geführt haben, für unterstützenswert, da sie in die Richtung eines fairen und nachhaltigen Entwicklungsmodells gehen. Zugleich muss aber auch vermieden werden, dass im Zuge der Bewältigung der Pandemiekrise das Risiko sozialer Ausgrenzung wächst und das territoriale Gefälle, das in den letzten Jahren auch zwischen den europäischen Regionen immer größer geworden ist, noch schneller zunimmt. Dieses Gefälle wurde seit 2013 vom Index für regionale Wettbewerbsfähigkeit, der die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Gebiete der EU misst, festgestellt.
2.7Der Aufbau eines inklusiven Wirtschafts- und Entwicklungsmodells erfordert flankierende Maßnahmen und Investitionen zur Stärkung der Infrastruktur für Produktivität, Digitalisierung und Logistik, Maßnahmen für den territorialen Zusammenhalt, die Förderung des Humankapitals, die Ausbildung der Arbeitskräfte sowie die Stärkung der Arbeitsmarktinstrumente und des Systems personenbezogener Sozialdienstleistungen. Europa wird durch übermäßige Unterschiede und durch Chancenungleichheit geschwächt. Deshalb muss nach Ansicht des EWSA der Zusammenhalt die Richtschnur für wachstumsorientierte Maßnahmen bleiben.
2.8Die Pandemie-Krise hat bestimmte strukturelle Probleme auf dem europäischen Arbeitsmarkt verschärft und Problematiken aufgezeigt, die eines langfristigen Politikansatzes bedürfen, mit dem sowohl die Situation der besonders vulnerablen Gruppen als auch die Schwierigkeiten in bestimmten Bereichen des Arbeitsmarkts angegangen werden können. Die Bewältigung des derzeitigen Übergangs erfordert von den Mitgliedstaaten eng koordinierte gemeinsame Maßnahmen, Aktionen und Strategien und die kontinuierliche Unterstützung des sozialen Dialogs.
2.9Alle Arbeitnehmer sollten Zugang zu Sozialschutz haben, auch jene, die in Telearbeit sowie in neuen Formen der Arbeit, einschließlich Plattformarbeit, tätig sind, wobei die Sozialsysteme zu stärken sind. Es gilt, die Inklusion der am stärksten gefährdeten Gruppen sowie die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen unter Vermeidung jeglicher Form von Diskriminierung umfassend zu fördern und das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu beseitigen.
3.Allgemeine Bemerkungen
3.1Der EWSA betont, auch unter Verweis auf seine früheren Stellungnahmen zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien, folgende Punkte:
3.1.1Die Bekämpfung von Diskriminierung geht einher mit den Anstrengungen für die Verbesserung der Qualität der Arbeit. Dies erfordert eine Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten über die Strategien zur Verknüpfung von Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit mit Systemen, in denen das Humankapital gefördert und die bestmöglichen Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer gewährt werden können.
3.1.2In Krisenzeiten nehmen die sozialen Risikofaktoren und insbesondere die Ungleichheit tendenziell zu. Deshalb muss die Förderung der wirtschaftlichen Erholung durch Investitionen und in anderer Form mit robusten Investitionen in die soziale und beschäftigungsbezogene Infrastruktur einhergehen, um die in den Mitgliedstaaten geltenden Sozialschutzstandards durch geeignete Strategien und Maßnahmen zu verbessern.
3.1.3Das Wachstum der europäischen Wirtschafts- und Sozialsysteme muss mit entschlossenen gemeinsamen Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Prävention des Sozialdumpings (Verringerung des Arbeitnehmerschutzes, der Garantien und der Sicherheit der Arbeitnehmer) einhergehen. Gleichzeitig muss ein fairer und innovationsorientierter Wettbewerb gefördert werden, der auf der Weiterentwicklung der Arbeitnehmerschaft und der Nachhaltigkeit von Produktion und Dienstleistungen beruht. Erforderlich sind aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Anreize für befristete Einstellungen schutzbedürftiger Menschen, Weiterbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten sowie Unterstützung für Unternehmer, auch im Bereich der Sozialwirtschaft.
3.1.4Die Dynamik junger Generationen ist für die Innovation entscheidend. Deshalb muss ihnen der Zugang zu hochwertigen und sicheren Arbeitsplätzen gewährt und die Mobilität der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten gefördert werden. Der EWSA befürwortet die Erklärung von Porto, der zufolge „junge Menschen [...] für Europa eine unverzichtbare Quelle für Dynamik, Talent und Kreativität“ sind. Selbständige Tätigkeiten, geistige Arbeit und freie Berufstätigkeit müssen diesbezüglich ebenso unterstützt werden wie unternehmerische Initiative und innovative Start-ups.
3.1.5Da die soziale Qualität des Wachstums sichergestellt werden muss, ist verstärkte Aufmerksamkeit erforderlich für nichtproduktive Arbeit. Dies betrifft insbesondere personenbezogene und lokale Dienstleistungen sowie die genossenschaftliche Organisation wirtschaftlicher und sozialer Tätigkeiten in einem Kontext, in dem soziale Bindungen ein Schlüsselelement für Entwicklung und Wachstum sind.
3.1.6In diesem Zusammenhang ist es wesentlich, dass der Schwerpunkt der Leitlinien auf der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte liegt. Diese soll gewährleisten, dass die Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen und sozialen Krise angesichts der erhöhten Ausgrenzungsgefahr infolge der gesundheitlichen Notlage angemessene und positive Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Gemäß den drei neuen Zielen des Aktionsplans, die die Beschäftigungsquote, den Zugang zu Ausbildung und Anpassung der Qualifikationen sowie Bekämpfung von Armut, insbesondere Kinderarmut, betreffen, müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Semesters Strategien und Instrumente ermitteln. Darin werden Etappenziele für die Umsetzung der Ziele festgelegt. Zudem hat der Ausschuss bereits betont, dass neue soziale Indikatoren zur Messung der von den Mitgliedstaaten erzielten Fortschritte ermittelt werden müssen.
3.1.7Die aktive und strukturierte Einbeziehung der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft ist für die Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne und für die Verwirklichung der Ziele des Aktionsplans von entscheidender Bedeutung. Der Ausschuss bekräftigt, dass förmliche Konsultationsverfahren eingeführt werden müssen, die den Austausch mit den Regierungen und Einrichtungen der Mitgliedstaaten erleichtern und die Hindernisse für eine wirksame Konsultation und Einbindung der Zivilgesellschaft ausräumen. Darüber hinaus müssen Instrumente konzipiert werden, um Tarifverhandlungen und die vertragliche Absicherung zu stärken.
3.1.8Es liegt auf der Hand, dass Ausbildungssysteme und kontinuierliches Lernen die Sozial-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik miteinander verknüpfen. Die zentrale und bereichsübergreifende Natur der Qualifikationen ist auch für die Wirksamkeit aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen von entscheidender Bedeutung und sollte als Richtschnur für die Leitlinien dienen.
3.1.9Die qualitative Weiterentwicklung der Bildungs- und Ausbildungssysteme sollte Priorität haben. Dies gilt nicht nur für die Förderung von Querschnittskompetenzen im Zusammenhang mit den digitalen Technologien und der ökologischen Nachhaltigkeit, sondern auch im Hinblick auf die Verbesserung der persönlichen Kompetenzen und der Fähigkeit zur Zusammenarbeit zwischen den Arbeitnehmern.
3.1.10Die Pandemie hat zur Aktivierung spezifischer Unterstützungsformen geführt, darunter das Programm SURE, die der Krisenbewältigung und der Abfederung des Risikos der Arbeitslosigkeit dienen. Im Lichte der Leitlinie 5 sollte die Kommission während der Erholung die Finanzierungs- und Unterstützungsinstrumente zur Bekämpfung der Krise und die Instrumente und Strategien zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen beibehalten.
3.1.11So sollte es etwa möglich sein, damit Kurzarbeitsregelungen, Einkommensausgleichsmechanismen und andere Maßnahmen zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit finanziell zu unterstützen, bis die derzeitige COVID-19-Krise überwunden ist.
3.1.12In dieser Hinsicht ist es ausschlaggebend, die 2020 ergriffenen Maßnahmen 2021 mithilfe neuer, von aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen flankierter Solidaritätsinstrumente fortzusetzen, um die größten Beschäftigungsprobleme zu lindern.
3.1.13Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, den Kreditzugang sowie innovative und produktive Investitionen zu fördern. Ganz allgemein gilt es, insbesondere für KMU, sozialwirtschaftliche Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler territoriale, steuerliche und infrastrukturelle Rahmenbedingungen zu schaffen, die Innovation und wirtschaftliche Initiativen fördern und der Beschäftigung zugute kommen.
4.Besondere Bemerkungen
4.1Der EWSA bekräftigt seine Stellungnahme SOC/646. Er möchte jedoch einige Aspekte der Auswirkungen der Pandemie hervorheben, die Probleme, aber auch Prioritäten für Maßnahmen und Eingriffe verdeutlicht hat. Nach Auffassung des EWSA müssen angesichts der seit über zehn Jahren zunehmenden Ungleichgewichte, die durch die COVID-19-Krise noch verschärft wurden, wirksame Maßnahmen ergriffen werden, damit wirtschaftliches Wachstum und soziale Entwicklung Hand in Hand gehen. Dafür muss die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert und die Qualität der Arbeitssysteme und der Beschäftigungspolitik verbessert werden. Es müssen diesbezüglich in den Mitgliedstaaten Investitionen im Rahmen der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne getätigt und diese anhand der Ziele der Leitlinien für 2021 überprüft werden. Dabei ist besonders auf die Verbesserung von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage, die Förderung der Chancengleichheit, einen funktionierenden Arbeitsmarkt und Inklusion zu achten. Es muss für eine enge und kohärente Koordinierung zwischen den politischen Maßnahmen zur Bewältigung der Notlage, der im Rahmen des SURE-Programms ergriffenen Unterstützung, den Maßnahmen und Investitionen, die im Rahmen des Aufbauplans gefördert werden, und den im Rahmen der Programmplanung der Strukturfonds 2021-2027 festgelegten und finanzierten Maßnahmen gesorgt werden.
4.2Die für 2021 erwartete wirtschaftliche Erholung, die insbesondere durch Investitionen im Rahmen der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne ermöglicht wird, kann zu einem breiten Beschäftigungsaufschwung führen, wenn sie mit gezielten Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Sozial- und Arbeitsbereich begleitet wird, die den Herausforderungen der Veränderungen unserer Zeit Rechnung tragen.
4.3Dabei müssen die Ziele der europäischen Säule sozialer Rechte und der Agenda für nachhaltige Entwicklung verfolgt werden. Dies muss die Kommission und die Mitgliedstaaten zu unverzüglichen Entscheidungen veranlassen. Die Notwendigkeit des zu fördernden Entwicklungsmodells ist in der Pandemie noch deutlicher zutage getreten. Vor allem die Ziele der Agenda für wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit und der zentrale Wert des Wohlergehens der Menschen sind von größter Bedeutung. Sie sind ausschlaggebend für einige grundlegende Entscheidungen, die sowohl im Aufbauplan als auch in den wichtigsten Leitlinien der europäischen Strukturfonds dargelegt werden.
4.4Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Nachfrage angekurbelt werden muss (Leitlinie 5) und dass im Einklang mit nationalen Regeln und Verfahren angemessene und gerechte Mindestlöhne für alle Arbeitnehmer in Europa gewährleistet werden müssen, wobei der Sozialschutz und der Zugang zu den Sozialsystemen auf alle Arbeitnehmer, auch in neuen Beschäftigungsformen, auszuweiten sind. Um von der Krisenbewältigung zur Erholung überzugehen, sollte der Schwerpunkt auf nachhaltigen sozialen Maßnahmen und wirksamen Einstellungsanreizen, insbesondere für KMU, liegen. In diesem Zusammenhang sollten Umschulungsmaßnahmen auch im Zusammenhang mit Teilzeitbeschäftigung infolge der Pandemie gefördert werden. Der soziale Dialog sollte gefördert werden, wobei die Sozialpartner im Rahmen solider Arbeitsbeziehungen und unter Wahrung der Tarifautonomie einbezogen werden sollten. Die Verringerung der steuerlichen Belastung des Faktors Arbeit darf nicht zu einer Schwächung der sozialen Absicherung führen, die sich negativ auf die Sozialsysteme und ihre Tragfähigkeit auswirken würde. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung verstärkt werden sollte.
4.5Bezüglich Leitlinie 6 zur Verbesserung des Arbeitskräfteangebots und des Zugangs zu Beschäftigung, Fähigkeiten und Kompetenzen stellt der EWSA fest, dass es entscheidend darauf ankommt, wie es den einzelnen Mitgliedstaaten gelingen wird, die in den nationalen Aufbau- und Resilienzplänen und in den Strukturfonds vorgesehenen Investitionsmaßnahmen für Ausbildung und Arbeitsmarkt wirksam miteinander zu kombinieren. Insbesondere sollte die Koordinierung zwischen dem ESF+ und den im SURE-Programm und anderen Instrumenten vorgesehenen Maßnahmen der sozialen Sicherheit und des Schutzes bis zum 31. Dezember 2022 stehen. Es gilt, die Schaffung wirksamer nationaler Systeme zur Arbeitsmarkteingliederung zu fördern. Diese ermöglichen die Integration, Umschulung und berufliche Mobilität von Arbeitnehmern. Wirksame Einstellungsanreize und Umschulungsmaßnahmen sollten in Betracht gezogen werden, um die Schaffung von Arbeitsplätzen während des Aufschwungs zu unterstützen.
4.6Die Pandemie hat mit der Verbreitung von Telearbeit weiter verdeutlicht, dass Regeln und Instrumente festgelegt werden müssen, um das Verhältnis zwischen Arbeitsorganisation, Unternehmenswohl und der Nutzung digitaler Technologien positiv und ausgewogen zu gestalten. Der EWSA bekräftigt, wie wichtig es ist, das volle Potenzial der Telearbeit als Mittel zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben auszuschöpfen und zugleich dafür zu sorgen, dass die Telearbeit nicht zu einer möglichen Ursache für Diskriminierung und Not wird.
4.7Die derzeitige Krise hat noch deutlicher gemacht, dass das Recht auf lebenslanges Lernen und auf einen wirksamen Zugang zu solider Bildung, Berufsbildung, Weiterbildung und Anpassung der Kompetenzen anerkannt und sichergestellt werden muss – das aktuelle Gefälle sowohl zwischen den einzelnen Produktivsektoren als auch zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf Weiterbildungsmaßnahmen muss verringert werden. Mit dem im Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte festgelegten Ziel für den Zugang zu Bildung wird gemessen, inwieweit die Mitgliedstaaten in der Lage sind, sich mit neuen Instrumenten auszustatten, die Ungleichheiten beim Zugang verringern und auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes in Bezug auf die benötigten neuen Kompetenzen eingehen.
4.8In Bezug auf Leitlinie 7 zur Verbesserung der Funktionsweise der Arbeitsmärkte und der Wirksamkeit des sozialen Dialogs stellt der EWSA fest, dass die Mobilitäts- und Beschäftigungsziele dank der Einrichtung einer europäischen digitalen Plattform für die Abstimmung von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage erreicht werden könnten. Diese Plattform sollte einen gemeinsamen Standard für die Mitgliedstaaten und die Arbeitsverwaltungen setzen, um aktive Maßnahmen und die Mobilität in Europa zu fördern.
4.9Der soziale Dialog und Tarifverhandlungen sind ein wichtiger Pfeiler der Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften. Es bedarf jedoch in einigen Mitgliedstaaten noch eines ordnungspolitischen und institutionellen Rahmens auf nationaler Ebene, der die Systeme der Arbeitsbeziehungen erleichtert und unterstützt. Die Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne wird ein Test für die tatsächliche Bereitschaft der Mitgliedstaaten sein, die Zivilgesellschaft in Entscheidungen und Maßnahmen bezüglich der einzelstaatlichen Entwicklung einzubinden.
4.10In Bezug auf Leitlinie 8 zur Verbesserung der Chancengleichheit für alle, der Förderung der sozialen Eingliederung und der Bekämpfung der Armut bekräftigt der EWSA, dass jetzt wirksame Eingliederungsmaßnahmen konzipiert werden müssen. Diese sollten als entscheidende Investitionen in das Wachstum der Wirtschafts- und Produktionssysteme betrachtet werden. Der EWSA bekräftigt auch die Rolle der Arbeitsmarkteingliederung als Instrument zur Inklusion und Armutsbekämpfung, zur Vermeidung reiner sozialer Hilfsmaßnahmen und zur Förderung der Eingliederung durch Beschäftigungsfähigkeit und Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Es müssen jedoch unbedingt Maßnahmen ergriffen werden, die zusammen mit weiteren kohärenten Strategien zur Armutsbekämpfung das Risiko einer „neuen Armut“ bei Geringverdienern beseitigen.
4.11Schließlich sind der Austausch gemeinsamer Standards in der Gleichstellungspolitik, die Integration von Menschen mit Behinderungen und Menschen in prekären Verhältnissen sowie die Schaffung von Sozialschutzsystemen, die aktives Altern und die Weitergabe von Kompetenzen zwischen den Generationen fördern, Schlüsselelemente der Strategie für Chancengleichheit.
4.12Die Pandemie hat verdeutlicht, wie wichtig es ist, in die Gewährleistung von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zu investieren, und wie dringend die Arbeitsaufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten ausgebaut werden müssen, um Kontrollen zum Schutz der Arbeitnehmer sicherzustellen. Mehrere europäische Länder haben mit den Sozialpartnern Protokolle unterzeichnet, um die Ausbreitung des Virus am Arbeitsplatz zu bekämpfen. Sie haben damit Verantwortung und Reaktionsfähigkeit in Notsituationen gezeigt.
Brüssel, den 23. September 2021
Christa Schweng
Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
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