INT/911
Verbindliche Sorgfaltspflicht
STELLUNGNAHME
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
Verbindliche Sorgfaltspflicht
(Sondierungsstellungnahme)
Berichterstatter: Thomas WAGNSONNER
Mitberichterstatterin: Emmanuelle BUTAUD-STUBBS
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Befassung
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Schreiben des EP, 15/09/2020
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Rechtsgrundlage
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Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
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Zuständige Fachgruppe
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Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch
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Annahme in der Fachgruppe
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04/09/2020
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Verabschiedung im Plenum
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18/09/2020
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Plenartagung Nr.
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554
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Ergebnis der Abstimmung
(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)
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215/1/3
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1.Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1Nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) ist es an der Zeit, dass die Europäische Kommission tätig wird und den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament Vorschläge für Rechtsvorschriften über die verbindliche Sorgfaltspflicht vorlegt, die der Verantwortung auf der Grundlage der derzeitigen Standards gerecht werden und einen klaren und verlässlichen Rechtsrahmen für europäische Unternehmen bieten.
1.2Die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte ist nunmehr auch ein Thema für den Binnenmarkt. Da verschiedene Mitgliedstaaten das Verhalten von Unternehmen mit unterschiedlichen rechtlichen Sanktionen belegen, ist eine EU-Rechtsetzungsinitiative, die nicht ganzheitlich ist und sich teilweise nur auf einzelne Branchen bezieht, nicht ausreichend.
1.3Der sachliche Anwendungsbereich der Rechtsetzungsinitiative (entweder Richtlinie oder Verordnung mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen) sollte eine breite Abdeckung der Definition der Menschen- und Umweltrechte, einschließlich der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte, gewährleisten und neue Entwicklungen im Bereich der Menschenrechte berücksichtigen.
1.4Die Sorgfaltspflicht, insbesondere mit Blick auf globale Wertschöpfungsketten, muss Richtschnur für Entscheidungen des Managements sein, die auf nachhaltige Unternehmen in wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Hinsicht abzielen. Umweltauswirkungen sollten in jedem Fall einen hohen Stellenwert für nachhaltiges unternehmerisches Handeln und hohe Priorität in globalen Wertschöpfungsketten haben.
1.5Die Rechtsetzungsinitiative sollte alle Unternehmen branchenübergreifend abdecken, dabei aber auch angemessene Anforderungen für KMU, die in der EU niedergelassen oder tätig sind, umfassen, um unlauteren Wettbewerb und ungleiche Wettbewerbsbedingungen zu vermeiden, und auch für den öffentlichen Sektor gelten. Sie sollte Unternehmen dazu verpflichten, hohe Standards in Bezug auf verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln einzuhalten, gleichzeitig aber auch angemessene Maßnahmen entsprechend dem jeweiligen Risiko von Menschenrechtsverletzungen vorsehen.
1.6Die verbindliche Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte sollte folgende Aspekte umfassen:
1.7Um Rechtsunsicherheit zu vermeiden, muss in der Rechtsetzungsinitiative sehr klar festgelegt werden, welche individuellen Maßnahmen die Unternehmen während des gesamten Verfahrens zur Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht ergreifen müssen, um die Gefahr von Menschenrechtsverstößen im Einklang mit anderen verbindlichen EU-Rechtsvorschriften zu bewerten, einschließlich der möglicherweise anzupassenden Überarbeitung der Richtlinie über die Angabe nichtfinanzieller Informationen:
1.8Opfer, deren Rechte verletzt wurden, und ihre Vertreter, etwa Gewerkschaften und Menschenrechtsaktivisten, müssen Zugang zu wirksamen Rechtsbehelfen gegen die negativen Auswirkungen auf die Opfer haben.
1.9Es muss sichergestellt werden, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen sowie deren Vertreter, einschließlich Gewerkschaften und Menschenrechtsaktivisten, garantierten Zugang zu fairen Verfahren, Gerichten und Behörden haben, wie es menschenrechtlichen Standards entspricht. Wenn nicht feststeht, ob die Muttergesellschaft, eine ihrer Tochtergesellschaften oder einer ihrer Zulieferer, mit dem dauerhafte Geschäftsbeziehungen bestehen, potenziell haftbar ist, sollte die Zuständigkeit für die Durchführung eines fairen Verfahrens bei einem Forum liegen. Die Brüssel-I-Verordnung sollte deshalb geändert werden, um bei Menschenrechtsverstößen ein Verfahren in Europa zu ermöglichen.
1.10Ein verbindlicher Rahmen für die Sorgfaltspflicht ließe sich durch eine vereinbarte und durch verhältnismäßige, wirksame und abschreckende Sanktionen durchgesetzte Norm schaffen, während eine Haftung nur aufgrund eines Verstoßes gegen klar definierte Menschenrechte eintreten würde. Wie bei allen Haftungsregelungen muss ein offensichtlicher Kausalzusammenhang zwischen einem Verschulden oder einer Nichtverhinderung und einem Schaden hergestellt werden. Bei völlig atypischen Kausalitäten lässt sich folglich kein Risikozusammenhang herstellen.
1.11Damit europäische Unternehmen diesen Vorgaben nachkommen können, müssen in einer verbindlichen Rechtsetzungsinitiative auf der Grundlage der Erfahrungen mit französischen Rechtsvorschriften zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen folgende Qualitätsstandards sichergestellt werden:
1.12Für die Verwaltung globaler Lieferketten sollte die Entwicklung innovativer Informationstechnologien (z. B. Blockchain), die die Rückverfolgung aller Daten ermöglichen, gefördert werden, damit der Verwaltungsaufwand und die Kosten so gering wie möglich gehalten und Doppelarbeit und Überschneidungen vermieden werden können. Sie bieten Sicherheit und gewährleisten die Rückverfolgbarkeit.
2.Hauptelemente und Hintergrund
2.1Das Europäische Parlament hat den EWSA um eine Stellungnahme zu der auf EU-Ebene angekündigten Rechtsetzungsinitiative zum Thema „Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen“ ersucht. Der EWSA wird sich daher mit Vorschlägen zum möglichen Inhalt und zu den Definitionen eines solchen Rechtsakts befassen und sich dabei auf seine Arbeit in den Bereichen Sorgfaltspflicht sowie Unternehmen und Menschenrechte sowie auf die Kenntnisse und Erfahrungen seiner Mitglieder, insbesondere aus Ländern mit ambitionierten Rechtsvorschriften, stützen.
2.2Der EWSA befasst sich seit jeher aktiv mit Fragen der Sorgfaltspflicht in globalen Wertschöpfungsketten. In den globalen Wertschöpfungsketten kommt es nach wie vor zu Verstößen und Verletzungen der Menschenrechte‚einschließlich der Arbeitnehmerrechte und der Umweltrechte, obwohl dies in vielen Fällen verhindert werden könnte, wenn die Staaten und ihre Regierungen die Sorgfaltspflicht anwenden und ihren internationalen Verpflichtungen, insbesondere im Bereich der Arbeitnehmer- und Menschenrechten, nachkommen würden. Die Opfer solcher Verstöße haben häufig keine Möglichkeit, ihre Ansprüche auf dem Rechtsweg geltend zu machen.
2.3Es wurde eine Reihe freiwilliger Rahmen entwickelt, um Unternehmen in die Lage zu versetzen, die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte in ihrer Geschäftstätigkeit umzusetzen. Dies geschieht in der Regel in Form von Strategien für die unternehmerische Sozialverantwortung.
2.4Maßgebend unter diesen Instrumenten sind die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, der Globale Pakt der Vereinten Nationen, die Norm ISO 26000 zur gesellschaftlichen Verantwortung und die im Rahmen der OECD ausgearbeiteten Leitlinien (OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen). Darin wird unter anderem angeregt, Verträge mit Geschäftspartnern in globalen Wertschöpfungsketten so zu gestalten, dass die Struktur der Geschäftsbeziehungen dem Schutz der Menschenrechte dient. Solche freiwilligen Instrumente zeigen, dass es möglich ist, in globalen Wertschöpfungsketten Risiken zu managen und Standards für Menschenrechtsverstöße anzuwenden. Auf ihrer Grundlage können weitere, potenziell verbindliche Maßnahmen entwickelt werden.
2.5Freiwillige Maßnahmen sind nicht immer geeignet, schwere Grundrechtsverletzungen zu verhindern, und bieten den Unternehmen bei Geschäftsbeziehungen im Ausland auch keine Rechtssicherheit. Dies führt zu einem Flickenteppich von Maßnahmen, die keine Rechtssicherheit bieten.
2.6Um hier Abhilfe zu schaffen, haben einige EU-Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften erlassen, mit denen die Rechenschaftspflicht der Unternehmen gestärkt und solidere Rahmenbedingungen für die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte geschaffen werden, die wertvolle Erfahrungen liefern können. In verschiedenen europäischen Ländern werden derzeit ähnliche Rechtsvorschriften geprüft. Das Vereinigte Königreich hat in sein Gesetz über moderne Sklaverei (Modern Slavery Act) eine Klausel über Transparenz in Lieferketten aufgenommen. Die Niederlande haben ein Gesetz über die Sorgfaltspflicht in Bezug auf Kinderarbeit angenommen, um Kinderarbeit bei Unternehmen mit Sitz in den Niederlanden, die Waren und Dienstleistungen auf dem niederländischen Markt anbieten, zu bekämpfen.
2.7Auch auf EU-Ebene gibt es Rechtsvorschriften zur Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte. Die EU-Verordnung über Mineralien aus Konfliktgebieten, die Richtlinie über die Angabe nichtfinanzieller Informationen und die Holzhandelsverordnung sind Beispiele, wie die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte gestärkt wurde. Verstöße gegen Menschenrechte in globalen Wertschöpfungsketten werden indirekt durch das Verwaltungs-, Zivil- oder Strafrecht geahndet. Sie betreffen Fragen des internationalen Privat-, Verfahrens‑ und (Unternehmens‑)Strafrechts, die in der EU bis zu einem gewissen Grad harmonisiert wurden (Brüssel-I-Verordnung und Rom-II-Verordnung).
2.8Auch auf internationaler Ebene werden Anstrengungen unternommen. Eine Arbeitsgruppe im UNHRC in Genf verhandelt über ein rechtsverbindliches Instrument für Unternehmen und Menschenrechte (UN-Abkommen), das Gegenstand einer EWSA-Stellungnahme war, in der sich dieser der Auffassung des Europäischen Parlaments anschloss, dass ein solches Abkommen folgende Punkte erfüllen sollte:
2.9Aspekte der Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte waren Gegenstand einer Reihe von Studien von EU-Institutionen und Agenturen, einschließlich der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und des Europäischen Parlaments.
2.10In einer von der GD Justiz in Auftrag gegebenen Studie wurden kürzlich die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte in Lieferketten analysiert. Die Studie enthält Informationen aus Umfragen bei Interessenträgern, veranschaulicht den Regelungsrahmen, bewertet verschiedene politische Optionen und zeigt, dass umfassende, verbindliche Maßnahmen für die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte ergriffen werden müssen.
2.11Die Mehrheit der über 600 Befragten wies darauf hin, dass eine verbindliche Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte als gesetzlicher Sorgfaltsstandard den Unternehmen möglicherweise Vorteile in Bezug auf Harmonisierung, Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen bieten und durch einen nicht verhandelbaren Standard eine zunehmende Hebelwirkung in ihren Geschäftsbeziehungen in der gesamten Lieferkette ausüben kann. Da viele Unternehmen in mehreren Branchen tätig sind, sprachen sich die meisten für allgemeine branchenübergreifende Vorschriften aus, die alle Unternehmen auf der Grundlage der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte abdecken sollten, sowie für einen Sorgfaltsstandard anstelle einer Verfahrensvorschrift.
2.12In der Studie wird ferner darauf hingewiesen, dass derzeit nur etwas mehr als ein Drittel der Befragten angegeben hat, dass ihre Unternehmen der Sorgfaltspflicht in Bezug auf alle Menschenrechte und Umweltauswirkungen nachkommen. Darüber hinaus besteht die Mehrheit der befragten Unternehmen, die der Sorgfaltspflicht nachkommen, nur aus Direktzulieferern. Bei der Vorstellung der Ergebnisse der Studie stellte Justizkommissar Reynders fest, dies zeige, dass freiwillige Maßnahmen im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen, das Unternehmensklima und Umweltschäden nicht zu den notwendigen Verhaltensänderungen geführt haben, auch wenn durch Berichterstattung Anreize geschaffen worden seien.
3.Allgemeine Bemerkungen
3.1Freiwillige Maßnahmen allein reichen nicht aus, um sämtliche Rechtsverletzungen zu verhindern. Rechtsverbindliche und mit angemessenen Sanktionen bewehrte Maßnahmen können die Einhaltung gesetzlicher Mindestvorgaben sicherstellen, auch durch diejenigen Unternehmen, die ihre moralische Verantwortung nicht so ernst nehmen wie Unternehmen, die hohe Menschenrechtsstandards anwenden. Im Interesse einer einfachen Umsetzung und zur Vermeidung von Überschneidungen müssen verbindliche Vorschriften im Einklang mit den bestehenden Sorgfaltspflichtregelungen, etwa den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, gestaltet werden.
3.2Negative Auswirkungen oder Verstöße gegen Menschenrechtsstandards sowie Sozial- und Umweltnormen können auf die Tätigkeiten des Unternehmens selbst, auf die Tätigkeiten von Tochtergesellschaften oder abhängiger Unternehmen sowie auf die Geschäftsbeziehungen des Unternehmens, d. h. auf seine Liefer- und Unterauftragskette, zurückzuführen sein. Dementsprechend wird in den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, in den OECD-Leitsätzen und in der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung der IAO anerkannt, dass sich die Sorgfaltspflicht auch auf die Geschäftsbeziehungen von Unternehmen, einschließlich Liefer- und Unterauftragsketten, erstrecken sollte. Auf der Grundlage dieser Rahmen sollten die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht deshalb idealerweise für alle Tätigkeiten von Unternehmen unabhängig von ihrer Größe gelten, einschließlich ihrer eigenen Tätigkeiten, der Tätigkeiten ihrer Tochtergesellschaften und abhängigen Unternehmen, sowie für ihre Geschäftsbeziehungen, einschließlich ihrer gesamten Liefer- und Unterauftragsketten sowie ihres Franchise- und Vertragsmanagements. Sie sollten Tätigkeiten, tatsächliche und potenzielle Auswirkungen und Verstöße sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU abdecken. Im konkreten Fall ist es jedoch nicht einfach, den Anwendungsbereich der Sorgfaltspflicht zu definieren: Eines der Kriterien, das etwa im französischen Gesetz Nr. 2017-399 vom 27. März 2017 zugrunde gelegt wird, ist das Vorhandensein einer dauerhaften und mit einem gewissen Maß an Kontrolle einhergehenden Geschäftsbeziehung mit der Einheit in der Lieferkette. Das französische Verfassungsgericht hat in einem anderen Urteil bestimmt, was dauerhafte Geschäftsbeziehung bedeutet: eine regelmäßige, stabile und anhaltende Beziehung, die in der Regel zu einem Direktzulieferer und Unterauftragnehmer aufgebaut wird. Natürlich wäre es ambitionierter, ausnahmslos alle Unternehmen zu erfassen, doch muss der Komplexität einer großen Zahl von Zulieferern Rechnung getragen werden (bis zu 100 000 für ein multinationales Unternehmen), und gleichzeitig müssen Anreize für Unternehmen geschaffen werden, eine wirksame Sorgfaltspflicht für die gesamte Wertschöpfungs-/Lieferkette einzuführen.
3.3Für die Verwaltung globaler Lieferketten sollte die Entwicklung innovativer Informationstechnologien (z. B. Blockchain), die die Rückverfolgung aller Daten ermöglichen, gefördert werden, um den Verwaltungsaufwand und die Kosten so gering wie möglich zu halten und Doppelarbeit und Überschneidungen zwischen den verschiedenen internen Strukturen zu vermeiden. Sie bieten Sicherheit und gewährleisten die Rückverfolgbarkeit.
3.4Der EWSA bekräftigt: „Wenn einzelne EU-Mitgliedstaaten beginnen, strengere verpflichtende Rahmenvorgaben für die Sorgfaltspflicht zu schaffen, wird dies innerhalb der EU zu einem Ungleichgewicht führen. Unternehmen, die in Mitgliedstaaten der EU mit strengeren Sorgfaltspflichten ansässig sind, dürfen im Wettbewerb gegenüber Unternehmen in Mitgliedstaaten mit weniger strengen Sorgfaltspflichten nicht benachteiligt werden. Der EWSA stellt fest, dass Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen und Rechtssicherheit bei klaren Pflichten haben müssen.“
3.5Die unausgewogene und nicht durchgehende Einführung freiwilliger Regelungen führt zu unlauterem Wettbewerb auf europäischer Ebene, da es keine einheitliche Regelung gibt, sondern einen Flickenteppich nationaler Gesetze, die zwar dasselbe übergeordnete Ziel verfolgen, sich jedoch voneinander unterscheiden. Außerhalb der EU gibt es nur sehr wenige Rechtsvorschriften über die Sorgfaltspflicht, was im Falle einiger wichtiger Handelspartner wie der USA und Chinas bedauerlich ist. Bei Umsetzung einer verbindlichen EU‑Rechtsetzungsinitiative, die auch für Unternehmen aus Drittländern gilt, die Waren und Dienstleistungen in der EU anbieten, müssten sich Unternehmen aus diesen anderen Märkten an die Normen halten, um auf dem EU-Binnenmarkt tätig zu sein,. Aus Gründen des fairen Wettbewerbs ist auch das UN-Abkommen sehr wichtig, um gleiche Ausgangsbedingungen außerhalb des rechtlichen Zuständigkeitsbereichs der EU zu schaffen. Der derzeitige EU‑Rahmen bietet Raum für unterschiedliche Verfahren und Standards, die nicht einheitlich in Bezug auf die Menschenrechte und die Umwelt- und Sozialstandards sind. Eine EU‑Rechtsetzungsinitiative sollte sowohl ehrgeizig als auch pragmatisch und so angelegt sein, dass der derzeit im Rahmen der UN vereinbarte internationale Standard umgesetzt wird‚ um international gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Angesichts der Bedeutung der EU für den Schutz der Menschenrechte kann eine Erfolgsbilanz in Bezug auf die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte viele, insbesondere große europäische Unternehmen zu Vorreitern in Bezug auf die Verantwortung für den Schutz von Menschenrechten in globalen Wertschöpfungsketten machen.
3.6Damit die europäischen Unternehmen diesem Anspruch gerecht werden können, müssen einem verbindlichen EU-Rechtsakt folgende Qualitätsstandards zugrunde gelegt werden:
3.7Mit Blick auf den Einfluss des EU-Binnenmarkts auf den Welthandel würde eine Rechtsetzungsinitiative der Union für mehr Gleichheit bei den Wettbewerbsbedingungen sorgen, wenn nicht nur europäische Unternehmen verpflichtet werden, die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte einzuhalten, sondern auch Unternehmen aus Drittländern, die Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt anbieten. Die Forderung nach gleichen Wettbewerbsbedingungen für in der EU niedergelassene EU‑Unternehmen und Unternehmen aus Drittländern, die Waren verkaufen und Dienstleistungen erbringen und in den Binnenmarkt investieren, muss im Mittelpunkt jeder neuen EU‑Rechtsetzungsinitiative stehen, da die EU‑Unternehmen andernfalls einen Wettbewerbsnachteil erleiden würden. Praktische Beispiele in den genannten Verordnungen zu Holzhandel und Mineralien aus Konfliktgebieten machen deutlich, dass es möglich ist, über den Binnenmarkt auch auf internationale Lieferanten einzuwirken.
3.8Die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte ist nunmehr auch ein Thema für den Binnenmarkt. Da verschiedene Mitgliedstaaten das Verhalten von Unternehmen mit unterschiedlichen rechtlichen Sanktionen belegen, ist eine EU‑Rechtsvorschrift, die sich teilweise nur auf einzelne Branchen bezieht und nicht ganzheitlich ist, nicht ausreichend. Die Sorgfaltspflicht kann je nach dem jeweiligen nationalen und rechtlichen Kontext unterschiedliche rechtliche Auswirkungen haben. In dieser Stellungnahme bezeichnet Sorgfaltspflicht einen Katalog von Verpflichtungen, die ein Unternehmen erfüllen muss, um Auswirkungen auf die Menschenrechte (einschließlich der Kernübereinkommen der IAO) sowie Umweltauswirkungen seiner Tätigkeiten und seiner globalen Lieferketten zu verhindern und einzudämmen und diesbezüglich Rechenschaft abzulegen. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass für alle beteiligten Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen gelten. Der EWSA bedauert, dass es auf internationaler Ebene, insbesondere im Hinblick auf das verbindliche Abkommen der Vereinten Nationen über Wirtschaft und Menschenrechte, keine Fortschritte bei Rechtsvorschriften für die Sorgfaltspflicht gibt, und ist der Auffassung, dass die Einbeziehung von Unternehmen aus Drittstaaten, die in der EU investieren und verkaufen, in den Anwendungsbereich einer künftigen EU-Rechtsetzungsinitiative ein guter Ausgangspunkt für die Anhebung der Standards ist.
3.9Nach Auffassung des EWSA ist es an der Zeit, dass die Kommission tätig wird und den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament einen Vorschlag für eine Rechtsetzungsinitiative über eine verbindliche Sorgfaltspflicht vorlegt, die der Verantwortung auf der Grundlage der derzeitigen Standards gerecht wird und einen klaren Rechtsrahmen für europäische Unternehmen bietet.
3.10Eine solche Rechtsetzungsinitiative müsste von einem ganzheitlichen, aber auch rechtlich soliden und eindeutigen Verständnis des Begriffs der Interessenträger eines Unternehmens ausgehen. Die Aktionäre bilden den Kern der Gruppe der Interessenträger. Sie erleiden häufig finanzielle Verluste, wenn Unternehmen mit Menschenrechtsverstößen in Verbindung gebracht werden und deshalb einen Imageschaden erleiden. Aber nicht nur Aktionäre, sondern auch Arbeitnehmer, ihre Vertreter auf Betriebs- und Branchenebene und Menschen, die von Tätigkeiten auf Unternehmensebene betroffen sind, weil sie entweder in der Nähe leben oder deren Auswirkungen ausgesetzt sind und häufig in Organisationen der Zivilgesellschaft organisiert sind, sind an einem verantwortungsvollen unternehmerischen Handeln mit Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte interessiert. Deshalb sollten alle Interessengruppen bei einer Rechtsetzungsinitiative für die Sorgfaltspflicht entsprechend ihren jeweiligen Interessen gebührend berücksichtigt werden.
3.11Opfer, deren Rechte verletzt werden, und ihre Vertreter, wie Gewerkschaften und Menschenrechtsaktivisten, müssen deshalb Zugang zu wirksamen Rechtsbehelfen gegen die sie betreffenden negativen Auswirkungen haben. Dies bedeutet, dass sie die Möglichkeit haben müssen, eine vollständige Entschädigung für erlittene Schäden zu erhalten.
3.12Es sollte auch darauf hingewiesen werden, dass aus den Verhandlungen über ein Abkommen der Vereinten Nationen potenzielle Bestimmungen über die strafrechtliche Haftung für die schwersten Taten wie Kriegsverbrechen oder unrechtmäßige Hinrichtungen hervorgegangen sind. Solche strafrechtlichen Fragen müssen deshalb auch Gegenstand einer europäischen Rechtsetzungsinitiative über die Sorgfaltspflicht sein.
3.13Bei der Prüfung der verbindlichen Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte sollten folglich bestimmte Aspekte berücksichtigt werden:
3.14Dass ein Zusammenhang zwischen dem Rahmen für die Sorgfaltspflicht und Fragen der zivilrechtlichen (und möglichen strafrechtlichen) Haftung besteht, liegt auf der Hand. Strenge Verfahren für die Sorgfaltspflicht und entsprechende Informationen ermöglichen es den Unternehmen, zu belegen, dass sie für einen bestimmten Menschenrechtsverstoß nicht verantwortlich sind. Unternehmen, die der Sorgfaltspflicht nachkommen, müssen von ihren Bemühungen profitieren. Dies darf jedoch nicht als allgemeiner Haftungsausschluss ausgelegt werden. In den Leitprinzipien der Vereinten Nationen wird auf diese Frage im Kommentar zu Prinzip 17 eingegangen: „Die Ausübung von Sorgfaltspflicht auf dem Gebiet der Menschenrechte sollte Wirtschaftsunternehmen dabei helfen, dem Risiko gegen sie vorgebrachter Rechtsansprüche zu begegnen, indem sie nachweisen, dass sie alle angemessenen Maßnahmen ergriffen haben, um ihre eigene Beteiligung an mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Wirtschaftsunternehmen, die eine solche Sorgfaltspflicht walten lassen, sollten indessen nicht annehmen, dass dies allein sie automatisch und vollständig von der Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen befreit, die sie verursacht oder zu denen sie beigetragen haben.“
3.15Eine Rechtsetzungsinitiative muss die Sorgfaltspflicht abdecken, aber auch sicherstellen, dass diese bei Haftungsfragen in angemessener und kohärenter Weise berücksichtigt wird, wobei sich ihr Anwendungsbereich auf die UN-Leitprinzipien stützen und insbesondere auf Wirtschaftssubjekte erstrecken sollte, mit denen ein Unternehmen durch dauerhafte Geschäftsbeziehungen eine direkte Verbindung in Bezug auf seine Tätigkeiten, Produkte oder Dienstleistungen unterhält.
3.16Dies könnte auch ein optimaler Ansatz für die Festlegung angemessener Haftungsregelungen sein, ohne willkürlich Schwellenwerte für KMU einzuführen. Die bestehenden Rahmen für die Sorgfaltspflicht, etwa die UN-Leitprinzipien und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, gelten aus gutem Grund für alle Unternehmen: Menschenrechte sind universell und unteilbar. Die potenzielle Gefährdung von Menschenrechten in Wertschöpfungsketten variiert möglicherweise erheblich je nach Größe, Einnahmen und branchentypischen Besonderheiten der Unternehmen. Die Festlegung von Grenzen für die Haftung nach Unternehmensgröße, Tochtergesellschaften und Zulieferern kann zu Problemen führen, da sich die globalen Wertschöpfungsketten an diese Schwellenwerte anpassen würden. Nun verfügen diese Unternehmen, die bereits stark unter der COVID-19-Krise leiden, allerdings nicht unbedingt über ausreichende Ressourcen, um den erforderlichen Vorgaben nachzukommen. Eine angemessene Sorgfaltspflicht muss die Achtung der Menschenrechte und die Entschädigung der unmittelbar Betroffenen gewährleisten, zugleich jedoch unverhältnismäßige logistische, finanzielle und personelle Belastungen für KMU in einer äußerst schweren Wirtschaftskrise vermeiden. Eine Klärung der Frage, welche Wechselwirkungen zwischen den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht und der möglichen Haftung bestehen, könnte ein praktischer Ansatz sein, um den Besonderheiten der KMU in Europa Rechnung zu tragen.
3.17Die Rechtsetzungsinitiative sollte, wie in den UN-Leitprinzipien gefordert, branchenübergreifend alle Unternehmen erfassen, die in der EU niedergelassen oder tätig sind, um unlauteren Wettbewerb und ungleiche Wettbewerbsbedingungen zu vermeiden, und auch für den öffentlichen Sektor gelten. Sie sollte Unternehmen dazu verpflichten, hohe Standards in Bezug auf verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln einzuhalten, zugleich aber auch angemessene Maßnahmen entsprechend dem jeweiligen Risiko von Menschenrechtsverletzungen vorschlagen. Die Unternehmen müssen wirksame Mechanismen für die Sorgfaltspflicht einrichten, um Menschenrechtsverletzungen und negative soziale und ökologische Auswirkungen zu ermitteln, zu verhindern und einzudämmen, und zwar in Bezug auf sämtliche Tätigkeiten und Geschäftsbeziehungen, einschließlich ihrer Liefer- und Unterauftragsketten im Rahmen einer Geschäftsbeziehung, bei denen in genau definierten globalen Wertschöpfungsketten ein eindeutiger Zusammenhang besteht.
3.18Der sachliche Anwendungsbereich der Rechtsetzungsinitiative sollte eine breite Abdeckung der Definition der Menschen- und Umweltrechte, einschließlich der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte, gewährleisten und die Einbeziehung neuer Entwicklungen bei den Menschenrechten (z. B. Grundsatz der Nichtdiskriminierung) ermöglichen. Die Initiative sollte auf Instrumenten wie der Internationalen Charta der Menschenrechte und den IAO‑Übereinkommen sowie auf der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Europäischen Sozialcharta aufbauen. Die Dreigliedrige Grundsatzerklärung der IAO über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik enthält auch einen umfassenden Katalog von Rechten in Bezug auf multinationale Unternehmen und Arbeit, in dem insbesondere auf die Übereinkommen und Empfehlungen zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz verwiesen wird, und sollte berücksichtigt werden. In Bezug auf die Umweltrechte ist das Übereinkommen von Paris insofern zu berücksichtigen, als diese internationale Übereinkunft von Regierungen und nicht von Unternehmen unterzeichnet wurde, was bedeutet, dass erstere ihren Verpflichtungen nachkommen und letztere zu ihrer Umsetzung beitragen müssen. Die Initiative sollte zudem auf den EU-Verträgen und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie nationalen Instrumenten im Bereich Menschenrechte aufbauen. Keinesfalls sollte das Schutzniveau für Menschenrechte niedriger sein als das in den geltenden Rechtsvorschriften auf internationaler, europäischer oder nationaler Ebene vorgesehene.
3.19Die Verpflichtungen in Bezug auf die Sorgfaltspflicht sollten sich auf tatsächliche und potenzielle Auswirkungen erstrecken. Sie sollten auch die sozialen und ökologischen Auswirkungen, auch mit Blick auf die Ziele für nachhaltige Entwicklung, sowie die Bekämpfung von Korruption, die Unternehmensführung und die Steuergerechtigkeit abdecken. Umweltauswirkungen sollten als wesentlicher Aspekt eines nachhaltigen unternehmerischen Handelns betrachtet werden. Gemäß den UN-Leitprinzipien, den OECD-Leitsätzen und den Definitionen der Dreigliedrigen Erklärung der IAO sollten Unternehmen die Sorgfaltspflicht anwenden, um ihre tatsächlichen oder potenziellen negativen Auswirkungen zu ermitteln, diese zu verhindern und zu mindern sowie Rechenschaft über deren Beseitigung abzulegen. Aufbauend auf diesen Instrumenten sollte die verbindliche Sorgfaltspflicht unter Wahrung des legitimen Anspruchs auf Vertraulichkeit von Unternehmensinformationen die Bewertung und Ermittlung tatsächlicher und potenzieller negativer Auswirkungen sowie eine den daraus gewonnenen Erkenntnissen entsprechende Reaktion umfassen, um negative Auswirkungen zu beseitigen und zu verhindern. Zudem müssen die Umsetzung und die Ergebnisse mitverfolgt werden, und es muss darüber berichtet werden, wie mit den Auswirkungen umgegangen wurde. Im Interesse einer einfachen Umsetzung und zur Vermeidung von Überschneidungen muss die Rechtsetzungsinitiative im Einklang mit den bestehenden Sorgfaltspflichtsregelungen, etwa den UN-Leitprinzipien, gestaltet werden.
3.20Im Rahmen der Rechtsetzungsinitiative muss eindeutig festgelegt werden, welche Einzelmaßnahmen Unternehmen während des gesamten Sorgfaltspflichtsverfahrens ergreifen müssen, um das Risiko von Menschenrechtsverletzungen im Einklang mit anderen verbindlichen EU-Rechtsvorschriften zu bewerten, wie etwa der Überarbeitung der Richtlinie über die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen‚ die in Zukunft möglicherweise entsprechend angepasst werden muss. Die Rechtsetzungsinitiative sollte mindestens folgende Maßnahmen umfassen:
3.21Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass eine oder mehrere nationale Behörden (z. B. Arbeitsaufsichts-, Gesundheits- bzw. Sicherheitsbehörden) dafür zuständig sind, zu überwachen, ob die Unternehmen ihren Verpflichtungen nachkommen. Die Behörde sollte über die erforderlichen Ressourcen und Fachkenntnisse verfügen, um Kontrollen, auch von Amts wegen, und Prüfungen auf der Grundlage von Risikobewertungen, Informationen von Hinweisgebern und Beschwerden durchzuführen. Sie sollte eng mit den Sozialpartnern zusammenarbeiten und deren aktive Beteiligung sicherstellen. Auch angemessen ausgestattete OECD-Kontaktstellen sollten eingebunden werden.
3.22In den internationalen Instrumenten wird die notwendige Rolle anerkannt, die echte Konsultationen mit Vertretern der Zivilgesellschaft sowie mit Gewerkschaften, Arbeitnehmern und ihren legitimen Vertretern auf den jeweiligen Ebenen des sozialen Dialogs (Betrieb, Branche, nationale, europäische und internationale Ebene) bei der Festlegung und Umsetzung von Initiativen der Unternehmen für die Sorgfaltspflicht spielen sollten. In einer Rechtsetzungsinitiative sollte eine solche Beteiligung an den entsprechenden einschlägigen Vorschriften deshalb sichergestellt werden.
3.23In den bestehenden Systemen, auf die sich eine verbindliche Sorgfaltspflicht stützen kann, schließt die Anwendung und Umsetzung eines Systems für die Sorgfaltspflicht eine Haftung nicht immer von vornherein aus, da Schäden aus Verstößen gegen die Menschenrechte entstehen und nicht aus Mängeln bei der Sorgfaltspflicht. Wenn Menschenrechtsverletzungen nicht erfolgreich vorgebeugt wird, brauchen deren Opfer zumindest wirksame Rechtsbehelfe, die eine vollständige Entschädigung für den erlittenen Schaden gewährleisten. Ein System für die Sorgfaltspflicht soll die Bemühungen belegen, die zur Vermeidung von Schäden unternommen wurden.
4.Besondere Bemerkungen
4.1Unternehmen, die innerhalb und außerhalb der EU grenzübergreifend tätig sind, müssen in nachhaltiger Weise geführt werden: Dies betrifft wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte und schließt Perspektiven für Standorte, die Produktion von Gütern und die Erbringung von Dienstleistungen in Europa ein. Die Rechtsetzungsinitiative sollte die Unternehmen auch dazu verpflichten, in ihren Geschäftsbeziehungen in den globalen Wertschöpfungsketten Grundsätzen und Erwägungen des verantwortungsvollen und nachhaltigen unternehmerischen Handelns Rechnung zu tragen. Die Rechtsetzungsinitiative sollte darauf ausgerichtet sein, einen Rahmen zu schaffen, der einen wirksamen und verbindlichen Dialog mit den wesentlichen Interessenträgern eines Unternehmens umfasst, vorzugsweise auf der Ebene ihrer aufsichtsführenden und beratenden Gremien.
4.2Angesichts der Herausforderungen und Hindernisse, mit denen Opfer beim Zugang zur Justiz in Drittländern, in denen europäische Unternehmen tätig sind, häufig konfrontiert sind, sollte die Möglichkeit des Zugangs zur Justiz in dem Mitgliedstaat, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat (oder in dem es geschäftlich tätig ist), gewährleistet werden. Daher sollte es möglich sein, in einem Mitgliedstaat Ansprüche gegen Unternehmen geltend zu machen, die auf dem Gebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassen sind, dort tätig sind oder eine anderweitige Verbindung zu diesem Mitgliedstaat haben. Das französische Gesetz vom 27. März 2017 über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen bietet bereits diese Möglichkeit, doch zeigen anhängige Verfahren, dass nationale Gerichte noch keine Zuständigkeit für Beschwerden haben, die eine Tochtergesellschaft im Ausland betreffen.
4.3Die Zuständigkeit europäischer Gerichte beschränkt sich in der Regel auf europäische Beklagte, was bedeutet, dass es möglich ist, ein in Europa ansässiges Unternehmen vor einem europäischen Gericht zu verklagen, in der Regel aber nicht dessen Tochterunternehmen, das seinen Sitz in dem Land hat, in dem der Schaden eingetreten ist. Noch weiter entfernt von dem entsprechenden europäischen Unternehmen sind Lieferanten und Zwischenhändler in der Lieferkette. Es muss sichergestellt werden, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen und ihre Vertreter, einschließlich Gewerkschaften und Menschenrechtsaktivisten, Zugang zu fairen Verfahren, Gerichten und Behörden haben, wie es menschenrechtlichen Standards entspricht. Wenn nicht feststeht, ob die Muttergesellschaft, eine ihrer Tochtergesellschaften oder einer ihrer Zulieferer potenziell haftbar ist, sollte die gerichtliche Zuständigkeit für die Durchführung eines fairen Verfahrens bei einem Forum liegen. Die Brüssel-I-Verordnung sollte deshalb geändert werden, um bei Menschenrechtsverstößen ein Verfahren in Europa zu ermöglichen.
4.4Ein weiteres Thema, das auf UN-Ebene erörtert wurde, ist das anzuwendende Recht. Gemäß Artikel 7 der Rom-II-Verordnung besteht bei Umweltschäden die Möglichkeit, das anzuwendende Recht auszuwählen. Wird dies auch für Menschenrechte der Fall sein, so dass für Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen dasselbe Maß an Rechten gilt? Über diese Frage wird derzeit unter Anwälten diskutiert, und der EWSA befürwortet eine solche Angleichung grundsätzlich, ohne allen Rechtsfolgen vorgreifen zu wollen.
4.5Es muss ein konkreter Haftungsrahmen, auch (gegebenenfalls in Abhängigkeit vom Rechtssystem und dem Verstoß) für die strafrechtliche Haftung, für Fälle eingeführt werden, in denen es zu Verstößen gegen Menschenrechts-, Sozial- und Umweltnormen oder negative Auswirkungen der Geschäftstätigkeit von Unternehmen kommt, auch in ihren Liefer- und Unterauftragsketten. Die strafrechtliche Haftung für die schrecklichsten internationalen Verbrechen wurde jüngst in den Entwurf eines Abkommens der Vereinten Nationen aufgenommen. Der EWSA hat bereits in seiner Stellungnahme zum UN-Abkommen darauf hingewiesen, dass sich eine solche Haftung auch auf Fälle grober Fahrlässigkeit erstrecken sollte.
4.6Der EWSA hat sich zudem bereits zur Frage der Beweislast und des jeweiligen Beweisstandards geäußert. In der Stellungnahme des EWSA heißt es dazu: „Das hieße zumindest, dass Kläger gegen Menschenrechtsverletzungen lediglich nachzuweisen hätten, dass eine eindeutige Verbindung zwischen dem Verursacher der Menschenrechtsverletzung (z. B. einem Lieferanten oder einem Tochterunternehmen) und dem (begünstigten bzw. Mutter-) Unternehmen besteht, das wiederum schlüssig darlegen müsste, dass die Verstöße außerhalb seiner Kontrolle erfolgten.“
4.7Unternehmen dürften keinen missbräuchlichen Klagen oder einer absoluten Haftung ausgesetzt sein, da sie auf ihre Verfahren zur Sorgfaltspflicht verweisen können, um ihre Beteiligung und Maßnahmen zur Eindämmung und Vermeidung schädlicher Auswirkungen zu belegen. Wenn ein Unternehmen weder einen Schaden verursacht noch zu einem Schaden beigetragen hat noch Wissen von einem solchen Schaden erlangen konnte, obwohl es seiner Sorgfaltspflicht gründlich nachgekommen ist, kann keine Haftung eintreten. In einem Verfahren zur Sorgfaltspflicht sollte das häufig erwähnte Problem eines „Unternehmensschleiers“ angegangen werden, bei dem Opfer häufig nicht über die Ressourcen oder die Möglichkeit verfügen, die spezifische Kette der Zuständigkeiten innerhalb einer globalen Wertschöpfungskette zu belegen.
4.8Zu den Maßnahmen zur Erleichterung des Zugangs zur Justiz für Opfer sollten auch geeignete Unterstützungsprogramme gehören. Verfahren wegen einstweiliger Anordnungen sollten die Einstellung von Vorgängen ermöglichen, die gegen Menschenrechts-, Sozial- und Umweltnormen verstoßen. Der EWSA hat bereits auf die Bedeutung von Zeugen und die Rolle von Hinweisgebern hingewiesen sowie darauf, dass in diesem Bereich tätige NGOs unterstützt werden müssen, soweit sie ein berechtigtes Interesse haben, das auf etablierten Rechtsgrundsätzen in Bezug auf die Ergreifung von Maßnahmen und der Beweiserhebung beruht. In Frankreich haben einige formale Vorstöße auf Initiative von NGOs gegen Unternehmen auf der Grundlage des nationalen Gesetzes über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen die Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung aufgezeigt (z. B. anzuwendendes Recht).
4.9Ein verbindlicher Rahmen für die Sorgfaltspflicht ließe sich durch einen vereinbarten Standard herstellen, der durch verhältnismäßige, wirksame und abschreckende Sanktionen durchgesetzt wird, während die Haftung nach einem Verstoß gegen klar definierten Menschenrechte eintreten würde. Wie bei allen Haftungsregelungen muss ein offensichtlicher Kausalzusammenhang zwischen einem Verschulden oder einer Nichtverhinderung und einem Schaden hergestellt werden. Bei nicht unmittelbaren, entfernten Kausalitäten lässt sich folglich kein Risikozusammenhang herstellen.
4.10Zu den Sanktionen sollten der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und der öffentlichen Finanzierung sowie finanzielle Sanktionen gehören, die in einem angemessenen Verhältnis zum Umsatz des Unternehmens und zu den Abhilfemaßnahmen stehen. Dies sollte Unternehmen einen Anreiz bieten, den Verpflichtungen nachzukommen und negative Auswirkungen ihrer Tätigkeiten zu verhindern. Dies dürfte zu einer weiteren Aufwärtskonvergenz des Ansatzes in Bezug auf die Menschenrechte, einschließlich der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte, beitragen. Die Mitgliedstaaten sollten positive Anreize schaffen, um Unternehmen darin zu bestärken, ehrgeizige Konzepte für nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeiten, auch in ihren Liefer- und Unterauftragsketten, zu entwickeln.
4.11Eine Rechtsetzungsinitiative sollte eine Nichtregressionsklausel, eine Meistbegünstigungsklausel sowie eine Überprüfungsklausel auf der Grundlage von Expertenbeiträgen enthalten. Als Vorbild könnten hier die Datenschutzvorschriften dienen. Die Anforderungen einer neuen EU-Rechtsetzungsinitiative sollten auch für bestehende freiwillige Instrumente der Sorgfaltspflicht gelten, die erforderlichenfalls angepasst werden sollten.
4.12Die Kommission sollte ihre Strategie für die Sorgfaltspflicht auf internationaler Ebene, d. h. im Rahmen des Verfahrens für das UN-Abkommen, in allen einschlägigen internationalen Organisationen aktiv fördern, um andere Länder dazu anzuregen, diesem Weg zu folgen.
Brüssel, den 18. September 2020
Luca JAHIER
Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
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