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Amtsblatt
der Europäischen Union

DE

Serie C


C/2024/870

6.2.2024

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ergänzende Überlegungen zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2023“

(Initiativstellungnahme)

(C/2024/870)

Berichterstatter:

Manthos MAVROMMATIS

Beschluss des Plenums

23.3.2023

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

5.10.2023

Verabschiedung im Plenum

25.10.2023

Plenartagung Nr.

582

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

117/0/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) empfiehlt der Europäischen Zentralbank (EZB), ihre Geldpolitik kontinuierlich an den Wirtschaftsdaten auszurichten, um das Inflationsziel von 2 % mittelfristig und auf solider Grundlage, aber ohne allzu restriktive Maßnahmen, zu erreichen. Denn eine zu restriktive Geldpolitik hätte unweigerlich negative Folgen sowohl für Privathaushalte als auch Unternehmen und würde die Tragfähigkeit von Krediten beeinträchtigen, den Zugang zu Krediten einschränken und Investitionen zur Bekämpfung des Klimawandels behindern.

1.2.

Ein makroprudenzieller Ansatz der EZB ist vor allem im derzeitigen Konjunkturklima angeraten, da sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt und zugleich in mehreren Mitgliedstaaten die Gefahr einer Rezession herrscht. Prognosen über die optimale Ausrichtung der EZB-Politik sind jedoch sehr schwierig, da es nun zwischen der Verringerung der anhaltend hohen Inflation und der Vermeidung einer drohenden Rezession abzuwägen gilt, während gleichzeitig in wichtigen Politikbereichen nach wie vor eine erhebliche Unsicherheit herrscht.

1.3.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, die Fiskalpolitik der Länder des Euro-Währungsgebiets mit der Geldpolitik der EZB abzustimmen, um die Inflation mit Hilfe der Geldpolitik im Rahmen eines kohärenten Ansatzes wirksam zu zügeln.

1.4.

In Bezug auf die Energieversorgung weist der EWSA auf die verbleibende Restunsicherheit aufgrund von Risiken geopolitischer Art hin. Die Preise sind im historischen Vergleich nach wie vor hoch, wenngleich sie ausgewogener erscheinen als in der Vergangenheit. Die EU sollte sich daher verstärkt um eine Diversifizierung der Energieversorgung bemühen.

1.5.

Der EWSA ist besorgt über die hohe Inflation, die 2023 voraussichtlich bei 5,6 % liegen wird, und insbesondere über den Preisanstieg im Lebensmittelsektor. In einigen Mitgliedstaaten scheint hier der Wettbewerb nicht sehr stark ausgeprägt zu sein.

1.6.

Der EWSA stellt fest, dass das von der Kommission bereits geplante schrittweise Auslaufen des befristeten Rahmens für staatliche Beihilfen zu gezielteren sowie besser konzipierten, effizienteren und kostengünstigeren Maßnahmen führen sollte, um die Konsolidierung des Binnenmarkts angesichts der unterschiedlichen Kapazitäten der Mitgliedstaaten zur Gewährung staatlicher Beihilfen zu sichern.

1.7.

Der EWSA nimmt die Empfehlung des Rates (Wirtschaft und Finanzen) zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets zur Kenntnis, in der es heißt: „Im derzeitigen Umfeld würde eine auf breiter Basis betriebene expansive Fiskalpolitik zur Stützung der Nachfrage den Inflationsdruck weiter erhöhen.“ Die Fiskalpolitik sollte daher je nach Situation der öffentlichen Finanzen in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich gestaltet werden.

1.8.

Nach Ansicht des EWSA sind gezielte Haushaltsmaßnahmen erforderlich, um schutzbedürftige Menschen und Unternehmen zu unterstützen, insbesondere im Hinblick darauf, Arbeitsplätze und Humankapital zu erhalten und dabei zugleich Preissignale zu wahren und Anreize zur Verringerung des Energieverbrauchs zu setzen. Es sollte zudem für ausreichende Investitionen in Forschung, Entwicklung und Innovation gesorgt werden, um die Produktivität zu steigern, das Wachstum der Realwirtschaft zu fördern und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

1.9.

Der EWSA begrüßt die Legislativvorschläge der Kommission, mit denen die wirtschaftspolitische Steuerung der EU zum ersten Mal seit der Finanzkrise reformiert werden soll. Seines Erachtens kann die Reform nur dann Erfolg haben, wenn die Mitgliedstaaten sie mittragen und die neuen Vorschriften ihre Wirksamkeit voll entfalten können.

1.10.

Der EWSA begrüßt die relativ hohe Resilienz des Arbeitsmarktes, die aus den jüngsten Daten hervorgeht. Allerdings ist die Jugendarbeitslosigkeit in mehreren Mitgliedstaaten noch beträchtlich hoch, und die Reallöhne sind nach wie vor einem hohen Druck ausgesetzt. Die EZB hat bereits darauf hingewiesen, dass die Nominallöhne auf dem derzeit sehr angespannten Arbeitsmarkt steigen sollten, damit die Reallöhne einen Teil ihrer Kaufkraft wiedererlangen können.

1.11.

Angesichts der anhaltenden Inflation und ihrer negativen Auswirkungen auf die Reallöhne ist der EWSA der Auffassung, dass die Sozialpartner und die Regierungen nationale Einkommenspakte aushandeln und vereinbaren sollten, um die Inflation zu senken. Dabei dürfen Investitionen und Wachstum nicht untergraben werden, und außerdem sollten diese Pakte mit gezielten Maßnahmen zur Unterstützung der einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppen einhergehen.

1.12.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die effiziente Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität auch in der noch verbleibenden Zeit weiter entscheidend sein wird. Er fordert eine gründliche Bewertung der Auswirkungen der finanzierten Projekte, um sicherzustellen, dass diese mit den langfristigen Zielen in Einklang stehen und tatsächlich zur Erholung und Resilienz beitragen können.

1.13.

Darüber hinaus fordert der EWSA sowohl die EZB als auch die nationalen Regierungen auf, neben Zinsänderungen alternative Unterstützungsmaßnahmen und geeignete Initiativen zu ergreifen, damit die Inflation so bald wie möglich wieder zurückgeht. Das ist umso wichtiger, als erhebliche Verzerrungen und Störungen auf der Angebotsseite zu den Hauptursachen der Inflation gehören.

1.14.

Der EWSA ist besorgt über die Wirtschaftslage im Euro-Währungsgebiet nach den Zinserhöhungen der EZB vom September. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Eckdaten sollten weitere Erhöhungen unbedingt vermieden werden. Die Herausforderung für alle politischen Entscheidungsträger besteht nun darin festzustellen, wie schnell die Zinssätze wieder gesenkt werden können.

2.   Hintergrund

2.1.

Das europäische Wirtschaftswachstum ist verhalten. Niedrigere Energiepreise (außer für Erdöl), der Rückgang der Lieferengpässe und ein starker Arbeitsmarkt haben im ersten Quartal 2023 für ein moderates Wachstum gesorgt und eine Rezession abgewendet. Allerdings scheint angesichts der jüngsten Wirtschaftsdaten die Wahrscheinlichkeit einer Rezession gestiegen zu sein.

2.2.

In ihrer Sommerprognose hat die Europäische Kommission ihre in der Frühjahrsprognose geäußerten Erwartungen für das Wirtschaftswachstum der EU für 2023 von 1,0 % auf 0,8 % und für das Jahr 2024 von 1,7 % auf 1,4 % nach unten korrigiert. Auch für das Euro-Währungsgebiet ist dieser Abwärtstrend zu beobachten: Hier wird nun ein BIP-Wachstum in den Jahren 2023 und 2024 von 0,8 % bzw. 1,3 % erwartet.

2.3.

Es wird davon ausgegangen, dass die Inflation im Prognosezeitraum weiter zurückgeht: Im Euro-Währungsgebiet dürfte sie bei 5,6 % im Jahr 2023 und bei 2,9 % im Jahr 2024 liegen, was angemessene geldpolitische Maßnahmen seitens der EZB erfordert. Aufgrund der nach wie vor recht hohen Inflationsraten, die insbesondere im Lebensmittelsektor Anlass zur Besorgnis geben, wo der Wettbewerb in einigen Mitgliedstaaten offensichtlich nicht besonders ausgeprägt ist, werden sich die Finanzierungsbedingungen weiter verschärfen. Auch wenn die EZB und andere Zentralbanken bald aufhören dürften, an der Zinsschraube zu drehen, werden die jüngsten Turbulenzen in den Finanzsektoren der USA und der Schweiz sehr wahrscheinlich Auswirkungen sowohl auf die Kreditkosten als auch auf den Zugang zu Krediten haben.

2.4.

Die negativen Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die Energiepreise in der gesamten EU haben sich als weniger gravierend erwiesen als ursprünglich prognostiziert, da ein milder Winter in Verbindung mit einer raschen Diversifizierung der Energieversorgung und einem erheblichen Rückgang des Gasverbrauchs für Entlastung sorgten, was zu niedrigeren Preisen geführt hat.

2.5.

Die Frühjahrsprognose der Kommission machte bereits deutlich, dass das starke nominale Wachstum und das Auslaufen der letzten pandemiebedingten Maßnahmen 2022 zu einem Rückgang des aggregierten gesamtstaatlichen Defizits der EU auf 3,4 % des BIP führten, wobei die Beendigung dieser Hilfsprogramme sich besonders auf die schwächeren Bevölkerungsgruppen auswirkte.

2.6.

Ein dynamischer Arbeitsmarkt trägt zur Widerstandsfähigkeit der EU-Wirtschaft bei: Die Arbeitslosigkeit in der EU sank im März 2023 auf ein Rekordtief von 6,0 %, was mit hohen Erwerbsbeteiligungs- und Beschäftigungsquoten einherging. Gleichzeitig besteht jedoch ein anhaltender Mangel an Arbeitskräften, insbesondere an hochqualifizierten Arbeitskräften. Dessen ungeachtet ist die Jugendarbeitslosigkeit in mehreren Mitgliedstaaten nach wie vor sehr hoch, und die Reallöhne sind aufgrund der hohen Inflation einem erheblichen Druck ausgesetzt.

2.7.

Es wird erwartet, dass der EU-Arbeitsmarkt kaum Reaktionen auf das langsamere Wirtschaftswachstum zeigen wird. Für dieses Jahr wird ein Beschäftigungswachstum von 0,5 % prognostiziert, und 2024 wird es bei 0,4 % liegen. Die Arbeitslosenquote wird den Prognosen zufolge weiterhin knapp über 6 % liegen.

2.8.

In einer ihrer Stellungnahmen (1) hat sich der EWSA unlängst zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets geäußert. Die vorliegende Stellungnahme baut auf der früheren Stellungnahme auf und enthält den auf der Grundlage der jüngsten Entwicklungen und Daten aktualisierten Standpunkt des EWSA.

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

3.1.

Im September hat die EZB den Einlagenzinssatz um 25 Basispunkte auf 4 % angehoben. Damit hat er den bisher höchsten Stand erreicht. Die EZB, die bereits nach ihrer Julisitzung die Wachstumsprognosen für die nächsten drei Jahre gesenkt hatte, wies darauf hin, dass der EZB-Rat entschlossen sei, für eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Ziel von 2 % zu sorgen.

3.2.

Da die Zinssätze aufgrund der anhaltenden Inflation über einen längeren Zeitraum höher sein könnten als erwartet, empfiehlt der EWSA, die Geldpolitik kontinuierlich an den Wirtschaftsdaten auszurichten, um das Inflationsziel der EZB von 2 % auf solider Grundlage, aber ohne zu restriktive Maßnahmen, zu erreichen. Eine zu restriktive Geldpolitik nämlich könnte negative Folgen sowohl für Privathaushalte als auch für Unternehmen haben, die Tragfähigkeit von Krediten beeinträchtigen (Zunahme von notleidenden Krediten), den Zugang zu Krediten einschränken (vor allem für KMU) und Investitionen zur Bekämpfung des Klimawandels behindern.

3.3.

Ein makroprudenzieller Ansatz ist vor allem im derzeitigen Konjunkturklima angeraten, da sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt und in mehreren Mitgliedstaaten die Gefahr einer Rezession herrscht. Vor diesem Hintergrund ist es sehr schwierig, Prognosen über die optimale Ausrichtung der EZB-Politik abzugeben, da es nun zwischen der Verringerung der anhaltend hohen Inflation und der Vermeidung einer drohenden Rezession abzuwägen gilt, während gleichzeitig in wichtigen Politikbereichen nach wie vor eine erhebliche Unsicherheit herrscht.

3.4.

Der EWSA hat bereits in seiner früheren Stellungnahme (2) deutlich gemacht, dass er den Vorschlag der Kommission befürwortet, wonach die Länder des Euro-Währungsgebiets die Fiskalpolitik mit der Geldpolitik der EZB abstimmen sollen. Koordinierung ist in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung, um eine Geldpolitik zu unterstützen, mit der die Inflation im Rahmen eines kohärenten Ansatzes wirksam eingedämmt werden kann. Das gilt umso mehr, als die derzeitige Inflation zum Teil auf erhebliche Verzerrungen und Störungen auf der Angebotsseite zurückzuführen ist.

3.5.

Mit Blick auf die Energiepreise betont der EWSA, dass aufgrund von Risiken geopolitischer Art und in Bezug auf die Energieversorgung eine gewisse Restunsicherheit bleibt. Die Preise sind im historischen Vergleich nach wie vor erhöht, wenngleich sie ausgewogener erscheinen als in der Vergangenheit. Die EU sollte sich verstärkt darum bemühen, im Rahmen des bereits eingeleiteten grünen Wandels ihre Energieversorgung zu diversifizieren und ihre Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen zu verringern.

3.6.

Die Kommission hat die Beihilfevorschriften durch den befristeten Krisen- und Übergangsrahmen für staatliche Beihilfen gelockert, um unter anderem den Preiserhöhungen im Energiesektor nach der Invasion der Ukraine entgegenzuwirken. Durch derartige Maßnahmen konnten Unternehmen und insbesondere KMU in schwierigen Zeiten angemessen unterstützt werden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Kapazitäten der einzelnen Mitgliedstaaten zur Gewährung staatlicher Beihilfen sehr unterschiedlich sind und hier in den letzten Jahren große Differenzen aufgetreten sind. Das könnte die Konsolidierung des Binnenmarktes beeinträchtigen, da einige Mitgliedstaaten über mehr Finanzmittel und eine größere Kapazität zum Einsatz dieser Mittel verfügen als andere. Das von der Kommission bereits geplante schrittweise Auslaufen des befristeten Rahmens sollte daher zu gezielteren sowie besser konzipierten, effizienteren und kostengünstigeren Maßnahmen führen.

3.7.

Der EWSA nimmt die Empfehlung des Rates (Wirtschaft und Finanzen) zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (3) zur Kenntnis, in der es heißt: „Im derzeitigen Umfeld würde eine auf breiter Basis betriebene expansive Fiskalpolitik zur Stützung der Nachfrage den Inflationsdruck weiter erhöhen.“ Die Fiskalpolitik sollte daher je nach Situation der öffentlichen Finanzen in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich gestaltet werden. In dieser Hinsicht wird eine verantwortungsvolle Haushaltskonsolidierung die Geldpolitik unterstützen und es der EZB ermöglichen, die Zinsen möglichst rasch wieder zu senken.

3.8.

Gleichzeitig sind gezielte und befristete Haushaltsmaßnahmen erforderlich, um schutzbedürftige Menschen und Unternehmen zu unterstützen, insbesondere im Hinblick darauf, Arbeitsplätze und Humankapital zu erhalten und dabei zugleich Preissignale zu wahren und Anreize zur Verringerung des Energieverbrauchs zu setzen. Ausreichende Investitionen in Forschung, Entwicklung und Innovation zur Förderung des Wachstums der Realwirtschaft, zur Steigerung der Produktivität und zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit sollten ebenfalls angemessen unterstützt werden. Hierbei kommt es wesentlich darauf an, dass die Mitgliedstaaten ihre politischen Maßnahmen eng miteinander abstimmen.

3.9.

Der EWSA begrüßt die Legislativvorschläge (4) der Kommission, mit denen die wirtschaftspolitische Steuerung der EU zum ersten Mal seit der Finanzkrise reformiert werden soll. Die neuen Vorschriften zielen darauf ab, die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung zu stärken und durch Reformen und Investitionen ein nachhaltiges und integratives Wachstum in allen Mitgliedstaaten zu fördern. Nach Ansicht des EWSA kann die Reform nur dann Erfolg haben, wenn die Mitgliedstaaten sie engagiert mittragen und die neuen Vorschriften ihre Wirksamkeit voll entfalten können.

3.10.

Der EWSA nimmt die Absicht der Kommission zur Kenntnis, die Referenzwerte (Defizitquote von 3 % und Schuldenquote von 60 % des BIP) beizubehalten, unterstreicht jedoch, dass die strukturellen finanzpolitischen Pläne gewährleisten müssen, dass die Schuldenquoten sinken oder auf einem dem Vorsichtsgebot entsprechenden Niveau bleiben. Zu begrüßen ist auch (5), dass die Kommission die Nettoprimärausgaben als Hauptparameter für die Bewertung der neuen wirtschaftspolitischen Steuerung heranzieht. Gleichzeitig befürchtet der EWSA, dass die öffentlichen Investitionen im neuen Rahmen zu verhalten sein könnten. Daher fordert der EWSA, dass öffentlichen Investitionen zur Förderung des grünen und des digitalen Wandels sowie im Verteidigungsbereich Vorrang eingeräumt werden kann.

3.11.

Der Standpunkt des EWSA zum Vorschlag der Europäischen Kommission über die wirtschaftspolitische Steuerung kommt in seiner diesbezüglichen Stellungnahme (6) zum Ausdruck: Darin begrüßt er die Schaffung differenzierter nationaler Pfade zur Gewährleistung tragfähiger öffentlicher Finanzen durch strukturelle finanzpolitische Pläne auf der Grundlage von Kompromissen zwischen den europäischen und den nationalen Behörden. Der EWSA ist der Auffassung, dass die nationale Eigenverantwortung für diese Verpflichtungen als Teil eines demokratischeren Verständnisses der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU eine stärkere Einbeziehung der nationalen Parlamente und der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sowie die Beteiligung der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft im Rahmen formeller Konsultationsprozesse erfordert.

3.12.

Der EWSA begrüßt die relativ hohe Resilienz des Arbeitsmarktes, die aus den jüngsten Daten hervorgeht, und unterstreicht gleichzeitig seine Besorgnis darüber, dass zahlreiche Unternehmen große Schwierigkeiten haben, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden (7). Der EWSA hält es in diesem Zusammenhang für entscheidend, die im Bericht über die Beschäftigung und die soziale Lage in Europa enthaltenen Empfehlungen zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels und des Qualifikationsdefizits in der EU (8) rasch umzusetzen.

3.13.

Angesichts der anhaltenden Inflation und ihrer negativen Auswirkungen auf die Reallöhne ist der EWSA der Auffassung, dass die Sozialpartner und die Regierungen nationale Einkommenspakte aushandeln und vereinbaren sollten, um die Inflation zu senken. Dabei dürfen Investitionen und Wachstum nicht untergraben werden, und außerdem sollten diese Pakte mit gezielten Maßnahmen zur Unterstützung der einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppen einhergehen (9).

3.14.

Der EWSA hat bereits in einer früheren Stellungnahme (10) nachdrücklich eine rasche Umsetzung der Mindestlohnrichtlinie in allen Mitgliedstaaten empfohlen, denn nur so kann ein Arbeitsmarkt geschaffen werden, der sowohl stark als auch fair ist und der die Kaufkraft der Löhne in schwierigen Zeiten hoher Inflation aufrechterhält. Wirksame, gezielte Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie sind in dieser Hinsicht von entscheidender Bedeutung und könnten zu mehr Konvergenz in der EU führen.

3.15.

Nach Ansicht des EWSA verdeutlichen die jüngste Bankenkrise in den USA und der Fall der Credit Suisse in Europa, dass im Falle von Bankenkrisen das Ansteckungsrisiko und der Vertrauensverlust von Anlegern und Einlegern rasch eingedämmt werden müssen. Es zeigte sich auch, dass bei der Entwicklung von Lösungen auf Einzelfallbasis Flexibilität erforderlich ist. Daher begrüßt der EWSA, wie bereits in seiner früheren Stellungnahme (11) dargelegt, die jüngste umfassende Initiative der Kommission zur Vervollständigung des Rechtsrahmens zum Krisenmanagement im Bankensektor und zur Einlagenversicherung (CMDI), denn die Vollendung der Bankenunion ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung des europäischen Binnenmarkts im Interesse der Steuerzahler und Unternehmen. Einige ernsthafte Bedenken ergeben sich jedoch aus der fehlenden EZB-Aufsicht über wichtige Teile des EU-Bankensystems. Diesem Mangel könnte durch eine rasche Annahme und Umsetzung des CMDI-Rechtsrahmens zumindest teilweise abgeholfen werden.

3.16.

Die Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität ist in vollem Gange. Dabei müssen die Mitgliedstaaten sorgfältig darauf achten, die verfügbaren Mittel wirksam einzusetzen, um ihre Volkswirtschaften gegen künftige Herausforderungen zu wappnen. Die effiziente Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität wird auch in der noch verbleibenden Zeit entscheidend sein. Die Auswirkungen der finanzierten Projekte müssen gründlich bewertet werden, um sicherzustellen, dass sie mit den langfristigen Zielen in Einklang stehen und tatsächlich zur Erholung und Resilienz beitragen können.

3.17.

Der EWSA begrüßt die gemeinsamen Bemühungen von EZB und Kommission um den digitalen Euro, die am 28. Juni 2023 zur Veröffentlichung des Pakets zum digitalen Euro (12) geführt haben. Ein ehrgeiziges und anspruchsvolles Ziel wie der digitale Euro könnte im Einklang mit den technologischen Entwicklungen die Modernisierung der gemeinsamen Währung ermöglichen und sowohl Bürgern als auch Unternehmen in der gesamten EU Vorteile bringen.

3.18.

Die europäische Wirtschaft steht angesichts des derzeitigen weltweiten Konjunkturrückgangs, der hohen Staatsverschuldung in einigen Ländern, der hohen Inflation und des Klimawandels vor zahlreichen Herausforderungen. Nach Ansicht des EWSA sind daher koordinierte Anstrengungen aller Entscheidungsträger und die Einbeziehung der einschlägigen Interessenträger in den wirtschaftspolitischen Beschlussfassungsprozess erforderlich.

4.   Jüngste Entwicklungen

4.1.

Am 14. September erhöhte die EZB zum zehnten Mal ihre Referenzzinssätze um 25 Basispunkte. Dadurch erreichte der Haupteinlagensatz mit 4 % den höchsten Wert in ihrer Geschichte. Die EZB wies auch darauf hin, dass diese Erhöhung die letzte sein könnte. Der EWSA ist besorgt über die Lage der Wirtschaft im Euro-Währungsgebiet, denn wie bereits die vorangegangenen Zinserhöhungen dämpft auch dieser jüngste Anstieg die schwachen Konjunkturaussichten im Euroraum. Dies könnte im schlimmsten Fall zu einer Stagflation führen.

4.2.

Zehn Zinserhöhungen in Folge haben bereits zu einer Rezession in einigen Mitgliedstaaten geführt und könnten rasch weitere Mitgliedstaaten und sogar das gesamte Euro-Währungsgebiet in eine Rezession stürzen.

4.3.

Der EWSA hofft, dass sich der Hinweis der EZB-Präsidentin, dass die Zinssätze ihren Höchststand erreicht haben könnten, als zutreffend erweisen wird. Allerdings fürchtet er, dass die Zinssätze für einen langen Zeitraum hoch bleiben könnten, um die Inflation erfolgreich zu bekämpfen. Die eigentliche Herausforderung für alle politischen Entscheidungsträger besteht nun darin festzustellen, wie schnell die Zinssätze wieder gesenkt werden können, um eine Verschärfung des derzeitigen Drucks auf die Wirtschaft zu vermeiden.

4.4.

Der EWSA räumt ein, dass die Inflationsraten aller Voraussicht nach auf einem hohen Niveau bleiben werden. Dagegen muss so bald wie möglich vorgegangen werden, denn erst dann können die Zinssätze kurzfristig gesenkt werden, um sowohl Unternehmen als auch Haushalte zu schützen. Darüber hinaus fordert der EWSA sowohl die EZB als auch die nationalen Regierungen auf, neben Zinsänderungen alternative Unterstützungsmaßnahmen und geeignete Initiativen zu ergreifen, damit die Inflation zeitnah möglich wieder zurückgeht. Das ist umso wichtiger, als erhebliche Hemmnisse, Verzerrungen und Störungen auf der Angebotsseite zu den Hauptursachen der Inflation gehören.

4.5.

Abschließend bringt der EWSA seine Besorgnis über die Wirtschaftslage im Euro-Währungsgebiet nach den Zinserhöhungen der EZB vom September zum Ausdruck. Angesichts der aktuellen Wirtschaftsdaten sollten weitere Erhöhungen unbedingt vermieden werden.

Brüssel, den 25. Oktober 2023

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Oliver RÖPKE


(1)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebietes“ (COM(2022) 782 final) (ABl. C 140 vom 21.4.2023, S. 58).

(2)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebietes“ (COM(2022) 782 final) (ABl. C 140 vom 21.4.2023, S. 58).

(3)  Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets, 6.1.2023.

(4)  Neue, zukunftsfeste Vorschriften für die wirtschaftspolitische Steuerung.

(5)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Mitteilung über Leitlinien für eine Reform des EU-Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung (COM(2022) 583 final) (ABl. C 146 vom 27.4.2023, S. 53).

(6)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die wirksame Koordinierung der Wirtschaftspolitik und die multilaterale haushaltspolitische Überwachung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates“ (COM(2023) 240 final — 2023/0138 (COD)), „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit“ (COM(2023) 241 final — 2023/0137 (CNS)) und „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/85/EU des Rates über die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten“ (COM(2023) 242 final — 2023/0136 (NLE)) (ABl. C, C/2023/880, 8.12.2023, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2023/880/oj).

(7)  Survey on the Access to Finance of Enterprises (SAFE).

(8)  Kommissionsbericht stellt fest, dass weiterhin ein Fach- und Arbeitskräftemangel besteht, und zeigt Wege zur Verbesserung der Situation auf.

(9)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ergänzende Überlegungen zum Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2023“ (Initiativstellungnahme) (ABl. C, C/2024/871, 6.2.2024, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/871/oj).

(10)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebietes“ (COM(2022) 782 final) (ABl. C 140 vom 21.4.2023, S. 58).

(11)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Überprüfung des Rahmens für das Krisenmanagement im Bankensektor und für die Einlagenversicherung als Beitrag zur Vollendung der Bankenunion“ (COM(2023) 225 final), „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf Frühinterventionsmaßnahmen, Abwicklungsvoraussetzungen und die Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen“ (COM(2023) 226 final — 2023/0111 (COD)), „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/59/EU im Hinblick auf Frühinterventionsmaßnahmen, Abwicklungsvoraussetzungen und die Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen“ (COM(2023) 227 final — 2023/0112 (COD)), „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/59/EU und der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf bestimmte Aspekte der Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten“ (COM(2023) 229 final — 2023/0113 (COD)) (ABl. C 349 vom 29.9.2023, S. 161).

(12)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Digitaler Euro sowie Status von Banknoten und Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel“ (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des spanischen Ratsvorsitzes) (ABl. C, C/2023/860, 8.12.2023, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2023/860/oj).


ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/870/oj

ISSN 1977-088X (electronic edition)