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Amtsblatt
der Europäischen Union

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Serie L


2023/2211

19.10.2023

EMPFEHLUNG (EU) 2023/2211 DER KOMMISSION

vom 17. Oktober 2023

über Qualitätsanforderungen an Streitbeilegungsverfahren, die von Online-Marktplätzen und Wirtschaftsverbänden der Union angeboten werden

(Bekannt gegeben unter Aktenzeichen C(2023) 7019)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 292,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Mit der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (1) wird sichergestellt, dass den Verbraucherinnen und Verbrauchern in der Union hochwertige außergerichtliche Verfahren zur Beilegung vertraglicher Streitigkeiten („alternative Streitbeilegung“), die sich aus dem Verkauf von Waren oder Dienstleistungen durch in der Union niedergelassene Unternehmer an in der Union wohnhafte Verbraucherinnen und Verbraucher ergeben, zur Verfügung stehen.

(2)

Die jüngste Bewertung dieser Richtlinie ergab, dass immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher Gebrauch von Online-Marktplätzen machen, um Waren und Dienstleistungen zu erwerben, und die von diesen Marktplätzen als Dienstleistung angebotenen Streitbeilegungsverfahren in Anspruch nehmen. Diese Streitbeilegungsverfahren sind in der Richtlinie 2013/11/EU nicht geregelt, sodass nicht sichergestellt werden kann, dass sie fair verlaufen. Damit die Verbraucherinnen und Verbraucher im Rahmen solcher Streitbeilegungsverfahren eine faire und den höchsten Standards der beruflichen Sorgfalt entsprechende Behandlung erfahren, wird empfohlen, dass die maßgeblichen Qualitätskriterien der Richtlinie 2013/11/EU auch auf diese Verfahren Anwendung finden.

(3)

Die Bewertung der Richtlinie 2013/11/EU hat auch ergeben, dass Verfahren der alternativen Streitbeilegung selten in grenzüberschreitenden Streitfällen zur Anwendung kommen, weil zahlreiche Hindernisse dies erschweren. Einige Wirtschaftsverbände bieten indessen Systeme für die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten an, die nicht an bestimmte nationale Verfahren der alternativen Streitbeilegung gebunden sind. Um den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein einheitliches Schutzniveau zu bieten, wäre es empfehlenswert, dass diese Wirtschaftsverbände den maßgeblichen Qualitätskriterien der Richtlinie 2013/11/EU so weit wie möglich genügen.

(4)

Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände, die Streitbeilegungsverfahren als Dienstleistung anbieten, sollten vor Beginn eines Verfahrens die betreffende Verbraucherin bzw. den betreffenden Verbraucher sowie den Unternehmer über die wesentlichen Merkmale des Verfahrens informieren, damit die Parteien entscheiden können, ob sie es in Anspruch nehmen möchten. Darüber hinaus sollten diese Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände regelmäßig Berichte mit einer eigenen Bewertung, inwieweit ihre Verfahren die empfohlenen Anforderungen erfüllen, veröffentlichen. Wenn automatisierte Verfahren zur Streitbeilegung verwendet werden, sollte dies angegeben werden, und Verbraucherinnen bzw. Verbraucher und Unternehmer sollten verlangen können, dass das Ergebnis des Verfahrens von einer natürlichen Person überprüft wird —

HAT FOLGENDE EMPFEHLUNG ABGEGEBEN:

ZWECK DER EMPFEHLUNG

(1)

Ziel dieser Empfehlung ist es, die Beachtung strenger Qualitätskriterien bei von Online-Marktplätzen und Wirtschaftsverbänden der Union angebotenen Streitbeilegungsverfahren zu fördern, mit denen die Wirksamkeit und Fairness dieser Verfahren sowie die fachliche Kompetenz, die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der mit diesen Verfahren betrauten natürlichen Personen sichergestellt werden.

BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

(2)

Die in der Richtlinie 2013/11/EU definierten Begriffe werden in dieser Empfehlung in derselben Bedeutung verwendet. Ferner bezeichnet der Ausdruck

a)

„Online-Marktplatz“ einen Vermittlungsdienst, der eine Online-Schnittstelle nutzt, über die Verbraucherinnen und Verbraucher Fernabsatzverträge über den Kauf von Produkten oder Dienstleistungen mit anderen Unternehmern abschließen können;

b)

„Wirtschaftsverband der Union“ einen Wirtschaftsverband dessen Mitglieder in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind;

c)

„Streitbeilegungsverfahren“ ein Verfahren, das von einem Online-Marktplatz oder einem Wirtschaftsverband der Union zur Beilegung von Streitigkeiten angeboten wird,

die vertragliche Verpflichtungen aus Kaufverträgen, einschließlich der Bereitstellung digitaler Inhalte, oder Dienstleistungsverträgen und/oder

Verbraucherrechte, die sich aus Rechtsakten der Union über die Vor- und Nachvertragsphase solcher Verträge ergeben, betreffen und

bei denen sich eine Verbraucherin bzw. ein Verbraucher mit Wohnsitz in der Union und ein Unternehmer, der in der Union wohnhaften Verbraucherinnen und Verbraucher Waren, digitale Inhalte oder Dienstleistungen anbietet, gegenüberstehen.

GEGENSTAND

(3)

Es wird empfohlen, dass die Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände der Union, die Verbraucherinnen und Verbrauchern Streitbeilegungsverfahren als Dienstleistung anbieten, die maßgeblichen Qualitätskriterien der Richtlinie 2013/11/EU anwenden, um für eine faire und unparteiische Streitbeilegung zu sorgen.

FACHWISSEN, UNABHÄNGIGKEIT, UNPARTEILICHKEIT

(4)

Insbesondere wird im Einklang mit Artikel 6 der Richtlinie 2013/11/EU empfohlen, dass die Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände der Union dafür sorgen sollten, dass die mit den Streitbeilegungsverfahren betrauten natürlichen Personen über das erforderliche Fachwissen verfügen und unabhängig und unparteiisch sind. Dies sollte dadurch sichergestellt werden, dass diese Personen

a)

über das Wissen und die Fähigkeiten verfügen, die im Bereich der alternativen oder der gerichtlichen Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten erforderlich sind, sowie ein allgemeines Verständnis des anwendbaren Rechts besitzen,

b)

an keine Weisungen einer Partei oder ihrer Vertreter gebunden sind,

c)

in einer Weise vergütet werden, die nicht mit dem Ergebnis des Verfahrens im Zusammenhang steht.

EFFEKTIVITÄT

(5)

Im Einklang mit Artikel 8 der Richtlinie 2013/11/EU wird empfohlen, dass die Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände der Union dafür sorgen, dass ihre Streitbeilegungsverfahren effektiv sind, und Folgendes sicherstellen:

a)

Das Streitbeilegungsverfahren ist für beide Parteien online verfügbar und leicht zugänglich, und zwar unabhängig davon, wo sie sind.

b)

Die Parteien haben Zugang zu dem Verfahren, ohne einen Rechtsanwalt oder einen Rechtsberater beauftragen zu müssen, aber das Verfahren nimmt den Parteien nicht das Recht auf unabhängige Beratung oder darauf, sich in jedem Verfahrensstadium von einer dritten Partei vertreten oder unterstützen zu lassen.

c)

Das Streitbeilegungsverfahren ist für die Verbraucherinnen und Verbraucher entweder kostenlos oder gegen eine Schutzgebühr zugänglich.

d)

Der Online-Marktplatz oder der Wirtschaftsverband der Union, bei dem eine Beschwerde eingereicht wurde, benachrichtigt die Parteien der Streitigkeit, sobald er alle Unterlagen mit den erforderlichen Informationen zur Beschwerde erhalten hat.

e)

Das Ergebnis des Streitbeilegungsverfahrens ist binnen 90 Kalendertagen nach Eingang der vollständigen Beschwerdeakte bei dem Online-Marktplatz oder Wirtschaftsverband der Union verfügbar. Die Parteien sollten von einer etwaigen Verlängerung dieser Frist und von der zu erwartenden Dauer bis zur Beilegung der Streitigkeit unterrichtet werden.

FAIRNESS

(6)

Im Einklang mit Artikel 9 der Richtlinie 2013/11/EU wird empfohlen, dass die Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände der Union dafür sorgen sollten, dass in ihren Streitbeilegungsverfahren

a)

die Parteien innerhalb einer angemessenen Frist ihre Meinung äußern können, von dem Online-Marktplatz oder Wirtschaftsverband der Union die von der Gegenpartei vorgebrachten Argumente, Beweise, Unterlagen und Fakten sowie etwaige Feststellungen und Gutachten von Sachverständigen erhalten und hierzu Stellung nehmen können,

b)

die Parteien darüber unterrichtet werden, dass sie keinen Rechtsanwalt oder Rechtsberater beauftragen müssen, sich jedoch in jedem Verfahrensstadium von unabhängiger Seite beraten oder von einer dritten Partei vertreten oder unterstützen lassen können,

c)

den Parteien das Ergebnis des Streitbeilegungsverfahrens schriftlich oder auf einem dauerhaften Datenträger mitgeteilt wird und sie eine Darlegung der Gründe, auf denen es basiert, erhalten.

(7)

Es wird empfohlen, dass die Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände der Union für Folgendes sorgen:

a)

Die Parteien haben in jedem Stadium die Möglichkeit, das Verfahren abzubrechen, wenn sie die Durchführung oder den Ablauf des Verfahrens für unbefriedigend erachten. Es wird empfohlen, dass sie vor Einleitung des Verfahrens von diesem Recht unterrichtet werden.

b)

Die Parteien werden, bevor sie einer vorgeschlagenen Lösung zustimmen oder diese befolgen, darüber informiert,

i)

dass sie die Wahl haben, der vorgeschlagenen Lösung zuzustimmen oder diese zu befolgen oder nicht,

ii)

dass die Beteiligung an dem Verfahren die Möglichkeit nicht ausschließt, die Durchsetzung ihrer Rechte vor Gericht zu suchen,

iii)

dass die vorgeschlagene Lösung anders sein kann als das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens.

c)

Die Parteien werden über die Rechtswirkungen informiert, die die Zustimmung zu einer vorgeschlagenen Lösung oder die Befolgung einer vorgeschlagenen Lösung hat, bevor sie einer vorgeschlagenen Lösung zustimmen oder diese befolgen.

d)

Den Parteien wird eine angemessene Überlegungsfrist eingeräumt, bevor sie einer vorgeschlagenen Lösung oder einer gütlichen Einigung zustimmen.

WEITERE EMPFEHLUNGEN

(8)

Es wird empfohlen, dass die Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände der Union, die automatisierte Verfahren zur Streitbeilegung verwenden, dies angeben und die Streitparteien das Recht haben, eine Überprüfung des Ergebnisses des Verfahrens durch eine natürliche Person zu verlangen.

(9)

Es wird empfohlen, dass die Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände der Union regelmäßig Selbstbewertungsberichte veröffentlichen, die sich jeweils auf einen Zeitraum von höchstens zwei Jahren beziehen und in denen dargelegt wird, inwieweit die in dieser Empfehlung festgelegten Qualitätskriterien erfüllt wurden. Diese Informationen sollten auf ihrer Website abrufbar sein.

(10)

Es wird empfohlen, dass die Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände der Union Verbraucherinnen bzw. Verbraucher und Unternehmer vor Beginn des Streitbeilegungsverfahrens über zentrale Elemente und geltende Verfahrensregeln, beispielsweise abgedeckte Sprachen, erforderliche Unterlagen, durchschnittliche Dauer und mögliche Kosten, informieren. Sie sollten auch klar angeben, aus welchen Gründen sie die Bearbeitung einer bestimmten Streitigkeit ablehnen können.

(11)

Es wird empfohlen, dass die Mitgliedstaaten dazu beitragen, diese Empfehlung den Online-Marktplätzen und Wirtschaftsverbänden der Union zur Kenntnis zu bringen, die den in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet wohnhaften Verbraucherinnen und Verbrauchern Streitbeilegungsverfahren anbieten.

ADRESSATEN

(12)

Diese Empfehlung richtet sich an Online-Marktplätze und Wirtschaftsverbände der Union, die Streitbeilegungsverfahren zwischen Unternehmern und Verbraucherinnen bzw. Verbrauchern mit Wohnsitz in der Union anbieten, sowie an die Mitgliedstaaten.

Brüssel, den 17. Oktober 2023

Für die Kommission

Didier REYNDERS

Mitglied der Kommission


(1)  Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten) (ABl. L 165 vom 18.6.2013, S. 63).


ELI: http://data.europa.eu/eli/reco/2023/2211/oj

ISSN 1977-0642 (electronic edition)