ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 62

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

62. Jahrgang
15. Februar 2019


Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

538. Plenartagung des EWSA, 17.10.2018-18.10.2018

2019/C 62/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Herausforderungen und Wandel in der Luft- und Raumfahrtindustrie der EU

1

2019/C 62/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Europäischer Finanz-Klima-Pakt (Initiativstellungnahme)

8

2019/C 62/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu Die strategische Entwicklung der Industriepolitik in Richtung 2030 zur Stärkung der wettbewerbsfähigen und diversifizierten industriellen Grundlage in Europa und zur Orientierung an der dauerhaften Leistungsfähigkeit innerhalb von globalen Wertschöpfungsketten (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des österreichischen Ratsvorsitzes)

16


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

538. Plenartagung des EWSA, 17.10.2018-18.10.2018

2019/C 62/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu a) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (COM(2018) 239 final — 2018/0113 (COD)) und zu b) Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 betreffend grenzübergreifende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (COM(2018) 241 final — 2018/0114 (COD))

24

2019/C 62/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizont Europa sowie über die Regeln für die Beteiligung und die Verbreitung der Ergebnisse (COM(2018) 435 final — 2018/0224 (COD)) und Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Spezifische Programm zur Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont Europa(COM(2018) 436 final — 2018/0225 (COD))

33

2019/C 62/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms über den Binnenmarkt, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, einschließlich der kleinen und mittleren Unternehmen, und die europäischen Statistiken und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 99/2013, (EU) Nr. 1287/2013, (EU) Nr. 254/2014, (EU) Nr. 258/2014, (EU) Nr. 652/2014 und (EU) Nr. 2017/826(COM(2018) 441 final — 2018/0231 (COD))

40

2019/C 62/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms Customs für die Zusammenarbeit im Zollwesen(COM(2018) 442 final — 2018/0232 (COD))

45

2019/C 62/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Weltraumprogramms der Union und der Agentur der Europäischen Union für das Weltraumprogramm und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 912/2010, (EU) Nr. 1285/2013 und (EU) Nr. 377/2014 sowie des Beschlusses Nr. 541/2014/EU(COM(2018) 447 final — 2018/0236 (COD))

51

2019/C 62/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu a) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (COM(2018) 378 final — 2018/203 (COD)) und b) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) (COM(2018) 379 final — 2018/204 (COD))

56

2019/C 62/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Betrugsbekämpfungsprogramms der EU(COM(2018) 386 final — 2018/0211 (COD))

63

2019/C 62/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung des Instruments für finanzielle Hilfe für Zollkontrollausrüstung im Rahmen des Fonds für integriertes Grenzmanagement(COM(2018) 474 final — 2018/0258 (COD))

67

2019/C 62/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums(COM(2018) 97 final)

73

2019/C 62/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses yum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit gemeinsamen Bestimmungen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds Plus, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit Haushaltsvorschriften für diese Fonds und für den Asyl- und Migrationsfonds, den Fonds für die innere Sicherheit und das Instrument für Grenzmanagement und Visa (COM(2018) 375 final — 2018/0196 (COD))

83

2019/C 62/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und den Kohäsionsfonds(COM(2018) 372 final — 2018/0197 (COD))

90

2019/C 62/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Offenlegung von Informationen über nachhaltige Investitionen und Nachhaltigkeitsrisiken sowie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/2341(COM(2018) 354 final — 2018/0179 (COD))

97

2019/C 62/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen(COM(2018) 353 final — 2018/0178 (COD)) und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/1011 in Bezug auf Referenzwerte für CO2-arme Investitionen und Referenzwerte für Investitionen mit günstiger CO2-Bilanz(COM(2018) 355 final — 2018/0180 (COD))

103

2019/C 62/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/83/EWG zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke(COM(2018) 334 final — 2018/0173 (CNS)), dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems (Neufassung)(COM(2018) 346 final — 2018/0176 (CNS)), dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einführung eines EDV-gestützten Systems zur Beförderung und Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Neufassung)(COM(2018) 341 final — 2018/0187 (COD)) und dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 389/2012 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern in Bezug auf den Inhalt elektronischer Verzeichnisse(COM(2018) 349 final — 2018/0181 (CNS))

108

2019/C 62/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über staatsanleihebesicherte Wertpapiere(COM(2018) 339 final — 2018/0171 (COD))

113

2019/C 62/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms Fiscalis für die Zusammenarbeit im Steuerbereich(COM(2018) 443 final — 2018/0233 (COD))

118

2019/C 62/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Reformhilfeprogramms(COM(2018) 391 final — 2018/0213 (COD))

121

2019/C 62/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer Europäischen Investitionsstabilisierungsfunktion(COM(2018) 387 final — 2018/0212 (COD))

126

2019/C 62/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms InvestEU(COM(2018) 439 final — 2018/0229 (COD))

131

2019/C 62/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein stärkeres Europa aufbauen: Die Rolle der Jugend-, Bildungs- und Kulturpolitik(COM(2018) 268 final), zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Förderung der automatischen gegenseitigen Anerkennung von im Ausland erworbenen Hochschulabschlüssen und Abschlüssen der Sekundarstufe II sowie der Ergebnisse von Lernzeiten im Ausland(COM(2018) 270 final — 2018/0126 (NLE)), zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zu hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung(COM(2018) 271 final — 2018/0127 (NLE)) und zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zu einem umfassenden Ansatz für das Lehren und Lernen von Sprachen(COM(2018) 272 final — 2018/0128 (NLE))

136

2019/C 62/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Beteiligung, Begegnung und Befähigung: eine neue EU-Strategie für junge Menschen(COM(2018) 269 final)

142

2019/C 62/25

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine neue europäische Kulturagenda(COM(2018) 267 final)

148

2019/C 62/26

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zum Schutz von Whistleblowern auf der Ebene der EU(COM(2018) 214 final) und Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden(COM(2018) 218 final)

155

2019/C 62/27

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+)(COM(2018) 382 final — 2018/0206 (COD))

165

2019/C 62/28

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten(COM(2018) 324 final — 2018/0136 (COD))

173

2019/C 62/29

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlament und des Rates zur Aufstellung des Programms Rechte und Werte(COM(2018) 383 final — 2017/0207 (COD)) und zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms Justiz(COM(2018) 384 final — 2017/0208 (COD))

178

2019/C 62/30

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Asyl- und Migrationsfonds(COM(2018) 471 final — 2018/0248 (COD)) und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Instruments für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzmanagement und Visa im Rahmen des Fonds für integriertes Grenzmanagement(COM(2018) 473 final — 2018/0249(COD))

184

2019/C 62/31

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Fonds für die innere Sicherheit(COM(2018) 472 final — 2018/0250 (COD))

189

2019/C 62/32

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung von Erasmus, dem Programm der Union für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1288/2013(COM(2018) 367 final — 2018/0191 (COD))

194

2019/C 62/33

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms für das Europäische Solidaritätskorps und zur Aufhebung der [Verordnung über das Europäische Solidaritätskorps] und der Verordnung (EU) Nr. 375/2014(COM(2018) 440 final — 2018/0230 (COD))

201

2019/C 62/34

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt(COM(2018) 340 final — 2018/0172 (COD))

207

2019/C 62/35

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit Vorschriften für die Unterstützung der von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik zu erstellenden und durch den Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) zu finanzierenden Strategiepläne (GAP-Strategiepläne) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates(COM(2018) 392 final — 2018/0216 (COD)), Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013(COM(2018) 393 final — 2018/0217 (COD)), Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1308/2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse, (EU) Nr. 1151/2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, (EU) Nr. 251/2014 über die Begriffsbestimmung, Beschreibung, Aufmachung und Etikettierung von aromatisierten Weinerzeugnissen sowie den Schutz geografischer Angaben für aromatisierte Weinerzeugnisse, (EU) Nr. 228/2013 über Sondermaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft zugunsten der Regionen in äußerster Randlage der Union und (EU) Nr. 229/2013 über Sondermaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft zugunsten der kleineren Inseln des Ägäischen Meeres(COM(2018) 394 final — 2018/0218 (COD))

214

2019/C 62/36

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms für die Umwelt und Klimapolitik (LIFE) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1293/2013(COM(2018) 385 final — 2018/209 (COD))

226

2019/C 62/37

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1313/2013/EU über ein Katastrophenschutzverfahren der Union(COM(2017) 772 final — 2017/0309 (COD))

231

2019/C 62/38

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (Neufassung) und zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Aufbau eines gemeinsamen europäischen Datenraums(COM(2018) 234 final — 2018/0111 (COD); COM(2018) 232 final)

238

2019/C 62/39

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europa in Bewegung — Nachhaltige Mobilität für Europa: sicher, vernetzt und umweltfreundlich(COM(2018) 293 final)

254

2019/C 62/40

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2008/96/EG über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur(COM(2018) 274 final — 2018/0129 (COD))

261

2019/C 62/41

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Single-Window-Umfelds für den europäischen Seeverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/65/EU(COM(2018) 278 final — 2018/0139 (COD)) und zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über elektronische Frachtbeförderungsinformationen(COM(2018) 279 final — 2018/0140 (COD))

265

2019/C 62/42

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Straffung von Maßnahmen zur rascheren Verwirklichung des transeuropäischen Verkehrsnetzes(COM(2018) 277 final — 2018/0138 (COD))

269

2019/C 62/43

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Auf dem Weg zur automatisierten Mobilität: eine EU-Strategie für die Mobilität der Zukunft(COM(2018) 283 final)

274

2019/C 62/44

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kennzeichnung von Reifen in Bezug auf die Kraftstoffeffizienz und andere wesentliche Parameter und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1222/2009(COM(2018) 296 final — 2018/0148 (COD))

280

2019/C 62/45

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von CO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge(COM(2018) 284 final — 2018/0143 (COD)) und zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/53/EG des Rates hinsichtlich der Frist für die Anwendung der besonderen Vorschriften über die höchstzulässige Länge von Führerhäusern, die eine verbesserte Aerodynamik und Energieeffizienz sowie eine bessere Sicherheit bieten(COM(2018) 275 final — 2018/0130 (COD))

286

2019/C 62/46

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms Digitales Europa für den Zeitraum 2021-2027(COM(2018) 434 final — 2018/0227 (COD))

292

2019/C 62/47

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 391/2009 im Hinblick auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union(COM(2018) 567 final — 2018/0298 (COD))

298

2019/C 62/48

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 im Hinblick auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union(COM(2018) 568 final — 2018/0299 (COD))

301

2019/C 62/49

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Abschaffung der jahreszeitlich bedingten Zeitumstellung und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/84/EG(COM(2018) 639 final — 2018/0332 (COD))

305

2019/C 62/50

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 im Hinblick auf die Mittel für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und zur Berichtigung dieser Verordnung im Hinblick auf die Mittel für das Ziel Investitionen in Wachstum und Beschäftigung(COM(2018) 498 final — 2018/0265 (COD))

308

2019/C 62/51

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Grenzen und Visa) und zur Änderung der Entscheidung 2004/512/EG des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 767/2008, des Beschlusses 2008/633/JI des Rates, der Verordnung (EU) 2016/399, der Verordnung (EU) 2017/2226, der Verordnung (EU) 2018/XX [ETIAS-Verordnung], der Verordnung (EU) 2018/XX [Verordnung über das SIS im Bereich der Grenzkontrollen] und der Verordnung (EU) 2018/XX [eu-LISA-Verordnung](COM(2018) 478 final — 2017/0351 (COD)) und Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration) und zur Änderung der [Verordnung (EU) 2018/XX [Eurodac-Verordnung]], der Verordnung (EU) 2018/XX [Verordnung über das SIS im Bereich der Strafverfolgung], der Verordnung (EU) 2018/XX [ECRIS-TCN-Verordnung] und der Verordnung (EU) 2018/XX [eu-LISA-Verordnung](COM(2018) 480 final — 2017/0352 (COD))

309

2019/C 62/52

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Fischereiaufsichtsagentur (Kodifizierter Text)(COM(2018) 499 final — 2018/0263(COD))

310

2019/C 62/53

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Union unter Einschluss der Beziehungen zwischen der Europäischen Union einerseits und Grönland und dem Königreich Dänemark andererseits (Übersee-Assoziationsbeschluss)(COM(2018) 461 final)

311

2019/C 62/54

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2018 (ergänzende Stellungnahme)(COM(2017) 770 final)

312


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

538. Plenartagung des EWSA, 17.10.2018-18.10.2018

15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Herausforderungen und Wandel in der Luft- und Raumfahrtindustrie der EU“

(2019/C 62/01)

Berichterstatter:

Thomas KROPP

Ko-Berichterstatter:

Enrico GIBELLIERI

Beschluss des Plenums

15.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständig

Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI)

Annahme in der CCMI

25.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

184/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Angesichts des starken Wettbewerbs durch etablierte Akteure (insbesondere die USA) und durch neue Akteure (insbesondere China) muss eine EU-Industriepolitik für die Luft- und Raumfahrtbranche entwickelt werden, die für faire Wettbewerbsbedingungen für die Luftfahrtindustrie der EU sorgt. In diesem Zusammenhang bedarf es der Einrichtung einer Beobachtungsstelle für die Luft- und Raumfahrt auf EU-Ebene; die Luftfahrt muss ein Schlüsselelement der Wirtschaftsdiplomatie und Handelspolitik der EU werden.

1.2.

Handlungsbedarf besteht auch bei den Qualifikationen: Es muss dafür gesorgt werden, dass eine hochspezialisierte alternde Arbeitnehmerschaft ihr Fachwissen und ihr Können an jüngere Arbeitnehmer weitergibt, dass diese Branche für mehr Nachwuchskräfte mit immer stärker gefragten Fertigkeiten sowohl im Ingenieurwesen als auch in den IKT attraktiv ist und dass die derzeitigen Arbeitnehmer sich im Bereich der Digitalisierung fortbilden.

1.3.

Die Forschung im Bereich der Zivilluftfahrt muss im Programm Horizont Europa weiterhin an oberster Stelle stehen und im Vergleich zum Programm Horizont 2020 mit mehr Haushaltsmitteln ausgestattet werden. Ebenfalls sollte sichergestellt werden, dass die erfolgreichen Technologieinitiativen zur Verringerung der Umweltauswirkungen der Emissionen mit der Lancierung von Clean Sky 3 und SESAR 3 fortgeführt werden.

1.4.

Die SESAR-Lösungen müssen dringend eingeführt und der einheitliche europäische Luftraum (SES) muss nach jahrzehntelangem Hin und Her verwirklicht werden. Es muss in effiziente Kapazitäten in der Luft und am Boden investiert werden, um das Wachstum des Luftverkehrs zu fördern und zugleich seine Umweltauswirkungen zu verringern sowie das Sicherheitsniveau zu erhöhen.

1.5.

Die internationale Rolle der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) muss gestärkt werden und es bedarf stärker leistungsbasierter EASA-Vorschriften, um die effizientere und sichere Einführung neuer Technologien sowie faire Wettbewerbsbedingungen für EU-Exporteure zu ermöglichen.

1.6.

Es bedarf Lösungen für ein wirksames Abkommen für die Zeit nach dem Brexit, das die Zollverfahren, Regelungsrahmen, Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Verbreitung sowie Arbeitskräftemobilität abdeckt. Die fachlichen Beratungen über die Regelungen müssen möglichst bald erfolgen, um rechtzeitig Folgenminderungsmaßnahmen ergreifen zu können.

1.7.

Die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der EU muss vorangetrieben werden, um die Technologien zu schützen, die für die luftfahrttechnischen Unternehmen der EU im Herstellungs- und im Wartungs-, Reparatur- und Überholungsbereich von grundlegender Bedeutung sind.

1.8.

Der soziale Dialog zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und der Zivilgesellschaft muss unbedingt fortgeführt werden. Des Weiteren muss gemäß Beschluss 98/500/EG der Kommission ein branchenspezifischer sozialer Dialog in der Luftfahrtindustrie eingeleitet werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

Die Luftfahrtindustrie ist eine der wesentlichen Hightech-Branchen der EU im globalen Markt. Diese Branche bietet hochklassige Arbeitsplätze für 500 000 Menschen (1) (1 Mio., wenn man die indirekten Arbeitsplätze hinzuzählt) und besteht aus einem Ökosystem großer und kleiner Unternehmen, die das gesamte Spektrum der Luftfahrttechnik abdecken.

Die Luftfahrtindustrie der EU ist technisch führend auf ihrem Gebiet und hat derzeit einen Anteil von ungefähr einem Drittel am Weltmarkt. Die Branche leistet einen großen Beitrag zur Handelsbilanz der EU (Exporte in Höhe von 46 Mrd. EUR(2).

Geltungsbereich dieser Stellungnahme

Verteidigung und Raumfahrt werden in dieser Stellungnahme nicht eigens behandelt. Dennoch ist auf die Rolle der zivilen Luftfahrtindustrie und ihren Beitrag zu diesen Sektoren hinzuweisen. Dies schließt die strategische Autonomie Europas durch Synergien mit dem Verteidigungssektor bei Technologien und in gemeinsamen Entscheidungszentren mit ein.

Die Stärke und weltweit führende Stellung der Luftfahrtindustrie der EU sind das Resultat konsequenter Strategien und Produktionsaktivitäten. Diese führende Stellung sollte nicht als selbstverständlich angesehen werden, da die Branche vor zahlreichen Herausforderungen steht:

1.

die scharfe Konkurrenz durch etablierte und neue Akteure, die staatliche Unterstützung in beträchtlichem Umfang erhalten;

2.

die Verlagerung des Wirtschaftswachstums und der Wirtschaftsmacht nach Osten, was sowohl eine Chance als auch eine Bedrohung darstellt;

3.

die operativen Herausforderungen in der nahen Zukunft wie der Brexit, Haushaltszwänge der EU und protektionistische Maßnahmen in Drittländern;

4.

die Technologieführerschaft der Luftfahrtindustrie der EU muss beibehalten werden, insbesondere bei der Senkung der Umweltauswirkungen der Emissionen;

5.

das Fehlen einer schlüssigen EU-Industriepolitik;

6.

die Notwendigkeit einer schlüssigen EU-Strategie für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen;

7.

die Stärkung der internationalen Präsenz der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA);

8.

die Notwendigkeit einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wartungs-, Reparatur- und Überholungsdienstleistungsbranche;

9.

die wichtige Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die künftigen Arbeitskräfte über die für die Branche erforderlichen Fachkenntnisse verfügen, insbesondere auf dem Gebiet der Digitalisierung.

Besondere Bemerkungen

3.   Der weltweite Markt und Herausforderungen

3.1.

Die gegenwärtige Führungsposition der EU-Industrie ist keine Selbstverständlichkeit. Der Anteil des BIP der EU am globalen BIP wird von heute 17 % um nahezu ein Drittel auf 12 % schrumpfen (3).

3.2.

Zahlreiche Länder haben weitreichende Strategien zu der Frage entwickelt und umgesetzt, wie sie sich selbst positionieren wollen, wie sie ihre Bevölkerung einsetzen können und wie sie sich angesichts der Automatisierung und einer Verlagerung der wirtschaftlichen Macht nach Osten eine Spitzenposition in der globalen Wertschöpfungskette sichern können.

3.3.

Europa wird sich einer völlig anderen Wettbewerbssituation gegenübersehen, die viele Chancen bietet, wenn es uns gelingt, all unsere Anstrengungen optimal zusammenzuführen und mutige Entscheidungen zu treffen. Andererseits wird sie sehr bedrohlich sein, wenn wir uns einfach auf unserer Führungsposition ausruhen.

4.   Unterstützung der Industrie in Drittländern durch deren Regierung

4.1.

Die US-Wirtschaft (der Hauptwettbewerber der EU) profitiert weiterhin von der starken staatlichen Unterstützung durch die US-Regierung, darunter 34 verschiedene Behörden und Ministerien. Die Reihe der Verordnungen, Strategien und Instrumente, welche die US-Regierungen im Laufe der Jahre eingeführt haben, um ihre Zivilluftfahrtindustrie zu fördern, ist umfangreich und stärkt den Verteidigungssektor sehr wirkungsvoll, insbesondere in den Bereichen Forschung, Technologie und Entwicklung (etwa Zuweisungen aus dem US-Haushalt für Forschungsprogramme). Andere etablierte Akteure (in Kanada und Brasilien) erhalten im Rahmen der allgemeinen Industriepolitik ihres Landes ebenfalls weiterhin eine erhebliche Unterstützung.

4.2.

Neben den in der Zivilluftfahrt gut etablierten Akteuren verstärken auch mehrere Schwellenländer (China, Indonesien, Indien, Südkorea, Philippinen u. a.) ihren Einsatz zur Förderung der Entwicklung einer wettbewerbsfähigen nationalen Luftfahrtindustrie in den kommenden Jahren.

4.3.

Von diesen hat China die umfassendste Strategie, die eine Mischung aus zentraler Planung und staatseigenen Unternehmen beinhaltet. Die chinesische Regierung hat die Entwicklung einer nationalen Luftfahrtindustrie in mehreren offiziellen Schriften (auf der höchsten Führungsebene) zu einer hohen Priorität erklärt, darunter die Initiative „Made in China 2025“. Im gegenwärtigen Fünfjahresplan Chinas werden „Durchbrüche bei der Triebwerkstechnik für die Zivilluftfahrt“ und eine „Beschleunigung der Forschung im Bereich der Großraumflugzeuge, Hubschrauber, Regionalflugzeuge und der allgemeinen Luftfahrt“ gefordert. Überdies ist die chinesische Luftverkehrsbranche in Staatsbesitz und die chinesische Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC) ist befugt, alle Flugzeugeinkäufe chinesischer Luftverkehrsgesellschaften zu genehmigen, was dazu genutzt wird, den Erwerb von im Inland hergestellten Düsenverkehrsflugzeugen wie dem COMAC C919 zu forcieren (4). Nicht zuletzt wird mit dem Aktionsplan „Internet Plus“ eine Partnerschaft zwischen den chinesischen Technologieriesen und den traditionellen Gewerben wie der Luft- und Raumfahrt ins Leben gerufen.

5.   EU-Industriestrategie

5.1.

Vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Wettbewerbsumfelds ist das Fehlen einer EU-Industriepolitik zur Unterstützung der Luftfahrtindustrie in Verbindung mit der Uneinheitlichkeit der von den EU-Organen und den nationalen Regierungen verfolgten Konzepte eines der wesentlichen Probleme. Es bedarf einer EU-Industriestrategie für die Luftfahrtindustrie der EU, um ihre Wettbewerbsfähigkeit und die Beibehaltung ihrer führenden Position im weltweiten Zivilluftfahrtmarkt zu gewährleisten.

5.2.

Dies erfordert eine Strategie und ein Engagement auf EU-Ebene, wo alle relevanten Akteure auf europäischer, nationaler und zwischenstaatlicher Ebene (einschließlich der Europäischen Kommission, dem Europäischen Auswärtigen Dienst sowie der einschlägigen Agenturen wie der EASA und Eurocontrol und auch gemeinsamer Technologieinitiativen wie SESAR und Clean Sky) auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, nämlich die Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie auf dem globalen Markt für Zivilluftfahrt.

5.3.

Ein Engagement auf EU-Ebene ist erforderlich, um für eine kontinuierliche Finanzierung durch die öffentliche Hand zur Unterstützung dieser wichtigen Branche zu sorgen, insbesondere auf dem Gebiet der Forschung und Innovation auf der Grundlage eines langfristigen Plans.

5.4.

Auf Kommissionsebene sollte eine Beobachtungsstelle für die Luft- und Raumfahrt eingerichtet werden, um nichttarifäre Handelshemmnisse in zentralen Luft- und Raumfahrtregionen zu überwachen und die relative Wettbewerbsfähigkeit der Luftfahrtindustrie der EU zu bewerten.

5.5.

Die Luftfahrt sollte außerdem ein Schlüsselsektor der Wirtschaftsdiplomatie und Handelspolitik der EU werden, und der Einfluss der EU auf internationaler Ebene sollte gestärkt werden, z. B. in der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO).

6.   FuE für eine bessere Energieeffizienz und weniger Emissionen

6.1.

Die beiden wichtigsten europäischen Luftfahrtforschungsprogramme, Clean Sky (umweltfreundlichere und effizientere Luftfahrttechnologien) und SESAR (FuI im Bereich Flugverkehrsmanagement und Anwendung ihrer Ergebnisse), verleihen der gesamten Innovationskette in Europa Impulse.

6.2.

Dank ihres langfristigen Technologieplans und finanziellen Engagements haben sie ihre Effizienz und ihren Mehrwert sowohl für Behörden als auch für die Innovationskette bewiesen, hauptsächlich durch 1) Konzeption, Entwicklung, Herstellung und Betrieb wettbewerbsfähigerer, sichererer und umweltfreundlicherer Luftfahrzeuge und Flugverkehrsmanagementsysteme, 2) Schaffung einer großen und leistungsstarken Wissenschafts- und Technologiegemeinschaft aus akademischen Forschern und Industriezweigen — von Großunternehmen bis hin zu KMU — in allen Ländern der EU-28 und 3) Lieferung hervorragender Demonstrationssysteme mit einer deutlichen Wirkung auf die Luftfahrzeugprogramme und den entsprechenden Markt.

6.3.

Zu den Erfolgsgeschichten von Clean Sky gehören u. a. die Testflüge des BLADE-Laminarflügels (mit einer Verringerung der Flügelreibung um 50 % und bis zu 5 % weniger CO2-Emissionen) und gegenläufige offene Rotoren (CROR) mit einer Senkung des Kraftstoffverbrauchs und der CO2-Emissionen von rund 30 %.

6.4.

Erfolgsgeschichten von SESAR zeigen sich am besten in den wirkungsvollen Ergebnissen: Wenn die 63 angebotenen SESAR-Lösungen angewendet werden, sollte dies zur Steigerung der Luftraumkapazität um 34 % und zu einer Verringerung der Varianz der Flugzeit um 30 % führen, d. h. geringere Verspätungen für alle Flüge in der EU, wobei 95 % der Flüge ihren Zeitplan einhalten, sowie eine Verringerung des Kraftstoffverbrauchs und der Emissionen um 2,3 % je Flug.

6.5.

Die Zivilluftfahrt sollte im Programm Horizont Europa oberste Priorität bleiben und die dafür vorgesehenen Haushaltsmittel sollten im Vergleich zu den derzeit im Rahmen von Horizont 2020 vorgesehenen Mitteln aufgestockt werden. Forschung und Innovation sind das A und O der Luftfahrtindustrie der EU, und die langen Forschungszyklen der Luftfahrtindustrie erfordern eine Risikostreuung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor durch eine Finanzierung über Zuschüsse, die auf einem langfristigen Bekenntnis zur Entwicklung von Forschungsplänen fußt. Dies ist von entscheidender Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luftfahrtindustrie. Die beiden gemeinsamen Technologieinitiativen (Clean Sky und SESAR) sollten daher beibehalten werden. Im Rahmen der Fazilität „Connecting Europe“ sollte die Finanzierung auch weiterhin oberste Priorität haben, um den Einsatz der in Rahmen von Clean Sky und SESAR (FuI) entwickelten Technologien zu beschleunigen und zu fördern.

6.6.

Die Zivilluftfahrt kann eine Erfolgsbilanz bei der Verringerung ihrer Auswirkungen auf die Umwelt vorweisen. Luftfahrzeuge der neuen Generation haben in der Regel um 15-20 % weniger Emissionen. Die globale zivile Luftfahrtindustrie hat sich als weltweit erste Branche auf einen umfassenden Ansatz zur Reduzierung ihrer Emissionen geeinigt. Sie stützt sich auf eine „Vier-Säulen-Strategie“: Technologie, Flugbetrieb, Infrastruktur und ein internationaler marktbasierter Mechanismus.

6.7.

Eine Fortsetzung der Unterstützung der EU für Forschung und Innovation ist von entscheidender Bedeutung, damit weitere Fortschritte bei der Verringerung der Umweltauswirkungen der Zivilluftfahrt erzielt werden können (Technologiesäule), da mehr als 70 % aller Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit umweltpolitischen Zielen stehen.

6.8.

Die Initiative „Flightpath 2050“ des Beirats für Luftfahrtforschung in Europa beinhaltet das bis 2050 zu erreichende Ziel, dass Technologien und Verfahren eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 75 % pro Fluggastkilometer ermöglichen, ebenso wie eine Verringerung der NOx-Emissionen um 90 % und eine Reduzierung der wahrgenommenen Lärmemissionen eines fliegenden Flugzeugs um 65 % (diese Angaben beziehen sich auf die Werte typischer neuer Flugzeuge im Jahr 2000).

6.9.

Darüber hinaus sollten die Flugzeugbewegungen beim Rollbetrieb emissionsfrei werden und die Luftfahrzeuge recyclinggerecht konstruiert und hergestellt werden. Außerdem sollte Europa auf der Grundlage einer starken europäischen Energiepolitik zu einem Exzellenzzentrum für nachhaltige alternative Kraftstoffe auch für den Luftverkehr werden.

6.10.

Europa muss bei der Atmosphärenforschung an vorderster Front stehen und Vorreiter bei der Formulierung eines vorrangigen Umweltaktionsplans und der Einführung globaler Umweltnormen sein. Trotz der erheblichen Fortschritte im Rahmen von Horizont 2020 sollten Forschung und Innovation im Rahmen von Horizont Europa beschleunigt werden, etwa bei der Elektrifizierung und Hybridisierung von Luftfahrzeugen.

7.   Digitalisierung

7.1.

Digitalisierung (einschließlich der digitalen Infrastruktur, die neue automatisierte Flugsteuerungsplattformen ermöglicht), Automatisierung sowie virtuelle und erweiterte Realität werden ebenfalls wichtige Prioritäten für die Luftfahrtforschung sein. Diese Aspekte werden neben der erforderlichen weiteren Verbesserung des Flugsicherheitsniveaus und der Bemühungen um die weitere Verringerung des ökologischen Fußabdrucks der Luftfahrt den Forschungs- und Innovationsfahrplan von SESAR 3 und Clean Sky 3 bestimmen.

7.2.

Die Einführung von SESAR-Lösungen sollte intensiviert werden. Dabei ist die Schaffung des einheitlichen europäischen Luftraums von entscheidender Bedeutung für einen effizienten Einsatz in der EU.

8.   Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA)

8.1.

Die Stärkung der internationalen Rolle der EASA ist für die Luftfahrtindustrie der EU (einschließlich der Wartungs-, Reparatur- und Überholungsbranche, MRO) sehr wichtig, damit sie mit der weiterhin starken internationalen Präsenz mithalten kann, die die US-amerikanische Zivilluftfahrtbehörde bei der Förderung der US-amerikanischen Luftfahrtindustrie in den Märkten in Drittländern zeigt.

8.2.

Der EASA sollte es erlaubt sein, mehr Büros in Drittländern zu eröffnen, und ihr sollte eine Schlüsselrolle zukommen, wenn es darum geht, für die europäischen Sicherheitsvorschriften sowie Zertifizierungsnormen und -regelungen zu werben und sicherzustellen, dass die europäische Industrie auf den wichtigen Exportmärkten faire Wettbewerbsbedingungen antrifft. Hierfür sollte sich die EASA ständig mit den Zivilluftfahrtbehörden der Drittländer austauschen und sich darum bemühen, technische Hemmnisse für die Freigabe europäischer Produkte auf diesen Exportmärkten aus dem Weg zu räumen.

8.3.

Bilaterale Abkommen der EU mit Drittländern über die Sicherheit der Luftfahrt sollten ausgeweitet werden, um die zweifache Sicherheitsaufsicht im Hinblick sowohl auf die Musterzulassung/Lufttüchtigkeit als auch die fortgesetzte Lufttüchtigkeit/Wartung zu verringern.

8.4.

Nicht zuletzt sollten die detaillierten Vorschriften der EASA stärker leistungsbasiert ausgerichtet werden und sich auf Industriestandards stützen, um die sichere Einführung neuer Technologien effizienter und zügiger zu machen. In diesem Zusammenhang ist die kürzlich vereinbarte Überarbeitung der EASA-Grundverordnung (Änderung der Verordnung Nr. 216/2008) zu begrüßen.

9.   Infrastruktur

9.1.

Die Luftfahrtindustrie der EU profitiert auch vom guten Zustand der europäischen Zivilluftfahrtbranche im weiteren Sinn (d. h. Luftverkehrsgesellschaften, Hubschrauberbetreiber, Geschäftsflugzeugbetreiber und andere Luftraumnutzer), da das zusätzliche Wachstum bei den Luftraumnutzern eine höhere Nachfrage nach Flugzeugen und der entsprechenden Technik erzeugt.

9.2.

In diesem Zusammenhang ist es von entscheidender Bedeutung, weiterhin in die sichere und kosteneffiziente Infrastruktur am Boden und in der Luft zu investieren und zugleich zu hohe Luftverkehrssteuern zu vermeiden.

9.3.

Daher ist die Luftfahrtstrategie der EU begrüßenswert, da sie eine Reihe von Instrumenten zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Zivilluftfahrtbranche im weiteren Sinn umfasst, wie z. B. die Überarbeitung der EASA-Grundverordnung, eine Strategie zur Wahrung der Führungsposition der EU im neuen Markt der zivilen ferngelenkten Flugsysteme und der Verkehrsleitsysteme für unbemannte Fluggeräte sowie weitere Vorschläge, die die Wettbewerbsfähigkeit der Luftverkehrsbranche betreffen (Änderung der Verordnung (EG) Nr. 868/2004 und ggf. Überarbeitung der EU-Richtlinie über Flughafengebühren).

9.4.

Die Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 (mit gemeinsamen Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft) sollte ebenfalls in diesem Zusammenhang gesehen werden und sicherstellen, dass der Binnenmarkt auch weiterhin auf künftige Entwicklungen eingestellt ist. In Anbetracht der anerkannten Notwendigkeit einer weiteren Konsolidierung der Luftverkehrsbranche der EU muss außerdem ein Kompromiss zwischen dieser stärkeren Konsolidierung und den Vorteilen gefunden werden, die den Verbrauchern in der EU aus der Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Luftverkehrsgesellschaften und aus einem wirksamen Wettbewerb erwachsen.

10.   Wartungs-, Reparatur- und Überholungsdienstleistungen

10.1.

Wartungs-, Reparatur- und Überholungsdienstleistungen (MRO-Dienste) sind ebenfalls ein wichtiges Segment der europäischen Luftfahrtindustrie, zum einen wegen der Schaffung von Arbeitsplätzen in der EU und zum anderen durch den Export solcher Dienstleistungen. Daher muss die Wettbewerbsfähigkeit der MRO-Industrie in der EU (entsprechende Aktivitäten der Fluggesellschaft selbst, von unabhängigen Dienstleistern oder von Originalgeräteherstellern) ebenfalls gefördert werden, damit hier weiterhin Arbeitsplätze geschaffen werden und die Branche neue Märkte erschließen kann.

10.2.

Die Nutzung von Massendaten und neuer Technologien für diese Branche wird ebenfalls ein wichtiges Element der Forschungs- und Innovationsprogramme bilden müssen.

11.   Ausländische Direktinvestitionen (ADI)

11.1.

Mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen (COM(2017) 487) wird der Austausch von Informationen und Folgenabschätzungen verbessert und die länderübergreifende Transparenz erhöht, während die endgültige Entscheidung dem einzelnen Mitgliedstaat überlassen bleibt. In dem Vorschlag ist außerdem vorgesehen, dass die Europäische Kommission aus Gründen der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung Fälle überprüfen kann, die sich auf Projekte oder Programme von Unionsinteresse auswirken könnten.

11.2.

Der Vorschlag der Kommission sollte als ein erster Schritt begrüßt werden, da er nicht nur im Hinblick auf die ausländischen Direktinvestitionen in die Luftfahrtindustrie der EU und ihre Lieferkette, sondern auch hinsichtlich der wichtigen Technologien (Automatisierung, Künstliche Intelligenz, Massendaten und Cybersicherheit) für den Produktionssektor der EU von größter Bedeutung ist.

12.   Brexit

Die europäische Luftfahrtbranche ist umfassend integriert, sodass viele Bauteile vor der Endmontage oft mehrmals über Landesgrenzen hinweg transportiert werden. Die Lieferkette besteht aus einer Vielzahl großer, mittlerer und kleiner Unternehmen, die gemäß dem Prinzip der bedarfssynchronen Produktion („just in time“) operieren.

Der Binnenmarkt und die Zollunion sind von entscheidender Bedeutung, da sie den Verwaltungsaufwand für die Industrie und somit auch die Kosten verringern.

Die EU-27 und das Europäische Parlament haben klar zum Ausdruck gebracht, dass sie die Integrität des Binnenmarkts schützen werden, einschließlich der vier Freiheiten und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, und dass es kein „Rosinenpicken“ für die eine oder andere Branche geben wird.

Die britische Regierung hat klargestellt, dass das Vereinigte Königreich ab 29. März 2019 ein Drittland sein wird.

12.1.

Ein Ausscheiden aus der EU ohne Abkommen muss vermieden werden, da sich dies besonders nachteilig auf die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luftfahrtindustrie auswirken und Tausende Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Ärmelkanals gefährden würde. Es müssen Lösungen für ein Abkommen für die Zeit nach dem Brexit gefunden werden, das folgende Aspekte abdeckt:

reibungslose Zollverfahren, einschließlich der Kontrolle der Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck;

Fortsetzung der Mitgliedschaft in der EASA und der ECHA (REACH);

Zivilluftfahrtforschung: Fortsetzung der Zusammenarbeit im Rahmen gemeinsamer Technologieinitiativen;

Möglichkeit der grenzüberschreitenden Mobilität hochqualifizierter Arbeitnehmer.

Die fachlichen Beratungen über das Regelungsumfeld bezüglich der EASA und der Europäischen Chemikalienagentur ECHA müssen möglichst bald erfolgen, damit rechtzeitig Abhilfemaßnahmen zur Minderung möglicher Störungen ergriffen werden können.

Die nationalen Regierungen müssen klare Orientierungshilfen anbieten, um den Unternehmen ihres Landes bei der Vorbereitung auf etwaige Brexit-bedingte Veränderungen zu helfen und für einen möglichst störungsfreien Übergang zu sorgen.

13.   Fähigkeiten

13.1.

Der weitere Erfolg der Luftfahrtindustrie der EU hängt überdies stark davon ab, ob sie fähig ist, qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen. Im Zusammenhang mit der Alterung der Erwerbsbevölkerung und neuen technischen Herausforderungen (Digitalisierung, Automatisierung, Cybersicherheit, Industrie 4.0) bedarf dies einer Gesamtstrategie der EU zur Entwicklung von EU-Programmen für allgemeine und berufliche Bildung, in denen lebenslanges Lernen und hochwertige Ausbildungen im Mittelpunkt stehen.

13.2.

Auf nationaler Ebene sind die Mitgliedstaaten aufgerufen, die Wahl der MINT-Fächer zu stimulieren, insbesondere bei Mädchen bereits ab einem frühen Alter, ebenso wie die Teilnahme an „Erasmus+“-Programmen.

13.3.

Es gilt, flexible Bildungswege zwischen der Arbeitswelt und der Welt der Bildung zu entwickeln (arbeitsbasiertes Lernen, gute Ausbildungsstellen und branchenspezifische Ausbildungsinitiativen). KMU sollten bei Bedarf zusätzliche Unterstützung erhalten.

13.4.

Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden und spezifischen gesellschaftlichen Herausforderungen würde ein branchenspezifischer Dialog auf EU-Ebene (Beschluss 98/500/EG), in dessen Rahmen die Sozialpartner spezifische Fragen erörtern könnten, der Luftfahrtindustrie der EU von großem Nutzen sein.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Quelle: ASD Facts and Figures.

(2)  Quelle: ASD Facts and Figures.

(3)  Quelle: PWC.

(4)  Quelle: RAND, „Chinese Investment in U.S. Aviation“, 2017.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Europäischer Finanz-Klima-Pakt“

(Initiativstellungnahme)

(2019/C 62/02)

Berichterstatter:

Rudy DE LEEUW

Beschluss des Plenums

15.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

5.10.2018

Verabschiedung im Plenum

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

172/4/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bekräftigt nachdrücklich seine Verpflichtung auf die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und das Übereinkommen von Paris. Wenn wir allerdings unseren derzeitigen Kurs fortsetzen, würde der Temperaturanstieg bestenfalls auf 3 oC oder mehr begrenzt werden, d. h. weit entfernt von dem im Übereinkommen von Paris vereinbarten Ziel.

1.2.

Gleichzeitig muss Europa mit neuem Leben erfüllt werden. Es braucht ein neues Projekt, das auf Kooperation und Konvergenz anstatt auf Wettbewerb beruht, ein Projekt, das konkret aufzeigt, welchen Mehrwert Europa seinen Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere den jungen Menschen, bieten kann. Wir müssen von nun an eine offensive europäische Politik verfolgen und dem sozioökonomischen Modell, das wir uns für heute, aber insbesondere für künftige Generationen wünschen, eine klare Richtung geben.

1.3.

Europa muss unter Beweis stellen, dass es in der Lage ist, für günstige Rahmenbedingungen zu sorgen, um sowohl hochwertige, gut bezahlte und umweltfreundliche Arbeitsplätze als auch eine Realwirtschaft zum Vorteil aller, d. h. Unternehmen, Arbeitnehmer und Bürgerinnen und Bürger Europas, zu schaffen.

1.4.

Riesige Kapitalmengen kommen jedoch nicht der Realwirtschaft zugute, sondern beflügeln neue Finanzblasen, und Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) warnen bereits vor einer potenziellen neuen Krise, die noch verheerender sein wird als die Krise von 2008 (1).

1.5.

Der nächste mehrjährige Finanzrahmen (2021-2027) muss auf die Förderung von Wirtschaft (2) und Beschäftigung (3) abheben und es der EU ermöglichen, ihre Ziele zu erreichen und zum Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft bis 2050 beizutragen.

1.6.

Auf einem toten Planeten wird es kein Leben, keine Arbeitsplätze und kein Unternehmertum geben. Der Klimawandel ist somit eine Chance für die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze und muss eine Lösung zum Vorteil der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der Zivilgesellschaft bringen können. Werden Anpassungsmaßnahmen nur verzögert oder überhaupt nicht umgesetzt, könnten sich die Gesamtkosten des Klimawandels erheblich erhöhen (4).

1.7.

Die Europäische Kommission, der Europäische Rechnungshof und die Weltbank führen die gleichen Zahlen an: Ab dem Jahr 2021 müssen jährlich 1 115 Mrd. EUR in der EU investiert werden, um mit entsprechenden Maßnahmen die Ziele der Union bis 2030 zu erreichen (5). In diesem Betrag von 1 115 Mrd. EUR ist ein erheblicher Teil der derzeitigen Investitionen enthalten, die neu auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet werden müssen („grüne Zweckbindung“). Die Kosten eines „Nicht-Handelns“ würden 190 Mrd. EUR jährlich (sprich 2 % des EU-BIP) betragen (6).

1.8.

In Anlehnung an die Positionen zahlreicher Ökonomen und politischer Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft (7) muss jedes Projekt gefördert und unterstützt werden, das dazu beitragen kann, die europäischen Kräfte im Interesse der Arbeitnehmer, der Unternehmen und aller Bürgerinnen und Bürger Europas zu bündeln. Dies ist das Ziel eines Finanz-Klima-Pakts für hochwertige Arbeitsplätze.

1.9.

Der Finanz-Klima-Pakt zielt darauf ab, Kapital, das zu einer neuen Finanzblase führen könnte, wieder in die Bekämpfung des Klimawandels und in die Realwirtschaft zurückzuführen. Er muss darüber hinaus durch neue Finanzmittel unterstützt werden, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Er muss als neuer Fahrplan für die Führungsrolle Europas dienen und erfordert einen integrierten Plan (in Zusammenarbeit mit China und Indien, die bei der Bekämpfung des Klimawandels eine zentrale Rolle spielen).

1.10.

Nach Meinung des EWSA muss dieser Fahrplan sämtliche Aspekte einer Klimaschutzpolitik umfassen: einen gerechten Übergang (Maßnahmen zur Milderung der Auswirkungen des Klimawandels, aber auch zum Ausgleich von Schäden und Verlusten) sowie konkrete Strategien zur Anpassung an den Klimawandel. Dem Modell der Kreislaufwirtschaft sollte höchste Priorität eingeräumt (8) und sein Rechtsrahmen verbessert werden. Dies muss durch angemessene Haushaltspläne, die Neuausrichtung laufender Investitionen („grüne Zweckbindung“) und neue Finanzierungsquellen finanziert werden.

1.11.

Dieser Übergang würde die notwendigen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen und könnte die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze im Rahmen der europäischen Säule sozialer Rechte begünstigen (9).

1.12.

Es ist von entscheidender Bedeutung, die Entwicklung hin zu einem nachhaltigen Gesellschaftsmodell sozial zu unterstützen und einen Aktionsplan für einen gerechten Übergang zu erarbeiten, damit niemand zurückbleibt.

1.13.

Ein solcher Übergang muss mit umfassenden Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) sowie Innovation einhergehen, um innovative Projekte im Sinne der europäischen Taxonomie zu entwickeln und zu unterstützen.

1.14.

Die Fehler der Vergangenheit (Treibstoffsubventionen und Übernutzung fossiler Brennstoffe) dürfen sich nicht wiederholen, und wir müssen jegliche Unterstützung für Projekte einstellen, die dem Klimaschutz abträglich sind und/oder gegen das Übereinkommen von Paris verstoßen.

1.15.

Zusätzlich zur öffentlichen Finanzierung sollte der Privatsektor einen erheblichen Teil der zur Bekämpfung des Klimawandels notwendigen Investitionen bereitstellen, damit die Ziele des Übereinkommens von Paris erreicht werden können.

1.16.

Der Pakt setzt einen klaren und vorhersehbaren langfristigen europäischen politischen Rahmen voraus, um die Investitionsplanung zu sichern (10). Dieser Rahmen muss durch Grenzausgleichsmechanismen für Produkte ergänzt werden, die nicht den gleichen sozialen und ökologischen Standards unterliegen.

1.17.

Wie vom EWSA bereits hervorgehoben und von der Kommission aufgegriffen, muss ein einheitliches EU-Klassifikationssystem (Taxonomie) geschaffen werden, um nachhaltige Projekte beizubehalten (und nicht nachhaltige Projekte zu verwerfen) und Bereiche zu ermitteln, in denen Investitionen die größte Wirkung entfalten können. Das Europäische Parlament unterstützt diesen Ansatz und schlägt ebenfalls die Einführung einer „grünen Kennzeichnung“ vor. Diese Kennzeichnung sollte dann an Investitionen vergeben werden, die der EU-Taxonomie und den höchsten Nachhaltigkeitsstandards Rechnung tragen, um auf eine positive Zweckbindung von Investitionen hinzuwirken (11).

1.18.

Die zu fördernden Projekte, die im Einklang mit den UN-Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDG) stehen und umfangreiche Mittel für Innovation und FuE erfordern, müssen mithilfe eines Instruments umgesetzt werden, mit dem die verschiedenen Finanzierungsquellen (u. a. künftige mehrjährige Finanzrahmen) sichtbar gemacht werden können, und auf verschiedenen Initiativen beruhen:

Neuausrichtung der Finanzierung auf nachhaltige Investitionen mittels einer „grünen Zweckbindung“ und in diesem Zusammenhang Förderung von „grünen“ Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB);

Nutzung der quantitativen Lockerung durch die Europäische Zentralbank (EZB) als Finanzierungsquelle;

Erhöhung des für die Bekämpfung des Klimawandels vorgesehenen Anteils des Europäischen Fonds für strategische Investitionen auf 40 %;

die EU muss ein Maß an Engagement an den Tag legen, das der Herausforderung der Bekämpfung des Klimawandels entspricht; durchschnittlich müssen 40 % des Gesamthaushaltsplans (MFR 2021-2017) diesem Ziel zugewiesen werden;

Erhöhung des Anteils des Europäischen Kohäsionsfonds über die derzeitigen 20 % hinaus;

Mobilisierung von 3 % der Pensions- und Versicherungsfonds;

Unterstützung der Unternehmen, insbesondere der KMU, in ihren FuE-Investitionen mit einem Betrag bis zur Höhe von 100 Mrd. EUR für diesen Zweck;

Einhaltung der finanziellen Unterstützungsverpflichtungen gegenüber den Ländern des Südens, die an der Bekämpfung des Klimawandels beteiligt sind;

Einführung einer Klausel in Bezug auf das Übereinkommen von Paris, die in den EU-Handelsabkommen wirklich verbindlich ist.

2.   Einleitung

2.1.

Gemäß Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union ist die Union verpflichtet, auf eine nachhaltige Entwicklung mit einem hohen Maß an Umweltschutz hinzuwirken. Die Dringlichkeit der Klimaproblematik hat mittlerweile, auch für den EWSA, oberste Priorität, und sie bildet sowohl für die öffentlichen Behörden als auch für die Akteure der Wirtschaft, die Arbeitnehmer und die Bürgerinnen und Bürger einen übergeordneten Handlungsrahmen. Dementsprechend muss ein umfassender wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Wandel angestoßen und vor allem finanziert werden (12).

2.2.

Die gerade eingeleitete Debatte über den künftigen mehrjährigen Finanzrahmen der EU für den Zeitraum 2021-2027 muss daher die Fragen im Zusammenhang mit dem Klimawandel durchgängig berücksichtigen und im Einklang mit dem vorrangigen Ziel des Übergangs zu einer nachhaltigeren Welt stehen.

2.3.

Dieser Übergang würde die notwendigen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen und könnte die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze im Rahmen der europäischen Säule sozialer Rechte begünstigen.

2.4.

Europa braucht ein neues Projekt, um seinen Mehrwert zu behaupten und zu beweisen, dass es in der Lage ist, für günstige Rahmenbedingungen zu sorgen, um sowohl hochwertige und gut bezahlte Arbeitsplätze als auch eine nachhaltige Realwirtschaft zum Nutzen aller zu schaffen.

2.5.

Europa wird Teil der Lösung sein, da es sich gegenüber anderen internationalen Wirtschaftsakteuren auszeichnet, wenn es das Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung mit seinen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Dimensionen berücksichtigt.

2.6.

In jüngst veröffentlichten Studien des IWF und der OECD wird die Handhabung der Finanzkrise von 2008 kritisiert. Durch die ergriffenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen wurden Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Regierungen zu Sparmaßnahmen bzw. Haushaltskürzungen gezwungen.

2.7.

Es muss verstärkt in Innovation und FuE investiert werden, damit neue sozioökonomische Herausforderungen wie die Energiewende, die Kreislaufwirtschaft und kollaborative Wirtschaft oder auch die Automatisierung bewältigt und somit der Verschlechterung der Qualität der Arbeitsplätze Einhalt geboten werden können.

2.8.

Neben diesen finanziellen und sozialen Krisen stehen die Mitgliedstaaten auch einer politischen Krise — oder in einigen Ländern erheblichen politischen Turbulenzen — und einer ökologischen Krise gegenüber.

2.9.

Die Bekämpfung des Klimawandels ist daher unvermeidlich, bietet aber auch eine Chance, unsere Volkswirtschaften auf ein nachhaltiges Fundament zu stellen, ein neues Wachstumsmodell zu fördern, Ungleichheiten besser zu bekämpfen und unsere Demokratien zu stärken.

3.   Die Fakten

3.1.

Der EWSA bekräftigt nachdrücklich seine Verpflichtung auf die Agenda 2030 der Vereinten Nationen, die über eine Reihe von Zielen der nachhaltigen Entwicklung darauf abhebt, die Armut zu beseitigen, den Planeten zu schützen, Menschenrechte zu achten und Wohlstand für alle zu schaffen. Die Annahme dieser Agenda markiert einen historischen Übergang zu einem neuen Modell, mit dem im Rahmen eines universellen und integrierten Ansatzes wirtschaftliche, soziale und ökologische Ungleichheiten in Angriff genommen werden.

3.2.

Das Übereinkommen von Paris sieht vor, dass „der Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 oC über dem vorindustriellen Niveau gehalten wird und Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5 oC über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen“. Den Vereinten Nationen zufolge wird der Temperaturanstieg allerdings bestenfalls auf 3 oC (oder mehr) begrenzt werden, wenn sich die derzeitige Entwicklung fortsetzt.

3.3.

Der Klimawandel geht mit erheblichen menschlichen und finanziellen Kosten einher, insbesondere aufgrund der Zunahme von Naturkatastrophen: Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gehen weltweit bereits acht Millionen Todesfälle und Schäden in Höhe von 7 000 Mrd. USD auf Hitzewellen und den Anstieg des Meeresspiegels zurück (13). In diesem Zusammenhang ist auch ein Anstieg der Zahl der Klimaflüchtlinge (250 Mio. bis 2050) festzustellen. Die Schwächsten sind demnach auch die ersten Opfer des Klimawandels, und die Ungleichheiten werden weiter verschärft. Laut IWF gefährdet die Zunahme der Ungleichheiten ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum (14).

3.4.

Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, ohne dass Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden, würden den Haushalten der EU durch den prognostizierten Klimawandel bis 2080 jährlich Kosten in Höhe von 190 Mrd. EUR (allein für die Versicherungskosten aufgrund der Klimaschäden) zu konstanten Preisen entstehen (15).

3.5.

Die Fortschritte, die bei der Finanzierung der Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen bislang erreicht worden sind, sind nicht ausreichend. Ein nachhaltiges Finanzwesen und eine nachhaltige Wirtschaft müssen eine politische Priorität werden, wozu insbesondere ein klarer, stabiler und anreizsetzender politischer Rahmen erforderlich ist, der auch die Realisierung innovativer und umweltverträglicher Projekte mit hohem Mehrwert fördern muss.

3.6.

Während sich Europa von der Finanzkrise 2008 noch nicht vollständig erholt hat, schlägt der IWF bereits Alarm und weist auf die Gefahr einer Krise hin, die noch gravierender und umfassender ist als die Krise von 2008 (16).

3.7.

P. Larrouturou und J. Jouzel zufolge wurden von den 2 200 Mrd. EUR, die seit 2015 von der Europäischen Zentralbank geschöpft wurden, nur 11 % in die Realwirtschaft investiert, während die verbleibenden 89 % zu Spekulationen und einer neuen Finanzblase beitragen (17). Darüber hinaus listet die OECD fast 800 Ausgaben- und Steuererleichterungsprogramme in 35 OECD-Ländern und sechs wichtigen Schwellenländern der G20 auf, welche die Produktion oder den Verbrauch fossiler Brennstoffe fördern (18), was vollkommen im Widerspruch zu den Leitlinien des Übereinkommens von Paris steht.

3.8.

Diese Ausrichtung der Finanzmittel — sei es aus Spekulation oder aufgrund einer Zweckbindung, die im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen der EU steht, — kommt die gesamte europäische Gesellschaft in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht teuer zu stehen.

3.9.

Das Europäische Parlament stellt fest, dass sich der mehrjährige Finanzrahmen für den Zeitraum 2014-2020 als ungeeignet erwiesen hat, die gegenwärtigen Erfordernisse zu erfüllen. Darüber hinaus genügt er nicht, um auf eine Reihe von Krisen und neuen Herausforderungen, unter anderem hinsichtlich Landwirtschaft, Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, nachhaltige Investitionen oder Umwelt, zu reagieren. Aus diesem Grund muss dieser künftige Finanzrahmen auf die zentrale Herausforderung ausgerichtet werden, nämlich auf die Bekämpfung des Klimawandels und in der Folge die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze.

4.   Die Chancen

4.1.

Führende Unternehmen erkennen die Möglichkeiten, die der Klimawandel bietet. Viele von ihnen sind der Auffassung, dass die Unternehmen Teil der Lösung sein müssen, und betonen, dass diejenigen, die klimafreundliche Chancen ergriffen haben, zunehmend belohnt werden.

4.2.

Für die Unternehmer ist es möglich, auf dem Weg hin zu einer florierenden Niedrigemissionswirtschaft Arbeitsplätze und Innovationen zu schaffen (19) und Gewinne zu erwirtschaften. Umso wichtiger ist es, bis Mitte des Jahrhunderts „Null-Kohlenstoff-Emissionen“ zu erreichen, um das Ziel, die globale Erwärmung unter 2 oC zu halten, verwirklichen zu können.

4.3.

Ein Finanz-Klima-Pakt muss helfen, die Notwendigkeit, auf den Klimawandel zu reagieren, in eine Gelegenheit umzuwandeln, die europäische Industrie umzustrukturieren und neue Unternehmensmöglichkeiten zu schaffen. Hierzu müssen erhebliche Investitionen in die Realwirtschaft sowie in Forschung und Entwicklung getätigt werden, um nachhaltige und gute Arbeitsplätze zu schaffen.

4.4.

Die Gesamtbeschäftigungsquote in der Europäischen Union ist gestiegen, während die Arbeitslosigkeit infolge des jüngsten wirtschaftlichen Aufschwungs zurückgegangen ist. Langzeitarbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung, vor allem von Frauen, sowie die Jugendarbeitslosigkeit bleiben jedoch weiterhin sehr bedenklich. Im Zuge des Übergangs zu einer nachhaltigen Entwicklung sollten dynamische und innovative Unternehmen in der Lage sein, alle sich ergebenden Möglichkeiten zu nutzen und soweit wie möglich zur Verringerung des Problems der Arbeitslosigkeit beizutragen.

4.5.

Daher ist es äußerst wichtig, dass die Europäische Union gemeinsam mit den Mitgliedstaaten daran arbeitet, eine koordinierte Strategie für die Entwicklung günstiger Rahmenbedingungen zur Schaffung von nachhaltigen und hochwertigen Arbeitsplätzen einzuführen. Die Kommission muss die Möglichkeit ausloten, öffentliche Investitionen aus der Schuldenberechnung herauszunehmen (20), die zur Schaffung guter Arbeitsplätze und zu einer nachhaltigen Wirtschaft zum Wohl aller, Unternehmer wie Arbeitnehmer, beitragen.

4.6.

Die EU fördert die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Sie unterstützt und bewertet deren Bemühungen, vor allem im Rahmen des Europäischen Semesters, in Bezug auf die beschäftigungspolitischen Leitlinien und die Überwachung der nationalen politischen Maßnahmen (gemeinsame Beschäftigungsberichte, nationale Reformprogramme und länderspezifische Empfehlungen). Sie muss jedoch auch ihre politischen Maßnahmen auf die Zwecke und Ziele zur Unterstützung gemeinsamen Wohlstands für Unternehmer, Arbeitnehmer und die europäischen Bürgerinnen und Bürger abstimmen.

4.7.

Die ADEME (21) schätzt das Potenzial des Nettozuwachses von Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit dem Klima in Europa auf 5 bis 6 Mio. Arbeitsplätze bis 2050, und nach Angaben der Europäischen Kommission können 3 Mio. Arbeitsplätze bis 2020 im Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen werden.

4.8.

Laut dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) könnte Deutschland das Ziel einer Reduzierung von 80 % der CO2-Emissionen bis 2050 erreichen, wenn ihm jährlich 50 Mrd. EUR in diesem Zeitraum zur Verfügung stünden.

4.9.

Es ist ein Anstieg der Beschäftigung in Vollzeitäquivalenten in der „grünen Wirtschaft“ festzustellen (von 2,8 Mio. Arbeitsplätzen im Jahr 2000 auf 4,2 Mio. im Jahr 2014). Einige Sektoren sind sehr dynamisch: die erneuerbaren Energien (1 Mio. geschaffene Arbeitsplätze seit 2000: + 182 %) oder die Abfallwirtschaft (Anstieg von 0,8 Mio. Arbeitsplätze im Jahr 2000 auf 1,1 Mio. im Jahr 2014: + 36 %).

4.10.

Es ist jedoch äußerst wichtig, dass KMU, aber auch Genossenschaften und Kleinstunternehmen, die auf allen lokalen Ebenen vertreten sind, ebenfalls nachhaltige Projekte starten können und dass diesen Unternehmen vorrangig Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. Es sollte dafür gesorgt werden, dass der Zugang zu Finanzmitteln für diese Unternehmen kein Hindernis darstellt (22).

4.11.

Darüber hinaus muss ein Ansatz auf mehreren Ebenen verfolgt werden, der alle betroffenen Akteure, öffentliche wie private, einbezieht, um Initiativen, Pläne und Aktionen der Regionen, Städte und Gemeinden, die sich für die Bekämpfung des Klimawandels und die Umsetzung des Übereinkommens von Paris einsetzen, zu fördern und zu integrieren, wie der Europäische Ausschuss der Regionen kürzlich in einer Stellungnahme (23) festgestellt hat.

4.12.

Und schließlich muss der Finanz-Klima-Pakt, der sämtliche Kräfte und die Bereitschaft aller öffentlichen wie auch privaten Akteure mobilisieren muss, die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Begleitmaßnahmen berücksichtigen, wie u. a. die Taxonomie (Klassifikation), die Verpflichtung der institutionellen Investoren zur Integration der Nachhaltigkeit, Informationen für Investoren, die Rekalibrierung der Eigenmittelanforderungen für Banken, die verstärkte Transparenz hinsichtlich der Veröffentlichung von Informationen durch die Unternehmen sowie die (vom Europäischen Parlament vorgeschlagene) EU-Kennzeichnung.

5.   Die verschiedenen Finanzierungsquellen und die zu ergreifenden Maßnahmen

Neuorientierung („grüne Zweckbindung“) und neue Finanzierungsquellen

5.1.

Die Europäische Kommission und der Rechnungshof führen die gleichen Zahlen an und sind sich einig, dass Mittel in Höhe von 1 115 Mrd. EUR jährlich zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen erforderlich sind.

5.2.

Bei diesem Betrag von 1 115 Mrd. EUR für den Zeitraum 2021-2030 müssen zwei Kategorien von zu finanzierenden Projekten (24) unterschieden werden:

einerseits Projekte, mit denen Renditen erzielt werden und die den Interventionsbereichen der EIB und öffentlichen Förderbanken (25), Privatbanken, Pensions- und Versicherungsfonds oder Staatsfonds zuzurechnen sind;

und andererseits Projekte, die eine öffentliche Förderung benötigen und aus europäischen Steuermitteln finanziert werden.

5.3.

Dabei geht es um die Neuausrichtung aller oder eines Teils der aktuellen Finanzierungen auf nachhaltige Investitionen, d. h., der europäische Finanzrahmen soll „grüner“ werden und die Finanzmittel sollen zur Bekämpfung der Auswirkungen des Klimawandels eingesetzt werden. Folgende Finanzierungen sind hiervon betroffen:

EIB-Darlehen: Privatbanken könnten die Investitionen, die der Taxonomie (Klassifikation) der EU entsprechen, über die EIB finanzieren;

Geldschöpfung der EZB, wobei die ausgegebenen Geldmengen zur monetären Lockerung auf die reale und nachhaltige Wirtschaft ausgerichtet werden: 50 % der jährlichen monetären Lockerung würden es ermöglichen, Hunderte Milliarden Euro jedes Jahr bereitzustellen;

40 % (anstelle von aktuell 20 %) des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EIB und Kommission) müssen zur Bekämpfung der Erderwärmung und deren Auswirkungen, einschließlich in den Bereichen Soziales und Bildung, eingesetzt werden;

die EU muss ein Maß an Engagement an den Tag legen, das der Herausforderung der Bekämpfung des Klimawandels entspricht: Durchschnittlich müssen 40 % ihres Haushaltsplans diesem Klimaziel zugewiesen werden, insbesondere muss der Anteil des Europäischen Kohäsionsfonds erhöht werden, der im Haushaltsplan 2014-2020 nur mit 20 % seiner Mittel zu diesem Ziel beiträgt;

zur Ergänzung dieser Finanzierungen sollten 3 % der Investitionen der Pensions- und Versicherungsfonds zur Bekämpfung der Erderwärmung eingesetzt werden.

5.4.

Besondere Anstrengungen sind im Bereich Forschung, Entwicklung und beruflicher Weiterbildung erforderlich; 100 Mrd. EUR müssen jährlich nur für diesen Zweck bereitgestellt werden. Der Ausschuss wird rechtzeitig Vorschläge vorlegen bezüglich der Entscheidung, welches Instrument bzw. welche Instrumente zur Ergänzung der laufenden und künftigen diesbezüglichen Finanzierung erforderlich sind.

Die fälligen Maßnahmen

5.5.

Viele Finanzinstrumente können zur Bekämpfung des Klimawandels eingesetzt werden, doch die Finanzierungen haben nur Aussicht auf Erfolg, wenn Europa über einen kohärenten Plan mit einer klaren und langfristigen Orientierung verfügt (26). In diesem Plan müssen die folgenden Aspekte berücksichtigt werden:

5.5.1.

Ein klarer, stabiler und langfristiger politischer Rahmen muss aufgestellt werden. Hierbei geht es um Planungs- und Investitionssicherheit, da nichts das Engagement mehr hemmt als ständige politische Richtungswechsel.

5.5.2.

Die EIB ist seit Januar 2018 der weltweit größte Emittent grüner Anleihen. Soll sie in die Lage versetzt werden, Projektträgern im Rahmen des Finanz-Klima-Pakts noch bessere Bedingungen anzubieten, könnten zwei Maßnahmen angenommen werden:

Zunächst sollte die Investitionsoffensive für Europa (Juncker-Plan) auf diese Projekte ausgeweitet werden, was es der EIB ermöglichen würde, von der Garantie des Europäischen Fonds für strategische Investitionen zu profitieren.

Zudem könnte sich die EIB stärker über die EZB finanzieren. Die EIB hat bereits Zugang zum Programm zum Ankauf von Vermögenswerten durch die EZB, jedoch nur sehr begrenzt. Angesichts der Höhe der Beträge sähe sich die EIB jedoch schnell mit dem Problem der Eigenkapitalquote konfrontiert. Daher könnte erwogen werden, dass die EIB die Bank für nachhaltige Entwicklung wird, die vor allem die Energiewende, nachhaltige Mobilität und Innovation finanziert und darauf verzichtet, traditionelle Projekte zu finanzieren, für die ein großer Teil ihrer Darlehen noch verwendet wird.

5.5.3.

Es müssen die Sektoren ermittelt werden, in denen diese Gelder am vorteilhaftesten genutzt würden und die hinsichtlich des Kosten-Nutzen-Verhältnisses für die Umwelt, die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft (Energie, Wohnungsbau, Landwirtschaft, Mobilität, Verkehr, Recycling, Wasser usw.) am interessantesten wären. Neben einem gerechten Netzzugang muss auch berücksichtigt werden, dass bestimmte Sektoren, wie z. B. die Fotovoltaik, hinreichend rentabel sind und keine Subventionen mehr benötigen.

5.5.4.

Die Tätigkeit der EIB sollte verstärkt werden, nicht nur hinsichtlich des Umfangs, sondern auch hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, höhere Risiken einzugehen. So wäre die EIB besser geeignet, den Klimawandel zu bekämpfen, indem sie auch kleinere aufstrebende Branchen unterstützt und nicht Milliarden von Euro an die Fotovoltaik-Industrie oder die klassische Windkraft vergibt, die bereits vom privaten Sektor stark unterstützt werden.

5.5.5.

Die Finanzierungen müssen insgesamt, wie von der Kommission vorgeschlagen, einer gemeinsamen europäischen Taxonomie (Klassifikation) entsprechen. Der EWSA muss sich als Vertreter der Zivilgesellschaft an den praktischen Modalitäten der Ausarbeitung dieser Klassifikation beteiligen.

5.5.6.

Dem Modell der Kreislaufwirtschaft sollte höchste Priorität eingeräumt und sein Rechtsrahmen verbessert werden. Die Kreislaufwirtschaft muss es ermöglichen, durch das Recycling von Produkten (lediglich 3 % der Mobiltelefone werden recycelt, andere Produkte werden gar nicht recycelt) und wertvollen Metallen den Abbau natürlicher Ressourcen zu verringern und letztlich sogar ganz einzustellen. Diese Metalle, z. B. Kobalt und Lithium, die bei der Herstellung zukunftsweisender Produkte verwendet werden, stehen, verglichen mit dem zukünftigen Bedarf für die Elektrifizierung von Fahrzeugen und die Speicherung von Strom im Allgemeinen, nur in geringem Umfang zur Verfügung, und die Produktion dieser Metalle steht in keinem Verhältnis zu dem sich abzeichnenden Bedarf.

5.5.7.

Auch die Investitionen in die Energieeffizienz von Gebäuden, die für 30 % der CO2-Emissionen verantwortlich sind, müssen gefördert werden (vor allem da sie sich schnell rentieren). Ferner ist ein vollständiger Strom- und Gasverbund Voraussetzung für einen integrierten europäischen Energiemarkt, der mit Afrika und dem Nahen Osten verbunden ist.

5.5.8.

Um einen gerechten und sozialen Übergang zu gewährleisten, wie er im Übereinkommen von Paris vorgesehen ist und vom Institut Jacques Delors (27) gefordert wird, muss ein Teil der Finanzierungen in einen Anpassungsfonds für die Regionen und die Arbeitnehmer der vom Wandel betroffenen Sektoren fließen. In dieser Hinsicht wäre es angemessen, dass ein wesentlicher Teil des für die Regionen bestimmten Europäischen Kohäsionsfonds den Klimazielen und ihren positiven sozioökonomischen Auswirkungen vorbehalten wird. Mithilfe des Anpassungsfonds für den Übergang müssen auch Umschulungsmaßnahmen für Arbeitnehmer unterstützt werden. Zudem sollten Veränderungen durch Vorsorgemaßnahmen vorweggenommen werden (vorbeugen statt heilen), indem ein Teil der Anpassungsmittel für Innovationen und für FuE in den als prioritär eingestuften Sektoren aufgewendet wird.

5.5.9.

In jedem Freihandelsabkommen sollten Sozial- und Umweltschutzklauseln durch eine verbindliche Verpflichtung auf das Übereinkommen von Paris ergänzt werden. (Davon wären alle potenziellen Handelspartner der EU betroffen, da 195 der 197 Mitglieder der Vereinten Nationen das Übereinkommen unterzeichnet haben.)

5.5.10.

Um die allerhöchste politische Bedeutung dieses Handlungsfelds zu verdeutlichen, müssen die diesbezüglich bereitgestellten Haushalts- und Finanzmittel mithilfe eines Instruments ausgeführt werden, mit dem die betreffenden Mittel wirksam und transparent sichtbar gemacht werden können.

5.5.11.

Außerdem — und auch wenn dies nicht direkt den europäischen Finanz-Klima-Fonds betrifft — muss die EU ihre internationalen politischen Verpflichtungen einhalten (UN-Klimakonferenz von 2009), wonach die Finanzierung der Bekämpfung des Klimawandels in Afrika und im Mittelmeerraum bis 2020 auf 100 Mrd. USD jährlich angehoben werden muss.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  https://www.theguardian.com/business/2018/oct/03/world-economy-at-risk-of-another-financial-crash-says-imf; IWF: Global Financial Stability Report, Oktober 2018.

(2)  Stellungnahme des EWSA „Mehrjähriger Finanzrahmen“, Ziffer 3.1.8 (verabschiedet am 19. September 2018, noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(3)  EWSA: „ECO Priorities for 2018 and beyond“ (Die Prioritäten der Fachgruppe ECO für 2018 und darüber hinaus).

(4)  OECD, „The Economic Consequences of Climate Change“, 2. September 2016.

(5)  Europäische Kommission: Folgenabschätzung zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz (liegt nur auf EN vor), SWD(2016) 405 final/2 vom 6.12.2016, Tabelle 22 (Szenario EUCO30 — Quelle: PRIMES-Modell).

Europäischer Rechnungshof: https://www.euractiv.fr/section/climat/news/la-cour-des-comptes-fustige-linefficacite-de-la-politique-climat-de-lue/.

(6)  M. Ciscar et al.: „Climate Impacts in Europe — The JRC PESETA II Project“, 2014.

(7)  https://www.pacte-climat.eu/en/the-first-signatories-of-the-call/.

(8)  Stellungnahme des EWSA „Investitionen in eine intelligente, innovative und nachhaltige Industrie“ (ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 70).

(9)  Stellungnahme des EWSA „Europäische Säule sozialer Rechte“ (ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10).

(10)  Stellungnahme des EWSA „Bündnis zur Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen des Übereinkommens von Paris“ (ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 20).

(11)  Bericht vom 4. Mai 2018 über ein nachhaltiges Finanzwesen [2018/2007(INI)], Berichterstatterin: Molly Scott Cato.

(12)  Stellungnahme des EWSA „Aktionsplan für nachhaltige Finanzierung“ (siehe Seite 73 dieses Amtsblatts).

(13)  Studie von James Daniell, Technologieinstitut Karlsruhe, April 2016.

(14)  https://blogs.imf.org/2017/02/22/the-imfs-work-on-inequality-bridging-research-and-reality/.

(15)  M. Ciscar et al.: „Climate Impacts in Europe — The JRC PESETA II Project“, 2014.

(16)  https://www.theguardian.com/business/2018/oct/03/world-economy-at-risk-of-another-financial-crash-says-imf; IWF: Global Financial Stability Report, Oktober 2018.

(17)  P. Larrouturou und J. Jouzel: „Pour éviter le chaos climatique et financier“, Hg. Odile Jacob.

(18)  OECD Companion to the Inventory of Support Measures for Fossil Fuels 2015.

(19)  Paul Polman, CEO von Unilever, und Jean-Pascal Tricoire, CEO von Schneider Electric und Vorsitzender des Pacte mondial France, auf dem Business & Climate Gipfel: http://www.businessclimatesummit.com/summit/2015/press-room.

(20)  Stellungnahme des EWSA „Finanzierung der europäischen Säule sozialer Rechte“ (ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 1).

(21)  Französische Agentur für Umwelt und Energiewirtschaft.

(22)  Stellungnahme des EWSA „Wie geht es weiter nach Paris?“ (ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 24).

(23)  Stellungnahme des AdR „Finanzierung des Klimaschutzes als wirksames Mittel zur Umsetzung des Übereinkommens von Paris“ (ABl. C 54 vom 13.2.2018, S. 9).

(24)  Laut Philippe Maystadt, ehemaliger Präsident der EIB.

(25)  KfW in Deutschland, CDC in Frankreich, CDP in Italien, ICO in Spanien.

(26)  Jeffrey Sachs, Anhörung des EWSA vom 18. Mai 2018.

(27)  http://institutdelors.eu/wp-content/uploads/2018/01/Pactesocialtransitionénergétique-FernandesPellerinCarlin-janvier18.pdf.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/16


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu „Die strategische Entwicklung der Industriepolitik in Richtung 2030 zur Stärkung der wettbewerbsfähigen und diversifizierten industriellen Grundlage in Europa und zur Orientierung an der dauerhaften Leistungsfähigkeit innerhalb von globalen Wertschöpfungsketten“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des österreichischen Ratsvorsitzes)

(2019/C 62/03)

Berichterstatter:

Carlos TRIAS PINTÓ

Ko-Berichterstatter:

Gerald KREUZER

Befassung

Österreichischer Ratsvorsitz, 12.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachkommission

Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI)

Annahme in der CCMI

25.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

158/9/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Industriepolitik muss Chancen für weltweites nachhaltiges und integratives Wachstum aufzeigen und nutzen. Niemand darf im Stich gelassen werden.

1.2.

Europa muss ehrgeizig bleiben, um seinen Anteil an der industriellen Produktion auf das Niveau früherer Zeiten zu heben, wobei die wichtigsten Leistungsindikatoren bei der Feinabstimmung helfen können. Die Industriepolitik in Europa (und deren Koordinierung zwischen den Generaldirektionen, Mitgliedstaaten, Regionen) muss verbessert werden, da Europa Teil der komplexen grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten in einem zunehmend globalisierten Markt ist. Ein ganzheitlicher Ansatz ist gefragt, durch den Wachstum, Klima- und Umweltschutz sowie gesellschaftliche Probleme im Sinne eines „gerechten Übergangs“ miteinander in Einklang gebracht und nationale und europäische Kräfte wirkungsvoll miteinander verbunden werden.

1.3.

Europas rEUnaissance erfordert einen ausgefeilten Masterplan für die europäische Industrie, durch den die Industriepolitik wie ein roter Faden in alle Maßnahmen der EU eingeflochten wird und die Industrie sich so wandeln kann, dass Europa zur größten Wissenswirtschaft wird, die industriellen Mehrwert durch Kreativität und intelligentes Design, soziale Innovation und die Förderung neuer nachhaltiger und inklusiver Industriemodelle („Made in Europe“) schafft.

1.4.

Wenn mit der EU-Klimapolitik und der Förderung einer Kreislaufwirtschaft Arbeitsplätze in Europa geschaffen werden sollen, müssen die zentralen Teile der Wertschöpfungsketten, die solche Politiken ermöglichen, unbedingt in Europa angesiedelt sein. Daher ist es unerlässlich, dass die Bedeutung von Wertschöpfungsketten in der EU-Strategie anerkannt wird und ehrgeizige Maßnahmen zu ihrer Weiterentwicklung konzipiert werden. Anstatt auf die einzelnen Sektoren ausgerichtet zu sein, sollte die Strategie attraktive Arbeitsbedingungen in Europa gewährleisten. Um Europas Stellung in der Weltwirtschaft auch für die Zukunft zu garantieren, sollte als Erfolgsmesser das Potenzial der einzelnen Glieder der europäischen Wertschöpfungskette zur Integration in die globalen Wertschöpfungsketten herangezogen werden, d. h., europäische Zulieferer sollten in der Lage sein, global und nicht nur innerhalb Europas wettbewerbsfähig zu sein.

1.5.

Verbesserungen in der schulischen und beruflichen Bildung mit dem Ziel neuer Arbeitsplätze und Dienstleistungen sollten ebenfalls eng mit Maßnahmen für F+E+I (Forschung, Entwicklung und Innovation) und Lernen am Arbeitsplatz verflochten sein, und zwar unter Ausweitung der Kompetenzstrategie (1) auf industrielle Schlüsselbranchen wie Bau, Stahl, Papier, grüne Technologien, erneuerbare Energien, herstellendes Gewerbe und Seefahrt.

1.6.

Um Europas technologische Führungsrolle sicherzustellen, empfiehlt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) außerdem, stärker in bahnbrechende und disruptive Technologien zu investieren, darunter in künstliche Intelligenz und Robotik, das Internet der Dinge, Datenanalyse, 3D-Druck, neue Werkstoffe und Nanomaterialien, erweiterte virtuelle Realität, Biowirtschaft, nachhaltige Lebensmittelversorgung, digitale Technologien, Neurotechnologie, Nanoelektronik, Erforschung der Ozeane und des Weltraums usw.

1.7.

Im mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 muss es möglichst spezifische und detaillierte Bestimmungen über zusätzliche Haushaltsmittel für jeden einzelnen Sektor, Forschung, Entwicklung und Innovation sowie die Kohäsionspolitik im Besonderen geben.

1.8.

Der EWSA unterstreicht, dass die institutionelle Lenkung verbessert werden sollte, wozu auch gehört, dass Folgenabschätzungen nicht nur für die ökonomischen Auswirkungen vorgenommen werden, sondern dass die Folgen auch für Umwelt und Gesellschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette abgeschätzt werden.

1.9.

Im Sinne einer höheren Nachhaltigkeit der gesamten industriellen Wertschöpfungskette unterstützt der EWSA mit Nachdruck den Plan der Kommission zur Finanzierung des nachhaltigen Wachstums (2), zur Schaffung einer nachhaltigen Finanztaxonomie, durch die verantwortliche Spargelder in nachhaltige Investitionen gelenkt werden und europäische strategische Investitionen (mit einer vernünftigen Kombination des geplanten InvestEU-Fonds und privater Finanzierungsquellen) gefördert werden.

1.10.

Der EWSA bekundet erneut seine ausdrückliche Unterstützung für eine goldene Regel für öffentliche Investitionen, und zwar nicht nur zur Kofinanzierung strategischer Investitionsvorhaben, sondern für alle nachhaltigen Investitionsvorhaben, die im Zusammenhang mit positiven Fortschritten bei der Schaffung eines einheitlichen Klassifikationssystems der EU für nachhaltige Tätigkeiten (oder auch Taxonomie) stehen, um denjenigen europäischen Ländern neue Entwicklungschancen zu bieten, die von der Krise am härtesten getroffen wurden.

1.11.

Finanzinstrumente: Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen, Bereitstellung öffentlicher Mittel für die Finanzierung von Projekten im industriellen Maßstab (bis zu 75 % des Investitionsvolumens oder mehr, sofern gerechtfertigt), verstärkte Vergabe von Vorzugsdarlehen und Zugang zu Krediten. Zugang zu öffentlichen Finanzhilfen für Maßnahmen, bei denen es darum geht, an sich hochriskante bahnbrechende Projekte „risikoärmer“ zu machen.

1.12.

Die produktivsten Wirtschaftszweige (mit der höchsten Wertschöpfung) sind zugleich diejenigen mit der größten Innovationskraft. Auch sind diejenigen Branchen, die am stärksten den Umweltauflagen unterworfen sind, zugleich diejenigen, welche die meisten Patente anmelden, was möglicherweise auch ein Ergebnis des Regulierungsdrucks ist (3).

1.13.

Die Umsetzung der EU-Politiken über delegierte Rechtsakte oder Durchführungsrechtsakte ist ein Haupttreiber der Regulierungskosten. Technokratische Verfahren zur Sicherstellung der Konformität, bei denen nicht die kosteneffizientesten Möglichkeiten zur Erreichung der angestrebten Regulierungsziele festgelegt werden, mindern die Innovationskraft der industriellen Akteure, vor allem der KMU.

1.14.

Nachhaltige Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit müssen Hand in Hand gehen. Der EWSA fordert Produktstandards in der EU, die von in- und ausländischen Produzenten gleichermaßen zu befolgen sind und an der Grenze eingefordert werden können. Eingeführte Produkte, die nicht den Umwelt- und Sozialstandards entsprechen, führen dazu, dass die Industriebranchen in der EU ernste Schwierigkeiten damit haben werden, auf nachhaltige Weise gesellschaftlichen Bedürfnissen und Forderungen gerecht zu werden.

1.15.

Die Europäische Kommission sollte die sachgemäße Umsetzung der EU-Freihandelsabkommen einschließlich einfacher und klarer Regeln streng überwachen. Die Nachhaltigkeitskapitel in Freihandelsabkommen müssen der Umsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen und der UN-Leitsätze für Wirtschaft und Menschenrechte (4) dienen, die bereichsübergreifende und nicht verhandelbare Mindestbedingungen (Rechte schutzbedürftiger Personengruppen, verantwortungsvolle Steuerverwaltung usw.) vorsehen. Die Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen (zum Beispiel Investitionen, öffentliche Vergabe, Beihilfe) sollte garantiert sein.

1.16.

Ein erweiterter sozialer Dialog auf verschiedenen Ebenen ist notwendig, um eine genaue Auswertung vorzunehmen und gemeinsame Antworten in Bezug auf globale Wertschöpfungsketten in nachhaltigen Unternehmen liefern zu können, in denen der soziale Dialog respektiert wird.

1.17.

Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die Führungsrolle zu einem vorrangigen politischen Ziel zu machen und ein EU-Programm zur industriellen Strategie aufzulegen. Er fordert die Europäische Kommission auf, jährlich einen Bericht über die Ergebnisse der Strategie für die Industriepolitik der EU für alle relevanten Politikbereichen der Kommission auszuarbeiten.

2.   Megatrends — Nur eine Welt

2.1.

In der Industrie bahnt sich derzeit ein großer Transformationsprozess an, der sich aus der großen Breite des digitalen Wandels und der Niedrigemissionswirtschaft erklärt. Erneuerbare Energieträger werden fossile Brennstoffe ersetzen, Daten werden zum neuen, dominanten Rohstoff und das Internet (der Dinge) wird zum wichtigsten Kommunikationsmittel. Anstelle der linearen Produktionsmodelle setzen sich zunehmend stärker geschlossene Systeme von Produktion, Verbrauch und Recycling durch und die Massenproduktion wird immer mehr durch angepasste Produktionsverfahren ersetzt. In einer modernen Industrielandschaft finden Produktion und Innovation im Rahmen eines Netzes eng kooperierender Akteure — große, kleine und mittlere Unternehmen — statt, und dieses Netz reicht bis zu verbundenen Dienstleistungen entlang der Wertschöpfungskette. Wissen hat Arbeit und Kapital als wichtigsten Faktor abgelöst. Europas langfristige industriepolitische Strategie muss all diesen (bahnbrechenden) Herausforderungen gerecht werden, damit wir in das Infolithikum (5) eintreten können, das in der Geschichte der Menschheit nur mit dem Übergang vom Paläolithikum zum Neolithikum verglichen werden kann.

2.2.

Die meisten Forscher warnen davor, dass je nach Industriebranche bis 2030 20-50 % der Arbeitsplätze durch ein breites Arsenal von Technologien und Robotertechnik ersetzt werden (6). Freilich werden auch neue Arbeitsplätze entstehen, allerdings mit großen Unterschieden in Bezug auf geografische Verteilung, Branchen und Kompetenzen. Aufgabe der europäischen Industriepolitik ist es, dafür zu sorgen, dass die EU, ihre Regionen und ihre Bürger nicht den Anschluss verlieren.

2.3.

Der digitale Wandel wirkt sich auf alle wichtigen Ressourcen der Industrie aus: Natur, Umwelt, Arbeit und Kapital (physischer, technischer und institutioneller Art). Um die sozialen Auswirkungen in den Griff zu bekommen, bedarf es einer Neubewertung der wichtigsten Ressourcen oder Kapitalbestände, aus denen die größten Einkommensströme fließen, und zwar Land für Land und Branche für Branche.

2.4.

Weite Teile der europäischen Industrie sind zunehmend von Ausfuhren in Drittländer abhängig oder sind in komplexe, grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten in einem zunehmend globalisierten Markt integriert. Gleichzeitig sieht sich die EU mit einer immer stärkeren Verbreitung der „America First“-Politik konfrontiert, die ein zunehmendes Risiko von Handelskriegen birgt, bei denen es keine Gewinner, sondern nur Verlierer gibt. Dies ist auch eine Bedrohung für die multilaterale Wirtschaftsordnung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hat. Schließlich sind auch zentralistische staatlich dirigierte Wirtschaftsmodelle auf dem Vormarsch.

2.5.

Für einen gerechten Übergang zu einer nachhaltigeren Industrie bis 2050 (7) muss sich Europa den folgenden Herausforderungen stellen:

fortschreitender Klimawandel und eine Verschlechterung der Umweltbedingungen;

Raubbau an den natürlichen Ressourcen der Erde und Verlust der Artenvielfalt;

durch die Digitalisierung der meisten Industriesektoren wird es zu einer Verwischung der Grenzen zwischen den Wirtschaftszweigen sowie zwischen der physischen und der virtuellen Welt kommen, und es werden sich Sektoren für neue Marktteilnehmer öffnen, wobei es immer weniger manuelle Arbeit geben wird;

soziale Ungleichheit, mit zunehmender Polarisierung des Arbeitsmarkts und Jugendarbeitslosigkeit und vom industriellen Niedergang betroffenen Gebieten, in denen sich die Menschen abgehängt fühlen;

Vertrauensverlust der Bürger bezüglich der Regierungen, der Politiker, der EU und ihrer Lenkungsstrukturen sowie sonstiger Institutionen;

demographischer Wandel: Bevölkerungsalterung, Migration, starkes Anwachsen der Weltbevölkerung und neues Umweltbewusstsein;

Konzentration der Bevölkerung in Ballungsräumen, in denen es eine starke Integration der Infrastrukturnetze gibt, künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und „Deep Learning“;

Wandel der Verbraucherpräferenzen (geändertes Verbraucherverhalten, mehr Umweltbewusstsein, Regulierung des Verhaltens der Verbraucher durch die öffentliche Hand).

Eine langfristige Vision muss all diesen Entwicklungen gleichzeitig gerecht werden. Die Herausforderungen zu verstehen und herauszufinden, wie sie in Chancen verwandelt werden können, wird eine Kernpriorität der europäischen Industriepolitik sein. Die komplexe Gestalt der Lösungen erfordert es, alle Betroffenen nachdrücklich einzubinden und die Verantwortung zu teilen. Der Erfolg hängt von den Anstrengungen und der Zusammenarbeit der EU-Institutionen, der Mitgliedstaaten, der Regionen und an erster Stelle auch von der aktiven Rolle der Industrie selbst ab.

3.   Der Übergang: Eine EU, die durch Nachhaltigkeit wettbewerbsfähig bleiben will

3.1.

Um die vielfältigen und beispiellosen Herausforderungen für die Industrie zu meistern, hat Europa sich dafür entschieden, seine Wettbewerbsfähigkeit durch Produkte und Dienstleistungen von hoher Qualität zu sichern und eine Strategie der Differenzierung nach Regionen und Industriezweigen zu verfolgen. Das Ziel sind Wachstum und Beschäftigung durch den Mehrwert, der durch Kreativität, intelligentes Design, soziale Innovation und neue nachhaltige und inklusive Industriemodelle hervorgebracht wird.

3.2.

Es gibt bereits erste ermutigende Anzeichen in Europa, wie etwa der Anteil von 40 % an den weltweiten Patenten im Bereich der erneuerbaren Energien. Allerdings zeigen sich auch neue und gravierende Missverhältnisse zwischen Bildung und Berufsbildung, unternehmerischen Initiativen und den neuen Qualifikationen, die von der Industrie gefragt sind.

3.3.

Ein weiteres wichtiges Hemmnis für die industrielle Entwicklung in Europa ist die geographische und sektorale Uneinheitlichkeit der politischen Strategien der EU. Die Abkehr von 28 unterschiedlichen Politiken für jeden Industriezweig zugunsten eines übergeordneten Schwerpunkts auf einer Industriepolitik der EU erfordert eine Abstimmung mit Maßnahmen zur Vollendung der WWU (hier vor allem die Finanz- und Bankenunion), die Herausbildung eines europäischen Marktes für das Risikokapital sowie ein nachhaltiges Finanzierungsmodell, das für ein ausgewogenes, gleichmäßiges Wachstum in der gesamten EU sorgt.

3.4.

Die Beurteilung der Frage, ob mehr grüne Innovation auch Innovationen in anderen Sektoren fördert, und auch ihrer Wirkungen auf die Preise industrieller Einsatzgüter ist ein wichtiger Schritt für die Abschätzung der Folgen der Umweltpolitik auf die Wettbewerbsfähigkeit der Länder und für eine bessere Planung der Umweltpolitik.

3.5.

Ebenfalls erforderlich ist ein starker Schwerpunkt auf dem Potenzial der KMU in Branchen, die hochinnovative wissensbasierte Dienstleistungen liefern. Innovationen gehen in Europa typischerweise oft von kleinen Strukturen aus. Der Export von hochwertigen wissensbasierten Dienstleistungen hat eine Pionierrolle für die Marktpositionierung verwandter Industriezweige.

3.6.

Wenn Europa in der Wissenswirtschaft oder beim immateriellen Kapital wieder führend werden will, dann ist die industrielle Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten der Schlüssel zu mehr Innovation in Europa. Der EWSA unterstreicht die Bedeutung des gemeinsamen europäischen Interesses, innovativer öffentlich-privater Partnerschaften sowie der regionalen Zusammenarbeit mittels Strategien für intelligente Spezialisierung.

4.   Globale und ganzheitliche Strategie

4.1.

Wirtschaftsräume, die stärker in globale Wertschöpfungsketten eingebunden sind, erwirtschaften einen größeren Mehrwert. Demnach muss die EU dem Neoprotektionismus entschlossener entgegentreten, denn er könnte die in der jüngsten Zeit zu beobachtende Ablehnung einer stärkeren Einbindung in solche Wertschöpfungsketten noch verschlimmern.

4.2.

Es eröffnet sich die Chance, globale Wertschöpfungsketten mit lokalen Wirtschaftsgefügen zu verbinden und so die Entwicklung der örtlichen Wirtschaft zu fördern, auch durch bahnbrechende Technologien (Blockchain, 3D-Druck, Robotik, Internet der Dinge, Energiespeicherung, erneuerbare Energien, Massendaten, genetische Biologie, Nanotechnologie usw.) mit einem inklusiven Fokus: Sie können ebenfalls den Weg für eine lokale Produktion mit kostengünstigeren Vorleistungen ebnen, und zwar ganz besonders, wenn eine Prosumer-Denkweise übernommen (und adäquat reguliert) wird, bei der die Förderung der Entwicklung produktiver und inklusiver Kleinstunternehmen, die die großen globalen Wertschöpfungsketten ergänzen, im Vordergrund steht.

4.3.

Bei dem neuen Paradigma Nachhaltigkeit als Faktor der Wettbewerbsfähigkeit mit seinem langfristigen Ansatz geht es darum, ausreichende öffentliche und private Mittel zu mobilisieren, auszurichten und zu sichern, um die Ziele der EU-Politiken zu erreichen. Die Bereitstellung ausreichender Ressourcen ist entscheidend für die Sicherstellung eines fairen, ausgewogenen und inklusiven Wandels, bei dem niemand zurückgelassen oder aus einem fairen Handlungsrahmen ausgegrenzt wird und bei dem die Interessen der Öffentlichkeit wie Verbraucherschutz, Gesundheit, Sicherheit und Qualität weiterhin einen hohen Stellenwert genießen.

4.4.

Die sektoralen Initiativen und Allianzen der europäischen Industrie zur Gestaltung der neuen europäischen Agenda für Kompetenzen, zur Aufstellung eines Katalogs strukturierter Maßnahmen zur Stärkung oder Anpassung bestehender Programme (Erasmus+ und eine neue europäische Agenda für Kultur) und zur Umsetzung neuer Programme müssen so bald wie möglich die EU-27 als Ganzes erfassen, sodass für geografische Vielfalt und die enge Einbindung lokaler Behörden gesorgt ist.

4.5.

Der EWSA befürwortet nachdrücklich Foren für den Dialog aller Interessenträger, die gemeinsame Entwicklung innovativer Strategien und Pilotprogramme mit Vorzeigecharakter, das gemeinsame Experimentieren, den Austausch bewährter Verfahren und die Bereitschaft zur Weiterverfolgung und genauen Bewertung der Projekte. Er weist außerdem darauf hin, dass alle Akteure der industriellen Wertschöpfungskette ebenso wie die Verbraucher mitgenommen werden müssen. Der Runde Tisch hochrangiger Vertreter der Industriepolitik, die hochrangige Gruppe für die energieintensiven Industriezweige und die hochrangige Gruppe Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sind in diesem Zusammenhang ebenfalls zu nennen.

4.6.

Entscheidend ist, die Investitionskapazität der EU zu verbessern und die Lücke zwischen der Formulierung von Sektorpolitiken und den tatsächlichen finanziellen Investitionen zu schließen, indem die Mittelzuweisungen für EFSI 2.0 und die investitionsbezogenen Strukturfonds aufgestockt werden, um Regionen und Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die in den Krisenjahren abgehängt wurden. Der jüngste Überschuss der EU im Außenhandel und derjenige der öffentlichen Hand müssen in Investitionen zur Modernisierung unserer industriellen Infrastruktur gelenkt werden und somit zu mehr Produktivität und Wirtschaftswachstum beitragen.

5.   Institutionelle Governance der Industrie in der EU

5.1.

Die langfristig angelegten Aktionspläne der EU (EU-2020, Klimaschutzpläne usw.) sollten sich in den Aktionsplänen für die Industrie widerspiegeln. Synergien zwischen verschiedenen politischen Initiativen (Kreislaufwirtschaft, Innovation, Verkehr, Handel, Qualifikationen, Regionalpolitik) würden entscheidend zu einer Maximierung ihrer Nutzwirkung beitragen.

5.2.

Transparenz ist entscheidend für den Erfolg dieses Prozesses. Die Industrie insgesamt muss handeln und informieren, indem sie belastbare (d. h. sachdienliche, überprüfbare und vergleichbare) Informationen liefert, die die präzise Einschätzung der finanziellen und nichtfinanziellen Auswirkungen der gesamten globalen Wertschöpfungskette eines Produkts zulassen.

5.3.

Die Ziele für die nachhaltige Entwicklung (17 Nachhaltigkeitsziele und die entsprechenden 169 Zielvorgaben) und das Übereinkommen von Paris über den Klimawandel sind Wegweiser in Richtung Gemeinwohl. Dessen ungeachtet besteht die dringende Notwendigkeit, die Indikatoren durch eine gemeinsame Methodik unter Verbindung quantitativer und qualitativer Parameter und durch die Monetarisierung der Wirkung von Externalitäten anzupassen und zu erweitern. Die neuen Indikatoren müssen auch solche umfassen, die die globalen Wertschöpfungsketten betreffen und die Werte der EU widerspiegeln.

5.4.

Der EWSA fordert Verhaltenskodizes für die internationalisierten Glieder der europäischen Wertschöpfungsketten wie im Falle der nachhaltigen Lebensmittel für Produkte oder Dienstleistungen, die mit der rechtlichen Ordnungspolitik oft kaum zu erreichen sind. Er fordert zudem eine engere Marktüberwachung sowie Sanktionen oder Strafen für der Nachhaltigkeit zuwiderlaufende Praktiken, wie geplante Obsoleszenz.

5.5.

Stärkung der verantwortungsvollen Forschung und Innovation als Teil eines basisnahen Ansatzes: Es bedarf genauerer Prognosen für bestimmte Sektoren, die nach Regionen gegliedert sind, und einer Abstimmung der Investitionen auf die strategischen Ziele der EU für 2030 und Prognosen bis 2050 (8). Ferner sollte die EU sicherstellen, dass die erste Anwendung von mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in der EU stattfindet. Es gilt, das 3 %-Ziel für FuE-Investitionen endlich zu erreichen (es liegt derzeit bei lediglich 1,9 % und damit unter Chinas 2,2 %). Für bahnbrechende Technologien müssen Pläne ausgearbeitet werden, in denen die Herausforderungen und Bedingungen im Zusammenhang mit deren Einführung (einschließlich der wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen) geklärt werden.

5.6.

Im mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 muss es möglichst spezifische und detaillierte Bestimmungen über zusätzliche Haushaltsmittel für jeden einzelnen Sektor, Forschung, Entwicklung und Innovation sowie die Kohäsionspolitik im Besonderen geben. Die öffentliche Unterstützung sollte in allen Phasen der Innovationsförderung erhöht werden, einschließlich Unterstützung für Start-ups, Demonstrations- und Pilotprojekte, kooperative Forschungsprojekte (RTD), Technologieverbreitung usw.

5.7.

Die EU-Kapitalmarktunion und die industrielle Entwicklung sollten es ermöglichen, dass öffentliche und private Ersparnisse auf sicheren Wegen (sozial verantwortliche Investitionen bis hin zur sozialen Verantwortung der Unternehmen) mobilisiert werden. Durch EMAS-Zertifizierungen könnte ebenso die Balance zwischen Ertrag und Nachhaltigkeitsaspekten optimiert werden.

5.8.

Bei einem gerechten Übergang in der Politik bis 2030 geht es nicht nur um Innovationen für die Menschen und Investitionen in Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer, sondern auch um gemeinsames Innovieren mit der Bevölkerung und mit den Arbeitnehmern, um ihnen gute neue Arbeitsplätze bieten zu können. Diesbezüglich unterstreicht der EWSA, dass die Fertigung technologieneutral bleiben muss.

6.   Ein ehrgeiziger Aktionsplan für die europäische Industrie

6.1.

Die Schaffung einer lernenden Gesellschaft ist eine Grundvoraussetzung für eine innovative und wettbewerbsfähige Industrie. Weil Europa nicht mit den aufstrebenden Wirtschaften bei den Lohnkosten konkurrieren kann, muss es intelligent agieren. Qualifikationen sind ebenfalls sehr wichtig: Sie dienen nicht nur der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer, sondern auch der Arbeitsplatzsicherheit, der sozialen Integration und besseren Chancen im Leben, sie sind Investitionen in die permanente Weiter- und Neuqualifizierung der Arbeitnehmer, und sie fördern eine gute Bildung, Berufsbildung und berufliche Entwicklung im Arbeitsleben. Eine ehrgeizigere „neue europäische Agenda für Kompetenzen“ ist erforderlich. Der europäische Bezugsrahmen für Schlüsselkompetenzen muss überprüft werden, um zu gewährleisten, dass die Menschen mit solchen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattet werden können, die die Wirtschaft benötigt. Dadurch würde die Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gestärkt und die nachhaltige Entwicklung gefördert (Ziel 4 der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung).

6.2.

Verbesserung des Wissenstransfers zwischen Universitäten/Forschungseinrichtungen und Industriebranchen/den Beschäftigten.

6.3.

Die KMU sind zwar oft Vorreiter bei der Entwicklung besonders innovativer Güter und Dienstleistungen, verfügen jedoch häufig nicht über die Mittel für eine breitere Markteinführung. Im Einklang mit den industriepolitischen Prioritäten der EU für 2030 wird eine umfassende Palette möglicher Anreize und Vorteile benötigt, die die Stärke des leistungsbasierten gesamteuropäischen öffentlichen Rahmens nutzen. Sie sollen sich insbesondere an KMU, aber auch an die freien Berufe als Pioniere der Bereitstellung und des Exports innovativer, hochklassiger, wissensbasierter Dienstleistungen richten:

die strategische Vergabe öffentlicher Aufträge ist ein wichtiger Hebel der Industriepolitik. Ihr Potenzial sollte in vollem Umfang genutzt werden, indem innovative, grüne, ökologische und soziale Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigt werden und nicht der niedrigste Preis als einziges Vergabekriterium herangezogen wird. Die EU sollte den Behörden diesbezüglich zur Seite stehen, indem sie ihnen mit Beratung, Einrichtung eines Helpdesk, Unterstützung bei der Planung großer Infrastrukturprojekte und Förderung des Austauschs bewährter Verfahren unterstützt;

Unterstützung der Internationalisierung;

eine Entwicklungsumgebung, in der Interessenträger-Gruppierungen experimentieren können, Unterstützung für die Vorabvalidierung innovativer Lösungen;

sektorale, horizontale und vertikale Cluster und Inkubatoren für neu gegründete Unternehmen, Förderung von Verbindungen zwischen den Akteuren der Industrie, um Ressourcen gemeinsam zu nutzen und auszutauschen;

spezialisiertes Mentoring mit hohem Mehrwert, regelmäßige Treffen zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen der Branche, um sich über Pläne und Initiativen austauschen;

Steuervergünstigungen und öffentliche Garantien zur Unterstützung von Investitionen;

usw.

6.4.

Stimulierung von Wissen und Konsolidierung neuer nachhaltiger Wirtschaftsmodelle (9) zur Förderung der sozialen Innovation (neue, auf die Menschen ausgerichtete Wege zur Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse) mithilfe fortschrittlicher Verfahren.

6.5.

Besondere Aufmerksamkeit muss den weniger entwickelten und vom industriellen Übergang betroffenen Regionen geschenkt werden. Lokale Entwicklungsagenturen und die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente müssen Motoren für das „Mikroklima“ und die „Ökosysteme“ sein, die eine zusammenführende und katalysierende Wirkung für die wachsenden Synergien zwischen verarbeitender Industrie und Dienstleistungen haben. Dabei müssen sie die Bedürfnisse der Bürger und der jeweiligen Region als Ausgangspunkt nehmen.

6.6.

Der Welthandel ist von entscheidender Bedeutung bei der Aufgabe, eine nachhaltige Industrie aufzubauen: Überprüfung und Verbesserung präferenzieller Handelsverträge und -abkommen (von GATT bis TTIP), Einführung bestimmter Bedingungen, um ein Engagement zugunsten der Nachhaltigkeit zu prämieren. Klare Regeln bei der rechtlichen und fiskalischen Steuerung, Auflösung der Unterschiede bei Offshore-Modellen, soziale und ökologische Mindestanforderungen. Die Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen (zum Beispiel Investitionen, öffentliche Vergabe, Beihilfe) sollte garantiert sein.

6.7.

Schaffung einer sektorspezifischen Agenda für den kontrollierten Übergang zu einer kohlenstoffarmen Kreislaufwirtschaft: Setzen von Zielen für Sektoren und geographische Gebiete, Einführung von Entwicklungsplänen, in denen die realen Umstände, die Auswirkungen der Energiekosten und anderen Einflussgrößen berücksichtigt werden.

6.8.

Die Anpassung der Industrie an das digitale Zeitalter wird die europäische Industrie in ein sehr stark informations- und wissensdominiertes Fertigungssystem umwandeln. Daher möchte der EWSA die folgenden Prioritäten unterstreichen:

umfängliche Förderung des Einsatzes von Informationstechnologien bei der Bewältigung gesellschaftlicher Probleme;

Entwicklung einer EU-weiten hochleistungsfähigen digitalen Infrastruktur;

Auflösung der großen Ungleichheiten zwischen den Regionen sowie zwischen großen und kleinen Unternehmen;

Beschleunigung der Entwicklung von IKT-Normen;

Berücksichtigung der sozialen Dimension der Digitalisierung: Auswirkungen auf die Qualität und die Quantität der Jobs, Regulierung der Wirtschaft des Teilens zur Verhinderung des unfairen Wettbewerbs;

die digitale Intelligenz sollte auf alle beruflichen Ebenen ausgedehnt werden, digitale Fähigkeiten sollten auf allen Bildungsebenen gefördert werden (von der Schule bis zum lebensbegleitenden Lernens);

Festlegung neuer Vorschriften für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft;

Gewährleistung der Cybersicherheit.

6.9.

Sichere, ausreichende und nachhaltige Energie ist eine wesentliche Priorität für Industrie und Gesellschaft. Strom aus erneuerbaren Energieträgern muss zu einem wettbewerbsfähigen Preis verfügbar sein. Dies erfordert ebenfalls erhebliche Investitionen in intelligente Netze und Interkonnektivität sowie in bahnbrechende Technologien zur Speicherung von Energie. Konzepte des Smart Carbon Usage werden auch dazu beitragen, als Abfallprodukt entstehenden Kohlenstoff und Wasserstoff — die bisher verbrannt werden — zur Energiegewinnung und zur Produktion synthetischer Kraftstoffe und von Chemikalien weiterzuverwenden. Der Einsatz dieser Erzeugnisse könnte erheblich beschleunigt werden. CO2-Reduzierung in der Stahlindustrie, der chemischen Industrie und im Verkehrssektor. Synthetische Kraftstoffe oder Ausgangsstoffe sollten in der Richtlinie über erneuerbare Energiequellen gefördert werden.

6.10.

Der EWSA möchte betonen, wie wichtig Aktionspläne für Branchen und Wertschöpfungsketten mit einem starken Wachstumspotential, für die strukturelle Modernisierung traditioneller Branchen und für die Unterstützung der Dekarbonisierung in den energieintensiven Industriezweigen sind.

6.11.

In der Industriepolitik wird eine besondere Aufmerksamkeit auf den Verkehrssektor gerichtet werden müssen, bei dem sich ein völlig neues Paradigma anbahnt, da viele technologische Umwälzungen zugleich stattfinden: Elektrifizierung, Digitalisierung der Produktion, vernetzte und automatisierte Autos, Integration des privaten und öffentlichen Verkehrs.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Laufende Umsetzung der Blaupause zur Branchenzusammenarbeit für Kompetenzen.

(2)  COM(2018) 97 final.

(3)  ftp://ftp.unibocconi.it/pub/RePEc/bcu/papers/iefewp69.pdf.

(4)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. Oktober 2018 zum Beitrag der EU zu einem verbindlichen Instrument der Vereinten Nationen betreffend die Rolle transnationaler und sonstiger Wirtschaftsunternehmen mit transnationalen Merkmalen im Zusammenhang mit Menschenrechtsfragen (2018/2763(RSP)) http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=TA&reference=P8-TA-2018-0382&format=XML&language=DE.

(5)  Von „-lithikum“, verwandt mit „Lysis“, lösen (vergl. Elektro-lyse), verteilen: „verteilte Informationen“.

(6)  Acemoglu, D. und P. Restrepo (2017), „Robots and jobs: evidence from US labour markets“, NBER Working Paper No 23285. Arntz M.T Gregory und Zierahn, U. (2016), The Risk of Automation for Jobs in OECD Countries: A Comparative Analysis, OECD Social, Employment and Migration Working Papers No 189, OECD Publishing, Paris.

(7)  Siehe SC/047, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 44.

(8)  Siehe dazu die EWSA-Stellungnahme SC/047, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 44.

(9)  Siehe Sondierungsstellungnahme SC/048 des EWSA (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 57).


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

538. Plenartagung des EWSA, 17.10.2018-18.10.2018

15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/24


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu a) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht

(COM(2018) 239 final — 2018/0113 (COD))

und zu b) Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 betreffend grenzübergreifende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen

(COM(2018) 241 final — 2018/0114 (COD))

(2019/C 62/04)

Berichterstatter:

Dimitris DIMITRIADIS

Mitberichterstatter:

Norbert KLUGE

Befassung

a)

Europäisches Parlament, 28.5.2018

a)

Rat, 30.5.2018

b)

Europäisches Parlament, 28.5.2018

b)

Rat, 29.5.2018

Rechtsgrundlage

a)

Artikel 50 Absatz 1 und Artikel 50 Absatz 2 Buchstaben b, c, f und g AEUV

b)

Artikel 50 Absätze 1 und 2 AEUV

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

2.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

190/2/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Vorschläge der Kommission als umfassendes Konzept, mit dem die legitimen Interessen und Bedürfnisse aller Interessenträger, KMU, Minderheitsgesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer ausgewogen berücksichtigt und geschützt werden sollen.

1.2.

Gleichzeitig muss das Ziel eines Binnenmarkts ohne Binnengrenzen für Unternehmen mit anderen Zielen der europäischen Integration in Einklang gebracht werden, wie dem sozialen Schutz, der in Artikel 3 Absatz 3 EUV, Artikel 9 und Artikel 151 AEUV und der europäischen Säule sozialer Rechte verankert ist. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass der kürzlich vorgelegte Legislativvorschlag zur Unternehmensmobilität eine gute Gelegenheit ist, eine weitergehende Debatte über die Erfordernisse und die Wirksamkeit des europäischen Gesellschaftsrechts im digitalen Zeitalter anzustoßen. Dabei müssen die Perspektiven aller Beteiligten wie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Gesellschaft als Ganzes betrachtet werden. Dies bewirkt die erwünschte Entwicklung hin zu nachhaltigen Unternehmen, die für die EU ein Wettbewerbsvorteil sind.

1.3.

Der EWSA unterstützt die Vorschläge, mit denen die internationale Wettbewerbsfähigkeit von KMU gestärkt, die Kosten reduziert sowie die Verfahren für die Eintragung, die Einreichung von Änderungen und Umwandlungen harmonisiert und vereinfacht werden sollen. Er hält es für sinnvoll, wenn die Kommission den Mitgliedstaaten Leitlinien zur Umsetzung der Richtlinien an die Hand geben würde.

1.4.

Der EWSA wendet sich gegen Schlupflöcher, die es Briefkastenfirmen ermöglichen, Rechtsvorschriften für Betrug, Steuerhinterziehung, Geldwäsche, die Aushöhlung arbeitsrechtlicher Standards und des Sozialschutzes zu missbrauchen, und die unfairem Wettbewerb Vorschub leisten. Er fordert die zuständigen Stellen nachdrücklich auf, betrügerische Praktiken zu ermitteln und zu ahnden. Der EWSA unterstützt den Vorschlag, die Möglichkeit der Eintragung auf den Mitgliedstaat zu beschränken, zu dem das Unternehmen eine tatsächliche Verbindung hat.

1.5.

Der EWSA spricht sich für Transparenz, Sicherheit und Rechtssicherheit aus. Er betont die Bedeutung einer wirksamen Überprüfung der Identität, die bei der Errichtung von Gesellschaften obligatorisch und in jedem Fall vor der Eintragung erfolgen muss. Für eine wirksame Überprüfung der Identität und verlässliche Informationen mit umfassenden Standards für wirtschaftliche Eigentümer müssen die Mitgliedstaaten uneingeschränkt die EU-Standards einhalten bzw. gleichwertige Standards anwenden.

1.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vorlage einer gescannten Kopie eines Passes, eines Personalausweises oder einer Vollmacht nicht akzeptiert werden sollte und die Rechtssicherheit untergräbt. Formulare für Vollmachten sollten öffentliche Dokumente sein, und die Vollmachten sollten vor der Eintragung der Informationen eingehend geprüft werden. In den nationalen Registern eingetragene juristische Personen sollten die Eintragung und die Einreichung dann online vornehmen dürfen, wenn sie von einer natürlichen Person als rechtlichem Vertreter vertreten werden. Eine Holdinggesellschaft wäre in dieser Funktion nicht zulässig.

1.7.

Der EWSA begrüßt den Grundsatz der einmaligen Erfassung, durch den den KMU eine Mehrfacheintragung und mehrfache offizielle Veröffentlichungen erspart bleiben, wobei die nationalen Register zugleich die Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit der von ihnen veröffentlichten Dokumente und Informationen gewährleisten.

1.8.

Der EWSA betont, wie wichtig der Kostenfaktor für Kleinstbetriebe sowie KMU ist, die weder die Kapazitäten noch die nötigen Instrumente haben, um die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft zu bewältigen. Eine einfache Eintragung und grenzübergreifende Mobilität werden es ihnen ermöglichen, die Vorteile des digitalen Binnenmarkts umfassend zu nutzen, und ihren Verwaltungsaufwand reduzieren. Der EWSA unterstützt die Initiative, dass von Unternehmensregistern übermittelte Urkunden und Angaben als „gleichlautende Kopien“ betrachtet werden sollen. Allerdings sollten die tatsächlichen Verwaltungsgebühren, die beim Handelsregister entrichtet werden müssen, transparent und nachvollziehbar sein und dürfen den Zugang nicht beeinträchtigen.

1.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass zum Zweck der Bestätigung von Unternehmensinformationen, etwa wenn Personen als ungeeignet für die Aufgabe des Geschäftsführers erklärt werden sollen, ein kostenloser und unkomplizierter grenzüberschreitender Zugang zu den Unternehmensregistern nötig ist. Dies ist erforderlich, um Unternehmensinformationen überprüfen und grenzüberschreitenden Betrug eindämmen zu können.

1.10.

Der EWSA begrüßt, dass im Vorschlag der Kommission ausdrücklich die Stellung der Notare in vielen Mitgliedstaaten anerkannt wird, wenn es um die Gewährleistung von Rechtssicherheit, die Rechtsberatung sowie die Verhinderung von Betrug und Missbrauch in einem zunehmend digitalisierten wirtschaftlichen Umfeld geht. Der EWSA ist insbesondere der Auffassung, dass die Verhütung von Betrug und Missbrauch eine wirtschaftliche Tätigkeit nicht behindert, sondern vielmehr eine Voraussetzung für einen fairen und transparenten EU-Binnenmarkt ist, in dem Kleinstunternehmen über gleiche Chancen verfügen und in einem fairen und günstigen Umfeld um Kunden werben können, indem sie die besten Produkte und Dienstleistungen zum Nutzen aller Marktteilnehmer anbieten.

1.11.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, die grenzüberschreitende Mobilität von Unternehmen zu erleichtern, in dem klare Bedingungen in Form sekundärer Rechtsvorschriften festgelegt werden. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union allerdings in seiner Rechtsprechung festgestellt hat, sollte deutlich gemacht werden, dass es an sich keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit darstellt, wenn ein Unternehmen bestrebt ist, die Vorteile einer günstigeren Gesetzgebung zu nutzen. Mobilität von Unternehmen trägt zur Schaffung von Arbeitsplätzen in der gesamten EU bei. Es sollten jedoch auch die nachteiligen Auswirkungen von Umwandlungen, Spaltungen und Verschmelzungen auf die lokalen und regionalen Arbeitsmärkte berücksichtigt werden.

1.12.

Der EWSA schlägt vor, dass die Kommission auf die Abweichungen zwischen der Richtlinie 2005/56/EG über die grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften und den vorgeschlagenen Verfahren für grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen mit Blick auf mögliche Folgen für ihre Effektivität und Attraktivität achtet.

1.13.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das neue Verfahren für die Verlegung des Unternehmenssitzes (grenzüberschreitende Umwandlung) zu Rechtssicherheit führen wird, da im Wegzugs- und im Zuzugsmitgliedstaat Vorabkontrollen durchgeführt werden, welche in letzterem Fall auf die Prüfung der Einhaltung seiner Anforderungen in Bezug auf die Verbundenheit einer umgewandelten Gesellschaft mit seiner nationalen Rechtsordnung beschränkt sein sollten. Er hält zudem eine allgemeine Klausel zur Verhinderung des Missbrauchs des Niederlassungsrechts für sinnvoll.

1.14.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen in betrügerischer Weise gebraucht werden können, und unterstützt deshalb den Vorschlag der Kommission. Allerdings bleibt unklar, was eine „künstliche Gestaltung“ sein soll. Der EWSA schlägt deshalb vor, den Ausdruck „künstliche Gestaltung“ zu klären und dazu Kriterien bzw. Indikatoren für betrügerische Praktiken oder ungerechtfertigte Steuervorteile aufzustellen, die die Rechtssicherheit, den fairen Wettbewerb und den Sozialschutz beeinträchtigen.

1.15.

Der EWSA begrüßt, dass kleine Unternehmen und Kleinstunternehmen von der Prüfung durch einen unabhängigen Sachverständigen ausgenommen sind, da die Kosten für den Bericht eines unabhängigen Sachverständigen zu hoch für sie wären. Er ist der Auffassung, dass ein solcher Bericht nur von großen Unternehmen vorgelegt werden sollte, die eine grenzüberschreitende Umwandlung, Spaltung oder Verschmelzung anstreben.

1.16.

Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, die geltenden Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer zu schützen. Allerdings sollte der Stellenwert der europäischen Betriebsräte bei Veränderungen in größeren Unternehmen im Sinne der Richtlinie 2009/38/EG gestärkt werden.

1.17.

Der EWSA begrüßt die Einführung harmonisierter Regeln für den Schutz von Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern, die in der Richtlinie 2005/56/EG noch nicht vorgesehen waren.

1.18.

Der EWSA betont, dass alle digitalen Instrumente und Verfahren für die Zwecke dieser Vorschläge umfassend zugänglich sein sollten, vor allem für Menschen mit einer Sehbehinderung.

2.   Vorschläge der Kommission

2.1.

Die Kommission hat ein umfassendes Paket an Maßnahmen (1) , (2) für ein faires, Chancen eröffnendes und modernes Gesellschaftsrecht in der EU vorgelegt.

2.2.

Derzeit umfasst das Gesellschaftsrecht der EU (3) gewisse Digitalisierungselemente, etwa die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Informationen über Kapitalgesellschaften online zugänglich zu machen. Diese Anforderungen sind jedoch von beschränkter Tragweite und unpräzise, sodass sie auf nationaler Ebene sehr unterschiedlich umgesetzt werden.

2.3.

Der Vorschlag (4) soll für mehr digitale Lösungen für Unternehmen im Binnenmarkt und mehr Chancengleichheit für Unternehmen in der EU sorgen und gleichzeitig sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten über die notwendige Flexibilität verfügen, um ihre nationalen Systeme anzupassen und ihre rechtlichen Traditionen zu wahren. Die Mitgliedstaaten sollten den reibungslosen Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht ermöglichen und fördern, sodass die Mitgliedstaaten ihre existierenden Systeme der Ex-ante-Kontrolle in das digitale Zeitalter überführen können.

2.4.

Dieser Vorschlag verfolgt das übergreifende Ziel, während des gesamten Lebenszyklus einer Gesellschaft ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes bei Behördenkontakten im Zusammenhang mit der Eintragung der Gesellschaft oder von Zweigniederlassungen sowie im Zusammenhang mit der Einreichung von Informationen zu gewährleisten, und zwar für das gesamte EU-Gebiet.

2.5.

Die Niederlassungsfreiheit spielt für die Entwicklung des Binnenmarkts eine entscheidende Rolle, da sie Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft die Möglichkeit bietet, ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten in anderen Mitgliedstaaten dauerhaft auszuüben. In der Praxis gestaltet sich die Niederlassungsfreiheit für Unternehmen jedoch nach wie vor schwierig, insbesondere für KMU, wie auch in der Binnenmarktstrategie (5) von 2015 festgestellt wurde. Da die Vorschriften für bestimmte grenzüberschreitende Vorhaben von Unternehmen aber keine ausreichende Rechtssicherheit bieten und zum Teil unangemessen und unvollständig sind, bieten sie keinen klaren Rahmen, der diesen Interessenträgern einen wirksamen Schutz bieten würde.

2.6.

Eine grenzüberschreitende Umwandlung bietet Gesellschaften, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen wollen, ohne ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren und ihre Geschäftsverträge neu aushandeln zu müssen, eine effiziente Lösung. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat festgestellt (6), dass die in Artikel 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben, das Recht begründet, ihren Sitz durch grenzüberschreitende Umwandlung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, ohne dabei ihre Rechtspersönlichkeit zu verlieren. In seinem kürzlich ergangenen Urteil in der Rechtssache Polbud (7) bestätigte der Gerichtshof das Recht von Gesellschaften, auf der Grundlage der Niederlassungsfreiheit grenzüberschreitende Umwandlungen vorzunehmen.

2.7.

Nach den Entscheidungen des Gerichtshofes (8) sind die einheitlichen Vorschriften für grenzüberschreitende Umwandlungen (9) hauptsächlich auf die beiden folgenden Ziele auszurichten:

es Gesellschaften, insbesondere Klein- und Kleinstunternehmen, zu ermöglichen, in geordneter, effizienter und wirksamer Weise grenzüberschreitende Umwandlungen vorzunehmen;

die am stärksten betroffenen Interessenträger, wie Arbeitnehmer, Gläubiger und Gesellschafter, in geeigneter und angemessener Weise zu schützen.

2.8.

Der Vorschlag enthält zudem einheitliche Vorschriften für den Schutz der Gläubiger und Gesellschafter. Die Gesellschaft muss die für die Gläubiger und Gesellschafter vorgesehenen Schutzvorkehrungen bei der Erstellung des Umwandlungsplans aufnehmen. Die Vorschriften ergänzen zudem jüngste Initiativen zur Stärkung der Vorschriften für die Entsendung von Arbeitnehmern und der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug sowie den Vorschlag der Kommission für eine Europäische Arbeitsbehörde.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Mit der Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates (10) werden die geltenden Richtlinien über das EU-Gesellschaftsrecht kodifiziert. Die Richtlinie trat am 20. Juli 2017 in Kraft und nicht einmal ein Jahr danach legte die Europäische Kommission neue Vorschläge für die Modernisierung des EU-Gesellschaftsrechts vor.

3.2.

Der EWSA begrüßt diese Initiativen der Europäischen Kommission sowie das Einvernehmen zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten darüber, dass die Digitalisierung vorangetrieben werden muss, damit die Strategie für einen digitalen Binnenmarkt von 2015 (11) und der Aktionsplan für elektronische Behördendienste von 2016 (12) umgesetzt werden können.

3.3.

Die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 gehen in die richtige Richtung, um zu erreichen, dass EU-Unternehmen Unternehmen anderer Industriestaaten mit starker digitaler Tradition, etwa der USA, Kanadas und Australiens, gleichgestellt werden. Die Unternehmen müssen in einem sicheren rechtlichen und administrativen Umfeld operieren können, das den neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen einer globalisierten und digitalen Welt gerecht wird, zugleich aber auch anderen legitimen öffentlichen Interessen, wie dem Schutz von Arbeitnehmern, Gläubigern und Minderheitsgesellschaftern, dient und die notwendigen Schutzbestimmungen aufweist, sodass die Behörden wirksam gegen Betrug und Missbrauch vorgehen können, etwa durch die Übermittlung steuerlicher Daten im Rahmen der Verwaltungszusammenarbeit (13). Zudem muss die Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit der in den nationalen Registern vorhandenen Dokumente und Angaben gewährleistet sein.

3.4.

Allerdings sollten gewisse Änderungen vorgenommen werden, um den Verwaltungsaufwand und die Kosten für die Umsetzung der vorgeschlagenen Initiativen für Kleinstunternehmen und KMU zu senken.

3.5.   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht — COM(2018) 239 final

3.5.1.

Der EWSA begrüßt den Legislativvorschlag (14), während des gesamten Lebenszyklus einer Gesellschaft ein reibungsloses Funktionieren des EU-Binnenmarktes bei Behördenkontakten im Zusammenhang mit der Eintragung der Gesellschaft oder von Zweigniederlassungen sowie im Zusammenhang mit der Einreichung von Informationen zu gewährleisten.

3.5.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts zu ehrlichen, transparenten und effizienten Verfahren beiträgt. Sie ist kein Selbstzweck, sondern muss den Interessen der Unternehmen, insbesondere der Kleinstunternehmen, dienen. Der Legislativvorschlag zur Verwendung digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht sollte deshalb die bereits erwähnten Grundmerkmale eines modernen EU-Gesellschaftsrechts im digitalen Zeitalter aufweisen, insbesondere Rechtssicherheit und Verhütung von Missbrauch, verlässliche Informationen mit umfassenden Standards für wirtschaftliche Eigentümer, Präventivkontrollen und transparente Unternehmensstrukturen mithilfe verlässlicher Unternehmensregister. Nur unter diesen Bedingungen kann das Potenzial der Digitalisierung umfassend genutzt werden und können Kleinstunternehmen von gleichen Bedingungen im digitalen Bereich profitieren, um Wachstum und Beschäftigung in der EU zu schaffen.

3.5.3.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission die Existenz von Hürden anerkennt, die für Unternehmer, die ein neues Unternehmen gründen oder ihr Unternehmen durch Eintragung von Zweigstellen erweitern wollen, unnötigen Verwaltungsaufwand und Kosten mit sich bringen, und dass sie Vorschläge zu deren Beseitigung unterbreitet. Dabei müssen folgende Hürden beseitigt werden:

a)

Die Online-Eintragung einer Gesellschaft oder Zweigniederlassung ist je nach einzelstaatlichem Recht zulässig, verboten oder vorgeschrieben, wodurch sich ein bunter Flickenteppich an Regelungen ergibt, der problematisch für KMU ist (15).

b)

Mehrfache Veröffentlichung von Unternehmensdaten und Einreichung von Jahresabschlüssen von Zweigniederlassungen in den einzelstaatlichen Amtsblättern, in denen es Zweigniederlassungen gibt.

c)

Unterschiedliche Regelungen für den Zugriff auf gesellschaftsspezifische Informationen in den einzelstaatlichen Registern für Dritte (Investoren, Bürger, andere Gesellschaften), etwa in Bezug auf die Frage, welche Informationen kostenlos und welche kostenpflichtig bereitgestellt werden.

3.5.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Förderung der Digitalisierung aus folgenden Gründen sehr wichtig ist:

a)

Die Online-Eintragung ist in der Regel billiger, schneller und effizienter als die persönliche Beantragung auf Papier (16).

b)

Die Initiative ist vollständig kohärent mit den bestehenden digitalen Elementen des EU-Gesellschaftsrechts und baut auf ihnen auf, insbesondere auf dem System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (Business Registers Interconnection System, BRIS), das auf rechtlichen Verpflichtungen gemäß der Richtlinie 2012/17/EU (17) sowie der Durchführungsverordnung (EU) 2015/884 (18) der Kommission beruht.

c)

Der vorliegende Vorschlag ergänzt den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über die Einrichtung eines zentralen digitalen Zugangstors, die die allgemeine Online-Registrierung einer Geschäftstätigkeit mit Ausnahme der Gründung von Kapitalgesellschaften abdeckt. Dieser Vorschlag stellt gegenüber dem zentralen digitalen Zugangstor (19) ein besonderes Gesetz (lex specialis) dar.

3.5.5.

Bedenken wegen möglichen Betrugs und Missbrauchs, insbesondere mithilfe von Briefkastenfirmen, sollten aus verschiedenen Gründen nicht davon abhalten, den Vorschlag zu unterstützen. Es sollte Sache der Mitgliedstaaten sein, diese Bedenken auszuräumen, indem sie die Voraussetzungen für die Gründung von Unternehmen regeln, einschließlich einer obligatorischen gerichtlichen, notariellen bzw. administrativen Kontrolle der Unternehmenssatzung (20). Die Europäische Union hat bereits eine Reihe von Maßnahmen gegen Steuerumgehung durch Unternehmen verabschiedet, etwa die obligatorische Offenlegung von Steuerplanungsmodellen durch Intermediäre, die Übermittlung steuerlicher Daten im Rahmen der Verwaltungszusammenarbeit (21) sowie die obligatorische Anerkennung eines aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden eIDAS-kompatiblen elektronischen Mittels zur Identifizierung von Unionsbürgern.

3.5.6.

Der EWSA unterstützt die Bestimmung, wonach Mitgliedstaaten die physische Anwesenheit maßgeblicher Personen bei einer zuständigen Behörde vorschreiben können, als letzte Sicherheit gegen Betrug, allerdings nur in Fällen, in denen dies aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Der EWSA ist der Auffassung, dass dieses digitale Verfahren nicht von Holdinggesellschaften bzw. im Fall von Vertretern mit Vollmachten angewandt werden sollte, mit deren Hilfe die tatsächlichen Beteiligten verschleiert werden könnten, und warnt vor Identitätsdiebstahl.

3.5.7.

Der EWSA begrüßt, dass im Vorschlag der Europäischen Kommission ausdrücklich die Stellung der Notare in vielen Mitgliedstaaten anerkannt wird, wenn es um die Gewährleistung von Rechtssicherheit, die Rechtsberatung sowie die Verhinderung von Betrug und Missbrauch in einem zunehmend digitalisierten wirtschaftlichen Umfeld geht. Der EWSA ist insbesondere der Auffassung, dass die Verhütung von Betrug und Missbrauch eine wirtschaftliche Tätigkeit nicht behindert, sondern vielmehr eine Voraussetzung für einen fairen und transparenten EU-Binnenmarkt ist, in dem Kleinstunternehmen über gleiche Chancen verfügen und in einem fairen und günstigen Umfeld um Kunden werben können, indem sie die besten Produkte und Dienstleistungen zum Nutzen aller Marktteilnehmer anbieten.

Zur Gewährleistung von Rechtssicherheit und zur Verhütung von Betrug sollte es zulässig sein, dass die Mitgliedstaaten vorbeugende Kontrollen durch zuständige Behörden und/oder Notare während der gesamten Bestehenszeit von Unternehmen vorsehen, auch wenn Dokumentvorlagen verwendet werden, sofern das Verfahren vollständig online durchgeführt werden kann. Die Online-Einreichung von Unterlagen und der automatische Austausch von Auszügen aus den Unternehmensregistern dürfen die im nationalen Recht des Eintragungsstaats geltenden Erfordernisse in Bezug auf Form und Richtigkeit der eingereichten Dokumente nicht beeinträchtigen.

3.5.8.

Der EWSA begrüßt deshalb den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht auf der Grundlage des Grundsatzes der einmaligen Erfassung zu fördern. Dieser beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, die nach wie vor eigene nationale Anforderungen für die Errichtung eines Unternehmens anwenden.

3.6.   Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen — COM(2018) 241 final

3.6.1.

Mit dem Vorschlag sollen klare Regeln aufgestellt und das Gesellschaftsrecht an die grenzübergreifende Mobilität von Unternehmen in der EU angepasst werden. Mit dem Vorschlag wird ein ausgewogenes Verhältnis geschaffen zwischen den spezifischen Regeln und Verfahren für grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeiten, mit denen das Potenzial des Binnenmarktes ausgeschöpft werden soll, einerseits und dem Schutz aller von der Unternehmenstätigkeit betroffenen Interessenträger vor Missbrauch, insbesondere der Arbeitnehmer, Gläubiger und Minderheitsgesellschafter.

3.6.2.

Der EWSA unterstützt grenzüberschreitende Umwandlungen (22) in der EU sowie die Tatsache, dass das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache Polbud (23) (2017) Eingang in den Vorschlag gefunden hat. In der Rechtssache Polbud hatte der Gerichtshof festgestellt, dass eine nationale Regelung, die für eine grenzüberschreitende Verlegung die Durchführung eines Liquidationsverfahrens vorschreibt, eine ungerechtfertigte und unverhältnismäßige Einschränkung darstellt und daher als unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit anzusehen ist. Die allgemeine, vom Staat festgelegte Pflicht zur Durchführung eines Liquidationsverfahrens kommt einer allgemeinen Missbrauchsvermutung gleich und ist daher als unverhältnismäßig anzusehen. Die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft ohne Verlegung ihres tatsächlichen Sitzes fällt unter die vom Unionsrecht geschützte Niederlassungsfreiheit. Der Gerichtshof bekräftigte deshalb das Recht einer Gesellschaft, nur den satzungsmäßigen Sitz, nicht jedoch den tatsächlichen Sitz von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlegen, selbst wenn diese Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit im Wesentlichen oder ausschließlich im ersten Mitgliedstaat ausübt. Es stellt an sich keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit dar, wenn Polbud anstrebt, in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen.

3.6.3.

Der EWSA unterstützt grundsätzlich die Einrichtung eines Verfahrens, mit dem solche Umwandlungen ermöglicht werden sollen, sowie die Festlegung der materiellrechtlichen Voraussetzungen, mit der die aus der Vielfalt der nationalen Regeln resultierende mangelnde Rechtssicherheit beseitigt werden soll, die sich negativ auf Unternehmen, Interessenträger und Mitgliedstaaten auswirkt. Die nationalen Rechtsvorschriften sind — soweit vorhanden — häufig unvereinbar oder nur schwer miteinander zu vereinbaren. Darüber hinaus sind grenzüberschreitende Umwandlungen in mehr als der Hälfte der Mitgliedstaaten nicht zulässig. Das ist insbesondere für KMU problematisch, da sie häufig nicht über ausreichende Ressourcen verfügen, um die erforderlichen grenzüberschreitenden Verfahren mittels kostspieliger und komplizierter Alternativmethoden durchzuführen.

3.6.4.

Zu Beginn des Verfahrens stellt die zuständige Behörde des Wegzugsmitgliedstaats innerhalb eines Monats eine Vorabbescheinigung aus. Bestehen ernsthafte Bedenken, führt die Behörde innerhalb eines Monats eine eingehende Prüfung durch. Am Ende des Verfahrens erfolgt die Eintragung der umgewandelten Gesellschaft im Zuzugsmitgliedstaat unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Informationen, sofern die Gesellschaft die Vorschriften in Bezug auf die Eintragung und den Schutz der Arbeitnehmer erfüllt. Die Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden wird über das System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (BRIS) erfolgen. Die Beteiligung der Arbeitnehmer ist insofern sichergestellt, als diese einen Anspruch darauf haben, rechtzeitig von der Gesellschaft informiert und konsultiert zu werden. Der Schutz der Arbeitnehmer kann auch durch die Behörde des Zuzugsmitgliedstaats bestätigt werden. Hier spielen die europäischen Betriebsräte eine wichtige Rolle.

3.6.5.

Der EWSA äußert Bedenken, ob ein recht langes und kostspieliges Verfahren die Kriterien für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit in einem anderen Mitgliedstaat erfüllt und mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache C-106/16 (Polbud) vereinbar ist. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass der Gerichtshof Artikel 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU ausgelegt und den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zugrunde gelegt hat. Demnach leitet sich das Recht von Unternehmen auf grenzübergreifende Umwandlungen aus dem Vertrag ab, und die Mitgliedstaaten (und EU-Institutionen) müssen darauf achten, dass sie nicht dagegen verstoßen. Der EWSA unterstützt deshalb das Verfahren für die Verlegung des Unternehmenssitzes (grenzüberschreitende Umwandlung) im Wegzugsmitgliedstaat, empfiehlt jedoch, dass das Verfahren im Zuzugsmitgliedstaat (Artikel 86p) auf die Vorabprüfung der Einhaltung seiner Anforderungen in Bezug auf die Verbundenheit einer umgewandelten Gesellschaft mit seiner nationalen Rechtsordnung beschränkt sein sollte (24). Es sollte jedoch eine allgemeine Klausel zur Verhinderung des Missbrauchs des Niederlassungsrechts geben. Auf diese Weise wird das neue Verfahren über seine erklärten Ziele hinaus keine unnötigen Belastungen mit sich bringen, und der Zuzugsmitgliedstaat erhält zugleich die Möglichkeit, sogar nach der Umwandlung Kontrollen wegen eines möglichen Missbrauchs vorzunehmen.

3.6.6.

Darüber hinaus muss der Begriff der „künstlichen Gestaltung“ eines Unternehmens in einem Mitgliedstaat mit dem Ziel, unrechtmäßige Steuervorteile zu erlangen, präzisiert werden. Dieser Begriff wurde vor allem vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelt und taucht in den Erwägungsgründen sowie in Artikel 86c Absatz 3 auf. Es handelt sich hierbei um ein grundlegendes Konzept, auf dessen Grundlage die Freiheit der Niederlassung eines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen oder verboten werden kann. Dazu müssen eindeutige Kriterien und Indikatoren festgelegt werden, damit eine echte wirtschaftliche Tätigkeit auf der Grundlage fundierter ökonomischer Entscheidungen nicht behindert wird, wie im Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache Polbud festgestellt.

3.6.7.

Grenzüberschreitende Verschmelzungen (25): Der Vorschlag beruht auf den positiven Erfahrungen mit der Richtlinie 2005/56/EG (26) über die Verschmelzung von Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, in der es nur um Kapitalgesellschaften geht, und beseitigt deren Mängel. Mit dem Vorschlag werden deshalb einheitliche materiellrechtliche Vorschriften zum Schutz von Gläubigern und Gesellschaftern eingeführt, während es in der Richtlinie 2005/56/EG nur um Verfahrensregeln ging, etwa um die Pflicht zur Unterrichtung der Gläubiger, wobei der materiellrechtliche Schutz weiterhin Sache der Mitgliedstaaten war. Der Vorschlag enthält die neue Forderung, dass im Verschmelzungsplan Folgendes konkretisiert wird:

Schutzmaßnahmen für Gläubiger: In dem Vorschlag wird die Vermutung eingeführt, dass Gläubigern kein Nachteil entsteht, wenn sie von einem Sicherungsgeber oder der hervorgehenden Gesellschaft ausgezahlt werden, was von einem unabhängigen Sachverständigen in einer Prüfung ihrer Situation festzustellen ist.

Gesellschafter, die nicht für die grenzüberschreitende Verschmelzung gestimmt haben oder nicht stimmberechtigt sind, sollen das Recht haben, die Gesellschaft zu verlassen, eine angemessene Entschädigung zu erhalten und das Umtauschverhältnis der Gesellschaftsanteile bei einem nationalen Gericht anzufechten.

3.6.8.

Der EWSA stimmt auch anderen Elementen des Kommissionsvorschlags zu:

a)

Einheitliche Vorschriften über die detaillierte und umfassende Unterrichtung der Arbeitnehmer über die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung. Die Richtlinie 2005/56/EG sah nur die Beteiligung der Arbeitnehmer am Aufsichtsorgan sowie einen Managementbericht über die Situation der Arbeitnehmer vor.

b)

Einheitliche Vorschriften für ein vereinfachtes Verfahren für weniger komplexe Verschmelzungen oder Verzicht auf den Bericht des unabhängigen Sachverständigen mit Einverständnis aller Gesellschafter oder während einer Verschmelzung zwischen einer Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft.

c)

Verknüpfung von Unternehmensregistern zum Informationsaustausch — Einsatz digitaler Werkzeuge.

3.6.9.

Grenzüberschreitende Spaltungen (27): In nur 13 Mitgliedstaaten gibt es Vorschriften, die unterschiedlich oder miteinander unvereinbar sind. Obwohl Spaltungen wichtig für das Wachstum sind, gibt es keine EU-weite Vereinheitlichung. Um Missbrauch zu verhindern und die Interessenträger zu schützen, ist ein EU-Rechtsrahmen für Kapitalgesellschaften nötig, ähnlich wie bei grenzübergreifenden Umwandlungen. Hier ist ein zweistufiges Verfahren zu schaffen. Zunächst sind ein Spaltungsplan sowie zwei Berichte mit ausführlichen Erläuterungen zu den Auswirkungen der Spaltung auf Gläubiger und Arbeitnehmer zu erstellen. Für mittlere und große Unternehmen ist zusätzlich der Bericht des unabhängigen Sachverständigen erforderlich. Dies ist nur ein erster Schritt, und der Vorschlag sollte nach Auffassung des EWSA auch grenzüberschreitende Spaltungen durch Übernahme des Aktiv- und Passivvermögens bestehender Unternehmen umfassen, nicht nur die Fälle, in denen eine neue Gesellschaft gegründet wird.

3.6.10.

Gegenwärtig unterscheiden sich die nationalen Vorschriften in den Mitgliedstaaten erheblich bzw. erfordern mitunter umständliche Verwaltungsverfahren, die die Kommission im neuen Vorschlag durchgängig entschlacken sollte, um Unternehmen nicht von der Ergreifung neuer Chancen abzuhalten. Der EWSA unterstützt zwar die neuen Vorschriften und Verfahren, doch müssen diese sorgfältig geprüft werden, damit sie keinen zusätzlichen Verwaltungsaufwand und keine zusätzlichen Kosten mit sich bringen, die über die gesetzten Ziele in Bezug auf Schutz der Arbeitnehmer, Gläubiger und Gesellschafter hinausgehen.

3.6.11.

Der EWSA begrüßt, dass Kleinstunternehmen und kleine Unternehmen nach Artikel 86 g des Vorschlags von der Prüfung durch den unabhängigen Sachverständigen ausgenommen sind, da die Kosten für den Bericht eines unabhängigen Sachverständigen eine zu große Belastung für Kleinstunternehmen und KMU darstellen würden.

3.6.12.

Der EWSA betont, dass unabhängige Sachverständige bei der Prüfung und Zusammentragung der Unternehmensunterlagen in einem schriftlichen Bericht zur Aufdeckung von Betrug nur in großen Unternehmen sinnvoll sind, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, etwa eine wirksame interne Kontrollstruktur und Standardarbeitsverfahren zur Verhinderung und Eindämmung möglicher Interessenkonflikte und zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Berichte mit Blick auf die Interessenträger.

3.6.13.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich den Vorschlag der Europäischen Kommission, durch den zum ersten Mal ein Verfahren für eine grenzüberschreitende Umwandlung geschaffen wird und der die bereits existierenden Verfahren für grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen durch einen verstärkten Schutz der Interessenträger ergänzt. Allerdings können die sich daraus ergebenden Unterschiede zwischen den Verfahren für grenzüberschreitende Verschmelzungen einerseits und grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen andererseits die Attraktivität letzterer schmälern. Der EWSA schlägt vor, dass die Kommission diese Auswirkungen prüft.

3.6.14.

Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, die geltenden Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer zu schützen. Der EWSA ist der Auffassung, dass in dem Unternehmen, das aus einer grenzüberschreitenden Umwandlung hervorgegangen ist, weiterhin in jeder Hinsicht mindestens dasselbe Niveau der Arbeitnehmerbeteiligung gelten muss, wie nach dem Recht des Wegzugsmitgliedstaats vorgesehen, und zwar gemäß den Verfahren und Standardregeln in der Richtlinie 2001/86/EG (28).

3.6.15.

Der EWSA hebt den hohen Stellenwert der europäischen Betriebsräte in großen Unternehmen, die umgewandelt werden sollen, hervor und fordert deren verstärkte Einbeziehung im Einklang mit der Richtlinie 2009/38/EG (29).

3.7.

Generell betont der EWSA, dass alle digitalen Instrumente und Verfahren für die Zwecke dieser Vorschläge für Menschen mit Behinderungen umfassend zugänglich sein sollten, vor allem für Menschen mit einer Sehbehinderung.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 239 final.

(2)  COM(2018) 241 final.

(3)  Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (ABl. L 169 vom 30.6.2017, S. 46).

(4)  COM(2018) 239 final.

(5)  COM(2015) 550 final.

(6)  Cartesio, Rs. C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723, Rdnrn. 109 bis 112; VALE, Rs. C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440, Rdnr. 32.

(7)  Polbud — Wykonawstwo, Rs. C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804.

(8)  Siehe Fußnoten 6 und 7.

(9)  COM(2018) 241 final.

(10)  ABl. L 169 vom 30.6.2017, S. 46.

(11)  COM(2015) 192 final.

(12)  COM(2016) 179 final.

(13)  Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (ABl. L 64 vom 11.3.2011, S. 1).

(14)  COM(2018) 239 final.

(15)  COM(2018) 241, S 3.

(16)  COM(2018) 241, S. 5.

(17)  ABl. L 156 vom 16.6.2012, S. 1.

(18)  ABl. L 144 vom 10.6.2015, S. 1.

(19)  COM(2017) 256 final.

(20)  Artikel 10 der kodifizierten Richtlinie zum Gesellschaftsrecht (EU) 2017/1132.

(21)  Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG (ABl. L 64 vom 11.3.2011, S. 1).

(22)  Ein Verfahren, bei dem eine Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet und eingetragen wurde, ohne Abwicklung oder Liquidation und unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit in eine andere Gesellschaft umgewandelt wird, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründet und eingetragen wird.

(23)  Rechtssache C-106/16. ECLI:EU:C:2017:804. Polbud war eine Gesellschaft mit Sitz in Polen, die ihren Gesellschaftssitz nach Luxemburg verlegen wollte, ohne zugleich den tatsächlichen Sitz zu verlegen. Die Eröffnung des Liquidationsverfahrens wurde ins polnische Handelsregister eingetragen, und es wurde ein Liquidator bestellt. 2013 wurde der satzungsmäßige Sitz von Polbud nach Luxemburg verlegt. Polbud wurde zu Consoil Geotechnik Sàrl, einer Gesellschaft luxemburgischen Rechts. Außerdem beantragte Polbud beim polnischen Registergericht die Löschung im polnischen Handelsregister. Dieser Löschungsantrag wurde vom Registergericht abgelehnt. Gegen diesen Beschluss erhob Polbud Klage. Der im Rechtsmittelverfahren mit der Sache befasste Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof, Polen) möchte vom Gerichtshof zunächst wissen, ob die Niederlassungsfreiheit für die Verlegung lediglich des satzungsmäßigen Sitzes einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat gilt, wenn die Gesellschaft ohne Verlegung ihres tatsächlichen Sitzes in eine dem Recht dieses anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft umgewandelt wird. Siehe auch https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2017-10/cp170112de.pdf

(24)  Urteile des Gerichtshofes in den Rechtssachen C-378/10, Vale Epitesi, EU:C:2012:440, Randnr. 31, und Polbud C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804, Randnrn. 33, 35, 44.

(25)  Ein Verfahren, bei dem zwei oder mehr Gesellschaften aus zwei oder mehr Mitgliedstaaten ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf eine bereits bestehende (übernehmende) oder eine neue Gesellschaft übertragen.

(26)  Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten. Sie ist nun in der Kodifizierungsrichtlinie von 2017 enthalten.

(27)  Ein Verfahren, bei dem eine Gesellschaft ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen oder einen Teil davon aufteilt und auf eine bereits bestehende oder eine neue Gesellschaft bzw. bereits bestehende oder neue Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat überträgt.

(28)  Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (ABl. L 294 vom 10.11.2001, S. 22).

(29)  Richtlinie 2009/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (Neufassung) (ABl. L 122 vom 16.5.2009, S. 28).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/33


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont Europa“ sowie über die Regeln für die Beteiligung und die Verbreitung der Ergebnisse

(COM(2018) 435 final — 2018/0224 (COD))

und Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Spezifische Programm zur Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation „Horizont Europa“

(COM(2018) 436 final — 2018/0225 (COD))

(2019/C 62/05)

Berichterstatter:

Gonçalo LOBO XAVIER

Befassung

a)

Europäisches Parlament, 14.6.2018

Rat, 25/06/2018

b)

Europäisches Parlament, 14.6.2018

Rat, 27.6.2018

Rechtsgrundlage

a)

Artikel 173 Absatz 3, Artikel 182 Absätze 1, 4 und 5, Artikel 188 AEUV sowie Artikel 7 Absatz 5 EURATOM-Vertrag

b)

Artikel 173 Absatz 3, Artikel 182 Absatz 4 AEUV

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

2.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

187/1/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die von der Europäischen Kommission vorgenommene Klarstellung, dass Forschung und Innovation (FuI) auch im Rahmen des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 eine wesentliche Priorität der EU bleiben muss. Der EWSA ist sehr erfreut, dass viele der Empfehlungen, die er anlässlich der Halbzeitbewertung von Horizont 2020 zu Bereichen wie Verbundforschung und Mobilität ausgesprochen hat, aufgegriffen und Schritte zur Stärkung der Innovation, Verringerung der Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen, Popularisierung von Wissenschaft und Innovation bei der Bevölkerung, Anhebung der niedrigen Erfolgsraten sowie zum Abbau des Verwaltungsaufwands unternommen wurden (1).

1.2.

Der EWSA betont, dass Wissenschaft, Forschung und Innovation zentrale Elemente des europäischen Integrationsprozesses sein müssen, und unterstützt daher den Ansatz des Programms „Horizont Europa“, mit dem die Tätigkeiten und Ergebnisse aus diesen Bereichen den Bürgerinnen und Bürgern nähergebracht werden sollen. Zu diesem Zweck und um eine stärkere Unterstützung durch die Mitgliedstaaten zu fördern, müssen im Rahmen der Strategie nicht nur die Möglichkeiten des Programms wirksam vermittelt werden, sondern auch die Auswirkungen von Innovations- und Forschungsaktivitäten auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger.

1.3.

Der EWSA unterstützt die Ausarbeitung von Forschungs- und Innovationsaufträgen als Teil der Strategie von „Horizont Europa“, um wirkungsvollere Ergebnisse in diesem Bereich zu erzielen und die Art und Weise, wie die Bürgerinnen und Bürger die Wissenschaften und deren Auswirkungen in ihrem täglichen Leben wahrnehmen, grundlegend zu verändern. Der EWSA fordert dringend die Festlegung strategischer Aufträge, mit denen Forschungs- und Innovationsökosysteme in ganz Europa angeregt werden können und die Verbundforschung als Hauptinstrument für die Schaffung von Wissen und die Erzielung von Wirkung angekurbelt werden kann. Die Aufträge sollten sich auf ein spezifisches, quantifizierbares und erreichbares Ziel konzentrieren und offen sein für alle möglichen Teilnehmer, sodass höchste wissenschaftliche Fachkompetenz aus verschiedenen Teilen Europas in sie einfließt.

1.4.

Der EWSA begrüßt, dass die Aufträge offen für vielfältige und Bottom-up-Lösungen sein und den gesamten FuI-Lebenszyklus abdecken sollen. Da die Aufträge auf mittel- bis langfristige Ziele ausgerichtet sein sollen, sollte sich auch die große Bedeutung von Forschung mit niedrigem Technologie-Reifegrad in deren Ansatz widerspiegeln. Ihr Schwerpunkt sollte nicht nur auf linearen Innovationsmodellen liegen, die oftmals auf inkrementelle Innovationen beschränkt sind, sondern explizit auch Anreize für disruptive Innovationsmodelle setzen.

1.5.

Der EWSA als Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft ist bereit, aktiv zum Mitgestaltungsprozess beizutragen, und unterstützt das Konzept von Aufträgen, doch darf nicht vergessen werden, dass eine zu starke Annäherung der Entscheidungen an die Endnutzer den Wirkungsgrad und die Innovationskraft der Aufträge einschränken kann. Die Auftragsbeiräte sollten hohe Qualität aufweisen und eine ausreichende Vertretung aller Interessenträger sicherstellen, damit einerseits inkrementelle Forschung und andererseits Aufträge, die weit über die bestehenden technischen oder technologischen Kapazitäten hinausgehen, vermieden werden können.

1.6.

Der EWSA verweist auf den Europäischen Innovationsrat (EIC) als wichtiges Instrument zur Förderung bahnbrechender Innovationen und zur Ankurbelung des Unternehmertums und des Wettbewerbs auf EU-Ebene. Aus diesem Grund und unter Berücksichtigung des europäischen Kontexts ist der EWSA der Ansicht, dass sich der EIC besonders auf sehr innovative und bahnbrechende KMU und Start-ups konzentrieren sollte.

1.7.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass auch die Geistes- und Sozialwissenschaften systematisch in Horizont Europa einbezogen werden sollten. Für die Geistes- und Sozialwissenschaften sollte ein Ansatz in Verbindung mit dem technologischen Ansatz gewählt werden. Innovation geht weit über Technologie hinaus, und die Zusammenführung der verschiedenen Sichtweisen, Wechselwirkungen und Herausforderungen wird zu einer besseren Gestaltung der Forschungs- und Innovationslandschaft in Europa führen. Der EWSA ist der Auffassung, dass ein über die Technik hinausreichender Ansatz die Geistes- und Sozialwissenschaften innerhalb von Horizont Europa stärken würde.

1.8.

Der EWSA unterstützt den strategischen Ansatz einer „offenen Wissenschaft“, um Spitzenforschung und hochwertiges Wissen in den Mittelpunkt zu rücken. Eine offene Wissenschaft ist für die allgemeine wissenschaftliche Entwicklung der EU-Institutionen sicherlich von entscheidender Bedeutung, jedoch sollte die Einführung eines bestimmten Zeitrahmens für die Veröffentlichung wissenschaftlicher Ergebnisse erwogen werden, um sicherzustellen, dass sämtliche Ergebnisse von Projekten innerhalb klar definierter Fristen in geeigneten Registern zugänglich gemacht werden. Der EWSA begrüßt den freien Zugang zu Veröffentlichungen und Forschungsdaten, empfiehlt jedoch nachdrücklich, die Interessenträger aus dem Forschungsbereich regelmäßig zu den künftigen Anforderungen an die offene Wissenschaft zu konsultieren. Die bestehenden „Opt-out“-Möglichkeiten sollten in Horizont Europa beibehalten werden.

1.9.

Der EWSA stimmt der Aussage zu, dass die neu gestaltete Pfeilerstruktur die interne Kohärenz verbessern wird, insbesondere durch die Aufnahme industrieller Technologien in den zweiten Pfeiler, wodurch die Industrie stärker zur Bewältigung globaler Herausforderungen beitragen und das Angebot an die Nachfrage nach neuen Lösungen angepasst würde. Dieser Ansatz ist sehr interessant, und ein Vorschlag wäre, Konsortien zu bevorzugen, die den Innovationszyklus schließen, indem sie sowohl die akademischen Partner einbinden, die Neues schaffen, als auch die Entwickler innovativer Lösungen und die Endnutzer, die ihre Bedürfnisse kundtun, und so in der Lage sind, nachhaltig zu arbeiten.

1.10.

Der EWSA begrüßt außerdem das Ziel, die Regeln für staatliche Beihilfen dahingehend weiter zu vereinfachen, dass Kombinationen verschiedener Fonds möglich werden, wodurch die erheblichen Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und Regionen bei der Zahl erfolgreicher FuI-Projekte abgebaut werden können. Um mit FuI-Projekten die größtmögliche Wirkung zu erzielen, kommt es entscheidend darauf an, durch kompatible Vorschriften Synergien zwischen den einzelnen EU-Förderprogrammen und -maßnahmen und insbesondere zwischen den Strukturfonds zu schaffen.

1.11.

Der EWSA betont, dass auch die Förderung der Mobilität von Forschern im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA) entscheidend für den weiteren Ausbau des europäischen Forschungsraums ist, wobei die EU und die Mitgliedstaaten bestrebt sein müssen, durch ihre Politik angemessene und attraktive Arbeitsbedingungen für diesen Berufsstand zu schaffen, um die für den Zusammenhalt in der EU schädliche Abwanderung der besten Köpfe zu vermeiden. Darüber hinaus ist es eminent wichtig, im Programm des Europäischen Forschungsrates (ERC) eine stärkere Unterstützung für Nachwuchswissenschaftler vorzusehen.

1.12.

Der EWSA ist der Auffassung, dass im Pfeiler „Stärkung des Europäischen Forschungsraums“ besonderes Augenmerk auf Bildungs- und Kommunikationsmaßnahmen zum Thema Wissenschaft gelegt werden sollte. So könnte die Wissenschaft mit und für die Gesellschaft innerhalb dieses Pfeilers und damit auch im Rahmen von Horizont Europa gestärkt werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA begrüßt die jüngsten Bemühungen der Kommission, das Wachstum in Europa durch neue und ausgewogene europäische Maßnahmen zu stärken und diese durch eine stärkere Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation zu ergänzen, um Europa seine Führungsposition in vielen Bereichen sichern zu können (2). Die europäische FuI-Gemeinde hat in den letzten Jahren viel erreicht, was jedoch von der Bevölkerung in der EU noch immer nicht angemessen gewürdigt wird. Dafür gibt es verschiedene Gründe, die von mangelnder Kommunikation über geringes Engagement seitens der Gemeinschaft bis hin zur Gleichgültigkeit von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber wissenschaftlichen Errungenschaften reichen. Daher kommt es darauf an, diese Haltung der europäischen Gesellschaft zu ändern, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern auch im Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche Verankerung eines langfristig angelegten FuI-Ökosystems.

2.2.

Der EWSA unterstützt den Ansatz, demzufolge die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger durch die Ermittlung der wichtigsten globalen Herausforderungen geändert werden kann und dies Teil der sehr umfangreichen Anstrengungen ist, die Gesellschaft für das Projekt Europa zu mobilisieren und daran zu beteiligen. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas durch Innovationen ist von grundlegender Bedeutung und muss von den Entscheidungsträgern bei der Festlegung der politischen Prioritäten stets bedacht werden. Es reicht nicht zu sagen, dass Forschung, Entwicklung und Innovation einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum leisten. Lediglich auf Informationen zu verweisen, wonach zwei Drittel des Wirtschaftswachstums in Europa heute durch Forschung, Entwicklung und Innovation generiert werden, genügt nicht. Auch die Mitgliedstaaten müssen sich an diesen kollektiven Bemühungen beteiligen.

2.3.

Der EWSA begrüßt deshalb den Vorschlag für ein neues europäisches Forschungs- und Innovationsprogramm zur Unterstützung und Ankurbelung von FuI auf EU-Ebene für den Zeitraum 2021-2027 ebenso wie seine wichtigsten Merkmale, insbesondere die Ausrichtung auf eine offene Wissenschaft, auf globale Herausforderungen und industrielle Wettbewerbsfähigkeit sowie auf offene Innovation. Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass der Ansatz der gemeinsamen Gestaltung, bei dem alle Interessenträger der Wissens- und Innovationsgemeinschaft eingebunden werden, die Grundlage bildet, um in Europa die Wettbewerbsfähigkeit, die Beschäftigung und den sozialen Zusammenhalt — insbesondere im Hinblick auf die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit — zu stärken und den Umweltschutz im Einklang mit der UN-Agenda 2030 und den Zielen für nachhaltige Entwicklung zu fördern.

2.4.

Das Programm „Horizont Europa“ zeigt, wie wichtig es der Kommission ist, ein Innovations- und Wissenschaftsökosystem aufzubauen, das es der EU ermöglicht, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch strukturelle Maßnahmen zu verbessern, die wiederum wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen zeitigen. Dies zeigt sich nicht nur in der vorgeschlagenen Aufstockung des Finanzierungsvolumens, sondern auch in den für die drei Pfeiler des Programms geplanten Tätigkeiten.

2.5.

Der EWSA unterstützt die wichtigsten neuen Aspekte, die im Vorschlag zu „Horizont Europa“ hervorgehoben werden, insbesondere: (i) die Unterstützung bahnbrechender Innovationen durch den Europäischen Innovationsrat; (ii) die größere Wirkung durch Auftragsorientierung und Bürgerbeteiligung: Forschungs- und Innovationsaufträge; (iii) die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit; (iv) mehr Offenheit durch mehr politische Maßnahmen für eine offene Wissenschaft und (v) die Vereinfachung der Finanzierungslandschaft durch einen neuen Ansatz für europäische Partnerschaften.

2.6.

Die Einführung von EU-Aufträgen für FuI, die von der Basis ausgehen und deren Fokus auf globalen Herausforderungen und der industriellen Wettbewerbsfähigkeit liegt, könnte ein guter Weg sein, die Gesellschaft stärker für Wissenschafts- und Innovationstätigkeiten zu gewinnen. Dieser Ansatz könnte sich als erfolgreicher Weg erweisen, um die Gesellschaft und die Bürgerinnen und Bürger an den zu definierenden Aufträgen zu beteiligen und ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen, das für das Erreichen bedeutender Ergebnisse und Wirkungen wesentlich sein könnte. Auch hier könnte die organisierte Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle spielen.

2.7.

Der EWSA würdigt auch die Tatsache, dass Horizont Europa öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) als wirksames Mittel zur Ankurbelung der auf industriebasierte FuI ausgerichteten Verbundforschung fördern wird, wobei der Schwerpunkt auf einer geringeren Zahl von Partnerschaften mit größerer Wirkung liegen soll. Europa muss der Tatsache ins Auge sehen, dass es bis zu schlanken Prozessen der wirksamen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie noch einen weiten Weg zurückzulegen hat. Es gibt natürlich zahlreiche gute Beispiele und bewährte Verfahren, doch es besteht auch Raum für Verbesserungen. ÖPP gehören zu den Instrumenten, mit denen die Lücke zwischen den so unterschiedlichen, aber sich ergänzenden Welten der Wissenschaft und der Wirtschaft bzw. des Markts verkleinert werden kann.

2.8.

Der EWSA fordert die Kommission erneut auf, dauerhaft Anstrengungen zu unternehmen, um den Verwaltungsaufwand innerhalb des Programms Horizont Europa zu senken (3). Der EWSA begrüßt daher den Vorschlag der Kommission, weniger Bürokratie und bessere Ergebnisse bei der Vorlaufzeit und den Reaktionen auf die Vorschläge anzustreben, wie z. B. im Rahmen von Horizont 2020 in Bezug auf das spezifische „KMU-Instrument“ zu sehen ist. Die Vereinfachung muss das Hauptziel von Horizont Europa sein, insbesondere in Bezug auf die Fristen bis zur Gewährung der Finanzhilfe und die nachfolgende Markteinführung, konstante Finanzierungsniveaus, eine geringere Anzahl von Instrumenten, eine beschränkte Nutzung von Zeiterfassungsbögen, eine breitere Anwendung von Pauschalfinanzierungen usw.

2.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Konzept für den EIC insbesondere im Hinblick auf die Förderung der Vermarktung und die Stärkung von Innovationen sowie aus Sicht der Unternehmer ebenso zu begrüßen ist wie die Senkung des Verwaltungsaufwands, die umfassendere Vereinfachung und die Stärkung der Öffentlichkeitswirksamkeit der Kampagne zur Gewinnung von KMU für FuI. Der EWSA ist sogar der Ansicht, dass diese Strategie einen größeren Erfolg gewährleisten könnte, da einige Start-ups und Ideen in der Vergangenheit aus verschiedenen Gründen, mit denen sich der EIC befassen wird, keinen Erfolg hatten. Nicht vergessen werden sollte auch die Notwendigkeit, die europäische Kultur weniger risikoscheu zu machen, wobei der EIC einen Beitrag zu den diesbezüglichen Bemühungen leisten und in seinen allgemeinen Zielen und Bewertungskriterien auch risikoreiche Forschungs- und Innovationstätigkeiten berücksichtigen sollte.

2.10.

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass mehr KMU und Start-ups an dem Programm teilnehmen, hat jedoch Zweifel im Hinblick auf den Vorschlag für dessen Ausweitung. Trotz der Bemühungen in früheren Rahmenprogrammen sollten KMU stärker an Tätigkeiten auf der Grundlage von FuI beteiligt werden, wobei Horizont Europa die ideale Möglichkeit bietet, sie „an Bord zu holen“. Die Idee einer stärkeren Beteiligung durch Kapital mag gut sein, die Botschaft muss jedoch für alle Unternehmen klar sein. Da KMU die Frage der „Anteilseignerschaft“ nach wie vor aus einer anderen Perspektive betrachten, braucht es im Programm umfassende Erläuterungen, um die Beteiligung der Gemeinschaft zu stärken und Fehlinterpretationen zu vermeiden. Die Bereitstellung der Kapitalbasis durch Familienunternehmen hat bei KMU lange Tradition, und Vorschläge, ihr Kapital über die Finanzierung durch dieses Programm für den Markt zu öffnen, kann spezifische Fragen aufwerfen. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, diesen interessanten Vorschlag unmissverständlich darzulegen.

2.11.

Der EWSA stimmt auch dem Grundsatz zu, dass es für Unternehmer ohne einen Dialog mit der EU keine weiteren EU-Finanzinvestitionen geben soll. Dieser kürzlich von EU-Kommissar Moedas in einer öffentlichen Sitzung angekündigte Leitsatz zeugt von einer ehrgeizigen Vorstellung einer direkteren Interaktion mit Unternehmern und Bewerbern, stellt aber auch eine sehr riskante Haltung dar: Es ist noch nicht klar, welche Ressourcen für die Gespräche mit den Bewerbern bereitgestellt werden sollen, und der gesamte Prozess muss erst effizient gestaltet werden. Der EWSA ist jedoch absolut bereit, diesen neuen Ansatz zu unterstützen, und bietet sogar seine Hilfe bei der Zusammenarbeit in diesem Prozess an, kann er doch auf das Fachwissen seiner Mitglieder und den Rückhalt durch die zivilgesellschaftlichen Organisationen zurückgreifen, die ihre Mitglieder unterstützen.

2.12.

Schließlich begrüßt der EWSA auch die Bemühungen, die offenbar zur Förderung der Synergien zwischen den Förderprogrammen unternommen werden. Synergien zwischen Förderprogrammen können eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung und Stärkung der Forschungs- und Innovationskapazitäten in verschiedenen Regionen Europas spielen. Mehr Synergien mit anderen EU-Förderprogrammen und EU-Strategien, insbesondere mit den Strukturfonds durch kompatible Bestimmungen, sollten ein zentraler Punkt sein. Gemäß den MFR-Bestimmungen zu den kohäsionspolitischen Mitteln können die Mitgliedstaaten bis zu 5 % ihrer Mittel von einem Fonds in den anderen übertragen, sodass sie ihre Investitionsgelder in andere als wichtig eingestufte Schlüsselbereiche verlagern können. Dies könnte ein weiterer wichtiger Schritt sein, mit dem die Mitgliedstaaten stärker eingebunden werden können, um das Ziel des Innovationsprogramms zu erreichen und die wissenschaftliche Agenda spürbar aufzuwerten. Der EWSA ist der Auffassung, dass der Erfolg des Programms mit positiven Auswirkungen auf den Alltag der Bürgerinnen und Bürger nur durch die Beteiligung des öffentlichen und privaten Sektors sichergestellt werden kann. Ein weiterer wichtiger Aspekt wäre die Harmonisierung der Regeln und Vorschriften der verschiedenen Fonds, zumindest für die gleiche Art von Aktivität, und insbesondere für Forschung und Innovation.

3.   Der Vorschlag für „Horizont Europa“ (2021-2027)

3.1.

Den Kern des Kommissionsvorschlags zu Horizont Europa bildet ein Meilenstein, denn dass für ein Forschungs- und Innovationsprogramm 100 Mrd. EUR bereitgestellt werden, ist für sich genommen schon ein großer Schritt in Richtung einer wissenschafts- und innovationsbasierten Wissensgesellschaft in Europa. Diesbezüglich zeigt die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten dieser Aufstockung des Haushalts zugestimmt haben, nicht nur ihr politisches Engagement, sondern stellt auch eine klare Botschaft an die Welt dar: Europa will im Bereich der Innovation führend sein, und die Finanzierungsvoraussetzungen dafür wurden geschaffen.

3.2.

Abgesehen von der Aufstockung der Finanzmittel gibt es einige neue und innovative Ideen, die der EWSA als direkt aus dem Vorschlag übernommene Punkte hervorheben möchte, die für diese Stellungnahme wichtig sind. An dieser Stelle soll kurz auf folgende Aspekte hingewiesen werden:

a)

Die Drei-Pfeiler-Struktur von Horizont Europa: Wie von der Kommission festgehalten, stellt Horizont Europa keine Revolution, sondern eine Evolution dar. Das Programm beruht auf drei Pfeilern: „Offene Wissenschaft“ mit dem Europäischen Forschungsrat (ERC), den Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA) und Forschungsinfrastrukturen; „Globale Herausforderungen und industrielle Wettbewerbsfähigkeit“ mit fünf Clustern („Gesundheit“, „inklusive und sichere Gesellschaft“, „Digitalisierung und Industrie“, „Klima, Energie und Mobilität“, „Lebensmittel und natürliche Ressourcen“) sowie „Offene Innovation“ mit dem Europäischen Innovationsrat (EIC), europäischen Innovationsökosystemen und dem Europäischen Innovations- und Technologieinstitut (EIT). Die drei Pfeiler werden durch Tätigkeiten zur Stärkung des Europäischen Forschungsraums untermauert.

b)

Die Errichtung des Europäischen Innovationsrats (EIC) soll der EU im Bereich marktschaffender Innovationen die Führungsposition sichern: Europa verfolgt dieses Ziel schon seit vielen Jahren, doch trotz dieser Anstrengungen, ausgezeichneter Ideen und einer sehr starken Innovations- und Wissenschaftsgemeinschaft entsprechen das erzielte Wachstum und die Zahl der entstandenen Arbeitsplätze nicht dem betriebenen Aufwand. Laut Kommissionsvorschlag soll eine zentrale Anlaufstelle geschaffen werden, um die vielversprechendsten und bahnbrechendsten Technologien aus den Laboren auf den Markt zu bringen und die innovativsten Start-ups und Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Ideen zu unterstützen. Der neue EIC wird helfen, sehr mobile und risikoreiche Innovationen zu ermitteln und zu finanzieren, die das Potenzial haben, vollkommen neue Märkte zu schaffen. Er wird Innovatoren eine direkte Unterstützung durch zwei zentrale Förderinstrumente bieten, eines für frühe Phasen und ein anderes für die Entwicklung und Markteinführung. Zudem wird er das Europäische Innovations- und Technologieinstitut (EIT) ergänzen. Der EWSA ist der Auffassung, dass der EIC sich auf sehr innovative und bahnbrechende KMU und Start-ups konzentrieren sollte.

c)

Die Vorschläge für zukünftige Wissens- und Innovationsgemeinschaften (KIC) werden in der Strategischen Innovationsagenda (SIA) des EIT aufgeführt. Der EWSA ist der Auffassung, dass deren Zahl nicht stark erhöht werden sollte und gemäß dem Grundsatz der Vereinfachung der Forschungs- und Innovationslandschaft beschränkt werden sollte. Zudem sollten in den zukünftigen Wissens- und Innovationsgemeinschaften unterschiedliche europäische Länder vertreten sein, insbesondere auch bei der Wahl der Standorte der Innovationszentren. Die Förderung des Unternehmertums durch akademische Bildung (wie unternehmerische Bildung, Förderung einer starken außerdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Industrie und Hochschulen, Ermittlung prospektiver Kompetenzen für zukünftige Innovatoren) sollte gestärkt werden.

d)

Bei der Schaffung von Forschungs- und Innovationsaufträgen der EU lag der Fokus auf globalen Herausforderungen und der industriellen Wettbewerbsfähigkeit. Dieser Ansatz könnte sich als erfolgreicher Weg erweisen, um die Gesellschaft und die Bürgerinnen und Bürger an den zu definierenden Aufträgen zu beteiligen und ein Gemeinschaftsgefühl zu stärken, das für das Erreichen bedeutender Ergebnisse und Wirkungen wesentlich sein könnte. Beispiele dafür sind der Kampf gegen Krebs, sauberer Verkehr, kunststofffreie Ozeane oder sicheres und sauberes Wasser für alle. Diese Aufträge werden gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Interessenträgern, dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten ausgearbeitet. Der EWSA ist als Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft offen dafür, einen Beitrag zu diesem gemeinsamen Gestaltungsprozess zu leisten.

e)

Maximierung des Innovationspotenzials in der gesamten EU und Stärkung des Europäischen Forschungsraums: Die Unterstützung für Mitgliedstaaten, die ein geringes Leistungspotenzial im Bereich FuI aufweisen, wird verdoppelt. Darüber hinaus werden Synergien mit den europäischen Struktur- und Investitionsfonds (z. B. Struktur- und Kohäsionsfonds) die Koordinierung und Kombination von Fördermitteln vereinfachen und den Regionen helfen, Innovationen einzuführen und eine größere Hebelwirkung auf der EU-Ebene auszuüben.

f)

Mehr Offenheit: Der Grundsatz der offenen Wissenschaft/offenen Innovation wird zum modus operandi von Horizont Europa, wofür es eines freien Zugangs zu Veröffentlichungen und Daten bedarf. Dadurch werden die Verbreitung und Nutzung gefördert, die Markteinführung unterstützt und das Innovationspotenzial der durch EU-Finanzmittel erzielten Ergebnisse erhöht.

g)

Eine neue Generation europäischer Partnerschaften und eine verstärkte Zusammenarbeit mit anderen EU-Programmen: Erwartet wird, dass die Zahl der von der EU zusammen mit Partnern wie der Industrie, Zivilgesellschaft und Förderinstanzen kofinanzierten Partnerschaften gesenkt wird, um so ihre Wirksamkeit und ihren Beitrag zur Umsetzung der politischen Prioritäten der EU zu erhöhen. Das Programm „Horizont Europa“ wird wirksame und gut funktionierende Verbindungen zu weiteren zukünftigen EU-Programmen fördern, wie etwa zur Kohäsionspolitik, zum Europäischen Verteidigungsfonds, zum Programm „Digitales Europa“ und zur Fazilität „Connecting Europe“ sowie zum internationalen Fusionsenergie-Projekt ITER.

h)

Die Gemeinsame Forschungsstelle (JRC), der Wissenschafts- und Wissensdienst der Kommission, wird durch wissenschaftliche Beratung, technische Unterstützung und gezielte Forschungsarbeiten auch weiter einen Beitrag leisten.

4.   Wissenschaft und Innovation für alle Unionsbürgerinnen und -bürger

4.1.

Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich des europäischen Potenzials und der europäischen Errungenschaften in den Bereichen Wissenschaft und Innovation bewusst werden. Diese sind Teil unser aller Alltags und bieten eine echte Chance, die Gesellschaft am Projekt Europa teilhaben zu lassen. Der von der Kommission vorgeschlagene Ansatz und die geplanten Maßnahmen sind ehrgeizig — einerseits sind sie ein Prozess, der niemals endet, andererseits aber auch die beste Möglichkeit, um die Bürgerinnen und Bürger für die europäischen Werte im Zusammenhang mit Innovation und Wissenschaft für alle zu gewinnen.

4.2.

Bildungs- und Kommunikationsmaßnahmen zum Thema Wissenschaft müssen als grundlegender Ansatz dafür betrachtet werden, alle in das Projekt Europa einzubinden. Indem der Einbeziehung der Öffentlichkeit in Horizont Europa Priorität beigemessen wird, kann die Anwendung von FuI-Ergebnissen auf dem Markt und in unser aller Alltag zweifellos vorangebracht werden. Der Prozess der gemeinsamen Gestaltung auf der Grundlage eines Ansatzes zur Einbeziehung der einzelnen Interessenträger ist eine klare Botschaft für die Einbindung der Öffentlichkeit in die FuI-Landschaft. Der sozialen Innovation unter Beteiligung der Öffentlichkeit und dem Vertrauen in Innovation kommen im Hinblick auf die Förderung neuer Governance-, Produktions- und Verbrauchsmuster entscheidende Bedeutung zu.

4.3.

Die Verbreitung, Kommunikation und Nutzung der Erfolge der europäischen Wissenschaft und Innovation scheinen derzeit nicht sehr wirksam zu sein. Die Bürgerinnen und Bürger richten ihr Augenmerk vorwiegend auf die Innovationen anderer Regionen und nehmen „europäische Errungenschaften“ auch dann nicht wahr, wenn sie sie sehen. Dies muss sich aus verschiedenen Gründen ändern: Abgesehen davon, dass die Investitionen der EU einen „europäischen Mehrwert“ generieren sollen, ist es auch wichtig, auf die Errungenschaften und Ziele der EU im Zusammenhang mit dem Projekt Europa für alle stolz zu sein.

4.4.

Europa wird oft wegen „mangelnder Investitionen“ und „fehlender Risiko- und Unternehmerkultur“ kritisiert. Das allgemeine Ziel des Vorschlags der Kommission besteht darin, diese Herausforderungen zu bewältigen und ein neues Narrativ zu diesen Ideen zu entwickeln. Der Beitrag, den Wissenschaft und Innovation zur Schaffung eines besseren und inklusiveren Europas leisten können, ist Teil des Wandels, der erforderlich ist, um Missverständnisse über das Projekt Europa auszuräumen, und stellen mit Sicherheit einen guten Beitrag dar, um die Bürgerinnen und Bürger stärker einzubinden und sie stolz zu machen, am Projekt teilzuhaben. Wichtig ist auch, unzutreffenden Vorstellungen über die Verwendung europäischer Finanzmittel in lokalen Gemeinschaften entgegenzuwirken: Wenn die Bürgerinnen und Bürger erkennen, dass das „Geld der Steuerzahler“ sinnvoll eingesetzt wird, ist dies ein guter Schritt im Kampf gegen die Darstellungsweisen extremer Populisten, die angefochten werden müssen.

4.5.

Das Programm sollte insbesondere zur Stärkung des Europäischen Forschungsraums beitragen, indem sichergestellt wird, dass der Großteil der Finanzmittel für Verbundforschung unter Beteiligung von Mitgliedstaaten und/oder assoziierten Ländern eingesetzt wird, um einen signifikanten Mehrwert für die EU zu schaffen. Die Zusammenarbeit zwischen europäischen Wissenschaftlern, der Wirtschaft (einschließlich KMU) und anderen öffentlichen und privaten Institutionen war entscheidend für die Schaffung des Europäischen Forschungsraums und ist ein Markenzeichen der europäischen Rahmenprogramme für FuI, die bei den Interessenträgern ein hohes Ansehen genießen und in Horizont Europa unbedingt beibehalten werden sollten.

4.6.

Tätigkeiten im Rahmen von Horizont Europa sollten hauptsächlich durch Ausschreibung erfolgen. Es sollte sichergestellt werden, dass der Großteil des Haushalts von Horizont Europa über wettbewerbsorientierte Ausschreibungen vergeben wird, die auf transparente und effiziente Weise von der Europäischen Kommission oder ihren Exekutivagenturen durchgeführt werden, und dass für die Zahl und die Dotierung der Aufträge und Partnerschaften eine angemessene Obergrenze gilt, damit die Forschungs- und Innovationslandschaft gemäß dem übergeordneten Ziel der Vereinfachung übersichtlich bleibt.

4.7.

In Horizont Europa müssen der Bedarf und die dringenden Prioritäten gestrafft werden, die in der Anfang 2018 im Rahmen der Folgenabschätzung (4) eingeleiteten Konsultation mit den Interessenträgern hervorgehoben wurden. Das Ziel der Konsultation mit den Interessenträgern war es, die Ansichten interessierter Bürgerinnen und Bürger und Interessenträger zur Gestaltung von Horizont Europa einzuholen, insbesondere im Hinblick auf die Förderung von Forschung und Innovation in der EU, die Förderung von Bildung, Qualifikationen und berufliche Bildung sowie die Gewährleistung einer sauberen und gesunden Umwelt und des Schutzes der natürlichen Ressourcen.

4.8.

Im Hinblick auf einen Beitrag zur Stärkung des Zusammenhalts der verschiedenen Regionen in Europa ist die Aufstockung der Mittel für den Europäischen Forschungsrat zu begrüßen, insbesondere wenn diese in erster Linie Nachwuchsforschern zugewiesen werden, die über das größtmögliche Potenzial für die Zukunft Europas verfügen. Die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte aus Randregionen in andere Gebiete muss eingedämmt werden, und Nachwuchswissenschaftler müssen konkret gestärkt werden.

4.9.

Für eine stärkere Aneignung von Forschungsergebnissen durch die Zivilgesellschaft muss die grundlegende Bedeutung der sozialen Innovation hervorgehoben werden. Außerdem muss die Bedeutung von sozialwirtschaftlichen Unternehmen und insgesamt der Interessenträger herausgestellt werden, die heutzutage neben der Industrie und den KMU eine wichtige Komponente des europäischen Wirtschaftssystems bilden.

5.   Die Rolle von Unternehmen

5.1.

Der EWSA muss erneut darauf hinweisen, dass KMU in Europa die größte unternehmerische Gemeinschaft darstellen. Sie schaffen Wachstum und Arbeitsplätze und sollten deshalb im Zentrum der Politikgestaltung stehen. Der vorliegende Vorschlag scheint dieser Idee zu folgen, doch gleichzeitig möchte der EWSA die Kommission darauf hinweisen, dass es keine für alle Mitgliedstaaten einheitliche Lösung zur Gewährleistung einer stärkeren Beteiligung von KMU an Horizont Europa geben kann. Die einzelnen Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Wachstumsniveaus und strukturell verschiedene Innovationsökosysteme, was sich in den Vorschlägen für spezifische Maßnahmen widerspiegeln muss.

5.2.

Der EWSA erkennt die Rolle von Start-ups innerhalb von Innovations- und Wissenschaftsökosystemen an, weist die Kommission jedoch darauf hin, dass Unternehmer einen unternehmerischen Ansatz verfolgen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Es ist deshalb wünschenswert, Unternehmern eine Beratung über das Marktpotenzial und den Bedarf des Markts anzubieten. Großunternehmen müssen ebenfalls an diesem Prozess teilnehmen. Großunternehmen bieten weitere Chancen für Start-ups und KMU, nicht nur, weil sie Herausforderungen schaffen, sondern auch aufgrund der Geschäftsmöglichkeiten, die sich üblicherweise im Rahmen ihrer Tätigkeiten ergeben. Es ist deshalb eine sehr gute Idee, ein effizienteres Innovationsökosystem zu schaffen, das sämtlichen Gegebenheiten gerecht wird.

5.3.

Der EWSA macht die Unternehmergemeinschaft und die Kommission darauf aufmerksam, dass ein neues Narrativ über industrielle Aktivitäten und insbesondere jene der „traditionellen Industrie“ entwickelt werden muss. Die traditionellen Industriezweige könnten von den Tätigkeiten von Start-ups profitieren, wenn diese auf die Herausforderungen der Digitalisierung und Automatisierung industrieller Tätigkeiten ausgerichtet sind, etwa auf die Kreislaufwirtschaft oder die Einführung modernster Fertigungstechniken durch die Beteiligung von KMU und Start-ups und die Förderung ihrer Zusammenarbeit mit großen Industriezweigen. Noch mehr Erfolge könnten erzielt werden, wenn es gelänge, die Start-Up-Gemeinschaft für die anstehenden industriellen Herausforderungen zu sensibilisieren.

6.   Finanzierungsfragen

6.1.

Die für den Zeitraum 2021-2027 vorgeschlagene Mittelausstattung in Höhe von 100 Mrd. EUR umfasst 94,1 Mrd. EUR für Horizont Europa, 3,5 Mrd. EUR für den Fonds InvestEU, und 2,4 Mrd. EUR für das Euratom-Programm für Forschung und Ausbildung. Der Schwerpunkt des Euratom-Programms zur Finanzierung von Forschung und Ausbildung auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes wird stärker auf Anwendungen außerhalb des Energiesektors — etwa im Gesundheitswesen und bei medizinischen Geräten — verlagert, und auch die Mobilität von Kernforschern soll im Rahmen der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen gefördert werden.

6.2.

Die geplante Verteilung der Finanzmittel von Horizont Europa zeigt eine deutliche Erhöhung der ERC-Mittel (ungefähr 20 %) und der Mittel für Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (ungefähr 10 %) im Vergleich zum Rahmenprogramm Horizont 2020 für den Zeitraum 2014-2020. Der EWSA unterstützt diese Aufstockung vollumfänglich, wobei der ERC den größten Teil seines Haushalts für Nachwuchsforscher in ihrer produktivsten und kreativsten Phase („Starting Grants“ (5) und „Consolidator Grants“ (6)) verwenden sollte.

6.3.

Die mit insgesamt 13,5 Mrd. EUR größte Aufstockung wird innerhalb von Horizont Europa bei den Mitteln für den EIC vorgenommen. Innerhalb des Pfeilers „Globale Herausforderungen und industrielle Wettbewerbsfähigkeit“ erhält das Cluster „Lebensmittel und natürliche Ressourcen“ die größte Aufstockung auf insgesamt 10 Mrd. EUR. Der bereichsübergreifende Pfeiler „Stärkung des Europäischen Forschungsraums“ weist eine deutliche Aufstockung des Budgets auf insgesamt 2,1 Mrd. EUR auf. Nach Ansicht des EWSA sind diese Haushaltsentwicklungen zu begrüßen, werden sie doch den Europäischen Forschungsraum stärken und ein stärkeres Forschungs- und Innovationsökosystem mit vielfältigen Akteuren in allen europäischen Regionen schaffen.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Siehe ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 66 sowie den Informationsbericht „Horizont 2020 (Bewertung)“.

(2)  ABl. C 197 vom 8.6.2018, S. 10.

(3)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 66.

(4)  https://ec.europa.eu/info/publications/horizon-europe-impact-assessment-swd-2018-307_de.

(5)  Forscher jeglicher Nationalität mit 2 bis 7 Jahren Erfahrung nach der Promotion müssen eine wissenschaftliche Tätigkeit mit großem Potenzial nachweisen und einen herausragenden Forschungsvorschlag vorlegen (https://erc.europa.eu/funding/starting-grants).

(6)  Forscher jeglicher Nationalität mit 7 bis 12 Jahren Erfahrung nach der Promotion müssen eine wissenschaftliche Tätigkeit mit großem Potenzial nachweisen und einen herausragenden Forschungsvorschlag vorlegen. (https://erc.europa.eu/funding/consolidator-grants).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/40


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms über den Binnenmarkt, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, einschließlich der kleinen und mittleren Unternehmen, und die europäischen Statistiken und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 99/2013, (EU) Nr. 1287/2013, (EU) Nr. 254/2014, (EU) Nr. 258/2014, (EU) Nr. 652/2014 und (EU) Nr. 2017/826“

(COM(2018) 441 final — 2018/0231 (COD))

(2019/C 62/06)

Berichterstatter:

Oliver RÖPKE

Mitberichterstatterin:

Violeta JELIĆ

Befassung

Europäisches Parlament, 14.6.2018

Rat, 26.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 Absatz 1, Artikel 169 Absatz 3, Artikel 43 Absatz 2 und Artikel 173 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

2.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

187/4/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Binnenmarkt bildet eine wesentliche Grundlage zur Schaffung von Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Er leistet einen wichtigen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen und sichert den Verbrauchern eine große Auswahl an Waren und Dienstleistungen. Darüber hinaus kann er die Basis zur Schaffung von Wohlstand in der Europäischen Union sein.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Zusammenlegung der fünf Vorläuferprogramme (sowie des Europäischen Statistischen Programms, das jedoch über den Binnenmarktbereich hinausgeht) und einiger Haushaltslinien zu einem Binnenmarktprogramm grundsätzlich, weil dadurch Synergien und mehr Kosteneffizienz erwartet werden können.

1.3.

Der EWSA ist mit der Kommission einer Meinung, dass bestehende Hindernisse beseitigt und die Entwicklung, Umsetzung sowie Durchsetzung des Unionsrechts am Binnenmarkt vorangetrieben werden muss. Dies gilt vor allem für die Bereiche Waren und Dienstleistungen, öffentliches Beschaffungswesen, Marktüberwachung, Unternehmensrecht, vertragliches und außervertragliches Recht, Bekämpfung von Geldwäsche, Freizügigkeit für Kapital, Finanzdienstleistungen und Wettbewerb sowie Entwicklung von Steuerungsinstrumenten. Der EWSA fordert, dass auch die Einhaltung arbeits-, verbraucher- und umweltrechtlicher Normen bei der Schaffung eines fairen und vollkommenen Binnenmarktes Berücksichtigung finden muss.

1.4.

Bezüglich der Nahrungsmittelkette fordert der EWSA die Kommission aufgrund des Näheverhältnisses des Programms zur Landwirtschafts- und Agrarpolitik jedoch dazu auf, die Finanzierung über die Kategorie 3 „Natürliche Ressourcen und Umwelt“ sicherzustellen.

1.5.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, 25 % der verfügbaren Fördermittel zur Erfüllung der Klimaziele im Rahmen des Übereinkommens von Paris zu widmen, fordert jedoch zusätzliche Informationen, welche Ausgaben als klimarelevant eingestuft werden.

1.6.

Der EWSA stellt fest, dass das Aufgabenvolumen in der Konsumentenschutzpolitik, nicht zuletzt aufgrund des digitalen Wandels, stetig steigt. Daher fordert der EWSA die Kommission auf, die Zusammenarbeit mit Verbrauchernetzwerken und -organisationen weiter auszubauen und das Mittelvolumen für den Verbraucherschutz entsprechend zu erhöhen.

1.7.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass das Mittelvolumen für die Schwerpunkte im neuen Binnenmarktprogramm laut Kommissionsangaben bei rund 3,9 Mrd. EUR und damit in etwa auf gleichem Niveau wie in der laufenden Finanzperiode 2014-2020 liegen soll, äußert jedoch Bedenken, dass es im Rahmen der Verhandlungen zum EU-Finanzrahmen zu Kürzungen und damit zu einer geringeren Mittelausstattung als bisher kommen könnte. Der EWSA begrüßt jedoch, dass im Rahmen von COSME 2 Mrd. EUR zusätzlich aus dem Programm InvestEU zur Verfügung stehen und dass eine Kumulierung von Förderungen aus anderen Programmen möglich ist.

1.8.

Die Statistiken, die im Rahmen des Europäischen Statistischen Programms erstellt werden, haben einen hohen europäischen Mehrwert und stellen eine der Entscheidungsgrundlagen für die Politik der Europäischen Union dar — gerade auch im Bereich des Binnenmarktes. Der EWSA stimmt daher mit der Ansicht der Kommission überein, dass das bisherige Europäische Statistische Programm auch im neuen Binnenmarktprogramm weiterhin mit den erforderlichen Mitteln unterstützt wird.

1.9.

Der EWSA fordert, dass die Europäischen Sozialpartner in allen Phasen des neuen Binnenmarktprogramms entsprechend eingebunden werden.

2.   Grundsätzliche Anmerkungen zum neuen Binnenmarktprogramm

2.1.

Der EWSA hat bereits mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass der Binnenmarkt ein Grundstein für den europäischen Integrationsprozess ist und wesentlich zu Wirtschaftswachstum und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt. Darüber hinaus kann der Binnenmarkt zu Wohlstand beitragen (1).

2.2.

Der EWSA hat in seiner Stellungnahme zum mehrjährigen Finanzrahmen nach 2020 (2) bereits kritisch angemerkt, dass für die nächste Finanzperiode noch weniger Mittel zur Verwirklichung der Ziele der Europäischen Union zur Verfügung stehen als in der laufenden Periode.

2.3.

Im Rahmen des mehrjährigen EU-Finanzrahmens schlägt die Kommission die Zusammenfassung mehrerer Programme und Haushaltslinien aus den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen einschließlich KMU, Verbraucherschutz, Kunden und Endnutzer von Finanzdienstleistungen, Politikgestaltung auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen, Lebensmittelkette sowie die Entwicklung, Erstellung und Verbreitung Europäischer Statistiken vor. Der EWSA begrüßt dieses Vorhaben grundsätzlich, weil dadurch Synergien und Effizienzgewinne bei der Finanzierung der geförderten Projekte verwirklicht werden können. Zudem bietet das Programm einen flexibleren Finanzrahmen, der die Durchführung der Projekte für die Begünstigten erleichtern wird.

2.4.

Die Evaluierung der einzelnen Programme, die nun im neuen Binnenmarktprogramm integriert werden sollen, belegt zudem den hohen europäischen Mehrwert, den die einzelnen Initiativen haben.

2.5.

Nach wie vor ist festzustellen, dass es Barrieren und Hindernisse am Binnenmarkt gibt. Daher müssen die Entwicklungen in diesem Bereich verfolgt, die verbleibenden Hindernisse ermittelt und ein Fahrplan für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes im Interesse aller aufgestellt werden. Der EWSA teilt die Meinung der Kommission, dass das neue Programm einen Beitrag dazu leisten kann, durch die Gestaltung, Umsetzung und Durchsetzung von EU-Rechtsvorschriften für ein besseres Funktionieren des Binnenmarktes zu sorgen. Die Maßnahmen der EU müssen zu einem einfachen, klaren, stabilen und vorhersehbaren Rechtsrahmen für Unternehmen, Arbeitnehmer und Bürger führen. Der EWSA fordert, dass auch die Einhaltung arbeits-, verbraucher- und umweltrechtlicher Normen bei der Schaffung eines fairen und vollkommenen Binnenmarktes Berücksichtigung finden muss.

2.6.

Die Möglichkeit Maßnahmen und Projekte über mehrere EU-Programme wie InvestEU, Horizont Europa oder dem Europäischen Sozialfonds kumulativ zu fördern, wird vom EWSA ausdrücklich begrüßt. Dies könnte sowohl Synergieeffekte bewirken als auch die Finanzierung von Projekten erleichtern.

2.7.

Der EWSA verweist zudem auf die besondere Bedeutung der Weiterentwicklung der EU-Steuerpolitik zur Förderung eines effizienten, wettbewerbsfähigen und fairen Binnenmarktes (3).

3.   Ziele des Programms

3.1.

Kleine und mittlere Unternehmen spielen eine zentrale Rolle für die europäische Wirtschaft. 99 % der Betriebe in der EU sind KMU, zwei Drittel der Beschäftigten arbeiten dort. Aus Sicht des EWSA ist es daher maßgeblich, dass KMU bei der Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit von der Europäischen Union unterstützt werden. Der EWSA betont, wie wichtig Unterstützungsmaßnahmen für professionelle Dienstleistungen und Unternehmensdienstleistungen sind, da sie die Wettbewerbsfähigkeit europäischer KMU fördern. Sie sind auch für viele andere Sektoren von großer Bedeutung und spielen bei der Dienstleistungsorientierung (Servitization) der europäischen Wirtschaft eine zentrale Rolle.

3.2.

Der EWSA verweist auf die positiven Erfahrungen mit dem Programm COSME, das für KMU aufgrund ihrer bedarfsgerechten Förderungen in Bereichen wie dem Tourismus, der Textilindustrie und anderen Sektoren sehr weitergeholfen und damit zu Wirtschaftswachstum und der Entstehung neuer Arbeitsplätze wesentlich beigetragen hat. Die Förderungen über COSME sollen daher weitergeführt und ausgebaut werden.

3.3.

In den letzten Jahren waren KMU vor allem beim Zugang zu Finanzmitteln mit Schwierigkeiten konfrontiert. Aufgrund mangelnder Kreditwürdigkeit können kleine und mittlere Unternehmen keine entsprechenden Investitionen in Zukunftsthemen wie im Bereich Digitalisierung, Innovationen und Globalisierung tätigen. Diese Situation hat negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum, die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen bis hin zur Gefährdung des Fortbestands von Unternehmen. Der EWSA begrüßt daher die zusätzliche Möglichkeit der Refinanzierung über Kredit- und Beteiligungsfinanzierungsinstrumente im Rahmen des neuen Fonds InvestEU.

3.4.

Zudem sind Förderungen im Bereich des Kapazitätsaufbaus für Sozialpartner, die öffentliche Verwaltung und andere Begünstigte nötig, um diesen Akteuren die Möglichkeit zu geben, an den EU-Programmen teilzunehmen.

3.5.

Die Förderung von Jungunternehmern sowie von innovativen Produkten und Dienstleistungen soll einen der Eckpunkte im Rahmen des Binnenmarktprogramms bilden. Eine Förderung neuer Geschäftsmodelle, fortschrittlicher Technologien, Lösungen hinsichtlich der Reduktion von CO2-Emissionen und der Ressourcenverwendung aber auch andere Bereiche wie Initiativen für internationale Aktivitäten oder Personalsuche und Qualifikationsmaßnahmen über Cluster-Initiativen hält der EWSA für einen positiven Ansatz und unterstützt die Arbeit der Europäischen Plattform für Cluster-Zusammenarbeit.

3.6.

In vielen Wirtschaftsbereichen ist die Arbeit mit digitalen Lösungen bereits eine Selbstverständlichkeit geworden. Das erfolgreiche Bestehen und die Wettbewerbsfähigkeit der KMU hängt nicht zuletzt davon ab, rechtzeitig in die entsprechende digitale Infrastruktur zu investieren. Daher unterstützt der EWSA das Vorhaben, KMU bei Investitionen in digitale Projekte zu fördern. Diese sollen so ausgerichtet sein, dass sie einen Nutzen sowohl für den Unternehmenssektor als auch für die Zivilgesellschaft als Ganzes haben.

3.7.

Der EWSA spricht sich dafür aus, die digitalen Portale „Ihr Europa“, SOLVIT, „Ihr Europa — Beratung“, das Binnenmarkt-Informationssystem und den Binnenmarktanzeiger weiterhin zu unterstützen sowie die Schaffung und Erweiterung weiterer öffentlicher digitaler Dienste und die Zusammenarbeit der Behörden in und zwischen den Mitgliedstaaten im digitalen Bereich zu fördern, unter anderem auch im Zusammenwirken mit dem Programm Digitales Europa.

3.8.

Der EWSA nimmt in dem Zusammenhang den progressiven Ansatz der Kommission 25 % der verfügbaren Fördermittel zur Erfüllung der Klimaziele im Rahmen des Übereinkommens von Paris zu reservieren positiv zur Kenntnis, fordert jedoch zusätzliche Informationen welche Ausgaben als klimarelevant eingestuft werden.

3.9.

Im Rahmen des Binnenmarktprogramms sollen die Verbraucherinteressen unterstützt und ein hohes Maß an Verbraucherschutz ermöglicht werden. Der EWSA stellt fest, dass die Herausforderungen in der Konsumentenschutzpolitik, unter anderem durch den Online-Handel mit Waren und Dienstleistungen beziehungsweise aufgrund des digitalen Wandels generell stetig steigen, teilweise aufgrund von unangemessenen Deregulierungsmaßnahmen wie z. B. der Abschaffung von gesetzlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen oder Berufszugangsbestimmungen. Das neue Programm muss daher dafür Sorge tragen, dass Konsumenten bei ihren Verbraucheraktivitäten entsprechend informiert, unterstützt und aufgeklärt werden. Gleichzeitig muss auch eine angemessene Unterstützung und Aufklärung von Unternehmen über Verbraucherschutzvorschriften sichergestellt werden.

3.10.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ab dem Jahr 2008 hat gezeigt, dass gerade bei Finanzdienstleistungen eine umfassende Beratung und Aufklärung für den Verbraucher, einschließlich der Schuldnerberatung, wesentlich ist. Zudem ist in diesem Bereich eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Politikgestaltung, insbesondere durch die Förderung von Organisationen, die die politischen Interessen der Verbraucher im Finanzdienstleistungsbereich unterstützen, nötig.

3.11.

Die Bereitstellung von Markt- und Verbraucherinformationen oder der Zugang zu Rechtsbehelfen, sollen über Förderungen für Konsumentenschutzorganisationen und verantwortliche Durchsetzungsbehörden gewährleistet werden. Der EWSA verweist indes darauf, dass der New Deal für Konsumenten den berechtigten Erwartungen der Verbraucher nicht entspricht, was er auch in seiner jüngsten Stellungnahme zu dem einschlägigen Kommissionsvorschlag betont hat.

3.12.

Der Konsumentenschutz auf Ebene der Europäischen Union wird insbesondere durch das Netzwerk der Europäischen Verbraucherzentren und durch den Europäischen Verbraucherverband (BEUC) ganz wesentlich unterstützt. Über das Netzwerk konnten in den letzten Jahren Millionen von Konsumenten erreicht und informiert werden, zudem war es dadurch möglich, mehrere hunderttausend Verbraucheranfragen zu beantworten. Der BEUC konnte die Konsumenteninteressen aktiv in allen relevanten Politikfeldern der Union vertreten. Mit den Förderungen für das Netzwerk und des BEUC konnte ein hoher europäischer Mehrwert erzielt werden. Der EWSA spricht sich daher dafür aus, die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Netzwerk der Europäischen Verbraucherzentren und dem Europäischen Verbraucherverband BEUC langfristig weiterzuführen und kontinuierlich auszubauen. Der EWSA begrüßt ebenfalls die geplante Kooperation mit nationalen Verbraucherschutzorganisationen.

3.13.

Um die Vertretung der Verbraucherinteressen bei Finanzdienstleistungen zu verbessern, wurden die beiden gemeinnützigen Organisationen Finance Watch und Better Finance im Rahmen eines Pilotprojekts und später mit einer vorbereiteten Maßnahme gefördert. Mit der Verordnung (EU) 2017/826 zum Aufbau von Kapazitäten in diesem Bereich ist die weitere Kofinanzierung dieser Vereinigungen verbunden. Der EWSA fordert die Kommission auf, die Zusammenarbeit mit Organisationen in diesem Politikbereich weiter zu verstärken.

3.14.

Der EWSA stellt fest, dass die Mittelausstattung für den Schutz der Verbraucherinteressen angesichts der Fülle von zu bewältigenden Aufgaben mit 198,5 Mio. EUR sehr knapp bemessen ist. Der EWSA fordert das Europäische Parlament und den Rat auf, das verfügbare Budgetvolumen entsprechend zu erhöhen.

3.15.

Daten und Statistiken stellen die Grundlage für Entscheidungen in zahlreichen Bereichen wie der Sozial-, der Wirtschafts-, der Regional-, der Umwelt- und der Agrarpolitik dar. Die Statistiken, die im Rahmen des Europäischen Statistischen Programms erstellt werden, haben daher einen hohen europäischen Mehrwert und stellen eine der Entscheidungsgrundlagen für die Politik der Europäischen Union dar — gerade auch im Bereich des Binnenmarktes. Daher stimmt der EWSA mit der Ansicht der Kommission überein, dass das bisherige Europäische Statistische Programm auch im Rahmen des Binnenmarktprogramms weiterhin mit den erforderlichen Mitteln unterstützt werden soll, insbesondere vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, der Modernisierung der statistischen Produktionsprozesse und dem steigenden Bedarf an statistischen Daten.

3.16.

Im Bereich der Normen und Standards spricht sich der EWSA dafür aus, dass diese schnell und rechtzeitig in Zusammenarbeit mit den Vertretern der KMU, der Beschäftigten, Verbraucher sowie Umweltvertreter ausgearbeitet werden.

3.17.

Das Programm zur Lebensmittelversorgungskette fördert Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus für Mensch, Tier und Pflanzen. Zudem soll die Nachhaltigkeit der Lebens- und Futtermittelproduktion auf EU-Ebene verbessert und Qualitätsstandards gesteigert werden. Auswirkungen von Tierseuchen oder durch Schädlinge sollen durch präventive, von der Union geförderte Programme minimiert werden. Das Umweltschutzniveau und die biologische Vielfalt sollen ebenfalls gefördert werden.

3.18.

Viele der Maßnahmen des Programms der Lebensmittelversorgungskette setzen im Bereich der Landwirtschafts- und Agrarpolitik sowie der Umweltpolitik an. Der EWSA fordert die Kommission daher dazu auf, die Finanzierung dieser Förderungen aus der Nahrungsmittelkette über die Kategorie 3 „Natürliche Ressourcen und Umwelt“ sicherzustellen.

4.   Mittelausstattung

4.1.

Die Kommission schlägt eine Mittelausstattung für das Binnenmarktprogramm in Höhe von insgesamt 4,089 Mrd. EUR für den Zeitraum 2021-2027 vor. Davon sind für

das Ziel Binnenmarkt rund 438 Mio. EUR

das KMU-Programm COSME 1 Mrd. EUR

Verbraucher 198,5 Mio. EUR

die Normung 220,5 Mio. EUR

die Statistik 552 Mio. EUR und

die Lebensmittelkette 1 680 Mio. EUR vorgesehen.

4.2.

Der EWSA merkt an, dass bezüglich der Vergleichbarkeit der Mittelausstattung zur laufenden Finanzperiode 2014-2020 aufgrund des BREXITs und der Integration der Einzelprogramme in das Binnenmarktprogramm nur begrenzte Aussagen zur gegenwärtigen Mittelausstattung gemacht werden können.

4.3.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass für das Binnenmarktprogramm laut Aussagen der Europäischen Kommission ein vergleichbares Volumen wie in der laufenden Finanzperiode (rund 3,9 Mrd. EUR) vorgesehen ist, äußert jedoch Bedenken, dass es im Rahmen der Verhandlungen zu Kürzungen der Mittelausstattung kommen könnte und damit zu einer Verringerung der verfügbaren Gelder gegenüber der Periode 2014-2020.

4.4.

Der EWSA stellt fest, dass mehr als 41 % der Gesamtmittel beziehungsweise 1,68 Mrd. EUR für die Lebensmittelkette veranschlagt sind, was den mit Abstand höchstdotierten Posten im Rahmen des Binnenmarktprogramms darstellt, während weniger als 5 % für verbraucherpolitische Projekte zur Verfügung stehen sollen.

4.5.

Der EWSA äußert sich erfreut, dass zusätzlich zum COSME-Programm in Höhe von 1 000 Mio. EUR weitere 2 000 Mio. EUR über das Finanzierungsfenster InvestEU für die Förderung von KMU zur Verfügung stehen (4).

4.6.

Der EWSA fordert eine deutliche finanzielle Aufwertung für den verbraucherpolitischen Teil des Binnenmarktprogramms, da die Herausforderungen in der Konsumentenschutzpolitik, nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Bedeutung des grenzüberschreitenden Online-Handels und der Online-Dienstleistungen, stark steigen.

4.7.

Hinsichtlich der Lebensmittelkette fordert der EWSA die Sicherstellung der Finanzierung aus den Mitteln der Kategorie 3 „Natürliche Ressourcen und Umwelt“ für jene Maßnahmen, die nicht Teil der Marktüberwachung sind. Darunter fallen beispielsweise Aktivitäten gegen Tierseuchen und die Bekämpfung von Pflanzenschädlingen sowie der Tierschutz.

4.8.

Die Möglichkeit der kumulierten Finanzierung von Projekten aus anderen Programmen wie dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, dem Kohäsionsfonds, dem Europäischen Sozialfonds Plus oder dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums wird vom EWSA begrüßt.

4.9.

Förderfähig im Sinne des Artikel 3 des Binnenmarktprogramms sollen neben der Unterstützung von KMU, von Jungunternehmen und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wachstums von Unternehmen auch Maßnahmen sein, die es Bürgern, Verbrauchern, Endnutzern, Gewerkschaften sowie Vertretern der Zivilgesellschaft und Unternehmen ermöglichen, aktiv an der politischen Diskussion, der Politikgestaltung und Entscheidungsfindung teilzunehmen, unter anderem im Rahmen der Unterstützung der Tätigkeiten von nationalen und unionsweiten Vertretungsorganisationen.

Brüssel, den17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 1.

(2)  ECO/460 — Stellungnahme zum Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum nach 2020 (verabschiedet auf der Plenartagung vom September 2018).

(3)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 1.

(4)  COM(2018) 439 final.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms ‚Customs‘ für die Zusammenarbeit im Zollwesen“

(COM(2018) 442 final — 2018/0232 (COD))

(2019/C 62/07)

Berichterstatterin:

Laure BATUT

Befassung

Europäisches Parlament, 14.6.2018

Rat der Europäischen Union, 27.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114, Artikel 33 und Artikel 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

2.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

191/3/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Bedeutung, die dem Zoll für den Binnenmarkt beigemessen wird, und das Ziel des Vorschlags, der die Zollunion und die Zollbehörden mit einem neuen Finanzinstrument für die Umsetzung der Zollpolitik im Hinblick auf die einheitliche Anwendung der Vorschriften unterstützen soll. Nach Ansicht des EWSA sollten die europäischen Zollverwaltungen, die bereits einen gemeinsamen Rechtskodex anwenden, am Ende politisch wie eine einzige Verwaltung funktionieren.

1.1.   Zum Haushalt und zur Umsetzung des Programms „Customs“:

1.1.1.

Der EWSA hält die für das Programm „Customs“ für sieben Jahre vorgesehene Summe von 950 Mio. EUR, das heißt im Schnitt 5,02 Mio. EUR jährlich pro Land (EU-27), angesichts der umfassenden Zielsetzungen des Vorschlags und der für die Mitarbeiter, Netze, Technologien sowie das Material festgelegten Ziele für möglicherweise nicht ausreichend. Da die Verantwortung bei den Staaten liegt, empfiehlt der EWSA der Kommission, den nationalen Zollbehörden die uneingeschränkte Nutzung des Programms sowie der zwischen den Programmen angekündigten Synergien zu ermöglichen. Er erwartet, dass die Kommission für Flexibilität zwischen den Haushaltsschwerpunkten des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) sorgt.

1.1.2.

Der EWSA räumt ein, dass es schwierig ist, quantifizierte Hypothesen für die Kosten des Brexits aufzustellen, die wahrscheinlich sehr hoch sein werden. Er empfiehlt, den Verordnungsvorschlag nach und nach anzupassen, ohne dass sich dies nachteilig auf die Vollendung des Binnenmarkts der 27 auswirkt, und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass gut ausgebildete Bedienstete sowie gemeinsame und mit Blick auf die Vereinigten Staaten und China wettbewerbsfähige Zollinstrumente und -verfahren unabdingbar sind.

1.2.   Zum IT-Bereich im Programm:

Da der größte Nutzen des Programms im IT-Bereich erwartet wird und eine reibungslose Entwicklung der IT-Strategie im Zollwesen (1) zu gewährleisten ist, begrüßt der EWSA die Aufnahme von Instrumenten zur Finanzierung und Förderung der Entwicklung und Wartung der transeuropäischen IT-Systeme des Zolls und insbesondere die Aufnahme von Instrumenten für die IT-Planung in das System, vor allem wenn sie zur Verringerung von Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten beitragen.

1.2.1.

Zur technologischen Innovation: Der EWSA empfiehlt, das Programm zu nutzen, um technologische Innovationen in allen teilnehmenden Staaten gleichzeitig zu verbreiten.

1.2.2.

Zur Zusammenarbeit im digitalen Bereich: Um den Nutzen dieser Zusammenarbeit zu maximieren, empfiehlt der EWSA, die Mitgliedstaaten zur Ergreifung von Maßnahmen aufzufordern, um die Unterschiede bei den Verfahren und Kompetenzen zu verringern und ihren gemeinsamen Willen zur Betrugsbekämpfung zu stärken.

1.3.   Zum Aufbau von Kompetenzen:

Der EWSA hält den Aufbau von Kompetenzen der Verwaltungsbediensteten und die Ausbildung im Zollbereich für entscheidend für die reibungslose Zusammenarbeit der EU im Zollwesen. Er empfiehlt, das Programm umfassend zu nutzen, um die bereits angestoßenen Entwicklungen weiterzuführen (2), die einige Jahre nach dem Programm Matthaeus durch ein Programm Erasmus im Bereich Zoll (befristeter Austausch von Bediensteten aller Laufbahngruppen) fortgesetzt werden könnten.

1.3.1.

Der EWSA empfiehlt, den Zollbehörden im Hinblick auf den Zugang zu den interoperablen Systemen für Personenkontrollen an den Grenzen den Titel „berechtigte Behörden“ (3) zuzusichern.

1.4.   Zu den Grundrechten:

Nach Ansicht des EWSA sollte das Programm in seinem Anwendungsbereich dazu beitragen, die Wahrung der Grundrechte und des Datenschutzes zu stärken.

1.5.   Zu den Indikatoren:

Der EWSA empfiehlt, die teilnehmenden Staaten dabei zu unterstützen, ihren Verpflichtungen bei der Berichterstattung über die Durchführung des Programms gemäß den vorgeschlagenen Indikatoren ordnungsgemäß nachzukommen, da die nationalen Verwaltungen angesichts der Knappheit der öffentlichen Mittel nicht immer über genügend Zeit/Bedienstete verfügen. Der EWSA schlägt vor, zumindest in den ersten fünf Jahren alle Mitgliedstaaten miteinander zu vergleichen.

1.6.   Zur Governance:

Der EWSA befürwortet einen offenen Dialog über die Durchführung des Programms zwischen den Mitgliedstaaten, der Kommission und den Betroffenen. Er empfiehlt, dass der Europäische Rat durch seine wiederholte Unterstützung im Laufe der Jahre für die Sichtbarkeit des Programms sorgt und dass die Bedingungen für einen uneingeschränkten Erfolg des Programms begünstigt werden, wie die Steuerharmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten, das Engagement aller teilnehmenden Länder bei den Ausbildungsgängen und ihr Wille, in die Zusammenarbeit zu investieren, den Betrug zu bekämpfen und fairen Handel zu treiben.

2.   Einführung

2.1.

Im von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen MFR sollen mit dem Programm „Customs“die Zusammenarbeit zwischen den Zollbehörden unterstützt und die wirtschaftlichen und finanziellen Interessen der Union geschützt werden. Nach 50 Jahren verfügt die Zollunion über einen auf europäischer Ebene harmonisierten Rechtsrahmen. Dennoch sind weitere Fortschritte erforderlich, um sicherzustellen, dass die Zollbehörden der Mitgliedstaaten ihre Aufgaben einheitlich und gleichwertig ausüben. Ein gemeinsames Zollgebiet und ein gemeinsamer Außenzolltarif untersagen Zölle und Abgaben gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten. Es gibt jedoch nach wie vor Unterschiede: Mit einem „Zolltourismus“, der unlauterem Wettbewerb gleichkommt, werden Schlupfwinkel bei der Anwendung der Bestimmungen genutzt, die zusammen mit den Zollsanktionen unter nationales Recht fallen.

2.2.

Die einheitliche Umsetzung ist umso schwieriger, als die Rolle des Zolls sehr vielfältig ist. Er verkörpert einen politischen Kompromiss zwischen den nationalen, europäischen und internationalen Handelsbestimmungen und der Freizügigkeit. Der Zoll betrifft Waren — legale Waren, deren Verkehr er fördern muss, illegale Waren, die er abfangen muss, gefährliche Waren, die er stoppen muss. In einigen Mitgliedstaaten erstellen die Zollbehörden auch die Außenhandelsstatistiken.

2.3.

Der Zoll sorgt darüber hinaus für die Einhaltung zahlreicher nichtzollrechtlicher Vorschriften:

a)

Er schützt die Bevölkerung vor terroristischen, ökologischen und gesundheitlichen Bedrohungen sowie vor Schusswaffen und Drogen, kontrolliert Währungsbewegungen, Rechte des geistigen Eigentums, Gesundheit und öffentliche Sicherheit, Produktsicherheit, Schutz wildlebender Arten und Umweltschutz usw. Seine Rolle wächst in allen Bereichen der Sicherheit.

b)

Die Zollbehörden spielen ferner eine entscheidende Rolle bei der Sicherstellung der Integrität der Lieferkette. Es wird zahlreiche Synergien zwischen anderen Finanzierungsprogrammen des MFR und dem Programm „Customs“ geben.

2.4.

Der Zoll verwendet bereits digitale Geräte und Technologien, durch die sich die Kontrollzeiten und die öffentlichen Ausgaben trotz der Zunahme des Umfangs des Welthandels und der grenzüberschreitenden Kriminalität reduziert haben. Er ist ein entscheidendes Instrument für die Regierungen und die Union. Der Zoll kann auf dem gesamten Unionsgebiet für den Schutz der finanziellen Interessen der EU (beispielsweise: Zölle/Vereinigte Staaten) und der Bürger (beispielsweise: Rinderwahnsinn) mobilisiert werden. Die Europäische Grenz- und Küstenwache (4) wird ihn verstärken.

3.   Zusammenfassung des Verordnungsvorschlags

3.1.

Für den Zeitraum 2021-2027 (5) hat die Europäische Kommission ihren Gesamthaushaltsentwurf auf die politischen Ziele der Union der 27 ausgerichtet. Im Rahmen dieser Ziele stellt das neue Programm „Customs“ die intensivere und umfassendere Fortsetzung des Programms „Zoll 2020“ dar und soll die Umsetzung des Zollkodex der Union (UZK) (6) und der Zollpolitik unterstützen. Zu diesem Zweck wird eine strukturierte, methodologische und haushaltspolitische Zusammenarbeit sowie ein Ausbau der operativen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und darüber hinaus mit den Teilnehmerländern gefördert, zu denen auch Kandidatenländer und Beitrittsländer gehören.

3.2.

Die Zahl der Zollanmeldungen steigt (etwa 310 Mio. im Jahr 2016, d. h. 10 Anmeldungen pro Sekunde, von denen 98 % elektronisch eingereicht werden). Der UZK hat bereits den Anstoß für ein gewaltiges Digitalisierungsprojekt von 17 elektronischen Systemen im Zeitrahmen 2020 bis 2025 gegeben. Sie sind auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen ausgerichtet. Nach Ansicht der Kommission stellen sie den größten Mehrwert des Programms Customs dar.

3.3.

Bei der Folgenabschätzung wurde die Notwendigkeit des Aufbaus von Kompetenzen und einer Abstimmung zwischen den Zollbehörden der EU sowie vereinfachter Indikatoren festgestellt, um den Verwaltungsaufwand der Behörden zu verringern. Der Vorschlag sieht eine Intensivierung der Maßnahmen, sowohl auf operativer Ebene mit einem strukturellen Austausch bewährter Verfahren und operativer Kenntnisse zwischen den Mitgliedstaaten als auch durch eine Reihe von IT-Systemen und -Infrastrukturen vor, um den Zoll vollständig elektronisch (7) abzuwickeln. Die Vorhaben werden über mehrere Jahre und natürlich in Synergie mit dem Programm Fiscalis durchgeführt.

3.4.

Die Kommission wird die internationalen Verpflichtungen der EU im Rahmen der WTO einhalten. Um der politischen Botschaft zu entsprechen, die in der Mitteilung zur Governance (8) enthalten ist, sollten die Zollverwaltungen der Mitgliedstaaten so arbeiten und handeln, als wären sie eine einzige Verwaltung.

3.5.

Die Kommission verbindet die Einsparungen im Rahmen des Brexits, von Reformen und der Sparpolitik mit neuen, von den Mitgliedstaaten zu leistenden Beiträgen und schlägt einen mehrjährigen Finanzrahmen der Union von 1 279 Mrd. EUR für den Zeitraum 2021-2027 vor, d. h. 1,11 % des von den 27 erwirtschafteten Vermögens, davon 950 Mio. EUR für das Programm „Customs“.

3.5.1.

Mit einer Kombination von Finanzmitteln werden Synergien durch eine neue Flexibilität zwischen verschiedenen Schwerpunkten bei der Verwaltung des Gesamthaushalts ermöglicht, beispielsweise für die IT. Der Fonds für integriertes Grenzmanagement kann von den nationalen Zollstellen mobilisiert werden, um ihre Zollkontrollausrüstung (Anschaffung, Wartung und Modernisierung förderfähiger Ausrüstung) zu verbessern, während mit dem Programm „Customs“ alle damit zusammenhängenden Maßnahmen, beispielsweise Kooperationsmaßnahmen zur Ermittlung des Ausrüstungsbedarfs oder gegebenenfalls Schulungen zu der erworbenen Ausrüstung, gefördert werden.

3.5.2.

Mit dem Programm zur Unterstützung von Strukturreformen können die Verwaltungskapazitäten der Zollstellen verbessert werden. Mit dem Programm „Customs“ werden die Zollbehörden beim Schutz der finanziellen Interessen der EU unterstützt und erhalten zudem Unterstützung aus dem Betrugsbekämpfungsprogramm, das auf das laufende Programm Hercule III (9) und das Informationssystem zur Betrugsbekämpfung folgt, durch das die gegenseitige Amtshilfe im Zollbereich gefördert wird. Das Programm „Customs“ weist bei den Schulungen zur Anwendung der Zollbestimmungen der Union Synergien mit „Fiscalis“, den Tätigkeiten der europäischen Staatsanwaltschaft und dem Programm „Justiz“ des Fonds Justiz, Rechte und Werte auf.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.   Durchführung des Programms „Customs“

4.1.1.

Am 24. März 2018 empfahl das Europäische Parlament, den Gesamthaushalt der Union um 219 Mrd. EUR aufzustocken. Die Kommission will den Schwerpunkt auf den europäischen Mehrwert gegenüber den nationalen öffentlichen Ausgaben legen. Die Gesamtaufstockung entspricht jedoch nur 1,11 % des von der EU erwirtschafteten Vermögens (10) (1,13 % im vorhergehenden Zeitraum). Der Durchschnitt lag zwischen 1993 und 1999 bei 1,25 %. Der EWSA, der seit Jahren für eine Erhöhung der Eigenmittel der EU eintritt (11), erwartet, dass der politische Wille zur Vollendung des Binnenmarkts in der Zollpolitik zum Ausdruck kommt und die nationalen Zollbehörden für ihre Umsetzung Unterstützung erhalten.

4.1.2.

Der EWSA stellt die Art der Festlegung des Betrags in Höhe von 950 Mio. EUR für die Jahre 2021-2027 (Artikel 4 Absatz 1 des Vorschlags) infrage: 137,7 Mio. EUR jährlich, das heißt 5,02 Mio. EUR pro Jahr und Land (zu 27), scheinen bei unterschiedlichem Entwicklungsstand wenig zu sein.

4.2.

Im Vorschlag ist vorgesehen, durch die Vergabe von Aufträgen und Finanzhilfen in direkter Verwaltung vorzugehen. Durch die Flexibilität des neuen Modells des MFR könnten Synergien zwischen verschiedenen Programmen und zwischen den einzelnen Aufgaben des Zolls, seinen Beziehungen zu anderen Verwaltungen, den anderen Interventionsbereichen der EU, wie den Programmen „Digitales Europa“ (12), „Fiscalis“, „Justiz“ usw., und den diesbezüglichen Haushaltsbereichen geschaffen werden. Der EWSA hält dies für ein gutes Prinzip, fragt sich jedoch, worin die Förderfähigkeitskriterien für die Aufteilung der beantragten Finanzhilfen zwischen den durchlässigen Kapiteln jedes Programms bestehen werden. Er befürchtet, dass bei diesen Kombinationen von Finanzierungen eine Kluft zwischen Theorie und Praxis in den Fällen entstehen kann, in denen verschiedene Maßnahmen gleichzeitig im Rahmen eines Fonds stattfinden sollen, der aber nicht erhöht werden kann.

4.3.

Die Kommission scheint der Ansicht zu sein, dass für die Einnahmen der Mitgliedstaaten und der EU eine gute Konjunktur bevorsteht, dies ist jedoch nur eine Hypothese, die für einen Zeitraum von sieben Jahren kaum überprüft werden kann.

4.4.

Gemäß dem Vorschlag liegt ein Großteil der haushaltspolitischen Verantwortung weiter bei den Mitgliedstaaten, die Komponenten auf ihrer Ebene unter Berücksichtigung nationaler Zwänge festlegen müssen. Die Mitgliedstaaten sehen sich jedoch weiterhin der durch das Europäische Semester auferlegten Sparpolitik und einem Wachstum gegenüber, das, insbesondere im Euro-Währungsgebiet, auf sich warten lässt. Allerdings ermöglicht der Vorschlag es den Mitgliedstaaten im Wege der strukturierten Zusammenarbeit zu kooperieren, insbesondere bei der Entwicklung von Komponenten der entsprechenden IT-Systeme.

5.   Besondere Anmerkungen des EWSA

5.1.   IT-Bereich

5.1.1.

Der IT-Bereich wird voraussichtlich am meisten von dem Programm profitieren (13). Der Zoll ist wahrscheinlich der erste Baustein der elektronischen Verwaltung, über den die Union verfügt. Die Baumstruktur der Kontroll- und Anmeldungsinstrumente erfordert eine immer stärkere Vernetzung und Interoperabilität. Dies erfordert zunächst, dass die Mitgliedstaaten für den Zoll überall über wirksame Höchstgeschwindigkeitsinfrastrukturen im IT-Bereich verfügen. Der EWSA spricht sich dafür aus, die Zollbehörden der 27 darüber hinaus als zur Nutzung der künftigen Architektur der interoperablen Grenzkontrollsysteme „berechtigte Behörden“ anzuerkennen (14).

5.1.2.

In Artikel 7 Absatz 5 und Artikel 8 des Vorschlags heißt es, dass der für die Projekte von der Kommission angewendete Finanzierungssatz für die Zusammenarbeit bei bis zu 100 % liegen kann. Wenn die Maßnahmen die Entwicklung und den Betrieb eines europäischen elektronischen Systems betreffen, werden nur die Kosten der gemeinsamen Komponenten und der Koordinierung übernommen, und die Mitgliedstaaten tragen die Kosten für die Zuständigkeiten, die ihnen gemäß der Verordnung übertragen wurden.

5.1.3.   Innovation im IT-Bereich

5.1.3.1.

Die digitalen Netze mit sehr hoher Kapazität kommen sämtlichen innovativen digitalen Diensten zugute. Damit der Mehrwert der IT-Systeme für das Zollwesen die erwarteten Ergebnisse bringt, müssen alle privaten (Unternehmen) und öffentlichen (Behörden von Drittstaaten) Akteure, die mit dem Zoll zu tun haben, Zugang zu bestmöglichen Materialien und Diensten haben.

5.1.3.2.

Wenn der mehrjährige Strategieplan für die elektronischen Systeme im Zollbereich (e-customs MASP-C) (15) in das Programm „Customs“ integriert wird, werden alle digitalen Innovationen über diesen Plan erfolgen. Der EWSA fordert, dass alle von den Behörden validierten Innovationen in abgesicherter Form über das gesamte Verbundnetz des Zolls in der Union verbreitet werden, damit es keinen Zeitverlust nach der Validierung und keine Verlagerung von Handelsströmen gibt.

5.1.3.3.

Auf die Notwendigkeit der Cybersicherheit wird in allen Bereichen für die Daten und Netze hingewiesen. Je mehr Vernetzung es gibt, desto größer sind die Risiken. Nach Ansicht des EWSA ist dies wichtig genug für eine Erwähnung im Programm und die Bereitstellung entsprechender Mittel, zumal die Tätigkeiten des Zolls strategische Aspekte aufweisen.

5.2.   Indikatoren

5.2.1.

Die Kommission legt den Schwerpunkt auf die Unterstützung, die das Programm bei der einheitlichen Umsetzung der Rechtsvorschriften und der Zollpolitik leisten kann, und schlägt zu seiner Evaluierung neuartige Qualitätsindikatoren vor.

5.2.2.

Der EWSA empfiehlt, die teilnehmenden Länder über die im Programm vorgesehenen Schulungen auf diese aufschlussreiche Datensammlung vorzubereiten, sowohl mit Blick auf die Erfassung als auch die Verarbeitung. In Zeiten von Kürzungen öffentlicher Haushaltsmittel haben die Zollstellen möglicherweise nicht genügend Zeit/Mitarbeiter, um diese Untersuchungen durchzuführen, deren Zuverlässigkeit deshalb zweifelhaft sein könnte. Es gibt bereits Messinstrumente und eine Software könnte Informationen wie „Verfügbarkeit der europäischen elektronischen Systeme“ direkt liefern.

5.3.   Governance

5.3.1.

Um die Verlagerung von Handelsströmen und der Wettbewerbsfähigkeit zu verhindern, besteht das Ziel der Kommission darin, die Maßnahmen im Hinblick auf eine einheitliche Anwendung der Bestimmungen zu koordinieren. Sie möchte wie in der Vergangenheit Ausschüsse und Expertengruppen hinzuziehen und dringt auf die Teilnahme der Zivilgesellschaft.

5.3.2.

Diese Abstimmung muss mit den nationalen Zollbehörden und Fachvertretern auf operativer Ebene und langfristig erfolgen. Der EWSA würde einen offenen Dialog mit Akteuren wie externen Sachverständigen und Vertretern staatlicher Stellen, vor allem aus Drittstaaten, Vertretern internationaler Organisationen, Wirtschaftsbeteiligten und der Zivilgesellschaft begrüßen. Seines Erachtens sollte 1) der Europäische Rat diesen bis zum Auslaufen des Programms „Customs“ propagieren und sich an seiner vollständigen Durchführung interessiert zeigen, 2) das Programm nähere Angaben zu den Teilnehmern aus der Zivilgesellschaft und zum Zugang zu Rechtsmitteln enthalten, die den Bürgern zur Verteidigung ihrer Rechte zur Verfügung stehen könnten.

5.3.3.

Nach Auffassung des EWSA wäre es für einen Erfolg dieser Vereinheitlichung wichtig, dass alle Staaten und die Institutionen der EU transparent auf die gleichen Ziele hinarbeiten. Der EWSA hätte es begrüßt, wenn nach den politischen Entscheidungen über die Prioritäten (im Einklang mit der Zollpolitik und der Migrationspolitik) zwischen Maßnahmen in Verbindung mit der Kontrolle legaler Waren, der Kontrolle illegaler Waren und der Kontrolle von Personen an der Grenze hätte unterschieden werden können.

5.3.4.

Es ist auf allgemeine Aspekte hinzuweisen, die den Erfolg des Programms „Customs“ begünstigen würden, wie die Steuerharmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten, das Engagement aller teilnehmenden Länder bei den Ausbildungsgängen und ihr Wille, in die Zusammenarbeit zu investieren, den Betrug zu bekämpfen und fairen Handel zu treiben.

5.4.   Aufbau von Kompetenzen

5.4.1.

Der Zoll beginnt nicht bei null, er verfügt über Mitarbeiter, Material und Wissen. Dieser sehr wichtige Punkt wird im Programm genannt, aber nicht ausgeführt. Jede nationale Verwaltung muss für eine Förderung durch das Programm Infrastrukturen und Aufbau der Kompetenzen infrage kommen.

5.4.2.

Der Ausschuss plädiert für die allgemeine Einführung von gemeinsamen europäischen Ausbildungsgängen nach dem Vorbild von Europol. Sie könnten themenbezogen sein und Interoperabilität, Prüfungen von AEO (16), Betrugsbekämpfung, Cybersicherheit, interne Sicherheit usw. behandeln. Sie könnten abgesehen von den bereits von der Kommission in digitalem Format entwickelten Modulen durch ein Programm Erasmus Zoll zur Weiterbildung ergänzt werden, das den befristeten Austausch von Bediensteten aller Dienststufen ermöglicht und im Rahmen des Programms Customs finanziert wird.

5.4.3.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen nationalen Verwaltungen mit unterschiedlichen Kulturen und für die Ermittlung und den Austausch bewährter Verfahren Bedienstete nötig sind, die sich kennen und gelernt haben, ihren Beruf beim Einsatz digitaler Technologien, aber auch in anderen Bereichen (administrative Kompetenzen) in ähnlicher Weise auszuüben (17). Der EWSA hält es für die Staaten und die Union für politisch sinnvoll, die Präsenz der Zollverwaltungen vor Ort trotz der immer größeren Technisierungsanforderungen beizubehalten. Er erwartet, dass die Sparpolitik in Verbindung mit den ehrgeizigen Zielen des Programms nicht zur Reduzierung der Zahl öffentlicher Bediensteter führt und dass alle Zugang zur Erweiterung ihrer Kenntnisse erhalten, um mit ihren europäischen Kollegen zusammenzuarbeiten.

5.5.   Schutz der Grundrechte

5.5.1.

Der Ausschuss betont, dass das Programm „Customs“ nicht nur ein Instrument für die Umsetzung der Zollpolitik ist, sondern durch die harmonisierten Ausbildungsgänge für die Bediensteten und die Vertreter der teilnehmenden Drittstaaten zum Katalysator für die Einhaltung der Grundrechte werden kann und es wichtig ist, diese Chance nicht verstreichen zu lassen.

5.5.2.

Die Datenschutz-Grundverordnung (18) gilt in der gesamten EU. Gewerbliche Nutzer, Unternehmen und Bedienstete müssen sie einhalten und sie geltend machen können. Der Schutz sowohl ziviler als auch industrieller und gewerblicher Daten kann entscheidende Bedeutung haben und muss von den nationalen und den gemeinsamen Systemen bei Regelverfahren und Streitverfahren sowie beim elektronischen Handel und in den Statistiken im Zusammenhang mit Fortschrittsindikatoren des Programms gewahrt werden.

5.5.2.1.

Beim Schutz der Außengrenzen der Union in Zusammenarbeit mit Frontex kann es Fälle geben, in denen die Menschenrechte gefährdet sind. Die betreffenden Zollverwaltungen müssen die Menschenrechte sowohl der mutmaßlichen Straftäter als auch ihrer Bediensteten wahren.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 178 final: Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 11.4.2018.

(2)  SWD(2017) 34 final.

(3)  COM(2017) 793 und 794 final — 2017/0351 und 2017/0352 (COD).

(4)  Verordnung (EU) 2016/1624.

(5)  COM(2018) 322 final.

(6)  Der UZK — Zollkodex der Union, Verordnung (EU) Nr. 952/2013, Anwendung 1.5.2016 — sieht vor, dass ein Wirtschaftsbeteiligter seine Anmeldungen bei einer einzigen Zollstelle der Union (Zentralisierung) vorlegen kann, selbst wenn die Waren verschiedene Gebiete passieren; als Ziel ist vorgesehen, die Zollformalitäten bis zum 31. Dezember 2020 zu 100 % in elektronischer Form durchzuführen.

(7)  Entscheidung Nr. 70/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über ein papierloses Arbeitsumfeld für Zoll und Handel.

(8)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 43.

(9)  Mit dem Programm „Hercule III“ (Verordnung (EU) Nr. 250/2014, 104,9 Mio. EUR) sollen die finanziellen Interessen der EU durch die Unterstützung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Unregelmäßigkeiten, Betrug und Korruption geschützt werden, die dem Haushalt der EU schaden. Es wird vom Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) verwaltet.

(10)  BNE.

(11)  ABl. C 74 vom 23.3.2005, S. 32, Ziffer 4.5.15.

(12)  COM(2018) 434 final.

(13)  SWD(2018) 322 final, Folgenabschätzung.

(14)  COM(2017) 793 final.

(15)  Mehrjähriger Strategieplan für die elektronischen Systeme im Zollbereich (e-customs MASP-C Multi-Annual Strategic Plan), Taxud.a.3(2017) 6498377.

(16)  AEO: zugelassener Wirtschaftsbeteiligter.

(17)  Vgl. in der Vergangenheit das Programm Matthaeus.

(18)  Datenschutz-Grundverordnung ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Weltraumprogramms der Union und der Agentur der Europäischen Union für das Weltraumprogramm und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 912/2010, (EU) Nr. 1285/2013 und (EU) Nr. 377/2014 sowie des Beschlusses Nr. 541/2014/EU“

(COM(2018) 447 final — 2018/0236 (COD))

(2019/C 62/08)

Berichterstatter:

Raymond HENCKS

Befassung

Europäische Kommission, 12.7.2018

Rat, 13.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

2.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

189/3/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Europäische Union kann auf große Erfolge im Raumfahrtsektor verweisen. Mit ihren Weltraumprogrammen trägt sie zur Bewältigung einiger großer globaler Herausforderungen bei, insbesondere im Zusammenhang mit dem Klimawandel, der Sicherheit und der Verbesserung der täglichen Lebensbedingungen der Bürger. Gleichzeitig bewahrt sie damit ihre Souveränität und ihre strategische Unabhängigkeit gegenüber den anderen Weltraummächten.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt die Union in ihren verstärkten Bemühungen, eine große unabhängige Weltraummacht zu bleiben. Er befürwortet, dass die Union die entsprechenden finanziellen Mittel für ihre Pläne bereitstellt, in diesem Fall einen „vorrangigen Bezugsrahmen“ in Höhe von 16 Mrd. EUR, den der EWSA als finanzielle Mindestausstattung ansieht. Der EWSA bekräftigt seine Forderung, in Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank neue Finanzierungsmöglichkeiten zur Unterstützung von Projekten der weltraumbezogenen Forschung, Entwicklung und Herstellung durch private Unternehmen, KMU und Start-ups zu erschließen.

1.3.

Hinsichtlich der spezifischen Ziele des europäischen Weltraumprogramms begrüßt der EWSA, dass neben der kontinuierlichen Weiterentwicklung der beiden Aushängeschilder des Programms — Galileo und Copernicus — die Union dem Bereich Beobachtung und Verfolgung von Objekten im Weltraum (Space Surveillance and Tracking, SST) mehr Autonomie und Kapazitäten einräumt, um die Weltrauminfrastrukturen vor den Gefahren der unzähligen um die Erde kreisenden Weltraumtrümmer zu schützen. Er begrüßt ferner die neue Initiative zum Govsatcom-System, das den Bedürfnissen einer sicheren europäischen Satellitenkommunikation entspricht.

1.4.

Allerdings stellt der EWSA fest, dass die Union in ihrer Kommunikationsarbeit den Bürgern die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile der EU-Aktivitäten im Weltraum nur sehr zurückhaltend vermittelt. Er schlägt eine geeignete Kampagne vor, um den Bürgern den Mehrwert der europäischen Weltraumaktivitäten bewusst zu machen, die in ihrem alltäglichen Leben unverzichtbar geworden sind, die Beschäftigung, Wachstum und Investitionen fördern und einen Gewinn für ihre Sicherheit darstellen.

1.5.

Darüber hinaus ist die Maximierung des Weltraumnutzens für die europäische Wirtschaft noch lange nicht erreicht. Die Möglichkeiten des Programms zur Erdbeobachtung und Nutzung der riesigen hierdurch anfallenden Datenmengen werden bei weitem nicht ausgeschöpft. Der EWSA fordert, dass die potenziellen Nutznießer, insbesondere in der Schifffahrt und Landwirtschaft, gezielt informiert und sensibilisiert werden.

1.6.

Auf internationaler Ebene steht die europäische Weltraumwirtschaft in einem überaus starken Wettbewerb, da die Weltraumaktivitäten aufgrund der wachsenden privatwirtschaftlichen Beteiligung auf dem Markt außerhalb der EU zunehmend kommerziellen Charakter haben. Daraus folgt, dass die Bedeutung des Binnenmarkts unbedingt gestärkt und der Grundsatz der „europäischen Präferenz“ im Raumfahrtsektor angewandt werden muss.

1.7.

Europa braucht wettbewerbsfähige Trägerraketen, die an die kommerzielle und institutionelle Nachfrage angepasst sind, wenn es trotz der zunehmenden Zahl an Trägerraketen und des starken Wettbewerbs weiterhin einen unabhängigen Zugang zum Weltraum bewahren will. Der EWSA fordert die Kommission auf, nach Wegen zur Unterstützung der europäischen Forschung und zur Schaffung von Infrastrukturen zu suchen.

1.8.

Der EWSA ist der Ansicht, dass das zukunftsweisende Vorhaben zur Erschließung und Gewinnung natürlicher Ressourcen außerhalb der Erdumlaufbahn (Space Mining), bei dem sich ein Mitgliedstaat als Wegbereiter positioniert hat, von der Union aufmerksamer verfolgt werden sollte, um hier einen klaren europäischen Mehrwert zu sichern.

2.   Einführung

2.1.

Seit den 1990er-Jahren verfolgt die EU eine gemeinschaftliche Weltraumpolitik, die sich auf die Unabhängigkeit gegenüber den anderen Weltraummächten stützt, insbesondere durch die Entwicklung von Programmen und Anwendungen in wichtigen Wirtschaftssektoren wie Kommunikation, Sicherheit, Rettungsdienste, Navigationssysteme, Informationstechnik, Übertragung von Großveranstaltungen, Klimawandel, Wettervorhersagen usw.

2.2.

Die EU verfügt mit Unterstützung der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) inzwischen über ein großes Satellitennetz und über ein eigenes Raumfahrtzentrum mit europäischen Trägerraketen in Französisch-Guayana. Die Mitgliedstaaten der ESA (1) wiederum verfügen über eigene Raumfahrtagenturen und -programme, Forschungszentren, Bodeneinrichtungen sowie umfassende Industriekapazitäten. In der Regel gehen die Raumfahrtinitiativen von ihnen aus und werden anschließend im Rahmen der EU oder der ESA aufgegriffen.

2.3.

Die Union ist insbesondere in die Planung, die vollständige Finanzierung und den Betrieb der folgenden Weltraumprogramme involviert, für deren Durchführung sie die Gesamtverantwortung trägt, auch im Bereich der Sicherheit:

Galileo ist die erste hochpräzise Funknavigations- und Satellitenortungsinfrastruktur, die speziell für zivile Zwecke entwickelt wurde und den Nutzern kostenlos zur Verfügung gestellt wird.

Copernicus liefert Erdbeobachtungsdaten in sechs Bereichen: Landüberwachung, Überwachung der Meeresumwelt, Überwachung der Atmosphäre, Überwachung des Klimawandels, Katastrophen- und Krisenmanagement sowie Sicherheit.

EGNOS ist ein europaweites System mit 3 Satelliten, das die Qualität offener Signale von bestehenden globalen Systemen der Satellitenfunknavigation verbessert und genauere Geolokalisationsdaten liefert.

SST (Space Surveillance and Tracking) ist ein System zur Beobachtung des Weltraums und der etwa 780 000 Trümmerteile (Weltraumschrott) in der Erdumlaufbahn.

Govsatcom ist ein satellitengestütztes System für staatliche Telekommunikation (im zivilen und militärischen Bereich), das als eines der ersten Bestandteile der globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Union angesehen wird.

2.4.

Die Kommission hat derzeit die ESA mit der Entwicklung und dem Aufbau der Weltrauminfrastruktur betraut, die für den Aufbau der Galileo-Infrastruktur zuständig ist, während die in Prag ansässige EU-Agentur (Agentur für das Europäische GNSS — GSA) die Marktdurchdringung von Galileo unterstützen soll. Die ESA verwaltet auch einen Teil der Copernicus-Dienste.

2.5.

Die europäische Raumfahrtindustrie beschäftigt mehr als 231 000 Menschen, 41 333 davon im Raumfahrzeugbau, und erbrachte nach Schätzungen der Europäischen Kommission 2017 eine Wertschöpfung von 53 bis 62 Mrd. EUR.

3.   Vorschlag der Kommission

3.1.

Das vorgeschlagene Weltraumprogramm entspricht der von Kommissionspräsident Juncker in seiner Rede zur Lage der Union im Jahr 2017 vorgelegten Industriestrategie und der Mitteilung der Kommission vom 26. Oktober 2016 zu einer neuen „Weltraumstrategie für Europa“.

3.2.

Die folgenden Rechtsakte:

Verordnung (EU) Nr. 1285/2013 betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen Satellitennavigationssysteme, Galileo und EGNOS,

Verordnung (EU) Nr. 377/2014 zur Einrichtung des Programms Copernicus,

Beschluss Nr. 541/2014/EU über die Schaffung eines Rahmens zur Unterstützung der Beobachtung und Verfolgung von Objekten im Weltraum (SST) und

Verordnung (EU) Nr. 912/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Errichtung der Agentur für das Europäische GNSS

werden aufgehoben und durch diese Verordnung gemäß der Bekanntmachung ersetzt, in der gemeinsame Vorschriften für alle Komponenten des Programms festgelegt sind, die insbesondere Haushaltsbeiträge und Haushaltsverfahren, Finanzvorschriften, die Vergabe öffentlicher Aufträge, die Lenkung des Programms und die Sicherheit betreffen. In dieser Verordnung sind auch bestimmte Vorschriften für die einzelnen Komponenten festgelegt.

3.3.

Die Agentur für das Europäische GNSS, die für die Einführung einer neuen Generation von Satellitennavigationssystemen (GNSS) zuständig ist, wird durch die Agentur der Europäischen Union für das Weltraumprogramm abgelöst, die insbesondere durch Tätigkeiten im Bereich der Sicherheit, der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sowie der Vermarktung der von Galileo und EGNOS angebotenen Dienste zum Programm beitragen soll.

3.4.

Das neue Weltraumprogramm zielt darauf ab,

hochwertige und aktuelle sowie erforderlichenfalls sichere Weltraumdaten, -informationen und -dienste bereitzustellen;

den sozioökonomischen Nutzen zu maximieren;

die Sicherheit der EU und ihrer Mitgliedstaaten zu verstärken;

die Rolle der Union als wichtiger Akteur auf der internationalen Bühne zu fördern.

3.5.

In der vorgeschlagenen Verordnung wird der Gesamtetat für alle Weltraumaktivitäten der Union, einschließlich der Forschung, auf 16 Mrd. EUR für den Zeitraum 2021–2027 festgesetzt (gegenüber 12,6 Mrd. EUR für den Zeitraum 2014-2020). Dieser Finanzrahmen bildet den vorrangigen Bezugsrahmen gemäß der interinstitutionellen Vereinbarung vom 2. Dezember 2013 über die Haushaltsdisziplin und wird wie folgt aufgeteilt:

Galileo + EGNOS 9,7 Mrd. EUR;

Copernicus 5,8 Mrd. EUR;

SST/Govsatcom 0,5 Mrd. EUR.

3.6.

In der neuen Verordnung werden auch die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen den Beteiligten sowie die Beziehungen zu internationalen Organisationen und Drittländern behandelt.

3.7.

Die Kommission legt dem Europäischen Parlament und dem Rat jährlich einen Bericht über die Umsetzung des Weltraumprogramms auf der Grundlage noch festzulegender Leistungsindikatoren vor.

3.8.

Darüber hinaus wird das Programm mindestens alle vier Jahre einer Bewertung unterzogen. Die Ergebnisse der Bewertungen werden zusammen mit den Bemerkungen der Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat sowie dem EWSA und dem Ausschuss der Regionen mitgeteilt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Die EU kann zweifelsohne für sich in Anspruch nehmen, rechtzeitig ihre eigene Weltraumpolitik entwickelt zu haben und heute von den anderen Weltraummächten unabhängig zu sein, insbesondere mit Blick auf jenen Partner, der einst als zuverlässig galt, mittlerweile jedoch unberechenbar agiert.

4.2.

Der EWSA unterstützt die Union in ihren verstärkten Bemühungen, eine große, unabhängige Weltraummacht zu bleiben und die Mittel zur Verfügung zu stellen, um ihre technischen Ressourcen weiter auszubauen. Der Weltraumsektor braucht beträchtliche finanzielle Mittel. Ohne ein entsprechendes Budget kann es keine ehrgeizige Weltraumpolitik geben.

4.3.

Es ist deshalb unbedingt zu begrüßen, dass die Union laut Verordnungsentwurf die notwendigen finanziellen Mittel für ihre Pläne bereitstellt, in diesem Fall eine Finanzausstattung für das Programm in Höhe von 16 Mrd. EUR, die einen „vorrangigen Mindestbezugsrahmen“ bildet. Daraus folgt, dass sich das Parlament und der Rat sowie die Kommission bei der Aufstellung des Haushaltsentwurfs verpflichten, von diesem Betrag während der gesamten Laufzeit des Programms nicht mehr als 10 % abzuweichen (außer in Ausnahmefällen). Der EWSA bekräftigt jedoch seine Forderung, in Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank neue Finanzierungsmöglichkeiten zur Unterstützung von Projekten der weltraumbezogenen Forschung, Entwicklung und Herstellung durch private Unternehmen, KMU und Start-ups zu erschließen, beispielsweise in den Bereichen Nanosatelliten, miniaturisierte Antriebssysteme, Verlängerung der Satellitenlebensdauer, neue Anwendungen zur Erdbeobachtung usw.

4.4.

Darüber hinaus können Weltraumforschung und -innovation, die unbedingt gestärkt werden müssen, wenn die Union auch weiterhin an der Spitze der Entwicklung stehen möchte, durch das Programm Horizont Europa im Rahmen des Arbeitsprogramms „Führende Rolle bei grundlegenden und industriellen Technologien“ in Höhe von 13,5 Mrd. EUR finanziert werden.

4.5.

In diesem Zusammenhang ist es nur gutzuheißen, dass das Vereinigte Königreich nach dem Brexit die Fortsetzung seiner Beteiligung am europäischen Raumfahrtprogramm beantragen möchte. Der EWSA bedauert jedoch, dass nur 20 der derzeit 28 EU-Mitgliedstaaten Mitglied der ESA sind.

4.6.

In Bezug auf die spezifischen Ziele des Weltraumprogramms begrüßt der EWSA, dass neue Anwendungen und Dienste den Entwicklungen in den Bereichen autonomes Fahren, Drohnen, Robotik und Internet der Dinge (Galileo) Rechnung tragen und — im Interesse der Menschheit — der Schwerpunkt auf die Beobachtung des Klimawandels (beispielsweise durch die Überwachung der anthropogenen CO2- und Treibhausgasemissionen), die Flächennutzung zur Unterstützung der Landwirtschaft, die Beobachtung der Polargebiete, die Wald- und Wasserbewirtschaftung und die Erfassung kleiner Objekte (zum Beispiel Schiffe) zur Überwachung des illegalen Handels gelegt wird (Copernicus).

4.7.

Der EWSA unterstützt auch den Vorschlag, dem SST mehr Autonomie und Kapazitäten zum Schutz der Weltrauminfrastruktur und der Erde vor Weltraumgefahren zuzuweisen, sowie die Schaffung neuer Aktivitätsbereiche zur Beobachtung von Trümmerteilen (Weltraumschrott) und extremen Weltraumwetterereignissen infolge von Sonnenaktivität, Asteroiden und Kometen (erdnahe Objekte). Von der Problematik des Weltraumschrotts sind mehr als 60 Staaten, die derzeit Satelliten besitzen oder betreiben, direkt betroffen. Diese Beobachtung des Weltraums ist in der Tat von entscheidender Bedeutung, da die Gefahr besteht, dass für das tägliche Leben der Bürger wesentliche Infrastrukturen beschädigt werden, mit den damit verbundenen Unterbrechungen der Dienstleistungen, Unannehmlichkeiten und wirtschaftlichen Verlusten.

4.8.

Die neue Govsatcom-Initiative wird den Bedürfnissen einer sicheren europäischen Satellitenkommunikation (Grenzüberwachung, Seeschifffahrt, Polizeieinsätze, Katastrophenschutz, humanitäre Hilfe, auswärtiges Handeln der EU usw.) gerecht und wird die Verbesserung der Sicherheit und Unabhängigkeit Europas bei künftigen sicheren Telekommunikationssystemen und -diensten ermöglichen, was der EWSA natürlich begrüßt.

4.9.

Die Union kann folglich auf große Erfolge in der Weltraumwirtschaft verweisen. Allerdings stellt der EWSA fest, dass die Union in ihrer Kommunikationsarbeit den Bürgern die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile der Weltraum-Aktivitäten nur sehr zurückhaltend vermittelt. Vielen Bürgern ist nicht bewusst, dass sie beispielsweise bei der Verwendung ihres Mobiltelefons oder Smartphones, der Nutzung von Navigationssystemen, dem Fernsehen per Satellit, dem Reisen auf dem Land-, See- und Luftweg oder dem Abheben von Geld Weltraumdienste in Anspruch nehmen. Es wird daher notwendig sein, durch eine angemessene Informationskampagne sicherzustellen, dass die Bürger erkennen, dass die europäischen Weltraumaktivitäten in ihrem täglichen Leben unverzichtbar sind, für Beschäftigung, Wachstum und Investitionen sorgen und einen Gewinn für ihre Sicherheit darstellen.

4.10.

Ebenso ist die Maximierung des Weltraumnutzens für die europäische Wirtschaft noch lange nicht erreicht. Die Möglichkeiten des Programms zur Erdbeobachtung und Nutzung der riesigen hierdurch anfallenden Datenmengen werden bei weitem nicht ausgeschöpft. Der EWSA fordert, dass die potenziellen Nutznießer, insbesondere in der Schifffahrt und Landwirtschaft, gezielt informiert und sensibilisiert werden.

4.11.

Wie die Kommission mitteilt, hat der Raumfahrtsektor Schwierigkeiten bei der Einstellung von geeignetem Personal. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Weltraumwissenschaft in die schulischen Lehrpläne aufgenommen und die Hochschulen der Mitgliedstaaten dafür sensibilisiert werden sollten, einen Masterstudiengang Raumfahrttechnik anzubieten.

4.12.

Auf internationaler Ebene steht die europäische Raumfahrt vor der Herausforderung eines überaus starken Wettbewerbs, da die Weltraumaktivitäten aufgrund der wachsenden privatwirtschaftlichen Beteiligung zunehmend kommerziellen Charakter haben. Die meisten Aktivitäten der großen europäischen Akteure finden außerhalb Europas statt. Daraus folgt, dass die Bedeutung des Binnenmarkts unbedingt gestärkt und der Grundsatz der „europäischen Präferenz“ in der Weltraumwirtschaft angewandt werden muss.

4.13.

Wie die Kommission feststellt, ist die Raumfahrt Teil einer globalen Wertschöpfungskette, die vor großen Veränderungen steht, durch die die traditionellen Grenzen des Raumfahrtsektors ausgedehnt werden. Dieser „neue Weltraum“ („New Space“) revolutioniert den Raumfahrtsektor nicht nur aus technologischer Sicht, sondern auch im Hinblick auf das Geschäftsmodell. Deshalb ist es überaus wichtig, dass die Union den gesamten Raumfahrtsektor aktiv unterstützt, insbesondere Forschung und Entwicklung, Start-up-Unternehmen und Innovationszentren in diesem Bereich. Der EWSA bedauert, dass sich die Kommission in dem Verordnungsvorschlag auf die Ankündigung beschränkt, dass das Raumfahrtprogramm die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen in Form von Weltraumhubs fördert, die auf nationaler und regionaler Ebene die Akteure des Weltraums und der digitalen Technologien zusammenbringen, und keine weiteren Angaben zu der Funktionsweise und Finanzierung solcher Hubs macht.

Ein solches Projekt „New Space“ könnte die Entwicklung der Wirtschaft der Weltraumressourcen (Space Mining) mit dem Ziel umfassen, natürliche Ressourcen außerhalb des Erdorbits zu erschließen und zu gewinnen. Asteroiden beispielsweise können Nickel, Platin, Eisen und Kobalt enthalten. So schätzt die NASA den Wert des Asteroidengürtels zwischen Mars und Jupiter (mit mehr als einer Million Objekten) auf 700 Trillionen Dollar. Diese Ressourcen können entweder zur Erde gebracht oder im Weltraum als Energiequelle für Satelliten bzw. zum Bau von Raumbasen genutzt werden, von denen dann Erkundungsreisen in entlegenere Teile des Weltalls starten könnten.

4.14.

Luxemburg ist nach den USA weltweit das zweite Land, das über einen von manchen in Frage gestellten rechtlichen Rahmen zur Erkundung und kommerziellen Nutzung von Weltraumressourcen verfügt. Auch die EIB beteiligt sich mit einer beratenden Funktion an dem Projekt, ebenso wie die ESA, die sich über ihren Beratungsdienst für Finanzinnovationen mit Stellungnahmen und Orientierungshilfen einbringen möchte.

4.15.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Union sich in technologischer, finanzieller und rechtlicher Hinsicht stärker an der Forschung im Rahmen des Space Mining beteiligen und sicherstellen sollte, dass das Projekt einen klaren europäischen Wert behält, zumal bereits andere amerikanische, arabische und asiatische Organisationen und Unternehmen an dem Projekt beteiligt sind.

4.16.

Europa benötigt Trägerraketen, die an die kommerzielle und institutionelle Nachfrage angepasst sind, wenn es weiterhin einen unabhängigen Zugang zum Weltraum haben möchte. Wiederverwendbare Raketen stellen dabei eine besonders vielversprechende Entwicklung dar, durch die Kosten gesenkt und die Fristen zwischen den Starts verkürzt werden. Auf dem kommerziellen Markt ist der Wettbewerb weiterhin hart und zuweilen unlauter. Der EWSA fordert die Kommission auf, Möglichkeiten zur Unterstützung der europäischen Forschung und Einrichtungen der Startinfrastruktur zu prüfen und dabei die entscheidende Bedeutung der Wahrung eines unabhängigen Zugangs zum Weltraum für Europa zu berücksichtigen.

4.17.

Auch wenn die Mitgliedstaaten nach dem AEUV die Zuständigkeit haben festzulegen, welche Dienste von allgemeinem Interesse sind, beeinträchtigt dies in keiner Weise die Zuständigkeiten der Union zur Festlegung solcher Dienste auf EU-Ebene, sofern dies zur Umsetzung der Ziele der Union notwendig erscheint. Der EWSA fordert die EU-Organe auf, die Existenz und Notwendigkeit von Diensten von allgemeinem Interesse für die Union in den Bereichen anzuerkennen, in denen die Maßnahmen der EU zur Erreichung ihrer Ziele wirksamer sind, wie dies eindeutig für den Raumfahrtsektor der Fall ist.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Der ESA gehören 22 Mitgliedstaaten an. Die für die Raumfahrt zuständigen nationalen Einrichtungen folgender Länder sind im ESA-Rat vertreten: Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Schweiz, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn und das Vereinigte Königreich. Kanada arbeitet ebenfalls im ESA-Rat mit und beteiligt sich über ein Kooperationsübereinkommen an einigen Projekten. Slowenien ist assoziiertes Mitglied. Sieben EU-Mitgliedstaaten sind „Europäische Kooperationsstaaten“: Bulgarien, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, die Slowakische Republik und Zypern.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/56


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu

a) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen

(COM(2018) 378 final — 2018/203 (COD))

und b) Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“)

(COM(2018) 379 final — 2018/204 (COD))

(2019/C 62/09)

Berichterstatter:

Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER

Befassung

a)

Europäisches Parlament, 10.9.2018

b)

Europäisches Parlament, 10.9.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

2.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

184/0/9

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt die Vorschläge der Kommission zur Änderung der Verordnung über die Beweisaufnahme und der Verordnung über die Zustellung von Schriftstücken zur Kenntnis.

1.2.

Der EWSA fordert die Kommission auf, seine in dieser Stellungnahme vorgetragenen Bemerkungen zu ihren Vorschlägen — insbesondere jene in den Ziffern 5.2, 5.3, 5.4, 5.5, 5.9, 5.10, 6.3, 6.4 und 6.6 — zu berücksichtigen, denn ohne einen echten Rechtsraum können die Freiheiten des Binnenmarkts nicht in vollem Umfang zum Tragen gebracht werden.

2.   Hintergrund

2.1.

Mit dem Ziel, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Europäischen Union (EU) zu schaffen, werden in Artikel 81 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Grundlagen für die Entwicklung der sogenannten „justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen“ mit grenzüberschreitendem Bezug geschaffen, wobei der EU Befugnisse zum Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten übertragen werden.

2.2.

Ist dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts notwendig, gilt die Bestimmung, dass Maßnahmen zur Sicherstellung der gegenseitigen Anerkennung und der Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie zur Sicherstellung der Zusammenarbeit bei der Beweisaufnahme zu erlassen sind.

2.3.

Zur Regelung der Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten ersetzte die EU die in den Haager Übereinkommen vorgesehenen Systeme durch die Annahme folgender Rechtsinstrumente:

2.3.1.

Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 (1) des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, angenommen auf Initiative der Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden „Beweisaufnahmeverordnung“) und gültig in allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark.

2.3.2.

Mit der Verordnung wurden ein EU-weites System für die direkte und schnelle Übermittlung und Erledigung von Ersuchen um Beweisaufnahme zwischen den Gerichten eingerichtet und genaue Vorschriften für Form und Inhalt dieser Ersuchen festgelegt. Damit wurde ein System des unmittelbaren bilateralen Geschäftsverkehrs zwischen den Gerichten eingeführt, das an die Stelle des vorherigen Verfahrens trat, nach dem das Ersuchen eines Gerichts eines Mitgliedstaats der Zentralstelle des anderen Mitgliedstaats übermittelt wurde.

2.3.3.

Die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 (2) des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellungsverordnung“), gültig in allen Mitgliedstaaten (3).

2.3.4.

Diese Verordnung ist in Zivil- oder Handelssachen anzuwenden, in denen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Mitteilung oder Zustellung an letzteren zu übermitteln ist. Sie erfasst jedoch weder Steuer- und Zollsachen oder verwaltungsrechtliche Angelegenheiten noch die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte („acta iure imperii“).

2.4.

Der EWSA war immer ein Befürworter der Schaffung eines gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der EU, was unter anderem die Annahme von Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit und der Zusammenarbeit in Zivilsachen beinhaltet, die notwendig ist, um zu verhindern, dass Bürger und Unternehmen aufgrund der Unvereinbarkeit oder Komplexität der Justizsysteme in den Mitgliedstaaten von der Ausübung ihrer Rechte abgehalten oder abgeschreckt werden.

2.5.

Zur Schaffung eines europäischen Rechtsraums ist es unbedingt notwendig, die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten zu verbessern und folglich die Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, damit Störungen und Verzögerungen beseitigt werden.

3.   Die Vorschläge der Kommission

3.1.

Mit den Vorschlägen der Kommission sollen die beiden vorhandenen Verordnungen im Bereich der Beweisaufnahme und der Zustellung von Schriftstücken geändert werden.

3.2.   Der Vorschlag zur Änderung der Verordnung über die Beweisaufnahme

3.2.1.

Ziel des Vorschlags ist es, das Funktionieren des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie des Binnenmarkts zu verbessern, indem die grenzüberschreitende Beweisaufnahme verbessert und beschleunigt wird.

3.2.2.

Mit ihm soll die Verordnung der technischen Entwicklung angepasst werden, d. h. es sollen die Vorteile der Digitalisierung genutzt werden, Kommunikation und Austausch von Schriftstücken sollen standardmäßig auf elektronischem Weg erfolgen und der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre sollen gewährleistet werden, ohne dass dadurch die Verfahrensrechte der Parteien in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden. Daher muss das System über eine dezentrale Struktur verfügen, die die direkte Kommunikation zwischen den Endnutzern ermöglicht.

3.2.3.

Der Vorschlag dient der Förderung von modernen Mitteln der Beweisaufnahme wie Videokonferenzen, wenn eine Person, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, vernommen werden muss. Mit ihm soll eine angemessenere, häufigere und raschere Nutzung der unmittelbaren Beweisaufnahme gewährleistet werden, wenn eine Person, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, als Zeuge, Sachverständiger oder Partei gehört wird.

3.2.4.

Mit ihm werden rechtliche Hindernisse für die Zulassung elektronischer (digitaler) Beweismittel beseitigt. Im Vorschlag ist auch die gegenseitige Anerkennung digitaler Beweismittel vorgesehen. Dies wird den Aufwand für Bürger und Unternehmen in Verfahren verringern und die Zahl der Fälle begrenzen, in denen elektronische Beweismittel zurückgewiesen werden.

3.2.5.

Er enthält einen Vorschlag zur Lösung des Problems der unterschiedlichen Auslegung des Begriffs „Gericht“, der in der Beweisaufnahmeverordnung derzeit nicht definiert ist. Mit dem Vorschlag sollen diesbezügliche Unsicherheiten ausgeräumt werden.

3.2.6.

Der Vorschlag steht mit den bestehenden Rechtsakten der Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen im Einklang und stellt kein Hindernis für den möglichen Austausch von Informationen zwischen den Behörden im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (4) oder in Unterhaltssachen dar (5), selbst wenn diese Informationen Beweiskraft haben, sodass die ersuchende Behörde die Möglichkeit hat, die am besten geeignete Methode zu wählen.

3.2.7.

Er dient der Regelung der Möglichkeit der Beweisaufnahme durch diplomatische oder konsularische Vertreter eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats innerhalb des Bereichs, in dem sie ihre Aufgaben wahrnehmen, ohne dass ein vorheriges Ersuchen an die Zentralstelle oder die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats gerichtet werden muss.

3.2.8.

Um die gegenseitige Anerkennung digitaler Beweismittel zu gewährleisten, sollte solchen Beweismitteln, die in einem Mitgliedstaat nach dessen Recht erhoben wurden, in anderen Mitgliedstaaten nicht allein wegen ihres digitalen Charakters die Anerkennung als Beweismittel verweigert werden.

3.2.9.

Zur Änderung der Standardformblätter in den Anhängen oder ihrer Aktualisierung wurden der Kommission die entsprechenden Befugnisse gemäß Artikel 290 AEUV übertragen.

3.3.   Verordnung über die Zustellung von Schriftstücken

3.3.1.

Zentrales Ziel der Bestimmungen ist es, einheitliche Wege festzulegen, wie Schriftstücke von einem Mitgliedstaat in einen anderen übermittelt werden sollen, um dort zugestellt zu werden. Die Erfahrungen mit der Anwendung der aktuellen Verordnung und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in diesem Bereich haben sich hierfür als besonders nützlich erwiesen.

3.3.1.1.

Ihr Anwendungsbereich ändert sich, obgleich der außergerichtliche Schriftstücke betreffende Wortlaut der Bestimmung unverändert bleibt. In Bezug auf gerichtliche Schriftstücke gilt die Verordnung jedoch für alle Fälle, in denen der Wohnsitz des Empfängers in einem anderen Mitgliedstaat liegt.

3.3.1.2.

Dieser neue Standard, nach dem der Anwendungsbereich der Verordnung ausnahmslos jede Zustellung von Schriftstücken erfasst, deren Empfänger seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, gilt nur für die Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke. Für die späteren Zustellungen gerichtlicher Schriftstücke im Laufe des Gerichtsverfahrens ist dieser zusätzliche Schutz weniger wichtig.

3.4.

Die Kommunikation und der Austausch von Schriftstücken zwischen den Übermittlungs- und Empfangsstellen müssen elektronisch über ein dezentrales IT-System erfolgen, das sich aus nationalen IT-Systemen zusammensetzt, die über eine sichere und zuverlässige Kommunikationsinfrastruktur vernetzt sind, wobei bei unvorhergesehenen außergewöhnlichen Störungen des IT-Systems auch die Möglichkeit besteht, andere (herkömmliche) Kommunikationsmittel zu verwenden.

3.5.

Es ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten helfen müssen, den Aufenthaltsort eines Empfängers in einem anderen Mitgliedstaat zu ermitteln; hierfür stehen ihnen drei Optionen zur Verfügung:

Rechtshilfe durch von den Mitgliedstaaten benannte Behörden;

Gewährung des Zugangs zu öffentlichen Wohnsitzregistern über das Europäische Justizportal;

Bereitstellung ausführlicher Informationen zu den in ihrem Hoheitsgebiet verfügbaren Instrumenten zur Ermittlung des Aufenthaltsorts von Personen über das Europäische Justizportal.

3.6.

Ausländische Verfahrensparteien können während eines Verfahrens verpflichtet werden, einen Zustellungsbevollmächtigten für die während des Verfahrens im Verfahrensmitgliedstaat zugestellten Schriftstücke zu bestellen.

3.7.

Es gibt Verbesserungen beim Verfahren, nach dem der Empfänger sein Recht auf Verweigerung der Annahme des Schriftstücks ausüben kann, wenn dieses nicht in einer zugelassenen Sprache abgefasst oder in sie übersetzt wurde.

3.8.

Mit dem Vorschlag werden die Anbieter von Postdiensten verpflichtet, bei der Zustellung von Schriftstücken per Post nach der Verordnung einen besonderen Rückschein (Empfangsbestätigung) zu verwenden. Es wird außerdem ein Mindeststandard hinsichtlich der Personen eingeführt, die als „Ersatzempfänger“ infrage kommen, wenn der Postdienstanbieter dem Empfänger das Schriftstück nicht persönlich aushändigen kann.

3.9.

Mit dem Vorschlag wird die elektronische Zustellung von Schriftstücken als zusätzliches alternatives Verfahren der Zustellung nach der Verordnung eingeführt.

3.10.

Im Falle der Nichteinlassung des Beklagten werden zwei grundlegende Neuerungen eingeführt:

a)

Das mit dem Verfahren befasste Gericht muss eine Warnmitteilung über die Einleitung des Verfahrens oder über das Versäumnisurteil an ein verfügbares Nutzerkonto des abwesenden Beklagten übermitteln;

b)

es wird eine gemeinsame Frist von zwei Jahren ab dem Datum festgelegt, an welchem das Versäumnisurteil erlassen wurde, um zur Anfechtung der Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat einen außerordentlichen Rechtsbehelf einzulegen, der in Bezug auf Rechtsmittelfristen auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzielt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Vorschläge der Kommission zur Änderung der Verordnung über die Beweisaufnahme und der Verordnung über die Zustellung von Schriftstücken, da diese die justizielle Integration in den Mitgliedstaaten bei der Festlegung einheitlicher Wege in deren jeweiligen Anwendungsgebieten erleichtern.

4.2.

Beide Vorschläge tragen dazu bei, die justizielle Zusammenarbeit in der EU, welche auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen (Artikel 81 AEUV) basiert, zu verbessern, den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Artikel 3 Absatz 2 sowie Artikel 67 AEUV) zu stärken und einen Binnenmarkt zu schaffen (Artikel 26 AEUV).

4.3.

Zusammenfassend sollte die Annahme und Anwendung des von der Kommission vorgeschlagenen Rechtsrahmens objektiv dazu beitragen, verschiedene unsichtbare Hindernisse zu beseitigen, die das Leben aller Bürger — sowohl der Staatsbürger der Mitgliedstaaten als auch der Personen, die in der EU ansässig sind — und den Handel der in der EU tätigen Unternehmen direkt beeinflussen.

4.4.

Um den Zugang zur Justiz und zu einem fairen Verfahren zu gewährleisten, ist es unerlässlich, dass die Bestimmungen dieser beiden Vorschläge auf Gerichtsverfahren mit grenzüberschreitendem Bezug angewendet werden und für ein ordnungsgemäßes Funktionieren gesorgt wird.

4.5.

Zudem stehen die Vorschläge mit der Strategie für den digitalen Markt im Bereich elektronischer Behördendienste in Einklang, insbesondere bezüglich notwendiger Maßnahmen zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung und zur Herstellung einer grenzüberschreitenden Interoperabilität, was die Interaktion mit den Bürgern vereinfacht.

4.6.

Die Vorschläge schaffen mehr Rechtssicherheit und tragen somit dazu bei, Verzögerungen und unnötige Kosten für Bürger, Unternehmen und öffentliche Verwaltungen zu vermeiden, und sie beseitigen Mängel beim Schutz der Verfahrensrechte der Parteien, da sie der Rechtsschutzlosigkeit im Sinne des sogenannten „Prinzips der Waffengleichheit“ entgegenwirken sollen.

4.7.

Es wird darauf hingewiesen, dass die Bestimmung bezüglich der delegierten Rechtsakte zur Aktualisierung und Änderung des Anhangs der beiden Verordnungsvorschläge nicht mit der vom EWSA (6) diesbezüglich eingenommenen Haltung übereinstimmt, da der Vorschlag vorsieht, dass die Befugnisübertragung trotz der Anforderung, dass der Erlass delegierter Rechtsakte zeitlich begrenzt ist, von unbestimmter Dauer ist.

4.8.

Letztlich ist der EWSA der Meinung, dass die Freiheiten des Binnenmarkts ohne einen echten Rechtsraum nicht vollständig genutzt werden können.

5.   Allgemeine Bemerkungen zum Vorschlag für eine Beweisaufnahmeverordnung

5.1.

Mit dem Vorschlag zur Änderung der Beweisaufnahmeverordnung soll die elektronische Kommunikation zwischen den betreffenden zuständigen Behörden gestärkt und die teurere und langsamere papierbasierte Kommunikation verringert werden, und es soll die Nutzung von Videokonferenzen zur Durchführung von Vernehmungen in anderen Mitgliedstaaten gefördert werden, ohne dass dadurch die Verfahrensrechte der Parteien beeinträchtigt werden.

5.2.

Obgleich im Vorschlag davon ausgegangen wird, dass die betreffenden Gerichte sorgfältig und effizient handeln und die Prinzipien der loyalen Zusammenarbeit und gegenseitigen Anerkennung genau einhalten — letzteres wird ausdrücklich erwähnt, um zu verhindern, dass die Beweiskraft digitaler Beweismittel zurückgewiesen wird (vierter Erwägungsgrund und Artikel 18a des Vorschlags) — wird keine Bestimmung für den Fall einer Zurückweisung durch das ersuchte Gericht aufgrund

einer unangemessenen Verzögerung,

einer fehlenden Begründung oder

einer unzureichenden Begründung festgelegt.

In diesen Fällen wird praktisch kein Zugang zu einem wirksamen Rechtsschutz gewährt, und es sollten Lösungen gefunden werden, um dem vorzubeugen.

5.2.1.

Dieser Umstand ist im Hinblick auf die derzeitige Rechtslage in der EU relevant, da die bloße Tatsache, dass ein Gericht, das im Zuge eines Verfahrens, mit dem es befasst ist, verpflichtet wäre, dem EuGH eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, seiner Pflicht nicht nachkommt, als schwere Verletzung der sich aus dem EU-Recht (7) abgeleiteten Verpflichtungen des Staates betrachtet werden könnte.

5.2.2.

Das ersuchte Gericht kann die Rechte Einzelner in vielen Fällen stark beeinträchtigen, wenn es nicht angemessen kooperiert, besonders beim vorläufigen Rechtsschutz, wenn es sich auf den Vorbehalt der nationalen Souveränität, der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung usw. beruft (siehe Artikel 4, Absatz 2 EUV) oder falls es Abweichungen aufgrund der unterschiedlichen Verfahrenspraxis in den Mitgliedstaaten gibt.

5.2.3.

Letzteres ist beispielsweise bei der pre-trial discovery (etwa: vorbereitende Beweisermittlung) der Fall, da Artikel 23 des Haager Übereinkommens vom 18. März 1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, den Vorbehalt der Souveränität geltend zu machen, um Rechtshilfeersuchen in der Frühphase des Prozesses abzulehnen (nach der Klageeinreichung, jedoch vor Beginn des Verfahrens).

5.2.4.

Diese Frage wird in der geltenden Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 zwar nicht ausdrücklich behandelt, sie wird jedoch von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen, wie aus der Erklärung des Rates 54/01 vom 4. Juli 2001 hervorgeht (Dok. 10571/01, S. 1).

5.2.5.

Gelegentlich sind unangemessene Verzögerungen auf eine unzureichende fachliche Qualifikation der ersuchten Behörden oder ein schlechtes Funktionieren der technischen Infrastrukturen zurückzuführen. Um diese Situationen so weit wie möglich zu vermeiden und zu beseitigen, müsste in den Vorschlag eine Bestimmung aufgenommen werden, gemäß welcher die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass ihre Gerichte über aktuelle digitale Techniken verfügen und die technischen Infrastrukturen entsprechend angepasst werden.

5.3.

Andererseits müssten einige Bestimmungen im Vorschlag präzisiert werden. In Artikel 1 Absatz 4 beispielsweise wird die Bedeutung des Begriffs „Gericht“ eingeschränkt, indem er als „jede Justizbehörde in einem Mitgliedstaat, die für die Durchführung von Beweisaufnahmen nach dieser Verordnung zuständig ist“ definiert wird.

5.3.1.

Obgleich diese Definition öffentlich bestellte Urkundspersonen umfassen kann (beispielsweise Notare), schließt sie private Schiedsstellen — ob im Bereich von Investitionsstreitigkeiten, in Handelssachen, in Verbrauchersachen — sowie jede andere Schiedsstelle, die in anderen Sachen entscheidet, aus.

5.3.2.

Somit wird die große Bedeutung der Schiedsstellen im Handels- und Wirtschaftsverkehr der Mitgliedstaaten sowie in Drittländern verkannt.

5.3.3.

In Bezug auf letztere können Fälle der Rechtshängigkeit oder Probleme bezüglich der Vollstreckung von Entscheidungen durch die ersuchten Behörden der Mitgliedstaaten auftreten (beispielsweise eine anti-suit injunction (Prozessführungsverbot)), was zu Rechtsunsicherheit führen kann.

5.3.4.

Zweifellos ist diese einschränkende Definition des Begriffs „Gericht“ an der Rechtsprechung des EuGH ausgerichtet, in der privaten Schiedsstellen der Status „Gericht“ für gewöhnlich nicht zuerkannt wird (8).

5.3.5.

Aus Sicht des EWSA kann die automatische Anwendung dieser Rechtsprechung des EuGH in diesem Bereich zu einer Situation führen, in der die Entscheidungen der Schiedsgerichte nicht anerkannt werden oder die ersuchten Gerichte die Zusammenarbeit verweigern, was in einigen Fällen dazu führen kann, dass sich die Betroffenen in einer Lage wiederfinden, in der sie sich nicht verteidigen können.

5.3.6.

Gleichwohl müssen die Schiedsklauseln zwischen dem Investor und dem Staat, die in den bilateralen Investitionsabkommen behandelt werden, von dieser Einschätzung ausgeschlossen werden, da diese nicht mit dem Recht der EU vereinbar sind und keine Rechtswirkung haben, soweit sie rechtswidrig sind, weil sie sich mit den Binnenmarktvorschriften überschneiden und eine Ungleichbehandlung der Investoren in der EU bedingen, wie in der Rechtsprechung des EuGH im Urteil „Achmea“ (9) festgehalten ist.

5.4.

In Artikel 17b wird den diplomatischen oder konsularischen Vertretern eines Mitgliedstaats die Möglichkeit eingeräumt, ohne vorheriges Ersuchen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, in dem sie akkreditiert sind, eine Beweisaufnahme durchzuführen. Diese Befugnis ist auf die Vernehmung oder die freiwillige Befragung von Staatsangehörigen des Mitgliedstaats beschränkt, den sie im Rahmen eines Verfahrens vertreten, für das ein Gericht dieses Mitgliedstaats zuständig ist.

5.5.

Es wäre daher angebracht, die im Vorschlag vorgesehenen Tätigkeiten der Rechtshilfe dieser Amtspersonen zu erweitern, um sie den aktuellen tatsächlichen Gegebenheiten in der EU anzupassen, insbesondere mit Blick auf die Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und die Niederlassungsfreiheit ihrer Unternehmen. Folglich könnte die Beweisaufnahme durch diese Amtspersonen ohne Notwendigkeit einer vorherigen Einholung einer Genehmigung auf Ausländer oder auf die eigenen Staatsangehörigen des Aufnahmestaats ausgeweitet werden, sofern dieser Staat dies genehmigt.

5.6.

Daher ist die Festlegung einer Pflicht, den übermittelnden Mitgliedstaat bei der Ermittlung der Anschrift der Person, an die das gerichtliche oder außergerichtliche Schriftstück in einem anderen empfangenden Mitgliedstaat zugestellt werden soll, zu unterstützen, wenn deren Anschrift unbekannt ist, auch nach Ansicht des EWSA äußerst wichtig.

5.7.

Andererseits besteht im Zusammenhang mit dem vorliegenden Vorschlag die EU-Justizagenda für 2020, mit der das Ziel verfolgt wird, die Grundrechte, einschließlich der Verfahrensrechte im Zivilprozess, zu stärken.

5.8.

In diesem Sinne tragen die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Digitalisierung den Anforderungen des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre im System für den elektronischen Austausch zwischen den Gerichten Rechnung, worunter beispielsweise die Festlegung einer vordefinierten Gruppe von Nutzern des Systems fällt (nur Gerichte und andere Justizbehörden der Mitgliedstaaten).

5.9.

Obwohl künftig mit einer steigenden Zahl von Angriffen auf diese elektronische Infrastruktur zu rechnen ist — ein Risiko, das sich durch die Vernetzung der betreffenden IT-Systeme noch erhöhen kann — ist keine Bestimmung vorgesehen, die die Frage regelt, wer haftbar ist, wenn durch Cyber-Attacken oder Störungen oder Ausfälle des IT-Systems vertrauliche Informationen verbreitet oder gar Beweismittel für einen Prozess zerstört werden.

5.10.

Folglich können die Rechte Einzelner in schwerwiegender Weise verletzt werden, wenn es keinen klar vorgegebenen Weg gibt, wie die Verursacher haftbar gemacht werden können, und es kann sogar dazu kommen, dass die Betroffenen diese Rechtsverletzungen selbst tragen müssen, wenn die Verursacher sich auf Umstände höherer Gewalt berufen.

6.   Allgemeine Bemerkungen zum Vorschlag für eine Zustellungsverordnung

6.1.

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Vorschlag für eine Zustellungsverordnung zur Verbesserung und Beschleunigung der Gerichtsverfahren beiträgt, da er für Vereinfachungen und mehr Flexibilität bei den Mechanismen für die Zusammenarbeit bei der Zustellung von Schriftstücken sorgt. Dies wird zu einer verbesserten Rechtspflege in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug und zu einer Stärkung der Verfahrensrechte im Zivilprozess sowie des gegenseitigen Vertrauens der Justizsysteme der Mitgliedstaaten beitragen.

6.2.

Dieser Vorschlag zielt darauf ab, der oftmals langen Dauer und der Nichteinhaltung der festgelegten Fristen entgegenzuwirken — was häufig vorkommt, da die Schriftstücke von den zuständigen Stellen zugestellt werden — und führt die obligatorische Zustellung von Schriftstücken auf elektronischem Wege ein. Gleichzeitig stärkt der Vorschlag die Verteidigungsrechte des Empfängers durch verschiedene gezielte Eingriffe der zuständigen Stellen, die angesichts der Ungewissheit über die Ausübung des Rechts auf Annahmeverweigerung oder über Versäumnisurteile erfolgen.

6.3.

Erwähnenswert ist auch der breite subjektive und materielle Anwendungsbereich dieses Vorschlags, da er alle Personen — sowohl natürliche als auch juristische Personen — umfasst, worunter auch alle Unternehmen und damit auch Kleinstunternehmen fallen, und nur Ausnahmen erlaubt, die ausdrücklich festgelegt sind (Artikel 1, Absätze 1 und 3).

Aus allen Sprachfassungen muss übereinstimmend hervorgehen, dass sich der Verordnungsvorschlag nicht nur auf das verfahrenseinleitende Schriftstück, sondern auf alle gerichtlichen Schriftstücke des Verfahrens erstreckt.

6.4.

Der EWSA befürwortet die zur Geltendmachung der „Verweigerung der Annahme eines Schriftstücks“ durch den Empfänger im Vorschlag verankerten Garantien sowie die Verpflichtung der Empfangsstelle, darüber zu informieren. Andererseits sollte der Beklagte im Sinne eines ausgewogenen Verhältnisses der Rechte beider Prozessparteien volle Kenntnis von dem verfahrenseinleitenden Schriftstück haben, weshalb es zweckmäßig ist, dass die Sprachregelung eine Sprache umfasst, die der Empfänger versteht oder die eine der offiziellen Sprachen am Ort der Zustellung ist.

6.5.

Die Bestimmung zu den ergänzenden Formen der Zustellung von vorgesehenen Schriftstücken mittels Postsendung, die Zustellung unmittelbar durch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen des ersuchten Mitgliedstaats sowie die elektronische Zustellung erscheint angemessen.

6.6.

In jedem Fall ist es wichtig, die Integrität und die Zweckbestimmung des Schriftstücks — ob es sich um ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück handelt — zu wahren und zu gewährleisten.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 (ABl. L 174 vom 27.6.2001, S. 1).

(2)  Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 vom 13. November 2007 zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (ABl. L 324 vom 10.12.2007, S. 79).

(3)  Entsprechend dem sogenannten „Parallelabkommen“ mit Dänemark (ABl. L 300 vom 17.11.2005, S. 55). Das Vereinigte Königreich und Irland wiederum hatten seinerzeit gemäß Artikel 3 des Protokolls Nr. 21 AEUV mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und Anwendung der beiden Verordnungen beteiligen möchten.

(4)  Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 (ABl. L 338 vom 23.12.2003, S. 1).

(5)  Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 (ABl. L 7 vom 10.1.2009, S. 1).

(6)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 29; ABl. C 345 vom 13.10.2017, S. 67.

(7)  Siehe die Schlussfolgerungen des Generalanwalts Wathelet zur Rechtssache C-416/17 der Europäischen Kommission gegen die Französische Republik, Punkte 95-103.

(8)  Beispielsweise in den folgenden Fällen: Rechtssache Nordsee 102/81(1982), Absätze 10-13; Rechtssache Eco Swiss C-126/97(1999), Absatz 34; Rechtssache Denuit und Cordier C-125/04(2005), Absatz 13; Rechtssache Gazprom C-536/13(2015), Absatz 36; Rechtssache Achmea C-284/16(2018), Absätze 45-49 usw.

(9)  Urteil „Achmea“ in der Rechtssache C-284/16, ergangen am 6. März 2018 (ECLI:EU:C:2018:158).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/63


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Betrugsbekämpfungsprogramms der EU“

(COM(2018) 386 final — 2018/0211 (COD))

(2019/C 62/10)

Berichterstatter:

Giuseppe GUERINI

Befassung

Kommission, 18.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

2.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

193/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet den Vorschlag der Kommission zur Aufstellung des neuen Betrugsbekämpfungsprogramms zum Schutz der finanziellen Interessen der EU und zur Unterstützung der gegenseitigen Amtshilfe zwischen den Zollbehörden der Mitgliedstaaten.

1.2.

Es ist begrüßenswert, dass das neue Betrugsbekämpfungsprogramm auf dem Vorgängerprogramm Hercule III aufbaut, und dass versucht wird, seine Leistungsfähigkeit im Lichte der seither entwickelten Praxis zu verbessern, insbesondere was eine umfassendere Auswertung der verfügbaren Daten und eine wirksame Kombination des Hercule-Systems mit den Systemen AFIS und IMS betrifft.

1.3.

Der EWSA hofft, dass die Europäische Union Formen der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Betrugsbekämpfung fördert, um wirksam und koordiniert auf Phänomene reagieren zu können, die nunmehr die Grenzen von Staaten und sogar Kontinenten überschreiten und die Entwicklung effizienter Methoden für die weltweite Kooperation zwischen den unterschiedlichen zuständigen Behörden erforderlich machen.

1.4.

Der EWSA empfiehlt, dass die Kommission ein angemessenes Maß an Investitionen in neue Betrugsbekämpfungstechnologien vorsieht — angefangen bei der künstlichen Intelligenz, die bedeutende Verbesserungen bei Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Tätigkeiten mit sich bringen könnte.

1.5.

Diese Investitionen müssen durch geeignete Schulungsmaßnahmen für die Mitarbeiter der für die Betrugsbekämpfung zuständigen Behörden begleitet werden. Zur Anpassung an die Entwicklung des illegalen Handels muss der Einsatz neuer Technologien unbedingt mit einer angemessenen Ausbildung der mit dieser Thematik befassten Personen einhergehen.

1.6.

Angesichts der strategischen Bedeutung der Technologien bei der Betrugsbekämpfung sollten nach Auffassung des EWSA über die im Kommissionsvorschlag enthaltenen Leistungsindikatoren hinaus solche festgelegt werden, mit denen gemessen wird, wie sich die Fähigkeiten der Steuerbehörden beim Einsatz neuer digitaler Technologien und künstlicher Intelligenz zur Bekämpfung von Betrug entwickeln, der die Interessen der EU gefährdet.

1.7.

In politischer Hinsicht ist der EWSA der Auffassung, dass die Betrugsbekämpfung seitens der europäischen Institutionen u. a. durch zusätzliche Anstrengungen zur Harmonisierung der in den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen geltenden Rechts- und Steuervorschriften verstärkt werden könnte. Tatsächlich könnten die übermäßigen Unterschiede zwischen den Steuer- und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten innerhalb des Binnenmarkts zum Rückgriff auf unrechtmäßige Praktiken führen, um die bestehenden Regelungsunterschiede (z. B. „Karussellbetrug“ im Bereich der Mehrwertsteuer) auszunutzen, was sich möglicherweise direkt oder indirekt nachteilig auf den EU-Haushalt oder allgemeiner auf die Konsolidierung des europäischen Binnenmarkts auswirken kann.

2.   Vorschlag der Kommission

2.1.

Das bestehende System zur Bekämpfung von Betrug zulasten des EU-Haushalts umfasst die folgenden Maßnahmen: i) das Ausgabenprogramm Hercule III zur Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen gegen die finanziellen Interessen der EU gerichteten widerrechtlichen Handlungen, ii) das Informationssystem für die Betrugsbekämpfung AFIS (Anti-Fraud Information System), das aus einer Reihe von gemäß der Verordnung (EG) Nr. 515/97 von der Kommission verwalteten IT-Anwendungen für den Zollbereich besteht und iii) das Berichterstattungssystem für Unregelmäßigkeiten IMS (Irregularity Management System), ein elektronisches Kommunikationswerkzeug, das den Mitgliedstaaten erleichtert, der ihnen obliegenden Pflicht zur Meldung aufgedeckter Unregelmäßigkeiten und Betrugsdelikte nachzukommen.

2.2.

Das neue Betrugsbekämpfungsprogramm der EU, das Gegenstand dieser Stellungnahme ist, wird weitgehend auf dem Vorgängerprogramm Hercule III aufbauen, dieses in bestimmten Punkten verbessern (u. a. durch die Schaffung der Möglichkeit zur Finanzierung neuer Initiativen, z. B. auf dem Gebiet der Datenanalyse) und es besser mit den Systemen AFIS und IMS kombinieren.

2.3.

Mit dem Betrugsbekämpfungsprogramm werden zwei allgemeine Ziele verfolgt: i) Schutz der finanziellen Interessen der EU und ii) Unterstützung der gegenseitigen Amtshilfe zwischen den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten und der Zusammenarbeit dieser Behörden mit der Kommission im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und der Agrarvorschriften.

2.4.

Darüber hinaus sieht das Programm drei spezifische Ziele vor, die unmittelbar mit den allgemeinen Zielen zusammenhängen: i) Verhütung und Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen gegen die finanziellen Interessen der EU gerichteten rechtswidrigen Handlungen, ii) Unterstützung für die Meldung von Unregelmäßigkeiten und Betrugsdelikten bei der gemeinsamen Mittelverwaltung und der aus dem EU-Haushalt finanzierten Heranführungshilfe und iii) Bereitstellung von Instrumenten für den Informationsaustausch und die Unterstützung von operativen Tätigkeiten auf dem Gebiet der gegenseitigen Amtshilfe in Zoll- und Agrarsachen.

2.5.

Die Finanzausstattung des Programms im Zeitraum 2021–2027 beträgt 181,207 Mio. EUR, die sich wie folgt verteilen: i) 114,207 Mio. EUR für die Verhütung und Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen gegen die finanziellen Interessen der EU gerichteten rechtswidrigen Handlungen, ii) 7 Mio. EUR für die Unterstützung für die Meldung von Unregelmäßigkeiten und Betrugsdelikten bei der gemeinsamen Mittelverwaltung und der aus dem EU-Haushalt finanzierten Heranführungshilfe und iii) 60 Mio. EUR für die Bereitstellung von Werkzeugen für den Informationsaustausch und die Unterstützung von operativen Tätigkeiten auf dem Gebiet der gegenseitigen Amtshilfe in Zoll- und Agrarsachen.

2.6.

Das neue Programm wird innerhalb eines neuen Regelungsumfelds umgesetzt werden, das wesentliche Veränderungen erfahren hat, insbesondere hinsichtlich der Schaffung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA). Diese spielt eine wichtige — und hoffentlich wirksame — Rolle, da sie in Verbindung mit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1371 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug mithilfe des Strafrechts einen besseren Schutz der finanziellen Interessen der EU und ihrer Bürger sicherstellen soll.

2.7.

Die Verordnung zur Aufstellung des Betrugsbekämpfungsprogramms wurde im Anschluss an eine von der Kommission durchgeführte Konsultation der Interessenträger — sowie unter Berücksichtigung der Vorschläge einer Sachverständigengruppe — ausgearbeitet und stützt sich auf eine solide Rechtsgrundlage in den Verträgen (Artikel 325 und Artikel 33 AEUV).

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

3.1.

Der EWSA befürwortet uneingeschränkt den Vorschlag der Kommission zur Aufstellung des neuen Betrugsbekämpfungsprogramms zum Schutz der finanziellen Interessen der EU und zur Unterstützung der gegenseitigen Amtshilfe zwischen den Zollbehörden der Mitgliedstaaten.

3.2.

Es ist unerlässlich, dass die Artikel 325 und 33 AEUV mithilfe geeigneter Instrumente und einer angemessenen Koordinierung zwischen den nationalen und europäischen Behörden umgesetzt werden, wie sich an den in den vergangenen Jahren ergriffenen Maßnahmen gezeigt hat, mit denen umfangreiche Beträge in den EU-Haushalt zurückgeführt wurden, wenngleich sich die genaue Höhe dieser Beträge nach Angabe der Kommission nur schwer beziffern lässt.

3.3.

Die Globalisierung der Märkte, die wachsende Mobilität von Waren und Personen sowie die zunehmende Verbreitung neuer Kommunikationstechnologien haben einen exponentiellen Anstieg der grenzüberschreitenden Transaktionen und des Handels über digitale Plattformen zur Folge. Diese Entwicklung birgt große Chancen für das Wachstum und die Entwicklung der Märkte, erfordert aber auch eine schnelle und konstante Modernisierung der Techniken zur Überwachung rechtswidriger Handlungen sowie der Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von Betrug und der unterschiedlichen Formen der Umgehung von Zollkontrollen.

3.4.

Die Reaktion der Behörden auf die immer raffinierteren Formen von Betrug muss deshalb unbedingt den aktuellen Entwicklungen entsprechen, und zwar sowohl hinsichtlich der Wirksamkeit der Durchsetzung als auch hinsichtlich der technologischen Lösungen und der effektiven Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen nationalen Behörden, deren Maßnahmen koordiniert und synergetisch sein sollten.

3.5.

Angesichts der grenzüberschreitenden Natur des Betrugs und der (durch die Technologie begünstigten) zunehmenden Leichtigkeit, mit der illegale Praktiken schnell entwickelt werden können (z. B. der Leichtigkeit, mit der aus illegalen Aktivitäten gewonnenes Kapital verschoben werden kann), ist es erforderlich, dass die Behörden weltweit immer enger zusammenarbeiten. Der EWSA hofft, dass die EU Formen der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der Betrugsbekämpfung fördert, um auf Phänomene, die derzeit die Grenzen von Staaten und sogar Kontinenten überschreiten, auf wirksame und koordinierte Weise zu reagieren.

3.6.

Es ist begrüßenswert, dass das neue Betrugsbekämpfungsprogramm auf dem Programm Hercule III aufbaut, und dass versucht wird, die früheren Ergebnisse im Lichte der seither entwickelten Praxis zu verbessern, insbesondere was eine umfassendere und genauere Auswertung der verfügbaren Daten und eine wirksame Kombination des Hercule-Systems mit den Systemen AFIS und IMS betrifft.

3.7.

Dank der Zollunion, die gemäß Artikel 3 AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt, wurden inzwischen wichtige Ergebnisse in Bezug auf die Harmonisierung der Vorschriften, die Wirksamkeit der Kontrollen und die Abschreckungswirkung von Sanktionen erzielt. Diese Ergebnisse müssen um einen wirksamen Schutz der finanziellen Interessen der EU ergänzt werden; Voraussetzung dafür sind u. a. die Fortsetzung und Intensivierung der Anstrengungen zur Stärkung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Zollwesen in enger Abstimmung mit der Kommission.

3.8.

Mit dem neuen Betrugsbekämpfungsprogramm werden die Maßnahmen zur Verfolgung von gegen die Interessen der EU gerichteten illegalen Handlungen auch durch die Vereinfachung und Beschleunigung der Kontrollverfahren dank neuer Technologien für das Zollwesen gestärkt. In diesem Zusammenhang empfiehlt der EWSA, Investitionen in neue Betrugsbekämpfungstechnologien in angemessener Höhe vorzusehen — angefangen bei der künstlichen Intelligenz, die große Möglichkeiten zur Verbesserung der Tätigkeit der Behörden bieten dürfte.

3.9.

Diese Investitionen müssen durch geeignete Schulungsmaßnahmen für die Mitarbeiter der für die Betrugsbekämpfung zuständigen Behörden begleitet werden. Zur Anpassung an die Entwicklung des illegalen Handels muss der Einsatz neuer Technologien unbedingt mit einer angemessenen Ausbildung der mit Betrugsbekämpfung und rechtswidrigen Handlungen befassten Personen einhergehen. Diese müssen laufend an Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen, um mit der Weiterentwicklung der Technologien zur Bekämpfung illegaler Handlungen Schritt zu halten.

3.10.

Der EWSA befürwortet die im neuen Betrugsbekämpfungsprogramm festgelegten allgemeinen und besonderen Ziele, schlägt jedoch vor, ein neues spezifisches Ziel zur Bekämpfung von Zollbetrug, Korruption und rechtswidrigen Handlungen einzuführen, die mittels digitaler Kanäle und neuer Technologien stattfinden, damit eine digitale Zoll- und Betrugsbekämpfungspolitik entwickelt wird.

3.11.

Zu betonen ist, dass es bei der technischen Anpassung der Zoll- und der Betrugsbekämpfungspolitik nicht nur um die Anpassung von Instrumentarien und physischer Ausstattung der einschlägigen Behörden geht, sondern dass auch eine echte langfristig angelegte Strategie auf Basis konkreter Zielsetzungen, Vorgaben und Methoden entwickelt werden muss.

3.12.

Die Kommission erachtete es nicht als erforderlich, eine vorausgehende Folgenabschätzung durchzuführen, da mit dem neuen Betrugsbekämpfungsprogramm im Wesentlichen ein vorheriges Programm fortgeführt wird, das bereits im Rahmen von Ex-post-Bewertungen (1) untersucht und für wirksam befunden wurde. Der EWSA kann zwar die Entscheidung nachvollziehen, im Vorfeld keine Folgenabschätzung vorzunehmen, und erachtet die von der Kommission angeführten Ex-post-Bewertungen grundsätzlich für angemessen, hält es aber für wichtig, dass die Betrugsverhütungs- und -bekämpfungsmaßnahmen der EU auf konkreten und überprüfbaren Daten beruhen. Da keine vorausgehende Folgenabschätzung durchgeführt wurde, muss das neue Betrugsbekämpfungsprogramm nunmehr durch kontinuierliche Überwachungs-, Evaluierungs- und Informationsmaßnahmen gestützt werden, um den Stand der Technik und den im Laufe der Zeit erzielten Fortschritt wirksam beurteilen zu können.

3.13.

Der EWSA befürwortet die Einführung von drei Indikatoren, mit denen die Verwirklichung der im neuen Betrugsbekämpfungsprogramm festgelegten spezifischen Ziele gemessen werden soll, nämlich i) Nutzerzufriedenheit und Anteil der Mitgliedstaaten, die Unterstützung für die Verhütung und Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen gegen die finanziellen Interessen der Union gerichteten rechtswidrigen Handlungen erhalten, ii) Zufriedenheit der Nutzer mit dem Berichterstattungssystem für Unregelmäßigkeiten und iii) Zahl der zur Verfügung gestellten Amtshilfeinformationen und Zahl der unterstützten Tätigkeiten im Zusammenhang mit der gegenseitigen Amtshilfe.

3.14.

Entsprechend der obigen Forderung nach Ergänzung eines spezifischen Ziels zur Notwendigkeit der Umsetzung einer Zoll- und Betrugsbekämpfungsstrategie für die digitale Wirtschaft schlägt der EWSA vor, auch Indikatoren einzuführen, mit denen gemessen wird, wie sich die Fähigkeiten der Steuerbehörden beim Einsatz neuer digitaler Technologien und künstlicher Intelligenz zur Bekämpfung von gegen die Interessen der EU gerichtetem Betrug entwickeln.

3.15.

Damit das Betrugsbekämpfungsprogramm ordnungsgemäß funktioniert, müssen die eingeführten Maßnahmen bei der Mittelzuweisung angemessen unterstützt werden. Daher befürwortet der EWSA den Vorschlag der Kommission, das Programm im Wege der direkten wie auch der indirekten Mittelverwaltung durchzuführen.

3.16.

Der EWSA befürwortet die Möglichkeit zur Finanzierung der Kosten, die den Mitgliedstaaten für die Einrichtung und Wartung der technischen Infrastrukturen sowie für die logistischen, informationstechnischen und bürotechnischen Mittel entstehen, die sie zur Koordinierung von gemeinsamen Zollaktionen und anderen operativen Tätigkeiten benötigen, da dies seiner Auffassung nach mit dem Gesamtkonzept der Verordnung über das neue Betrugsbekämpfungsprogramm in Einklang steht. Dementsprechend befürwortet der EWSA auch die Möglichkeit zur Finanzierung der Kosten für Erwerb, Erforschung, Entwicklung und Wartung der Informatikinfrastruktur, der Software und der besonderen Netzverbindungen im Hinblick auf die Betrugsverhütung und -bekämpfung.

3.17.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen legt der EWSA der Kommission nahe, die Koordinierungsmechanismen, die zur Sicherstellung der Wirksamkeit und Interoperabilität der gesamten mit Unterstützung durch die Finanzmittel der Union erworbenen Ausrüstung erforderlich sind, wirksam und leistungsfähig zu gestalten, damit der Kampf gegen Betrug und illegale Handlungen, durch die dem EU-Haushalt ein Schaden entsteht, immer effizienter und koordinierter geführt werden kann.

3.18.

In politischer Hinsicht ist der EWSA der Auffassung, dass die Betrugsbekämpfung seitens der europäischen Institutionen durch zusätzliche Anstrengungen zur Harmonisierung der im Binnenmarkt geltenden Rechts- und Steuervorschriften verstärkt werden könnte. Tatsächlich könnten die übermäßigen Unterschiede zwischen den Steuer- und Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten innerhalb des Binnenmarkts zum Rückgriff auf unrechtmäßige Praktiken führen, um die bestehenden Regelungsunterschiede (z. B. „Karussellbetrug“ im Bereich der Mehrwertsteuer) auszunutzen, was sich möglicherweise direkt oder indirekt nachteilig auf den EU-Haushalt oder allgemeiner auf die Konsolidierung des europäischen Binnenmarkts auswirkt.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Vgl. Evaluierung der Programme Hercule II (2007-2013) und Hercule III (2014-2017).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/67


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung des Instruments für finanzielle Hilfe für Zollkontrollausrüstung im Rahmen des Fonds für integriertes Grenzmanagement“

(COM(2018) 474 final — 2018/0258 (COD))

(2019/C 62/11)

Berichterstatter:

Antonello PEZZINI

Befassung

Europäisches Parlament, 2.7.2018

Rat, 4.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

2.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

200/0/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) vertritt die Auffassung, dass die zunehmenden Probleme im Zusammenhang mit der Kontrolle der EU-Außengrenzen nur mithilfe eines Systems bewältigt werden können, bei dem es gelingt, den Schutz des Einzelnen, die Sicherheit der Grenzen und den fruchtbaren Handel mit Drittstaaten miteinander zu vereinbaren.

1.2.

Der EWSA sieht darin eine der größten Herausforderungen, auf die die Europäische Union eine Antwort geben muss, und betrachtet das im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU vorgeschlagene Paket Grenzmanagement als ersten Schritt in die richtige Richtung.

1.3.

Nach Ansicht des EWSA muss in der EU unbedingt ein hohes Maß an Qualität und Innovation der Zollausrüstung sichergestellt werden, um die soziale Kultur und die gesellschaftlichen, ökologischen, wirtschaftlichen und finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten bestmöglich zu schützen. Dies betrifft konkret

die noch immer ineffiziente Bekämpfung illegalen Handels;

die Straffung und Vereinfachung der legalen Handelspraktiken;

die Gewährleistung der Sicherheit des EU-Binnenmarkts;

den Schutz der Umwelt und der Gesundheit der Bürger;

die Achtung der Arbeitnehmergrundrechte;

den Schutz der Verbraucherinteressen;

ein optimales Zollrisikomanagement;

die Erhebung der Zölle.

1.4.

Der Ausschuss hält es ebenfalls für wichtig, im Rahmen des neuen Instruments

der Ausrüstung an den Grenzen mit besonders intensiver Kontrolltätigkeit, z. B. den Seegrenzen, Vorrang einzuräumen;

die Arbeiten der in diesem Bereich tätigen Bewertungsteams zu beschleunigen (1);

eine geografisch ausgewogene Mittelzuweisung sicherzustellen;

in Synergie mit dem Fonds für innere Sicherheit die Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit den Waren- und Personenströmen zu wahren.

1.5.

Der EWSA würdigt die Tatsache, dass die Kommission sowohl um eine bessere Kontrolle der EU-Grenzen als auch um die Aufstockung der Mittel und Stärkung der erforderlichen Instrumente bemüht ist, um eine hochwertige und innovative Zollkontrolle sowie eine möglichst einheitliche Anwendung der Zollvorschriften in den verschiedenen Grenzzollstellen (2) zu gewährleisten.

1.6.

Der Ausschuss hält die Finanzausstattung des neuen Instruments angesichts der angestrebten Ziele für unzureichend. In den Anwendungsbereich sollten zudem auch die Ausrüstungen für die Kontrolle der pflanzengesundheitlichen Unbedenklichkeit und modernste spektrografische Geräte zur Überprüfung von Containern gehören (3).

1.7.

Der Ausschuss hält es darüber hinaus für wichtig, die Lieferung von Ausrüstung an die Grenzstellen mit besonders intensiver Kontrolltätigkeit, zum Beispiel an den Seegrenzen, schnellstmöglich sicherzustellen, denen bei der Zuweisung der finanziellen Hilfen Vorrang eingeräumt werden sollte. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, dass das neue Instrument mit Blick auf die Verbreitung neuer und innovativer Ausrüstung die Schaffung einer Reserve für schnelles Eingreifen vorsieht, einschließlich der Möglichkeit, gleichzeitig die Liste der bereits zugelassenen Ausrüstung zu überarbeiten.

1.8.

Der EWSA fordert, in Bezug auf die jährlichen Arbeitsprogramme und die Mechanismen zur Vergabe von Finanzhilfen (4), die unmittelbar von der Kommission verwaltet werden, größtmögliche Transparenz sicherzustellen.

1.9.

Der EWSA empfiehlt eine enge Abstimmung insbesondere mit dem Programm „Customs“, in dessen Rahmen umfassende IT-Infrastrukturen und -Systeme — unter anderem zur Digitalisierung der Interaktionen zwischen Handel und Zoll — finanziert werden sollen, sowie mit dem Programm Horizont Europa und weiteren einschlägigen Fonds.

1.10.

Der Ausschuss ersucht darum, dass ihm mittelfristig der Bericht über die Ergebnisse und die Funktionsweise des neuen Instruments zusammen mit einer Analyse auf der Grundlage qualitativer und quantitativer Indikatoren vorgelegt wird.

1.11.

Die zeitnahe Entwicklung einer gemeinsamen Terminologiedatenbank für die immer wiederkehrenden Themen im Sprachgebrauch der Zollstellen in Anlehnung an das Fluglotsen-Projekt würde die angestrebte Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Zollwesens erleichtern.

1.11.1.

Der EWSA empfiehlt, die Zollausrüstung zeitnah zu aktualisieren, um der Entwicklung des Internets der Dinge, der Cybersicherheit, der digitalen Nachverfolgung und den High-Tech-Anwendungen umgehend Rechnung zu tragen und deren Verbreitung zu beschleunigen sowie um eine dem aktuellen Stand entsprechende Aus- und Fortbildung mit Blick auf deren Nutzung zu gewährleisten.

1.11.2.

Ebenso wäre es angebracht, gemeinsame Ausbildungsrahmen (5) zu entwickeln und sich dabei am „Kompetenzrahmen für das Zollwesen der EU“ zu orientieren, der auf die Harmonisierung und Anhebung der Leistungsstandards für das Zollwesen im gesamten Unionsgebiet abzielt.

1.11.3.

In der Zwischenzeit ist es wichtig, u. U. mittels eines Auftrags an die europäischen Normungsorganisationen, gemeinsame Standards und Protokolle zu entwickeln, die das für den Zoll bestimmte geförderte Material und ebensolche Ausrüstung flankieren.

2.   Einleitung

2.1.

Verdreifachung der Mittel für das Grenzmanagement an den EU-Grenzen, so lautet der Vorschlag der Kommission im nächsten Haushaltsrahmen 2021-2027. Diese Mittel sind für die Stärkung der Grenzen und die Verbesserung der Mobilität von Waren, Dienstleistungen und Personen, einschließlich Migranten, bestimmt. Die Finanzausstattung soll gemäß dem Kommissionsvorschlag von derzeit 13 Mrd. EUR auf 34,9 Mrd. EUR steigen.

2.2.

Die Kommission plant, einen neuen eigenen Fonds für integriertes Grenzmanagement einzurichten. Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) soll weiter aufgestockt werden und im Hinblick auf die Verbesserung der Zollkontrollen und die Verstärkung der Kontrollausrüstung auf eine ständige Reserve von rund 10 000 Grenzschutzbeamten und zusätzliche Finanzmittel zurückgreifen können. Es soll ein neuer Fonds für integriertes Grenzmanagement (IBMF) mit einer Finanzausstattung von mehr als 9,3 Mrd. EUR eingerichtet werden.

2.2.1.

Die Mittel sollen folgenden Zwecken dienen: Stärkung von Frontex, Durchführung systematischer Kontrollen an den Grenzen, Umsetzung neuer interoperabler IT-Großsysteme, Einführung eines künftigen Regelwerks mit Vorschriften über Eingang und Ausgang an den Grenzen.

2.3.

Der neue IBMF-Fonds soll zwei verschiedene Instrumente umfassen: erstens ein Instrument für „Integriertes Grenzmanagement und Visumspolitik“, zweitens ein mit 1,3 Mrd. EUR ausgestattetes Instrument für Zollkontrollausrüstungen für den Zeitraum 2021-2027, das zu angemessenen und gleichwertigen Zollkontrollen in den verschiedenen Grenzstellen beitragen soll.

2.3.1.

Dieser zuletzt genannte Fonds dient der Anschaffung, Wartung und Aktualisierung moderner und zuverlässiger Zollkontrollausrüstung.

2.4.

50 Jahre nach ihrem Inkrafttreten am 1. Juli 1968 ist die Zollunion ein unverzichtbarer Eckpfeiler des Binnenmarktes. Sie dient dem EU-Grenzschutz und dem Schutz der Bürger vor verbotenen und gefährlichen Gütern, wie z. B. Waffen, Drogen und Produktfälschungen und fördert zudem das stetige Wachstum unseres Anteils am Welthandel: im Jahr 2017 fertigte der Zoll der EU 16 % des Welthandels ab.

2.5.

Für das reibungslose Funktionieren der Zollunion verfügen die EU-Mitgliedstaaten über ein gemeinsames Regelwerk auf der Grundlage des EU-Zollkodexes, der 2013 angenommen wurde und seit 2016 in allen EU-Mitgliedstaaten angewandt wird. Seit 2016 bildet er einen neuen Rechtsrahmen für die Verwaltung der Ein-, Aus-, und Durchfuhr sowie der Lagerung von Waren im Transit durch das Zollgebiet und im Handel mit Drittländern.

2.5.1.

Darüber hinaus wendet der Zoll mehr als 60 Rechtsvorschriften aus anderen Bereichen an, die u. a. folgendes betreffen:

Güter mit doppeltem Verwendungszweck (zivil und militärisch),

Schusswaffen,

Drogenausgangsstoffe,

Bewegungen von Bargeld,

Rechte des geistigen Eigentums,

öffentliche Gesundheit,

Produktsicherheit,

Verbraucherschutz,

Schutz der Pflanzen- und Tierwelt,

Umweltschutz.

2.6.

Der EWSA hat stets die Auffassung vertreten, „dass eine effiziente Zollunion für den europäischen Integrationsprozess unabdingbar ist, insofern als sie einen wirksamen, sicheren und transparenten freien Warenverkehr gewährleistet und gleichzeitig den bestmöglichen Schutz der Verbraucher und der Umwelt und eine wirksame Betrugs- und Fälschungsbekämpfung in der gesamten Europäischen Union sicherstellt“ (6).

2.7.

Ebenso erforderlich und wichtig seien zudem „die Einführung von Modernisierungsmaßnahmen wie die Vereinfachung des Zollrechts und die Schaffung interoperabler computergestützter Zollsysteme, die zu einer Vereinfachung der Handelspraktiken und einer besseren Koordinierung der Tätigkeit im Bereich der Prävention und Strafverfolgung beitragen werden“ (7).

2.8.

Bereits im Jahr 2012 hatte der Europäische Rat (8) auf die Notwendigkeit hingewiesen, die interne Governance der EU-Zollunion zu straffen und mit anderen Agenturen und dem Privatsektor im Hinblick auf eine optimale Dienstleistung für die Wirtschaftsbeteiligten zusammenzuarbeiten. Im Juni 2014 empfahl der Rat in seinen Schlussfolgerungen, die Leistungsmessung durch die Festlegung der relevanten Bereiche zu verbessern, und forderte die Entwicklung geeigneter zentraler Leistungsindikatoren.

2.9.

Der Rat ersuchte die Kommission in seinen Schlussfolgerungen vom 23. März 2017 über die Zollfinanzierung, „die Möglichkeiten für die Finanzierung des Bedarfs an technischer Ausrüstung im Rahmen künftiger Finanzierungsprogramme der Kommission zu prüfen und zu bewerten“ sowie „die Koordinierung zu verbessern und die Zusammenarbeit zwischen Zollbehörden und anderen Strafverfolgungsbehörden für die Zwecke der Finanzierung […] zu intensivieren“.

2.10.

Das Europäische Parlament hat seinerseits in seiner Entschließung vom 7. April 2017 (9) darauf hingewiesen, dass „effiziente Zollverfahren nicht nur mit Blick auf Handelserleichterungen wichtig sind, sondern auch für die wirksame und zügige Strafverfolgung in Fällen von Produktnachahmungen und Schmuggel verbrauchsteuerpflichtiger Waren in die EU“, und dass „die Zollverwaltungen mit dem Dilemma konfrontiert sind, einerseits für einen sicheren Warenverkehr, bei dem die Verbraucher in der EU geschützt werden, sorgen und andererseits die Bestimmungen von Handelsabkommen umsetzen zu müssen“.

3.   Die Vorschläge der Kommission

3.1.

Mittels der Verordnung wird ein neues Finanzinstrument für die Zollkontrollausrüstung im Rahmen eines Fonds für das integrierte Grenzmanagement (IBMF) unter der Haushaltslinie „Migration und Grenzmanagement“ mit dem Ziel eingerichtet, die Mitgliedstaaten stärker zu unterstützen, um die Zollkontrollen in der gesamten Zollunion einheitlich zu gestalten und dazu die gegenwärtigen Ungleichgewichte zwischen den Zollbehörden in den einzelnen Mitgliedstaaten zu beheben.

3.2.

Das neue Finanzinstrument ist für den Zeitraum 2021-2027 mit 1,3 Mrd. EUR ausgestattet und gilt für die Zollkontrollausrüstung an den vier verschiedenen Kategorien von Grenzen (Land-, See-, Luft- (10), und Postgrenzen).

3.3.

Die Finanzierungen stehen allen Mitgliedstaaten zur Verfügung. Der Bedarf der einzelnen Grenzkategorien wird ermittelt werden. Das Sachverständigenteam für die östlichen und südöstlichen Zollgrenzen (CELBET), in dem die elf für die Landgrenzen der EU zuständigen Mitgliedstaaten vertreten sind, hat seine Tätigkeit in diesem Bereich bereits aufgenommen, während die Arbeiten für die anderen Grenzkategorien in Kürze anlaufen sollen. Damit können nach Inkrafttreten des Instruments im Jahr 2021 für 27 Mitgliedstaaten der Mittelbedarf der einzelnen Staaten bewertet und Mittelzuweisungen vorgenommen werden (11).

3.4.

In Bezug auf die genannten Ziele ist eine stärkere Koordinierung und Rechtssicherheit, eine größere Wirksamkeit bzw. Komplementarität und ein zentralisierter Ansatz in Form einer direkten Verwaltung notwendig: vorgesehen sind Beihilfen für die Mitgliedstaaten in Höhe von bis zu 80 % der förderfähigen Kosten, um die Anschaffung, Wartung und Modernisierung der Zollkontrollausrüstung entsprechend den nach Art der Grenze vorab festgelegten Standards zu unterstützen.

3.5.

Das Instrument steht in engem Zusammenhang mit dem neuen Zollprogramm (12). Mithilfe der Instrumente der Zusammenarbeit dieses Programms wird der Bedarf an innovativer Zollkontrollausrüstung und erforderlichenfalls an gemeinsamen Schulungsmaßnahmen (13) des Zollpersonals zur Gewährleistung einer besseren Nutzung der Ausrüstung ermittelt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die zunehmenden Herausforderungen bei der Kontrolle der EU-Außengrenzen nur mithilfe eines soliden Systems bewältigt werden können, das den Schutz des Einzelnen, die soziale Marktwirtschaft, die Sicherheit und Nachhaltigkeit für die Produktion und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten sowie den Handel mit Drittstaaten miteinander vereinbaren kann.

4.2.

Der Ausschuss begrüßt die Anstrengungen, die die Europäischen Kommission zur Aufstockung der bestehenden Fonds und Instrumente zur Verstärkung der Kontrollen an den Außengrenzen und zur Gewährleistung einer innovativen und hochwertigen Zollkontrolle im Rahmen der Stärkung der Zollunion unternimmt.

4.3.

Der EWSA hält jedoch die Finanzausstattung des neuen Instruments in Höhe von 1,3 Mrd. EUR, d. h. rund 186 Mio. EUR pro Jahr, für völlig unzureichend. Dies ist weniger als ein Dreißigstel der für den Zeitraum 2021-2027 für die allgemeinen Aufgaben der Grenzverwaltung und Migrationssteuerung bereitgestellten Mittel in Höhe von insgesamt 34,9 Mrd. EUR.

4.4.

Der Ausschuss empfiehlt zudem:

der Ausrüstung an den Grenzen mit besonders intensiver Kontrolltätigkeit, z. B. den Seegrenzen, Vorrang einzuräumen;

die Arbeiten der in diesem Bereich tätigen Bewertungsteams zu beschleunigen (14);

eine geografisch ausgewogene Mittelzuweisung sicherzustellen;

komplementär zum Fonds für innere Sicherheit die Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit den Waren- und Personenströmen zu wahren.

4.4.1.

Nach Ansicht des EWSA muss unbedingt die Qualität und Innovation der Zollausrüstung sichergestellt werden, um die soziale Kultur und die wirtschaftlichen und finanziellen Interessen der Union und ihrer Mitgliedstaaten bestmöglich zu schützen und zu wahren durch:

die (nach wie vor ineffiziente) Bekämpfung illegalen Handels (15);

die Straffung und Vereinfachung der Formalitäten im Zusammenhang mit dem legalen Handel;

die Gewährleistung der Sicherheit des EU-Binnenmarkts;

den Schutz der Umwelt und der Gesundheit der Bürger;

die Achtung der Arbeitnehmergrundrechte;

den Verbraucherschutz;

das Risikomanagement;

die Erhebung der Zölle.

4.5.

Der Ausschuss fordert, für eine größtmögliche Verbreitung der jährlichen Arbeitsprogramme und der vorgesehenen Maßnahmen sowie der Verfahren für die Zuweisung der von der Kommission verwalteten Finanzhilfen zu sorgen, wobei der gebündelte Erwerb von Ausrüstung (die innovativ sein muss) zu fördern ist (16).

4.6.

Der EWSA empfiehlt eine enge Abstimmung mit dem Programm „Customs“, in dessen Rahmen IT-Infrastrukturen und -Systeme — unter anderem zur Digitalisierung der Interaktionen zwischen Handel und Zoll — finanziert werden, sowie mit dem Programm „Horizont“, das zur Ermittlung innovativer Methoden bei der Zollkontrolle beitragen kann.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Da jährlich mehr als 200 Mio. TEU (17), d. h. über 10 Mio. Container befördert werden, ist es an vielen See- und Landgrenzen sehr schwierig, punktuelle Kontrollen durchzuführen. Es wäre deshalb zweckmäßig, bei den Kontrollen entlang der Beförderungswege dank einer Neukonzipierung des Materials der Containerstruktur (18) Drohnen einsetzen oder auf Galileo zurückgreifen zu können.

5.2.

Es wäre sinnvoll, die Genfer Konvention von 1972 und die ISO-Normen von 1967, die noch vor den einschneidenden Neuerungen des 21. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Globalisierung und der zunehmenden und nunmehr Besorgnis erregenden Produktfälschung (19) entstanden sind, auf den neuesten Stand zu bringen.

5.3.

Die Zollausrüstung (equipment tools) muss rasch aktualisiert werden, um der Entwicklung des Internets der Dinge, der Cybersicherheit, der digitalen Nachverfolgung und der immer moderneren High-Tech-Anwendungen umgehend Rechnung zu tragen und deren Verbreitung sowie eine dem aktuellen Stand entsprechende Aus- und Fortbildung mit Blick auf deren verantwortungsvolle Nutzung zu beschleunigen (und zwar im Rahmen des Kompetenzrahmens für das Zollwesen der Europäischen Union, EU Customs CFW(20). In diesem Zusammenhang wäre es wichtig, dass das neue Instrument für die finanzielle Unterstützung mit Blick auf die Verbreitung innovativer Ausrüstung die Schaffung einer Reserve für schnelles Eingreifen und gleichzeitig eine Überarbeitung der Liste der bereits zugelassenen Ausrüstung vorsieht.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Bislang wurden die notwendige Bestandsaufnahme der Ausrüstung und die Aufstellung der Typologie für die Maßnahmen sowie die Ermittlung der vorgeschlagenen Standards für jede Kategorie nur für elf Mitgliedstaaten mit östlichen und südöstlichen Außengrenzen (Landgrenzen) vorgenommen.

(2)  Es handelt sich um 2 140 Grenzzollstellen, siehe https://ec.europa.eu/info/publications/annual-activity-report-2016-taxation-and-customs-union_de.

(3)  Besonders nützlich für die Prüfung des Inhalts der zahlreichen Container.

(4)  Die von der Haushaltsordnung abweichenden Finanzhilfen werden den Mitgliedstaaten zugewiesen, die Eigentümer der Materialien werden; Artikel 7, Artikel 10 Absatz 2, Artikel 195 Buchstabe f und Artikel 197 der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 vom 18.7.2018.

(5)  The European Union Customs Competency Framework (EU Customs CFW) aims at harmonising and raising customs performance standards throughout the EU. © Europäische Union, 2015. Im Kompetenzrahmen für das Zollwesen der EU werden die Elemente des Kompetenzrahmens für das Zollwesen der EU dargelegt und der bei der Festlegung der Kompetenzen verfolgte Ansatz umrissen. Darüber hinaus wird auch die Wahl der jeweiligen Kompetenzen für die einzelnen Bereiche begründet, wobei insbesondere auf die Kriterien zur Festlegung der operativen Kompetenzen eingegangen wird (z. B. Verweis auf den Zollkodex der EU, Wechselbeziehung mit den Kompetenzen am Arbeitsplatz und künftige Ausrichtung).

(6)  Siehe ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 68.

(7)  Siehe ebd. Fußnote 6.

(8)  Siehe ABl. C 80 vom 19.3.2013, S. 11.

(9)  Siehe http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A8-2017-0162+0+DOC+XML+V0//DE.

(10)  In der EU gibt es rund 400 Zivilflughäfen.

(11)  In Anbetracht der Mitteilung des Vereinigten Königreichs, aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft austreten zu wollen, wird der Vorschlag für eine Union mit 27 Mitgliedstaaten vorgelegt.

(12)  Siehe Mitteilung COM(2018) 442 final, zu der der EWSA die Stellungnahme INT/860 erarbeitet hat (siehe S. 45 dieses Amtsblatts).

(13)  Siehe Verlängerung des Programms „Arbeitsbesuche“.

(14)  Bislang wurden die notwendige Bestandsaufnahme der Ausrüstung und die Aufstellung der Typologie für die Maßnahmen sowie die Ermittlung der vorgeschlagenen Standards für jede Kategorie nur für elf Mitgliedstaaten mit östlichen und südöstlichen Außengrenzen (Landgrenzen) vorgenommen.

(15)  2017 sind 31,4 Mio. Artikel im Wert von 582 Mio. EUR beschlagnahmt worden. Hierbei handelte es sich zu 25 % um gefälschte Lebensmittel, zu 11 % um Spielzeug und zu 8 % um Zigaretten (Quelle: Europäische Kommission).

(16)  Siehe Bericht der Kommission über die IT-Strategie für den Zoll, COM(2018) 178 final.

(17)  TEU (Twenty-Foot Equivalent Unit): 20-Fuß-Einheit, 1 TEU entspricht einem Container mit einer Länge von 20 Fuß, bzw. einem Gewicht von 28 Tonnen und einem Volumen von 40 Kubikmetern.

(18)  Viele Container bestehen bereits heute aus Holz oder anderen Materialien.

(19)  Siehe ABl. C 345 vom 13.10.2017, S. 25.

(20)  Siehe Fußnote 6.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/73


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“

(COM(2018) 97 final)

(2019/C 62/12)

Berichterstatter:

Carlos TRIAS PINTÓ

Befassung

Europäische Kommission, 10/04/2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

07/09/2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17/10/2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

164/6/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Im Hinblick auf die wesentlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Kapitalmarktunion und auf eine Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der Eurozone ist ein solides, langfristig angelegtes System zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums der wichtigste Faktor für die Wiederherstellung des Vertrauens in die Märkte und für die Lenkung von Sparvermögen in nachhaltige Investitionen. Dadurch werden zusätzliche Finanzierungsquellen für KMU geschaffen und Vorhaben für grüne und soziale Infrastruktur gefördert.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Aktionsplan der Kommission und stimmt zu, dass „Europa […][weltweit] das bevorzugte Ziel für nachhaltige Investitionen […] werden [kann]“ (1). Seiner Ansicht nach ist es wichtig, die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU zu gewährleisten. Im weiteren Sinne geht es dabei um die Förderung dauerhaften, inklusiven und nachhaltigen Wirtschaftswachstums, produktiver Vollbeschäftigung und menschenwürdiger Arbeit für alle (Nachhaltigkeitsziel 8).

1.3.

Diese Herausforderungen sollten harmonisch durch eine gemeinsame Anstrengung aller, darunter auch der Akteure im Finanzsektor, der Unternehmen, der Bürger und der Behörden, angegangen werden. Zudem ist die Umstellung auf ein Modell des nachhaltigen Wachstums ein komplexes Unterfangen und ohne Zweifel ein schrittweiser Prozess, in dem sektorspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden müssen.

1.4.

Vorrang haben sollten eine ganzheitliche Vision, Zusammenarbeit und die weitere Integration zwischen den Mitgliedstaaten. Es ist von größter Bedeutung, dass die gesamte EU in diesem Bereich mit einer Stimme spricht und denselben Ansatz verfolgt. Dies wird nicht nur dazu beitragen, die gesetzten Ziele zu erreichen, sondern auch Fortschritte in anderen wichtigen Bereichen wie der Energieunion, der Bankenunion, der Kapitalmarktunion und der Digitalen Agenda ermöglichen.

1.5.

Nachhaltige Wirtschaftsmodelle brauchen ein anderes Finanzierungssystem, in dem Banken unterschiedlicher Größe und mit verschiedenen Geschäftsmodellen und weitere Finanzakteure gleichberechtigt koexistieren. Zu diesem Zweck müssen die einschlägigen Rechtsvorschriften ergänzt und hinsichtlich ihrer Kohärenz und ordnungsgemäßen Anwendung im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbessert werden.

Nach Ansicht des EWSA muss die Umlenkung der Finanzströme in eine nachhaltigere Wirtschaft Hand in Hand gehen mit finanzieller Inklusion und sozialem Zusammenhalt in einem Europa, in dem niemand zurückgelassen wird. Denn die wachsenden Einkommensunterschiede in der Bevölkerung können ein Hemmnis für nachhaltiges Wachstum sein, weshalb die Unternehmen und Behörden durch eine entsprechende Politik diese Situation wieder in ein Gleichgewicht bringen müssen.

1.6.

Es muss ein angemessenes Maß an Kohärenz zwischen den bestehenden finanziellen Rahmenbedingungen auf globaler Ebene gewährleistet werden, wobei die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen als gemeinsamer Bezugsrahmen heranzuziehen sind und die nachhaltige Taxonomie mit diesen Zielen abzugleichen ist (2). Die im Aktionsplan vorgeschlagene überarbeitete Taxonomie der EU sollte weltweit gefördert und in allen Mitgliedstaaten einheitlich und zeitgleich in das EU-Recht aufgenommen und regelmäßig überprüft und aktualisiert werden.

1.7.

Alles in allem unterstützt der EWSA den Plan der Kommission zur Finanzierung eines nachhaltigen Wachstums, der die Nachhaltigkeit der gesamten Wertschöpfungskette erhöhen sollte, mit Nachdruck, möchte jedoch eine Reihe von Anmerkungen zu den im Plan vorgesehenen Maßnahmen und zur Umsetzung vorbringen:

I.

Ein ganzheitlicher Ansatz unter Verwendung des Lebenszykluskonzepts zur Aufnahme finanzieller Solidität (3) in den Investitionsprozess bedarf nachhaltiger Investitionen und verantwortungsvoller Kreditvergabe: beide Faktoren hängen untrennbar miteinander zusammen und müssen gemeinsam betrachtet werden, sonst würde die Vollendung der Finanzunion (Banken- und Kapitalmarktunion) beeinträchtigt

II.

Die Taxonomie muss dynamisch gestaltet sein und schrittweise auf der Grundlage einer klaren Festlegung der ESG-Kriterien für nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeiten aufgebaut werden. Dabei sollte zunächst mit der Konfiguration der Umweltfaktoren (das „E“ in ESG) begonnen werden, allerdings mit Garantien in den Bereichen Soziales und Unternehmensführung.

III.

Die zehn Maßnahmen weisen eine große interne Kohärenz auf und stehen miteinander in Wechselwirkung. Daher bedarf es einer guten Abstimmung zwischen der Konfiguration der neuen Taxonomie (Maßnahme 1), deren Berücksichtigung durch die Ratingagenturen (Maßnahme 6), bei der Entwicklung von Systemen für die Bewertung („scorings“) auf der Grundlage zuverlässiger Informationen des Unternehmens (Maßnahme 9), der Ergänzung der Kennzeichnungen (Maßnahme 2) und Nachhaltigkeitsbenchmarks (Maßnahme 5). Auf diese Weise verfügen die Akteure des Finanzsystems über eine zuverlässige Grundlage für die Einbeziehung der Faktoren Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) bei ihren Investitionsentscheidungen (Maßnahme 7) auf der Grundlage der vorherigen Beratung und proaktiven Interaktion mit ihren Kunden (Maßnahme 4). Dies alles erfolgt unter dem Gesichtspunkt der treuhänderischen Pflicht zum Handeln im besten Interesse der Anleger und Begünstigten (die sich ableitet aus dem im Besitzstand der EU verankerten Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht).

IV.

Die Normung und gegebenenfalls anschließende Kennzeichnung der nachhaltigen Finanzprodukte könnten durch den neuen europäischen Rahmen für gedeckte Schuldverschreibungen (4) ergänzt werden und in die geplanten europaweiten nachhaltigen Produkte (angefangen beim Kapitel Altersversorgung) einfließen.

V.

Unbedingt erforderlich sind verschiedene gezielte Anreize zur Förderung nachhaltiger Investitionen, sofern ihre positiven externen Effekte nachgewiesen sind. Harmonisierte Methoden für die Ermittlung sogenannter Low-Carbon-Indizes sollten als Richtschnur für die Berechnung anderer Auswirkungen dienen. Im Sinne der Widerstandsfähigkeit und Stabilität des Finanzsektors sollte die Möglichkeit der Einführung eines Faktors zur Unterstützung umweltfreundlicher Lösungen (green supporting factor) untersucht werden, um dessen Umfang angemessen zu definieren. In diesem Bereich unterstützt der EWSA das Europäische Parlament bei der Förderung der Einbeziehung von Risiken für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen im Rahmen von Basel IV (5). Möglicherweise sollten andere Alternativen, die unmittelbar den Endkreditnehmern und Investoren zugutekommen, z. B. steuerliche Anreize, in Erwägung gezogen werden.

VI.

Die Offenlegung hochwertiger, möglichst weit harmonisierter, vollständigerer, aussagekräftiger und vergleichbarer nichtfinanzieller Information sollte weiterverfolgt werden, um externe Kontrollen zu erleichtern. Im Hinblick darauf sollte auch die Wirkung der Richtlinie über die Angabe nichtfinanzieller Informationen (Richtlinie 95/2014/EU) bewertet werden. Zudem sollte parallel dazu die Entwicklung alternativer Bilanzierungsmethoden angegangen werden.

VII.

Die europäischen Aufsichtsbehörden und ihr gemeinsamer Ausschuss (Joint Committee) müssen sich auf fachlich spezialisierte Ressourcen stützen (es gibt viele Einrichtungen mit langjähriger Erfahrung mit SRI), um die technischen Normen für die delegierten Rechtsakte der Europäischen Kommission und die anschließende Überwachung der umfangreichen Umsetzung der Rechtsvorschriften zu entwickeln, wobei verhältnismäßige und wirksame Verfahren festzulegen und der häufig gemachte Fehler einer übermäßigen Technokratisierung zu vermeiden ist.

VIII.

Außerdem muss die Verwahrstelle einer Finanzanlage in der Lage sein, ihre Aufgabe der Überwachung der Tätigkeit des Anlageverwalters oder der Investmentgesellschaft wirksam wahrzunehmen, weshalb ihre Unabhängigkeit gewährleistet sein muss. Das macht insbesondere im Falle von Kapitalverflechtungen oder wechselseitigen Kapitalbeteiligungen (6) eine Strategie für den Umgang mit Interessenkonflikten erforderlich.

IX.

In Bezug auf den Kommissionsvorschlag für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021-2027 (7) hält der EWSA den vorliegenden Vorschlag für einen Schritt in die richtige Richtung, wenngleich für die Realisierung der ehrgeizigen Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mehr Ehrgeiz notwendig ist. Daher fordert der EWSA eine Aufstockung der EU-Ausgaben zur Verwirklichung der Klimaziele (8) um mindestens 30 %, ohne dass dies auf Kosten anderer Verpflichtungen geht. Der EWSA begrüßt die erhebliche prozentuale Steigerung der Mittel für Verpflichtungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz (+46 %). Es liegt jedoch klar auf der Hand, dass die vorgesehenen Haushaltsmittel für den Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung und die Bekämpfung des Klimawandels nach wie vor unzureichend sind.

1.8.

Studien (9) haben ergeben, dass Anleger sich wünschen, dass im Rahmen ihrer Investitionen klimapolitische, ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt werden. Zur Förderung eines leichteren und sicheren Zugangs für Anleger sollten „vorbildliche europaweite nachhaltige Finanzprodukte“ geschaffen werden, beginnend mit einem gesamteuropäischen Markt für Altersvorsorgeprodukte. Die internationale Vermarktung dieser sicheren und nachhaltigen Produkte würde ausländische Investitionen nach Europa anziehen.

1.9.

Die Informationsarbeit über diese Maßnahmen ist außerordentlich wichtig, damit die Bürgerinnen und Bürger wissen, was die EU für sie tut. Die Verantwortung muss gemeinsam von allen öffentlichen und privaten Akteuren getragen werden, und die Vermittlung von Finanzwissen (10) sollte verbindlich vorgeschrieben werden, um sicherzustellen, dass die Menschen dieses neue Konzept verstehen, und um sozial verantwortliche Anlageprodukte für Kleinanleger und zugleich die nachhaltige Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen zu fördern.

1.10.

Abschließend verweist der EWSA auf das Potenzial der künstlichen Intelligenz bei der Lenkung der Präferenzen der Endanleger hin zu den entsprechenden Investitionen. Angesichts der Erfahrungen mit dem Mehrwert des „ESG Machine Learning“ (bei dem SRI-Indikatoren, Nachhaltigkeits-Benchmarks usw. kombiniert werden), sollte die neue Taxonomie bei diesen neuen Initiativen erprobt werden. Außerdem sollten im Hinblick auf eine Ausweitung der Kreditvergabe der Banken und Investoren an bestimmte Sektoren oder Tätigkeiten, die ESG-Grundsätze berücksichtigen, auch Lösungen des maschinellen Lernens geprüft werden.

1.11.

Der EWSA fordert die beiden Gesetzgeber auf, die drei von der Kommission am 24. Mai 2018 vorgelegten Legislativvorschläge, die auf den Aktionsplan zurückgehen, zügig zu erörtern und anzunehmen.

2.   Einleitung: Der Werdegang des neuen Szenarios

2.1.

Die beschleunigte Finanzialisierung oder finanzielle Durchdringung der Volkswirtschaften begann 1971, als die USA die Goldbindung des Dollars aufhob und Geld ein stärker treuhänderisches und immaterielles Gut und somit abhängig vom Vertrauen der Nutzer wurde. Bis in die achtziger Jahre entsprach die Geldmenge (M2) ähnlich wie das Volumen der Finanzderivate rund 50 % des weltweiten BIP.

2.2.

Nach einem Rückgang während der Krise wurde das frühere Niveau im Jahr 2015 erneut erreicht, wobei sich die finanziellen Vermögenswerte in Bezug auf M2 vervierfacht und die Derivate mehr als verzehnfacht hatten.

2.3.

Dieses Ungleichgewicht zwischen der Real- und der Finanzwirtschaft nimmt mit dem Aufkommen der Finanztechnologie und Versicherungstechnologie (FinTech und InsurTech) immer weiter zu, weshalb größere Bemühungen um eine solide Regulierung und Aufsicht zur Gewährleistung der Finanzstabilität nötig sind.

2.4.

Durch die Agenda 2030 der UN und ihre 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) sowie das Übereinkommen von Paris zur Anpassung an und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel sollen für Stabilität, Regenerierung und ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen inklusiven Gesellschaften und prosperierenden Volkswirtschaften sorgen.

2.5.

Im Einklang mit dem Geist der EU-Verträge und den entsprechenden Maßnahmen ist der Übergang zu einer emissionsarmen und ressourcenschonenden Wirtschaft sowie zu einer Kreislaufwirtschaft von entscheidender Bedeutung, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU sicherzustellen, aber auch um wirtschaftliche, soziale und ordnungspolitische Aspekte in ausgewogener Weise zusammenzuführen.

2.6.

Die Antwort Europas auf die Agenda 2030 muss mit den Verträgen im Einklang stehen und wieder eine langfristige Perspektive der Nachhaltigkeit bieten, in der Wirtschaftswachstum, sozialer Zusammenhalt und Umweltschutz Hand in Hand gehen und sich gegenseitig verstärken.

2.7.

Das Finanzwesen kann bei der Bewältigung der Herausforderungen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielen, insbesondere in Bezug auf die Mobilisierung der erforderlichen Mittel für die Schließung einer jährlichen Investitionslücke von fast 180 Mrd. EUR, die gebraucht werden, um die Klima- und Energieziele der EU bis 2030 zu erreichen (11). In diesem Zusammenhang schließt sich der EWSA der Feststellung der hochrangigen Gruppe zur nachhaltigen Finanzierung an, die besagt, dass der Wandel der EU-Wirtschaft in der Realwirtschaft stattfinden muss, wobei eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren gefördert werden muss.

2.8.

Der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft wird mit digitalen Technologien und Innovationen einhergehen und sollte globale Werte schützen und fördern (12), wie der Generalsekretär der Vereinten Nationen feststellt. Die rechtlichen und operativen Risiken von Blockchain-Technologie, Kryptowährungen und Smart Contracts (intelligenten Verträgen) nehmen aufgrund der fehlenden Regulierung und Transparenz zu. Im Hinblick auf einen besseren Schutz der Verbraucher und Anleger sowie der Integrität der Märkte und zur Vermeidung schädlicher Praktiken (Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung) müssen Anreize für die Sicherheit und Transparenz der Innovationsnetze im Finanzbereich geschaffen werden (13).

2.9.

Die Projekte im Zusammenhang mit den Zielen der COP 21 (14) erfordern genügend langfristiges, finanzielles wie immaterielles Kapital mit entsprechendem Engagement (Humanressourcen, Technologie und andere Formen des Beziehungskapitals, einschließlich institutionellem Kapital).

2.10.

Es bedarf unbedingt einer Anpassung der öffentlichen Maßnahmen, der Stimulierung privater Akteure und einer Aufstockung der EU-Haushaltsmittel, wobei Transparenz und Langfristigkeit in der Wirtschaft zu fördern sind.

2.11.

Eine tragfähige Vision erfordert eine engere, umfassendere und ganzheitliche Verknüpfung mit spezifischen Politikbereichen wie der Energieunion, der Digitalen Agenda und der europäischen Säule sozialer Rechte, um — öffentliche wie private — soziale und ökologische Investitionen anzuregen.

2.12.

Diese Denkweise steht auch im Zentrum der geplanten Kapitalmarktunion der EU, und der EWSA teilt die Ansicht, dass privates Kapital, Mittel aus dem europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) und anderen EU-Fonds in effizienter Weise kombiniert werden sollten, um Investitionen in Unternehmen zu lenken, die positive externe Effekte auf sozialer und ökologische Ebene aufweisen.

2.13.

Es muss jetzt gehandelt werden. Europa ist in den letzten 28 Jahren der Vorreiter der Nachhaltigkeit gewesen, steht auf diesem Gebiet jedoch keineswegs mehr allein da.

3.   Ein Finanzwesen im Dienste einer nachhaltigeren Welt

3.1.

Wir sind in zunehmendem Maße mit den dramatischen und unabsehbaren Folgen des Klimawandels und der Ressourcenverknappung konfrontiert. Diese Ereignisse verschärfen häufig die soziale Ausgrenzung oder Ungleichheit.

3.2.

Gemäß Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union ist die Union verpflichtet, auf eine nachhaltige Entwicklung mit einem hohen Maß an Umweltschutz hinzuwirken. Die Dringlichkeit des Klimawandels hat mittlerweile, auch für den EWSA, oberste Priorität, und sie bildet sowohl für die öffentlichen Behörden als auch für die Akteure der Wirtschaft, die Arbeitnehmer und die Bürgerinnen und Bürger einen übergeordneten Handlungsrahmen. Dementsprechend muss ein umfassender wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Wandel angestoßen und vor allem finanziert werden.

3.3.

Diese Herausforderungen sollten in harmonischer Weise durch gemeinsame Anstrengungen aller angegangen werden. Dem Finanzsektor kommt eine wichtige Rolle dabei zu, die Mittel, Ersparnisse und Investitionen der Bürger, Sparer und Investoren in die Wirtschaft zu leiten. Letztlich wird der eigentliche Wandel in der Wirtschaft stattfinden, und daher ist die Rolle der Unternehmen so wichtig und unabdingbar. Auch die Behörden müssen diesbezüglich ihren Verpflichtungen nachkommen.

3.4.

Europa wird nur dann eine starke Position einnehmen, wenn ein maximaler Konsens über den Plan erzielt wird. Die Mitgliedstaaten sollten ihre Kräfte bündeln und an einem Strang ziehen. Individuelle Ansätze und Eigeninteressen sollten zurückstehen und einem gemeinsamen Projekt für die Zukunft Platz machen, das gleichzeitig auch die Zukunft der kommenden Generationen sichern sollte. Die Antwort Europas auf die Agenda 2030 muss eine langfristige Perspektive der Nachhaltigkeit und klare Ziele bieten, in denen Wirtschaftswachstum, sozialer Zusammenhalt und Umweltschutz Hand in Hand gehen und sich gegenseitig unterstützen.

3.5.

Ein langfristiger Ansatz für ein nachhaltiges Wachstum sollte durch eine Politik flankiert werden, die die negativen externen Effekte sowie nachhaltige und nicht nachhaltige Investitionsmöglichkeiten angemessen bewertet. Gleichzeitig sollte auch eine gute Berechenbarkeit einer besser in globale Wertschöpfungsketten integrierten Industriepolitik in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden. Dazu sollte anhand einer eingehenden Analyse ein von der Kommission und den Mitgliedstaaten unterstützter, geeigneter politischer Prozess entwickelt werden.

3.6.

Der EWSA betont, dass sich ein nachhaltiges Wachstum auf ökologische, wirtschaftliche, soziale und ordnungspolitische Aspekte im Rahmen eines ausgewogenen, globalen und umfassenden Ansatzes beziehen sollte, der im Einklang mit allen Nachhaltigkeitszielen und dem Pariser Klimaschutzübereinkommen steht und bei dem unverzichtbare bereichsübergreifende Mindestbedingungen festgelegt werden. Diese absolut geltende Mindestschwelle ist in internationalen Übereinkommen betreffend die Rechte besonders schutzbedürftiger Personen (etwa Frauen und Mädchen, Kinder, Flüchtlinge, Arbeitsmigranten, Menschen mit Behinderungen usw.) (15) niedergelegt und wird durch verantwortungsbewusstes Handeln im Steuerbereich durchgesetzt.

3.7.

Es gibt reichlich Belege dafür, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger mit ihren Ersparnissen und Investitionen gerne auch soziale und ökologische Ziele verfolgen würden. Sie müssen deshalb die Möglichkeiten für und den Zugang zu Fragen im Zusammenhang mit der nachhaltigen Finanzierung haben.

3.8.

Zu diesem Zweck muss sich das Finanzsystem letztlich mehr dahin bewegen, dass es für die Bürgerinnen und Bürger der EU transparent, sachorientiert und verständlich ist. Die Verbesserung des Zugangs zu Informationen über die Nachhaltigkeit und die Förderung der finanziellen Allgemeinbildung (ein tieferes Verständnis dafür, wie das Finanzwesen funktioniert) sind wesentliche Elemente.

4.   Umlenkung der Kapitalflüsse in eine nachhaltigere Wirtschaft

4.1.

Durch den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) wurden seit seiner Einrichtung öffentliche und private Investitionen in strategisch wichtige EU-Projekte mobilisiert und gemäß der Projektliste der Europäischen Investitionsbank (EIB) verwaltet: Investitionen in umweltfreundliche Energie und Ressourceneffizienz, Wasserwirtschaft, digitale Branchen, Verkehr usw.

4.2.

Erforderlich ist jedoch eine stärkere Abdeckung anderer Branchen über den EFSI hinaus, insbesondere derjenigen im Bereich der sozialen Infrastruktur und der Institutionen, die das immaterielle Kapital von jungen Menschen, Frauen und anderen ausgegrenzten oder benachteiligten sozialen Gruppen zur Geltung bringen.

4.3.

Endogene Rücklagenbildung ist eine unverzichtbare Quelle soliden Wirtschaftswachstums, was sich durch die Finanzierung nachhaltiger Projekte von KMU durch lokale Banken äußern sollte.

4.4.

Nach Auffassung des EWSA sollte der EFSI aufgestockt werden, indem Fördermittel der Kreditanstalten und öffentlichen Banken der EU-Mitgliedstaaten einbezogen werden, die als Netz gemeinsam eine strategischere und inklusive langfristige Perspektive entwerfen könnten, die sich an einer gemeinsamen Definition des Begriffs „nachhaltig“ ausrichtet und in deren Rahmen ein Fahrplan zur Dekarbonisierung der Unternehmen entworfen wird.

4.5.

Gleichzeitig fordert der EWSA die Europäische Zentralbank (EZB) auf zu prüfen, ob ein grüner und sozialer Zinssatz eingeführt werden könnte, um auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Investitionen und Darlehen zu fördern; er stimmt überdies mit dem Europäischen Parlament darin überein, dass die Leitlinien der EZB für Ankaufprogramme ausdrücklich dem Übereinkommen von Paris und den ESG-Zielen Rechnung tragen sollten.

4.6.   Ein einheitliches Klassifizierungssystem für nachhaltige Tätigkeiten

4.6.1.

Die traditionellen Methoden für Berechnungen und die Durchführung von Folgenabschätzungen müssen überprüft werden. Es bedarf einer Neudefinierung zuverlässigerer quantitativer und qualitativer Indikatoren, die die vorrangigen wirtschaftlichen und ökologischen Werte mit denen der Gesellschaft und des Überlebens der Menschheit in Einklang bringt.

4.6.2.

Der EWSA stimmt der Kommission dahingehend zu, dass es dringend erforderlich ist, die erste Phase der Schaffung einer starken und gleichzeitig dynamischen „Nachhaltigkeitstaxonomie“ einzuläuten, um die Kohärenz des Marktes zu gewährleisten und klare Leitlinien zu der Frage festzulegen, was — gemäß einem ganzheitlichen Ansatz — ökologisch und sozial ist und einer guten Unternehmensführung entspricht.

4.6.3.

Rückgrat dieses Prozesses bildet eine Gruppe technischer Sachverständiger im Bereich des nachhaltigen Finanzwesens, die stets über hohe Qualifikationen und genaue Kenntnisse der strategischen Industriezweige verfügen muss, um eine solide und glaubwürdige grüne und soziale Taxonomie zu erstellen.

4.6.4.

Das Mandat der Gruppe sollte mit klaren Zielen in Bezug auf Inhalt und Zeitplan beginnen, wobei der erste Schritt darin bestünde, die neue Taxonomie mit anderen bestehenden internationalen Klassifikationen (gewerbliche Aktivität, Beruf, Studium usw.) zu vereinigen, um den Kriterien und Referenzen der UN stärker zu entsprechen.

4.6.5.

Die europäische Taxonomie sollte folgende drei Ebenen umfassen:

eine Mindestnorm im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen für 2030, dem Klimaschutzübereinkommen von Paris und dem Grundsatz der Schadensvermeidung in Übereinstimmung mit der ESG-Risikoanalyse;

eine mittlere Ebene, auf der Tätigkeiten bestimmt werden, die eine überprüfbar „positive Auswirkung“ haben, und zwar entsprechend der Definition der Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP FI);

eine Ebene mit Tätigkeiten, die im Einklang mit den Bedürfnissen verschiedener Interessenträger, die die Taxonomie als Referenz verwenden werden, einen positiven Wandel beschleunigen und Unterstützung für ökologische, wirtschaftliche und soziale Herausforderungen bieten können.

4.6.6.

Es müssen unbedingt verschiedene Arten des Nutzens von Investitionen klassifiziert werden, die bei der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors (Taxonomie) zugeordnet werden können. Zudem sollten positive Kriterien durch umweltschädliche Auswirkungen (16) ergänzt werden, damit die nicht nachhaltigen Finanzanlagen bestimmt werden können.

4.6.7.

Die neue Taxonomie sollte im Zusammenhang mit der Strategie und dem Investitionsplan der EU für einen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft stehen. Sie sollte Finanztätigkeiten zugunsten der Verringerung der CO2-Emissionen in den Kategorien des Emissionshandelssystems (EHS) der EU (17) und der Lastenteilungsverordnung (18) umfassen.

4.7.   Normen und Kennzeichen für nachhaltige Finanzprodukte

4.7.1.

Die Förderung eines leichteren und sicheren Zugangs für Anleger ist für eine Erweiterung der nachhaltigen Finanzmärkte unerlässlich. Europäische Normen für nachhaltiges Finanzwesen sollten sorgfältig konfiguriert werden, wobei Standards für sozial verantwortliches Investieren festgelegt werden sollten.

4.7.2.

Zu diesem Zweck könnte mit der Einführung einer offiziellen EU-Norm für grüne Anleihen begonnen und ein EU-Gütezeichen oder Zertifikat für grüne Anleihen erwogen werden, das einer externen Prüfung unterzogen wird, um Garantien für Investitionen mit positiven Auswirkungen zu geben. Vor dem Hintergrund des „Aktionsplans Finanzdienstleistungen für Verbraucher: bessere Produkte, mehr Auswahl“ empfiehlt (19) der EWSA der Kommission, leichter vergleichbare und völlig transparente Produkte zu definieren, die einfach sind und ähnliche Merkmale aufweisen.

4.7.3.

Dies bietet die Möglichkeit, vorbildliche europaweite nachhaltige Produkte anzubieten und geeignete, unabhängige und verbindlich zertifizierte Vergleichswerkzeuge (20) für die einzelnen nachhaltigen Finanzprodukte in den verschiedenen Rechtsordnungen der EU vorzusehen.

4.7.4.

Die im Legislativvorschlag der Kommission vom 29. Juni 2017 vorgesehene Konfiguration eines „gesamteuropäischen Markts für Altersvorsorgeprodukte“(PEPP) (21) verpflichtet die Anbieter von Altersvorsorgeprodukten zu veröffentlichen, ob und in welchem Umfang sie ESG-Faktoren in ihre Risikomanagementsysteme aufnehmen; durch diese Bestimmungen werden sie jedoch nicht verpflichtet, ESG-Faktoren in ihrer Investitionspolitik zu berücksichtigen. Die Aufnahme dieser Verpflichtung würde dazu beitragen, ihren Einsatz als eine der nachhaltigen Lösungen auszuweiten.

4.7.5.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, diese Verpflichtung zu gegebener Zeit in alle Produkte im Zusammenhang mit der Altersversorgung aufzunehmen. Dies würde es ermöglichen, dass sie auf nachhaltige Art und Weise zur Lösung der Probleme mit dem derzeitigen umlagefinanzierten System beitragen.

4.8.   Förderung von Investitionen in nachhaltige Projekte

4.8.1.

Im Einklang mit den strategischen Zielen der neuen Industriepolitik der EU sollte die Umlenkung der Kapitalallokation in langfristige Investitionen mit der Aufgabe einhergehen, das Wachstum von KMU zu fördern, weniger entwickelte Regionen zu unterstützen, die Infrastruktur zu modernisieren und Menschen mittels allgemeiner und beruflicher Bildung zu qualifizieren.

4.8.2.

Neben den Investitionen in eine nachhaltige Infrastruktur ist eine breiter gefasste makroprudenzielle Politik im Einklang mit Solvabilität II nötig, die den physischen Auswirkungen (zunehmende Anfälligkeit für Gefahren im Zusammenhang mit dem Klimawandel) Rechnung trägt. So könnten zum Beispiel Bauvorschriften zur Begrenzung der Auswirkungen von Naturkatastrophen Versicherungsgesellschaften verpflichten, ihr Risikomanagement an den neuen Grundsätzen eines nachhaltigen Versicherungswesens neu auszurichten.

4.8.3.

Der EWSA unterstützt die Verstärkung des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI 2.0) und des Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung (EFSD). Er begrüßt die Einrichtung des Programms InvestEU im Rahmen des MFR 2021-2027, das mehr privates Kapital mobilisieren und Zugang zum Markt für Anleihen sowie für Versicherungs- und Pensionsfonds erhalten sollte.

4.8.4.

Es sollte weiteres privates Kapital erschlossen werden, um Unternehmen, insbesondere KMU, Anreize für und Unterstützung bei Investitionen in Innovation und FuE zu geben.

4.8.5.

Des Weiteren empfiehlt der EWSA, besser kenntlich zu machen, wo bestehende öffentliche und private Initiativen zu einem Maximum an nachhaltiger, widerstandsfähiger Infrastruktur führen, sodass sie mithilfe skalierbarer Lösungen in der EU und in Partnerländern nachgeahmt werden können.

4.9.   Nachhaltigkeitserwägungen in der Finanzberatung

4.9.1.

Wie auch in seiner Stellungnahme „Nachhaltigkeitsanforderungen an institutionelle Anleger und Vermögensverwalter“ (22) zum Ausdruck gebracht, spricht sich der EWSA für die Änderung der MiFID-II-Richtlinie und der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) in dem Sinne aus, dass verpflichtend geprüft werden muss, wie die Nachhaltigkeitspräferenzen der Anleger integriert werden können. Die Berater könnten dann geeignete Empfehlungen zu Finanzprodukten aussprechen und die Kunden klar über mögliche Risiken und Vorteile in Verbindung mit den verschiedenen Nachhaltigkeitsfaktoren informieren.

4.9.2.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) Nachhaltigkeitspräferenzen in ihre Leitlinien zur Eignungsbeurteilung aufnehmen soll.

4.10.   Nachhaltigkeitsbenchmarks

4.10.1.

Eine gemeinsame Methodik zur Messung der außerfinanziellen Leistung nachhaltiger Investitionen wäre das Beste. Daher begrüßt der EWSA Vorschriften für harmonisierte Benchmarks, die Emittenten mit niedriger CO2-Bilanz erfassen, denn er sieht darin einen ersten Schritt, der auf andere Nachhaltigkeitsparameter ausgedehnt werden sollte.

4.10.2.

Der EWSA fordert deshalb die Kommission auf, ihren Fokus durch die technische Sachverständigengruppe auf den sozialen Bereich auszuweiten, die beauftragt werden sollte, alle interessierten Beteiligten zu Rate zu ziehen und einen Bericht über die Gestaltung und die Methodik des Benchmark-Index für Kohlenstoff vorzulegen.

5.   Einbettung der Nachhaltigkeit in das Risikomanagement

Nachhaltigkeit bezieht sich auf Risiken, die mit der Wohlstandsschaffung zusammenhängen, wobei die Wirkung von Gewinnung, Erwerb und Verschlechterung von Ressourcen nicht außer Acht gelassen werden darf.

5.1.   Berücksichtigung der Nachhaltigkeit in Marktanalysen und Ratings

5.1.1.

Der EWSA hat darauf gedrungen, dass in Ratingagenturen keine Interessenkonflikte bestehen dürfen und dass die Unabhängigkeit der Anbieter von Marktforschungs- und Bewertungsdiensten gewährleistet sein muss. Darüber hinaus ist eine transparente und zeitnahe Begründung der von ihnen genutzten Methoden für jeden Einzelfall nötig.

5.1.2.

Die Ratingagenturen berücksichtigen den Einfluss bahnbrechender Trends bei den Faktoren Umwelt, Soziales und Governance (ESG-Faktoren) auf die künftige Kreditwürdigkeit von Emittenten bisher nicht ausreichend. Der EWSA fordert klare EU-Normen und Aufsicht für alle in der EU tätigen Ratingagenturen mit Blick auf die Einbeziehung von ESG-Faktoren in die Ratings. Außerdem plädiert er für die Schaffung eines Akkreditierungsverfahrens für „Grüne Finanzen“ durch von der ESMA zertifizierte Agenturen.

5.1.3.

Es sollte auch eine Akkreditierung der Interessenträger wie Banken, Verwalter von Fonds usw. erwogen werden. Dadurch würden die verschiedenen Finanzakteure stärkeren Verpflichtungen unterliegen und ein gewisser Trend zum „Greenwashing“ („Grünfärberei“) durch vordergründige Erstellung eines Plans für nachhaltige Produkte vermieden werden.

5.1.4.

Schließlich empfiehlt der EWSA, die Schaffung „grüner“ Länderratings zu erwägen. Eindeutig grüne Ratings neben Länderratings würden die Staaten auch zur ständigen Verbesserung ihrer diesbezüglichen Leistungen anhalten. Gleichzeitig könnte dies als Anreiz für ausländische Investitionen dienen.

5.2.   Nachhaltigkeitspflichten institutioneller Anleger und Vermögensverwalter: treuhänderische Pflicht

5.2.1.

Die Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA) müssen die strikte Übereinstimmung mit den Aufgaben von Finanzvermittlungsdiensten gewährleisten.

5.2.2.

Dies erfordert einen ganzheitlicheren Ansatz, als er im Aktionsplan der Kommission skizziert ist; der Fokus muss stärker auf Beziehungen in Bereichen liegen, die von Vielfalt gekennzeichnet sind, wie Bildung, Faktoren, Gender, geografische, rassische oder ethnische, religiöse, kulturelle oder sonstige Zugehörigkeit.

5.2.3.

Als grundlegender Teil ihrer gesetzlichen Verpflichtungen sollten Investoren aktiv auf ihre Kunden zugehen, um mehr über deren außerfinanzielle Interessen zu erfahren, und sie auch unmissverständlich über mögliche finanzielle Risiken und Vorteile in Verbindung mit ESG-Faktoren informieren.

5.2.4.

Regulierungsbehörden, Investoren, Vermögensverwalter, Arbeitnehmer in der Finanzbranche und Berater müssen im besten Interesse des Begünstigten (z. B. künftiger Rentner) oder des Kunden (Privatkunde oder institutioneller Anleger) handeln. Alle Lenkungsaktivitäten und das Abstimmungsverhalten in den Organen müssen gemäß den treuhänderischen Pflichten auf den Schutz des nachhaltigen Wertes der Anlagen gerichtet sein. Sie müssen darüber berichten, in welcher Weise sie von ihren Stimmrechten als Anteilseigner der Vermögenswerte eines Fonds Gebrauch machen.

5.2.5.

Durch die Klarstellung der Pflichten von Anlegern in Bezug auf Nachhaltigkeitsfaktoren stärkt die EU langfristige Investitionen (nachhaltiges Finanzieren wird axiomatisch mit Langfristigkeit in Verbindung gebracht).

5.3.   Aufsichtsvorschriften für Banken und Versicherungsgesellschaften

5.3.1.

Der EWSA hat unlängst auf die Rolle verwiesen, die Banken dank ihrer Funktion als Mittler zwischen bewusstem Sparen und sozial verantwortlichem Investieren spielen können. Der EWSA hat unlängst auf die Rolle verwiesen, die Banken dank ihrer Funktion als Mittler zwischen bewusstem Sparen und sozial verantwortlichem Investieren spielen können. Der Ausschuss empfiehlt, dass Banken hinsichtlich des Kapitalbedarfs günstigere Bedingungen erhalten, wenn sie in die grüne Wirtschaft und langfristige, nicht-komplexe „inklusive“ Darlehensformen, z. B. Hypothekendarlehen, insbesondere im Zusammenhang mit der Energieeffizienz, der Installation von Solarpaneelen usw. investieren. Zudem sollten für Investitionen in umweltschädliche Vermögenswerte Kapitalaufschläge erwogen werden, um Anreize für einen positiven Übergang hin zu nachhaltigen Aktivitäten zu schaffen. Möglicherweise sollten Alternativen, die unmittelbar den Endkreditnehmern und Investoren zugutekommen, z. B. steuerliche Anreize, in Erwägung gezogen werden. Der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM) sollte in dieser Frage eine besondere Kontrolle ausüben (23).

5.3.2.

Allerdings müssen aktualisierte Bankenratingmodelle bei der Berechnung risikogewichteter Vermögenswerte stets das aktuellste Risikoniveau wiedergeben, das mit diesen nachhaltigen Aktiva verbunden ist, um ein hohes Maß an Verbraucherschutz zu gewährleisten.

5.3.3.

Im Hinblick darauf ist es notwendig, den Umfang des sogenannten „grünen Stützfaktors“ besser zu definieren und umfassende und rigorose empirische Erkenntnisse sicherzustellen, angefangen bei einer klaren und eindeutigen Definition für grüne Investitionen. Die verantwortungsvolle Forschung und Innovation (RRI) im Rahmen von Horizont 2020 und des neuen Programms Horizont Europa könnte ein hervorragender Weg zur Erzielung wissenschaftlicher Ergebnisse sein.

5.3.4.

Insgesamt erfordert dieses neue Szenarium zur Gewährleistung der Resilienz und der finanziellen Stabilität eine sinnvolle Kombination beim Finanzrisikomanagement, wobei die ESG Auswirkungen auf die Rendite mitberücksichtigt und die Regeln in einem dynamischen Prozess entsprechend angepasst werden müssen. Wie das Europäische Parlament in seiner Entschließung zu einem nachhaltigen Finanzwesen (24) hingewiesen hat, sollte die Kommission die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken im Basel-IV-Rahmen vorantreiben.

6.   Förderung von Transparenz und Langfristigkeit

6.1.1.

Nachhaltiges Finanzieren bedarf eines Rahmens mit Anreizen, durch den Kapitalströme in notwendige Investitionen geleitet werden, um eine faire soziale und ökologische Wende in Europa sicherzustellen, dessen führende Position in puncto Werte den europäischen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil sichert.

6.2.   Offenlegung und Rechnungslegung

6.2.1.

Der EWSA stellt fest, dass die EU-Richtlinie über die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen (NFI-Richtlinie) ohne großen Ehrgeiz und nach einer nicht angeglichenen Methodik umgesetzt wurde, nur Großunternehmen erreicht und somit für faire und umfassende nachhaltige Investitionen in Europa kaum etwas bringt.

6.2.2.

Nachhaltigkeit bringt eine Reihe neuer Probleme und Herausforderungen im Hinblick auf die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen mit sich, wie z. B. den digitalen Wandel, neue Parameter, Standardisierung, obligatorische Anforderungen, neue nachhaltige Wirtschaftsmodelle usw. Die Taxonomien und Methoden für die Berichterstattung sollten so weit wie möglich standardisiert werden, und die Regeln sollten so angepasst werden, dass mehr und bessere nichtfinanzielle Informationen zur Verfügung stehen. Dies würde Regulierungs- und Marktaufsichtsbehörden einen besseren Überblick über globale Marktentwicklungen geben und sie folglich besser befähigen, entsprechend zu handeln. Diese derzeitige Phase wird als „Eignungsprüfung“ bezeichnet, bei der im Anschluss an die von der Kommission eingeleitete öffentliche Konsultation Überlegungen im Einklang mit der Arbeitsgruppe für klimabezogene Finanzberichterstattung des Rates für Finanzmarktstabilität berücksichtigt werden.

6.2.3.

Bei Crowdfunding-Plattformen sollten im „Basisinformationsblatt“ auch die nach buchhalterischen Aspekten wichtigsten immateriellen, aber finanziell wesentlichen Risiken (25) und Vorteile bei der Finanzierung eines Crowdfunding-Projekts angegeben sein.

6.2.4.

Der EWSA unterstützt die Entschließung des Europäischen Parlaments zu Internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS 9) (26) und fordert nachdrücklich eine Abschätzung der Folgen der IFRS auf nachhaltige Investitionen.

6.2.5.

Der EWSA begrüßt es, dass die Europäische Beratergruppe für Rechnungslegung (EFRAG) beauftragt werden soll, die Wirkung neuer oder geänderter IFRS auf nachhaltige Investitionen zu bewerten und mögliche alternative Bilanzierungsmethoden zu prüfen.

6.2.6.

Des Weiteren regt der EWSA an, dass die Kommission die ESMA auffordern sollte:

die derzeitige Praxis auf dem Ratingmarkt zu bewerten und dabei zu analysieren, in welchem Umfang umweltbezogene, soziale und ordnungspolitische Erwägungen berücksichtigt werden;

Informationen über umweltbezogene und soziale Nachhaltigkeit in ihre Leitlinien für die Offenlegung durch Ratingagenturen aufzunehmen und gegebenenfalls zusätzliche Maßnahmen in Betracht zu ziehen.

6.3.   Corporate Governance und zu kurzfristiges Denken der Kapitalmärkte

6.3.1.

Viele Anleger würden gern wissen, ob ein Unternehmen nach genauen und transparenten Rechnungslegungsmethoden arbeitet und ob normale Aktionäre in wichtigen Fragen mitstimmen dürfen. Außerdem wollen sie, dass in den Unternehmen keine Interessenkonflikte bei der Auswahl von Vorstandsmitgliedern, Ratingagenturen und Rechnungsprüfern bestehen.

6.3.2.

Es ist an der Zeit, unter den ESG-Faktoren (environmental, social, governance) nicht nur auf E (für Umwelt) und S (für Soziales) zu achten (Standards, Label, grüner und sozialer Stützfaktor für Aufsichtsvorschriften, Nachhaltigkeitsbenchmarks), sondern auch den Faktor G (für Corporate Governance) ernsthaft zu erwägen und all denjenigen Unternehmen, die eine transparente Offenlegung wichtiger Aspekte (wie Steuergebaren, Menschenrechte, Korruption, Geldwäsche und andere gesetzwidrige Aktivitäten) umgehen, von allen Unterstützungsleistungen auszuschließen und ihnen die Nachhaltigkeitseinstufung zu entziehen.

7.   Umsetzung des Aktionsplans

7.1.

Der EWSA fordert, alle beteiligten europäischen Institutionen, Agenturen und Mechanismen so aufeinander abzustimmen, nötigenfalls durch eine Änderung ihres Mandats, dass der Aktionsplan von seiner Zeitplanung her reibungslos umgesetzt werden kann.

7.2.

Die Ungewissheit über die Zukunft und die mangelnde Offenlegung langfristiger Risiken sind die hauptsächlichen begrenzenden Faktoren einer Zeithorizontanalyse (weswegen nur wenige Prognosen über fünf Jahre hinausreichen).

7.3.

Die europäischen Aufsichtsbehörden sollten zudem eine relevante Rolle bei der Überwachung der Nachhaltigkeit spielen. Um zu einer gemeinsamen EU-Methodik für die Analyse relevanter Szenarien zu gelangen, sollten ESG-Risikofaktoren in einer langfristigen Sichtweise untersucht werden, und der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) könnte sie schrittweise in seine Stresstests aufnehmen.

7.4.

Schließlich sollte die Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) die Anwendung der internationalen Standards für Regulierung und Aufsicht (27) im Bereich nachhaltiger Finanzierung durchsetzen und fördern, um dadurch die globale Kohärenz der neuen Nachhaltigkeitsarchitektur sicherzustellen.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Siehe Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums (COM/2018/097 final), Abschnitt 6 — Nächste Schritte.

(2)  Siehe Entwurf der EIB für eine Taxonomie: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/180131-sustainable-finance-final-report-annex-3_en.pdf.

(3)  Beim Rahmen der Wesentlichkeitskriterien werden diejenigen Faktoren untersucht, die für die Finanzergebnisse eines Unternehmens am relevantesten sind, auch die finanziell wesentlichen Nachhaltigkeitsfaktoren.

(4)  Gedeckte Schuldverschreibungen sind Schuldverschreibungen, die von Kreditinstituten begeben werden und durch einen abgegrenzten Pool von Vermögenswerten besichert sind, auf den die Inhaber der Schuldverschreibungen als bevorrechtigte Gläubiger direkt zugreifen können. Siehe die neuen Verordnungsvorschläge COM(2018) 93 final — 2018/0042 (COD) und COM(2018) 94 final — 2018/043 (COD).

(5)  Das Baseler Regelwerk ist eine internationale Vereinbarung, mit der eine Reihe von Reformen zur Verbesserung der Regulierung, der Aufsicht und des Risikomanagements im Bankensektor eingeführt wurden. Die Standards des Baseler Ausschusses sind Mindestanforderungen, die für international tätige Banken gelten. Die Aufnahme von Bestimmungen über Nachhaltigkeit in dieses Regelwerk würde daher dazu beitragen, weltweit Fortschritte in diese Richtung zu erreichen. https://www.bis.org/bcbs/basel3.html.

(6)  https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv%3AOJ.L_.2016.078.01.0011.01.DEU.

(7)  Für den umfassenden Standpunkt des EWSA siehe die Stellungnahme zum Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum nach 2020 (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 106).

(8)  Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, dass mindestens 25 % der EU-Ausgaben im Zeitraum 2021-2027 zu den Klimazielen beitragen (im Zeitraum 2014-2020 lag dieser Anteil bei 20 %).

(9)  https://www.morganstanley.com/pub/content/dam/msdotcom/ideas/sustainable-signals/pdf/Sustainable_Signals_Whitepaper.pdf.

(10)  Siehe Bericht der IOSCO/OECD The Application of Behavioural Insights to Financial Literacy and Investor Education Programmes and Initiatives.

(11)  Siehe oben, Aktionsplan, Allgemeine Einführung, Ziffer 1.1.

(12)  Das Ziel besteht darin festzulegen, wie das System der Vereinten Nationen die Nutzung dieser Technologien im Hinblick auf eine raschere Verwirklichung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und deren einfachere Angleichung an die Werte der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und die Normen und Standards des Völkerrechts unterstützen kann. http://www.un.org/en/newtechnologies/images/pdf/SGs-Strategy-on-New-Technologies.pdf.

(13)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum FinTech-Aktionsplan der Kommission (ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 61).

(14)  COP 21: Klimakonferenz der Vereinten Nationen 2015.

(15)  Siehe insbesondere die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, die Charta der Grundrechte der EU und die Arbeitsnormen der ILO.

(16)  Siehe die von der OECD verabschiedete „Empfehlung des Rates über gemeinsame Ansätze für öffentlich geförderte Exportkredite und die sorgfältige Prüfung von ökologischen und sozialen Aspekten“.

(17)  Wie in Anhang I der Richtlinie 2003/87/EG, geändert durch Richtlinie 2009/29/EG, aufgeführt.

(18)  Verordnung zur Festlegung verbindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021-2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen von Paris sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 525/2013.

(19)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Finanzdienstleistungen für Verbraucher“ (ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 51).

(20)  Ausgehend von den „Grundprinzipien für Vergleichswerkzeuge“ (Key principles for comparison tools).

(21)  Die Vermögenswerte in kapitalgedeckten und privaten Altersvorsorgesystemen lagen Ende 2016 bei über 38 Billionen USD im Gebiet der OECD.

(22)  Siehe Ziffer 3.8 der Stellungnahme „Nachhaltigkeitsanforderungen an institutionelle Anleger und Vermögensverwalter“ (siehe S. 97 dieses Amtsblatts).

(23)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zur Vollendung der Bankenunion (ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 46).

(24)  http://www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20180529IPR04517/meps-back-resolution-on-sustainable-finance.

(25)  Buchhalterische Posten sind dann finanziell wesentlich, wenn sie die wirtschaftlichen Entscheidungen der Nutzer beeinflussen könnten. Der Grundsatz der Wesentlichkeit ist ein allgemein anerkanntes Rechnungslegungsprinzip, wonach das Unternehmen solche Fragen grundsätzlich offenlegen muss. https://www.business-case-analysis.com/materiality-concept.html.

(26)  http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2016-0381+0+DOC+XML+V0//DE.

(27)  Siehe Methodology for Assessing Implementation of the IOSCO Objectives and Principles of Securities Regulation.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/83


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses yum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit gemeinsamen Bestimmungen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds Plus, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit Haushaltsvorschriften für diese Fonds und für den Asyl- und Migrationsfonds, den Fonds für die innere Sicherheit und das Instrument für Grenzmanagement und Visa

(COM(2018) 375 final — 2018/0196 (COD))

(2019/C 62/13)

Berichterstatter:

Stefano MALLIA

Befassung

Europäisches Parlament, 11.6.2018

Europäischer Rat, 19.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 177, 304 und 322 Absatz 1 AEUV

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

111/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Kohäsionspolitik ist einer der am besten greifbaren Politikbereiche der EU, der sich unmittelbar auf das tägliche Leben der EU-Bürger auswirkt. Vor diesem Hintergrund lehnt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) den Vorschlag der Kommission, den EU-Haushalt um real 10 % zu kürzen, entschieden ab. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, nach Lösungen zu suchen, damit dieser Haushalt auf demselben Niveau gehalten werden kann wie im Programmplanungszeitraum 2014-2020 (in Preisen des Jahres 2020).

1.2.

Der EWSA ist der Ansicht, dass eine klare politische Strategie im Einklang mit den globalen Verpflichtungen der EU erforderlich ist. Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, die Strategie Europa 2020 zu erneuern und die Prioritäten der neuen Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen (Dachverordnung) mit dieser neuen Strategie abzustimmen. Der EWSA empfiehlt der Kommission darüber hinaus, dafür Sorge zu tragen, dass die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung wirksam in die kohäsionspolitischen Verordnungen integriert werden, indem sie bereichsübergreifend in alle Prioritäten der Fonds eingebunden werden.

1.3.

Nach Auffassung des EWSA würden die durch die Dachverordnung geschaffenen wirtschaftlichen Gegebenheiten (makroökonomische Konditionalität, verminderte Kofinanzierung usw.) zu übermäßig starren Rahmenbedingungen führen, und sie könnten darüber hinaus das Investitionsklima beeinträchtigen. Der EWSA:

spricht sich daher gegen die makroökonomische Konditionalität aus, da sie Regionen und Bürgern zum Nachteil gereicht, die nicht für makroökonomische Entscheidungen auf nationaler oder europäischer Ebene verantwortlich gemacht werden können;

fordert die Kommission auf, die Regel für die Aufhebung der Mittelbindung bei N+3 zu belassen;

ersucht die Kommission, eine Anhebung der Kofinanzierungssätze in Betracht zu ziehen.

1.4.

Der EWSA schätzt die Bemühungen um Vereinfachung, Flexibilität und Wirksamkeit — sie weisen in die richtige Richtung. Bedauerlicherweise ist das neue Regelwerk aber nicht einheitlich.

1.5.

Der EWSA hält die Regelungen bezüglich der thematischen Konzentration für zu streng. Er schlägt vor, dass eines der politischen Ziele von den Mitgliedstaaten ausgewählt werden sollte. In diesem Zusammenhang empfiehlt der EWSA den Mitgliedstaaten, das politische Ziel 5 ins Auge zu fassen, da dieses Ziel am besten eine maßgeschneiderte Lösung für ihre spezifischen Herausforderungen gewährleisten kann.

1.6.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, die erforderlichen Instrumente zu entwickeln, die es Gebieten mit strukturellen und dauerhaften Nachteilen (Inseln, Gebirgsregionen usw. (1)) ermöglichen, ihre spezifischen und komplexen Herausforderungen wirksam zu meistern. Diese Aufgabe darf nicht allein den nationalen Behörden überlassen werden. Der EWSA empfiehlt darüber hinaus, dass die in diesen Bereichen durchgeführten Projekte durch höhere Kofinanzierungssätze gefördert werden.

1.7.

Der EWSA empfiehlt, Ad-hoc-Lösungen zu suchen, um die Lage der Länder oder Regionen zu verbessern, die im Programmzeitraum 2007-2013 als Konvergenzregionen eingestuft und im Zeitraum von 2014-2020 mit einem Kofinanzierungssatz von 80 % gefördert wurden, die nun aber als Übergangsregionen gelten werden und daher im Zeitraum 2021-2027 mit einem Kofinanzierungssatz von nur 55 % rechnen können.

1.8.

Der EWSA ist der Überzeugung, dass die Kommission Synergien weiter fördern sollte, indem sie Möglichkeiten auslotet, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums wieder in das Regelwerk einzugliedern, und zudem die Verbindungen zum Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) stärkt. Der EWSA plädiert auch für stärkere Verbindungen mit und zwischen den übrigen Finanzierungsprogrammen und -instrumenten (Horizont 2020, InvestEU usw.).

1.8.1.

Diese Verbindungen sollten sich auch in der Programmplanung der Fonds niederschlagen. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, fondsübergreifende Programme auszuarbeiten und durchzuführen, mit denen die Herausforderungen im Rahmen eines integrierten Ansatzes angegangen werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Integration auch in der territorialen Zusammenarbeit ihren Ausdruck finden sollte; grundlegend sind angemessene Beziehungen u. a. zwischen ländlichen und städtischen sowie stadtnahen und städtischen Gebieten, also ein ortsbezogener Ansatz.

1.9.

Eine Regierungsführung auf mehreren Ebenen und mit mehreren Akteuren unter Einbeziehung der Wirtschafts- und Sozialpartner in den Beschlussfassungs- und Durchführungsprozess ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg der Kohäsionspolitik. Im Hinblick auf den Verhaltenskodex nimmt der EWSA die Unzufriedenheit der europäischen Sozialpartner zur Kenntnis und fordert, den Kodex im direkten Austausch mit den Sozialpartnern zu überarbeiten und zu aktualisieren. Ferner fordert der EWSA, dass der Verhaltenskodex verbindlich gemacht wird.

1.10.

Der EWSA lehnt es ab, die Grundsätze der Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen, der Nichtdiskriminierung, der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen sowie der nachhaltigen Entwicklung aus dem neuen Vorschlag der Dachverordnung zu streichen. Er empfiehlt daher mit Nachdruck, Artikel 7 der aktuellen Dachverordnung 2014-2020 in die vorgeschlagene neue Dachverordnung zu übernehmen und diesen Grundsatz direkt in den Hauptteil der vorgeschlagenen Verordnung über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und den Kohäsionsfonds aufzunehmen. Darüber hinaus schlägt der EWSA nachdrücklich vor, die Barrierefreiheit für Personen mit Behinderungen in Artikel 67 (Auswahl der Vorhaben) der vorgeschlagenen Dachverordnung aufzunehmen.

1.11.

Der EWSA ist der Ansicht, dass insgesamt eine wirksamere Kommunikationsstrategie unerlässlich ist. Allzu häufig wissen die Bürger bei der Durchführung von EU-finanzierten Projekten nur wenig oder gar nichts über die Beteiligung der EU. Daher fordert der EWSA die Kommission auf, eine wirksame Informationsstrategie für die Bürger und die verschiedenen Arten von Begünstigten einzurichten.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA bedauert zutiefst, dass der Haushalt für die Kohäsionspolitik real um 10 % gekürzt wurde. Er lehnt die vorgeschlagenen Kürzungen des EU-Haushalts entschieden ab und schlägt vor, dass die Mitgliedstaaten nach Lösungen suchen, um den Haushalt auf demselben Niveau zu halten (in Preisen des Jahres 2020).

2.2.

Die Kohäsionspolitik zählt zu den wichtigsten Elementen, um den Bürgern die Vision der europäischen Integration näher zu bringen. Sie hat einen deutlichen Mehrwert, da sie der Schaffung von Arbeitsplätzen, nachhaltigem Wachstum und moderner Infrastruktur, der Überwindung struktureller Hemmnisse, der Förderung des Humankapitals und der Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung dient. Aus diesem Grund begrüßt der EWSA nachdrücklich die Tatsache, dass alle Regionen förderfähig sind.

2.2.1.

Die EU-Kohäsionspolitik muss ein integraler Bestandteil der europäischen Investitionsstrategie sein und dabei einen stark territorial ausgerichteten Ansatz verfolgen, der darauf abzielt, den einzelnen Regionen die erforderlichen Instrumente an die Hand zu geben, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Sie muss zu einem wirtschaftlichen und strukturellen Wandel führen und dadurch in jeder Region eine tragfähige Grundlage schaffen, die auf den jeweils eigenen Stärken beruht (2).

2.3.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass der neue Ansatz, der nach wie vor drei Kategorien umfasst (weniger entwickelte Regionen, Übergangsregionen, und stärker entwickelte Regionen), stärker auf die Bedürfnisse der einzelnen Regionen zugeschnitten ist. Während die Methode der Mittelzuweisung weiterhin überwiegend auf dem Pro-Kopf-BIP basiert, wurden neue Kriterien hinzugefügt (Jugendarbeitslosigkeit, niedriges Bildungsniveau, Klimawandel und die Aufnahme und Integration von Migranten). Nach Auffassung des EWSA wird dies der Realität vor Ort besser gerecht, wenngleich er — im Einklang mit der vom Ausschuss für Regulierungskontrolle geforderten Folgenabschätzung (3) — den Eindruck hat, dass dieser Ansatz weiter verfeinert werden könnte.

2.4.

Der EWSA ist zutiefst besorgt über den Vorschlag der Kommission, die Kofinanzierungssätze zu senken, und über die Auswirkungen einer solchen Maßnahme auf das Engagement der Begünstigten in weniger günstigen finanziellen Situationen. Die Aufnahme der Mehrwertsteuer als zuschussfähige Ausgabe ist zu begrüßen, wenngleich dies in einem gewissen Umfang bereits im laufenden Zeitraum möglich ist.

2.5.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es Situationen gibt, in denen Länder oder Regionen, die im Programmzeitraum 2007-2013 als Konvergenzregionen eingestuft und im Zeitraum von 2014-2020 mit einem Kofinanzierungssatz von 80 % gefördert wurden, inzwischen als Übergangsregionen gelten und daher im Zeitraum 2021-2027 mit einem Kofinanzierungssatz von nur 55 % rechnen können, was für die betroffenen Regionen einen drastischen Rückgang bedeutet. Der EWSA ist der Ansicht, dass solche Situationen spezifisch angegangen werden müssen. Außerdem ist zu beachten, dass die Begünstigten bei Projekten mit privater Finanzierung die Kofinanzierung nur für den öffentlichen Teil erhalten.

2.6.

Die Priorität der EU gegenüber den Regionen in äußerster Randlage muss darin bestehen, die Verbindungen dieser Regionen mit dem europäischen Kontinent und das Zugehörigkeitsgefühl der Bürger zum Projekt Europa zu stärken (4). Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Regionen in äußerster Randlage weiterhin eine besondere Unterstützung der EU erhalten werden.

2.7.

Allerdings bedauert der EWSA, dass die Kohäsionspolitik immer noch keine umfassenden Lösungen für die Herausforderungen der spezifischen Gebiete zu bieten hat, die in Artikel 174 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (5) genannt sind. Studien zeigen, dass sich die zentralen Behörden nicht immer um die in Artikel 174 genannten spezifischen Regionen kümmern. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass die Kommission dafür sorgen sollte, dass Mitgliedstaaten regionale und lokale Interessenträger einbeziehen, wenn sie auf die Bedürfnisse ihrer spezifischen Regionen eingehen, wobei der in den jeweiligen Gebieten geltende institutionelle und rechtliche Rahmen zu achten ist.

3.   Allgemeine Grundsätze

3.1.

Der EWSA lehnt es ab, die Grundsätze der Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen, der Nichtdiskriminierung, der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen sowie der nachhaltigen Entwicklung aus dem neuen Vorschlag der Dachverordnung zu streichen. Im europäischen Besitzstand hat sich bei der Planung und Durchführung der Fonds (Artikel 7 der derzeitigen Dachverordnung und Artikel 16 der Dachverordnung 2007-2013) ein übergreifender Ansatz herausgebildet.

3.1.1.

Der EWSA empfiehlt daher mit Nachdruck, Artikel 7 der aktuellen Dachverordnung 2014-2020 in die vorgeschlagene neue Dachverordnung zu übernehmen und diesen Grundsatz direkt in den Hauptteil der vorgeschlagenen Verordnung über den EFRE und den Kohäsionsfonds aufzunehmen. Darüber hinaus schlägt der EWSA nachdrücklich vor, die Barrierefreiheit für Personen mit Behinderungen in Artikel 67 (Auswahl der Vorhaben) der vorgeschlagenen Dachverordnung aufzunehmen.

3.2.

Da die EU Vertragsstaat des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ist, hält es der EWSA für angemessen, dass dieses Übereinkommen in der Rechtsgrundlage der vorgeschlagenen Dachverordnung verankert wird.

3.3.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass eine echte Partnerschaft auf allen Ebenen mit den Wirtschafts- und Sozialpartnern und den Interessenträgern der organisierten Zivilgesellschaft bei der Vorbereitung, Durchführung und Ex-post-Bewertung der Programme und Projekte im Rahmen der EU-Kohäsionspolitik zu deren Qualität und Wirksamkeit beiträgt. Der EWSA, der bereits früher die Ausarbeitung eines Verhaltenskodex gefordert hat, unterstützt nachdrücklich die Initiative der Kommission und begrüßt die von ihr vorgeschlagenen Empfehlungen (Artikel 6) (6). Er stellt fest, dass der Vorschlag der Kommission möglicherweise verfeinert werden muss, um den sektorspezifischen Herausforderungen (insbesondere den nationalen sicherheitsrelevanten Herausforderungen) im Rahmen der Migrations- und Sicherheitsprogramme gerecht zu werden.

3.4.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die enge Zusammenarbeit zwischen Verwaltungsbehörden und Wirtschafts- und Sozialpartnern auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene in Form eines Regierens auf mehreren Ebenen und mit mehreren Akteuren ein unverzichtbares Kriterium für den Erfolg der Kohäsionspolitik ist. Sie muss die Grundvoraussetzung für die Vergabe von Mitteln im Rahmen der Partnerschaftsvereinbarungen und EU-Fonds sein. Der EWSA begrüßt die neue verbindliche Formulierung und fordert den Gesetzgeber ausdrücklich auf, die Formulierung „bindet … ein“ beizubehalten.

3.5.

In Bezug auf den Verhaltenskodex hat der EWSA die Unzufriedenheit der europäischen Sozialpartner zur Kenntnis genommen und fordert, den Kodex im direkten Austausch mit den Sozialpartnern zu überarbeiten und zu aktualisieren. Er fordert ferner, dass der Verhaltenskodex verbindlich gemacht wird.

3.6.

Mit Blick auf die Stärkung von Kompetenzen sowie der Wirksamkeit der Partnerschaft fordert der EWSA die Einführung von Maßnahmen zum Kapazitätsaufbau und zur technischen Unterstützung für die in Artikel 6 genannten Partner. Der EWSA wünscht auch die Einrichtung eines Mechanismus für jährliche Konsultationen mit den einschlägigen Partnern.

3.7.

Der EWSA teilt die Ansicht, dass jedes Mitglied der Überwachungsausschüsse eine Stimme hat. Um für ein ausgewogenes Gleichgewicht bei der Entscheidungsfindung zu sorgen, sind die Stimmen der Verwaltungsbehörden und der in Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a bestimmten Behörden mit 50 % und die der unter Buchstaben b und c aufgeführten Wirtschafts- und Sozialpartner mit 50 % zu gewichten. Der EWSA stellt fest, dass dieser Vorschlag der Kommission möglicherweise noch verfeinert werden muss, um sensible Fragen, etwa die nationale Sicherheit betreffend, behandeln zu können.

4.   Vereinfachung

4.1.

Der EWSA hält es für äußerst wichtig, den unnötigen Verwaltungsaufwand für die Begünstigten erheblich zu verringern und gleichzeitig ein hohes Maß an Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit zu gewährleisten. Der EWSA würdigt und begrüßt die Tatsache, dass in dem Vorschlag der Kommission mehrere Fragen im Zusammenhang mit der Vereinfachung angesprochen werden.

4.2.

Der EWSA schlägt die systematische Anwendung des Grundsatzes der Einmaligkeit nach den Regelungen für Kleinunternehmen in Europa (Small Business Act) vor, um sicherzustellen, dass Verwaltungs-, Überwachungs- und Kontrollformalitäten von Projektleitern nur einmal an die unmittelbar zuständige Verwaltungsbehörde übermittelt werden, die dafür verantwortlich ist, diese an die Verwaltungsbehörden auf nationaler und EU-Ebene weiterzuleiten.

4.3.

Der EWSA empfiehlt ferner die Einrichtung eines stark vereinfachten „De-minimis“-Kontroll-/Prüfsystems für sehr kleine Projekte: Wenn die unmittelbar zuständige Verwaltungsbehörde feststellt und erklärt, dass die erwarteten Ergebnisse erreicht wurden, sollten keine weiteren Kontrollen oder Prüfungen gefordert werden.

4.4.

Es ist eine Übertreibung, die Dachverordnung als eine einheitliche Regelung zu bezeichnen. Obwohl sie sich auf sieben Fonds erstreckt, ist angesichts der beträchtlichen Anzahl an „Ausnahmen von den Vorschriften“ ein Mangel an Kohärenz zu beklagen; häufig unterscheiden sich die Bestimmungen beispielsweise für den Europäischen Meeres- und Fischereifonds, den Asyl- und Migrationsfonds, den Fonds für die innere Sicherheit und das Instrument für Grenzmanagement und Visa. Im Einklang mit den Schlussfolgerungen der Hochrangigen Gruppe zur Vereinfachung ab 2020 (7) ist der EWSA der Ansicht, dass das Maßnahmenpaket einfacher gestaltet sein sollte und ein Mikromanagement der Fonds zu vermeiden ist.

4.5.

Der EWSA nimmt die Aufnahme der neuen Fonds zur Bereitstellung von Mitteln für die Bewältigung der Migrationskrise und der Sicherheitsangelegenheiten (8) im Rahmen der Dachverordnung zur Kenntnis, bedauert jedoch sehr, dass der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums nicht Teil des Regelwerks ist und dass es weniger Verbindungen zum ESF+ gibt als zu seinem Vorläufer. Der EWSA fordert die Kommission auf, diese Entscheidung zu überdenken.

4.6.

Der EWSA teilt die Ansicht, dass die Aussetzung von Mittelbindungen gegenüber der Aussetzung von Zahlungen vorrangig zu behandeln ist, um schwerwiegende Krisen zu vermeiden. Zahlungen dürfen nur ausgesetzt werden, wenn unmittelbare Maßnahmen erforderlich sind, sowie im Falle von erheblichen Verstößen.

5.   Flexibilität

5.1.

Um die Gründung und das Wachstum von Unternehmen zu erleichtern, muss die EU Reformen für ein investitionsfreundliches Umfeld unterstützen, in dem Unternehmen florieren, und die Rahmenbedingungen für das Unternehmertum verbessern. Der Kohäsionsfonds muss genutzt werden, um bessere Bedingungen für das Wachstum von Start-up-Unternehmen und jungen, innovativen KMU zu schaffen und die Nachfolge in Familienunternehmen zu erleichtern. In diesem Zusammenhang vertritt der EWSA die Ansicht, dass die Kohäsionspolitik für einen stabilen, aber dennoch flexiblen Rahmen (9) sorgen muss.

5.2.

In Bezug auf die obligatorischen Mittelübertragungen auf die Fazilität „Connecting Europe“ stellt der EWSA fest, dass der Gesamtbetrag der zu übertragenden Mittel trotz einer Kürzung der Gesamtfördermittel um 10 % unverändert beibehalten wurde. Daher wäre der Prozentsatz der übertragenen Gesamtfördermittel tatsächlich höher als im laufenden Programmplanungszeitraum. Der EWSA stimmt dem Gesamtkonzept zu, solange der Gesamthaushalt für die Kohäsionspolitik auf dem Niveau von 2014-2020 erhalten bleibt.

5.3.

Außerdem sind derzeit 100 % der auf die Fazilität „Connecting Europe“ übertragenen Mittel für jeden Mitgliedstaat zweckgebunden. Der Vorschlag für den neuen Zeitraum sieht vor, dass nur 70 % der Mittel für den jeweiligen Mitgliedstaat und die restlichen 30 % für Projekte nach Wahl der Kommission bereitgestellt werden. Der EWSA lehnt diesen Vorschlag entschieden ab.

5.4.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass es keine spezifischen Regeln für Einnahmen generierende Investitionen mehr geben wird. Der EWSA stellt ferner fest, dass es keinen Prozess für „größere Projekte“ geben wird (stattdessen werden strategische Projekte vom Überwachungsausschuss verfolgt). Obwohl dies an sich eine begrüßenswerte Entwicklung ist, hat der EWSA Bedenken, wie die Gültigkeit größerer Projekte weiterhin gewährleistet werden kann.

5.5.

Der EWSA befürwortet auch die Möglichkeit, die Programmziele und -mittel an die sich ändernden Umstände anzupassen, was bewirken würde, dass im Falle einer Naturkatastrophe EU-Mittel unmittelbar mobilisiert werden könnten (10).

5.6.

Der EWSA teilt die Ansicht, dass Zuschüsse allein nicht ausreichen, um erhebliche Investitionslücken zu schließen. Finanzinstrumente, die eine Hebelwirkung haben und eine größere Marktnähe aufweisen, können eine wirksame Ergänzung darstellen. Der EWSA begrüßt daher, dass die Kombination von Zuschüssen und Finanzinstrumenten erleichtert wird und dass der neue Rahmen auch besondere Bestimmungen enthält, um mehr privates Kapital anzuziehen.

5.7.

Der EWSA unterstützt die Vereinfachung der technischen Hilfe für Mitgliedstaaten und weist darauf hin, dass die Partner gemäß Artikel 6 ebenfalls davon profitieren sollten.

6.   Wirksamkeit

6.1.

Der EWSA bedauert, dass die Kommission keinen partizipativen Prozess eingeleitet hat, der zu einer übergreifenden und integrierten Strategie für ein nachhaltiges Europa im Jahr 2030 und darüber hinaus führt. Es ist fraglich, welche Prioritäten die Kommission vorschlägt, um die Partnerschaftsvereinbarung und die operationellen Programme der Mitgliedstaaten anzugleichen.

6.2.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Kohäsionspolitik mit der Agenda 2030 der Vereinten Nationen in Einklang zu bringen und ihre Ziele für eine nachhaltige Entwicklung in den Haupttext der Dachverordnung, die sich auf alle Fonds erstreckt, aufzunehmen.

6.3.

Der EWSA hat Bedenken bezüglich der neuen Regelung zur thematischen Konzentration. Er ist der Ansicht, dass die Konzentration von Mitteln auf zwei Prioritäten zu restriktiv ist. Der EWSA hat Bedenken bezüglich des einheitlichen Ansatzes, den die Kommission in dieser Hinsicht gewählt hat. Er ist der Auffassung, dass die thematische Konzentration ausreichend Spielraum bieten muss, damit die Finanzierungsprioritäten den unterschiedlichen Entwicklungsanforderungen auf nationaler und regionaler Ebene gerecht werden können.

6.4.

Der EWSA begrüßt die engere Verbindung zum Europäischen Semester durch die länderspezifischen Empfehlungen (11). Er spricht sich jedoch gegen die makroökonomische Konditionalität aus, da sie Regionen und Bürgern zum Nachteil gereicht, die nicht für makroökonomische Entscheidungen auf nationaler oder europäischer Ebene verantwortlich gemacht werden können (12). Der EWSA teilt die Ansicht, dass es auch wichtig ist, mit dem neuen, verbesserten Programm zur Unterstützung von Reformen umfassende Komplementarität und Koordinierung sicherzustellen.

6.5.

Der EWSA begrüßt die verstärkten Synergien zwischen bestimmten Programmen („Exzellenzsiegel-Ansatz“), da diese zu einem vereinfachten Zugang zu Finanzierungen führen können, doch in den meisten Fällen ist der Vorschlag nicht klar genug (z. B. bei der möglichen Kombination von Strukturfonds und Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums im Fall des Instruments der von der örtlichen Bevölkerung betriebenen lokalen Entwicklung).

6.6.

Im Hinblick auf die Regeln für die Aufhebung der Mittelbindung bedauert der EWSA, dass mit diesem Vorschlag die derzeitige Regel N+3 in eine N+2-Regel geändert wird, und fordert die Europäische Kommission auf, dies zu überdenken. Der EWSA hält es für angebracht, die Bedürfnisse der Länder zu prüfen, die bei der Durchführung der Programme größere Schwierigkeiten hatten, und spricht sich dafür aus, ihnen mehr anstatt weniger Flexibilität einzuräumen.

6.7.

Des Weiteren ist festzustellen, dass die Verwaltungskapazitäten insbesondere der kleineren Mitgliedstaaten und Regionen in den ersten Phasen des Zeitraums 2021-2027 erheblich unter Druck geraten könnten. In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass die Mitgliedstaaten, während sie noch damit befasst sind, den laufenden Programmplanungszeitraum zum Abschluss zu bringen, bereits unter Druck stehen, die letzten beiden Jahre des neuen Programmplanungszeitraums umzusetzen (aufgrund des 5 + 2 Ansatzes), wobei sie der N+2-Regel unterliegen und ihnen ein geringerer Vorfinanzierungsbetrag zur Verfügung steht.

6.8.

Da kleine und kleinste Unternehmen sowie die Organisationen der Zivilgesellschaft auf Schwierigkeiten stoßen können, wenn sie generell die Möglichkeiten der europäischen Fonds nutzen wollen, fordert der EWSA Unterstützung für Maßnahmen, die darauf abzielen, ihren Zugang zu Informationen zu verbessern, ihnen bessere Beratung und Betreuung zu bieten und ihre Interventionskapazitäten zu erhöhen.

7.   Programmierung und Durchführung

7.1.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass es weniger politische Ziele gibt, die offenbar flexibler sind als ihre Vorläufer, bedauert jedoch ihre mangelnde Einbindung in einen weiter gefassten strategischen Kontext.

7.2.

Der EWSA begrüßt besonders das neue politische Ziel „Ein bürgernäheres Europa“. Er hofft, dass die Mitgliedstaaten ihre auf dieses Ziel ausgerichteten Programme in enger Zusammenarbeit mit den Bürgern, den Wirtschafts- und Sozialpartnern und den Organisationen der Zivilgesellschaft erarbeiten und umsetzen, wie es die Bezeichnung des Ziels und die Anforderungen von Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe g nahelegen.

7.3.

Der EWSA hat Bedenken, dass die Programmplanung zunächst nur für die ersten fünf Jahre aufgestellt werden soll. Er sieht die Vorteile dieses Ansatzes, befürchtet jedoch, dass er zu einem hohen Verwaltungsaufwand für die Behörden führen könnte, die ebenfalls Gefahr laufen, die Vorschriften über die Aufhebung von Mittelbindungen nicht einzuhalten.

7.4.

Die Vereinfachung der Programmplanungsdokumente (Partnerschaftsvereinbarung, operationelle Programme) ist zu begrüßen. Insbesondere befürwortet der EWSA die Vereinfachung der Partnerschaftsvereinbarung und ist der Ansicht, dass diese Vereinbarung ein hochrangiges strategisches Dokument sein sollte. Daher sind Anstrengungen zu unternehmen, um sicherzustellen, dass die Programme der Mitgliedstaaten mit den Prioritäten der EU in Einklang stehen und zusammenwirken. Der EWSA begrüßt auch die Vereinfachung der delegierten Rechtsakte. Zur Vermeidung der Gefahr einer Überregulierung durch die Verwaltungsbehörden fordert er die Kommission auf, die wirtschaftlichen und sozialen Akteure der EU an der Ausarbeitung der delegierten Rechtsakte zu beteiligen.

7.5.

Der EWSA hält es für wesentlich, dass einfache Lösungen vorgeschlagen werden, die die verschiedenen Initiativen in Bezug auf die Kohäsionspolitik (Strategien und Programme) der verschiedenen territorialen Ebenen horizontal (z. B. makroregionale Strategien mit transnationalen Programmen) und vertikal (zwischen den verschiedenen territorialen Ebenen) verbinden. Aus diesem Grund begrüßt der EWSA Artikel 17 und empfiehlt der Kommission, ihre Arbeit in dieser Richtung fortzusetzen.

7.6.

Mittlerweile lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, und dieser Anteil wird bis 2050 voraussichtlich auf 70 % steigen (13). Daher begrüßt der EWSA die Aufstockung der EFRE-Mittel für eine integrierte nachhaltige Stadtentwicklung, bedauert jedoch die mangelnde Ausdehnung auf den ESF+.

7.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die territoriale Entwicklung auf der Grundlage von integrierten gebietsspezifischen Strategien der richtige Ansatz ist, weil es dadurch möglich ist, Potenziale und Bedürfnisse auf lokaler Ebene zu erkennen und in Partnerschaft mit allen lokalen Akteuren Maßnahmen einzuleiten, die auf die ermittelten spezifischen Bedürfnisse ausgerichtet sind. Der EWSA ist der Ansicht, dass dieser Ansatz von einer guten Regierungsführung zeugt und daher in hohem Maße gefördert und ausgebaut werden sollte. In diesem Zusammenhang begrüßt er, dass die Partner gemäß Artikel 6 in die Vorbereitung und Durchführung der territorialen Strategien einbezogen werden müssen.

7.8.

Ferner begrüßt der EWSA die neuen „sonstigen integrierten Instrumente“ gemäß Artikel 22 Buchstabe c, die es ermöglichen, maßgeschneiderte und vor Ort funktionierende Lösungen zu finden und zu nutzen, bedauert allerdings, dass ihr Einsatz auf das politische Ziel 5 begrenzt ist. Ein solches Instrument sollte für alle politischen Ziele zur Verfügung stehen. Da die Erläuterungen zu diesem neuen Instrument sehr vage formuliert sind, empfiehlt der EWSA, dass die Kommission diese weiter ausarbeitet, damit die Mitgliedstaaten ermutigt werden können, von dieser Möglichkeit in vollem Umfang Gebrauch zu machen.

7.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Zivilgesellschaft intensiv in das Governance-System der neuen Europäischen Stadtinitiative einbezogen werden und darin vertreten sein sollte, um die Realität besser widerzuspiegeln und um sicherzustellen, dass lokale Interessen in die Maßnahmen dieser Initiative einfließen. Der EWSA befürwortet nachdrücklich die europaweite Einrichtung eines solchen Governance-Systems unter Einbeziehung der einschlägigen Akteure der Zivilgesellschaft.

7.10.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Wirkung, die durch die Mittel im Rahmen der Kohäsionspolitik erzielt wird, am deutlichsten von den Bürgern und den wirtschaftlichen und sozialen Akteuren wahrgenommen wird. Die geförderten Maßnahmen bilden eines der besten Bollwerke gegen Europaskepsis und europafeindliche Bewegungen. Daher müssen unmittelbare, leicht zugängliche und nach Maßgabe der beruflichen Tätigkeit der betroffenen Bürger gezielte Informationen zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel mit Leitlinien für bewährte Praktiken. Der EWSA fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit allen betroffenen Partnern einen strategischen Kommunikationsplan zu erarbeiten.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Artikel 174 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

(2)  https://www.businesseurope.eu/sites/buseur/files/media/position_papers/ecofin/2017-06-09_eu_cohesion_policy.pdf.

(3)  SEC(2018) 268.

(4)  ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 52.

(5)  ABl. C 209 vom 30.6.2017, S. 9.

(6)  ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 23.

(7)  http://ec.europa.eu/regional_policy/sources/newsroom/pdf/simplification_proposals.pdf.

(8)  ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 63.

(9)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 1.

(10)  ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 38.

(11)  https://www.eesc.europa.eu/sites/default/files/resources/docs/qe-02-17-362-en-n.pdf und https://www.eesc.europa.eu/sites/default/files/resources/docs/qe-01-14-110-en-c.pdf.

(12)  ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 30.

(13)  http://www.un.org/en/development/desa/news/population/world-urbanization-prospects-2014.html.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/90


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und den Kohäsionsfonds“

(COM(2018) 372 final — 2018/0197 (COD))

(2019/C 62/14)

Berichterstatter:

Ioannis VARDAKASTANIS

Mitberichterstatterin:

Ester VITALE

Befassung

Europäisches Parlament, 11.6.2018

Europäischer Rat, 19.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 177, 178, 304 und 349 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

138/0/1

Diese Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) bezieht sich auf den von der Europäischen Kommission am 29. Mai 2018 vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und den Kohäsionsfonds (1) für die Jahre 2021 bis 2027. Die Stellungnahme enthält auch einige kurze Bemerkungen zu mehreren Bestimmungen der vorgeschlagenen Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen (Dachverordnung) (2), die für bestimmte Aspekte der Struktur, des Inhalts, der Koordinierung und der weiteren Umsetzung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Kohäsionsfonds unmittelbar von Belang sind.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA bekräftigt seinen umfassenden Einsatz für die Kohäsionspolitik und seine feste Überzeugung, dass sie ein wichtiges Instrument ist, um die EU ihren Bürgern näher zu bringen und die Unterschiede zwischen den Regionen der EU und die Ungleichheiten zwischen den Bürgern zu verringern.

1.2.

Der EWSA ist sich zwar über die Beweggründe der Kommission im Klaren, lehnt jedoch die Kürzungen bei der Kohäsionspolitik im Allgemeinen rundweg ab, und zwar insbesondere die Kürzungen um 12 % für den EFRE und um 46 % für den Kohäsionsfonds. Er fordert die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und den Rat daher auf, die vorgeschlagenen Mittel so aufzustocken, dass sie mindestens die im aktuellen Finanzrahmen vorgesehene Mittelausstattung (zu konstanten Preisen) erreichen.

1.3.

Der EWSA hebt hervor, dass die Senkung der Kofinanzierungssätze der EU die Umsetzung von Projekten behindern wird, insbesondere in Mitgliedstaaten, die mit Haushaltsproblemen zu kämpfen haben oder die durch die Krise am härtesten getroffen wurden.

1.4.

Der EWSA fordert, dass die Kommission die Kriterien für die Kofinanzierung flexibler gestaltet, sodass die wirtschaftliche und finanzielle Situation der einzelnen Mitgliedstaaten berücksichtigt werden kann, und dass die Regelung, die der Ausschuss in mehreren seiner letzten Stellungnahmen empfohlen hat, zur Anwendung kommt: Investitionsausgaben sollten im Hinblick auf die Einhaltung der Defizitziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht berücksichtigt werden.

1.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Vorschlag der Kommission, die N+2-Regel wieder einzuführen, nicht durch praktische Erfahrungen oder die Ergebnisanalyse der Umsetzung der N+3-Regel gestützt wird. Er lehnt diesen Vorschlag daher ab und fordert die Kommission auf, die N+3-Regel für den neuen Programmplanungszeitraum beizubehalten.

1.6.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, die Nutzung der Fonds hinsichtlich Struktur, Organisation und Verwaltung zu vereinfachen und einen einfacheren und effektiveren Zugang zu ihnen zu ermöglichen. Mit der Vereinfachung der Fonds sollten jedoch keine Grundsätze und Werte in den Hintergrund gedrängt werden, die fester Bestandteil des Besitzstandes der EU sind.

1.7.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass mit dem Vorschlag der Kommission die Multi-Level-Governance verbessert, dabei der Schwerpunkt auf die geteilte Mittelverwaltung gelegt und somit die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen und anderer Interessenträger am Prozess der Planung, Umsetzung, Bewertung und Überwachung der Mittelverwendung gefördert wird. Auf allen Ebenen sollte jedoch der Europäische Verhaltenskodex für Partnerschaften voll und ganz eingehalten werden und durch starke Garantien und Maßnahmen ergänzt werden, die seine umfassende Umsetzung sicherstellen. Die Einhaltung dieses Verhaltenskodex sollte als eine Vorbedingung angesehen werden. Dies wird Interessenträger und zivilgesellschaftliche Organisationen dazu befähigen, eine zentrale Rolle als Vermittler zu spielen und Projekte näher an die Endbegünstigten zu bringen.

1.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass auf EU-Ebene zivilgesellschaftliche Organisationen nicht strukturiert in den Prozess der Überwachung der Umsetzung der Kohäsionspolitik einbezogen werden. Er empfiehlt daher mit Nachdruck, dass die Kommission unter Beteiligung der Sozialpartner, zivilgesellschaftlicher Organisationen und anderer Interessenträger ein Kohäsionsforum der europäischen Zivilgesellschaft einrichtet, das die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft jährlich zum Stand der Umsetzung der Kohäsionspolitik während des gesamten Programmplanungszeitraums 2021-2027 konsultiert.

1.9.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung durch die Dachverordnung und die Verordnung über den EFRE und den Kohäsionsfonds wirksam in die Kohäsionspolitik zu integrieren, indem sie die bereichsübergreifende Einflechtung dieser Ziele in alle Prioritäten der Fonds, und nicht nur in den Klimaschutz, sicherstellt.

1.10.

Der EWSA schlägt vor, dass für die Unterstützung von Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte, abgelegenen Gebieten, kleinen Inseln und Berggebieten im Einklang mit Artikel 174 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die gleichen Anforderungen an die thematische Konzentration, derselbe Interventionsbereich und dieselben Leistungen sowie dieselben Ausnahmen gelten sollten wie für Gebiete in äußerster Randlage. Investitionsstrategien sollten auf die Ziele der Makroregionen und die interregionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit ausgerichtet sein, insbesondere zur Bewältigung komplexer Phänomene wie Migration.

1.11.

Der EWSA empfiehlt, die Mittel für die Europäische territoriale Zusammenarbeit/Interreg für den neuen Programmplanungszeitraum aufzustocken, damit diese ihre Aufgaben und Ziele effektiv erfüllen kann. Der EWSA schlägt ebenfalls vor, dem EFRE genügend Unterstützung für die Umsetzung des grenzübergreifenden Mechanismus bereitzustellen. Außerdem ist der EWSA der Auffassung, dass Investitionsstrategien auf die Ziele der Makro- und Küstenregionen ausgerichtet werden sollten.

1.12.

Der EWSA fordert die Kommission auf, bei der Klassifizierung der Mitgliedstaaten entsprechend den für sie geltenden Anforderungen an die thematische Konzentration neben dem Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kopf weitere soziale Indikatoren zu berücksichtigen.

1.13.

Der EWSA unterstützt das Konzept der thematischen Konzentration, fordert die Kommission jedoch auf, die Anforderungen an die thematische Konzentration bei Investitionen ausgewogener auf die politischen Ziele (PZ) zu verteilen, da die Mittelzuweisung für PZ3 bis PZ5 unzureichend erscheint, um den sozioökonomischen Bedürfnissen gerecht zu werden und ein Europa mit mehr Bürgernähe aufzubauen.

1.14.

Der EWSA bedauert, dass die Vorschläge der Kommission für alle Verordnungen keine horizontale Einbindung von Gleichheit, Nichtdiskriminierung und Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen vorsehen. Er empfiehlt daher mit Nachdruck, Artikel 7 der aktuellen Dachverordnung 2014-2020 in die vorgeschlagene neue Dachverordnung zu übernehmen und diesen Grundsatz direkt in den Hauptteil der vorgeschlagenen Verordnung über den EFRE und den Kohäsionsfonds aufzunehmen. Der EWSA plädiert darüber hinaus eindringlich für die Aufnahme der Barrierefreiheit für Personen mit Behinderungen in Artikel 67 der vorgeschlagenen Dachverordnung zur Auswahl von Vorhaben.

1.15.

Der EWSA betont, dass das UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vollumfänglich in den Hauptteil der vorgeschlagenen Verordnung über den EFRE und den Kohäsionsfonds sowie in die Dachverordnung aufgenommen werden sollte. Diese UN-Behindertenrechtskonvention sollte konkret als Rechtsgrundlage in die Verordnung über den EFRE und den Kohäsionsfonds integriert werden, und die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen sollte als obligatorisches Förderfähigkeitskriterium aufgenommen werden.

1.16.

Der EWSA fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass der Bau und die Renovierung segregationsfördernder Betreuungs- und Pflegeheime aus der Förderung durch den EFRE und den Kohäsionsfonds ausgeschlossen werden. Stattdessen muss die soziale Inklusion durch den Übergang von der Heimpflege zur Betreuung in der lokalen Gemeinschaft gefördert werden.

1.17.

Der EWSA begrüßt die Verbesserung bei der Koordinierung der unterschiedlichen Fonds sowie die Verknüpfung zwischen diesen und dem Europäischen Semester und den Reformhilfeprogrammen.

1.18.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Einbeziehung makroökonomischer Konditionalitäten, über die auf nationaler und europäischer Ebene entschieden wird, zu großen Hindernissen für Regionen, lokale Gebietskörperschaften, sonstige Interessenträger und die Bürgerinnen und Bürgern bei der Verwendung der Mittel führt, weshalb der EWSA sie rundweg ablehnt und die Kommission auffordert, die Kriterien für die Einbeziehung zu überdenken.

1.19.

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte nicht nur im ESF+, sondern auch in der Kohäsionspolitik Vorrang eingeräumt werden muss. Er empfiehlt daher ausdrücklich, mindestens 10 % der Mittel für PZ4 des EFRE bereitzustellen und damit die regionale Initiative für soziale Nachhaltigkeit und Zugänglichkeit zu etablieren.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA betrachtet die Kohäsionspolitik — wie er es über viele Jahre hinweg getan hat — auch jetzt noch als einen der Grundpfeiler für die Verwirklichung des europäischen Einigungswerks und ist daher der Ansicht, dass die Kohäsionspolitik in Zeiten der Unsicherheit und des Aufkommens von Populismus, Nationalismus und Euroskepsis der Prozess ist, durch den die Bürgerinnen und Bürger wirklich in das Projekt Europa eingebunden werden.

2.2.

Der EWSA hebt hervor, dass man die EU-Kohäsionspolitik und ihre Finanzierungsinstrumente dafür hätte einsetzen können, den europäischen Bürgerinnen und Bürgern ein neues, positives Narrativ für das europäische Projekt vorzustellen.

2.3.

Er verweist daher auf die Tatsache, dass der Vorschlag der Kommission politisch nicht ehrgeizig genug ist, was sich in der Praxis darin zeigt, dass in dem Vorschlag für den MFR 2021-2027 im Vergleich zum aktuellen Haushalt die Mittel für den EFRE um 12 % und für den Kohäsionsfonds um 46 % (zu konstanten Preisen) gekürzt werden. Die Kürzungen werden vorgeschlagen, obwohl die Kommission gleichzeitig in der Begründung anerkennt, dass „der EFRE und der Kohäsionsfonds […] in vielen Ländern mindestens 50 % der öffentlichen Investitionen [ausmachen]“. Sie werden sich daher negativ auf jene Länder auswirken, die gerade dabei sind, ihre Wirtschaft zu stabilisieren und sich von der Krise zu erholen, während ihre Bürger mit den Sparmaßnahmen zurechtkommen müssen. In vielen Ländern besteht noch immer ein hohes Maß an Armut und Ungleichheit. In einigen Fällen nehmen diese sogar zu, wobei es zwischen den Ländern sowie zwischen und innerhalb von Regionen und verschiedenen Bevölkerungsgruppen erhebliche Unterschiede gibt, insbesondere im Hinblick auf die sozialen Indikatoren für Frauen, Roma, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen usw.

2.4.

Angesichts der überragenden Bedeutung, die sowohl der EFRE als auch der Kohäsionsfonds für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und den Zusammenhalt der europäischen Regionen haben, fordert der EWSA, dass zur Finanzierung der Kohäsionspolitik im MFR 2021-2027 mindestens dieselben Ressourcen zu konstanten Preisen wie im aktuellen Finanzrahmen bereitgestellt werden (3).

2.5.

Der Vorschlag der Kommission zur Senkung der Kofinanzierungssätze für die drei Kategorien von Regionen (4) untergräbt die Möglichkeit, die Mittel zu gleichen Bedingungen in Anspruch zu nehmen und einzusetzen, insbesondere für jene Mitgliedstaaten, die größere Probleme auf der Ausgabenseite haben bzw. die von der Krise am härtesten getroffen wurden.

2.6.

Der EWSA unterstützt die Bemühungen, die Kohäsionspolitik zu vereinfachen, und begrüßt die Reduzierung der Ziele von 11 auf 5, da auf diese Weise die Ressourcen auf die vorrangigen Themen der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und der individuellen Rechte konzentriert werden können. Allerdings sollte eine geringere Anzahl klarerer und kürzerer Vorschriften nicht dazu führen, dass weniger effiziente Regelungen zur Verwirklichung der allgemeinen und spezifischen Ziele bestehen. Vor allem sollte eine stärkere Vereinfachung keine übergreifenden Grundsätze aus der vorgeschlagenen Verordnung verdrängen, die fester Bestandteil des Besitzstandes der EU sind.

2.7.

Zur Effizienzsteigerung bei den Investitionen ist es dringend erforderlich, dass Mittel zusammengelegt werden und der Zugang für Begünstigte vereinfacht wird, insbesondere durch die zunehmende Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf die Mitgliedstaaten und durch eine verstärkte Nutzung vereinfachter Kostenoptionen. Die Ausdehnung des Prinzips der „Einzigen Prüfung“ und die zunehmende Übertragung von Aufgaben auf nationale, regionale und lokale Behörden würden auch zu effizienteren Ausgaben bei der technischen Hilfe führen. Der EWSA begrüßt außerdem die Stärkung von „e-Kohäsion“ und Datenaustausch, da dies zur Transparenz und Effizienz des EFRE und des Kohäsionsfonds beitragen wird. Er befürwortet den Vorschlag der Kommission zur Stärkung der interregionalen Zusammenarbeit mittels der Strategie für intelligente Spezialisierung.

2.8.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Europäische territoriale Zusammenarbeit ein wichtiges Instrument zur Unterstützung bestimmter grenzübergreifender Regionen ist, die unter anderem aufgrund geografischer und/oder historischer Gegebenheiten häufig Probleme mit der Infrastruktur, der Erbringung öffentlicher Dienste, der Kommunikation und dem Verkehr haben. Über Interreg sollte die wirtschaftliche und soziale Konvergenz dieser Regionen, Unterregionen und lokalen Gebiete praktisch gefördert werden. Der EWSA schlägt daher vor, die Mittel für dieses Instrument zu erhöhen. Darüber hinaus empfiehlt der EWSA mit Nachdruck, dass die effiziente Arbeitsweise und Umsetzung des grenzübergreifenden Mechanismus durch die Bereitstellung von EFRE-Mitteln unterstützt wird.

2.9.

Gleichheit, Nichtdiskriminierung und Barrierefreiheit werden zwar in der Präambel erwähnt, aber der EWSA ist der festen Überzeugung, dass diese vollständig in den Hauptteil der Verordnung über den EFRE und den Kohäsionsfonds aufgenommen werden und verbindliche Förderfähigkeitskriterien sein sollten; die Barrierefreiheit für Personen mit Behinderungen muss in Artikel 67 der vorgeschlagenen Dachverordnung zur Auswahl von Vorhaben festgeschrieben werden (5).

2.10.

Die Klassifizierung der Regionen zur Bestimmung der für jede Region geltenden Anforderungen an die thematische Konzentration erfolgt immer noch nach der „Berlin-Formel“, bei der ausschließlich das Bruttonationaleinkommen und die Bevölkerungszahl der Region berücksichtigt werden (6). Die Kommission hat jedoch beschlossen, neue Indikatoren für die Zuweisungsmethode wie Arbeitslosigkeit, Nettomigration oder Treibhausgasemissionen hinzuzufügen. Auch wenn diese Lösung die Genauigkeit der Mittelaufteilung in Bezug auf die Bedürfnisse der Regionen verbessert, würden die Anforderungen an die thematische Konzentration weiterhin mit einer Klassifizierungsmethode bestimmt, bei der diese Unterschiede unberücksichtigt bleiben.

2.10.1.

Somit würden viele Regionen in den Mitgliedstaaten der „Gruppe 1“ gemessen an den bestehenden Ungleichheiten möglicherweise eine „korrekte“ Mittelzuweisung erhalten, die über das BNE hinausgeht, müssten sich aber mit den Anforderungen an die thematische Konzentration auseinandersetzen, was ihre Fähigkeit zur Bekämpfung dieser Ungleichheiten einschränken könnte. Die in der Folgenabschätzung — in Antwort auf die Forderung des Ausschusses für Regulierungskontrolle (7) — gegebene Erklärung zur Entscheidung für die „Berlin-Formel“ lässt offen, warum andere maßgebliche Indikatoren nicht berücksichtigt wurden. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, diesen Ansatz zu überdenken.

2.11.

Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte gemäß Artikel 174 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie entlegene Gebiete wie kleine Inseln sind Regionen, die vor spezifischen Problemen in den Bereichen Kommunikation — einschließlich Internetzugang — und Verkehr stehen. Darüber hinaus fehlt es ihnen zumeist an sozialer Infrastruktur (Gesundheitswesen, Bildung usw.). In diesen Regionen führen die spärliche Besiedlung und der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten, die eine beunruhigende Überalterung zur Folge haben, zu fortlaufend steigenden Kosten bei der Erbringung öffentlicher Dienste und erschweren damit die Entwicklung von Beschäftigungsprogrammen und die Ansiedlung von Unternehmen.

2.11.1.

Mit dem Vorschlag wird diesen Regionen zusammen mit den als Gebiete in äußerster Randlage eingestuften Regionen ein Teil der Mittel zugewiesen. Die Gebiete in äußerster Randlage werden jedoch in die „Gruppe 3“ eingeteilt, ohne neben dem BNE pro Kopf den besonderen Merkmalen der Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte Rechnung zu tragen. Der EWSA ist der Ansicht, dass es eines besonderen Ansatzes mit ausreichenden Mitteln und den richtigen Anforderungen an die thematische Konzentration bedarf, um auf die Probleme, die in Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte und entlegenen Gebieten bestehen, einzugehen, und dass sie vom Interventionsbereich der thematischen Konzentration und Ausnahmen für Gebiete in äußerster Randlage profitieren sollten.

2.12.

Der EWSA begrüßt die verbesserte Koordinierung der sieben Fonds unter geteilter Mittelverwaltung, im Wesentlichen begründet durch die vorgeschlagene Dachverordnung, mit der eine wesentliche Forderung der Interessenträger erfüllt wird. Für den EFRE und den Kohäsionsfonds ist die Kombination mit dem vorgeschlagenen Reformhilfeprogramm (8) von besonderer Bedeutung, da dadurch die Verknüpfung der Programme mit den im Rahmen des Europäischen Semesters formulierten Empfehlungen erleichtert und somit die Wirksamkeit der Investitionen erhöht wird, wenn diese sozial nachhaltig sind. Diese Kombination sollte zu entsprechenden Verhandlungen zwischen den nationalen und den europäischen Behörden unter aktiver Beteiligung der Sozialpartner und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen führen.

2.13.

Der EWSA erkennt an, wie wichtig die Kombination unterschiedlicher Arten von Fonds und Instrumenten mit den Mitteln der Kohäsionspolitik, insbesondere den Finanzinstrumenten, ist, da auf diese Weise die Ziele wirksamer abgedeckt werden. Die Mobilisierung von Privatkapital sichert und vervielfacht außerdem den Mehrwert der Investitionen und sorgt für eine breitere Verteilung des Nutzens.

2.14.

Der EWSA begrüßt die erhöhte Flexibilität, die der Vorschlag der Kommission bei der Anpassung der Fonds und Programme an unvorhergesehene Ereignisse vorsieht. Die vorgeschlagene Verknüpfung der länderspezifischen Empfehlungen mit dem Programmplanungszeitraum und der Halbzeitüberprüfung ist für die Wirksamkeit der Fonds von großer Bedeutung. Es sollte jedoch genau darauf geachtet werden, ob es zu häufig zu Änderungen kommt, da diese den Charakter der Programmplanung leicht verzerren können. Darüber hinaus wird durch den Vorschlag, die Ressourcen nur in den letzten zwei Jahren zeitlich einzuplanen, ihre Inanspruchnahme wahrscheinlich aus Zeitgründen erschwert.

2.15.

Der EWSA begrüßt die von der Kommission im geplanten MFR 2021-2027 gegenüber dem MFR 2014-2020 vorgeschlagene Anhebung des Prozentsatzes, der den Klimaschutzzielen zugewiesen werden soll, auf 30 % des EFRE und 37 % des Kohäsionsfonds. Angesichts der großen Bedeutung dieses Ziels und der Fähigkeit beider Fonds, zur Verwirklichung dieses Ziels beizutragen, ist der EWSA der Ansicht, dass eine noch größere Anhebung in Erwägung gezogen werden sollte.

2.16.

Bei der Begründung der vorgeschlagenen Ausgaben für die Klimaschutzziele stützt sich die Kommission auf die Nachhaltigkeitsziele. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission erwägen sollte, die vorgeschlagene Verordnung und ihre fünf vorgeschlagenen Prioritäten für die Programmplanung und die Umsetzung der Fonds noch stärker an den Nachhaltigkeitszielen auszurichten. Zu diesem Zweck sollte sichergestellt werden, dass auch die sozialen und wirtschaftlichen Perspektiven der Nachhaltigkeitsziele in die Verordnung aufgenommen werden.

2.17.

Die Kommission legt ein Multi-Level-Governance-Modell vor, bei dem die zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten geteilte Mittelverwaltung der Programme hervorgehoben und den Mitgliedstaaten mehr direkte Verantwortung übertragen wird. Des Weiteren sind die Zuständigkeiten nun klarer voneinander abgegrenzt, und der Beitrag der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft (9) wurde ausgeweitet. Es müssen jedoch starke Garantien und besondere Maßnahmen eingesetzt werden, um die Sozialpartner und die zivilgesellschaftlichen Organisationen dazu zu befähigen, eine zentrale Rolle als Vermittler zu spielen und Projekte effizienter zu entwickeln und näher an die Endbegünstigten zu bringen.

2.18.

Der EWSA betont, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen und andere Interessenträger bei der Überwachung der Kohäsionspolitik auf EU-Ebene stärker als Partner anerkannt, beteiligt und einbezogen werden müssen. Der EWSA weist darauf hin, dass dieses Defizit auf EU-Ebene vom EWSA auf sehr proaktive, inklusive und effektive Weise angegangen werden könnte. Der EWSA schlägt daher die Einrichtung eines Kohäsionsforums der europäischen Zivilgesellschaft zur Überwachung der Kohäsionspolitik vor. Der EWSA ist bereit, den Betrieb dieses Forums vollumfänglich zu unterstützen.

2.19.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Kommission sich dazu entschieden hat, den herkömmlichen Ansatz der technischen Hilfe zu ändern und das zur Lenkung dieser Hilfe verwendete vorrangige Ziel zu streichen. Stattdessen sieht der Vorschlag zur Deckung der Ausgaben im Rahmen der technischen Hilfe einen allgemeinen Pauschalsatz von 2,5 % aus jedem Programm zusätzlich zu 100 % der Investition vor. Andere Investitionen, die als technische Hilfe eingestuft werden, können bei Bedarf über diesen Satz von 2,5 % hinaus auch kofinanziert werden. Der EWSA begrüßt diesen vereinfachten Ansatz. Die Kommission hat nicht nur dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Vorrang eingeräumt und die Flexibilität und die Partnerschaftsstruktur verbessert, sie hat sich auch dafür entschieden, die Höhe der Zuweisung für die institutionelle Kapazität von Partnern, darunter die Zivilgesellschaft vertretende Organisationen, nicht zu begrenzen.

2.20.

Der EWSA lehnt den Vorschlag ab, die N+3-Regel zu N+2 zu ändern, und fordert die Kommission auf, ihr Vorhaben zu überdenken. Mit dem diesbezüglichen Ansatz für Flexibilität sollte stärker auf die Bedürfnisse jener Länder, Regionen, Unterregionen, lokalen Gemeinschaften und Interessenträger eingegangen werden, die bei der Umsetzung der Programme die größten Schwierigkeiten haben, und der Umsetzungsprozess an die Kapazitäten der einzelnen Mitgliedstaaten und die in ihnen vorherrschenden Bedingungen angepasst werden. Die Wiedereinführung der N+2-Regel erfordert außerdem eine effizientere Programmplanung und Umsetzung, da für die Ausgabenbescheinigung ein Jahr weniger Zeit ist.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die spezifischen Ziele des EFRE und des Kohäsionsfonds (Artikel 2) Bereiche wie die Sozialwirtschaft und die Barrierefreiheit von Infrastruktur sowie Dienstleistungen für alle EU-Bürger umfassen sollten und dass auf Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte und Inseln gemäß Artikel 174 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gesondert Bezug genommen werden sollte.

3.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Anhänge I und II entsprechend überarbeitet werden sollten, um die genannten Bereiche als gemeinsame Output- und Ergebnisindikatoren sowie Leistungsindikatoren auszudrücken.

3.3.

Der EWSA erkennt zwar an, dass PZ1 und PZ2 politische Ziele mit einem hohen Mehrwert darstellen, weist jedoch darauf hin, dass das Festlegen sehr hoher Prozentsätze in diesen beiden Bereichen für alle drei regionalen Gruppen die Effizienz des EFRE und des Kohäsionsfonds bei der Behandlung von PZ3 bis PZ5 beeinträchtigen würde. Er fordert die Kommission daher auf, die Anforderungen an die thematische Konzentration (Artikel 3 Absatz 4) zu überprüfen, um die Bemühungen zur wirksamen Bekämpfung sozialer Ungleichheiten wie Armut und Diskriminierung in ein Gleichgewicht zu bringen. Dies ist erforderlich, um ein integratives Wachstum zu erzielen.

3.4.

Der EWSA hebt die Tatsache hervor, dass die Stadtentwicklung eng mit der Modernisierung und Erneuerung der lokalen Infrastruktur und der Dienstleistungen vor Ort verbunden ist, und begrüßt daher die Einbindung einer Europäischen Stadtinitiative in den EFRE im Zusammenhang mit der EU-Städteagenda. Er empfiehlt der Kommission jedoch nachdrücklich, mehr finanzielle Unterstützung für diese Initiative zu gewähren und sie gleichzeitig bereichsübergreifend zu gestalten, sodass sie die drei Säulen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung umfasst, beispielsweise im Hinblick auf die Entwicklung intelligenter und gut zugänglicher Städte.

3.5.

Der EWSA begrüßt die Einbindung der Bedingung 4 zur horizontalen Befähigung, wonach für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nationale Rahmenwerke erforderlich sind. Dennoch ist er folgender Ansicht:

3.5.1.

Da die EU Vertragspartei der UN-Behindertenrechtskonvention ist und diese daher von der EU umgesetzt werden muss, ist es angezeigt, diese Konvention als Rechtsgrundlage in die vorgeschlagene Verordnung über den EFRE und den Kohäsionsfonds aufzunehmen.

3.5.2.

Die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen, einschließlich der Barrierefreiheit von Waren, Dienstleistungen und Infrastruktur, sollte in den Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung aufgenommen und als zwingendes Kriterium für die Finanzierung von Projekten in jedem abgedeckten Bereich festgelegt werden. Der EWSA empfiehlt daher nachdrücklich, den Erwägungsgrund 5 der vorgeschlagenen Verordnung über den EFRE und den Kohäsionsfonds — „Die Mitgliedstaaten sollten außerdem ihren Verpflichtungen aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nachkommen und Zugänglichkeit im Einklang mit deren Artikel 9 sowie dem Unionsrecht zur Vereinheitlichung der Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen sicherstellen.“ — in den Hauptteil der Verordnung aufzunehmen.

3.5.3.

Im Besitzstand der Union hat sich in Form von Artikel 7 der aktuellen Dachverordnung (10) und Artikel 16 der Dachverordnung 2007-2013 bei der Programmplanung und der Umsetzung der Fonds ein horizontaler Ansatz bei der Förderung von Gleichheit, Nichtdiskriminierung und Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen herausgebildet. Der EWSA empfiehlt daher mit Nachdruck, Artikel 7 der Dachverordnung 2014-2020 in die neue vorgeschlagene Dachverordnung zu übernehmen.

3.6.

Der EWSA bedauert, dass die im MFR 2014-2020 erstmalig für den EFRE aufgenommene Zielsetzung, den Übergang von der Heimpflege zur Betreuung in der lokalen Gemeinschaft zu unterstützen, in der vorgeschlagenen Verordnung nicht weiterverfolgt wird. In Artikel 2 Buchstabe d der vorgeschlagenen Verordnung wird einer Verbesserung der sozioökonomischen Integration „durch integrierte Maßnahmen, einschließlich Wohnungsbau und soziale Dienstleistungen“ besondere Bedeutung zugeschrieben. Diese Bestimmung ist zwar wichtig, aber es ist nicht sicher, ob dieses spezifische Ziel ausreicht, um sicherzustellen, dass Menschen, insbesondere die am meisten benachteiligten, durch gezielte Investitionen in die Deinstitutionalisierung in die Gemeinschaft integriert werden. Angesichts der Tatsache, dass Investitionen des EFRE für die soziale Inklusion von entscheidender Bedeutung sind, schlägt der EWSA vor, dafür zu sorgen, dass der EFRE nur in Dienste investiert, die die soziale Inklusion unterstützen, und dass die Nutzung von Mitteln für den Bau und die Renovierung segregationsfördernder Betreuungs- und Pflegeheime aus der Förderung durch den EFRE und den Kohäsionsfonds ausgeschlossen wird. Es ist äußerst wichtig, dass sowohl der positive Anreiz als auch die negative Verpflichtung in der vorgeschlagenen Verordnung beibehalten und gestärkt werden.

3.7.

Obwohl vorgeschlagen wird, dass ein Drittel der Mittel aus dem ESF+ zur Unterstützung der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte verwendet werden sollte, ist der EWSA der festen Überzeugung, dass die Mittel aus dem EFRE vorwiegend zur effektiven Unterstützung der Umsetzung von PZ4 genutzt werden sollten. Der EWSA empfiehlt daher ausdrücklich, mindestens 10 % der Mittel für PZ4 des EFRE bereitzustellen und damit die regionale Initiative für soziale Nachhaltigkeit zu etablieren, um die soziale Inklusion und Barrierefreiheit systematisch und kohärent zu fördern.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 372 final — 2018/0197 (COD), COM(2018) 372 final — ANHANG I, COM(2018) 372 final — ANHANG II.

(2)  COM(2018) 375 final.

(3)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Mehrjährigen Finanzrahmen nach 2020 (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 106).

(4)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Mehrjährigen Finanzrahmen nach 2020 (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 106).

(5)  Artikel 7 der Dachverordnung 2014-2020 wurde gestrichen, da die Kommission sich dafür entschieden hat, eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Auswahl von Projekten in Artikel 67 des Vorschlags für eine Dachverordnung für den MFR 2021-2027 aufzunehmen. In Artikel 67 wird Barrierefreiheit jedoch in keiner Weise erwähnt.

(6)  Mit dem Vorschlag für eine thematische Konzentration des EFRE werden die Mitgliedstaaten nach ihrem BNE in drei Gruppen eingeteilt: in „Gruppe 1“ fallen Mitgliedstaaten mit einem Bruttonationaleinkommen von 100 % des EU-Durchschnitts oder mehr, in „Gruppe 2“ solche mit einem Bruttonationaleinkommen von 75 % bis 100 % des EU-Durchschnitts und in „Gruppe 3“ die mit einem Bruttonationaleinkommen von unter 75 % des EU-Durchschnitts sowie Gebiete in äußerster Randlage in Bezug auf ihre Programme für das Ziel „Investitionen in Beschäftigung und Wachstum“. Für die unterschiedlichen regionalen Gruppen werden folgende Anforderungen an die thematische Konzentration vorgeschlagen: Mitgliedstaaten der „Gruppe 1“ weisen mindestens 85 % ihrer gesamten Mittel dem PZ1 und dem PZ2 und mindestens 60 % dem PZ1 zu, Mitgliedstaaten der „Gruppe 2“ weisen mindestens 45 % ihrer Mittel den Prioritäten unter PZ1 und mindestens 30 % dem PZ2 zu, und Mitgliedstaaten der „Gruppe 3“ weisen mindestens 35 % ihrer Mittel dem PZ1 und mindestens 30 % dem PZ2 zu.

(7)  SEC(2018) 268.

(8)  COM(2018) 391 — 2018/0213 (COD).

(9)  Dies schließt Umweltpartner und Einrichtungen ein, die sich mit der Förderung sozialer Inklusion, der Grundrechte, der Rechte von Menschen mit Behinderung, der Gleichstellung von Frauen und Männern und Nichtdiskriminierung nach Artikel 6 des Vorschlags für eine Dachverordnung befassen.

(10)  Verordnung (EU) Nr. 1301/2013.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/97


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Offenlegung von Informationen über nachhaltige Investitionen und Nachhaltigkeitsrisiken sowie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/2341“

(COM(2018) 354 final — 2018/0179 (COD))

(2019/C 62/15)

Berichterstatter:

Carlos TRIAS PINTÓ

Befassung

Rat der Europäischen Union, 6.7.2018

Europäisches Parlament, 5.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

174/7/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Finanzakteure tragen zum Übergang der europäischen Wirtschaft zu einem umweltfreundlicheren und widerstandsfähigeren Kreislaufsystem bei, sofern sie die ESG-Kriterien (1) wie folgt einbeziehen:

in die Beratung von Endanlegern, indem sie nach ihren Präferenzen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit fragen;

in die Gestaltung oder Auswahl eines Portfolios finanzieller Vermögenswerte;

in die transparente Offenlegung und glaubwürdige Begründung der Entscheidungen;

in die vorvertraglichen Ex-ante- Informationen über die Einbeziehung von Risiken und ihre erwarteten Auswirkungen;

in die regelmäßigen Berichte durch die Angabe der Gesamtnachhaltigkeitswirkung von Finanzprodukten mittels relevanter Nachhaltigkeitsindikatoren.

1.2.

Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG(2) und das Übereinkommen von Paris über den Klimawandel bilden die zentralen Säulen des gemeinsamen Strebens nach Nachhaltigkeit, während der Aktionsplan der Europäischen Kommission für ein nachhaltiges Finanzwesen (3) diese neue Architektur nochmals untermauert.

1.3.

Der Ausgangspunkt besteht darin, schrittweise und auf der Grundlage strenger wissenschaftlicher Erkenntnisse festzulegen, welche Tätigkeiten nachhaltig sind. Dazu wird während des gesamten Projektzyklus eine Methodik der Kosten-Nutzen-Analyse angewandt, mit der die externen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Effekte bewertet werden.

1.4.

Angefangen mit dem Faktor „E“ (der ESG-Kriterien) müssen die international vereinbarten sozialen Garantien (4) eingehalten (5) und die europäische Säule sozialer Rechte (6) respektiert werden. Nach Ansicht des EWSA sollte sich der Schutz bis „G“ erstrecken, ohne die verantwortungsvolle Steuerverwaltung (in Unternehmen und Institutionen) außer Acht zu lassen.

1.5.

Der EWSA lobt die Ausgestaltung des Aktionsplans. In der vorliegenden Stellungnahme geht es schwerpunktmäßig um die Maßnahmen zur Umlenkung der Kapitalströme auf nachhaltige Investitionen. Somit wirkt sie sich umfassend auf die treuhänderischen Pflichten der Kapitalmarktakteure aus, deren schwächstes Glied, der Endanleger, seine Präferenzen hinsichtlich der Nachhaltigkeit und seine fundierten Anlageentscheidungen aufeinander abstimmen kann. Sowohl die neu vorgeschlagene Verordnung als auch die Überarbeitung der Richtlinie sorgen bei der Entwicklung des Aktionsplans für mehr Solidität, Kohärenz und Wirksamkeit.

1.6.

Viele sprechen vom Momentum , um aus der Notwendigkeit eine Tugend zu machen: nämlich das „Europa der Werte“ zu stärken, indem in Sachen Nachhaltigkeit die Zügel in die Hand genommen werden. In diesem Sinne spricht sich der EWSA nachdrücklich für die Gestaltung von nachhaltigen europaweiten Finanzprodukten aus, da er der Überzeugung ist, dass diese dazu dienen werden, Europa voranzubringen und besser zu machen.

1.7.

Der EWSA befürwortet den Vorschlag der Kommission, eine Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen einzurichten, die sich aus Experten sowohl aus dem öffentlichen als auch aus dem privaten Sektor zusammensetzt. Auch der EWSA sollte dieser Plattform angehören.

1.8.

Schließlich unterstreicht der EWSA das Erfordernis, die Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner am gesamten Prozess sicherzustellen.

2.   Hintergrund

2.1.   Allgemeiner Rahmen: Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums

2.1.1.

Auf dem langen Weg zur Vollendung der Finanzunion ging es bei der Halbzeitbewertung der Kapitalmarktunion schwerpunktmäßig um die Mobilisierung der europäischen Ersparnisse durch die Förderung nachhaltiger Privatinvestitionen. Im Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums, den die Kommission am 8. März 2018 vorlegte, wurde ein intelligenter und genauer Fahrplan zur Erfüllung dieser Verpflichtung festgelegt.

2.1.2.

Der EWSA hat diese Initiative, deren zehn vor Ende 2019 umzusetzende Maßnahmen eine Abfolge konsistenter und ineinandergreifender Schritte darstellen, sehr begrüßt.

2.1.3.

Der Vorschlag zur Änderung des Rechtsrahmens, der Gegenstand dieser Stellungnahme ist, hängt mit der treuhänderischen Funktion der Finanzakteure zusammen.

2.1.4.

Er bezieht sich insbesondere auf Maßnahme 7 des Aktionsplans, in der die Einbeziehung der Nachhaltigkeit in die Anlageportfolios und ihre korrekte Offenlegung an Maßnahme 4 über die Beratung des Endanlegers anschließt. Teilweise wirkt er sich auch auf Maßnahme 9 aus, da es eine unabdingbare Voraussetzung ist, dass die Unternehmen hochwertige und harmonisierte Unternehmensinformationen nicht-finanzieller Art herausgeben.

2.1.5.

Parallel dazu wird der EWSA im Rahmen dieser ersten kohärenten Maßnahmenrunde des Aktionsplans zur Taxonomie (Maßnahme 1) und zu den Nachhaltigkeitsbenchmarks (Maßnahme 5) Stellung nehmen (7).

2.2.   Nachhaltigkeitsanforderungen an institutionelle Anleger und Vermögensverwalter

2.2.1.

Es wird eine Verordnung über die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten in den Entscheidungsprozess und die Offenlegung von Informationen in Bezug auf nachhaltige Investitionen und Nachhaltigkeitsrisiken vorgeschlagen. Diese geht mit der Änderung der Richtlinie (EU) 2016/2341 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) sowie der delegierten Rechtsakte der Europäischen Kommission zur kohärenten Anpassung der Richtlinien MIFID II und IDD mit Unterstützung durch die Aufsichtsbehörden einher.

2.2.2.

Es geht darum, sicherzustellen, dass Vermögensverwalter, institutionelle Anleger, Versicherungsvertreiber und Anlageberater im Rahmen ihrer Pflicht, im besten Interesse der Anleger oder Begünstigten zu handeln, ökologische, soziale und governancebezogene Kriterien (ESG) in ihre Anlageentscheidungen (Maßnahme 7) und Beratung (Maßnahme 4) einbeziehen.

2.2.3.

Vermögensverwalter und institutionelle Anleger müssten offenlegen, inwieweit ihre Investitionen auf diese Nachhaltigkeitsziele abgestimmt sind, und regelmäßig anhand von Ad-hoc-Wirkungsindikatoren über die nicht-finanzielle Rendite der Investitionen Bericht erstatten. Für die Endanleger bedeutet dies mehr Transparenz: Sie können auf der Grundlage von vergleichbaren Produkten, die frei von Greenwashing bzw. sozialem Greenwashing sind, hinreichend fundierte Entscheidungen treffen.

2.2.4.

Die vorgeschlagene Verordnung gilt für Vermögensverwalter (8), institutionelle Anleger (Versicherungsunternehmen, die Solvabilität II unterliegen, und Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, die unter EbAV II fallen), Versicherungsvertreiber, die der Richtlinie über den Versicherungsvertrieb (IDD) unterliegen, Anlageberater und Verwalter einzelner Portfolios, die MiFID II unterliegen.

2.2.5.

Die vorgeschlagenen Regelungen gelten für alle angebotenen Finanzprodukte und die von den vorstehend genannten Körperschaften erbrachten Dienstleistungen (Verwaltung und Beratung im Hinblick auf Portfolios), unabhängig davon, ob das Ziel, in Nachhaltigkeit zu investieren, verfolgt wird oder nicht.

2.2.6.

Ein Index der EU für CO2-arme Investitionen oder für Investitionen mit günstiger CO2-Bilanz würde als Referenzwert nur für diejenigen Produkte bzw. Dienstleistungen festgelegt, deren Ziel niedrige CO2-Emissionen sind. Dementsprechend gelten andere Indizes für Produkte bzw. Dienstleistungen, mit denen Ziele im Hinblick auf ökologische und/oder soziale Auswirkungen verfolgt werden.

2.2.7.

So berücksichtigen die Anleger bei der Bewertung der Rendite ihrer langfristigen Investitionen die Abdeckung von Nachhaltigkeitsrisiken und erfüllen die sogenannten „treuhänderischen Pflichten“ im besten Interesse ihrer Endanleger bzw. Begünstigten.

2.2.8.

In gleicher Weise wird der Finanzsektor bei der Anpassung an die Risiken des Klimawandels und die ökologischen, sozialen und governancebezogenen Herausforderungen eine zentrale Rolle spielen, indem er die privaten Kapitalströme mittels Auswahl geeigneter Aktivitäten, Projekte und Unternehmen schrittweise auf nachhaltige Investitionen umlenkt.

2.2.9.

Die EU wird ihrerseits die öffentlichen Mittel aufstocken, um Privatinvestitionen zu fördern. Insbesondere wird im Rahmen des erweiterten und gestärkten Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI 2.0), der seit dem 31. Dezember 2017 in Kraft ist, ein in klimatischer Hinsicht intelligentes Investitionsziel von 40 % vorgeschlagen; ferner wird der Fonds auch im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) 2021-2027 weiter von Aufstockungen profitieren.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Beim Übergang zu nachhaltigeren und inklusiveren Volkswirtschaften tragen ein ausgewogener Umgang mit den ESG-Risiken und eine angemessene Anpassung der Akteure des Finanzsystems zu einer systemischen Finanzstabilität bei.

3.2.

Im Rahmen des Aktionsplans der Europäischen Kommission hat der EWSA kürzlich ganz allgemein zu den treuhänderischen Pflichten der institutionellen Anleger und der Vermögensverwalter in Bezug auf die Nachhaltigkeit Stellung genommen (9).

3.3.

Genauer gesagt setzt der EWSA auf die Aufnahme von Finanzprodukten im Zusammenhang mit Renten in die neue Taxonomie und die Benchmarks — sie können den langfristigen Investitionen des EFSI 2.0 und des künftigen, im Rahmen des MFR 2021-2027 vorgesehenen Fonds „InvestEU“ zugeordnet werden.

3.4.

So könnten sich die künftigen „europaweiten privaten Altersvorsorgeprodukte“ (PEPP) angesichts des großen Werts eines langfristigen Finanzmittelstroms zu einem nachhaltigen Vorzeigeprodukt entwickeln, das gleichzeitig vielfältigen Herausforderungen der europäischen Gesellschaft Rechnung trägt — kurz gesagt: Sicherung des künftigen Wohlergehens der Menschen bei gleichzeitiger Finanzierung solider nachhaltiger Infrastrukturen. Nach Auffassung des EWSA wäre das die Standard-Anlageoption, die den PEPP-Sparern die Möglichkeit bieten sollte, das angelegte Kapital zurückzuerhalten, auch mit subsidiärer institutioneller Unterstützung durch die Europäische Union (10).

3.5.

Neben der Mobilisierung des internen Sparkapitals muss Europa auch für Anleger attraktiver werden. Über die mit nachhaltigen Investitionen verbundenen Anreize hinaus wird durch zahlreiche Studien belegt, dass die Anleger Zugang zu den größeren Kapitalmärkten suchen, da auf diesen normalerweise höhere Investitionsrenditen erzielt werden.

3.6.

Bei einer Integration der Kapitalmärkte sollten auch Reformen und Anreize zur Förderung nachhaltiger europaweiter individueller und kollektiver Altersvorsorgepläne vorgesehen werden, vorausgesetzt es wird gleichzeitig ein solides öffentliches Rentensystem gewährleistet, indem die aktuelle Sozialversicherungs-Mitgliederbasis erweitert wird. Die öffentlichen Rententräger sollten dazu angehalten werden, bei ihren Reservemitteln, falls vorhanden, ebenfalls auf nachhaltige Investitionen zu setzen.

3.7.

Darüber hinaus hat der EWSA betont, dass es ein grundlegender Bestandteil der rechtlichen Pflichten der Finanzmittlerdienste ist, proaktiv mit den Kunden zu interagieren, um ihnen klare Informationen über die möglichen finanziellen Risiken und den Nutzen der Einbeziehung von ESG-Kriterien zur Verfügung zu stellen. Bei Kleinanlegern ist zu prüfen, ob sie die übermittelten Informationen genau verstanden haben.

3.8.

Deshalb unterstützt der EWSA auch die Anpassung der MiFID II und der Richtlinie über den Versicherungsvertrieb und befürwortet, dass die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) zu einem späteren Zeitpunkt Präferenzen für Nachhaltigkeit in ihre Leitlinien zur Bewertung der Eignung aufnimmt. Insbesondere und unbeschadet der Hauptziele dieser Richtlinien zur Gewährleistung des Anlegerschutzes muss geprüft werden, wie die Nachhaltigkeitspräferenzen der Anleger in diese Rechtsvorschriften integriert werden können, damit Finanzberater geeignete Empfehlungen zu Finanzprodukten aussprechen können, die so weit wie möglich Präferenzen der Kunden und Eignung berücksichtigen.

3.9.

Schließlich begrüßt der EWSA die gleichzeitige kohärente Überprüfung des Europäischen Finanzaufsichtssystems, um finanziell wesentliche Nachhaltigkeitsrisiken (11) in die Aufgaben der Finanzaufsicht auf Mikroebene einzubeziehen, und ist der Ansicht, dass die derzeitigen Kapital- und Liquiditätsanforderungen im Einklang mit diesen neuen Faktoren sorgfältig abzuwägen sind.

3.10.

Abschließend möchte der EWSA ein weiteres Mal sein tiefes Bedauern zum Ausdruck bringen, dass es nicht einmal den fortschrittlichsten Ländern gelungen ist, das Geschlechtergefälle zu beseitigen. Diesbezüglich bietet ein nachhaltiges Finanzwesen wirksame Lösungen: Investitionen mit einer Geschlechterperspektive (12) (gender-lens investing) können beispielsweise Investitionen in Unternehmen, deren Eigentümer Frauen sind, in Unternehmen, die seit jeher auf die Beschäftigung von Frauen setzen, oder in Unternehmen, die anhand ihrer Produkte und Dienstleistungen das Leben von Frauen und Mädchen verbessern, umfassen.

3.11.

Darüber hinaus versuchen laut The Boston Consulting Group sowohl Millennials als auch Frauen immer öfter, ihre finanziellen Ziele und Anlageziele an ihren Werten auszurichten, ohne dadurch ihre Renditeerwartungen zu senken. Mit anderen Worten: Sie suchen nach einer zusätzlichen Werteinheit, die über die finanzielle Rendite hinausgeht.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA erachtet es als angemessen, dass Artikel 114 AEUV die Rechtsgrundlage für diese Verordnung bildet, da es darum geht, gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den verschiedenen Akteuren des Finanzwesens zu erhalten und gleichzeitig ein hohes Niveau an Verbraucherschutz (für die Endanleger) sicherzustellen.

4.2.   Vorschlag für eine Verordnung

4.2.1.

Der EWSA unterstützt die mittels dieser Verordnung erfolgende Harmonisierung der Regeln, die institutionelle Anleger und Vermögensverwalter während des Anlageprozesses befolgen müssen unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsfaktoren und -risiken sowie der Transparenzanforderungen, durch die der objektive Vergleich zwischen nachhaltigen Finanzprodukten möglich wird. Zudem unterstreicht er die wichtige Rolle, die die Aufsichtsbehörden bei der Ausgestaltung der technischen Normen für das Verfahren der Zusammenstellung und Offenlegung der Informationen spielen werden, wofür sie eine fachspezifische Beratung benötigen.

4.2.2.

Der EWSA begrüßt die umfassenden Begriffsbestimmungen in Artikel 2 und hebt positiv hervor, dass die Aspekte Umwelt, Soziales und Governance, die ihren Niederschlag bei der Entwicklung der neuen Taxonomie finden werden, gemeinsam betrachtet werden. Dieser regulatorische Ansatz spiegelt sich in Absatz (o) wieder, ausgehend von der Überlegung, dass sich nachhaltige Investitionen nicht nur auf die in Artikel 2 Unterabsatz i) des Verordnungsvorschlags über die neue Taxonomie (13) genannten Umweltziele stützen, sondern auch die Unterabsätze ii) und iii) erfüllen müssen, die sich auf Soziales und Governance beziehen. Diese Bestimmungen wurden festgelegt, um die Erfüllung der Informationspflicht derjenigen Marktakteure, die bereits soziale und governancebezogene Kriterien in ihre Anlageportfolios einbeziehen, zu erleichtern, und der EWSA ist der Auffassung, dass sie im Wortlaut als Garantien für die „umweltfreundliche Taxonomie“ festzuhalten sind.

4.2.3.

Der EWSA unterstützt, dass alle Akteure die Kriterien für die Einbeziehung finanziell wesentlicher Nachhaltigkeitsfaktoren (14) zusammen mit den finanziellen Risiken, die mit ihrem Produktkatalog verbunden sind, im Internet veröffentlichen. Dies ist jedoch nur dann von Nutzen, wenn die Informationen so weit wie möglich standardisiert sind und gleichzeitig von allen Akteuren der Anlagekette aktualisiert werden.

4.2.4.

Die vorvertraglichen Informationen sind äußerst wichtig und müssen eindeutig, relevant, objektiv und vergleichbar sein. Es gilt, die spezifischen Informationen für jede Produktfamilie zu typisieren und die Wirkungsindikatoren und/oder die Referenzwerte, einschließlich der Berechnungsmethode, eindeutig anzugeben.

4.2.5.

Und schließlich unterstützt der EWSA auch die Vorschriften zur Information der Endanleger über die Auswirkungen ihrer Investitionen. Gleichzeitig fordert er die jeweils zuständige europäische Aufsichtsbehörde auf, genau zu überwachen, ob die Anforderungen der Regelmäßigkeit, Aktualisierung und Bereitstellung objektiver Informationen erfüllt werden, und sicherzustellen, dass sie mit den Vermarktungsstrategien für jedes Produkt übereinstimmen.

4.3.   Vorschlag zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/2341

4.3.1.

Der EWSA unterstützt, dass sich sämtliche delegierten Rechtsakte zur Einbeziehung von ESG-Kriterien in die Richtlinien, die institutionelle Anleger und Vermögensverwalter betreffen, aus dem Vorsichtsprinzip ableiten und folglich einen zuverlässigen und sicheren Rahmen für eine Anlagepolitik bieten, die für gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den Akteuren und ein hohes Niveau an Verbraucherschutz sorgt.

4.3.2.

Deshalb befürwortet er die Überarbeitung dieser Richtlinie, um sie an die anderen Richtlinien und die von dieser Verordnung betroffenen Fonds anzugleichen.

4.4.   Delegierte Rechtsakte (MIFID II und Richtlinie über den Versicherungsvertrieb)

4.4.1.

Diese Rechtsakte beziehen sich auf Maßnahme 4 des Aktionsplans und sollen der Angleichung an Maßnahme 7 im Sinne einer ineinandergreifenden regulatorischen Kohärenz dienen. Der EWSA unterstützt die vorgesehenen Änderungen an den vorherigen delegierten Rechtsakten, um so sicherzustellen, dass der Endanleger auf angemessene Weise nach seinen Nachhaltigkeitspräferenzen gefragt wird, was sich wiederum eindeutig in den Empfehlungen des Beraters widerspiegeln muss.

4.5.

Darüber hinaus möchte der EWSA, neben seiner Unterstützung der ersten Schritte, die die Kommission im Rahmen des mit dem Aktionsplan verbundenen Fahrplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums unternimmt, folgende Bemerkungen machen:

4.5.1.

Die Erfahrungen und die empirischen Erkenntnisse, die Finanzakteure, die bereits auf ethischen Werten basierende Bankgeschäfte betreiben, einbringen, müssen unbedingt genutzt werden, und folglich muss die Europäische Kommission den geordneten und systematischen Beitrag von Marktpraktiken steuern, da es sich dabei um einen Schlüsselfaktor für den richtigen Aufbau der neuen Taxonomie handelt.

4.5.2.

Im Rahmen der neuen Verfahren für eine „bessere Rechtsetzung“ muss eine stärkere Interaktion zwischen der Europäischen Kommission und den wesentlichen Interessenträgern gefördert werden: persönliche oder virtuelle Treffen, Fachworkshops, neue Instrumente usw. Die Aufgaben der technischen Sachverständigengruppe für ein nachhaltiges Finanzwesen und anderer Ad-hoc-Gruppen, die an den delegierten Rechtsakten der Kommission beteiligt sind, sowie das gegenwärtige Konsultationsverfahren, dessen Reichweite weiterhin gering ist, dürfen dadurch allerdings nicht beeinträchtigt werden.

4.5.3.

Bei den Bemühungen zur Vollendung der Kapitalmarktunion ist es entscheidend, den Zusammenfluss öffentlicher und privater Mittel zu fördern und dafür die verschiedenen Wege zur Umlenkung der Kapitalströme zu schaffen und verschiedene Quellen zusammenzuführen, um für eine nachhaltige Koinvestition (Stiftungen, Verbände, Geber, Crowdinvesting usw.) zu sorgen. In diesem Sinne müssen der Grundsatz der Nichtdiskriminierung angewendet, grenzübergreifende Hindernisse und verwaltungstechnische Hürden im Einklang mit den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten beseitigt und die steuerliche Behandlung harmonisiert werden.

4.5.4.

Nach Auffassung des EWSA sind die Kosten für die Einbeziehung der Nachhaltigkeit in die Vermögensverwaltungsportfolios vertretbar und zwar auch für kleinere Akteure, die diese leicht ausgleichen können, da sie aufgrund eines gestiegenen Ansehens mehr Umsatz generieren.

4.5.5.

Maßnahme 9 des Aktionsplans (Stärkung der Vorschriften zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen) sollte den KMU die Vermittlung hochwertiger Informationen zur Nachhaltigkeit erleichtern und damit die Mobilisierung nachhaltiger Finanzmittel erhöhen.

4.5.6.

Die größte Besorgnis gilt den Compliance-Maßnahmen, die allgemein sehr technokratisch und für Unternehmen mit geringeren Mitteln geradezu erdrückend sind. Die Aufsichtsbehörden (insbesondere die ESMA und die EIOPA) sollten nur die relevanten Informationen anfordern und so die Aufgabe der Übermittlung von Daten und Begründungen erleichtern.

4.5.7.

Der EWSA befürwortet die Frist von zwölf Monaten für die Anwendung der Verordnung, da für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (15) die Anwendung innerhalb von nur sechs Monaten abgeschlossen werden konnte.

4.5.8.

Abschließend fragt sich der EWSA, ob es aufgrund der im Rahmen der Initiative „Bessere Rechtsetzung“ gewonnenen Erfahrung nicht unverhältnismäßig ist, für die Überprüfung der Anwendung dieser Verordnung eine Frist von bis zu 60 Monaten festzusetzen.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Ökologische, soziale und governancebezogene Kriterien.

(2)  Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) wurden auf der Konferenz der Vereinten Nationen über die nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahr 2012 entwickelt.

(3)  COM(2018) 97 final.

(4)  Insbesondere die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte, die Charta der Grundrechte der EU und die Arbeitsnormen der ILO.

(5)  Gemeinsame Verpflichtung im Rahmen des Dialogs zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission (auch als Trilog bezeichnet).

(6)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Europäische Säule sozialer Rechte“ (ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10).

(7)  EWSA-Stellungnahme ECO/467 — Nachhaltiges Finanzwesen: Taxonomie und Referenzwerte (siehe Seite 103 dieses Amtsblatts).

(8)  Diese unterliegen der Richtlinie über Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere (OGAW) und der Richtlinie über Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM), Europäische Risikokapitalfonds (EuVECA) und Europäische Fonds für soziales Unternehmertum (EuSEF).

(9)  EWSA-Stellungnahme ECO/456 — Nachhaltige Finanzierung (Mitteilung) (siehe Seite 73 dieses Amtsblatts).

(10)  Dazu müssen die Provisionen, die die Anbieter und Vermittler von PEPP erhalten, begrenzt und Mindeststandards für die steuerliche Harmonisierung geschaffen werden.

(11)  Beim Rahmen der Wesentlichkeitskriterien werden diejenigen Faktoren untersucht, die für die Finanzergebnisse eines Unternehmens am relevantesten sind, auch die finanziell wesentlichen Nachhaltigkeitsfaktoren.

(12)  Dazu erklären Sarah Kaplan und Jackie VanderBurg von U.S. Trust, dass bei Frauen, die Unternehmen gründen und expandieren, weltweit insgesamt eine Kreditlücke von geschätzt 320 Mrd. USD besteht.

(13)  COM(2018) 353 final.

(14)  Beim Rahmen der Wesentlichkeitskriterien werden diejenigen Faktoren untersucht, die für die Finanzergebnisse eines Unternehmens am relevantesten sind, auch die finanziell wesentlichen Nachhaltigkeitsfaktoren.

(15)  Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/103


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen“

(COM(2018) 353 final — 2018/0178 (COD))

und „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/1011 in Bezug auf Referenzwerte für CO2-arme Investitionen und Referenzwerte für Investitionen mit günstiger CO2-Bilanz“

(COM(2018) 355 final — 2018/0180 (COD))

(2019/C 62/16)

Berichterstatter:

Daniel MAREELS

Befassung

Rat der Europäischen Union, 6.7.2018

Europäisches Parlament, 5.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

182/0/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Vorschläge zur Taxonomie (1), die einen ersten Schritt zur Umsetzung des Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums darstellen. Damit wird festgelegt, wann von „ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten“ gesprochen werden kann, wodurch es wiederum möglich ist, „ökologisch nachhaltige Investitionen“ zu definieren, und darum geht es letztendlich.

1.2.

Der EWSA begrüßt auch den Vorschlag bezüglich der Einführung neuer Referenzwerte für CO2-arme Investitionen und für Investitionen mit günstiger CO2-Bilanz.

1.3.

Hinsichtlich der Ziele des Aktionsplans ist es von größter Bedeutung, von Anfang an ein solides Fundament für alle weiteren Fortschritte zu schaffen. Die Taxonomie erfüllt diese Aufgabe, und der EWSA unterstützt nachdrücklich die Entscheidung, mit ihrer Entwicklung zu beginnen.

1.4.

Dieses Fundament muss zudem auch im Einklang mit den ehrgeizigen Zielen des Aktionsplans stehen, demzufolge „Europa […] durchaus in der Lage [ist], diese Führungsposition auf globaler Ebene einzunehmen“. Nun geht es darum, diesem Anspruch gerecht zu werden und die Taxonomie entsprechend umzusetzen.

1.5.

Es ist überaus wichtig, dass die gesamte EU hier mit einer Stimme spricht und einen einheitlichen Ansatz verfolgt. Die europäische Taxonomie muss daher geeignet sein, die bestehenden individuellen und uneinheitlichen Ansätze in den Mitgliedstaaten zu überwinden und zu ersetzen. Wo immer möglich, gilt es, sich auf bestehende internationale Rahmenbedingungen zu stützen.

1.6.

Dies wäre auch gut für den Binnenmarkt, insbesondere um in der gesamten EU Finanzmittel für nachhaltige Investitionen zu mobilisieren. Tatsächlich werden die Kosten für die Marktteilnehmer sinken und Anleger größere Wahlmöglichkeiten bekommen.

1.7.

Der Aktionsplan und seine Umsetzung bringen große Herausforderungen mit sich. Es geht hier um ein sich stark und ständig wandelndes Umfeld. Die Taxonomie ist deshalb auch als ein entwicklungsfähiges Instrument zu begreifen, das regelmäßig evaluiert und angepasst werden muss.

1.8.

In Anbetracht der obigen Ausführungen teilt der EWSA die Ansicht, dass der in den Vorschlägen gewählte mehrstufige und umsichtige Ansatz prioritär sein sollte. Es empfiehlt sich, mit einer begrenzten Anzahl von Bereichen und rechtlichen Verpflichtungen zu beginnen.

1.9.

Wie bereits erwähnt, beziehen sich die aktuellen Vorschläge auf ökologische Aspekte. Aus einer ganzheitlichen Perspektive fordert der EWSA jedoch weiterhin, auf die Gesamtkohärenz zu achten. Es ist zwar erfreulich, dass in den Bereichen Soziales und Governance Mindestschutzvorschriften eingehalten werden müssen, doch sind weitere Schritte angezeigt. Die Herausforderung für die Zukunft besteht darin, die Ausweitung auf die Ziele der sozialen Nachhaltigkeit und der Governance voranzutreiben.

1.10.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Festlegung einer stark ausdifferenzierten EU-Taxonomie. Es gilt, Sicherheit und Klarheit darüber zu schaffen, welche Tätigkeiten wirklich ökologisch nachhaltig sind, und Zweifel daran von vornherein auszuräumen.

1.11.

Ebenso wichtig ist die Praxistauglichkeit der Taxonomie. Diese kommt auch Verbrauchern und Anlegern zugute. Ferner wird die Entscheidung, die Taxonomie nur dann anzuwenden, wenn sie stabil und ausgereift ist, nachdrücklich unterstützt.

1.12.

Bei der Taxonomie ist auch die Anwendung durch Unternehmen zu berücksichtigen, denn sie werden ja in hohem Maße für den „echten“ Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft verantwortlich sein. Ein Ansatz, der die Unterschiede zwischen den Sektoren und die Größe der Unternehmen berücksichtigt, ist sicher angebracht. Genauso wichtig ist es, dass der Wettbewerb durch die Mobilisierung von Finanzmitteln für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten nicht verzerrt wird.

1.13.

Gleichzeitig muss die Taxonomie sowohl in einem breiten, internationalen als auch in einem lokalen Kontext angewendet werden können. Für den EWSA muss ganz klar nicht nur verhindert werden, dass diese Maßnahmen zu sehr auf große Unternehmen zugeschnitten werden, sondern auch dafür gesorgt werden, dass sie den KMU zugutekommen.

1.14.

Es ist positiv, dass die europäischen Aufsichtsbehörden bei der Schaffung der EU-Taxonomie eine Schlüsselrolle spielen. Die Taxonomie muss für alle Finanzinstitute nutzbar und auf alle Finanzprodukte anwendbar sein, während sie gleichzeitig auch für alle betreffenden Unternehmen praktikabel bleiben muss. Darüber hinaus ist auf die Vereinbarkeit mit den Finanzvorschriften der EU zu achten. Der zusätzliche regulatorische und aufsichtsrechtliche Aufwand und die damit einhergehenden Kosten sind auch mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so gering wie möglich zu halten.

1.15.

Für den EWSA sind zudem Informationen und Kommunikation von entscheidender Bedeutung. Folglich ist es nach Ansicht des EWSA dringend geboten, den Fokus auf Informationen und die Kommunikation mit allen Beteiligten, einschließlich dem operativen Unternehmensumfeld, und der breiten Öffentlichkeit zu legen. Es könnte ein Plan ausgearbeitet werden, um alle Interessenträger und die Öffentlichkeit so umfassend wie möglich zu informieren und mit ihnen in Dialog zu treten, sodass ein „Buy-in“ entsteht. Auch Informationen und Schulungen zu Finanzfragen wären dabei sinnvoll. Auf die Menschen kommt es an!

2.   Hintergrund (2)

2.1.

International wurde mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (2015) und dem Klimaübereinkommen von Paris (2016) ein bedeutender Wandel in der Einstellung zu Klimawandel und Umweltverschmutzung angestoßen. Kurz: Es wurde weltweit eine Entscheidung zugunsten einer nachhaltigeren Umwelt getroffen.

2.2.

Zwar hat die EU auch schon vorher entsprechende Initiativen ergriffen, aber seit der Annahme der genannten internationalen Texte ist Bewegung in die Sache gekommen. Im Übrigen erfordert dieser Übergang zur Nachhaltigkeit umfassende Anstrengungen und Investitionen. Allein im Bereich Klima und Energie werden Zahlen in Höhe von 180 Mrd. EUR pro Jahr genannt.

2.3.

So wurde im Jahr 2016 eine hochrangige Sachverständigengruppe eingerichtet, um die EU-Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen auszuarbeiten. Diese schlug u. a. zwei Initiativen im Zusammenhang mit dem europäischen Finanzsystem vor:

2.3.1.

Die erste zielt auf die Verbesserung des Beitrags des Finanzsystems zu einem nachhaltigen und integrativen Wachstum ab;

2.3.2.

die zweite betrifft die Verbesserung der Finanzstabilität durch die Einbeziehung von Faktoren der Bereiche Umwelt, Soziales und Governance (ESG) in Investitionsentscheidungen.

2.4.

Ferner hat die hochrangige Sachverständigengruppe acht Empfehlungen als nachhaltige Bausteine für ein nachhaltiges Finanzsystem ausgesprochen. Dazu gehört die Frage der Bereitstellung eines technisch robusten Klassifizierungssystems auf EU-Ebene, auch „Taxonomie“ genannt, um zu klären, was unter „grün“ und „nachhaltig“ genau zu verstehen ist. Auf diese Weise lässt sich feststellen, wann eine Wirtschaftstätigkeit „ökologisch nachhaltig“ ist.

2.5.

Im Anschluss an die Arbeiten der hochrangigen Sachverständigengruppe veröffentlichte die Kommission im Frühjahr 2018 einen Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. Darin wurden u. a. die aktuellen Vorschläge vorgestellt.

2.6.

Mit diesen Vorschlägen vom 24. Mai 2018 (3) werden folgende Ziele angestrebt:

2.6.1.

Schaffung der Grundlagen für eine Taxonomie, wie oben erwähnt. Dadurch lässt sich zudem feststellen, was „nachhaltige Investitionen“ sind;

2.6.2.

Festlegung eindeutiger Leitlinien für Anleger. Diese Leitlinien, die sich insbesondere an bestimmte Akteure des Finanzsystems richten, sollen für Klarheit und Kohärenz in der Frage sorgen, wie Risiken in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG-Risiken) in Investitionsentscheidungen und die Anlegerberatung einbezogen werden können;

2.6.3.

mehr Transparenzverpflichtungen für bestimmte Akteure des Finanzsystems, u. a. in Bezug auf die Art und Weise, wie sie die unter Ziffer 2.6.2 genannten Leitlinien in die vorgenannten Entscheidungen und Beratungsleistungen integrieren. Zudem müssen sie nachweisen, wie sie ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen.

2.6.4.

Einführung neuer Referenzwerte für CO2-arme („low carbon“) Investitionen und Referenzwerte für Investitionen mit günstiger CO2-Bilanz („positive carbon impact“), die von ihren Entwicklern angepasst werden müssen, um ihren Nutzern diesbezüglich Sicherheit zu bieten.

3.   Bemerkungen und Kommentare

3.1.

Der EWSA begrüßt die aktuellen Vorschläge, die einen ersten Schritt zur Umsetzung des Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums darstellen. In erster Linie bedeutet das die Schaffung einer Taxonomie. Damit wird festgelegt, wann von „ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten“ gesprochen werden kann. Dadurch wiederum ist es möglich, „ökologisch nachhaltige Investitionen“ zu definieren, und darum geht es letztlich.

3.2.

Übrigens sind diese Vorschläge bei weitem nicht die einzigen, die zur Erreichung dieses Ziels beitragen. Ganz im Gegenteil handelt es sich hierbei um eine ausgesprochen komplexe Angelegenheit, für die zahlreiche Maßnahmen und Initiativen ergriffen werden müssen. Einige liegen bereits auf dem Tisch, andere sind in naher oder fernerer Zukunft zu erwarten.

3.3.

Hinsichtlich der Ziele des Aktionsplans ist es von größter Bedeutung, von Anfang an für ein solides Fundament zu sorgen, das als Grundlage für alle weiteren Fortschritte dienen kann. Die Taxonomie erfüllt diese Aufgabe, und der EWSA unterstützt nachdrücklich die Entscheidung, mit ihrer Entwicklung zu beginnen. In erster Linie kommt es darauf an, zu verstehen, was wirklich „grün“ und „nachhaltig“ ist.

3.4.

Dieses Fundament muss zudem auch im Einklang mit den ehrgeizigen Zielen stehen, die im Aktionsplan niedergelegt sind. Darin heißt es unter anderem: „Europa ist durchaus in der Lage, diese Führungsposition auf globaler Ebene einzunehmen“. Nun geht es darum, dementsprechend zu handeln und die Taxonomie entsprechend umzusetzen.

3.5.

Es ist somit wichtig, dass die Taxonomie unantastbar ist und von allen einschlägigen Interessenträgern anerkannt wird. Ist dies nicht der Fall, besteht die Gefahr negativer Folgen für alle zukünftigen Entwicklungen und für die Erreichung der gesetzten Ziele. Derartige Schwachstellen sind unbedingt zu vermeiden.

3.6.

Die europäische Taxonomie muss daher auch geeignet sein, die bestehenden individuellen und uneinheitlichen Ansätze in den Mitgliedstaaten zu überwinden und zu ersetzen. Das heißt aber nicht, dass die bisherigen positiven Erfahrungen umsonst sind. Wo immer möglich, sollte davon Gebrauch gemacht werden. In diesem Zusammenhang ist es zudem wichtig, dass die Taxonomie sich auf bestehende internationale Rahmenregelungen stützt.

3.7.

Schließlich ist es unabdingbar, dass die gesamte EU hier mit einer Stimme spricht und den gleichen Ansatz verfolgt. Dies ist auch gut für den Binnenmarkt, da es dadurch leichter wird, in der gesamten EU Finanzmittel für nachhaltige Investitionen zu mobilisieren. Tatsächlich werden die Kosten für die Marktteilnehmer sinken, da sie sich nicht mehr an die unterschiedlichen Normen in den verschiedenen Mitgliedstaaten halten müssen. Darüber hinaus haben die Anleger eine größere Auswahl und können leichter grenzüberschreitend investieren.

3.8.

Wie zurecht im Aktionsplan festgestellt wird, ist „der Stand der Wissenschaft rund um das Thema Nachhaltigkeit […] dynamisch und entwickelt sich ebenso weiter wie die gesellschaftlichen Erwartungen sowie die Bedürfnisse von Investoren und Märkten“ (4). Die Taxonomie ist daher als ein entwicklungsfähiges Instrument zu begreifen, das regelmäßig evaluiert und gegebenenfalls angepasst und/oder korrigiert werden muss. Es kommt darauf an, rasche Fortschritte zu erzielen, aber nichts zu überstürzen.

3.9.

In Anbetracht der obigen Ausführungen teilt der EWSA die Ansicht, dass ein mehrstufiger und umsichtiger Ansatz Vorrang erhalten muss. Dies gilt auch für die Umsetzung der verschiedenen im Aktionsplan niedergelegten Maßnahmen und Ziele.

3.10.

Daher ist es sinnvoll, mit einer begrenzten Anzahl von Bereichen (5) und zunächst auch nur mit einer begrenzten Anzahl von rechtlichen Verpflichtungen zu beginnen (6). Dadurch haben alle die Möglichkeit, sich mit dem neuen Ansatz vertraut zu machen und die notwendige Erfahrung zu sammeln. Im Übrigen handelt es sich hier um ein sich rasch entwickelndes Umfeld, und es ist zu bedenken, dass ein wirtschaftlicher Übergangsprozess immer eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Eine regelmäßige Evaluierung der erreichten Ergebnisse und der erzielten Fortschritte ist folglich ebenso zu empfehlen. Der EWSA begrüßt, dass diese alle drei Jahre erfolgen soll.

3.11.

Im Einklang mit obigen Ausführungen unterstützt der EWSA den Ansatz, der in den aktuellen Vorschlägen hinsichtlich der ökologischen Dimension verfolgt wird. Aus einer ganzheitlichen Perspektive fordert er jedoch weiterhin, auf die Gesamtkohärenz zu achten. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass die in der europäischen Säule sozialer Rechte verankerten Grundsätze Berücksichtigung finden und die Wirtschaftstätigkeit sowohl unter Einhaltung internationaler sozialer und arbeitsrechtlicher Mindestschutzvorschriften als auch von Rechnungslegungsstandards erfolgen muss. Gleichzeitig ist festzustellen, dass es bei den erstgenannten Vorschriften um einen Mindestschutz geht und somit weitere Schritte unternommen werden müssen. Ebenso ist es von Bedeutung, die Ausweitung auf die Ziele der sozialen Nachhaltigkeit und der Governance voranzutreiben.

3.12.

Zugleich kommt es darauf an, von Anfang an ein Höchstmaß an Klarheit und Sicherheit anzustreben. Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Festlegung einer stark ausdifferenzierten EU-Taxonomie. Auf diese Weise lässt sich jederzeit genau feststellen, welche Tätigkeiten wirklich ökologisch nachhaltig sind, und von vornherein jeglicher Zweifel ausräumen. Dadurch wird es auch einfacher, den Beitrag zur Erreichung der ökologischen Ziele zu messen und abzubilden. Dies ist nicht nur an und für sich von Bedeutung, sondern auch im Hinblick auf künftige Entwicklungen.

3.13.

Ebenso wichtig wie Klarheit und Sicherheit ist die Praxistauglichkeit der Taxonomie und aller darauf aufbauenden Entscheidungen, denn es werden unterschiedliche Interessenträger, die oftmals keine Spezialisten sind, davon betroffen sein. Sie müssen geschult werden, damit sie dieselbe „Sprache“ sprechen. Auch werden Unternehmen nicht immer die gleiche Perspektive haben wie Akteure des Finanzsektors.

3.14.

Der Rechtsrahmen muss daher auch auf die Bedürfnisse der Unternehmen zugeschnitten sein; dabei müssen ihre Tätigkeiten und die Tatsache, dass sie am Ende der Kette stehen, berücksichtigt werden. Außerdem muss er sowohl in einem breiten und internationalen Kontext als auch durch kleine Unternehmen in einem lokalen Kontext Anwendung finden können. Angesichts der großen Unterschiede zwischen den Unternehmen ist hier ein sektorspezifischer Ansatz angebracht. Für den EWSA steht fest, dass diese Maßnahmen auch den KMU zugutekommen müssen und dies umso mehr, als sie das Rückgrat der europäischen Wirtschaft bilden. Daher ist es notwendig, dass die Kriterien auch skalierbar sind.

3.15.

Bei der Mobilisierung von Finanzmitteln für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten ist es notwendig, eine Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Unternehmen zu vermeiden. Die technischen Evaluierungskriterien müssen so festgelegt werden, dass alle betroffenen wirtschaftlichen Tätigkeiten in einer Branche als ökologisch nachhaltig qualifiziert und gleichbehandelt werden können, wenn sie in gleichem Maße zur Erreichung der festgesetzten Umweltziele beitragen. In diesem Zusammenhang weist der EWSA insbesondere auf die Herausforderungen hin, die sich bei der Harmonisierung der technischen Bewertungskriterien verschiedener wirtschaftlicher (Teil-)Sektoren und der Vertraulichkeit der Daten ergeben werden.

3.16.

Ebenfalls im Kontext der Praxistauglichkeit begrüßt der EWSA, dass die Arbeiten des Ausschusses für Regulierungskontrolle weitestgehend Berücksichtigung gefunden haben. Folglich wird die Anpassung der Texte dahingehend, dass die Taxonomie nur dann anzuwenden ist, wenn sie stabil und ausgereift ist, befürwortet.

3.17.

Ebenso und mit Blick auf die Vereinbarkeit mit den europäischen Rechtsvorschriften im Finanzbereich ist zu begrüßen, dass die europäischen Aufsichtsbehörden (ESA (7)) bei der Schaffung der EU-Taxonomie eine Schlüsselrolle spielen werden. Damit soll sichergestellt werden, dass diese von Finanzinstituten nutzbar und auf Finanzprodukte anwendbar ist. Vor diesem Hintergrund ist zu empfehlen, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zugunsten kleiner und lokaler Institute zu berücksichtigen. Insgesamt sind die zusätzlichen regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Aufwendungen und Kosten so gering wie möglich zu halten.

3.18.

Es sei darauf hingewiesen, dass die Berücksichtigung der Praxistauglichkeit nicht nur den Unternehmen und den Akteuren des Finanzsystems, sondern auch den Verbrauchern und Anlegern zugutekommt. Auch sie werden davon profitieren. Denn sie können so noch mehr Sicherheit und Klarheit im Hinblick auf die nachhaltigen Investitionen erhalten, die sie tätigen bzw. für die ihre Mittel eingesetzt werden.

3.19.

Auch im weiteren Sinne ist die Berücksichtigung vorgenannter Grundsätze der Sicherheit, der Klarheit und der Praxistauglichkeit gerechtfertigt, um die Erfolgsaussichten und die Chancen für eine wirksame und vollständige Verwirklichung der Ziele des Aktionsplans zu maximieren.

3.20.

Der EWSA begrüßt zudem die Einführung neuer Referenzwerte für CO2-arme Investitionen und für Investitionen mit günstiger CO2-Bilanz. Dadurch, dass sie die bestehende Fragmentierung beseitigen, tragen sie zum besseren Funktionieren des Binnenmarkts bei und erhöhen durch mehr und bessere Informationen den Schutz und die Transparenz zugunsten der Anleger. Darüber hinaus werden diese Referenzwerte zu einer Zunahme und Verbesserung der Klimadaten von Unternehmen und einer verbesserten Vergleichbarkeit dieser Daten führen. Sie können auch einen wichtigen Beitrag zu Projekten und Investitionen leisten, die zur Erreichung der Klimaziele des Übereinkommens von Paris beitragen.

3.21.

Für den EWSA sind ferner Informationen und Kommunikation von entscheidender Bedeutung. Die Erreichung der Ziele des Aktionsplans und alle diesbezüglichen Schritte können auch auf andere Weise erheblich vorangetrieben werden. Folglich ist es nach Ansicht des EWSA dringend geboten, den Fokus auf Informationen und die Kommunikation mit allen Beteiligten und der breiten Öffentlichkeit zu legen. Es könnte ein Plan ausgearbeitet werden, um alle Interessenträger so umfassend wie möglich zu informieren und mit ihnen in Dialog zu treten, sodass ein „Buy-in“ entsteht, durch den alle Beteiligten im Hinblick auf die Erreichung der Ziele zu Partnern werden. Auch Informationen und Schulungen zu Finanzfragen wären dabei sinnvoll. Auf die Menschen kommt es an!

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 97 final.

(2)  Der Abschnitt „Hintergrund“ stützt sich weitgehend auf den Verordnungsvorschlag und den Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums — COM(2018) 97 final.

(3)  COM(2018) 353 final und COM(2018) 355 final.

(4)  COM(2018) 353 final, S. 7.

(5)  Insbesondere dem ökologischen Bereich; erst später sollten andere Bereiche, wie der soziale Bereich, hinzukommen.

(6)  Ein Beispiel wäre Artikel 4 des Verordnungsentwurfs.

(7)  Die entsprechenden Behörden sind besser bekannt unter der englischen Abkürzung ESA, die für „European Supervisory Authorities“ steht.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/108


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/83/EWG zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke“

(COM(2018) 334 final — 2018/0173 (CNS))

dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems

(Neufassung)“

(COM(2018) 346 final — 2018/0176 (CNS))

dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einführung eines EDV-gestützten Systems zur Beförderung und Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren

(Neufassung)“

(COM(2018) 341 final — 2018/0187 (COD))

und dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 389/2012 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern in Bezug auf den Inhalt elektronischer Verzeichnisse“

(COM(2018) 349 final — 2018/0181 (CNS))

(2019/C 62/17)

Berichterstatter:

Jack O’CONNOR

Befassung

Europäisches Parlament, 5.7.2018

Rat der Europäischen Union, 13.6.2018

Europäische Kommission, 25.5.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 113 und 114 AEUV

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

193/0/9

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die in diesem Paket von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die gesteckten Ziele, d. h. mehr Sicherheit und Klarheit bezüglich des Umgangs mit bestimmten alkoholischen Erzeugnissen, Erleichterung des grenzüberschreitenden Handels durch optimierte und modernisierte Systeme sowie weniger Verwaltungsaufwand und rechtliche Hürden für Kleinunternehmen, damit weitgehend erreicht werden.

1.2.

Der EWSA ist sich bewusst, dass die Verbrauchsteuern insbesondere auf alkoholische Erzeugnisse in den einzelnen Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße zu den Steuereinnahmen beitragen. Darüber hinaus gibt es Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bezüglich der kulturellen Bindung an bestimmte Erzeugnisse, der sozialen Ziele (z. B. im Bereich der Gesundheit) und der Ziele bei der Förderung von Unternehmen (z. B. Förderung von Kleinunternehmen, Innovation). Daher ist es ein Leitprinzip, einen möglichst großen Ermessensspielraum zu gewähren, damit die Mitgliedstaaten die auf alkoholische Erzeugnisse erhobenen Verbrauchsteuern den nationalen Bedürfnissen und Zielen im Bereich der Steuerstruktur sowie ihren kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen anpassen können. Der EWSA begrüßt, dass dieses Prinzip in den vorgeschlagenen Änderungen beachtet wurde.

1.3.

Der EWSA unterstützt die in dem Überarbeitungspaket enthaltenen Maßnahmen, die darauf abzielen, die Klarheit und Kohärenz der Begriffsbestimmungen zu erhöhen (z. B. rechtlich und wirtschaftlich unabhängig, Most usw.), den Zugang zu grenzüberschreitendem Handel für Kleinerzeuger durch eine Verringerung des Verwaltungsaufwands zu vereinfachen und ihn mithilfe aktualisierter IT-Systeme zu modernisieren und das Verfahren und die Bedingungen für denaturierten Alkohol zu präzisieren. Mit diesen Maßnahmen wird die administrative und rechtliche Unsicherheit sowohl der Mitgliedstaaten als auch der Wirtschaftsbeteiligten reduziert, wodurch Kosten gesenkt und Hindernisse beseitigt werden. Darüber hinaus sollte ein Bericht über die Lage auf dem illegalen Markt für Spirituosen in Auftrag gegeben werden.

1.4.

Zwei Bereiche geben Anlass zu Besorgnis. Zunächst der Vorschlag, den unteren Schwellenwert für den ermäßigten Steuersatz auf Bier von 2,8 % vol. auf 3,5 % vol. anzuheben. Auch wenn dies als gesundheitliche Maßnahme deklariert wird, ist zu befürchten, dass hierdurch genau umgekehrt der Alkoholkonsum zunehmen könnte. Da dies jedoch fakultativ dem Ermessen der Mitgliedstaaten überlassen würde, unterstützt der EWSA den Vorschlag, fordert aber eine Überprüfung innerhalb von fünf Jahren, um die Auswirkungen in denjenigen Mitgliedstaaten zu bewerten, die von diesem Vorschlag Gebrauch machen.

1.4.1.

Zweitens schlägt die Kommission eine Rationalisierung des Verfahrens zur Messung von Grad Plato des „Fertigerzeugnisses“ bei Bier vor, mit der Begründung, dass die Messung am Ende des Brauvorgangs durchgeführt werden sollte. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat die geltende Richtlinie kürzlich so ausgelegt, dass die Grad Plato zum Zwecke der Erhebung von Verbrauchsteuern vor der Zugabe von Zucker oder Süßungsmitteln zu messen sind. Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass dieses Verfahren in nur drei Mitgliedstaaten angewandt wird. So würden elf Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ihr Verfahren zu ändern (die restlichen Mitgliedstaaten verwenden die Plato-Methode nicht). Deshalb unterstützt der EWSA die Vorschläge der Kommission in der Annahme, dass durch die eingeführten Änderungen die geringsten Störungen verursacht werden. Auf diese Weise würden nur drei Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ihr Verfahren zu ändern.

2.   Zusammenfassung der Kommissionsvorschläge

2.1.

Die Vorschläge der Kommission bestehen aus zwei Teilen. Zum einen die vorgeschlagene Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/83/EEG zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke und zum anderen die vorgeschlagene Richtlinie des Rates zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems. Es gibt zwei weitere Vorschläge administrativer Art zur Unterstützung der in der Richtlinie des Rates zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems enthaltenen Vorschläge. Dies sind der Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 389/2012 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern in Bezug auf den Inhalt elektronischer Verzeichnisse und der Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einführung eines EDV-gestützten Systems zur Beförderung und Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Neufassung).

2.2.

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/83/EWG: Der Kommissionsvorschlag befasst sich mit vier Bereichen: i) Behandlung von denaturiertem Alkohol, ii) ermäßigte Steuersätze für Kleinerzeuger und Klassifizierung bestimmter alkoholischer Getränke, iii) alkoholische Getränke mit niedrigem Alkoholgehalt und iv) Messung von Grad Plato bei gesüßtem oder aromatisiertem Bier.

2.2.1.

Behandlung von denaturiertem Alkohol: Gegenwärtig mangelt es an Kohärenz bei der gegenseitigen Anerkennung von vollständig denaturiertem Alkohol zwischen den Mitgliedstaaten, zudem werden die indirekten Verwendungszwecke von teilweise denaturiertem Alkohol unterschiedlich ausgelegt. Die Kommission schlägt vor, (a) die Bedingungen für die gegenseitige Anerkennung von vollständig denaturiertem Alkohol klarzustellen und die Verfahren für die Meldung neuer Rezepturen für vollständig denaturierten Alkohol durch die Mitgliedstaaten zu modernisieren, (b) die Gleichbehandlung von teilweise denaturiertem Alkohol für indirekte Verwendungszwecke sicherzustellen und (c) festzulegen, dass bei der Beförderung von teilweise denaturiertem Alkohol mit einem vorhandenen Alkoholgehalt von 90 % vol. oder mehr und von alkoholhaltigen Halbfertigerzeugnissen das System zur Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ECMS) angewendet werden muss.

2.2.2.

Ermäßigte Steuersätze für Kleinerzeuger und Klassifizierung alkoholischer Getränke: Die Mitgliedstaaten können Kleinerzeugern von Bier und Ethylalkohol ermäßigte Steuersätze gewähren. Die Kleinerzeuger müssen „rechtlich und wirtschaftlich unabhängig“ sein; was jedoch nicht hinreichend definiert wird. Die Folgen sind Unsicherheit und Verwaltungs- bzw. Gerichtskosten. Zudem können die Mitgliedstaaten die ermäßigten Steuersätze nicht bei Kleinerzeugern anderer alkoholischer Getränke anwenden. Dadurch werden kleine Mosterzeuger benachteiligt. Die Kommission schlägt vor, (a) den Begriff „rechtlich und wirtschaftlich unabhängig“ zu definieren und eine EU-weit einheitliche Bescheinigung für kleine Brauereien und Mosterzeuger (1), sowie (b) fakultative ermäßigte Steuersätze für kleine unabhängige Mosterzeuger (2) einzuführen.

2.2.3.

Alkoholische Getränke mit niedrigem Alkoholgehalt: Die Mitgliedstaaten können bei Getränken mit niedrigem Alkoholgehalt ermäßigte Steuersätze anwenden. Dies ist nur für einige alkoholische Erzeugnisse (z. B. Bier) von Bedeutung. Die Kommission schlägt vor, den Schwellenwert von 2,8 % vol. auf 3,5 % vol. anzuheben (3). Es wurde vorgebracht, dass der Schwellenwert für Bier mit niedrigem Alkoholgehalt zu niedrig sei, worunter die Produktinnovation leide und wodurch es nur geringe Anreize gäbe, diesen Produktionsbereich weiter auszubauen. Dies wiederum habe zur Folge, dass die Verbraucher nicht zu Bier mit niedrigem Alkoholgehalt wechseln, was den gesundheitspolitischen Zielen schade.

2.2.4.

Messung von Grad Plato bei gesüßtem oder aromatisiertem Bier: Die Verbrauchsteuer bei Bier wird in 14 EU-Mitgliedstaaten unter Bezugnahme auf Grad Plato des „Fertigerzeugnisses“ erhoben. Dabei wird in elf Mitgliedstaaten die Messung am Ende des Brauvorganges durchgeführt, wohingegen in den drei anderen Mitgliedstaaten die Messung vor der Zugabe von Zuckersirup oder Aromastoffen erfolgt. (In den restlichen EU-Mitgliedstaaten wird nicht Grad Plato, sondern vielmehr der vorhandene Alkoholgehalt in % vol. gemessen.) Der Begriff „Fertigerzeugnis“ wird in der Richtlinie nicht definiert, was drei unterschiedliche Interpretationen zur Folge hat. Dies führt zu uneinheitlichen Messungen und somit zu unterschiedlichen Verbrauchsteuersätzen für Erzeugnisse mit mitunter gleichem Alkoholgehalt. Zudem sei die Kontrolle aufwendig, da es aufgrund der drei unterschiedlichen Interpretationen unterschiedliche Vorschriften für die Messung von Grad Plato gebe (z. B. vorgeschriebene Kontrolle in der Brauerei anstatt Kontrolle des abgefüllten Erzeugnisses). Der Gerichtshof der Europäischen Union (4) hat die geltende Richtlinie so ausgelegt, dass die Grad Plato noch vor dem Ende des Verfahrens zu messen sind, und diese hinzugefügten Stoffe somit von der Messung ausgenommen. Die Kommission schlägt vor, die Bestimmung bezüglich der Messung der Grad Plato von Bier zu präzisieren, insbesondere was den Zeitpunkt der Messung von Grad Plato anbelangt (5). Dabei wird die Messung am Ende des Verfahrens angestrebt (d. h. unter Berücksichtigung aller zugesetzten Stoffe). Dadurch wird die Definition des Begriffs „Fertigerzeugnis“ erfolgreich präzisiert.

2.3.

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems (Neufassung). Dieses zweite Maßnahmenpaket enthält Maßnahmen technischer Natur, mit denen die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren optimiert werden soll. Die Verbrauchsteuer- und Zollverfahren sind nicht immer koordiniert oder synchronisiert, was zu Problemen bei der Ein- und Ausfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren führt. In manchen Fällen sind die Verbrauchsteuerverfahren umständlich oder je nach Mitgliedstaat stark unterschiedlich. Darüber hinaus werden Verfahren der Steueraussetzung aufgrund des hohen steuerlichen Risikos, das mit dem Besitz und der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung einhergeht, überwiegend von großen Unternehmen genutzt. KMU nutzen Verfahren, die für Kleinsendungen und eine geringe Zahl von Beförderungen besser geeignet, jedoch mit einem höheren Verwaltungsaufwand pro Beförderung verbunden sind. Dies führt zu zusätzlichen Verwaltungs- und Befolgungskosten und zusätzlichem Aufwand, sowohl für Unternehmen als auch für nationale Behörden. Grund hierfür ist, dass bestimmte Verfahrensschritte von Hand ausgeführt werden müssen und Vorschriften unterliegen, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind. Hinzu kommt, dass diese Schritte Gelegenheit zur Steuerhinterziehung bieten. Die Kommission schlägt eine Reihe von Maßnahmen vor, mit denen diese Verfahren optimiert und vereinfacht werden sollen. Die Maßnahmen betreffen die Koordinierung der Verfahren bei der Ein- und Ausfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren, B2B-Verfahren für bereits versteuerte Waren und außergewöhnliche Situationen.

2.3.1.

Einfuhrverfahren: Es gibt keine einheitlichen Dokumentationsanforderungen für die Beantragung einer Verbrauchsteuerbefreiung bei der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr. Eine Verbrauchsteuerbefreiung bei der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr kann geltend gemacht werden, wenn die Waren vom Einfuhrort im Rahmen des Systems zur Beförderung und Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (EMCS) weiterbefördert werden sollen. Im Unterschied zu den Regelungen für die Mehrwertsteuerbefreiung bei der Einfuhr von EU-internen Lieferungen gibt es jedoch keine einheitlichen Anforderungen dahingehend, welche Nachweise vorzulegen sind. Die Kommission schlägt vor, eine Verpflichtung einzuführen, wonach der Versender und der Empfänger angegeben werden müssen (die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, eine Identifizierung der Beförderung der verbrauchsteuerpflichtigen Waren zu verlangen).

2.3.2.

Ausfuhrverfahren: Es gibt keine harmonisierte Synchronisierung zwischen dem EMCS und dem Ausfuhrkontrollsystem (ECS). Die Beförderungen müssen von Hand abgeschlossen werden, für ungültig erklärte Ausfuhren werden nicht an das EMCS gemeldet. Dies kann zu erhöhtem Verwaltungsaufwand für Unternehmen (z. B. Verzögerungen bei der Freigabe von Sicherheiten), Betrugsfällen und Marktverzerrungen führen. Die Kommission schlägt vor, eine Verpflichtung einzuführen, wonach der Versender der verbrauchsteuerpflichtigen Waren und der administrative Referenzcode (ARC) der Beförderung im Rahmen des EMCS angegeben werden müssen. Um die Synchronisierung zu verbessern, wird außerdem die Pflicht eingeführt, außergewöhnliche Situationen auf der Ausfuhrseite an das EMCS zu melden (z. B. wenn Waren das Gebiet der EU nicht verlassen haben oder eine Anmeldung für ungültig erklärt wurde).

2.3.3.

Angleichung der Versandverfahren: Zusätzlich zur Kombination aus EMCS und ECS werden noch andere Verfahren genutzt, um die Ausfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren zu überwachen. Dies sind das externe und das interne Versandverfahren und der einzige Beförderungsvertrag. Diese Verfahren erleichtern den Wirtschaftsbeteiligten die Ausfuhrvorgänge, da bei ihrer Anwendung das Ausfuhrverfahren zu Beginn des Versands beendet und die Beförderung somit im Rahmen des EMCS abgeschlossen werden kann. Die Anwendung dieser vereinfachten Ausfuhrverfahren hat jedoch zu einer Reihe von Komplikationen geführt, darunter unzureichender Nachweis der Verbrauchsteuerbefreiung, Fehlen eines Nachweises für den physischen Ausgang der Waren, Freigabe der Sicherheiten noch vor dem tatsächlichen Ausgang der Waren und unzureichende Überwachung. Dies könnte Anlass zu Betrug geben und rechtliche Unsicherheiten bewirken, die bei den Unternehmen zu Schwierigkeiten und Verwirrung führen. Momentan ist es rechtlich nicht möglich, Bewegungen verbrauchsteuerpflichtiger Waren abzuschließen, indem das Versandverfahren eröffnet wird. Die Kommission schlägt vor, den Wirtschaftsbeteiligten die Anwendung eines vereinfachten Verfahrens für die Ausfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren zu ermöglichen. Hierbei würde nach der Ausfuhr das externe Versandverfahren angewendet, anstatt das EMCS bis zur Außengrenze zu nutzen. Damit wäre einerseits für eine angemessene Verwaltung von Sicherheitsleistungen gesorgt und andererseits würde verhindert, dass Waren an den Bestimmungsorten verschwinden, da die Waren, die mit Beginn des externen Versandverfahrens zu Nicht-EU-Waren werden, bis zum Ausgang aus dem Zollgebiet unter zollamtlicher Überwachung stünden.

2.3.4.

B2B-Verfahren für bereits besteuerte Waren: Das Verfahren für die Beförderung von bereits versteuerten Waren (B2B) ist nach wie vor papiergestützt. Es wird von KMU genutzt, da hierbei kein Steuerlager für den Versand oder Empfang benötigt wird. Das Verfahren ist jedoch veraltet, unübersichtlich und mühsam. Die Kommission schlägt vor, diese Beförderungen zu automatisieren, indem der Anwendungsbereich des EMCS ausgeweitet wird. Unterstützt werden soll die Automatisierung durch die Einführung zweier neuer Kategorien, der des zertifizierten Versenders und der des zertifizierten Empfängers. Dies wird die Verfahren vereinfachen, die Kosten für die KMU senken und zu mehr Effizienz führen.

2.3.5.

Außergewöhnliche Situationen: Mit außergewöhnlichen Situationen sind verschiedene unvorhergesehene Ereignisse gemeint, z. B. der Fall, dass die an einem Bestimmungsort ankommende Warenmenge kleiner (dazu zählen auch natürliche Verluste wie etwa bei der Verdunstung von Benzin) oder höher ist als die beim Versand angemeldete Menge, oder der Fall, dass sich der Empfänger weigert, die Verantwortung für die Waren zu übernehmen, oder auch die offizielle Stornierung einer Beförderung. Diese Situationen sind rechtlich nicht im Einzelnen geregelt, was dazu führt, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Verfahren für die Beurteilung von Fehlmengen und Schwellenwerten für zulässige Verluste und für die Bearbeitung von Ablehnungen anwenden. Dies kann zu Komplexität und Verwirrung führen. Bestehende Richtlinien stellen bereits jetzt sicher, dass Mengen mithilfe einheitlicher Verfahren gemessen werden. Die Kommission räumt ein, dass sie die nationalen Behörden besser über die entsprechenden Richtlinien informieren muss. Sie schlägt jedoch auch neue Maßnahmen zur Standardisierung der zulässigen Schwellenwerte für Verluste vor.

2.4.

Es gibt zwei weitere Vorschläge administrativer Art zur Unterstützung der in der Richtlinie des Rates zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems enthaltenen Vorschläge.

2.4.1.

Der Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 389/2012 des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Verbrauchsteuern in Bezug auf den Inhalt elektronischer Verzeichnisse betrifft die Automatisierung der Überwachung der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt wurden und die in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befördert werden, um dort zu gewerblichen Zwecken geliefert zu werden.

2.4.2.

Der Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einführung eines EDV-gestützten Systems zur Beförderung und Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Neufassung) ist ein Begleitdokument zu der Verordnung des Rates und setzt die Automatisierung der Überwachung der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren um.

3.   Bemerkungen

3.1.   Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 92/83/EWG

3.1.1.

Behandlung von denaturiertem Alkohol (siehe Ziffer 2.2.1). Der EWSA begrüßt die Vorschläge der Kommission, die umgesetzt werden sollten. Daneben muss der illegale Markt für Spirituosen besser untersucht werden. Daher sollte ein Bericht hierüber in Auftrag gegeben werden, damit bessere Instrumente entwickelt werden können, um dagegen vorzugehen.

3.1.2.

Ermäßigte Sätze für Kleinerzeuger und Klassifizierung bestimmter alkoholischer Getränke (siehe Ziffer 2.2.2). Auch hier ist der EWSA der Auffassung, dass mit den Vorschlägen der Kommission die aktuellen Probleme angegangen würden, größere Klarheit geschaffen und das System verbessert würde, um weiterhin Anreize für die Unterstützung von Kleinerzeugern zu setzen. Nach Ansicht des EWSA sollte die Kommission für die Zukunft erwägen, einen ähnlichen ermäßigten Steuersatz mit neu festgesetzten Schwellenwerten für Brennereien einzuführen.

3.1.3.

Alkoholische Getränke mit niedrigem Alkoholgehalt (siehe Ziffer 2.2.3). Die Vorschläge der Kommission zu dieser Frage sind stärker umstritten. Tatsächlich gibt es nur wenige Anzeichen für eine Beeinträchtigung der Produktinnovation. Es ist empirisch belegt, dass Erzeuger von Bier mit niedrigem Alkoholgehalt zunehmend unter den Erzeugern, und zwar auch unter den Kleinerzeugern, vertreten sind. Positive Effekte auf die Gesundheit können nur erzielt werden, wenn Biertrinker, die Bier mit normalem Alkoholgehalt konsumieren, Anreize erhalten, zu Bier mit niedrigerem Alkoholgehalt zu wechseln. Geschieht dies nicht, könnte die Änderung dazu führen, dass Biertrinker, die Bier mit niedrigem Alkoholgehalt konsumieren, Bier mit einem höheren Alkoholgehalt zu sich nehmen. Der EWSA stellt jedoch fest, dass diese Vorschläge für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich sind. Es steht jedem Mitgliedstaat also frei, einen niedrigeren Schwellenwert beizubehalten und die Verbrauchsteuersätze herabzusetzen. Daher akzeptiert der EWSA diese Vorschläge. Jedoch sollte innerhalb von fünf Jahren eine Überprüfung in denjenigen Mitgliedstaaten vorgenommen werden, die diese Bestimmungen in Anspruch nehmen, um zu messen, inwieweit eine Verlagerung des Konsums weg von Erzeugnissen mit normalem Alkoholgehalt hin zu Erzeugnissen mit niedrigerem Alkoholgehalt stattgefunden hat.

3.1.4.

Messung von Grad Plato bei gesüßtem oder aromatisiertem Bier (siehe Ziffer 2.2.4): Der EWSA ist sich bewusst, dass die diesbezüglichen Vorschläge der Kommission eventuell umstritten sind, insbesondere im Lichte der Auslegung der geltenden Richtlinie durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Vertreter von Wirtschaftsbeteiligten bezweifeln, dass die Messung des Alkoholgehalts vor der Zugabe von Zucker oder Süßungsmitteln administrativ aufwendig ist. Allerdings messen derzeit lediglich drei Mitgliedstaaten vor der Zugabe von Zucker oder Süßungsmitteln, während die restlichen elf Mitgliedstaaten die Plato-Methode gemäß den Vorschlägen der Kommission verwenden. Angesichts dieser Tatsache und aufgrund der Vorteile, die sich aus einer einheitlichen Definition des Begriffs „Fertigerzeugnis“ ergeben, hält es der EWSA für weniger aufwendig, wenn drei Mitgliedstaaten ihr Verfahren anpassen, als wenn elf Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden. Der EWSA weist ferner darauf hin, dass die Unterschiede in der Anwendung der Plato-Methode bei der Ausfuhr solcher Erzeugnisse keine Rolle spielen, da hierbei eine Messung des vorhandenen Alkoholgehalts erforderlich ist. Der EWSA ist folglich der Auffassung, dass die Vorschläge der Kommission mit den geringsten Beeinträchtigungen verbunden sind und den Vorteil haben, dass sie zur Sicherung der Steuereinnahmen beitragen.

3.2.   Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems (Neufassung)

3.2.1.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die in diesem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates enthaltenen Maßnahmen, die die Koordinierung zwischen Ein- und Ausfuhr, die Angleichung der Versandverfahren, B2B-Verfahren für bereits besteuerte Waren und außergewöhnliche Situationen betreffen, die angestrebte Wirkung erzielen werden, nämlich die Optimierung der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die Koordinierung der Verbrauchsteuer- und Zollverfahren, die Senkung der Verwaltungs- und Befolgungskosten der Wirtschaftsbeteiligten und der nationalen Behörden sowie die Unterstützung bei der Bekämpfung von Steuerbetrug. Der EWSA unterstützt diese Vorschläge.

3.3.   Der Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 389/2012 und der Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einführung eines EDV-gestützten Systems zur Beförderung und Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Neufassung)

3.3.1.

Der EWSA befürwortet diese Vorschläge, da sie die Umsetzung der in der Richtlinie des Rates zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems enthaltenen Vorschläge administrativ erleichtern.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Artikel 4 und Artikel 13a.

(2)  Artikel 13.

(3)  Artikel 5.

(4)  C-30/17 — Kompania Piwowarska, 17. Mai 2018.

(5)  Artikel 3.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/113


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über staatsanleihebesicherte Wertpapiere“

(COM(2018) 339 final — 2018/0171 (COD))

(2019/C 62/18)

Berichterstatter:

Daniel MAREELS

Befassung

Europäisches Parlament, 5.7.2018

Rat der Europäischen Union, 6.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

201/3/8

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Vorschläge zu den staatsanleihebesicherten Wertpapieren (Sovereign Bond-Backed Securities — SBBS) im umfassenderen Rahmen der Vollendung der Bankenunion und des Aufbaus einer Kapitalmarktunion. Der Ausschuss hat sich in der Vergangenheit als entschiedener Fürsprecher und Unterstützer dieser beiden Unionen positioniert. Ferner verfügen die Vorschläge auch über das Potenzial, finanzielle Stabilität und Widerstandsfähigkeit zu fördern.

1.2.

In konzeptioneller Hinsicht zielen staatsanleihebesicherte Wertpapiere darauf ab, die traditionell enge Verflechtung zwischen den Banken und ihren Herkunftsländern („Sovereigns“) zu lockern. Seit der Finanzkrise fordert der Ausschuss, hier tätig zu werden, und setzt sich nachdrücklich für die Lockerung dieser Verflechtung ein. Ungeachtet der bereits ergriffenen Maßnahmen begrüßt der EWSA daher, dass sich der vorliegende Vorschlag mit diesem Thema befasst.

1.3.

Tatsächlich können staatsanleihebesicherte Wertpapiere bewirken, dass Banken ihre Staatsanleihen ihres Herkunftslandes abbauen und ihre Staatsanleiheportfolios besser diversifizieren. Hinzu kommt, dass es hier nicht um die Vergemeinschaftung von Risiken und Verlusten unter den Mitgliedstaaten des Euro-Raums geht. Gegebenenfalls werden diese vollständig von den Anlegern in staatsanleihebesicherten Wertpapieren getragen.

1.4.

Nach heutigem Stand würden staatsanleihebesicherte Wertpapiere nach dem Rechtsrahmen als „Verbriefungen“ gelten, was es für Banken eigentlich unattraktiv machen würde, in sie zu investieren. Der Ausschuss begrüßt es voll und ganz, dass dieser Missstand behoben wird. Die Gleichstellung von staatsanleihebesicherten Wertpapieren und den nationalen, auf Euro lautenden Staatsanleihen aus dem Euro-Währungsgebiet (Sovereign Exposures) soll Anlegern aus dem Finanzsektor die Möglichkeit geben, unter denselben Bedingungen in SBBS zu investieren wie in die ihnen zugrunde liegenden Staatsanleihen des Euro-Währungsgebiets.

1.5.

Die Vorschläge haben lediglich zum Ziel, geeignete Rahmenbedingungen für eine marktbasierte Entwicklung von staatsanleihebesicherten Wertpapieren zu schaffen. Für den Ausschuss sind Eindeutigkeit, Wirksamkeit und Effektivität dieses Rahmens in jeder Hinsicht von großer Bedeutung. Negative oder nachteilige Folgen müssen ausgeschlossen werden.

1.6.

In Bezug auf den vorgeschlagenen Rechtsrahmen vertritt der EWSA einen differenzierten Standpunkt. Eine Reihe von Aspekten kann unterstützt werden, wie z. B. der Grundsatz der Ausgabe von SBBS durch eine Zweckgesellschaft. Bei anderen Aspekten, wie z. B. der Selbstbescheinigung der Zusammensetzung des zugrunde liegenden Portfolios durch die Zweckgesellschaft, erscheint wiederum eine Verschärfung der Vorschriften angebracht. Die Bedeutung dieses Aspekts lässt eine strengere und sogar eine vorherige Überwachung durch die Europäische Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde (ESMA) angezeigt erscheinen.

1.7.

Ferner gibt es eine Reihe offener Fragen. So bedarf die Frage, ob SBBS unter allen Bedingungen wirksam und effektiv sein werden, noch einer Antwort. Auch ist noch offen, was mit ihnen in Zeiten einer allgemeinen Krise oder einer Krise in einem oder mehreren Mitgliedstaaten geschieht. Welche Folgen hat die Aufteilung der Emissionen in Tranchen nun, da es so scheint, dass die (risikoärmeren) Senior-Tranchen nur dann am Markt platziert werden können, wenn genügend Anleger für die (risikoreichere) Junior-Tranche gefunden werden? Emissionen scheinen dadurch zufallsabhängig und prekär zu werden, und zumindest untergräbt diese Schwäche den potenziellen Erfolg der SBBS.

1.8.

Ebenso sehr ist ein positiver Ansatz der „Märkte“ und anderer wichtiger Akteure in Bezug auf SBBS von Bedeutung. Denn sie müssen ja willens sein, sie zu nutzen und dieses Instrument Wirklichkeit werden zu lassen. Die Märkte und die Vertreter der Mitgliedstaaten haben allerdings in den vorbereitenden Konsultationen der Interessenträger recht scharfe Kritik geäußert. Nach Auffassung des Ausschusses ist es unabdingbar, einen Dialog mit allen Beteiligten aufzunehmen und sich abzustimmen, um gemeinsam zu konstruktiven Lösungen zu gelangen.

1.9.

Insgesamt gesehen und unter Berücksichtigung aller vorgenannten Erwägungen ist der EWSA der Ansicht, dass die Erprobung des neuen Finanzinstruments der SBBS am Markt die einzige Möglichkeit ist, um festzustellen, ob die Banken bereit sind, im Hinblick auf ihre Anlagen von Anleihen ihrer Herkunftsländer auf SBBS umzustellen, und ob die Anleger bereit sind, die „Junior“-Tranchen in ausreichender Menge zu kaufen, um die Einführung von SBBS zu rechtfertigen.

1.10.

Abschließend ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Frage, ob SBBS auch von privaten Sparern und Verbrauchern erworben werden können, weiter zu prüfen ist. Angesichts der besonders hohen Komplexität des Produkts einerseits und seiner Aufteilung in Tranchen andererseits neigt der Ausschuss zu der Auffassung, dass ein solcher Erwerb nur für „Senior“-, nicht aber für „Junior“-Tranchen in Betracht zu ziehen ist. Nur bei Ersteren bleibt das Risiko begrenzt und ist ein Vergleich mit dem direkten Besitz von Staatsanleihen durch diese Sparer und Verbraucher möglich.

2.   Hintergrund

2.1.

Am 24. Mai 2018 legte die Kommission ihren Vorschlag (1) für eine durch die Marktnachfrage bestimmte Entwicklung von staatsanleihebesicherten Wertpapieren (Sovereign Bond-Backed Securities — SBBS) vor.

2.2.

Dieser Vorschlag fügt sich in den umfassenderen Rahmen für die Vollendung der Bankenunion und den Aufbau einer Kapitalmarktunion (KMU) ein. Insbesondere wird der Schwerpunkt auf eine weitere Lockerung der Verflechtung zwischen Banken und Staaten („Sovereigns“) gelegt und auf die Risikominderung und privatwirtschaftliche Risikoteilung gesetzt. Sein grenzüberschreitender Charakter soll zudem zu einer stärkeren Integration und Diversifizierung der Finanzmärkte für Staatsanleihen im Binnenmarkt führen.

2.3.

Bisher haben die Banken große Mengen an Staatsanleihen ihrer Heimatstaaten (Herkunftsländer) gehalten, was, wie sich in der Finanzkrise gezeigt hat, gewisse Risiken bergen kann. Daher sind seither Rufe lauter geworden, diese Verflechtung zu lockern.

2.4.

Die Antwort in Form staatsanleihebesicherter Wertpapiere soll den Banken eine bessere geografische Diversifizierung ihres Staatsanleihenportfolios ermöglichen. Berücksichtigt werden dabei zudem einerseits das geringere Angebot an derartigen Anleihen und andererseits die gestiegene Nachfrage nach solchen Anlagen seitens der Finanzinstitute, die u. a. auf die neuen gesetzlichen Anforderungen für den Besitz ausreichender Puffer aus hoch liquiden Anlagen zurückzuführen ist.

2.5.

SBBS sind ein neuartiges Finanzinstrument. Mit dem vorliegenden Vorschlag sollen die Hindernisse beseitigt werden, die ihre Entwicklung bisher behindert haben. Im Wesentlichen werden mit dem vorgeschlagenen Rahmen zwei Ziele verfolgt:

2.5.1.

die Schaffung eines angepassten allgemeinen Rahmens für SBBS, der dieses neue Instrument „standardisiert“, was auch seiner Liquidität zugutekommt, und

2.5.2.

damit zusammenhängend die Beseitigung rechtlicher Hindernisse, die der Nutzung und dem Erwerb von SBBS im Wege stehen. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass bei Anlegern, die solche SBBS erwerben, ein Transparenzansatz („Look-through-approach“) zur Anwendung kommt. Damit werden in rechtlicher Hinsicht dieselben Vorschriften gelten wie für den Fall, dass sie zugrunde liegende Staatsanleihen selbst halten.

2.6.

Ein besonderes Kennzeichen und zugleich eine wesentliche Eigenschaft der SBBS betrifft ihr zugrunde liegendes Portfolio. Um die oben erwähnte geografische Risikostreuung in der Bankenunion und im Binnenmarkt umzusetzen, muss es ausschließlich aus Staatsanleihen aller Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets zusammengesetzt sein. Als weitere Einschränkung kommt hinzu, dass nur in Euro ausgegebene Emissionen in Frage kommen. Diese Staatsanleihen werden in die SBBS im Verhältnis zum wirtschaftlichen Gewicht des betreffenden Mitgliedstaats aufgenommen.

2.7.

Ein weiteres sehr spezifisches Merkmal ist, dass die Anleger die Risiken und Verluste tragen. Die SBBS werden in Tranchen unterteilt, und es kann zwischen Senior- und Junior-Tranchen, die jeweils risikoärmer bzw. risikoreicher sind, gewählt werden. Die zugrunde liegenden Portfolios sind übrigens die einzige Garantie, da es sich bei den Emittenten der SBBS um Zweckgesellschaften handeln soll, die keinen weiteren Tätigkeiten nachgehen dürfen und gegen die keine Regressansprüche geltend gemacht werden können (2).

2.8.

Auch im Hinblick auf die Anleger kommt, wie weiter oben bereits erwähnt, in Bezug auf die rechtliche Behandlung von SBBS der Transparenzansatz („Look-through-approach“) zur Anwendung. Dadurch steht nicht mehr die rechtliche „Verpackung“ dieses Instruments als „Verbriefung“ (3) im Fokus, sondern die zugrunde liegende Staatsanleihe, die in den SBBS enthalten ist. Gegebenenfalls erhalten Anleger für SBBS, die sämtliche Bedingungen erfüllen, dieselbe rechtliche Behandlung in Sachen Kapitalanforderungen, Konzentrations- und Liquiditätsgrenzen wie für die von ihnen direkt gehaltenen Staatsanleihen.

2.9.

Mit den vorliegenden Vorschlägen werden die Voraussetzungen und die Bedingungen für die SBBS sowie deren aufsichtliche Behandlung geschaffen, für ihre Nutzung kommt es jedoch letztlich auf den „Markt“ an. Anbieter und Anleger werden die endgültige Entscheidung darüber treffen, ob dieses neue Finanzinstrument umgesetzt und, falls ja, inwieweit davon Gebrauch gemacht wird.

3.   Kommentare und Anmerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt diesen Vorschlag zu SBBS im umfassenderen Rahmen der Vollendung der Bankenunion und des Aufbaus einer Kapitalmarktunion. Der Ausschuss hat sich in der Vergangenheit als entschiedener Fürsprecher und Unterstützer dieser beiden Unionen positioniert (4).

3.2.

Konkret zielen diese Vorschläge auf die weitere Entflechtung der Verbindungen zwischen den Banken und ihren Herkunftsländern ab. Seit der Finanzkrise setzt sich der Ausschuss nachdrücklich für die Umsetzung dieser Entflechtung ein und begrüßt daher, dass sich der vorliegende Vorschlag mit diesem Thema befasst und dabei den Kontext berücksichtigt, nämlich das abnehmende Angebot an Staatsanleihen bei gleichzeitig steigender Nachfrage.

3.3.

SBBS können als neues Finanzinstrument dazu beitragen, dass Banken und andere Finanzinstituten ihren Bestand an Staatsanleihen diversifizieren und weiter streuen. Dies trägt zweifellos zu einer Minderung der Risiken im Finanzsektor bei.

3.4.

Die Vorschläge haben lediglich zum Ziel, geeignete Rahmenbedingungen für eine marktbasierte Entwicklung von staatsanleihebesicherten Wertpapieren zu schaffen. Wenn der Markt die tatsächliche Entwicklung aufgreift, wird dies zur Entstehung eines neuen Finanzinstruments und eines Markts dafür führen. Für die Auswirkungen einer solchen Entwicklung wurden von der Kommission zwei Szenarien aufgestellt (5). Würden SBBS nur in begrenztem Umfang geschaffen, ginge es um einen Betrag von etwa 100 Mrd. EUR; in einem weiter gefassten Rahmen von über 1 500 Mrd. EUR würde makroökonomische Relevanz erreicht werden.

3.5.

Eine breite Streuung der SBBS könnte zudem eine stärkere Integration der Finanzmärkte bewirken und würde so zur Verbesserung der finanziellen Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems beitragen.

3.6.

Für den EWSA ist es wichtig, dass der vorgeschlagene grundlegende Rahmen unter allen Bedingungen klar, wirksam und effektiv ist und keine negativen oder nachteiligen Folgen hat. Daneben und zur Steigerung der Erfolgschancen ist ein positiver Ansatz in Bezug auf die „Märkte“ und andere wichtige Akteure sehr wichtig. Denn letztlich müssen sie ja willens sein, die SBBS tatsächlich zu nutzen.

3.7.

Die Märkte und die Vertreter der Mitgliedstaaten haben allerdings in den vorbereitenden Konsultationen der Interessenträger recht scharfe Kritik geäußert. So vertraten die Marktteilnehmer unterschiedliche Ansichten im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der SBBS. Schuldenverwalter (Debt Management Officers — DMO) sind wiederum der Auffassung, dass SBBS weder die Verflechtung zwischen den Banken und ihren Herkunftsländern lockern, noch risikoarme Vermögenswerte schaffen werden. Und Vertreter der Mitgliedstaaten ließen noch jüngst verlauten, dass sie keinen unmittelbaren Bedarf an SBBS sehen (6). Nach Auffassung des Ausschusses ist es unabdingbar, einen Dialog mit allen Beteiligten aufzunehmen und sich abzustimmen, um gemeinsam zu konstruktiven Lösungen zu gelangen.

3.8.

Ungeachtet der obigen und nachstehenden Ausführungen unterstützt der EWSA grundsätzlich den vorgeschlagenen regulatorischen Rahmen für SBBS, zumal dieser die Sanktionierung ähnlicher Instrumente abschafft und gleichzeitig einen „Referenz“-Ansatz verfolgt.

3.9.

Diese Unterstützung gilt u. a. dafür, dass die Umsetzung und die Ausgabe der SBBS durch Unternehmen aus dem Privatsektor zu erfolgen haben. Es erscheint angebracht, dass es sich beim Emittenten um eine Zweckgesellschaft handeln muss, die keinen anderen Tätigkeiten nachgehen darf. Dadurch wird die Sache für alle klarer.

3.10.

Die obligatorische Aufnahme von in Euro begebenen Staatsanleihen aller Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets im Verhältnis zu ihrem wirtschaftlichen Gewicht (7) soll die in Ziffer 3.3 genannte Streuung und Diversifizierung bewirken. Darüber hinaus werden bestimmte Staatsanleihen für internationale Anleger durch die Aufnahme attraktiver. Dies gilt insbesondere für Staatsanleihen bestimmter Länder, die sonst in kleinen und weniger liquiden Märkten begeben werden.

3.11.

In Anbetracht der Bedeutung der oben genannten obligatorischen Aufnahme von Staatsanleihen aller Mitgliedstaaten im Verhältnis zu ihrem Gewicht stellt der EWSA das derzeit geplante System der Selbstbescheinigung durch die Emittenten in Frage. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob nicht eine strengere vorherige Überwachung durch die ESMA angezeigt wäre.

3.12.

Hinzu kommt, dass es bei diesem neuen Instrument nicht um die Aufteilung der Risiken und Verluste zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets geht. Diese Risiken und Verluste werden vollständig von den Anlegern in SBBS getragen.

3.13.

Als Emittent begibt die Zweckgesellschaft eine Reihe von Wertpapieren, die Forderungen auf die Erträge des zugrunde liegenden Portfolios repräsentieren. Diese Wertpapiere tragen unterschiedliche Risiken, wobei „Senior-Tranchen“ (8) das geringste und „Junior-Tranchen“ das höchste Risiko tragen. De facto bedeutet dies, dass die Senior-Tranchen nur dann am Markt platziert werden können, wenn genügend Anleger für die Junior-Tranche gefunden werden (9). Dadurch wird jede Emission zufallsabhängig und prekär. Diese Schwäche untergräbt das Erfolgspotenzial der SBBS.

3.14.

Übrigens kann auch die Frage gestellt werden, ob SBBS unter allen Bedingungen wirksam und effektiv sein werden. Und was geschieht mit ihnen in Zeiten einer allgemeinen Krise oder einer Krise in einem oder mehreren Mitgliedstaaten? Diese Frage muss gestellt werden, da die jüngsten Ereignisse wieder einmal gezeigt haben, dass die Finanzmärkte auf solche Ereignisse schnell reagieren.

3.15.

Ferner müssen die Folgen der Bildung eines Marktes für SBBS zusätzlich zu dem bereits bestehenden Markt für Staatsanleihen der einzelnen Mitgliedstaaten geklärt werden. In diesem Zusammenhang stellen sich mehrere Fragen. Wird unter allen Bedingungen eine ausreichende Menge vorhanden sein? Und was, wenn dies nicht der Fall ist? Wird die Schaffung eines zusätzlichen Marktes nicht zu einer Fragmentierung und Zerstückelung führen?

3.16.

Der regulatorische Rahmen ermöglicht auch Sparern und Verbrauchern, SBBS zu erwerben und zu halten (10). Aufgrund der sehr hohen Komplexität dieser Produkte könnte die Tendenz bestehen, sie ihnen vorzuenthalten. Doch vielleicht müssen feine Unterscheidungen gemacht und muss ein Verbot nur für „Junior-Tranchen“ vorgesehen werden, gerade weil diese zudem auch große Risiken mit sich bringen können. Anders ist die Lage bei „Senior-Tranchen“, die risikoarm sind und durchaus mit direkt gehaltenen Staatsanleihen dieser Sparer und Verbraucher vergleichbar sind. Der EWSA ruft dazu auf, diese Frage weiter zu prüfen.

3.17.

Schließlich ist der EWSA der Ansicht, dass es vollkommen angebracht ist, bei der Anwendung der Vorschriften eine Gleichstellung von SBBS und den nationalen, auf Euro lautenden Staatsanleihen aus dem Euro-Währungsgebiet (Sovereign Exposures) vorzunehmen. Diese Gleichstellung soll Anlegern aus dem Finanzsektor die Möglichkeit geben, unter denselben Bedingungen in SBBS zu investieren wie in die ihnen zugrunde liegenden Staatsanleihen des Euro-Währungsgebiets.

3.18.

Insgesamt gesehen und unter Berücksichtigung aller vorstehenden Anmerkungen vertritt der EWSA die Auffassung, dass die Einführung von SBBS von der Idee her attraktiv ist, ihre Umsetzung in den Vorschlägen wirft jedoch in vielen Bereichen Fragen auf und lässt ein differenzierteres Bild entstehen. Ferner bedürfen die Kritikpunkte und skeptischen Reaktionen der Marktteilnehmer und anderer wichtiger Akteure einer Antwort. Alles in allem unterstützt der Ausschuss jedoch den Ansatz der Kommission, dass eine „echte“ Antwort in der Praxis nur möglich ist, wenn das Konzept in „realen“ Märkten erprobt wird.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 339 final.

(2)  Ausnahmen bilden außergewöhnliche Fälle, wie die missbräuchliche Verwendung der Bezeichnung SBBS.

(3)  In diesem Fall würden die gesetzlichen Anforderungen strenger ausfallen.

(4)  Siehe ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 117, ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 46 und ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 21.

(5)  SWD(2018) 252 final, S. 70.

(6)  Diese Vorbehalte und Anmerkungen werden in Ziffer 3 der Begründung zu dem Entwurf einer Verordnung näher ausgeführt (S. 6).

(7)  Siehe Artikel 4 Absatz 2 des Vorschlags für eine Verordnung und für die Zahlen im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Gewicht der betreffenden Mitgliedstaaten: https://www.ecb.europa.eu/ecb/orga/capital/html/index.de.html.

(8)  Senior-Tranchen würden den größeren Teil der Emissionen ausmachen, Junior-Tranchen den kleineren Teil.

(9)  Bei Junior-Tranchen ist in der Regel das Risiko höher, der Ertrag aber ebenso.

(10)  Vgl. Artikel 3 Absatz 6 des Verordnungsentwurfs.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/118


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms ‚Fiscalis‘ für die Zusammenarbeit im Steuerbereich“

(COM(2018) 443 final — 2018/0233 (COD))

(2019/C 62/19)

Berichterstatter:

Krister ANDERSSON

Befassung

Europäisches Parlament, 14.6.2018

Rat der Europäischen Union, 4.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

194/2/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über ein neues Programm „Fiscalis“. Die nationalen Steuerbehörden leiden nach wie vor unter unzureichenden Kapazitäten und unzureichender Zusammenarbeit. Auch der EWSA sieht einen dringenden Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung der Steuerpolitik und der Verwaltungszusammenarbeit im Steuerbereich sowie bei der Unterstützung der Steuerbehörden.

1.2.

Der EWSA stimmt zu, dass mehr Effizienz zwischen den Steuerbehörden wichtig ist für den Zusammenhalt und das Funktionieren des Binnenmarktes. Ferner stimmt er der Auffassung zu, dass sich ein derart hohes Maß an Zusammenarbeit und Koordinierung nur auf Unionsebene erreichen lässt.

1.3.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass die vorgeschlagene Mittelausstattung in Höhe von 270 Mio. EUR angesichts des Umfangs des von der Kommission vorgeschlagenen Programms und der rasch fortschreitenden Digitalisierung möglicherweise nicht ausreichend ist. Er schlägt daher vor, in einer Halbzeitüberprüfung die Angemessenheit der finanziellen Ausstattung zu untersuchen.

1.4.

Der EWSA hält es für wichtig, die digitale Entwicklung zu berücksichtigen, und begrüßt daher die Absicht der Kommission, die Koordinierung der europäischen elektronischen Systeme mit anderen einschlägigen Maßnahmen zur elektronischen Verwaltung (e-Government) auf Unionsebene zu gewährleisten.

1.5.

Der EWSA fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten einen gemeinsamen Grundlehrgang für Steuerbehörden zu konzipieren, um das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern. Nach Auffassung des EWSA könnte eine gemeinsame Bildungsmaßnahme möglicherweise zur Einrichtung einer künftigen EU-Steuerakademie für die Steuerbehörden führen.

1.6.

Der EWSA folgert aus den Ergebnissen der Bewertung des laufenden Programms, dass die Maßnahmen zu gemeinsamen Prüfungen, Projektgruppen, Arbeitsbesuchen und Sachverständigenteams für die Zusammenarbeit im IT-Bereich zu den erfolgreichsten Instrumenten zählen, und fordert die Kommission nachdrücklich auf, diese Maßnahmen im neuen Programm „Fiscalis“ vorrangig zu behandeln.

1.7.

Der EWSA begrüßt die Einführung mehrjähriger Arbeitsprogramme, durch die sich der Verwaltungsaufwand sowohl für die Kommission als auch für die Mitgliedstaaten verringern wird.

1.8.

Der EWSA hält es für wichtig, die Zivilgesellschaft generell aktiv am Programm „Fiscalis“ zu beteiligen.

2.   Einleitung und Hintergrund

2.1.

Im Rahmen ihres Pakets für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 (1), das die Kommission am 2. Mai 2018 annahm, hat sie auch einen Vorschlag für die neuerliche finanzielle Beteiligung am Programm „Fiscalis“ vorgelegt.

2.2.

Der Vorschlag der Kommission betrifft die Verlängerung des laufenden Programms „Fiscalis 2020“, das mit der Verordnung (EU) Nr. 1286/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates eingerichtet wurde und von der Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und den assoziierten Ländern durchgeführt wird.

2.3.

Mit dem Vorschlag der Kommission sollen Vereinfachungen und Anpassungen vorgenommen werden: (1) vermehrte Verwendung von Pauschalbeträgen und Kosten je Einheit (2) Vereinfachung und Verkleinerung der Einteilung von Maßnahmen für mehr Flexibilität (3) eine bessere Definition der gemeinsamen Komponenten und der nationalen Komponenten, die den Gegebenheiten und Merkmalen von IT-Projekten besser gerecht wird, und (4) die Möglichkeit, mehrjährige Arbeitsprogramme anzunehmen, um den durch das Ausschussverfahren verursachten jährlichen Verwaltungsaufwand zu vermeiden.

2.4.

Auch der Anwendungsbereich des Programms würde angepasst, sodass die Teilnahme an dem neuen Programm Mitgliedstaaten, beitretenden Ländern, Kandidatenländern sowie potenziellen Kandidaten und, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, zusätzlich auch Ländern der Europäischen Nachbarschaftspolitik und Drittländern offenstehen würde.

2.5.

Die Kommission schlägt eine Mittelausstattung in Höhe von 270 Mio. EUR für den Zeitraum 2021-2027 für das Programm „Fiscalis“ vor (also eine Aufstockung im Vergleich zu 223,2 Mio. EUR für den Zeitraum 2014-2020). Zudem würde der größte Teil der Mittelausstattung für Tätigkeiten zum Aufbau von IT-Kapazitäten verwendet werden.

2.6.

Das Programm hat das allgemeine Ziel, die Steuerbehörden und die Besteuerung zu unterstützen, um das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit der Union zu stärken und die finanziellen und wirtschaftlichen Interessen der Union und ihrer Mitgliedstaaten zu schützen.

2.7.

Die Kommission geht davon aus, dass dieses Programm die Steuerpolitik und die Steuerbehörden durch den Kapazitätsaufbau auf Ebene der Verwaltung und der Informationstechnologien und durch operative Zusammenarbeit unterstützen wird, sodass sie rasch und gemeinsam auf neu entstehende Probleme wie Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung sowie auf Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle reagieren können und gleichzeitig unnötiger Verwaltungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen bei grenzüberschreitenden Transaktionen vermieden wird.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über ein neues Programm „Fiscalis“. Die nationalen Steuerbehörden leiden nach wie vor unter unzureichenden Kapazitäten und unzureichender Zusammenarbeit sowohl innerhalb der EU als auch mit Drittländern. Auch der EWSA sieht einen dringenden Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung der Steuerpolitik und der Verwaltungszusammenarbeit im Steuerbereich sowie bei der Unterstützung der Steuerbehörden.

3.2.

Der EWSA stimmt zu, dass mehr Effizienz zwischen den Steuerbehörden wichtig ist für den Zusammenhalt und das Funktionieren des Binnenmarktes. Ferner stimmt er der Auffassung zu, dass sich ein derart hohes Maß an Zusammenarbeit und Koordinierung nur auf Unionsebene erreichen lässt. Der EWSA ist zudem der Auffassung, dass ein Unionsrahmen die Teilnahmequote wahrscheinlich erhöhen und somit das Potenzial und die Wettbewerbsfähigkeit des Binnenmarkts stärken wird.

3.3.

Der EWSA stimmt zu, dass ein Ansatz auf Unionsebene mit einer neuen Ausrichtung und dem Schwerpunkt auf der Unterstützung der nationalen Steuerbehörden dazu beitragen würde, Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung zu verhindern und zu bekämpfen und gleichzeitig unnötigen Verwaltungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen bei grenzüberschreitenden Transaktionen zu vermeiden. Der EWSA teilt die Auffassung, dass das Programm auch das Funktionieren des Binnenmarkts verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit der Union stärken und die finanziellen und wirtschaftlichen Interessen der Union und ihrer Mitgliedstaaten schützen wird.

3.4.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass die vorgeschlagene Mittelausstattung in Höhe von 270 Mio. EUR angesichts des Umfangs des von der Kommission vorgeschlagenen Programms und der rasch fortschreitenden Digitalisierung möglicherweise nicht ausreichend ist. Er schlägt daher vor, in einer Halbzeitüberprüfung die Angemessenheit der finanziellen Ausstattung zu untersuchen.

3.5.

Der EWSA hält es für wichtig, die digitale Entwicklung zu berücksichtigen, und begrüßt daher die Absicht der Kommission, die Koordinierung der europäischen elektronischen Systeme mit anderen einschlägigen Maßnahmen zur elektronischen Verwaltung (e-Government) auf Unionsebene zu gewährleisten.

3.6.

Der EWSA folgert aus den Ergebnissen der Bewertung des laufenden Programms, dass die Maßnahmen zu gemeinsamen Prüfungen, Projektgruppen, Arbeitsbesuchen und Sachverständigenteams für die Zusammenarbeit im IT-Bereich zu den erfolgreichsten Instrumenten zählen. Daher würde er es begrüßen, wenn diese Maßnahmen im neuen Programm „Fiscalis“ vorrangig behandelt würden.

3.7.

Der EWSA fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten einen gemeinsamen Grundlehrgang für Steuerbehörden zu konzipieren, um das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern. Nach Auffassung des EWSA könnte eine gemeinsame Bildungsmaßnahme möglicherweise zur Einrichtung einer künftigen EU-Steuerakademie für die Steuerbehörden führen.

3.8.

Der EWSA begrüßt die Einführung mehrjähriger Arbeitsprogramme im Interesse der Effizienz des Binnenmarkts, durch die sich der Verwaltungsaufwand sowohl für die Kommission als auch für die Mitgliedstaaten verringern wird.

3.9.

Der EWSA ist sich bewusst, dass sich der Informationsaustausch derzeit ausschließlich auf die Übermittlung von Informationen und nicht auf ihre Verarbeitung bezieht. Für eine umfassende und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten mit Blick auf den Kapazitätsaufbau auf Ebene der Informationstechnologien hält der EWSA es für erforderlich, die Verarbeitungsfunktion des Informationsaustauschs weiter auszubauen.

3.10.

Der EWSA hält es für wichtig, die Zivilgesellschaft generell aktiv am Programm „Fiscalis“ zu beteiligen, um sie einzubinden und um die Fortschritte bei der weiteren Entwicklung des Programms zu beobachten.

3.11.

Der EWSA würdigt und begrüßt die Neuerung in Form eines einfacheren und unkomplizierten Mechanismus, um die europäischen elektronischen Systeme für die Zusammenarbeit mit nicht mit dem Programm assoziierten Drittländern und internationalen Organisationen anzupassen und zu erweitern.

3.12.

Der EWSA begrüßt, dass der Vorschlag im Einklang mit anderen vorgeschlagenen Programmen der Union steht, die ähnliche Ziele verfolgen, nämlich die Eindämmung von betrügerischem Verhalten, den Aufbau handlungsfähiger Institutionen und die Unterstützung von Maßnahmen für ein besseres Funktionieren des Binnenmarkts.

3.13.

Der EWSA befürwortet, dass der größte Teil der vorgeschlagenen Mittelausstattung für Tätigkeiten zum Aufbau von IT-Kapazitäten verwendet werden wird. Der EWSA stimmt auch der Wahl des IT-Architekturmodells zu, das anstelle eines vollständig zentralisierten Modells gemeinsame und nationale Komponenten miteinander kombiniert. Ein europäisches elektronisches Modell, das nationale Präferenzen, Erfordernisse und Gegebenheiten berücksichtigt, wird dazu beitragen, auf verhältnismäßige Weise eine Verbesserung der Interoperabilität und der Vernetzung im Interesse des Binnenmarkts zu erreichen.

3.14.

Der EWSA unterstreicht die von der Kommission vorgenommene Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen ihr und den Mitgliedstaaten als wichtigen Grundsatz, um gemeinsam für die Entwicklung und den Betrieb der europäischen elektronischen Systeme zu sorgen. Dies erleichtert die Suche nach einer geeigneten Lösung sowohl für eine ganzheitlichere Sichtweise der EU als auch dafür, was für jeden Mitgliedstaat praktikabel und funktional ist, was hoffentlich die Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmern optimiert.

3.15.

Eine effizientere Verwaltung würde nicht nur den Steuerverwaltungen zugutekommen. Günstigere steuerliche Rahmenbedingungen werden nach Auffassung des EWSA auch die Wirtschaft der EU ankurbeln und das Wachstum stärken. Durch die Senkung der Befolgungskosten und den Abbau des Verwaltungsaufwands können sich Unternehmen auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und so Wachstum und Arbeitsplätze schaffen.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 321 final.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/121


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Reformhilfeprogramms“

(COM(2018) 391 final — 2018/0213 (COD))

(2019/C 62/20)

Berichterstatter:

Petr ZAHRADNÍK

Befassung

Europäisches Parlament, 14.6.2018

Rat der Europäischen Union, 27.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 175 Absatz 3 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

194/3/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet die Schaffung eines Reformhilfeprogramms, das die Mitgliedstaaten dazu ermutigen soll, wichtige Strukturreformen durchzuführen, diese als umfassendes Unterfangen zu betrachten und das Programm als ergänzendes Instrument für die Umsetzung ihrer Reformen auf freiwilliger Basis einzusetzen; den genannten Beweggründen stimmt er zu. Der EWSA schlägt vor, bei der Durchführung von Strukturreformen, die durch dieses Programm gefördert werden, auf einzelstaatlicher Ebene auch deren soziale Auswirkungen und Folgen zu überwachen.

1.2.

Der EWSA befürwortet eine enge Verknüpfung des Reformhilfeprogramms mit dem Europäischen Semester. Gleichzeitig ist er davon überzeugt, dass sich eine erfolgreiche Durchführung von Strukturreformen mittelfristig auch in der Fortentwicklung der wirtschaftlichen Konvergenz innerhalb der EU niederschlagen wird. Der EWSA ist der Auffassung, dass das Reformhilfeprogramm noch stärker und unmittelbarer mit dem Europäischen Semester verknüpft werden kann, als im Verordnungsvorschlag vorgesehen ist.

1.3.

Der EWSA hält es für eine erfolgreiche Einführung des Reformhilfeprogramms und das Erreichen der erwarteten Vorteile für angebracht, einige offene und seitens der Europäischen Kommission nicht ganz eindeutig geklärte Fragen noch genauer zu beantworten.

1.4.

Im Einklang mit dem neuen Entwurf des mehrjährigen Finanzrahmens der EU für die Jahre 2021-2027, in dem ebenfalls von bedeutenden Synergien zwischen den verschiedenen Kapiteln ausgegangen wird, ist der EWSA davon überzeugt, dass das Potenzial des Programms weiter erschlossen werden muss, damit solche Synergien auch wirklich erzielt werden. Der EWSA würde die Ausarbeitung eines praktischen Handbuchs begrüßen, das den Begünstigten Orientierung bezüglich der Möglichkeiten einer Verflechtung mit den übrigen Kapiteln des künftigen mehrjährigen Finanzrahmens böte, insbesondere da es sich um ein völlig neues Element seiner Funktionsweise handelt. Der EWSA spricht sich mit Blick auf die empfohlene Stärkung der Synergieeffekte dafür aus, auch die Möglichkeit einer unmittelbaren Verknüpfung der Mittel des Programms mit dem betreffenden operationellen Programm im Rahmen der Kohäsionspolitik zu nutzen.

1.5.

Der EWSA empfiehlt außerdem, den Rahmen für die Bewertung des Erfolgs der Reformen (und somit auch die Voraussetzungen für die tatsächliche Auszahlung der Mittel im Rahmen des Programms) näher zu erläutern und zu definieren. Gleichzeitig ist er der Auffassung, dass die organisierte Zivilgesellschaft maßgeblich dazu beitragen kann, dass die Kommission und die Mitgliedstaaten zu einer einheitlichen Auffassung über den Inhalt der Reformprogramme kommen. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die vorgeschlagene enge Verknüpfung des Programms mit den nationalen Reformprogrammen. Diesbezüglich empfiehlt er, die zeitliche Einteilung der Reformen genau zu beobachten und der möglichen Gefahr eines moralischen Risikos („moral hazard“) wirksam entgegenzutreten. Der EWSA hält es für überaus wünschenswert, eine Plattform für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten einzurichten, um Fragen bezüglich der Form und der Eigenschaften der Strukturreformen zu erörtern.

1.6.

Der EWSA ist der Ansicht, dass Strukturreformen nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf EU-Ebene erforderlich sind, insofern als diese Reformen eine grenzüberschreitende und häufig auch gesamteuropäische Wirkung haben. Da das Programm zentral gesteuert werden soll, vermisst der EWSA die Möglichkeit, mit seiner Hilfe gerade Projekte struktureller Art von EU-weiter Bedeutung anzugehen, und empfiehlt, das Programm auf diese Art von Reformen auszudehnen.

1.7.

Der EWSA ist sich nicht sicher, ob die Methode zur Rückzahlung von Beihilfen im Rahmen dieses Programms (wobei die Verzögerungen mehrere Jahre nach Einführung der entsprechenden Reformmaßnahmen andauern können) für die Mitgliedstaaten ausreichende Anreize zur Durchführung von Strukturreformen bietet.

2.   Allgemeiner Hintergrund des Kommissionsvorschlags und wichtigste Fakten

2.1.

Eines der größten und seit Langem bestehenden Hindernisse für ein stärkeres und überzeugenderes Wirtschaftswachstum in der EU ist die Vielzahl an strukturellen Mängeln und Ungleichgewichten, die nur durch tiefgreifende Strukturreformen behoben werden können (1). Durch die jüngste Wirtschaftskrise traten einige von ihnen noch deutlicher zutage. Gleichzeitig ermöglichte sie es, ein Kriterium für den Erfolg der durchgeführten Reformen einzuführen. Im Hinblick auf eine erfolgreiche Durchführung des Programms ist es angezeigt, auch Lehren aus gescheiterten oder schlecht vorbereiteten Reformen zu ziehen, die gravierende wirtschaftliche und soziale Folgen hatten, und derartige Praktiken in Zukunft zu vermeiden.

2.2.

Strukturreformen gehören zu den wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die langfristig die grundlegenden Parameter der Wirtschaftsstruktur und des entsprechenden institutionellen und rechtlichen Rahmens gestalten. Sie zielen in erster Linie auf die Beseitigung bestehender Hindernisse und die Einführung vollkommen neuer wirtschaftspolitischer Instrumente ab, die den aktuellen und künftigen Entwicklungstendenzen Rechnung tragen. Die Gründe für die Durchführung von Strukturreformen und deren Form unterscheiden sich von Land zu Land (2).

2.3.

Das vorgeschlagene Reformhilfeprogramm knüpft — allerdings mit einem sehr viel höheren Finanzvolumen und mit einem bedeutend erweiterten und neu konzipierten Anwendungsbereich — an das Programm zur Unterstützung von Strukturreformen an, das bereits 2017 eingeführt wurde und mit dem in erster Linie technische Hilfestellung geleistet wurde (3).

2.4.

Das Reformhilfeprogramm kann als wichtiger Beitrag des EU-Haushalts — im Geiste seiner derzeitigen Erneuerung — betrachtet werden: Es ist darauf ausgerichtet, einen europäischen Mehrwert zu sichern, die Flexibilität zu erhöhen, Synergien zwischen seinen einzelnen Kapiteln zu schaffen und die Verfahren zu vereinfachen. Dieser Beitrag sollte sich langfristig in stärkeren Investitionstätigkeiten niederschlagen, wobei der Prozess des Europäischen Semesters gleichzeitig der Prüfstand und die Hauptanlaufstelle für die Beurteilung der Angemessenheit von Strukturreformen sein sollte (4).

2.5.

Das Reformhilfeprogramm darf daher keineswegs isoliert, sondern sollte als neuer Bestandteil eines komplexen Mosaiks von Instrumenten im Rahmen des künftigen EU-Haushalts betrachtet werden, zu dem es ein hohes Maß an Synergie aufweisen sollte, insbesondere in Bezug auf die Kohäsionspolitik und die Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion.

2.6.

Im Dezember 2017 wurde das Programm überdies als Teil der Vorstellung der neuen Haushaltsinstrumente für ein stabiles Euro-Währungsgebiet angekündigt. Die Länder der Eurogruppe werden in dem Verordnungsvorschlag jedoch in keiner Weise gegenüber den übrigen Mitgliedstaaten bevorteilt, obwohl dieses Programm als eine der möglichen Kompromisslösungen gegen die Einführung eines eigenen Haushalts für das Euro-Währungsgebiet galt.

2.7.

Im Reformhilfeprogramm werden drei Instrumente vorgeschlagen:

ein Reformhilfeinstrument in Form eines Instruments für Finanzhilfe (mit einer Mittelausstattung in Höhe von 22 Mrd. EUR,

ein Instrument für technische Unterstützung (in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Programm zur Unterstützung von Strukturreformen: 840 Mio. EUR),

eine Konvergenzfazilität für Mitgliedstaaten außerhalb des Euro-Währungsgebiets (2,16 Mrd. EUR).

2.8.

Das Programm zielt in erster Linie darauf ab, die Regierungen und Behörden der Mitgliedstaaten in ihren Bemühungen um die Ausgestaltung und Durchführung von Strukturreformen zu unterstützen. Es kann auch dazu beitragen, das nachhaltige Wirtschaftswachstum in der EU und die Verwirklichung der europäischen Säule sozialer Rechte zu fördern.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA hält die Gründe für den Vorschlag zur Einführung eines Programms zur Unterstützung von Investitionen allesamt für stichhaltig und glaubt, dass die praktische Durchführung des Programms somit zu positiven Ergebnissen führen sollte. Gleichzeitig ist der EWSA davon überzeugt, dass der Vorschlag zahlreiche nicht ganz klar beantwortete und erläuterte Fragen enthält und dass es dringend erforderlich ist, auf diese Fragen überzeugendere und eindeutige Antworten zu geben, bevor das Programm vollumfänglich zum Einsatz kommt.

3.2.

Der EWSA spricht sich dafür aus, konkretere und anschaulichere Beispiele für mögliche Synergien, beispielsweise mit der Kohäsionspolitik, anzuführen, die sowohl im Vorschlag für eine Verordnung über den mehrjährigen Finanzrahmen als auch im Vorschlag für eine Verordnung über gemeinsame Bestimmungen für die sieben Fonds gefordert werden.

3.3.

Die erfolgreiche Durchführung — oder das Scheitern — bestimmter Reformmaßnahmen zeigt sich häufig erst nach einer gewissen Zeit, die leicht über den Dreijahreszeitraum für die Durchführung von Reformen sowie über den anschließenden fünfjährigen Zeitraum für deren dauerhaften Fortbestand hinausgehen kann. Der EWSA fragt sich, wie im Rahmen des Programms der Erfolg der Reformen bewertet werden soll, die als förderungswürdig angesehen werden, deren Ergebnisse unter Umständen jedoch erst nach sehr langer Zeit sichtbar werden. Vor diesem Hintergrund fragt sich der EWSA auch, auf welche Weise eventuell auftretende Meinungsverschiedenheiten zwischen der Europäischen Kommission und einem Mitgliedstaat über die Frage, ob der jeweilige Reformvorschlag richtig ist und die Reform erfolgreich durchgeführt wurde, beigelegt werden sollen. In diesem Zusammenhang empfiehlt der EWSA die Einrichtung einer Plattform für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, um Aspekte in Verbindung mit der Art der Strukturreformen zu erörtern.

3.4.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die organisierte Zivilgesellschaft erheblich zur Konsensfindung zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten über die Reformen beitragen könnte, denn sie zeichnet sich durch ihre in vielfacher Hinsicht unparteiische Haltung, ihre Fähigkeit, ein objektives Bild zu zeichnen, und ihre Sachkompetenz aus und ist in der Lage, zur Vermeidung potenzieller Konflikte und gegebenenfalls zu deren Lösung beizutragen.

3.5.

Der EWSA weiß um die erklärte Wechselbeziehung mit dem Prozess des Europäischen Semesters und ist der Auffassung, dass das Zusammenwirken noch unmittelbarer vonstattengehen könnte. Dies könnte sich beispielsweise in einer bestimmten Mittelausstattung für das Instrument zur Durchführung von Reformen äußern. Der EWSA ist sich bewusst, dass das einzige Kriterium zu diesem Zweck die Zahl der Einwohner des betreffenden Mitgliedstaats ist. Gleichwohl empfiehlt er, die Möglichkeit der Nutzung einer auf mehreren Kriterien basierenden Matrix zu erwägen, die der Notwendigkeit Rechnung trägt, Strukturreformen unter den Bedingungen des jeweiligen Mitgliedstaats durchzuführen.

3.6.

Laut Verordnungsvorschlag wird die Kommission sicherstellen, dass die Maßnahmen dieses Programms die übrigen Programme im Rahmen des künftigen EU-Haushalts ergänzen. Nach Ansicht des EWSA wäre die Erarbeitung eines detaillierteren Leitfadens zu der Frage, wie diese Ergänzung aussehen soll, von großer Bedeutung, um im Rahmen der EU-Finanzierung Synergieeffekte zu erzielen. Diese Ergänzung ist vor allem im Hinblick auf die gemeinsamen Bestimmungen für die sieben Fonds (und dabei insbesondere im Hinblick auf die kohäsionspolitischen Instrumente) relevant, wobei auch in der Festlegung der grundlegenden Bedingungen Kohärenz herrschen sollte (der EWSA empfiehlt, dass das Programm darauf ausgerichtet sein sollte, diese Bedingungen im Rahmen der Reformanstrengungen vordringlich einzuhalten).

3.7.

Der EWSA begrüßt nachdrücklich die Kohärenz und die Verbindungen zwischen dem Programm und den nationalen Reformprogrammen, die die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Verpflichtungen im Zuge des Europäischen Semesters auflegen und der Europäischen Kommission vorlegen.

3.8.

Der EWSA bedauert, dass die Strukturreformen im Programmentwurf ausschließlich an die spezifischen Bedürfnisse der Mitgliedstaaten geknüpft sind und Strukturreformen mit grenzüberschreitender oder sogar gesamteuropäischer Reichweite außen vor bleiben. Er bedauert dies umso mehr, als das Programm zentral verwaltet werden soll. Da das Programm ein außerordentlich hohes Maß an Interaktion seitens der Mitgliedstaaten (die de facto für seine praktische Durchführung verantwortlich sind) erfordert, stellt sich die Frage, warum gerade dieses Programm zentral verwaltet werden soll, anstatt es im Wege der geteilten Mittelverwaltung durchzuführen.

3.9.

Der EWSA befürwortet und begrüßt die Auflistung der Tätigkeiten und Reformzusagen (Artikel 6 des Vorschlags) und ist der Ansicht, dass es sich hierbei um eine repräsentative Plattform handelt, auf der die Maßnahme gewählt werden kann, die den konkreten Bedingungen des Mitgliedstaats entspricht. In diesem Zusammenhang empfiehlt der EWSA jedoch, genau festzulegen, was im Rahmen dieses Programms unter Strukturreform zu verstehen ist (5), insbesondere um unnötige inhaltliche Überschneidungen mit den Reformtätigkeiten zu verhindern, die durch andere Kapitel des EU-Haushalts unterstützt werden.

3.10.

Der EWSA befürwortet ebenfalls die Liste der Kriterien, die ein Mitgliedstaat gemäß dem Programm zwecks Anerkennung einer Reformzusage erfüllen muss (Artikel 11 des Vorschlags).

3.11.

Der EWSA bezweifelt jedoch, ob das Programm wirklich einen Anreiz für die Durchführung von Strukturreformen bietet. Seine Bedenken beziehen sich darauf, dass die Auszahlung der Unterstützung bis zu drei Jahre nach Erfüllung der Reformzusagen erfolgen kann. Eine einmalige Unterstützungszahlung, die lange nach dem Beginn der Reformaktivitäten geleistet wird, ist aus Sicht des EWSA aber nicht sonderlich motivierend.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Sofern die finanzielle Unterstützung aus diesem Programm nicht mit den Kosten verknüpft ist, die die vorgeschlagenen Reformen verursachen und erfordern, sollten nach Ansicht des EWSA Sachverständige die Annahme der Reformzusagen sehr sorgfältig überwachen und die Strukturreformen abschließend unter dem Gesichtspunkt bewerten, ob die Bedingungen der makroökonomischen und haushaltspolitischen Disziplin eingehalten wurden.

4.2.

Der EWSA spricht sich für eine Erläuterung der in dem Vorschlag enthaltenen These aus, dass das Programm die hohen politischen Kosten, die kurzfristig im Falle bestimmter struktureller Reformen verursacht werden, kompensieren und die Hindernisse, die diesen Reformen im Wege stehen, beseitigen kann.

4.3.

Der EWSA empfiehlt, detailliertere und klarere Regeln zu erarbeiten, um Änderungen der Reformzusagen bewerten zu können (Artikel 13 des Vorschlags).

4.4.

Der EWSA empfiehlt, die Aufmerksamkeit auf die zeitliche Einteilung der Reformen zu richten, also auf die Möglichkeit, die Durchführung der Reformen zeitlich an die Unterstützung aus dem Programm anzupassen, und auf das damit verbundene Problem des moralischen Risikos („moral hazard“). Außerdem wäre auf mögliche Fälle zu achten, in denen bereits durchgeführte Reformen aus dem Programm unterstützt werden.

4.5.

Der Verordnungsvorschlag enthält die Möglichkeit, zum Beispiel einen Teil der für die Kohäsionspolitik bestimmten Mittel in dieses Programm zu übertragen. Der EWSA spricht sich auch für die Möglichkeit der Übertragung bzw. Verschmelzung in umgekehrter Richtung aus, bei der Mittel aus diesem Programm unmittelbar mit dem entsprechenden operationellen Programm der Kohäsionspolitik verbunden werden.

4.6.

In Bezug auf das Instrument für technische Unterstützung begrüßt der EWSA die direkte Kontinuität mit dem Programm zur Unterstützung von Strukturreformen und die Nutzung von Möglichkeiten einer gezielten Unterstützung von Strukturreformbemühungen (anders als z. B. bei der technischen Unterstützung im Rahmen der Kohäsionspolitik).

4.7.

Bezüglich der Konvergenzfazilität stellt der EWSA fest, dass einige Mitgliedstaaten, die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehören, strukturell gesehen besser auf einen Beitritt vorbereitet sind als andere Länder, die der Eurogruppe bereits angehören. Für sie ist das größte Hindernis nicht wirtschaftlicher Art (häufig ein höheres BIP-Wachstum gekoppelt mit einem hohen Maß an realer Konvergenz, vorbildlicher Haushaltsdisziplin, einem Außenhandelsbilanzüberschuss oder einer niedrigen Arbeitslosenquote), sondern politischer Art (was die Konvergenzfazilität allerdings nicht beeinflussen kann).

4.8.

Im Zusammenhang mit der Konvergenzfazilität ersucht der EWSA auch um nähere Erläuterungen zu der Frage, ob sich die Reformzusagen im Rahmen der Konvergenzfazilität in ihrer Art irgendwie von denen im Rahmen des Instruments für die Umsetzung von Reformen unterscheiden.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  In seinen Stellungnahmen geht der EWSA von der Definition des Begriffs Strukturreform aus, die in seiner Stellungnahme „Vollendung der WWU — Vorschläge für die nächste europäische Legislaturperiode“, ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 10, formuliert wurde.

(2)  Eine Beschreibung des Zusammenhangs zwischen den Strukturreformen und den übrigen Elementen der EU-Wirtschaftspolitik bieten die Stellungnahmen „Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2017“ (ergänzende Stellungnahme) (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 216) und „Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2017“ (ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 33).

(3)  Stellungnahme des EWSA „Unterstützung von Strukturreformen in den Mitgliedstaaten“ (ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 53).

(4)  EWSA-Stellungnahme zum „Reflexionspapier über die Zukunft der EU-Finanzen“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 131).

(5)  Vgl. die EWSA-Stellungnahmen „Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2017“ (ergänzende Stellungnahme) (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 216) und „Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2017“ (ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 33).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/126


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer Europäischen Investitionsstabilisierungsfunktion“

(COM(2018) 387 final — 2018/0212 (COD))

(2019/C 62/21)

Berichterstatter:

Philip VON BROCKDORFF

Mitberichterstatter:

Michael SMYTH

Befassungen

Europäisches Parlament, 11.6.2018

Rat, 25.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 175 Absatz 3 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

196/2/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stellt fest, dass beim derzeitigen Stand der politischen und gesellschaftlichen Integration ein großer föderaler Haushalt im Euro-Währungsgebiet unrealistisch ist. Die vorgeschlagene Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion (EISF) zielt indes darauf ab, die nationale Finanzpolitik in den einzelnen Ländern bei asymmetrischen Schocks zu stabilisieren. Der EWSA betrachtet dies als einen weiteren Schritt hin zu einer tieferen Integration des Euro-Währungsgebiets und möglicherweise auch als Versuch, andere Mitgliedstaaten für die Einführung der gemeinsamen Währung zu gewinnen.

1.2.

Dem EWSA ist klar, dass sich die EISF vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterscheidet, der während der Finanzkrise als Auffangfonds entwickelt wurde. Allerdings muss zwischen den beiden Fonds ganz deutlich differenziert werden. Die EISF ist sehr viel begrenzter, und der EWSA hat Bedenken hinsichtlich ihrer Mittelausstattung für den Fall, dass asymmetrische Schocks zwei oder mehr Mitgliedstaaten betreffen.

1.3.

Die im Rahmen der EISF gewährten Darlehen sollen dazu beitragen, die öffentlichen Investitionen in Zeiten asymmetrischer Schocks anzukurbeln. Der EWSA gibt zu bedenken, dass die Auswirkungen kaum unmittelbar sein dürften. Wirtschaftliche Erholung braucht Zeit, und etwaige positive Auswirkungen werden voraussichtlich erst mittel- und langfristig zu spüren sein.

1.4.

Der EWSA stellt fest, dass es die zeitnahe Wirkung der Stabilisierungsfunktion beeinträchtigen könnte, wenn die Arbeitslosigkeit als einziges Kriterium für die Aktivierung der Hilfe herangezogen wird. Daher schlägt der EWSA vor, weitere ergänzende Indikatoren heranzuziehen, die normalerweise früher einen bevorstehenden großen Schock vorhersagen können als die Arbeitslosigkeit. Dadurch kann eine erste Unterstützung frühzeitig ausgelöst werden, noch bevor sich der „große“ Schock in vollem Umfang in der Arbeitslosenquote niedergeschlagen hat.

1.5.

Da die EISF nicht als „zusätzliches“ Finanzinstrument (neben der Zahlungsbilanzfazilität und dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM)) gilt, vertritt der EWSA die Auffassung, dass die Inanspruchnahme der EISF die Kreditaufnahmekapazität insgesamt verringern würde. Dementsprechend obliegt es der Europäischen Kommission, ausstehende Rückzahlungen der jeweiligen Mitgliedstaaten und Eventualverbindlichkeiten fortlaufend auszugleichen.

1.6.

Der EWSA spricht sich nicht dagegen aus, dass die Kommission die Aufsicht über die im Rahmen der EISF gewährten Darlehen für öffentliche Investitionen führt. Allerdings sollte der betreffende Mitgliedstaat genügend Spielraum haben, um die Art der Investition festzulegen, die gefördert werden soll. Der EWSA plädiert daher für ein Gleichgewicht zwischen der Aufsicht durch die Kommission einerseits und dem Ermessensspielraum des betreffenden Mitgliedstaats im Bereich seiner öffentlichen Ausgaben andererseits.

1.7.

Der EWSA fordert die Kommission auf, zu prüfen, wie ein Versicherungsmechanismus für die makroökonomische Stabilisierung in der gesamten EU sorgen könnte. Der EWSA ist der Ansicht, dass ein gut durchdachtes EU-weites Versicherungssystem, das bei makroökonomischen Schocks automatisch als Stabilisator greift, wirksamer wäre als die vorgeschlagene EISF. Sollte die EU in der Zwischenzeit von einer weiteren Finanz- und Wirtschaftskrise heimgesucht werden, würde der EWSA für einen koordinierten Ansatz und die Anwendung aller geeigneten Finanzinstrumente, einschließlich der EISF, plädieren.

2.   Hintergrund

2.1.

Für den kommenden mehrjährigen Finanzrahmen schlägt die Europäische Kommission eine Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion (EISF) vor, deren Ziel allgemein darin besteht, die Wirtschafts- und Währungsunion dadurch zu stärken, dass das Euro-Währungsgebiet im langfristigen Haushalt der Union verankert wird. Die EISF soll in Form von durch den EU-Haushalt garantierten Spiegeldarlehen in Höhe von bis zu 30 Mrd. EUR und Zinszuschüssen zur Deckung der Darlehenskosten geschaffen werden.

2.2.

Der Zuschuss würde aus Beiträgen der Mitgliedstaaten gespeist, die einem bestimmten Prozentsatz der ihren nationalen Zentralbanken durch die EZB zugewiesenen monetären Einkünfte (gemeinhin als „Seigniorage“ bekannt) entsprächen, und im Rahmen eines Stabilisierungsfonds erhoben werden. Es würde ein zwischenstaatliches Abkommen geschlossen, um festzulegen, wie die finanziellen Beiträge der Mitgliedstaaten zu berechnen und zu übertragen sind.

2.3.

Die Höhe des Darlehens, das ein förderfähiger Mitgliedstaat leihen dürfte, soll anhand einer Formel bestimmt werden, die u. a. auf folgenden Kriterien beruht:

i)

einem Höchstbetrag förderfähiger öffentlicher Investitionen, für die EISF-Hilfe gewährt werden kann;

ii)

einem Anstieg der Erwerbslosenquote; und

iii)

einem Schwellenwert: Die vierteljährliche nationale Arbeitslosenquote ist im Vergleich zur Arbeitslosenquote im gleichen Quartal des Vorjahres um mehr als einen Prozentpunkt angestiegen.

Die Kommission kann jedoch den Betrag des EISF-Darlehens bis zum Höchstbetrag förderfähiger öffentlicher Investitionen, für die EISF-Hilfe gewährt werden kann, erhöhen, falls sich der asymmetrische Schock, dem der betreffende Mitgliedstaat ausgesetzt ist, als besonders schwer erweist.

2.4.

Die vorgeschlagene Verordnung stützt sich im Wesentlichen auf die grundlegenden Prinzipien der Solidarität in der EU und der Verantwortung seitens der einzelnen Mitgliedstaaten. Bezugnahmen auf die EISF finden sich in der Rede zur Lage der Union 2017 des Präsidenten der Europäischen Kommission (1)‚ im Bericht der fünf Präsidenten vom Juni 2015 (2)‚ im Reflexionspapier zur Vertiefung der WWU vom Mai 2017 (3) und in der Kommissionsmitteilung zu weiteren Schritten zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion vom Dezember 2017 (4).

2.5.

Im Zusammenhang mit der EISF schlägt die Kommission auch ein Reformhilfeprogramm vor, mit dem bei Bedarf Wirtschaftsreformen in allen Mitgliedstaaten unterstützt werden sollen. Das Reformhilfeprogramm soll aus drei Bestandteilen bestehen: einem reformorientierten Mechanismus, technischer Unterstützung und einer Konvergenzfazilität, die Mitgliedstaaten außerhalb des Euro-Währungsgebiets den Beitritt zum Euro erleichtern soll. Zu diesem Thema erarbeitet der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) derzeit eine gesonderte Stellungnahme.

2.6.

Die EISF ist auf zwei wesentliche Ziele ausgerichtet:

i)

Stabilisierung der öffentlichen Investitionen in Zeiten asymmetrischer Schocks aufgrund einer veränderten Wirtschaftslage, die sich unterschiedlich auf die Mitgliedstaaten auswirken kann. Wie die Finanzkrise gezeigt hat, stellt die Aufrechterhaltung der Stabilität der öffentlichen Investitionen in Krisenzeiten eine enorme Herausforderung für Länder dar, die eine gemeinsame Währung haben, so z. B. für das Euro-Währungsgebiet;

ii)

Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung in Zeiten wirtschaftlicher Schocks im Euro-Währungsgebiet und in den am Europäischen Wechselkursmechanismus (WKM II) teilnehmenden Mitgliedstaaten, die ihre Geldpolitik nicht mehr als Hebel für die Korrektur von Schocks einsetzen können.

2.7.

Es sei daran erinnert, dass der gegenwärtige Rahmen der Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets nach wie vor unvollständig ist. Obwohl eine Zentralisierung der Geldpolitik stattgefunden hat, ist die Haushaltspolitik immer noch dezentral, und aufgrund dieser Dichotomie können in einem Mitgliedstaat, der von einem asymmetrischen Schock betroffen ist, erhebliche Probleme entstehen, wie sich nach der Finanzkrise gezeigt hat.

2.8.

Die Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion soll daher als Ergänzung der nationalen automatischen Stabilisatoren dienen, mit denen Schwankungen in der Wirtschaftstätigkeit eines Mitgliedstaats ausgeglichen werden sollen und die ohne ausdrückliche staatliche Maßnahmen automatisch ausgelöst werden, wenn die Befürchtung besteht, dass diese Stabilisatoren unwirksam sein könnten. Theoretisch könnte die EISF im Wesentlichen nationale wirtschaftliche Schocks abfedern und damit zur Erholung der Wirtschaft beitragen. Die EISF böte auch mehr Schutz vor dem Risiko von Ausstrahlungseffekten auf andere Mitgliedstaaten.

2.9.

In Krisen können Mitgliedstaaten den Zugang zu den Finanzmärkten verlieren. In diesem Fall gehören zum verfügbaren Instrumentarium für den betroffenen Mitgliedstaat der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) und das Zahlungsbilanzprogramm. Derzeit gibt es jedoch keinen Mechanismus zur Unterstützung eines Mitgliedstaats im Falle eines asymmetrischen Schocks, bei dem nicht notwendigerweise der Zugang zu den Kapitalmärkten verlorengeht. Ziel der EISF ist es daher, diese Lücke durch die Bereitstellung von Darlehen für den betreffenden Mitgliedstaat zu schließen.

2.10.

Zur Verbesserung der Wirksamkeit des vorgeschlagenen Mechanismus schlägt die Europäische Kommission vor, zur Bestimmung von asymmetrischen Schocks einen zweifach an die Erwerbslosenquote gekoppelten Auslöser zu verwenden. Der Mechanismus wird ausgelöst, wenn die nationalen Erwerbslosenquoten über das hinausgehen, was als „normal“ angesehen werden kann, und sie als aussagekräftiger Indikator für die Auswirkungen eines großen asymmetrischen Schocks in einem bestimmten Mitgliedstaat angesehen werden.

2.11.

Bei der Gewährung von Darlehen an Mitgliedstaaten, die von wirtschaftlichen Schocks betroffen sind, setzt der Mechanismus voraus, dass die makroökonomische Politik und die Haushaltspolitik im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) (der sicherstellen soll, dass die Länder in der Europäischen Union gesunde öffentliche Finanzen anstreben und ihre Finanzpolitik koordinieren) und dem Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht stehen. Mit diesem Verfahren soll das Entstehen potenziell schädlicher makroökonomischer Ungleichgewichte, die die wirtschaftliche Stabilität in einem bestimmten Mitgliedstaat, im Euro-Währungsgebiet oder in der EU insgesamt beeinträchtigen könnten, erkannt, verhindert und bekämpft werden.

2.12.

Im Laufe der Zeit kann die EISF (über den Stabilisierungsfonds) durch zusätzliche, nicht aus dem EU-Haushalt stammende Mittel ergänzt werden. Denkbar sind als Quellen: der Europäische Stabilitätsmechanismus (der künftige Europäische Währungsfonds) und ein von den Mitgliedstaaten einzurichtendes System freiwilliger Absicherung.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA stellt fest, dass beim derzeitigen Stand der politischen und gesellschaftlichen Integration ein großer föderaler Haushalt im Euro-Währungsgebiet unrealistisch ist. Der EWSA hat die Kommission in ihren Bemühungen um die Weiterentwicklung und Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) durchgehend unterstützt (5), aber gleichzeitig auch regelmäßig seine Bedenken angesichts des durchweg zu geringen politischen Engagements der Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht, ohne das eine Vollendung der WWU undenkbar ist (6). Die Vorschläge für eine EISF scheinen dies widerzuspiegeln und sind somit eine Art Zwischenlösung. Die Dichotomie zwischen einer zentralisierten Geldpolitik und einer nationalen Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten besteht daher fort. Der positive Aspekt des Vorschlags liegt darin, dass die EISF die nationale Haushaltspolitik bei asymmetrischen Schocks stabilisieren und gleichzeitig eine langfristige Nachhaltigkeit gewährleisten soll. In dieser Hinsicht betrachtet der EWSA den Vorschlag als Schritt hin zu einer etwas tieferen Integration des Euro-Währungsgebiets und möglicherweise auch als Versuch, andere Mitgliedstaaten für die Einführung der gemeinsamen Währung zu gewinnen.

3.2.

Der vorgeschlagene Mechanismus setzt die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, d. h. eine solide Haushaltsplanung und eine solide makroökonomische Politik voraus. Dies wird vom EWSA als Versuch einer Annäherung zwischen Haushalts- und Geldpolitik gewertet, indem sichergestellt wird, dass die Mitgliedstaaten sich nach den Förderkriterien richten, mit denen eine solide Haushaltsplanung und eine solide makroökonomische Politik gefordert wird. Dies bedeutet auch, dass nur diejenigen Mitgliedstaaten die EISF nutzen könnten, die den Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts genügen, d. h. diejenigen Mitgliedstaaten, die bereits Strukturreformen und Haushaltsanpassungen vorgenommen haben. Diese Bedingung könnte für die Mitgliedstaaten ein Anreiz sein, sich uneingeschränkt nach den Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu richten, und Ängste ausräumen bezüglich der Absicherung von Ausgaben von Mitgliedstaaten, die gerade Strukturreformen und Haushaltsanpassungen durchführen.

3.3.

Dementsprechend wird die EISF keine „dauerhaften Transferleistungen“ zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets bewirken, wobei ein Mitgliedstaat nur dann für eine ESIF-Hilfe in Frage kommt, wenn er in den vorangegangenen zwei Jahren die wichtigsten Haushaltsvorschriften der EU eingehalten hat. Der EWSA stellt allerdings fest, dass die EISF ausschließlich für Mitgliedstaaten mit einer soliden Haushalts- und makroökonomischen Politik gedacht ist und dass ein Darlehen lediglich unter außergewöhnlichen Umständen und beim Auftreten asymmetrischer Schocks in der Form überdurchschnittlicher Erwerbslosenquoten gewährt würde. Der EWSA stimmt jedoch zu, dass Markt- und Haushaltsdisziplin wichtig sind, und begrüßt das Ziel einer stabilisierenden Funktion als ersten Schritt auf dem Weg zu einer weiter entwickelten Stabilisierungsfunktion.

3.4.

Der EWSA sieht ein, dass die Kommission keine abschließende Liste asymmetrischer Schocks vorlegen konnte, zu denen u. a. eine Liquiditätskrise gehören könnte. Der EWSA ist der Auffassung, dass die richtige Antwort auf eine Liquiditätskrise nicht die Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion, sondern das Programm zum unbegrenzten Anleihekauf (Outright Monetary Transactions, OMT) der Europäischen Zentralbank ist, das voraussetzt, dass der Mitgliedstaat am Europäischen Stabilitätsmechanismus teilnimmt. Der Ausschuss stimmt zu, dass eine abschließende Liste asymmetrischer Schocks nicht angemessen wäre und nimmt mit Blick auf die Wirksamkeit einer Stabilisierungsfunktion als Krisenpräventionsmechanismus die makroökonomischen Simulationen der Kommission auf der Grundlage von Daten aus der Vergangenheit mit Zufriedenheit zur Kenntnis.

3.5.

Der Ausschuss geht davon aus, dass sich die Europäische Investitionsstabilisierungsfunktion vom Europäischen Stabilitätsmechanismus unterscheidet, der während der Finanzkrise als Auffangfonds entwickelt wurde. Der Europäische Stabilitätsmechanismus ist enger an ein Rettungsprogramm gekoppelt, das an strengere Auflagen geknüpft ist, mit einer Darlehenskapazität in Höhe von 500 Mrd. EUR ausgestattet ist und von Mitgliedstaaten genutzt werden kann, die nicht mehr in der Lage sind, Kredite auf den Kapitalmärkten aufzunehmen.

3.6.

Daher muss zwischen den beiden Fonds klar unterschieden werden. Die EISF ist sehr viel begrenzter, und obwohl sie für Mitgliedstaaten jeder Größe gedacht ist, glaubt der EWSA, dass der vorgeschlagene Fonds in Höhe von 30 Mrd. EUR eher für kleinere Mitgliedstaaten innerhalb und außerhalb des Euro-Währungsgebiets geeignet ist. Daher hat der EWSA für den Fall, dass asymmetrische Schocks zwei oder mehr Mitgliedstaaten betreffen, Bedenken hinsichtlich der Mittelausstattung des Fonds. Die vorgeschlagene EISF kann daher nicht als endgültige Lösung für Mitgliedstaaten betrachtet werden, die sich mit einmaligen Problemen wie einer Umweltkatastrophe, einer Energie- oder einer räumlich begrenzten Bankenkrise konfrontiert sehen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA erkennt an, dass bei der Anwendung der Formel zur Bestimmung des Darlehensbetrags für den förderfähigen Mitgliedstaat (Mitglieder des Euro-Währungsgebiets und künftige Mitglieder im Rahmen des Europäischen Wechselkursmechanismus) die Darlehen den öffentlichen Investitionen (unter der Voraussetzung, dass es sich um hochwertige Investitionen handelt) in Zeiten asymmetrischer Schocks gewisse Impulse geben würden, die Auswirkungen jedoch kaum unmittelbar sein dürften. Wirtschaftliche Erholung braucht Zeit, und etwaige positive Auswirkungen werden voraussichtlich erst mittel- und langfristig zu spüren sein. Der Vorschlag muss daher in Bezug auf die angestrebten Ziele und möglichen Ergebnisse der EISF realistischer sein.

4.2.

Der EWSA stellt fest, dass es die zeitnahe Wirkung der Stabilisierungsfunktion beeinträchtigen könnte, wenn die Arbeitslosigkeit als einziges Kriterium für die Aktivierung der Hilfe herangezogen wird. Denkbar ist auch, weitere ergänzende Indikatoren heranzuziehen, die normalerweise früher einen bevorstehenden großen Schock vorhersagen können als die Arbeitslosigkeit. Dadurch kann eine erste Unterstützung frühzeitig ausgelöst werden, noch bevor sich der „große“ Schock in vollem Umfang in der Arbeitslosenquote niedergeschlagen hat. Zu dem Zeitpunkt, zu dem ein erheblicher Anstieg der Arbeitslosigkeit verzeichnet wird, ist die Produktivkapazität der Wirtschaft möglicherweise schon geschädigt worden. So muss es zum Beispiel in einer Volkswirtschaft, die einen starken Rückgang der Exporte von Gütern und Dienstleistungen verzeichnet, nicht zwangsläufig zu einem entsprechenden Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen.

4.3.

Es wäre daher sinnvoll, wenn ein Instrument zur Verfügung stünde, dass aktiviert werden kann, bevor sich die Symptome in vollem Umfang auf dem Arbeitsmarkt niederschlagen. Es ist mit anderen Worten notwendig, das Kriterium Arbeitslosigkeit um eine Reihe von Frühwarnindikatoren zu ergänzen, u. a. Veränderungen bei den Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen, der Höhe der Lagerbestände oder anderen Kernziffern, die eindeutig auf einen wirtschaftlichen Schock hinweisen. Auf diese Weise würde die vorgeschlagene Stabilisierungsfunktion viel früher und wirksamer greifen.

4.4.

Außerdem könnte das Erfordernis, dass die durchschnittliche Arbeitslosenquote der letzten 15 Jahre in einem Mitgliedstaat überschritten worden sein muss, damit dieser die Unterstützung erhalten kann, diejenigen Länder benachteiligen, die ihre strukturelle Arbeitslosigkeit erfolgreich abbauen konnten. Ein kürzerer Zeitrahmen, etwa fünf Jahre, wäre hier geeigneter.

4.5.

Der EWSA stellt fest, dass die EISF in der vorgeschlagenen Form Anleihen auf den Kapitalmärkten aufnehmen und an die entsprechenden Mitgliedstaaten zu einem bezuschussten Zinssatz zur Abdeckung der Darlehenskosten weiterreichen könnte. Wie bereits erwähnt, würden die Zuschüsse auf Grundlage der als „Seigniorage“ bezeichneten Gewinne finanziert und über nationale Beiträge zu einem Stabilisierungsfonds erhoben werden. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten zunächst ihr politisches und finanzielles Engagement unter Beweis stellen müssen.

4.6.

Da die EISF nicht als „zusätzliches Instrument“ zu den bestehenden Instrumenten betrachtet wird, könnte der Gesamtbetrag der Darlehen, die im Rahmen der Zahlungsbilanzfazilität, des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und der EISF selbst bereitgestellt werden, durch eine „einheitliche“ Obergrenze beschränkt werden. Zumindest theoretisch würde eine neue Fazilität wie die vorgeschlagene die Darlehenskapazität des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus effektiv um die für die EISF vorgeschlagenen 30 Mrd. EUR verringern. Dementsprechend obliegt es der Kommission, ausstehende Rückzahlungen der jeweiligen Mitgliedstaaten und Eventualverbindlichkeiten fortlaufend auszugleichen.

4.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die EISF und der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus gewisse Ähnlichkeiten aufweisen. Beide Fonds sollen der finanziellen Unterstützung der Mitgliedstaaten dienen. Auch wenn die EISF und der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus jeweils eigene Förderbedingungen haben, würden die Bedingungen des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus nach Dafürhalten des EWSA weiterhin gelten, wodurch die Wirksamkeit der EISF auf gewisse Weise eingeschränkt würde.

4.8.

Der EWSA nimmt Bezug auf den Zinszuschuss, von dem der betroffene Mitgliedstaat profitieren würde. Bei einer Krise könnte sich der Zinszuschuss unter sonst gleichen Umständen so auswirken, dass aufgrund der Risiken, die ein Mitgliedstaat in einer Krise darstellt, die Kosten für Zinszahlungen steigen. Dies wiederum würde sich negativ auf die öffentlichen Finanzen des betreffenden Mitgliedstaats auswirken. Die Wirksamkeit hochwertiger öffentlicher Investitionen und damit die Wirksamkeit der EISF selbst ist somit von entscheidender Bedeutung für die Verringerung etwaiger Marktrisiken für den betreffenden Mitgliedstaat und die Senkung der Kosten für mittel- und langfristigen Darlehen.

4.9.

Der EWSA nimmt Bezug auf die Aufsicht der Kommission über die öffentlichen Investitionen, der der betreffende Mitgliedstaat gemäß dem Vorschlag unterliegt. Der EWSA spricht sich nicht grundsätzlich dagegen aus, ist allerdings auch der Ansicht, dass der betreffende Mitgliedstaat bei der Festlegung der Art der erforderlichen Investitionen einen ausreichenden Spielraum haben sollte, und spricht sich daher dafür aus, dass ein Gleichgewicht zwischen der Aufsicht durch die Kommission einerseits und dem Ermessensspielraum des entsprechenden Mitgliedstaats bei den öffentlichen Ausgaben andererseits gefunden wird. Der EWSA ist ferner der Ansicht, dass die öffentlichen Investitionen auch als Instrument der Solidarität betrachtet werden sollten.

4.10.

Abschließend stellt der EWSA fest, dass der Kommissionsvorschlag die Möglichkeit einer künftigen Erweiterung des Systems offenlässt, nämlich um einen möglichen Versicherungsmechanismus zur makroökonomischen Stabilisierung. Dies zeigt nach Ansicht des EWSA, dass man sich der Grenzen der Europäischen Investitionsstabilisierungsfunktion bewusst ist und dass die Vorschläge in ihrer derzeitigen Form letztlich um eine umfassende Stabilisierungsfunktion ergänzt werden müssen, wie z. B. ein EU-weites Versicherungssystem, das bei makroökonomischen Schocks als automatischer Stabilisator wirkt. Sollte die EU in der Zwischenzeit von einer weiteren Finanz- und Wirtschaftskrise heimgesucht werden, würde der EWSA für einen koordinierten Ansatz und die Anwendung aller geeigneten Finanzinstrumente, einschließlich der EISF, plädieren.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Absichtserklärung an Präsident Antonio Tajani und Ministerpräsident Jüri Ratas‚ Jean-Claude Juncker, Rede zur Lage der Union, 13. September 2017.

(2)  Bericht der fünf Präsidenten: Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden, 22. Juni 2015.

(3)  COM(2017) 291 final.

(4)  COM(2017) 821 final.

(5)  Siehe beispielsweise Stellungnahme des EWSA zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets, ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 33 und Stellungnahme des EWSA zur Vertiefung der WWU bis 2025, ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 124.

(6)  Siehe beispielsweise Stellungnahme des EWSA zum Paket zur Wirtschafts- und Währungsunion, ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 28.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/131


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms ‚InvestEU‘“

(COM(2018) 439 final — 2018/0229 (COD))

(2019/C 62/22)

Berichterstatter:

Petr ZAHRADNÍK

Befassung

Rat der Europäischen Union, 7.9.2018

Europäisches Parlament, 14.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 175 Absatz 3 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

204/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt, dass das Paket von Verordnungen über den kommenden mehrjährigen Finanzrahmen auch einen Entwurf zur Steigerung der Investitionsaktivität in der EU (die noch immer nicht das Vorkrisenniveau erreicht hat) einschließlich langfristiger Investitionsvorhaben mit ausgeprägt öffentlichem Interesse enthält, wobei dem Kriterium einer nachhaltigen Entwicklung Rechnung getragen wird (in Übereinstimmung mit der Verpflichtung der EU, dieses im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung umzusetzen). Der EWSA würdigt diese Regelung, weil prioritäre Bereiche des Programms „InvestEU“ sowie der Zeitplan ihrer Umsetzung weitgehend mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung übereinstimmen oder aus dieser resultieren. Um zu gewährleisten, dass das Programm seine Wirkung erfolgreich entfalten kann, sollte umfassender Nutzen aus der Einbindung von Organisationen der Zivilgesellschaft sowie Sozial- und Wirtschaftspartnern gezogen werden.

1.2.

Der EWSA würdigt die Absicht der Europäischen Kommission, ein übergeordnetes Finanzierungsinstrument zu schaffen, und stimmt auch seiner inhaltlichen Fokussierung zu. Die einheitliche Verwaltung, die verbesserte Transparenz und mögliche Synergien bieten im Vergleich zum derzeitigen Stand mehr Chancen, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Der EWSA betont die Notwendigkeit eines strengen Markttests von Projekten zur Gewährleistung der Angemessenheit konkreter Projekte, die für die Anwendung von Finanzierungsinstrumenten geeignet sind. Der Erfolg des Instruments ist in erheblichem Maße von einem gut funktionierenden Überwachungssystem abhängig.

1.3.

Der EWSA begrüßt, dass das Programm „InvestEU“ neben der Förderung nachhaltiger Infrastruktur, kleiner und mittlerer Unternehmen sowie von Forschung und Innovation auch auf soziale Investitionen und Kompetenzen ausgerichtet ist. Damit wird deutlich gemacht, dass der Bedeutung sozialer Investitionen für die kommende Entwicklung der EU eine entscheidende Rolle zukommt. Der EWSA unterstützt in diesem Zusammenhang die enge Bindung des Programms „InvestEU“ im Bereich sozialer Investitionen und Kompetenzen mit klassischen Instrumenten zur Förderungen der Sozialpolitik, vor allem mit dem Europäischen Sozialfonds, den Instrumenten zur Förderung der Jugendbeschäftigung und mit den Programmen für Beschäftigung und soziale Innovation, damit höchst solide Investitionen in nachhaltige soziale Infrastruktur, Sozialunternehmen sowie Dienstleistungen und Zentren für die Entwicklung des Humankapitals erreicht werden.

1.4.

Der EWSA betont dabei, dass im Rahmen des Programms „InvestEU“ keinesfalls soziale Investitionen unterschätzt und vernachlässigt werden sollten, denen die gleiche Bedeutung zukommen muss, wie den primär auf Entwicklung und Unternehmen ausgerichteten Investitionen. Diese Erkenntnis beruht unter anderem auf den Ergebnissen, die die hochrangige Taskforce „Investitionen in die soziale Infrastruktur in Europa“ unter der Leitung von Romano Prodi im Dezember 2017 vorgelegt hat. Hier können die öffentlichen Investitionen dazu dienen, private Investitionen zu beschleunigen.

1.5.

Da „InvestEU“ ein neuer Programmtyp ist, begrüßt der EWSA die Möglichkeit eines konkreten, benutzerfreundlichen Ratgebers für die Bestimmung geeigneter Projektarten, mit Beispielen für Synergien mit weiteren Kapiteln des mehrjährigen Finanzrahmens sowie für die angemessene Umsetzung im Rahmen der Gegebenheiten der Mitgliedstaaten.

1.6.

Der EWSA würdigt die prognostizierte positive Auswirkung des Programms „InvestEU“ auf die Entwicklung der Finanzmärkte in den Mitgliedstaaten; in diesem Zusammenhang wird die Notwendigkeit einer geeigneten Struktur für die Durchführungspartner, vor allem auf nationaler Ebene, unterstrichen.

2.   Hintergrund des Vorschlags und wichtigste Fakten

2.1.

Die jüngste Wirtschaftskrise hat die Investitionsaktivität in der EU wesentlich beeinträchtigt, wobei diese bisher nicht im vollen Umfang wiederhergestellt wurde. Deshalb muss das Ziel aller Schlüsselelemente der Wirtschaftspolitik der EU darin bestehen, Wege für eine langfristige Mobilisierung von Investitionen, auch von Investitionen im öffentlichen Interesse, aufzuzeigen und kleine und mittelständische Unternehmen stärker einzubinden, wobei die Ansichten der Zivilgesellschaft berücksichtigt werden sollten.

2.2.

Da zur Finanzierung von Investitionen im öffentlichen Interesse sowohl auf nationaler, als auch der EU-Ebene nur unzureichende Mittel zur Verfügung stehen, wäre die Einbindung von Privatkapital gemäß den Regeln, die dem Interesse der Öffentlichkeit gerecht werden, wünschenswert. Ein Weg, der zur Verwirklichung dieses Ziels beiträgt, ist die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen rückzahlbaren Finanzierungsinstrumenten und Instrumenten auf dem Prinzip der Subventionierung im Rahmen des EU-Haushalts.

2.3.

Rückzahlbare Finanzierungsinstrumente aus Mitteln des EU-Haushalts haben sowohl auf zentraler, als auch auf nationaler Ebene, vor allem innerhalb des Finanzrahmens 2014-2020, eine bedeutende Entwicklung verzeichnet, und trotzdem ist ihre Verwendungsrate nicht optimal. Verbesserungsspielraum besteht unter anderem in der Notwendigkeit, eine Vielzahl unkoordinierter Instrumente auf zentraler Ebene unter einem gemeinsamen Durchführungsmechanismus zusammenzufassen, und eines der Beispiele dafür ist das Programm „InvestEU“.

2.4.

Das Programm „InvestEU“ kann als wesentlicher Beitrag des EU-Haushalts im Sinne seiner gegenwärtigen Innovationen zur Sicherstellung eines europäischen Mehrwerts, verstärkter Flexibilität, Synergien zwischen seinen einzelnen Kapiteln und der Verfahrensvereinfachung gesehen werden; dieser Beitrag soll sich im Fall des Programms „InvestEU“ auf eine langfristig erhöhte Investitionsaktivität (indem bis zum Jahr 2027 Investitionen in einer Gesamthöhe von 650 Mrd. EUR mobilisiert werden), eine Stärkung der Rolle des Finanzmarktes auch in Bezug auf Projekte im öffentlichen Interesse und eine effizientere Zuweisung der Mittel aus dem EU-Haushalt auswirken, welche Dank der Rentabilität einen natürlichen Markttest durchlaufen.

2.5.

Das Programm „InvestEU“ sollte deshalb keinesfalls isoliert betrachtet, sondern als wichtiges Element im komplexen Instrumentenmosaik des kommenden EU-Haushalts gesehen werden, das augenscheinlich einen neuen Trend bei der Verteilung seiner Ausgaben darstellt und wesentlich zur Überwindung der traditionellen und langfristig perspektivlosen Trennung in Netto-Zahler und Netto-Empfänger beiträgt.

2.6.

Das Programm „InvestEU“ ist eine kontinuierliche Fortsetzung der bisherigen positiv wahrgenommenen Tätigkeit des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) und des Investitionsplans für Europa und weitet diese erheblich aus. Das progressive Prinzip, auf dem der EFSI begründet ist, sollte bei der Zusammenfassung der Vielzahl zentral aufgestellter Finanzierungsinstrumente auf EU-Ebene zur Anwendung gelangen.

2.7.

Das Programm „InvestEU“ umfasst drei Bestandteile:

den Fonds „InvestEU“, der als Hauptziel die Mobilisierung öffentlicher und privater Mittel für Investitionen unter Verwendung von Garantien aus dem EU-Haushalt verfolgt;

die InvestEU-Beratungsplattform, die in Ergänzung des Fonds technische Beratung bei Investitionsprojekten bietet, für die Finanzierungen benötigt werden;

das InvestEU-Portal, das in Ergänzung des Fonds eine leicht zugängliche und benutzerfreundliche Datenbank darstellt, in der Anleger und geförderte Projekte zusammengeführt werden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt die Fortsetzung und den Ausbau des auf Garantien beruhenden Finanzierungsinstruments und hält dieses auch angesichts der zukünftigen langfristigen Entwicklung des EU-Haushalts und der Haushaltspolitik für wesentlich. Nach Ansicht des EWSA reichen die Finanzmittelausstattung des Programms „InvestEU“ in Höhe von 15,2 Mrd. EUR ebenso wie die Gesamtgarantie von 47,5 Mrd. EUR aus, um Investitionen in Höhe von 650 Mrd. EUR bis 2027 zu mobilisieren. Die Dotierungsquote von 40 % für die EU-Garantie hält der EWSA in Anbetracht der gewählten Programmbereiche sowie der innerhalb dieser Bereiche geförderten Projekte für angemessen.

3.2.

Der EWSA hält die inhaltliche Wahl der Politikbereiche nachhaltige Infrastruktur, KMU, Forschung und Innovation sowie soziale Investitionen und Kompetenzen einschließlich der Aufteilung der Gesamtgarantie für angemessen. Nach Ansicht des EWSA sind dies die wichtigsten Bereiche für eine intensive Nutzung von Finanzierungsinstrumenten.

3.3.

In der Einführung des Programms „InvestEU“ liegen aus Sicht des EWSA zwei grundlegende Vorteile, die bisher bei Finanzierungen aus dem EU-Haushalt und unter Einsatz von Finanzierungsinstrumenten nicht in diesem Ausmaß erreicht werden konnten: es kommt zu einer Zusammenfassung von derzeit zersplitterten Programmen und dadurch zur Stärkung ihrer gegenseitigen Synergieeffekte; gleichzeitig wird der kostenwirksame Einsatz von Mitteln des EU-Haushalts verschärft, weil ein Markttest erfolgreich zu durchlaufen ist. Der EWSA sieht in der Stärkung eines auf Garantien beruhenden Instruments die einzigartige Gelegenheit, ausreichende Mittel für öffentliche Investitionen sicherzustellen, die mit bisherigen Verfahren zur Nutzung des EU-Haushalts keinesfalls erreicht werden konnten, und betrachtet deshalb dieses Prinzip aus langfristiger Sicht als zukunftsfähig. Aus Sicht des EWSA leistet das Gesamtkonzept des Programms „InvestEU“ einen wesentlichen Beitrag zum europäischen Mehrwert.

3.4.

Der EWSA würdigt auch die prognostizierten Hauptvorteile des Programms „InvestEU“, also die Bildung eines ausreichend soliden Instruments, das geeignet ist, die Investitionsaktivität weiter zu mobilisieren und dazu beizutragen, sie langfristig mindestens auf dem Niveau von vor 2009 zu halten, und gleichzeitig die transparentere und effizientere Gestaltung des auf EU-Ebene zentral verwalteten Finanzierungsinstrumentariums sowie den Einsatz von Finanzierungsinstrumenten auf Ebene der Mitgliedstaaten mittelbar anzuregen (vor allem solche, die bei dieser Art der Verwendung von Haushaltsmitteln nicht sehr erfolgreich sind), des Weiteren dann tatsächliche Prioritäten der EU-Entwicklung zu erreichen und moderne Finanzierungsmethoden bei ihrer Umsetzung anzuwenden. Der EWSA ist der Auffassung, dass es ebenfalls wichtig ist, dass Indikatoren und Instrumente des Europäischen Semesters, einschließlich der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in Form nationaler Reformprogramme, als Leitfaden für die konkrete Förderung aus dem Programm „InvestEU“ dienen werden.

3.5.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Äußerungen hebt der EWSA die Bedeutung eines gut funktionierenden Überwachungssystems hervor, das darauf abzielt, das Kriterium der Rentabilität des Programms InvestEU im Auge zu behalten und den Erfolg der privaten und öffentlichen Investitionen zu bewerten. In diesem Zusammenhang führt die Rolle der öffentlichen Investitionen zu einem Beschleunigungseffekt und Impulsen für die privaten Folgeinvestitionen.

3.6.

Es entspricht der allgemeinen Auffassung des EWSA sowie vielen seiner einschlägigen Stellungnahmen, dass das Programm „InvestEU“ auf das Erreichen von bereichsübergreifenden und in mehrfacher Hinsicht auch grenzüberschreitenden Zielen auf der Basis von Vereinfachung, Flexibilität, Synergie und Rentabilität ausgerichtet ist, wobei der Grundsatz nach und nach an Boden gewinnt, dass EU-Mittel nicht unbedingt Subventionierung bedeuten, sondern auch auf andere Art und Weise umverteilt oder investiert werden können. Dadurch kommt es zum Quantensprung von „bloßer“ Zuteilung von Haushaltsmitteln hin zu tatsächlichen Investitionen im öffentlichen Interesse.

3.7.

Durch die Akzeptanz des oben beschriebenen Verfahrens werden zusätzliche Möglichkeiten zu einer Erhöhung des Gesamtvolumens geförderter Investitionen geschaffen, die mithilfe traditioneller Methoden nicht zu gewährleisten wären. Zusätzlich ermöglicht dieser Mechanismus auch die Einbindung privater Finanzierungen in Projekte von öffentlichem Interesse, vor allem dort, wo das Risiko von Marktversagen gegeben ist. Hier besteht eine Investitionslücke, auf die sich privates Kapital ohne entsprechende staatliche Garantien nie einlassen wird.

3.8.

Der EWSA empfiehlt, dass im Verordnungsentwurf die Kombinationsmöglichkeiten einzelner Finanzierungsquellen mit Lösungen des Programms „InvestEU“ ausführlicher und anschaulicher beschrieben und geregelt werden; die Möglichkeit zur Kombination der Mittel entspricht dem proklamierten Ziel, das jedoch beim Fehlen eines anschaulichen Leitfadens auf praktische Hindernisse stoßen kann. Vom Standpunkt des EU-Haushalts aus gesehen sollte innerhalb eines Projekts die Kombination verschiedener finanzieller Ressourcen in zwei Richtungen möglich sein: als Beitrag der Fonds mit geteilter Mittelverwaltung zugunsten des Programms InvestEU und als Beitrag des Programms InvestEU zu den nationalen, maßgeschneiderten Finanzierungsinstrumenten, die im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung umgesetzt werden. Entsprechende Durchführungsbestimmungen, die eine solche Flexibilität gewährleisten, sollten in die Verordnung aufgenommen werden.

3.9.

Der EWSA empfiehlt auch die Erstellung eines Verzeichnisses von Projektarten, für die das Programm „InvestEU“ geeignet ist, und gleichzeitig solcher, bei denen auch weiterhin das Prinzip der Bezuschussung angemessener ist (also jener, bei denen eine direkte finanzielle Rentabilität auch bei einem längeren Zeithorizont unwahrscheinlich oder sogar unmöglich ist).

3.10.

Im Zusammenhang mit dem Entwurf des Programms „InvestEU“ und im breiteren Kontext des gesamten Spektrums des mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 empfiehlt der EWSA eine Bewertung der bisherigen wirtschaftlichen Folgen des EFSI für einzelne Mitgliedstaaten einschließlich einer Aufstellung der Inanspruchnahme von Finanzierungen und der dadurch erzielten Nutzeffekte. Diese Bewertung wird vor allem deshalb besonders wichtig sein, weil das Programm „InvestEU“ als neues Instrument im Rahmen der Finanzierung der EU direkt auf tatsächliche Investitionsprioritäten abgestellt werden kann und bestimmte Mängel, die mit den gegebenen Durchführungsverfahren des EU-Haushalts verbunden sind, vermieden werden können. Auch hier gibt es Spielraum für die Einbeziehung von Akteuren der organisierten Zivilgesellschaft, die dazu beitragen können, den Nutzen der europäischen Projekte im Hinblick auf Wohlstand und Wohlergehen hervorzuheben und in verständlicher Form darzulegen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt die Möglichkeit, im Rahmen des Programms „InvestEU“ für die freiwillige Mitgliedstaaten-Komponente Mittel zu nutzen, die zum Beispiel primär für die Kohäsionspolitik bestimmt sind. Da es sich um einen neuen Ansatz zur gemeinsamen Nutzung von Ressourcen handelt, empfiehlt der EWSA, einen anschaulichen Ratgeber zu erstellen, damit ähnliche Transaktionen erleichtert werden.

4.2.

Der EWSA betont die Notwendigkeit einer präziseren Abstimmung zwischen der inhaltlichen Abgrenzung der vier Hauptpolitikbereiche des Programms „InvestEU“ und einer ausführlicheren Bestimmung der förderfähigen Bereiche in Anhang II. Der EWSA empfiehlt eine gründlichere Aufbereitung von Anhang II zur besseren praktischen Orientierung der Projektträger mit dem Ziel einer stärkeren inhaltlichen Übereinstimmung mit dem Text von Kapitel II des Verordnungsentwurfs.

4.3.

Der EWSA würde einen Lösungshinweis in Fällen begrüßen, in denen die Garantie seitens des EU-Haushalts aus bestimmten Gründen nicht zur Sicherstellung des erwarteten Investitionsvolumens ausreicht oder in denen die Rentabilität des Fonds sich verschlechtert.

4.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Programm „InvestEU“ eine Möglichkeit für den Ausbau der am Finanzmarkt in den Mitgliedstaaten tätigen Institute darstellt, und räumt aus diesem Grund auch der Erschließung von Möglichkeiten für Durchführungspartner auf nationaler Ebene einen hohen Stellenwert ein. In diesem Zusammenhang unterstreicht er, dass diese Partner auf der Grundlage relevanter kompetenzbezogener Anforderungen sorgfältig und ohne jede Diskriminierung ausgewählt werden müssen, wobei gleichzeitig für eine gerechte und ausgewogene Vertretung der Mitgliedstaaten zu gewährleisten ist.

4.5.

Der EWSA hält es für unerlässlich, dass die Durchführungspartner in der Lage sind, langfristig zur Erfüllung der Ziele des Programms „InvestEU“ beizutragen, und zwar nicht nur durch Sicherstellung seines reibungslosen Funktionierens, sondern auch durch ihre Fähigkeit, Eigenmittel beizusteuern und weitere private und nationale öffentliche Investoren für das System zu mobilisieren, eine angemessene geografische und sektorale Abdeckung sicherzustellen, und vor allem ihre Fähigkeit, Marktversagen und suboptimale Investitionsbedingungen durch präzise und komplexe Lösungen zu beheben.

4.6.

Der EWSA verlangt weitere Erklärungen, wie die Rolle des bevorzugten Durchführungspartners, der Europäischen Investitionsbank, zum Tragen kommt, und wie sichergestellt wird, dass das Engagement dieses bevorzugten Durchführungspartners nicht zu einer Verdrängung anderer, v. a. auf nationaler Ebene agierender Durchführungspartner führt.

4.7.

Der EWSA empfiehlt, dass die EU-Komponente des Fonds tatsächlich Projekte mit grenzüberschreitenden Quereffekten angeht und dass in ihrem Rahmen Fällen eines EU-weiten Marktversagens oder suboptimaler Investitionsbedingungen mit Projekten begegnet wird, die einen klaren europäischen Mehrwert aufweisen.

4.8.

Deshalb begrüßt der EWSA, dass die Durchführungspartner mindestens aus drei Mitgliedstaaten stammen müssen. Nach Einschätzung des EWSA besteht Spielraum zur Deckung des besonderen nationalen und regionalen Investitionsbedarfs, der in erster Linie durch die Komponente des zuständigen Mitgliedstaats in Synergie mit der garantierten nationalen Mittelzuweisung im Rahmen der Kohäsionspolitik gewährleistet werden sollte. Der EWSA unterstreicht in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Investitionen in das Humankapital und die soziale Infrastruktur, die zur Entfaltung des langfristigen Wachstumspotenzials (lebenslanges Lernen, Netz öffentlicher Dienstleistungen und erschwinglicher Wohnraum) sowie zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftssystems in der EU beitragen.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/136


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein stärkeres Europa aufbauen: Die Rolle der Jugend-, Bildungs- und Kulturpolitik“

(COM(2018) 268 final)

zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Förderung der automatischen gegenseitigen Anerkennung von im Ausland erworbenen Hochschulabschlüssen und Abschlüssen der Sekundarstufe II sowie der Ergebnisse von Lernzeiten im Ausland“

(COM(2018) 270 final — 2018/0126 (NLE))

zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zu hochwertiger frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung“

(COM(2018) 271 final — 2018/0127 (NLE))

und zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zu einem umfassenden Ansatz für das Lehren und Lernen von Sprachen“

(COM(2018) 272 final — 2018/0128 (NLE))

(2019/C 62/23)

Berichterstatterin:

Tatjana BABRAUSKIENĖ

Befassung

Europäische Kommission, 18.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

18.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

117/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA)

1.1.

begrüßt die Initiative als nächsten Schritt zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte, um das Recht auf gleichberechtigten Zugang zu hochwertiger und inklusiver allgemeiner und beruflicher Bildung und lebenslangem Lernen zu wahren. Dies ist für die weitere und engere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten unter Achtung ihrer nationalen Zuständigkeit in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von wesentlicher Bedeutung;

1.2.

ist der Auffassung, dass die neue Initiative in eine langfristige Vision der EU-Strategien für eine lebenslange und sämtliche Lebensbereiche umfassende allgemeine und berufliche Bildung im Rahmen der Strategie Europa 2020 und des strategischen Rahmens „ET 2020“ eingebunden werden und als Vorbereitung auf kommende EU-Strategien dienen sollte. Dies beinhaltet die Konzepte und Strategien für die berufliche Aus- und Weiterbildung sowie für die Erwachsenenbildung;

1.3.

betont, dass Bildung in erster Linie auf ganzheitliches Lernen, demokratische Staatsbürgerschaft und gemeinsame europäische Werte ausgerichtet sein sollte, damit unter Achtung und Bereicherung der kulturellen Vielfalt sowie zur Ausprägung eines Zugehörigkeitsgefühls Frieden, Sicherheit, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und gegenseitiger Respekt, offene Märkte, nachhaltiges Wachstum, soziale Inklusion und Gerechtigkeit sichergestellt werden;

1.4.

weist darauf hin, dass die Aufgabe der allgemeinen und beruflichen Bildung und des lebenslangen Lernens darin besteht, junge Menschen und Erwachsene auf ihre Rolle als verantwortungsvolle demokratische Bürgerinnen und Bürger vorzubereiten und sie in dieser Rolle zu unterstützen, sowie ihnen dabei hilft, einen qualitativ hochwertigen und produktiven Arbeitsplatz mit fairen Beschäftigungsbedingungen zu finden und geeignete Kompetenzen zu erwerben;

1.5.

vertritt die Auffassung, dass der europäische Bildungsraum alle einbeziehen sollte, und ermutigt die Regierungen deshalb, Maßnahmen zu ergreifen, um echte Inklusion beim formalen und nichtformalen Lernen zu erreichen sowie das informelle Lernen zu fördern und anzuerkennen;

1.6.

weist die Regierungen auf weiterhin bestehende Lücken beim gleichberechtigten Zugang zu hochwertiger Bildung für Kinder mit einem sozioökonomisch benachteiligten Hintergrund hin, insbesondere Minderheiten, Migranten, Kinder mit Behinderungen und Kinder in ländlichen Gebieten in verschiedenen Regionen Europas. Es ist entscheidend, dass der europäische Bildungsraum die Eingliederung von Migranten und Flüchtlingen in die Bildungssysteme und in den Arbeitsmarkt aktiv unterstützt, unter besonderer Berücksichtigung der Validierung und Anerkennung ihres allgemeinen und beruflichen Bildungsniveaus sowie ihrer Berufserfahrungen;

1.7.

ist der Ansicht, dass zur Verwirklichung der Ziele dieser Initiative nachhaltige nationale Bildungsinvestitionen von mehr als 5 % des BIP pro Mitgliedstaat sowie die Unterstützung durch vorhandene EU-Finanzierungsinstrumente, einschließlich des Programms Erasmus+, und das Europäische Semester erforderlich sind;

1.8.

hält es für erforderlich, im Rahmen des Europäischen Bezugsrahmens zu Schlüsselkompetenzen das Erlernen von Fremdsprachen und die Validierung von nichtformal und informell erworbenen Sprachkenntnissen durch nachhaltige öffentliche Mittel zu unterstützen. Der Fremdsprachenerwerb sollte sowohl auf junge Menschen als auch auf Erwachsene ausgerichtet sein, und bedürftige Menschen sollten beim Lernen einer Fremdsprache unterstützt werden. Der Fremdsprachenerwerb sollte im Rahmen des Lernens in der Familie gefördert und als Teil der formalen und nichtformalen Bildung verbessert werden;

1.9.

befürwortet die in dem Vorschlag enthaltene Forderung nach mehr Investitionen in die berufliche Erstausbildung und Weiterbildung von Sprachlehrkräften, um den Mangel an qualifizierten Sprachlehrkräften zu beheben;

1.10.

begrüßt, dass der Vorschlag darauf abzielt, Regierungen weitere Anreize zu geben, den Zugang zur frühkindlichen Erziehung und Bildung sowie deren Qualität zu verbessern. Es sind jedoch weitere Anstrengungen nötig, um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sicherzustellen, dafür zu sorgen, dass eine hochwertige, erschwingliche frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung ein Recht aller Kinder und Familien wird, und dass die wichtige Rolle des Lernens in der Familie, das Eltern bei ihrer Aufgabe Selbstvertrauen gibt und zum Lernen im Erwachsenenalter beiträgt, Anerkennung findet;

1.11.

befürwortet den Vorschlag, dass das Personal in der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung förderliche Arbeitsbedingungen haben und die Professionalisierung des Personals erhöht werden sollte; fordert mit Nachdruck, dass die Attraktivität des Lehrberufs sowie ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter in dieser Berufsgruppe sichergestellt werden;

1.12.

verweist auf die Bedeutung der grenzübergreifenden Anerkennung von Lernzeiten in allen Formen der Sekundar- und Hochschulbildung sowie von Abschlüssen der Sekundarstufe II, die im Rahmen der allgemeinen und beruflichen Bildung bzw. einer Ausbildung erworben wurden und im Heimatland den Zugang zur Hochschulbildung ermöglichen. Die Lernmobilität ist von wesentlicher Bedeutung für die aktive Teilhabe an der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt und sollte durch Vertrauen in Programme und Abschlüsse gestärkt werden und auf gut entwickelten Qualitätssicherungssystemen fußen;

1.13.

weist darauf hin, dass sich die europäischen Werkzeuge, Instrumente und Grundsätze für Hochschul- und Berufsausbildung ergänzen und gegenseitig unterstützen sollten (EQR, ECVET, EQAVET, EQAR usw.), wobei für eine automatische Anerkennung der Lernmobilität in Europa der Lernergebnisansatz in der EU vollständig umgesetzt werden muss;

1.14.

hebt hervor, dass ein weiterer zentraler Punkt der Initiative die Anerkennung von formalem, nichtformalem und informellem Lernen im Ausland sein sollte und verweist auf die Rolle der Interessenträger, der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft bei der Anerkennung von Lernergebnissen sowie auf die Rolle von Beratungslehrern bei der Unterstützung des Prozesses; ruft im Sinne einer Optimierung der Validierungsverfahren die beratende Gruppe für den EQR und das Cedefop dazu auf, das Europäische Verzeichnis für die Validierung nichtformalen und informellen Lernens (VNFIL) sowie die europäischen Leitlinien für die Validierung nichtformalen und informellen Lernens als Qualitätsstandards für die Mitgliedstaaten, Sozialpartner und Interessenträger zu verbessern;

1.15.

unterstreicht, dass das Ziel einer hochwertigen und inklusiven Bildung im Rahmen der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung sowie die Verbesserung des Fremdsprachenerwerbs und die gegenseitige Anerkennung von Sekundarschulabschlüssen auf allen Ebenen von Regierungen, Arbeitgebern und Gewerkschaften in einem effizienten sozialen Dialog mit anderen Interessenträgern diskutiert werden müssen.

2.   Politischer Hintergrund

2.1.

Für die Bildungs- und Kulturpolitik sind in erster Linie die Mitgliedstaaten zuständig. Schon viele Jahre hat die Europäische Union jedoch gemäß Artikel 165 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine wichtige ergänzende Rolle gespielt. Es liegt daher im gemeinsamen Interesse aller Mitgliedstaaten, das volle Potenzial von Bildung und Kultur als Antriebskräfte für Beschäftigung, Wirtschaftswachstum und soziale Gerechtigkeit zu nutzen sowie als Wege, die europäische Identität in ihrer gesamten Vielfalt zu erleben.

2.2.

Im November 2017 wurde auf dem Sozialgipfel in Göteborg die europäische Säule sozialer Rechte proklamiert, mit der das Recht auf gleichberechtigten Zugang zu allgemeiner und beruflicher Bildung und lebenslangem Lernen verankert wird und die auf der Kommissionsmitteilung COM(2017) 673 final fußt. Dies führte zu den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 14. Dezember 2017, in denen die Mitgliedstaaten, der Rat und die Kommission aufgerufen wurden, die in Göteborg diskutierte Agenda weiter voranzutreiben.

2.3.

In dem sogenannten ersten Maßnahmenpaket zum europäischen Bildungsraum wurde die Empfehlung des Rates COM(2018) 23 final (angenommen am 22. Mai 2018) vorgeschlagen, die auf der Erklärung von Paris zur Förderung von politischer Bildung und der gemeinsamen Werte von Freiheit, Toleranz und Nichtdiskriminierung durch Bildung der Bildungsminister aus dem Jahr 2015 aufbaut. Die Ankündigung erfolgte in der Kommissionsmitteilung COM(2016) 379 final vom 14. Juni 2016.

2.4.

Am 22. Mai veröffentlichte die Kommission das zweite Bildungspaket, das weitere Vorschläge zur Einrichtung eines europäischen Bildungsraums bis 2025 enthält.

2.5.

Diese Stellungnahme des EWSA bezieht sich auf das zweite Bildungspaket, bei dem weitere Herausforderungen im Mittelpunkt stehen, die bewältigt werden müssen, um einen hochwertigen und inklusiven europäischen Bildungsraum zu schaffen, wie zum Beispiel das Erlernen von Fremdsprachen, die automatische gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen der Sekundarstufe II und hochwertige frühkindliche Erziehung und Bildung.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA ist der Überzeugung, dass die Schaffung eines europäischen Bildungsraums eine Schlüsselstrategie für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten unter Achtung ihrer nationalen Zuständigkeiten in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen darstellt, mit der auf die sozialen, wirtschaftlichen, demographischen, ökologischen und technologischen Entwicklungen reagiert werden kann und diese Entwicklungen vorangetrieben werden können, um unter Wahrung einer starken sozialen Dimension die wettbewerbsgerechte Integration Europas als Wirtschaftsmacht in der Welt zu verwirklichen.

3.2.

Die Initiative ist ein ausgezeichneter nächster Schritt auf dem Weg zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte, um das Recht auf gleichberechtigten lebenslangen Zugang zu hochwertiger allgemeiner und beruflicher Bildung und Beratung in inklusiver Form (1) sicherzustellen, und baut auf der Kommissionsmitteilung COM(2017) 673 final auf, in der der europäische Bildungsraum angekündigt wird.

3.3.

Der EWSA betont, dass unser gemeinsames Ziel darin liegt, dass bei der allgemeinen und beruflichen Bildung und lebenslangem Lernen der ganzheitliche Ansatz im Mittelpunkt steht, wobei besonderes Augenmerk auf der demokratischen Staatsbürgerschaft und den gemeinsamen europäischen Werten und der europäischen Identität liegt, damit Frieden, Sicherheit, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und gegenseitiger Respekt, nachhaltiges Wachstum, soziale Inklusion und Gerechtigkeit gewährleistet sind und die kulturelle Vielfalt gewahrt und bereichert und ein Zugehörigkeitsgefühl zur EU gestärkt werden.

3.4.

Unter dem Verweis auf die entscheidende Rolle, die die allgemeine und berufliche Bildung und das lebenslange Lernen dabei spielen, junge Menschen und Erwachsene auf ihre Rolle als demokratische Bürgerinnen und Bürger vorzubereiten und ihnen dabei zu helfen, hochwertige Arbeitsplätze unter fairen Beschäftigungsbedingungen zu finden, sowie unter besonderer Beachtung der Gleichstellung der Geschlechter sollte der europäische Bildungsraum allen offen stehen und Regierungen Anreize geben, eine echte Inklusion im Bereich des formalen, informellen und nichtformalen Lernens anzustreben und dabei das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen berücksichtigen.

3.5.

In diesem Sinne und unter Verweis auf seine Stellungnahme (2) ist der EWSA der Auffassung, dass der europäische Bildungsraum Regierungen außerdem Anregungen geben sollte, wie eine aktive Unterstützung für die Integration von Migranten und Flüchtlingen in die Bildungssysteme und in den Arbeitsmarkt aussehen könnte. Zentrale Punkte sind hier, dass allgemeine und berufliche Bildung, Ausbildungen sowie Berufserfahrungen der Migranten und Flüchtlinge validiert und anerkannt werden.

3.6.

Eine Reform und Anpassung der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung benötigen Zeit. Der EWSA würde es begrüßen, wenn die neue Initiative im Rahmen der Strategie Europa 2020 und des strategischen Rahmens „ET 2020“ unter der Bezeichnung „europäischer Raum des lebenslangen Lernens 2025“ in ein langfristiges Konzept von EU-Strategien für allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen eingebunden und als Vorbereitung auf kommende EU-Strategien dienen würde.

3.7.

Im Hinblick auf eine hochwertige und inklusive frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung, eine Verbesserung des Fremdsprachenerwerbs und die gegenseitige Anerkennung von Sekundarschulabschlüssen müssen diese Initiativen auf allen Ebenen von Regierungen, Arbeitgebern und Gewerkschaften in einem effizienten sozialen Dialog mit anderen Interessenträgern diskutiert werden, vor allem mit Lehrkräften und anderen Akteuren im Bildungswesen, Eltern, Beratungslehrern und Lernenden, aber auch mit Einrichtungen der Gemeinschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

3.8.

Der EWSA verweist auf die Initiative „Netzwerke europäischer Hochschulen“ als einen basisnahen Prozess, der Hochschulen Anreize gibt, Netzwerke zu errichten, in deren Rahmen gemeinsame kombinierte Abschlüsse vereinbart werden können und die Mobilität der Lernenden verbessert und der Fremdsprachenerwerb erleichtert werden kann. Unter Hinweis auf seine Stellungnahme (3) ruft der EWSA bei der Schaffung von Netzwerken für Lehrkräfte, Wissenschaftler und Studierende zu Inklusion und Vielfalt sowie dazu auf, allen Hochschulen im Rahmen des Bologna-Prozesses die Möglichkeit zur Einrichtung von Netzwerken zu eröffnen.

3.9.

Der EWSA spricht sich mit Blick auf die Idee eines europäischen Studentenausweises dafür aus, dass diese Initiative auf dem erfolgreichen System für Studentenausweise aufbaut und dass im Rahmen dieser Initiative bereits vorhandene Studentenausweise aktualisiert werden. Unter Verweis auf seine Stellungnahme (4) erinnert er daran, dass ein neuer Ausweis einen klaren Mehrwert bieten und eine Ergänzung bereits vorhandener Ausweise darstellen muss.

3.10.

Zur Verwirklichung der Ziele des europäischen Bildungsraums sind nachhaltige nationale Bildungsinvestitionen von mehr als 5 % des BIP pro Mitgliedstaat sowie die Unterstützung durch EU-Finanzierungsinstrumente im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen, insbesondere durch das Programm Erasmus+ und den EFSI, notwendig. Der EWSA fordert, dass die Prioritäten des künftigen Programms Erasmus+ und der künftigen EU-Strategie für die Jugend eine ganzheitliche und inklusive allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen umfassen. Der EWSA begrüßt die Rolle des Europäischen Semesters bei der Unterstützung von Strukturreformen, die zum Ziel haben, die Bildungspolitik in Übereinstimmung mit dieser Initiative zu verbessern.

3.11.   Besseres Lehren und Lernen von Sprachen

3.11.1.

Der EWSA hält diese Initiative für äußerst wichtig, da die fremdsprachliche Kompetenz von Lernenden nach Ende der Pflichtschulzeit in der Regel ein niedriges Niveau hat und es zwischen den Mitgliedstaaten sehr große Unterschiede gibt (5). Mit der zunehmenden Mobilität innerhalb Europas und der bisher noch nie dagewesenen Anzahl Schulkinder mit anderen Muttersprachen aus Drittstaaten müssen wir die vor uns liegenden Herausforderungen und Chancen neu überdenken, damit Mehrsprachigkeit zu einem echten Vorteil für die EU wird. Sprachen sollten als gleichwertig angesehen werden und daher sollte der Fremdsprachenerwerb sowohl von EU- als auch von Nicht-EU-Sprachen unterstützt werden.

3.11.2.

Schulen müssen dabei unterstützt werden, ein mehrsprachiges Lernumfeld zu schaffen und das richtige Gleichgewicht zwischen dem Erlernen von Fremdsprachen und einer hohen Lese-, Schreib- und Kommunikationskompetenz in der Muttersprache bzw. den Muttersprachen zu finden. Durch integriertes Lernen von Inhalten und Sprache können Mobilität und Integration gefördert werden. Für den Fremdsprachenerwerb ist eine effizientere Nutzung von digitalen und online verfügbaren Sprachlernprogrammen von grundlegender Bedeutung. Zu diesem Zweck sind die Qualität und Zertifizierung dieser Programme sicherzustellen, und es muss für alle Menschen gewährleistet sein, dass sie Zugang haben, Unterstützung bekommen und dass die Programme erschwinglich sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Menschen möglicherweise Unterstützung benötigen, damit sie sich geeignete Programme leisten bzw. die Programme auswählen und gewinnbringend nutzen können.

3.11.3.

Mit Blick auf die Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses und der Mobilität und somit der europäischen Bürgerschaft begrüßt der EWSA die Schwerpunktsetzung auf dem Erlernen von Fremdsprachen. 64 Mio. gering qualifizierte Erwachsene müssen für eine aktive EU-Bürgerschaft, den Erhalt ihres Arbeitsplatzes und die Verbesserung ihrer Beschäftigungsperspektiven ihre Grundkompetenzen, einschließlich ihrer Sprachkenntnisse, verbessern (6). Für den Einzelnen bedeutet das Erlernen von Fremdsprachen die Eröffnung neuer persönlicher und beruflicher Möglichkeiten. Auf gesellschaftlicher Ebene stärkt es das kulturelle Bewusstsein, das gegenseitige Verständnis und den sozialen Zusammenhalt, und wirtschaftlich gesehen tragen Arbeitnehmer mit Sprachkenntnissen und interkulturellen Kompetenzen dazu bei, dass die Unternehmen, für die sie arbeiten, auf globalen Märkten bestehen und wachsen können.

3.11.4.

Zielgruppe des Fremdsprachenerwerbs sollten alle Menschen sein. Bedürftige Menschen sollten beim Erlernen von Fremdsprachen unterstützt werden. Der Fremdsprachenerwerb sollte im Rahmen des formalen, nicht-formalen und informellen Lernens verbessert, als Teil des Europäischen Bezugsrahmens zu Schlüsselkompetenzen umgesetzt und mit nachhaltigen öffentlichen Mitteln gefördert werden.

3.11.5.

In den Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen 2018 (7) wird vorgeschlagen, dass die „Mobilität von Arbeitskräften und Lernenden […] gefördert werden [sollte], um den Erwerb der für die Beschäftigungsfähigkeit maßgeblichen Kompetenzen zu verstärken und das Potenzial des europäischen Arbeitsmarktes voll auszuschöpfen“. Mangelnde Sprachkenntnisse behindern die Mobilität erheblich. Der EWSA hebt hervor, dass in dem Vorschlag auch Lernende angesprochen werden sollten, die dem schulpflichtigen Alter längst entwachsen sind, und hebt den Fremdsprachenerwerb für alle hervor, von jungen Menschen bis hin zu Rentnern, mit besonderem Schwerpunkt auf der Berufsausbildung und beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen, Hochschulbildung und Erwachsenenbildung.

3.11.6.

Die Strategien für das Erlernen von Fremdsprachen sollten darauf abzielen, das Prinzip des praktischen „Learning by doing“ zu vermitteln und auf Schüleraustausch sowie auf freiwilligen und anderen Aktivitäten wie dem Europäischem Solidaritätskorps basieren, die im Rahmen von aktuellen und künftigen Erasmus+-Programmen gefördert werden.

3.11.7.

Der Mangel an qualifizierten Lehrkräften für Fremdsprachen stellt in der Tat ein ernstes Problem dar, und der EWSA begrüßt die im Vorschlag enthaltene Forderung nach mehr Investitionen in die Erstausbildung und die berufliche Weiterbildung von Lehrkräften für Fremdsprachen, um die beruflichen Qualifikationsanforderungen der EU-Mitgliedstaaten zu erfüllen.

3.12.   Hochwertige frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung

3.12.1.

Der in der „ET 2020“-Strategie vorgesehene Richtwert, mit dem eine frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung für 95 % der Kinder zwischen der Vollendung des 4. Lebensjahrs und dem Erreichen des schulpflichtigen Alters angestrebt wird, wurde fast erreicht. Allerdings haben in der EU 17 Mio. der mehr als 32 Mio. Kinder, die das schulpflichtige Alter noch nicht erreicht haben, nach wie vor keinen Zugang zu frühkindlicher Betreuung. Darüber hinaus bestehen weiterhin Lücken im Hinblick auf den gleichberechtigten Zugang für Kinder mit einem sozioökonomisch benachteiligten Hintergrund, insbesondere Minderheiten, Migranten, Kinder mit Behinderungen und Kinder in ländlichen Gebieten in verschiedenen Regionen Europas.

3.12.2.

Der EWSA begrüßt, dass der Vorschlag darauf abzielt, die Mitgliedstaaten weiter dazu aufzurufen, den Zugang zur frühkindlichen Bildung und Erziehung sowie deren Qualität zu verbessern. Es sind jedoch weitere Anstrengungen notwendig, um sicherzustellen, dass hochwertige, erschwingliche frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung ein Recht ist, das alle Kinder und Familien in Anspruch nehmen können. Hochwertige Angebote spielen eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Bildungsergebnisse einschließlich der Entwicklung sozialer Kompetenzen. Die Teilnahme an einer qualitativ hochwertigen frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung führt zu einem besseren Erwerb von Grundfertigkeiten und stellt eine starke Maßnahme zur Verhinderung des frühzeitigen Schulabgangs dar.

3.12.3.

Die Kommission hebt die hohe Vereinbarkeit mit der Politik der Europäischen Union in anderen Bereichen hervor. Der EWSA begrüßt insbesondere, dass eine Verbindung zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige“ (8) gesehen wird, in der die Notwendigkeit hochwertiger formeller Betreuungsdienste in ganz Europa anerkannt wird. Der EWSA hat in vielen seiner Stellungnahmen auf diese Wechselbeziehung hingewiesen, um die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu fördern und ungerechtfertigte Lohngefälle zu reduzieren sowie um sicherzustellen, dass die wichtige Rolle des Lernens in der Familie Berücksichtigung findet, das Eltern bei ihrer Aufgabe Selbstvertrauen gibt und zum Lernen im Erwachsenenalter beiträgt.

3.12.4.

Das Personal in der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung sollte unterstützt werden, um die Professionalisierung zu erhöhen und förderliche Arbeitsbedingungen entstehen zu lassen. Die Erstausbildung und berufliche Weiterbildung von Lehrpersonal in der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung sollten qualitativ hochwertig sein und den Bedürfnissen von Erziehern und Kindern entsprechen, dies betrifft beispielsweise die Frage der Gewährleistung der Inklusion sowie die Vermittlung demokratischer Werte.

3.12.5.

Laut OECD (2015) (9) besteht im Lehrerberuf ein starkes Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, da sieben von zehn Lehrkräften weiblich sind. In OECD-Ländern (2015) sind 97 % der Lehrkräfte im Vorschulbereich und 83 % der Lehrkräfte im Grundschulbereich weiblich, wohingegen im Hochschulbereich lediglich 43 % der Lehrkräfte Frauen sind. Mit dem Ziel, dass Kinder im Bereich der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung männliche Vorbilder haben, und angesichts des Zusammenhangs zwischen dem Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern und dem derzeitigen Ansehen und Gehalt sowie den herrschenden Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte in diesem Bereich, sind das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern und die Erhöhung der Zahl der männlichen Lehrkräfte nach wie vor Fragen, die ein schnelles Handeln erfordern.

3.13.   Automatische gegenseitige Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen und Lernzeiten im Ausland

3.13.1.

Der EWSA begrüßt, dass die Initiative darauf abzielt, dass allen Studierenden, Auszubildenden oder Schülern, die im Rahmen einer Qualifizierungs- oder einer Lernmobilität einen Lernaufenthalt im Ausland absolviert haben, diese Erfahrung automatisch für die Zwecke ihrer weiteren Ausbildung anerkannt wird. Die Lernmobilität fördert den Erwerb der für eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am Arbeitsmarkt unabdingbaren Kompetenzen und Erfahrungen und sollte durch die Förderung des Vertrauens in Studienprogramme und Qualifikationen verbessert werden.

3.13.2.

Damit die Wiederholung von ganzen Schuljahren/-zeiträumen vermieden wird, unterstreicht der EWSA die Bedeutung der grenzübergreifenden Anerkennung von Lernzeiten im Sekundar- und Hochschulbereich und von Abschlüssen der Sekundarstufe II, die im Heimatland den Zugang zur Hochschulbildung ermöglichen.

3.13.3.

Der EWSA unterstreicht, dass ein Schwerpunkt der Initiative auch auf der Anerkennung von formalem, nichtformalem und informellem Lernen im Ausland liegen sollte und dass die Rolle von Interessenträgern, Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft bei der Anerkennung von Studien- und Bildungsergebnissen zur Kenntnis genommen wird (10). In dieser Hinsicht verweist er auf die Bedeutung der Empfehlung des Rates vom 20. Dezember 2012 zur Validierung nichtformalen und informellen Lernens und der weiteren Verbesserung der nationalen Validierungssysteme. Zur Optimierung der Validierungsprozesse ruft der EWSA die beratende Gruppe für den EQR und das Cedefop dazu auf, das Europäische Verzeichnis für die Validierung nichtformalen und informellen Lernens (11) und die europäischen Leitlinien für die Validierung nichtformalen und informellen Lernens (12) als Qualitätsstandards für die Mitgliedstaaten, Sozialpartner und Interessenträger zu verbessern. Es sollte besonders darauf geachtet werden, dass die notwendigen Bedingungen, Synergien und Vorteile einer verbesserten Koordinierung zwischen der Validierung nichtformalen und informellen Lernens und den Orientierungs- und Beratungsdiensten nachvollziehbar werden (13).

3.13.4.

Durchlässigkeit und Vertrauen zwischen der beruflichen Bildung und der Hochschulbildung zu schaffen, stellt nach wie vor eine Herausforderung dar, nicht nur über Grenzen hinweg, sondern auch innerhalb der einzelnen Länder. Die akademische und die berufliche Bildung sollten gleichwertig sein. Europäische Werkzeuge, Instrumente und Grundsätze für Hochschulbildung und berufliche Bildung sollten sich gegenseitig unterstützen (EQR, ECVET, EQAVET, EQAR usw.), wobei für eine automatische Anerkennung der Lernmobilität in Europa der Lernergebnisansatz vollständig umgesetzt werden muss.

Brüssel, den 18. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 1.

(2)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 19.

(3)  ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 11.

(4)  ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 55.

(5)  Eurydice: Schlüsselzahlen zum Sprachenlernen an den Schulen in Europa, Ausgabe 2017.

(6)  Cedefop (2017). Investing in skills pays off: the economic and social cost of low-skilled adults in the EU (Investitionen in Kompetenzen zahlen sich aus: volkswirtschaftliche und soziale Kosten gering qualifizierter Erwachsener in der EU). Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen. Cedefop Forschungsbericht Nr. 60.

(7)  https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/2017-comm-677-annex_de.pdf.

(8)  COM(2017) 253 final — 2017/085 (COD).

(9)  OECD: Bildung auf einen Blick 2018.

(10)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 49.

(11)  http://www.cedefop.europa.eu/de/events-and-projects/projects/validation-non-formal-and-informal-learning/european-inventory.

(12)  http://www.cedefop.europa.eu/de/publications-and-resources/publications/3073.

(13)  Cedefop (erscheint in Kürze), Validation of non-formal and informal learning and career guidance (Validierung nichtformalen und informellen Lernens und Berufsberatung).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/142


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Beteiligung, Begegnung und Befähigung: eine neue EU-Strategie für junge Menschen“

(COM(2018) 269 final)

(2019/C 62/24)

Berichterstatter:

Michael McLOUGHLIN

Mitberichterstatter:

Adam ROGALEWSKI

Befassung

Europäische Kommission, 18.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 165 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

18.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

116/4/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die EU-Strategie für junge Menschen 2019–2027 (im Folgenden „Strategie“). Insbesondere begrüßt er diesbezüglich die Einsetzung eines EU-Jugendkoordinators.

1.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Strategie aufgrund ihres bereichsübergreifenden Charakters stärker mit bestehenden EU-Programmen wie Erasmus+, der Jugendgarantie und dem Europäischen Solidaritätskorps verknüpft sein sollte.

1.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass sich die Strategie an den drei folgenden Zielen orientieren sollte, wenn sie konkrete Ergebnisse erbringen soll:

dem sektorübergreifenden Ansatz mit einer ganzheitlichen Sichtweise auf junge Menschen und ihre Bedürfnisse und Rechte;

der neue EU-Jugendkoordinator sollte maßgeblich für die sektorübergreifende Arbeit sein und leitende Position haben;

die Jugendpolitik der EU sollte in das Europäische Semester integriert werden, wobei der Schwerpunkt insbesondere in sektorübergreifenden Bereichen stärker auf die Umsetzung gelegt werden sollte.

1.4.

Nach Ansicht des EWSA sollte der Anwendungsbereich der Strategie um Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung junger Menschen erweitert werden, um sie mit den Rechten, dem Wissen und den Fertigkeiten auszustatten, die sie zur Bewältigung globaler Herausforderungen wie der Digitalisierung, dem Klimawandel und zunehmendem Populismus benötigen.

1.5.

Der EWSA empfiehlt, in der Strategie der sektorübergreifenden Arbeit im Zusammenhang mit anderen relevanten Bereichen der EU-Politik hohen Stellenwert beizumessen, u. a. in den Bereichen Beschäftigung, Bildung, Gesundheit, Migration und Gleichstellung.

1.6.

Der Ausschuss empfiehlt, in der Strategie die Beschäftigungsprobleme junger Menschen stärker zu berücksichtigen, insbesondere hinsichtlich der Debatte über die Zukunft der Arbeit sowie im Zusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Problemen wie der psychischen Gesundheit, der Gleichstellung und der Bildung.

1.7.

Zwar stimmt der EWSA mit der Kommission darin überein, dass die Strategie die Demokratie fördern sollte, doch sollte sie nach Auffassung des EWSA auch umfassenderes bürgerschaftliches Engagement einschließlich der Teilnahme an Wahlen, Freiwilligentätigkeit und von jungen Menschen geführte NGO, die Demokratie am Arbeitsplatz und den sozialen Dialog fördern.

1.8.

Der Ausschuss ist überzeugt, dass die Teilhabe junger Menschen an der Beschlussfassung über einmalige Veranstaltungen hinaus gefördert werden sollte. Zudem müssen Jugend-Freiwilligenorganisationen und nationale Jugendräte stärker an der weiteren Entwicklung des Jugenddialogs beteiligt und neue Wege genutzt werden. Die EU-Institutionen sollten sich in dieser Hinsicht als Vorreiter hervortun, mit dem EWSA an der Spitze der Institutionen, die sich für die Teilhabe junger Menschen auf EU-Ebene einsetzen.

1.9.

Neben langfristigen Investitionen in öffentliche Dienstleistungen muss auch für eine Aufstockung der Mittel für die Jugendarbeit geworben werden, vor allem dort, wo bei den öffentlichen Dienstleistungen Kürzungen erfolgt sind.

1.10.

Die Strategie muss einen rechtebasierten Ansatz verfolgen, bei dem z. B. gegebenenfalls auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes Bezug genommen werden könnte.

1.11.

In der Strategie müssen junge Frauen und Mädchen, junge LGBTIQ+, junge Menschen mit Behinderungen sowie junge Migranten und Flüchtlinge stärker berücksichtigt werden.

1.12.

In der Jugendpolitik sollten die Mitgliedstaaten zu stärkerer Angleichung auf hohem Niveau verpflichtet werden. Hier sollten die Mitgliedstaaten angehalten werden, Pläne aufzustellen, die entsprechende Bereiche abdecken. Um dies zu erreichen, sollte das Indikatorenverfahren, das im Rahmen der letzten Strategie eingeleitet wurde, verstärkt werden.

1.13.

Der EWSA regt an, beim EU-Jugendportal möglichst viele Online-Tools mit Bezug zum aktuellen Engagement junger Menschen zu nutzen.

1.14.

Zwar begrüßt der EWSA die neue spezifische EU-Strategie für die Jugend, empfiehlt aber nachdrücklich, Jugendfragen in die Arbeit aller Generaldirektionen der Europäischen Kommission einzubeziehen.

2.   Hintergrund

2.1.

Die vorgeschlagene Strategie ist der dritte von der EU vorgeschlagene Rahmen mit dem Schwerpunkt auf Europas junger Bevölkerung. Die neue Strategie ist auf drei Schwerpunktbereiche ausgerichtet: Beteiligung, Begegnung und Befähigung, im Gegensatz zu den acht Aktionsbereichen der EU-Jugendstrategie 2010-2018: Beschäftigung und Unternehmergeist, soziale Inklusion, Teilhabe, allgemeine und berufliche Bildung, Gesundheit und Wohlbefinden, Freiwilligentätigkeit, Jugend in der Welt, Kreativität und Kultur.

2.2.

Die wichtigsten Neuerungen dieser Strategie umfassen die Einsetzung eines EU-Jugendkoordinators, die Ersetzung des strukturierten Dialogs mit jungen Menschen durch den EU-Jugenddialog und die Umwandlung einer Reihe von früheren Zielen in allgemeinere sektorübergreifende Bestrebungen, die auf die Erschließung neuer Kommunikationskanäle zwischen jungen Menschen und politischen Entscheidungsträgern abzielen.

2.3.

Wie bei den Vorgängerstrategien wurde die Jugendgarantie nicht in die Strategie aufgenommen. Sie ist Teil des Europäischen Sozialfonds Plus.

2.4.

Im Bereich der Strategie existieren viele Initiativen sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene. Im Rahmen von Erasmus+, der Jugendgarantie, der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen und des Europäischen Sozialfonds wird viel geleistet. Andere wichtige Bereiche sind in diesem Zusammenhang die Agenda für Kompetenzen und das Europäische Solidaritätskorps. Gleichzeitig haben auch andere Maßnahmen Auswirkungen auf junge Menschen, und zwar in den sogenannten sektorübergreifenden Bereichen (beispielsweise Verkehr, soziale Angelegenheiten, Gesundheit, auswärtiges Handeln und Landwirtschaft). Darüber hinaus verfügen die Mitgliedstaaten jeweils über ihre eigenen Konzepte im Bereich der Jugendpolitik und in anderen Bereichen mit Auswirkungen auf junge Menschen.

2.5.

Jugendpolitische Themen sind u. a. in die europäische Säule sozialer Rechte, die Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung und deren Nachhaltigkeitsziele eingebettet.

2.6.

Der EWSA hat bereits zahlreiche Stellungnahmen zu Jugendfragen verabschiedet, z. B. zur Beschäftigungsinitiative für junge Menschen (1), zur Jugendgarantie (2), zum Europäischen Solidaritätskorps (3) oder unlängst zu einem europäischen Rahmen für hochwertige und nachhaltige Berufsausbildungen (4). Darüber hinaus hat er die Umsetzung der EU-Maßnahmen für Jugendbeschäftigung in sechs ausgewählten Mitgliedstaaten aus Sicht der Zivilgesellschaft bewertet (insbesondere die Jugendgarantie).

2.7.

In der von jungen Menschen organisierten Anhörung des EWSA für diese Stellungnahme kam große Verunsicherung unter den jungen Menschen zum Ausdruck. Sie fühlen sich großem Druck ausgesetzt und erfahren geringe Akzeptanz, wenn sie von der Norm abweichen oder die Schule abbrechen. Einige junge Menschen sprachen davon, dass sie sich schon als Jugendliche Gedanken über ihre Rente machen müssten. Der Übergang ins Berufsleben bleibt eine Herausforderung, und es wurde Unzufriedenheit geäußert über die Diskriminierung bei der Entlohnung junger Menschen, die die gleiche Arbeit verrichten, allein aufgrund ihres Alters. Auch die Wohnungssuche und der Verkehr wurden als Problembereiche genannt, ebenso wie die Digitalisierung und Probleme im Zusammenhang mit der Anerkennung und Validierung von Kompetenzen, die über nichtformales Lernen erworben wurden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt die Strategie. Sie sollte ein umfassender Plan sein, der zu den angestrebten Ergebnissen führt und einen Mehrwert für junge Menschen schafft; dabei sollte sie mehr leisten als all ihre Teile zusammengenommen und wirksamer sein als eine Sammlung unterschiedlicher Aktionen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Strategie stärker mit bestehenden EU-Programmen wie Erasmus+, der Jugendgarantie oder dem Europäischen Solidaritätskorps verknüpft sein sollte.

3.2.

Ganzheitliche Konzepte haben in der Politik in jüngster Zeit an Popularität gewonnen und sind auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten zur gängigen Praxis geworden. Dies ist zu begrüßen, da damit anerkannt wird, dass sich gesellschaftliche Probleme nicht immer in präzise administrative Kategorien einteilen lassen. Es ist eine große Herausforderung, die traditionelle Verteilung der Rollen, Finanzmittel und Kulturen zu überwinden; es muss sichergestellt werden, dass ein „ganzheitlicher Ansatz“ nicht zu einer Art Allheilmittel wird, sobald ein Problem zu schwierig wird oder sich die politischen Entscheidungsträger einfach für andere Optionen entscheiden wollen.

3.3.

Auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten sollte die Umsetzung der EU-Jugendpolitik nach Auffassung des EWSA sichtbarer und nachhaltiger sein, wenn sie einer ordentlichen Bewertung unterzogen wird (beispielsweise im Rahmen des Europäischen Semesters und des sozialpolitischen Scoreboards).

3.4.

Insgesamt muss bei der vorgeschlagenen Strategie stärker auf einen rechtebasierten Ansatz gesetzt werden. Hierbei handelt es sich um einen wichtigen Bereich, da das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (das sich selbstverständlich nicht auf alle bezieht, die unter die Kategorie „junge Menschen“ fallen) so konzipiert ist und eine regelmäßige Überprüfung der Leistungen der Staaten unter Verwendung vereinbarter Parameter vorsieht. In Bezug auf die Jugendarbeit an sich und die Rolle des Freiwilligensektors sind die Vorschläge durchaus tragfähig. Diese Tatsache ist insofern entscheidend, als es auf internationaler Ebene neue, stärker instrumentalisierte Ansätze für die Arbeit mit jungen Menschen gibt.

3.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Strategie eine echte Angleichung auf hohem Niveau zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Jugendpolitik fördern sollte. Dies ist deshalb besonders wichtig, da allen Mitgliedstaaten beträchtliche EU-Mittel (z. B. Erasmus) zur Verfügung gestellt werden. In anderen von der EU finanzierten Bereichen existiert ein Kofinanzierungsmodell, das die Konvergenz und einen umfassenderen EU-weiten gemeinsamen Ansatz fördert. Der EWSA ist der Auffassung, dass daraus auch zahlreiche Lehren für die EU-Jugendstrategie gezogen werden können.

3.6.

Der EWSA stimmt zwar mit der Kommission in Bezug auf die ausschlaggebende Rolle von Jugendarbeitern und deren einzigartigen Wert beim Übergang junger Menschen ins Erwachsenenleben überein, betont jedoch, dass die Qualität der Jugendarbeit weitgehend von der Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen abhängt. In einigen Mitgliedstaaten haben Kürzungen und Lohnstopps im öffentlichen Sektor nicht nur zu einer Verschlechterung der Qualität der Jugendarbeit, sondern auch zu zahlreichen unbesetzten Stellen in diesem Bereich geführt. Deshalb spricht sich der EWSA für mehr Investitionen in öffentliche Dienstleistungen aus.

3.7.

Dessen ungeachtet weist die Kommission zu Recht darauf hin, dass die Mitgliedstaaten eigene Mittel für die Jugendpolitik bereitstellen müssen. In dieser Hinsicht sind die Vorschläge zur Nachverfolgung der Ausgaben besonders ermutigend; sie sollten aber die Arbeiten der Mitgliedstaaten und andere sektorübergreifende Politikbereiche mit einbeziehen. Die Nachverfolgung sollte nach Auffassung des EWSA unter Einbeziehung der Sozialpartner und der zivilgesellschaftlichen Organisationen auf allen Ebenen erfolgen.

3.8.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Mitgliedstaaten innovative und alternative Formen der demokratischen Teilhabe prüfen sollten. Er hält jedoch mehr Unterstützung, einschließlich finanzieller Unterstützung, für bestehende Formen des gesellschaftlichen Engagements für dringend erforderlich, so etwa Freiwilligentätigkeit, Jugendräte, die Mitarbeit in zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften oder Betriebsräten. Da junge Menschen die Zukunft Europas sind, sollten sie ermuntert werden, sich an Kommunalwahlen und der Europawahl zu beteiligen und sich auf alle möglichen Arten bürgerschaftlich und politisch zu engagieren.

3.9.

Nach Auffassung des EWSA sollte im Rahmen des Anwendungsbereichs der Strategie, die auf drei Handlungsbereiche ausgerichtet ist: BETEILIGUNG, BEGEGNUNG und BEFÄHIGUNG, der letztgenannte Bereich um Maßnahmen erweitert werden, die junge Menschen schützen und unterstützen und sie mit den Fertigkeiten ausstatten sollen, die sie zur Bewältigung globaler Herausforderungen wie der Digitalisierung, des Klimawandels und des zunehmenden Populismus benötigen. Da der „Schutz“ ihrer Bürgerinnen und Bürger eine der Prioritäten der EU ist, sollten junge Menschen nach Auffassung des Ausschusses ebenso wie Erwachsene in diese Priorität aufgenommen werden. Junge Menschen sollten daneben auch vom Konzept der „digitalen Gerechtigkeit“ profitieren, für das sich der EWSA starkmacht (5) und das darauf abzielt, die Bürgerinnen und Bürger der EU vor den negativen Aspekten der digitalen Revolution zu schützen, bzw. im weiter gefassten Rahmen des „gerechten Übergangs“, der von der IAO propagiert wird.

Jugend und Arbeitswelt

3.10.

Obgleich die Strategie klar sein und nicht allzu viele Ziele umfassen sollte, ist der Ausschuss der Ansicht, dass in der aktuellen Strategie sozial- und beschäftigungspolitischen Aspekten, die für junge Menschen relevant sind (vor allem was die Debatte über die Zukunft der Arbeit angeht), mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Dazu zählen u. a. die Digitalisierung, Plattformen, Fragmentierung und Prekarisierung des Arbeitsmarkts, von denen vor allem junge Menschen betroffen sind.

3.11.

Für viele junge Menschen ist das „Jobben“ neben dem Studium zur Normalität geworden. Aus diesem Grund ist der EWSA der Auffassung, dass im Rahmen der künftigen EU-Jugendpolitik die Demokratie am Arbeitsplatz gefördert werden sollte, u. a. durch den Ausbau des sozialen Dialogs und den Schutz der Arbeitnehmerrechte junger Menschen. Jugendliche sollten auf dem Arbeitsmarkt genauso behandelt werden wie Erwachsene, insbesondere sollten sie denselben Mindestlohn (6), Zugang zu Renten und Schutz vor prekären Arbeitsverträgen (Null-Stunden-Verträge), unbezahlten Praktika oder Scheinselbständigkeit erhalten. Die Stimme junger Menschen sollte auch in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz gehört werden. Darüber hinaus sollte die Beteiligung junger Menschen an Vertretungsstrukturen am Arbeitsplatz (Gewerkschaften und Betriebsräte) stärker gefördert werden, wie dies in einigen Ländern der Fall ist, wo es spezielle Jugendvertrauensräte in den Betrieben gibt.

3.12.

Zudem sind einige junge Menschen auch Eltern, weshalb Maßnahmen der EU, wie z. B. eine neue Richtlinie über die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, auch für junge Menschen wichtig sind, die Arbeit und Ausbildung sowie die Betreuung ihrer Angehörigen miteinander in Einklang bringen müssen. Aufgrund der Digitalisierung der Arbeitswelt werden junge Menschen zweifellos eine ganz andere Beschäftigungssituation vorfinden als ihre Eltern. Der EWSA empfiehlt angesichts der Bedeutung der Arbeitsmarktpolitik für das Leben junger Menschen, sozial- und beschäftigungspolitische Maßnahmen in der Strategie stärker zu berücksichtigen.

3.13.

Der Arbeitsmarkt hat besondere Bedeutung, da Jugendliche in vielen Ländern in den Jahren nach der Wirtschaftskrise von 2008 am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen waren. Obwohl die Jugendarbeitslosigkeit zurückgegangen ist, war die Zahl der arbeitslosen jungen Menschen fast doppelt so hoch wie die Zahl der erwerbstätigen jungen Menschen (7). In vielen Fällen ist die Qualität der in letzter Zeit geschaffenen Arbeitsplätze geringer als vor der Krise, oder der Zugang zu einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung ist schlechter (z. B. befristete Verträge, Null-Stunden-Verträge).

Bildung und Gesundheit junger Menschen

3.14.

Mit der Strategie soll gewährleistet werden, dass nicht vertretene Jugendliche von den politischen Entscheidungsträgern gehört werden. Dazu sind weitere Maßnahmen erforderlich, um arbeitsmarkt- und bildungsferne Jugendliche in die Gesellschaft zu integrieren. Trotz eines leichten Rückgangs der Zahl junger Menschen, die weder eine Arbeit haben noch eine schulische oder berufliche Ausbildung absolvieren (NEETs), befanden sich im Jahr 2017 immer noch 10,9 % der 15- bis 24-Jährigen und 17,7 % der 25- bis 29-Jährigen in dieser Situation. Die Verbesserung von Kompetenzen und Qualifikationen wirkt sich auf die Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen zwar positiv aus, das Beschäftigungswachstum wird durch diesen Faktor allein aber nicht entscheidend beeinflusst. Eine solche fehlende Teilhabe hat erhebliche Auswirkungen auf das Leben und die Ambitionen junger Menschen, da sie zu Armut und sozialer Ausgrenzung führen kann. Darüber hinaus entstehen staatlichen Stellen Kosten, wenn NEETs weder in Ausbildung noch in Beschäftigung gebracht werden. Diese Kosten werden von Eurofound (2012, 2014) auf 1,2 % des nationalen BIP geschätzt. NEETs sind darüber hinaus anfälliger für extremistische und fremdenfeindliche Ideologien.

3.15.

Grundsatz 4 der europäischen Säule sozialer Rechte zur aktiven Unterstützung für Beschäftigung lautet: „Junge Menschen haben das Recht auf eine Weiterbildungsmaßnahme, einen Ausbildungsplatz, einen Praktikumsplatz oder ein qualitativ hochwertiges Beschäftigungsangebot innerhalb von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos geworden sind oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben.“ Die Strategie für junge Menschen sollte zur Verwirklichung dieses Grundsatzes beitragen, insbesondere durch die Förderung des Aufbaus von Bündnissen zwischen der Zivilgesellschaft und den Sozialpartnern für die Gestaltung und Begleitung der verschiedenen einschlägigen Maßnahmen. Besonderes Augenmerk sollte auf Strategien gelegt werden, die auf arbeitsmarktfernere junge Menschen abheben, um sie wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern oder ihnen die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen zu ermöglichen.

3.16.

Die EU-Strategie für junge Menschen sollte diese Gruppen über eine gesamteuropäische Strategie zu erreichen versuchen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden, den europäischen Sozialpartnern, nationalen Jugendräten und dem Jugendbereich ist für den Erfolg dieser Bemühungen ausschlaggebend.

3.17.

Im Allgemeinen verbringen junge Menschen einen Großteil ihrer Zeit mit Bildung (Voll- oder Teilzeit). Dies ist ein weiterer Bereich, in dem die EU nur über eine begrenzte Zuständigkeit verfügt — abgesehen davon, dass sie gemäß dem ersten Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte für Folgendes zu sorgen hat: „Jede Person hat das Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form, damit sie Kompetenzen bewahren und erwerben kann, die es ihr ermöglichen, vollständig am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und Übergänge auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu bewältigen.“ Auch diesem Aspekt war in der Vorgängerstrategie ein eigener Aktionsbereich gewidmet.

3.18.

Der Bereich der psychischen Gesundheit junger Menschen ist für die Jugendarbeit sowie für jede professionelle Interaktion mit jungen Menschen von zentraler Bedeutung. Generell liegt die Gesundheit in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, aber da die psychische Gesundheit ein Aspekt der öffentlichen Gesundheit ist, bei der eine Zuständigkeit der EU gegeben ist, sollte sie bei der im Rahmen der Strategie vorgesehenen bereichsübergreifenden Arbeit ausreichend berücksichtigt werden. Besondere Aufmerksamkeit muss daher Problemen wie Angststörungen, Depressionen und Selbstmordraten bei Jugendlichen gelten.

3.19.

Auf der Ebene der Mitgliedstaaten gibt es immer mehr Beispiele für bewährte Verfahren bei der Arbeit mit jungen Menschen. Außerdem wurde nachgewiesen, dass die Jugendarbeit positive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit junger Menschen hat. Nach Auffassung des EWSA sollte der Bereich der psychischen Gesundheit junger Menschen in der Strategie stärker beachtet werden.

3.20.

Daneben liegt bei vielen nationalen Maßnahmen der Schwerpunkt auf der körperlichen Gesundheit junger Menschen. Dieser Aspekt bereitet Anlass zu einigen Sorgen. Zunehmende Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen wird ebenso wie Suchtmittelmissbrauch und legale Drogen als besorgniserregend eingestuft. Zwar können die Mitgliedstaaten nach wie vor unterschiedliche Ansätze verfolgen, bei einem sektorübergreifenden Ansatz für die Probleme junger Menschen dürfen diese Themen jedoch nicht ignoriert werden, und eine Auseinandersetzung damit ist auf der Grundlage der einschlägigen Befugnisse der EU erforderlich. Den genannten Punkten waren in der Vorgängerstrategie eigene Aktionsbereiche gewidmet, und dieser Fokus sollte in der sektorübergreifenden Arbeit beibehalten werden.

Gleichstellung

3.21.

Zwischen Jugendarbeit, Jugendpolitik und Gleichstellung besteht ein enger Zusammenhang. Die EU hat in diesem Bereich erhebliche Anstrengungen unternommen, und alle Mitgliedstaaten haben einschlägige Gesetze erlassen. Dennoch werden junge Menschen in vielen Fällen immer noch diskriminiert, etwa bei der Wohnungssuche oder bei Dienstleistungen, auf die sie stärker angewiesen sind als andere, wie z. B. öffentliche Verkehrsmittel. Gleichstellungsgesetze sind oft eher auf ältere Menschen zugeschnitten. Es gibt neun allgemeine Verbote von Diskriminierung in den EU-Mitgliedstaaten. Junge Menschen, die dieser Art von Diskriminierung ausgesetzt sind, müssen von der EU-Strategie für die Jugend ausreichend erfasst werden. Aus einer ganzen Reihe von Gruppen sollen folgende Gruppen hervorgehoben werden, die in der Strategie stärker berücksichtigt werden müssen:

junge Menschen mit Behinderungen

junge Migranten und Flüchtlinge

junge Frauen und Mädchen

junge LGBTIQ+.

3.22.

Bei vielen jugendpolitischen Maßnahmen der EU stand in jüngster Zeit die Radikalisierung im Mittelpunkt. Die Integration muss jedoch Teil einer breiteren Palette von Maßnahmen für junge Menschen sein, was in der Strategie hervorgehoben werden sollte. Außerdem gehört sie selbstverständlich in den Rahmen von Jugendbeschäftigungsprogrammen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt, dass die Position des EU-Jugendkoordinators geschaffen werden soll, der junge Menschen anhören und die sektorübergreifende Dimension der Jugendpolitik beeinflussen soll. Der Schwerpunkt sollte auf Letzterem liegen. Der Koordinator sollte einen ähnlichen Prozess auf Ebene der Mitgliedstaaten anregen und erleichtern und gemeinsam mit der Kommission an Ratstagungen teilnehmen.

4.2.

Die Vorschläge für nationale Aktionspläne im Jugendbereich sind ebenfalls sehr zu begrüßen. Bei der Unterstützung junger Menschen besteht Bedarf an klaren Zielvorgaben, Überwachung und Fortschritten. Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Auffassung der Kommission, dass die Finanzierung und nationale Aktionspläne stärker miteinander verknüpft werden sollten.

4.3.

Der Übergang von einem strukturierten Dialog hin zu einem inklusiveren Jugenddialog wird nachdrücklich begrüßt. Allerdings ist eine stärkere Inklusion erforderlich, die durch eine Erweiterung der Art und des Wesens der beteiligten Organisationen und durch die Berücksichtigung weiterer Gruppen erreicht werden könnte. Jugend-Freiwilligenorganisationen und nationale Jugendräte sollten für diese Arbeit weiterhin von zentraler Bedeutung sein, da sie jungen Menschen nahe sind und über immense Erfahrung verfügen.

4.4.

Die Konsolidierung des europäischen Jugendportals als zentrale digitale Anlaufstelle für junge Menschen, die mit der EU zusammenarbeiten wollen, ist begrüßenswert. Besondere Aufmerksamkeit verdienen jedoch die Verfügbarkeit dieses Portals durch kostenlose Internetverbindungen sowie der Zugang zu Computern insbesondere für benachteiligte Gruppen junger Menschen in den Mitgliedstaaten. Die Kommission sollte daneben auch bedenken, dass junge Menschen viel auf den Plattformen der sozialen Medien unterwegs sind bzw. rasch von einer Plattform zur nächsten wechseln.

4.5.

Aus den Vorschlägen geht hervor, dass junge Menschen beim technologischen Wandel im Vorteil sind. Es sei aber darauf hingewiesen, dass es auch junge Menschen gibt, die von der digitalen Welt ausgeschlossen sind. In der Jugendarbeit tätige Personen müssen sich der Vor- und Nachteile (z. B. psychische Probleme und Herausforderungen durch Falschnachrichten) bewusst sein, die sich aus der Beschäftigung junger Menschen mit neuen Technologien ergeben.

4.6.

Die Mobilität ist zwar ein zentraler europäischer Wert und ein Kernelement der Jugendprogramme, kann aber auch Nachteile haben, insbesondere in Ländern, die von Auswanderung, Bevölkerungsschwund, einem „Brain Drain“ bzw. der Abwanderung von Arbeitskräften betroffen sind. Abhilfe kann hier jedoch möglicherweise durch die neuen Migranten und Flüchtlinge in Europa geschaffen werden.

4.7.

Der EWSA hält die Vorschläge der Kommission zur Validierung des informellen und nichtformalen Lernens für zweckdienlich. In diesem Sinne wären einige im Jugendbereich und darüber hinaus entwickelte Modelle nützlich.

4.8.

Glücklicherweise gibt es inzwischen mehr Veranstaltungen für junge Menschen, an denen die EU-Institutionen beteiligt sind — und zwar so viele, dass ihre Bewertung sinnvoll erscheint. Es sollte auch geprüft werden, ob stärkere Synergieeffekte zwischen ihnen erzielt werden könnten. Der strukturierte Dialog hat den Vorzug, dass er kontinuierlich und nicht punktuell ist. Die ständige Beteiligung junger Menschen an Beschlüssen, die sie betreffen, sollte Priorität haben. Es ist wichtig, dass dies nicht nur in der Jugendpolitik, sondern in allen Politikbereichen geschieht. Institutionen, die einmalige Veranstaltungen durchführen, sollten eine kontinuierliche Einbindung junger Menschen in ihre Arbeit anstreben.

4.9.

Nach Auffassung des Ausschusses ist im Zeitalter der „Fake News“ und der übermäßigen Abhängigkeit von Online-Instrumenten die unabhängige Information junger Menschen äußerst wichtig. Die Beziehungen zu erwachsenen Vertrauenspersonen sollten ein Hauptmerkmal der Jugendarbeit und -politik bleiben.

4.10.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Strategie zusammen mit anderen jugendpolitischen Maßnahmen ein wichtiges Instrument für den Umgang mit einer antieuropäischen Stimmung und Populismus unter jungen Menschen sein.

4.11.

Zwar begrüßt der EWSA die neue spezifische EU-Strategie für die Jugend, empfiehlt aber nachdrücklich, Jugendfragen in die Arbeit aller Generaldirektionen der Europäischen Kommission einzubeziehen.

Brüssel, den 18. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 40.

(2)  ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 101.

(3)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 160.

(4)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 41.

(5)  ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 1

(6)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10.

(7)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/148


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine neue europäische Kulturagenda“

(COM(2018) 267 final)

(2019/C 62/25)

Berichterstatter:

Antonello PEZZINI

Befassung

Europäische Kommission, 18.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 167 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

182/1/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist davon überzeugt, dass Europa eine kulturelle Gemeinschaft darstellt, die auf gemeinsamen Werten beruht, und dass die soziale Marktwirtschaft ein entscheidendes Identitätsmerkmal der europäischen Lebensweise ist, die wirtschaftliche Freiheit mit den sozialen Rechten und den Grundsätzen der Achtung der Menschenrechte vereint.

1.2.

Der EWSA hält es für entscheidend, die auf den in den Verträgen verankerten gemeinsamen Werten basierende kulturelle Dimension der Union zu festigen und auszubauen, und betrachtet sie als Schlüsselfaktor im Integrationsprozess und als Eckpfeiler der europäischen kulturellen Identität, die unentbehrlich ist, um eine inklusive, pluralistische, von Zusammenhalt geprägte und wettbewerbsfähige Gesellschaft zu schaffen.

1.2.1.

Nach Auffassung des EWSA lassen sich das europäische Aufbauwerk und die kulturelle und sprachliche Vielfalt nur durch eine Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls zu Europa und eine gemeinsame kulturelle Identität festigen.

1.2.2.

Das materielle und immaterielle Kulturerbe Europas ist nach Auffassung des EWSA das Bindemittel der europäischen Völker, das eine sehr starke identitätsstiftende Wirkung hat und eine wertvolle strategische Ressource für den sozialen Zusammenhalt ist.

1.3.

Der EWSA ist der Meinung, dass es gerade angesichts der aktuellen politischen Krise und der Identitätskrise in Europa (1) äußerst wichtig ist, der Kultur ihre zentrale Rolle zurückzugeben, die darin besteht, eine gemeinsame, verbindende Identität zu schaffen, um die in den Verträgen festgelegten gemeinsamen Werte zu verwirklichen.

1.4.

Der EWSA bewertet die Initiative, die Kultur in den Mittelpunkt der Agenda zu rücken, zwar als positiv, fordert jedoch, dass die Neubelebung der Agenda als Gelegenheit genutzt wird, sich mit der Vision einer neuen europäischen Renaissance auseinanderzusetzen, die auf die Schaffung eines europäischen Kulturraums (EKR) (2) abzielt, in dem viele gemeinsame Werte gelten, so u. a. Solidarität, Vertrauen und Mitverantwortung.

1.5.

Eine überarbeitete europäische Agenda für Kultur muss nach Auffassung des EWSA auf einer gemeinsamen strategischen Vision beruhen, die bei der Verwirklichung des EKR die folgenden Punkte berücksichtigt:

gemeinsame identitätsstiftende Werte, Freiheit und Solidarität;

zentrale Grundsätze der Freizügigkeit sowie der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in Europa für Personen, Güter und Dienstleistungen im kulturellen Bereich;

Systeme zur Verwaltung und Planung von Maßnahmen im Bereich des Kulturerbes;

konkrete Maßnahmen für die Restaurierung und Bewahrung des unermesslichen Kulturerbes von künstlerischem Wert, das die europäische Kultur auch für die kommenden Generationen zugänglich macht (3);

Aufwertung der europäischen Kultur im Rahmen der internationalen Beziehungen;

Stärkung der Governance in der europäischen Politik, um den Akteuren mehr Gewicht zu verleihen, die auf dem Gebiet der kulturellen Ausdrucksformen und in der Kultur- und Kreativwirtschaft am Prozess des Erschaffens und kulturellen Gestaltens beteiligt sind;

Förderung von Zusammenschlüssen kleiner Unternehmen der Kreativwirtschaft, insbesondere mit jenen der Sozialwirtschaft;

Synergien und Austausch kultureller Prozesse, die dazu beitragen, die Teilhabe an den vielfältigen Ausdrucksformen der europäischen Gesellschaft zu stärken.

1.6.

In Bezug auf das kulturelle Angebot müssen die Adressaten der Maßnahmen dank neuer mehrsprachiger Kommunikationsmittel über klare und zugängliche Informationen verfügen, damit der europäische Kulturraum tatsächlich allen zugutekommt.

1.7.

Hinsichtlich der kulturellen Nachfrage hingegen hält es der Ausschuss für wesentlich, sich direkt an die Teilnehmer der Kulturmaßnahmen zu wenden, um die Teilhabe an der Schaffung der europäischen Werteidentität durch Initiativen wie „Erasmus für kulturelle Teilhabe“ und der Einführung einer — für die EU-Bürger zu steigern.

1.8.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass er im Rahmen eines strukturierten kulturellen Dialogs eine proaktive Rolle übernehmen kann, um die demokratische Bürgerschaft, die kulturelle Identität und die gemeinsame Teilhabe an den vielfältigen kreativen Ausdrucksformen der Gesellschaft zu stärken — nicht zuletzt mit gemeinsamen Initiativen wie der Einführung einer europäischen Kulturwoche, europäischen Kulturnächten oder der Ernennung europäischer Kulturbotschafter.

1.9.

Ausgehend von den regelmäßigen Kommissionsberichten wird der Ausschuss die Daten des Fahrplans der neuen Agenda und die Vollendung des EKR aufmerksam mitverfolgen.

2.   Einleitung

2.1.

Die Kultur nimmt eine zentrale Stellung im europäischen Projekt ein und bildet das Fundament für das Prinzip „In Vielfalt geeint“ der Europäischen Union. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Zusammenlebens und kann dazu beitragen, unsere Menschlichkeit zu bereichern, die untrennbar zu unseren gesellschaftlichen Verhaltensweisen und unserem täglichen Handeln als Bürger gehört.

2.2.

Die Kultur ist daher die strategische Ressource für sozialen Zusammenhalt und interkulturellen Dialog schlechthin und bietet eine großartige Gelegenheit, unsere gemeinsame Geschichte mit ihrem großen Reichtum an kultureller Vielfalt in den verschiedenen Regionen Europas und an gemeinsamem materiellen und immateriellen Erbe zu würdigen.

2.3.

Im Vertrag von Lissabon wurde der Kultur große Bedeutung beigemessen: In der Präambel des Vertrags über die Europäische Union wird ausdrücklich die Entschlossenheit bekräftigt, „aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas“ schöpfen zu wollen. Zu den obersten Zielen zählt die Verpflichtung, den „Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt“ zu wahren und „für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas“ zu sorgen.

2.3.1.

Viele der Werte, auf denen die europäische Gesellschaft beruht, werden im Vertrag genannt: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte …“. Diese Werte, die wesentlicher Bestandteil der europäischen Kultur geworden sind, treten in einer Gesellschaft auf, die von den Grundsätzen des Pluralismus, der Nichtdiskriminierung, der Toleranz, des Rechts und der Solidarität geprägt ist, und müssen darin immer mehr Raum einnehmen.

2.3.2.

Die Charta der Grundrechte ist Teil des Vertrags und enthält eine ausführliche Zusammenstellung, Auswahl und Synthese von Werten, die teilweise bereits im Vertrag aufgeführt werden.

2.3.3.

Das Vorgehen der Union zielt also darauf ab, die Mitgliedstaaten zu einer verstärkten Kooperation zu bewegen, sodass ihre jeweiligen Kompetenzen auf dem Gebiet der Kulturpolitik immer mehr auf die gemeinsam beschlossenen Werte Bezug nehmen und diese sich wie ein roter Faden durch das Geflecht der sozialen Beziehungen ziehen.

2.3.4.

Das menschliche Verhalten in sozialen Beziehungen und im täglichen Handeln folgt Modellen, die bereits im Voraus im eigenen Verstand gebildet wurden (4). Diese Modelle wiederum werden durch Bildung (5) und Erziehung (6) erworben und durch die Beziehungen zu unserer Umwelt gefestigt.

2.3.5.

Daher ist es wichtig, die Werte, die die gemeinsame Grundlage der europäischen Kultur bilden, zu verbreiten und sich für sie einzusetzen, vor allem bei Jugendlichen, bereits ab dem frühen Schulalter, damit sich die „Spiegelneuronen“ festigen können, die die Handlungen, Empfindungen und Gefühle widerspiegeln, die wir bei anderen beobachten (7).

2.4.

Der Begriff der Kultur (8) ist an und für sich dynamisch, impliziert also eine Reihe von Maßnahmen, die von der europäischen Politik und den Mitgliedstaaten mithilfe der Bildung und des vorbildhaften Verhaltens entwickelt werden müssen. Die oben genannten, im Vertrag verankerten Werte entstehen nicht auf spontane Weise, sondern ergeben sich aus Erwägungen und im sozialen Umfeld gereiften Erfahrungen, die dem friedlichen Zusammenleben und dem wachsenden Vertrauen zwischen den Völkern zugrunde liegen. Sie müssen Bestandteil von Bildungsprozessen und sozialen Interaktionen sein, die sich vor allem an die jungen Generationen richten, damit diese an den ethischen Werten festhalten und diese teilen können.

2.5.

Abgesehen von ihrem sozialen und identitätsstiftenden Wert erfährt die Kultur eine zunehmende Bedeutung als treibender und strategischer Wirtschaftssektor für die Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens, der Sozialsysteme und des gesamteuropäischen BIP sowie für die internationalen Beziehungen.

2.6.

Schätzungen zufolge trägt die Kultur- und Kreativwirtschaft mit 4,2 % zu Europas BIP bei und weist ein Beschäftigungswachstum von 1,5 % auf. Im Jahr 2016 wurden im Kultursegment, in absoluten Zahlen ausgedrückt, 89,9 Mrd. EUR erwirtschaftet (1,8 % mehr als im Jahr 2015) und unter Berücksichtigung der induzierten Effekte ein Umsatz von mehr als 250 Mrd. EUR erzielt; 1,5 Mio. Menschen waren in diesem Bereich beschäftigt (9).

2.7.

Die kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, ist zwar eine wesentliche Aufgabe Europas, die Wirtschafts- und Finanzkrise in Europa im Jahr 2008, die sich anschließend auch auf die Gesellschaft und die Politik auswirkte, hat jedoch zu einem Rückgang dieser Teilhabe in allen europäischen Ländern geführt, wobei die Länder Südeuropas am stärksten betroffen waren (10).

2.8.

In der europäischen Kulturagenda (11) wurden die Union und die Mitgliedstaaten 2007 verpflichtet,

die kulturelle Vielfalt zu fördern;

das Kulturerbe zu schützen;

die Hindernisse für die Freizügigkeit der in diesem Sektor tätigen Akteure zu beseitigen und

den Beitrag der Kultur- und Kreativunternehmen zu fördern.

2.8.1.

Im Arbeitsplan der EU für Kultur 2015-2018 waren im Bereich der Kulturpolitik vier Prioritäten für die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene festgelegt worden:

eine für alle zugängliche und offene Kultur;

Wahrung und Förderung des kulturellen Erbes;

Unterstützung der Kultur- und Kreativwirtschaft in einer innovativen Wirtschaft;

Förderung der kulturellen Vielfalt.

2.9.

Das Parlament hat zahlreiche Entschließungen (12) und Empfehlungen zu einem gleichberechtigten Zugang zu kulturellen Einrichtungen, zur Kultur in den außenpolitischen Beziehungen der Union sowie zur Mobilität und zur Kultur- und Kreativwirtschaft erlassen.

2.10.

Der Rat der Europäischen Union hat am 23. Mai 2018 Schlussfolgerungen über die Integration des Kulturerbes auch in andere Politikbereiche und über die Vertiefung des Dialogs mit den Organisationen der Zivilgesellschaft angenommen.

2.11.

Der EWSA hat sich seinerseits mehrfach für eine Aufwertung der Kultur- und Kreativwirtschaft und für eine Strategie internationaler Kulturbeziehungen ausgesprochen (13) und ist auch auf den Beitrag des ländlichen Raums zum europäischen Kulturerbe eingegangen (14).

3.   Die Vorschläge der neuen Agenda

3.1.

Die wichtigsten Elemente der von der Kommission vorgeschlagenen neuen Agenda lassen sich wie folgt zusammenfassen:

die kulturelle Teilhabe, die Mobilität von Kunst- und Kulturschaffenden und den Schutz des Kulturerbes fördern und dabei die Möglichkeiten der Kultur und der kulturellen Vielfalt zur Förderung von sozialem Zusammenhalt und Wohlbefinden nutzen;

Kunst und Kultur im Bildungsbereich fördern;

die internationalen Kulturbeziehungen stärken;

verstärkte Zusammenarbeit mit der Industriepolitik erreichen;

die Rolle der Kultur bei der Stärkung einer europäischen Identität nutzen;

eine enge Kooperation mit den Mitgliedstaaten und der Zivilgesellschaft realisieren.

3.2.

Die vorgeschlagenen Schlüsseldimensionen können folgendermaßen zusammengefasst werden:

3.2.1.

Soziale Dimension: die Möglichkeiten der Kultur und der kulturellen Vielfalt zur Schaffung von sozialem Zusammenhalt und sozialem Wohlbefinden nutzen;

3.2.2.

Wirtschaftliche Dimension: kulturbasierte Kreativität in Bildung und Innovation fördern, Wachstum durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze ankurbeln, die Entwicklung einer Kulturwirtschaft und entsprechender Kompetenzen begünstigen (15);

3.2.3.

Außenpolitische Dimension — die internationalen Kulturbeziehungen stärken: Förderung der Kultur in den Erweiterungsländern, im Westbalkan und in den Mittelmeerländern sowie Maßnahmen des Entwicklungsfonds AKP (16);

3.2.4.

Bereichsübergreifende Dimension: die Initiativen „Europäisches Jahr des Kulturerbes“ und „Kulturhauptstädte Europas“, neuer europäischer Aktionsplan für Kulturgüter 2019-2022, Entwicklung der Strategie Digital4Culture, Online-Verzeichnis europäischer Filme, Unterstützung des digitalen Wandels.

3.3.

Die strategische Zusammenarbeit im Rahmen der neuen Agenda wird durch das Programm Kreatives Europa und durch die anderen Programme der EU unterstützt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA hält es für entscheidend, die auf den in den Verträgen verankerten gemeinsamen Werten basierende kulturelle Dimension der Union zu festigen und auszubauen, um bei der Schaffung einer inklusiven, von Zusammenhalt geprägten und wettbewerbsfähigen Gesellschaft das Zugehörigkeitsgefühl zu festigen.

4.2.

Das materielle und immaterielle Kulturerbe Europas ist das Bindemittel der europäischen Völker, das insbesondere in Zeiten, in denen die europäische Identität und Solidarität eine Krise durchlaufen, eine sehr starke identitätsstiftende Wirkung hat.

4.3.

Der EWSA ist der Meinung, dass es gerade angesichts der aktuellen Politik- und Identitätskrise und der Governance-Krise in Europa zweckmäßig wäre, der europäischen Kultur ihre Rolle zurückzugeben, die darin besteht, identitätsstiftende Werte zu vermitteln — auch durch den Ausbau europäischer Bildungswege.

4.4.

Dieser wertebezogene Integrationsprozess muss die Grundlage für einen Qualitätssprung in einer neuen Agenda für Kultur bilden und in einem echten, auf gemeinsamen Werten beruhenden europäischen Kulturraum (EKR) münden (17) — in Anlehnung an und gemeinsam mit dem europäischen Forschungsraum.

4.5.

Dieser neue EKR sollte die folgenden mit einem Zeitplan versehenen Ziele zusammenfassen:

4.5.1.

Stärkung der europäischen kulturpolitischen Maßnahmen und Instrumente zur Förderung und Verbreitung identitätsstiftender Werte auf der Grundlage eines Gefühls der Zugehörigkeit zu einem Kern an gemeinsamen Werten;

4.5.2.

vollständige Umsetzung der Freizügigkeit sowie der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit für im Kulturbereich tätige natürliche und juristische Personen in ganz Europa;

4.5.3.

eine „Wirtschaft der Kultur“ mit sozial inklusiven Systemen zur Förderung neuer Modelle für die Bewahrung und Restaurierung des Kulturerbes und die Entwicklung der Kreativwirtschaft, auch mithilfe neuer, stark sozial ausgerichteter Unternehmensformen;

4.5.4.

Förderung der europäischen Kultur in den internationalen Beziehungen sowohl als Instrument für die Wiederbelebung der Kulturdiplomatie als auch als eine Art Soft Power in den außenpolitischen Beziehungen Europas und als ein wirtschaftlicher Multiplikator im internationalen Austausch, der die Kunstschaffenden/Kreativen zu Botschaftern für die europäische Kultur macht;

4.5.5.

Bottom-up-Mechanismen, um allen Akteuren, die auf dem Gebiet der Kunst und der Kultur- und Kreativwirtschaft direkt am Prozess des Erschaffens, Herstellens und kulturellen Gestaltens beteiligt sind, mehr Gewicht einzuräumen.

4.6.

Nach Ansicht des EWSA muss den gemeinsamen Herausforderungen mit der Schaffung eines eigenständigen „Kulturbinnenmarkts“ begegnet werden. Dabei ist folgendes zu fördern:

Mobilität der Künstler und der Dienstleistungen von Kulturunternehmen;

Mobilität der Kunstwerke;

Zusammenarbeit mittels länderübergreifender Projekte;

interkultureller Dialog;

gezielte Maßnahmen zur Stärkung der europäischen kulturellen Identität;

Maßnahmen zur Restaurierung und Bewahrung des unermesslichen kulturellen Erbes in Europa auf dem Gebiet der Kunst, darunter spezielle Maßnahmen im Bereich Forschung und Innovation multimedialer Prägung sowie im Bereich der Nachhaltigkeit (18);

Stärkung der kreativen Unabhängigkeit;

Entwicklung einer humanistischen digitalen Kultur, die in der Lage ist, die Manipulationen durch Fake News-Algorithmen und durch Desinformation im Internet zu minimieren.

4.7.

Nach Auffassung des EWSA ist es von grundlegender Bedeutung, vor allem bei jungen Menschen über den Weg der Bildung die Überzeugung zu fördern, dass die kulturelle Vielfalt und die vielfältigen Kunstformen wesentliche Elemente menschlicher Entfaltung und des Ausdrucks der Grundfreiheiten sind und dass der Austausch kultureller Prozesse zur Stärkung einer demokratischen Bürgerschaft beiträgt.

4.8.

Der EWSA betont, dass die neue europäische Agenda für Kultur, die in eine gemeinsame und bereicherte neue strategische Vision eingebettet ist, in die finanzielle Planung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens integriert und darin verankert werden muss.

4.9.

Nach Meinung des EWSA müssen die Adressaten der regulatorischen, strukturellen und finanziellen Programme und Maßnahmen diesbezüglich über klare, transparente und über die sozialen Netze leicht zugängliche Informationen verfügen.

4.10.

Der EWSA hält es für ebenso wichtig, sich direkt an die Menschen zu wenden, an die sich die europäische Kulturpolitik letztlich richtet, um ihre Teilhabe zu steigern, nachdem diese durch die Wirtschafts- und Finanzkrise, die sich auch auf den sozialen Bereich ausgeweitet hat, auf eine harte Probe gestellt wurde.

4.10.1.

Nach Auffassung des EWSA könnten sich die Einführung eines Erasmus-Programms für kulturelle Teilhabe mit dem Ziel einer besseren kulturellen und touristischen Erschließung der Union und die Einführung einer Europäischen Kulturkarte mit erleichtertem Zugang zu den europäischen Kulturwundern sowie die Einführung europäischer Kulturwochen und -nächte insbesondere für die junge Generation als nützlich erweisen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Ein funktionsfähiger digitaler Leitfaden mit einer in Echtzeit aktualisierten und benutzerfreundlichen Internetseite, die in allen Sprachen der EU zur Verfügung steht, muss sicherstellen, dass die vielfältigen Instrumente der Gemeinschaft, die heute verfügbar sind, tatsächlich genutzt werden können. Dazu zählen u. a. die folgenden Instrumente:

DCI II, Instrument für die Entwicklungszusammenarbeit (19);

Interreg Med Programme (20) und Med Culture Programme (2014-18) (21);

ENI, Europäisches Nachbarschaftsinstrument, vormals ENPI (22);

IPA II (2014-20) (23);

Natura-2020-Netzwerk (24);

„Ein Aktionsplan für Menschen, Natur und Wirtschaft“ von Natura 2020 (25);

LIFE (2014-20) (26);

die Strukturfonds (27);

EMODnet, Phase III, Meeresbeobachtung und Beobachtungsstellen unter Wasser (28);

Blaues Wachstum in der Union, in marinen, maritimen und touristischen Wirtschaftszweigen (29);

Leader+, Entwicklung des ländlichen Raums und des kulturellen Erbes (30);

Europa für Bürgerinnen und Bürger (2014-20) für die Geschichte und Vielfalt der Union (31);

staatliche Beihilfen für die Erhaltung des kulturellen Erbes (32);

unrechtmäßiger Handel mit Kulturgütern (33);

Copernicus (vormals GMES), Satellitendaten zur Überwachung des Kulturerbes (34);

EDEN (European Destinations of Exellence);

COSME zur Finanzierung von Initiativen im Bereich Kultur und Tourismus (35);

Kulturwege des Europarates und der Europäischen Kommission;

der „C3 Monitor“ für die Überwachung und den Vergleich von etwa 170 Kultur- und Kreativstädten in 30 europäischen Ländern im Hinblick auf die „kulturelle Vitalität“ (Cultural Vibrancy), die „Kreativwirtschaft“ (Creative Economy) und „günstige Rahmenbedingungen“ (Enabling Environment);

öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) zur Energieeffizienz historischer Gebäude;

Kulturerbe für die nachhaltige Entwicklung im Rahmen von Horizont 2020;

digitale Europeana-Plattform mit mehr als 50 Mio. digitalisierten Einträgen (Bücher, Musik, Kunstwerke) und fortschrittlichen Suchfiltern;

digitale Agenda zur Untersuchung des europäischen Filmerbes (36);

Investitionen zugunsten des Kulturerbes dank der Verordnungen zur Kohäsionspolitik (37);

Erasmus+ (38);

Europäisches Kulturerbe-Siegel zur Verleihung von Siegeln an Stätten in der Union (39);

Programm Kreatives Europa (2014-20) mit der Media-Komponente für den audiovisuellen Sektor (Unterprogramm MEDIA); einer kulturellen Komponente für den Kultur- und Kreativsektor (Unterprogramm Kultur) und einer sektorübergreifenden Komponente für alle Kultur- und Kreativsektoren (sektorübergreifender Aktionsbereich(40).

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Siehe die verbreiteten populistischen und souveränistischen Bewegungen und Aspekte.

(2)  In Anlehnung an und unter Stärkung des Europäischen Forschungsraums (EFR).

(3)  Vgl. spezialisierte Einrichtungen für Restaurierungen: www.opencare.it.

(4)  Nihil est in intellectu quod prius non fuerit in sensu (J. Locke).

(5)  Lat. instruere: unterrichten, unterweisen.

(6)  Zeichen und Modelle einprägen.

(7)  Vgl. Ergebnisse in den Neurowissenschaften, die mimetisches Verhalten und die Nachahmung von Vorbildern veranschaulichen.

(8)  Lat. colere: anbauen, nähren, pflegen.

(9)  Quelle: Eurostat.

(10)  Bericht Cultural access and participation, http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_399_en.pdf.

(11)  Siehe ABl. C 287 vom 29.11.2007.

(12)  Siehe ABl. C 377 E vom 7.12.2012, S. 142; ABl. C 93 vom 9.3.2016, S. 95, Angenommene Texte, P8_TA(2016)0486.

(13)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 120.

(14)  NAT/738 (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 22).

(15)  Insbesondere indem durch die P.I.S.A.-Reform die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, engl. STEM) durch die Künste ergänzt werden (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik, Kunst, engl. STEAM) sowie im digitalen Bereich.

(16)  Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean.

(17)  Siehe auch Rahmenkonvention des Europarats über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft (SEV Nr. 199), Faro 18/03/08, 27.10.2005.

(18)  Siehe Fußnote 14.

(19)  Verordnung (EU) Nr. 233/2014 (ABl. L 77 vom 15.3.2014, S. 44).

(20)  Interreg Med Programme.

(21)  Med Culture Programme.

(22)  Verordnungen (EU) Nr. 232/2014 (ABl. L 77 vom 15.3.2014, S. 27) und (EU) Nr. 236/2014 (ABl. L 77 vom 15.3.2014, S 95).

(23)  Verordnung (EU) Nr. 231/2014 (ABl. L 77 vom 15.3.2014, S. 11).

(24)  Habitat-Richtlinie 92/43/EWG (ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7) und Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG (ABl. L 20 vom 26.1.2010, S. 7).

(25)  COM(2017) 198 final.

(26)  Verordnung (EU) Nr. 1293/2013 (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 185).

(27)  Die 5 Strukturfonds: EFRE, ESF, KF, ELER, EMFF.

(28)  Beschluss (EU) 2017/848 (ABl. L 125 vom 18.5.2017, S. 43).

(29)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Juli 2013 (2012/2297(INI)) (ABl. C 75 vom 26.2.2016, S. 24).

(30)  Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 487).

(31)  Verordnung (EU) Nr. 390/2014 (ABl. L 115 vom 17.4.2014, S. 3).

(32)  Verordnung (EU) Nr. 651/2014 (ABl. L 187 vom 26.6.2014, S. 1) und Verordnung (EU) 2015/1588 (ABl. L 248 vom 24.9.2015, S. 1).

(33)  Illegaler Handel mit Kulturgütern.

(34)  Verordnung (EU) Nr. 377/2014 (ABl. L 122 vom 24.4.2014, S. 44).

(35)  Verordnung (EU) Nr. 1287/2013 (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 33).

(36)  COM(2010) 487 final und COM(2014) 477 final.

(37)  ABl. L 347 vom 20.12.2013.

(38)  Verordnung (EU) Nr. 1288/2013 (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 50).

(39)  Beschluss Nr. 1194/2011/EU (ABl. L 303 vom 22.11.2011, S. 1).

(40)  Verordnung (EU) Nr. 1295/2013 (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 221).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/155


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zum Schutz von Whistleblowern auf der Ebene der EU“

(COM(2018) 214 final)

und „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“

(COM(2018) 218 final)

(2019/C 62/26)

Berichterstatterin:

Franca SALIS-MADINIER

Befassung

Europäisches Parlament, 28.5.2018

Rat der Europäischen Union, 29.5.2018

Europäische Kommission, 18.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 43 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

18.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

158/77/15

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) betont, dass der Schutz von Hinweisgebern neben dem eigentlichen Schutz von Hinweisgebern auch ein wichtiges Instrument für die Unternehmen ist, illegales und unethisches Verhalten besser anzugehen.

1.2.

Der EWSA begrüßt, dass viele Unternehmen selbst gut funktionierende Verfahren für den Schutz von Hinweisgebern eingeführt haben und 10 von 28 Mitgliedstaaten bereits über einen Rahmen für den Schutz von Hinweisgebern verfügen.

1.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie ausgehend von der Bewertung ihrer Umsetzung evaluiert und weit genug gefasst werden sollte, um das allgemeine Interesse zu wahren.

1.4.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Rechtsgrundlage der Richtlinie zu überprüfen und dabei auch die Rechte von Arbeitnehmern gemäß Artikel 153 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu berücksichtigen.

1.5.

Ehemalige Angestellte, Gewerkschaftsvertreter und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen können im Sinne des Artikels 3 Hinweise auf Missstände geben und denselben Schutz genießen; sie sollten in Artikel 2 dieser Richtlinie ausdrücklich aufgeführt werden.

1.6.

Der EWSA empfiehlt (Artikel 13) für mehr Gerechtigkeit und Rechtssicherheit ein zweistufiges Meldeverfahren, im Rahmen dessen sich der Hinweisgeber je nach Wunsch zunächst über den internen Weg melden oder an die zuständigen Behörden und anschließend gegebenenfalls an die Zivilgesellschaft/Medien wenden kann.

1.7.

Der EWSA plädiert dafür, dass sich die Hinweisgeber in jeder Phase der Meldung an gewerkschaftliche Vertreter wenden können und dass letztere befugt sind, sie zu vertreten sowie zu beraten und unterstützen.

1.8.

Durch die Richtlinie muss die Verhandlung über das interne Meldesystem als Gegenstand des sozialen Dialogs mit den Gewerkschaftsvertretern der Arbeitnehmer gemäß der Empfehlung des Europarates von 2014 und dem Bericht des Europäischen Parlaments von 2017 deutlicher gefördert werden.

1.9.

Der EWSA empfiehlt, dass ein Hinweisgeber bei der Aufdeckung seiner Identität nach einer anonymen Meldung in den Genuss des durch die Richtlinie gewährten Schutzes kommen sollte.

1.10.

Der EWSA empfiehlt, dass in Artikel 15 Absatz 5 eine Änderung des prima facie der Beweislast vorgenommen wird. Es genügt, wenn der Hinweisgeber „sachliche Beweise dafür vorlegt, dass er eine Meldung getätigt hat“.

1.11.

Der EWSA empfiehlt in Artikel 15 Absatz 6, dass Abhilfemaßnahmen nicht an die nationale Rechtsprechung (variabel) verwiesen, sondern in der Richtlinie im Einklang mit den britischen Rechtsvorschriften vollständige Abhilfemaßnahmen ohne Obergrenze vorgesehen werden.

1.12.

Der EWSA fordert die Streichung von Artikel 17 Absatz 2, der überflüssig ist (Sanktionen wegen Meldungen in böswilliger oder missbräuchlicher Absicht sind im nationalen Recht bereits vorgesehen).

1.13.

Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, in Artikel 19 eine ausdrückliche Klausel zum Ausschluss von Rückschritten aufzunehmen, um sicherzustellen, dass die vor der Richtlinie gewährten Rechte von Hinweisgebern in den Mitgliedstaaten und in den Bereichen, auf die die Richtlinie Anwendung findet und in denen bereits bestehende Rechte günstiger sind, keinesfalls eingeschränkt werden.

1.14.

Der EWSA empfiehlt, die Veröffentlichung der regelmäßigen Berichte der öffentlichen Stellen und der Mitgliedstaaten verbindlich vorzuschreiben.

1.15.

Der EWSA fordert die Kommission auf, in der Richtlinie Sensibilisierungskampagnen auf europäischer und nationaler Ebene, insbesondere für junge Menschen, vorzusehen, um die Wahrnehmung von Hinweisgebern zu ändern.

2.   Hintergrund

2.1.

Rechtswidrige Handlungen und Fälle von Rechtsmissbrauch können in jeder Organisation auftreten, sei diese privat oder öffentlich. Sie können sehr unterschiedliche Formen annehmen, wie etwa Korruption oder Betrug, berufliches Fehlverhalten, Steuerhinterziehung oder Fahrlässigkeit, und wenn nichts dagegen unternommen wird, können sie das öffentliche Interesse und das Wohlergehen der Bürger in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der EU ernsthaft beeinträchtigen.

2.2.

Die Fähigkeit, eine Risikosituation zu antizipieren, zu beheben oder zu beseitigen, ist für die Unternehmen, Bürger und Arbeitnehmer vorteilhaft (Vermeidung von Toten und Verletzten, Gerichtsverfahren, Finanzverlusten, Rufschädigung). Die ethischen Hinweise, die die Kommission durch diese Richtlinie schützen möchte, sind Hinweise im allgemeinen Interesse, die der gesamten Gesellschaft zugutekommen.

2.3.

Menschen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit für oder in Verbindung mit einer Organisation zusammenarbeiten, sind oft die ersten, die Fehlverhalten erkennen. Diejenigen, die (innerhalb der betroffenen Organisation oder bei einer externen Behörde) Meldung erstatten oder solche Handlungen aufdecken (Hinweisgeber), können also eine wichtige Rolle bei ihrer Vermeidung spielen. Viele dieser Personen tun dies aber nicht. Nach internationalen Studien sind die Hauptgründe für das Schweigen, dass diese Personen Angst vor Repressalien haben, dass sie befürchten, ihr Hinweis sei vergeblich, und dass sie oft nicht wissen, an wen sie sich wenden können. In einer öffentlichen Konsultation der Kommission im Jahr 2017 gaben 85 % der Befragten an, dass Arbeitnehmer aus Angst vor rechtlichen und finanziellen Folgen, aber auch wegen der negativen Wahrnehmung über Hinweisgeber Bedrohungen und Beeinträchtigungen des öffentlichen Interesses sehr selten oder selten melden. In einigen Ländern besteht nach wie vor eine Unklarheit bei der Unterscheidung zwischen Hinweisgebern, Verrätern und Denunzianten. Einen Hinweis zu geben ist ein mutiger Akt, wohingegen eine Denunziation ein Akt der Feigheit ist.

2.4.

Aus diesen Gründen ist es wichtig, Hinweisgebern einen wirksamen Schutz zu gewähren. Auf internationaler Ebene wie auch in verschiedenen Mitgliedstaaten gibt es bereits Instrumente. Der Europarat, das Europäische Parlament, der Rat der EU sowie zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften haben bereits EU-weite Rechtsvorschriften zum Schutz von Hinweisgebern, die im öffentlichen Interesse handeln, gefordert. Einige europäische Unternehmen haben Verfahren für den Schutz von Hinweisgebern eingeführt. Der Vorschlag der Kommission beruht auf der Feststellung, dass der Schutz von Hinweisgebern in der Europäischen Union derzeit ungenügend, zwischen den Mitgliedstaaten unterschiedlich und zwischen den Sektoren uneinheitlich ist.

2.5.

Die Kommission schlägt deshalb eine Richtlinie über den Schutz von Hinweisgebern in bestimmten Bereichen vor, die durch eine Mitteilung zur Schaffung eines politischen Rahmens auf EU-Ebene, einschließlich Maßnahmen zur Unterstützung der nationalen Behörden, ergänzt wird.

2.6.

Der Vorschlag zielt darauf ab, eine Reihe gemeinsamer Mindestnormen festzulegen, die Schutz vor Repressalien gegen Hinweisgeber bieten, die Verstöße gegen das Unionsrecht in folgenden Bereichen melden: i) öffentliches Auftragswesen; ii) Finanzdienstleistungen; iii) Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung; iv) Produktsicherheit; v) Verkehrssicherheit; vi) Umweltschutz; vii) nukleare Sicherheit; viii) Lebens- und Futtermittelsicherheit; ix) Gesundheit und Wohlergehen der Tiere; x) öffentliche Gesundheit; xi) Verbraucherschutz; xii) Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie Sicherheit von Netzen und Informationssystemen.

2.7.

Der Vorschlag gilt auch für Verstöße gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften, Verstöße und Missbräuche gegen die Besteuerungsbestimmungen für Unternehmen sowie für Schäden an den finanziellen Interessen der EU.

2.8.

Nach dem Vorschlag müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten (oder einem Jahresumsatz von mehr als 10 Mio. EUR) und öffentliche Einrichtungen interne Meldekanäle und Meldeverfahren für die Entgegennahme und Weiterverfolgung von Hinweisen einrichten. Sie müssen auch gewährleisten, dass die zuständigen Behörden über externe Meldekanäle verfügen. Diese Kanäle müssen die Vertraulichkeit der Identität und Informationen gewährleisten. Kleine und Kleinstunternehmen sind von der Verpflichtung einer internen Regelung ausgenommen (außer im Finanzsektor und in sensiblen Branchen).

2.9.

Der Vorschlag untersagt direkte oder indirekte Repressalien gegen Hinweisgeber und benennt Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zu deren Schutz ergreifen müssen.

2.10.

Schließlich sieht der Vorschlag wirksame, angemessene und abschreckende Maßnahmen vor, die zur Vermeidung folgender Tätigkeiten erforderlich sind: i) Behinderung der Meldung, Repressalien, belastende Gerichtsverfahren gegen Hinweisgeber und Verletzungen der Pflicht zur Vertraulichkeit der Identität von Hinweisgebern sowie ii) böswillige oder missbräuchliche Denunziationen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Bislang verfügen nur 10 von 28 Mitgliedstaaten der EU bereits über umfassende Rechtsvorschriften zum Schutz von Hinweisgebern. In Europa sind die Fragmentierung und die Lücken dieses Schutzes für das öffentliche Interesse schädlich und können Menschen daran hindern, Meldung zu erstatten. Bei grenzüberschreitenden oder in multinationalen Konzernen begangenen Straftaten genießt ein Hinweisgeber je nach Gesetzgebung und Rechtsprechung des Staates, der für ihn zuständig ist, nicht denselben Schutz.

3.2.

Der EWSA begrüßt das Ziel, eine verantwortungsvolle und freiwillige Meldung zur Verteidigung des öffentlichen Interesses zu fördern.

3.3.

Die Kommission hat im Jahr 2016 (1) festgestellt, dass die Anwendung des Unionsrechts weiterhin eine Herausforderung darstellt, und sie hat sich verpflichtet, „stärkeres Augenmerk auf die Durchsetzung des Unionsrechts zu richten“. Das Ziel sind proaktive, nicht reaktive Rechtsvorschriften, die eine „systematischere Prüfung […] zur Umsetzung des EU-Rechts“ fördern sollen.

3.4.

Der EWSA stellt fest, dass der Vorschlag für eine Richtlinie in Bezug auf Normen und Ziele mit den bisherigen europäischen Rechtsvorschriften (Europarat, Parlament, Kommission), insbesondere mit der Empfehlung CM/Rec(2014)7 des Europarates vom 30. April 2014, in Einklang steht und weitgehend den internationalen Normen entspricht. Der Vorschlag stellt im Übrigen eine Ergänzung zu den bestehenden sektoralen Vorschriften der EU (Finanzdienstleistungen, Verkehr, Umwelt) und zur EU-Politik (Korruptionsbekämpfung, nachhaltige Finanzierung, gerechtere Besteuerung) dar.

3.5.

Der sachliche Anwendungsbereich wurde nach dem Subsidiaritätsprinzip auf Verstöße gegen das Unionsrecht (rechtswidrige Handlungen und Fälle von Rechtsmissbrauch) sowie auf spezifische Bereiche beschränkt, in denen:

1.

die Rechtsdurchsetzung verbessert werden muss;

2.

die viel zu seltene Meldung von Verstößen ein Schlüsselfaktor ist;

3.

etwaige Verstöße schwere Schäden des öffentlichen Interesses nach sich ziehen können.

3.6.

Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass das Verhältnis zwischen dem EU-Recht und dem nationalen Recht, das zu Streitigkeiten und Schwierigkeiten bei der Anwendung der in der Richtlinie verankerten Grundsätze führen kann, klargestellt werden sollte.

3.7.

Der EWSA hebt den positiven Aspekt der Richtlinie hervor, wodurch die Staaten ermutigt werden, umfassende und kohärente nationale Rechtsvorschriften auf der Grundlage der Grundsätze der Empfehlung des Europarates und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu erlassen. Gleichzeitig wäre es wichtig, das reibungslose Funktionieren der bestehenden Rahmen in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, solange sie mit den wichtigsten Grundsätzen der Richtlinie vereinbar sind.

3.8.

Auch der Hinweis auf die Annahme günstigerer Bestimmungen in den Mitgliedstaaten ist positiv zu bewerten. Der EWSA hält es jedoch für unerlässlich, eine Klausel zum Ausschluss von Rückschritten aufzunehmen, da diese Richtlinie nicht dazu dienen darf, günstigere nationale Bestimmungen zu streichen oder zu untergraben.

3.9.

Der EWSA empfiehlt, die Richtlinie aufgrund möglicher künftiger Ergebnisse und auf der Grundlage der Bewertung der Umsetzung der Richtlinie zu evaluieren. Er hält es für angebracht, im Lichte einer derartigen Bewertung auf eine mögliche weitere Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie hinzuweisen.

3.10.

Der EWSA weist erneut darauf hin, wie wichtig Aktivitäten die Umsetzung dieser Richtlinie in den Mitgliedstaaten für ein besseres Funktionieren der Demokratie angesichts der derzeitigen und der künftigen Herausforderungen sowie für die Stärkung des Rechtsstaates, der öffentlichen Grundfreiheiten und Integrität sind ist, denn die Freiheit, die Wahrheit zu sagen (oder parrêsia), wird als wichtige Säule der Demokratie angesehen.

3.11.

Der EWSA unterstützt die Einrichtung einer Europäischen Meldeagentur oder eines Europäischen Bürgerbeauftragten, der für die Koordinierung nationaler Meldestellen und die Überwachung der Hinweisgebersysteme verantwortlich wäre.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA hält es für inakzeptabel, dass es nicht möglich war, eine Anhörung der Sozialpartner zum Vorschlag für eine Richtlinie gemäß Artikel 154 AEUV durchzuführen. Die Kommission sollte dies nicht wiederholen.

4.2.

Der EWSA empfiehlt, dass auch der soziale Bereich von der Richtlinie erfasst werden sollte, indem Artikel 153 AEUV zu den 16 rechtlichen Hinweisen in der Richtlinie hinzugefügt wird. Der EWSA weist darauf hin, dass in Artikel 1 (sachlicher Anwendungsbereich) über rechtswidrige Handlungen, die ein Hinweisgeber melden kann, der Schutz der Arbeitnehmer fehlt. Diskriminierungen, Belästigungen, Gewalt am Arbeitsplatz usw. sind im Vorschlag nicht aufgeführt. Er plädiert folglich dafür, diese Themen in die Richtlinie aufzunehmen.

5.   Persönlicher Anwendungsbereich

5.1.

Der EWSA hält fest, dass der sehr breite persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie für alle Arbeitnehmer des öffentlichen und privaten Sektors gilt, die im beruflichen Kontext Informationen erlangt haben. Der Begriff Arbeitnehmer ist weit gefasst: jeder abhängig beschäftigte Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 45 AEUV und jeder Selbstständige im Sinne von Artikel 49 AEUV, aber auch jeder Freiwillige, unbezahlte Praktikant, Berater, Lieferant, Subunternehmer, Aktionär oder Mitglied eines Verwaltungsrates. Diese Richtlinie könnte dazu beitragen, das Risiko der Ansehensschädigung betroffener Unternehmen zu verringern.

5.2.

Ehemalige Angestellte, Gewerkschaftsvertreter und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen können im Sinne des Artikels 3 Hinweise auf Missstände geben und denselben Schutz genießen; sie sollten in Artikel 2 dieser Richtlinie ausdrücklich aufgeführt werden.

5.3.

Der EWSA stellt fest, dass die Beamten der EU denselben Schutz wie die Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten genießen müssen.

6.   Verfahren der Berichterstattung

6.1.

Bei der Einrichtung interner Meldesysteme empfiehlt der EWSA, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaftsvertreter aktiv in die Gestaltung und Umsetzung einzubeziehen.

6.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Prinzip einer stufenweisen Meldung (intern, zuständige Behörden, Öffentlichkeit) dem Grundsatz der verantwortungsvollen Meldung entspricht. Dennoch ist der EWSA der Ansicht, dass der Hinweisgeber die freie Wahl zwischen dem internen Meldekanal und den zuständigen Behörden haben sollte, und empfiehlt deshalb im Interesse der Gerechtigkeit und Rechtssicherheit ein zweistufiges anstelle eines dreistufigen Verfahrens. Einerseits zeigen internationale Studien auch bei Ländern ohne verpflichtenden internen Kanal (Vereinigtes Königreich, Irland), dass die Arbeitnehmer aus Loyalität meist zunächst den internen Weg wählen; es besteht daher keine Gefahr, dass der interne Weg massiv umgangen wird. Außerdem ist es bei einem verpflichtenden internen Weg schwierig, alle nötigen Ausnahmeregelungen vorzusehen. Andererseits sieht das nationale Recht eine direkte Verweisung an die Behörden vor (beispielsweise bei Straftaten). Schließlich gilt diese Verpflichtung nur für Angestellte, andere Arbeitnehmer sind davon ausgenommen. Dies stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit dar und führt zu Rechtsunsicherheit.

6.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass ein Hinweisgeber am Arbeitsplatz in allen Phasen des Meldeverfahrens in der Lage sein muss sollte, sich an Gewerkschaftsvertreter zu wenden und sich von ihnen vertreten zu lassen. Letztere können an der Seite der Arbeitnehmer eine wichtige Beratungs- und Schutzfunktion übernehmen.

6.4.

Der EWSA empfiehlt, dass die Weiterverfolgungsgarantien für externe Meldungen auch für interne Meldungen gelten sollten, und zwar die Bestätigung der Meldung und die Rückmeldung über die Bearbeitung der Meldung.

6.5.

Studien zeigen, dass die am stärksten gefährdeten Personen sowie Personen, die im Besitz von Unterlagen sind, die ihr Leben oder ihre Angehörigen gefährden könnten, gezwungen sind, anonym zu bleiben. Wird die Identität eines Hinweisgebers nach einer anonymen Meldung aufgedeckt, sollte dieser nach Auffassung des EWSA in den Genuss des Schutzes im Rahmen dieser Richtlinie kommen. Schließlich darf die Tatsache, dass Unterlagen anonym eingereicht wurden, kein Vorwand sein, der Meldung nicht nachzugehen.

7.   Schutz von Hinweisgebern: Beweislast und Abhilfemaßnahmen

7.1.

Nach dem Vorschlag für eine Richtlinie muss ein Hinweisgeber, der Repressalien ausgesetzt ist, prima facie nachweisen, dass diese Repressalien die Folge der Meldung sind (double test), um die Beweislast zu erbringen. Entsprechend dem Grundsatz der Umkehr der Beweislast (vgl. die Richtlinie zur Diskriminierung) obliegt es jedoch dem Arbeitgeber, nachzuweisen, dass die Repressalien keine Folge der Meldung sind.

7.2.

Die Richtlinie sollte Abhilfemaßnahmen für Repressalien enthalten (Artikel 15 Absatz 6) und nicht auf den nationalen Rechtsrahmen verweisen, der nachweislich von Land zu Land unterschiedlich ist oder nicht existiert. Für einen wirksamen Schutz von Hinweisgebern vor allen Formen direkter oder indirekter Sanktionen ist es notwendig, dass in der Richtlinie die Verpflichtung umfassender Abhilfemaßnahmen ohne Obergrenze vorgesehen ist (einschließlich verlorener Rentenjahre im Falle einer Entlassung), nach dem Vorbild des „Public Interest Disclosure Act“ von 1998.

8.   Sanktionen

8.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Ziel der Richtlinie darin besteht, Meldungen zu erleichtern und zu gewährleisten. Dementsprechend muss Artikel 17 Absatz 2 gestrichen werden, durch den eine Verwechslung zwischen einer verantwortungsvollen Meldung und einer Meldung mit böswilliger oder missbräuchlicher Absicht — Straftaten, die bereits in den nationalen Rechtsvorschriften enthalten sind — entsteht.

9.   Günstigere Klausel und Klausel zum Ausschluss von Rückschritten

9.1.

Der EWSA begrüßt die in der Richtlinie vorgesehene Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, Rechtsvorschriften zu erlassen, die die Rechte von Hinweisgebern besser schützen. Dennoch muss eine Klausel zum Ausschluss von Rückschritten hinzugefügt werden, um die günstigeren Rechtsvorschriften oder Bestimmungen in einigen Staaten beizubehalten.

10.   Berichterstattung, Bewertung und Überprüfung

10.1.

Eine Bewertung der Umsetzung der Richtlinie sollte durch die Veröffentlichung von Jahresberichten (anonymisierte und statistische Daten) der öffentlichen Stellen und der Mitgliedstaaten verbindlich vorgeschrieben sein, damit der für 2027 geplante Bericht der Kommission ergänzt und die EU-Bürger informiert werden können.

Brüssel, den 18. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 18 vom 19.1.2017, S. 10.


ANHANG

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:

Ziffer 3.11

Neue Ziffer:

3.11.

Der EWSA empfiehlt, die Frage der Vermeidung von Abwärtsrisiken für öffentliche und private Unternehmen im Zusammenhang mit der missbräuchlichen Nutzung oder der unrechtmäßigen Offenlegung sensibler Informationen umfassender zu behandeln. Der Ruf von Unternehmen und Organisationen sollte im Falle böswilligen Handelns hinreichend geschützt sein.

Begründung

Der Ruf einer Organisation ist für alle Interessenträger und nicht zuletzt für die Arbeitnehmer von entscheidender Bedeutung.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

84

Nein-Stimmen

130

Enthaltungen

15

Ziffer 4.1

Streichen:

4.1.

Der EWSA hält es für inakzeptabel, dass es nicht möglich war, eine Anhörung der Sozialpartner zum Vorschlag für eine Richtlinie gemäß Artikel 154 AEUV durchzuführen. Die Kommission sollte dies nicht wiederholen.

Begründung

Da dieser Vorschlag nicht auf Artikel 153 AEUV basiert, ist die Anhörung der Sozialpartner nicht erforderlich.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

79

Nein-Stimmen

133

Enthaltungen

18

Ziffer 4.2

Ändern:

4.2.

Der EWSA anerkennt, dass die Rechtsgrundlage der Richtlinie breit genug ist, um einen angemessenen Schutz von Hinweisgebern zu gewährleisten. Im Interesse der Rechtssicherheit fordert der EWSA eine Klarstellung betreffend den Anwendungsbereich in Verbindung mit den Rechten der Arbeitnehmer. empfiehlt, dass auch der soziale Bereich von der Richtlinie erfasst werden sollte, indem Artikel 153 AEUV zu den 16 rechtlichen Hinweisen in der Richtlinie hinzugefügt wird. Der EWSA weist darauf hin, dass in Artikel 1 (sachlicher Anwendungsbereich) über rechtswidrige Handlungen, die ein Hinweisgeber melden kann, der Schutz der Arbeitnehmer fehlt. Diskriminierungen, Belästigungen, Gewalt am Arbeitsplatz usw. sind im Vorschlag nicht aufgeführt. Er plädiert folglich dafür, diese Themen in die Richtlinie aufzunehmen.

Begründung

Da die Meinungen betreffend die Rechtsgrundlage für die Richtlinie auseinandergehen, muss dieser Punkt von der Kommission mit Blick auf die Frage der Rechte von Arbeitnehmern (Art. 153 AEUV) geklärt werden.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

82

Nein-Stimmen

139

Enthaltungen

14

Ziffer 6.2

Ändern:

6.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Prinzip einer stufenweisen Meldung (intern, zuständige Behörden, Öffentlichkeit) dem Grundsatz der verantwortungsvollen Meldung entspricht, insbesondere um Verstöße schneller und wirksamer an der Quelle festzustellen und zu unterbinden und so interne und externe Risiken zu mindern. Dennoch ist der EWSA der Ansicht, dass der Hinweisgeber die freie Wahl zwischen dem internen Meldekanal und den zuständigen Behörden haben sollte, und empfiehlt deshalb im Interesse der Gerechtigkeit und Rechtssicherheit ein zweistufiges anstelle eines dreistufigen Verfahrens. Einerseits zeigen internationale Studien auch bei Ländern ohne verpflichtenden internen Kanal (Vereinigtes Königreich, Irland), dass die Arbeitnehmer aus Loyalität meist zunächst den internen Weg wählen; es besteht daher keine Gefahr, dass der interne Weg massiv umgangen wird. Außerdem ist es bei einem verpflichtenden internen Weg schwierig, alle nötigen Ausnahmeregelungen vorzusehen. Andererseits sieht das nationale Recht eine direkte Verweisung an die Behörden vor (beispielsweise bei Straftaten). Schließlich gilt diese Verpflichtung nur für Angestellte, andere Arbeitnehmer sind davon ausgenommen. Dies stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit dar und führt zu Rechtsunsicherheit.

Begründung

Es ist wichtig, dass das Unternehmen die Möglichkeit hat, das Problem zunächst intern zu lösen, ehe der Hinweisgeber an die Öffentlichkeit geht. Das zweistufige Berichtsverfahren erleichtert die schnelle und effektive Ermittlung und Unterbindung von Verstößen an der Quelle.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

78

Nein-Stimmen

145

Enthaltungen

11

Ziffer 7.2

Ändern:

7.2.

Die Richtlinie sollte enthält Abhilfemaßnahmen für Repressalien enthalten (Artikel 15 Absatz 6) und nicht verweist auf den nationalen Rechtsrahmen verweisen, der nachweislich von Land zu Land unterschiedlich ist oder nicht existiert. Für einen wirksamen Schutz von Hinweisgebern vor allen Formen direkter oder indirekter Sanktionen ist es notwendig, dass in die Umsetzung der Richtlinie in Bezug auf die Wirksamkeit der nationalen Rechtsrahmen sorgfältig überwacht und bewertet wird. die Verpflichtung umfassender Abhilfemaßnahmen ohne Obergrenze vorgesehen ist (einschließlich verlorener Rentenjahre im Falle einer Entlassung), nach dem Vorbild des „Public Interest Disclosure Act“ von 1998.

Begründung

Die auf nationalen Rechtsrahmen beruhenden Sanktions- und Entschädigungssysteme müssen die grundlegenden Ziele der Richtlinie in Bezug auf den Schutz der Hinweisgeber erfüllen und gleichzeitig den Grundsätzen der nationalen Rechtssysteme genügen. Dies ist einer der zentralen Aspekte bei der Überwachung der Umsetzung der Richtlinie.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

82

Nein-Stimmen

144

Enthaltungen

10

Ziffer 8.1

Ändern:

8.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Ziel der Richtlinie darin besteht, Meldungen zu erleichtern und zu gewährleisten. Dementsprechend sollte muss Artikel 17 Absatz 2 gestrichen klargestellt werden, durch den eine Verwechslung zwischen einer verantwortungsvollen Meldung und einer Meldung mit böswilliger oder missbräuchlicher Absicht — Straftaten, die bereits in den nationalen Rechtsvorschriften enthalten sind — entstehen könnte entsteht.

Begründung

Die Folgen falscher, irreführender und unbegründeter Offenlegungen müssen zwar durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Strafen angegangen werden, doch sollte der Umfang dieser Strafen in den Mitgliedstaaten angemessen präzisiert werden.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

87

Nein-Stimmen

147

Enthaltungen

6

Ziffer 1.4

Ändern:

1.4.

Der EWSA fordert die Kommission auf anerkennt, dass die Rechtsgrundlage der Richtlinie breit genug ist, um einen angemessenen Schutz von Hinweisgebern zu gewährleisten zu überprüfen und dabei auch die Rechte von Arbeitnehmern gemäß Artikel 153 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu berücksichtigen. Im Interesse der Rechtssicherheit fordert der EWSA eine Klarstellung betreffend den Anwendungsbereich in Verbindung mit den Rechten der Arbeitnehmer.

Begründung

Die von der Europäischen Kommission als Rechtsgrundlage bestimmten Artikel können eine verbesserte Durchsetzung des Unionsrechts durch die Einführung neuer Bestimmungen für den Schutz von Hinweisgebern umfassend gewährleisten, mit denen die angemessene Funktionsweise des Binnenmarkts und die korrekte Umsetzung der EU-Maßnahmen gestärkt sowie hohe Standards für den Schutz von Hinweisgebern in branchenspezifischen EU-Instrumenten, in denen bereits einschlägige Vorschriften bestehen, gesichert werden. Um jedoch jedwede Verwirrung in Bezug auf die Rechtsgrundlage in Verbindung mit den Rechten der Arbeitnehmer zu vermeiden, ist eine Klarstellung notwendig.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

84

Nein-Stimmen

133

Enthaltungen

6

Ziffer 1.4

Neue Ziffer nach der aktuellen Ziffer 1.4 einfügen:

Der EWSA ist davon überzeugt, dass ein Rechtsrahmen für den Schutz von Hinweisgebern derart gestaltet sein sollte, dass eine Unterscheidung zwischen Informationen, die nur innerhalb des Unternehmens offengelegt werden dürfen, und Informationen, die an die Behörden oder sogar die Öffentlichkeit weitergeleitet werden können, ermöglicht wird. Dies gilt insbesondere für Geschäftsgeheimnisse.

Begründung

In dem Vorschlag sollte präzisiert werden, dass Hinweisgeber Informationen, die Geschäftsgeheimnisse betreffen, immer intern im Unternehmen melden müssen, da der Schaden für das Unternehmen nach Veröffentlichung dieser Informationen unumkehrbar ist.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

89

Nein-Stimmen

149

Enthaltungen

7

Ziffer 1.6

Ändern:

1.6.

Der EWSA empfiehlt (Artikel 13) für mehr Gerechtigkeit und Rechtssicherheit ein zweistufiges Meldeverfahren, im Rahmen dessen sich der Hinweisgeber je nach Wunsch — mit Blick auf die schnelle und effektive Ermittlung und Unterbindung von Verstößen — zunächst über den internen Weg melden oder an die zuständigen Behörden und anschließend gegebenenfalls wenn nötig an die zuständigen Behörden und gegebenenfalls an die Zivilgesellschaft/Medien wenden kann.

Begründung

Es ist wichtig, dass das Unternehmen die Möglichkeit hat, das Problem zunächst intern zu lösen, ehe der Hinweisgeber an die Öffentlichkeit geht. Das zweistufige Berichtsverfahren erleichtert die schnelle und effektive Ermittlung und Unterbindung von Verstößen an der Quelle.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

89

Nein-Stimmen

144

Enthaltungen

8

Ziffer 1.10

Streichen:

1.10.

Der EWSA empfiehlt, dass in Artikel 15 Absatz 5 eine Änderung des prima facie der Beweislast vorgenommen wird. Es genügt, wenn der Hinweisgeber „sachliche Beweise dafür vorlegt, dass er eine Meldung getätigt hat“.

Begründung

Diese Empfehlung beruht nicht auf dem Text des Stellungnahmeentwurfs (Ziffer 7.1). Obwohl er angefochten werden könnte, wird im Text neutral auf den Grundsatz der Umkehr der Beweislast hingewiesen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

93

Nein-Stimmen

148

Enthaltungen

7

Ziffer 1.11

Ändern:

1.11.

Für einen wirksamen Schutz von Hinweisgebern vor allen Formen direkter oder indirekter Sanktionen ist es notwendig, dass in die Umsetzung der Richtlinie in Bezug auf die Wirksamkeit der nationalen Rechtsrahmen sorgfältig überwacht und bewertet wird. Der EWSA empfiehlt in Artikel 15 Absatz 6, dass Abhilfemaßnahmen nicht an die nationale Rechtsprechung (variabel) verwiesen, sondern in der Richtlinie im Einklang mit den britischen Rechtsvorschriften vollständige Abhilfemaßnahmen ohne Obergrenze vorgesehen werden.

Begründung

Die auf nationalen Rechtsrahmen beruhenden Sanktions- und Entschädigungssysteme müssen die grundlegenden Ziele der Richtlinie in Bezug auf den Schutz der Hinweisgeber erfüllen und gleichzeitig den Grundsätzen der nationalen Rechtssysteme genügen. Dies ist einer der zentralen Aspekte bei der Überwachung der Umsetzung der Richtlinie.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

95

Nein-Stimmen

143

Enthaltungen

9

Ziffer 1.12

Ändern:

1.12.

Der EWSA fordert die Streichung Präzisierung von Artikel 17 Absatz 2, der überflüssig ist (Sanktionen wegen da er zu einer Verwechslung zwischen einer verantwortungsvollen Meldung und Meldungen in böswilliger oder missbräuchlicher Absicht führen könnte sind im nationalen Recht bereits vorgesehen).

Begründung

Siehe Ziffer 8.1.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

96

Nein-Stimmen

147

Enthaltungen

7


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/165


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+)“

(COM(2018) 382 final — 2018/0206 (COD))

(2019/C 62/27)

Berichterstatter:

Krzysztof BALON

Mitberichterstatterin:

Cinzia DEL RIO

Befassung

Europäisches Parlament, 11.6.2018

Rat der Europäischen Union, 19.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 46 Buchstabe d, Artikel 149, Artikel 153 Absatz 2 Buchstabe a, Artikel 164, Artikel 168 Absatz 5, Artikel 175 Absatz 3 und Artikel 349 AEUV

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

183/2/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Kommissionsvorschlag für den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+), mit dem die Kohärenz und Synergie zwischen den EU-Instrumenten verbessert, einige EU-Fonds zusammengeführt und bestimmte Verfahren vereinfacht werden sollen. Der EWSA kritisiert zwar einige Aspekte des Vorschlags, fordert aber einen raschen, verantwortungsbewussten und ausgewogenen Beschluss darüber noch vor den Europawahlen im nächsten Jahr.

1.2.

Europa braucht einen soliden Mix aus wirtschafts-, investitions- und sozialpolitischen Maßnahmen, um in der globalen Wirtschaft wettbewerbsfähig zu bleiben und um hochwertige Beschäftigung, hochwertige, allgemein verfügbare und zugängliche Aus- und Fortbildung sowie gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsdiensten, soziale Inklusion und aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten. Es ist ein neuer EU-Haushalt erforderlich, der auf wichtige Herausforderungen reagieren kann, wie z. B. die Jugendarbeitslosigkeit, das Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage, die Langzeitarbeitslosigkeit, der sich rasch wandelnde Arbeitsmarkt und die Auswirkungen neuer Formen der Arbeit, die zu einer neuen sozialen Ausgrenzung von Randgruppen führenden Phänomene sowie die anhaltend hohen Armutsquoten in einigen Staaten. Darüber hinaus machen die neuesten Herausforderungen aufgrund der Digitalisierung innovative Ansätze bei der EU-Finanzierung notwendig (1).

1.3.

Der EWSA steht dem Vorschlag sehr kritisch gegenüber, da er finanzielle Kürzungen für die EU-Kohäsionspolitik vorsieht. Was den ESF+ betrifft, sollen die Mittel real um 6 % gekürzt werden. Des Weiteren ist der EWSA nicht damit einverstanden, dass der (derzeit bei 23,1 % liegende) Mindestanteil der Kohäsionsfördermittel im Rahmen des ESF+ gestrichen wird. Angesichts der Tatsache, dass der ESF+ das wichtigste Finanzierungsinstrument für die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte ist, fordert der EWSA, 30 % der gesamten Mittel für Maßnahmen des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts für den ESF+ vorzusehen und innerhalb des ESF+ 30 % der Mittel für Maßnahmen der sozialen Inklusion bereitzustellen.

1.4.

Die Zusammenführung der verschiedenen Fonds und Programme unter dem neuen „Dach“ ESF+ sollte mit Bedacht und unter Berücksichtigung der potenziellen Steigerung ihrer Wirksamkeit und Effizienz im Vergleich zu gesonderten Umsetzungsrahmen erfolgen. Der EWSA fordert die Kommission auf, die Bestimmungen über den ESF+ sowohl für die Verwaltungsbehörden als auch für die Begünstigten weiter zu vereinfachen und sicherzustellen, dass die Projekte mit den europäischen Werten im Einklang stehen. Die Vorbedingung der aktiven Inklusion, der zufolge die Mitgliedstaaten über eine nationale Strategie zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung verfügen müssen, um Anspruch auf Finanzmittel aus dem ESF+ zu haben, sollte auch im kommenden Finanzierungszeitraum für alle Mitgliedstaaten gelten.

1.5.

Die Mittel des ESF+ sollten im Einklang mit der Charta der Grundrechte, der UN-Kinderrechtskonvention (UNCRC) und der UN-Behindertenrechtskonvention (UNCRPD) genutzt werden. Ebenso muss die Einhaltung der Bestimmungen des Europäischen Verhaltenskodexes für Partnerschaften als Vorbedingung gelten. Partnerschaftsabkommen und operationelle Programme sollten überprüft und Sanktionen sollten verhängt werden, wenn sie nicht voll und ganz besagtem Verhaltenskodex entsprechen.

1.6.

Die EU sollte die Erfahrungen und Kapazitäten der auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene tätigen Sozialpartner und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen umfassend nutzen, indem sie sie und die Nutzer der Dienstleistungen gemäß ihren unterschiedlichen Aufgaben in die Planung, Durchführung, Überwachung und Bewertung der EU-Finanzierung einbindet. Die Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Organisationen sind Schlüsselakteure des demokratischen Projekts Europa. Im Rahmen des ESF+ heißt das, dass die Behörden die zur Verfügung stehenden Mittel leichter zugänglich machen sollten. Der EWSA unterstützt die Überarbeitung der Zusammensetzung des ESF+-Ausschusses nach Maßgabe von Artikel 40 Absatz 2 der Verordnung, im Einklang mit Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c der Dachverordnung und unter Wahrung der Grundsätze des Europäischen Verhaltenskodexes für Partnerschaften.

1.7.

Ein angemessener Anteil der verfügbaren Mittel sollte für Projekte kleiner lokaler Organisationen sowie für die Weitergabe von Zuschüssen bereitgestellt werden, um die Tätigkeiten lokaler Organisationen zu unterstützen. Sachleistungen und finanzielle Beiträge sollten gleich behandelt werden.

1.8.

Die Transnationalität (bzw. grenzübergreifende Tätigkeiten) sollten in der Regel Teil der operationellen Programme aller Mitgliedstaaten sein. Dies ist notwendig, um das Gefühl einer gemeinsamen europäischen Identität unter den Bürgern verschiedener Mitgliedstaaten zu fördern.

1.9.

Nach Ansicht des EWSA muss in den für die Zukunft Europas und seiner Bevölkerung zentralen Tätigkeitsbereichen eine umfangreiche Finanzierung festgelegt werden. Dazu gehören: hochwertige Jugendbeschäftigung, Initiativen zur Gleichstellung der Geschlechter, Inklusion und Beschäftigung benachteiligter Gruppen, lebenslanges Lernen und Weiterqualifizierung vor dem Hintergrund eines sich rasch ändernden, digitalisierten Arbeitsmarktes, Stärkung der öffentlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sowie Kapazitätsaufbau der öffentlichen Verwaltungen, der Sozialpartner (besonders zur Stärkung des sozialen Dialogs und bei gemeinsamen Unternehmungen) und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen, einschließlich ihrer Beteiligung an der Verwaltung des Fonds zur Gewährleistung einer besseren Governance.

1.10.

Angesichts der wachsenden Bedeutung der Sozialwirtschaft für die soziale Dimension der EU ist der EWSA auch der Auffassung, dass die Unterstützung sozialwirtschaftlicher Aktivitäten ein separates, spezifisches Ziel des ESF+ werden sollte.

1.11.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, für die Mittelzuweisung neue Indikatoren zu bestimmen. Gleichwohl beruht das gegenwärtige System immer noch hauptsächlich auf dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Zudem ist der EWSA der Auffassung, dass die Korrelation zwischen dem ESF+ und den länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters verbessert werden muss. Gleichzeitig ist der EWSA besorgt, dass strenge Auflagen gelten könnten. Er betont deshalb, dass diese Korrelation zwischen den nationalen und den europäischen Behörden unter umfassender und aktiver Beteiligung der Sozialpartner und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen ausgehandelt werden sollte.

1.12.

Die Sozialpartner und andere Organisationen der Zivilgesellschaft sollten in den Begleitausschüssen gleichberechtigte Akteure sein, über Stimmrechte verfügen und möglicherweise bestimmte Lenkungsfunktionen wahrnehmen. Bei der Überwachung sollten auch die Fortschritte bei den Maßnahmen zur sozialen Inklusion bewertet werden, anstatt sich auf die Anwendung einer Reihe quantitativer Indikatoren zu beschränken.

1.13.

Der EWSA betont, dass der ESF+ im Bereich der Politik für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt verbleiben muss.

1.14.

Der EWSA stimmt dem Vorschlag zur Reduzierung des europäischen Kofinanzierungssatzes des ESF+ nicht zu. Auf jeden Fall sollte eine derartige Reduzierung nicht den Projektträgern angelastet werden.

2.   Einleitung: Die Vorschläge der Kommission für den Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 und die gegenwärtige soziale Lage in der EU

2.1.

Die Europäische Kommission veröffentlichte am 2. Mai 2018 eine Mitteilung zu ihren Vorschlägen für den Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027; darauf folgten die Verordnungen über den MFR (29.-31. Mai) und den Europäischen Sozialfonds Plus (1. Juni 2018).

2.2.

Der EU-Haushalt sollte, wie vom Europäischen Parlament gefordert, auf 1,3 % des BIP erhöht werden (der Vorschlag sieht eine Erhöhung auf 1,08 % vor). Außerdem sollte das System der Eigenmittel reformiert werden, um die Finanzierung neuer Tätigkeiten zu stabilisieren und die neuen internen Herausforderungen zu bewältigen. Die EU ist (selbst nach dem Brexit) nur mit einer Mittelaufstockung in der Lage, ihre Verpflichtungen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und der europäischen Säule sozialer Rechte — die Ziele und Grundsätze für eine neue Sozial- und Beschäftigungspolitik auf europäischer Ebene umfasst — zu erfüllen, hochwertige Arbeitsplätze und Chancengleichheit sowie eine hochwertige allgemein verfügbare und zugängliche allgemeine und berufliche Bildung zu fördern, um auf die raschen Veränderungen des Arbeitsmarkts zu reagieren sowie faire Arbeitsbedingungen und mehr soziale Inklusion und Sozialschutz sicherzustellen, damit alle aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

2.3.

Europa muss in der globalen Wirtschaft wettbewerbsfähig bleiben und hohe Beschäftigungs- und Sozialstandards sicherstellen. Der EWSA fordert einen raschen, verantwortungsbewussten und ausgewogenen Beschluss über den MFR und den EFS+-Vorschlag noch vor den Europawahlen.

2.4.

Die Union steht nun vor neuen Herausforderungen aufgrund der Notwendigkeit, eine lange Periode wirtschaftlicher und sozialer Krisen zu bewältigen. Weitere Fragen, die sie lösen muss, sind die Auswirkungen eines sich rasch verändernden Arbeitsmarkts und der damit verbundenen neuen Formen der Arbeit, Qualifikationsmängel, geringe Arbeitskräftemobilität, Mängel bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik und der Bildungs- und Ausbildungssysteme sowie die „neue“ soziale Ausgrenzung von Randgruppen (u. a. Roma und Migranten).

2.5.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist in der EU immer noch hoch. Dazu kommen die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse, auch hier wieder vor allem bei jungen Menschen, und ein anhaltend hoher Anteil junger Menschen, die weder in Arbeit noch in Aus- oder Weiterbildung sind (NEETs). Das Missverhältnis zwischen dem Qualifikationsangebot und dem Bedarf der Arbeitgeber wurde bereits in mehreren EWSA-Stellungnahmen hervorgehoben. Aus diesem Grund besteht die Herausforderung heute darin, hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen und die Jugendbeschäftigung zu einer Priorität zu machen. In einigen Mitgliedstaaten erreicht jedoch die Arbeitslosenquote anderer Gruppen (u. a. Frauen, älterer Menschen und Migranten) ein kritisches Niveau und erfordert spezifische Lösungen.

2.6.

Die Einführung neuer Technologien, Digitalisierung und KI haben große Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt: Gute allgemeine Grundbildung, hochwertige und effektive Ausbildung, lebenslanges Lernen, Weiter- und Neuqualifizierung und gezielte Kompetenzen und Qualifikationen für die sich ändernden Erfordernisse der EU-Volkswirtschaften werden nötig sein, um die Beschäftigungschancen der Zukunft zu nutzen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen (2) zu stärken. Solche Instrumente müssen von einem soliden Mix wirtschafts-, investitions- und sozialpolitischer Maßnahmen für ein inklusives, nachhaltiges und innovationsorientiertes Wachstum flankiert werden.

2.7.

Ein weiterer kritischer Punkt ist das Ausmaß der Armut: 118 Mio. Unionsbürger (bzw. 23,7 % der gesamten EU-Bevölkerung) leben in Armut und sozialer Ausgrenzung bzw. sind davon bedroht (3). Gleichzeitig bleibt die Armut trotz Erwerbstätigkeit in einigen Ländern auf hohem Niveau, was mit einem erheblichen Anstieg der Unterbeschäftigung einhergeht (4).

3.   Zentrale Aspekte der vorgeschlagenen Verordnung über den Europäischen Sozialfonds Plus

3.1.

Zwecks größerer Kohärenz und mehr Synergien zwischen komplementären EU-Instrumenten, mehr Flexibilität und genauerer Ausrichtung der Fonds auf die Herausforderungen sowie einfacherer Programmplanung und Verwaltung der Mittel werden im neuen Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) folgende Fonds und Programme des Mehrjährigen Finanzrahmens für 2014-2020 zusammengeführt:

der Europäische Sozialfonds (ESF) und die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen (YEI),

der Europäische Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (EHAP),

das Programm für Beschäftigung und soziale Innovation (EaSI) und

das Aktionsprogramm der Union im Gesundheitsbereich (Gesundheitsprogramm).

3.2.

Für den ESF+ sind im Zeitraum 2021-2027 Mittel in Höhe von ca. 101 Mrd. EUR (zu jeweiligen Preisen) vorgesehen, davon 100 Mrd. EUR für die ESF+-Komponente (ehemaliger ESF und ehemaliger FEAD) mit geteilter Mittelverwaltung. Die Finanzausstattung für die ESF+-Komponenten mit direkter Mittelverwaltung beträgt 1 174 Mio. EUR (zu jeweiligen Preisen), davon sind 761 Mio. EUR für Beschäftigung und soziale Innovation und 413 Mio. EUR für Gesundheit vorgesehen. Der ESF+ umfasst auch die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen (YEI), in deren Rahmen 10 % der Finanzmittel für junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren bestimmt sind. Mindestens 25 % der nationalen ESF+-Mittel sind für die Förderung der sozialen Inklusion und die Armutsbekämpfung vorgesehen. Zudem müssen die Mitgliedstaaten mindestens 2 % ihrer ESF+-Mittel für Maßnahmen vorsehen, die den am stärksten benachteiligten Personen zugutekommen.

3.3.

Mit der Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen (Dachverordnung) werden verschiedene Bestimmungen eingeführt, die dazu dienen, die Umsetzung des ESF+ zu vereinfachen, den Verwaltungsaufwand für die Begünstigten zu verringern und eine stärkere Ergebnisorientierung zu erreichen. Die Verordnung über den ESF+ enthält auch Maßnahmen zur Bekämpfung materieller Deprivation und entspricht damit der Forderung der Interessenträger nach weniger strengen Voraussetzungen für diese Art von Unterstützung und nach einfacheren Kriterien in den Bereichen Erhebung, Überwachung und Meldung von Daten.

4.   Allgemeine Bemerkungen zur vorgeschlagenen Verordnung

4.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission für den ESF+, insbesondere

seine Anpassung an die europäische Säule sozialer Rechte;

seine Leitlinien für hochwertige Ergebnisse durch verbesserte Indikatoren;

die Anerkennung der Notwendigkeit von Vereinfachung und mehr Flexibilität;

seinen Fokus auf drei strategische Bereiche: Beschäftigung, Bildung und soziale Inklusion;

die Einführung einer Priorität „innovative Maßnahmen“ zur Unterstützung sozialer Innovationen und Experimente, die auf Partnerschaften basierende Bottom-up-Konzepte stärken;

seine Kohärenz und Kompatibilität mit anderen Finanzierungsprogrammen wie etwa Erasmus (5) und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) im Rahmen des strategischen MFR-Kapitels „Investitionen in Menschen“;

die Tatsache, dass der ESF+ einzelne Fonds und Programme unter einem gemeinsamen Dach zusammenführt, um den Kampf gegen Armut, soziale Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in der Europäischen Union zu verbessern.

4.2.

Der EWSA bemängelt die Tatsache, dass die vorgeschlagene Gesamthöhe des nächsten MFR ca. 1,1 Billionen EUR beträgt und damit real unter der Höhe des gegenwärtigen MFR liegt. Darüber hinaus steht der EWSA den im Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 vorgeschlagenen Kürzungen der Mittel für die EU-Kohäsionspolitik um etwa 7 % äußerst kritisch gegenüber. Für den ESF+ sind im Vorschlag 27 % der gesamten Zuwendungen für die Kohäsionspolitik vorgesehen. Konkret bedeutet dies eine Kürzung der Mittel für ESF+ um 6 %. Des Weiteren ist der EWSA nicht damit einverstanden, dass der (derzeit bei 23,1 % liegende) Mindestanteil der Kohäsionsfördermittel im Rahmen des ESF+ gestrichen wird. Angesichts der Tatsache, dass der ESF+ das wichtigste Finanzierungsinstrument für die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte ist, fordert der EWSA auch, dass 30 % der Mittel für Maßnahmen des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts für den ESF+ zugewiesen und dass 30 % der Mittel des ESF+ für Maßnahmen der sozialen Inklusion vorgesehen werden. Der EWSA stimmt dem Vorschlag zur Reduzierung des europäischen Kofinanzierungssatzes des ESF+ nicht zu. Auf jeden Fall sollte eine derartige Reduzierung nicht den Projektträgern angelastet werden.

4.3.

Der EWSA weist in diesem Zusammenhang nachdrücklich darauf hin, dass die Finanzierung sowohl auf Unionsebene als auch auf nationaler Ebene folgende Ziele verfolgen muss:

Behandlung von Fragen der Lebensqualität und der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben;

Investitionen in inklusive und hochwertige allgemeine und berufliche Bildung, die für alle zugänglich und erschwinglich und auf die derzeitigen und künftigen Arbeitsmarkterfordernisse ausgerichtet sein sollte;

Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Qualifikationsinadäquanz — insbesondere von Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit — und Ausweitung von Ausbildung und fairer Arbeitsbedingungen auf Arbeitnehmer in den neuen (atypischen) und in manchen Fällen illegalen Arbeitsformen;

Bewältigung der demografischen Herausforderungen und Sicherstellung eines angemessenen und nachhaltigen lebenslangen Sozialschutzes für alle;

Förderung der Inklusion von und der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen;

Entwicklung, Erprobung, Bewertung und Ausweitung innovativer Lösungen sowie Stärkung von Bottom-up-Konzepten und sozialen Experimenten auf der Grundlage von Partnerschaften unter Beteiligung öffentlicher Behörden, des privaten Sektors, Sozialpartner und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft;

Förderung der Chancengleichheit und Bekämpfung aller Formen der Diskriminierung;

Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit und der sozioökonomischen Integration von Randgruppen, u. a. Obdachlosen;

Unterstützung der Integration von Migranten;

Individualisierte familien- und gemeinschaftsbasierte Unterstützung, Verbesserung des Zugangs zu erschwinglichen, nachhaltigen und hochwertigen Sozialdienstleistungen wie auch zu Dienstleistungen im Gesundheits- und Wohnungswesen;

Förderung gemeinsamer Maßnahmen der Sozialpartner;

Unterstützung des Kapazitätsaufbaus für Verwaltungen/Institutionen, Sozialpartner und zivilgesellschaftliche Organisationen.

4.4.

Da die EU-Strukturfonds Schlüsselfaktoren für ein wettbewerbsfähigeres, stärker durch Zusammenhalt geprägtes, widerstandsfähigeres und sozialeres Europa sind, tragen die Mitgliedstaaten eine besondere Verantwortung für die Investition von ESF+-Mitteln in soziale Dienstleistungen, die von öffentlichen Einrichtungen, sozialwirtschaftlichen Organisationen und anderen gemeinnützigen Organisationen erbracht werden.

4.5.

Die Zusammenführung der verschiedenen Fonds und Programme unter dem neuen „Dach“ ESF+ sollte mit Bedacht und unter Berücksichtigung einer potenziellen Steigerung ihrer Wirksamkeit und Effizienz im Vergleich zu gesonderten Umsetzungsrahmen erfolgen (6).

4.6.

Die Kommission schlägt vor, die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen (YEI) mit dem ESF+ zusammenzuführen, um die Kohärenz und Wirksamkeit der Maßnahmen für junge Menschen sicherzustellen. Der Vorschlag zielt auf die Stärkung der Beschäftigungspolitik in den Mitgliedstaaten ab. Die Verfahren für den Zugang zu YEI-Finanzierungen sollten vereinfacht werden und eine klare Zuweisung von Mitteln gewährleisten. Sollte dies nicht gelingen, wäre es sinnvoller, YEI als gesonderte Finanzinitiative zu belassen. Zudem muss sichergestellt werden, dass die Berechnungen, denen zufolge die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, mindesten 10 % der ESF+-Mittel für YEI zu verwenden, wirksam und stichhaltig sind. Die Gefahr der Marginalisierung der YEI und der Verringerung der Mittelausstattung im Zeitraum 2021-2027 ist zu vermeiden (7).

4.7.

Es ist auch wichtig anzuerkennen, dass die Sozialpartner und andere Organisationen der Zivilgesellschaft gleichberechtigte Schlüsselakteure des europäischen demokratischen Projekts sind. Die Behörden müssen ihnen daher den Zugang zu den verfügbaren Ressourcen erleichtern.

4.8.

Die EU sollte bei der Vergabe von Fördermitteln die Erfahrungen und Kapazitäten der auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene tätigen Sozialpartner und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen umfassend nutzen, indem diese gemäß ihren unterschiedlichen Aufgaben neben den Nutzern der Dienstleistungen in die Planung, Durchführung, Überwachung und Bewertung der EU-Finanzierung eingebunden werden (8). Zu diesem Zweck wird ein eindeutiger Verweis auf den Europäischen Verhaltenskodex für Partnerschaften erforderlich sein. Die Einhaltung dieses Verhaltenskodex sollte eine Vorbedingung sein. Die Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Organisationen sollten — sobald sie angemessen unterstützt werden — entsprechende Bewertungsinstrumente entwickeln und möglichst auf das Fachwissen der unmittelbar Begünstigten zurückgreifen (9). Dies lässt sich nur erreichen, wenn der bürokratische Aufwand verringert wird und die Finanzierungsregeln für die Unterstützung der Sozialpartner und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen vereinfacht werden.

4.9.

Ein angemessener Teil der verfügbaren Mittel sollte für Projekte kleiner lokaler Organisationen sowie für die Weitergabe von Zuschüssen bereitgestellt werden. Dadurch könnten vor Ort tätige Organisationen und Selbsthilfegruppen unterstützt werden und könnte ganz bzw. teilweise vermieden werden, dass Organisationen der Zivilgesellschaft durch übermäßige Auflagen in Bezug auf die Kofinanzierung abgeschreckt werden. Sachleistungen und finanzielle Beiträge sollten gleich behandelt werden.

4.10.

Es sei darauf hingewiesen, dass Finanzierungsinstrumente wie Darlehen, Garantien oder Beteiligungskapital in den meisten Fällen für Sozialprojekte nicht geeignet sind. Deshalb sollten Zuschüsse als wichtigstes Durchführungsinstrument gewählt werden, es sei denn andere Finanzinstrumente erweisen sich als wirksamer.

4.11.

Der EWSA ruft die Kommission auf, die Bestimmungen für den ESF+ sowohl für die Verwaltungsbehörden als auch für die Begünstigten weiter zu vereinfachen. Die Kommission und die Verwaltungsbehörden sollten jedoch spezifische Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, die für und mit von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen arbeiten, durch die Vereinfachung keinen finanziellen Risiken ausgesetzt werden. Solche Risiken hängen insbesondere mit den weitreichenden Anforderungen für die Erhebung personenbezogener Daten zusammen.

4.12.

Eine Vereinfachung der Regeln für die Fonds darf nicht zur Beseitigung von Instrumenten (z. B. Vorbedingungen) führen, mit denen gewährleistet wird, dass von der EU-finanzierte Projekte den EU-Werten entsprechen, insbesondere der Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte. Die Vorbedingung der aktiven Inklusion, der zufolge die Mitgliedstaaten über eine nationale Strategie zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung verfügen müssen, um Anspruch auf ESF+-Finanzmittel zu haben, sollte auch im nächsten Finanzierungszeitraum für alle Mitgliedstaaten gelten.

4.13.

Da der ESF+ ein europäischer Fonds ist, sollten Transnationalität (oder grenzübergreifende Tätigkeiten) in der Regel Teil der operationellen Programme aller Mitgliedstaaten sein. Dies ist notwendig, um das Gefühl einer europäischen Identität der Bürger unterschiedlicher Mitgliedstaaten zu stärken und den Bekanntheitsgrad der finanziellen Unterstützung, die die EU ihren Bürgern bietet, zu erhöhen. Im Interesse der Umsetzung grenzüberschreitender Projekte sollten bewährte Methoden und erfolgreiche Konzepte des aktuellen Finanzierungszeitraums (2014-2020) fortgeführt und unter den Mitgliedstaaten verbreitet werden.

5.   Besondere Bemerkungen — Vorschläge des EWSA zur vorgeschlagenen Verordnung

5.1.

Der EWSA erachtet es als wichtig, spezifische Ziele (10) des ESF+ mit umfangreicher Finanzierung in den folgenden zentralen Tätigkeitsbereichen für die Zukunft Europas und seiner Bevölkerung festzulegen:

hochwertige Jugendbeschäftigung;

Gleichstellungsinitiativen;

Inklusion und Beschäftigung schutzbedürftiger Gruppen wie Menschen mit Behinderungen und Migranten;

Zugang zu lebenslangem Lernen im Kontext eines sich rasch verändernden digitalen Arbeitsmarkts;

Stärkung der öffentlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, da sie die Lebensqualität steigern und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben beitragen;

Kapazitätsaufbau der öffentlichen Verwaltungen, der Sozialpartner und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft für eine bessere Governance, einschließlich bei der Verwaltung des Fonds.

5.2.

Angesichts der wachsenden Bedeutung der Sozialwirtschaft für die soziale Dimension der EU ist der EWSA auch der Auffassung, dass die Unterstützung sozialwirtschaftlicher Aktivitäten zu einem separaten, spezifischen Ziel von ESF+ werden sollte (11). Die geplanten Maßnahmen sollten sich auf die gesamte Sozialwirtschaft in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen in den Mitgliedstaaten beziehen. Die Kommission wird aufgefordert, mit den Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, um ein für die Sozialwirtschaft günstiges Ökosystem zu schaffen.

5.3.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, neue Indikatoren für die Mittelzuweisung für folgende Problembereiche zu ermitteln: Jugendarbeitslosigkeit, niedrige Bildungsniveaus, Klimawandel und Aufnahme/Integration von Migranten. Damit soll die soziale und wirtschaftliche Lage europäischer Regionen und Gebieten besser erfasst und die Indikatoren an das sozialpolitische Scoreboard der europäischen Säule der sozialen Rechte angepasst werden. Gleichwohl basiert das gegenwärtige Mittelzuweisungssystem immer noch hauptsächlich auf dem BIP (12).

5.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Korrelation zwischen dem ESF+ und den länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters von großer Bedeutung ist. Gleichzeitig ist der EWSA besorgt, dass strenge Auflagen gelten könnten. Er betont deshalb, dass diese Korrelation zwischen den nationalen und den europäischen Behörden unter uneingeschränkter und aktiver Beteiligung der Sozialpartner und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen ausgehandelt werden (13) sollte, da es wichtig ist, sowohl eine mittelfristige als auch eine langfristige Strategie zu gewährleisten.

5.5.

Der EWSA betont, dass der ESF+ aufgrund der ausgeprägten Komplementaritäten zwischen Wachstum, Beschäftigungszielen und sozialer Inklusion im Politikbereich „Wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt“ verbleiben muss. Der Mehrwert des ESF+ im Vergleich zu einzelstaatlichen Maßnahmen steht im Zusammenhang mit den territorialen Erfordernissen und der Verknüpfung mit anderen Strukturfonds, um kohärente und umfassende Initiativen auf lokaler Ebene durchzuführen. In diesem Rahmen ist die regionale/lokale Dimension für die Planung und Durchführung maßgeschneiderter Maßnahmen von zentraler Bedeutung.

5.6.

Der EWSA begrüßt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu einer angemessenen Beteiligung der Sozialpartner und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft an der Umsetzung der durch den ESF+ unterstützten Maßnahmen und zur Bereitstellung eines angemessenen Betrags der ESF+-Mittel für Kapazitätsaufbau und gemeinsame Maßnahmen. Dies sollte ein spezifisches Konzept zum Kapazitätsaufbau für die Sozialpartner beinhalten, das mit der Vierparteien-Erklärung von 2016 über den Neubeginn des sozialen Dialogs im Einklang steht und sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden die Mittel bedarfsgerecht zuweisen, und zwar in Form von Ausbildung, Vernetzungsmaßnahmen sowie Stärkung des sozialen Dialogs und gemeinsamer Aktionen der Sozialpartner (14).

5.7.

Im Hinblick auf die laufende Förderung der angemessenen Beteiligung anderer Organisationen der Zivilgesellschaft durch den ESF+ — insbesondere in den Bereichen soziale Inklusion, Gleichstellung der Geschlechter und Chancengleichheit — müssen die Verwaltungsbehörden die Zuweisung eines angemessenen Betrags von ESF+-Mitteln für den Aufbau der Kapazitäten dieser Organisationen sicherstellen.

5.8.

Die Mitgliedstaaten sollten von Artikel 17 des Europäischen Verhaltenskodexes für Partnerschaften umfassend Gebrauch machen. Da Partnerschaftsvereinbarungen und operationelle Programme das Ergebnis von Verhandlungen zwischen der Kommission und den nationalen Behörden sind, könnte die Kommission bei der Billigung dieser Vereinbarungen höhere Anforderungen stellen und Nachbesserungen einfordern, wenn darin den Verpflichtungen gemäß dem Partnerschaftsprinzip nicht ausreichend Rechnung getragen wird (15). Zudem sollte der Europäische Verhaltenskodex für Partnerschaften für den neuen Zeitraum 2021-2017 überarbeitet und die Rolle der Sozialpartner und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft eindeutig festgelegt werden. Der EWSA unterstützt die Überarbeitung der Zusammensetzung des ESF+-Ausschusses nach Maßgabe von Artikel 40 Absatz 2 der Verordnung, im Einklang mit Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c der Dachverordnung und unter Wahrung der Grundsätze des Europäischen Verhaltenskodexes für Partnerschaften. Deshalb soll in Artikel 40 Absatz 2 festgesetzt werden, dass jeder Mitgliedstaat für den ESF+-Ausschuss einen Vertreter der Regierung, einen Vertreter der Arbeitnehmerverbände, einen Vertreter der Arbeitgeberverbände und einen Vertreter der Zivilgesellschaft benennt.

5.9.

Die Kommission sollte die Mindestanforderungen, die die Behörden der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung einer Partnerschaft erfüllen müssen, präzisieren, einschließlich Sanktionen bei einer mangelhaften Umsetzung. Die Nichteinhaltung des Europäischen Verhaltenskodex für Partnerschaften durch die Mitgliedstaaten sollte mit verschiedenen Maßnahmen und bei groben Verstößen letztlich mit der Aussetzung der Zahlungen sanktioniert werden, so wie dies auch in den europäischen Struktur- und Investitionsfonds vorgesehen ist (16).

5.10.

Die Begleitausschüsse sollten transparenter und sinnvoller arbeiten und zudem konkrete Lenkungsfunktionen wahrnehmen. Die Sozialpartner und andere Organisationen der Zivilgesellschaft sollten als gleichberechtigte Akteure gelten und deshalb obligatorische Mitglieder der Begleitausschüsse sein, die stimmberechtigt sind. Die Überwachung sollte auch sicherstellen, dass alle Mittel im Einklang mit der Grundrechtecharta und den internationalen Menschenrechtsstandards eingesetzt werden, u. a. mit der UNCRC und der UNCRPD, die von der EU und 27 Mitgliedstaaten ratifiziert wurden. Darüber sollte die Überwachung auch die Bewertung der Fortschritte der sozialen Inklusionsmaßnahmen einschließen und sich nicht auf die Anwendung einer Reihe quantitativer Indikatoren (17) beschränken.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Siehe beispielsweise EWSA-Stellungnahme zum Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum nach 2020 (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 106).

(2)  Siehe ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 8.

(3)  Europäische Kommission, Gemeinsamer Beschäftigungsbericht 2017.

(4)  Daten von Eurostat und EU-SILC. An dieser und anderen Stellen des Dokuments kommen im Informationsberichts des EWSA „Folgemaßnahme zu SOC/537“ enthaltene Standpunkte zum Ausdruck. Der Informationsbericht wurde der Europäischen Kommission nach einstimmiger Verabschiedung durch den EWSA auf seiner 534. Plenartagung am 18./19. April 2018 übermittelt. Darin wurde häufig auf die Stellungnahme ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 15 verwiesen.

(5)  In der EWSA-Stellungnahme zum Thema Erasmus (siehe Seite 194 dieses Amtsblatts) wird empfohlen, die Bezeichnung „Erasmus+“ beizubehalten.

(6)  Siehe Studie zum Thema Überwachung, Abschlussbericht, CONTRACT NO VC/2017/0131, Implementing Framework Contract No. VC/2013/0017, S. 50.

(7)  Siehe Studie des Europäischen Jugendforums: https://www.youthforum.org/sites/default/files/2018-07/_ESF%2B%20data%20analysis_website.pdf.

(8)  Siehe ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 15.

(9)  Ebenda und „Folgemaßnahme zu SOC/537“.

(10)  Siehe Artikel 3 und 4 der vorgeschlagenen Verordnung.

(11)  Siehe Artikel 4 der vorgeschlagenen Verordnung.

(12)  Siehe Artikel 4 der vorgeschlagenen Verordnung.

(13)  Siehe Artikel 7 der vorgeschlagenen Verordnung.

(14)  Siehe Artikel 8 der vorgeschlagenen Verordnung.

(15)  Siehe Artikel 4 der vorgeschlagenen Verordnung.

(16)  Siehe Artikel 34 der vorgeschlagenen Verordnung.

(17)  Siehe Artikel 38 und 39 der vorgeschlagenen Verordnung.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/173


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten“

(COM(2018) 324 final — 2018/0136 (COD))

(2019/C 62/28)

Berichterstatter:

Jukka AHTELA

Befassung

Europäische Kommission, 18.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 AEUV

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

156/2/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung zur Schaffung eines neuen Instruments, durch das es möglich wird, wirtschaftliche Abhilfemaßnahmen gegenüber einem Mitgliedstaat zu ergreifen, der schwerwiegende und anhaltende Verletzungen der Werte nach Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) begeht. Er stellt fest, dass die Kommission bereits über vergleichbare Abhilfebefugnisse verfügt, um die Einhaltung der Vorschriften über eine solide wirtschaftspolitische Steuerung zu fördern (1), und ist zuversichtlich, dass die Einführung von Abhilfemaßnahmen, wie sie hier vorgeschlagen werden, dazu beitragen wird, den Schutz der Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die Tatsache, dass der Beschluss über Durchführungsrechtsakte, die von der Kommission nach dieser Verordnung vorgeschlagen werden, im Rat nach dem Verfahren der umgekehrten qualifizierten Mehrheit getroffen würde.

1.2.

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit für die Bürger sowie für unternehmerische Initiativen, Innovationen und Investitionen. Er empfiehlt jedoch, den Vorschlag zu ändern und den Begriff der Rechtsstaatlichkeit weiter zu fassen, sodass er sich auch auf die Achtung der Grundrechte und die Garantien zum Schutz der pluralistischen Demokratie erstreckt. Die Rechtsstaatlichkeit ist nur einer der Werte, auf die sich die EU nach Artikel 2 EUV gründet. Die Rechtsstaatlichkeit bildet mit den Grundrechten und der Demokratie ein eng verwobenes und untrennbares Beziehungsdreieck. Nur durch die Gewährleistung dieser drei miteinander verknüpften Werte ist es möglich, dem Missbrauch staatlicher Gewalt entgegenzuwirken.

1.3.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Öffentlichkeit nur dann darauf vertrauen kann, dass die EU-Ausgaben in den Mitgliedstaaten ausreichend geschützt sind, wenn das Rechtsstaatsprinzip gewahrt wird. Er begrüßt die Tatsache, dass der Vorschlag zur weiteren Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU beitragen wird. Er dringt jedoch darauf, dass die von der Kommission vorgeschlagene Regelung immer dann automatisch zur Anwendung kommt, wenn die finanziellen Interessen der Union durch einen generellen Mangel in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit beeinträchtigt werden könnten.

1.4.

Ferner ist der EWSA der Ansicht, dass das Hauptziel des Vorschlags darin bestehen sollte, durch den Schutz der EU-Finanzen die in Artikel 2 verankerten Werte zu schützen. Der EWSA empfiehlt daher, den Vorschlag zu ändern, um der Kommission die Möglichkeit zu geben, immer dann einen Durchführungsrechtsakt zur Verordnung vorzuschlagen, wenn eine schwerwiegende, anhaltende und systemische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit, der Grundrechte oder der Standards zur Gewährleistung einer pluralistischen Demokratie vorliegt, da solche Maßnahmen naturgemäß eine unmittelbare Gefahr für die finanziellen Interessen der EU darstellen können.

1.5.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, als vorbeugende Maßnahme die Kanäle für die politische Debatte über die Werte nach Artikel 2 in den Mitgliedstaaten weiter auszubauen. Er fordert die Kommission daher auf, die Einrichtung eines Systems der regelmäßigen und unabhängigen Überwachung der Achtung dieser Werte in den Mitgliedstaaten vorzuschlagen, wie es bereits früher vom EWSA und dem Europäischen Parlament angeregt wurde.

1.6.

Der EWSA empfiehlt, ihn in die Liste der Einrichtungen aufzunehmen, die seitens der Kommission laufend über die gemäß diesen Rechtsvorschriften vorgeschlagenen oder angenommenen Maßnahmen informiert werden, und dass er ausdrücklich zu den einschlägigen Informationsquellen gezählt wird, mit deren Hilfe die Kommission gravierende Mängel in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit feststellen kann. Auf diese Weise könnte der EWSA einen sinnvollen und wirksamen Beitrag zum Schutz der in Artikel 2 festgeschriebenen Werte leisten und dafür Sorge tragen, dass die Stimme der organisierten Zivilgesellschaft gehört wird.

2.   Einleitung und Überblick über den Vorschlag

2.1.

Die Kommission hat diesen Vorschlag vorgelegt, um den Haushalt der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten zu schützen. Die Kommission begründet ihren Vorschlag mit dem Hinweis darauf, dass die Finanzen der Union dadurch geschützt werden müssen, dass sie die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ausreichend solide Garantien für die Verwaltung und Verwendung der EU-Mittel zu geben. Die Mitgliedstaaten sind bereits jetzt verpflichtet nachzuweisen, dass sie über angemessene institutionelle und verfahrensrechtliche Schutzmechanismen verfügen, um sicherzustellen, dass die EU-Mittel wirksam und legal verwendet werden. Das ordnungsgemäße Funktionieren dieser nationalen Prüfmechanismen kann jedoch nicht gewährleistet werden, wenn es keine Kontrollinstanzen in Form einer unabhängigen Justiz, einer unabhängigen Staatsanwaltschaft und unabhängiger Ermittlungsbehörden für Betrugs- und Korruptionsfälle gibt.

2.2.

Der Vorschlag der Kommission würde es ermöglichen, bei der Feststellung eines generellen Mangels in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip Zahlungen auszusetzen oder zu berichtigen, das Eingehen neuer rechtlicher Verpflichtungen zu verbieten, Mittelbindungen zu reduzieren und Zahlungsfristen zu unterbrechen. Dies gilt für alle EU-Mittel. Die Kommission kann zu der Feststellung gelangen, dass ein genereller Mangel im Bereich der Rechtsstaatlichkeit vorliegt, insbesondere wenn: die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet ist, es versäumt wird, willkürliche oder unrechtmäßige Entscheidungen von Behörden zu verhüten oder zu korrigieren und zu ahnden, den Behörden Ressourcen vorenthalten werden, die ihre ordnungsgemäße Arbeit beeinträchtigen, nichts unternommen wird, um Interessenkonflikte unter den Behörden zu vermeiden und wenn der Staat die Zugänglichkeit und Wirksamkeit des Rechtswegs einschränkt.

2.3.

Laut diesem Vorschlag würden die genannten Mängel Anlass für Abhilfemaßnahmen sein, wenn sie die wirtschaftliche Haushaltsführung oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union zu beeinträchtigen drohen, insbesondere wenn sie folgende Tätigkeiten behindern: die Ausführung des Haushaltsplans der Union durch die nationalen Behörden, die Untersuchung und Verfolgung von Betrug und Korruption, die wirksame gerichtliche Kontrolle der Behörden, die Verhütung von Betrug und Korruption und Verhängung wirksamer und abschreckender Sanktionen, die Wiedereinziehung rechtsgrundlos gezahlter Beträge und die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) und der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) bei ihren Ermittlungs- und Strafverfolgungstätigkeiten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die Werte, auf die sich die EU gründet, sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Dazu gehört auch die Rechtsstaatlichkeit nach Artikel 2 EUV. Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet auch Rechtssicherheit und gleiche Ausgangsbedingungen für unternehmerische Initiativen, Innovation, Investitionen und einen fairen Wettbewerb im Binnenmarkt zum Nutzen der Verbraucher und Bürger. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für das gegenseitige Vertrauen, das für das ordnungsgemäße Funktionieren der EU unabdingbar ist. Die Missachtung des Rechtsstaatsprinzips behindert eine ausgewogene wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen, welche ihrerseits die EU und ihre Regierungen in die Lage versetzt, das übergeordnete Ziel der Union zu verfolgen, nämlich „den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“, wie es in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) heißt.

3.2.

Der EWSA bedauert, dass in den EU-Verträgen nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Mitgliedstaaten auch nach ihrem EU-Beitritt die Kopenhagener Kriterien (2) erfüllen müssen. Der EWSA stellt fest, dass die EU-Organe derzeit nicht über ausreichend solide und maßgeschneiderte Instrumente verfügen, um die Rechtsstaatlichkeit, die Grundrechte und die pluralistische Demokratie vor den ihnen derzeit in den Mitgliedstaaten drohenden Gefahren zu schützen.

3.3.

Das Rechtsstaatsprinzip bildet mit den Garantien zum Schutz der pluralistischen Demokratie und der Achtung der Grundrechte ein eng verwobenes und untrennbares Beziehungsdreieck. Die Rechtsstaatlichkeit gewährleistet, dass die Regierungen die Standards bezüglich der Grundrechte achten, und eine pluralistische Demokratie sorgt dafür, dass die Regierungen so handeln, dass das Wohlergehen der Menschen in ihren Staaten gefördert wird. Die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ist für sich genommen noch keine Garantie dafür, dass Recht und Gesetze im Einklang mit den Grundrechten stehen oder dass sie in einem inklusiven und rechtmäßigen Verfahren auf der Grundlage einer fundierten, pluralistischen und ausgewogenen öffentlichen Debatte und Partizipation festgelegt wurden. Um eine reine „Herrschaft mittels des Rechts“ zu vermeiden, müssen neben der Rechtsstaatlichkeit die Grundrechte geachtet und pluralistische demokratische Standards aufrechterhalten werden.

3.4.

Die Kommission beschreibt die vorgeschlagene Verordnung als Mittel zum Schutz des EU-Haushalts, das gleichzeitig auch die Rechtsstaatlichkeit schützt. Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Öffentlichkeit nur dann darauf vertrauen kann, dass die EU-Ausgaben in den Mitgliedstaaten ausreichend geschützt sind, wenn das Rechtsstaatsprinzip wirksam gewahrt wird. Er ist jedoch der Ansicht, dass der Vorschlag eher dazu dienen kann, mit Hilfe des EU-Haushalts den Schutz aller in Artikel 2 verankerten Werte zu gewährleisten.

3.5.

Der EWSA hält es für äußerst wichtig, den Bürgern in Europa vor Augen zu führen, dass die EU-Mittel korruptionsfrei und in Übereinstimmung mit dem EU-Recht verwaltet werden. Ebenso wichtig ist es, dass die EU die Werte schützt, auf die sie gegründet ist und die zum Wohle aller Bürger Europas festgeschrieben wurden. Die Kommission sollte ermächtigt werden, immer dann nach Maßgabe dieser Verordnung tätig zu werden, wenn eine schwerwiegende, anhaltende und systemische Gefährdung der in Artikel 2 verankerten Werte vorliegt, da diese Bedrohung naturgemäß ein unmittelbares Risiko für die Finanzen der EU darstellen kann.

3.6.

Wie in den jüngsten Entschließungen des Europäischen Parlaments und den Erklärungen der Europäischen Kommission und des Ratsvorsitzes festgestellt wurde, sind die Rechtsstaatlichkeit, die Grundrechte und die pluralistischen demokratischen Standards in der EU zunehmend bedroht. Die Lage in bestimmten Mitgliedstaaten ist äußerst problematisch, und der populistische Autoritarismus, der sich gegen die Grundwerte der EU und oft auch gegen die Union selbst richtet, wird EU-weit immer stärker.

3.7.

Der EWSA weist darauf hin, dass den EU-Organen derzeit nur unzureichende Instrumente zur Verfügung stehen, um die Werte nach Artikel 2 zu schützen. Vertragsverletzungsverfahren sind häufig zu eng gefasst und zu sehr auf technische Rechtsfragen fokussiert, um konzertierte Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit zu verhindern oder zu korrigieren. Artikel 7 EUV ermöglicht es zwar dem Rat, umfassende Maßnahmen zu ergreifen, um eine Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit zu verhindern, doch hat es sich als ausgesprochen schwierig herausgestellt, den nötigen politischen Willen zur Einleitung dieses Verfahrens zu mobilisieren.

3.8.

Der „Rahmen“ für das Rechtsstaatsprinzip kann zwar einfacher als Artikel 7 aktiviert werden, doch handelt es sich hierbei um ein nichtverbindliches Verfahren, dessen Wirksamkeit fraglich ist, wenn Regierungen nicht gewillt sind, mit der Kommission aufrichtig zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus ist die Schwelle zur Anwendung des Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips und von Artikel 7 so hoch, dass zum Zeitpunkt des Einsatzes dieser Instrumente die Mängel bei der Wahrung der Werte nach Artikel 2 bereits sehr schwerwiegend geworden und daher schwerer zu beheben sind.

3.9.

Angesichts der zunehmenden Herausforderungen und des Fehlens geeigneter und wirksamer Instrumente fordert der EWSA die Kommission dazu auf, die politische Debatte über die Frage, wie die EU die Werte gemäß Artikel 2 besser schützen kann, fortzuführen und zusätzliche Instrumente zum Schutz von Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Garantien für den demokratischen Pluralismus zu entwickeln.

3.10.

Der EWSA verweist auf seine Stellungnahme über einen EU-Kontrollmechanismus für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte, in der er sich für die Schaffung eines EU-Mechanismus zur Überwachung der Achtung von Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten durch eine regelmäßige unabhängige Kontrolle und den Dialog zwischen den Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen ausspricht (3).

3.11.

Der EWSA hält an seinem Standpunkt fest, dass die Schaffung eines derartigen präventiven Mechanismus, wie ihn das Europäische Parlament vorgeschlagen hat (4), die bereits bestehenden Instrumente der EU zum Schutz der in Artikel 2 EUV verankerten Werte ergänzen würde. Durch die Schaffung eines präventiven Mechanismus würden Mängel bei der Umsetzung dieser Werte auf nationaler Ebene aufgedeckt und Lösungen in einem noch frühen Stadium ermöglicht.

3.12.

Als weitere Maßnahme schlägt der EWSA vor, auf europäischer Ebene und unter Einbeziehung des EWSA eine Plattform oder ein jährliches Forum der Zivilgesellschaft einzurichten, damit die Entscheidungsträger in der EU unmittelbar von den Organisationen an der Basis vor sich abzeichnenden Problemen in Bezug auf die in Artikel 2 EUV festgeschriebenen Werte gewarnt werden und zivilgesellschaftliche Organisationen, die in erster Linie auf nationaler Ebene arbeiten, voneinander lernen und grenzübergreifend zusammenarbeiten können.

3.13.

Es ist wichtig, dass die EU darüber nachdenkt, wie zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien, die sich abzeichnende Probleme in Bezug auf Artikel 2 beobachten und darüber berichten, unterstützt werden können. Der EWSA ist der Ansicht, dass ein Finanzierungsinstrument zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich für die Förderung der Werte nach Artikel 2 in den Mitgliedstaaten einsetzen, eine wichtige Ergänzung zum vorliegenden Vorschlag wäre und zum Aufbau eines gesellschaftlichen Rückhalts für diese Werte beitragen würde. In dieser Hinsicht verweist der EWSA auf seine einschlägige Stellungnahme zu den Vorschlägen für einen neuen Fonds für Justiz, Rechte und Werte (5) und fordert den Rat und das Europäische Parlament auf, die Mittel für diesen Fonds im Rahmen des Beschlusses über den mehrjährigen Finanzrahmen für die Zeit nach 2020 erheblich aufzustocken.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA ist der Ansicht, dass eine wirksame gerichtliche Kontrolle der Maßnahmen und Versäumnisse von Behörden durch unabhängige Gerichte von ausschlaggebender Bedeutung ist, und zwar nicht nur für die Gewährleistung einer effizienten Verwendung der EU-Mittel im Einklang mit dem EU-Recht. Sie ist auch das einzige Mittel, um die aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte aller EU-Bürger wirksam zu schützen und das EU-Recht in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen, was eine Grundvoraussetzung für den gemeinsamen Markt und den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist.

4.2.

Der EWSA befürwortet, dass die Annahme des Durchführungsrechtsaktes über die geeigneten zu ergreifenden Maßnahmen nach dem Verfahren der umgekehrten qualifizierten Mehrheit im Rat erfolgt. Dadurch können, wenn die Kommission der Ansicht ist, dass in einem Mitgliedstaat ein genereller Mangel in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip vorliegt, diese Maßnahmen objektiv getroffen werden, wobei die Gefahr von Untätigkeit oder politischer Selektivität, die sich aus der Forderung einer Abstimmung im Rat ergeben könnte, auf ein Mindestmaß reduziert werden könnte.

4.3.

Der EWSA ist sich bewusst, dass die Festlegung weitergehender Kriterien zur Feststellung eines generellen Mangels kompliziert ist. Er wirft dennoch die Frage auf, ob der Vorschlag durch die Aufnahme derartiger genauerer Kriterien nicht doch verbessert werden könnte. Durch detailliertere Kriterien kann dafür Sorge getragen werden, dass die Legitimität des Kommissionsbeschlusses nicht durch den Vorwurf der Befangenheit oder der fehlenden Objektivität infrage gestellt wird. Solche Kriterien könnten die Form von Leitlinien haben, die von der Kommission im Anschluss an die Annahme des Vorschlags erarbeitet werden und sich an den von ihr selbst auf der Grundlage des Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips aufgestellten Kriterien sowie an der von der „Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht“ (Venedig-Kommission) ausgearbeiteten Liste der Kriterien der Rechtsstaatlichkeit orientieren.

4.4.

Der EWSA hat bereits darauf hingewiesen, dass sich Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte, wie in Artikel 2 des Kommissionsvorschlags dargelegt, gegenseitig bedingen. Zusätzlich zu detaillierteren Kriterien im Bereich der Rechtsstaatlichkeit sollte der Vorschlag auch Kriterien beinhalten, mit deren Hilfe die Kommission feststellen kann, ob eine schwerwiegende, systemische und anhaltende Bedrohung der Grundrechte oder der Garantien für eine pluralistische Demokratie vorliegt. Wenn diese Kriterien in einem Mitgliedstaat aufgrund der dort herrschenden Lage gegeben sind, sollte die Kommission außerdem befugt sein, entsprechende Abhilfemaßnahmen gemäß dieser Verordnung zu treffen.

4.5.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Kommission dabei sämtliche sachdienlichen Informationen einschließlich der Urteile des Gerichtshofs, der Berichte des Rechnungshofes und der Schlussfolgerungen und Empfehlungen einschlägiger internationaler Organisationen berücksichtigen muss. Einige Aufsichtsorgane des Europarates wie die Venedig-Kommission und die Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) spielen eine wichtige Rolle bei der Überwachung des Rechtsstaatsprinzips in den Mitgliedstaaten. Die Venedig-Kommission hat mehrere Stellungnahmen zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten veröffentlicht, und die GRECO-Gruppe formuliert in regelmäßigen Abständen Empfehlungen an die Mitgliedstaaten. Auch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), die nationalen Büros der Bürgerbeauftragten sowie Richtervereinigungen und justizielle Netze berichten regelmäßig über den Zustand der nationalen Justiz-, Antikorruptions- und Betrugsbekämpfungsmechanismen.

4.6.

Andere internationale Einrichtungen überwachen und bewerten regelmäßig die Einhaltung der Standards bezüglich der Grundrechte und der Garantien für eine pluralistische Demokratie in den Mitgliedstaaten, darunter die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, der Menschenrechtskommissar des Europarates, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und die Menschenrechtsvertragsorgane der Vereinten Nationen. Darüber hinaus sind auch unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen häufig eine zuverlässige Quelle für Informationen und Analysen. Die ausdrückliche Erwähnung dieser Einrichtungen in dem Vorschlag würde die besondere Rolle unterstreichen, die ihnen bei der Wahrung der in Artikel 2 EUV festgeschriebenen Werte zukommt.

4.7.

Darüber hinaus vertritt der EWSA als Vertreter der Zivilgesellschaft in der EU die Ansicht, dass seine eigenen Berichte und Beobachtungen für die Kommission von besonderer Bedeutung sind, wenn sie gemäß dieser Verordnung oder auch mit Hilfe anderer Instrumente feststellen will, ob in einem bestimmten Mitgliedstaat schwerwiegende Mängel in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit bestehen. In diesem Zusammenhang weist der EWSA die Kommission darauf hin, dass er eine Gruppe Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit (GGR) eingesetzt hat, deren Tätigkeit schwerpunktmäßig auf den Schutz der Werte nach Artikel 2 EUV ausgerichtet ist.

4.8.

Der EWSA sollte zu der Gruppe der Gremien gehören, die von der Kommission regelmäßig über die gemäß diesen Rechtsvorschriften vorgeschlagenen oder angenommenen Maßnahmen informiert werden, sowie zu den einschlägigen Informationsquellen, die von der Kommission genutzt werden, um festzustellen, ob ein gravierender Mangel bezüglich der Rechtsstaatlichkeit vorliegt, denn dann könnte er einen sinnvollen und wirksamen Beitrag zum Schutz der Werte nach Artikel 2 EUV leisten und sicherstellen, dass die Stimme der organisierten Zivilgesellschaft wahrgenommen wird.

4.9.

Der EWSA unterstützt vorbehaltlos das Ziel der Kommission, dass die Folgen der Anwendung des vorgeschlagenen Mechanismus diejenigen treffen sollen, die für die Mängel verantwortlich sind, jedoch nicht einzelne Empfänger von EU-Mitteln wie Erasmus-Studierende, Wissenschaftler oder Organisationen der Zivilgesellschaft (6).

4.10.

Der EWSA weist darauf hin, dass dem Vorschlag zufolge bei einer Anwendung der Maßnahmen der Mitgliedstaat weiter für die Verteilung der betreffenden Mittel verantwortlich bleibt. Er ist der Ansicht, dass dies zwar rechtlich fundiert ist, einen Mitgliedstaat in der Praxis jedoch kaum daran hindern würde, die Verteilung der betreffenden Mittel abzulehnen und die Kommission die Schuld dafür zu geben, um politischen Nutzen daraus zu ziehen. Da die Öffentlichkeit die genaue Funktionsweise des EU-Rechts wahrscheinlich kaum beurteilen kann, könnten die Mitgliedstaaten die Einschnitte bei der Finanzierung unmittelbar mit einer Entscheidung der Kommission in Zusammenhang bringen. Dies würde zu einer Situation führen, in der die Kommission aufgrund der möglichen Gegenreaktion der Öffentlichkeit davor zurückschrecken könnte, Maßnahmen gegen einen Mitgliedstaat zu ergreifen. Diese Gefahr besteht besonders in jenen Mitgliedstaaten, in denen die Regierung die öffentlichen und privaten Medien kontrolliert oder beeinflusst, was üblicherweise in Mitgliedstaaten, die schwerwiegende Mängel im Bereich der Rechtsstaatlichkeit aufweisen, der Fall ist.

4.11.

Der EWSA fordert die Kommission auf, nach Möglichkeiten für die Eindämmung der Gefahr zu suchen, dass einzelne Begünstigte davon negativ betroffen sein könnten und dass die Regierungen, die die Werte gemäß Artikel 2 nicht achten, die nach dieser Verordnung ergriffenen Maßnahmen unterwandern, um politischen Nutzen daraus zu ziehen. Die Kommission könnte prüfen, ob es alternative Möglichkeiten gibt zu gewährleisten, dass die EU-Gelder ihre beabsichtigten Empfänger erreichen. Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, eine Exekutivagentur einzurichten, die die unmittelbare Verwaltung der entsprechenden Mittel übernehmen würde.

4.12.

Im Hinblick auf die Abstellung eines generellen Mangels und die Aufhebung von Maßnahmen, die nach dieser Verordnung ergriffen wurden, hält der EWSA einen offenen Dialog zwischen dem betroffenen Mitgliedstaat und den EU-Organen, wie er im Vorschlag angeregt wird, für besonders wichtig. Die Ansichten der zivilgesellschaftlichen Organisationen bezüglich der Situation in dem betreffenden Mitgliedstaat, der Angemessenheit der zur Beendigung des generellen Mangels ergriffenen Maßnahmen und der Angemessenheit der Maßnahmen, mit deren Hilfe eine Wiederholung in Zukunft vermieden werden soll, sollten von den EU-Organen und Mitgliedstaaten berücksichtigt werden.

Brüssel, den 18. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 320, Artikel 23.

(2)  Festgelegt vom Europäischen Rat auf seiner Tagung in Kopenhagen im Jahr 1993.

(3)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 8.

(4)  2015/2254(INL).

(5)  SOC/599 (siehe S. 178 dieses Amtsblatts) zu COM(2018) 383 final und COM(2018) 384 final.

(6)  COM(2018) 98 final, S. 16.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/178


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlament und des Rates zur Aufstellung des Programms ‚Rechte und Werte‘“

(COM(2018) 383 final — 2017/0207 (COD))

und zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms ‚Justiz‘“

(COM(2018) 384 final — 2017/0208 (COD))

(2019/C 62/29)

Berichterstatter:

Jean-Marc ROIRANT

Befassung

Europäischer Rat, 21.6.2018

Europäische Kommission, 18.6.2018

Europäisches Parlament, 14.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 81 Absätze 1 und 2 sowie Artikel 82 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Artikel 16 Absatz 2, Artikel 19 Absatz 2, Artikel 21 Absatz 2, Artikel 24, Artikel 167, Artikel 168 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

18.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

135/2/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission, durch den bestehende Programme zusammengeführt werden, als ein dringend benötigtes Instrument, mit dem die Werte und die Geschichte der EU, die Grundrechte, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Beteiligung und Unterstützung einer lebendigen und vielfältigen Zivilgesellschaft sowie die Einbindung lokaler Gemeinschaften wirksam gefördert werden können.

1.2.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass in Bezug auf Menschenrechte und Demokratie ein Gleichgewicht zwischen dem externen und internen Engagement der EU im Hinblick auf Strategie und Mittelausstattung notwendig ist. Er fordert dementsprechend eine Mittelausstattung von insgesamt 1,4 Mrd. EUR, von denen mindestens 500 Mio. EUR für den Bereich Bürgerbeteiligung und Teilhabe abzusetzen sind.

1.3.

Der EWSA plädiert für einen Fonds, der auf echter Beteiligung und einem Bottom-up-Ansatz fußt, sodass er eine Antwort auf die aktuellen Herausforderungen der EU liefern kann: Stärkung der Rechte und Werte der EU, Förderung der Demokratie, Aufbau des Vertrauens der Bürger in die EU durch direkte Beteiligung an der Gestaltung der Zukunft Europas sowie Erhalt einer lebendigen Zivilgesellschaft.

1.4.

Der EWSA fordert außerdem innovative Finanzierungsinstrumente, die eine Beteiligung der Zivilgesellschaft und eine Stärkung der Kapazitäten auf lokaler, nationaler und transnationaler Ebene ermöglichen, beispielsweise indem technische Unterstützung gewährt wird, vorbereitende Maßnahmen durch erfahrenere Partner angeleitet werden oder indem eine Untervergabe von Zuschüssen erfolgt, wodurch verschiedene Zuschussebenen oder ein zweistufiges Antragsverfahren ermöglicht werden. Der EWSA fordert, dass Mittel für Organisationen der Zivilgesellschaft reserviert werden, und zwar mindestens 50 % der einzelnen Bereiche.

1.5.

Der EWSA begrüßt die Entscheidung, die Dauer von Betriebskostenzuschüssen für alle Programme und Bereiche des Fonds auf eine mehrjährige Basis zu erweitern, und unterstreicht die Notwendigkeit, die Tragfähigkeit und Kontinuität von Maßnahmen weiterhin sicherzustellen.

1.6.

Der EWSA schlägt vor, den Fonds in „Bürgerinnen und Bürger, Rechte und Werte“ und den Bereich „Bürgerbeteiligung und Teilhabe“ des Programms „Rechte und Werte“ in „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ umzubenennen. So soll für Kohärenz mit den Zielen des Fonds gesorgt werden, die eng mit der bürgerschaftlichen Dimension, der Befähigung der Menschen zur aktiven Mitgestaltung, der Beteiligung von Rechteinhabern, dem Schutz von Opfern und der gemeinsamen Geschichte und Erinnerung verbunden sind.

1.7.

Der EWSA bedauert, dass Maßnahmen für die Meinungsfreiheit der Medien, die Medienpluralität und zur Bekämpfung von Falschmeldungen und gezielter Desinformation aus der endgültigen Version des Programms „Rechte und Werte“ gestrichen wurden. Er schlägt daher vor, für Synergien mit dem Programm „Kreatives Europa“ zu sorgen, weil diese Maßnahmen für die Werte der EU und die Stärkung einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft wichtig sind.

1.8.

Der EWSA fordert, dass finanzielle Unterstützung aus dem Programm „Justiz“ auch für Organisationen der Zivilgesellschaft und übergreifende Aktivitäten zugänglich gemacht wird, die von Sensibilisierungsmaßnahmen, gegenseitigem Lernen und Austausch, über Analyse und Überwachung, Aus- und Fortbildungen bis hin zum Aufbau von Kapazitäten reichen; er fordert, die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen am Programm „Justiz“ zu überwachen.

1.9.

Der EWSA erarbeitet eine Bestandsaufnahme der laufenden Arbeit der Kommission an einer vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen vorbereitenden Maßnahme zur Einrichtung eines EU-Fonds, der im Falle von Rechtsstreitigkeiten gegen Organisationen der Zivilgesellschaft finanzielle Unterstützung bietet, wenn gegen Verstöße gegen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte vorgegangen wird; er fordert, dass diese Tätigkeiten in das Programm „Justiz“ aufgenommen werden.

1.10.

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Fonds ein wichtiges Instrument bietet, um die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Berücksichtigung des Gleichstellungsaspekts bei der Haushaltsplanung und eine nach Geschlechtern aufgeschlüsselte Datenerhebung durchzusetzen. Insbesondere begrüßt er, dass ein Schwerpunkt des Programms „Rechte und Werte“ auf der Vorbeugung und Bekämpfung aller Arten von Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche liegt, und fordert mehr Kohärenz mit dem Programm „Justiz“ und dessen Maßnahmen zugunsten des Rechtsschutz für die Opfer und der Rechtsdurchsetzung. Er fordert insbesondere, die Indikatoren des Programms „Rechte und Werte“ nach Geschlecht aufzuschlüsseln.

1.11.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag, die Rolle der nationalen Kontaktstellen des Programms „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ auf die verschiedenen Bereiche des Programms „Rechte und Werte“ auszudehnen, da die Kontaktstellen vor Ort wirksam Kontakt mit möglichen Begünstigten pflegen und diese unterstützen. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die ernannten Behörden von der jeweiligen nationalen Regierung unabhängig sein müssen und gut über die Bedürfnisse des zivilgesellschaftlichen Sektors und lokaler Akteure informiert sein müssen. Der EWSA fordert, diese Stellen angemessen finanziell auszustatten, Leitlinien zu ihrer Rolle und ihren Aufgaben zu erarbeiten, Wege zur Verbesserung der Sichtbarkeit des Programms aufzuzeigen sowie Schulungen anzubieten.

2.   Beschreibung des Vorschlags

2.1.

Diese Stellungnahme des EWSA betrifft den Fonds für Justiz, Rechte und Werte, zu dem zwei Vorschläge für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates gehören, und zwar ein Vorschlag zur Einrichtung des Programms „Justiz“ und ein Vorschlag zur Einrichtung des Programms „Rechte und Werte“. Beide Vorschläge dienen komplementären Ziele im Zeitraum 2021-2027.

2.2.

Das Ziel des Fonds besteht darin, eine offene, demokratische und integrative Gesellschaft zu unterstützen, die Handlungskompetenz der Menschen durch den Schutz und die Förderung von Rechten und Werten zu stärken und den Raum des Rechts in der EU auszubauen. Da Extremismus und Radikalisierung in der EU derzeit stark zunehmen, die Polarisierung immer stärker wird, Reformen angestrengt werden, die zulasten der Rechtsstaatlichkeit gehen, und der zivilgesellschaftliche Raum schrumpft, stellt dies eine wesentliche Priorität dar.

2.3.

Um die europäischen Werte und Rechte zu fördern, die in Artikel 2 und Artikel 3 EUV sowie in der EU-Charta der Grundrechte verankert sind, werden in dem Fonds verschiedene bestehende Instrumente zusammengeführt, und zwar die Programme „Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft“, „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ und „Justiz“. So sollen die Fragmentierung überwunden, bestehende Lücken geschlossen und neue Herausforderungen angegangen werden, insbesondere mit Blick auf das Vertrauen der Bürger in die Demokratie und die Stärkung der Werte und Grundrechte.

2.4.

Neben der Förderung von Gleichberechtigung und Rechten und der Bekämpfung von Gewalt wird mit dem Vorschlag für das Programm „Rechte und Werte“ darauf abgezielt, eine lebendige Zivilgesellschaft zu erhalten, die Bürger zu demokratischem und sozialem Engagement anzuregen und die reiche Vielfalt der europäischen Gesellschaft zu fördern. Der Vorschlag knüpft unter anderem an Forderungen nach einem Europäischen Fonds für Demokratie, Menschenrechte und Werte (1) seitens des EWSA sowie des Europäischen Parlaments (2) sowie von 80 NGO aus 22 Ländern (3) an.

2.5.

Rechtsgrundlage des Programms „Justiz“ sind die Artikel 81 und 82 AEUV betreffend die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen, während das Programm „Rechte und Werte“ auf einer Kombination verschiedener AEUV-Artikel fußt: Artikel 16 Absatz 2 über den Schutz personenbezogener Daten, Artikel 19 Absatz 2 über den Schutz vor Diskriminierung, Artikel 24 über die Europäische Bürgerinitiative, Artikel 167 über Kultur und kulturelles Erbe, Artikel 168 über die Förderung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus und entsprechende Vorbeugungsmaßnahmen sowie Artikel 21 Absätze 1 und 2 über das Recht auf Freizügigkeit der Bürger.

2.6.

Die beiden Programme sollen wie folgt ausgestattet werden: das Programm „Justiz“ mit 305 Mio. EUR und das Programm „Rechte und Werte“ mit 642 Mio. EUR. Davon sollen 233 Mio. EUR in den Bereich Bürgerbeteiligung und Teilhabe und 408 Mio. EUR in die Bereiche Gleichstellung und Rechte sowie Daphne fließen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, da es sich um ein dringend benötigtes Instrument handelt, mit dem die Menschenrechte, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Achtung von Minderheiten, die Rechte von diskriminierten und ausgegrenzten Gruppen und benachteiligten Personen (darunter Menschen mit Behinderung oder Angehörigen der Roma) sowie die Beteiligung, Unterstützung und der Aufbau von Kapazitäten für eine lebendige und vielfältige Zivilgesellschaft wirksam gefördert werden können; dies ist entsprechend in den EU-Verträgen und der EU-Grundrechtecharta sowie in internationalen Menschenrechtsverträgen verankert, die die EU und die Mitgliedstaaten ratifiziert haben, darunter das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

3.2.

Der EWSA befürwortet die Bemühungen der Kommission um eine Stärkung der in Artikel 2 EUV festgeschriebenen Werte. Der EWSA begrüßt in dieser Hinsicht den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten, der die vorliegenden Vorschläge zu den Programmen „Rechte und Werte“ und „Justiz“ ergänzt und auf Basis dessen es möglich wäre, wirtschaftlichen Druck auf Mitgliedstaaten auszuüben, die ernsthaft und beständig gegen die in Artikel 2 EUV verankerten Werte verstoßen. Im ersten Vorschlag wird darauf abgezielt, die Rechtsstaatlichkeit durch Druck von oben sicherzustellen, während der zweite Vorschlag das Potenzial hat, die Rechtsstaatlichkeit und andere Werte von Artikel 2 zu schützen, indem in der Öffentlichkeit eine Unterstützung an der Basis aufgebaut wird. In diesem Zusammenhang verweist der Ausschuss auf seine Stellungnahme über den Haushaltsplan der Union und die Rechtsstaatlichkeit (4).

3.3.

Der EWSA bedauert, dass der Fonds nur auf bestehenden Programmen aufbaut, die zu positiven Ergebnissen geführt haben und stellt fest, dass er gestärkt und erweitert werden sollte, um den veränderten Gegebenheiten in der EU Rechnung zu tragen, eine bessere Sichtbarkeit sicherzustellen und umfassend die Förderung und den Schutz der in Artikel 2 EUV festgeschriebenen Werte zu gewährleisten.

3.4.

Der EWSA fordert, im Zuge des Engagements der EU für Menschenrechte und Demokratie in den externen und internen Strategien Politik und Mittelausstattung aufeinander abzustimmen. Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf die Schlussfolgerungen des Rates zum Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie, worin die EU angehalten wird, ihre Bemühungen um ein sicheres und geeignetes Umfeld zu stärken, in dem sich die Zivilgesellschaft und unabhängige Medien frei entfalten können (5).

3.5.

Der EWSA begrüßt die vorgeschlagene Rechtsgrundlage für die Programme „Rechte und Werte“ und „Justiz“, da das Europäische Parlament und der Rat gleichermaßen an Entscheidungsprozessen in einem Bereich beteiligt werden, der für die Bürger und die Zivilgesellschaft im weitesten Sinne von entscheidender Bedeutung ist. Allerdings vertritt der EWSA die Ansicht, dass die Rechtsgrundlage genügend Spielraum bezüglich der thematischen Bereiche und der Unterstützung für die Zivilgesellschaft auf allen Ebenen bieten sollte, und er schlägt vor, die Aufnahme eines Verweises auf Artikel 11 Absatz 1 und 2 EUV zu erwägen.

3.6.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass das Budget im Hinblick auf die derzeitigen Herausforderungen der EU in diesem für die europäische Gesellschaft so entscheidenden Bereich sehr niedrig angesetzt ist, und fordert (6) entsprechend eine Mittelausstattung von mindestens 1,4 Mrd. EUR (7), wovon mindestens 500 Mio. EUR dem Bereich Bürgerbeteiligung und Teilhabe zuzuordnen sind.

3.7.

Der EWSA nimmt die positiven Evaluierungen der Programme, die im Fonds vereint werden, zur Kenntnis; er weist darauf hin, dass die begrenzte Verfügbarkeit von Mitteln und die hohe Nachfrage nach dem Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ und dem Bereich Daphne des Programms „Rechte und Gleichstellung“ bei den Antragstellern zu Frustration geführt haben. Der EWSA bedauert, dass die Mittel dennoch nur unwesentlich aufgestockt wurden.

3.8.

Der EWSA meint, dass die Bezeichnungen des Fonds und der Programme geändert werden sollten, um mehr Übereinstimmung zwischen Programmtitel und -zielen herzustellen. Sie sind eng mit der bürgerschaftlichen Dimension, der Befähigung der Menschen zur aktiven Mitgestaltung, der Beteiligung von Rechteinhabern, mit der gemeinsamen Geschichte und Erinnerung sowie mit der entsprechenden Rubrik „In Menschen investieren, sozialer Zusammenhalt und Werte“ des mehrjährigen Finanzrahmens verknüpft. Der EWSA vertritt entsprechend die Auffassung, dass der Fonds in „Bürgerinnen und Bürger, Rechte und Werte“ umbenannt werden sollte. Der EWSA spricht sich ferner dafür aus, dass der Bereich des Programms „Rechte und Werte“, der sich auf Bürgerbeteiligung und Teilhabe bezieht, in Europa für Bürgerinnen und Bürger umbenannt werden sollte, um für Schlüssigkeit in Bezug auf die Bezeichnungen der anderen Bereiche zu sorgen und die Sichtbarkeit zu verbessern.

3.9.

Damit der Fonds Antworten auf die aktuellen Herausforderungen der EU liefern kann — es geht um die Stärkung der Rechte und Werte der EU, die Förderung der Demokratie, den Aufbau von Kapazitäten, den Erhalt einer lebendigen Zivilgesellschaft und die Verbesserung des Vertrauens der Bürger in die EU durch ihre direkte Beteiligung an der Gestaltung der Zukunft Europas —, empfiehlt der EWSA einen Fonds, der auf echter Beteiligung und einem Bottom-up-Ansatz fußt und bei dem rechtliche Überlegungen Hilfen für die Ziele anstatt Vorgaben sind. Darüber hinaus sollten Unterstützung und Aufbau von Kapazitäten die Tätigkeit der unabhängigen Zivilgesellschaft und der Organisationen auf lokaler, regionaler, nationaler und transnationaler Ebene abdecken, die die Umsetzung der Werte der EU fördern und überwachen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt, dass zu der Aktivität des Programms die Unterstützung von Organisationen der Zivilgesellschaft gehört, um eine aktive Teilhabe am Aufbau einer demokratischeren Union zu ermutigen und zu erleichtern, wie auch das Bewusstsein für Rechte und Werte. Allerdings sollte nach Ansicht des EWSA diese Aktivität durch ein übergeordnetes Ziel „Aufbau der Kapazität zivilgesellschaftlicher Organisationen im Sinne der verstärkten demokratischen und zivilgesellschaftlichen Bürgerbeteiligung“ unterstützt und in Artikel 4 Buchstabe a) verankert werden. Zusätzlich sollte in Artikel 4 Buchstabe b) klar herausgearbeitet werden, dass die Förderung der demokratischen und zivilgesellschaftlichen Bürgerbeteiligung auch auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zu unterstützten ist.

4.2.

Der EWSA begrüßt, dass ein Schwerpunkt des Programms „Rechte und Werte“ weiterhin auf der Vorbeugung und Bekämpfung aller Arten von Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche liegt, und dass im Rahmen des Programms „Justiz“ der Rechtsschutz für Opfer verbessert wird. Der EWSA weist darauf hin, dass Menschen mit Behinderungen zwei- bis fünfmal so häufig Opfer von häuslicher Gewalt werden, und Gewalttaten gegenüber älteren Menschen sowie Migranten, Roma und Angehörigen ethnischer Minderheiten zunehmen; er fordert, diesbezüglich mehr zu unternehmen, und ebenfalls sollte für mehr Kohärenz und Synergien zwischen beiden Programmen des Fonds gesorgt werden.

4.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Fonds eine neue Möglichkeit bietet, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Berücksichtigung des Gleichstellungsaspekts bei der Haushaltsplanung und eine nach Geschlechtern aufgeschlüsselte Datenerhebung durchzusetzen. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass derartige Maßnahmen eine Verbesserung der Gleichstellung ermöglichen, indem die unterschiedlichen Auswirkungen einer Finanzierung auf Frauen, Mädchen, Männer und Jungen analysiert werden, indem Ziele gesteckt und Mittel wirksamer verteilt werden, sodass die entsprechenden Ziele besser erreicht werden können. Er fordert insbesondere, die Indikatoren des Programms „Rechte und Werte“ nach Geschlecht aufzuschlüsseln.

4.4.

Der EWSA hebt außerdem den besonderen Wert und die Einzigartigkeit des gegenseitigen Lernens und des Austausches bewährter Verfahren hervor, von dem lokale Gemeinschaften im Rahmen des Programms „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ profitieren können, und fordert eine engere Einbeziehung der Bürger in Städtepartnerschaften, im Rahmen derer der Bottom-up-Ansatz der entsprechenden Maßnahmen gestärkt werden kann. Der EWSA verweist insbesondere auf die positiven Erfahrungen mit der von der örtlichen Bevölkerung betriebenen lokalen Entwicklung (8), mit der die Beteiligung und der Aufbau von Kapazitäten durch lokale Gemeinschaften und Interessenträger sichergestellt werden kann.

4.5.

Der EWSA begrüßt, dass ein weiterer Schwerpunkt darauf liegt, das Verständnis für die Union, ihre Geschichte und ihre kulturelle Vielfalt zu verbessern. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass Gedenkveranstaltungen und ein kritischer Umgang mit der Erinnerungskultur explizit Teil der Zielsetzung sein sollten, da Extremismus und Radikalisierung stark zunehmen.

4.6.

Der EWSA bedauert, dass Maßnahmen für die Meinungsfreiheit der Medien, die Medienpluralität und zur Bekämpfung von Falschmeldungen und gezielter Desinformation aus der endgültigen Version des Programms „Rechte und Werte“ gestrichen wurden. Der EWSA erachtet diese Maßnahmen für die Werte der EU und die Stärkung einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft als wichtig, und schlägt entsprechend vor, dass für Synergien mit dem Programm „Kreatives Europa“ gesorgt wird.

4.7.

Der EWSA fordert, dass finanzielle Unterstützung aus dem Programm „Justiz“ für alle Aktivitäten zugänglich gemacht wird: Sensibilisierungsmaßnahmen, Öffentlichkeitsbildung und -mobilisierung, gegenseitiges Lernen und Austausch, Analyse und Überwachung, Aus- und Fortbildung und Aufbau von Kapazitäten.

4.8.

Der EWSA erarbeitet eine Bestandsaufnahme der laufenden Arbeit der Kommission an einer vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen vorbereitenden Maßnahme zur Einrichtung eines EU-Fonds, der im Falle von Rechtsstreitigkeiten gegen Organisationen der Zivilgesellschaft finanzielle Unterstützung bietet, wenn gegen Verstöße gegen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte vorgegangen wird; er fordert, dass diese Tätigkeiten in das Programm „Justiz“ aufgenommen werden.

4.9.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass nationale Kontaktstellen sich insgesamt als wirksam herausgestellt haben, um den Bottom-up-Ansatz des Programms „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ zu fördern und den Kontakt mit möglichen Begünstigten vor Ort zu pflegen und diese zu unterstützen. Der EWSA begrüßt, dass die Rolle dieser Stellen auf die anderen Bereiche des Programms „Rechte und Werte“ erweitert wird, und betont, dass für eine angemessene Mittelausstattung zu sorgen ist; es müssen Stellen benannt werden, die von den jeweiligen nationalen Regierungen unabhängig zu sein haben und gut über den zivilgesellschaftlichen Sektor, die lokalen Akteure und deren Bedürfnisse informiert sind. Der EWSA fordert Leitlinien zu ihrer Unabhängigkeit, ihrer Rolle und ihren Aufgaben, einschließlich der Verbesserung der Sichtbarkeit des Programms sowie Schulungen.

4.10.

Der EWSA begrüßt, dass im Rahmen des Programms „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ Treffen zum Zweck des Dialogs mit der Zivilgesellschaft vorgesehen sind, und vertritt die Auffassung, dass solche Treffen beibehalten und für alle Bereiche des Fonds stattfinden sollten, um einen umfassenden Austausch über Werte, Rechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf Grundlage des Artikels 11 über den Dialog mit der Zivilgesellschaft des Vertrags zu ermöglichen. Der EWSA ist der Auffassung, dass solche Treffen neben den Begünstigten des Programms auch anderen relevanten Akteuren offenstehen und Diskussionen zu den künftigen Prioritäten des Programms beinhalten sollten.

4.11.

Der EWSA begrüßt, dass alle Maßnahmen der Programme in direkter und indirekter Mittelverwaltung finanziert werden und dass die Mittel eine Mischung aus Finanzhilfen für Maßnahmen und Betriebskostenzuschüssen beinhalten. Der EWSA betont, dass die Verfügbarkeit kleiner Finanzhilfen wesentlich ist, um die Beteiligung und Unterstützung von Organisationen der Zivilgesellschaft über die verschiedenen Bereiche des Fonds hinweg sicherzustellen und um insbesondere einen Bottom-up-Ansatz zu fördern, der nationale und lokale Begünstigte erreicht.

4.12.

Der EWSA ist außerdem der Ansicht, dass für die verschiedenen Bereiche im Rahmen des Programms „Rechte und Werte“ die gleiche Form der direkten Mittelverwaltung gelten sollte, um bei der Umsetzung für stärkere Kohärenz zu sorgen, und verweist insbesondere auf die positive Evaluierung der unter Aufsicht der Kommission stehenden Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur in Bezug auf die Verwaltung verschiedener Arten von Finanzhilfen, Finanzierungsvereinbarungen, die Anwendung vereinfachter Kosten und den niedrigen Prozentsatz von Fehlern.

4.13.

Der EWSA fordert Programme, um die neuen Bestimmungen der jüngsten Haushaltsordnung umzusetzen, da diese für die Zivilgesellschaft besonders relevant sind (z. B. Kofinanzierung in Form von Sachleistungen und Einstufung der Arbeit von Freiwilligen als förderfähige Kosten). Der EWSA betont außerdem, dass Kofinanzierungen begrenzt werden müssen, und dass verstärkt von vereinfachenden Maßnahmen — wie Pauschalbeträgen, Pauschalfinanzierungen und Kosten je Einheit — Gebrauch zu machen ist. Der EWSA fordert die Kommission auf, Organisationen der Zivilgesellschaft an der Entwicklung und Überwachung von Leitlinien für die Umsetzung dieser Vorschriften zu beteiligen. Der EWSA fordert darüber hinaus die nationalen Regierungen auf, ihre Programme für öffentliche Mittel um Bestimmungen für die Förderfähigkeit von Kofinanzierungen in Form von Sachleistungen einschließlich Freiwilligenarbeit zu erweitern.

4.14.

Der EWSA begrüßt die Entscheidung, die Dauer von Betriebskostenzuschüssen für alle Programme und Bereiche des Fonds auf eine mehrjährige Basis zu erweitern, und unterstreicht die Notwendigkeit, die Tragfähigkeit und Kontinuität von Maßnahmen weiterhin sicherzustellen.

4.15.

Der EWSA fordert außerdem die Entwicklung neuer Instrumente, anhand derer die Beteiligung der Zivilgesellschaft auf nationaler Ebene, insbesondere in Bereichen, in denen ihr angemessene Kapazitäten fehlen, gestärkt werden kann, und zwar beispielsweise indem wirkungsvolle technische Unterstützung gewährt wird, vorbereitende Maßnahmen durch erfahrenere Partner angeleitet werden oder indem eine Untervergabe von Zuschüssen erfolgt, wodurch z. B. verschiedene Zuschussebenen oder ein zweistufiges Antragsverfahren ermöglicht werden.

4.16.

Der EWSA begrüßt die Heranziehung eines Indikators zur Messung der Einbindung der Organisationen der Zivilgesellschaft, um Unterstützungsmaßnahmen und Maßnahmen zum Aufbau von Kapazitäten im Rahmen des Programms „Rechte und Werte“ zu ermöglichen. Er vertritt die Auffassung, dass im Rahmen des Programms „Justiz“ ebenso verfahren werden sollte. Der EWSA fordert darüber hinaus, dass Mittel für Organisationen der Zivilgesellschaft reserviert werden, und zwar mindestens 50 % der einzelnen Bereiche.

4.17.

Der EWSA regt an, gemeinsam mit der Kommission eine jährliche Sitzung zur Förderung der Koordinierung zwischen öffentlichen und privaten Gebern für die fondsrelevanten Bereiche zu organisieren, um Synergien auszuloten und aus bewährten Verfahren zu lernen.

Brüssel, den 18. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 9.

(2)  Entschließung des EP (2018/2619(RSP)) zu der notwendigen Schaffung eines Instruments für europäische Werte und Entschließung des EP (2017/2052(INI)) zu dem nächsten MFR: Vorbereitung des Standpunkts des Parlaments zum MFR nach 2020.

(3)  https://megacampaign.eu/support-csos-ask-your-mep-to-vote-for--the-european-values-instrument-resolution.

(4)  SOC/598 (siehe Seite 173 in diesem Amtsblatt).

(5)  Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat: Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie (2015-2019), „Bekräftigung der Menschenrechte als Kernstück der EU-Agenda“ JOIN/2015/0016 final.

(6)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 9.

(7)  Um die Kohärenz mit der von der EU im Rahmen externer Fördermaßnahmen (wie dem Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte) gewährten Unterstützung sicherzustellen.

(8)  ABl. C 129 vom 11.4 2018, S. 36.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/184


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Asyl- und Migrationsfonds“

(COM(2018) 471 final — 2018/0248 (COD))

und „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Instruments für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzmanagement und Visa im Rahmen des Fonds für integriertes Grenzmanagement“

(COM(2018) 473 final — 2018/0249(COD))

(2019/C 62/30)

Berichterstatter:

Giuseppe IULIANO

Befassung

Europäischer Rat, 25/07/2018

Europäisches Parlament, 02/07/2018

Rechtsgrundlage

Artikel 77 Absatz 2, Artikel 78 Absatz 2, Artikel 79 Absätze 2 und 4 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26/09/2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17/10/2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

101/0/3

1.   Schlussfolgerungen

1.1.

Die Migration ist eine Konstante in der Geschichte der Europäischen Union mit nachhaltigen Auswirkungen auf die Zukunft der Union selbst und auf die Gesellschaften, aus denen sie sich zusammensetzt. Die gemeinsame Steuerung der Migration in der EU ist ein unvollendeter Prozess. Dies hat in den letzten Jahren zu einer institutionellen Krise geführt, die deutlich aufgezeigt hat, dass eine gemeinsame europäische Stimme fehlt. Die derzeitige Situation resultiert daraus, dass die Mitgliedstaaten der EU nicht in der Lage sind, ein gemeinsames Asylsystem zu entwickeln und den Hunderttausenden Vertriebenen und Asylsuchenden, die unsere Grenzen erreichen, einen angemessenen Schutz zu bieten.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) vertritt die Auffassung, dass der Schutz der Grundrechte gemäß der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die Grundlage einer Politik der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bilden muss.

1.3.

Erhebliche Veränderungen müssen im Bereich Migration, Asyl und Außengrenzen vollzogen werden. Die von den verschiedenen europäischen Institutionen geleistete Arbeit zur Überarbeitung der derzeitigen Instrumente und zur Entwicklung alternativer Lösungen für eine gemeinsame, umfassende und kohärente Migrations- und Asylpolitik, die mit den Grundsätzen und Verpflichtungen aus den Verträgen und dem Völkerrecht im Einklang steht, muss unbedingt wieder aufgenommen werden.

1.4.

Wir brauchen dringend Fortschritte bei einer integrierten Migrations- und Asylpolitik, die die Integration und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten stärkt und den Standpunkten der verschiedenen europäischen Institutionen deutlicher Rechnung trägt. Nur so können wir den Sorgen der Bürger begegnen und eine Zunahme der EU-Verdrossenheit verhindern. Der EWSA ist sich bewusst, dass die Unzufriedenheit und Europaskepsis zunehmen werden, wenn den Bürgern keine Lösungen geboten und ihre Erwartungen enttäuscht werden.

1.5.

Der EWSA ist darüber besorgt, dass in den Ländern der Europäischen Union Intoleranz, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gegenüber Migranten und Flüchtlingen zunehmen, und hält es zudem für möglich, dass es in einigen Ländern zu einer Verschlechterung des Schutzes der Grundrechte kommt.

1.6.

Der EWSA begrüßt die beiden neuen — grundverschiedenen — Fonds, mit denen die begonnene Arbeit fortgeführt werden kann, und die nun höhere Mittelausstattung. Er weist darauf hin, dass die Fonds Instrumente sind, die eine europäische Migrations- und Asylpolitik in ihrer Gesamtheit voranbringen sollen. Die Fonds decken ganz unterschiedliche Bereiche wie Migration, Asyl und Schutz der Außengrenzen ab, doch fehlt bedauerlicherweise eine Bezugnahme auf die Möglichkeiten der regulären Zuwanderung in die Europäische Union, die für ein gutes Funktionieren in diesen Bereichen ebenfalls wichtig sind.

1.7.

Der EWSA hält es für richtig, dass als Rechtsgrundlage für die Verordnung Artikel 80 AEUV herangezogen wird, wonach für die gemeinsame Politik in den Bereichen Asyl, Migration und Außengrenzen der Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten gilt, die die Schengen-Bestimmungen über Außengrenzen und Visa anwenden (1). Der EWSA hält es für notwendig, die Anwendung des Solidaritätsgrundsatzes zu stärken, damit dieser nicht als rein rhetorisches Prinzip verstanden wird.

1.8.

Gleichbehandlung und Diskriminierungsbekämpfung sind Eckpfeiler der EU-Politik, auch bei den Maßnahmen zur Integration von Drittstaatsangehörigen. Es beunruhigt den Ausschuss, dass das Wort Integration aus der Fonds-Bezeichnung gestrichen wurde, was als geringeres Engagement für diesen Bereich ausgelegt werden könnte.

1.9.

Seiner Ansicht sollte wieder darauf hingewiesen werden, dass die Mitgliedstaaten im Bereich Asyl und Migration stärker zusammenarbeiten müssen, insbesondere durch Unterstützung und Finanzierung der Verbreitung bewährter Praktiken im Asylbereich, u. a. durch Einrichtung von Netzwerken und Informationsaustausch auf dem Gebiet der legalen Einwanderung und der Integration von Drittstaatsangehörigen.

1.10.

Der Ausschuss begrüßt die Bedeutung, die der Flexibilität in beiden Fonds beigemessen wird, da damit anerkannt wird, dass auf die Bedürfnisse der einzelnen Mitgliedstaaten im Rahmen einer gemeinsamen Aktion besser eingegangen werden muss. Der Ausschuss begrüßt auch die Vereinfachung der Verfahren und den Stellenwert, der der Bewertung beigemessen wird.

1.11.

Der EWSA begrüßt, dass das Grenzmanagement die innere Sicherheit der Union unter uneingeschränkter Wahrung der Grundrechte stärken soll, bedauert jedoch das Fehlen einer ausdrücklichen Bezugnahme auf den Schutz der Grundrechte auch in den Grenzräumen.

1.12.

Die Mitgliedstaaten sollten unbedingt daran erinnert werden, dass die Überwachung der Seegrenzen nicht nur die Grenzsicherheit und Grenzkontrolle beinhaltet, sondern auch Such- und Rettungseinsätze auf See. Verwiesen sei auch auf das Urteil des EGMR (2) von 2012, wonach das Verbot der Zurückweisung nicht nur auf dem Hoheitsgebiet eines Staates gilt, sondern auch in seinem extraterritorialen Handeln, also auch auf hoher See.

1.13.

In verschiedenen Stellungnahmen (3) hat der EWSA vorgeschlagen, dass die EU die Außengrenzen im Schengen-Raum als gemeinsame Grenzen betrachtet und das Grenzmanagement daher auf europäischer Ebene erfolgen sollte.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Migration ist eine Konstante in der Geschichte der Europäischen Union mit nachhaltigen Auswirkungen auf die Zukunft der Union selbst und auf die Gesellschaften, aus denen sie sich zusammensetzt. Die gemeinsame Steuerung der Migration in der EU ist ein unvollendeter Prozess. Dies hat in den letzten Jahren zu einer institutionellen Krise geführt, die deutlich aufgezeigt hat, dass eine gemeinsame europäische Stimme fehlt. Die von den verschiedenen europäischen Institutionen geleistete Arbeit zur Überarbeitung der derzeitigen Instrumente und zur Konzipierung alternativer Lösungen für eine gemeinsame, umfassende und kohärente Migrations- und Asylpolitik, die mit den Grundsätzen des Völkerrechts und der Verträge im Einklang steht, muss unbedingt wieder aufgenommen werden.

2.2.

Die Migration gehört zu den politischen Prioritäten der Kommission, deren Hauptziel darin besteht, die Thematik möglichst umfassend anzugehen. In der 2015 angenommenen Europäischen Migrationsagenda werden Sofortmaßnahmen als Reaktion auf die humanitäre Krise an den europäischen Grenzen mit langfristigen Maßnahmen zur Bewältigung der Migration in umfassender Weise kombiniert.

2.3.

Die Krise im Mittelmeerraum hat die unmittelbaren Erfordernisse und auch die strukturellen Unzulänglichkeiten der Migrationspolitik der EU und ihrer Instrumente aufgezeigt. Die EU muss ein geeignetes Gleichgewicht in dieser Frage finden und den europäischen Bürgern eindeutig die Botschaft vermitteln, dass die Migration gemeinsam besser gesteuert werden kann. Der Asyl- und Migrationsfonds (AMF) und das Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzmanagement und Visa sind Teil dieses Vorhabens.

2.4.

Die Kommission hat eine erhebliche Aufstockung der Haushaltsmittel für das Migrations- und Grenzmanagement im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 vorgeschlagen, wobei der neue Asyl- und Migrationsfonds (AMF) mit insgesamt 10,415 Mrd. EUR (in jeweiligen Preisen) (4) und der Fonds für integriertes Grenzmanagement mit 9,318 Mrd. EUR (in jeweiligen Preisen) ausgestattet werden soll.

2.5.

Der AMF soll zu einem umfassenden Gesamtmanagement der Bereiche Migration, Integration und Rückkehr/Rückführung und des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) beitragen und dazu den Mitgliedstaaten im Rahmen der Solidarität und der Aufteilung der Verantwortlichkeiten Unterstützung bieten.

2.6.

Mit dem Instrument für die finanzielle Unterstützung im Bereich Grenzmanagement und Visa, das Teil des Fonds für integriertes Grenzmanagement ist, sollen die Mitgliedstaaten bei der besseren Durchführung der gemeinsamen Maßnahmen bezüglich des Überschreitens von Binnengrenzen durch Personen, der Grenzkontrollen sowie der gemeinsamen Visumpolitik unterstützt werden. Ein solides Grenzmanagement an den Außengrenzen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung eines Raums ohne Binnengrenzen, in dem der freie Personen- und Warenverkehr gewährleistet ist.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt, dass als Rechtsgrundlage für die beiden Instrumente Artikel 80 AEUV genannt wird, wonach für die gemeinsame Politik im Bereich Asyl, Migration und Außengrenzen der Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten gilt.

3.2.

Zur Durchführung der beiden Fonds sollen klare Anleitungen für die Verwaltungs- und Kontrollsysteme und die Prüfungsanforderungen bereitgestellt werden. Notwendig sind eine Vereinfachung der Verfahren und eine Verringerung des Verwaltungsaufwands sowie auch Fortschritte bei den Maßnahmen zur Gewährleistung von mehr Transparenz, Rechenschaftspflicht und Erfüllung der Zielvorgaben für die den Mitgliedstaaten überwiesenen Mittel.

3.3.

Zudem sollte für eine Abstimmung der Instrumente mit anderen bestehenden Bestimmungen und eine uneingeschränkte Komplementarität mit den verschiedenen in diesen Bereichen tätigen Agenturen der Union gesorgt und Doppelarbeit bzw. Überschneidungen vermieden werden. Dabei muss die Übereinstimmung mit der einschlägigen EU-Politik in Bereichen wie Grenzverwaltung, innere Sicherheit, soziale Eingliederung und Integration von Drittstaatsangehörigen und der auswärtigen Politik der Union gewährleistet werden.

3.4.

Die Instrumente müssen flexibel sein, um den sich ändernden Herausforderungen im Bereich Grenzmanagement und Visa gerecht zu werden. Daher wird begrüßt, dass neben dem festen Beitrag für die einzelnen teilnehmenden Mitgliedstaaten die restlichen Mittel für spezifische Maßnahmen eingesetzt werden, bei denen die EU einen Mehrwert erbringen kann.

3.5.

Mit diesen Instrumenten sollen die Solidarität und die gemeinsame Verantwortung unter den Mitgliedstaaten, die die Schengen-Bestimmungen über Außengrenzen und Visa in vollem Umfang anwenden (oder sich auf eine vollständige Teilnahme daran vorbereiten), zum Ausdruck gebracht werden. Die Instrumente sollten im Interesse der gemeinsamen Strategie der Union für das Außengrenzmanagement genutzt werden. Damit das Schengen-System richtig funktioniert, muss das Management der Außengrenzen, die ja gemeinsame Grenzen sind, auf europäischer Ebene erfolgen.

3.6.

Die Verwendung der Begriffe „irreguläre Migration“ bzw. „Migrant ohne Papiere“ in den Dokumenten muss unbedingt gemäß den Empfehlungen des Europarates (5) und des Europäischen Parlaments (6) vereinheitlicht werden.

3.7.

Die EU braucht eine gemeinsame Migrationspolitik mit Instrumenten und Kanälen für die geordnete und reguläre Migration sowie den Schutz des Rechts auf Asyl. Der EWSA bedauert, dass in den Erwägungsgründen in erster Linie auf die irreguläre Einreise bzw. auf die Kontrolle der Grenzen Bezug genommen und nicht auf die Notwendigkeit von Fortschritten und innovativen Ansätzen für ein europäisches Gesamtkonzept für Migration eingegangen wird. Auch eine Reform des Dublin-Systems ist unverzichtbar.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA hält die Vorschläge für die beiden Finanzinstrumente für sehr sinnvoll, hat doch die technische und finanzielle Unterstützung der Mitgliedstaaten durch die Europäische Union im Zeitraum 2015-2017 im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (7) und anderer Instrumente zu einer besseren Steuerung in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Außengrenzen beigetragen.

4.2.

Der EWSA bewertet die Aufstockung der Mittelausstattung für diesen Fonds positiv, sofern sie zu einer umfassenden, gemeinsamen und kohärenten Migrationspolitik der EU beiträgt, die den völkerrechtlichen Grundsätzen und zugleich den Bedürfnissen der Aufnahmegesellschaften und EU-Bürger Rechnung trägt und auf enger Zusammenarbeit mit den Partnern weltweit beruht.

4.3.

Da die Inklusion eine wichtige Aufgabe für die Mitgliedstaaten ist, sollte das Wort „Integration“ wieder in die Fondsbezeichnung des AMF aufgenommen werden.

4.4.

Der EWSA begrüßt, dass im AMF die Rolle anerkannt wird, die die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften (auch in den Gebieten in äußerster Randlage), die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Integration von Drittstaatsangehörigen und ihrer Eingliederung in den Arbeitsmarkt als kurz- und langfristige Aufgabe spielen. Er bedauert jedoch, dass keine innovativen Wege für einen besseren Zugang dieser Akteure zum AMF aufgezeigt werden, und verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass das Subsidiaritätsprinzip gewährleistet und beachtet werden muss.

4.5.

Es ist zu begrüßen, dass bei der Inanspruchnahme der operativen Unterstützung im Rahmen dieses Fonds geprüft und festgestellt werden kann, dass ein Mitgliedstaat nicht im Einklang mit dem einschlägigen Besitzstand der Union steht, weil er verbindlichen Verpflichtungen aus den Verträgen nicht nachkommt oder wenn die eindeutige Gefahr einer Verletzung der Werte der Union im Bereich Asyl und Rückführung besteht. Eine Konkretisierung der Folgen eines solchen Verstoßes bei der operativen Inanspruchnahme des Fonds wäre wünschenswert. Es sei daran erinnert, dass der EWSA es befürwortet, dass die Kommission in dringenden Fällen intervenieren kann, sofern dies im Rahmen eines transparenten Verfahrens geschieht und die beiden Gesetzgebungsorgane (Parlament und Rat) unverzüglich darüber informiert werden (8). Er hält es außerdem für angebracht, dass unmittelbar Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten wegen Verstößen in diesen Bereichen eingeleitet werden können.

4.6.

Bei der Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Hinblick auf eine angemessene Steuerung des Zustroms von Asylbewerbern sind finanzielle Anreize, aber auch technische Unterstützung und die Stärkung der Institutionen notwendig. Der Nothilfe-Treuhandfonds der EU für Afrika ist ein notwendiges Instrument, aber nicht das einzige Mittel: Neben einer angemessenen Mittelausstattung muss eine echte Partnerschaft mit gemeinsamer Verantwortung angestrebt werden, mit gemeinsamen Zielen, die eingebettet sind in die zwischen den EU-Ländern und den afrikanischen Ländern vereinbarten Nachhaltigkeitsziele. Es sollten Anstrengungen unternommen werden, um die Maßnahmen im Bereich Migration und Asyl besser auf die Maßnahmen zur Stärkung der Institutionen und die Unterstützung demokratischer Prozesse durch die Generaldirektion DEVCO abzustimmen, wobei Doppelarbeit und Inkohärenzen zu vermeiden sind.

4.7.

Notwendig sind auch eine genauere Überwachung der Pflicht zur Zusammenarbeit und die Festlegung von Mechanismen für die Abstimmung mit den Behörden, die in den einzelnen Mitgliedstaaten für die Verwaltung der ESF+- und EFRE-Mittel zuständig sind, um so die Koordinierung und den bereichsübergreifenden Charakter zu gewährleisten, sowie die Ergründung von Möglichkeiten, wie diese Mechanismen genutzt werden können, wenn die Verwaltung nachgeordneten Regierungsebenen obliegt.

4.8.

Der AMF muss einen größeren Mehrwert erbringen im Hinblick auf die Konsolidierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf die Kapazitäten der Mitgliedstaaten zur Betreuung von Menschen, die internationalen Schutz benötigen, auf die Förderung legaler Kanäle für die Einreise in die Europäische Union und auf die Unterstützung der Integration von rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen.

4.9.

In Bezug auf die Integration wird ein Verteilungsschlüssel angesetzt, der lediglich den jährlichen Zustrom und den Gesamtanteil der ausländischen Bevölkerung berücksichtigt, aber qualitative Indikatoren außer Acht lässt, mit denen sich die besonderen Erfordernisse der einzelnen Mitgliedstaaten besser ermitteln lassen würden. Es ist notwendig, hier die diesbezüglichen Ziele genauer zu bestimmen und Indikatoren (9) festzulegen, mit denen sich der Erfolg des AMF in diesen Bereichen kontinuierlich bewerten lässt.

4.10.

Eine Zwischenbewertung und eine nachträgliche Evaluierung des AMF müssen unbedingt sichergestellt werden, wobei flexible Mechanismen vorzusehen sind, mit denen sich die bewerteten Maßnahmen korrigieren lassen. Erforderlich ist eine kombinierte Bewertung der Wirkung und der Ergebnisse, insbesondere bei Maßnahmen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten von verschiedenen Verwaltungsebenen durchgeführt werden.

4.11.

Dass Maßnahmen im Bereich der Rückkehr und Rückübernahme die Anreize für die irreguläre Migration verringern, liegt nicht auf der Hand. Eine wirksame Politik der Rückkehr/Rückführung und der Rückübernahme und der Gewährleistung der Menschenrechte der Betroffenen ist unverzichtbar, diese Maßnahmen müssen aber auch hinsichtlich der Frage besser bewertet werden, ob sie wirklich zu weniger irregulären Einreisen führen.

4.12.

Auch gegen die irreguläre Beschäftigung muss unbedingt vorgegangen werden, insbesondere gegen die Beschäftigung irregulärer ungemeldeter Migranten und gegen Missbrauch und Ausbeutung der Arbeitskräfte. Der Ausschuss begrüßt, dass aus dem AMF Maßnahmen finanziert werden können, die auf eine Verringerung der Anreize für irreguläre Migration, z. B. der irregulären Beschäftigung abzielen, die als ein Faktor wirken kann, der irreguläre Migrationsströme anzieht und dem unlauteren Wettbewerb zwischen Unternehmen und der Missachtung von Rechten der Betroffenen Vorschub leistet (10).

4.13.

Der EWSA begrüßt nachdrücklich die Bereitstellung von Mitteln für den Unionsrahmen für Neuansiedlung [und Aufnahme aus humanitären Gründen]. Er hofft, dass die gezielte Neuansiedlungsregelung der EU dazu beiträgt, dass dieses Engagement durch die Mitgliedstaaten tatsächlich in die Praxis umgesetzt wird. Der EWSA hat sich bereits für eine gezielte Neuansiedlungsregelung der EU ausgesprochen, die dafür sorgt, dass die Mitgliedstaaten diese Initiative tatsächlich in die Praxis umsetzen, und die finanzielle Anreize für besonders engagierte Mitgliedstaaten vorsieht.

4.14.

Das Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzmanagement und Visa soll, wie mehrfach erklärt wird, zur Gewährleistung der inneren Sicherheit der Europäischen Union unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte beitragen. Dabei wird jedoch leider nicht konkret auf den Schutz dieser Rechte in den Grenzräumen eingegangen, und auch nicht auf diejenigen, die keine Staatsbürger eines EU-Mitgliedstaats sind.

4.15.

Das Instrument ermöglicht es den Mitgliedstaaten, nach vorheriger Konsultation der Kommission Projekte mit oder in einem Drittstaat durchzuführen, was der EWSA befürwortet. Er ist der Auffassung, dass über die Anforderungen für eine solche Konsultation (oder Informationsübermittlung) besser informiert werden sollte, wobei eindeutige Kriterien, einschließlich der Menschenrechtslage im Bestimmungsland, festzulegen sind. Dies ist unverzichtbar, da sich die Maßnahmen mit einem Drittstaat zum Beispiel auf das Beobachten, Aufspüren, Identifizieren, Verfolgen und Verhindern unbefugter Grenzübertritte sowie entsprechende Abfang- beziehungsweise Aufgriffsmaßnahmen erstrecken können.

4.16.

Der Ausschuss bedauert, dass in der Verordnung die Bekämpfung der irregulären Migration mehrfach mit der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität gleichgestellt wird, wobei die unzulässigen Zielstellungen letzterer in undifferenzierter Weise mit den Zielen ersterer vermengt werden.

4.17.

In Bezug auf das Grenzmanagement ist der EWSA enttäuscht, dass die Sicherheit immer noch als im Wesentlichen „militärische“ Frage angesehen wird, obgleich es in der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union heißt, dass die EU einen integrierten Ansatz zur Förderung der Sicherheit für die Menschen verfolgt. Dies umfasst Maßnahmen, um u. a. Armut und Ungleichheit zu verringern, eine verantwortungsvolle Staatsführung und die Menschenrechte zu fördern, Entwicklungshilfe zu leisten und die Ursachen für Konflikte und Unsicherheit anzugehen.

4.18.

Positiv zu bewerten ist, dass als Ziel des Instruments auch ein Beitrag zum Schutz und zur Rettung des Lebens von Migranten genannt wird und die Mitgliedstaaten daran erinnert werden, dass die Überwachung der Seegrenzen nicht nur die Grenzsicherheit und Grenzkontrolle beinhaltet, sondern auch Such- und Rettungseinsätze auf See.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Siehe SOC/582, Überarbeitung des Visakodexes (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 142).

(2)  Beschwerdesache Hirsi Jamaa u. a. gegen Italien (Beschwerde Nr. 27765/09.

(3)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 109; ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 7; ABl. C 458 vom 19.12.2014, S. 7; ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 162.

(4)  Detailliertere Zahlenangaben finden sich in der Stellungnahme ECO/460 zum Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum nach 2020 (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 106).

(5)  Parlamentarische Versammlung des Europarates. Entschließung 1509 (2006).

(6)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Januar 2009 zu der Lage der Grundrechte in der Europäischen Union 2004-2008 (2007/2145(INI)).

(7)  In der Verordnung (EU) Nr. 516/2014 vom April 2014 wurde ein spezifisches Finanzierungsprogramm der EU im Bereich Migration und Asyl für den Zeitraum 2014-2020 festgelegt, das durch finanzielle Unterstützung zu einer wirksamen Steuerung von Migrationsströmen und zur Entwicklung und Umsetzung eines gemeinsamen EU-Konzepts in Asyl- und Migrationsfragen beitragen soll. Mit dem AMIF wurden vier Ziele verfolgt: 1) Stärkung und Weiterentwicklung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS); 2) Unterstützung der legalen Migration in die Mitgliedstaaten entsprechend ihrem wirtschaftlichen und sozialen Bedarf und Förderung der wirksamen Integration von Drittstaatsangehörigen; 3) Entwicklung gerechter und wirksamer Rückkehrstrategien zur Eindämmung der irregulären Migration; 4) Förderung von mehr Solidarität und Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, insbesondere gegenüber den von den Migrations- und Asylströmen am meisten betroffenen Mitgliedstaaten.

(8)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 109.

(9)  OECD und Europäische Union (2015), Integration von Zuwanderern: Indikatoren 2015 (die sogenannten Saragossa-Indikatoren).

(10)  Siehe Stellungnahmen ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 70 und ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 81.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/189


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Fonds für die innere Sicherheit“

(COM(2018) 472 final — 2018/0250 (COD))

(2019/C 62/31)

Berichterstatter:

José Antonio MORENO DÍAZ

Befassung

Europäisches Parlament, 2.7.2018

Rat, 25.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 82 Absatz 1, Artikel 84, Artikel 87 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26.9.2018

Verabschiedung im Plenum

18.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

141/3/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stimmt zu, dass es notwendig ist, die operativen und präventiven Maßnahmen und Programme im Bereich Sicherheit mit mehr Mitteln auszustatten und dafür einen flexiblen und transparenten Fonds einzurichten, dessen Aufteilung nach eindeutig definierten und vorhersehbaren operativen Kriterien und seinen Zweckbestimmungen erfolgt und der darauf ausgelegt ist, diese Maßnahmen und Programme zu stärken.

1.2.

Der Fonds für die innere Sicherheit sollte auf einem präventiven Ansatz aufbauen. Hierfür ist es unabdingbar, die Zivilgesellschaft einzubinden und aktiv mit ihr zusammenzuarbeiten, insbesondere was die Betreuung und organisatorische Unterstützung von Opfern, die Kontrolle der Sicherheitsakteure und die Prävention von Radikalisierung anbelangt.

1.3.

Die Mittelzuweisungen aus dem Fonds, egal ob in Länder der Union oder in Drittländer, sollten ausschließlich an öffentliche Einrichtungen gerichtet sein, die die uneingeschränkte Achtung der Menschenrechte garantieren.

1.4.

Der EWSA sollte bei der Einrichtung und Umsetzung dieses Fonds eine Beobachterrolle erhalten, um sicherzustellen, dass die Ansichten der organisierten Zivilgesellschaft auf EU-Ebene berücksichtigt werden.

1.5.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass dem Risiko, das mit der Radikalisierung und Gewaltbereitschaft rechtsextremistischer Gruppen einhergeht, in besonderer Weise Rechnung getragen werden muss.

1.6.

Zudem besteht die Notwendigkeit, gegen die Finanzierungsmechanismen und die Kapitalflüsse organisierter krimineller Gruppen vorzugehen.

1.7.

Der EWSA hält es für erforderlich, über ein rein reaktives Handeln hinauszukommen und stärker auf präventive Maßnahmen zu setzen, um die tieferliegenden Ursachen der Radikalisierung mancher Menschen anzugehen, die eine Gefahr für ihre Mitmenschen sind, und auch gegen die Finanzierungswege gewaltbereiter Gruppen vorzugehen.

1.8.

Gemäß der Gründungsphilosophie der Union müssen die Menschenrechte fester Bestandteil und Grundvoraussetzung jeglichen Handelns sein. Im Falle eines Finanzierungsfonds bedeutet dies, Antragstellern, die nicht nachweisen können, dass sie die Mindeststandards erfüllen, eine Mittelzuweisung aus dem Fonds zu verwehren. Dies ist auch der Zweck des kürzlich von der Kommission vorgelegten Vorschlags (1) über finanzielle Maßnahmen zum Schutz des Rechtsstaatsprinzips in den Mitgliedstaaten und der im EWSA eingerichteten Gruppe Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit.

2.   Text des Vorschlags

2.1.

In methodischer Hinsicht orientiert sich diese Stellungnahme an den Begriffsbestimmungen gemäß Artikel 2 des Verordnungsvorschlags der Kommission.

2.2.

Der EWSA teilt die in dem Vorschlag angestellten Überlegungen, denn die realen Sicherheitsbedrohungen in Europa in Form von Terroranschlägen, neuen Formen der organisierten Kriminalität und Cyberkriminalität haben an Intensität und Vielfalt zugenommen.

2.3.

Sicherheitsbedrohungen machen naturgemäß nicht an Grenzen halt und erfordern daher eine starke, koordinierte Antwort der EU: Neben den Herausforderungen für die innere Sicherheit sieht sich die EU auch mit komplexen Bedrohungen von außen konfrontiert, denen kein Mitgliedstaat allein begegnen kann.

2.4.

Sicherheit wird auch in den kommenden Jahren ein beherrschendes Thema für die EU sein. Die europäischen Bürgerinnen und Bürger erwarten von der Union und von ihren nationalen Regierungen, dass sie in einer sich rasch verändernden und unsicheren Welt für ihre Sicherheit sorgen. Daher ist es sinnvoll, bereits im erzieherisch-pädagogischen Bereich im Sinne der Prävention gewaltsamer Verhaltensweisen tätig zu werden, auch in Schul- und Lehrbüchern, die von der Achtung der Grundrechte sowie von Pluralismus und Diversität durchdrungen sein müssen.

2.5.

Die Herausforderungen, mit denen die Union konfrontiert ist, insbesondere der internationale Terrorismus, können natürlich nicht von einem Mitgliedstaat allein und ohne finanzielle und technische Unterstützung durch die EU bewältigt werden. Terrorismus, ob nun externen oder internen Ursprungs, religiös oder politisch extremistischer (insbesondere rechtsextremer) Prägung, sowie andere Gefahren, die von Drogenhandel, Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung sowie sonstiger schwerer Kriminalität ausgehen, machen nicht an Grenzen halt. Deshalb sind die Mitgliedstaaten ihren Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verpflichtet, im vollständigen Einklang mit den Grundrechten, die auch in den Rechtstexten der EU und in internationalen Verträgen verankert sind, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.

2.6.

Die EU kann und muss ein solches Vorgehen unterstützen, und in den Verträgen ist in diesem Sinne vorgesehen, dass ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten ist, vor allem durch vorbeugende Maßnahmen und durch die Koordinierung und Zusammenarbeit von Polizei- und Justizbehörden und anderen zuständigen Behörden, wie den dezentralen Ämtern und Agenturen.

2.7.

Die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol), die Agentur der Europäischen Union für die Aus- und Fortbildung auf dem Gebiet der Strafverfolgung (CEPOL) und die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) spielen bei der Umsetzung der Prioritäten, Ziele und Tätigkeiten der EU im Sicherheitsbereich eine wichtige operative, koordinierende und unterstützende Rolle.

2.8.

Der Fonds für die innere Sicherheit wird eingerichtet, um die grenzübergreifende Zusammenarbeit sowie den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und anderen einschlägigen Behörden zu fördern. Dabei geht es insbesondere darum, die Interoperabilität der verschiedenen EU-Informationssysteme im Bereich Sicherheit zu ermöglichen, das Grenzmanagement und die Migrationssteuerung wirksamer und effizienter zu gestalten, gemeinsame operative Maßnahmen zu erleichtern sowie Unterstützung für Schulungsmaßnahmen, den Bau wichtiger sicherheitsrelevanter Einrichtungen, die Erfassung und Verarbeitung von Fluggastdatensätzen im Einklang mit bestehendem EU-Recht und die Anschaffung der erforderlichen technischen Ausrüstung bereitzustellen.

2.9.

Der Fonds soll die grenzübergreifende operative Zusammenarbeit im Bereich der Prävention, Aufdeckung und Untersuchung grenzüberschreitender Kriminalität intensivieren und die Anstrengungen unterstützen, die darauf abzielen, die Fähigkeiten zur Verhütung solcher Straftaten einschließlich des Terrorismus insbesondere durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Behörden, Zivilgesellschaft und privaten Partnern aus allen Mitgliedstaaten zu verbessern.

2.10.

Die Beteiligung der Zivilgesellschaft an Sicherheitsfragen hat sich als sehr geeignetes und notwendiges Instrument erwiesen, um die Qualität bei der Achtung der Grundrechte zu verbessern, zu überwachen, dass keine Kompetenzüberschreitung seitens der Behörden stattfindet, und bestimmte unerwünschte Verhaltensweisen, die eine ständige Versuchung darstellen, zu melden. In unserer Demokratie darf man sich nicht durch das Streben nach Effizienz und ein ausschließlich auf Sicherheit gerichtetes Denken leiten lassen. Der einzurichtende Fonds sollte somit die Möglichkeit bieten, Programme zur Stärkung dieser Überwachung zu finanzieren und rechtliche Strukturen zu unterstützen und zu fördern, die eine unabhängige gerichtliche Kontrolle der Tätigkeit der Sicherheitskräfte ermöglichen. Dies gilt auch für seine unbestrittene Aufgabe bei der Prävention von Radikalisierung sowie bei der Bildung und Sensibilisierung der Gesellschaft.

2.11.

Nichtstaatliche Organisationen und andere Akteure der Zivilgesellschaft leisten bereits durch folgende Maßnahmen einen quantitativen und qualitativen Beitrag zur Sicherheit:

Verhütung und Verfolgung von überzogenen oder nicht im Einklang mit den Menschenrechten stehenden Handlungen seitens der Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten,

Verhütung und Verfolgung aller Formen der ideologischen Radikalisierung,

Sensibilisierung der Gesellschaft für die Lage der Opfer, ihre soziale Integration und die nötige Unterstützung,

Unterstützung für Betroffene, sich zu organisieren, zu artikulieren und zu handeln, sowohl für Opfer als auch für alle, die sich solidarisch mit ihnen zeigen, sowie für alle, denen die Sicherheitsproblematik ein Anliegen ist,

Tätigwerden im Bildungsbereich, vor allem bei den Jüngsten, denn dies ist zum einen für die Sensibilisierung und zum anderen für die Verhütung der Radikalisierung von größter Wichtigkeit,

viele weitere Maßnahmen, die sich auf indirekte Weise positiv auf die innere Sicherheit und die Sicherheit an den Grenzen auswirken, wie Kontrolle des Handelns der Sicherheitskräfte, Bildung und Sensibilisierung, Schutz und Organisation der Opfer usw.

Ebenso ist zuzulassen, dass die Zivilgesellschaft die Nutzung des Fonds kontinuierlich überwacht.

2.12.

Dieses gesamte Spektrum von Maßnahmen sollte von den Behörden der Union direkt unterstützt werden, und da sie der Sicherheit zugutekommen, sollte eine Haushaltslinie aus Mitteln des genannten Fonds dafür bereitgestellt werden.

2.13.

Die EU und die Mitgliedstaaten müssen sich darüber im Klaren sein, dass auch bestimmte Organisationen der Zivilgesellschaft — sei es direkt oder durch indirektes Zutun — Diskurse oder Handlungen fördern können, die gegen die Werte und Rechte der EU gerichtet sind.

2.14.

Die wichtigste Herausforderung, die mit dem Vorschlag angegangen werden soll, ist die Notwendigkeit einer flexibleren Verwaltung des künftigen Fonds im Vergleich zum aktuellen Programmplanungszeitraum. Zudem sind Instrumente erforderlich, um die Finanzierung auf die Prioritäten und Maßnahmen der EU zu richten, die einen erheblichen Mehrwert für die EU mit sich bringen. Da für die Bewältigung neuer Herausforderungen und Prioritäten neue Verfahren zur Aufteilung der Mittel auf die geteilte, direkte und indirekte Mittelverwaltung erforderlich sind, sollten diese gleichermaßen die Einbeziehung der in vorstehendem Absatz genannten aktiven Mitglieder der Zivilgesellschaft für die dargelegten Zwecke erlauben. In diesem Sinne wird vorgeschlagen, dass der EWSA bei der Einrichtung und der Umsetzung dieses Fonds eine Beobachterrolle einnimmt, um sicherzustellen, dass die Ansichten der organisierten Zivilgesellschaft auf EU-Ebene berücksichtigt werden.

2.15.

Angesichts der beträchtlichen Finanzausstattung des Fonds in Höhe von 2,5 Mrd. EUR sollten die Kriterien für die Verteilung dieser Mittel präzisiert werden. Begrüßenswert ist die Beibehaltung der erforderlichen Flexibilität, doch sollten die Haushaltsposten klar angegeben werden, auf die die Mittelzuweisungen aus dem Fonds verteilt werden.

2.16.

Diese Haushaltsposten sind nach dem Kriterium der Einfachheit zu wählen, um einen übermäßigen bürokratischen Aufwand beim Zugang zum Fonds zu verhindern, und sollten dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens unterliegen. Klarheit und Vorhersehbarkeit in diesem Kapitel werden es den Verantwortlichen der verschiedenen Mitgliedstaaten leichter machen, Task-Forces einzusetzen oder Sofortmaßnahmen zu ergreifen, in der Gewissheit, dass diese aus dem Fonds finanziert oder unterstützt werden.

2.17.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag (Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Fonds für die innere Sicherheit) und erachtet die Einrichtung des Fonds auf der Grundlage von Artikel 3 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union als angemessen. Der Vorschlag ist zudem durch die in Artikel 67 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dargelegten Ziele begründet und trägt den Grundsätzen der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten gemäß Artikel 80 AEUV sowie den Grundsätzen der Subsidiarität (da es sich um eine nicht ausschließliche Zuständigkeit handelt) und der Verhältnismäßigkeit Rechnung.

2.18.

Durch die Einrichtung eines Fonds für innere Sicherheit soll die Arbeit der Agenturen und Fonds, über die die Union bereits verfügt, sowie der übrigen Einrichtungen auf nationaler Ebene durch ein zusätzliches Instrument ergänzt werden. Das grundlegende Ziel des Fonds besteht darin, insbesondere durch die Bekämpfung von Terrorismus, Radikalisierung, schwerer und organisierter Kriminalität und Cyberkriminalität sowie durch die Unterstützung und den Schutz der Opfer von Straftaten zu einem hohen Maß an Sicherheit in der Union beizutragen. Dabei leistet der Fonds einen Beitrag zu folgenden spezifischen Zielen: Informationsaustausch, Intensivierung gemeinsamer grenzüberschreitender Aktionen und Stärkung der Kapazitäten zur Verhütung von Kriminalität. Dies erfolgt in ständiger Zusammenarbeit zwischen Behörden, Zivilgesellschaft und privaten Partnern in den Mitgliedstaaten (2). In diesem Zusammenhang muss ebenfalls gegen die Finanzierungsmechanismen und die Kapitalflüsse krimineller Gruppen vorgegangen werden, was in diesem Kapitel des Fonds entsprechend berücksichtigt werden sollte.

2.19.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der EWSA als Beobachter an der hochrangigen Expertengruppe zum Thema Radikalisierung teilnahm, die 2017 von der Kommission eingerichtet worden war (3).

3.   Empfehlungen

3.1.

Der Fonds müsste an den tieferliegenden Ursachen ansetzen, warum sich einige Menschen in Gruppierungen organisieren bzw. sich diesen anschließen, die eine Gefahr für ihre Mitmenschen sind, was Hintergrundstudien und -untersuchungen erfordert, anhand derer sich objektive Situationen im Voraus erkennen lassen.

3.2.

Die Einrichtung des Fonds baut auf den mit der Unterstützung seiner Vorgänger erzielten Ergebnissen und Investitionen auf, wie etwa dem Programm „Sicherheit und Schutz der Freiheitsrechte“, dem Instrument für polizeiliche Zusammenarbeit sowie dem Teil „Drogenpolitik“ des Programms „Justiz“. Auf jeden Fall ist die Aussage näher zu untermauern, dass mit der Fazilität „neue Prioritäten oder dringende Maßnahmen angegangen und durch eine für die Erreichung der politischen Ziele optimale Methode der Mittelverwaltung umgesetzt werden“ (4) können. Ein innovatives Vorgehen ist wichtig, weil auch die zu bekämpfenden Gruppen ungemein innovativ sind.

3.3.

Anstatt die Aufteilung der Mittel aus dem Fonds nach Kriterien wie Bevölkerungszahl oder Größe des Landes zu richten, sollten hierfür rein operative Kriterien gelten, um die Finanzierung von Maßnahmen und Programmen sicherzustellen. Zudem sollte in Bezug auf die Finanzausstattung und die Verwaltung des Fonds absolute Transparenz herrschen. Die einschlägigen Informationen sollten den Medien und der Zivilgesellschaft offen zugänglich sein, damit sie die Einhaltung der Bedingungen für den Zugang zu den Mitteln überwachen können.

3.4.

Nicht zuletzt sollte bei der Einrichtung des Fonds eine künftige Bewertung seiner Tragweite und Wirksamkeit anhand einer aktualisierten Untersuchung der allgemeinen Situation vorgesehen werden, die in regelmäßigen Abständen aktualisiert wird und Aufschluss über seine Entwicklung gibt.

3.5.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss möchte auf einige dieser neuen Prioritäten eingehen, die in dem Dokument keine Berücksichtigung fanden und besondere Aufmerksamkeit verdienen, da sie ein wichtiger Aspekt insbesondere des Ziels der Prävention von Radikalisierung sein können, die unter Umständen gar von einigen Behörden geduldet wird.

3.6.

Aktuell gemeint sind rechtsextreme, ultrarechte, neonazistische, antisemitische, eine Überlegenheit der Weißen propagierende Bewegungen sowie jede andere Form der Verherrlichung der Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Herkunft, der sexuellen Orientierung usw., die eine tatsächliche Bedrohung für die Sicherheit sowie für den Rechtsstaat selbst darstellen (und in die Zuständigkeit der Union fallen), insbesondere wenn diese Bewegungen trotz ihrer ultranationalistischen Motivation über die Landesgrenzen hinaus aktiv werden und sich mit Bewegungen ähnlicher Motivation aus anderen Nationen koordinieren (5).

3.7.

Der Schutz und die Unterstützung der Opfer von Menschenhandel wird offenbar von einer effektiven und effizienten Zusammenarbeit bei der Verfolgung der Verantwortlichen dieser Praktiken abhängig gemacht. Das Hauptziel der Arbeit der EU und des Fonds muss jedoch der Schutz der Opfer sein, und dieser darf nicht davon abhängen, ob besser oder schlechter bei der Verfolgung der Verursacher ihres Leids zusammengearbeitet wird.

3.8.

Gleichwohl wird eine ausreichende Bereitstellung von Mitteln aus dem einzurichtenden Fonds sowohl zugunsten der Opfer direkt als auch der Einrichtungen, die zu ihrem Schutz und ihrer Integration beitragen, zweifelsohne auf natürliche Weise zu einer solchen Zusammenarbeit führen und — zumindest mittelfristig — der Verfolgung und der Prävention zugutekommen.

3.9.

Die Prävention von Radikalisierung ist ein wichtiges Kapitel, unter das nicht nur das Spektrum möglicher Radikalisierung in eine bestimmte Richtung (man denke dabei an die verheerendsten Anschläge, die in den letzten Jahren von radikalen islamistischen Gruppen verübt wurden) fallen sollte, sondern auch das Spektrum des politisch-ideologischen Extremismus, das einen ganz anderen Ursprung hat, ein ganz anderes Wachstum aufweist und es auf ganz andere potenzielle Opfer absieht, und dementsprechend ebenfalls einer erhöhten Aufmerksamkeit bedarf.

3.10.

Ein weiteres Kapitel des Vorschlags, zu dem sich der EWSA auch kritisch äußert, sind die „Ergebnisse der Ex-post-Evaluierung, der Konsultation der Interessenträger und der Folgenabschätzung“. Was die Effizienz in Bezug auf die Ziele der eingeführten Instrumente, ihre Kosten, ihren Zweck, ihre Relevanz, ihre Kohärenz und Komplementarität anbelangt, ist die Beurteilung positiv. Allerdings mangelt es an einer Bewertung, ob diese Instrumente neben der Verbesserung der Zusammenarbeit und des Austauschs von Wissen und bewährten Verfahren sowie einer Stärkung des Vertrauens zwischen den Behörden auch zu einer Verbesserung von Aspekten der Grundrechte beigetragen haben. Diesem Gesichtspunkt ist lediglich ein kleiner Absatz, eine redundante Verpflichtung, am Ende von Abschnitt 3 gewidmet.

3.11.

Angesichts des historischen Spannungsfeldes zwischen Sicherheit und Grundrechten müssen mit einem Instrument, wie es hier zur Erhöhung der — unbestritten notwendigen — Sicherheit vorgeschlagen wird, spezifische Ziele zur besseren Achtung der Grundrechte im Rahmen sicherheitsrelevanter Maßnahmen einhergehen. Eine Verbesserung der Sicherheit darf keinesfalls auf Kosten der Grundrechte gehen.

3.12.

Wenn ein Land, unabhängig davon, ob es EU-Mitglied ist oder nicht, nicht nachweist, dass die Handlungen seitens seiner Strafverfolgungsbehörden im Einklang mit den Grundrechten stehen, oder wenn es sich den entsprechenden Schulungsmaßnahmen oder den Mechanismen zur Kontrolle ihrer Handlungen im Sinne dieses Kapitels entzieht, sollte es keine Finanzierung aus dem Fonds erhalten und davon ausgeschlossen werden. Die Einhaltung gewisser Mindeststandards in Bezug auf die Achtung der Menschenrechte sollte eine unabdingbare Voraussetzung für eine Unterstützung seitens der restlichen Mitgliedstaaten der EU sein, egal ob es sich um eine Unterstützung aus diesem Fonds für die innere Sicherheit oder einem anderen Solidaritätsmechanismus handelt.

3.13.

In Bezug auf den Abschnitt „Kohärenz mit der Politik der Union in anderen Bereichen“ möchte der Ausschuss darauf hinweisen, dass die Schaffung von Synergieeffekten und die Herstellung von Kohärenz mit dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, dem Fonds für integriertes Grenzmanagement sowie der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache erforderlich sind. Gerade in diesem Kapitel wurde hinterfragt, ob diese Fonds und diese Agentur in ihren Tätigkeiten dem Ziel der Sicherheit nicht einen zu hohen Stellenwert gegenüber anderen Aufgaben einräumen, die in die Verantwortung aller europäischen Behörden und Stellen fallen, was in direktem Zusammenhang mit dem bereits erhobenen Ruf nach einem stärkeren Engagement steht, das seinen Niederschlag in besseren Garantien für die Einhaltung der Grundrechte findet.

3.14.

Der Fonds ist und sollte offen sein für Kooperationsmaßnahmen mit Drittländern, allerdings sollten die Finanzmittel aus diesem Fonds nicht direkt den Behörden dieser Länder zugewiesen werden, sondern in Projekte und Programme fließen, die gemeinsam von den Behörden der Mitgliedstaaten und der Drittländer durchgeführt werden. Die Zusammenarbeit sollte jedoch unbedingt an die Kontrolle dieser Finanzierung aus Mitteln des Fonds, an die Einhaltung der Menschenrechte seitens der Länder, die von dieser Zusammenarbeit profitieren, und vor allem an den anerkannten öffentlichen Charakter (staatliche Trägerschaft und Leitung) der an der Zusammenarbeit beteiligten Einrichtungen, die diese Finanzierung möglicherweise erhalten, geknüpft sein. Es muss in jedem Fall vermieden werden, dass die Mittel aus dem Fonds unkontrollierten Gruppen oder Gruppierungen zufließen, die unter Umständen sogar eine Gefahr für die Sicherheit in ihren Ländern oder gar für die EU selbst darstellen könnten.

3.15.

Die internationalen Instrumente im Bereich des Seerechts, das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie der übrige gesetzliche Rahmen zum Schutz von Personen, die sich in der schwierigen Situation eines Grenzübertritts auf nicht-konventionellem Wege befinden, zwingen die EU und all ihre Mitglieder dazu, die Seenotrettung zu einem Hauptanliegen ihrer Grenzschutzpolitik zu machen. Dazu zählen die Aufnahme der auf See Geretteten in dem für sie nächstgelegenen Hafen ebenso wie derer, die als blinde Passagiere an Land kommen, die Wahrung ihrer Grundrechte und die Anwendung der Rückkehr- und Rückführungsverfahren einschließlich einer klaren Gewährleistung ihrer Rechte, insbesondere des Rechts auf Anerkennung ihres Flüchtlingsstatus. Der einzurichtende Fonds sollte auch für diese Zwecke bestimmt sein, sowohl durch die Finanzierung des Bedarfs der Länder als auch durch die erwähnte Unterstützung der Zivilgesellschaft.

Brüssel, den 18. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 324 final.

(2)  Artikel 3 Absätze 1 und 2 des Vorschlags.

(3)  Abschlussbericht der hochrangigen Expertengruppe der Kommission zum Thema Radikalisierung (HLCEG-R).

(4)  Seite 3, Begründung des Vorschlags.

(5)  Abschlussbericht der hochrangigen Expertengruppe der Kommission zum Thema Radikalisierung (HLCEG-R); Empfehlungen zu Politikbereichen. 2.5: Ideologie und Polarisierung; in diesem Abschnitt erkennt die Gruppe an, dass dem ansteigenden ultrarechten Extremismus und der starken Tendenz zur Polarisierung in der Gesellschaft ebenfalls Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/194


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung von Erasmus, dem Programm der Union für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1288/2013“

(COM(2018) 367 final — 2018/0191 (COD))

(2019/C 62/32)

Berichterstatterin:

Tatjana BABRAUSKIENĖ

Mitberichterstatterin:

Imse SPRAGG NILSSON

Befassung

Europäisches Parlament, 14.6.2018

Rat, 21.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 165 Absatz 4, Artikel 166 Absatz 4 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

186/3/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA):

1.1.

begrüßt das Ziel des nächsten Erasmus-Programms, den Einzelnen das Wissen, die Fertigkeiten und Kompetenzen zu vermitteln, die sie zur Bewältigung sozialer und wirtschaftlicher Herausforderungen benötigen, wobei das Hauptaugenmerk auf junge europäische Bürgerinnen und Bürger gelegt wird;

1.2.

erwartet, dass die allgemeine und berufliche Bildung im künftigen Erasmus-Programm aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet wird. Dabei sollten Schlüsselkompetenzen (1) und Grundkompetenzen neben ständiger Weiterbildung im Rahmen des lebenslangen Lernens eine entscheidende Rolle spielen und die Validierung und Anerkennung besonders berücksichtigt werden;

1.3.

schlägt vor, die Bezeichnung nicht zu ändern und den Namen „Erasmus+“ beizubehalten, da er verdeutlicht, dass alle Programme unter einem Dach gebündelt sind;

1.4.

begrüßt, dass die Mittelausstattung des Programms verdoppelt werden soll, fordert jedoch ihre Verdreifachung, was ein stärkeres Bekenntnis zur bildungsbezogenen, beruflichen und persönlichen Entwicklung von Menschen in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport zur Gewährleistung von echter Inklusion und Zugänglichkeit für alle zeigen würde;

1.5.

vertritt die Auffassung, dass eine höhere Mittelausstattung mit größerer Flexibilität und Verantwortung auf nationaler Ebene einhergehen sollte;

1.6.

betont, dass benachteiligte Menschen bisher am besten über Maßnahmen im Rahmen des Jugend-Kapitels erreicht wurden und dass dies bei der Zuteilung der Mittel berücksichtigt werden sollte;

1.7.

fordert, dass DiscoverEU nur dann Teil des Programms wird, wenn es um eine starke Lernkomponente erweitert wird;

1.8.

betont, dass die physische Erfahrung nicht durch virtuelle Instrumente verdrängt oder ersetzt werden, sondern diese Instrumente weiterhin ergänzen sollte;

1.9.

ist mit der erhöhten Zahl von Zielen im Bereich Erwachsenenbildung und berufliche Weiterbildung einverstanden und regt an, dass sich der erweiterte Geltungsbereich in der Mittelzuweisung widerspiegeln sollte;

1.10.

ruft dazu auf, der sektorübergreifenden Zusammenarbeit (Leitaktion 2) beim „Ansatz des lebenslangen Lernens“ mehr Beachtung zu widmen und ausreichende Mittel für die Durchführung umfangreicher politischer Projekte zur Verfügung zu stellen;

1.11.

begrüßt die Erhöhung der Mittel für Personal, insbesondere für die Mobilität von Lehrkräften und Ausbildern, um ihre Aus- und Weiterbildung zu unterstützen;

1.12.

begrüßt die positive Absicht, im Rahmen des Programms kleinere Finanzhilfen für diejenigen bereitzustellen, die keine Erfahrung darin haben, Anträge für das Programm zu stellen;

1.13.

empfiehlt, im Kapitel „Jugend“ des neuen Programms „von Freiwilligen geleiteten“ Aktivitäten und Organisationen den Vorrang zu geben, statt mit den Begriffen „groß“ und „klein“ zu arbeiten. Auch Finanzhilfen für europäische Großveranstaltungen für Jugendliche sollten in Betracht gezogen werden;

1.14.

begrüßt außerdem, dass im Vorschlag betont wird, wie wichtig eine unabhängige Prüfstelle ist, um die Leistung der nationalen Agenturen zu bewerten;

1.15.

ist der Ansicht, dass das künftige Programm über Berufsorientierungsdienste in Bildungs- und Berufsbildungseinrichtungen, Arbeitsverwaltungen und anderen Organisationen bekannt gemacht und gefördert werden sollte, um größere Zielgruppen zu erreichen;

1.16.

vertritt die Auffassung, dass im Rahmen des Vorschlags vorgesehen werden sollte, dass Projektergebnisse auf EU-Ebene und EU-weit kommuniziert werden, und dass Projekte, die Exzellenz bewiesen haben, fortgeführt werden;

1.17.

betont die dringende Notwendigkeit eines ständigen Lenkungsausschusses für das Programm sowie die Tatsache, dass darin alle auf EU-Ebene relevanten Interessenträger und Sozialpartner ständig vertreten sein sollten;

1.18.

befürwortet die Jugendaktivitäten. Hierbei handelt es sich um ein Format, das sich im Rahmen von „Jugend in Aktion“ (damals als „Jugendinitiativen“ bekannt) als sehr erfolgreich herausgestellt hat und das es nicht organisierten jungen Menschen ermöglicht, am Programm teilzunehmen.

2.   Einleitung

2.1.

Im Anschluss an das Finanzierungsprogramm der EU zur Förderung der allgemeinen und beruflichen Bildung, von Jugend und Sport — das Programm Erasmus+ (2014-2020) — hat die Europäische Kommission die nächste Generation des Programms unter dem Namen „Erasmus“ als Teil des mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 vorgelegt.

2.2.

Das Vorgängerprogramm Erasmus+ hat in hohem Maße dazu beigetragen, die allgemeine und berufliche Bildung auf europäischer, nationaler, regionaler und lokaler Ebene zu fördern, ein Gefühl der Zugehörigkeit zur EU (die „europäische Identität“ in ihrer gesamten Vielfalt) zu schaffen und das gegenseitige Verständnis, den demokratischen Bürgersinn, die europäische Integration, die soziale Gerechtigkeit, die Integration in den Arbeitsmarkt und folglich auch das Wirtschaftswachstum zu stärken.

2.3.

Die nächste Generation des Programms soll mit der doppelten Mittelausstattung gestärkt, auf eine größere Zahl von Zielgruppen ausgerichtet und inklusiver gestaltet werden sowie kleinere Projekte unterstützen und Organisationen einbinden, die keine Erfahrung darin haben, Anträge für das Programm zu stellen. Das Programm wird sich weiterhin auf Schul-, Berufs-, Weiter-, Hochschul- und Erwachsenenbildung konzentrieren, einschließlich des nichtformalen und informellen Lernens und Freiwilligentätigkeiten, Jugend und Sport, allerdings in einer gestrafften Form, die auf der Zwischenevaluierung und der Konsultation der Interessenträger aufbaut.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass hochwertige allgemeine und berufliche Bildung sowie Lernmobilität allen Menschen offenstehen sollte. Die Unterstützung von Inklusion und Gleichheit als wesentliche Ziele durch das neue Erasmus-Programm ist von entscheidender Bedeutung. Aus Statistiken geht hervor, dass gegenwärtig die Mehrheit der Studierenden, die an Mobilitätsprogrammen teilnehmen, einen privilegierten sozioökonomischen Hintergrund hat und aus Akademikerfamilien stammt (2). 2016 nannten 63 % der nicht mobilen Studierenden unzureichende Erasmus-Stipendien für ein Auslandsstudium und hohe Lebenshaltungskosten bei einem Auslandsaufenthalt als die größten Hindernisse für die Teilnahme an einem Erasmus-Austauschprogramm auf Hochschulebene (3). Die begrenzte finanzielle Unterstützung im Rahmen des Programms hat zu deutlichen Unterschieden bei der Inanspruchnahme in Abhängigkeit des sozioökonomischen Hintergrunds der Studierenden geführt.

3.2.

Das nächste Erasmus-Programm ist wesentlich, um gegenseitiges Verständnis, ein Zugehörigkeitsgefühl zur EU sowie die Fertigkeiten und Kompetenzen junger Menschen zu verbessern und sie so in die Lage zu versetzen, als demokratische Bürger zu handeln und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Es trägt entscheidend dazu bei, die Inklusion und die gemeinsamen europäischen Werte zu unterstützen, die soziale Integration zu fördern, das interkulturelle Verständnis zu verbessern und der Radikalisierung durch die Teilhabe junger Menschen an demokratischen Prozessen vorzubeugen, und zwar mithilfe der Lernmobilität und der Zusammenarbeit zwischen europäischen Bürgern, Bildungs- und Berufsbildungseinrichtungen, Organisationen, Interessenträgern und Mitgliedstaaten. All diese Aspekte sind für die Zukunft Europas von herausragender Bedeutung.

3.3.

Der EWSA begrüßt das Ziel des nächsten Erasmus-Programms, junge europäische Bürgerinnen und Bürger als künftige Begünstigte mit dem Wissen, den Fertigkeiten und Kompetenzen auszustatten, die sie für die Teilhabe am sich ständig verändernden Arbeitsmarkt sowie für die Bewältigung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Herausforderungen benötigen. Dies setzt voraus, dass die Bildungssysteme moderner, zugänglicher und an das digitale Zeitalter angepasst gestaltet werden und dass die Lernenden besser auf ihre Rolle als demokratisch aktive Bürger und fähige Bewerber für hochwertige und faire Arbeitsplätze vorbereitet werden.

3.4.

Der EWSA erwartet, dass die allgemeine und berufliche Bildung im künftigen Erasmus-Programm aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet wird, wobei Schlüsselkompetenzen und Grundkompetenzen (insbesondere die sog. „STEAM“ (4)) neben ständiger Weiterbildung im Rahmen des lebenslangen Lernens eine entscheidende Rolle spielen sollten. Insbesondere sind der demokratische Bürgersinn und die gemeinsamen europäischen Werte zu fördern, um für Frieden, Sicherheit, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und gegenseitigen Respekt zu sorgen, und zu offenen Märkten, nachhaltigem Wachstum, sozialer Inklusion und Gerechtigkeit beizutragen, und gleichzeitig das Zugehörigkeitsgefühl und die kulturelle Vielfalt zu respektieren und zu stärken.

3.5.

In Bezug auf das politische Ziel begrüßt der EWSA, dass die Verordnung auf der europäischen Säule sozialer Rechte beruht. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass das zukünftige Erasmus-Programm als Instrument zur Umsetzung des ersten Grundsatzes der Säule dienen sollte, um das Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form für alle zu garantieren.

3.6.

Der EWSA begrüßt außerdem, dass die Verordnung auf der Charta der Grundrechte der EU (5) basiert, um das Recht auf Gleichbehandlung und den Zugang für alle sicherzustellen. Der EWSA fordert, in der endgültigen Verordnung noch stärker hervorzuheben, dass Gleichbehandlung, Gerechtigkeit und das Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen für das gesamte Programm gelten und durch das Programm gestärkt werden sollten.

3.7.

Auch wenn „Menschen mit Behinderungen und Migranten, sowie […] in abgelegenen Gebieten lebende Unionsbürger“ im Rahmen des neuen Erasmus-Programms berücksichtigt werden, fordert der EWSA, im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (6) eine spezifische persönliche und finanzielle Unterstützung für Menschen mit Behinderungen in der Mittelausstattung sicherzustellen.

3.8.

Außerdem ist eine verstärkte finanzielle Unterstützung für alle jungen Menschen erforderlich, um ihre Lernmobilität und damit die Inklusion von Menschen mit einem sozioökonomisch benachteiligten Hintergrund, einschließlich kürzlich angekommener Migranten, in die Gesellschaft zu fördern und ihnen zusätzliche Möglichkeiten des Zugangs zu hochwertiger allgemeiner und beruflicher Bildung zu geben.

3.9.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Charta der Grundrechte der EU die Gleichbehandlung aller Menschen und nicht nur von EU-Bürgern vorsieht, benötigen auch Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber Unterstützung bei der Anerkennung ihres Bildungs- und Ausbildungsniveaus sowie Weiterqualifizierungsmaßnahmen, sodass sie in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt der EU integriert werden können.

3.10.

Der EWSA begrüßt, dass ein Schwerpunkt des neuen Erasmus-Programms auf der Umsetzung der Erklärung von Paris zur Förderung von politischer Bildung und der gemeinsamen Werte von Freiheit, Toleranz und Nichtdiskriminierung durch Bildung  (7) liegen wird, da die Prävention von Extremismus und Radikalisierung in Europa heute wichtiger ist denn je.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA betont, dass das Programm die politischen Ziele und Maßnahmen der Mitgliedstaaten und der Union ergänzen muss. Zu den politischen Zielen des Programms sollte es gehören, den europäischen Bildungsraum, die EU-Jugendstrategie und den künftigen strategischen Rahmen für die allgemeine und berufliche Bildung einschließlich seiner Unterbereiche umzusetzen. Außerdem sollte klargestellt werden, wie das Programm die Mitgliedstaaten, die Sozialpartner und weitere Interessenträger bei der Erreichung der Indikatoren und Richtwerte dieser künftigen Strategien unterstützen wird.

4.2.

Der EWSA fordert, die Mittelausstattung für Erasmus zu verdreifachen, da hierdurch ein stärkeres Bekenntnis zu Lernmobilität und der Notwendigkeit zum Ausdruck käme, in den sozialen Zusammenhalt, europäische Werte, Integration und Bürgersinn zu investieren. Das neue Erasmus-Programm wird zusätzliche politische Zielsetzungen abdecken müssen, so wie oben erwähnt. Die politischen Entscheidungsträger müssen sicherstellen, dass dies nicht wie bei Vorgängerprogrammen bei Teilen des Programms unannehmbar niedrige Erfolgsquoten zur Folge hat.

4.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das nächste Erasmus-Programm andere Fonds und Programme der EU ergänzen muss, insbesondere den künftigen ESF+. Der EWSA betont gleichzeitig, dass die nationalen Haushalte für die allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport für sich tragfähig sein müssen und dass die Mittel des Erasmus-Programms nicht dafür genutzt werden dürfen, hier eventuelle Investitionslöcher zu stopfen. Das Europäische Semester sollte weiterhin aktiv dazu beitragen, dass nationale Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung und in das lebenslange Lernen gerecht und tragfähig sind.

4.4.

Der EWSA erachtet es als äußerst wichtig, dass mit der Mittelausstattung des nächsten Erasmus-Programms die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten gestärkt wird, um ihre Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung im Einklang mit demokratisch vereinbarten politischen Zielen und Maßnahmen zu verbessern, die vom Rat und dem Europäischen Parlament im Einvernehmen mit den Sozialpartnern und dem EWSA erörtert und festgelegt wurden. Eine höhere Mittelausstattung sollte mit größerer Flexibilität und Verantwortung auf nationaler Ebene einhergehen. Dies gilt auch für inhaltliche Ziele — beispielsweise Änderungen, die vorgenommen werden, um das Programm an aktuelle und künftige politische und sozioökonomische Entwicklungen in Europa anzupassen.

4.5.

Der EWSA begrüßt, dass gemäß dem Vorschlag der Kommission auch Drittländer die Möglichkeit haben werden, an dem Programm teilzunehmen, und sieht hierin eine Chance für eine weitere Internationalisierung sowie die Gelegenheit, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Bildungseinrichtungen sowie Jugend- und Sportorganisationen weltweit zu stärken. So erhalten junge Menschen in Partnerländern bzw. in Europa verstärkt die Möglichkeit, in Europa bzw. in Drittländern zu lernen und zu studieren. Für diese Teilnehmer bedarf es eines einfacheren Zugangs sowie ausreichender administrativer, finanzieller und sozialer Unterstützung, um die europäische Bildung auf der globalen Bildungsbühne zu etablieren.

4.6.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass Instrumente für die virtuelle Zusammenarbeit verstärkt berücksichtigt werden, und teilt die Ansicht, dass Möglichkeiten wie die der gemischten Mobilität, die im Vorschlag hervorgehoben werden, ideal sind, um den Zugang für Gruppen zu erleichtern, deren physische Mobilität in besonderem Maße eingeschränkt ist, wie etwa Menschen, die in abgelegenen Gebieten leben, sich um eine Familie kümmern oder eine Behinderung haben. Diese Instrumente können die transnationale Zusammenarbeit und Kommunikation stärken und dazu beitragen, künftige Teilnehmer vorzubereiten und anzuleiten. Der EWSA betont jedoch, dass virtuelle Instrumente die physische Erfahrung nicht ersetzen dürfen und weiterhin als ergänzend zu betrachten sind. Investitionen in eine hochwertige physische Mobilität müssen Priorität haben.

4.7.

Der EWSA regt an, in dem Vorschlag auf bürokratische Hürden einzugehen, die entstehen können, wenn Gruppen von Lernenden unterschiedlicher Nationalität und mit unterschiedlichem Status an einer Mobilitätsinitiative teilnehmen möchten; dies gilt insbesondere, wenn das Zielland ein Drittstaat ist (z. B. verschiedene Visumpflichten oder Zugangsbeschränkungen für bestimmte Staatsangehörigkeiten).

4.8.

Der EWSA hält den Namen des Programms für maßgeblich. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Öffentlichkeit ein klares Verständnis davon hat, was mit dem Programm unterstützt wird, und dass es alle Bildungsphasen und Lernformen, nicht nur das Hochschulstudium, abdeckt, da die Hälfte der Erasmus-Mittel in die Förderung der allgemeinen und beruflichen Bildung und der Erwachsenenbildung sowie von Jugend- und Sportaktivitäten fließt, um jungen Menschen und Personal einen Auslandsaufenthalt zu ermöglichen. Der EWSA befürchtet, dass die Streichung des Zeichens „+“ (das zum Ausdruck bringt, dass alle Programme unter einem Dach gebündelt sind) aus dem Namen dazu führen wird, dass Akteure außerhalb der Hochschulbildung „verloren gehen“. Der EWSA schlägt deshalb vor, am Namen „Erasmus+“ festzuhalten.

4.9.

Der EWSA ist mit der erhöhten Zahl von Zielen im Bereich der Erwachsenenbildung und der beruflichen Weiterbildung einverstanden und regt an, dass sich der erweiterte Geltungsbereich in der Mittelzuweisung widerspiegeln sollte. Der EWSA weist darauf hin, dass die Erwachsenenbildung auch auf sozioökonomisch benachteiligte Menschen (darunter auch Flüchtlinge) abzielt. Der EWSA ist deshalb besorgt darüber, dass für die Erwachsenenbildung und die Unterstützung für gering qualifizierte Erwachsene erneut nur der geringste Anteil der Mittel vorgesehen ist. Der EWSA bezweifelt, dass dieser Betrag, zusammen mit den künftigen Mitteln aus dem ESF+, ausreichen wird, um die 70 Mio. gering qualifizierten Erwachsenen dabei zu unterstützen, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ihren Arbeitsplatz zu sichern und den Übergang zwischen zwei Stellen zu meistern.

4.10.

Der EWSA begrüßt zwar, dass die Mittel für die berufliche Weiterbildung erhöht wurden, weist aber darauf hin, dass keine besonderen Maßnahmen geplant sind, um die Qualität, Attraktivität, Zugänglichkeit und Inklusivität der beruflichen Weiterbildung zu verbessern. Gleichzeitig muss die Mobilität von Personen, die sich in der beruflichen Ausbildung befinden, sowie von Auszubildenden verbessert werden (nur 1 % der europäischen Auszubildenden entscheidet sich derzeit für einen Auslandsaufenthalt im Rahmen ihrer Ausbildung — das Ziel bis 2020 liegt bei 6 % (8)), und zwar im Einklang mit der Empfehlung des Rates für einen europäischen Rahmen für eine hochwertige und nachhaltige Lehrlingsausbildung (9), dem Europäischen Leistungspunktesystem für die Berufsbildung (ECVET) und dem europäischen Bezugsrahmen für die Qualitätssicherung in der Berufsbildung (EQAVET).

4.11.

Der EWSA fragt sich, wie der „Ansatz des lebenslangen Lernens“ in die Praxis umgesetzt wird, und vertritt die Ansicht, dass der Schwerpunkt verstärkt auf die sektorübergreifende Zusammenarbeit (Leitaktion 2) gelegt werden sollte, wobei ausreichende Mittel für die Umsetzung umfangreicher politischer Projekte bereitzustellen sind, da der Informationsbericht des EWSA zu Erasmus+ (10) zeigt, dass diese sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene über ein hohes Potenzial verfügen.

4.12.

Der EWSA begrüßt auch die Erhöhung von Mitteln für Personal, insbesondere für die Mobilität von Lehrkräften und Ausbildern, um ihre berufliche Erstausbildung und Weiterbildung zu unterstützen. Die Mobilität von Lehrkräften, Ausbildern und weiterem (Bildungs-)Personal ist wesentlich, um die Qualität der allgemeinen und beruflichen Bildung zu verbessern. Damit werden auch die wichtige internationale Zusammenarbeit zwischen Bildungseinrichtungen und anderen Organisationen sowie ihre Internationalisierung gefördert. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass im Rahmen des Vorschlags mehr Unterstützung für Lehrkräfte, Ausbilder, weiteres (Bildungs-)Personal, Universitätsprofessoren und Wissenschaftler vorgesehen werden könnte, die während eines Mobilitätszeitraums an ihrem Arbeitsplatz ersetzt werden müssen. Ihr Sprachenlernen sollte unterstützt werden, und ihre mobilitätsbedingte Abwesenheit sollte als Teil ihrer Arbeit betrachtet und als Aspekt ihrer weiteren persönlichen und beruflichen Entwicklung anerkannt werden.

4.13.

Der EWSA ist der Ansicht, dass das nächste Erasmus-Programm über Berufsorientierungsdienste in Bildungs- und Berufsbildungseinrichtungen und Arbeitsverwaltungen bekannt gemacht und gefördert sowie verstärkt durch Medienkampagnen unterstützt werden sollte, um größere Zielgruppen zu erreichen.

4.14.

Der EWSA schlägt vor, in der Verordnung darauf hinzuweisen, dass es wichtig ist, die Mittelzuweisung und die Gewährung konkreter Finanzhilfen an strenge Qualitätskontrollverfahren und eine Beschreibung der Lernergebnisse zu knüpfen. In dem Vorschlag sollte auch besonderes Augenmerk auf die Validierung und Anerkennung der allgemeinen und beruflichen Bildung im Ausland und über Online-Medien gelegt werden. Somit sollte im Vorschlag auf die Empfehlung des Rates zur Validierung nichtformalen und informellen Lernens (11), den europäischen Rahmen für eine hochwertige und nachhaltige Lehrlingsausbildung (12), den Bologna-Prozess und seine grundlegenden Werte und die nationalen Leistungspunktesysteme, europäische Werkzeuge und Instrumente wie den Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR), das Europäische Register für Qualitätssicherung in der Hochschulbildung (EQAR), ECVET und EQAVET hingewiesen werden.

4.15.

Der EWSA ist der Ansicht, dass das Programm Erasmus+ wesentlich ist, um die Bemühungen und die tägliche Arbeit von Jugendorganisationen zu fördern, insbesondere was das nichtformale und informelle Lernen und die Entwicklung der Jugendarbeit betrifft. Der EWSA begrüßt daher den Vorschlag, dass das Jugend-Kapitel im künftigen Programm weiterhin einen separaten Bereich bilden soll. Der EWSA ist dennoch der Ansicht, dass die Maßnahmen im Rahmen des Jugend-Kapitels entscheidend sind, um mehr und insbesondere benachteiligte junge Menschen zu erreichen. In der Zwischenevaluierung des laufenden Programms wurde festgestellt, dass junge Menschen mit geringeren Chancen am besten über Maßnahmen im Rahmen des Jugend-Kapitels erreicht wurden, bei denen auf inklusive und informelle Lernansätze gesetzt wurde. Dies sollte bei der Verteilung der Mittel auf die einzelnen Kapitel beachtet werden. Das Jugend-Kapitel sollte entsprechend Zugang zu besserer Finanzierung haben. Auch Finanzhilfen für europäische Großveranstaltungen für Jugendliche (mit einer Unterstützung „pro Veranstaltung“ anstatt „pro Teilnehmer“) sollten erwogen werden, da dadurch wesentlich mehr junge Menschen im Rahmen von Erasmus+ erreicht würden.

4.16.

Der Europäische Freiwilligendienst — ein wichtiger Bestandteil des Vorgängerprogramms Erasmus+ — wurde aus dem Programm gestrichen. Da die Maßnahmen jetzt unter das Europäische Solidaritätskorps und nicht mehr unter Erasmus+ fallen sollen, sollte die Verbindung zwischen den beiden Programmen weiter gestärkt und klarer gestaltet werden.

4.17.

Der EWSA bemängelt die fehlenden Bildungskomponenten im Rahmen von DiscoverEU. Mobilität und eine starke Lernkomponente machen das Programm Erasmus+ aus. Fehlen diese Komponenten, fällt es nicht unter Erasmus+. Der EWSA begrüßt zwar, dass junge Menschen dabei unterstützt werden, den europäischen Kontinent zu bereisen, da sie auf diese Weise mehr über die verschiedenen Länder, Völker, Sprachen, Kulturen usw. erfahren. Jedoch scheint DiscoverEU eine Initiative zu sein, die hauptsächlich privilegierten jungen Menschen zugutekommt. Es deckt lediglich die Reisekosten ab und grenzt entsprechend benachteiligte junge Menschen aus, die sich das Reisen nicht leisten können. Darüber hinaus müsste näher erläutert werden, welche Rolle die Jugendorganisationen bei der Umsetzung dieser Maßnahme spielen sollen. Um diese Initiative wirklich sinnvoll und nutzbringend zu gestalten, muss eine Bildungskomponente aufgenommen und die Zielgruppe auf alle jungen Menschen erweitert werden.

4.18.

Es ist insbesondere notwendig, im nächsten Erasmus-Programm die Projektanträge zu vereinfachen und zu straffen. Gemäß dem Informationsbericht des EWSA zur Halbzeitbewertung von Erasmus+ (13) und Studien der Sozialpartner (14) wurden Organisationen aller Größen und Typen und aus allen geografischen Gebieten und Regionen der EU nicht angemessen einbezogen. Der EWSA begrüßt daher die positive Absicht, kleinere Finanzhilfen für diejenigen bereitzustellen, die keine Erfahrung darin haben, Anträge für das Programm zu stellen. Durch Vereinfachung muss jedoch Missmanagement vorgebeugt werden. Der EWSA begrüßt daher, dass im Vorschlag die Bedeutung einer unabhängigen Prüfstelle hervorgehoben wird, die die Leistung der nationalen Agenturen bewerten soll.

4.19.

Im Kapitel „Jugend“ entspricht die vorgeschlagene Terminologie von „kleinen“ gegenüber „großen“ Organisationen nicht der Realität der Begünstigten. Stattdessen empfiehlt der EWSA, im neuen Programm den „von Freiwilligen geleiteten“ Aktivitäten und Organisationen Vorrang zu geben, bei denen junge Menschen eine Schlüsselrolle bei der Steuerung ihrer eigenen bildungsbezogenen Entwicklung einnehmen. Zudem sollten lokale Jugendgruppen ungeachtet ihrer nationalen Rechtsform die Möglichkeit erhalten, sich als unabhängige Jugendgruppe als Begünstigte zu registrieren. Die lokalen Jugendgruppen sollten von ihren jeweiligen nationalen Agenturen die Betreuung erhalten, die sie benötigen. Dies würde dazu beitragen, die Mittel zu den Initiativen der Jugendlichen selbst zu lenken und das Risiko verringern, dass ein Großteil der Fördermittel an Unternehmer fließt, wie das leider im Rahmen des derzeitigen Programms der Fall war und während der Konsultationen des EWSA zur Halbzeitbewertung kritisiert wurde.

4.20.

Auch die Verbreitung und Nachhaltigkeit der Projekte sind sehr wichtig. Der Vorschlag sollte dazu beitragen, Projektergebnisse angemessen bekannt zu machen, Projekte, die sich als herausragend erwiesen haben, fortzusetzen und Projektergebnisse auf EU-Ebene und EU-weit koordiniert zu verbreiten.

4.21.

Dem formalen und nichtformalen Bildungssektor sollten gleich große Beiträge zu den Betriebskosten angeboten werden. Dies würde die Komplementarität stärken und den nichtformalen Bildungssektor in die Lage versetzen, attraktive hochwertige Programme anzubieten. Darüber hinaus sollte der Betriebskostenbeitrag im Verhältnis zur Wirkung mit Blick auf die Prioritäten des Programms sowie zu den Betriebskosten der europäischen Plattformen stehen.

4.22.

Darüber hinaus sollte es nach Auffassung des EWSA beim nächsten Programm möglich sein, Anträge im Rahmen von Projekten auf europäischer Ebene nicht über nationale Agenturen, sondern über eine zentrale Stelle einzureichen. Dies würde einen besseren Zugang für europäische Netze und Organisationen gewährleisten und einer Doppelförderung von parallelen Projekten entgegenwirken.

4.23.

Der EWSA betont, dass das künftige Programm einer demokratischen Steuerung unterliegen muss, da es über finanzielle Beiträge der EU-Bürger finanziert wird, und unterstreicht die absolute Notwendigkeit eines ständigen Lenkungsausschusses für das Programm, der sämtlichen auf EU-Ebene relevanten Interessenträgern und Sozialpartnern anstelle eines „Beobachterstatus auf Ad-hoc-Basis“ eine ständige Vertretung ermöglicht.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Empfehlung des Rates vom 22. Mai 2018 zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen. Schlüsselkompetenzen sind definiert als: Lese- und Schreibkompetenz und Mehrsprachenkompetenz; mathematische Kompetenz sowie Kompetenz in Naturwissenschaften, Informatik und Technik; digitale Kompetenz; persönliche, soziale und Lernkompetenz; Bürgerkompetenz; unternehmerische Kompetenz; sowie Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit. Dies umfasst auch eine umfassende Liste von Werten, Fertigkeiten und Einstellungen für eine angemessene Teilhabe an demokratischen Gesellschaften.

(2)  Im Rahmen der Studie zur Wirkung des Erasmus-Programms (2014) gaben fast zwei Drittel der Studierenden an, mindestens einen Elternteil zu haben, der als Führungs- oder Fachkraft oder im Technikbereich tätig ist.

(3)  What are the obstacles to student mobility during the decision and planning phase? Intelligence Brief Nr. 02 (2016) http://www.eurostudent.eu/download_files/documents/EV_IB_mobility_obstacles.pdf

(4)  STEAM = Science, Technology, Engineering, Arts und Mathematics (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik plus Geisteswissenschaften).

(5)  http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf

(6)  http://www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar61106-dbgbl.pdf

(7)  http://ec.europa.eu/dgs/education_culture/repository/education/news/2015/documents/citizenship-education-declaration_de.pdf

(8)  http://www.institutdelors.eu/wp-content/uploads/2018/01/extendingerasmus-fernandesbertoncini-june2017.pdf?pdf=ok

(9)  http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2018/03/15/quality-and-effective-apprenticeships-council-adopts-european-framework/

(10)  https://www.eesc.europa.eu/en/our-work/opinions-information-reports/information-reports/erasmus-mid-term-evaluation

(11)  https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32012H1222(01)&from=DE

(12)  http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2018/03/15/quality-and-effective-apprenticeships-council-adopts-european-framework/

(13)  https://www.eesc.europa.eu/en/our-work/opinions-information-reports/information-reports/erasmus-mid-term-evaluation

(14)  ETUC — ETUCE — CEEP — EFEE: Investment in Education, 2017 https://www.etuc.org/sites/default/files/publication/files/investment_in_education_and_training_-etuc_-ceep.pdf


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/201


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms für das Europäische Solidaritätskorps und zur Aufhebung der [Verordnung über das Europäische Solidaritätskorps] und der Verordnung (EU) Nr. 375/2014“

(COM(2018) 440 final — 2018/0230 (COD))

(2019/C 62/33)

Berichterstatter:

Michael McLOUGHLIN

Befassung

Europäisches Parlament, 2.7.2018

Rat der Europäischen Union, 10.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 165 Absatz 4, Artikel 166 Absatz 4, Artikel 214 Absatz 5 und Artikel 294 AEUV

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

26.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

184/1/3…

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Initiative zur Neugestaltung des Europäischen Solidaritätskorps (im Folgenden kurz ESK), bei der eine Aufstockung der Haushaltsmittel vorgesehen ist und eine stärkere Beteiligung angestrebt wird.

1.2.

Wir begrüßen die umfassende neue Rechtsgrundlage für das ESK, die Schaffung eines eigenen Haushalts sowie die Zusammenführung mit der EU-Freiwilligeninitiative für humanitäre Hilfe (1).

1.3.

Es bedarf einer neuen umfassenden EU-Freiwilligenpolitik, in deren Rahmen alle relevanten Fragen angegangen und die Mitgliedstaaten auch über das Konzept des ESK hinaus eingebunden werden.

1.4.

Wir begrüßen, dass prioritär Mittel für den Freiwilligenbereich bereitgestellt werden, und sind der Auffassung, dass dieser Schwerpunkt beibehalten werden sollte.

1.5.

Künftig muss die EU zwei unabhängige Förderprogramme entwickeln — eines für die Jugend und ein zweites für die Freiwilligentätigkeit, wobei einige Überschneidungen in Kauf zu nehmen sind.

1.6.

Insbesondere muss sichergestellt werden, dass sich die außenpolitischen Prioritäten der EU — vor allem die „härteren“ Maßnahmen in diesem Bereich — nach der Zusammenlegung mit der EU-Freiwilligeninitiative für humanitäre Hilfe nicht auf das ESK auswirken.

1.7.

Es gilt, zeitgerecht belastbare Statistiken — darunter auch zu den Auswirkungen der Maßnahmen des ESK auf die jeweiligen Gemeinschaften — zu erstellen, um die Evaluierung und die Beschlussfassung zum ESK zu stützen, wobei diese auch dann öffentlich zugänglich sein sollten, wenn sie negativ ausfallen.

1.8.

Der Bereich Beschäftigung muss strikt reguliert und regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass die in diesem Zusammenhang eingegangenen Verpflichtungen eingehalten werden.

1.9.

Im Einklang mit dem Konzept des lebenslangen Lernens sollte es für das ESK keine Altersbeschränkungen geben, da es die Freiwilligentätigkeit fördern soll.

1.10.

Wir bekräftigen unseren Standpunkt, wonach das ESK auf den gemeinnützigen Sektor beschränkt sein sollte — und zwar ganz unabhängig davon, wer die Projekte umsetzt.

1.11.

Der Austausch bewährter Vorgehensweisen aus dem Freiwilligenbereich muss erleichtert und schwerpunktmäßig gefördert werden. Dabei gilt es, auch die EU-Mitgliedstaaten einzubinden, um alle relevanten Informationen zusammenzutragen und die Weiterentwicklung der Politik in diesem Bereich vorantreiben zu können.

1.12.

Die nationalen Agenturen sollten stärkere Unterstützung für den Bereich Beschäftigung und bei Fragen im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt erhalten.

1.13.

Die Schlüsseldokumente zur Sicherstellung einer fairen Behandlung von Praktikantinnen und Praktikanten sollten genutzt und die weiteren in dieser Stellungnahme skizzierten Maßnahmen umgesetzt und im Rahmen der Bewertung des ESK evaluiert werden.

1.14.

Die wichtigsten Plattformen der Zivilgesellschaft in dem Bereich (Europäisches Jugendforum und European Volunteering Centre) sollten maßgeblich in die Regulierung und Aufsicht über das ESK eingebunden werden.

1.15.

Die Vereinfachung und Straffung des Programms sind begrüßenswert.

1.16.

Die EU muss zeigen, dass sie bereit ist, neben dem ESK auch in andere Formen und Typen von Freiwilligentätigkeit zu investieren.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Europäische Kommission schlägt vor, im Zeitraum von 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2027 insgesamt Mittel in Höhe von 1,26 Mrd. EUR zu laufenden Preisen bereitzustellen. Damit könnten zusätzlich zu der von der Kommission bis Ende 2020 unterstützten Teilnahme von 100 000 Personen im Zeitraum 2021-2017 weitere 350 000 junge Menschen am ESK teilnehmen.

2.2.

Angesichts des vorhandenen Potenzials für eine weitere Stärkung der Solidarität mit Opfern von Krisen und Katastrophen in Drittländern ist im Vorschlag eine Ausweitung des Geltungsbereichs des ESK auf humanitäre Hilfsmaßnahmen in Drittstaaten vorgesehen, darunter auch in den Nachbarländern der Gebiete in äußerster Randlage der EU.

2.3.

Ziel des ESK ist es, das Engagement von jungen Menschen und Organisationen im Rahmen von leicht zugänglichen, hochwertigen solidarischen Tätigkeiten zu stärken. Es ist ein Instrument zur Stärkung des Zusammenhalts, der Solidarität und der Demokratie in Europa und in Drittstaaten, mit dem gesellschaftliche und humanitäre Herausforderungen vor Ort angegangen werden können, wobei der Schwerpunkt insbesondere auf der sozialen Inklusion liegt.

2.4.

Das ESK ermöglicht es den Teilnehmern, ihre Qualifikationen zu verbessern und in der Praxis anzuwenden, und erleichtert so ihre Integration in den Arbeitsmarkt.

2.5.

Im Rahmen des Programms werden sowohl Aktivitäten geboten, die in einem anderen Land als dem Wohnsitzland der Teilnehmer stattfinden (grenzüberschreitende Aktivitäten und Freiwilligentätigkeit zur Unterstützung humanitärer Hilfe), als auch Aktivitäten im Wohnsitzland der Teilnehmer (inländische Tätigkeiten). Für die Umsetzung des Programms sind zwei Aktionsbereiche vorgesehen:

Aktionsbereich 1: „Beteiligung junger Menschen an solidarischen Tätigkeiten zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen“ — diese Maßnahmen sollen insbesondere zur Stärkung des Zusammenhalts, der Solidarität und der Demokratie in der EU und darüber hinaus und gleichzeitig zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen, wobei insbesondere die soziale Inklusion gefördert werden soll.

Aktionsbereich 2: Beteiligung junger Menschen an solidarischen Maßnahmen im Bereich der humanitären Hilfe („Europäisches Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe“) — diese Maßnahmen sollen insbesondere dazu beitragen, bedarfsgerechte humanitäre Hilfe zur Rettung von Menschenleben, Vermeidung und Linderung menschlichen Leids und Wahrung der Menschenwürde zu leisten sowie die Kapazitäten und die Resilienz besonders schutzbedürftiger oder von Katastrophen betroffener Gemeinschaften zu stärken.

2.6.

Alle öffentlichen oder privaten Einrichtungen mit Sitz in einem Teilnahmeland sowie internationale Organisationen können eine Finanzierung im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps beantragen. Um im Rahmen des ESK Förderungen erhalten bzw. eigenfinanzierte Maßnahmen durchführen zu können, müssen die teilnehmenden Organisationen zunächst ein Qualitätssiegel erlangen.

2.7.

Besondere Aufmerksamkeit soll darauf verwandt werden, sicherzustellen, dass die vom ESK unterstützten Tätigkeiten für alle jungen Menschen zugänglich sind, insbesondere auch für die am stärksten benachteiligten. Daher sollen besondere Maßnahmen ergriffen werden, mit denen die soziale Inklusion sowie die Teilnahme benachteiligter junger Menschen gefördert und die Probleme berücksichtigt werden, die sich aus der Randlage einiger ländlicher Gebiete und der abgelegensten Gebiete der Union sowie der überseeischen Länder und Gebiete ergeben.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Wir begrüßen die Initiative zur Neugestaltung des ESK, bei der die Haushaltsmittel aufgestockt werden und eine stärkere Beteiligung angestrebt wird. Wir sind jedoch der Auffassung, dass noch einige Fragen offen sind — viele davon wurden bereits in unserer früheren Stellungnahme (2) zu diesem Thema angesprochen. Außerdem gibt es einige weitere Entwicklungen und mögliche Probleme im Zusammenhang mit der Zusammenlegung mit der EU-Freiwilligeninitiative für humanitäre Hilfe, im Zuge derer der Bereich der Freiwilligentätigkeit auf die Länder der Nachbarschaftspolitik, die Heranführungsländer sowie die EU-Regionen in äußerster Randlage ausgeweitet werden soll.

3.2.

In dieser Stellungnahme wird vor allem auf das eingegangen, was an dem jüngsten Vorschlag neu oder innovativ ist. In der jüngsten Mitteilung werden eine umfassende neue Rechtsgrundlage für das ESK und ein eigener Haushalt geschaffen. Zudem wird die Zusammenführung mit der EU-Freiwilligeninitiative für humanitäre Hilfe vollzogen. Die bisher acht Teilbereiche des ESK werden nach Maßgabe der Vorschläge zu einer einzigen Einheit verschmolzen, was begrüßenswert ist.

3.3.

In unserer früheren Stellungnahme zum ESK (3) wurde eine Reihe von Forderungen erhoben, die unserer Ansicht nach noch immer Gültigkeit besitzen. Da vielen davon nicht Folge geleistet wurde, müssen einige erneut erhoben werden; in Bezug auf andere braucht es wiederum Systeme und Strukturen, damit nicht das eintritt, wovor wir damals gewarnt haben. Einige dieser Forderungen betreffen:

die Gewährleistung der Qualitätskontrolle für Teilnehmer des ESK,

die Gewährleistung der Qualitätskontrolle für die Projekte und die Mitglieder der örtlichen Gemeinschaften,

die Rolle von Online-Ressourcen zur Unterstützung von Freiwilligen,

die Frage „frischen Geldes“,

die Rolle von nicht-gemeinnützigen Organisationen,

die Definition des Begriffs „Freiwilligentätigkeit“,

die Rolle von Jugendorganisationen,

die Notwendigkeit, die Teilnehmer bei der Vorbereitung auf die Beteiligung am ESK zu unterstützen,

die Unterstützung und die Folgemaßnahmen, die dazu beitragen, dass das Engagement für den ESK mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu lebenslanger Freiwilligentätigkeit und anderen Tätigkeiten führt, die Ausdruck von Solidarität sind.

3.4.

Es ist uns wichtig, dass relevante Organisationen der Zivilgesellschaft wie das Europäische Jugendforum und das European Volunteering Centre formell in das Gremium zur Überwachung des ESK eingebunden werden, um sicherzustellen, dass die Zivilgesellschaft gehört wird und Rückmeldungen von der Basis und von den Teilnehmern des Programms bei der Verwaltung des Programms berücksichtigt werden.

3.5.

Auch kommt es darauf an, die Zusammenführung mit der EU-Freiwilligeninitiative für humanitäre Hilfe zu prüfen. Dabei handelt es sich um eine gänzlich andere Art von Tätigkeit. Zur Vereinfachung und Straffung des Prozesses kann sicherlich viel gesagt werden, aber die Entwicklungen im Zusammenhang mit Kultur, Macht und Projektarten werfen verschiedene konkrete Fragen auf. Dieser Herausforderung wird in dem Vorschlag Rechnung getragen. Wichtig ist, hier nicht aus rein verwaltungstechnischen Gründen überhastet vorzugehen.

3.6.

Die EU-Freiwilligeninitiative für humanitäre Hilfe ist ein relativ kleines Programm, dennoch konnten nicht nur junge Menschen angesprochen werden, was in dem Vorschlag unerwähnt bleibt. In der externen Evaluierung der EU-Freiwilligeninitiative für humanitäre Hilfe wurde darauf hingewiesen, dass es bei diesem Programm eine europäische Norm für das Management von Freiwilligentätigkeiten gab, und dieses Wissen bzw. derartige Systeme sollten im ESK nicht verloren gehen.

3.7.

Die Daten vom ESK-Portal (4) müssen ausgewertet werden, um schon in der ersten Betriebsphase mit einer Wirkungsanalyse zu beginnen. Evaluierungs- und Feedbacksystemen kommt hier entscheidende Bedeutung zu. Darüber hinaus sollte dafür gesorgt werden, dass sowohl die Teilnehmer als auch weitere Interessenträger Zugang zu formellen Compliance-Systemen haben, etwa zum Europäischen Ombudsmann.

3.8.   Unterstützung von Freiwilligentätigkeit

3.8.1.

Die Unterstützung von Freiwilligentätigkeit kann vielfältige Formen annehmen, wobei viel davon auch weiterhin in den Mitgliedstaaten erfolgen wird. Die Kommission weist darauf hin, dass das ESK nur ein Programm und ein Aspekt von mehreren ist. Nichtsdestoweniger hat es sich als Aushängeschild etabliert, dem viel politische Bedeutung beigemessen wird. Das kann das Potenzial für einen zielgerichteteren Ansatz zur Unterstützung von Freiwilligentätigkeit schmälern.

3.8.2.

Es wird natürlich Bedenken geben, dass das ESK Menschen aus anderen Formen der Freiwilligentätigkeit abziehen könnte. Zudem begrüßen wir zwar stets die Unterstützung von Organisationen der Zivilgesellschaft, aber damit könnte es auch attraktiver werden, eine solche Organisation anstelle einer Behörde zu wählen oder eventuell für eine individuelle Freiwilligentätigkeit zu optieren, oder aber sich für eine grenzüberschreitende Freiwilligentätigkeit anstelle einer Freiwilligentätigkeit vor Ort zu entscheiden.

3.8.3.

Die Freiwilligentätigkeit ist ein sehr vielfältiges Konzept. Sie kann zeitlich stark begrenzt oder auf relativ lange Dauer ausgelegt sein. Gefordert sein können unterschiedlich viel Altruismus, Enthusiasmus und vor allem Zeit. Die Freiwilligentätigkeit ist zweifellos ein öffentliches Gut, das gleichzeitig auch essenziellen sozialen und wirtschaftlichen Interessen dient, nimmt sie doch dem Staat den Druck und sorgt dafür, dass ganz zentrale Aufgaben häufig im Rahmen eines stark auf die örtlichen Gegebenheiten zugeschnittenen Konzepts wahrgenommen werden. Der Staat muss die Freiwilligentätigkeit daher ebenso unterstützen, wie es die EU tut. Obzwar das ESK nur ein Programm unter vielen ist, wird dieser Ansatz durch den Schwerpunkt, der darin auf eine wirksame Freiwilligentätigkeit in Vollzeit in einem grenzüberschreitenden Umfeld gelegt wird, besonders hervorgehoben. So könnte es sein, dass andere Formen der Freiwilligentätigkeit selbst mit dem allerbesten Willen nicht dieselbe Aufmerksamkeit erhalten.

3.8.4.

Die öffentliche Unterstützung für die Freiwilligentätigkeit muss vielfältig sein — sie muss die Arbeitswelt, flexible Regelungen für die soziale Sicherheit, Zertifizierung, einen Ansatz der Gesundheits- und Bildungsbehörden, ggf. die Frage einer Entschädigung, Fortbildung usw. umfassen. Die EU muss unbedingt darauf hinweisen, dass all diese Fragen relevant sind, und sollte, selbst wenn sie nicht für alle diese Bereiche über Kompetenz verfügt, über die von ihr bereitgestellten Förderungen vorsichtig eine Form stärker fördern als andere. Anstelle eines einzigen Programms, so begrüßenswert oder so hoch dotiert es auch sein mag, bedarf es einer weitreichenden und umfassenden politischen Strategie für die Freiwilligentätigkeit.

3.8.5.

Selbst mit den neuen Vorschlägen und nach einer Eingangsphase bleiben noch allgemeine Fragen zum Sinn und Zweck und zu den Zielsetzungen. Auf höchster Ebene muss festgelegt werden, ob das ESK ein Freiwilligenprogramm oder eine Unterstützung für die Entwicklung junger Menschen ist. Eine Vermischung beider Zielsetzungen könnte zu Schwierigkeiten führen.

3.8.6.

Es wäre besser, separat darzulegen, inwiefern einerseits die Freiwilligentätigkeit, die verschiedene Formen annehmen kann, und andererseits Jugendprogramme, die im Rahmen der Jugendstrategie gefördert werden können, begründet sind und unterstützt werden sollen. Die Vermischung und Überschneidung von Freiwilligentätigkeit und Jugendprogramm sollte eher eine Frage der Gestaltung bzw. eine Grundsatzfrage sein, und nicht eine Frage der Geschichte und der verfügbaren Mittel. So scheint es für die Zukunft auch dann angemessener zu sein, getrennte Programme für die Unterstützung junger Menschen und der Freiwilligentätigkeit vorzusehen, wenn es einige Überschneidungen gäbe. Dies wäre ein geeigneter Ansatz, wenn wir z. B. wieder von Null anfangen würden.

3.8.7.

Mit dem ESK soll eine beträchtliche Anzahl von Zielen verfolgt werden. Dabei muss stets die Frage nach dem eigentlichen Zweck des Programms gestellt werden und ob dies der beste Weg ist, diese Ziele zu erreichen. Allgemein sind wir nach wie vor der Auffassung, dass das ESK nur gemeinnützigen Organisationen offenstehen sollte. Denkbar sind auch Partnerschaften mit gewinnorientierten Organisationen, während die Tätigkeiten jedoch klar von gemeinnützigen Organisationen durchgeführt werden sollten, wofür erforderlichenfalls eine rechtlich durchsetzbare Vereinbarung zu treffen wäre.

3.9.   Der Bereich Beschäftigung

3.9.1.

Der Bereich Beschäftigung des ESK erhält viel Aufmerksamkeit. Wir sind der Auffassung, dass dieser Bereich äußerst strikt geregelt werden und jedenfalls ausschließlich gemeinnützigen Organisationen offenstehen sollte. Für diesen Bereich scheint im Vergleich zu den damit geschaffenen Arbeitsplätzen sehr viel Aufwand nötig zu sein, und er muss laufend beobachtet werden. Selbst mit dem allerbesten Willen kann von den nationalen Behörden (dieselben wie für Erasmus+) nicht erwartet werden, dass sie über ausreichende Kenntnisse in Beschäftigungs- und Arbeitsmarktfragen verfügen.

3.9.2.

Sollte der Bereich Beschäftigung beibehalten werden, muss er den hierfür geltenden höchsten Standards gerecht werden. Diesbezüglich bleiben zahlreiche Standards und externe Dokumente zu den Themen Freiwilligentätigkeit, Arbeit und junge Menschen auch weiterhin relevant — wir werden diese auch in Zukunft befürworten und der Kommission, der Exekutivagentur und den nationalen Behörden empfehlen — insbesondere sind dies:

a)

das Maßnahmenprogramm für die Freiwilligentätigkeit in Europa (PAVE) (5),

b)

die Europäische Charta der Rechte und Pflichten von Freiwilligen (6) des Europäischen Jugendforums,

c)

die Europäische Qualitätscharta für Praktika und Lehrlingsausbildungen (7) des Europäischen Jugendforums,

d)

der Beschluss des Präsidiums des Europäischen Parlaments zu unbezahlten Praktika (8).

3.10.   Ein Programm für die Jugend?

3.10.1.

Verständlicherweise wird der Schwerpunkt ganz besonders auf die Erfahrungen, das Wohlergehen und das Vorankommen der jungen Teilnehmer gelegt, und wir begrüßen dies ausdrücklich. Genauso viel Augenmerk muss aber auch auf die Qualität der Maßnahmen gelegt werden — also darauf, ob diese ihren Zweck erfüllen und den jeweils für die einzelnen Bereiche relevanten Erwartungen und Standards gerecht werden. Es besteht kein Zielkonflikt zwischen der Qualität des Projekts und der Qualität der Ergebnisse für den Teilnehmer — beiden kommt dieselbe Bedeutung zu.

3.10.2.

Zum jetzigen Zeitpunkt mag die Freiwilligentätigkeit junger Menschen für sich genommen ein Ziel und eine Priorität darstellen, aber vor dem Hintergrund des lebenslangen Lernens könnte nun die Zeit für eine Debatte darüber reif sein, ob es eine Altersgrenze für das ESK und die Tätigkeiten in diesem Zusammenhang geben soll oder nicht. Viele Menschen aus allen Gesellschaftsbereichen können einen Beitrag leisten und auch etwas lernen, und die Solidarität zwischen den Generationen ist genauso wichtig.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Es ist nicht klar, ob genügend Daten zu den bisherigen Fortschritten vorliegen, um weitere Entscheidungen über eine Konsolidierung und Zusammenführung mit neuen Bereichen zu treffen. Bei der Gestaltung des Europäischen Freiwilligendiensts (EFD) (9) als Jugendprogramm war die Logik klar. Wir sind nicht überzeugt, dass vor der Einführung des ESK ausreichend Folgenabschätzungen zum EFD vorgenommen wurden. Obwohl weite Teile des EFD im ESK aufgegangen sind, mag es Anlass zu der Befürchtung geben, dass es die Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln war, die den Anstoß zu diesem Prozess gegeben hat, und nicht eine Zukunftsvision für die Freiwilligentätigkeit. Auch darüber, inwieweit junge Menschen in die Beschlüsse über diese Änderung eingebunden waren, sind wir uns nicht im Klaren.

4.2.

Die Zusammenführung der EU-Programme für humanitäre Hilfe und Freiwilligendienst muss einer klaren und allgemein verständlichen Logik folgen. In einigen Bereichen der auswärtigen Politik der EU verschiebt sich der Schwerpunkt zunehmend in Richtung Sicherheit, und auch die Flüchtlingskrise ist nicht ohne Folgen geblieben. Sofern das ESK im Rahmen des auswärtigen Handelns der EU eingesetzt wird, mag auch das einer der Beweggründe für seine grundlegende Neuausrichtung sein. Durch die Zusammenführung kommt es zudem zu einer Altersbeschränkung für den humanitären Bereich, die es zuvor nicht gab.

4.3.

Die Ziele der neuen EU-Jugendstrategie (10) im Bereich der Ausweitung der Freiwilligentätigkeit in den Mitgliedstaaten über das ESK hinaus sollten im Vorschlag stärker aufgegriffen werden. Was die Stärkung der Freiwilligenmaßnahmen und der Strategien zur Förderung des Engagements junger Menschen anbelangt, scheinen die Ziele der EU-Jugendstrategie 2019-2027 ehrgeiziger zu sein. Es wäre wichtig, eigens Mittel für die Schaffung von Räumen bereitzustellen, in denen sich die Mitgliedstaaten über bewährte Vorgehensweisen im Bereich der Freiwilligenpolitik und -strategie austauschen können, beispielsweise um die Sachverständigengruppe zur Mobilität junger Freiwilliger wiedereinzurichten. Insbesondere setzen wir darauf, dass die Anerkennung der Lernergebnisinstrumente des ESK für alle Formen der Freiwilligentätigkeit außerhalb des ESK-Programms genutzt wird. Die Rechtsgrundlage des Vorschlags schließt dies nicht aus, aber es wäre nützlich, hier eine umfassendere Zielsetzung vorzusehen.

4.4.

Der neue Vorschlag verspricht eine Verfahrensvereinfachung, und dies ist zu begrüßen. Detaillierte Angaben hierzu wären für die Interessenträger von Nutzen. Die Projekte für lokale Solidarität stellen eine überaus positive Entwicklung dar — ihnen sollte Priorität eingeräumt werden.

4.5.

Teilweise werden in den Materialien für die Öffentlichkeitsarbeit zum ESK vor allem die Möglichkeiten für Einzelpersonen und ihre Entwicklung in den Vordergrund gestellt. Dies muss Teil des Angebots sein, aber es ist natürlich von ganz zentraler Bedeutung, dass das Endprodukt und das Ergebnis der Freiwilligentätigkeit gleich stark hervorgehoben und beworben werden. Im Zusammenhang mit der Initiative DiscoverEU (11) muss möglicherweise darauf geachtet werden, nicht den Eindruck zu erwecken, dass die EU prioritär Unterstützung für ein Auslandsjahr und für besser gestellte junge Menschen bietet.

4.6.

Wir befürworten nachdrücklich die geplante Zuweisung von 90 Prozent der Haushaltsmittel des Programms für die Freiwilligentätigkeit sowie die Möglichkeit eines stärkeren Mentorings für Benachteiligte. Die Mittelaufteilung für die einzelnen Bereiche sollte beibehalten werden, wobei im Falle mangelnder Nachfrage Umschichtungen zwischen den einzelnen Haushaltslinien durch die nationalen Behörden möglich sein sollten. Generell sollte die Mittelzuweisung auf der Grundlage der Anträge der teilnehmenden Organisationen erfolgen.

4.7.

Die nationalen Behörden müssen mit ausreichenden Mitteln ausgestattet werden, um insbesondere eventuelle Herausforderungen bei der Erzielung besserer Ergebnisse im Bereich Beschäftigung des ESK bewältigen und mit den Arbeitsmarktbehörden und anderen einschlägigen nationalen Einrichtungen zusammenarbeiten zu können.

4.8.

Beim EFD gab es einen starken Rahmen für formelle und informelle Weiterbildung. Es wurde ein Konzept für ein Erasmus-Programm für Kulturschaffende entwickelt, das für das ESK nützlich sein könnte. Nicht-formales Lernen ist ein entscheidender Faktor. Der Pisa-Ansatz, bei dem Lernende Punkte für praktische Tätigkeiten nach Art von Erasmus sammeln können, sollte geprüft werden.

4.9.

Es sind Folgemaßnahmen zum ESK vorgesehen, jedoch nur im Zusammenhang mit dem Wissensaustausch. Es muss ein längerfristiges Engagement der Teilnehmer an Solidaritätsaktionen — einschließlich der (gängigsten) Freiwilligentätigkeit von zeitlich eher begrenztem Umfang in der Freizeit — über die vom ESK gebotene Gelegenheit für eine Freiwilligentätigkeit hinaus angestrebt werden.

4.10.

Wichtig ist auch, die bisherige Nutzung des Bereichs Beschäftigung zu analysieren und entsprechend zu reagieren. Einige der Maßnahmen zur Ex-ante-Evaluierung der Wirksamkeit sind mehr auf die Leistung denn auf das Ergebnis ausgerichtet, und dies sollte bei künftigen Evaluierungen geändert werden.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  https://webgate.ec.europa.eu/echo/eu-aid-volunteers_en/.

(2)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 160.

(3)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 160.

(4)  https://europa.eu/youth/solidarity_de.

(5)  http://www.kansalaisareena.fi/EYV2011Alliance_PAVE_copyfriendly.pdf.

(6)  https://www.youthforum.org/charter-rights-and-responsibilities-volunteers.

(7)  https://www.youthforum.org/european-quality-charter-internships-and-apprenticeships.

(8)  https://www.socialistsanddemocrats.eu/newsroom/unpaid-internships-european-parliament-and-elsewhere-must-be-banned-say-sds.

(9)  https://europeanvoluntaryservice.org/.

(10)  https://ec.europa.eu/youth/policy/youth-strategy_de.

(11)  https://europa.eu/youth/solidarity_de.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/207


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt“

(COM(2018) 340 final — 2018/0172 (COD))

(2019/C 62/34)

Berichterstatterin:

Maria NIKOLOPOULOU

Befassung

Rat, 15.6.2018

Europäisches Parlament, 11.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 192 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Plenums

17.4.2018

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

5.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

210/3/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet den Richtlinienvorschlag zu Einwegkunststoffartikeln als einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaftsstrategie und der Nachhaltigkeitsziele.

1.2.

Der EWSA gibt insbesondere zu bedenken, dass die Nachhaltigkeitswende allem voran die Mitwirkung aller politischen, wirtschaftlichen, sozialen, umweltpolitischen und kulturellen Interessenträger erfordert. Auch müssen sich die Bürgerinnen und Bürger eine neue Denkweise hinsichtlich Herstellung, Verbrauch und Recycling von Produkten zu eigen machen. Diesbezüglich sind Erziehungs-, Bildungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen auf allen Ebenen, mit einem Schwerpunkt auf Kindern und Jugendlichen im Schulalter, unverzichtbar.

1.3.

Der EWSA betrachtet den Kommissionsvorschlag als wichtiges Pilotprojekt mit einem spezifischen Ansatz für die am meisten in den Meeren und Ozeanen verbreiteten Kunststoffartikel. Indes könnte der Vorschlag noch ehrgeiziger sein, und es sollten ein Fahrplan und weitere Initiativen vorgelegt werden, um eine wirksame Durchführung sicherzustellen.

1.4.

Insbesondere unterbreitet der EWSA folgende Empfehlungen:

1.4.1.

Es sollte geprüft werden, die zehn Kunststoffartikel umfassende Liste um andere Produkte zu erweitern, für die es auf dem Markt bereits Alternativen in ausreichender Menge und zu angemessenen Preisen gibt.

1.4.2.

Es sollte klargestellt werden, dass sämtliche biologisch abbaubaren Produkte grundsätzlich auch kompostierbar sein und im Meer und an Land innerhalb einer bestimmten Zeit durch Photodegradation zerfallen müssen.

1.4.3.

Fischer können einen entscheidenden Beitrag zur Säuberung der Meere und Ozeane leisten. Die Anreize dafür, dass Fanggerät zurück an Land gebracht wird, sollten baldmöglichst auf alle während der Fischereitätigkeit aufgefischten Abfälle ausgedehnt werden. Zur umfassenden Entwicklung eines neuen Systems zur Reinigung der Meere und Ozeane müssen alle Interessenträger und die Behörden vor Ort eingebunden werden. Ferner müssen alle Häfen, auch die kleinsten unter ihnen, mit einer modernen Auffangeinrichtung ausgerüstet werden, die eine transparente Behandlung der Abfälle ermöglicht.

1.4.4.

Auch wenn 90 % der in der EU vermarkteten Einwegkunststoffartikel in Drittländern produziert werden, ist es grundlegend wichtig, alle Unternehmen der Branche bei der Umstellung auf eine nachhaltigere Produktion zu unterstützen. Insbesondere sollten die Innovation und Weiterentwicklung in Bereichen wie Ökodesign, Biokunststoffe und Sekundärrohstoffe mithilfe finanzieller und steuerlicher Instrumente gefördert werden. Dies wird zu einer positiven Entwicklung der Handelsbilanz führen, und die EU kann die Entwicklung nachhaltigerer Unternehmen sowie gute Arbeitsplätze fördern.

1.4.5.

Das in der Richtlinie 2004/35/EG verankerte Verursacherprinzip ist eine tragende Säule des Kommissionsvorschlags und liegt einer gerechteren und ausgewogeneren Verteilung der Belastungen im Zusammenhang mit der Abfallbewirtschaftung und -verwertung zugrunde. Durch eine korrekte Anwendung dieser Richtlinie können diese Kosten für diejenigen Unternehmen gesenkt werden, die zertifizierte Verfahren zur Verhütung von Verschmutzung oder zur Direktverwertung der hergestellten umweltbelastenden Produkte anwenden.

1.4.6.

Eine bessere Abstimmung zwischen den bestehenden Rechtsvorschriften im Bereich Abfallbewirtschaftung und Recycling, mit Schwerpunkt auf der Abfalltrennung. Auch sollten die in den Mitgliedstaaten erteilten Genehmigungen und verhängten Strafen harmonisiert werden.

1.4.7.

Die Strategie für Einwegkunststoffartikel wird nur eine begrenzte Wirkung entfalten, wenn die Kommission nicht auch eine Ad-hoc-Strategie für eine nachhaltigere Bewirtschaftung und Überwachung der Binnengewässer (Seen und Flüsse) vorsieht, über die 80 % der Abfälle ins Meer eingetragen werden. Der EWSA empfiehlt die Einführung von Governancesystemen unter Beteiligung der Behörden, der Privatwirtschaft und der organisierten Zivilgesellschaft, wie beispielsweise Flussverträge, als Voraussetzung für den Zugang zu bestimmten Umweltfördermitteln (z. B. Interreg).

1.4.8.

Die Einführung von Systemen zur Kennzeichnung und Rückverfolgung von Kunststofferzeugnissen könnte für die Abfallbewirtschaftungs- und Recyclingverfahren einen Mehrwert bieten. Ein spezifisches Logo könnte das Vertrauen der Verbraucher vor allem in aus Sekundärrohstoffen hergestellte Erzeugnisse stärken.

1.4.9.

Die Richtlinie sollte alle drei und nicht alle sechs Jahre überprüft werden, zumal die Überwachungsmechanismen bereits angewendet und ausgewertet werden (Zählungen). Außerdem könnten dadurch potenzielle, zwischenzeitlich aufgetretene Probleme gelöst und in Abhängigkeit vom Stand der Durchführung der Richtlinie und der Entwicklungen im Bereich Ökodesign die Liste mit den zehn Einwegkunststoffartikeln erforderlichenfalls geändert oder erweitert werden.

1.4.10.

Die zahlreichen bewährten Verfahrensweisen im Bereich der Kreislaufwirtschaft sollten besser bekannt gemacht und die vom EWSA geförderte europäische Plattform der Interessenträger für die Kreislaufwirtschaft als wirksames Instrument für den Erfahrungsaustausch zwischen sämtlichen beteiligten Akteuren aufgewertet werden.

2.   Einleitung

2.1.

Der Meeresmüll in der Europäischen Union besteht zu 80-85 % aus Kunststoffabfällen, von denen wiederum 50 % auf Einwegkunststoffartikel und weitere 27 % auf im Meer zurückgelassene oder verloren gegangene kunststoffhaltige Fanggeräte aus der traditionellen Fischerei und der Aquakultur entfallen.

2.2.

Die zehn am häufigsten an europäischen Stränden gefundenen Einwegkunststoffartikel machen 86 % aller gefundenen Einwegkunststoffartikel bzw. 43 % aller Meeresabfälle aus. Es handelt sich um Artikel des täglichen Bedarfs, die nicht unbedingt automatisch mit Kunststoff assoziiert werden (1): Lebensmittelverpackungen, Getränkebecher, Wattestäbchen, Teller, Trinkhalme, Luftballonstäbe, Getränkebehälter samt Deckel, Filter für Tabakprodukte, Feuchttücher und Kunststofftragetaschen. Diese zehn Produkte machen zusammen mit den Fanggeräten ca. 70 % aller bei Zählungen erfassten Meeresabfälle aus (2).

2.3.

Einwegkunststoffe, die im Allgemeinen aus Polyethylen und Polypropylen hergestellt werden, benötigen im Durchschnitt 300 Jahre, um sich in der Umwelt zu zersetzen, wobei ihr Zerfall durch Photodegradation teilweise auch bis zu 1 000 Jahre dauern kann. Zersetzung bedeutet jedoch nicht, dass der Kunststoff in den Naturkreislauf zurückfließt, sondern dass er lediglich als Mikroplastik nicht mehr für das menschliche Auge erkennbar ist.

2.4.

Kunststoff ist eine der wertvollsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts, die unser Leben verändert hat. Aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften (Flexibilität, geringes Gewicht, Widerstandsfähigkeit) eignet sich dieser Werkstoff für unzählige Anwendungen; Einwegkunststoffartikel bspw. sind ideal für Verwendungen im Freien (u. a. Picknick). Dem Willen vieler Verbraucher unbenommen und trotz der Effizienz der Abfallbewirtschaftungs- und -recyclingsysteme sind Einwegkunststoffe daher mit dem Risiko behaftet, die Umwelt zu vermüllen. Das Umweltrisiko und die Umweltauswirkungen sind unverhältnismäßig, zumal diese Produkte auf eine Nutzungsdauer von vielleicht 5 Minuten ausgelegt sind.

2.5.

Wenn die Einwegkunststoffartikel nicht in der Abfallwirtschaftskette verwertet werden, sammeln sie sich in den Meeren und Ozeanen an, was sich negativ auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit auswirkt, da sie in die Nahrungskette gelangen. Negative Folgen ergeben sich auch für verschiedene andere Wirtschaftsbereiche wie den Fremdenverkehr, die Fischerei und den Seeverkehr.

2.6.

Das Problem der Meeresvermüllung ist grenzübergreifend, was durch die Plastikinseln veranschaulicht wird (3). Die Europäische Union hat sich verpflichtet, dieses Problem im Einklang mit den UN-Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDG) (4) und dem auf der COP 21 der Klimarahmenkonvention geschlossenen Übereinkommen von Paris zu bekämpfen. Die europäische Strategie für Kunststoffe (5) im Rahmen des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft (6) ist ein erster Schritt in diese Richtung.

3.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags der Kommission

3.1.

Ziel des Richtlinienvorschlags ist die Vermeidung und Verringerung von Plastikmüll (Makroplastik) im Meer, der von Einwegkunststoffartikeln und Fanggeräten stammt. Damit sollen die im Rahmen der EU-Kunststoffstrategie vorgesehenen Maßnahmen ergänzt und die in den bestehenden Maßnahmen und Rechtsvorschriften ermittelten Lücken beseitigt werden.

3.2.

Die Richtlinie steht auch im Zusammenhang mit der Initiative zur dauerhaften Verringerung des Verbrauchs an Kunststofftragetaschen (und ihre Ersetzung durch biobasierte Kunststoffe oder kompostierbare Materialien), die innerhalb kurzer Zeit ein radikal verändertes Verbraucherverhalten und sehr positive Umweltergebnisse bewirkt hat (7).

3.3.   Einwegkunststoffartikel

3.3.1.

Infolge verschiedener europäischer Strandmüllzählungen konzentriert sich der Vorschlag auf die zehn am häufigsten an Stränden gefundenen Einwegkunststoffartikel. Ausgehend von der Verfügbarkeit alternativer, nachhaltiger und erschwinglicher Erzeugnisse plant die Kommission verschiedene Maßnahmen. Wenn es schon Alternativen auf dem Markt gibt, sollen die umweltschädlicheren Entsprechungen abgeschafft werden (z. B. Trinkhalme, Geschirr und Wattestäbchen). Andernfalls werden eine Reihe von Maßnahmen zur Verbrauchsverringerung durch Sensibilisierungsmaßnahmen und die Förderung von Ökodesign zur raschestmöglichen Entwicklung alternativer, biokompatibler und recyclingfähiger Werkstoffe eingeleitet (bspw. für Lebensmittelverpackungen, Getränkebecher, Luftballons, Tüten und Folienverpackungen, Getränkebehälter, Filter für Tabakprodukte, Feuchttücher, leichte Kunststofftragetaschen).

3.3.2.

Vorgesehen sind Systeme der erweiterten Herstellerverantwortung für alle Produkte, deren Vermarktung nicht beschränkt wird, als Beitrag zu den Kosten der Abfallvermeidung und -entsorgung.

3.3.3.

Die Kommission schlägt ebenfalls Kennzeichnungsvorschriften vor, um die Verbraucher über die Abfallbewirtschaftung zu informieren und die getrennte Sammlung und das Recycling zu fördern. Dabei sollten auch unerwünschte Verhaltensweisen herausgestellt werden (bspw. die Verwendung von Feuchttüchern).

3.3.4.

In dem Vorschlag werden auch konkrete Produktdesignmaßnahmen vorgesehen (bspw. Getränkeflaschen mit befestigter Verschlusskappe) und ehrgeizige Recyclingziele aufgestellt (u. a. getrennte Sammlung und Recycling von 90 % der Einwegkunststoffflaschen).

3.4.   Fanggeräte mit Kunststoffanteil

3.4.1.

Die Kommission schlägt ein integriertes und moderneres System für die Sammlung von Fanggeräten auf der Grundlage von drei Maßnahmen vor: Einführung eines eigenen Mechanismus und getrennte Sammelsysteme in den Häfen, Anreize für die Fischer, Fanggeräte zurückzubringen oder im Meer zurückgelassene Fanggeräte an Land zu bringen, Einführung eines Systems der erweiterten Herstellerverantwortung für Hersteller kunststoffhaltiger Fanggeräte, einschließlich KMU. Die über das System der erweiterten Herstellerverantwortung eingenommenen Mittel werden dazu verwendet, die Kosten der Abfallvermeidung (öffentliche Sensibilisierungskampagnen) und Abfallbewirtschaftung, einschließlich der Säuberung der durch Einwegkunststoffartikel vermüllten Umwelt, zu decken.

3.5.

Ein Großteil der Einwegkunststoffartikel wird in Drittländern hergestellt. Das bedeutet, dass der Vorschlag zur Entwicklung einer soliden europäischen Produktion infolge eines starken Anstiegs der Binnennachfrage beitragen könnte. Es steht ferner zu hoffen, dass diese Richtlinie auch ein rascheres Wachstum einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Niedrigemissionswirtschaft fördert, die eine positive Handelsbilanz mit Drittländern aufweist und die Schaffung guter Arbeitsplätze begünstigt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat stets durch die Sensibilisierung der Bürgerinnen und Bürger sowie der politischen, wirtschaftlichen, sozialen, umweltpolitischen und kulturellen Interessenträger eine Lanze für die nachhaltige Entwicklung gebrochen. Die Erziehung und Bildung auf allen Ebenen ist deshalb eine grundlegende Voraussetzung für ein neues Produktions-, Verbrauchs- und Lebensmodell im Einklang mit der Umwelt. Unternehmen kommt im Rahmen der sozialen Verantwortung der Unternehmen eine wichtige Rolle bei dieser Sensibilisierungs- und Erziehungsaufgabe zu. Die vielen freiwilligen Maßnahmen der organisierten Zivilgesellschaft können in Verbindung mit der Initiative der Kommission von großem zusätzlichen Nutzen sein.

4.2.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass die Umweltverschmutzung ein globales Problem ist. Ungeachtet ihrer Vision und Tragweite kann keine europäische Initiative wirklich etwas ausrichten, wenn sie nicht mit einem breiter angelegten Projekt der nachhaltigen Entwicklung einhergeht, in das sowohl die großen Wettbewerber der EU wie auch die Entwicklungsländer eingebunden sind. Insbesondere ist zu empfehlen, mit benachbarten Drittländern Synergien bei der nachhaltigen Bewirtschaftung von Binnenmeeren wie dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer zu schaffen. Der EWSA hofft deshalb, dass die EU bei der Förderung der nachhaltigen Entwicklung verstärkt eine Führungsrolle übernimmt.

4.3.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, die von Einwegkunststoffartikeln und Fanggeräten herrührenden Plastikabfälle im Meer zu verhindern und zu verringern. Insbesondere findet er die Schwerpunktsetzung auf eine begrenzte Anzahl Erzeugnisse mit hoher Umweltwirkung als eine Art Pilotprojekt einleuchtend und erachtet diese Initiative als einen wichtigen Schritt hin zur Schaffung einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft im Einklang mit dem Aktionsplan für eine Kreislaufwirtschaft (8) und in Ergänzung der Kunststoffstrategie (9). Die Kommissionsinitiative könnte nach Meinung des EWSA jedoch ehrgeiziger sein und die Liste um all diejenigen nachhaltigen Produkte erweitern, die es auf dem Markt bereits in ausreichender Menge und zu angemessenen Preisen gibt (z. B. Kaffeekapseln) und die laut der EFSA den Anforderungen an den Gesundheitsschutz genügen.

4.4.

Der EWSA erachtet den Vorschlag als angemessen, die Vermarktung nur dann zu beschränken, wenn es bereits nachhaltige, umwelt- und gesundheitsverträgliche sowie für die Verbraucher erschwingliche Alternativen gibt.

4.5.

Eine Lösung für das Problem des Kunststoffabfallaufkommens muss neben der Abfallwirtschaft auch bei den Konsumgewohnheiten und beim Produktionsmodell ansetzen. Wichtige Voraussetzung ist deshalb, dass die nationalen Regierungen alle einschlägigen Instrumente mobilisieren, um die Nutzung nachhaltiger Kunststoffartikel zu fördern und rationellere Produktions- und Verbrauchsprozesse anzustoßen und zu unterstützen. Gleichzeitig ist es wichtig, die Bürger bereits ab dem Schulalter zu sensibilisieren, damit sie verantwortungsvoll handeln und die Getrenntsammlung von Abfällen unterstützen.

4.6.

Dem Willen vieler Verbraucher unbenommen und trotz der Effizienz der Abfallbewirtschaftungs- und -recyclingsysteme sind Einwegkunststoffe mit dem Risiko behaftet, die Umwelt zu vermüllen. Da kein System für eine restlose Sammlung und Verwertung von Abfällen geschaffen werden kann, müssen schnellstmöglich nachhaltige Alternativen entwickelt und Maßnahmen zur Verringerung des erreichten Ausmaßes an Umweltverschmutzung getroffen werden (10).

4.7.

Ökodesign spielt eine wesentliche Rolle bei der Schaffung biokompatibler Alternativen für umweltschädlichere Produkte. Der EWSA empfiehlt, über den neuen mehrjährigen Finanzrahmen der EU angemessene Mittel in diesem Bereich zu investieren, insbesondere über das neue Programm Horizont Europa. Seiner Meinung nach können grüne Innovationen in Biokunststoffe und Sekundärrohstoffe und der Einsatz von Enzymen wie PETase, das PET-Plastik verdauen kann, einen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Mehrwert für die gesamte Union generieren.

4.8.

Der EWSA empfiehlt einen gezielten Ansatz zur Umwandlung von Kunststofferzeugnissen in Sekundärrohstoffe. Besonders wichtig ist, dass die Kunststoffe keine toxischen chemischen Additive enthalten, die ihre Verwertung behindern könnten, da sie die Gesundheit, die Unternehmen und die Umwelt gefährden. Auch muss ein Ende der Lebensdauer festgelegt werden, da Kunststoffe nicht unendlich recycelt werden können.

4.9.

Als einen der augenfälligsten Mängel der Initiative beanstandet der EWSA das Fehlen einer Vorschrift zur Klärung der Eigenschaft der Bioabbaubarkeit, denn wenn ein Kunststoffprodukt biologisch abbaubar ist, ist es noch lange nicht ökologisch nachhaltig. Kunststoffprodukte, insbesondere Einwegkunststoffartikel, können zu Mikroplastik zerfallen, die Umwelt verschmutzen und in die Nahrungsmittelkette gelangen. Der EWSA empfiehlt deshalb, schleunigst tätig zu werden und grundsätzlich vorzugeben, dass alle „biologisch abbaubaren“ Kunststofferzeugnisse zusätzlich auch „ kompostierbar “ sein müssen und damit weder toxisch noch schädlich für die Umwelt sein dürfen. In diesem Zusammenhang ist es zudem wichtig, eine spezifische Zeitdauer für die Bioabbaubarkeit im Meer und an Land im Einklang mit der DIN EN 13432 festzulegen (11). Schließlich muss ein europäisches Kennzeichnungssystem mit geeigneten Kontrollmechanismen zur Betrugsvermeidung geschaffen werden.

4.10.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, die Rückführung von Fanggeräten über Anreize für die Fischer zu fördern. Er gibt zu bedenken, dass die Abfalltrennung komplex und zeitaufwändig ist, und erwartet deshalb, dass die Anreize in einem angemessenen Verhältnis zu der von den Fischern in die Abfalltrennung investierten Zeit stehen.

4.10.1.

Diese Maßnahme sollte auf die Rückführung sämtlicher während der Fischereitätigkeit aufgesammelten Abfälle ausgeweitet werden, für die die Fischer entsprechend den geltenden Vorschriften Hafengebühren entrichten müssen. Bislang ist es nämlich so, dass die Fischer dafür Gebühren entrichten, dass sie das Meer säubern und Abfälle an Land bringen, die sie nicht verursacht, sondern nur aufgesammelt haben. Deshalb wird empfohlen, dass das geltende Abfallrecht im Rahmen des neuen Europäischen Meeres- und Fischereifonds 2021-2027 überarbeitet wird, um ein proaktives und verantwortungsvolles Handeln zu fördern.

4.10.2.

Angesichts der großen Mengen Abfälle, die an der Meeresoberfläche treiben und in der Wassersäule schweben, können die Fischer mit dem Aufsammeln der Abfälle eine wichtige Leistung erbringen. In Anbetracht der unlängst eingeführten Schonzeit für verschiedene Fischbestände könnten diese Anreize eine wirtschaftliche Ausgleichsmöglichkeit bieten (12). So könnte die Säuberungstätigkeit auf der Grundlage einer geeigneten Schulung und unter unmittelbarer Einbeziehung der Fischereiverbände als eine weitere interessante Wirtschaftstätigkeit etabliert werden, die wie der Fischereitourismus (blaue Wirtschaft) in Zeiten der naturbedingten Unterbrechung der Fangtätigkeit umfassend praktiziert werden kann. Diese Maßnahme sollte in dem neuen Europäischen Meeres- und Fischereifonds vorgesehen werden, und ihre Durchführung sollte im Rahmen einer spezifischen europäischen Legislativinitiative geregelt werden.

4.11.

Der EWSA befürwortet die Einführung der erweiterten Herstellerverantwortung im Einklang mit dem Verursacherprinzip. Bislang sind die Kosten für die Meeresverschmutzung von anderen Wirtschaftszweigen (Fremdenverkehr (13), Seeverkehr, Fischerei) sowie von den Bürgern (über höhere Steuern für die Sammlung, Bewirtschaftung und Verwertung der Abfälle) übernommen worden. Im Rahmen der Umsetzung muss sichergestellt werden, dass dieser Grundsatz auf die Unternehmen angewendet wird, die tatsächlich umweltbelastende Produkte herstellen, und sich nicht im Verbraucherendpreis niederschlägt (14).

4.12.

Im Einklang mit der Richtlinie 2004/35/EG (15) fordert der EWSA die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Möglichkeit zu prüfen, die finanziellen Belastungen derjenigen Unternehmen zu senken, die zertifizierte Verfahren zur unmittelbaren Verhütung von Verschmutzung durch ihre Produkte entwickeln (z. B. Mehrwegverpackungssysteme). Die Bewertung dieser guten Praktiken unterliegt zwar der unmittelbaren Zuständigkeit der nationalen Behörden, doch sollten sie auf zweiter Stufe auch einer europäischen Kontrolle unterzogen werden.

4.13.

Der EWSA ist sich darüber im Klaren, dass die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft für viele Unternehmen mit einem hohen Kostenaufwand verbunden ist. Deshalb baut er darauf, dass dieser aus Umweltsicht unausweichliche Prozess mit finanziellen und steuerlichen Anreizen einhergeht, um den Unternehmen die Umstellung auf eine nachhaltige Produktion zu ermöglichen. Es ist wichtig, diesen Prozess auf europäischer Ebene zu verwalten und zu überwachen, um unlauteren Wettbewerb im Binnenmarkt zu vermeiden.

4.14.

Die Umstellung auf die Kreislaufwirtschaft kann sich für die gesamte Europäische Union als wettbewerbs- und beschäftigungspolitischer Vorteil erweisen. Um dieses Potenzial zu nutzen, muss indes ein fortgeschrittenes System der allgemeinen und beruflichen Bildung entwickelt werden. Dazu gehören auch aktive arbeitspolitische Maßnahmen zur Verbesserung der Kompetenzen der Arbeitnehmer.

4.15.

Der EWSA befürwortet das Rechtsinstrument einer Richtlinie, in deren Rahmen jeder Mitgliedstaat die Vorschriften im Einklang mit seinen nationalen Besonderheiten umsetzen kann, wobei allerdings die Unterschiede bei den Genehmigungen und Sanktionen in Grenzen gehalten werden sollten (16). In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass die nationalen Regierungen die organisierte Zivilgesellschaft in allen Phasen, von der Erarbeitung der Rechtsvorschriften bis zur Umsetzung, Überwachung und Bewertung, einbeziehen. Hinsichtlich der Durchführung der Richtlinie sind zum Teil zwar Fristen für die Erreichung der Zielvorgaben gesetzt, in vielen Fällen jedoch (bspw. PET-Recycling) gibt es noch keine konkreten Zeitpläne. Nach Meinung des EWSA kann es in Ermangelung klarer und einheitlicher Fristen zu einer unausgewogenen Umsetzung der Rechtsvorschriften kommen.

4.16.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Überwachungsmechanismen bereits angewendet und ausgewertet werden (Zählungen). Er empfiehlt deshalb, die Richtlinie alle drei und nicht, wie zunächst vorgeschlagen, alle sechs Jahre zu überprüfen. So könnten potenzielle, zwischenzeitlich aufgetretene Probleme gelöst und in Abhängigkeit vom Stand der Durchführung der Richtlinie und der Entwicklungen im Bereich Ökodesign die Liste mit den zehn Einwegkunststoffartikeln erforderlichenfalls geändert oder erweitert werden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) (17) zufolge stammen 80 % der in den Meeren und Ozeanen befindlichen Abfälle vom Land und werden über die Flüsse in die Meere eingetragen. Deshalb sind stärker koordinierte Maßnahmen erforderlich, um den Abfalleintrag in die Meere zu verhindern. Die Maßnahmen betreffend Einwegkunststoffartikel werden die Vermüllung der Seen und Flüsse verringern, doch für Fanggeräte sind keine spezifischen Maßnahmen vorgesehen. Der EWSA empfiehlt deshalb, über eine europäische Strategie für die nachhaltigere Bewirtschaftung der Binnengewässer diese Vorschriften auf Seen und Flüsse auszudehnen.

5.2.

Flussverträge (18) sind ein gängiges und sehr erfolgreiches bewährtes Verfahren in Europa, das mit Blick auf hydrogeologische und ökologische Risiken eine effiziente Bewirtschaftung der Binnengewässer erlaubt. Die Stärke dieses Instruments liegt in seinem offenen Governancesystem, das die Einbeziehung aller öffentlichen und privaten Interessenträger und der organisierten Zivilgesellschaft auf territorialer Ebene ermöglicht. Die damit gemachten Erfahrungen sollten in einer eigens geschaffenen europäischen Datenbank gesammelt werden, um eine systematische, strukturierte Entwicklung in der gesamten EU zu fördern. Im Einklang mit dem neuen Programm Horizont Europa, demzufolge 35 % der Haushaltsmittel für Klimaschutz- und Umweltmaßnahmen aufgewendet werden sollten, empfiehlt der EWSA, diese Flussverträge zur Voraussetzung für den Zugang zu bestimmten europäischen Fördermitteln für Forschung und Innovation im Bereich ökologischer Nachhaltigkeit und für den Schutz von Gebieten vor hydrogeologischen und ökologischen Risiken zu machen (z. B. Interreg).

5.3.

Der EWSA erachtet es als grundlegend wichtig, dass die Richtlinie mit den bestehenden Rechtsvorschriften der EU in den Bereichen Abfall und Wasser im Einklang steht und mit ihnen koordiniert wird — insbesondere mit der Abfallrahmenrichtlinie (19)‚ der Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle (20)‚ der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (21) und der Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser (22). Besonderes Augenmerk muss den EU-Vorschriften zum Umgang mit Abfällen gelten (23).

5.3.1.

Es ist wichtig, angemessene Abfallbewirtschaftungsstrukturen einzurichten (bspw. für die getrennte Sammlung von kompostierbaren Abfällen und ihre effiziente und korrekte Behandlung in Recyclinganlagen) und die Verbraucher klar darüber zu informieren. Eine korrekte Abfalltrennung kommt dem 3D-Druck zugute, denn aus Kompost- und Recycling-Plastik kann ohne Weiteres der Ausgangsstoff für die Schaffung neuer Objekte hergestellt werden.

5.3.2.

Der EWSA fordert die Kommission auf, der zunehmenden Verschmutzung zahlreicher europäischer Strände durch Biomedienfilter infolge fehlerhafter Abwasserentsorgungssysteme Rechnung zu tragen, auch wenn es sich dabei nicht um Einwegkunststoffartikel handelt.

5.4.

Die Digitalisierung kann die Bekämpfung der Verschmutzung und die Förderung einer nachhaltigen Wirtschaft maßgeblich unterstützen. Die Einführung von Systemen zur Kennzeichnung und Rückverfolgung von Kunststofferzeugnissen könnte für die Abfallbewirtschaftungs- und Recyclingverfahren einen Mehrwert bieten. Ein spezifisches Logo könnte das Vertrauen der Verbraucher vor allem in aus Sekundärrohstoffen hergestellte Erzeugnisse stärken (24).

5.5.

Der EWSA empfiehlt die Einführung eines gemeinsamen und qualitativ hochwertigen Rahmens für Umweltzertifizierungen, um die Unternehmen in die Lage zu versetzen, die höchsten Nachhaltigkeitsstandards zu erfüllen, und um sich überlappende Anforderungen und zusätzliche finanzielle Belastungen zu vermeiden.

5.6.

Der EWSA verweist erneut auf die Frage der verschiedenen Hafensysteme in der EU (25). In Europa gibt es Hunderte von kleinen Häfen, die ein wichtiger Entwicklungsfaktor für kleine lokale Gemeinschaften sind, die vom Meer und von der Fischerei leben. In ihrem Vorschlag sieht die Europäische Kommission eine Modernisierung (der Verfahren, der Technik und der Infrastruktur) vor, die ohne finanzielle Unterstützung seitens der EU auf lokaler Ebene kaum machbar ist, aber grundlegend wichtig ist, um der Bevölkerungsabwanderung vorzubeugen und die besonderen Merkmale der lokalen Produktion sowie die lokalen Gemeinschaften selbst zu erhalten.

5.6.1.

Der EWSA empfiehlt, die im Rahmen der erweiterten Herstellerverantwortung eingenommenen Mittel im Einklang mit der Richtlinie (EU) 2018/851 auch dafür einzusetzen werden, die Hafeninfrastrukturen gemäß den höchsten Standards für Abfallsammlung und -bewirtschaftung zu renovieren. Gleichzeitig erachtet er es als entscheidend, die Institutionen und die Zivilgesellschaft auf lokaler Ebene, mit einem besonderen Schwerpunkt auf kleinen Küstengemeinden (mit weniger als 5 000 Einwohnern), einzubeziehen, um gemeinsame und langfristig kostengünstigere Lösungen zu erarbeiten.

5.7.

Der EWSA bietet gemeinsam mit der Europäischen Kommission eine Plattform der Interessenträger für die Kreislaufwirtschaft (26) an, die bereits wichtige Erfolge aufweisen kann und die Erfassung sowie den Austausch von bewährten Verfahren und Erfahrungen der verschiedenen beteiligten Akteure unterstützt und die Verbreitung und Nachahmung fördert. Sie bietet sich als wichtiges und lohnendes Instrument an, das besser bekannt gemacht werden sollte.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Zigarettenfilter bestehen zu 95 % aus Kunststoff. https://www.noordzee.nl/hele-noordzeekust-schoon-2764-vrijwilligers-ruimen-11163-kilo-afval-op/.

(2)  Strandmüllzählungen sind ein international anerkannter Indikator für die Bestimmung der Zusammensetzung marinen Mülls. Sie gelten als wissenschaftlich zuverlässige Grundlage für die Politikgestaltung. Die Zählungsmethode stützt sich auf von der Gemeinsamen Forschungsstelle zusammengestellte Berichte der Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie 2008/56/EG. Datenquelle: UNEP, 2017.

(3)  Die Plastikinseln befinden sich in internationalen Gewässern. Ihre Beseitigung erfordert ein internationales Übereinkommen. Im Lauf der Jahre haben Meeresströmungen Plastikmassen, die überwiegend aus Entwicklungsländern stammen (vor allem aus Südostasien), zu Plastikinseln zusammengetrieben.

(4)  SDG 3, 9, 12 und 14 (Gesundheit und Wohlergehen; Innovation, Industrialisierung und Infrastruktur; nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster; Ozeane, Meere und Meeresressourcen).

(5)  COM(2018) 28 final.

(6)  COM(2015) 614 final.

(7)  Richtlinie (EU) 2015/720 (ABl. C 214 vom 8.7.2014, S. 40).

(8)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 98, ABl. C 367 vom 10.10. 2018, S. 97.

(9)  ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 61.

(10)  ABl. C 230 vom 14.7.2015, S. 33.

(11)  Die DIN EN 13432 ist eine harmonisierte Norm des Europäischen Komitees für Normung und legt die Merkmale fest, die ein biologisch abbaubares oder kompostierbares Material aufweisen muss.

(12)  ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 61.

(13)  ABl. C 209 vom 30.6.2017, S. 1.

(14)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 22.

(15)  Mit der Richtlinie 2004/35/EG wurde das Verursacherprinzip eingeführt, wonach ein Unternehmen für die von ihm verursachten Umweltschäden zur Verantwortung gezogen wird, die erforderlichen Maßnahmen zur Vermeidung, Beseitigung und zum Ausgleich ergreifen und alle damit verbundenen Kosten tragen muss.

(16)  ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 61.

(17)  UNEP, Marine plastic debris and microplastics, 2016.

(18)  Flussverträge sind ein bewährtes Verfahren, das zuerst in Frankreich in den 90er-Jahren eingeführt wurde. Anlässlich des Weltwasserforums im Jahr 2000 wurden sie als wichtiges und nützliches Instrument anerkannt. Zunächst ging es bei den Flussverträgen vor allem um die Verhütung hydrogeologischer Risiken. Inzwischen sind sie in vielen EU-Mitgliedstaaten zu einem grundlegenden Instrument für eine verantwortungsvolle und nachhaltige Bewirtschaftung der Binnengewässer unter Anwendung eines Bottom-up-Ansatzes geworden.

(19)  Richtlinie 2008/98/EG.

(20)  Richtlinie 1994/62/EG.

(21)  Richtlinie 2008/56/EG.

(22)  Richtlinie 91/271/EWG.

(23)  Richtlinie 2008/98/EG.

(24)  ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 61.

(25)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 68.

(26)  https://circulareconomy.europa.eu/platform/en.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/214


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit Vorschriften für die Unterstützung der von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik zu erstellenden und durch den Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) zu finanzierenden Strategiepläne (GAP-Strategiepläne) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates“

(COM(2018) 392 final — 2018/0216 (COD))

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013“

(COM(2018) 393 final — 2018/0217 (COD))

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1308/2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse, (EU) Nr. 1151/2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, (EU) Nr. 251/2014 über die Begriffsbestimmung, Beschreibung, Aufmachung und Etikettierung von aromatisierten Weinerzeugnissen sowie den Schutz geografischer Angaben für aromatisierte Weinerzeugnisse, (EU) Nr. 228/2013 über Sondermaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft zugunsten der Regionen in äußerster Randlage der Union und (EU) Nr. 229/2013 über Sondermaßnahmen im Bereich der Landwirtschaft zugunsten der kleineren Inseln des Ägäischen Meeres“

(COM(2018) 394 final — 2018/0218 (COD))

(2019/C 62/35)

Berichterstatter:

John BRYAN

Befassung

Europäisches Parlament, 11.6.2018

Rat der Europäischen Union, 22.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 43 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Präsidiums

22.5.2018

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

5.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

201/11/19

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Eine starke Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) mit einem soliden Haushalt auf der Grundlage des europäischen Modells der Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung, das eine wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltige EU-Agrarpolitik und Landwirtschaft unterstützt, sich durch höchste Standards auszeichnet und zur Sicherstellung eines wettbewerbsfähigen Agrarsektors beiträgt, ist für die Europäische Union und all ihre Bürgerinnen und Bürger von höchster Bedeutung. Die Modernisierung und Vereinfachung der GAP im Zuge dieser Reform ist unerlässlich, um sie besser auf die Erfordernisse einer nachhaltigeren und tragfähigeren EU-Landwirtschaft überall in Europa einzustellen und die neuen Herausforderungen in puncto Klimawandel und Umwelt angehen zu können.

1.2.

Vorschläge zur Kürzung des GAP-Haushalts sind nicht hinnehmbar. Die Beibehaltung einer angemessenen Mittelausstattung für die GAP ist eine Voraussetzung für die wirtschaftliche, ökologische und soziale Nachhaltigkeit der Landwirtschaft in der EU, um Einkommen und Arbeitsplätze zu erhalten, die Erbringung ökologischer Gemeingüter zu schützen und so entscheidend zur Vitalität des ländlichen Raums und zur Stabilität der Gesamtwirtschaft beizutragen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) vertritt die Auffassung, dass der EU-Haushalt auf 1,3 % des BNE aufgestockt werden sollte, um für die GAP und die neuen politischen Ziele und Herausforderungen ausreichende Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.

1.3.

Der EWSA begrüßt die vorgeschlagene neue Ausrichtung der GAP im Bereich der Subsidiarität, was mit größerer Verantwortung und Flexibilität der Mitgliedstaaten dank ihrer GAP-Strategiepläne und einem neuen leistungsorientierten Umsetzungsmodell einhergeht. Der EWSA möchte jedoch sichergestellt wissen, dass die GAP in allen Mitgliedstaaten eine starke gemeinsame Politik und der Binnenmarkt vollständig erhalten bleibt. Es ist von wesentlicher Bedeutung, die derzeitige Zwei-Säulen-Struktur der GAP mit soliden Direktzahlungen in der ersten Säule zur Sicherung der Hofeinkommen und Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums in der zweiten Säule zur Unterstützung schwächerer Branchen, Regionen und sozialer Infrastruktur beizubehalten und den Übergang zu nachhaltigeren und innovativeren Betrieben zu fördern. Die Gemeinsame Marktorganisation und ein funktionierender Binnenmarkt sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung.

1.4.

Die verstärkte Aufmerksamkeit und der größere Ehrgeiz in den GAP-Vorschlägen gegenüber Umwelt und Klimawandel ist begrüßenswert. Die spezifischen Ziele sind klar und aussagekräftig und betreffen Schlüsselfragen wie Wasser, Luft, Böden sowie Landschaft und Biodiversität und die nachhaltige Erzeugung hochwertiger Lebensmittel. Die im Verordnungstext hierzu hinterlegten Maßnahmen zur Erreichung der Ziele müssen allerdings wesentlich klarer beschrieben und konkretisiert werden. Eine angemessene Mittelausstattung für die GAP und entsprechende Anreizzahlungen für die Landwirte sind für die Umsetzung dieser Ziele von zentraler Bedeutung.

1.5.

40 % der Agrarausgaben sollen den Klimaschutzzielen der EU dienen. Der EWSA begrüßt diese Zielsetzung, erwartet aber, dass hierfür von der EU ein klar definierter Maßnahmenkatalog vorgegeben wird.

1.6.

Nachdem bereits in mehreren früheren GAP-Reformen Vereinfachungen auf Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe versprochen worden waren, fordert der EWSA nun mit Nachdruck, dass diese Zusage in der aktuellen Reform eingehalten wird. Der EWSA fürchtet jedoch, dass die neuen Subsidiaritäts- und Konditionalitätskriterien im Zusammenhang mit den GAP-Strategieplänen für Säule 1 und Säule 2, die zusätzlichen Grundanforderungen an die Betriebsführung (GAB) und die Bedingung „guter landwirtschaftlicher und ökologischer Zustand“ (GLÖZ) den bürokratischen Aufwand für die einzelnen Landwirte eher erhöhen anstatt senken werden.

1.7.

Die Direktzahlungen in der ersten Säule der GAP und die Mittel unter der zweiten Säule müssen uneingeschränkt beibehalten werden, um rentable und nachhaltige landwirtschaftliche Betriebe sicherzustellen. Direktzahlungen sollten nur echte Landwirte erhalten, die mit klaren und objektiven, auf EU-Ebene angenommenen Kriterien eindeutig definiert werden sollten.

1.8.

Die stärkere Unterstützung für den Generationenwechsel und Junglandwirte ist zu begrüßen. Diese muss mit Zusatzmaßnahmen einhergehen, die einen reibungslosen Generationswechsel ermöglichen.

1.9.

Jeder Vorschlag zu interner und externer Konvergenz, Zahlungsangleichung, Degressivität und Umverteilung muss auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruhen und darf nicht dazu führen, dass rentable Betriebe bedroht und faire Wettbewerbsbedingungen sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte in den verschiedenen Regionen der EU beeinträchtigt werden.

1.10.

Sämtliche Kürzungen der Mittelausstattung für die zweite Säule sind inakzeptabel, da ein solides Programm zur Entwicklung des ländlichen Raums für die Unterstützung benachteiligter Gebiete und Sektoren ausschlaggebend ist und zu einer ausgeglicheneren territorialen Entwicklung führt.

2.   Zentrale Aspekte der GAP-Reform 2021-2027

Einleitung

2.1.

Der EWSA vermerkt mit Interesse die Legislativvorschläge zur Reform der GAP und insbesondere die verstärkte Ausrichtung auf Klima- und Umweltschutz sowie die ehrgeizigeren Ziele in dieser Hinsicht. Der EWSA lehnt jedoch die Kürzungen der Mittel für die GAP ab, da für einen nachhaltigen Agrarsektor und den Erhalt der landwirtschaftlichen Einkommen eine starke Mittelausstattung erforderlich ist. Der EWSA nimmt die Änderungen bezüglich der Subsidiarität zur Kenntnis und ist der Ansicht, dass unbedingt eine echte Vereinfachung für die Betriebe erreicht werden muss.

2.2.

Der EWSA versieht die vorliegende Stellungnahme zu den Legislativvorschlägen mit einer Liste ausführlicher Vorschläge für Änderungen und Anpassungen und hofft sehr, dass diese in der künftigen Debatte im Europäischen Parlament und im Rat berücksichtigt werden.

Das europäische Modell der Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung

2.3.

Eine starke GAP und eine nachhaltige europäische Agrarpolitik zur Unterstützung einer wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltigen EU-Agrarpolitik und Landwirtschaft ist für die Europäische Union in Bezug auf Ernährungssicherheit und Nahrungsmittelsouveränität von zentraler Bedeutung, auch um die wachsende Nachfrage der 512 Mio. Unionsbürger (1) nach Lebensmitteln höherer Qualität zu befriedigen. Zudem muss die EU den Anstieg der Weltbevölkerung bedenken, die Schätzungen zufolge bis 2050 auf 9,5 Mrd. ansteigen wird, wobei 3 Mrd. Menschen in wasserstressgefährdeten Gebieten wohnen werden, was zu größerer Nahrungsmittelknappheit und Hunger führt. Der EWSA hält es daher für notwendig, dass sich die EU auf den Transfer von Wissen und den Austausch von Erfahrungen darüber konzentriert, wie anderswo auf der Welt auf nachhaltige Art und Weise mehr und bessere Lebensmittel vor Ort erzeugt werden können.

2.4.

Die GAP muss allen Unionsbürgern und dem ländlichen Raum gemäß den ursprünglichen, im Vertrag von Rom verankerten Zielen nützen und ebenso für die neuen Herausforderungen in puncto Klima und Entwicklung gemäß den Verpflichtungen der EU im Rahmen des Klimaschutzübereinkommens von Paris und der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung gerüstet sein.

2.5.

Der EWSA ist entschieden der Ansicht, dass die GAP im Zeitraum 2021-2027 das europäische Modell der Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung, gekennzeichnet durch bäuerliche Familienbetriebe, Genossenschaften, Erzeugergemeinschaften und andere Formen der Landwirtschaft sowie eine Lebensmittelerzeugung nach den weltweit höchsten Standards, in allen Teilen Europas unterstützen und erleichtern muss (2). Mit der neuen GAP muss die Frage niedriger landwirtschaftlicher Einkommen besser angegangen und die wachsende Einkommenskluft zwischen Landwirten und den Gehältern in der Gesamtwirtschaft verringert werden (3). Das europäische Agrarmodell ist nicht zu Weltmarktbedingungen und -preisen zu haben. Dieses Modell wird daher heute mehr denn je durch die aktuellen Entwicklungen bedroht, weshalb es durch eine starke GAP gestützt und gefördert werden muss (4).

2.6.

Wenngleich die Vorteile des Handels für die Landwirtschaft anerkannt werden, ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die EU-Agrarpolitik mithilfe der GAP höchste Standards in Ackerbau und Viehzucht, in der Lebensmittelerzeugung und den Umweltkontrollen, bei Gesundheit und Sicherheit und den Rechten der Arbeitnehmer in der Welt schützt. Der EWSA ist der Auffassung, dass ein viel kohärenterer politischer Ansatz der EU für internationale Handelsabkommen im Agrar- und Lebensmittelsektor und die GAP (5) erforderlich ist. Obwohl die GAP höchste Standards anstrebt, akzeptiert die EU in manchen Handelsverhandlungen, z. B. mit dem Mercosur, gleichwohl die Einfuhr von Lebensmitteln, die die EU-Normen der Lebensmittelsicherheit nicht erfüllen und die nach Maßgabe niedrigerer Umweltstandards erzeugt werden. Es darf nicht sein, dass die europäischen Standards, Märkte und Bürger durch die Globalisierung bedroht werden.

2.6.1.

Der Ausschuss nimmt gleichwohl mit Sorge zur Kenntnis, dass eine große Zahl von Landwirten im Vereinigten Königreich für den Brexit gestimmt haben, offensichtlich aufgrund der Eingriffsintensität und der Komplexität bei der Umsetzung der GAP vor Ort. Um ähnliche Probleme in anderen Mitgliedstaaten und entsprechenden Zulauf für die Populisten und EU-Gegner zu vermeiden, fordert der EWSA die Kommission auf sicherzustellen, dass reale und praktische Vereinfachungen auf Hof-Ebene zentraler Bestandteil der Vorschläge für die GAP im Zeitraum 2021-2027 sein werden.

2.7.

Angesichts der Vielgestaltigkeit der europäischen Landwirtschaft und der Vielfalt des kulinarischen Erbes und der Marktaussichten ist Qualitätsdifferenzierung ein strategisches Ziel und fester Bestanteil der Zukunft der europäischen Landwirtschaft, zusammen mit den Bemühungen um verbesserte Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. Die GAP sollte daher über verschiedene Möglichkeiten zur Förderung der Qualitätspolitik verfügen, wie dies auch in der Vergangenheit der Fall war. Um das zu erreichen, sollte bei der Entwicklung der GAP-Strategiepläne auch auf Qualitätsfragen verwiesen werden.

2.8.

Bei jeder vorgeschlagenen Änderung der GAP, die die Frage der Subsidiarität berührt, muss sichergestellt werden, dass der EU-Binnenmarkt nicht eingeschränkt wird und weiterhin kraftvoll und reibungslos funktioniert. Die nationalen GAP-Strategiepläne dürfen auf keinen Fall das Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen.

Die Notwendigkeit eines soliden Haushalts für die GAP

2.9.

Die Vorschläge zur Senkung des Anteils der GAP am EU-Haushalt von 38 % im Zeitraum 2014-2020 auf 28,5 % im Zeitraum 2021-2027 ist für den EWSA nicht hinnehmbar, vor allem angesichts dessen, dass der EU-Gesamthaushalt zunimmt. Die Einschnitte in den GAP-Haushalt schwanken zwischen 3 % und 4 % zu jeweiligen Preisen und 11 % bis 16 % zu Preisen von 2018 (unter Berücksichtigung einer jährlichen Inflationsrate von 2 %), je nach Art der Berechnungsmethode (6). Bei den Mitteln für die Entwicklung des ländlichen Raums überschreiten die vorgeschlagenen Kürzungen 25 % zu Preisen von 2018.

In Tsd. EUR

2014-2020

(EU28+EEF)

7*2020

(EU27+EEF)

2014-2020

(EU27+EEF)

2021-2027

Veränd. in % vs. EU27

2020*7

Veränd. in % vs. EU27

2014-2020

MFR (jeweilige Preise)

1 115 919

1 151 866

1 063 101

1 279 408

+ 11 %

+ 20 %

% BNE

1,03  %

1,14  %

1,16  %

1,11  %

 

 

GAP (jeweilige Preise)

420 015

394 659

391 849

378 920

-4 %

-3 %

MFR (zu Preisen von 2018)

1 136 105

1 107 138

1 082 320

1 134 583

+ 2 %

+ 5 %

GAP (zu Preisen von 2018)

428 354

379 334

399 608

336 623

-11 %

-16 %

Quelle: Arbeitsdokument der Europäischen Kommission zum Vergleich der Vorschläge für den MFR 2021-2027 sowie MFR 2014-2020.

2.10.

Im Einklang mit dem Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments ist der EWSA der festen Überzeugung, dass der EU-Haushalt auf 1,3 % des BNE erhöht werden sollte. Der derzeit für die GAP vorgesehene Anteil des EU-Haushalts sollte beibehalten werden. Damit könnten die Mittel für eine angemessen finanzierte GAP bereitgestellt werden, die den Zielen und Ambitionen der GAP sowie weiteren großen Herausforderungen wie dem Brexit gerecht wird. Die in den Legislativvorschlägen der Kommission genannten Ziele können ohne angemessene Haushaltsmittel für die GAP nicht erreicht werden.

2.11.

Die Kürzungen des GAP-Haushalts sind nicht mit den in Artikel 39 AEUV verankerten politischen Zielen der GAP vereinbar, insbesondere

der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten;

für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen.

Der EWSA lehnt die in den Vorschlägen dargelegten Kürzungen der Mittel in der zweiten GAP-Säule (ELER) entschieden ab, da hiervon viele Mitgliedstaaten unverhältnismäßig stark betroffen sind, in denen der Anteil der zweiten Säule an den GAP-Gesamtmitteln vergleichsweise größer ist. Er weist darauf hin, dass mit den Mitteln der zweiten Säule die stärker gefährdeten Sektoren und Bereiche des europäischen Agrarsektors sowie Investitionen, Modernisierung, Bildung, Ressourceneffizienz und Tierschutz unterstützt werden.

Mittelübertragungen zwischen den Säulen und Kofinanzierung

2.12.

Der EWSA ist besorgt über das Ausmaß der den Mitgliedstaaten gewährten Flexibilität bei der Übertragung von Mitteln zwischen den Säulen der GAP. Um zu verhindern, dass sich die Mitgliedstaaten ihren Kofinanzierungspflichten im Rahmen von Säule 2 entziehen, sollten die Mitgliedstaaten nach Auffassung des EWSA diese Flexibilität zur Mittelübertragung zwischen den Säulen nur nutzen dürfen, wenn sie diese Übertragungen vollständig kofinanzieren. Der EWSA spricht sich dagegen aus, den Mitgliedstaaten die Übertragung von Mitteln aus der zweiten in die erste Säule zu gestatten (7).

Struktur der GAP und neue Maßnahmen

2.13.

In den Legislativvorschlägen werden die Hauptbestandteile der GAP (Säule 1 mit Direktzahlungen, Säule 2 mit Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums und Gemeinsame Marktorganisation (GMO) für Marktstützungsmaßnahmen) beibehalten. Dies steht im Einklang mit der Zusage von Kommissionsmitglied Hogan, dass diese Reform keine Revolution, sondern eher eine Evolution sein werde.

2.14.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag in Artikel 14, nunmehr insgesamt vier verschiedene Formen entkoppelter Zahlungen vorzusehen, die zur Einkommensstabilisierung beitragen sollen:

die „Einkommensgrundstützung“ — wichtig: der EWSA schlägt vor, den Zusatz „für Nachhaltigkeit“ an dieser Stelle zu streichen und ihn in der Überschrift von Artikel 14 aufzunehmen, denn nur in einer wirklich ausgewogenen Kombination aller vier entkoppelten Zahlungen kann mehr und ausreichend Nachhaltigkeit erzielt werden;

die „ergänzende Umverteilungseinkommensstützung“ — auch hier gilt es den Zusatz „für Nachhaltigkeit“ zu streichen und ihn in der Überschrift aufnehmen;

die „ergänzende Einkommensstützung für Junglandwirte“ sowie

die Regelungen für Klima und Umwelt.

2.15.

Die Vorschläge enthalten neue Maßnahmen für eine zusätzliche Konditionalität für alle GAP-Zahlungen (Säule 1 und Säule 2) in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz sowie neue Vorschläge für mehr Subsidiarität im Rahmen des neuen Umsetzungsmodells (GAP-Strategiepläne), das den Mitgliedstaaten erheblich mehr Verantwortung und Flexibilität bei der Verwirklichung spezieller Ziele, beim Umgang mit besonderen Problembereichen und bei der Umsetzung und Anwendung der Regelkonformität einräumt. Mehr Subsidiarität sollte jedoch nicht zu verstärkter Renationalisierung, sondern allenfalls zu einer Anpassung der allgemeinen Maßnahmen an die Besonderheiten der einzelnen Gebiete führen.

2.16.

Der EWSA begrüßt, dass die wichtigsten Aspekte der GAP in Bezug auf die Zahlungen der ersten und zweiten Säule beibehalten werden, und betont, dass Direktzahlungen für die Betriebsinhaber und die landwirtschaftlichen Einkommen von großer Bedeutung sind. Der EWSA begrüßt zudem die verstärkte Ausrichtung auf Konditionalität und Leistung in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz.

Mehr Ehrgeiz beim Umwelt- und Klimaschutz

2.17.

Der EWSA erinnert daran, dass Landwirte bereits zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen, und vermerkt die in den Vorschlägen dargelegte verstärkte Ausrichtung auf Umwelt und Klimawandel und die Angleichung an die Verpflichtungen der EU gemäß dem Klimaschutzübereinkommen von Paris und die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG). Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass angemessene Haushaltsmittel für die GAP erforderlich sind, um diese ehrgeizigen Ziele, die die Wettbewerbsfähigkeit des Sektors nicht beeinträchtigen sollten, erreichen zu können.

2.18.

Eine ökologisch nachhaltige Lebensmittelerzeugung und Landwirtschaft sind gesellschaftliche Forderungen, und es ist unerlässlich, die GAP zu modernisieren und auf die Erfüllung dieser Forderungen auszurichten. Nachhaltigkeit hat eine wirtschaftliche, eine soziale und eine ökologische Dimension, die alle drei gleichermaßen wichtig sind. Die Stärkung der Umweltpflege und Maßnahmen im Bereich Klimaschutz sind für die neue GAP von zentraler Bedeutung. Der EWSA begrüßt, dass die „Stärkung von Umweltpflege und Klimaschutz und [der] Beitrag zu den umwelt- und klimabezogenen Zielen der Union“ eines der drei allgemeinen Ziele der Vorschläge ist (8). Solche Maßnahmen müssen ausreichend finanziell unterstützt werden, damit die Gesamtrentabilität landwirtschaftlicher Familienbetriebe nicht gefährdet wird.

2.19.

Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass von den neun spezifischen Zielen der Vorschläge drei der Verbesserung von Umwelt- und Klimaschutz gewidmet sind. Diese Vorschläge zielen insbesondere darauf ab,

zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel sowie zu nachhaltiger Energie beizutragen;

die nachhaltige Entwicklung und die effiziente Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen wie Wasser, Böden und Luft zu fördern;

zum Schutz der Biodiversität, Verbesserung von Ökosystemleistungen und Erhaltung von Lebensräumen und Landschaften beizutragen.

Die einschlägigen Maßnahmen und Programme im Rahmen der Regelungen für Klima und Umwelt müssen unbedingt durch eine Anreizkomponente untermauert werden, die ihre Nutzung durch die Landwirte fördern und ein starkes Signal an die Öffentlichkeit senden würde.

2.20.

Der neue gesamtheitliche Ansatz für die GAP, der in den Strategieplänen der Mitgliedstaaten verfolgt wird, soll sowohl die Maßnahmen der ersten GAP-Säule als auch die Maßnahmen von Säule 2 und die Konditionalität umfassen. Die neue erweiterte Konditionalität beinhaltet eine zusätzliche Auflagenbindung (Cross-Compliance) und Vorschläge für die Ökologisierung („Greening“) in folgenden Bereichen:

Maßnahmen zur Abfederung des Klimawandels wie die Erhaltung von Dauergrünland, den angemessenen Schutz von Feuchtgebieten und Torfflächen, das Verbot des Abbrennens von Stoppelfeldern;

Wasserschutz durch die Umsetzung von Maßnahmen der Union im Bereich der Wasserpolitik, die Kontrolle der Verschmutzung durch Phosphate, die Nitratrichtlinie und die Schaffung von Pufferstreifen entlang von Wasserläufen sowie den Einsatz des Betriebsnachhaltigkeitsinstruments für Nährstoffe (Nährstoffbewirtschaftung);

Bodenschutz und -qualität mit Schwerpunkt auf geeigneter Bodenbearbeitung zur Verringerung des Risikos der Bodenschädigung, keine vegetationslosen Böden in der/den nichtproduktiven Zeit(en) und Fruchtwechsel.

2.21.

In Bezug auf Biodiversität und Landschaft sind in den Vorschlägen zur Konditionalität Einzelheiten zur Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen festgelegt: ein Mindestanteil der landwirtschaftlichen Fläche für nichtproduktive Landschaftselemente oder Bereiche, Erhaltung von Landschaftselementen, Verbot des Schnitts von Hecken und Bäumen während der Brut- und Nistzeit von Vögeln und Maßnahmen zur Bekämpfung invasiver Pflanzenarten (GLÖZ 9), Schaffung von Pufferstreifen entlang von Wasserläufen (GLÖZ 4) oder Fruchtwechsel (GLÖZ 8). Der EWSA schlägt allerdings vor, dass von Seiten der EU diese GLÖZ mit klaren quantitativen Vorgaben versehen werden, die für die Mitgliedstaaten verbindlich sein sollten.

2.22.

Der EWSA begrüßt die Anforderung, dass die Mitgliedstaaten mindestens 30 % der ELER-Haushaltsmittel für Interventionen im Zusammenhang mit den spezifischen umwelt- und klimabezogenen Zielen vorsehen müssen und 40 % der Gesamtfinanzausstattung der GAP (EGFL und ELER) zu den Klimazielen beitragen sollen.

2.23.

40 % der Agrarausgaben sollen den Klimaschutzzielen der EU dienen. Der EWSA begrüßt diese Zielsetzung, erwartet aber, dass hierfür von der EU ein klar definierter Maßnahmenkatalog vorgegeben wird.

2.24.

Der EWSA weist darauf hin, dass Interventionen im Zusammenhang mit den spezifischen umwelt- und klimabezogenen Zielen in den Strategieplänen der Mitgliedstaaten unbedingt Vorrang einzuräumen ist, was zur Widerstandsfähigkeit und der langfristigen Rentabilität der landwirtschaftlichen Betriebe und zur Erhaltung von Arbeitsplätzen beiträgt, und dass der Schwerpunkt der Umsetzung auf der Zielerreichung liegen muss.

Subsidiarität — GAP-Strategiepläne und neues Umsetzungsmodell

2.25.

Der EWSA unterstützt das Konzept, den Schwerpunkt der GAP-Politik von der Regelkonformität auf die Leistung zu verlagern und den Mitgliedstaaten durch Subsidiarität im Rahmen des neuen Umsetzungsmodells und der GAP-Strategiepläne mehr Flexibilität und Verantwortung einzuräumen.

2.26.

Der EWSA möchte jedoch sichergestellt wissen, dass die GAP in allen Mitgliedstaaten eine gemeinsame Politik und der Binnenmarkt vollständig erhalten bleibt. Die GAP-Strategiepläne dürfen von den Mitgliedstaaten nicht für die Renationalisierung der Märkte oder zur Schaffung von Hindernissen oder zur Einschränkung des fairen Wettbewerbs im Binnenmarkt missbraucht werden. Auf keinen Fall ist die Umsetzung dieser Strategiepläne als Schritt in Richtung Kofinanzierung der gesamten GAP zu verstehen.

2.27.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass bei der Umsetzung auf Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe weiterhin gleiche Ausgangsbedingungen sichergestellt werden, insbesondere in Bezug auf Cross-Compliance und GLÖZ. Die Mitgliedstaaten und die Regionen müssen von einer Überregulierung oder Abmilderung der Umsetzungspläne abgehalten werden.

2.28.

Der EWSA begrüßt die Anforderung im Rahmen der GAP-Strategiepläne, wonach die Mitgliedstaaten einen größeren Beitrag zur Erreichung der spezifischen Umwelt- und Klimaziele leisten sollen. Landwirte sollten aus einer Reihe von Maßnahmen auswählen können, um eine bessere Anpassung an ihre spezifischen Gegebenheiten zu ermöglichen (in Reisfeldern und bei mehrjährigen oder Dauerkulturen ist z. B. keine Fruchtfolge möglich).

2.29.

Der Vorschlag, dem zufolge die Mitgliedstaaten die GAP-Strategiepläne sowohl für die erste als auch die zweite Säule der GAP ausarbeiten und vorlegen müssen, wird das derzeitige System verkomplizieren. Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass die Durchführung nicht durch diese Anforderung verzögert wird: Die effiziente und rechtzeitige Bereitstellung von Direktzahlungen an Betriebsinhaber darf keinesfalls verzögert werden. Die Regionen sollten dabei einbezogen werden und ihr Fachwissen sollte bestmöglich genutzt werden.

2.30.

Der EWSA schlägt vor, dass die GAP-Strategiepläne auf der Ebene der Mitgliedstaaten neben den in den Vorschlägen genannten zentralen Elementen auf folgende Fragen eingehen:

die Art und Weise, wie ein Mitgliedstaat in seinem Hoheitsgebiet ein länderspezifisches Problem bewältigt, wie z. B. Landflucht, Wüstenbildung in Teilen Südeuropas, Wasserqualität/Nitrate in Teilen Nordwesteuropas, Verlust der biologischen Vielfalt in Europa;

einzelstaatliche Pläne für die Vereinfachung auf Betriebsebene;

Umsetzungsplan und Fristen für alle Zahlungen im Rahmen der GAP;

Anreizsystem für eine gute Leistung im Bereich Umwelt- und Klimaschutz;

Leistungs- und Ergebnisziele auf nationaler Ebene.

Vereinfachung und Konditionalität

2.31.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Vereinfachung und fordert, dass dieses politische Bekenntnis zur Vereinfachung auf Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe in den neuen GAP-Vorschlägen auch wirklich umgesetzt wird. Wenngleich positive Elemente bestehen, sind die vorgeschlagene Funktionsweise des neuen Umsetzungsmodels, die verstärkte Konditionalität, die Einführung von Indikatoren im Rahmen der ersten Säule und die Verpflichtung zur Vorbereitung detaillierter GAP-Strategiepläne besonders beunruhigend und konterkarieren eine echte Vereinfachung.

2.32.

Trotz der begrüßenswerten Fortschritte bei der Vereinfachung der Omnibus-Verordnung, der Ausweitung des Systems der „gelben Karte“ und der Annahme der Satelliten-Technologie für die Flächenüberwachung sind die GAP-Vorschläge immer noch mit einer Vielzahl von detaillierten Anforderungen überfrachtet. Dies ist für die einzelnen Landwirte, von denen die überwiegende Mehrheit als alleiniger Betreiber unter hohem Einkommensdruck agiert, eine hohe bürokratische Belastung.

2.33.

Der EWSA sieht in dem in den Kommissionsvorschlägen verfolgten Ansatz einen Widerspruch zwischen Vereinfachung und Subsidiarität. Die Kommission tritt einerseits für Vereinfachung ein, wohingegen andererseits die Vorschläge für das neue Umsetzungsmodell und die Erweiterung der GAP-Strategiepläne auf die erste und die zweite Säule sowie die zusätzlichen und detaillierteren Grundanforderungen an die Betriebsführung (GAB) und GLÖZ-Anforderungen (Anhang III) (9) auf Hofebene dazu führen, dass die Umsetzung der Politik sowohl auf Ebene der Mitgliedstaaten als auch auf Betriebsebene komplizierter und bürokratischer wird. Die verschiedenen Ausnahmekategorien, die im Rahmen der Ökologisierungsregelung des Zeitraums 2014-2020 aufgestellt wurden, müssen in die Bestimmungen über die Konditionalität im Zeitraum nach 2020 überführt werden.

2.34.

Um eine wirkliche Vereinfachung auf Betriebsebene zu erzielen und gleichzeitig vollständige und angemessene Kontrollen aufrechtzuerhalten, muss der bürokratische Aufwand für die Betriebsinhaber von seinem Umfang und seiner Belastung her vermindert werden. Das derzeitige System zur Umsetzung der GAP beruht auf detaillierten Vorgaben auf EU-Ebene und strengen Kontrollen, Sanktionen und Auditregelungen (10). Eine vollständige Überarbeitung und Neukonzeption des Kontrollsystems auf Hofebene ist notwendig: verstärkter Einsatz neuer Technologien, Satellitenüberwachung und Fernerkundung, Zahlungen dürfen nicht aufgrund erhöhter Toleranzen und Inspektionen verzögert werden (11). In Bezug auf die verstärkte Nutzung der Fernerkundung sollte die korrekte Ermittlung des förderungswürdigen Gebiets ebenfalls eine Aufgabe der für die Überwachung zuständigen Behörden sein.

2.35.

Das derzeitige Kontroll- und Sanktionssystem ist auf Ertappen und Bestrafen anstatt auf Korrigieren und Verbessern ausgerichtet. Der EWSA schlägt die Einführung des Konzepts des Rechts auf Mängelbehebung mittels Nachbesserungen auf Betriebsebene vor, was Landwirten die Korrektur unbeabsichtigter Verstöße ohne Sanktionen gestatten würde.

2.36.

Weitere Vereinfachungen und Bürokratieabbau auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten in den Programmen der zweiten Säule der GAP sind dringend geboten (12).

2.37.

Die Mitgliedstaaten sollten im Rahmen ihrer Strategiepläne verpflichtet werden, einen speziellen Abschnitt zum Thema Vereinfachung auszuarbeiten und ihre Vorschläge zum Abbau der bürokratischen Belastung für Betriebsinhaber darzulegen und zu erläutern, inwiefern sie sich von der derzeitigen Regelung unterscheiden.

Generationenwechsel

2.38.

Der EWSA begrüßt die verstärkte Ausrichtung auf einen Generationenwechsel sowie die vorgeschlagenen zusätzlichen Hilfen für Junglandwirte, die einen einfacheren Zugang zu Land, Ausbildung und Finanzierungen brauchen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, Anreize für Landwirte zu bieten, die in den Ruhestand treten und ihren Betrieb einem Junglandwirt übertragen.

3.   Besondere Vorschläge des EWSA

Echte Betriebsinhaber

3.1.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich das Ziel, Direktzahlungen nur an echte Betriebsinhaber zu leisten. Landbesitz allein sollte eine Person, die keine landwirtschaftliche Tätigkeit ausübt, nicht zum Erhalt von Direktzahlungen berechtigen. Gleichwohl müssen die diesbezüglichen Auswirkungen auf nahezu alle landwirtschaftlichen Betriebe in der EU anerkannt werden.

3.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass grundlegende Definitionen wie echte Betriebsinhaber und Förderkriterien klar, deutlich und einheitlich auf EU-Ebene festgelegt werden sollten, um gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen, Wettbewerbsvor- und -nachteile sowie eine Schwächung des gemeinsamen Regelwerks zu verhindern.

3.3.

Neben der vorgeschlagenen Berücksichtigung von Einkommensprüfungen und des Arbeitskräfteaufwands im landwirtschaftlichen Betrieb sollte die Definition des Begriffs „echter Betriebsinhaber“ um objektive und diskriminierungsfreie Kriterien z. B. für Einkommen, Vermögenswerte, Zeitaufwand, Leistung und Bildung ergänzt werden. Im Einklang mit den jüngst in der Omnibus-Verordnung eingeführten Änderungen könnten die Mitgliedstaaten die Flexibilität behalten, die Förderungswürdigkeit gezielter zu bestimmen. Es sollte folglich möglich sein, einen gemeinsamen Rahmen aufzustellen, dabei aber den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu lassen, die Definition ihren tatsächlichen Erfordernissen und Gegebenheiten anzupassen.

Junglandwirte

3.4.

Der EWSA schlägt vor, die Definition des Begriffs „Junglandwirt“ zu überarbeiten, damit sichergestellt ist, dass Zahlungen nur an echte Junglandwirte gehen. Die Unterstützung für Neueinsteiger sollte eine vorrangige Maßnahme im Rahmen der zweiten Säule sein.

Allgemeine Ziele

3.5.

Der EWSA möchte darauf hinweisen, dass die allgemeinen Ziele eines intelligenten, krisenfesten und diversifizierten Agrarsektors, der Ernährungssicherheit, der Umweltpflege und des Klimaschutzes sowie der Stärkung des sozioökonomischen Gefüges in ländlichen Gebieten überhaupt nur auf der Grundlage eines wirtschaftlich tragfähigen Agrarsektors erreicht werden können. Die Realisierung eines funktionierenden Agrarsektors muss ein allgemeines Ziel der GAP sein.

Spezifische Ziele

3.6.

Der EWSA unterstützt uneingeschränkt die neun in den Legislativvorschlägen festgelegten spezifischen Ziele der GAP. Der EWSA schlägt jedoch vor, dass in Abschnitt (f) das zusätzliche Ziel der Vermeidung der Aufgabe von Flächen und des Schutzes landwirtschaftlicher Flächen vor Übernahme aufgenommen wird. Der EWSA ist zudem der Auffassung, dass eine ausgewogene territoriale Entwicklung zu den spezifischen Zielen gehören sollte. Er empfiehlt ferner, das in Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b genannte Ziel „Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit“ weiter zu fassen und in „Verbesserung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit der Betriebe auf den lokalen, nationalen und internationalen Märkten“ umzuformulieren. Der EWSA empfiehlt zudem, die Ziele der Förderung von sozialer Inklusion zu betonen und den Ausbau von sozialer Infrastruktur als spezifisches Förderziel zu verankern.

Indikatoren

3.7.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass der Vorschlag zur Einführung von Indikatoren zur Bewertung der Zielerreichung mit quantifizierten Etappenzielen und Zielwerten anhand detaillierter Kriterien, wie in Anhang I (13) dargelegt, nur für die nationale Ebene gelten und den Verwaltungsaufwand für die Landwirte nicht erhöhen sollte. Die neuen Indikatoren der GAP müssen einfach, realistisch, leicht quantifizier- und kontrollierbar und auf lokale Gegebenheiten anwendbar sein. Sie sollten direkt mit den definierten Zielen der GAP verbunden sein.

GLÖZ

3.8.

Der EWSA schlägt vor, im Zusammenhang mit der Erhaltung von Flächen im GLÖZ eine minimale und maximale Besatzdichte für Weideland zu erwägen.

Betriebsberatungsdienste

3.9.

Die Unterstützung und Weiterentwicklung des europäischen landwirtschaftlichen Wissens- und Informationssystems (AKIS), einschließlich Beratungsdiensten, Wissensaustausch und beruflicher Fortbildung sind wichtig, um Landwirte bei der Übernahme von Innovationen und neuer Technologien zu unterstützen, was wiederum ihre Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit erhöht. Jedwede EU-Initiative in Bezug auf Beratungsdienste und Innovationssysteme muss auf die bereits in den Mitgliedstaaten bestehenden Systeme aufbauen und sich auf die Schaffung von Mehrwert konzentrieren. Angesichts des Drucks, unter dem der GAP-Haushalt steht, sollte aus den Legislativvorschlägen deutlich hervorgehen, dass nichtlandwirtschaftliche Kräfte keine Direktzahlungen aus der ersten Säule der GAP erhalten dürfen.

Direktzahlungen

3.10.

Der EWSA betont die zentrale Bedeutung von Direktzahlungen der ersten GAP-Säule für die Unterstützung der landwirtschaftlichen Einkommen und befürwortet sie vorbehaltlos. In diesem Zusammenhang vertritt der EWSA die Auffassung, dass die Zahlungen der ersten GAP-Säule in vollem Umfang geschützt und Anpassungen an die neue Einkommensgrundstützung auf ein absolutes Minimum beschränkt werden müssen.

Deckelung und Kürzung von Zahlungen

3.11.

Die Kommission sieht im ihrem Vorschlag zwei unterschiedliche Direktzahlungsformen vor, nämlich vier unterschiedliche ungekoppelte sowie diverse gekoppelte Zahlungen.

3.12.

Bezüglich der ungekoppelten Zahlungen hatte der EWSA in seinen Stellungnahmen klare Aussagen gemacht: „Für die Direktzahlungen der ersten Säule sollte eine gerechte und vernünftige Obergrenze für den einzelnen Landwirt festgelegt werden (etwa in Höhe des Einkommens eines Facharbeiters). Anpassungen sollten möglich sein, und Partnerschaften, Genossenschaften, Agrarunternehmen sowie die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sind zu berücksichtigen“ (14).

3.13.

Er hatte allerdings auch empfohlen, die Obergrenze nicht auf Zahlungen anzuwenden, bei denen es sich um die Honorierung öffentlicher Leistungen handelt, vornehmlich den Zahlungen im Bereich Umwelt und Klima, für die er eine klare Anreizkomponente eingefordert hatte.

3.14.

Der Ausschuss sprach sich ferner für eine höhere Prämie für Grünland aus.

3.15.

Der EWSA begrüßt grundsätzlich die Einbeziehung von Löhnen und Gehältern gemäß Artikel 15 Absatz 2 Buchstabe a und b, er hält es aber nicht für angemessen, dass diese zu 100 % zum Ansatz kommen können. Es ist nicht gerechtfertigt, dass öffentliche Haushalte einer spezifischen Berufsgruppe Gehälter sowie die damit verbundenen Steuern vollständig finanzieren bzw. dass sogar unbezahlte Arbeit kalkulatorisch voll angerechnet werden kann. Hier muss die EU einen Höchstsatz festlegen, der unter 100 % liegt.

Konvergenz der Zahlungen

3.16.

Der EWSA unterstützt die Vorschläge zur externen Konvergenz zwecks weiterer Annäherung des Niveaus der Direktzahlungen zwischen den Mitgliedstaaten. Ziel des Vorschlags ist es, die bestehende Kluft beim gegenwärtigen durchschnittlichen Niveau der Direktzahlungen in den Mitgliedstaaten zu 50 % und beim EU-Durchschnitt der Direktzahlungen im Zeitraum 2012-2027 zu 90 % zu schließen. Mit einem angemessenen Budget für die GAP könnten die Vorschläge der Kommission jedoch ehrgeiziger sein, und zwar vor allem bezüglich der Mitgliedstaaten mit dem niedrigsten Beihilfeniveau. Nach Auffassung des Ausschusses sollte zum Ende der kommenden Haushaltsperiode die Höhe der Direktzahlungen mindestens bei 85 % des EU-Durchschnitts liegen.

3.17.

Die Angleichung von Zahlungsansprüchen ist ein kruder Ansatz, bei dem keinerlei objektive Kriterien wie die Höhe der Investitionen in den Betrieb, die Art des landwirtschaftlichen Bewirtschaftungssystems, Einkommenshöhe, die Anforderungen an die Arbeit, künftige Rentabilität des Hofes und Abhängigkeit des Betriebs von Direktzahlungen und der Einsatz des Betriebsinhabers berücksichtigt werden.

3.18.

Damit Betriebsinhaber von der internen Konvergenz — wonach die Mindestzahlungsansprüche bis 2026 auf 75 % des Durchschnittsbetrags angehoben werden sollen — profitieren können, sollten sie bestimmte objektive Kriterien erfüllen müssen.

Nationale Reserve

3.19.

Der EWSA unterstützt das Konzept einer nationalen Reserve für Junglandwirte und Betriebsinhaber, die erstmals eine landwirtschaftliche Tätigkeit aufnehmen (Neueinsteiger). Die Kriterien für die Zuweisung aus der nationalen Reserve müssen jedoch so festgelegt sein, dass die Zuweisung der Zahlungsansprüche nicht missbraucht wird und die Zahlungsansprüche nur echten Betriebsinhabern auf der Grundlage klarer, objektiver Kriterien wie Alter, Einkommen, Bildung, Zeitaufwand und Ertrag zugewiesen werden.

3.20.

Darüber hinaus sollte es obligatorisch sein, dass die aus der nationalen Reserve zugewiesenen Zahlungsansprüche vom Empfänger für einen bestimmten, vom Mitgliedstaat festzulegenden Mindestzeitraum aktiviert und genutzt werden. Zugewiesene Zahlungsansprüche aus der nationalen Reserve sollten von den Empfängern nicht vor Ablauf dieses Zeitraums verkauft werden dürfen.

Ergänzende Umverteilungseinkommensstützung

3.21.

Die Umverteilungseinkommensstützung hat in bestimmten Ländern sehr gute Ergebnisse hervorgebracht, könnte jedoch in anderen Kontexten die Höhe der Direktzahlungen und Einkommen für Betriebsinhaber, deren Einkommen am stärksten von Direktzahlungen abhängig sind und bei denen es sich zu einem großen Teil um Vollerwerbslandwirte handelt, weiter verringern und Zahlungen an Nebenerwerbslandwirte und Landwirte, die für ihr Gesamteinkommen weniger von Direktzahlungen abhängig sind, umlenken.

3.22.

In den Vorschlägen wird die Bedeutung von Direktzahlungen für die landwirtschaftlichen Einkommen herausgestellt, und es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Gewährleistung einer angemessenen Unterstützung und somit des landwirtschaftlichen Einkommens auch künftig ein Schlüsselelement darstellt, um Ernährungssicherheit, Umwelt- und Klimaschutz sowie die Lebensfähigkeit des ländlichen Raums sicherzustellen. Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass jede Option, bei der Direktzahlungen in erheblichem Umfang an Betriebe und Regionen mit niedriger Produktivität umverteilt werden, kurzfristig zu einer Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU auf den Weltmärkten führen (15), gleichzeitig aber den Erwartungen der Verbraucher und Bürger in Bezug auf eine stärkere Ausrichtung der GAP auf die Befriedigung der Bedürfnisse des Binnenmarktes besser gerecht wird.

3.23.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die ergänzende Umverteilungseinkommensstützung, wenn sie zur Anwendung kommt, nur aus Mitteln finanziert werden sollte, die durch die Deckelung freiwerden. Sie sollte, um die erheblichen Unterschiede innerhalb des Sektors zu verringern, nur Betriebsinhabern zugutekommen, deren Einkommen hauptsächlich von der Landwirtschaft abhängt.

Ergänzende Einkommensstützung für Junglandwirte

3.24.

Der EWSA befürwortet den Vorschlag einer ergänzenden Einkommensstützung für Junglandwirte. Um sicherzustellen, dass echte Landwirte hierdurch nicht benachteiligt werden, sind geeignete Mechanismen erforderlich, um finanzielle Zuwendungen, für die nicht wirklich eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt werden muss, zu verhindern.

Fakultative Regelung für Klima und Umwelt („Öko-Regelung“)

3.25.

Der EWSA nimmt die Einführung einer fakultativen Regelung für Klima und Umwelt auf Betriebsebene in der ersten Säule zur Kenntnis. Gleichwohl muss sichergestellt werden, dass Betriebsinhaber durch die vorgeschlagene „Öko-Regelung“ in der ersten Säule nicht davon abgeschreckt oder daran gehindert werden, sich an wichtigen Umwelt- und Klimaschutzprogrammen der zweiten Säule zu beteiligen oder diese anzuwenden.

3.26.

Es sollte eine Grünlandzahlung für Tierhaltung mit Bestimmungen für minimale und maximale Besatzdichten im Rahmen dieser Maßnahme ermöglicht werden. Zudem sollten Tierschutzzahlungen pro Tier ermöglicht werden, wie dies derzeit bei dieser Art von Regelung der Fall ist.

Gekoppelte Zahlungen

3.27.

Gekoppelte Zahlungen spielen beim Schutz gefährdeter Branchen und Gebiete eine sehr wichtige Rolle. Gekoppelte Zahlungen können einen wichtigen Beitrag zu gezielten und höheren Direktzahlungen leisten in einkommensschwachen Branchen wie der extensiven Mutterkuh- oder Schafzucht, dem Anbau von Eiweißpflanzen oder der Viehhaltung in Berggebieten, wo die Beibehaltung des Tierbestands für das ökologische Gleichgewicht grundlegend ist. Die Möglichkeit gekoppelter Zahlungen sollte generell begrenzt bleiben, aber dazu beitragen können, die Aufgabe von Flächen zu verhindern und die Weidehaltung zu fördern und zu begünstigen (16).

Ländliche Entwicklung

3.28.

Der EWSA unterstützt die acht umfassenderen EU-Interventionen im Bereich der Entwicklung des ländlichen Raums. Wie bereits dargelegt, lehnt der EWSA alle vorgeschlagenen Kürzungen der Mittelausstattung für die zweite Säule ab, denn sie treffen einen Teil der Mitgliedstaaten unverhältnismäßig stark und lassen Zweifel an einer intelligenten, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Entwicklung der Landwirtschaft aufkommen.

3.29.

Der EWSA ist der Auffassung, dass im Einklang mit der derzeitigen GAP spezielle Tierschutzmaßnahmen im Rahmen der Entwicklungsprogramme für den ländlichen Raum vorgesehen werden sollten und dies in eine der umfassenderen Interventionen aufzunehmen ist.

3.30.

Der EWSA schlägt vor, dass ein höherer Anteil der Zahlungen für Transaktionskosten oder Anreize vorgesehen wird, um für eine stärkere Beteiligung und Inanspruchnahme durch landwirtschaftliche Betriebe zu sorgen.

3.31.

Der EWSA ist der Auffassung, dass Verpflichtungen in den Bereichen Umwelt, Klima und sonstige Bewirtschaftungsverpflichtungen für Zeiträume von mehr als sieben Jahren in Betracht gezogen werden sollten, vorausgesetzt, dass auch die Finanzierung dieser Verpflichtungen entsprechend gesichert ist.

3.32.

Der EWSA ist der Auffassung, dass Zahlungen wegen naturbedingter Benachteiligungen (17) in den betreffenden Gebieten obligatorisch sein sollten, um die Aufgabe von Flächen in den Mitgliedstaaten zu verhindern. Darüber hinaus sollten die Maßnahmen Bestimmungen für minimale und maximale Besatzdichten vorsehen und eine Bandbreite für den Zeitraum festlegen, in dem die Tiere weiden sollten. Zahlungen für Gebiete mit naturbedingten Benachteiligungen sollten als Teil der Umweltausgaben im Rahmen der zweiten Säule berücksichtigt werden dürfen.

3.33.

Im Rahmen der Vorschläge zu naturbedingten und anderen ortsspezifischen Benachteiligungen sollte der Grundsatz „Keine Restriktion ohne Kompensation“ gelten. Um eine Änderung von Bewirtschaftungsmethoden herbeizuführen, ist es von großer Bedeutung, Entschädigungszahlungen für vollständige Verluste zu berechnen und angemessene Anreize zu zahlen.

3.34.

Der EWSA befürwortet eine Positivliste von Investitionsvorschlägen anstatt einer Negativliste.

3.35.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Vorschläge für Risikomanagementinstrumente auf Ebene der Mitgliedstaaten fakultativ und nicht obligatorisch sein sollten. Im Allgemeinen vertritt der EWSA die Auffassung, dass stabile Direktzahlungen im Rahmen von Säule 1 den besten Schutz gegen Einkommensschwankungen darstellen und auf keinerlei Weise geschmälert werden sollten, um Mittel an Versicherungssysteme oder Investmentfonds zu übertragen. Darüber hinaus schlägt der EWSA vor, dass Finanzmittel für das Risikomanagement sektorspezifisch vergeben werden.

3.36.

Der EWSA begrüßt die neue Flexibilität und die breite Palette von Unterstützungsmaßnahmen, die im Rahmen der Finanzinstrumente vorgesehen sind.

Krisenreserve

3.37.

Der EWSA anerkennt die Notwendigkeit einer wirksamen und angemessen finanzierten ständigen Krisenreserve. Er schlägt vor, die Mittel für die Krisenreserve einem neuen Ausgabenposten außerhalb des GAP-Haushalts zu entnehmen, sodass die Direktzahlungen an die Landwirte nicht geschmälert werden. Gemäß den geltenden GAP-Vorschriften müssen ungenutzte Mittel der Krisenreserve für 2020 den Landwirten 2021 wieder zufließen.

Gemeinsame Marktorganisation

3.38.

Die Legislativvorschläge lassen die GMO weitgehend unverändert, in der ein Sicherheitsnetz der öffentlichen Intervention und privaten Lagerhaltung sowie außergewöhnliche Maßnahmen vorgesehen sind. Darüber hinaus sieht die GMO Vermarktungsnormen und Bestimmungen für die Zusammenarbeit der Betriebsinhaber vor. Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission die Marktregulierung im Hinblick auf bessere Einkommen stärken und ausbauen.

3.39.

Der EWSA meint, dass in den Vorschlägen die Referenzpreise und Auslösungsschwellen für Marktstützungsmaßnahmen je nach der Entwicklung der Produktionskosten überprüft und auf einer praxisgerechteren Höhe neu festgesetzt werden sollten, um die Marktstützung im Bedarfsfall realistischer und substanzieller zu machen. Die Kommission sollte sich auf Marktmanagementinstrumente konzentrieren, insbesondere durch Begrenzung der Preisschwankungen bei den landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die ja die Haupteinnahmequelle der Landwirte sind.

Zahlungen

3.40.

Der EWSA schlägt vor, Vorauszahlungen für Direktzahlungen ab dem 16. Oktober eines jeden Jahres auf 80 % zu erhöhen (derzeit 50 %, aber üblicherweise werden 70 % gestattet) und für Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums auf 90 % festzulegen (derzeit 75 %, aber üblicherweise werden 85 % gestattet).

Zeitplan

3.41.

Die Zeitpläne für die Einigung über den MFR und die neuen GAP-Vorschläge sind unklar, insbesondere vor dem Hintergrund der Europawahl im nächsten Jahr. Der Reformvorschlag enthält mehrere neue Elemente wie den Strategieplan, der ein grundlegendes Element der Reform ist und seitens der nationalen Verwaltungen nicht einfach umzusetzen sein wird, und eine neue Struktur der GAP, die bestimmte Verpflichtungen für die Landwirte vorsieht (neue erweiterte Konditionalität, Einhaltung der Indikatoren des Strategieplans usw.). Es ist eine gewisse Zeit erforderlich, damit diese Verpflichtungen von den Landwirten zur Kenntnis genommen und angewandt werden können. Der EWSA empfiehlt eine rasche Einigung über den MFR vor der Europawahl im Mai 2019 und eine rechtzeitige Einigung über die künftige GAP, damit die Landwirte und der Agrarsektor Planungssicherheit für die Zukunft haben. Daher ist es von wesentlicher Bedeutung, dass rechtzeitig eine angemessene Übergangszeit auf der Grundlage der derzeitigen Stützungsregelung festgelegt wird, bevor die neuen Bestimmungen nach 2020 in Kraft treten.

Lebensmittelversorgungskette

3.42.

Der EWSA fordert erneut, dass eine umfassende EU-Lebensmittelpolitik (18) entwickelt werden muss. Insbesondere begrüßt der EWSA, dass die Kommission auf die wichtige Rolle der GAP bei der Förderung gesünderer Ernährungsgewohnheiten und der Bereitstellung von nährstoffreichen Lebensmitteln wie Obst und Gemüse für die Unionsbürger hingewiesen hat. Konkrete Vorschläge und Empfehlungen zu diesem Thema werden in einer in Ausarbeitung befindlichen Initiativstellungnahme erarbeitet. Der EWSA begrüßt die Vorschläge zur Stärkung der Stellung der Landwirte in der Lebensmittelversorgungskette. Größere Transparenz der Marktpreise auf jeder Ebene — vom Verbraucher bis zum Primärerzeuger — ist von wesentlicher Bedeutung. Zudem sollten mehr Anreize und Unterstützung für Erzeugerorganisationen vereinbart werden.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Eurostat — EU-Bevölkerung zum 1. Januar 2017.

(2)  Stellungnahme des EWSA Eine mögliche Umgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 10).

(3)  Erläuterungen von R. Ramon i Sumoy, GD Landwirtschaft, Referat C.1, in der Sitzung der Studiengruppe des EWSA am 25.6.2018.

(4)  ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 35.

(5)  ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 69, Ziffern 10.2, 10.3 und 10.4.

(6)  Arbeitsdokument der EU zum Vergleich der Vorschläge für den MFR 2021-2027 sowie MFR 2014-2020.

(7)  ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 69, Ziffer 7.13.

(8)  COM(2018) 392 final, Artikel 5 — Allgemeine Ziele, S. 47.

(9)  COM(2018) 392 final, Anhang III — Vorschriften für die Konditionalität gemäß Artikel 11.

(10)  COM(2018) 392 final, S. 3.

(11)  ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 69, Ziffern 1.9 und 6.4.

(12)  Programme der zweiten Säule der GAP — Ex-post-Bewertung der Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums 2007-2013.

(13)  COM(2018) 392 final, Anhang I — Wirkungs-, Ergebnis- und Outputindikatoren gemäß Artikel 7.

(14)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 10 und ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 69.

(15)  COM(2018) 392 final, S. 7.

(16)  The Policy Roadmap for the EU Sheep meat Sector (strategischer Fahrplan für den europäischen Schaffleischsektor), Empfehlungen des EU-Forums zum Thema Schaffleisch unter dem Vorsitz von John Bryan.

(17)  Flächen, die aus naturbedingten oder anderen besonderen Gründen benachteiligt sind (Areas facing natural or other specific constraints, ANC).

(18)  ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 18.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/226


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms für die Umwelt und Klimapolitik (LIFE) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1293/2013“

(COM(2018) 385 final — 2018/209 (COD))

(2019/C 62/36)

Hauptberichterstatter:

Lutz RIBBE

Befassung

Europäisches Parlament, 14.6.2018

 

Rat, 2.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 192 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Plenums

22.5.2018

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

5.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

18.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

133/7/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Natur und Umwelt befinden sich in der EU in einer ernsthaften Krise. Hierauf ist das nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) viel zu gering dotierte LIFE-Programm keine adäquate Antwort, und es wird an der derzeitigen Umweltkrise nichts Substanzielles ändern können. Grundsätzlich begrüßt der EWSA aber die Fortsetzung dieses Programms ausdrücklich.

1.2.

Erforderlich wäre neben einer deutlichen Aufstockung des LIFE-Programms eine viel höhere Kohärenz aller EU-Politiken. Der EWSA hat die sich zu Lasten von Natur und Umwelt auswirkende Inkohärenz schon mehrfach kritisiert, ohne dass sich hieran etwas geändert hätte.

1.3.

Der von der Kommission favorisierte Mainstreaming-Ansatz hat sich in den letzten Dekaden bei der Finanzierung des Biodiversitätsschutzes als nicht geeignet erwiesen. Deshalb bleibt der EWSA bei seinem Vorschlag, LIFE zur eigentlichen Finanzierungsfazilität für NATURA 2000 auszubauen.

1.4.

In der neuen Finanzperiode könnte der Mainstreaming-Ansatz für Klimaschutzmaßnahmen eventuell funktionieren, da mindestens 25 % der EU-Mittel für klimabezogene Maßnahmen zweckgebunden werden sollen.

1.5.

Besonders begrüßt der EWSA, dass das neue LIFE-Programm Beiträge zur Entwicklung und Umsetzung von Bottom-up-Initiativen für innovative, dezentrale und nachhaltige Wirtschaftskonzepte finanziell fördern kann.

1.6.

Der EWSA begrüßt, dass die neue LIFE-Verordnung weniger restriktiv ist und u. a. auch eine Vollfinanzierung von Projekten ermöglicht. Gleichzeitig begrüßt er, dass die Unterstützung von Organisationen, die wichtig für die Fortentwicklung und Umsetzung der europäischen Umweltpolitik sind, ermöglicht wird.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Kommission hat ihre Vorstellungen für die mittelfristige Finanzplanung für den Zeitraum 2021-2027 vorgelegt. Diese wird mit dem Ausscheiden des Vereinigten Königreiches aus der EU sowie dem Setzen neuer Prioritäten erhebliche Auswirkungen auf die bisherige Förderpolitik der EU und insbesondere bestimmte Programmbereiche haben.

2.2.

So sah die bisherige Förderstruktur des mehrjährigen Finanzrahmens 58 verschiedene Programme vor, diese Menge soll auf 37 reduziert werden.

2.3.

Das LIFE-Programm ist von dieser strukturellen Veränderung nicht betroffen, es soll als eigenständiges, mit einer eigenen Haushaltslinie versehenes Programm bestehen bleiben und die Entwicklung und Anwendung von innovativen Lösungsmöglichkeiten für Umwelt- und Klimaprobleme wie etwa die Energiewende fördern. LIFE wird im nächsten EU-Haushalt mit eigenen Mitteln von 5,45 Mrd. EUR ausgestattet.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA hat in den vergangenen Jahren das LIFE-Programm stets als wertvollen Bestandteil der europäischen Natur- und Umweltschutzpolitik bewertet und begrüßt deshalb seinen Fortbestand als eigenständiges Programm in der neuen Finanzperiode 2021-2027.

3.2.

Grundsätzlich stellt der EWSA fest, dass sich Natur und Umwelt in der EU in einer ernsthaften Krise befinden. Das hat einerseits damit zu tun, dass die EU-Finanzprogramme für den Natur- und Umweltschutz viel zu gering dotiert sind. Andererseits ist zu kritisieren, dass die verschiedenen sektoralen Politiken der EU nicht ausreichend kohärent sind. Der EWSA fordert die Kommission und den Rat dringend dazu auf, diese vom Ausschuss schon mehrfach kritisierten Missstände abzustellen. Ansonsten bleibt dem LIFE-Programm, mit dem zweifelsfrei sehr gute Projekte finanziert werden, nur eine Alibi-Funktion.

3.3.

Der EWSA erkennt einen gravierenden Widerspruch zwischen der politischen Prioritätensetzung durch Aussagen, Strategien, Konzepte und Gesetze einerseits und der Verankerung dieser angeblichen politischen Prioritäten im Haushalt andererseits. Es gilt der Grundsatz: der Haushalt spricht die Wahrheit über die tatsächlichen politischen Prioritäten.

3.4.

Der EWSA hat sich zu LIFE letztmalig in seiner Stellungnahme „Halbzeitbewertung des LIFE-Programms“ (1) geäußert und verschiedene Vorschläge zur Neugestaltung gemacht, die im neuen Verordnungsvorschlag leider keine Berücksichtigung fanden; diese betrafen u. a. den Aufgabenbereich und die Finanzausstattung von LIFE.

Finanzausstattung von LIFE

3.5.

Allein mit dem Mittelansatz für das neue Teilprogramm „Energiewende“ relativiert sich die zunächst durchaus imposant anmutende Erhöhung der Finanzausstattung des LIFE-Programms von 3,45 Mrd. EUR (im Finanzzeitraum 2014-2020) auf 5,45 Mrd. EUR (im Gesamtzeitraum 2021-2027). Zu bedenken ist auch, dass rund 2,6 Mrd. EUR — also fast die Hälfte des Ansatzes — Verpflichtungsermächtigungen sind, die nach den jetzigen Planungen erst nach 2027 ausgegeben werden könnten.

3.6.

Der Bereich „Klimapolitik“ ist in der laufenden Programmperiode mit 864 Mio. EUR ausgestattet, in der neuen Periode werden es 1,95 Mrd. EUR sein, inkl. 1 Mrd. EUR für das neue Teilprogramm „Energiewende“, das gegenwärtig unter „Horizont 2020“ gefördert wird. Die tatsächliche Erhöhung für den bisherigen Programmbereich „Klimapolitik“ fällt also mit ca. 100 Mio. EUR (für insgesamt 7 Jahre!) zu niedrig aus.

3.7.

Im Bereich „Umwelt und Ressourceneffizienz“ stehen in der derzeitigen Finanzierungsperiode 2,59 Mrd. EUR bereit, davon sind 1,15 Mrd. EUR für Biodiversität vorgesehen. Hier steht für die neue Förderperiode eine signifikante Erhöhung auf 2,15 Mrd. EUR (ein Plus von fast 100 %) an, aber auch diese Zahl muss in Relation gesetzt werden.

3.8.

Denn wie die Kommission in Erwägungsgrund 14 sehr zu Recht schreibt, ist „eine der wichtigsten Ursachen für die unzulängliche Umsetzung der Naturschutzvorschriften und der Biodiversitätsstrategie der Union das Fehlen einer angemessenen Finanzierung“. Auf die Unterfinanzierung des Biodiversitätsschutzes hat in besonderer Weise auch der Europäische Rechnungshof in seinem Sonderbericht zu Natura 2000 (2) hingewiesen.

3.9.

Dieses Problem löst sich mit der geplanten Erhöhung nicht einmal im Ansatz, im Gegenteil. Der EWSA sieht mit großer Sorge die extreme Unterfinanzierung speziell des für den europäischen Biodiversitätsschutz entscheidenden Natura-2000-Netzes, die sich in der neuen Finanzperiode 2021-2027 seiner Voraussicht nach dadurch weiter verschärfen wird, dass die Mittel für das ELER-Programm sowie für die Regionalentwicklung gekürzt werden.

3.10.

Die Kommission schlägt statt der aus Sicht des EWSA erforderlichen Aufstockung des LIFE-Programms eine Intensivierung des Mainstreaming-Ansatzes, sprich die Finanzierung aus anderen Haushaltslinien, vor. Der EWSA erkennt an, dass Mainstreaming funktionieren kann, wenn entsprechende zweckgebundene Haushaltsmittel an anderer Stelle vorhanden sind. Er verweist hier insbesondere auf den Klimaschutz, was u. a. damit zu tun hat, dass die Kommission vorgeschlagen hat, mindestens 25 % des EU-Haushalts für klimabezogene Maßnahmen auszugeben (3).

3.11.

Beim Biodiversitätsschutz ist allerdings der Mainstreaming-Ansatz, die Finanzierung des Natura-2000-Netzes vorrangig über die EU-Fonds für regionale Entwicklung sowie über die 2. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik zu organisieren, kläglich gescheitert. Der EWSA hatte sich deshalb in seiner Stellungnahme „Halbzeitbewertung des LIFE-Programms“ (4) vom 23. Februar 2017 dafür ausgesprochen, „das LIFE-Programm […] zum zentralen Instrument der Finanzierung des Natura-2000-Netzes [zu machen]“. Er verweist in diesem Zusammenhang auf diese (5) und weitere Stellungnahmen und spricht sich weiterhin für eine entsprechende zweckgebundene Aufstockung des LIFE-Programms aus. Ein weiterer Vorschlag zur Erreichung ehrgeiziger Umweltziele könnte darin bestehen, dass bei Verstößen im Rahmen der GAP etwaige ausstehende Restbeträge auf Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt umgeleitet werden.

3.12.

Legt man die Berechnungen zugrunde, die in Deutschland für die Finanzierung der Umsetzung von Natura 2000 angestellt wurden, und überträgt diese auf die EU(28), so ist mit einem Finanzbedarf zu rechnen, der bei bis zu 21 Mrd. EUR jährlich (!) liegt (6). Die Erhöhung des LIFE-Budgets im Bereich Biodiversität/Naturschutz um 1 Mrd. EUR für den Siebenjahreszeitraum ist daher nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

3.13.

Hinzu kommt, dass ein großer Teil der oben angegebenen Kosten für das Natura-2000-Netz für die dauerhafte Pflege und das Management der mehr als 27 000 Natura-2000-Gebiete aufgewendet werden muss. LIFE bietet aber auch nach dem neuen Vorschlag nur wenige Möglichkeiten, dauerhafte Pflegeaufwendungen in Natura-2000-Gebieten zu finanzieren, und wird demnach entgegen den in Erwägungsgrund 14 genannten Erfordernissen nach Auffassung des EWSA keinen ausreichenden Beitrag zur Lösung der Biodiversitätskrise in der EU leisten können.

3.14.

Insofern zeigt sich der EWSA extrem enttäuscht darüber, dass seine Anregung nicht aufgegriffen wurde. Die Kommission erklärt zwar in ihrem Verordnungsvorschlag, dass im Rahmen der Folgenabschätzung geprüft wurde, inwieweit LIFE „bei der Umsetzung der Naturschutz- und Biodiversitätspolitik der Union eine größere Rolle spielen könnte. […] Die Option eines großen Fonds mit geteilter Mittelverwaltung wurde […] als ineffizient abgetan“, ohne dass für den EWSA ersichtlich wird, wie die eklatante Unterfinanzierung für Natura 2000 gelöst werden soll. Der EWSA hat übrigens niemals einen Fonds mit geteilter Mittelverwaltung gefordert, denn ein solcher wäre in der Tat kaum effektiv zu verwalten. Er hat vielmehr empfohlen, LIFE (als das europäische Umweltfinanzierungsinstrument) insgesamt umzubauen und daraus dann die Verpflichtungen, die die EU bei der Umsetzung der entsprechenden Naturschutzrichtlinien hat, zu finanzieren.

3.15.

In Erwägungsgrund 18 wird ferner ausgeführt, dass LIFE künftig auch Projekte fördern soll, die zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) beitragen. Dies begrüßt der EWSA grundsätzlich, weist aber auch hier darauf hin, dass dies ohne eine weitere Aufstockung der Mittel zu einer zusätzlichen Unterfinanzierung der wichtigen anderen Programmteile führen wird. Diesen Vorbehalt macht der EWSA auch bezüglich der in Erwägungsgrund 19 erwähnten Förderung von Projekten zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (2008/56/EG) geltend.

3.16.

Der EWSA ist verwundert darüber, dass sich die vorgelegte LIFE-Verordnung nur an einer Stelle und hier auch nur am Rande auf das zukunftsweisende Konzept der „grünen Infrastruktur“ bezieht. Da sich im mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 das in der Kommissionsmitteilung vom 6. Mai 2013 (7) vorgeschlagene Finanzierungsprogramm TEN-G für die „grüne Infrastruktur“ nicht wiederfindet, regt der EWSA an, dass LIFE — mit einer deutlich aufgestockten Ausstattung — auch explizit Projekte zur grünen Infrastruktur finanzieren sollte.

3.17.

Es zeichnet sich schon heute ab, dass die in der EU vereinbarten Biodiversitätsschutzziele 2020 nicht erreicht werden. Wenn im Finanzzeitraum 2021-2027 eher noch weniger Mittel zur Verfügung stehen, ist zu befürchten, dass die EU selbst bis 2030 keine signifikanten Verbesserungen verweisen kann. Diese gravierende Biodiversitätskrise macht es erforderlich, LIFE massiv aufzustocken. Der EWSA bittet deshalb den Rat und das Europäische Parlament, die von ihm formulierten Gedanken bei der weiteren Debatte über die mittelfristige Finanzplanung zu diskutieren und zu berücksichtigen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Die Kommission betont in ihrer Begründung zum Verordnungsvorschlag mehrfach den kleinmaßstäblichen Charakter der geförderten Projekte, was LIFE z. B. von „Horizont Europa“ unterscheidet. Es wird geschrieben, dass LIFE „den Menschen hilft, beim Klimaschutz und für ihre Gemeinschaften tätig zu werden“. Genau diesen Ansatz, die Förderung von Bottom-up-Ansätzen durch zivilgesellschaftliche Interessenträger, hält der EWSA für enorm wichtig und weiter unterstützenswert.

4.2.

Dabei muss es aber um mehr gehen, als die Kommission in den Erwägungsgründen 8 und 10 ausführt. Sicher sind Projekte, die „die Erleichterung der Übernahme bereits vorhandener Technologien“ fördern, positiv zu sehen. Doch die Rolle der „Menschen“ geht über die Umsetzung entwickelter Verfahren weit hinaus.

4.3.

Denn nicht nur der im Verordnungsvorschlag erwähnte Europäische Innovationsrat kann, wie die Kommission schreibt, „Hilfestellung geben, um neue, bahnbrechende Ideen“ zu entwickeln und „auf einen größeren Maßstab zu übertragen und zu kommerzialisieren“.

4.4.

Dies können u. a. auch KMU, kleine und größere bürgerlich organisierte Initiativgruppen, Gewerkschaften, Privatpersonen oder Kommunen tun. Und sie entwickeln bereits (zum Teil sehr einfache) Ideen, Praktiken oder innovative, angepasste Technologien, auf die bisher zum Teil weder Politik/Verwaltung noch die etablierte Wirtschaft gekommen sind oder kommen wollten.

4.5.

LIFE sollte mit dazu beitragen, gerade für diese Aufgabe fördernd zur Verfügung zu stehen, zumal es gerade diesen nicht etablierten Strukturen häufig sehr schwer fällt, Unterstützung für Innovationen zu finden.

4.6.

Dies soll an zwei Beispielen, die gut zum neuen Teilprogramm „Energiewende“ passen könnten, erläutert werden:

4.6.1.

Es ist bekannt, dass der Aufbau einer Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge eine wichtige Aufgabe ist, der sich auch die Politik zu stellen hat. Bürgerinitiativen beginnen darüber nachzudenken, beispielsweise den Strom, der in genossenschaftlich betriebenen Windkraftanlagen gewonnen wird, direkt dezentral zu nutzen, um gemeinschaftlich betriebene Ladestationen zu betreiben bzw. private Ladestationen im eigenen Haus, im Wohnquartier oder am Arbeitsplatz zu versorgen. Was mittlerweile bei „Solartankstellen“ (sprich mit PV-Anlagen bestückte Carports) schon vielfach zu beobachten ist, könnte so auch auf Windanlagen übertragen werden. Dies würde völlig neue Beteiligungsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Akteure schaffen, die sowohl für die regionalwirtschaftliche Entwicklung als auch für die Akzeptanz der zu schaffenden neuen Versorgungsstruktur bedeutsam wären (8). Damit könnte auch der Anspruch der EU, den „Bürger in den Mittelpunkt der Energiewende zu stellen“, mit Leben erfüllt werden. Solche neuen gedanklichen Ansätze werden jedoch in der Regel nicht von den etablierten Stromversorgungsakteuren entwickelt. Sie bedürfen einer Initialunterstützung, insbesondere da vielfach die rechtlichen Rahmenbedingungen und technischen Detailfragen intensiv zu beleuchten sind. LIFE sollte solche Innovationen, die eben noch nicht „marktfähig“ sind, unbedingt unterstützen.

4.6.2.

Gleiches gilt für einen innovativen Ansatz, der in der podlachischen Stadt Lapy entwickelt wurde, aber nicht umgesetzt werden kann, weil schlichtweg keine Fördertöpfe für die benötigten vertiefenden Untersuchungen gefunden werden konnten. Die Stadt leidet, wie viele andere Gemeinden in den mittel- und osteuropäischen Staaten auch, unter hohen Emissionsbelastungen, die aus kohlebefeuerten kommunalen Nahwärmesystemen resultieren. Berechnungen haben ergeben, dass eine Substitution der Kohle durch regenerative Energieträger (wie z. B. Biomasse) oder emissionsärmere Energieträger wie Gas zu höheren Verbraucherpreisen führen würde, die in der Gesellschaft nicht durchsetzbar sind. Sehr wohl könnte vermutlich ein Ansatz, eine kommunale Windkraftanlage zu bauen und zu betreiben, um den gewonnenen Strom über Wärmepumpen in Wärme umzuwandeln, zu geringeren Wärmepreisen führen. Doch für die notwendigen technischen und rechtlichen Voruntersuchungen, die für die Umsetzung eines solchen Modellprojekts dringend benötigt werden, fehlen der Gemeinde die Mittel, und es gibt bisher auch von anderer Seite keine Unterstützung.

4.7.

Deshalb begrüßt der EWSA, dass mit dem Teilprogramm „Energiewende“ ein neuer Schwerpunkt im Bereich „Klimapolitik“ des LIFE-Programms gesetzt wird, der im Zeitraum 2012-2027 mit 1 Mrd. EUR knapp 20 % des Gesamtbudgets von 5,45 Mrd. EUR umfassen soll.

4.8.

Der EWSA hält es für erforderlich, für das LIFE-Programm möglichst einfache Antrags- und Durchführungsverfahren zu wählen. Er begrüßt, dass die Kommission sich stets bemüht, den bürokratischen Aufwand bei der Projektbeantragung und -durchführung weiter zu reduzieren.

4.9.

Die neue LIFE-Verordnung enthält wesentlich weniger Restriktionen als das derzeitig gültige Programm und räumt damit der Kommission deutlich mehr Flexibilität bei der Auswahl und der Finanzierung von Projekten ein. Dies wird nach Einschätzung des EWSA zu einer deutlich effektiveren Mittelverwendung führen.

4.10.

Gute und innovative Projekte sollten nicht allein deshalb scheitern, dass die Antragsteller eventuell nicht über ausreichende Kofinanzierungsmöglichkeiten verfügen. Der EWSA nimmt positiv zur Kenntnis, dass die neue LIFE-Verordnung keinen Artikel mehr enthält, der eine Vollfinanzierung von Projekten ausschließt (siehe alte Verordnung, Art. 20).

4.11.

Der EWSA begrüßt zudem, dass sich das LIFE-Programm weiterhin ständig fortentwickelt und dass nunmehr die Katalysatorfunktion herausgestellt wird, die LIFE bzw. LIFE-geförderte Projekte haben sollen. Unklar ist dem EWSA allerdings, wie diese Katalysatorfunktion konkret entstehen soll.

4.12.

Der EWSA kann sich gut vorstellen, dass die Kommission einen bestimmten Anteil der geförderten Projekte, die als besonders innovativ erschienen, auswählt und die Projektnehmer bittet, in einem kleineren Anschlussprojekt die Umstände, die besonders für den Erfolg bzw. Nichterfolg des Projekts verantwortlich waren, genauer zu beschreiben. Viele innovative Ideen (siehe Ziffer 3.8) scheitern heute z. B. an bürokratischen Auflagen oder einem fehlenden bzw. hinderlichen Gesetzesrahmen. Damit die Politik aus LIFE-geförderten Projekten lernen und Konsequenzen ziehen kann, ist es wichtig, die Erfolgs- bzw. Misserfolgsfaktoren genau zu kennen.

4.13.

In Erwägungsgrund 17 wird dargelegt, dass die Öffentlichkeit stark für die Luftverschmutzung sensibilisiert ist und erwartet, „dass die Behörden tätig werden“. Dies trifft zu, und LIFE kann hier auch zukünftig Beiträge leisten, indem entsprechende Hinweise, die aus den Projekten resultieren, in praktische Politik umgesetzt werden.

4.14.

Was LIFE nicht leisten kann und darf, ist, eine Art „Ausputzerrolle“ für das Nicht-Tätigwerden von Behörden zugewiesen zu bekommen. Die Luftreinhaltung in Europa hätte bereits wesentlich verbessert werden können, wenn zum Beispiel a) bereits beschlossene Grenzwerte konsequent eingehalten, b) die versprochene Internalisierung der externen Kosten konsequent vollzogen und c) umweltschädliche Subventionen — wie seit Jahren versprochen — abgeschafft würden.

4.15.

In Erwägungsgrund 27 werden deshalb sehr zu Recht auch die Aspekte der Rechtsumsetzung, einschließlich Überwachungs- und Genehmigungsverfahren, die Qualität der Umweltinspektion und der Vollzugsmechanismus angesprochen. Angesichts ihres Beitrags zu diesen Zielen sollten das Netz der Europäischen Union zur Durchführung und Durchsetzung des Umweltrechts (IMPEL), das Europäische Netz der im Umweltschutz tätigen Staatsanwälte (EUStA) und das Richterforum der Europäischen Union für die Umwelt (EUFJE) nach Artikel 12 des Vorschlags auch „ohne Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen Finanzhilfen erhalten können“, sprich eine institutionelle Förderung erhalten. Der EWSA begrüßt eine solche Förderung und unterstreicht die Wichtigkeit, auch andere maßgebliche gesellschaftliche Akteure, die die Umweltpolitik der EU voranbringen können, relativ unbürokratisch unterstützen zu können, wie dies in Artikel 10 Absatz 5 des Vorschlags vorgesehen ist.

Brüssel, den 18. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 7.

(2)  Sonderbericht Nr. 1/2017 — „Netz ‚Natura 2000‘: Zur Ausschöpfung seines vollen Potenzials sind weitere Anstrengungen erforderlich“.

(3)  Der EWSA hält diesen Anteil noch für zu gering und hat 40 % gefordert (Stellungnahme des EWSA zum Europäischen Finanz-Klima-Pakt, (siehe Seite 8 dieses Amtsblatts).

(4)  ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 7.

(5)  Siehe EWSA-Stellungnahme NAT/681 „Die Biodiversitätspolitik der EU“ (ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 14).

(6)  Siehe EWSA-Stellungnahme (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 90).

(7)  COM(2013) 249 final.

(8)  Siehe Stellungnahme des EWSA „Die Wirkungen einer neuen kohlenstofffreien, dezentralen und digitalisierten Energieversorgungsstruktur“ (ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 1).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/231


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1313/2013/EU über ein Katastrophenschutzverfahren der Union“

(COM(2017) 772 final — 2017/0309 (COD))

(2019/C 62/37)

Berichterstatter:

Dimitris DIMITRIADIS

Befassung

Europäische Kommission, 18.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 196 und 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Präsidiums

26.6.2018

 

 

Zuständige Fachgruppe

Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

5.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

18.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

205/2/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Schlussfolgerungen

1.1.

Angesichts der neuen und sich ständig verändernden Bedingungen, die sich aus dem Klimawandel ergeben und die menschliche Tätigkeit und das menschliche Leben dramatisch beeinflussen, fordert der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) die EU-Institutionen auf, neue gemeinsame Maßnahmen und Strategien zu ergreifen.

1.2.

Die Bewältigung dieser Phänomene erfordert eine größere Wachsamkeit und die solidarische Entwicklung nicht nur von Projekten, sondern auch von praktischen Lösungen. Dies ist auch der Grundgedanke des vorgeschlagenen überarbeiteten europäischen Katastrophenschutzverfahrens rescEU, das zum ersten Mal europäische Kapazitäten zur Brandbekämpfung aus der Luft, Such- und Rettungskapazitäten für Einsätze in Städten, Feldlazarette und medizinische Notfallteams umfasst.

1.3.

Der EWSA hält es für wichtig, dass die Kommission zusätzlich zu den vier oben genannten Kapazitäten die Befugnis erhält, zusätzliche Kapazitäten für rescEU festzulegen, um so die notwendige Flexibilität zu gewährleisten.

1.4.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mitteilung dem Konzept der europäischen Solidarität Rechnung trägt, betont jedoch, dass dies die Mitgliedstaaten in keiner Weise von ihrer Verantwortung und ihren Verpflichtungen entbindet.

1.5.

Die EU als Ganzes und jeder einzelne Mitgliedstaat für sich werden mit dem neuen Katastrophenschutzverfahren gemeinsam von den Kapazitäten eines Verfahrens profitieren, der zum einen über eigene Ressourcen und zum anderen auch über die Ressourcen verfügt, die die Mitgliedstaaten einbringen.

1.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission in ihrem jetzigen Vorschlag die Notwendigkeit eines koordinierten Informationsaustausches erkannt hat, sich aber auch bewusst ist, dass das Wissen systematisch unter allen Beteiligten verbreitet werden muss, damit es umfassend genutzt werden kann.

1.7.

Die Ausbildung der Bevölkerung insgesamt und die daraus resultierende Bereitschaft müssen einen Schwerpunkt für die Umsetzung einer gemeinsamen europäischen Politik bilden, sowohl in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten als auch mit den an gemeinsamen Maßnahmen teilnehmenden Drittstaaten und durch aktive Zusammenarbeit der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften.

1.8.

Der Katastrophenschutz ist Angelegenheit aller und jedes einzelnen. Die Reaktion auf Herausforderungen wird aber nicht nur durch Stärkung der individuellen Verantwortung verbessert, sondern auch durch kollektive Anstrengungen und gegenseitiges Verständnis. In diesem Kontext müssen die Zivilgesellschaft, Nichtregierungsorganisationen, Freiwillige und unabhängige Einrichtungen sowohl bei der Erarbeitung von Notfallplänen im Falle von Naturkatastrophen als auch bei ihrer Umsetzung mobilisiert und einbezogen werden.

1.9.

Die Unternehmen und ihre Arbeitnehmer können durch kollektive Maßnahmen dazu beitragen, eine Anpassung an die negativen Auswirkungen des Klimawandels oder sogar ihre Beseitigung zu erreichen sowie die Auswirkungen von Naturkatastrophen oder die Ursachen der vom Menschen verursachten Katastrophen zu minimieren (beispielsweise in Bezug auf Gas- und Partikelemissionen).

1.10.

Die modernen innovativen Technologien und digitalen Werkzeuge (Internet of Things — IoT) sollten auf allen Ebenen in den Dienst der Einsatzkräfte des Katastrophenschutzes gestellt werden. Mithilfe von Instrumenten, die im Bereich der Prävention, der Kontrolle und der Leitung bzw. Information der Einsatzkräfte vor Ort entwickelt wurden, kann es bei ordnungsgemäßer Anwendung gelingen, Gefahren vorzubeugen.

1.11.

Nach Auffassung des EWSA kann das von der Kommission vorgeschlagene rescEU-Verfahren

a)

den europäischen Bürgern eine starke Botschaft der europäischen Solidarität übermitteln, in einer Zeit, in der es die EU bitter nötig hat,

b)

die Zusammenarbeit der EU-Beitrittsländer fördern und auch zur Schaffung einer entsprechenden Kultur der Solidarität beitragen, die für alle EU-Mitglieder gelten soll,

c)

den Ländern, die in den EU-Institutionen zusammenarbeiten, die sensiblen und wichtigen Bereiche nahebringen und ihnen deutlich machen, was ein Staatenverbund wie die EU wirklich bedeutet, über die Bereiche hinaus, die normalerweise im Blickpunkt stehen,

d)

die regionale Zusammenarbeit über bilaterale Abkommen stärken und dazu beitragen, Spannungen in politischen Krisengebieten zu verringern, wie bereits in der Vergangenheit wiederholt bewiesen wurde, als große Naturkatastrophen gemeinsam bewältigt wurden.

1.12.

Der EWSA weist darauf hin, dass zusätzlich zu den von der Kommission vorgelegten Informationen über die zunehmende Häufigkeit und Schwere von Naturphänomenen und -katastrophen bis 2017 auch dieser Sommer zeigt, dass eine Überarbeitung und Ergänzung des derzeitigen Rahmens des EU-Katastrophenschutzverfahrens notwendig ist. Brände, Hitzewellen und Überschwemmungen mit einer in ganz Europa beispiellosen Intensität (sogar in Regionen, von denen man bisher dachte, dass solche Katastrophen dort nicht vorkommen können), die auf den Klimawandel zurückzuführen ist, sowie die unvorhersehbaren starken Erdbeben mit hoher Frequenz, die gewaltige Zerstörungen und Verluste verursachen, zeigen, dass Initiativen wie die von der Kommission in Form von rescEU vorgeschlagene Initiative notwendig sind.

1.13.

Der EWSA ist der Ansicht, dass in den kommenden Jahren der Ansatz im Bereich des Katastrophenschutzes zunehmend ganzheitlicher werden und Interventionsstrategien auf allen Ebenen der menschlichen Tätigkeit umfassen sollte. Der EWSA weist darauf hin, dass dringend ein umfassenderer politischer und gesetzlicher Rahmen für den Katastrophenschutz in der EU verabschiedet werden muss.

Empfehlungen

1.14.

Der EWSA nimmt die Probleme und Verpflichtungen zur Kenntnis, die der Kommission aus den geltenden europäischen Rechtsvorschriften (hauptsächlich aus dem Primärrecht) erwachsen, vertritt jedoch die Auffassung, dass alle denkbaren Anstrengungen unternommen werden müssen, damit die Mitgliedstaaten die Idee eines gemeinsamen Ansatzes in Katastrophenschutzfragen mittragen, insbesondere in den Bereichen der Prävention, Bewältigung und Wiederaufbau.

1.15.

Die freiwillige, aber mit einer Finanzierung verbundene Erstellung von nationalen Studien zur Risikobewertung sowie von Präventions- und Krisenplänen auf lokaler, regionaler und staatlicher Ebene sollte für die Mitgliedstaaten ein Anreiz sein, den Nutzen von rescEU zu maximieren.

1.16.

Die Kommission sollte in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten allgemeine Grundsätze und Leitlinien für die Änderung nationaler Rechtsvorschriften zur Schaffung eines gemeinsamen, modernen und kompatiblen europäischen Rechtsrahmens zu Themen entwickeln wie Frühwarnung, Freiwilligentätigkeit und ihre institutionalisierte Beteiligung auf allen Ebenen des Katastrophenschutzes, Bereitstellung eines Teils der Haushalte der Mitgliedstaaten für Präventionsmaßnahmen usw.

1.17.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Schaffung gemeinsamer Verwaltungsverfahren in den Mitgliedstaaten die entsprechende „gemeinsame Sprache“ gewährleisten, die Vorteile des neuen rescEU-Verfahrens maximieren und insbesondere bei Notfalleinsätzen die notwendige Flexibilität und Effizienz für ihre umfassende Nutzung bieten würde.

1.18.

Der EWSA ist der Ansicht, dass Instrumente wie die Europäischen Verbünde für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) genutzt werden sollten, damit auch im Bereich des Katastrophenschutzes gemeinsame Maßnahmen der Mitgliedstaaten grenzüberschreitend sichergestellt werden können.

1.19.

Der EWSA ist der Meinung, dass eine Initiative entwickelt werden sollte, um Anreize für innovative Unternehmen und Start-ups für die Verbesserung, Weiterentwicklung und/oder Neukonzipierung von High-Tech-Instrumenten in den Bereichen Prävention und Bewältigung zu setzen wie zum Beispiel Systeme zur Vorhersage, Warnung und Bekämpfung.

1.20.

Waldbrände sind ein Beispiel für die Notwendigkeit, derartige Systeme zu entwickeln unter gleichzeitiger Nutzung der Möglichkeiten der europäischen Industrie in den Bereichen Luftfahrt, Informatik, Fahrzeugtechnik, Brandbekämpfungssysteme und anderen relevanten Branchen.

1.21.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Kommission Wissenschaft und Forschung aktiv in den Dialog über geeignete Maßnahmen in den einzelnen Etappen des Katastrophenschutzzyklus einbeziehen sollte.

1.22.

Die Initiative zur Einrichtung eines jährlichen europäischen Forums, etwa unter der Schirmherrschaft des EWSA, unter Beteiligung von Wissenschaftlern, politischen Entscheidungsträgern und der für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden wäre nützlich, um einen Austausch bewährter Verfahren und Informationen über neue technologische Möglichkeiten sicherzustellen.

1.23.

Die Kommission muss den Mitgliedstaaten bewährte Verfahren, insbesondere im Bereich des Wiederaufbaus und der Prävention, empfehlen, indem sie Modelle einführt, die ökologische Verträglichkeit und Nachhaltigkeit gewährleisten.

1.24.

Der EWSA betrachtet die Freiwilligentätigkeit und damit die Zivilgesellschaft als eine der wichtigsten Triebfedern des Katastrophenschutzes. Er hält es daher für notwendig, sie durch Maßnahmen und Ausrüstungen auf europäischer Ebene zu stärken und ihre formelle Einbindung in das neuen rescEU-Verfahren zu gewährleisten.

1.25.

Die Mitwirkung von Arbeitnehmern in Freiwilligengruppen, wenn sie dies wünschen, inklusive vergleichbarer Maßnahmen zur Sicherung ihrer Grundrechte, wie Versicherung und die Gewährung von Sonderurlaub, wenn sie an Katastrophenschutzeinsätzen vor Ort beteiligt sind, sollte als Diskussionspunkt in den EU-Institutionen erörtert werden, um einen einheitlichen Rahmen hierfür zu schaffen.

1.26.

Es wäre hilfreich, ein gemeinsames europäisches Zertifizierungssystem für freiwillige Katastrophenschutzteams sowie die von ihnen verwendeten Ressourcen zu schaffen, das durch entsprechende Schulungen auf lokaler, regionaler, nationaler und/oder europäischer Ebene begleitet wird.

1.27.

Der EWSA weist die Kommission darauf hin, dass der europäischen Struktur- und Investitionsfonds umgehend mit der entsprechenden Flexibilität zur Finanzierung von Sanierungs- und Wiederaufbaumaßnahmen nach Naturkatastrophen ausgestattet werden muss. Diese sollten durch Studien begleitet werden, um die Nachhaltigkeit dieser Anstrengungen zu unterstützen wie auch das tägliche Leben in den betroffenen Gebieten wieder in Gang zu bringen, insbesondere in ländlichen Gebieten, sodass der Abwanderung der Bevölkerung entgegengewirkt wird.

1.28.

Es wäre hilfreich, wenn die „Kapazitäten“, die im Rahmen des neuen rescEU-Mechanismus erworben oder gemietet werden, nach Möglichkeit mehrere Funktionen kombinieren könnten, damit die Investitionen einen optimalen Nutzen bringen. So könnten beispielsweise Luftfahrzeuge zur Brandbekämpfung, zur Suche und Rettung, zur Grenzüberwachung bei grenzüberschreitenden Katastrophen und natürlich für Präventivmaßnahmen eingesetzt werden.

1.29.

Die Bereitstellung kombinierter Fähigkeiten zur Abdeckung der Bereiche Sicherheit (safety) und Gefahrenabwehr (security) könnte eine Lösung sein, die nicht nur Ressourcen spart, sondern auch zur Entwicklung integrierter operativer Aktivitäten der EU und zur Erreichung des Ziels ergänzender Maßnahmen beiträgt.

1.30.

Die Verteilung der im Rahmen von rescEU zu schaffenden Kapazitäten sollte Gegenstand einer gesonderten Studie sein, die nicht nur geografische, geologische und wirtschaftliche Daten berücksichtigt, sondern vor allem anhand des Risikos auch die Möglichkeiten einer unmittelbaren Reaktion und Abdeckung der EU-Gebiete für jede Gefahr einbezieht.

1.31.

Der EWSA schlägt vor, dass in allen Fällen, zumindest aber dann, wenn das europäische Verfahren operativ angewandt wird, der zuständige Mitgliedstaat oder die zuständige Region verpflichtet wird, eine Katastrophenakte zu erstellen, um Know-how aufzubauen, die operativen Verfahren für die Zukunft zu verbessern und so eine gesamteuropäische Datenbank zu schaffen. Eine Vorlage für die Akte kann von der Kommission entwickelt werden. Zudem wird vorgeschlagen, Indikatoren für die Messung der Interventionszeit und der tatsächlichen Wirkung von rescEU aufzustellen.

1.32.

Der EWSA begrüßt die Möglichkeit, dass Planungsbestimmungen für Risikobewertungen und Risikomanagement im Rahmen der Kohäsionspolitik und des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums als Konditionalität herangezogen werden. Er weist indes darauf hin, dass zuvor eine umfassende Informationskampagne durchgeführt werden sollte, damit der Produktionsprozess nicht beeinträchtigt wird.

1.33.

Der EWSA hält es für nötig, dass die Mitgliedstaaten stärker in den europäischen Katastrophenschutz-Pool einbezogen werden. Die vorgesehenen vorbereitenden Maßnahmen der Mitgliedstaaten für diese Beteiligung sollten jedoch auch eigene Investitionen in zusätzliche Ausrüstungen umfassen, um einerseits ihre Schwächung zu vermeiden und andererseits die operative Kapazität der Union insgesamt zu stärken.

1.34.

Der EWSA hält es für nötig, darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf die Bewältigung der Folgen jeder Art von Katastrophe den kleinen und mittleren Unternehmen besondere Beachtung geschenkt werden muss, da sie ein wesentlicher Bestandteil des täglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens sind.

2.   Allgemeine Bemerkungen (Hintergrund)

2.1.

Das EU-Katastrophenschutzverfahren bietet einen Rahmen für die Zusammenarbeit und Unterstützung bei größeren Notfällen innerhalb und außerhalb der EU. Rechtsrahmen ist die Entscheidung des Rates 2001/792/EG, Euratom über ein Gemeinschaftsverfahren zur Förderung einer verstärkten Zusammenarbeit bei Katastrophenschutzeinsätzen.

2.2.

In den folgenden Jahren wurde die ursprüngliche Entscheidung sukzessive durch die Entscheidung des Rates 2007/779/EG, Euratom über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung) und den Beschluss Nr. 1313/2013/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Katastrophenschutzverfahren der Union geändert.

2.3.

An dem Verfahren nehmen derzeit die 28 Mitgliedstaaten der Union, die Länder des EWR (Island und Norwegen) sowie Montenegro, Serbien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien und die Türkei teil. Der EWSA hält es für sehr sinnvoll, weitere Staaten in das Verfahren einzubeziehen, um dessen Flexibilität und die Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen und die Verwendung der Mittel zu verbessern.

2.4.

Am 23. November 2017 nahm die Europäische Kommission neben einer Mitteilung einen Vorschlag zur Änderung des rechtlichen Rahmens des Katastrophenschutzverfahrens der Union an. Die Ziele des Kommissionsvorschlags, der sich auf das aus den erworbenen Erfahrungen abgeleitete Fachwissen stützt, sind,

a)

eine spezielle Reserve an Katastrophenschutzkapazitäten (Mittel) der EU zu bilden,

b)

die schnellere Gewährung von Hilfe sicherzustellen und Bürokratie abzubauen,

c)

zusätzliche Maßnahmen im Bereich Prävention und Vorsorge zu ergreifen.

2.5.

Das wichtigste Finanzierungsinstrument ist bisher der EU-Solidaritätsfonds (European Union Solidarity Fund — EUSF), der 2002 eingerichtet wurde (Verordnung (EG) Nr. 2012/2002).

2.6.

Der EWSA hat sich auch in der Vergangenheit mit den Stellungnahmen NAT/314 (2006) (1), ΝΑΤ/375 (2008) (2), ΝΑΤ/438 (2009) (3), ECO/355 (2013) (4) und ECO/426 (2017) (5) zu den Fragen Katastrophenschutz, Naturkatastrophen und des Solidaritätsfonds geäußert.

2.7.

Das derzeitige Katastrophenschutzverfahren unterstützen vor allem das Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen (Emergency Response Coordination Centre — ERCC) in Brüssel, das Gemeinsame Kommunikations- und Informationssystem für Notfälle (Common Emergency Communication and Information System — CECIS), die Einsatzteams, die Katastrophenschutzmodule und die Teams für die technische Unterstützung mit den verfügbaren Ressourcen sowie das Schulungsprogramm und das Programm zum Austausch von Experten.

3.   Aktuelle Form des Verfahrens

3.1.

Mit dem Vertrag von Lissabon wurden neue Kompetenzbereiche geschaffen, in denen die EU tätig werden kann. Im Bereich des Katastrophenschutzes haben die neuen Aufgaben hauptsächlich unterstützenden Charakter.

3.2.

Mit dem Vertrag von Lissabon soll unter anderem die Fähigkeit der EU verbessert werden, Naturkatastrophen oder vom Menschen verursachte Katastrophen zu bewältigen. So kann die EU nach Artikel 196 des Vertrags Maßnahmen ergreifen in Bezug auf die Risikoprävention, die Ausbildung der in den Mitgliedstaaten am Katastrophenschutz Beteiligten, Einsätze im Falle von Naturkatastrophen oder von vom Menschen verursachten Katastrophen, die operative Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Katastrophenschutzstellen und die Kohärenz von Maßnahmen auf internationaler Ebene.

3.3.

Darüber hinaus sind diese Katastrophenschutzbestimmungen an die Solidaritätsklausel von Artikel 222 des Vertrags gebunden. Diese Klausel ermöglicht es der EU, einem Mitgliedstaat Unterstützung zu leisten, wenn dieser von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist.

3.4.

Tatsache ist, dass die klimawandelbedingten extremen Wetterereignisse nun auch Europa betreffen. Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission und des Europäischen Parlaments, dass die Jahre 2017 und 2018 in besonderem Maße durch Naturkatastrophen in Europa geprägt waren. Zu den Verlusten zählen Menschenleben, enorme Waldflächen, Immobilienvermögen und Infrastruktur. Land- und Forstwirtschaft, Handel und Industrie haben erhebliche Verluste erlitten, und Phänomene wie Waldbrände verbreiteten sich in alarmierender Weise in den nördlichen Regionen Europas, die bis vor Kurzem zumindest in Bezug auf diese Gefahr als sicher galten.

3.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das derzeitige europäische Katastrophenschutzverfahren angesichts dieser neuen Rahmenbedingungen an seine Grenzen stößt und insbesondere bei Naturkatastrophen, die in verschiedenen Regionen gleichzeitig auftreten, oft unzureichend, langsam und ineffizient ist. Ein weiterer wesentlicher Nachteil sind die äußerst begrenzten Ressourcen, die nur die Transportkosten und nicht die viel höheren operativen oder sonstigen Kosten abdecken.

3.6.

Gleichzeitig zeigt sich täglich, dass die Mitgliedstaaten nicht in der Lage sind, größere Katastrophen allein zu bewältigen; die Kosten für den Erwerb oder die Anmietung der gesamten operativen Ausrüstung sind für ein einzelnes Land nicht tragbar und erfordern Maßnahmen auf europäischer Ebene.

3.7.

Ein charakteristisches Beispiel sind die Kosten für die Anschaffung eines modernen und effizienten Löschflugzeugs des Typs Canadair (das von den Mitgliedstaaten häufig genutzt wird), die auf etwa 30 Mio. EUR geschätzt werden. Die Produktion wurde ausgesetzt, und der Hersteller kann selbst bei Neubestellungen nur ein bis zwei neue Flugzeuge pro Jahr liefern.

3.8.

Zwar ist es jetzt möglich, das Verfahren für die Bereitstellung von Ressourcen zu aktivieren, wenn ein Staat von einer größeren Katastrophe bedroht ist, doch sind die anderen Mitgliedstaaten häufig nicht in der Lage, Hilfe zu leisten. Dies ist entweder auf den offensichtlichen Mangel an Ressourcen zurückzuführen oder darauf, dass die aktuelle Situation in den wenigen Ländern, die über diese Ressourcen verfügen, die Durchführung eines operativen Einsatzes in einem anderen Mitgliedstaat unmöglich macht.

3.9.

Angesichts der derzeitigen Kapazitäten des Katastrophenschutzverfahrens sind die erwähnten Bestimmungen von Artikel 222 des Vertrags von Lissabon in vielen Fällen nicht anwendbar, da die Ressourcen begrenzt sind, die Bürokratie eine unmittelbare Reaktion und ein rasches Eingreifen unmöglich macht und die Zusammenarbeit in Bezug auf den Austausch von Wissen und bewährter Verfahren in der Praxis nicht funktioniert.

4.   Allgemeine Bemerkungen zum Vorschlag der Kommission

4.1.

Der EWSA stellt erneut fest, dass das europäische Katastrophenschutzverfahren verbessert, verändert und zu einem integrierten europäischen System mit dem Schwerpunkt Katastrophenmanagement ausgebaut werden muss, das den gesamten Katastrophenschutzzyklus von der Prävention bis zu Wiederaufbaumaßnahmen abdeckt.

4.2.

Mit dem Vorschlag zur Stärkung des EU-Katastrophenmanagements (rescEU) können die EU und die Mitgliedstaaten nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch ihre Menschlichkeit ebenso wie ihre Einheit und Solidarität, die Grundgedanken der Gründungs- und Folgeverträge, in Zeiten unter Beweis stellen, in denen die Rückbesinnung auf die europäischen Wurzeln unabdingbar ist.

4.3.

Es sollte betont werden, dass es bis heute praktisch keine ernsthaften europäischen Anreize gibt, solide Vorschläge und Allianzen für den Umgang mit Naturkatastrophen zu schaffen, und freiwillige Anstrengungen sind oft nicht zielführend und ineffektiv. Wichtig ist nun, die Häufigkeit gemeinsamer Übungen zwischen Ländern, die gemeinsame Gefahren und gemeinsame Grenzen aufweisen, durch die Einbeziehung und Ausbildung von Freiwilligen zu erhöhen und gleichzeitig die Gesellschaft zu motivieren (durch Befreiung von oder Reduzierung anderer Aktivitäten, z. B. von Reservistendiensten), um die Zahl der Freiwilligen zu steigern.

4.4.

Der EWSA begrüßt die Stärkung der Prävention und Vorsorge in Verbindung mit einer Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Infrastrukturen und Ökosystemen. Neben der Verringerung der Zahl der Verletzten und Todesopfer und dem Schutz der Gesellschaft wird der direkte wirtschaftliche Nutzen, der sich aus der Reduzierung der Reaktionsanforderungen ergibt, einen erhöhten Schutz für die Landwirtschaft bieten, da das Risiko von Zerstörungen durch Brände oder Überschwemmungen reduziert wird, die erhebliche Schäden im Primärsektor verursachen.

4.5.

Die Feststellung der Kommission, dass nun geänderte Risiken durch natürliche (Überschwemmungen, Brände, Erdbeben usw.) und anthropogene (technische Unfälle, Terroranschlüge usw.) Faktoren vorherrschen, entspricht der Form der Risiken in der heutigen Zeit und der Rolle des Klimawandels als Multiplikator voll und ganz. Das neue Konzept der Resilienz in Bezug auf das Katastrophenrisikomanagement sollte für jede wirtschaftliche Tätigkeit, insbesondere im Infrastrukturbereich, angewandt werden. Die Bewertung und Verbesserung der Resilienz der Infrastrukturen sollte unter Verwendung modernster digitaler Mittel und mithilfe der innovativsten Technologien erfolgen.

4.6.

In dem neuen Konzept der Stärkung der Kapazitäten für Prävention, Vorsorge und Bewältigung von Katastrophen sowie Wiederaufbau werden zum ersten Mal die wichtigsten Pfeiler herausgestellt, die dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung dienen. Der EWSA stimmt der vollständigen Berücksichtigung des gesamten Katastrophenschutzzyklus voll und ganz zu, da auf diese Weise der Bedarf an sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Wachsamkeit deutlich wird. Dieses ganzheitliche Konzept gewährleistet die Einbeziehung des gesamten Spektrums der beteiligten Akteure in den Zyklus und die Verbreitung/Weitergabe von Fachwissen und Verfahren. Der Erfolg dieses Konzepts soll durch gemeinsame Programme und Übungen/Schulungen von Ländergruppen erreicht werden, die denselben Risiken ausgesetzt sind.

4.7.

Das Programm operiert im Rahmen der Agenda 2020 der Vereinten Nationen und der globalen Strategie für das Katastrophenrisikomanagement gemäß dem Sendai-Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge, konkret der Priorität 1 „Schaffung eines Verständnisses für Katastrophenrisiken“.

4.8.

Der EWSA teilt zudem den von der Kommission beschriebenen allgemeinen Grundsatz, ein Wissens- und Bildungsnetz einzurichten. Er weist jedoch darauf hin, dass Wissenschaftler und Universitäten formell daran beteiligt und mit Forschungsaktivitäten (Projekten und Studien) beauftragt werden sollten, um mögliche Risiken sowie die damit verbundene Vulnerabilität und Gefahr für die Gesellschaft zu erfassen und zu bewerten. Aufgrund der vorhandenen Erfahrungen und Kenntnisse und da im Katastrophenfall soziale Strukturen auf lokaler Ebene einfacher und rascher mobilisiert werden können, wird die Zusammenarbeit zwischen privater Initiative und Wirtschaft sowie der Zivilgesellschaft als notwendig erachtet. Auch die Information und Aufklärung der Bürger über die jeweiligen Risiken, denen sie ausgesetzt sind, wird als Aufgabe von hoher Priorität erachtet.

4.9.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die konkreten Kapazitäten, die die Kommission im Rahmen von rescEU vorschlägt, ausgebaut werden müssen, also die Reserve bestehend aus Löschflugzeugen, Hochleistungspumpen, Such- und Rettungskapazitäten in Städten sowie die operativen Kapazitäten, die für die öffentliche Gesundheit durch den Erwerb von Feldlazaretten und medizinischen Notfallteams gemäß Kapitel 3.1 Absatz 2 ihrer Mitteilung, weiterentwickelt werden. Der EWSA betont, dass die Interoperabilität der Instrumente und sowie die Möglichkeit ihrer flexiblen Nutzung gewährleistet werden müssen, um Skaleneffekte im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung zu erzielen. So könnte etwa der Ankauf von Luftfahrzeugen erwogen werden, die gleichzeitig dienen zur a) Brandbekämpfung aus der Luft, b) Durchführung von Beobachtungsflügen und Überwachung zwecks frühzeitiger Warnung, c) Suche und Rettung, d) Evakuierung von Kranken aus schwer zugänglichen oder weit entfernten Inselgebieten. So könnten diese Luftfahrzeuge das ganze Jahr über sinnvoll eingesetzt werden, was zur schnelleren Amortisierung der Kosten führen würde.

4.10.

Der EWSA schlägt vor, lokale Strukturen in Gebieten zu schaffen, die einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, eine dringendere Reaktion zu benötigen. Darüber hinaus sollten lokale Gemeinschaften mit Ersthelfer-Kapazitäten ausgestattet werden, und es sollten lokal ausgebildete Gruppen, die über Frühwarnsysteme verfügen, gebildet werden. Die Erarbeitung und Verbreitung gemeinsamer zertifizierter Handbücher mit Leitlinien ist nach Auffassung des EWSA ebenfalls dringend erforderlich.

4.11.

Der EWSA stimmt der Ausweitung der Finanzierungsbereiche für Katastrophenschutzmaßnahmen für die Mitgliedstaaten, etwa Anpassung und Wiederaufbau, aber auch für die Erhöhung der Kofinanzierungsrate für den Transport zu. So ist beispielsweise die gemeinsame Finanzierung durch EU und Mitgliedstaaten im Falle großflächiger Zerstörungen durch Erdbeben vollkommen zulässig, wenn es um den Transport und den Aufbau von Notunterkünften, die Herrichtung angemessener Räume mit entsprechenden Infrastrukturen und Einrichtungen der öffentlichen Versorgung (Strom, Wasser, Kommunikation, Abwasser) geht, damit das soziale und wirtschaftliche Leben schnellstmöglich wiederherstellt wird und das soziale Gefüge erhalten bleibt.

4.12.

Der EWSA spricht sich nicht gegen eine Berücksichtigung der operativen Kosten bei der Kofinanzierung aus, weist jedoch darauf hin, dass ein objektives Verfahren für die Schätzung und vor allem für die Bewertung dieser Kosten vorgesehen werden sollte, damit die Mittel angemessen eingesetzt werden. Er hält es auch für unerlässlich, alle alternativen Finanzierungsquellen wie die Strukturfonds und die Kofinanzierung durch die Europäische Investitionsbank zu nutzen.

4.13.

Der EWSA hat sich in einer Reihe von Stellungnahmen schon mehrfach dafür ausgesprochen, die bürokratischen Verfahren abzubauen und die notwendige Flexibilität bei der Verwendung von EU-Mitteln zu gewährleisten, ohne dass Transparenz und unabhängige Kontrolle darunter leiden, um so die Rechtmäßigkeit des Verfahrens und die effiziente Nutzung europäischer Steuermittel zu gewährleisten.

4.14.

Der EWSA begrüßt die Verweise der Kommission auf die Bewältigung der Folgen von Terroranschlägen und ist der Ansicht, dass es einen klaren Rahmen für Maßnahmen zur Prävention, Bewältigung (der Folgen) und Wiederaufbau geben sollte. In diesem Zusammenhang könnte die Kommission in naher Zukunft einen Plan für den Aufbau eines Pools an Ressourcen auch für vom Menschen verursachte Naturkatastrophen durch chemische, radiologische und nukleare Vorfälle (CBRN) ausarbeiten, ohne die in diesen Bereichen tätigen Unternehmen von ihrer Verantwortung und ihren Verpflichtungen hierfür zu entbinden. Der EWSA weist darauf hin, dass eine nicht unverzügliche Reaktion auf solche Vorfälle auch die Primärproduktion erheblich beeinträchtigen kann, mit erheblichen langfristigen Auswirkungen auf die Ernährung und die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt.

4.15.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Zivilgesellschaft im Rahmen von rescEU auf formeller Grundlage für die inhaltliche Ausgestaltung der Maßnahmen und nach Möglichkeit die Prävention und Bewältigung mobilisiert werden muss. Der Europäische Solidaritätskorps sollte ebenfalls eingebunden werden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der EWSA erachtet es auch als notwendig, die Rolle der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften im Bereich des Katastrophenschutzes und des neuen EU-Verfahrens zu stärken, namentlich durch:

a)

die Einbeziehung der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften in die Prävention, Planung und Umsetzung von Risikomanagementmaßnahmen und Maßnahmen zur Bekämpfung von natürlichen und von Menschen verursachten Gefahren,

b)

die Stärkung und Integration der spezifischen Kapazitäten der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die als erste zur Bewältigung einer Katastrophe gerufen werden,

c)

die Nutzung der Kapazitäten von regionalen und lokalen Gebietskörperschaften bei allen Arten von Koordinierungs- und operativen Entwicklungsmaßnahmen, mit denen Doppelarbeit minimiert und die Interoperabilität verbessert wird,

d)

die Stärkung ihrer Rolle bei der grenzübergreifenden Zusammenarbeit durch die Umsetzung gemeinsamer Projekte, Programme und Schulungen.

Brüssel, den 18. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 139 vom 11.5.2001, S. 27.

(2)  Stellungnahme des EWSA „Verbesserung des Gemeinschaftsverfahrens für den Katastrophenschutz — Reaktion auf Naturkatastrophen“ (ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 66).

(3)  Stellungnahme des EWSA „Ein Gemeinschaftskonzept zur Verhütung von Naturkatastrophen und von Menschen verursachten Katastrophen“ (ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 97).

(4)  Stellungnahme des EWSA „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 des Rates zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union“ (ABl. C 170 vom 5.6.2014, S. 45).

(5)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 im Hinblick auf spezifische Maßnahmen zur Bereitstellung zusätzlicher Unterstützung für von Naturkatastrophen betroffene Mitgliedstaaten“ (ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 38).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/238


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (Neufassung) und zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen ‚Aufbau eines gemeinsamen europäischen Datenraums‘“

(COM(2018) 234 final — 2018/0111 (COD); COM(2018) 232 final)

(2019/C 62/38)

Berichterstatterin:

Baiba MILTOVIČA

Befassung

Europäisches Parlament, 28.5.2018

Rat der Europäischen Union, 4.6.2018

Europäische Kommission, 18.6.2018

 

 

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

6.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

122/0/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Durch die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors wird die Datenwirtschaft in der EU gestärkt sowie die Entwicklung der Gesellschaft und der allgemeine Wohlstand gefördert. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Richtlinie und auch die geplanten Verbesserungen und Ergänzungen der Richtlinie besonders wichtig sind, um diese für die ganze Gesellschaft so bedeutsamen Probleme im Zusammenhang mit der Umsetzung der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt zu lösen.

1.2.

Der EWSA hat die Übereinstimmung der geplanten Änderungen der Richtlinie mit den Verbesserungszielen einer Bewertung unterzogen, begrüßt generell den Vorschlag der Kommission für eine überarbeitete Richtlinie und ist davon überzeugt, dass sich die geplanten Änderungen positiv auf die allgemeinen Verbesserungsziele auswirken werden. Jedoch ist er der Ansicht, dass die geplanten Änderungen nicht ausreichen, um die problematischen Bereiche wirksam zu verbessern.

1.3.

Der EWSA hat die Mitteilung der Kommission zum „Aufbau eines gemeinsamen europäischen Datenraums“ geprüft und befürwortet die darin dargelegten Grundsätze und Maßnahmen, die es den Unternehmen und dem öffentlichen Sektor erleichtern werden, Zugang zu Daten aus verschiedenen Quellen, Wirtschaftszweigen und Fachgebieten zu erhalten und diese Daten weiterzuverwenden.

1.4.   Schlussfolgerungen

1.4.1.

Der EWSA ist der Ansicht, dass durch die geplanten Änderungen der Richtlinie bezüglich der allgemeinen Verbesserungsziele Folgendes angestrebt wird:

Verbesserung der bereits bestehenden positiven Wirkung der PSI-Richtlinie, Stärkung der Datenwirtschaft in der EU, mehr weiterverwendbare Daten des öffentlichen Sektors;

Sicherstellung EU-weit vergleichbarer Voraussetzungen für die Bereitstellung von Daten und Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs (siehe Ziffer 3.2.2);

langfristige Verringerung des Verwaltungsaufwands für die Inhaber der weiterverwendbaren Informationen des öffentlichen Sektors (siehe Ziffer 3.2.3);

Stärkung der Positionen von KMU auf dem Datenmarkt, wobei sichergestellt werden muss, dass sie nicht durch Hindernisse davon abgehalten werden, öffentliche Daten zu kommerziellen Zwecken weiterzuverwenden (siehe Ziffer 3.2.4). Das Ziel der Stärkung der KMU darf jedoch nicht durch ein uneingeschränktes Verbot von Daten-Lock-in untergraben werden, das die Entwicklung und Umsetzung innovativer Projekte auf lokaler Ebene mit KMU behindert.

1.4.2.

Der EWSA ist der Meinung, dass die bezüglich der ermittelten Problemstellungen geplanten Änderungen der Richtlinie die Situation generell verbessern und der Problemlösung zugutekommen werden, auf die sie gezielt ausgerichtet sind. Jedoch sind bezüglich der einzelnen ermittelten Problemstellungen folgende Feststellungen zu treffen:

„Dynamische Daten/APIs“ — die Änderungen sind nur teilweise zur Verbesserung des Problembereichs geeignet, denn das Resultat der Änderungen ist weder kontrollierbar noch vorhersehbar. Vor allem kurzfristig kann die Verbesserung ungenügend ausfallen (siehe Ziffern 3.1.3, 3.3.1);

„Gebührenerhebung“ — die Änderungen sind zur Verbesserung des Problembereichs geeignet und werden Abhilfe bei den erhöhten Gebühren schaffen und die Weiterverwendung von Daten fördern, vor allem dadurch, dass diese für KMU leichter zugänglich gemacht werden (siehe Ziffern 3.1.5, 3.3.2). Der EWSA weist indes darauf hin, dass für öffentliche Unternehmen eine angemessene Aufwandsentschädigung von wesentlicher Bedeutung ist;

„Anwendungsbereich der PSI-Richtlinie“ — die Änderungen sind unzureichend, denn die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie ist rein formell und enthält keine echten zusätzlichen Verpflichtungen. Das konkrete Problem wird dadurch nicht gelöst (siehe Ziffern 3.1.1, 3.1.3, 3.3.3);

„Lock-in von Daten des öffentlichen Sektors“ — die Änderungen sind unzureichend und werden nur teilweise und indirekt dazu beitragen, das Problem bezüglich des Lock-in von Daten des öffentlichen Sektors zu lösen (siehe Ziffern 3.1.4, 3.3.4).

1.5.   Empfehlungen

1.5.1.

Standpunkt des EWSA: Die von der Kommission gewählten Optionen der „Intervention mit geringer Rechtsetzungsintensität“ reichen nicht aus, um alle ermittelten Probleme bezüglich der Wirksamkeit der Richtlinie zu lösen (siehe Ziffer 4.1.3).

Empfehlung des EWSA: Wenn einer der Hauptgründe für die Änderung der Richtlinie und eines der wichtigsten Ziele darin besteht, die ermittelten Probleme zu lösen, dann ist es erforderlich, aktiver und gezielter vorzugehen und bei der Lösung der einzelnen konkreten Probleme die Option einer „Intervention mit hoher Rechtsetzungsintensität“ zu wählen. Möglicherweise kann das mit einer Änderung der in der Folgenabschätzung genannten Optionen einhergehen.

1.5.2.

Standpunkt des EWSA: Es ist unabdingbar, die vom Ausschuss für Regulierungskontrolle festgestellten Unzulänglichkeiten zu beheben und die entsprechenden Korrekturmaßnahmen in Bezug auf die Änderungen der Richtlinie durchzuführen (siehe Ziffer 4.1.2).

Empfehlung des EWSA: Als eine der Korrekturmaßnahmen sollte in der Richtlinie klar und deutlich angegeben werden, welche Rechtsvorschrift bei Konflikten zwischen dieser Richtlinie und einigen anderen Rechtsakten Vorrang hat: die Datenschutz-Grundverordnung, die Datenbankrichtlinie oder die Richtlinie zur Geodateninfrastruktur.

1.5.3.

Standpunkt des EWSA: Die Folgenabschätzung spiegelt die Standpunkte der Interessengruppen bezüglich der Wahl der Option einer „Intervention mit hoher oder geringer Rechtsetzungsintensität“ nur unzureichend wider (siehe Ziffer 4.1.4).

Empfehlung des EWSA: Durchführung einer weiteren Beurteilung des Standpunkts der Interessengruppen hinsichtlich der Auswahl der Lösungsoption für die Bewältigung der einzelnen Problemstellungen und Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen Relevanz der jeweiligen Interessengruppe, wodurch eine objektivere und besser begründete Auswahl der Lösungsoptionen für die einzelnen Problemstellungen ermöglicht würde.

1.5.4.

Standpunkt des EWSA: Aufgrund der Tatsache, dass Informationen oder Dokumente immer häufiger innerhalb kurzer Zeit vorliegen müssen, ist die maximale Bearbeitungsdauer von 20 Arbeitstagen in manchen Fällen zu lang (siehe Ziffer 3.1.2).

Empfehlung des EWSA: Prüfung der Möglichkeit, mehr Flexibilität einzuräumen.

1.5.5.

Standpunkt des EWSA: In dem Richtlinienentwurf und der Folgenabschätzung wird wichtigen Anliegen mehrerer Interessengruppen nicht ausreichend Rechnung getragen (siehe Ziffer 4.2.1).

Empfehlung des EWSA: Folgende nicht ausreichend betrachtete Punkte sollten zusätzlich bewertet werden:

mögliche Verringerung der Beschäftigtenzahl im öffentlichen Dienst aufgrund der Automatisierung, Notwendigkeit der Umschulung von Arbeitnehmern sowie der Lösung sozialer Probleme;

gleiche Rechte und Verpflichtungen für den öffentlichen und privaten Sektor bezüglich des Zugangs zu Daten;

Entschädigungen für öffentliche Unternehmen;

Schutz „kritischer Infrastrukturen“;

Vermeidung von Überschneidungen der Richtlinie mit lokalen oder bereichsspezifischen Rechtsvorschriften;

Beeinträchtigung des Wettbewerbs für öffentliche Unternehmen.

1.5.6.

Standpunkt des EWSA: Mit der vorgeschlagenen Neufassung der Richtlinie verfolgt die Kommission ausdrücklich das Ziel, die im Vorfeld ermittelten Unzulänglichkeiten der Richtlinie zu beheben. Jedoch hat sie diesbezüglich keine nennenswerten Verbesserungen zu bieten, da sie keinen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Anliegen und Belangen der verschiedenen Interessengruppen schafft und insbesondere nicht die für öffentliche und private Unternehmen geltenden Bedingungen für den Datenaustausch angleicht.

Empfehlung des EWSA: Die Kommission sollte unbedingt ihre Haltung zur Behebung der Probleme überdenken, die bei der Bewertung der bisherigen Richtlinie zutage getreten sind, und Folgendes angeben:

die Ziele der Neufassung der Richtlinie unter Berücksichtigung der derzeitigen, von unterschiedlichen Anliegen der verschiedenen Interessengruppen geprägten Situation;

die Voraussetzungen für den Übergang hin zu einer schrittweisen Umsetzung der Ziele der Neufassung in Form einer Verknüpfung der verschiedenen Aspekte der Richtlinie mit anderen legislativen Dokumenten oder Maßnahmen, die einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen ermöglichen.

2.   Überblick über den Inhalt des Richtlinienvorschlags

2.1.   Hintergrund für die Änderung der Richtlinie

2.1.1.

Der öffentliche Sektor in den EU-Mitgliedstaaten erzeugt riesige Datenmengen, die genutzt werden, um die Erbringung privater und öffentlicher Dienstleistungen effizienter zu gestalten und besser fundierte Entscheidungen zu treffen. Daher fördert die EU bereits seit mehreren Jahren die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (public sector information, PSI). Die Überprüfung der PSI-Richtlinie ist eine wichtige Initiative zur Zugänglichkeit und Weiterverwendung öffentlicher und öffentlich finanzierter Daten, die von der Kommission in der Halbzeitüberprüfung der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt angekündigt wurde.

2.1.2.

Die Kommission hat die Richtlinie überarbeitet und an die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Datenverwaltung und -nutzung angepasst:

Die Richtlinie 2003/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors („PSI-Richtlinie“) wurde am 17. November 2003 erlassen.

Ziel war es, die unionsweite Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors dadurch zu erleichtern, dass die Grundvoraussetzungen für die Weiterverwendung geschaffen und große Hindernisse beseitigt werden, die einer Weiterverwendung im Binnenmarkt entgegenstehen.

Im Juli 2013 wurde die Richtlinie 2003/98/EG durch die Richtlinie 2013/37/EU geändert.

Mit den Änderungen wurde eine Verpflichtung eingeführt, die Weiterverwendung allgemein zugänglicher öffentlicher Daten zuzulassen, und der Anwendungsbereich der Richtlinie wurde erweitert. Es wurde eine Standardregelung festgelegt, mit der Gebühren auf die Grenzkosten für die Reproduktion, Bereitstellung und Weiterverbreitung der Informationen beschränkt werden, und öffentliche Stellen wurden verpflichtet, ihre Gebührenvorschriften und Bedingungen transparenter zu gestalten.

Am 25. April 2018 wurde ein Vorschlag für eine Neufassung der PSI-Richtlinie vorgelegt (COM(2018) 234 final). Mit diesem Vorschlag wird die Richtlinie 2003/98/EG erheblich geändert und eine Reihe neuer Bestimmungen hinzugefügt. Gemäß Artikel 13 der PSI-Richtlinie wurde die bisherige Anwendung der PSI-Richtlinie überprüft und auf Problempunkte aufmerksam gemacht. Um das Potenzial der Informationen des öffentlichen Sektors stärker zu nutzen, ist in der überarbeiteten Richtlinie die Verbesserung mehrerer bei der Bewertung als problematisch erkannter Bereiche vorgesehen.

2.1.3.

Die vorgeschlagene Änderung der Richtlinie ist ein Vorschlag im Rahmen des dritten Datenpakets, das am 25. April 2018 von der Europäischen Kommission angenommen wurde. Dies beinhaltet auch die Mitteilung „Aufbau eines gemeinsamen europäischen Datenraums“ (1), in der die Frage des Zugangs zu Daten des Privatsektors im öffentlichen Interesse betrachtet wird und in der die Grundsätze für den Datenaustausch zwischen Unternehmen (B2B) sowie zwischen Unternehmen und Behörden (B2G) festgelegt werden.

2.1.3.1.

In der Mitteilung werden die zentralen Grundsätze für die Weiterverwendung von Daten des Privatsektors (B2B) genannt:

Transparenz;

gemeinsame Wertschöpfung;

gegenseitige Achtung der Geschäftsinteressen aller Beteiligten;

Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs;

Minimierung der Datenabhängigkeit von einem Anbieter.

2.1.3.2.

In der Mitteilung werden die zentralen Grundsätze für die Weiterverwendung von Daten des Privatsektors im öffentlichen Sektor (B2G) genannt:

Verhältnismäßigkeit bei der Verwendung von Daten des Privatsektors;

Zweckbindung;

Schadensvermeidung;

Bedingungen für die Weiterverwendung von Daten;

Umgang mit Beschränkungen in Daten des Privatsektors;

Transparenz und Einbeziehung der Gesellschaft.

2.2.   Mit der Richtlinienänderung verfolgte Ziele

2.2.1.

Allgemeine Ziele:

Stärkung der positiven Auswirkungen der PSI-Richtlinie sowie der EU-Datenwirtschaft, indem die für die Weiterverwendung verfügbare Menge von Daten des öffentlichen Sektors gesteigert wird;

Sicherstellung EU-weit vergleichbarer Voraussetzungen für die Bereitstellung von Daten und damit Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs;

Verringerung des Verwaltungsaufwands für die Inhaber der weiterverwendbaren Informationen des öffentlichen Sektors;

Stärkung der Position von KMU auf dem Datenmarkt, wobei sichergestellt werden muss, dass sie nicht durch Hindernisse davon abgehalten werden, öffentliche Daten zu kommerziellen Zwecken weiterzuverwenden.

2.2.2.

Besondere Ziele:

Verbesserung der vier wichtigsten Bereiche, in denen bei der früheren Bewertung der Wirksamkeit der Richtlinie Probleme festgestellt wurden.

2.3.   Die wichtigsten Problembereiche bezüglich der Wirksamkeit der Richtlinie (Bereiche, in denen Verbesserungspotenzial besteht)

2.3.1.

Verbesserungsbereich „Dynamische Daten/APIs“:

unvollständiger Echtzeitzugang zu Daten, die sich im Besitz öffentlicher Stellen befinden, insbesondere zu dynamischen, d. h. zeitlich veränderlichen Daten;

unzureichende Bereitstellung und Nutzung angemessener technischer Mittel (Anwendungsprogrammierschnittstelle/API).

2.3.2.

Problembereich „Gebührenerhebung“:

Die öffentlichen Stellen nutzen verschiedene gegenwärtig zugelassene Ausnahmebedingungen und erheben für die Weiterverwendung von Daten des öffentlichen Sektors Gebühren, die viel höher sind, als es für die Kostendeckung erforderlich wäre, was zu Marktverzerrungen führt — Großunternehmen werden gefördert, und kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die es sich nicht leisten können, öffentliche Daten zu kaufen, werden Hindernisse in den Weg gelegt.

2.3.3.

Problembereich „Anwendungsbereich der PSI-Richtlinie“:

die Richtlinie gilt nicht für diejenigen, die im Verkehrs- und Versorgungssektor tätig sind;

die Richtlinie gilt nicht für Forschungsdaten, die mithilfe von Finanzierungen aus öffentlicher Hand gewonnen wurden.

2.3.4.

Problembereich „Lock-in von Daten des öffentlichen Sektors“:

die Inhaber von Daten des öffentlichen Sektors schließen Ausschließlichkeitsvereinbarungen mit dem Privatsektor, um einen zusätzlichen Gewinn aus ihren Daten zu ziehen, wodurch die Zahl der potenziellen Weiterverwender der Daten begrenzt wird.

2.4.   Mögliche Optionen zur Verbesserung der Problembereiche und die gewählte Option

2.4.1.

Bei der Folgenabschätzung (2) betrachtete mögliche Optionen künftiger Maßnahmen:

a)

Basisszenario (Beibehaltung des derzeitigen Ansatzes ohne Änderung);

b)

Beendigung bestehender Maßnahmen (Aufhebung der PSI-Richtlinie);

c)

Ausschließlich nicht verbindliche Maßnahmen;

d)

Maßnahmenpaket in Form von Änderungen der PSI-Richtlinie und nicht verbindlichen Maßnahmen.

2.4.2.

Auswahl der Option zur Verbesserung der Problembereiche:

Lösungsoption a) wurde als Basisszenario beibehalten, mit dem die Vorteile der anderen Optionen verglichen wurden;

die Lösungsoptionen b) und c) wurden in einem frühen Stadium verworfen;

Lösungsoption d) diente als Grundlage für zwei Unteroptionen:

eine Option, die alle Elemente einer geringeren Rechtsetzungsintensität aufweist;

eine Option mit allen Elementen einer höheren Rechtsetzungsintensität.

Die von der Kommission gewählte Option ist ein Mischpaket mit geringerer Rechtsetzungsintensität in Verbindung mit einer Aktualisierung bestehender nicht verbindlicher Maßnahmen — insgesamt eine „Intervention mit einer geringen Rechtsetzungsintensität“.

3.

Allgemeine Bemerkungen

Der EWSA hat die geplanten Änderungen der Richtlinie unter drei Gesichtspunkten bewertet:

wichtigste Änderungen und Ergänzungen im ursprünglichen Text der Richtlinie (siehe Ziffer 3.1);

Übereinstimmung der Änderungen und Ergänzungen der Richtlinie mit den allgemeinen Zielsetzungen der Änderungen der Richtlinie (siehe Ziffer 3.2);

Übereinstimmung der Änderungen und Ergänzungen der Richtlinie mit den wichtigsten Bereichen, in denen Verbesserungspotenzial besteht (siehe Ziffer 3.3).

3.1.   Wichtigste Änderungen und Ergänzungen im ursprünglichen Text der Richtlinie

3.1.1.   Kapitel I der Richtlinie — Allgemeine Bestimmungen

Änderungen der Richtlinie in Artikel 1 — Gegenstand und Anwendungsbereich

Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auch auf Daten von öffentlichen Diensten und Verkehrsdiensten sowie auf Forschungsdaten;

im erklärenden Textteil der Richtlinie (3) heißt es:

Daten im Verkehrs- und Versorgungssektor: „Eine begrenzte Auswahl von Verpflichtungen findet Anwendung: öffentliche Unternehmen können Gebühren für die Verbreitung erheben, die über die Grenzkosten hinausgehen, und sind nicht verpflichtet, Daten, die sie nicht veröffentlichen möchten, zugänglich zu machen“;

Forschungsdaten: „Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Strategien für einen offenen Zugang zu Forschungsdaten zu entwickeln“, wodurch im Grunde genommen auf EU-Ebene nichts vorgeschrieben wird und alle diesbezüglichen Tätigkeiten wie bisher in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt werden.

Standpunkt des EWSA:

Der EWSA unterstützt teilweise die geplanten Änderungen, vertritt aber die Auffassung, dass sie eine unzulängliche Lösung für die Problemstellung „Anwendungsbereich der PSI Richtlinie“ bieten, da die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie zu Marktverzerrungen zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen, die auf dem gleichen Markt tätig sind, führen kann. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs auch auf private Unternehmen bietet sich als Lösung an und wäre gleichzeitig der Innovation in öffentlichen Unternehmen förderlich.

Die geplanten Änderungen sind mit zusätzlichem Arbeits- und Finanzaufwand verbunden.

3.1.2.   Kapitel II der Richtlinie — Anträge auf Weiterverwendung

Änderungen der Richtlinie in Artikel 4 — Anforderungen an die Bearbeitung von Anträgen auf Weiterverwendung:

Festgelegte Ausnahmefälle, für die die Anforderungen an die Bearbeitung von Anträgen auf Weiterverwendung nicht gelten.

Standpunkt des EWSA: Der EWSA unterstützt die geplanten Änderungen hinsichtlich der Ausnahmen, vertritt jedoch die Auffassung, dass aufgrund der Tatsache, dass Informationen oder Dokumente immer häufiger rasch vorliegen müssen, bei Anträgen auf Bereitstellung leicht verfügbarer Daten die maximale Bearbeitungsdauer von 20 Arbeitstagen verkürzt werden kann.

3.1.3.   Kapitel III der Richtlinie — Bedingungen für die Weiterverwendung

Änderungen der Richtlinie in Artikel 5 — Verfügbare Formate:

Es wird vorgeschrieben, dass öffentliche Stellen und öffentliche Unternehmen dynamische Daten unmittelbar nach der Erfassung mithilfe geeigneter Anwendungsprogrammierschnittstellen (APIs) zur Weiterverwendung zugänglich machen;

es wird vorgeschrieben, dass, wenn die Bereitstellung von Dokumenten unmittelbar nach der Erfassung die finanzielle und technische Leistungsfähigkeit der öffentlichen Stelle oder des öffentlichen Unternehmens übersteigt, die Dokumente innerhalb einer Frist zugänglich gemacht werden, die die Nutzung ihres wirtschaftlichen Potenzials nicht übermäßig beeinträchtigt;

es wird die Option gewählt, wonach „eine nicht verbindliche Auflage für die Mitgliedstaaten [besteht], dynamische Daten zeitnah zugänglich zu machen und APIs einzuführen“ (Option einer „Intervention mit niedriger Rechtsetzungsintensität“).

Standpunkt des EWSA:

Der EWSA unterstützt teilweise die geplanten Änderungen und ist der Auffassung, dass diese generell dazu beitragen werden, die Problemstellung „dynamische Daten“ zu lösen. Indes ist das Resultat der Änderungen weder kontrollierbar noch vorhersehbar, und vor allem kurzfristig kann das Ergebnis der Verbesserung ungenügend ausfallen;

anfänglich fallen für die Dateninhaber zusätzliche Kosten an (für die Einrichtung der APIs und die Einführung der Technologie), aber langfristig sind Gewinne der Dateninhaber durch eine optimierte Arbeitsorganisation zu erwarten (zusätzlich zu berücksichtigen sind die möglichen Beschäftigungsänderungen im öffentlichen Dienst aufgrund der Automatisierung und die notwendige Lösung sozialer Probleme).

Änderungen der Richtlinie in Artikel 10 — Verfügbarkeit und Weiterverwendung von Forschungsdaten:

Es wird vorgeschrieben, dass die Mitgliedstaaten die Verfügbarkeit von Forschungsdaten durch die Annahme nationaler Strategien und einschlägiger Maßnahmen mit dem Ziel unterstützen, öffentlich finanzierte Forschungsdaten offen zugänglich zu machen („Politik des offenen Zugangs“).

Standpunkt des EWSA: Der EWSA unterstützt teilweise die neue Fassung, die seiner Ansicht nach die Wirksamkeit der PSI-Richtlinie generell verbessern wird, sich aber nicht zur Lösung der Problemstellung „Anwendungsbereich der PSI-Richtlinie“ eignet, denn sie hat deklarativen Charakter, wodurch auf EU-Ebene nichts vorgeschrieben wird und alle möglichen Tätigkeiten in das Ermessen jedes einzelnen Mitgliedstaats gestellt werden.

3.1.4.   Kapitel IV der Richtlinie — Nichtdiskriminierung und lauterer Handel

Änderungen der Richtlinie in Artikel 12 — Verbot von Ausschließlichkeitsvereinbarungen

Es wird vorgeschrieben, dass rechtliche oder praktische Vorkehrungen, die zwar keine ausschließlichen Rechte gewähren, die aber doch die Weiterverwendung von Dokumenten beschränken können, spätestens zwei Monate vor ihrem Inkrafttreten öffentlich zugänglich gemacht werden müssen;

durch die vorgesehene Option werden nur Transparenzanforderungen festgelegt (Option einer „Intervention mit niedriger Rechtsetzungsintensität“), aber keine Tätigkeiten verboten, die zu einem Lock-in von Daten führen (Option einer „Intervention mit hoher Rechtsetzungsintensität“).

Standpunkt des EWSA: Der EWSA unterstützt teilweise die geplanten Änderungen und ist der Ansicht, dass sie generell die Lösung der Problemstellung „Lock-in von Daten des öffentlichen Sektors“ voranbringen werden. Das Ziel der Stärkung der KMU darf jedoch nicht durch ein uneingeschränktes Verbot von Daten-Lock-in untergraben werden, das die Entwicklung und Umsetzung innovativer Projekte auf lokaler Ebene mit KMU behindert.

3.1.5.   Kapitel V der Richtlinie — Hochwertige Datensätze

Änderungen der Richtlinie in Artikel 13 — Liste hochwertiger Datensätze

Die Kommission legt die Liste hochwertiger Datensätze und die Modalitäten für deren Veröffentlichung und Weiterverwendung fest.

Standpunkt des EWSA:

Der EWSA unterstützt die geplanten Änderungen und vertritt die Auffassung, dass dadurch der Umfang der Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors zunehmen wird;

es ist zu berücksichtigen, dass zusätzliche Ausgaben für die Einführung technischer Lösungen und weniger Einnahmen für die Dateninhaber absehbar sind;

es gibt keine klaren Angaben zu Verfahren für die Zusammenstellung, Pflege und Verwendung hochwertiger Datensätze;

es gibt keine klaren Angaben zu Mechanismen für Entschädigung der Dateninhaber für die kostenlose Bereitstellung von Daten.

3.2.   Übereinstimmung der Änderungen und Ergänzungen der Richtlinie mit den allgemeinen Zielsetzungen der Änderungen der Richtlinie

3.2.1.    Ziel: Weitere Verbesserung der bereits bestehenden positiven Wirkung der PSI-Richtlinie, Stärkung der Datenwirtschaft in der EU, mehr weiterverwendbare Daten des öffentlichen Sektors

Standpunkt des EWSA: Die vorgesehenen Änderungen dienen generell dem übergeordneten Ziel.

3.2.2.    Ziel: Sicherstellung EU-weit vergleichbarer Voraussetzungen für die Bereitstellung von Daten und damit Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs

Standpunkt des EWSA: Die vorgesehenen Änderungen sind unmittelbar und eindeutig auf die Verwirklichung dieses Ziels ausgerichtet, indem:

die Bestimmungen über die Gebührenbemessung verbessert werden — (Artikel 6 der Richtlinie);

die Möglichkeiten zum Abschluss von Ausschließlichkeitsvereinbarungen stärker reguliert werden — (Artikel 12 der Richtlinie);

die kostenlose Bereitstellung von Daten bzw. hochwertigen Datensätzen genau geregelt wird — (Artikel 13 der Richtlinie);

gleichzeitig gibt der EWSA zu bedenken, dass einseitige Verpflichtungen für öffentliche Unternehmen, die in direktem Wettbewerb mit privaten Unternehmen stehen, zu Marktverzerrungen führen können.

3.2.3.    Ziel: Verringerung des Verwaltungsaufwands für die Inhaber der weiterverwendbaren Informationen des öffentlichen Sektors

Standpunkt des EWSA: Die vorgesehenen Änderungen sind generell zu begrüßen:

Sie werden auf lange Sicht zu einer Verringerung des Verwaltungsaufwands für die Inhaber der weiterverwendbaren Informationen des öffentlichen Sektors führen, insbesondere in Verbindung mit dem Einsatz neuer technologischer Lösungen (Artikel 5 und 13 der Richtlinie);

indes muss mit potenziellen Beschäftigungsänderungen im öffentlichen Sektor gerechnet werden, was wiederum die Lösung der damit verbundenen sozialen Probleme erfordert.

3.2.4.    Ziel: Stärkung der KMU auf dem Datenmarkt, wobei sichergestellt werden muss, dass sie nicht durch Hindernisse davon abgehalten werden, öffentliche Daten zu kommerziellen Zwecken weiterzuverwenden

Standpunkt des EWSA: Die vorgesehenen Änderungen sind auf die Verwirklichung dieses Ziels ausgerichtet, und im Falle der Umsetzung wird die Position der KMU mit Blick auf die Möglichkeit zur Weiterverwendung von Daten des öffentlichen Sektors verbessert (Artikel 6, 12 und 13 der Richtlinie), doch dürfen Leistung, Innovation und Entwicklung der KMU nicht durch eine viel zu weit gehende Verpflichtung, Daten von Kooperationspartnern aus dem öffentlichen Sektor weiterzugeben, oder durch ein Verbot ausschließlicher Rechte behindert werden.

3.3.   Übereinstimmung der Änderungen und Ergänzungen der Richtlinie mit den wichtigsten Bereichen, in denen Verbesserungspotenzial besteht

3.3.1.   Verbesserungsbereich: „Dynamische Daten/ APIs

Vorgesehene Verbesserungen:

Die Mitgliedstaaten werden „nicht verbindlich“ dazu angehalten, dynamische Daten zeitnah zugänglich zu machen und APIs einzuführen — (Artikel 5 der Richtlinie);

stärkere Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Möglichkeit zur Weiterverwendung einer begrenzten Zahl hochwertiger Datensätze zu gewährleisten — (Artikel 13 der Richtlinie).

Standpunkt des EWSA:

Die vorgesehenen Änderungen sind teilweise geeignet, diesen Problembereich zu verbessern (siehe Ziffer 3.1.3);

die vorgesehenen Änderungen werden langfristig dazu beitragen, die Fragen bezüglich des Zugangs zu dynamischen Daten zu lösen und die Weiterverwendung dynamischer Daten sowie die Nutzung neuer Technologien (API) für den automatischen Datenaustausch zu fördern. Die zeitnahe Bereitstellung von Daten sollte eine unverbindliche Vorgabe sein, die es ermöglicht, Rücksicht auf schwierige Bedingungen vor Ort und auf örtliche Verfahrensweisen zu nehmen.

3.3.2.   Verbesserungsbereich: „Gebührenerhebung

Vorgesehene Verbesserungen:

Strengere Vorschriften für die Inanspruchnahme von Ausnahmen von der allgemeinen Regel, dass öffentliche Stellen nicht mehr als die Grenzkosten als Gebühren für die Verbreitung erheben dürfen — (Artikel 6 der Richtlinie);

Erstellung einer Liste hochwertiger Datensätze, die in allen Mitgliedstaaten frei verfügbar sein müssen — (Artikel 13 der Richtlinie).

Standpunkt des EWSA:

Die vorgesehenen Änderungen sind dazu geeignet, diesen Problembereich zu verbessern (siehe Ziffer 3.1.5). Der EWSA weist indes darauf hin, dass für öffentliche Unternehmen eine angemessene Aufwandsentschädigung von wesentlicher Bedeutung ist;

durch die vorgesehenen Änderungen wird bei den erhöhten Gebühren Abhilfe geschaffen und die Weiterverwendung von Daten gefördert, vor allem dadurch, dass diese für KMU leichter zugänglich gemacht werden.

3.3.3.   Verbesserungsbereich: „Anwendungsbereich der PSI-Richtlinie

Vorgesehene Verbesserungen:

Ausweitung des Gegenstands und des Anwendungsbereichs der Richtlinie — (Artikel 1 der Richtlinie);

die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Strategien für einen offenen Zugang zu Forschungsdaten, die sich aus öffentlich finanzierten Forschungstätigkeiten ergeben, zu entwickeln und gleichzeitig bei der Umsetzung flexibel zu bleiben (Artikel 10 der Richtlinie).

Standpunkt des EWSA: Die vorgesehenen Änderungen reichen nicht aus, um diesen Problembereich zu verbessern (siehe Ziffern 3.1.1, 3.1.3).

3.3.4.   Problembereich „Lock-in von Daten des öffentlichen Sektors

Vorgesehene Verbesserungen: Strengere Anforderungen bezüglich der Nichtausschließlichkeit und der Transparenz für öffentlich-private Vereinbarungen im Zusammenhang mit Informationen des öffentlichen Sektors — (Artikel 11 und 12 der Richtlinie).

Standpunkt des EWSA:

Die vorgesehenen Änderungen reichen nicht aus, um diesen Problembereich zu verbessern (siehe Ziffer 3.1.4);

die vorgesehenen Änderungen werden teilweise eine Lösung des Lock-in-Problems bei Daten des öffentlichen Sektors und die Weiterverwendung von Daten fördern. Allerdings dürfen durch übertriebene Maßnahmen zur Vermeidung eines Daten-Lock-in nicht innovative Projekte und Partnerschaften behindert werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Bewertung der Auswirkungen der geplanten Änderungen

4.1.1.

Die Folgenabschätzung der geplanten Änderungen ist ein wichtiges Dokument. Sie ist die Grundlage für Schlussfolgerungen und die Entscheidungen darüber, wie die Änderungen und Ergänzungen der Richtlinie aussehen sollen, die sich ihrerseits erheblich auf die EU-Mitgliedstaaten auswirken wird. Daher ist eine solide Methode für die Folgenabschätzung, die zu objektiven und verlässlichen Ergebnissen führt, unabdingbar.

4.1.2.

Die wichtigsten, in der Stellungnahme des Ausschusses für Regulierungskontrolle (4) festgestellten Unzulänglichkeiten:

In der Folgenabschätzung wird der Standpunkt der Interessenträger nur unvollständig wiedergegeben. Vor allem werden die von den Interessenträgern geäußerten Bedenken zur Sicherheit der personenbezogenen Daten und zum Schutz der Datenbanken nicht genügend berücksichtigt;

in der Folgenabschätzung wird nicht ausreichend dargelegt, wie sich die geplanten Änderungen zur Datenbankrichtlinie und zur Datenschutz-Grundverordnung verhalten;

in der Folgenabschätzung werden die denkbaren Alternativen zu den Änderungen nicht ausführlich genug beschrieben, und das Spektrum dieser Alternativen ist zu eng (bzw. zu gleichförmig), um eine Auswahl an echten alternativen Lösungen zu gewährleisten.

Standpunkt des EWSA:

Es ist unabdingbar, die vom Ausschuss für Regulierungskontrolle festgestellten Unzulänglichkeiten zu beheben;

ggf. sind entsprechende Korrekturmaßnahmen in Bezug auf die Änderungen der Richtlinie durchzuführen.

4.1.3.

Interessen der in der Zusammenfassung der Folgenabschätzung (5) genannten betroffenen Gruppen:

Die Dateninhaber (die öffentlichen Stellen) unterstützen eher die Aufrechterhaltung des Status quo hinsichtlich der Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors, also die Option einer „Intervention mit geringer Rechtsetzungsintensität“;

die Datenweiterverwender (u. a. KMU) bevorzugen die Option, einen rascheren und wirksameren Fortschritt bei Ausweitung des Umfangs der weiterverwendeten Daten sicherzustellen, also die Option einer „Intervention mit hoher Rechtsetzungsintensität“.

Standpunkt des EWSA:

Obwohl das Ziel der Richtlinie darin besteht, den Umfang der weiterverwendeten Daten zu erhöhen und die Position der KMU auf dem Datenmarkt zu stärken, dürfen mögliche Marktverzerrungen nicht außer Acht gelassen werden, und deshalb hat sich die Kommission dennoch für die Option einer „Intervention mit geringer Rechtsetzungsintensität“ entschieden und schöpft damit das mögliche Verbesserungspotenzial der Problembereiche nicht vollständig aus;

um die mit der Änderung der Richtlinie anvisierten Ziele wirksamer zu verfolgen, muss die Effizienz der ergriffenen Maßnahmen bewertet werden.

4.1.4.

In der Folgenabschätzung (6) ermittelte und bewertete Standpunkte der betroffenen Gruppen:

Die Ermittlung der Standpunkte der Interessenträger ist wesentliche Voraussetzung für die Auswahl der geeigneten Maßnahmen zur Lösung der Problemstellungen (Optionen von „Interventionen mit niedriger oder hoher Rechtsetzungsintensität“);

in der Folgenabschätzung spiegeln sich die Standpunkte der verschiedenen Interessenträger hinsichtlich der Gesamtbewertung der Wirkungsweise der Richtlinie und der wünschenswerten Änderungen wider.

Standpunkt des EWSA:

Die Folgenabschätzung spiegelt die Standpunkte der Interessengruppen bezüglich der Wahl der Option einer „Intervention mit hoher oder geringer Rechtsetzungsintensität“ nicht konkret genug wider;

es ist keine Unterteilung innerhalb der Interessengruppen vorgenommen worden, ausgehend von ihren unterschiedlichen Anliegen und Möglichkeiten, der Art der Informationen, der Art der Tätigkeit (z. B.: Dateninhaber, die für die Bereitstellung von Daten nicht bezahlt werden, Dateninhaber, die für die Bereitstellung von Daten bezahlt werden, Datennutzer — Großunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen, andere Einrichtungen des öffentlichen Sektors);

der Standpunkt jeder Interessengruppe zu jeder möglichen Option der Lösung jeder einzelnen Problemstellung ist nicht ermittelt worden;

es fehlt eine Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen Relevanz jeder Interessengruppe und damit auch eine Einschätzung ihrer Repräsentativität und des tatsächlichen Ausmaßes der Auswirkungen.

4.2.   Sonstige unzureichend berücksichtigte Punkte bezüglich der Richtlinie

4.2.1.

Nach Meinung des EWSA wird wichtigen Anliegen mehrerer Interessengruppen in dem Richtlinienvorschlag und der Folgenabschätzung nicht ausreichend Rechnung getragen. Er spricht sich für eine eingehende Prüfung folgender Fragen aus:

gleiche Rechte und Verpflichtungen für den öffentlichen und privaten Sektor bezüglich des Zugangs zu Daten;

Entschädigung des öffentlichen Sektors für die Gewährleistung des kostenfreien Zugangs zu öffentlichen Daten;

Schutz „kritischer Infrastrukturen“ — Ausnahmen bei der Anwendung der Richtlinie in Bezug auf kritische Infrastrukturen;

Vermeidung von Überschneidungen — Anpassung der Richtlinie an die bereits bestehenden bereichsspezifischen Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit dem Austausch und der Nutzung von Daten;

Wettbewerbsbeeinträchtigung — Gefährdung der öffentlichen Unternehmen in Fällen, in denen sie konkurrierenden Privatunternehmen Informationen kostenlos zur Verfügung stellen müssen;

mögliche Verringerung der Beschäftigtenzahl im öffentlichen Dienst aufgrund der Automatisierung, Notwendigkeit der Umschulung von Arbeitnehmern sowie der Lösung sozialer Probleme.

4.3.   Mitteilung der Kommission „Aufbau eines gemeinsamen europäischen Datenraums“

4.3.1.

Der EWSA begrüßt und unterstützt den in der Kommissionsmitteilung vertretenen Standpunkt, dass der Zugang zu öffentlichen und öffentlich finanzierten Daten und ihre Weiterverwendung tragende Eckpfeiler eines gemeinsamen europäischen Datenraums sind. Dies steht voll und ganz in Einklang mit den Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Überarbeitung der Richtlinie über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors. In der Mitteilung werden die Ziele der Überarbeitung der Richtlinie aufgezählt, und der EWSA ist der Auffassung, dass Fortschritte bei der Umsetzung dieser Ziele die Verfügbarkeit von Daten zur Weiterverwendung erhöhen werden.

4.3.2.

Der EWSA befürwortet die in der Mitteilung festgelegten wesentlichen Grundsätze für die gemeinsame Datennutzung zwischen Unternehmen (B2B) wie auch zwischen Unternehmen und Behörden (B2G) und erachtet sie als potenziell gute Grundlage für die künftige Zusammenarbeit mit Interessenträgern.

4.3.3.

Der EWSA unterstützt die in der Kommissionsmitteilung vorgestellten Maßnahmen, die es seines Erachtens den Unternehmen und dem öffentlichen Sektor erleichtern werden, in der EU Zugang zu Daten aus verschiedenen Quellen, Wirtschaftszweigen und Fachgebieten zu erhalten und diese Daten weiterzuverwenden.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Aufbau eines gemeinsamen europäischen Datenraums“ (COM(2018) 232 final).

(2)  Folgenabschätzung (SWD(2018) 127).

(3)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (Neufassung), COM(2018) 234 final.

(4)  Opinion of the Regulatory Scrutiny Board, SEC(2018) 206.

(5)  Zusammenfassung der Folgenabschätzung (SWD(2018) 128).

(6)  Folgenabschätzung (SWD(2018) 127).


ANHANG

Die folgenden Textstellen der Fachgruppenstellungnahme wurden zugunsten von im Plenum angenommenen Änderungsanträgen abgelehnt, hatten jedoch mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen erhalten:

Änderungen der Richtlinie in Artikel 1 — Gegenstand und Anwendungsbereich:

Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auch auf Daten von öffentlichen Diensten und Verkehrsdiensten sowie auf Forschungsdaten;

im erklärenden Textteil der Richtlinie (1) heißt es:

Daten im Verkehrs- und Versorgungssektor: „Eine begrenzte Auswahl von Verpflichtungen findet Anwendung: öffentliche Unternehmen können Gebühren für die Verbreitung erheben, die über die Grenzkosten hinausgehen, und sind nicht verpflichtet, Daten, die sie nicht veröffentlichen möchten, zugänglich zu machen“;

Forschungsdaten: „Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Strategien für einen offenen Zugang zu Forschungsdaten zu entwickeln“, wodurch im Grunde genommen auf EU-Ebene nichts vorgeschrieben wird und alle diesbezüglichen Tätigkeiten wie bisher in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt werden.

Standpunkt des EWSA:

Der EWSA unterstützt teilweise die geplanten Änderungen, vertritt aber die Auffassung, dass sie eine unzulängliche Lösung für die Problemstellung „Anwendungsbereich der PSI-Richtlinie“ bieten, da die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie formell bleibt und keine wirklich erweiterten Pflichten und Verantwortlichkeiten mit sich bringt;

die geplanten Änderungen sind mit zusätzlichem Arbeits- und Finanzaufwand verbunden. Kurzfristig muss der Dateninhaber investieren, während langfristig sowohl die Dateninhaber als auch die Weiterverwender Aussicht auf Gewinne haben.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

80

Nein-Stimmen:

52

Enthaltungen:

16

3.1.2.   Kapitel II der Richtlinie — Anträge auf Weiterverwendung

Änderungen der Richtlinie in Artikel 4 — Anforderungen an die Bearbeitung von Anträgen auf Weiterverwendung:

Festgelegte Ausnahmefälle, für die die Anforderungen an die Bearbeitung von Anträgen auf Weiterverwendung nicht gelten.

Standpunkt des EWSA: Der EWSA unterstützt die geplanten Änderungen hinsichtlich der Ausnahmen, vertritt jedoch die Auffassung, dass aufgrund der Tatsache, dass Informationen oder Dokumente immer häufiger rasch vorliegen müssen, die maximale Bearbeitungsdauer von 20 Arbeitstagen zu lang ist und im Sinne eines besseren Arbeitsablaufs im öffentlichen Sektor verkürzt werden sollte.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

83

Nein-Stimmen:

55

Enthaltungen:

7

3.1.4.   Kapitel IV der Richtlinie — Nichtdiskriminierung und lauterer Handel

Änderungen der Richtlinie in Artikel 12 — Verbot von Ausschließlichkeitsvereinbarungen

Es wird vorgeschrieben, dass rechtliche oder praktische Vorkehrungen, die zwar keine ausschließlichen Rechte gewähren, die aber doch die Weiterverwendung von Dokumenten beschränken können, spätestens zwei Monate vor ihrem Inkrafttreten öffentlich zugänglich gemacht werden müssen;

durch die vorgesehene Option werden nur Transparenzanforderungen festgelegt (Option einer „Intervention mit niedriger Rechtsetzungsintensität“), aber keine Tätigkeiten verboten, die zu einem Lock-in von Daten führen (Option einer „Intervention mit hoher Rechtsetzungsintensität“).

Standpunkt des EWSA: Der EWSA unterstützt teilweise die geplanten Änderungen und ist der Ansicht, dass sie generell die Lösung der Problemstellung „Lock-in von Daten des öffentlichen Sektors“ voranbringen werden, dass das erzielte Ergebnis indes nicht ausreichen wird, um das Problem im Kern zu lösen. Seiner Ansicht nach wäre es zielführender, bezüglich dieser Problematik eine Option zu wählen, die Tätigkeiten verbietet, die zu einem Lock-in von Daten führen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

80

Nein-Stimmen:

60

Enthaltungen:

12

3.2.2.    Ziel: Sicherstellung EU-weit vergleichbarer Voraussetzungen für die Bereitstellung von Daten und damit Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs

Standpunkt des EWSA: Die vorgesehenen Änderungen sind unmittelbar und eindeutig auf die Verwirklichung dieses Ziels ausgerichtet, indem:

die Bestimmungen über die Gebührenbemessung verbessert werden — (Artikel 6 der Richtlinie);

die Möglichkeiten zum Abschluss von Ausschließlichkeitsvereinbarungen stärker reguliert werden — (Artikel 12 der Richtlinie);

die kostenlose Bereitstellung von Daten bzw. hochwertigen Datensätzen genau geregelt wird — (Artikel 13 der Richtlinie).

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

80

Nein-Stimmen:

61

Enthaltungen:

9

3.2.4.    Ziel: Stärkung der KMU auf dem Datenmarkt, wobei sichergestellt werden muss, dass sie nicht durch Hindernisse davon abgehalten werden, öffentliche Daten zu kommerziellen Zwecken weiterzuverwenden

Standpunkt des EWSA: Die vorgesehenen Änderungen sind auf die Verwirklichung dieses Ziels ausgerichtet, und im Falle der Umsetzung wird die Position der KMU mit Blick auf die Möglichkeit zur Weiterverwendung von Daten des öffentlichen Sektors verbessert (Artikel 6, 12 und 13 der Richtlinie), doch wäre die Wahl der Option einer „Intervention mit hoher Rechtsetzungsintensität“ effizienter gewesen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

76

Nein-Stimmen:

53

Enthaltungen:

6

3.3.1.   Verbesserungsbereich: „Dynamische Daten/APIs

Vorgesehene Verbesserungen:

Die Mitgliedstaaten werden „nicht verbindlich“ dazu angehalten, dynamische Daten zeitnah zugänglich zu machen und APIs einzuführen — (Artikel 5 der Richtlinie);

stärkere Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Möglichkeit zur Weiterverwendung einer begrenzten Zahl hochwertiger Datensätze zu gewährleisten — (Artikel 13 der Richtlinie).

Standpunkt des EWSA:

Die vorgesehenen Änderungen sind teilweise geeignet, diesen Problembereich zu verbessern (siehe Ziffer 3.1.3);

die vorgesehenen Änderungen werden langfristig dazu beitragen, die Fragen bezüglich des Zugangs zu dynamischen Daten zu lösen und die Weiterverwendung dynamischer Daten sowie die Nutzung neuer Technologien (API) für den automatischen Datenaustausch zu fördern. Aber angesichts der Tatsache, dass für die Mitgliedstaaten eine „nicht verbindliche“ Auflage gilt, „dynamische Daten zeitnah zugänglich zu machen und APIs einzuführen“, ist das Resultat der Änderungen weder kontrollierbar noch vorhersehbar. Vor allem kurzfristig kann die Verbesserung ungenügend ausfallen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

77

Nein-Stimmen:

58

Enthaltungen:

10

3.3.3.   Verbesserungsbereich: „Anwendungsbereich der PSI-Richtlinie“

Vorgesehene Verbesserungen:

Ausweitung des Gegenstands und des Anwendungsbereichs der Richtlinie — (Artikel 1 der Richtlinie);

die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Strategien für einen offenen Zugang zu Forschungsdaten, die sich aus öffentlich finanzierten Forschungstätigkeiten ergeben, zu entwickeln und gleichzeitig bei der Umsetzung flexibel zu bleiben (Artikel 10 der Richtlinie).

Standpunkt des EWSA:

Die vorgesehenen Änderungen reichen nicht aus, um diesen Problembereich zu verbessern (siehe Ziffern 3.1.1, 3.1.3);

die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie unter Rückgriff auf die gewählte Option einer „Intervention mit geringer Rechtsetzungsintensität“ ist rein formell und enthält keine echten zusätzlichen Verpflichtungen. Das konkrete Problem wird dadurch nicht gelöst.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

78

Nein-Stimmen:

61

Enthaltungen:

10

3.3.4.   Problembereich „Lock-in von Daten des öffentlichen Sektors“

Vorgesehene Verbesserungen: Strengere Anforderungen bezüglich der Nichtausschließlichkeit und der Transparenz für öffentlich-private Vereinbarungen im Zusammenhang mit Informationen des öffentlichen Sektors — (Artikel 11 und 12 der Richtlinie).

Standpunkt des EWSA:

Die vorgesehenen Änderungen reichen nicht aus, um diesen Problembereich zu verbessern (siehe Ziffer 3.1.4);

die vorgesehenen Änderungen werden teilweise eine Lösung des Lock-in-Problems bei Daten des öffentlichen Sektors und die Weiterverwendung von Daten fördern. Allerdings wird die vorgesehene Option einer „Intervention mit geringer Rechtsetzungsintensität“ nicht ausreichen, das Problem des Daten-Lock-in wirksam zu lösen. Nach Ansicht des EWSA wäre es zielführender, bezüglich dieser Problematik die Option einer „Intervention mit hoher Rechtsetzungsintensität“ zu wählen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

82

Nein-Stimmen:

57

Enthaltungen:

8

4.1.3.

Interessen der in der Zusammenfassung der Folgenabschätzung (2) genannten betroffenen Gruppen:

Die Dateninhaber (die öffentlichen Stellen) unterstützen eher die Aufrechterhaltung des Status quo hinsichtlich der Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors, also die Option einer „Intervention mit geringer Rechtsetzungsintensität“;

die Datenweiterverwender (u. a. KMU) bevorzugen die Option, einen rascheren und wirksameren Fortschritt bei Ausweitung des Umfangs der weiterverwendeten Daten sicherzustellen, also die Option einer „Intervention mit hoher Rechtsetzungsintensität“.

Standpunkt des EWSA:

Obwohl das Ziel der Richtlinie darin besteht, den Umfang der weiterverwendeten Daten zu erhöhen und die Position der KMU auf dem Datenmarkt zu stärken, hat sich die Kommission dennoch für die Option einer „Intervention mit geringer Rechtsetzungsintensität“ entschieden und schöpft damit das mögliche Verbesserungspotenzial der Problembereiche nicht vollständig aus;

um die mit der Änderung der Richtlinie anvisierten Ziele wirksamer zu verfolgen, ist es erforderlich, aktiver und gezielter vorzugehen und bei der Lösung der einzelnen konkreten Probleme die Option einer „Intervention mit hoher Rechtsetzungsintensität“ zu wählen. Möglicherweise kann das mit einer Änderung der in der Folgenabschätzung genannten Optionen einhergehen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

87

Nein-Stimmen:

58

Enthaltungen:

6


(1)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (Neufassung), COM(2018) 234 final.

(2)  Zusammenfassung der Folgenabschätzung (SWD(2018) 128).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/254


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Europa in Bewegung — Nachhaltige Mobilität für Europa: sicher, vernetzt und umweltfreundlich“

(COM(2018) 293 final)

(2019/C 62/39)

Berichterstatterin:

Giulia BARBUCCI

Befassung

Europäische Kommission, 18.6.2018

 

 

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

4.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

201/3/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt das dritte Mobilitätspaket, das er für einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Mobilität in Europa hält. Der EWSA stellt jedoch fest, dass sich der Kommissionsvorschlag nahezu ausschließlich auf den Straßenverkehr beschränkt. Um eine wirklich nachhaltige und sichere Mobilität zu gewährleisten, muss ein weiter reichendes Projekt erarbeitet werden, das alle verfügbaren Verkehrsformen berücksichtigt und der Intermodalität des Güter- und Personenverkehrs besondere Aufmerksamkeit schenkt.

1.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommissionsvorschläge für eine sichere, vernetzte und saubere Mobilität erhebliche wirtschaftliche Anstrengungen, insbesondere der Mitgliedstaaten, erfordern, um die materiellen und digitalen Infrastrukturen (5G) anzupassen. Daher müssen diese Initiativen mit angemessenen Mitteln und über einen langen Zeitraum unterstützt und dafür realistische und erreichbare Ziele aufgestellt werden.

1.3.

Der EWSA begrüßt den Strategischen Aktionsplan zur Straßenverkehrssicherheit und unterstützt das Ziel der „Vision Zero“, das null Tote und Schwerverletzte im Straßenverkehr bis 2050 vorsieht. Der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geförderte „Safe-System“-Ansatz kann sicherlich dazu beitragen, die Zahl der Unfälle zu senken und die Verletzungen von Fahrzeuginsassen und Fußgängern auf ein Minimum zu beschränken. Ferner ist es vordringlich, die nationalen Straßenverkehrsvorschriften und gleichzeitig die entsprechenden Sanktionen zu vereinheitlichen. Ebenso müssen die Kfz-Sicherheitsvorrichtungen für alle Straßenfahrzeuge obligatorisch werden, seien es Fahrzeuge zur Beförderung von Gütern oder von Fahrgästen, im öffentlichen wie privaten Verkehr. Schließlich wird empfohlen, dass die neuen „sicheren“ Fahrzeuge für die Verbraucher und Unternehmen erschwinglich sein müssen.

1.4.

Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung sind die maßgeblichen Instrumente zur Umsetzung des „Safe-System“-Ansatzes und zur Annäherung an das Ziel der „Vision Zero“. Der EWSA unterstützt das Vorhaben eines automatisierten, vernetzten und sicheren Straßennetzes. Der Ausschuss legt der Kommission nahe, den unterschiedlichen Zustand der Straßeninfrastruktur der verschiedenen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Insbesondere sollte das Projekt auf die Stadtzentren ausgedehnt werden, wo sich ein Großteil der schweren, nicht tödlichen Unfälle ereignet.

1.5.

Im Kommissionsvorschlag wird die Bedeutung der Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge und ihrer Rolle bei der Erhöhung der Sicherheit hervorgehoben. Darin wird jedoch keine detaillierte Strategie für die Verwirklichung des automatisierten Verkehrs vorgegeben, was für den Fortschritt in diesem Bereich vermutlich von Vorteil ist, für die Mitgliedstaaten jedoch bei der Anpassung der Verkehrspolitik an die neuen Technologien und ihre Nutzung problematisch sein kann. Ferner weist der EWSA auf das Problem der technischen Durchführbarkeit hin: es gilt, höchste Sicherheitsstandards in einem „gemischten Verkehr“ (traditionelles, assistiertes oder automatisiertes Fahren) zu gewährleisten.

1.6.

Die vollständige Automatisierung der Fahrzeuge wirft zahlreiche Fragen in puncto Ethik, Wirtschaft, Beschäftigung, soziale Akzeptanz und gesetzliche Haftung auf. Der EWSA verweist auf den Grundsatz, dass nur der Mensch selbst ethische Entscheidungen treffen kann, und dass Maschinen, ungeachtet ihres Perfektionsgrads, den Menschen nur begleiten, ihn aber nicht ersetzen dürfen. Es ist wichtig, dass die organisierte Zivilgesellschaft umfassend an der Steuerung des Prozesses beteiligt wird und dass die Verfahren des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen aktiviert werden, um eventuellen negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung und die Arbeitnehmer vorzubeugen.

1.7.

Der EWSA unterstützt die Vorschläge zur Steigerung der Nachhaltigkeit im Verkehr sowie den strategischen Aktionsplan für Batterien, um das europäische Energiedefizit zu senken und eine Batteriewertschöpfungskette aufzubauen. Trotzdem betont der Ausschuss, dass verschiedene Faktoren der vollständigen Entwicklung des Plans entgegenstehen: die Abhängigkeit von Rohstoffen aus Drittstaaten, der Mangel an alternativen Kraftstoffen, die Verzögerungen bei der Steuerung der Weiterverwertung und Entsorgung von Altbatterien und der Mangel an qualifizierten Fachkräften.

1.8.

Unter diesen Umständen sind hohe Investitionen in Forschung und Innovation unerlässlich, um alternative, vollständig erneuerbare und klimaneutrale Kraftstoffe zu finden. Nicht minder wichtig sind Investitionen in Bildung und Ausbildung unter Einbeziehung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen, damit qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

1.9.

Der Übergang zu Elektrofahrzeugen wird die Erneuerung eines Großteils der europäischen Fahrzeugflotte innerhalb von etwas mehr als zehn Jahren mit sich bringen. Sauberere und sicherere Fahrzeuge sollten für alle, die Bürger und die Unternehmen, bezahlbar sein und die Mitgliedstaaten sollten den Übergang mit geeigneten steuerlichen Anreizen fördern.

1.10.

Die Erneuerung des Fuhrparks führt auch zu dem Problem, das der aktuelle Fahrzeugbestand großenteils entsorgt und recycelt werden muss. Dies sollte ein zentrales Thema der Kommissionsstrategien im Rahmen der Kreislaufwirtschaft sein. Die organisierte Zivilgesellschaft sollte in sämtlichen Phasen des Übergangs einbezogen werden und ist dazu aufgerufen, die Bürger über die nachhaltige Mobilität zu informieren und sie dafür zu sensibilisieren.

2.   Einleitung

2.1.

Der Verkehrssektor, seit Langem Gegenstand zahlreicher Weiterentwicklungen und Veränderungen, ist zu einem Schlüsselfaktor der Entwicklung geworden. Innovation, Technologie, Digitalisierung und Vernetzung führen zu einer Revolution des Verkehrswesens, die auf mehr Sicherheit, Zugänglichkeit, Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung abzielt.

2.2.

Die Europäische Union hat im Zuge der Strategie für emissionsarme Mobilität (1) eine Ad-hoc-Agenda für den Sektor festgelegt, die sich in drei „Mobilitätspakete“ (2) untergliedert, die im Mai 2017, November 2017 bzw. Mai 2018 veröffentlicht wurden. Die vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf die jüngste dieser Rechtsetzungsinitiativen, „Europa in Bewegung“.

2.3.

Die Kommissionsmitteilung und die Vorschläge des Maßnahmenpakets beziehen sich vorwiegend auf den Straßenverkehrssektor, insbesondere auf den Kraftfahrzeugverkehr, ohne die anderen Arten des Verkehrs zu berücksichtigen.

3.   Zusammenfassung des Vorschlags

3.1.

Die Mitteilung der Kommission COM(2018) 293 — „Europa in Bewegung. Nachhaltige Mobilität für Europa: sicher, vernetzt und umweltfreundlich“ steckt den Bezugsrahmen ab und ist daher das Schlüsseldokument des dritten Mobilitätspakets. Das Dokument umfasst drei Kapitel: Sicherheit; Vernetzung und Automatisierung; Nachhaltigkeit. Ferner enthalten die beiden Anhänge der Mitteilung zentrale Maßnahmen des Strategischen Aktionsplans zur Straßenverkehrssicherheit und des Strategischen Aktionsplans für Batterien.

3.2.   Sichere Mobilität

3.2.1.

Trotz der in den letzten Jahren erreichten Fortschritte ist die Zahl der schweren oder tödlichen Unfälle im Straßenverkehr immer noch zu hoch. Im Jahr 2017 kamen 25 300 Menschen ums Leben, und etwa 135 000 Menschen wurden schwer verletzt, was auch sehr hohe wirtschaftliche und soziale Kosten zur Folge hatte. Da 90 % der Unfälle auf menschliche Fehler zurückzuführen sind, ist die Kommission der Auffassung, dass sich diese dramatische Situation durch Automatisierung, Vernetzung und neue Konstruktionsstandards spürbar verbessern lässt (3). Dabei wird das Ziel verfolgt, bis 2050 die Zahl der Verkehrstoten und schweren Verkehrsunfälle auf null zu senken („Vision Zero“). Zwischenziel dieser Strategie ist es, die Zahl der Toten und Schwerverletzten bis 2030 um 50 % zu senken.

3.2.2.

Als Beitrag zur Verwirklichung der oben genannten Ziele möchte die EU neue technische und rechtliche Maßnahmen auf der Grundlage des „Safe System“ der WHO umsetzen. Dieses geht von dem Grundsatz aus, dass sich Unfälle zwar nicht gänzlich vermeiden lassen, aber gleichwohl Maßnahmen möglich sind, um die Zahl der Todesopfer und Schwerverletzten zu senken.

3.2.3.

Die Europäische Union möchte die Unfallursachen in integrierter Form angehen und mehrere Schutzmechanismen miteinander kombinieren, damit der Ausfall einer Komponente durch andere kompensiert werden kann. Dieses Verfahren umfasst auch technische Ausrüstungen für Fahrzeuge und Straßeninfrastruktur sowie den zunehmenden Informationsaustausch zwischen diesen beiden. Jede einzelne Maßnahme ist Gegenstand einer spezifischen Rechtsetzungsinitiative:

a)

Strategischer Aktionsplan zur Straßenverkehrssicherheit (4). Mit dem Aktionsplan wird das Ziel verfolgt, die Zahl der Verkehrstoten auf nahe null zu senken („Vision Zero“). Ferner werden festgelegt: Kriterien zur Stärkung der europäischen Governance in diesem Bereich (erweiterte Europäische Charta für Straßenverkehrssicherheit), mehr Mittel aus der Fazilität „Connecting Europe“ (200 Mio. EUR) für die Nachrüstung des Straßenverkehrsnetzes, die Ausgestaltung des „Safe System“-Ansatzes, neue Vorschriften zu Erhöhung der Sicherheit der Fahrzeuge, Ziele im Hinblick auf die Automatisierung und die Vernetzung zwischen den Fahrzeugen und zwischen der Straßenverkehrsinfrastruktur und den Fahrzeugen sowie der Vorschlag, europäische Sicherheitsstandards in Drittstaaten (vorrangig in die westlichen Balkanländer) zu exportieren.

b)

Verordnung zum Schutz der Fahrzeuginsassen und von ungeschützten Verkehrsteilnehmern (5). Unter anderem sind die Einführung fortschrittlicher Notbrems-Assistenzsysteme, Spurhaltewarnsysteme, eine unterschiedliche Gestaltung des Führerhauses von Nutzfahrzeugen zur Erhöhung der Sichtbarkeit von Radfahrern oder Fußgängern zusammen mit Detektionssystemen für deren Erkennung vorgesehen.

c)

Richtlinie über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur (6). Ziel ist eine europäische netzweite Risikoabbildung, die sich nicht auf die Autobahnen des TEN-V-Netzes beschränkt, sondern bei der auch sämtliche anderen Autobahnen und Fernstraßen berücksichtigt werden. Innerstädtische Straßen werden allerdings nicht berücksichtigt. Ferner werden in der Richtlinie bessere Qualitätsstandards für Straßeninfrastruktur (klare Straßenmarkierungen und Verkehrsschilder und Einführung neuer Technologien wie z. B. Spurhalteunterstützung) festgelegt.

3.3.   Vernetzte und automatisierte Mobilität

3.3.1.

Der Kommissionsvorschlag für eine „vernetzte und automatisierte Mobilität“ (7) stützt sich auf einen bereits auf Unionsebene beschrittenen Weg, insbesondere auf die Mitteilung über „Künstliche Intelligenz für Europa“ (8) und die Erklärung von Amsterdam. Darin haben die Mitgliedstaaten die Kommission aufgefordert, eine europäische Strategie für automatisiertes und vernetztes Fahren zu erarbeiten, den Rechtsrahmen anzupassen, Forschung und Innovation zu unterstützen und „interoperable, kooperative und intelligente Verkehrssysteme“ einzuführen.

3.3.2.

Die Kommission fasst folgende langfristige Ziele (in den Bereichen Emissionsreduktion, Verkehr und Unfälle) in einem einzigen Dokument zusammen: konkrete Unterstützung für die Automobilindustrie bei Forschung und Innovation; es gilt, Fragen ethischer und sozialer Natur wie das neue Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, Cybersicherheit und Auswirkung dieser Technologien auf die Beschäftigung) rasch anzugehen, bevor vollständig automatisierte Fahrzeuge auf den Markt gebracht werden.

3.3.3.

Einer der Hauptvorteile der Automatisierung ist der Zugang aller zu Mobilität, auch derjenigen Gruppen (vor allem Menschen mit Behinderungen und Senioren), die heute davon ausgeschlossen sind. Für die optimale Nutzung der Chancen der Automatisierung ist ein ständiger Informationsaustausch zwischen Fahrzeugen und Straßenverkehrsinfrastruktur grundlegend. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich in den nächsten Jahren ein „gemischtes System“ herausbilden könnte, an dem Fahrzeuge mit unterschiedlichen Technologien (traditionelles, assistiertes und automatisiertes Fahren) beteiligt sind. Um dieses Bild mit Blick auf die Entwicklung der Intermodalität zu vervollständigen, werden auch ein Single-Window-Umfeld für den europäischen Seeverkehr (EMSWe) (9) und elektronische Frachtbeförderungsinformationen (10) festgelegt.

3.4.   Saubere Mobilität

3.4.1.

Die Dekarbonisierung des Verkehrssektors und der Übergang zu sauberer Energie gehören zu den Schlüsselaspekten des dritten Mobilitätspakets. Diese Initiative ist Teil des umfassenderen Aktionsplans zur Kreislaufwirtschaft. Die EU startet eine Reihe von Initiativen zur Steigerung von Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit:

a)

Strategischer Aktionsplan für Batterien (11): er resultiert aus der Notwendigkeit, die europäische Selbstversorgung mit Energie zu erhöhen, im Zuge der Schaffung der „Europäischen Batterie-Allianz“, an der wichtige Akteuren aus Industrie, die Mitgliedstaaten und die EIB beteiligt sind. Der Plan zielt ab auf die Herstellung von über die gesamte Wertschöpfungskette nachhaltigen Batterien, beginnend mit der Gewinnung von (Primär- und Sekundär-) Rohstoffen, über die Phase der Produktentwicklung und Fertigung von Batteriezellen und Batteriesätzen bis zu deren Nutzung, Zweitnutzung, Verwertung und Entsorgung;

b)

Verordnung über Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge (12), in der eine Reihe von Parametern bezüglich der CO2-Emissionen für Lkw und Busse festgelegt und die geltenden Bestimmungen ergänzt und vervollständigt werden. Die Initiative sieht auch Maßnahmen zur Schaffung von Anreizen vor, damit die Unternehmen energieeffizientere und sauberere Fahrzeuge erwerben. Diese Maßnahme wird ergänzt durch einen Vorschlag für ein rasches Inkrafttreten neuer Konstruktionsnormen für Aerodynamik und Gewicht von Lkw zur Senkung der CO2-Emissionen (13);

c)

Verordnung zur Erleichterung des Preisvergleichs für alternative Kraftstoffe, mittels Anwendung einer einheitlichen Maßeinheit, um den Kauf neuer umweltfreundlicher Fahrzeuge anzuregen (14);

d)

Verordnung über die Kennzeichnung von Reifen (15) zur Verdeutlichung der Standards für Sicherheit, Energieeffizienz und Rollgeräusch;

e)

Überarbeitung des Rahmens für die Energiebesteuerung zur Förderung der Elektromobilität;

f)

Verordnung zur Erleichterung der Umsetzung des transeuropäischen Verkehrskernnetzes (TEN-V) (16), um die Genehmigungsverfahren der Projekte zu vereinfachen.

3.5.

Für sämtliche Initiativen stehen Gesamtinvestitionen von 450 Mio. EUR im Rahmen der Fazilität „Connecting Europe“ für Projekte zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit, der Digitalisierung und der Multimodalität bereit. Im selben Programm werden weitere 4 Mio. EUR für die Cybersicherheit und die kooperative, vernetzte und automatisierte Mobilität bereitgestellt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt das dritte Paket zur Mobilität, das er als einen weiteren Schritt hin zu einer sichereren, zugänglicheren und nachhaltigeren Mobilität erachtet. Der EWSA stellt jedoch fest, dass sich der Vorschlag nahezu ausschließlich auf einen Teil des Straßenverkehrssektors beschränkt. Bei der Entwicklung einer nachhaltigen und sicheren Mobilität müssen indes alle zur Verfügung stehenden Formen des Verkehrs berücksichtigt und immer engere, wirksamere und effizientere Verknüpfungen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Verkehr geplant, die Fahrtzeiten verkürzt und das Verkehrsaufkommen verringert werden.

4.2.

Das Paket besteht aus einer Reihe von miteinander verbundenen Legislativvorhaben, die der EWSA bereits einer vertieften Bewertung im Zuge einzelner Stellungnahmen unterzogen hat. Daher konzentriert sich die vorliegende Stellungnahme auf die Analyse der betreffenden Kommissionsmitteilung und muss im Zusammenhang mit den vorausgegangenen Stellungnahmen des EWSA zum ersten und zweiten Mobilitätspaket — sowie mit den Stellungnahmen zu spezifischen Aspekten (17), die auf koordinierte Weise mit diesem Paket erarbeitet wurden — gelesen und verstanden werden.

4.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommissionsmitteilung und die damit zusammenhängenden Vorschläge im Einklang mit den früheren Stellungnahmen zu diesem Thema stehen und zur Verbesserung der Sicherheitsstandards sowie zur Wettbewerbsfähigkeit des gesamten europäischen Automobilsektors beitragen können.

4.4.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Mitteilung der Kommission nicht mit einer angemessenen Folgenabschätzung in Bezug auf die darin vorgeschlagenen Maßnahmen einhergeht. Insbesondere wird nicht deutlich, welche Auswirkungen der Vorschlag auf das Eigentum und die Nutzung von Fahrzeugen und die daraus resultierende Entwicklung der Verkehrsaufkommen haben wird. Diese könnten aufgrund einer Förderung des Verkehrs zunehmen, womit auch die Fahrtzeiten der Bürger nicht kürzer, sondern länger würden. Damit steigt auch die Unfallgefahr. Die Kommission muss unbedingt von einer umfassenden und ehrgeizigen Vision für den Verkehr ausgehen, die auch die Intermodalität zwischen öffentlichem und privatem Verkehr als Faktor für Effizienz, Lebensqualität und Sicherheit berücksichtigt. Der EWSA betont, wie wichtig es ist, für alle Vorschläge, die konkrete Maßnahmen enthalten, angemessene Folgenabschätzungen durchzuführen. Bei der Vorbereitung auf neue Verkehrsmittel darf die umfassende Einführung intelligenter technischer Lösungen (z. B. Beleuchtung) nicht verlangsamt werden; diese steigern die Effizienz des (insbesondere öffentlichen) Verkehrs und verringern die Wahrscheinlichkeit von Unfällen.

4.5.

Der Ausschuss unterstützt das mithilfe des „Safe-System“-Ansatzes zu erreichende Ziel der „Vision Zero“. Dies erfordert die Einbeziehung aller Sektoren und aller Straßenverkehrsteilnehmer im Rahmen einer verstärkten Steuerungsstruktur. Die für die Verwirklichung der Ziele festgelegten Indikatoren müssen eindeutig, realistisch und überprüfbar sein. Der EWSA plädiert insbesondere für die aktive Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft in allen Phasen der Erarbeitung, Umsetzung, Überwachung und Bewertung der Strategie.

4.6.

Der EWSA begrüßt die Entscheidung, im Rahmen der Fazilität „Connecting Europe“ 450 Mio. EUR im Zeitraum 2018-2020 für die Digitalisierung der Straßenverkehrssicherheit bereitzustellen. Gleichwohl weist der Ausschuss erneut darauf hin, dass im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021-2027 im Hinblick auf die langfristige Kontinuität erheblich mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen, damit die ehrgeizigen Ziele der EU auch erreicht werden können.

4.7.

Der Ausschuss hält die Abbildung des Risikos im gesamten europäischen TEN-V-Netz, auf allen Autobahnen und Fernstraßen für einen wichtigen Schritt, um Art und Ausmaß der Infrastrukturmaßnahmen für das europäische Straßennetz zu planen. Die physische und die digitale Infrastruktur müssen gleichzeitig entwickelt werden. Ebenso muss möglichst rasch die vollständige 5G-Abdeckung auf allen Autobahnen und Fernstraßen in Europa erreicht werden, um die wirksame Vernetzung zwischen Straßen und Fahrzeugen zu ermöglichen. Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass sich die Straßen- und Autobahnnetze der Mitgliedstaaten in ganz unterschiedlichem Zustand befinden. Daher müssen die einzelnen Mitgliedstaaten bei diesem grundlegenden Modernisierungsprozess mit angemessenen Finanzierungen und realistischen und erreichbaren Zielen unterstützt werden.

4.8.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, einige wichtige Sicherheitsfunktionen der Fahrzeuge verbindlich vorzuschreiben, seien sie technischer Art (intelligenter Geschwindigkeitsassistent, autonome Notbremssysteme) oder konstruktionsspezifisch (Verbesserung des direkten Sichtfelds von Lastkraftwagen). Der Ausschuss hofft indes, dass sämtliche neue Sicherheitsvorrichtungen im Sinne eines vollständigen, eindeutigen und einheitlichen Rechtsrahmens auf alle Formen des Straßenverkehrs ausgedehnt werden.

4.9.

Der Vorschlag für ein neues System der Reifenkennzeichnung mit spezifischen Angaben zum Sicherheitsstandard (aber auch zu Umweltleistungen und Geräuschpegel) könnte entscheidend zur Verringerung von Unfällen beitragen, auch mittels proaktiver und bewusster Verbraucherentscheidungen. Es ist wichtig, dass die Angaben der Kennzeichnung für die Verbraucher unmittelbar klar und verständlich sind.

4.10.

Bezüglich der Straßenverkehrssicherheit muss die Europäische Union eine schrittweise Vereinheitlichung der geltenden einzelstaatlichen Bestimmungen und der entsprechenden Sanktionen (Verkehrszeichen, Geschwindigkeit, Sicherheitsgurt- und Helmpflicht, Verbot von Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss usw.) bewirken. Diese Maßnahmen müssen mit der Entwicklung angemessener Technologien für die individuelle Sicherheit zur Erkennung möglicher Gefahrensituationen (Alkohol-Wegfahrsperren, Müdigkeitserkennung usw.) einhergehen. Eine neue Technologie darf allerdings nicht zu einem übermäßigen Anstieg der Fahrzeugpreise führen. Sicherere Fahrzeuge müssen für alle zugänglich sein (18).

4.11.

Viele Hoffnungen im Rahmen der „Vision Zero“ beruhen auf der Entwicklung einer vernetzten und automatisierten Mobilität. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Automatisierung durchaus eine Schlüsselrolle bei der Senkung der Zahl der Unfälle spielen könnte. Allerdings kann er nicht umhin, einige Sorgen und Bedenken bezüglich der von der Kommission skizzierten Entwicklung zum Ausdruck zu bringen. Daher ist es wichtig, die bestehenden Technologien zu verbessern und zugleich Verfahren für die Kontrolle der bestehenden und der neuen Technologien vorzusehen, um ein zufriedenstellendes Sicherheitsniveau zu garantieren. Das Fehlen einer detaillierten Strategie für einen automatisierten Verkehr ist dem Fortschritt in diesem Bereich sicherlich förderlich, kann für die Mitgliedstaaten jedoch bei der Anpassung der Verkehrspolitik an die neuen Technologien und ihre Nutzung ein Problem darstellen.

4.11.1.

Diese Strategie sollte unter Maximierung der Rolle der Automatisierung und Vernetzung im Dienste des Menschen entwickelt werden. Der Ausschuss ist insbesondere darüber besorgt, dass die Kommission die Phase des assistierten Fahrens und der vollständigen Automatisierung (bei der der Mensch lediglich Passagier ist) als bevorstehend erachtet. Die vollständige Automatisierung geht sowohl mit dem Problem der sozioökonomischen Akzeptanz als auch mit dem der technischen und infrastrukturellen Durchführbarkeit einher, da in einem gemischten System (mit Fahrzeugen ohne assistiertes Fahren, Fahrzeugen mit assistiertem Fahren und vollständig automatisierten Fahrzeugen) ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleistet sein muss. Der Vermarktung vollständig automatisierter Fahrzeuge sollte folglich eine Testphase vorausgehen, um ähnliche Leistungs- und Sicherheitsniveaus wie bei Flugzeugen oder Zügen gewährleisten zu können.

4.11.2.

Der EWSA begrüßt die Vorschläge hinsichtlich der Einführung eines Austauschs digitaler Informationen im Seeverkehr (Single-Window-Umfeld (EMSWe) und Anerkennung von Frachtbeförderungsdokumenten), ist aber der Ansicht, dass diese Vorschläge weiter ausgearbeitet werden sollten.

4.12.

Der EWSA begrüßt den Strategischen Aktionsplan für Batterien. Darin wird die Europäische Batterie-Allianz ins Zentrum des Verfahrens gestellt und das Problem der großen Abhängigkeit der EU von Energieeinfuhren aus Drittstaaten unterstrichen.

4.12.1.

Die Entscheidung für den Aufbau einer Batteriewertschöpfungskette im Rahmen der Kreislaufwirtschaft ist durchaus zu unterstützen. Trotzdem weist der Ausschuss darauf hin, dass bis heute unterschiedliche Faktoren der vollständigen Entwicklung des Plans entgegenstehen: Abhängigkeit von Rohstoffen (z. B. Lithium) aus Drittstaaten; die Forschung bezüglich alternativer, der Kreislaufwirtschaft dienlicher Rohstoffe befindet sich noch im Frühstadium; das Unvermögen, die vollständige Weiterverwertung von Altbatterien zu erreichen (sekundäre Rohstoffe); Mangel qualifizierter Fachkräfte.

4.12.2.

Der EWSA ist insbesondere der Auffassung, dass zur Überwindung dieser Schwachstellen erhebliche Mittel für Forschung und Innovation erforderlich sind. Die für den Zeitraum 2018-2020 vorgesehenen Mittel sind sicherlich beachtlich, müssen aber im nächsten MFR 2021-2027 fortgeschrieben werden. Vor allem ist es von entscheidender Bedeutung, die Forschung bezüglich vollkommen erneuerbarer und sauberer Energieträger ohne Umweltauswirkungen zu unterstützen. Dabei müssen einige offensichtliche Probleme bezüglich der Verfügbarkeit von Rohstoffen und der Umweltauswirkungen überwunden werden, die heute die Batterien für Elektromotoren kennzeichnen. Ferner ist es unerlässlich, mithilfe der Mittel aus dem Programm Erasmus+ unter Beteiligung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen qualifizierte Arbeitskräfte auszubilden.

4.12.3.

Der Ausschuss betont, dass die Kommissionsinitiative zur fast vollständigen Erneuerung des europäischen Fahrzeugbestands im Laufe von zehn Jahren führen wird. Dies schafft neue Probleme im Zusammenhang mit der Entsorgung und dem Recycling von Millionen von Fahrzeugen. Dies sollte ein zentrales Thema der Kommissionsstrategien im Rahmen der Kreislaufwirtschaft sein. Die organisierte Zivilgesellschaft muss in sämtlichen Phasen des Übergangs einbezogen werden und ist dazu aufgerufen, über die nachhaltige Mobilität zu informieren und dafür zu sensibilisieren.

4.13.

Der EWSA unterstützt die Einführung von CO2-Emissionsgrenzwerten — wie sie bereits für andere Fahrzeugkategorien gelten — auch für schwere Nutzfahrzeuge. Da KMU im Verkehrssektor Schwierigkeiten bei der Erneuerung ihrer Fahrzeugflotte haben könnten, wird den Mitgliedstaaten empfohlen, den Übergang zu einer Wirtschaft mit geringen CO2-Emissionen mit entsprechenden Steueranreizen zu fördern.

4.14.

Der EWSA ist der Auffassung, dass in dem Vorschlag, den Ausbau des TEN-V-Netzes zu vereinfachen, den Gerichtsverfahren angemessen Rechnung getragen werden sollte, damit dieser seine volle Wirkung entfalten kann (19).

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Bei der Kartierung des Risikos auf europäischen Autobahnen und Fernstraßen bleibt die Entwicklung einer angemessenen und koordinierten Technologie für die Städte unberücksichtigt, die Schauplatz der Mehrzahl der schweren, nicht tödlichen Unfälle sind. Zudem sollte ein entsprechender Prozess auch in den sechs Ländern des Westbalkans gestartet werden, die bereits mit den EU-Beitrittsverhandlungen begonnen haben.

5.2.

Mit dem Einbau des eCall-Systems in Fahrzeuge (automatische Benachrichtigung der Notfalldienste bei einem Verkehrsunfall) können die Auswirkungen von Unfällen im Straßenverkehr sicherlich weiter gesenkt werden. Der EWSA fordert, diese Ausrüstung für alle verbreiteten Fahrzeugarten mit erhöhtem Unfallrisiko (schwere Nutzfahrzeuge, Busse und Motorräder) verbindlich vorzuschreiben. Er plädiert dafür, dass die EU eine stärkere Integration der Einsatzkräfte und Rettungsdienste fördert.

5.3.

Ethische Aspekte spielen bei der Automatisierung eine zentrale Rolle. Besonders umstritten sind Situationen, in denen Maschinen „ethische“ Entscheidungen treffen müssten. Der Ausschuss unterstreicht erneut den Grundsatz, dass nur der Mensch selbst ethische Entscheidungen treffen kann, und dass Maschinen, ungeachtet ihres Perfektionsgrads, den Menschen nur begleiten, ihn aber nicht ersetzen dürfen.

5.4.

In Bezug auf die Entwicklung und Vermarktung vollständig automatisierter Fahrzeuge fordert der EWSA die Kommission auf, die damit verbundenen beschäftigungs- und sozialpolitischen Aspekte eingehender zu untersuchen. Der Ausschuss befürchtet vor allem, dass relativ bald ganze Berufsfelder (z. B. Berufskraftfahrer) verschwinden könnten, ohne dass die weggefallenen Arbeitsplätze durch neue kompensiert würden. Angesichts solcher Szenarien hätte die EU zudem mit einer sehr hohen Zahl von Arbeitslosen zu rechnen, deren Kompetenzen und Kenntnisse sich nur schwer an das neue automatisierte Verkehrssystem anpassen ließen. Daher müssen der Wandel und die Schaffung neuer Ausbildungswege zur Vermittlung der für alle Beschäftigten des Sektors notwendigen Kenntnisse mithilfe des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen gesteuert werden.

5.5.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Versicherungsgesellschaften den Kauf sichererer Fahrzeuge durch Senkung der Prämien fördern sollten. Allgemein hält es der EWSA für grundlegend, ernsthaft über die rechtlichen Aspekte in Bezug auf die Einführung vollständig automatisierter Fahrzeuge nachzudenken und vorab zu klären, wer bei einem Unfall zivil- oder strafrechtlich haftbar ist.

5.6.

Der Ausschuss äußert Bedenken bezüglich des Systems der Kommission zum Vergleich der verschiedenen Kraftstoffe (20). Dieses auf den Kosten pro 100 gefahrener km basierende System lässt zahlreiche Parameter unberücksichtigt, die für die Quantifizierung der tatsächlichen Kosten des Kraftstoffs unerlässlich sind, und könnte die Verbraucher verwirren. Zudem wurde die Rolle des EWSA und der Verbraucherverbände des Sektors durch das von der Kommission angewandte Verfahren zur Konsultation der Verbraucher marginalisiert. Die Kommission stützte sich bei ihrer Konsultation auf eine statistisch nicht signifikante Auswahl (3 000 Befragte in drei EU-Mitgliedstaaten), und die vorgeschlagenen Optionen waren viel zu ähnlich.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2016) 501 final.

(2)  COM(2017) 283 final; COM(2017) 675 final; COM(2018) 675 final.

(3)  COM(2016) 686 final.

(4)  COM(2018) 293 final, Anhang 1.

(5)  COM(2018) 286 final.

(6)  COM(2018) 274 final.

(7)  COM(2018) 283 final.

(8)  COM(2018) 237 final.

(9)  COM(2018) 278 final.

(10)  COM(2018) 279 final.

(11)  COM(2018) 293 final, Anhang 2.

(12)  COM(2018) 284 final.

(13)  COM(2018) 275 final.

(14)  Durchführungsverordnung (EU) 2018/732 der Kommission (ABl. L 123 vom 18.5.2018, S. 85).

(15)  COM(2018) 296 final.

(16)  COM(2018) 277 final.

(17)  TEN/668 — Single-Window-Umfeld für den europäischen Seeverkehr (EMSWe) und Elektronische Frachtbeförderungsinformationen (siehe Seite 265 in diesem Amtsblatt); TEN/669 — Umsetzung von TEN-V-Vorhaben (siehe Seite 269 in diesem Amtsblatt); TEN/675 — CO2-Normen für Lkw und Fahrzeuggewichte und -abmessungen (siehe Seite 286 in diesem Amtsblatt); TEN/672 — Fazilität „Connecting Europe“ (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 191); TEN/673 — Vernetzte und automatisierte Mobilität (siehe Seite 274 in diesem Amtsblatt); TEN/674 — Kennzeichnung von Reifen (siehe Seite 280 in diesem Amtsblatt); TEN/667 — Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur (siehe Seite 261 in diesem Amtsblatt); INT/863 h- Sicherheit von Fahrzeugen/Schutz von ungeschützten Verkehrsteilnehmern (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 90).

(18)  ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 34.

(19)  TEN/669, Umsetzung der TEN-V-Vorhaben (siehe Seite 269 in diesem Amtsblatt).

(20)  Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2018/732.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/261


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2008/96/EG über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur“

(COM(2018) 274 final — 2018/0129 (COD))

(2019/C 62/40)

Berichterstatter:

Brian CURTIS

Befassung

Europäisches Parlament, 31.5.2018

Rat der Europäischen Union, 8.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 91 Absatz 1 Buchstabe c des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

4.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

204/2/6

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2008/96/EG über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur (Sicherheitsmanagement-Richtlinie). Der Ausschuss ist insbesondere der Auffassung, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen die Versäumnisse der aktuellen Richtlinie (Harmonisierung, Informationsaustausch und begrenzter Anwendungsbereich) beheben und eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Strategischen Aktionsplans zur Straßenverkehrssicherheit spielen sollten.

1.2.

Der Ausschuss unterstützt die Initiative „Vision Zero“, mit der durch Anwendung des von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen „Safe-System“-Ansatzes schwere und tödliche Unfälle im Straßenverkehr bis 2050 auf nahezu Null gesenkt werden sollen. Die Umsetzung dieser Strategie erfordert die Einbeziehung aller Sektoren und aller Straßenverkehrsteilnehmer im Rahmen einer verstärkten Steuerungsstruktur. Wichtig ist, dass die Indikatoren eindeutig und überprüfbar sind. In allen Stadien der Gestaltung, Implementierung, Überwachung und Evaluierung der Strategie sollten zivilgesellschaftliche Organisationen aktiv eingebunden werden.

1.3.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass ein systematisches und proaktives Risikoabbildungsverfahren im gesamten TEN-V-Netz und auf allen Autobahnen und Hauptverkehrsstraßen ein grundlegender Schritt bei der Planung neuer Infrastrukturmaßnahmen ist. Aufgrund des unterschiedlichen Umsetzungsstandes der aktuellen Sicherheitsmanagement-Richtlinie ist es jedoch wichtig, für alle Mitgliedstaaten realistische Zielvorgaben und Fristen festzulegen und die strukturschwächsten Regionen, einschließlich der sechs Länder des westlichen Balkans, finanziell zu unterstützen. Darüber hinaus ist der Ausschuss der Auffassung, dass der Anwendungsbereich der Sicherheitsmanagement-Richtlinie auf alle ländlichen und städtischen Hauptverkehrsstraßen ausgeweitet werden sollte, um bis 2030 eine drastische Minderung der tödlichen und schweren Unfälle zu erwirken.

1.4.

Der EWSA betrachtet Erfolge im Bereich der Straßenverkehrssicherheitsbilanz als strategisches Ziel; um für langfristige Kontinuität zu sorgen, damit die EU ihre ehrgeizigen selbstgesteckten Ziele erreichen kann, ist jedoch im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 ein höheres Budget erforderlich. Insbesondere weist der Ausschuss darauf hin, dass die EU-Strategie hauptsächlich auf die Finanzierung des Infrastruktur-Neubaus ausgerichtet ist, dass aber adäquate Mittel auch für die Instandhaltung und den Ausbau bestehender Straßen bereitzustellen sind. Darüber hinaus ist der EWSA der Ansicht, dass ein besser ausgestatteter Verkehrshaushalt eine zusätzliche positive Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung in Europa entfalten wird.

1.5.

Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag über neue Mindeststandards für Fahrbahnmarkierungen und Verkehrszeichen, um kooperative, vernetzte und automatisierte Mobilitätsysteme (C-ITS) zu entwickeln. Im Sinne einer möglichst großen Wirkung dieser Strategie empfiehlt der EWSA die Ausweitung dieses Ansatzes auf alle vorhandenen Verkehrsmittel (Intermodalität). Des Weiteren ist der EWSA der Ansicht, dass der Ausgangspunkt einer jeden Strategie der Straßenverkehrssicherheit eine gute Bildung und Ausbildung privater und berufsmäßiger Fahrer sein muss, denn menschliches Versagen ist nach wie vor die Hauptursache von Unfällen.

1.6.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, verletzungsgefährdete Straßenverkehrsteilnehmer in allen Verfahren für das Sicherheitsmanagement von Straßen systematisch mitzuberücksichtigen. Insbesondere empfiehlt der Ausschuss, dies parallel zu anderen spezifischen Sicherheitsvorkehrungen für Fahrzeuge zu entwickeln, damit die einzelnen Bereiche nahtlos ineinandergreifen.

2.   Einleitung

2.1.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Verkehrssicherheit in der EU stark gebessert. Zwischen 2001 und 2010 sank die Zahl der Verkehrstoten in der EU um 43 % und zwischen 2010 und 2016 um weitere 19 %. Dennoch ist die Zahl der Verkehrstoten weiterhin hoch (2016 starben in der EU 25 620 Menschen im Straßenverkehr (1)), und die Statistiken zeigen eine fortschreitende Stagnation im EU-Prozess für sichere Mobilität auf.

2.2.

Aus diesem Grund wurde die Europäische Kommission in der Erklärung von Valletta dazu ermutigt, eine neue Initiative zur Anpassung der Richtlinie 2008/96/EC über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur an die Veränderungen im Mobilitätsbereich vorzulegen, die sich aus aktuellen gesellschaftlichen Trends und technischen Entwicklungen ergeben. Diese Initiative mit Schwerpunkt auf der Verkehrssicherheit spielt eine wesentliche Rolle im Strategischen Aktionsplan zur Straßenverkehrssicherheit (2), der im Mai 2018 im Rahmen des dritten Mobilitätspakets (3) veröffentlicht wurde.

3.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags

3.1.

Trotz der Fortschritte der vergangenen Jahre bleibt die Zahl der schweren oder tödlichen Unfälle im Straßenverkehr weiter zu hoch. Da 90 % der Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen sind, ist die Kommission der Auffassung, dass die Zahl der Unfälle und die Auswirkungen auf Fahrer, Mitfahrer und verletzungsgefährdete Verkehrsteilnehmer (z. B. Radfahrer) durch Automatisierung, Konnektivität und neue Gestaltungsvorgaben für Straßen und Fahrzeuge gemindert werden könnten.

3.2.

Insbesondere hat die Kommission das Ziel „Vision Zero“ aufgestellt, wonach schwere und tödliche Straßenverkehrsunfälle bis 2050 auf nahezu Null gebracht werden sollen. Auch umfasst der Vorschlag ein Zwischenziel, die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten bis 2030 um 50 % zu senken.

3.3.

Um diese Ziele zu erreichen, beabsichtigt die EU, neue technische und Regulierungsinstrumente auf der Grundlage des Konzepts „Safe System“ der Weltgesundheitsorganisation (4) einzusetzen. Dieser Ansatz basiert auf der Annahme, dass sich Unfälle zwar nicht gänzlich vermeiden lassen, die Zahl der Todesopfer und Schwerverletzten sich jedoch mit entsprechenden Maßnahmen senken lässt.

3.4.

Die aktuelle Sicherheitsmanagement-Richtlinie wurde 2008 verabschiedet, um dafür zu sorgen, dass die Straßenverkehrssicherheit in allen Planungs-, Bau- und Betriebsphasen der Straßeninfrastruktur an vorderster Stelle steht. Jedoch bestehen auf nationaler Ebene erhebliche Unterschiede im Umsetzungsstand der Richtlinie. Diese Unterschiede gehen häufig mit einer höheren Zahl an tödlichen und schweren Unfällen einher (5). Aus diesem Grund ist es essenziell, die Sicherheitsvorschriften anzugleichen und das Sicherheitsniveau der Straßeninfrastruktur zu verbessern. Im Zeitraum 2018-2020 sollten die Mitgliedstaaten eine gezielte finanzielle Unterstützung durch die Fazilität „Connecting Europe“ (200 Mio. EUR) erhalten.

3.5.

Mit der überarbeiteten Richtlinie sollen die vorgenannten Ziele durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

Verpflichtung zur Transparenz und zur Weiterverfolgung der Verfahren für das Sicherheitsmanagement der Infrastruktur;

eine netzweite Straßenbewertung und ein systematisches und proaktives Risikoabbildungsverfahren zur Bewertung der „eingebauten“ oder inhärenten Sicherheit auf Straßen in der gesamten EU;

Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie über das transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-V) hinaus auf Autobahnen und Fernstraßen außerhalb des Netzes sowie alle Straßen außerhalb von Stadtgebieten, deren Bau ganz oder teilweise mit EU-Mitteln finanziert wird (das TEN-V-Netz zeichnet sich durch erhebliche Verkehrsmengen aus, tödliche Unfälle kommen jedoch dank der hohen Sicherheitsstandards nicht besonders häufig vor (8 %). 39 % aller tödlichen Verkehrsunfälle in der EU ereignen sich auf deren primärem Straßennetz. Mit koordinierten EU-Maßnahmen zum primären Straßennetz (einschließlich der Straßen außerhalb des TEN-V) sollen die Ziele der „Vision Null“ erreicht werden);

Festlegung von Mindeststandards für Fahrbahnmarkierungen und Verkehrszeichen, um die Einführung kooperativer, vernetzter und automatisierter Mobilitätssysteme zu erleichtern;

Verpflichtung, in allen Verfahren für das Sicherheitsmanagement von Straßen schwächere Verkehrsteilnehmer systematisch zu berücksichtigen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission zur Änderung der Richtlinie 2008/96/EG über ein Sicherheitsmanagement für die Straßenverkehrsinfrastruktur. Insbesondere stimmt er der Erklärung von Valletta zu und ist der Ansicht, dass eine bessere Straßenverkehrssicherheitsbilanz einen optimierten europäischen Ansatz erfordert.

4.2.

Das dritte Mobilitätspaket besteht aus einer Reihe zusammengehörender Legislativinitiativen. Der Ausschuss hat beschlossen, sich mit jedem Legislativvorschlag in einer separaten Stellungnahme auseinanderzusetzen. Die vorliegende Stellungnahme ist deshalb nicht nur im Zusammenhang mit den früheren Stellungnahmen des EWSA zu lesen und zu verstehen, sondern auch mit den in Anlehnung daran verfassten Stellungnahmen, in denen spezielle Aspekte des dritten Mobilitätspakets geprüft werden (6).

4.3.

Der Ausschuss befürwortet, die Verwirklichung der „Vision Null“ mit Hilfe des „Safe-System“-Ansatzes. Dies erfordert die Einbeziehung aller Sektoren und aller Straßenverkehrsteilnehmer im Rahmen einer verstärkten Steuerungsstruktur. Die für die Verwirklichung der Ziele festgelegten Indikatoren müssen eindeutig und überprüfbar sein. In allen Stadien der Gestaltung, Implementierung, Überwachung und Evaluierung der Strategie sollten zivilgesellschaftliche Organisationen aktiv eingebunden werden.

4.4.

Der EWSA begrüßt die Entscheidung, 200 Mio. EUR (im Zeitraum 2018-2020) für die Straßenverkehrssicherheit bereitzustellen. Um für langfristige Kontinuität zu sorgen, damit die EU ihre selbstgesteckten ehrgeizigen Ziele erreichen kann (7), hält der EWSA jedoch im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021-2027 ein höheres Budget für erforderlich. (Die Europäische Kommission veranschlagt den Investitionsbedarf zur Vollendung des TEN-V-Kernnetzes im Zeitraum von 2021 bis 2030 auf etwa 500 Mrd. EUR und zur Fertigstellung des TEN-V-Gesamtnetzes auf etwa 1,5 Billionen EUR.)

4.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass ein besser ausgestatteter Verkehrshaushalt eine zusätzliche positive Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung in Europa entfalten wird. Die investierten Mittel werden eine starke Hebelwirkung erzielen und bis 2030 zur Schaffung von 13 Mio. Arbeitsplätzen beitragen und für zusätzliche Einnahmen bis zu 4 500 Mrd. EUR sorgen (1,8 % des gesamteuropäischen BIP). Das bedeutet, dass mit jeder Milliarde EUR, die in das TEN-V-Netz investiert wird, bis zu 20 000 Arbeitsplätze geschaffen werden (8).

4.6.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Initiative für ein systematisches und proaktives Risikoabbildungsverfahren im gesamten europäischen TEN-V-Netz, auf allen (nicht zum TEN-V-Netz zählenden) Autobahnen und Hauptverkehrsstraßen ein wesentlicher Schritt ist, um die Größe und die Art der für das europäische Straßennetz erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen planen zu können. Aufgrund des unterschiedlichen Umsetzungsstandes der aktuellen Sicherheitsmanagement-Richtlinie ist es jedoch wichtig, für alle Mitgliedstaaten realistische Zielvorgaben und Fristen festzulegen und die strukturschwächsten Regionen und Länder finanziell angemessen zu unterstützen (9).

4.7.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die EU-Strategie hauptsächlich auf die Finanzierung des Infrastruktur-Neubaus ausgerichtet ist. Doch auch für die Instandhaltung und den Ausbau bestehender Straßen sind adäquate Mittel bereitzustellen, denn diese Faktoren sind für ein hohes Maß an Straßenverkehrssicherheit genauso wichtig.

4.8.

Neue Mindeststandards für Fahrbahnmarkierungen und Verkehrszeichen sind essenziell für die Entwicklung kooperativer, vernetzter und automatisierter Mobilitätssysteme (C-ITS). Der Ausschuss hält es für wesentlich, Fahrzeuge und Straßeninfrastruktur so auszustatten, dass ein ständiger Informationsaustausch möglich ist, damit sie für das „gemischte Verkehrssystem“ bereit sind, bei dem in Fahrzeugen unterschiedliche Technologien für fahrergesteuertes, assistiertes und automatisiertes Fahren genutzt werden (10). Zur Vervollständigung der Strategie für sichere Mobilität ist es wichtig, diesen Ansatz auf alle vorhandenen Verkehrsmittel auszuweiten (Intermodalität), mit direkter mindernder und sicherheitssteigernder Wirkung auf die Verkehrsmenge (11).

4.9.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass neue Technologien unter Berücksichtigung ihrer Grenzen und mit der bei ihrer Verwendung gebotenen Vorsicht einen spürbaren Beitrag zu höheren Sicherheitsstandards im Straßenverkehr leisten können. Des Weiteren ist der EWSA der Ansicht, dass der Ausgangspunkt einer jeden Strategie der Straßenverkehrssicherheit eine gute Bildung und Ausbildung privater und berufsmäßiger Fahrer sein muss, denn menschliches Versagen ist nach wie vor eine der Hauptursachen von Unfällen.

4.10.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, schwächere Straßenverkehrsteilnehmer in allen Verfahren für das Sicherheitsmanagement von Straßen systematisch mitzuberücksichtigen. Dieser Ansatz entspricht aktuellen Trends und Gewohnheiten der EU-Bürgerinnen und -Bürger (z. B. Anstieg der Zahl der Radfahrer). Der Ausschuss empfiehlt, die Entwicklung parallel zu der weiterer spezifischer Sicherheitsvorschriften für Fahrzeuge zu fördern (z. B. moderne Notbremssysteme, Spurhalteassistenten und veränderte Konstruktion der Fahrerkabine von Schwerlastfahrzeugen, um die Sichtbarkeit von Radfahrern und Fußgängern zu erhöhen, sowie Sensoren zu deren Erkennung), damit die einzelnen Bereiche nahtlos ineinandergreifen (12).

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der EWSA hält es für wichtig, dass die physische und die digitale Infrastruktur parallel entwickelt werden. Ebenso ist schnellstmöglich eine lückenlose 5G-Abdeckung auf allen Autobahnen und Primärstraßen in Europa erforderlich, um eine wirksame Vernetzung zwischen Straßen und Fahrzeugen ebenso wie zwischen Fahrzeugen untereinander zu ermöglichen (13). Auch hier empfiehlt der EWSA eine angemessene und langfristige finanzielle Förderung im Rahmen des MFR 2021-2027.

5.2.

Der Ausschuss vertritt den Standpunkt, dass der Geltungsbereich der Sicherheitsmanagement-Richtlinie gemäß der Empfehlung des Europäischen Rates für Verkehrssicherheit (14) auf alle ländlichen und städtischen Hauptverkehrsstraßen ausgeweitet werden sollte. Dieser erweiterte Ansatz ist notwendig, um bis 2030 eine effektive drastische Senkung der tödlichen und schweren Unfälle herbeizuführen. Dieser Vorschlag basiert darauf, dass der Vorschlag der Kommission sich auf die Hälfte der Verkehrsunfälle in der EU auswirkt und Unfälle mit Schwerverletzten sich zum allergrößten Teil auf Innerortsstraßen ereignen.

5.3.

2015 lancierte die EU ein neues Projekt zur Ausweitung der TEN-V-Strategie auf den westlichen Balkan (15). Diese Initiative, die vom Investitionsrahmen für den westlichen Balkan (WBIF) und der Fazilität „Connecting Europe“ gefördert wird, sollte sich in erheblichem Maß auf den EU-Erweiterungsprozess auswirken. Der EWSA empfiehlt, die Implementierung des Strategischen Aktionsplans zur Straßenverkehrssicherheit in den Rahmen dieses ehrgeizigen Infrastrukturprojekts aufzunehmen. Diese Maßnahme sollte im Einklang mit dem Vorschlag der Kommission zur Ausweitung des Geltungsbereichs der Sicherheitsmanagement-Richtlinie auf die mit EU-Mitteln finanzierte außerstädtische Straßeninfrastruktur stehen. Insbesondere sollte sie den sechs Ländern des westlichen Balkans den EU-Beitritt ohne einen Rückstand bei Sicherheit und Infrastruktur ermöglichen.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  EU-Datenbank über Straßenverkehrsunfälle, 2016.

(2)  COM(2018) 293 final, Anhang 1.

(3)  COM(2018) 293 final.

(4)  Weltgesundheitsorganisation, „Save LIVES — A road safety technical package“, 2017.

(5)  Care — EU-Datenbank über Straßenverkehrsunfälle.

(6)  TEN/666, Nachhaltige Mobilität für Europa, Barbucci, 2018 (siehe Seite 254 dieses Amtsblatts); TEN/668, Single-Window-Umfeld für den europäischen Seeverkehr + Elektronische Frachtbeförderungsinformationen, Back, 2018 (siehe Seite 265 dieses Amtsblatts); TEN/669, Umsetzung von TEN-V-Vorhaben, Dumitru Fornea, 2018 (siehe Seite 269 dieses Amtsblatts); TEN/675, Fahrzeuggewichte und -abmessungen, Back, 2018 (siehe Seite 286 dieses Amtsblatts); TEN/672, Fazilität „Connecting Europe“ (CEF), Plosceanu und Watson, 2018 (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 191); TEN/673, Vernetzte und automatisierte Mobilität, Samm, 2018 (siehe Seite 274 dieses Amtsblatts); TEN/674, Kennzeichnung von Reifen, 2018 (siehe Seite 280 dieses Amtsblatts); TEN/667 (siehe Seite 261 dieses Amtsblatts); INT/863, Sicherheit von Fahrzeugen/Schutz von ungeschützten Verkehrsteilnehmern, Hencks, 2018 (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 90).

(7)  COM(2018) 277.

(8)  TEN/672, Fazilität „Connecting Europe“ (CEF), Plosceanu und Watson, 2018 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(9)  TEN/669, Umsetzung von TEN-V-Vorhaben, Dumitru Fornea, 2018 (siehe S. XX in diesem Amtsblatt).

(10)  TEN/673, Vernetzte und automatisierte Mobilität, Samm, 2018.

(11)  TEN/666, Nachhaltige Mobilität für Europa, Barbucci, 2018.

(12)  INT/863, Sicherheit von Fahrzeugen/Schutz von ungeschützten Verkehrsteilnehmern, Hencks, 2018.

(13)  TEN/673, Vernetzte und automatisierte Mobilität, Samm, 2018.

(14)  COM(2018) 274, S. 7.

(15)  http://europa.eu/rapid/press-release_STATEMENT-15-4826_de.htm.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/265


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Single-Window-Umfelds für den europäischen Seeverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/65/EU“

(COM(2018) 278 final — 2018/0139 (COD))

und zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über elektronische Frachtbeförderungsinformationen“

(COM(2018) 279 final — 2018/0140 (COD))

(2019/C 62/41)

Berichterstatter:

Stefan BACK

Befassung

Europäisches Parlament, 11.6.2018

Rat, 14.-15.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 91, Artikel 100 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

4.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

210/2/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt beide Vorschläge als wichtige Schritte in Richtung Digitalisierung des Verkehrs (eines der Ziele des Weißbuchs Verkehr aus dem Jahr 2011) sowie für die Umsetzung der neuen Strategie für die Industriepolitik, die die Kommission im Oktober 2017 vorgestellt hat, der Schlussfolgerungen des Rates vom 5. Dezember 2017 zur Digitalisierung des Verkehrs und der Erklärung der Konferenz „Digital Transport Days“, die am 10. November 2017 in Tallinn unterzeichnet wurde.

1.2.

Der EWSA befürwortet die für beide Rechtsakte gewählte Rechtsform: Die Erfahrung zeigt, dass klare und verbindliche Anforderungen für die Mitgliedstaaten notwendig sind, damit das elektronische Informationssystem in der gesamten Europäischen Union angemessen funktioniert.

1.3.

Mit beiden Vorschlägen wird ein für die zu erfüllenden Aufgaben angemessenes Maß an Harmonisierung angestrebt.

1.4.

Der EWSA betont, dass die korrekte Umsetzung der geplanten Konzepte wie auch das Vertrauen der Nutzer in digitale Lösungen in hohem Maße davon abhängen, dass die von der Kommission in delegierten Rechtsakten oder Durchführungsrechtsakten festzulegenden Standards und Zertifizierungsanforderungen angemessen ausfallen. Betreffend den Vorschlag über Frachtbeförderungsinformationen könnte dies auch ein wesentlicher Faktor dafür sein, dieses System nicht nur für die Behörden, sondern auch für die Nutzer verbindlich zu machen.

1.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass Vertrauen nur entstehen kann, wenn die Systeme reibungslos funktionieren und die Sicherheit, die Integrität der Kommunikation sowie der Schutz und die Vertraulichkeit von geschäftlichen und gegebenenfalls anderen sensiblen Informationen gewährleistet sind. Der EWSA verweist auf die laufenden Arbeiten der Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen zur Sicherstellung hoher und universaler Standards in diesem Bereich.

1.6.

Der EWSA würde es begrüßen, wenn der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über elektronische Frachtbeförderungsinformationen (COM(2018) 279 final) (im Folgenden „der Vorschlag über Frachtbeförderungsinformationen“) zügig zu einem System weiterentwickelt würde, dessen Anwendung auch für die Nutzer verbindlich ist, um Effizienzgewinne, Kosteneinsparungen und den ökologischen Mehrwert zu optimieren. Eine günstige Gelegenheit hierfür könnte die Überarbeitung der Verordnung sein, die in Artikel 15 des Vorschlags vorgesehen ist.

1.7.

Der EWSA bedauert außerdem, dass der Anwendungsbereich des Vorschlags über Frachtbeförderungsinformationen offenbar auf diejenigen Informationsanforderungen beschränkt ist, die in Rechtsakten der Union über die Bedingungen festgelegt sind, unter denen im Einklang mit dem einschlägigen Titel Verkehr des AEUV Beförderungen erbracht werden dürfen. Nach Meinung des EWSA sollten die Vorteile der Digitalisierung auch auf andere Verwaltungsanforderungen ausgeweitet werden, die für derartige Beförderungen gelten. In Ziffer 3.8 wird ein entsprechender Formulierungsvorschlag unterbreitet. Es ist wichtig, ein allgemeines Signal in diese Richtung zu senden, unbeschadet geltender oder künftiger spezifischer Bestimmungen.

1.8.

Diesbezüglich verweist der EWSA auf den potenziellen Nutzen der Möglichkeit, den Behörden weltweit elektronische Informationen im Einklang mit harmonisierten Standards wie beispielsweise den von der UNECE entwickelten Standards zu übermitteln.

1.9.

In Bezug auf den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Single-Window-Umfelds für den europäischen Seeverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/65/EU (COM(2018) 278) (im Folgenden „der Vorschlag über ein Single-Window-Umfeld“) befürchtet der EWSA insbesondere, dass die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, spezifische nationale Anforderungen festzulegen, leicht zu einer Beeinträchtigung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes führen könnte. Der EWSA erwartet, dass die Kommission die Nutzung dieser Möglichkeit eng überwacht und dass ein ständiger Dialog zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten dazu beiträgt, spezifische nationale Anforderungen zu begrenzen.

1.10.

Der EWSA weist darauf hin, dass in diesem Kontext auch die sozialen Auswirkungen der Digitalisierung berücksichtigt werden müssen. So müssen u. a. frühzeitig Informationen bereitgestellt, ein Dialog aufgebaut, die Veränderungen der Berufsbilder und die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Kompetenzen angegangen und die Arbeitnehmer in die Lage versetzt werden, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Nach Ansicht des EWSA kann die Digitalisierung dazu beitragen, die Verkehrsbranche als Arbeitsplatz attraktiver zu machen und den aktuellen Arbeitskräftemangel in der Branche zu beheben.

2.   Die Vorschläge der Kommission

2.1.

Die Kommission hat zwei miteinander in Zusammenhang stehende Vorschläge vorgelegt:

den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Single-Window-Umfelds für den europäischen Seeverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/65/EU (COM(2018) 278 final) („Vorschlag über ein Single-Window-Umfeld“) und

den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über elektronische Frachtbeförderungsinformationen (COM(2018) 279 final) („Vorschlag über Frachtbeförderungsinformationen“).

2.2.

Beide Vorschläge hängen inhaltlich zusammen, da mit beiden ein System der elektronischen Kommunikation zwischen Unternehmen und Behörden eingerichtet werden soll, um die Überwachung der Einhaltung einer Reihe von Rechtsvorschriften mittels eines Systems zu erleichtern, das die Authentizität und Integrität der bereitgestellten Information sowie die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen gewährleistet.

2.3.

Mit dem Vorschlag über ein Single-Window-Umfeld soll die Richtlinie 2010/65/EU ersetzt werden, mit der zwar ein ähnliches Ziel verfolgt wurde, die sich aber als ineffizient erwiesen hat, da die Mitgliedstaaten bei der Auslegung der Richtlinie zu viel Spielraum hatten. Dies führte zu unterschiedlichen Standards und Verfahren sowie zu einer uneinheitlichen Nutzung digitaler Meldesysteme, weshalb wiederum der Verwaltungsaufwand im Seeverkehr stieg und einige Verwaltungsverfahren weiterhin händisch erledigt werden müssen.

2.4.

Das System für ein Single-Window-Umfeld steht offenbar allen Schiffen offen, die beim Einlaufen in Häfen der Mitgliedstaaten rechtlichen Meldeverpflichtungen unterliegen.

2.5.

Mit dem Vorschlag über Frachtbeförderungsinformationen sollen die Behörden in den Mitgliedstaaten verpflichtet werden, elektronische Dokumente zu akzeptieren, die die Unternehmen vorlegen müssen, um die Einhaltung von Vorschriften aus einer Reihe von EU-Rechtsakten über die Beförderung von Gütern sowie über die Verbringung von Abfällen nachzuweisen. Zu diesem Zweck soll auf Basis des Vorschlags über Frachtbeförderungsinformationen ein System für Frachtbeförderungsinformationen in elektronischem Format (eFTI) eingerichtet werden, das einen Rahmen für die Dienstleistungserbringung beinhaltet, der u. a. einen gemeinsamen Datensatz, gemeinsame Verfahren und Regeln für den Zugang, Anforderungen an eFTI-Plattformen und eFTI-Dienstleister sowie ein System zur Zertifizierung umfasst.

2.6.

Das im Vorschlag über Frachtbeförderungsinformationen vorgesehene System soll Unternehmen offenstehen, die den im Vorschlag genannten gesetzlichen Informations- oder Dokumentationsanforderungen unterliegen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt beide Vorschläge, mit denen das allgemeine, ursprünglich im Weißbuch Verkehr aus dem Jahr 2011 festgelegte Ziel der Digitalisierung des Verkehrs verfolgt wird, das in der Folge z. B. auch Gegenstand der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt, der neuen Strategie für die Industriepolitik, die die Kommission im Oktober 2017 vorgestellt hat, und der Schlussfolgerungen des Rates vom 5. Dezember 2017 zur Digitalisierung des Verkehrs war, die im Nachgang zu der am 10. November 2017 in Tallinn unterzeichneten Erklärung der Konferenz „Digital Transport Days“ angenommen wurden.

3.2.

Der EWSA bekräftigt seine Unterstützung für innovative Lösungen und begrüßt die gewählte Rechtsform, da klare und verbindliche Anforderungen für die Mitgliedstaaten notwendig sind, damit das elektronische Informationssystem in der gesamten Europäischen Union angemessen funktioniert.

3.3.

In diesem Zusammenhang weist der EWSA drauf hin, dass er vor Problemen bei der Umsetzung der Richtlinie gewarnt hatte (da sie inhaltlich größtenteils nicht verbindlich ist), die durch Annahme des Vorschlags über ein Single-Window-Umfeld gelöst würden.

3.4.

Der EWSA vertritt indes die Auffassung, dass ggf. ein Gleichgewicht zwischen vollständiger Harmonisierung und Interoperabilität gefunden werden muss. Für ein System, mit dem die Zollabfertigung von Schiffen vereinfacht werden soll, die in die Häfen der EU ein- bzw. auslaufen, ist selbstverständlich eine weitreichende Harmonisierung notwendig, da hierfür eine reibungslose Schnittstelle mit harmonisierten Standards und Verfahren zwischen Schiff und Land notwendig ist. Für ein System hingegen, das lediglich dazu dient, den Behörden im Wege angemessener und sicherer Verfahren Dokumente zur Verfügung zu stellen, anhand derer die Einhaltung der EU-Gesetzgebung sichergestellt wird, kann eine weniger umfassende Harmonisierung akzeptiert werden.

3.5.

Vor diesem Hintergrund kommt der EWSA zu dem Schluss, dass mit beiden Vorschlägen ein angemessenes Maß an Harmonisierung angestrebt wird.

3.6.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass in dem Vorschlag über Frachtbeförderungsinformationen im Wesentlichen die Möglichkeit und nicht die Verpflichtung vorgesehen ist, Dokumente in elektronischer Form zu übermitteln. Er akzeptiert die Begründungen für diese Entscheidung zum gegenwärtigen Zeitpunkt, würde jedoch eine rasche Weiterentwicklung hin zu einem verbindlichen System begrüßen, da dies die Überprüfung der Einhaltung zu jeder Zeit vereinfachen und den Papierverbrauch, insbesondere für Betriebspersonal wie Kraftfahrer, reduzieren würde. Eine günstige Gelegenheit hierfür könnte die Überarbeitung der Verordnung sein, die in Artikel 15 des Vorschlags vorgesehen ist.

3.7.

Gemäß Artikel 1 Absatz 2 des Vorschlags über Frachtbeförderungsinformationen gilt die Verordnung „für Informationsanforderungen, die in Rechtsakten der Union zur Festlegung der Bedingungen für die Beförderung von Gütern im Gebiet der Union im Einklang mit Titel VI des Dritten Teils des AEUV oder zur Festlegung der Bedingungen für Abfallverbringungen enthalten sind“. Der EWSA fragt sich, ob hierdurch das Recht, Informationen und Dokumente in elektronischer Form zu übermitteln, nicht übermäßig eingeschränkt wird. Bei den in Anhang I des Vorschlags über Frachtbeförderungsinformationen aufgelisteten Rechtsakten der Union scheint es sich nur um die Rechtsakte zu handeln, die direkt Marktzugangsbedingungen betreffen.

3.8.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass das Recht, Dokumente in elektronischer Form einzureichen, auch in Bezug auf andere administrative Dokumentations- oder Informationsanforderungen von Vorteil sein könnte. Dies betrifft beispielsweise Meldepflichten und Informationen in Verbindung mit der Entsendung von Arbeitnehmern oder Informationen zum Nachweis der Einhaltung der Bestimmungen über Lenk- und Ruhezeiten. Der Anwendungsbereich des Vorschlags könnte nach Ansicht des EWSA erweitert werden, indem in Artikel 1 Absatz 2 zwischen „Bedingungen“ und „für die Beförderung von Gütern“ der Wortlaut „und weiterer Bestimmungen“ eingefügt wird. Seiner Meinung nach ist es auch wichtig, ein allgemeines Signal in diese Richtung zu senden, unbeschadet geltender oder künftiger spezifischer Bestimmungen.

3.9.

Der EWSA weist außerdem auf die ökologischen Vorteile der Verringerung des Papierverbrauchs hin, die auch in dem Vorschlag über Frachtbeförderungsinformationen erwähnt werden.

3.10.

Ferner nimmt der EWSA die spezifischen Bestimmungen in beiden Vorschlägen zur Kenntnis, mit denen die Vertraulichkeit von Geschäftsinformationen und — in Bezug auf den Vorschlag über ein Single-Window-Umfeld — von anderen sensiblen Informationen gewährleistet werden soll. Er möchte darüber hinaus auf das hohe Niveau an Manipulationsschutz und Schutz personenbezogener Daten aufmerksam machen, das eine gut konzipierte und gut verwaltete „Pipeline Data Exchange Structure“ (PDES) bietet.

3.11.

Der EWSA verweist auf die laufenden Arbeiten der Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen zu den in Ziffer 3.10 genannten Aspekten und insbesondere auf das „White Paper on Data Pipeline Concept for Improving Data Quality in the Supply Chain“. Aus Sicht des EWSA ist dies ein weiteres Argument dafür, die Verwendung elektronischer Dokumente so weit wie möglich verbindlich zu machen.

3.12.

Diesbezüglich verweist der EWSA auf den potenziellen Nutzen der Möglichkeit, den Behörden weltweit elektronische Informationen im Einklang mit harmonisierten Standards wie den von der UNECE entwickelten zu übermitteln.

3.13.

Die Kommission hat in Bezug auf beide Vorschläge die grundlegende Aufgabe, Standards und Zertifizierungskriterien zu entwickeln. Der EWSA betont, dass ein Rahmen, der Vertrauen fördert und reibungslos funktioniert, ohne unnötig komplex zu sein, entscheidend dafür ist, dass die vorgeschlagenen Systeme gut greifen und den geplanten Nutzen bringen. Dies ist auch wesentlich, um in der gesamten Verkehrsbranche Vertrauen in digitale Lösungen zu schaffen.

3.14.

Diesbezüglich weist der EWSA auch darauf hin, dass die sozialen Aspekte der Digitalisierung berücksichtigt werden müssen. Die Digitalisierung wird das Arbeitsumfeld verändern, neue Arbeitsplätze schaffen und neue Kompetenzen erfordern; es ist wichtig, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, damit die Arbeitnehmer sich an diesen neuen Kontext anpassen können. Der EWSA betont zudem, dass frühzeitig Informationen über bevorstehende Veränderungen bereitgestellt und ein Dialog über den Wandel ermöglicht werden müssen. Die Digitalisierung der Verkehrsbranche könnte aus Sicht des EWSA dazu beitragen, die Branche als künftigen Arbeitsplatz attraktiver zu machen und somit den aktuellen Arbeitskräftemangel in der Branche zu beheben.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Der Vorschlag über ein Single-Window-Umfeld

4.1.1.

Im Vergleich zur Richtlinie 2010/65/EU ist der Vorschlag über ein Single-Window-Umfeld sehr vollständig. Er bietet allem Anschein nach einen angemessenen Rahmen für die Vereinfachung der Ein- und Auslaufformalitäten. Entsprechend scheinen die fehlenden Elemente ergänzt und die mangelnde Harmonisierung behoben worden zu sein, die bei der Umsetzung der Richtlinie 2010/65/EU zu negativen Auswirkungen auf die Nutzer geführt hatten.

4.1.2.

Der EWSA unterstützt die Entscheidung der Kommission, kein EU-weites, sondern vielmehr nationale „Single Windows“ vorzuschlagen. Auch wenn es starke Argumente für ein „Single Window“ auf EU-Ebene gibt, werden mit einer Lösung, die auf nationalen „Single Windows“ aufbaut, irreversible Kosten aufgrund bereits getätigter Investitionen auf nationaler Ebene vermieden und gegebenenfalls spezifische nationale Verwaltungsanforderungen ermöglicht.

4.1.3.

Der EWSA betont, dass eine Harmonisierung mit Blick auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes ein wesentliches Element des Vorschlags ist und keinesfalls verwässert werden darf.

4.1.4.

Der EWSA hegt deshalb Bedenken bezüglich der Möglichkeit der Einführung spezifischer nationaler Anforderungen, da diese durchaus das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigen könnten. Er fordert die Kommission daher auf, spezifische nationale Anforderungen aus einer Binnenmarktperspektive eng zu überwachen und einen ständigen Dialog mit den Mitgliedstaaten zu führen, um derartige spezifische nationale Anforderungen auf ein Minimum zu begrenzen.

4.2.   Der Vorschlag über Frachtbeförderungsinformationen

4.2.1.

Der EWSA ist sich insbesondere bewusst, dass die von der Kommission gemäß dem Vorschlag anzunehmenden delegierten Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte eine wichtige Rolle spielen werden, und betont, dass diese rasch in Kraft treten müssen, da sie für das ordnungsgemäße Funktionieren der vorgeschlagenen Verordnung von grundlegender Bedeutung sind.

4.2.2.

Diesbezüglich weist der EWSA die Kommission auf das oben genannte UNECE-Weißbuch und die darin beschriebenen Elemente einer „Pipeline Data Exchange Structure (PDES)“ hin, die laut diesem Dokument eine nützliche Struktur für ein sicheres und manipulationsgeschütztes System für den Datenaustausch in den verschiedenen Etappen der Beförderungskette bieten können.

4.2.3.

Der EWSA verweist auf seine oben genannten Aussagen bezüglich der hohen Sicherheit eines gut konzipierten und gut umgesetzten Systems für den Austausch elektronischer Dokumente und bekräftigt, dass es insbesondere im Hinblick auf das Ziel der Überwachung der Einhaltung, das mit diesem Vorschlag verfolgt wird, gute Gründe gibt, die verbindliche Verwendung elektronischer Dokumente im Rahmen der Überarbeitung der Verordnung in Erwägung zu ziehen, die in Artikel 15 des Vorschlags vorgesehen ist.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/269


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Straffung von Maßnahmen zur rascheren Verwirklichung des transeuropäischen Verkehrsnetzes“

(COM(2018) 277 final — 2018/0138 (COD))

(2019/C 62/42)

Berichterstatter:

Dumitru FORNEA

Befassung

Europäisches Parlament, 11.6.2018

Rat, 15.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 172 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Plenums

22/05/2018

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

4.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

210/3/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss erachtet die in dem dritten Paket „Europa in Bewegung“ gebündelten Initiativen als notwendig, um auf EU-Ebene einen wirksamen Rechtsrahmen bereitzustellen und die politischen und finanziellen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu bekräftigen, das transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-V) fristgerecht zu vollenden: Das Kernnetz sollte bis 2030 fertiggestellt sein, das Gesamtnetz bis 2050.

1.2.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass im Rahmen des Verordnungsvorschlags durch die Ermittlung bewährter Verfahren aus der gesamten EU Vorteile erzielt und eine Reihe wichtiger Aspekte geregelt werden, um die fristgerechte Durchführung von Vorhaben zu fördern und durch die Vergabe öffentlicher Aufträge für Verkehrsinfrastruktur weiterhin Anreize für öffentliche und private Investoren zu geben.

1.3.

Der EWSA befürwortet den Ansatz der Europäischen Kommission als geeignet und relevant, um das wesentliche Ziel der vorgeschlagenen Verordnung, die Verringerung von Verzögerungen bei der Durchführung von TEN-V-Infrastrukturvorhaben, zu erreichen. Diese Verzögerungen können erheblich reduziert werden, wenn Vorhaben von gemeinsamem Interesse vorrangig behandelt werden, wenn eine einzige zuständige Behörde benannt und mit fachkundigem Personal und angemessenen Mitteln ausgestattet wird, die zwecks echter Verwaltungsvereinfachung konkurrierende Stellen und Einrichtungen in sich vereint, wenn Verfahren zusammengefasst und koordiniert und für Beschaffungen gemeinsamer Stellen die Rechtsvorschriften eines einzigen Landes angewendet werden.

1.4.

Der EWSA begrüßt den von der Europäischen Kommission vorgegebenen Referenzwert für die Dauer der Genehmigungsverfahren und hält eine Begrenzung des gesamten Genehmigungsprozesses auf maximal drei Jahre für sinnvoll. Er weist indes darauf hin, dass die Standpunkte der zuständigen nationalen Behörden berücksichtigt werden sollten, um sicherzustellen, dass die vorgeschlagenen Fristen angesichts der spezifischen einzelstaatlichen Gegebenheiten realistisch sind.

1.5.

Der EWSA geht davon aus, dass in einigen Mitgliedstaaten verschiedene rechtliche und administrative Neuregelungen erforderlich sein werden, um die in der vorgeschlagenen Verordnung festgelegten verpflichtenden Fristen einzuhalten. Dadurch können die zuständigen Rechts- und Verwaltungsorgane ihre Arbeitsverfahren beschleunigen und straffen, um Klagen auf nationaler oder EU-Ebene wegen Nichteinhaltung der Fristen zu vermeiden.

1.6.

Der EWSA begrüßt die unter Artikel 9 vorgeschlagene technische Hilfe, weist die Europäische Kommission allerdings darauf hin, dass genauere Informationen zu den Auswahlkriterien und den Verfahren zur Beantragung der vorgesehenen technischen Hilfe erteilt werden müssen.

1.7.

Der EWSA hält es für möglich, die Umsetzung von Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen, wenn auf europäischer Ebene einheitliche Vertragsbedingungen und spezifische Modalitäten für die öffentliche Beschaffung festgelegt werden.

1.8.

Nach Meinung des EWSA können die nationalen Behörden potenzielle Konflikte bei der Umsetzung von TEN-V-Vorhaben dadurch entschärfen, dass sie die Interessenträger bereits in der Planungsphase der Verkehrsinfrastrukturen einbeziehen und die Öffentlichkeit, zivilgesellschaftlichen Organisationen und zuständigen lokalen Behörden wirksam und rechtzeitig konsultieren.

1.9.

Als wesentliche Voraussetzungen eines für die Umsetzung der europäischen Verkehrsinfrastrukturkonzepte günstigen politischen und gesellschaftlichen Klimas erachtet der EWSA die Durchführung von Sensibilisierungsmaßnahmen und die rechtzeitige Erkennung von Versuchen, die TEN-V-Vorhaben zu diskreditieren. Die europäischen Behörden können den durch falsche Informationen angerichteten Schaden begrenzen, indem sie den Kontakt zu den Massenmedien pflegen und die institutionellen Instrumente zur Bereitstellung präziser Informationen und zur Konsultation der Öffentlichkeit weiterentwickeln.

1.10.

Der EWSA macht auf eine Unstimmigkeit im Wortlaut des Vorschlags aufmerksam. Ein „grenzüberschreitendes Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ bezeichnet Artikel 2 Buchstabe (e) zufolge ein von einer gemeinsamen Stelle durchgeführtes Vorhaben, während laut Artikel 7 Absatz 2 und Artikel 8 Absatz 1 offenbar auch Vorhaben erfasst werden, für die keine gemeinsame Stelle eingerichtet worden ist.

1.11.

Die Verfahren der grenzüberschreitenden Koordinierung für das TEN-V-Netz können nach Ansicht des EWSA verbessert werden, wenn die Befugnisse der Europäischen Koordinatoren und die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente gestärkt werden. Zur bestmöglichen Nutzung der Erfahrungen und der Kompetenz der Europäischen Koordinatoren könnte sich eine Überarbeitung der Rechtsvorschriften, in denen ihr Mandat festgelegt ist, als notwendig erweisen, um ihren Aufgabenbereich zu erweitern und die europäische Führungsrolle bei der Umsetzung der von den Mitgliedstaaten in Angriff genommenen grenzübergreifenden Verkehrsinfrastrukturvorhaben zu festigen.

1.12.

Der EWSA stellt fest, dass nicht klar ist, welche Sanktionen bei Nichteinhaltung der in der vorgeschlagenen Verordnung festgelegten Rechtsvorschriften greifen. In Anbetracht des Hauptziels des Vorschlags, Verzögerungen zu verringern, muss diese Frage geklärt werden, um den rechtsverbindlichen Charakter der Verordnung zu untermauern und einen transparenten und berechenbaren Rechtsrahmen für die europäischen Bürger, die Zivilgesellschaft, Behörden und nationalen wie auch europäischen Gerichte zu gewährleisten.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der in dieser Stellungnahme erörterte Verordnungsvorschlag wurde von der Europäischen Kommission im Mai 2018 vorgelegt, um die in dem dritten Paket „Europa in Bewegung“ gebündelten Initiativen durch geeignete rechtliche und administrative Maßnahmen zu ergänzen, die eine beschleunigte Umsetzung von Investitionsprogrammen und damit die fristgerechte Vollendung des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) ermöglichen: Das Kernnetz sollte bis 2030 fertiggestellt sein, das Gesamtnetz bis 2050.

2.2.

Die Europäische Kommission veranschlagt den Investitionsbedarf zur Vollendung des TEN-V-Kernnetzes im Zeitraum von 2021 bis 2030 auf etwa 500 Mrd. EUR und zur Fertigstellung des TEN-V-Gesamtnetzes auf etwa 1,5 Billionen EUR. Aufgrund der Hebelwirkung der Investitionen in die europäische Verkehrsinfrastruktur werden 13 Mio. Arbeitsplätze jährlich bis 2030 entstehen und zusätzliche Einnahmen von bis zu 4,5 Billionen EUR (1,8 % des EU-BIP) generiert.

2.3.

Im Juni 2018 kündigte die Europäische Kommission ihre Absicht an, der Fazilität „Connecting Europe“ im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 30,6 Mrd. EUR zuzuweisen, was einer nominellen Aufstockung um 47 % gegenüber dem Zeitraum 2014-2020 entspricht. Das starke Engagement der EU für die Vollendung des TEN-V-Netzes und ihr hoher finanzieller Beitrag werden jedoch nicht ausreichen, wenn die Mitgliedstaaten sich nicht auch konkret einbringen und alternative Konzepte zur Kofinanzierung oder Finanzierung von Verkehrsinfrastrukturprojekten vorlegen.

2.4.

Zur Durchführung der TEN-V-Investitionsprogramme müssen Investoren ermittelt, die notwendigen Mittel bereitgestellt und die notwendigen rechtlichen und administrativen Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Investitionen rechtzeitig und unter Einhaltung der festgelegten Standards getätigt werden können. Aus den öffentlichen Konsultationen geht hervor, dass alle Interessenträger (öffentliche und private Investoren, Unternehmen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Bürger) wünschen, dass die Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit der Umsetzung von Infrastrukturprojekten effizient und berechenbar sind, im Einklang mit den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung sowie dem Fortschritt in der Digitaltechnologie stehen und auf die in der EU in europäischen und nationalen Strategien festgelegten Mobilitätsziele ausgerichtet sind.

2.5.

In Artikel 6 des Verordnungsvorschlags werden die Phasen und Fristen für die Durchführung des Genehmigungsverfahrens festgelegt: ein höchstens zwei Jahre andauernder Vorantragsabschnitt und eine maximal ein Jahr andauernde Phase der Bewertung des Antrags und der Entscheidungsfindung durch die einzige zuständige Behörde. Durch die in dem Vorschlag vorgesehenen Fristen werden u. a. die Rechtsbehelfsverfahren vor Verwaltungsbehörden und die für ein Verfahren vor einem Gericht vorgesehenen Rechtsbehelfe nicht unmittelbar berührt.

2.6.

Im Rahmen des Vorantragsabschnitts sind der einzigen zuständigen Behörde Fristen gesetzt, innerhalb derer sie wesentliche Phasen dieses Abschnitts abschließen muss, das heißt:

spätestens zwei Monate nach Erhalt der Mitteilung eines Vorhabenträgers muss die einzige Genehmigungsbehörde entweder die Einleitung des Genehmigungsverfahrens schriftlich bestätigen oder, wenn sie das Vorhaben als nicht ausreichend ausgereift erachtet, die Mitteilung schriftlich ablehnen;

innerhalb von drei Monaten nach Beginn des Genehmigungsverfahrens muss die einzige zuständige Behörde in enger Zusammenarbeit mit dem Vorhabenträger und anderen betroffenen Behörden eine ausführliche Antragsübersicht erstellen und übermitteln. Erst dann kann die erforderliche Erlaubnis zur Inangriffnahme eines Vorhabens erteilt werden;

spätestens zwei Monate nach Vorlage der vollständigen Antragsunterlagen muss die zuständige Behörde dem Vorhabenträger schriftlich bestätigen, dass die Antragsunterlagen vollständig sind.

2.7.

In Anbetracht all dessen verfolgt die Europäische Kommission mit dieser legislativen Initiative vier wesentliche Ziele:

I.

Verringerung von Verzögerungen bei der Durchführung von Infrastrukturvorhaben zur Vollendung des TEN-V-Netzes;

II.

größere Klarheit bei den Verfahren, die von Vorhabenträgern oder an der Durchführung Beteiligten zu befolgen sind, insbesondere der Genehmigungsverfahren, der Vergabeverfahren für öffentliche Aufträge, der Antragsverfahren für staatliche Beihilfen sowie anderer behördlicher Verfahren;

III.

die systematische Anwendung eines einzigen Regelwerks bei grenzüberschreitenden Vorhaben, die von einer gemeinsamen Stelle durchgeführt werden, sofern die beteiligten Mitgliedstaaten nichts anderes beschließen;

IV.

größere Klarheit bei den Bürgern und der Zivilgesellschaft durch Stärkung des Transparenzrahmens und ihrer Einbeziehung in die Planung und Durchführung von TEN-V-Vorhaben.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.

Nach Meinung des EWSA kann das TEN-V-Netz ohne ein entschiedenes politisches Engagement der Mitgliedstaaten sowie Führungsstärke und eine enge Zusammenarbeit auf europäischer Ebene nicht vollendet werden. In dem Verordnungsvorschlag wird Nutzen aus bewährten Verfahren aus der gesamten EU geschöpft. So wird eine Reihe wichtiger Aspekte reguliert, um die fristgerechte Durchführung von Vorhaben zu fördern und durch die Vergabe öffentlicher Aufträge für Verkehrsinfrastruktur weiterhin Anreize für öffentliche und private Investoren zu geben.

3.2.

In Anbetracht der wesentlichen Aspekte, die durch die vorgeschlagene Verordnung geregelt werden sollen, befürwortet der EWSA den Ansatz der Kommission als geeignet und relevant. Dabei geht es um folgende Aspekte: die Anerkennung des Vorrangstatus von Vorhaben von gemeinsamem Interesse, die Zusammenfassung der Genehmigungsverfahren, die Benennung einer einzigen zuständigen Behörde für die Erteilung von Genehmigungen, die Aufstellung eines Zeitplans für die Gewährung und Umsetzung von Genehmigungen, die Koordinierung grenzüberschreitender Genehmigungsverfahren, die Vereinfachung der öffentlichen Beschaffung bei grenzüberschreitenden Vorhaben von gemeinsamem Interesse, technische Hilfe der EU bei der Anwendung der Verordnung und bei der Durchführung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse.

3.3.

Die von der Europäischen Kommission getroffene Wahl der Option Verbindliche Maßnahmen von begrenztem Umfang, die zu dezentralisieren und auf nationaler Ebene umzusetzen sind , ist in Anbetracht der gegenwärtigen politischen Entwicklungen in einigen Mitgliedstaaten nachvollziehbar und lässt interessante Rückschlüsse auf die Haltung der einzelstaatlichen Regierungen zu EU-Legislativinitiativen zu, mit denen eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene in Bereichen vorgeschlagen wird, in denen Subsidiaritätsanforderungen zu berücksichtigen sind.

3.4.

Die in dem Vorschlag gesetzten Fristen für Genehmigungsverfahren sind zu begrüßen, werden jedoch in Anbetracht der Beschränkungen hinsichtlich der Konformität mit einzelstaatlichen Rechtsvorschriften für Investitionen und öffentliche Aufträge als vergleichsweise optimistisch erachtet.

3.5.

Der EWSA begrüßt den von der Europäischen Kommission vorgegebenen Referenzwert für die Dauer der Genehmigungsverfahren, weist indes darauf hin, dass die zuständigen nationalen Behörden konsultiert werden sollten, um sicherzustellen, dass die vorgeschlagenen Fristen angesichts der spezifischen einzelstaatlichen Gegebenheiten realistisch sind. Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen ist es denkbar, dass der erforderliche Zeitaufwand für jeden Verfahrensabschnitt — die Genehmigung der technischen Unterlagen, die technischen und wirtschaftlichen Indikatoren und die öffentlichen Auftragsvergabeverfahren sowie der Abschluss und die Durchführung der einschlägigen Verträge innerhalb der Fristen und im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften usw. — die in dieser Verordnung vorgeschlagenen Fristen möglicherweise in erheblichem Maße sprengt.

3.6.

Einige der bisherigen, bei der Umsetzung von TEN-V-Vorhaben festgestellten Verzögerungen sind auf ein unpassendes, teils übermäßig politisiertes nationales institutionelles Gefüge zurückzuführen, in dem die staatlichen Stellen nicht in der Lage sind, Reformen durchzuführen und moderne Arbeitsmethoden anzuwenden, und sich auf überholte Verwaltungsverfahren stützen, die andernorts längst weitgehend durch elektronische Anwendungen abgelöst worden sind.

3.7.

In Anbetracht dieser Sachlage wird die Verordnung sich unmittelbar auf die Verwaltungsstrukturen derjenigen Mitgliedstaaten auswirken, die hinter den europäischen Standards zurückbleiben. Eine Reform dieser Institutionen sollte in Betracht gezogen werden. Diesbezüglich ist die gemäß Artikel 9 vorgesehene technische Hilfe für diejenigen Mitgliedstaaten vorteilhaft, die sie im Hinblick auf die Umsetzung von Vorhaben im Zusammenhang mit der Vollendung des TEN-V-Netzes beantragen. Allerdings sind genauere Informationen zu den Auswahlkriterien und den Verfahren zur Beantragung der in dem Vorschlag vorgesehenen technischen Hilfe erforderlich.

3.8.

Viele Verzögerungen beruhen auf Rechtsstreitigkeiten infolge von Unstimmigkeiten zwischen Interessenträgern oder von der Durchführung der Vorhaben Betroffenen. Rechtsprechung hat u. a. zum Ziel, einen Ausgleich zwischen den Rechten der Einzelnen und dem nationalen Gesetz zu finden. Die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich Justiz und der komplizierte nationale und europäische Rechtsrahmen für die Erteilung von Genehmigungen für Infrastrukturprojekte führen zu einem Flickwerk unausweichlicher rechtlicher Auflagen, das die ehrgeizigen Ziele der Europäischen Kommission beträchtlich untergraben könnte.

3.9.

Langwierige verwaltungsrechtliche Beschwerdeverfahren und Gerichtsverfahren, Aufschübe, technische Probleme bei der Fertigstellung von Infrastrukturen, fehlende grundlegende Verwaltungsunterlagen für den Nachweis der Rechtmäßigkeit von Verfahren und fehlende Mittel wirken sich allesamt negativ auf die Dauer des Genehmigungserteilungsverfahrens aus. Die europäischen Gesetzgeber müssen deshalb diese Aspekte berücksichtigen, wenn sie ihren endgültigen Beschluss über die in der Verordnung auf EU-Ebene geregelten Fristen für Genehmigungsverfahren fassen.

3.10.

Auch könnten einschlägige fachspezifische Weiterbildungsmaßnahmen für Richter, Justizbedienstete und Rechtsanwälte im Bereich Infrastrukturvorhaben von öffentlichem Interesse dazu beitragen, dass die Gerichtsverfahren verkürzt, die Qualität der Rechtsprechung verbessert und gleichzeitig alle rechtlichen Anforderungen eingehalten werden.

3.11.

Die Vergabeverfahren für Verkehrsinfrastrukturarbeiten sind außerordentlich zeitaufwendig und tragen in hohem Maße zu den Verzögerungen bei den TEN-V-Projekten bei. Der EWSA hält es für möglich, die Umsetzung von Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen, wenn auf europäischer Ebene einheitliche Vertragsbedingungen und spezifische Modalitäten für die öffentliche Beschaffung festgelegt werden.

3.12.

Nach Meinung des EWSA können die nationalen Behörden potenzielle Konflikte bei der Umsetzung von TEN-V-Vorhaben dadurch entschärfen, dass sie die Interessenträger bereits in der Planungsphase der Verkehrsinfrastrukturen einbeziehen und die Öffentlichkeit, zivilgesellschaftlichen Organisationen und zuständigen lokalen Behörden wirksam und rechtzeitig konsultieren. Der soziale und zivilgesellschaftliche Dialog auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene kann die öffentliche Akzeptanz von Verkehrsinfrastrukturvorhaben wesentlich fördern und durch die Einführung und Umsetzung integrierter Genehmigungsverfahren zur Verbesserung der behördlichen Arbeitsverfahren beitragen.

3.12.1.

Der EWSA macht auf eine Unstimmigkeit im Wortlaut des Vorschlags aufmerksam. Ein „grenzüberschreitendes Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ bezeichnet Artikel 2 Buchstabe (e) zufolge ein von einer gemeinsamen Stelle durchgeführtes Vorhaben, während laut Artikel 7 Absatz 2 und Artikel 8 Absatz 1 offenbar auch Vorhaben erfasst werden, für die keine gemeinsame Stelle eingerichtet worden ist.

3.13.

In einigen Mitgliedstaaten sind TEN-V- und TEN-E-Infrastrukturprojekte Gegenstand von Falschinformationen und Diskreditierungskampagnen, da sie bisweilen im Widerspruch zu den geopolitischen Interessen von Staaten oder Interessengruppen stehen, die aus dem Fortschritt bzw. dem Mangel an Fortschritt von EU-geförderten Infrastrukturprojekten politisches Kapital schlagen wollen. Wesentliche Voraussetzungen eines für die Umsetzung der europäischen Verkehrsinfrastrukturkonzepte günstigen politischen und gesellschaftlichen Klimas sind Sensibilisierungsmaßnahmen und die rechtzeitige Erkennung derartiger Bedrohungen. Die europäischen Behörden können den durch falsche Informationen angerichteten Schaden begrenzen, indem sie den Kontakt zu den Massenmedien pflegen und die institutionellen Instrumente zur Bereitstellung präziser Informationen und zur Konsultation der Öffentlichkeit weiterentwickeln.

3.14.

Die Verfahren der grenzüberschreitenden Koordinierung für das TEN-V-Netz können nach Ansicht des EWSA verbessert werden, wenn die Befugnisse der Europäischen Koordinatoren und die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente gestärkt werden. In dem Verordnungsvorschlag wird dieser Aspekt berücksichtigt und die maßgebende Rolle der TEN-V-Koordinatoren beschrieben, die mit der genauen Überwachung des Genehmigungsverfahrens für europäische Projekte von gemeinsamem Interesse und der regelmäßigen Berichterstattung über die erzielten Fortschritte beauftragt sind. Zur bestmöglichen Nutzung der Erfahrungen und der Kompetenz der Europäischen Koordinatoren könnte sich eine Überarbeitung der Rechtsvorschriften, in denen ihr Mandat festgelegt ist, als notwendig erweisen, um ihren Aufgabenbereich zu erweitern und die europäische Führungsrolle bei der Umsetzung der von den Mitgliedstaaten in Angriff genommenen grenzübergreifenden Verkehrsinfrastrukturvorhaben zu festigen.

3.15.

Der EWSA stellt fest, dass bei Nichteinhaltung der in der vorgeschlagenen Verordnung festgelegten Rechtsvorschriften keine Sanktionen vorgesehen sind. Eine Klärung dieser Frage würde den rechtsverbindlichen Charakter der Verordnung untermauern, und die europäischen Bürger, die Zivilgesellschaft, Behörden und nationalen wie auch europäischen Gerichte hätten somit einen transparenten und berechenbaren Rechtsrahmen.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/274


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Auf dem Weg zur automatisierten Mobilität: eine EU-Strategie für die Mobilität der Zukunft“

(COM(2018) 283 final)

(2019/C 62/43)

Berichterstatter:

Ulrich SAMM

Befassung

Europäische Kommission, 18.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

4.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

207/1/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung zur vernetzten und automatisierten Mobilität, die ein breites Spektrum an neuen Funktionen für Verbraucher und Unternehmen bietet. Der EWSA ist überzeugt, dass die automatisierte Mobilität Vorteile für unsere Gesellschaft bringen wird, da sie neue Dienstleistungen für die Mobilität im Personenverkehr sowie zusätzliche Möglichkeiten für die Sharing Economy und für die Optimierung des Verkehrs im Interesse der Umwelt sowie Mobilität für jene bietet, die nicht selbst fahren können.

1.2.

Die Automobilindustrie der EU mit all ihrem Fachwissen bei der Entwicklung von Fahrzeugtechnik verfügt über die besten Voraussetzungen, um diese Chance zu nutzen, wenn die EU denn Standards festlegt, um eine grenzübergreifende Tätigkeit und Interoperabilität zwischen verschiedenen Fahrzeugmarken zu ermöglichen.

1.3.

Ein wesentlicher Punkt ist, dass das automatisierte oder teilautomatisierte Fahren erheblich zur Verbesserung der aktiven Sicherheit von Landfahrzeugen beitragen und die Zahl der Unfalltoten beträchtlich verringern oder gar auf Null senken kann. Tödliche Unfälle mit selbstfahrenden Fahrzeugen während der Testphase könnten jedoch zu einem erheblichen Hindernis für diese Technologie werden. Der EWSA empfiehlt deshalb, alle Pilotprojekte und Tests im Bereich des autonomen Fahrens unter höchstmöglichen Sicherheitsstandards durchzuführen, auch wenn dies die Entwicklung im Vergleich zu Konkurrenten außerhalb der EU verlangsamen kann. Langfristig wird es jedoch zu besseren Ergebnissen und zu mehr Akzeptanz führen.

1.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass selbstfahrende Fahrzeuge (Stufe 5) nur dann angenommen werden, wenn sie den Fahrgästen dieselbe Sicherheit wie andere Verkehrssysteme bieten, etwa die Eisenbahn oder große Flugzeuge (nahezu 100-prozentige Sicherheit). Dies ist eine große Hürde, solange sich selbstfahrende und konventionelle Fahrzeuge sowie andere Straßennutzer (Fahrradfahrer, Fußgänger, Fahrzeuge mit besonderer Zweckbestimmung) auf derselben Straße bewegen. Der Aspekt der „100-prozentigen Sicherheit“ kann jedoch entscheidend für die Lösung konkreter ethischer Fragen im Zusammenhang mit autonomen Fahrzeugen sein.

1.5.

Der EWSA räumt ein, dass halbautomatische Fahrzeuge (Stufen 1 bis 4) mit einer Reihe von Fahrassistenzsystemen bereits zu einer Reduzierung der Zahl der Verkehrstoten führen können, und unterstützt deshalb den Ansatz der Kommission, im Rahmen der Überarbeitung der Verordnung über die allgemeine Fahrzeugsicherheit die Zahl der neuen Sicherheitsfunktionen für Fahrzeuge zu erhöhen. Er verweist jedoch auf zwei Problembereiche, die der öffentlichen Akzeptanz möglicherweise entgegenstehen: a) die zusätzlichen Kosten und b) die zunehmende Komplexität des Führens eines Fahrzeugs.

1.6.

In der üblichen Ausbildung zur Erlangung eines Führerscheins werden die modernsten Fahrerassistenzsysteme nicht berücksichtigt. Hier ist ganz offensichtlich eine zusätzliche Ausbildung nötig. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Automobilindustrie gemeinsam mit den Kommunen dringend Schulungen anbieten und Übungsplätze für Privatpersonen und Berufskraftfahrer zur Verfügung stellen muss, da die Einführung der neuen Sicherheitstechnologien andernfalls erheblich behindert würde.

1.7.

Die Ausbildung zum Führen halbautomatischer Fahrzeuge, das neue Fertigkeiten erfordert und neue Verantwortung mit sich bringt, ist ausschlaggebend für die Entwicklung eines modernen Berufsbildes für Kraftfahrer und für die Deckung des zunehmenden Bedarfs im Verkehrsbereich.

1.8.

Der EWSA räumt ein, dass letztlich möglicherweise zahlreiche Arbeitsplätze verlorengehen werden (etwa für Bus- oder Lkw-Fahrer), wenn die vollständige Automatisierung (Stufe 5) erfolgreich einführt wird. Er bekräftigt, dass die Vorteile der Automatisierung der ganzen Gesellschaft zugutekommen müssen, und fordert die Sozialpartner deshalb auf, künftige Entwicklungen gemeinsam zu planen und am Ende neue Tarifvereinbarungen in Bezug auf die Einführung der Automatisierung im Straßenverkehr auszuhandeln.

1.9.

Die Produkthaftungsrichtlinie sollte geändert werden und sowohl bewegliche Produkte und Dienstleistungen als auch Produkte mit integrierter Software umfassen, sodass die Verbraucher nicht erst herausfinden müssen, wer haftbar ist. Ein weiterer Aspekt, der in einem komplexeren digitalen Umfeld zu bedenken ist, ist zudem die Beweislast bei Produktfehlern, die in verbraucherfreundlicher Weise geregelt werden sollte. Der EWSA fordert die Kommission insbesondere auf, rechtzeitig Änderungen der Versicherungsrichtlinie im Zusammenhang mit selbstfahrenden Fahrzeugen ins Auge zu fassen und die Entschädigung von Unfallopfern sicherzustellen.

1.10.

Mit zunehmender Vernetzung kann von jedem Punkt der Welt aus auf Fahrzeugdaten zugegriffen werden. Vom Beispiel der Smartphones und PCs wissen wir, dass dies erhebliche Risiken und Herausforderungen in Sachen Sicherheit, Gefahrenabwehr und Schutz personenbezogener Daten mit sich bringt. An Fahrzeuge können deshalb nicht dieselben Standards angelegt werden, da hier die Gefahr von Todesfällen oder Verletzungen besteht. Der EWSA betont deshalb, dass bei jeder neuen Regelung des Datenzugangs für Fahrzeuge Sicherheit grundsätzlich Priorität haben muss.

1.11.

Der EWSA begrüßt den Ansatz der Kommission, den Schwerpunkt auf den Schutz von Fahrzeugen gegen Cyberangriffe zu legen und eine sichere und zuverlässige Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur und ein solides Niveau des Datenschutzes im Einklang mit der Datenschutzgrundverordnung zu gewährleisten.

1.12.

Der EWSA ist bereit, an der angekündigten Bewertung der sozioökonomischen und ökologischen Auswirkungen selbstfahrender Fahrzeuge durch die Kommission sowie an dem EU-Forum zu konkreten ethischen Fragen teilzunehmen.

2.   Einführung

2.1.

Die Initiative „Europa in Bewegung“ umfasst eine Reihe von Gesetzgebungsinitiativen in Form von drei Paketen. Mit dem ersten Paket verfolgte die EU das Ziel, rasche Fortschritte in Bezug auf die Schaffung eines sauberen, wettbewerbsfähigen und vernetzten Mobilitätssystems bis 2025 zu erzielen, das entscheidend für einen gut funktionierenden einheitlichen europäischen Verkehrsraum ist (1). Beim zweiten Paket ging es in erster Linie um Mittel und Wege zur Reduzierung der straßenverkehrsbedingten Emissionen (2). Der Schwerpunkt des dritten Pakets, das jetzt veröffentlicht wurde und Gegenstand dieser Stellungnahme ist, sind Sicherheitsfragen. Dazu hat die Kommission in der Mitteilung „Auf dem Weg zur automatisierten Mobilität“ (3) eine Strategie vorgelegt.

2.2.

Vor allem die Landverkehrstechnik dürfte durch die Digitalisierung revolutioniert werden. Die Mitteilung ist deshalb in einem breiteren Zusammenhang zu sehen, der auch andere Themen wie die Zukunft der Arbeit, Forschung und Innovation, Künstliche Intelligenz (KI) und die Agenda für Kompetenzen umfasst.

3.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags

3.1.

In ihrer Mitteilung schlägt die Kommission ein umfassendes Konzept der EU für eine vernetzte und automatisierte Mobilität vor und gibt dabei eine ehrgeizige europäische Agenda vor, die eine gemeinsame Vision zeichnet und unterstützende Maßnahmen für die Entwicklung und den Einsatz wichtiger Schlüsseltechnologien, Dienstleistungen und Infrastrukturen beinhaltet.

3.2.

Die Kommission verfolgt das Projekt „Vision Null bis 2050“, da das automatisierte Fahren bahnbrechende Veränderungen bewirken und die Zahl der Unfalltoten erheblich verringern oder gar auf Null senken kann. Auf diese Weise trägt sie auch zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in den Bereichen gesundes Leben und Wohlergehen sowie nachhaltige Städte und Gemeinschaften bei.

3.3.

Zur Stärkung der Technik und Infrastruktur für die automatisierte Mobilität in der EU finanziert die Kommission verschiedene Instrumente und schlägt eine Reihe von Initiativen vor:

die Fazilität „Connecting Europe“ mit 450 Mio. EUR zur Förderung der Digitalisierung im Verkehr, die zu einer stärkeren Automatisierung beitragen soll,

groß angelegte Tests auf der Grundlage von grenzüberschreitenden 5G-Korridoren,

Prioritäten bei der Finanzierung von Forschung und Innovation (Horizont 2020 und das nächste Rahmenprogramm).

3.4.

Bis 2019 will die Kommission die ersten Dienste von Galileo, die eine sehr hohe Genauigkeit aufweisen, kostenlos zur Verfügung stellen, womit sie der erste Anbieter weltweit ist, der einen solchen Navigationsdienst zur Verfügung stellt.

3.5.

Zur Schaffung eines Binnenmarktes für die sichere Einführung automatisierter Mobilität schlägt die Kommission (größtenteils im Rahmen der Überarbeitung der Verordnung über die allgemeine Fahrzeugsicherheit) Folgendes vor:

Erarbeitung von Leitlinien gemeinsam mit den Mitgliedstaaten, um bei den nationalen Ad-hoc-Sicherheitsprüfungen für automatisierte Fahrzeuge für einen harmonisierten Ansatz zu sorgen,

Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und beteiligten Akteuren, um ein neues Konzept für die Sicherheitszertifizierung automatisierter Fahrzeuge zu erarbeiten,

neue Sicherheitsfunktionen für automatisierte Fahrzeuge im Rahmen der Überarbeitung der Verordnung über die allgemeine Fahrzeugsicherheit,

Regulierung von Datenschreibern für automatisierte Fahrzeuge,

Regulierung des Platooning, um die Standardisierung des Datenaustauschs zwischen verschiedenen Marken sicherzustellen,

Regulierung des Schutzes von Fahrzeugen gegen Cyberangriffe,

Berücksichtigung der Notwendigkeit von Spezifikationen für den Zugang zu Fahrzeugdaten seitens staatlicher Stellen,

Verabschiedung einer delegierten Verordnung, um eine sichere und zuverlässige Kommunikation zwischen den Fahrzeugen und der Infrastruktur und ein solides Datenschutzniveau in Übereinstimmung mit der Datenschutz-Grundverordnung sicherzustellen.

3.6.

Gemäß einer Schlussfolgerung des Rates beabsichtigt die Kommission, die sozioökonomischen und ökologischen Auswirkungen der Automatisierung und Digitalisierung im Bereich des Verkehrs unter Berücksichtigung der in diesem Bereich benötigten neuen Kompetenzen zu bewerten. Zu diesem Zweck wird die Kommission

sich mit interessierten Parteien über die sozioökonomischen und ökologischen Auswirkungen der fahrerlosen Mobilität beraten,

die Aneignung neuer Kompetenzen und den Erhalt sowie die Umschulung der Arbeitskräfte in diesem Sektor im Rahmen der neuen europäischen Agenda für Kompetenzen unterstützen,

ein EU-weites Forum bereitstellen, um spezifische ethische Fragen im Zusammenhang mit der fahrerlosen Mobilität zu behandeln.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Digitalisierung und Automatisierung auf der Grundlage schneller und zuverlässiger Internetverbindungen bieten ein breites Spektrum an neuen Funktionen für Verbraucher und Unternehmen, die einen bequemen, flexiblen, erschwinglichen und sicheren Straßenverkehr von höherer Qualität wollen.

4.2.

Die Automobilindustrie der EU mit all ihrem Fachwissen bei der Entwicklung von Fahrzeugtechnik verfügt über die besten Voraussetzungen, um diese Chance zu nutzen. Der EWSA betont, dass generell eine Harmonisierung der Verkehrssysteme bzw. die Entwicklung technischer Lösungen für eine grenzüberschreitende Nutzung als grundlegende Voraussetzung für einen reibungslos funktionierenden Binnenmarkt angestrebt werden müssen.

4.3.

Die Vernetzung von Fahrzeugen untereinander und mit einer festen Infrastruktur ist entscheidend für die umfassende Nutzung der digitaltechnischen Möglichkeiten. Der EWSA begrüßt deshalb den Zeitplan für den Ausbau des Hochgeschwindigkeitsbreitbandnetzes auf EU-Ebene im Hinblick auf eine flächendeckende 5G-Anbindung mit leistungsfähiger Internetkonnektivität für alle wichtigen Landverkehrsstrecken (4).

4.4.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission erneut auf, das Projekt „Vision Null 2050“ weiterzuverfolgen. Ein wesentlicher Punkt ist, dass das automatisierte oder teilautomatisierte Fahren erheblich zur Verbesserung der aktiven Sicherheit von Landfahrzeugen beitragen und die Zahl der Unfalltoten beträchtlich verringern oder gar auf Null senken kann.

5.   Öffentliche Akzeptanz und sozioökonomische Auswirkungen

5.1.

Die neue Technik kann nur dann erfolgreich eingesetzt werden, wenn auch die sozioökonomischen Auswirkungen angemessene Berücksichtigung finden. Ausschlaggebend für die Einführung automatisierter Mobilität ist die öffentliche Akzeptanz.

5.2.

Der EWSA ist überzeugt, dass die vernetzte automatisierte Mobilität Vorteile für unsere Gesellschaft bringen wird, da sie neue Dienstleistungen für die Mobilität im Personenverkehr, zusätzliche Möglichkeiten für die Sharing Economy und die Umwelt sowie Mobilität für jene bietet, die nicht selbst fahren können.

5.3.

Für Sicherheits- und Haftungsfragen muss klar zwischen halbautomatischem und automatischem Fahren unterschieden werden. In halbautomatischen Fahrzeugen (Stufen 1 bis 4) unterstützen die neuen Technologien (Radar, Kamera, Laser) die Fahrer, während selbstfahrende Fahrzeuge (Stufe 5) überhaupt keinen Fahrer mehr benötigen. Im ersten Fall ist der Fahrer in jedem Fall nach wie vor verantwortlich, im zweiten Fall hingegen wäre die Haftungsfrage noch zu klären. Der EWSA ist überzeugt, dass selbstfahrende Fahrzeuge denselben Sicherheitsstandards genügen müssen wie andere Systeme für den Personenverkehr, beispielsweise die Eisenbahn oder große Flugzeuge. Wenn menschliche Fehler ausgeschlossen sind, muss das automatische Verkehrssystem zu 100 % sicher sein.

5.4.

Unsere Gesellschaft toleriert menschliche Fehler bis zu einem gewissen Grad, was erklärt, warum die Zahl von etwa 25 000 Verkehrstoten in der EU im Jahr 2016 hingenommen wird. Bei anderen Verkehrssystemen, bei denen die Passagiere passiv bleiben, sieht dies ganz anders aus. Die Forderung nach 100-prozentiger Sicherheit bei selbstfahrenden Fahrzeugen ist eine große Hürde, solange sich diese sowie konventionelle Fahrzeuge und andere Straßennutzer (Fahrradfahrer, Fußgänger, Fahrzeuge mit besonderer Zweckbestimmung) auf derselben Straße bewegen.

5.5.

Tödliche Unfälle mit selbstfahrenden Fahrzeugen könnten auch bei einer relativ geringen Unfallrate zu einem erheblichen Hindernis für diese Technologie werden. Der EWSA empfiehlt deshalb, alle Pilotprojekte und Tests im Bereich des automatisierten Fahrens unter höchstmöglichen Sicherheitsstandards durchzuführen. Diese Rahmenbedingung kann die Entwicklung im Vergleich zu Konkurrenten außerhalb der EU verlangsamen, stärkt jedoch andererseits die öffentliche Akzeptanz und führt langfristig zu besseren Produkten. Der EWSA verweist darauf, dass eine hundertprozentige Sicherheit bei selbstfahrenden Fahrzeugen nur möglich ist, wenn das Straßensystem grundlegend neu gestaltet wird.

5.6.

In Bezug auf die Entwicklung ethischer Leitlinien für hochautomatisierte Fahrzeuge verweist der EWSA auf den Grundsatz, dass der Mensch letztlich die Kontrolle haben muss, wie mehrfach in anderen Stellungnahmen betont. Nach diesem Grundsatz können nur Menschen „verantwortliche Entscheidungen“ treffen, was Folgen für die Gestaltung selbstfahrender Fahrzeuge und das Umfeld hat, in dem diese verkehren dürfen. Allerdings können sicherheitsrelevante Aktionen selbstfahrender Fahrzeuge, etwa zur Vermeidung von Unfällen, schwerwiegende „ethische Fragen“ in Bezug auf die Programmierung aufwerfen, die gelöst werden müssen.

5.7.

Der EWSA ist sich bewusst, dass halbautomatische Fahrzeuge (Stufen 1 bis 4) bereits zu einer Reduzierung der Zahl der Verkehrstoten führen können, und unterstützt deshalb den Ansatz der Kommission, im Rahmen der Überarbeitung der Verordnung über die allgemeine Fahrzeugsicherheit die Zahl der neuen Sicherheitsfunktionen für Fahrzeuge zu erhöhen. Er stellt in diesem Zusammenhang zwei Problembereiche fest, die der öffentlichen Akzeptanz entgegenstehen können: a) Zusätzliche technische Funktionen können die Kosten für ein Fahrzeug erheblich erhöhen, und b) eine zunehmende Zahl von Unterstützungssystemen kann das Fahren eines Fahrzeugs wesentlich komplexer machen.

5.8.

In der üblichen Ausbildung zur Erlangung eines Führerscheins (Leichtfahrzeuge, Lkw und Busse) wurden und werden die modernsten Fahrerassistenzsysteme nicht berücksichtigt. Hier ist ganz offensichtlich eine zusätzliche Ausbildung für Anfänger ebenso wie für erfahrene Fahrer nötig. Zudem müssen die Verbraucher zum Zeitpunkt des Kaufs, der Anmietung oder des Car-Sharings klare und eindeutige Informationen über die Merkmale eines modernen Fahrzeugs erhalten. Der EWSA schlägt vor, dass die Automobilindustrie gemeinsam mit den Kommunen Schulungen anbietet und Übungsplätze für Privatpersonen und Berufskraftfahrer zur Verfügung stellt. Die Führerscheinprüfungen für Fahranfänger sollten auch ein Sicherheitstraining in Bezug auf die Verwendung neuer Technik und automatisierter Funktionen umfassen. Die Ausbildung zum Führen halbautomatischer Fahrzeuge ist ausschlaggebend für die Entwicklung eines modernen Berufsbildes für Kraftfahrer und kann neue Fertigkeiten erfordern und neue Verantwortung mit sich bringen.

5.9.

Der EWSA räumt ein, dass letztlich möglicherweise zahlreiche Arbeitsplätze verlorengehen werden (etwa für Bus- oder Lkw-Fahrer), wenn die vollständige Automatisierung (Stufe 5) erfolgreich einführt wird. Er fordert die Kommission auf, generellen Bedenken Rechnung zu tragen, dass die Einführung einer neuen Technik/Digitalisierung/Automatisierung in zahlreichen Sektoren (Verkehr, verarbeitendes Gewerbe, Finanzdienstleistungen usw.) zu einem erheblichen Verlust an Arbeitsplätzen führen kann, an deren Stelle nur relativ wenige neue Arbeitsplätze entstehen werden. Der EWSA bekräftigt, dass die Vorteile der neuen Technik/Digitalisierung/Automatisierung der ganzen Gesellschaft zugutekommen müssen und nicht nur im Interesse privater Unternehmen zur Reduzierung der Arbeitskosten eingesetzt werden dürfen. Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers schon heute mehr umfasst als nur das Führen eines Fahrzeugs und die Aufgaben der in der Verkehrsbranche Tätigen künftig, wenn weniger Bedarf am Führen eines Fahrzeugs an sich besteht (Stufe 5), erweitert werden können, was die Reduzierung reiner Fahrtätigkeiten in hohem Maße kompensieren könnte.

5.10.

Der EWSA teilt voll und ganz die Auffassung, dass die Einführung halbautomatischer (Stufen 1 bis 4) und vollautomatischer (Stufe 5) Systeme für Lkw und Busse Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und die Arbeitsbedingungen haben wird. Er fordert die Sozialpartner deshalb auf, künftige Entwicklungen gemeinsam zu planen und am Ende neue Tarifvereinbarungen in Bezug auf die Einführung der neuen Technik/Digitalisierung/Automatisierung im Straßenverkehr auszuhandeln. Es ist zu begrüßen, dass einige Gewerkschaften (z. B. UNITE im Vereinigten Königreich) bereits Modelle für Tarifvereinbarungen entwickelt haben, mit denen Arbeitsplätze geschützt, Umschulungen und Weiterbildungen gewährleistet und dafür gesorgt wird, dass Kosteneinsparungen in gerechter Weise auch den Arbeitnehmern zugutekommen.

5.11.

Die Produkthaftungsrichtlinie sollte geändert werden und sowohl bewegliche Produkte und Dienstleistungen als auch Produkte mit integrierter Software umfassen, sodass die Verbraucher nicht erst herausfinden müssen, wer haftbar ist (siehe auch Stellungnahme INT/857). Ein weiterer Aspekt, der in einem komplexeren digitalen Umfeld zu bedenken ist, ist zudem die Beweislast bei Produktfehlern, die in verbraucherfreundlicher Weise geregelt werden sollte.

5.12.

Der EWSA begrüßt, dass die Datenschutzvorschriften der EU auf internationaler Ebene zunehmend als zu den weltweit höchsten Datenschutzstandards gehörig anerkannt werden, und befürwortet den Ansatz der Kommission, den Schwerpunkt auf den Schutz von Fahrzeugen gegen Cyberangriffe zu legen und so eine sichere und zuverlässige Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur und ein solides Niveau des Datenschutzes im Einklang mit der Datenschutzgrundverordnung zu gewährleisten.

5.13.

Mit zunehmender Vernetzung kann von jedem Punkt der Welt aus auf Fahrzeugdaten zugegriffen werden. Dies eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, bringt aber auch erhebliche Risiken und Herausforderungen in Sachen Sicherheit und Schutz personenbezogener Daten mit sich. Nötig sind weitaus höhere Standards für die Sicherheit und den Schutz der personenbezogenen Daten bei Fahrzeugen etwa im Vergleich zu Smartphones. Die EU wird aufgefordert, solche Standards zu entwickeln und weltweit entsprechende Abkommen darüber auszuhandeln.

5.14.

Der Zugang zu Fahrzeugdaten ist von großer Bedeutung für den Wettbewerb in Bezug auf den Kundendienst nach dem Verkauf, insbesondere für unabhängige Anbieter von Reparatur- und Wartungsleistungen, mit möglichen Folgen für Verbraucherentscheidungen und Kosten. Der EWSA fordert die Kommission auf, die Regeln für die Nutzung von Daten schnellstmöglich anzuwenden, insbesondere mit Blick auf die Tatsache, dass die EU-Automobilindustrie bereits detaillierte Vorschläge für eine faire Plattform für den sicheren und diskriminierungsfreien Datenaustausch mit Dritten vorgelegt hat, bei der auch die Datenschutzrechte der Kunden berücksichtigt werden (etwa das detaillierte „NEVADA“-Konzept, das die EU-Automobilindustrie entwickelt hat (Quelle VDA)).

5.15.

Die Kommission sollte berücksichtigen, dass sich die für den Betrieb vernetzter und selbstfahrender Fahrzeuge erforderliche Infrastruktur zwischen den Mitgliedstaaten erheblich unterscheidet. Darüber hinaus sollten die Marktüberwachungsbehörden in allen Mitgliedstaaten über ausreichende Ressourcen verfügen, um sich auf die neuen Technologien einzustellen.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 64.

(2)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 75.

(3)  COM(2018) 283 final.

(4)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 51.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/280


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kennzeichnung von Reifen in Bezug auf die Kraftstoffeffizienz und andere wesentliche Parameter und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1222/2009“

(COM(2018) 296 final — 2018/0148 (COD))

(2019/C 62/44)

Berichterstatter:

András EDELÉNYI

Befassung

Europäisches Parlament, 11/06/2018

Rat, 14.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 194 Absatz 2, Artikel 114 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

4.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

215/1/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt, dass der europäische Gesetzgeber gemäß den eigenen Bestimmungen die allgemeine Leistung und Qualität sowie die Kennzeichnung von in der EU verwendeten Reifen erneut überprüft. Reifen tragen als einzige Verbindung zwischen Fahrzeug und Straße in bedeutendem Maße zur allgemeinen Verkehrssicherheit und zum Kraftstoffverbrauch bei.

1.1.1.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass durch eine bessere Kennzeichnung von Reifen die Verbraucher mehr Informationen über die Kraftstoffeffizienz, die Sicherheit und das Rollgeräusch erhalten und beim Reifenkauf somit über relevante und vergleichbare Informationen verfügen und eine sachkundige Wahl treffen können.

1.1.2.

Ein wichtiger zusätzlicher Gesichtspunkt ist, dass eine gute Kennzeichnung die Entscheidungsfindung der Verbraucher dabei unterstützt, ein realistischeres Gleichgewicht zwischen den Entscheidungsfaktoren Leistungsdaten, Markenimage und Preisniveau herzustellen. Sie trägt außerdem dazu bei, dass der besser aufgeklärte Verbraucher kosteneffiziente und umweltfreundliche Kaufentscheidungen trifft, was sowohl der Umwelt zugutekommt als auch Einsparungen bewirkt, was ebenfalls ein wichtiger Faktor ist.

1.1.3.

Der EWSA teilt ferner die Auffassung, dass der Vorschlag für eine Verordnung hilft, die Effizienz des Reifenkennzeichnungssystems zu verbessern und dadurch zur Verbreitung saubererer, sichererer und geräuschärmerer Fahrzeuge sowie zur Modernisierung und Senkung der CO2-Emissionen des Verkehrssektors beiträgt.

1.1.4.

Entwicklung, Herstellung und Runderneuerung von Reifen bester Qualität können indirekt in hohem Maße zum Erhalt einer europäischen Produktion mit hohem Mehrwert und dadurch zu qualitativ hochwertiger Beschäftigung beitragen. Aus dem Blickwinkel der Gesellschaft im Allgemeinen können sich die gesamten Kosten und Aufwendungen für die Endnutzer sowohl finanziell als auch im Bereich Gesundheit und Unfallsicherheit verringern.

1.1.5.

Der EWSA unterstützt die Überprüfung des Reifenkennzeichnungssystems, da dies zu den Bemühungen der EU beiträgt, die Treibhausgasemissionen und die Luftverschmutzung zu verringern, und auf diese Weise die Sicherheit und den Gesundheitsschutz im Straßenverkehr sowie dessen Effizienz im wirtschaftlichen und Umweltbereich zu verbessern.

1.1.6.

Der EWSA hält ein sicheres, sauberes und effizientes künftiges Mobilitätssystem für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger für unverzichtbar. Ziel ist es, die Mobilität in Europa sicherer und zugänglicher zu machen, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu erhöhen, europäische Arbeitsplätze zu sichern, die Umwelt besser zu schützen und ihre Anpassung an die erforderliche Einstellung auf den Klimawandel zu verbessern. Dies erfordert den vollen Einsatz der EU, der Mitgliedstaaten und der einzelnen Interessenträger.

1.2.

Der EWSA begrüßt, dass Verpflichtungen zur Anzeige der Kennzeichnung vorgesehen sind, wenn die Reifen für die Verbraucher beim Kauf nicht sichtbar sind (da sie z. B. andernorts gelagert bzw. im Fernabsatz oder über das Internet verkauft werden).

1.2.1.

Der EWSA unterstützt, dass dem Vorschlag zufolge Reifen in die neu geschaffene Datenbank zur Produktregistrierung im Sinne der Verordnung (EU) 2017/1369 einbezogen werden, um die Marktüberwachung und die Informationen für die Verbraucher zu verbessern.

1.2.2.

Der EWSA begrüßt, dass die Lieferanten dazu verpflichtet werden, Informationen in die neue Produktdatenbank einzugeben. Diese Informationen müssen sie jedoch bereits jetzt den nationalen Marktüberwachungsbehörden auf Anforderung mitteilen. Ein etwaiger Mehraufwand dürfte daher minimal sein und in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen stehen, insbesondere, wenn diese Datenbank mit den bereits bestehenden verknüpft werden kann und verhindert wird, dass die Verbraucher mit Informationen überflutet werden.

1.2.3.

Die Verordnung sollte erst ein Jahr später in Kraft treten, damit ihre Durchführung gründlich vorbereitet werden kann. Was den Bezugszeitpunkt betrifft, ist es zweckmäßig, das auf dem Produkt ohnehin vermerkte Herstellungsdatum anstatt des Datums des Inverkehrbringens zu berücksichtigen, das die Gefahr von Überschneidungen oder der doppelten Aufnahme des Produkts in die Datenbank birgt.

1.2.4.

Eine begrüßenswerte Initiative ist der obligatorische Hinweis in der Kennzeichnung auf das Fahrverhalten bei Schnee und das neue Symbol für die Haftung auf Eis (das bis Dezember 2018 von der ISO eingeführt wird), was insbesondere in den nordischen Ländern von Bedeutung ist. Hier muss aber noch eine sichere Methode zur Prüfung der Haftung auf Eis endgültig ausgearbeitet und angenommen werden; daher ist eine stufenweise Einführung angebracht.

1.2.5.

Der EWSA begrüßt, dass unter den Parametern in der Kennzeichnung die Zahl und Bedeutung der Sicherheitskomponenten zunimmt. Gleichzeitig wird diese Änderung nicht durch die empfohlene Veränderung der inneren Verhältnisse des Kennzeichnungsformats und auch durch keine Größenänderung unterstützt.

1.2.6.

Die regelmäßige Überprüfung der Verordnung durch Forschung, Folgenabschätzungen und Konsultationen funktioniert gut, wegen der überaus hohen Komplexität des Themas sollte das vor wesentlichen technischen Veränderungen auch weiterhin so gehandhabt werden. Die Befugnisse der Kommission zum Erlass delegierter Rechtsakte zwischen zwei Überprüfungen sind für kleinere, naheliegende Änderungen, die durch den technischen Fortschritt begründet sind, gerechtfertigt.

1.2.7.

Die bestehenden Parameterklassen sind wenigstens noch bis zum nächsten Überprüfungszyklus ausreichend, da angesichts der derzeit praktisch freigelassenen oberen Klassen eine Änderung der Skala nicht gerechtfertigt ist.

1.2.8.

Es ist Sache der Mitgliedstaaten, den Herstellern Anreize für stabile und qualitativ hochwertige Ergebnisse hinsichtlich Emissionen und technischer Weiterentwicklung zu bieten, die jedoch auf der Basis von einheitlichen Grundsätzen von der C-Klasse aufwärts aufrechterhalten werden sollten.

1.2.9.

In Zukunft könnte die Aufnahme von Hinweisen zu Laufleistung und Abrieb in die Kennzeichnung oder die technischen Daten gefördert werden. Solange jedoch keine adäquaten, standardisierten Prüfmethoden verfügbar sind, darf die Glaubwürdigkeit der Kennzeichnung nicht mit unsicheren, nicht hinreichend belegbaren Informationen untergraben werden.

1.2.10.

Die Einführung einer künftigen Kennzeichnung der runderneuerten Reifen der Klasse C3 ist zu begrüßen. Auch hier müssen zuvor relevante und verlässliche Prüfmethoden entwickelt werden. Für KMU, die Reifen runderneuern, muss bezüglich ihres Schutzes vor übermäßigen Prüfkosten eine Lösung gefunden werden.

1.2.11.

Als Schlüsselelement zum Erfolg der gesamten Regelung muss für eine entsprechende Information gesorgt werden und dafür, dass die Verbraucher-/Nutzergemeinschaft dank Fortbildung, Bereitstellung von Informationen, Kampagnen, Kaufberatung und umfassender Einbeziehung der Zivilgesellschaft über die erforderlichen Kenntnisse verfügt und gut vorbereitet ist.

2.   Einführung: Kontext des Vorschlags, Kurzüberblick

2.1.

Mit dem vorliegenden Vorschlag für eine Verordnung wird die Verordnung (EG) Nr. 1222/2009 (1) über die Kennzeichnung von Reifen in Bezug auf die Kraftstoffeffizienz und andere wesentliche Parameter (die „Reifenkennzeichnungsverordnung“ — RKV) aufgehoben und ersetzt.

2.1.1.

Die RKV wurde vor ihrem Inkrafttreten im Jahr 2012 im Jahr 2011 zweimal geändert. Zunächst wurde eine neue Prüfmethode für die Nasshaftung von Reifen aufgenommen, später wurde ein verschärftes Laborabgleichverfahren für die Messung des Rollwiderstands eingeführt. Der vorliegende Vorschlag der Kommission trägt diesen beiden Änderungen Rechnung.

2.2.

Im Jahr 2009 verabschiedete die EU zwei Rechtsvorschriften zu Reifen, in denen den neuen Anforderungen und den fachlichen Meinungen Rechnung getragen wurde:

die RKV, mit Unionsvorschriften zur Harmonisierung der Informationen, die den Endnutzern zu Reifenparametern bereitzustellen sind, damit sie beim Reifenkauf eine sachkundige Wahl treffen können, und

die Verordnung (2) über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer allgemeinen Sicherheit (AFSV), die harmonisierte technische Vorschriften für Reifen enthält, die in der Union in Verkehr gebracht werden sollen.

2.2.1.

In der Verordnung über die allgemeine Fahrzeugsicherheit sind unter anderem für folgende Aspekte von Reifen Mindestanforderungen vorgesehen: i) den Rollwiderstand, ii) die Nasshaftung und iii) das externe Rollgeräusch der Reifen.

2.3.

Diese Anforderungen sind am 1. November 2012 in Kraft getreten, und seit dem 1. November 2016 gelten zudem verschärfte Anforderungen an den Rollwiderstand (weitere Änderungen gelten dann ab 2018 und 2020).

2.3.1.

Mit der Verabschiedung der Verordnung (EU) 2017/1369 (3) wurde der allgemeine Rahmen für die Energieverbrauchskennzeichnung im Jahr 2017 aktualisiert. Durch diese Verordnung wurde die Richtlinie 2010/30/EU aufgehoben und ersetzt, und es wurden mehrere neue Elemente eingeführt, darunter eine Datenbank für die Produktregistrierung sowie neue Vorschriften zur visuellen Werbung sowie zum Fernabsatz und Internetverkauf.

2.4.

Bereits am 17. Dezember 2008 ersuchte der Rat den EWSA um Stellungnahme zum ersten Vorschlag. Am 12. März 2009 wurde die Stellungnahme von der zuständigen Fachgruppe (TEN/369, Berichterstatter: Virgilio Ranocchiari) angenommen und dann am 25. März 2009 vom EWSA auf seiner 452. Plenartagung verabschiedet.

2.5.

Die Europäische Kommission gab eine detaillierte Studie und eine Folgenabschätzung zur Analyse der Wirksamkeit der Verordnung (SWD(2018) 189 final) in Auftrag, deren Ergebnisse ihr als Grundlage für den vorliegenden Vorschlag zur Änderung der Vorschriften gedient haben. Sie hat zu den Kennzeichnungsparametern der AFSV die Möglichkeit hinzugefügt, folgende zwei Parameter anzugeben: iv. die Eignung für Schnee und v. die Eignung für Eis. Der Zusammenhang zwischen den gemessenen Parametern und den Zielbereichen ist aus der folgenden Tabelle ersichtlich:

Zielbereich

Parameter

Rollwiderstand

Nasshaftung

Rollgeräusch

Schnee

Eis

Umwelt

x

 

x

 

 

Energie

x

 

 

 

 

Sicherheit

 

x

 

x

x

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Auf den Verkehrssektor entfallen mehr als 30 % des Energieverbrauchs der Europäischen Union. Etwa 22 % der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU stammen aus dem Straßenverkehr. Das Ziel der Mitteilung Eine europäische Strategie für emissionsarme Mobilität von 2016 ist es, bis 2050 die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor um mindestens 60 % gegenüber 1990 zu verringern. Ziele des dritten Mobilitätspakets sind eine Verringerung der Emissionen durch PKW und LKW, die Verbesserung der Verkehrssicherheit und die Verringerung der Verschmutzung. Außerdem trägt es zur Verringerung der Abhängigkeit der EU von Energieimporten bei. Die Fahrzeugreifen wirken sich auch auf den Kraftstoffverbrauch (somit auch auf die Treibhausgasemissionen), den Lärm und die Sicherheit aus.

3.2.

Eine Bewertung der geltenden Verordnung über die Kennzeichnung von Reifen zeigt, dass sie nicht ausreichend war, um das Ziel zu erreichen, durch Förderung von kraftstoffsparenden, geräuscharmen und sicheren Reifen die ökologische Effizienz des Straßenverkehrs zu erhöhen. Die Hauptgründe hierfür sind Folgende:

a)

geringe Sichtbarkeit und Bekanntheit der Reifenkennzeichnung;

b)

Probleme mit der Einhaltung und unangemessene Durchsetzung der Vorschriften durch die Mitgliedstaaten;

c)

unsichere Leistungsklassen und ungenaue, unvollständige Informationen.

3.3.

Durch Regulierungsmaßnahmen auf EU-Ebene wird Folgendes sichergestellt:

a)

die Endnutzer erhalten dieselben harmonisierten Informationen, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie ihre Reifen kaufen, sowie

b)

für die Reifenlieferanten ergeben sich geringere Kosten, da sie die Reifen EU-weit mit einer einzigen Kennzeichnung in Verkehr bringen können.

3.4.

Diese Vorteile nützen in erster Linie dem Verbraucher, steigern die Sicherheit und verbessern die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Reifenindustrie. Sie erleichtern das Inverkehrbringen von Reifen im Binnenmarkt, außerdem verringern sie die Gesamtkosten und führen zu einer breiteren Produktpalette, wovon wiederum auch die Verbraucher profitieren. Damit die Maßnahmen auf EU-Ebene zum Erfolg führen, müssen die Anstrengungen bezüglich der Marktüberwachung im Interesse der Förderung des Binnenmarkts EU-weit konsequent sein. Es müssen Anreize für Investitionen der Hersteller in die Gestaltung, Herstellung und den Verkauf energieeffizienter Reifen geschaffen werden.

3.5.

Die offene Konsultation hat ergeben, dass Einigkeit darüber besteht, dass es zur Verbesserung der Bekanntheit der Reifenkennzeichnung Sensibilisierungskampagnen, verpflichtender Online-Kennzeichnung sowie zusätzlich der Kennzeichnung der Reifen bedarf, die gemeinsam mit Neufahrzeugen verkauft werden. Die Befragten waren sich einig, dass zur Stärkung des Vertrauens der Verbraucher die Marktüberwachung verbessert und bessere Plattformen für die Behörden zur Umsetzung und Koordinierung der Tätigkeiten geschaffen werden müssen.

3.6.

Es ist zu unterstützen, dass bei den in der Kennzeichnung aufgeführten Eigenschaften die Zahl und Bedeutung der sicherheitsrelevanten Parameter zunimmt. Dem widerspricht aber die relative Verringerung der Fläche, auf der die einzelnen Parameter Platz finden sollen, wodurch sich das Aussehen der Kennzeichnung ändert. Unverständlich ist außerdem die Änderung der Abmessungen der Kennzeichnung.

3.7.

Die gründliche Folgenabschätzung zeigte deutlich, welch sensible und wichtige Frage das Vertrauen in die Kennzeichnungssysteme ist. Deshalb ist die Regelung mit großer Verantwortung verbunden, da wenige, genaue und zuverlässige Informationsparameter ausgewählt und mitgeteilt werden müssen. Dies stellt die zuständigen Marktüberwachungsbehörden in den Mitgliedstaaten vor eine kostenintensive Aufgabe, da sie nicht nur die Verbraucher schützen müssen, sondern auch die ehrlichen Hersteller, um zu verhindern, dass diese in einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen geraten, die weniger zuverlässig — oder völlig unzuverlässig — sind und deshalb geringere Kosten zu tragen haben und mit niedrigeren Preisen arbeiten.

3.8.

Das Vorhandensein aller genannten Faktoren kann den entsprechenden Rahmen für die Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation schaffen bzw. die Ziele und die diesen zuzuordnenden wichtigen Ressourcen effizient vorgeben.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Um neue Anforderungen einzuführen und die Anhänge an die technische Entwicklung anzupassen muss die Kommission Konsultationen mit Sachverständigen durchführen und delegierte Rechtsakte erlassen. Die Änderung der Verordnung auf Grundlage eines delegierten Rechtsakts soll sich aber auf die Maßnahmen, die sich aus dem technischen Fortschritt ergeben, beschränken und darf keine wesentlichen Änderungen wie neue Regelungen zu Laufleistung, Abrieb oder runderneuerten Reifen umfassen, bei denen regelmäßige Überprüfungen empfehlenswert sind. Das erhöht die Qualität der Gesetzgebung (4). Hier muss auch die starke Vertretung von zivilgesellschaftlichen Berufsverbänden sichergestellt werden. Diese verfügen nämlich — im Gegensatz zu den isolierten, nur zyklisch aktualisierten und/oder mittelbaren Daten anderer Institutionen — über direkte und ständig aktualisierte Informationen der Verbrauchergemeinschaft (Einzelverbraucher und Fuhrparkmanager).

4.2.

Aufgrund des Forschungsberichts zur Überprüfung der Verordnung und angesichts der Marktforschungsdaten ist der EWSA der Ansicht, dass es für eine Änderung der Parameterklassen zu früh wäre: Weniger als 1 % des Marktangebots entfällt auf Reifen mit Rollwiderstand und Nasshaftung der Klasse A, somit ist diese praktisch leer. Laut Verordnung (EU) 2017/1369 wäre eine Änderung der Skala erst dann angebracht, wenn 30 % der Produkte die höchste Klasse erreicht haben. Außerdem ist eine 6- oder 7-stufige Skala, deren zwei oberen Stufen nicht verwendet werden, nicht motivierend. Aus technischer Sicht ist auch zu bedenken, dass Tests, die an Reifen der gleichen Serie durchgeführt werden, mitunter Abweichungen um zwei Klassen ergeben.

4.3.

Der EWSA stimmt mit den Bestrebungen überein, künftig Parameter zu Laufleistung und Abrieb einzuführen, sofern eindeutige und signifikante Daten vorliegen. Der Ausschuss macht jedoch auch darauf aufmerksam, dass im letzten Jahrhundert keine adäquate und geeignete Prüfmethode (außer dem Praxistest) für diese Parameter gefunden wurde. Diese Testparameter sollten einen nachhaltigen, vielseitigen und langfristigen Gebrauch widerspiegeln und charakterisieren. Die effiziente Modellierung all dieser Parameter im Labor zu angemessenen Kosten beinhaltet eine beschleunigte Überlastprüfung, die kaum die Vielfalt der wirklichen Anforderungen und das dabei gezeigte unterschiedliche natürliche Verhalten repräsentieren kann. Diese Prüfungen, die unter unterschiedlichen Bedingungen durchgeführt werden, ergeben eine unterschiedliche Klassifizierung und Rangfolge der Erzeugnisse bezüglich Laufleistungen und Abriebraten.

4.3.1.

Es kann festgestellt werden, dass es gefährlich wäre und die Glaubwürdigkeit der Kennzeichnung untergraben würde, wenn der Verbraucher in der Praxis eine andere Leistung als jene, die in der Kennzeichnung angegeben ist, feststellen würde. Mit den übrigen Parametern gibt es kein solches Problem, da sie nur das fallweise, augenblickliche Verhalten modellieren und zeigen. Die Aufnahme der obigen zwei Parameter in die Kennzeichnung wäre außerordentlich riskant und wird derzeit nicht empfohlen.

4.3.2.

Wie wichtig es ist, den Abrieb zu verringern, zeigen verschiedene negative Umweltauswirkungen: einerseits das Vorhandensein von Kunststoffpartikeln in Gewässern, auch wenn der Gummianteil relativ gering ist, andererseits das Vorhandensein — wenn auch in extrem geringen Mengen — von vermutlich aus der energetischen Verwertung stammendem Benzopyren in der Luft, das wiederum in hohem Maße für die Entstehung von Smog und bestimmte Schädigungen der Atemwege verantwortlich ist.

4.4.

Der EWSA teilt im Allgemeinen die Ansicht, dass durch die Runderneuerung von Reifen der Klasse C3 weltweit Einsparungen bei Rohstoffen und Energie erzielt werden können. Es muss jedoch darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich auf runderneuerte Reifen nur die derzeit gültigen drei Reifenkennzeichnungsparameter anwenden lassen, und das auch nur in beschränktem Maße. Bei den Angaben zu Lebensdauer und Abrieb lässt sich noch weniger eindeutig festlegen, inwieweit der Hersteller des Reifenuntergewebes bzw. der Runderneuerer für die Qualität haftet. Deshalb ist eine Kennzeichnung bezüglich dieser Parameter nicht zu empfehlen. Wegen ihres unerheblichen Marktanteils ist es wirtschaftlich und umwelttechnisch nicht angemessen, runderneuerte Reifen der Klassen C1 und C2 in die RKV aufzunehmen. Es sollte jedoch den Herstellern ermöglicht werden, freiwillig runderneuerte C1- und C2-Reifen zu kennzeichnen, die von Kunden gekauft werden, die ein Mindestmaß an Kennzeichnung suchen.

4.4.1.

Der EWSA warnt davor, dass die Aufnahme der runderneuerten Reifen zu einem exponentiellen Anstieg der Posten in der Produktdatenbank im Vergleich zu Neureifen führt. Die Kombinationen von Runderneuerern und Herstellern des Reifenuntergewebes, die Seriennummer der Runderneuerungen und die Varianten der Runderneuerungstechnologien generieren alle neue Artikelnummern. Die Vielfalt der Produktprüfungen belastet die Hersteller, die zumeist KMU sind, finanziell übermäßig und für den Verbraucher ist die übertriebene Produktvielfalt unüberschaubar.

4.5.

Der EWSA hält die Vorbereitungszeit für die Umsetzung der Verordnung für zu kurz, sie sollte um ein Jahr verlängert werden. Bei den Produkten, die unter diese Regelung fallen, ist es viel einfacher und leichter durchführbar, das Herstellungsdatum statt des Datums des Inverkehrbringens als Grundlage zu nehmen. Dieses ist nämlich auf den Reifen dauerhaft vermerkt und verringert auch die Gefahr der doppelten Aufnahme in die Datenbank.

4.6.

Darüber hinaus ermöglicht die neue Verordnung allein den Verbrauchern auch weiterhin keinen Vergleich zwischen Reifenleistung und Reifenpreis im Zusammenhang mit dem Kraftstoffverbrauch. Obwohl Angaben zum Verbrauch oft in den Verkaufsstellen oder in den Bedienungsanleitungen der Fahrzeuge zu finden sind, verfügt der Großteil der Verbraucher auch weiterhin nicht über ausreichendes Wissen und umfassende Informationen.

4.6.1.

Da die Leistungseigenschaften der Reifen außerdem in — mitunter dichotomischer — Wechselwirkung zueinander stehen, geben die Informationen über die bestmögliche Wahl zwischen diesen Parametern Aufschluss. Dennoch ermöglicht dies dem Verbraucher keine Kaufentscheidung in voller Kenntnis der Sachlage, da sie sich nicht im Klaren sind, wie die angegeben Parameter zusammenhängen.

4.6.2.

Der EWSA schlägt vor, dass sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene Berufsverbände, für Verkehrssicherheit und Verkehr zuständige Zivil- und Polizeiorgane sowie Fahrschulen Kenntnisse rund um den Reifen und über alle künftig laut Verordnung anwendbaren technischen Parameter und Kennzeichen in ihre Unterrichts-, Kommunikations- und Fortbildungsprogramme und Prüfungsaufgaben aufnehmen.

4.6.3.

Gleichzeitig sollten auch die Hersteller dafür sorgen, dass ihre Handelspartner — häufig Reifenverkäufer, die Käufer über das zum Verkauf stehende Fahrzeug oder die Reifen, die sie erwerben wollen, entsprechend informieren und nach Möglichkeit über alternative Wahlmöglichkeiten beraten.

4.6.4.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die EU darauf hinwirken sollte, dass die Mitgliedstaaten nicht nur im Zusammenhang mit dieser Verordnung, sondern auch zu anderen Fragen im Zusammenhang mit Reifen, wie etwa der Verwendung von für die Jahreszeit geeigneten Reifen, dem allgemeinen Umgang mit Reifen usw., Informations- und Sensibilisierungskampagnen durchführen.

4.7.   Künftig in Erwägung zu ziehende Bemerkungen

4.7.1.

Langfristig sollte die Union die Möglichkeit erwägen, Informationen zu Beratungszwecken in Bezug auf die Recyclingfähigkeit von Altreifen einzuführen, nicht im Rahmen der Kennzeichnung, sondern vielmehr in der technischen Dokumentation und im technischen Werbematerial.

4.7.2.

Nach Ablauf des nächsten Zeitraums für die Überprüfung der Verordnung sollte geprüft werden, ob bei Winterreifen — in den Tests, in der technischen Dokumentation und im technischen Werbematerial oder in der Kennzeichnung — eine stärkere Differenzierung notwendig ist.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. L 342 vom 22.12.2009, S. 46.

(2)  ABl. L 200 vom 31.7.2009, S. 1.

(3)  ABl. L 198 vom 28.7.2017, S. 1.

(4)  ABl. L 123 vom 12.5.2016, S. 1.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/286


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von CO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge“

(COM(2018) 284 final — 2018/0143 (COD))

und zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/53/EG des Rates hinsichtlich der Frist für die Anwendung der besonderen Vorschriften über die höchstzulässige Länge von Führerhäusern, die eine verbesserte Aerodynamik und Energieeffizienz sowie eine bessere Sicherheit bieten“

(COM(2018) 275 final — 2018/0130 (COD))

(2019/C 62/45)

Berichterstatter:

Stefan BACK

Befassung

Europäisches Parlament, 11.6.2018 und 5.7.2018

Rat, 8.6.2016 und 5.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 91 Absatz 1, Artikel 192 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

4.10.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

216/2/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/53/EG des Rates (im Folgenden „der Beschlussvorschlag“) und stellt fest, dass dadurch lediglich die Umsetzung der bereits vereinbarten wesentlichen Änderungen der Richtlinie 96/51/EG vorgezogen wird. Er betont, dass bei der Annahme von Durchführungsbestimmungen das Arbeitsumfeld der Fahrer berücksichtigt werden muss, und fordert die Kommission auf, einschlägige Interessenträger hierzu zu konsultieren.

1.2.

Der EWSA begrüßt ebenfalls den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von CO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge (im Folgenden „der Verordnungsvorschlag“) (1) als ausgewogenen Ansatz, um die notwendige Senkung der CO2-Emissionen schwerer Nutzfahrzeuge als Beitrag zu den im Rahmen des Übereinkommens von Paris eingegangenen Verpflichtungen in Angriff zu nehmen und den vom Europäischen Rat im Oktober 2014 festgelegten spezifischen Bestimmungen für den Verkehr Rechnung zu tragen.

1.3.

Des Weiteren begrüßt der EWSA das Ziel des Verordnungsvorschlags, angesichts der Konkurrenz aus China, Japan und den Vereinigten Staaten Innovation und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Automobilindustrie auf dem Gebiet emissionsarmer schwerer Nutzfahrzeuge zu fördern.

1.4.

Der EWSA bedauert indes, dass der Vorschlag sehr komplex und somit nur schwer verständlich ist. Er bedauert außerdem, dass es für die in dem Verordnungsvorschlag so bezeichneten „emissionsfreien und emissionsarmen Fahrzeuge“ keine einheitliche Terminologie und keine einheitlichen Kriterien gibt und in anderen Vorschlägen des Mobilitätspakets andere Begriffe verwendet werden. Eine einheitliche Terminologie und nach Möglichkeit einheitliche Kriterien hätten für mehr inhaltliche Klarheit gesorgt.

1.5.

Aufgrund der dynamischen Entwicklungen im Bereich alternative Energiequellen und der Notwendigkeit, nationale Lösungen zu vermeiden, die das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigen würden, ist die Entscheidung für ein technologieneutrales Konzept nach Ansicht des EWSA unabdingbar.

1.6.

Die für den Zeitraum 2020-2025 vorgeschlagene 15 %-ige Senkung der durchschnittlichen spezifischen CO2-Emissionen ist durchaus eine Herausforderung, entspricht aber den Emissionssenkungen, die vom Europäischen Rat im Oktober 2014 als dem Verkehrssektor zumutbar eingestuft wurden.

1.7.

Der EWSA begrüßt ferner die Flexibilität des vorgeschlagenen Gutschrift-/Lastschriftsystems.

1.8.

Der EWSA unterstreicht, wie wichtig Vorhersehbarkeit für die Automobil- und Transportindustrie aufgrund der Zeit und der Investitionen ist, die für die Entwicklung neuer Produkte erforderlich sind; mit Blick auf Investitionen in neue Anlagen muss auch die Vorhersehbarkeit des Rechtsrahmens gegeben sein. Aus diesem Grund plädiert der EWSA auch für konkretere Ziele für die CO2-Reduktionskurve ab 2030.

1.9.

Der EWSA weist darauf hin, dass Innovation häufig mit Veränderungen in den Arbeitsbedingungen und einem Schulungsbedarf zur Anpassung an neue Anforderungen einhergeht. Es sind Anstrengungen erforderlich, um den Übergang sozial nachhaltig zu gestalten und den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu erleichtern.

1.10.

Der EWSA betont darüber hinaus, wie wichtig die Prüfung des tatsächlichen CO2-Ausstoßes von Fahrzeugen unter realen Fahrbedingungen ist, wobei beispielsweise die zusätzlichen Auswirkungen der Digitalisierung und einer effizienteren Fahrweise auf die CO2-Emissionen zu berücksichtigen sind, was sich in Effizienzsteigerungen, einer besseren Kapazitätsauslastung und Kostensenkungen pro Nutzlasteinheit niederschlägt.

1.11.

Der EWSA vertritt daher die Auffassung, dass der Verordnungsvorschlag auch zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Transportindustrie beiträgt.

1.12.

Der EWSA weist darauf hin, dass der Status von „Arbeitsfahrzeugen“ in dem Verordnungsvorschlag nicht eindeutig ist (siehe Ziffer 5.1). Seiner Meinung nach müssen die Auswirkungen des Sonderstatus von Arbeitsfahrzeugen, möglicherweise durch einen Zusatz zu Erwägungsgrund 17, gründlicher erläutert werden.

1.13.

Die Einnahmen aus Sanktionszahlungen, die bei Nichteinhaltung der Ziele des Verordnungsvorschlags zu leisten sind, sollten nach Ansicht des EWSA zweckgebunden und für die Finanzierung der Entwicklung innovativer und nachhaltiger Verkehrslösungen bereitgestellt werden, um den CO2-Fußabdruck schwerer Nutzfahrzeugen zu verringern.

1.14.

Abschließend merkt der EWSA an, dass die in Artikel 8 verwendete Formulierung „Abgabe wegen Emissionsüberschreitung“ zur Bezeichnung einer De-facto-Sanktion unangemessen scheint und ersetzt werden sollte, beispielsweise durch „Geldstrafe wegen Emissionsüberschreitung“.

2.   Hintergrund

2.1.

Im Rahmen des Übereinkommens von Paris hat sich die EU verpflichtet, die Treibhausgasemissionen zu senken, um negativen Auswirkungen des Klimawandels vorzubeugen. Diese Verpflichtung erfolgte auf der Grundlage der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Oktober 2014, mit denen eine Senkung um mindestens 40 % bis 2030 zugesagt wurde, wobei für Sektoren, die nicht dem Emissionshandelssystem unterliegen, insbesondere für das Verkehrswesen, das weniger ehrgeizige Ziel einer Senkung von 30 % festgelegt wurde (2).

2.2.

In der europäischen Strategie für emissionsarme Mobilität (3) wurde das Ziel festgelegt, die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen bis 2050 um mindestens 60 % gegenüber 1990 zu verringern und den Marktanteil emissionsarmer Fahrzeuge bis 2030 deutlich zu steigern.

2.3.

Eine der Hauptzielsetzungen der Initiative „Europa in Bewegung“ (das Mobilitätspaket) ist die Umsetzung der Strategie für emissionsarme Mobilität sowie der neuen Strategie für die Industriepolitik der EU (4). Das Mobilitätspaket wurde in Form von drei Einzelpaketen veröffentlicht, und zwar am 31. Mai und 8. November 2017 und am 17. Mai 2018. In den Rahmenmitteilungen zu diesen drei Einzelpaketen wurde die Bedeutung der Umsetzung dieser Strategie unterstrichen, und es wurden mehrere Vorschläge in diese Richtung unterbreitet, u. a. der Vorschlag für eine Verordnung über die Überwachung und Meldung der CO2-Emissionen und des Kraftstoffverbrauchs neuer schwerer Nutzfahrzeuge (5) sowie der Vorschlag für eine Verordnung zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und neue leichte Nutzfahrzeuge im Rahmen des Gesamtkonzepts der Union zur Verringerung der CO2-Emissionen von leichten Nutzfahrzeugen und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 (6). Diesbezüglich ist hervorzuheben, dass diese Maßnahmen nicht nur der Verwirklichung von Umweltzielen dienen, sondern auch auf die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Ländern wie China, Japan und den Vereinigten Staaten abzielen, die bereits Umweltnormen für schwere Nutzfahrzeuge eingeführt haben.

2.4.

Die beiden Vorschläge, die Gegenstand dieser Stellungnahme sind, sind Teil des dritten Mobilitätspakets und betreffen Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge sowie die Verkürzung der Zeit für die Umsetzung besonderer Vorschriften über die Länge von Führerhäusern, die eine verbesserte Aerodynamik bieten, in nationales Recht.

3.   Die Vorschläge

3.1.   Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/53/EG des Rates hinsichtlich der Frist für die Anwendung der besonderen Vorschriften über die höchstzulässige Länge von Führerhäusern, die eine verbesserte Aerodynamik und Energieeffizienz sowie eine bessere Sicherheit bieten (7) („Beschlussvorschlag“)

3.1.1.

Die oben genannten besonderen Vorschriften zielen darauf ab, die Nutzung von Führerhäusern mit verbesserter Aerodynamik zu ermöglichen, die zu einer besseren Energieeffizienz und einer Verringerung der Treibhausgasemissionen beitragen würden. In der geltenden Richtlinie 96/53/EG ist nach Ende der Übergangszeit ein dreijähriges Moratorium für die Einführung aerodynamischer Führerhäuser vorgesehen. Nun wird eine Verkürzung dieser Frist auf vier Monate ab Inkrafttreten dieses Beschlusses vorgeschlagen, um den Einsatz aerodynamischer Führerhäuser ohne unnötige Verzögerung zu ermöglichen. Für die Umsetzung ist eine Änderung der Vorschriften über die Typgenehmigung notwendig.

3.1.2.

Der Beschlussvorschlag enthält keine Änderung der wesentlichen Bestimmungen der Richtlinie 96/53/EG.

3.2.   Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von CO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge (8) („Verordnungsvorschlag“)

3.2.1.

Mit dem Verordnungsvorschlag werden folgende Ziele für die Verringerung der CO2-Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen, die unter diese Verordnung fallen, festgelegt: um 15 % im Zeitraum 2025-2029 und ab 1. Januar 2030 um mindestens 30 %, wobei diese Norm einer Überprüfung im Jahr 2022 unterliegt. Die Referenzemissionen stützen sich auf die gemäß dem Vorschlag für die Verordnung über die Überwachung und Meldung der CO2-Emissionen und des Kraftstoffverbrauchs neuer schwerer Nutzfahrzeuge gemeldeten Überwachungsdaten aus dem Jahr 2019 (Referenz-CO2-Emissionen) (9).

3.2.2.

Der Verordnungsvorschlag gilt für Lastkraftwagen mit einem Gesamtgewicht über 16 Tonnen, Zugmaschinen und — in Verbindung mit den Anreizen gemäß den besonderen Vorschriften für emissionsfreie oder emissionsarme Fahrzeuge — auch für Busse und Lastkraftwagen, die sonst nicht Gegenstand dieses Verordnungsvorschlags sind. Arbeitsfahrzeuge und schwere Nutzfahrzeuge, die nicht für den Gütertransport bestimmt sind, unterliegen im Prinzip nicht den CO2-Emissionsreduktionszielen dieses Verordnungsvorschlags.

3.2.3.

Ab dem Jahr 2020 werden die durchschnittlichen spezifischen Emissionen jedes Herstellers für das vorangegangene Kalenderjahr (erstmals für 2019) im Wege von Durchführungsrechtsakten und auf der Grundlage von im Rahmen der vorgeschlagenen Überwachungsverordnung (siehe Ziffer 3.2.1) gemeldeten Daten sowie dem noch festzulegenden Faktor für emissionsfreie und emissionsarme Fahrzeuge berechnet.

3.2.4.

Für emissionsfreie und emissionsarme Fahrzeuge bestimmt die Kommission ab dem Jahr 2020 für jeden Hersteller einen Faktor für emissionsfreie und emissionsarme Fahrzeuge für das vorangegangene Kalenderjahr (erstmals für 2019). Jedes emissionsarme oder emissionsfreie Fahrzeug wird als zwei Fahrzeuge gezählt. Durch Anwendung des Faktors für emissionsfreie und emissionsarme Fahrzeuge werden die durchschnittlichen spezifischen Emissionen um höchstens 3 % bzw. bei Bussen und Lastkraftwagen, die normalerweise nicht unter diese Verordnung fallen, um höchstens 1,5 % verringert.

3.2.5.

Ab dem Jahr 2026 bestimmt die Kommission die Zielvorgaben für die spezifischen Emissionen der Hersteller für das Folgejahr im Wege von Durchführungsrechtsakten auf der Grundlage der Daten des vorangegangenen Kalenderjahrs. Als Grundlage dienen hierbei die in der Verordnung festgelegten Zielvorgaben, die Referenz-CO2-Emissionen (2019), der Anteil an Fahrzeugen des Herstellers an jeder Fahrzeuguntergruppe sowie die auf jede Untergruppe anwendbaren Gewichtungsfaktoren für die jährliche Kilometerleistung und die Nutzlast.

3.2.6.

Es können Gutschriften und Lastschriften erlangt werden. Diese werden anhand der Differenz zwischen einer Reduktionskurve (die für jeden Hersteller auf der Grundlage der Referenz-CO2-Emissionen und der Zielvorgaben für 2025 und 2030 festgelegt wird) und den durchschnittlichen spezifischen Emissionen eines Herstellers berechnet; ist die Differenz positiv, resultiert daraus eine Gutschrift. Fällt die Differenz zwischen den durchschnittlichen spezifischen Emissionen und den spezifischen Emissionsvorgaben eines Herstellers dagegen negativ aus, führt dies zu einer Lastschrift.

3.2.7.

Im Zeitraum 2019-2029 können Emissionsgutschriften erlangt werden, wobei die im Zeitraum 2019-2024 erworbenen Gutschriften nur gegenüber der Zielvorgabe für spezifische Emissionen für 2025 geltend gemacht werden können. Im Zeitraum 2025-2029 erlangte Emissionslastschriften dürfen insgesamt 5 % der Zielvorgabe für die spezifischen Emissionen des Herstellers für das Jahr 2025, multipliziert mit der Anzahl schwerer Nutzfahrzeuge in diesem Jahr nicht überschreiten („Obergrenze für Emissionslastschriften“). Im Zeitraum 2025-2028 können Lastschriften und Gutschriften von Jahr zu Jahr übertragen, müssen aber 2029 vollständig eingelöst werden.

3.2.8.

Bei Emissionsüberschreitungen innerhalb eines Kalenderjahres oder im Zeitraum 2025-2029 verhängt die Kommission eine Abgabe wegen Emissionsüberschreitung, die auf der Basis von 6 800 EUR/g CO2/tkm berechnet wird. Die Abgabe gilt als Einnahme für den Gesamthaushaltsplan der Union.

3.2.9.

Der Verordnungsvorschlag enthält ferner Bestimmungen bezüglich der Überwachung der Übereinstimmung von Fahrzeugen mit den Anforderungen sowie der Veröffentlichung von Daten und der Leistungen der Hersteller.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.   Beschlussvorschlag

4.1.1.

Der EWSA unterstützt die Initiative, die Bestimmungen über den Einsatz einer auf gesteigerte Energieeffizienz ausgelegten Führerhauskonstruktion nach Möglichkeit zu einem früheren Zeitpunkt umzusetzen, da dies wiederum zu einer Emissionsminderung und einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der EU-Automobilindustrie beitragen sollte. Der EWSA betont, dass der Vorschlag keine wesentlichen Änderungen der Richtlinie 96/53/EG bedeutet, sondern lediglich eine Anpassung des Umsetzungszeitplans.

4.1.2.

Der EWSA weit darauf hin, dass vor der Einführung aerodynamischer Führerhäuser, die die geltenden Beschränkungen in Bezug auf Gewicht/Größe der Fahrzeuge überschreiten, neue Bestimmungen notwendig sind. Gemäß Artikel 9 der Richtlinie (EU) 2015/719 betreffen diese neue Bestimmungen folgende vier Bereiche:

die Aerodynamik,

die Sicherheit schutzbedürftiger Straßenverkehrsteilnehmer, d. h. Verbesserung ihrer Sichtbarkeit, Verringerung toter Winkel usw.,

die Verringerung von Schäden oder Verletzungen, die anderen Straßenverkehrsteilnehmern im Fall einer Kollision zugefügt werden,

die Sicherheit und den Komfort der Fahrer, d. h. die Innenabmessungen der Kabine.

4.1.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission nachdrücklich auf, vor Finalisierung dieser Vorschläge die einschlägigen Interessenträger zu konsultieren, namentlich Gewerkschaften, die die Fahrer vertreten, Kraftverkehrsunternehmer usw.

4.1.4.

Der EWSA geht davon aus, dass die geänderten Regelungen für die Typgenehmigung ein Arbeitsumfeld für Fahrer gewährleisten, das zumindest den geltenden Normen entspricht.

4.2.   Verordnungsvorschlag

4.2.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, der einen sinnvollen Ausgleich der Ziele der Senkung der mobilitätsbedingten Treibhausgasemissionen, der Förderung von Innovation in der EU-Automobilindustrie und der Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen scheint. Der Vorschlag schließt an den in Ziffer 2.3 genannten Vorschlag zur Überwachung und Meldung der CO2-Emissionen schwerer Nutzfahrzeuge an, den der EWSA ebenfalls begrüßt.

4.2.2.

Der EWSA ist sich bewusst, dass es sich bei diesem Verordnungsvorschlag um einen sehr komplexen Rechtsakt handelt. Er bedauert, dass es offenbar nicht möglich war, einen klareren und leichter verständlichen Text zu erstellen. In diesem Zusammenhang bedauert er ebenfalls, dass keine einheitliche Terminologie für die Bezeichnung von emissionsfreien und emissionsarmen Fahrzeugen in den drei Vorschlägen für CO2-Emissionen verwendet wird, die Teil des Mobilitätspakets sind. So werden die Begriffe emissionsfreie bzw. emissionsarm beispielsweise in Artikel 4 und im Anhang (Tabelle 2) des Vorschlags zur Änderung der Richtlinie 2009/33/EG über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge (10) und in Artikel 3 des Vorschlags für eine Neufassung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zur Verringerung der CO2-Fahrzeugemissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen (11) unterschiedlich definiert. In dem vorliegenden Verordnungsvorschlag wird noch ein weiterer Begriff verwendet. Es ist zu bedauern, dass keine einheitliche Terminologie verwendet wird.

4.2.3.

Da beispielsweise Länder wie China, Japan und die Vereinigten Staaten bereits CO2-Normen und Überwachungssysteme für schwere Nutzfahrzeuge eingeführt haben, befürwortet der EWSA neben den mit dem Vorschlag verfolgten Umweltzielen insbesondere auch den Aspekt der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit. Daher ist es wichtig, dass die EU-Automobilindustrie ähnliche Normen erfüllt, um sich im Wettbewerb auf diesen und anderen Märkten wirksam zu behaupten.

4.2.4.

Der EWSA befürwortet das technologieneutrale Konzept des Verordnungsvorschlags, da sich damit die Bedingungen für einen breit angelegten Ansatz zur Entwicklung von emissionsfreien bzw. emissionsarmen Antrieben schaffen lassen sollten, einschließlich der Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors.

4.2.5.

Der EWSA verweist darauf, wie wichtig die Entwicklung alternativer Antriebe für schwere Nutzfahrzeuge auch in Anbetracht des gewerblichen Rahmens ist, in dem solche Fahrzeuge in der Regel genutzt werden. Diesbezüglich weist der EWSA auch auf das breite Spektrum der derzeit verfügbaren Lösungen und die dynamische Entwicklung in diesem Bereich hin, die einen fortlaufenden Wandel der Gegebenheiten zur Folge hat. Daher müssen insbesondere für schwere Nutzfahrzeuge unterschiedliche nationale Lösungen vermieden werden, die das Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigen, weil sie die grenzüberschreitende Mobilität behindern.

4.2.6.

Der EWSA nimmt das Emissionsreduktionsziel von 15 % im Zeitraum 2020-2025 zur Kenntnis und erachtet es als ehrgeizige Vorgabe, da Verpflichtungen dieser Art für schwere Nutzfahrzeuge neu sind, die zudem einer Fahrzeugkategorie angehören, für die Anforderungen wie die im Verordnungsvorschlag enthaltenen eine Neuheit sind.

4.2.7.

Der EWSA stellt dennoch zufrieden fest, dass die Zielvorgaben deutlich niedriger angesetzt sind als das allgemeine für die EU festgelegte Emissionsreduktionsziel, was auch der vom Europäischen Rat im Oktober 2014 vertretenen Auffassung bezüglich der Anforderungen entspricht, die dem Verkehrssektor zugemutet werden können. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA das vorgeschlagene Gutschrift-/Lastschriftsystem, das eine gewisse Flexibilität zulässt, welche vermutlich zumindest für einige Zeit erforderlich sein wird.

4.2.8.

Vorhersehbarkeit ist sowohl für die Automobil- als auch die Transportindustrie wichtig. Erstere muss bei solch langfristig angelegten Vorhaben wie der Entwicklung neuer Modelle und technischer Lösungen verlässlich wissen, was auf sie zukommt. Für Letztere geht es darum, in der Lage zu sein, fundierte Entscheidungen zu treffen, etwa bei Investitionen in neue Fahrzeuge. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass für die CO2-Reduktionskurve ab 2030 konkretere Ziele festgelegt werden.

4.2.9.

Überdies könnten Innovationen Veränderungen der Arbeitsbedingungen in der Automobilindustrie und einen Bedarf an neuen Kompetenzen mit sich bringen. Entsprechende Auswirkungen könnten sich auch aus Veränderungen in der Arbeitswelt und neuen Technologien ergeben, die womöglich bestimmte Berufe, wie etwa Kraftfahrer, vor neue Anforderungen stellen. Auf diese sozialen Begleiterscheinungen der technologischen Entwicklung müssen geeignete Antworten gefunden werden, um angemessene Arbeitsbedingungen und Schulungen zur Vermittlung neuer Kompetenzen zu gewährleisten. Für einen nachhaltigen Übergang ist auch der Dialog zwischen den Sozialpartnern unerlässlich.

4.2.10.

In dem Verordnungsvorschlag werden nur die technischen Eigenschaften der Fahrzeuge erörtert. Der EWSA verweist deshalb auch auf die Digitalisierung des Transportsektors — einschließlich der Entwicklung von selbstfahrenden Fahrzeugen und Fahrroutinen —, die neben Verbesserungen beim CO2-Ausstoß von Fahrzeugen auch die Klimabilanz von schweren Nutzfahrzeugen verbessern wird. Ebenso könnten sich die durch die Digitalisierung ermöglichten Effizienzsteigerungen — etwa aufgrund einer verbesserten Streckenplanung und der Bündelung von Frachtladungen über digitale Plattformen — spürbar auf die Emissionsleistung im Fahrbetrieb auswirken.

4.2.11.

Ferner können dank Effizienzsteigerungen und verbesserter Kapazitätsauslastung die Kosten pro Nutzlasteinheit gesenkt werden, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit der Transportindustrie gesteigert wird.

4.2.12.

Somit ist es wichtig, dass die VECTO-Simulationsdaten, die für die Überwachung und Normenkontrolle verwendet werden sollen, durch Daten aus dem praktischen Fahrbetrieb ergänzt werden. Daher begrüßt der EWSA die Erklärung der Kommission, die diese im Zusammenhang mit der Verabschiedung der legislativen Entschließung (12) zu dem Vorschlag für eine Verordnung über die Überwachung der von schweren Nutzfahrzeugen verursachten CO2-Emissionen durch das Europäische Parlament abgegeben hat; sie plant, ergänzend zu den derzeitigen Datenerhebungsmethoden Tests zur Überprüfung im Fahrbetrieb auf der Straße durchzuführen, mit denen die reale Fahrleistung schwerer Nutzfahrzeuge erfasst wird.

5.   Besondere Bemerkungen zu dem Verordnungsvorschlag

5.1.

Der Begründung zufolge sollen Arbeitsfahrzeuge von den CO2-Emissionsnormen ausgenommen werden. Spezielle Ausnahmen sind in Artikel 1, Unterabsatz 2 (Berechnung der Referenz-CO2-Emissionen) und in Artikel 4 (Durchschnittliche spezifische Emissionen eines Herstellers) enthalten. Gleichzeitig werden sie weder in Artikel 2 (Geltungsbereich) noch in Artikel 6 (Zielvorgaben für die spezifischen Emissionen der Hersteller) erwähnt. Die Situation dieser Fahrzeuge scheint daher im Verordnungsvorschlag nicht eindeutig geklärt. Arbeitsfahrzeuge unterliegen jedoch offenbar den CO2-Reduktionszielen nach Artikel 1 Buchstaben a und b und werden bei der Festlegung der herstellerspezifischen Emissionsziele sowie der Emissionslastschriften nach Artikel 7 berücksichtigt. Nach Meinung des EWSA müssen die Auswirkungen des Sonderstatus von Arbeitsfahrzeugen, möglicherweise durch einen Zusatz zu Erwägungsgrund 17, gründlicher erläutert werden.

5.2.

Der Wortlaut von Artikel 8 des Verordnungsvorschlags „Abgabe wegen Emissionsüberschreitung“ lässt eher auf eine Gebühr als auf die Sanktion schließen, um die es sich dabei in Wirklichkeit handelt. Aus Gründen der Klarheit sollte eine Änderung des Wortlauts in Erwägung gezogen werden, die dem tatsächlichen Sachverhalt besser gerecht wird, etwa „Geldstrafe wegen Emissionsüberschreitung“.

5.3.

Laut Artikel 8 des Verordnungsvorschlags gelten die Beträge der Emissionsüberschreitungsabgabe als Einnahme für den Gesamthaushaltsplan der Union. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass diese Beträge zweckgebunden und für die Finanzierung der Entwicklung nachhaltiger Lösungen in der Automobil- und Transportindustrie bereitgestellt werden sollten.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  COM(2018) 284 final — 2018/0143 (COD).

(2)  Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24. Oktober 2014.

(3)  COM(2016) 501 final.

(4)  COM(2017) 479 final.

(5)  COM(2017) 279 final — 2017/0111 COD.

(6)  COM(2017) 676 final — 2017/0293 (COD).

(7)  COM(2018) 275 final — 2018/0130 (COD).

(8)  COM(2018) 284 final — 2018/0143 (COD).

(9)  COM(2017) 279 final — 2017/0111 COD.

(10)  COM(2017) 653 final — 2017/0291 (COD).

(11)  COM(2017) 676 final — 2017/0293 (COD).

(12)  Europäisches Parlament — P8_TA-PROV(2018)0246.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/292


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms ‚Digitales Europa‘ für den Zeitraum 2021-2027“

(COM(2018) 434 final — 2018/0227 (COD))

(2019/C 62/46)

Berichterstatter:

Norbert KLUGE

Mitberichterstatter:

Ulrich SAMM

Befassung

Befassung durch das Europäische Parlament, 14.6.2018

Befassung durch den Rat, 25.6.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 172, Artikel 173 Absatz 3 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Präsidiums

19.6.2018

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

4.10.2018

Verabschiedung im Plenum

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

212/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt, dass die Europäische Kommission das Programm „Digitales Europa“ aufgesetzt hat. Es unterstreicht die Absicht, Europa bei der Digitalisierung zu einem herausgehobenen Akteur werden zu lassen und seine Wirtschaftskraft im globalen Wettbewerb zu stärken. Das Programm „Digitales Europa“ verfolgt das Ziel, einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt zu ermöglichen und den digitalen Wandel für alle Bürgerinnen und Bürger Europas positiv zu gestalten. Dieses Programm hat das Potenzial zum wirksamen Erfolg; aber nur dann, wenn die bisher unbekannten Details des Programms richtig aufgesetzt werden.

1.2.

Forschende gehören zu den Treibern für gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Kompetenzen und Fähigkeiten sind Voraussetzung für ein hohes Niveau der Forschung sowie für die praktische Umsetzung des Programms. Sie gehören somit zu den Erfolgsfaktoren für das Programm. Der EWSA sieht, dass das Programm der Förderung von Forschung und Entwicklung deshalb einen hohen Stellenwert einräumt.

1.3.

Damit die Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung im Dienste aller Bürger der Europäischen Union (EU) stehen und verbreitet werden, möchte der EWSA den Dialog zwischen Forschung, Sozialpartnern und zivilgesellschaftlichen Organisationen intensivieren. Komplexe Sachverhalte müssen so dargestellt werden, dass sie von Nichtfachleuten verstanden und nachvollzogen werden können. Der EWSA schlägt weiterhin vor, das Programm mit den Prinzipien der Forschungsförderung durch Horizont 2020 (Horizont Europa) zu verknüpfen, welche u. a. auf der Einhaltung der Europäischen Charta für Forschende und den Grundsätzen „Responsible Research and Innovation“ sowie „Open Science“ basieren.

1.4.

Der EWSA sieht es positiv, dass die Förderung digitaler Kompetenzen zu einem Kernstück des Programms erhoben wurde. Digitale Kompetenzen und Fähigkeiten sind die Voraussetzung dafür, die anderen vier Schwerpunkte erfüllen zu können. Es ist bedauerlich, dass das Budget für diesen Schwerpunkt kleiner ist als das Budget der anderen Schwerpunkte. Der EWSA unterstützt daher den Vorschlag des Europäischen Parlaments, das Budget von 700 Mio. EUR (7,6 % des gesamten Budgets) auf 830 Mio. EUR (9 % des gesamten Budgets) zu erhöhen. Er betont aber auch, dass in Fragen der Ausbildung insbesondere die Mitgliedstaaten mit ihren nationalen Budgets in der Verantwortung sind. Der EWSA sieht, dass die Budgets für digitale Qualifizierung in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind. Er appelliert daher an die Europäische Kommission, die Mitgliedstaaten auf ihre eigene große Verantwortung in diesem Bereich hinzuweisen, damit alle Menschen gleichmäßig von der Digitalisierung profitieren können.

1.5.

Der EWSA sieht die Notwendigkeit, hoch qualifizierte Talente auszubilden und anzuwerben, um die Attraktivität Europas als Arbeitsplatz für diese Gruppe im weltweiten Wettbewerb zu verbessern. Der EWSA betont aber auch, dass der Fokus im Programm nicht allein auf besonderen Anstrengungen für die Gewinnung hoch qualifizierter und digital fortgeschrittener Fähigkeiten und Kapazitäten liegen darf. Unternehmen, Arbeitnehmer sowie Verbraucher sollten umfassend bei Einführung und Anwendung sowohl grundlegender als auch fortgeschrittener digitaler Techniken gefördert werden. Das ist für die Quantität und Qualität der Arbeitsplätze und für die Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidend. Der EWSA stellt fest, dass heute noch immer viele Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Bürgerinnen und Bürger nicht über grundlegende technische Ausstattungen und Fähigkeiten verfügen. Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 19. Oktober 2017, wonach Investitionen in digitale Kompetenzen zum Ziel haben sollen, dass „alle europäischen Bürgerinnen und Bürger die erforderlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten erhalten“ (1).

1.6.

Das Programm „Digitales Europa“ wird dann in diesem Feld erfolgreich sein, wenn es als „Kopf“ fungiert und andere EU-Förderprogramme mit ähnlicher Zielsetzung im Blick behält. Mittel, z. B. aus dem ESF+, müssen in die Finanzierung notwendiger Maßnahmen einbezogen werden.

1.7.

Der EWSA wünscht, dass bei der Umsetzung der digitalen Innovationszentren Sozialpartner sowie die Zivilgesellschaft standardmäßig eingebunden werden. Sie sollen Zugang zu den digitalen Innovationszentren erhalten. Als nichtstaatliche Organisationen können sie das Wirken der Innovationszentren besser sichtbar machen und ihre Akzeptanz verbessern.

Der EWSA möchte von vornherein eine mögliche soziale Schieflage bei der Umsetzung des Programms vermeiden. Da die Digitalisierung jegliche Lebensbereiche und Menschen betrifft, ist es von größter Notwendigkeit, dass alle Bürgerinnen und Bürger in der EU davon profitieren können. Der EWSA legt deshalb Wert darauf, das Programm so auszugestalten, dass die Vorteile und Chancen des digitalen Europas der gesamten europäischen Gesellschaft zur Teilhabe offenstehen. Digitalisierung in Europa muss inklusiv gestaltet werden. Menschen dürfen aufgrund von Faktoren wie Geschlecht, sozialer Status, geringerer Bildungsstand, Qualifikationen, digitale Fähigkeiten, Herkunft, Alter oder auch Behinderungen nicht vom digitalen Fortschritt ausgeschlossen sein. Die entstehende „digitale Rendite“ muss durch entsprechende politische Maßnahmen fair verteilt werden. Sie darf nicht nur einigen wenigen Interessengruppen Vorteile verschaffen. Maßnahmen zur Umsetzung des Programms müssen den Grundsatz in der EU berücksichtigen, dass der einzelne Mensch Eigentümer über seine Daten ist und bleibt.

1.8.

Der EWSA möchte das Programm stärker an die gesellschaftlichen Realitäten binden. Die arbeitsmarktpolitischen Effekte sowie unterschiedliche Auswirkungen der Digitalisierung auf Regionen müssen berücksichtigt werden. Er sieht es deshalb als ein wesentliches Kriterium für den Erfolg des Programms, dass die Digitalisierung zu wirtschaftlicher Teilhabe und Arbeitsplätzen führt und dies in allen Regionen Europas geschieht.

1.9.

Der EWSA möchte, dass die EU als ein Akteur in der Welt gesehen werden kann, der Wissen vermittelt und im internationalen Wettbewerb mit China und den USA mithalten kann. Dazu gehört ebenso, dass Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Technologie vertrauen. Das Programm „Digitales Europa“ kann besonders dort einen Mehrwert schaffen, wo einzelne Staaten alleine nicht viel ausrichten können. Das gilt besonders für den Schwerpunkt Cyberkriminalität mit der gemeinsamen Entwicklung von Methoden und Strategien gegen Cyberangriffe von außerhalb Europas. Dazu gehört z. B. der Aufbau einer unabhängigen europäischen Mikrochip-Industrie.

1.10.

Der EWSA befürwortet, dass alles Handeln im Rahmen des Programms ethischen Grundsätzen folgt. Dazu erinnert der EWSA an seine Forderung, das Prinzip „human in command“ durchzusetzen, insbesondere bei der weiteren Entwicklung und Anwendung der KI in der Arbeitswelt. Basierend auf solchen ethischen Grundsätzen sind weitere gesetzgeberische Maßnahmen (z. B. zu Haftungsfragen, Datenschutz, Arbeitnehmerschutz, Verbraucherschutz) unabdingbar. Letztendlich wird die weitere Digitalisierung unserer Gesellschaft nur erfolgreich sein, wenn neben Gesetzen kulturelle Entwicklungen in Gang gesetzt werden, die für Nutzen und Risiken digitaler Entwicklungen sensibilisieren.

2.   Hintergrund — Das Programm „Digitales Europa“

2.1.

Am 2. Mai 2018 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen für 2021-2027 angenommen. Im Rahmen dieses Finanzrahmens brachte die Europäische Kommission am 6. Juni 2018 die Verordnung über das Programm „Digitales Europa“ für den Zeitraum zwischen 2021 und 2027 hervor.

2.2.

Mit dem Programm „Digitales Europa“ will die Europäische Kommission der Strategie des digitalen Binnenmarkts einen soliden Finanzrahmen zur Seite stellen und die Investitionslücke schließen. Dafür hat sie einen Gesamthaushalt von 9,2 Mrd. EUR geschaffen. Das allgemeine Ziel des Programms besteht darin, den digitalen Wandel der Industrie zu unterstützen. Die Vorteile des digitalen Wandels sollen erhöht werden, und alle europäischen Bürger, öffentlichen Verwaltungen und Unternehmen in der EU sollen davon profitieren.

2.3.

Das Programm „Digitales Europa“ umfasst fünf Schwerpunktbereiche: (1) Hochleistungsrechnen, (2) Künstliche Intelligenz, (3) Cybersicherheit und Vertrauen, (4) Fortgeschrittene digitale Kompetenzen sowie (5) Gewährleistung der breiten Nutzung der digitalen Technik in der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft. Darüber hinaus befasst es sich mit der Digitalisierung der Industrie.

2.4.

Im ersten Schwerpunkt „Hochleistungsrechnen“ sollen mithilfe von sogenannten „Supercomputern“ Kapazitäten geschaffen werden, um die stetig wachsenden Datenmengen besser verarbeiten zu können. Mit 2,7 Mrd. EUR soll das Programm die Kapazitäten der EU im Hochleistungsrechnen und in der Datenverarbeitung stärken und für deren umfassende Nutzung bei der Bewältigung des Klimawandels, der Verbesserung der Gesundheitsfürsorge und der Sicherheit sorgen.

2.5.

Die eingeplanten 2,5 Mrd. EUR im Schwerpunkt der künstlichen Intelligenz (KI) will die Europäische Kommission einsetzen, um die Kapazitäten in der EU in diesem Bereich aufzubauen sowie zu stärken. Dazu gehört es, den Aufbau, sicheren Zugang sowie die Speicherung von großen Datensätzen und Algorithmen zu ermöglichen. Außerdem sollen bestehende Erprobungs- und Versuchseinrichtungen für KI in den Mitgliedstaaten gestärkt und die Zusammenarbeit zwischen den Einrichtungen gefördert werden. Die technologischen Fortschritte sollen durch Unternehmen und öffentliche Institutionen verwendet werden.

2.6.

Im Schwerpunkt „Cybersicherheit und Vertrauen“ soll mit 2 Mrd. EUR sichergestellt werden, dass die Union über die technologischen und industriellen Kapazitäten zur Sicherung ihrer Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie verfügt. Die Investitionen dienen unter anderem dazu, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten fortgeschrittene Cybersicherheitsausrüstung und -werkzeuge zu beschaffen, die Einführung der jüngsten Cybersicherheitslösungen in allen Bereichen der Wirtschaft zu gewährleisten, die bestehenden europäischen Kenntnisse optimal zu nutzen sowie die Kapazitäten in den Mitgliedstaaten und in der Privatwirtschaft in diesem Bereich zu stärken.

2.7.

Um von den Investitionen in die digitale Technik zu profitieren, bedarf es einer befähigten Gesellschaft und Arbeitskräfte. Mit 700 Mio. EUR will die Europäische Kommission im vierten Schwerpunkt fortgeschrittene digitale Kompetenzen fördern, insbesondere im Bereich Hochleistungsrechnen, künstliche Intelligenz, „distributed ledger“ (z. B. Blockchain) sowie Cybersicherheit. Es sollen langfristiger Schulungen und Kurse für Studierende, IT-Fachleute und Arbeitskräfte konzipiert und durchgeführt werden. Ebenso steht an, kurzfristige Schulungen und Kurse sowie die Ausbildung am Arbeitsplatz zu fördern. Die Vermittlung der Fähigkeiten soll insbesondere in digitalen Innovationszentren durchgeführt werden.

2.8.

Die öffentliche Verwaltung und die Bereitstellung von Dienstleistungen in Bereichen von öffentlichem Interesse sollen durch den fünften Handlungsschwerpunkt gefördert werden. Mit 1,3 Mrd. EUR soll z. B. sichergestellt werden, dass im öffentlichen Sektor und in Bereichen wie Gesundheit und Pflege, Bildung, Verkehr sowie der Kultur- und Kreativbranche moderne digitale Technologien eingeführt und genutzt werden können. Des Weiteren sollen öffentliche Verwaltungen sowie die Industrie, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), bei der Einführung der digitalen Technik unterstützt werden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die Digitalisierung und die Transformationen in der Arbeits- und Lebenswelt, welche die technologischen Fortschritte mit sich bringen, sind allgegenwärtig. Kaum ein Lebensbereich wird davon nicht bereits aktuell erreicht.

3.2.

Der EWSA begrüßt die Auflegung des Programms „Digitales Europa“ durch die Europäische Kommission, da es zeigt, welche Wichtigkeit die Europäische Kommission dem Thema widmet. Durch diese Prioritätensetzung kann ein klarer EU-Mehrwert durch Förderung moderner Spitzentechnologie erzielt werden, die zur Bewältigung der größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit beitragen und sich positiv auf Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit und die allgemeinen Lebensbedingungen aller Bürger auswirken kann. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Europäische Kommission in der Mitteilung zum mehrjährigen Finanzplan (2) das Szenario vorlegt, die Investitionen ins Digitale zu verdoppeln. Der EWSA unterstreicht auch die Notwendigkeit sozialer Investitionen im Zusammenhang mit dem digitalen Wandel, damit die gesamte Gesellschaft von der digitalen Transformation profitiert. Es wird unterstrichen, dass der Mensch immer die Kontrolle über die Maschine („human in command“) besitzen muss — insbesondere im Bereich der KI.

3.3.

Der EWSA freut sich, dass die Europäische Kommission mit dem Programm „Digitales Europa“ die Einführung und optimale Nutzung der digitalen Kapazitäten fördert. Der EWSA stimmt mit der Europäischen Kommission überein, dass die digitalen Kapazitäten die Grundlage für Innovation in Bereichen von allgemeinem Interesse und in der Wirtschaft bilden. Es ist für die positive digitale Transition der EU unerlässlich, über die führende digitale Technik sowie die adäquaten Fähigkeiten zu verfügen. Der EWSA erachtet das vorgesehene Budget als beachtlich, aber nicht vergleichbar mit jenen der Wettbewerber USA und China. Er ist indes überzeugt, dass mit diesem Budget die vorgesehenen Ziele erreicht werden können, mahnt aber an, dass auch eine erhebliche Aufstockung der Investitionen in den EU-Mitgliedstaaten erforderlich ist, um Europa auf Weltklasseniveau zu halten.

3.4.

Dem EWSA ist es wichtig, dass alles getan werden muss, damit die gesamte europäische Gesellschaft an der technischen Entwicklung teilhaben kann. Das Programm „Digitales Europa“ sollte sich zum Ziel setzen, die digitale Rendite, welche sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in verschiedenen Bereichen ergeben wird, fair auf die gesamte europäische Bevölkerung zu verteilen, wie z. B. dem Eigentum von Daten. Da die Digitalisierung jegliche Lebensbereiche und Menschen betrifft, ist es von größter Notwendigkeit, dass alle davon profitieren. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile der Digitalisierung können nur dann umfassend zum Tragen kommen, wenn Europa in den städtischen und ländlichen Gebieten und gesellschaftsweit Netze mit hoher Kapazität bereitstellen kann. Dazu sind öffentliche Investitionen erforderlich, da der Markt allein nicht für die Anbindung aller abgelegenen Gebiete sorgen und ein Mindestmaß an digitalem Zugang für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft sicherstellen wird.

3.5.

Dem EWSA ist es wichtig, dass eine gebündelte und koordinierte Vorgehensweise in der EU einen Mehrwert schaffen kann, der von einzelnen Staaten alleine nicht zu leisten wäre. Dazu gehört insbesondere der Aufbau einer unabhängigen europäischen Mikrochip-Industrie über das Förderprogramm für Hochleistungsrechnen (3), die gemeinsame Entwicklung von Methoden und Strategien gegen Cyberangriffe von außen (4), die Schaffung von Normen für den digitalen Binnenmarkt, eine konsequente Anwendung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung und deren Weiterentwicklung insbesondere für Anwendungen der KI (5) und des autonomen Fahrens (6). Die Anwendung europäischer Werte (Datenschutz, Schutz der Privatsphäre, Sozialschutz, Nachhaltigkeit) in der Entwicklung von KI könnte eines Tages zum Wettbewerbsvorteil werden, nämlich dann, wenn die Menschen zunehmend sensibilisiert sind bezüglich der Methoden der Datennutzung durch Dritte (USA) und dem Überwachungspotenzial von KI-Systemen (China).

3.6.

Der EWSA sieht es als positiv an, dass im Programm „Digitales Europa“ an mehreren Stellen die Digitalisierung der Industrie in den Vordergrund gerückt wurde. Es besteht keine Frage, dass der digitale Wandel nur gelingen kann, wenn alle Unternehmen und ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon profitieren. Es wäre daher wünschenswert, wenn dieser Aspekt noch kohärenter in das Programm eingeflossen wäre, sodass die Fortschritte, z. B. auch über Indikatoren der Digitalisierung verschiedener Unternehmensgrößen, erkennbar sind.

3.7.

Um die technischen und digitalen Kapazitäten zu stärken, wird ein großer Teil des Budgets in Forschungsprojekte und Innovationsprogramme fließen. Der EWSA betont die Notwendigkeit der engen Kopplung der Förderung an die Prinzipien der Forschungsförderung durch Horizont 2020 (Horizont Europa), welche auf der Einhaltung der Europäischen Charta für Forschende (7), sowie den Grundsätzen „Responsible Research and Innovation“ (8) und „Open Science“ (9) basieren. Nur durch die Anbindung an diese Grundsätze ist gesichert, dass die Forschung in den Dienst der Menschheit gestellt wird. Die Ergebnisse sollen der Forschung für Nichtfachleute verständlich gemacht, verbreitet sowie verwertet werden. Kurzum, die Forschung soll für die Gesellschaft relevant sein.

3.8.

Um die Relevanz der Forschung für die gesamte europäische Gesellschaft zu gewährleisten, sollten regelmäßige Dialogveranstaltungen stattfinden. In diesen können sich die Forscher untereinander, aber auch mit der weiteren Gesellschaft austauschen und gegenseitige Impulse setzen.

3.9.

Es ist in diesem Sinne erfreulich, dass es ein Ziel des Programms ist, die öffentlichen Verwaltungen und Unternehmen an der Entwicklung teilhaben zu lassen. Der EWSA befürwortet den Austausch zwischen den unterschiedlichen Akteuren. Der EWSA ermutigt die Europäische Kommission, diesen Austausch über alle Regionen, Sektoren und Unternehmensgrößen durchzuführen. Die Aufnahme von fortgeschrittenen Technologien für Unternehmen und insbesondere KMU kann durch Partnerschaften und ein gutes Umfeld der Industrie erleichtert werden. Darüber hinaus wünscht der EWSA die Einhaltung des Partnerschaftsprinzips und die Beteiligung der Sozialpartner sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen an der Durchführung des Programms „Digitales Europa“. Der soziale Dialog zwischen den Sozialpartnern unterstützt die Umsetzung des Programms „Digitales Europa“ für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

3.10.

Der EWSA sieht die Notwendigkeit, hoch qualifizierte Talente auszubilden und anzuwerben, um die Attraktivität Europas als Arbeitsplatz für diese Gruppe im weltweiten Wettbewerb zu verbessern. Der EWSA betont aber auch, dass das Programm „Digitales Europa“ sich nicht allein auf die hochqualifizierten und digital fortgeschrittenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen fokussieren darf. Gerade weil das Programm „Digitales Europa“ das Ziel verfolgt, den digitalen Binnenmarkt zu ermöglichen und die digitale Transition positiv zu gestalten, gilt es, alle Bürger und Bürgerinnen sowie alle Arbeitskräfte in der EU von diesem starken Förderprogramm profitieren zu lassen. Wenn dies nicht gelingt, besteht die Gefahr, die soziale Schere in Europa weiter zu öffnen. Wie der EWSA in anderen Stellungnahmen darlegte, ist das oberste Gebot zur Erreichung des digitalen Binnenmarkts die Schließung der Qualifikationslücke, auch im Bereich der digitalen Kompetenzen (10). Die Europäische Kommission verweist in ihrem Programm auf Förderprogramme wie ESF+ oder EFRE, um grundlegende digitale Kenntnisse zu vermitteln. Da die Strukturen dieser Programme eine flächendeckende Förderung in Europa nicht ermöglichen, sollte jedoch das Programm „Digitales Europa“ ebenso unterschiedliche Qualifikationsniveaus abdecken. Wenn die notwendigen Mittel in diesem Programm nicht dafür ausreichen sollten, Vorteile der Digitalisierung für alle Menschen zu garantieren, müssen diese Forderungen an die anderen Programme, wie den ESF+ gestellt werden. Das Programm „Digitales Europa“ sollte als Kopf zu dem Thema fungieren und die anderen Programme im Blick halten, sodass die Ziele erreicht werden können. Ansonsten könnte am Ende von den verschiedenen EU-Förderprogrammen nur eine Minderheit profitieren.

3.11.

In diesem Zusammenhang unterstreicht der EWSA das Ziel, eine inklusive Gesellschaft anzustreben, in der die Gleichstellung aller gefördert wird. Menschen dürfen aufgrund von Faktoren wie Geschlecht, sozialer Status, Bildung, Qualifikationen, digitale Fähigkeiten, Herkunft, Alter oder auch Behinderungen nicht im digitalen Wandel benachteiligt werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA unterstützt das Ziel der Europäischen Kommission, einen erleichterten Zugang zu digitalen Kapazitäten und Technologien bei Unternehmen, insbesondere KMU, zu fördern. Allerdings übersieht die Fokussierung des Programms auf fortgeschrittene Technologien, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Unternehmen heute erst einmal Unterstützung bei der Grundausstattung der Digitalisierung benötigen. Der EWSA betont, dass eine umfassende Förderung von Unternehmen zur Einführung sowohl grundlegender als auch fortgeschrittener digitaler Techniken für Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze in Europa entscheidend ist. Der EWSA ermutigt dazu, den sozialen Dialog zwischen den Sozialpartnern auch im Bereich der Investitionen aus dem Programm zu suchen.

4.2.

Der EWSA begrüßt den spezifischen Schwerpunkt Cybersicherheit und Vertrauen im Programm. Cybersicherheit ist ebenso relevant für die Entwicklung wie für das Funktionieren unserer Demokratien. Das Vertrauen von Unternehmen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Cybersicherheit ist kritisch für den Erfolg des Programms.

4.3.

Das Programm sollte möglichst stark an die gesellschaftlichen Realitäten gebunden werden. Die arbeitsmarktpolitischen Effekte sowie die unterschiedlichen Auswirkungen der Digitalisierung auf die verschiedenen Regionen sollten berücksichtigt werden. Der EWSA sieht es daher als wichtig an, bei der Umsetzung des Programms die Chancen für wirtschaftliche Teilhabe und Arbeitsplätze, welche aus der Digitalisierung entstehen, herauszuarbeiten. Ferner ist es von äußerster Wichtigkeit, diese Chancen in den Regionen Europas zu fördern. Dafür bietet sich die geplante Zusammenarbeit mit dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Kohäsionsfonds an. Ein Austausch zwischen dem Programm „Digitales Europa“, dem EFRE und dem Kohäsionsfonds sollte regelmäßig stattfinden. Darüber hinaus sollten die Innovationszentren, welche vor Ort in den Regionen etabliert werden, das Ziel der regionalen Entwicklung verfolgen.

4.4.

Der vierte Schwerpunkt („Fortgeschrittene digitale Kompetenzen“) sowie die Digitalisierung der Industrie sollen insbesondere durch Innovationszentren umgesetzt werden. Sie werden als Zugangspunkte zu den neuesten digitalen Kapazitäten dienen. Der EWSA bemerkt freudig, wie weit die Umsetzung des Programms durchdacht ist. Das Ziel, mindestens ein digitales Innovationszentrum pro Mitgliedstaat zu bilden und den Mitgliedstaaten in äußerster Randlage der EU weitere Stellen anzubieten, befürwortet der EWSA. Es wird eine Zusammenarbeit zwischen den Innovationszentren befürwortet. Kritisch sieht der EWSA den starken administrativen Aufwand, welcher mit dem Aufbau der Innovationszentren einhergeht. Grenzübergreifende Konsortien könnten dabei behilflich sein. Des Weiteren sollte die Einbindung von Sozialpartnern sowie der Zivilgesellschaft Voraussetzung bei den digitalen Innovationszentren werden. Mit dieser Einbindung kann die Arbeit der Zentren an die Bedürfnisse der lokalen Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie weitere Nutzer der Technologien angepasst und der Nutzen für breite Teile der Bevölkerung zugänglich gemacht werden.

4.5.

Der Schwerpunkt zur Förderung fortgeschrittener digitaler Kompetenzen ist ein Kernstück, um die anderen vier Schwerpunkte erfüllen zu können. Es ist daher bedauerlich, dass das Budget für diesen Schwerpunkt kleiner ist als das Budget der anderen Schwerpunkte. Der EWSA unterstützt daher den Vorschlag des Europäischen Parlaments, das Budget von 700 Mio. EUR (7,6 % des gesamten Budgets) auf 830 Mio. EUR (9 % des gesamten Budgets) zu erhöhen (11). Der EWSA betont aber auch, dass in Fragen der Ausbildung insbesondere die Mitgliedstaaten mit ihren nationalen Budgets in der Verantwortung sind. Der EWSA hat aber Zweifel daran, ob die Europäische Kommission in der Lage sein wird, alle notwendigen Mittel einzusetzen, um die Mitgliedstaaten für die Dringlichkeit der digitalen Bildung aller Bevölkerungsgruppen ab der Grundschule zu sensibilisieren. Budgets für diese Aufgabe variieren stark zwischen den Mitgliedstaaten. Damit niemand von den Weiterbildungsprogrammen aufgrund zu geringer nationaler Budgets ausgeschlossen werden, sollte die EU die Umsetzung dieses Schwerpunkts genau beobachten und ihre Schlüsse daraus öffentlich kommunizieren.

4.6.

Der EWSA stellt ebenso wie das Europäische Parlament (12) fest, dass alle Handlungen im Rahmen des Programms unter ethischen Grundsätzen erfolgen sollen. Insbesondere für die Arbeit im Bereich der künstlichen Intelligenz gilt es, die aktuell geschaffenen und noch zu entwickelnden Grundsätze (13) zu befolgen. Dazu erinnert der EWSA an seine Forderung betreffend das Prinzip „human in command“, welches als eine wesentliche Richtschnur für zukünftige Entwicklungen gelten soll. Basierend auf solchen ethischen Grundsätzen sind weitere gesetzgeberische Maßnahmen (z. B. zu Haftungsfragen, Datenschutz, Verbraucherschutz) unabdingbar. Letztendlich wird die weitere Digitalisierung unserer Gesellschaft nur erfolgreich sein, wenn sich neben Gesetzen auch eine entsprechende kulturelle Entwicklung zur Sensibilisierung bezüglich Nutzen und Risiken gefördert wird.

4.7.

Der EWSA wünscht sich, dass im Handlungsschwerpunkt „Künstliche Intelligenz“ — neben der Stärkung der Kapazitäten und der Zugänglichmachung ebendieser — die Frage der rechtlichen Haftung bei der Verwendung von künstlicher Intelligenz und automatisierter Systeme in den Mittelpunkt gerückt wird. Es ist positiv zu sehen, dass Datenbanken auch KMU frei zugänglich gemacht werden sollen. Auch der öffentliche Sektor sollte Zugang erhalten. Darüber hinaus müssen Unternehmen auf diese Arbeit vorbereitet werden, und es bedarf einer klaren rechtlichen Leitlinie, wer bei Unfällen oder Ähnlichem haftet. Der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Bürgerinnen und Bürger hat die gleiche Bedeutung wie die Generierung wirtschaftlichen Wachstums.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  EUCO 14/17 — Tagung des Europäischen Rates (19. Oktober 2017) — Schlussfolgerungen.

(2)  COM(2018) 98 final.

(3)  ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 89.

(4)  ABl. C 227 vom 28.6.2018, S. 86.

(5)  ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 1, INT/851 — „Künstliche Intelligenz für Europa“ (ABL. C 440 vom 6.12.2018, S. 51) und TEN/664 — „Initiative zu den Herausforderungen für Online-Plattformen in Bezug auf die Verbreitung von Desinformation“ (Abl. C 440 vom 6.12.2018, S. 183).

(6)  TEN/673 — „Vernetzte und automatisierte Mobilität“ (siehe Seite 274 dieses Amtsblatts) und INT/846 — „Vertrauen, Privatsphäre und Sicherheit für Verbraucher und Unternehmen im Internet der Dinge“ (ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 8).

(7)  https://euraxess.ec.europa.eu/jobs/charter.

(8)  https://ec.europa.eu/programmes/horizon2020/en/h2020-section/science-and-society.

(9)  https://ec.europa.eu/research/openscience/.

(10)  ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 65.

(11)  Entwurf einer Stellungnahme — 2018/0227 (COD).

(12)  Entwurf eines Berichts — 2018/0227 (COD).

(13)  https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/high-level-expert-group-artificial-intelligence.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/298


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 391/2009 im Hinblick auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union“

(COM(2018) 567 final — 2018/0298 (COD))

(2019/C 62/47)

Hauptberichterstatter:

Séamus BOLAND

Befassung

Europäisches Parlament, 10.9.2018

Rat der Europäischen Union, 10.9.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 100 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Beschluss des Präsidiums

18.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

122/0/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet den Vorschlag der Kommission zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 391/2009 über Schiffsüberprüfung und -zertifizierung, die infolge des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union erforderlich ist.

1.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die vorgeschlagenen Änderungen ein aussichtsreiches Umfeld schaffen werden, und empfiehlt, dass die Kommission eine engere Zusammenarbeit zwischen den einschlägigen europäischen und nationalen Einrichtungen und den anerkannten Organisationen fördert, mit denen die Mitgliedstaaten Ermächtigungsvereinbarungen abgeschlossen haben.

1.3.

Der EWSA begrüßt, dass mit diesem Vorschlag Rechtssicherheit für eine Branche geschaffen wird, auf die wir für die reibungslose Beförderung von Gütern unter höchsten Sicherheitsstandards in hohem Maße angewiesen sind. Er empfiehlt daher die dringende Annahme des Vorschlags.

1.4.

Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, nach einer angemessenen Anwendungsdauer über die Auswirkungen der Verordnung Bericht zu erstatten, und empfiehlt, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere wenn die Folgen bei der Vornahme der Änderungen an der Verordnung noch nicht absehbar waren.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland stimmte bei dem Referendum über die EU-Mitgliedschaft am 23. Juni 2016 für einen Austritt. Diese Entscheidung gilt auch für Gibraltar.

2.2.

Am 29. März 2017 hat das Vereinigte Königreich offiziell seine Absicht mitgeteilt, aus der Union auszutreten. Dies bedeutet, dass das gesamte Primär- und Sekundärrecht der Union ab dem 30. März 2019 (im Folgenden „das Austrittsdatum“) nicht mehr für das Vereinigte Königreich gilt. Das Vereinigte Königreich wird dann zu einem Drittland.

2.3.

Vorbehaltlich des Inhalts des derzeit verhandelten Austrittsabkommens steht fest, dass die EU-Rechtsvorschriften für den Seeverkehr nicht mehr für das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (einschließlich Gibraltar) gelten werden. Im Unionsrecht kann die unionsweite Anerkennung von Organisationen, die Dienste für die Überprüfung und Besichtigung der unter der Flagge von Mitgliedstaaten fahrenden Schiffe erbringen, nur dann weiter gelten, wenn eine Einigung über den Vorschlag erzielt wird.

2.4.

Nach Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 391/2009 (im Folgenden „die Verordnung“) müssen „anerkannte Organisationen“ für die Schiffsüberprüfung und -besichtigung von der Kommission gemeinsam mit dem Mitgliedstaat, der die Anerkennung beantragt hat, mindestens alle zwei Jahre einer Bewertung unterzogen werden. Das Vereinigte Königreich wird sich jedoch nach seinem Austritt nicht mehr an den nach Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung durchgeführten Bewertungen derjenigen Organisationen beteiligen können, für die es der einleitende Mitgliedstaat ist.

2.5.

Bei einem Verlust der EU-Anerkennung der Organisationen, für die das Vereinigte Königreich der einleitende Mitgliedstaat ist, kann von nachteiligen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität der Flaggen der EU-27-Mitgliedstaaten ausgegangen werden, die diese anerkannten Organisationen dazu ermächtigt haben, in ihrem Auftrag gesetzlich vorgeschriebene Überprüfungen, Besichtigungen und Zertifizierungen von Schiffen vorzunehmen. Zwischen vielen betroffenen anerkannten Organisationen und den übrigen EU-27-Mitgliedstaaten bestehen Ermächtigungsvereinbarungen, die mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs ihre Gültigkeit verlieren würden.

2.6.

Daher zielt der Vorschlag der Kommission darauf ab, die Rechtssicherheit zu verbessern, die Betriebsfortführung für die betroffenen Schiffseigner zu gewährleisten und die Wettbewerbsfähigkeit der Flaggen der EU-27-Mitgliedstaaten zu erhalten.

2.7.

Nach seinem Austritt aus der EU wird das Vereinigte Königreich an den Tätigkeiten nach Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 391/2009 nicht mehr teilnehmen. Im Fall der Annahme des Vorschlags können die Organisationen jedoch ihre Arbeit fortsetzen.

3.   Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags

3.1.

Mit dem Vorschlag der Kommission soll die Rechtssicherheit im Bereich des Seerechts wiederhergestellt werden, die infolge des EU-Austritts des Vereinigten Königreichs gestört wird.

3.2.

Die Anforderung, dass es einen einleitenden Mitgliedstaat geben muss, fällt mit dem Vorschlag weg, wodurch die Organisationen tätig bleiben können, und zwar mit der Kommission und den Mitgliedstaaten, die Ermächtigungsvereinbarungen für die Schiffszertifizierung und -besichtigung mit ihnen geschlossen haben.

3.3.

Mit dem Vorschlag soll die Anerkennung der Organisationen gewährleistet werden, die bisher unter der Ägide des Vereinigten Königreichs als einleitender Mitgliedstaat im Auftrag der Kommission tätig waren. Dies dient dem Zweck, bestehende Vereinbarungen zwischen diesen Organisationen und den EU-27-Mitgliedstaaten fortzuführen. Dazu gehört die Durchführung von Schiffsüberprüfungen und -besichtigungen, womit die Sicherheit kontinuierlich gewährleistet werden kann.

3.4.

Mit der vorgeschlagenen Rechtsvorschrift würde Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung geändert. Damit soll die Anforderung geändert werden, nach der nur der „einleitende“ Mitgliedstaat im Auftrag der Kommission an den regelmäßigen Bewertungen teilnimmt. Das würde bedeuten, dass anerkannte Organisationen, die im Auftrag der Kommission arbeiten, Bewertungen durchführen können.

3.5.

Damit sollen die Kontinuität der Geschäftstätigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit der Flaggen der 27 Mitgliedstaaten gewährleistet werden, die mit den betroffenen Organisationen zusammenarbeiten.

3.6.

Der Anwendungsbereich der Verordnung bleibt auf die Korrektur etwaiger negativer Folgen des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union beschränkt.

4.   Bemerkungen des EWSA

4.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Rechtsvorschriften des Seerechts und insbesondere die Vorschriften in Bezug auf Schiffe sich in einer Weise entwickelt haben, die sicherstellt, dass Handel und Wirtschaftstätigkeit überall in der EU, d. h. auch im Vereinigten Königreich, reibungslos vonstattengehen.

4.2.

Die EWSA begrüßt den Hauptansatz des Vorschlages, der auf den Schutz der unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaats fahrenden Schiffe und auf die Vermeidung von Rechtsunsicherheit infolge des Brexits abzielt.

4.3.

Der EWSA stellt fest, dass derzeit drei Hauptakteure beteiligt sind: die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA), das American Bureau of Shipping (ABS) und Lloyds.

4.4.

Der EWSA hält fest, dass die Mitgliedstaaten ohne diesen Vorschlag nicht in der Lage wären, mit den anerkannten Organisationen für die unter ihrer Flagge fahrende Flotte weiter zusammenzuarbeiten. Sie wären vielmehr gezwungen, ihre Schiffe zu einem Nicht-EU-Land auszuflaggen. Dies hätte schwerwiegende Folgen angesichts der bestehenden Verträge mit den Organisationen und im Hinblick auf die Kontinuität dieser Branche.

4.5.

Der EWSA verweist auf die zentrale Bedeutung der Schifffahrt für den Handel und den Warenverkehr in der Welt. Ebenso muss durch die Rechtsvorschriften ein Höchstmaß an Rechtssicherheit für alle Beteiligten sichergestellt werden.

4.6.

Der EWSA weist darauf hin, dass es zu Störungen im weltweiten Warenverkehr und zu einer ernsten Gefährdung der Wirtschaft in der EU kommen könnte, wenn der Vorschlag nicht angenommen wird. Daher ist eine unverzügliche Annahme unerlässlich.

4.7.

Der EWSA nimmt den Hinweis der Kommission zur Kenntnis, dass über die (derzeit noch nicht ermittelten) Auswirkungen nach einer bestimmten Anwendungsdauer Bericht erstattet werden soll.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/301


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 im Hinblick auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union“

(COM(2018) 568 final — 2018/0299 (COD))

(2019/C 62/48)

Hauptberichterstatter:

Stefan BACK

Befassung

Europäisches Parlament, 10.9.2018

Rat, 11.9.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 172 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Beschluss des Präsidiums

18.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

118/1/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag als Vorbereitungsmaßnahme zur Gewährleistung eines zusammenhängenden TEN-V-Netzes und zur Anpassung des Kernnetzkorridors „Nordsee — Mittelmeer“ (NSM-Korridor) an ein Szenario, bei dem das Vereinigte Königreich nicht mehr Teil der transeuropäischen Verkehrsnetze ist.

1.2.

Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, die Lage Irlands nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zu berücksichtigen und sich ernstlich mit den möglichen, daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf die EU-Wirtschaft und die irische Wirtschaft zu befassen. Dementsprechend ist es ratsam, bei der Festlegung neuer Streckenführungen besondere Umsicht walten zu lassen.

1.3.

Nach Meinung des EWSA sind eine oder mehrere Direktverbindungen zwischen dem EU-Festland und der Republik Irland notwendig, um einen zusammenhängenden NSM-Korridor zu erhalten und den Verkehrsbetrieb zwischen Irland und den kontinentalen Gebieten der EU ohne Grenzkontrollen zu ermöglichen.

1.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Verkehrsströme nach und von Irland voraussichtlich auf andere Routen verlagert werden, wenn das Vereinigte Königreich nicht mehr zum TEN-V-Netz gehört und dann Beförderungen durch das Vereinigte Königreich durch Grenzkontrollen verlangsamt werden dürften.

1.5.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass die nun von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Gestaltung des Korridors im Verlauf der Konsultation im Vorfeld ihres Vorschlags aus verschiedenen Gründen infrage gestellt wurde. U. a. wurden Zweifel an der Auswahl der Häfen geäußert und die Notwendigkeit hervorgehoben, auch die Streckenführung des Atlantik-Kernnetzkorridors zu überprüfen.

1.6.

Der EWSA ruft in Erinnerung, dass die transeuropäischen Verkehrsnetze zum Ziel haben, Zusammenhalt, Effizienz und Nachhaltigkeit im Verkehr zu gewährleisten, wofür das Kernnetz von hoher strategischer Bedeutung ist.

1.7.

Der EWSA hegt deshalb Zweifel an der Anordnung des vorgeschlagenen neuen Korridorabschnitts, der womöglich nicht den künftigen Verkehrsflüssen entspricht und damit auch nicht dem Ziel der TEN-V-Kernnetzkorridore gerecht wird, die wichtigsten Fernverkehrsflüsse zu unterstützen.

1.8.

Der EWSA weist überdies darauf hin, dass einige der Häfen, die aufgrund der neuen Gegebenheiten in den Fokus rücken könnten, keine Kernnetzhäfen sind und somit eine grundlegende Voraussetzung für die Aufnahme in einen Kernnetzkorridor nicht erfüllen. Eine Überprüfung der Verordnung über die TEN-V-Leitlinien findet indes erst 2023 statt.

1.9.

Der EWSA räumt ein, dass vermutlich noch nicht absehbar ist, wie sich die Verkehrsströme im konkreten Anwendungsfall ändern würden.

1.10.

Der EWSA stimmt deshalb zu, dass die vorgeschlagene Anordnung eine geeignete Übergangslösung darstellt, bis die Änderungen der Verkehrsströme konkrete Gestalt annehmen.

1.11.

Der EWSA bedauert jedoch, dass keine Folgenabschätzung durchgeführt wurde, um zu prüfen, inwieweit die vorgeschlagene Auslegung beispielsweise für die Beförderung verderblicher Güter geeignet ist, und um die effizienteste und nachhaltigste Auslegung einer Streckenführung zu ermitteln, die den Überlandtransport durch das Vereinigte Königreich als transeuropäische Verkehrsverbindung nach und von Irland ersetzen soll.

1.12.

Der EWSA empfiehlt daher, in den Vorschlag eine spezifische Überprüfungsklausel aufzunehmen, der zufolge die Europäische Kommission die verabschiedete Verordnung innerhalb von zwei Jahren nach ihrem Inkrafttreten überprüfen muss. Diese Überprüfung sollte sich auf eine Bewertung der veränderten konkreten Verkehrsflüsse zwischen der Republik Irland und dem EU-Festland stützen und als Grundlage für geeignete Vorschläge zur Streckenführung einschlägiger TEN-V-Kernnetzkorridore dienen.

1.13.

Vorbehaltlich einer solchen Überprüfung gibt es nach Meinung des EWSA keinen Grund, den Vorschlag inhaltlich abzuändern, zumal die Situation der Kernnetzhäfen im Ärmelkanal, die derzeit zum NSM- oder zum Atlantik-Kernnetzkorridor gehören, von der Streckenänderung unberührt bleibt.

1.14.

Der EWSA fragt sich, warum nicht die Streichung bestehender Verbindungsstrecken zum Vereinigten Königreich und Transitstrecken durch das Vereinigte Königreich vorgeschlagen wird. Wenn die EU-Rechtsvorschriften über die transeuropäischen Verkehrsnetze nicht mehr für das Vereinigte Königreich gelten, gibt es auch keine Rechtsgrundlage für die Nutzung dieser Strecken. Es wäre deshalb angebracht, sie zu streichen.

2.   Der Vorschlag

2.1.

Im Rahmen der Maßnahmen zur Vorbereitung des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (Brexit) hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 im Hinblick auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union vorgelegt.

2.2.

Das Vereinigte Königreich hat am 29. März 2017 seine Absicht mitgeteilt, aus der EU auszutreten. Gemäß Artikel 50 EUV erfolgt dieser Austritt am 30. März 2019. Von diesem Zeitpunkt an wird das EU-Recht nicht mehr für das Vereinigte Königreich gelten, das zum Drittland wird und somit auch nicht mehr Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes und seiner Kernnetzkorridore sein wird, es sei denn, in einem ratifizierten Austrittsabkommen werden andere Vereinbarungen getroffen.

2.3.

In ihrer Mitteilung „Vorbereitung auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 30. März 2019“ (COM(2018) 556 final) unterstrich die Europäische Kommission die Notwendigkeit, sich auf alle möglichen Ergebnisse einschließlich eines Scheiterns der Austrittsverhandlungen vorzubereiten.

2.4.

Ziel des Vorschlags ist es, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass die laufenden Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU nicht zur Festlegung von Übergangsregelungen in einem Austrittsabkommen führen. Insbesondere geht es darum, eine direkte Anbindung der Republik Irland an den NSM-Kernnetzkorridor sicherzustellen, wenn die Streckenführung dieses Korridors durch das Vereinigte Königreich entfällt.

2.5.

Der Vorschlag beinhaltet die Änderung der Streckenführung des Korridors durch Einfügung der Verbindung „Baile Átha Cliath/Dublin/Corcaigh/Cork — Zeebrugge/Antwerpen/Rotterdam“. Die Änderung soll ab dem Tag gelten, der auf den Tag folgt, an dem die Geltungsdauer der Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 für das Vereinigte Königreich endet.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag als Maßnahme zur Gewährleistung eines zusammenhängenden TEN-V-Netzes und zur Erhaltung des Kernnetzkorridors „Nordsee — Mittelmeer“ (NSM-Korridor) auch für den Fall, dass die laufenden Verhandlungen über den Austritt und Übergangsregelungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich scheitern. Damit ist der Vorschlag Teil der Vorbereitungen der Europäischen Kommission auf den denkbar schlimmsten Fall, dass das Vereinigte Königreich die EU ohne Austrittsabkommen verlässt.

3.2.

Nach Annahme gilt der Vorschlag ab dem Tag, an dem das Vereinigte Königreich aus der EU austritt und das EU-Recht nicht mehr für das Vereinigte Königreich gilt, was bedeutet, dass das Vereinigte Königreich auch nicht mehr zum transeuropäischen Verkehrsnetz gehört.

3.3.

Der EWSA hält eine oder mehrere Direktverbindungen zwischen dem EU-Festland und der Republik Irland für notwendig, um einen zusammenhängenden NSM-Korridor zu erhalten und den Verkehrsbetrieb zwischen Irland und den kontinentalen Gebieten der EU ohne Grenzkontrollen zu ermöglichen.

3.4.

Der EWSA hebt nachdrücklich die möglichen gravierenden Folgen für die irische Wirtschaft und das Wohlergehen der irischen Bevölkerung hervor, zumal mit absehbaren und unvorhergesehenen Auswirkungen der veränderten Lage gerechnet werden muss.

3.5.

Jede neue Streckenführung muss daher unbedingt die Anbindung Irlands an das EU-Festland verbessern. Da gegenwärtig ein Großteil der Frachtströme im Straßengüterverkehr zwischen Irland und dem europäischen Festland durch das Vereinigte Königreich verläuft, sollten in jedem Fall neue Seeverbindungen zwischen den irischen Kernnetzhäfen Dublin und Cork und den Festlandshäfen des NSM-Korridors hinzugefügt werden.

3.6.

Der EWSA stellt fest, dass der vorgeschlagenen Auslegung des Korridors ein Anwendungsfall zugrunde liegt, bei dem das Vereinigte Königreich nicht mehr zum TEN-V-Netz gehört und Beförderungen durch das Vereinigte Königreich durch Grenzkontrollen verlangsamt werden, weshalb die Verkehrsströme nach und von Irland voraussichtlich auf andere Routen verlagert werden.

3.7.

Der EWSA gibt ferner zu bedenken, dass die nun von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Streckenführung des Korridors sowohl in Einzelheiten als auch allgemein hinterfragt worden ist. Während der Konsultation im Vorfeld des Vorschlags wurde die Karte des Kernnetzes, auf die der Vorschlag sich weitgehend stützt, von mehreren Häfen an der Südküste des Ärmelkanals, vom Verband der französischen Häfen sowie von Regionalbehörden infrage gestellt, die forderten, die Häfen von Dunkerque, Calais, Le Havre, Roscoff und Brest in die vorgeschlagene Verbindung des NSM-Korridors aufzunehmen und die Streckenführung des Atlantik-Kernnetzkorridors zu ändern. Desgleichen haben verschiedene irische Interessenträger die Effizienz einer Langstrecken-Seeverkehrsverbindung als Ersatz der Überlandstrecke durch das Vereinigte Königreich angezweifelt, zumal es kürzere Seeverkehrsverbindungen gibt, beispielsweise zwischen Irland und bretonischen Häfen. Es wurde argumentiert, dass kürzere Seeverkehrsverbindungen u. a. für den Transport verderblicher Güter besser geeignet sind.

3.8.

Ziel der transeuropäischen Verkehrsnetze ist die Gewährleistung von Zusammenhalt, Effizienz und Nachhaltigkeit im Verkehr. Das Kernnetz ist von maßgebender strategischer Bedeutung für die Erreichung dieser Ziele, und über die TEN-V-Kernnetzkorridore werden die wichtigsten Fernverkehrsflüsse im Kernnetz unterstützt (1).

3.9.

Der EWSA hegt deshalb Zweifel an der Streckenführung des vorgeschlagenen neuen Korridorabschnitts und befürchtet, dass die geänderte Streckenführung womöglich nicht den künftigen Verkehrsflüssen entspricht und damit auch nicht dem Ziel der TEN-V-Kernnetzkorridore gerecht wird, die wichtigsten Fernverkehrsflüsse zu unterstützen (2).

3.10.

Der EWSA weist überdies darauf hin, dass einige der Häfen, die aufgrund der neuen Gegebenheiten in den Fokus rücken könnten, wie Brest oder Roscoff, keine Kernnetzhäfen sind und somit eine grundlegende Voraussetzung für die Aufnahme in einen Kernnetzkorridor nicht erfüllen. Eine Überprüfung der Verordnung über die TEN-V-Leitlinien findet indes erst 2023 statt.

3.11.

Der EWSA räumt ferner ein, dass vermutlich noch nicht absehbar ist, wie sich die Verkehrsströme im konkreten Anwendungsfall ändern würden.

3.12.

Der EWSA stimmt deshalb zu, dass die vorgeschlagene Anordnung eine geeignete Übergangslösung darstellt, bis die Änderungen der Verkehrsströme konkrete Gestalt annehmen.

3.13.

Der EWSA bedauert jedoch, dass keine Folgenabschätzung durchgeführt wurde, um zu prüfen, inwieweit die vorgeschlagene Auslegung beispielsweise für die Beförderung verderblicher Güter geeignet ist, und um die effizienteste und nachhaltigste Auslegung einer Streckenführung zu ermitteln, die den Überlandtransport durch das Vereinigte Königreich als transeuropäische Hauptverkehrsverbindung zwischen der Republik Irland und dem EU-Festland ersetzen soll, wobei sich allerdings die Veränderungen der Verkehrsflüsse infolge eines Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU ohne Austrittsabkommen nur schwierig absehen lassen.

3.14.

Nach Auffassung des EWSA sind die möglichen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahme relevant genug, um eine Folgenabschätzung im Einklang mit der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung (3) zu rechtfertigen.

3.15.

Der EWSA empfiehlt daher, in den Vorschlag eine spezifische Überprüfungsklausel aufzunehmen, der zufolge die Europäische Kommission die verabschiedete Verordnung innerhalb von zwei Jahren nach ihrem Inkrafttreten überprüfen muss. Diese Überprüfung sollte sich auf eine Bewertung der veränderten konkreten Verkehrsflüsse zwischen der Republik Irland und dem EU-Festland stützen und als Grundlage für geeignete Vorschläge zur Streckenführung einschlägiger TEN-V-Kernnetzkorridore dienen.

3.16.

Vorbehaltlich einer solchen Überprüfung gibt es nach Meinung des EWSA keinen Grund, den Vorschlag abzuändern, zumal die Situation der Kernnetzhäfen im Ärmelkanal, die derzeit zum Korridor gehören, von der Streckenänderung unberührt bleibt.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA fragt sich, warum nicht die Streichung der Verbindungsstrecken zum Vereinigten Königreich und Transitstrecken durch das Vereinigte Königreich vorgeschlagen wird. Wenn die EU-Rechtsvorschriften über die transeuropäischen Verkehrsnetze nicht mehr für das Vereinigte Königreich gelten, können diese Strecken auch nicht mehr im Rahmen des EU-Rechts genutzt werden. Es wäre deshalb angebracht, sie zu streichen.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Verordnung (EU) Nr. 1315/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 348 vom 20.12.2013, S. 1), Artikel 38.

(2)  Verordnung (EU) Nr. 1315/2013, Artikel 43 Absatz 1.

(3)  ABl. L 123 vom 12.5.2016, S. 1; Siehe auch die Mitteilung der Kommission über bessere Rechtsetzung (COM(2016) 615 final) und die Mitteilung der Kommission zur Vollendung der Agenda für bessere Rechtsetzung (COM(2017) 651 final, Kapitel 2.3).


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/305


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Abschaffung der jahreszeitlich bedingten Zeitumstellung und zur Aufhebung der Richtlinie 2000/84/EG“

(COM(2018) 639 final — 2018/0332 (COD))

(2019/C 62/49)

Hauptberichterstatterin:

Maria NIKOLOPOULOU

Befassung

Europäisches Parlament, 13.9.2018

Rat der Europäischen Union, 19.9.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 114 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Präsidiums

18.9.2018

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

 

 

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

109/1/6

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Abschaffung der jahreszeitlich bedingten Zeitumstellung zur Kenntnis. Der Ausschuss weist auf einige gewichtige Schwächen methodischer, zeitlicher und inhaltlicher Art hin. Daher hält er es für unbedingt erforderlich, mehr Zeit für Debatten und Analysen vorzusehen. Es wird sehr darauf ankommen, einen breiten Konsens der Bürgerinnen und Bürger und die einstimmige Unterstützung aller Mitgliedstaaten zu erreichen, um eine wirksame, einheitliche und einvernehmliche Umsetzung des Vorschlags sicherzustellen.

1.2.

Der EWSA ist erfreut über das Interesse, dass EU-Bürgerinnen und -Bürger an der Abschaffung der geltenden Regelung einer aufeinander abgestimmten, zweimal jährlich stattfindenden Zeitumstellung zeigten und das seinen Niederschlag in der vor kurzem durchgeführten öffentlichen Online-Befragung fand. Der Ausschuss hält solide durchgeführte, öffentliche Online-Konsultationen für ein Instrument, das Aufschluss über die Präferenzen der Öffentlichkeit geben und die normalen demokratischen Prozesse ergänzen kann. Er bedauert, dass die nationalen Regierungen und die organisierte Zivilgesellschaft vor der raschen Veröffentlichung des Vorschlags nicht ausreichend konsultiert wurden.

1.3.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass mit der öffentlichen Konsultation der Kommission eine Frage aufgeworfen wurde, die einer Reihe von EU-Bürgerinnen und -Bürgern sehr am Herzen liegt, vor allem da über dieses Thema in einigen Mitgliedstaaten bereits seit mehreren Jahren debattiert wird, in anderen jedoch nicht. Die Kommission hat gleichwohl nicht gebührend berücksichtigt, dass eine große Mehrheit der Teilnehmer aus einem einzigen Land kommt, der Vorschlag in einigen Mitgliedstaaten abgelehnt wurde und weder über die tatsächlichen Vorteile einer Abschaffung der derzeitigen harmonisierten Regelung noch in der Frage einer dauerhaften Übernahme der Winter- oder der Sommerzeit wirklich Einigkeit herrscht.

1.4.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass das von der Kommission angewandte Dringlichkeitsverfahren in mehreren Mitgliedstaaten kritisiert wurde, in denen die Menschen der Meinung sind, dass die EU eigentlich andere Prioritäten habe (Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Einwanderung usw.), was die gesellschaftliche Akzeptanz der Initiative erschweren kann.

1.5.

Gemäß dem Vorschlag für eine Richtlinie soll es im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip jedem Land freistehen, die Sommer- oder die Winterzeit ganzjährig beizubehalten; diese Regelung würde an die Stelle des derzeitigen harmonisierten Systems treten, das lange gut funktioniert hat. Der EWSA ist ebenso wie die Kommission der Auffassung, dass die Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten in der Frage der zu wählenden Zeit von entscheidender Bedeutung ist, wenn das derzeitige Maß an Harmonisierung gewahrt werden soll. Andernfalls könnte die Zeitdifferenz zwischen Ländern, die sich derzeit in derselben Zeitzone befinden, zu einer Zersplitterung und Beeinträchtigung des Binnenmarkts führen.

1.6.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Umsetzung der Initiative eine Neuprogrammierung aller digitalen Systeme und Geräte weltweit erfordern würde, was den Unternehmen und staatlichen Stellen natürlich wirtschaftliche Kosten verursachen und auch Folgen für die Menschen haben würde. Der Übergang zu einem neuen Zeitsystem erfordert einen langen Vorlauf für Tests im IKT-Bereich, damit die Umstellung reibungslos verläuft. Falls die für 2024 geplante Folgenabschätzung zu einem negativen Ergebnis käme, wäre eine rasche Rückumstellung aufgrund der zusätzlichen Kosten und des Glaubwürdigkeitsverlusts der europäischen Institutionen undenkbar. Dies ist ein weiteres Argument dafür, dass es mehr Zeit für umfangreichere Studien, für mehr Datenerhebung, politische Willensbildung und soziale Akzeptanz durch die Bürgerinnen und Bürger bedarf, bevor eine für die Staaten, die Bürger und die Unternehmen so heikle Änderung vorgenommen wird.

2.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags der Kommission

2.1.

EU-Rechtsvorschriften zur Sommerzeit wurden erstmals 1980 zu dem Zweck eingeführt‚ die voneinander abweichenden nationalen Praktiken und Zeitpläne für die Sommerzeit zu vereinheitlichen und so eine abgestimmte Herangehensweise an die Zeitumstellung im Binnenmarkt zu gewährleisten.

2.2.

Seit 2001 unterliegt die Regelung der Sommerzeit der Richtlinie 2000/84/EG‚ nach der alle Mitgliedstaaten verpflichtet sind, am letzten Sonntag im März auf die Sommerzeit und am letzten Sonntag im Oktober wieder auf ihre Standardzeit („Winterzeit“) umzustellen.

2.3.

Die Entscheidung über die Standardzeit wird jedoch ausgehend vom Subsidiaritätsprinzip von den Mitgliedstaaten für ihr gesamtes Hoheitsgebiet oder für einzelne Teile davon getroffen.

2.4.

Das System der zweimal jährlich vorgenommenen Zeitumstellung wurde in der jüngsten Zeit in mehreren europäischen Ländern in Frage gestellt, wie aus der zwischen dem 4. Juli und dem 16. August 2018 von der Kommission durchgeführten öffentlichen Befragung hervorgeht. Es gab ca. 4,6 Mio. Reaktionen auf die öffentliche Konsultation: 84 % der Teilnehmer sprachen sich für eine Abschaffung der halbjährlichen Zeitumstellung, 16 % für eine Beibehaltung aus. Die Befürworter einer Abschaffung der Zeitumstellung äußerten eine Präferenz für die Sommerzeit (60 %). Bemerkenswerterweise kam eine große Mehrheit der Teilnehmer aus einem einzigen Land (Deutschland mit 3.1 Mio. Teilnehmern) und wurde der Vorschlag in einigen Ländern abgelehnt (Griechenland und Zypern) oder fand keine eindeutige Mehrheit (Malta).

2.5.

In seiner Entschließung vom 8. Februar 2018 unterstützte das Europäische Parlament die Idee einer Änderung der derzeitigen Regelung und forderte die Kommission auf, einen Legislativvorschlag vorzulegen. Die Verkehrsminister haben sich dieser Frage in letzter Zeit auf den Ratstagungen im Juni 2018 und im Dezember 2017 gewidmet, ohne dass es zu einer deutlichen Einstimmigkeit gekommen wäre. Die Frage wurde weder von anderen mitzuständigen Ministern erörtert, noch wurde sie zuvor bei Zusammenkünften der Regierungschefs besprochen. Ebenso wenig wurde der EWSA vorab um Stellungnahme ersucht.

2.6.

Der Vorschlag beinhaltet die Abschaffung des geltenden Systems der harmonisierten, zweimal jährlich stattfindenden Zeitumstellung, sodass ganzjährig die gleiche Zeit gilt. Die Zeit wird entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip von jedem einzelnen Mitgliedstaat festgelegt. Die Kommission hofft, dass alle Länder ausnahmslos die gleiche Sommer- und Winterzeit annehmen, um die derzeitige Harmonisierung beizubehalten und eine Fragmentierung des Binnenmarktes zu vermeiden. Der Vorschlag würde am 1. April 2019 in Kraft treten.

2.7.

Die Kommission ist sich dessen bewusst, dass die verfügbaren Forschungsergebnisse zu den mit der Zeitumstellung verbundenen Vorteilen bezüglich Energie, Gesundheit, Straßenverkehrssicherheit und Landwirtschaft nicht immer schlüssig sind. Hingegen ist erwiesen, dass das Fehlen einer harmonisierten Zeitregelung Auswirkungen auf den Binnenmarkt, den Luft-, See- und Straßenverkehr und auf Freizeit- und Berufsreisende haben kann (1).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA hält den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Abschaffung der jahreszeitlichen Zeitumstellungen gemäß der Richtlinie 2000/84/EG für interessant, weist jedoch auf eine Reihe gewichtiger Schwächen methodischer, zeitlicher und inhaltlicher Art hin. Der Ausschuss hält es für unerlässlich, mehr Zeit für die Erörterung und Analyse zu lassen, um einen wirklich breiten Konsens unter den Bürgerinnen und Bürgern herzustellen und die einstimmige Unterstützung aller Mitgliedstaaten zu sichern. Dies wäre von entscheidender Bedeutung für die wirksame, einheitliche Umsetzung des Vorschlags.

3.2.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die von der Kommission angewandte Methode — eine von Juli bis August 2018 durchgeführte öffentliche Online-Befragung — zwar interessante Daten über die Erwartungen eines Teils der europäischen Bevölkerung liefert, aber nicht das einzige verfügbare Instrument zur Sondierung der öffentlichen Meinung ist. In Anbetracht der zahlreichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen hätten die organisierte Zivilgesellschaft und eine größere Zahl von Mitgliedstaaten vor der Vorlage des Vorschlags ordnungsgemäß einbezogen und konsultiert werden müssen.

3.3.

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die öffentliche Konsultation keine völlige Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten ergab (der Vorschlag wurde in Griechenland und Zypern abgelehnt) und dass — was noch wichtiger ist — eine große Mehrheit der Teilnehmer aus nur einem einzigen Land kam (Deutschland). Dies zeigt, dass in einigen Ländern ein wirkliches Interesse an dieser Frage besteht, aber eben nicht überall in der EU. Der Ausschuss vertritt insbesondere die Auffassung, dass eine öffentliche Online-Konsultation nicht an die Stelle demokratischer Konsultationsprozesse auf allen Ebenen und in jeder legislativen Phase (vor, während und nach dem Erlass) treten kann.

3.4.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass das von der Kommission angewandte Dringlichkeitsverfahren in einigen Mitgliedstaaten kritisiert wurde, in denen die Menschen der Meinung sind, dass die EU eigentlich andere dringende Prioritäten habe (Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Einwanderung usw.), was die gesellschaftliche Akzeptanz der Initiative mindern kann. Überdies haben einige nationale Regierungen noch keinen deutlichen Standpunkt eingenommen — weder zur etwaigen Aufhebung der derzeit geltenden Regelung noch zur bevorzugten Zeit (Sommer- oder Winterzeit) — und halten diese Frage nicht für vorrangig.

3.5.

Was den Inhalt betrifft, so hält der Ausschuss die Idee, eine Debatte zu diesem Thema in Gang zu bringen, für interessant, verweist jedoch auf bestimmte Mängel in dem aktuellen Vorschlag der Kommission, die eine Ausweitung des Diskussionszeitraums rechtfertigen, um einen breiten Konsens unter allen Bürgerinnen und Bürgern und Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten zu erreichen:

3.5.1.

Die Festsetzung der Zeit ist eine nationale Zuständigkeit. Mit dem neuen Vorschlag für eine Richtlinie steht es jedem Land gemäß dem Subsidiaritätsprinzip frei, ganzjährig die Sommer- oder die Winterzeit beizubehalten. Dabei besteht die Gefahr, dass ohne eine einhellige Zeitregelung in allen Ländern, durch die das gleiche Maß an aufeinander abgestimmter Umsetzung wie bisher gewährleistet wird, aufgrund der von Land zu Land bestehenden Zeitdifferenzen Kosten entstehen, die erhebliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt (Zersplitterung) hätten, wodurch mehr Schwierigkeiten als Vorteile entstünden. Die Kommission räumt in ihrer Folgenabschätzung ein, dass dieses Problem besteht, weswegen der Ausschuss es für notwendig hält, im Vorfeld, d. h. vor der offiziellen Vorstellung des Kommissionsvorschlags, einen breiteren Konsens zu erreichen.

3.5.2.

Die Kommission weist selbst darauf hin, dass sich die Initiative auf eine Reihe von Studien stützt, die von verschiedenen Verbänden und Mitgliedstaaten durchgeführt wurden und die nicht schlüssig sind oder einander widersprechen. Der Ausschuss empfiehlt, mit einer eingehenderen Folgenabschätzung zu beginnen, in die alle wirtschaftlichen und sozialen Sektoren in allen EU-Ländern einbezogen werden, um herauszufinden, welches System besser geeignet ist.

3.6.

Die technische Anpassung der Systeme weltweit ist natürlich mit wirtschaftlichen Kosten für Unternehmen und staatliche Stellen sowie mit möglichen Auswirkungen auf die Menschen verbunden. Zusätzlich ist ein langer Vorlauf für Tests im IKT-Bereich erforderlich, um eine reibungslose Umsetzung zu gewährleisten.

3.7.

Die Kommission will zwar einen Mechanismus zur Bewertung der Auswirkungen der Richtlinie (im Jahr 2024) einführen, doch weist der EWSA auf die relativ hohen Kosten einer Umstellung der Zeit hin. Daher ist es im Fall einer negativen Folgenabschätzung nicht realistisch, dass eine rasche Rückumstellung vorgenommen wird, da dies zu zusätzlichen Kosten führen und die Glaubwürdigkeit der europäischen Institutionen belasten würde.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Studie von ICF International „The application of summer time in Europe“ im Auftrag der GD MOVE, 19. September 2014.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/308


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 im Hinblick auf die Mittel für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und zur Berichtigung dieser Verordnung im Hinblick auf die Mittel für das Ziel ‚Investitionen in Wachstum und Beschäftigung‘“

(COM(2018) 498 final — 2018/0265 (COD))

(2019/C 62/50)

Befassung

Europäisches Parlament, 5.7.2018

Rat der Europäischen Union, 19.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 177 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

214/0/2

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 538. Plenartagung am 17./18. Oktober 2018 (Sitzung vom 17. Oktober) mit 214 Stimmen bei 2 Enthaltung, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/309


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (Grenzen und Visa) und zur Änderung der Entscheidung 2004/512/EG des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 767/2008, des Beschlusses 2008/633/JI des Rates, der Verordnung (EU) 2016/399, der Verordnung (EU) 2017/2226, der Verordnung (EU) 2018/XX [ETIAS-Verordnung], der Verordnung (EU) 2018/XX [Verordnung über das SIS im Bereich der Grenzkontrollen] und der Verordnung (EU) 2018/XX [eu-LISA-Verordnung]“

(COM(2018) 478 final — 2017/0351 (COD))

und „Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung eines Rahmens für die Interoperabilität zwischen EU-Informationssystemen (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Asyl und Migration) und zur Änderung der [Verordnung (EU) 2018/XX [Eurodac-Verordnung]], der Verordnung (EU) 2018/XX [Verordnung über das SIS im Bereich der Strafverfolgung], der Verordnung (EU) 2018/XX [ECRIS-TCN-Verordnung] und der Verordnung (EU) 2018/XX [eu-LISA-Verordnung]“

(COM(2018) 480 final — 2017/0352 (COD))

(2019/C 62/51)

Befassung

Europäisches Parlament, 10.9.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 16 Absatz 2, Artikel 74 und Artikel 77 Absatz 2 Buchstaben a, b, d und e des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Verabschiedung im Plenum

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

196/2/5

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme SOC/573 „Paket zur Interoperabilität“ (1) vom 23. Mai 2018 zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 538. Plenartagung am 17./18. Oktober 2018 (Sitzung vom 17. Oktober) mit 196 gegen 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der vorgenannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 48.


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/310


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Fischereiaufsichtsagentur (Kodifizierter Text)“

(COM(2018) 499 final — 2018/0263(COD))

(2019/C 62/52)

Befassung

Europäisches Parlament, 5.7.2018

Rat der Europäischen Union, 17.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 43 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Verabschiedung auf der Plenartagung

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

208/0/5

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 538. Plenartagung am 17./18. Oktober 2018 (Sitzung vom 18. Oktober) mit 208 Stimmen ohne Gegenstimmen bei 5 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/311


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Union unter Einschluss der Beziehungen zwischen der Europäischen Union einerseits und Grönland und dem Königreich Dänemark andererseits (‚Übersee-Assoziationsbeschluss‘)“

(COM(2018) 461 final)

(2019/C 62/53)

Befassung

Europäische Kommission, 12.7.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Außenbeziehungen

Verabschiedung im Plenum

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

207/0/6

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 538. Plenartagung am 17./18. Oktober 2018 (Sitzung vom 17. Oktober) mit 207 Stimmen ohne Gegenstimme bei 6 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


15.2.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 62/312


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2018 (ergänzende Stellungnahme)“

(COM(2017) 770 final)

(2019/C 62/54)

Berichterstatter:

Javier DOZ ORRIT

Beschluss des Präsidiums

22.5.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 (a) der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

3.10.2018

Verabschiedung im Plenum

17.10.2018

Plenartagung Nr.

538

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

132/1/6

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stimmt den Zielen der Empfehlung des Rates und einigen der darin enthaltenen Vorschläge zu. Nicht einverstanden ist er allerdings mit dem Vorschlag eines neutralen haushaltspolitischen Kurses des Euro-Währungsgebiets als Ganzem und mit der Art der Formulierung der Empfehlung zu Löhnen und Gehältern. Er bekräftigt daher den Standpunkt, den er in der früheren Stellungnahme (1) zu dem Vorschlag der Kommission für eine Empfehlung vertreten hatte.

1.2.

Die Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets sollte im Rahmen einer Reform der WWU konzipiert werden, mit der die von Anfang an bestehenden strukturellen und funktionsspezifischen Defizite überwunden werden und die auf eine stärkere Integration und demokratischere Steuerung abzielen sollte. Der EWSA ist über die gegenwärtige Lähmung des Reformprozesses, die mangelnde Kompromissbereitschaft einer ganzen Reihe von Staaten, den offenen Widerstand einiger Regierungen und das Fehlen einer starken politischen Führung zu ihrer Überwindung besorgt.

1.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Empfehlungen des Rates in eine allgemeine wirtschaftspolitische Strategie mit Bezug auf die Agenda 2030, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) und die Umsetzung des Pariser Klimaschutzübereinkommens eingebettet sein sollten. Diese Strategie sollte die europäische Gesellschaft auf gerecht gestaltete Übergänge zu einem grünen und digitalen Wirtschaftsmodell vorbereiten.

1.4.

Nach Auffassung des EWSA sprechen die folgenden internen Gründe für einen moderat positiven haushaltspolitischen Kurs: das Ende der expansiven Geldpolitik der EZB; die Tatsache, dass die EU unter einer besorgniserregenden Investitionslücke leidet, insbesondere im Bereich der öffentlichen Investitionen, was ihre künftige wirtschaftliche und soziale Entwicklung gefährdet; die Tatsache, dass diese Investitionslücke wiederum zu einem äußert niedrigen Produktivitätswachstum beiträgt; sowie die Tatsache, dass wichtige Staaten des Euro-Währungsgebiets immer noch übermäßige Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen.

1.5.

Einige Länder des Euro-Raums mit bedeutenden Überschüssen investieren nicht: Dadurch akkumulieren sie jährlich negative Nettokapitalbildungsraten im öffentlichen Sektor. Der EWSA hält verstärkte Investitionen in diesen Ländern für wirtschaftlich geboten — für sie selbst, für das Euro-Währungsgebiet insgesamt und für die EU.

1.6.

Nach Auffassung des EWSA ist die angemessene Mischung aus geld- und finanzpolitischen Maßnahmen zur Stärkung des Wachstums des Euro-Raums, die in den letzten Jahren von der EZB, dem IWF und der OECD gefordert wurde, auch wegen der voraussichtlichen Auswirkungen des Handelsprotektionismus und der durch globale geopolitische Risiken erzeugten Instabilität gerechtfertigt.

1.7.

Zudem sind größere fiskalische Anstrengungen auch aus sozialen und politischen Gründen notwendig: Die EU und die Mitgliedstaaten müssen sich mehr für die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit und für einen stärkeren sozialen Zusammenhalt einsetzen, insbesondere durch die Bereitstellung ausreichender Finanzmittel für die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte. Wenn die EU und die Mitgliedstaaten dies nicht tun, werden nach Auffassung des EWSA die derzeitigen politischen Krisen sich noch verschärfen und die nationalistischen und antieuropäischen Tendenzen an Fahrt aufnehmen — und sogar die Existenz der EU bedrohen.

1.8.

Die Empfehlung, die Löhne zu erhöhen, würde bei einer strikten Anwendung nur eine kleine Zahl von Ländern betreffen. Nach Ansicht des EWSA sollte die Eindämmung der Lohnstückkosten nicht durch Senkung bzw. Einfrieren der Löhne erfolgen, sondern durch Produktivitätswachstum dank größerer Investitionen, verstärkter Innovation und besserer Ausbildung der Arbeitnehmer. In jedem Fall müssen die Lohnniveaus von den Sozialpartnern im Zuge von Tarifverhandlungen bestimmt werden. Im Europäischen Semester sollten gesetzliche Änderungen zur Stärkung von Tarifverhandlungen in denjenigen Ländern vorgeschlagen werden, in denen sie während der Krise geschwächt wurden, bzw. zu ihrer Wiedereinrichtung dort, wo sie trotz Artikel 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht bestehen. Des Weiteren bedarf es zusätzlicher Maßnahmen zur Anhebung von Niedriglöhnen.

1.9.

Die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze muss zu den wirtschaftspolitischen Prioritäten gehören. Nach Auffassung des EWSA muss der Abbau prekärer Beschäftigungsverhältnisse (hohes Aufkommen befristeter Arbeitsverhältnisse und niedrige Löhne), die vor allem Jugendliche betreffen, ebenfalls eine vorrangige Empfehlung des Europäischen Semesters sein.

1.10.

Die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen der Unternehmen, insbesondere im Hinblick auf die Digitalisierung der Wirtschaftstätigkeiten, muss gefördert werden.

1.11.

Die Erleichterung der Unternehmensfinanzierung muss ebenso zu den wirtschaftspolitischen Prioritäten gehören. Der EWSA bekräftigt, dass die Banken- und die Kapitalmarktunion für die Finanzierung von Wirtschaftsaktivitäten ausgesprochen wichtig sind, und bringt seine Besorgnis über die Verzögerungen und Hindernisse bei der Vollendung der Bankenunion zum Ausdruck, u. a. das Volumen der notleidenden Kredite in manchen Mitgliedstaaten.

1.12.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die europäischen Entscheidungsinstanzen effektiv gegen die missbräuchliche Verwendung öffentlicher Gelder, Steuerbetrug und -umgehung, aggressive Steuerplanung, Geldwäsche, Steueroasen und unlauteren Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten vorgehen sollten. Dies ist nicht nur eine Frage der politischen Moral und der Einhaltung der Rechtsvorschriften, sondern auch ein Beitrag zur Stabilisierung der öffentlichen Finanzen.

2.   Die Positionen des Rates und der Kommission

2.1.

Anders als 2017 unterscheidet sich die Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets vom 23. Januar 2018 (2) nicht wesentlich vom Vorschlag der Kommission vom 22. November 2017 (3). Der Rat teilt die Auffassung, dass ein weitgehend neutraler haushaltspolitischer Kurs verfolgt werden muss, und fügt hinzu, dass die sich verbessernde Konjunktur zum Aufbau von Haushaltspolstern zu nutzen ist.

2.2.

Bei den übrigen Empfehlungen sind sich der Rat und die Kommission einig, dass die Mitgliedstaaten vorrangig Reformen verfolgen sollen, die die Produktivität und das Wachstumspotenzial steigern, die Rahmenbedingungen für die Unternehmen verbessern und Innovation und Investitionen fördern, zur Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze beitragen und Ungleichheiten abbauen. Die Mitgliedstaaten mit „hohen Leistungsbilanzüberschüssen“ müssen das Lohnwachstum unterstützen, und Staaten mit Leistungsbilanzdefiziten oder hoher Auslandsverschuldung haben den Anstieg der Lohnstückkosten zu dämpfen. Schließlich wird gefordert, die Arbeiten zur Vollendung der Bankenunion fortzusetzen. In den länderspezifischen Empfehlungen für 2018 wird die günstige konjunkturelle Lage der EU betont, die nach Auffassung der Kommission dazu genutzt werden muss, die strukturellen Verbesserungen der letzten Jahre fortzuführen und die Korrektur der makroökonomischen Ungleichgewichte in den meisten Mitgliedstaaten zu vollenden.

2.3.

In den länderspezifischen Empfehlungen wird eingegangen auf die europäische Säule sozialer Rechte, die Verbesserung der Qualität der Beschäftigung, der Tarifverhandlungen und des sozialen Dialogs sowie auf die Anhebung der Löhne. Sie betreffen auch die Reform der öffentlichen Verwaltungen und Maßnahmen gegen die Korruption, ebenso wie das Unternehmensumfeld und Verbesserungen des Verhältnisses zwischen den beiden Bereichen und der Unternehmensfinanzierung. Empfohlen wird die Reform der Renten- und Gesundheitssysteme zur Bewältigung der Bevölkerungsalterung unter Wahrung eines neutralen haushaltspolitischen Kurses.

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

Wirtschaftspolitische Strategie und Reform der WWU

3.1.

Der EWSA weist erneut auf die Notwendigkeit einer allgemeinen wirtschaftspolitischen Strategie hin, die den internationalen Übereinkommen, den Zielen der ökologischen Nachhaltigkeit, der Verminderung der Energieabhängigkeit, der digitalen Revolution und anderen globalen Herausforderungen Rechnung trägt. Der EWSA begrüßt die diesbezüglichen Initiativen der Kommission. Gleichwohl ist er — wie bereits in seiner Stellungnahme zum Paket zur Wirtschafts- und Währungsunion (4) zum Ausdruck gebracht — der Auffassung, dass es für diese Initiativen weder eine Wirtschaftsstrategie auf europäischer Ebene noch genügend Finanzmittel dafür gibt.

3.2.

Der EWSA ist besorgt, dass die Reform der WWU durch einen Mangel an politischer Führung, durch Verzögerungen bei der Entscheidungsfindung und durch schwaches Engagement vieler Regierungen des Euro-Raums geschwächt wird; dadurch steigt die Gefahr, dass die nächste Rezession die EU unvorbereitet trifft.

3.3.

Eine Wirtschaftspolitik zugunsten des nachhaltigen Wachstums muss sowohl auf der Unterstützung eines Unternehmensumfelds, das Investitionen und die Produktivitätssteigerung fördert, als auch der Stärkung des sozialen Zusammenhalts — insbesondere mittels Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und zum Abbau sozialer Ungleichheiten — basieren.

3.4.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Anwendung der europäischen Säule sozialer Rechte sicherzustellen und die in seiner Stellungnahme zum Thema Finanzierung der europäischen Säule sozialer Rechte (5) enthaltenen Empfehlungen zu ihrer Finanzierung zu berücksichtigen. Er bedauert, dass in den Empfehlungen des Rates und dem von der Kommission vorgelegten Vorschlag für den MFR für die Jahre 2021-2027 diesbezüglich keine konkreten Maßnahmen enthalten sind. Ebenso sollte den Empfehlungen der hochrangigen Taskforce zu Investitionen in soziale Betreuung und Unterstützung (6) Folge geleistet werden.

3.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die jährlichen Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets in den Rahmen einer allgemeinen wirtschaftspolitischen Strategie mit Bezug auf die Agenda 2030, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) und die Umsetzung des Pariser Klimaschutzübereinkommens eingebettet sein sollten. Die Wirtschaftspolitik muss die Schaffung eines nachhaltigen europäischen Wirtschaftsmodells fördern, bei dem die Energieabhängigkeit durch den Einsatz sauberer und erneuerbarer Energien gesenkt, die Folgen der digitalen Revolution berücksichtigt und ein für die Arbeitnehmer fairer Wandel gewährleistet werden.

Die Empfehlung des Rates: Gründe für einen moderat positiven haushaltspolitischen Kurs

3.6.

Der EWSA bekräftigt die Schlussfolgerungen seiner Stellungnahme zu der Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (7). Darin erklärte er sich zwar mit den Zielen des Vorschlags für eine Empfehlung der Kommission und einem Großteil ihrer Vorschläge einverstanden, stimmte aber der Empfehlung eines neutralen haushaltspolitischen Kurses für das Euro-Währungsgebiet insgesamt nicht zu. Der EWSA wiederholt seine Forderung nach einem positiven haushaltspolitischen Kurs des Euro-Raums insgesamt, hauptsächlich auf der Grundlage einer expansiven Haushaltspolitik der Staaten mit Zahlungsbilanzüberschüssen und langfristig tragbarem Schuldenstand.

3.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass dieser Ansatz zur Überwindung der negativen Folgen der überlangen und exzessiven Konsolidierungsmaßnahmen in einigen Mitgliedstaaten beitragen würde. Mitgliedstaaten mit Leistungsbilanzüberschüssen sollten Maßnahmen zur Förderung von Investitionen und nachhaltigen Sozialausgaben ergreifen, um die Binnennachfrage und das Wachstumspotenzial zu unterstützen und dadurch Ungleichgewichte abzubauen.

3.8.

Der EWSA räumt ein, dass einer wirkungsvollen Fiskalpolitik auf der Ebene der EU Grenzen gesetzt sind wegen der Begrenztheit der Wirtschaftsunion, die sich — im Unterschied zur vollständigen Währungsunion — vorwiegend auf die Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der teilnehmenden Staaten stützt. Insbesondere weist der EWSA darauf hin, dass die Kommission und der Rat die asymmetrische Natur des Verfahrens des Europäischen Semesters bislang kaum beachtet haben, das sich ausschließlich auf das Ergreifen von Korrekturmaßnahmen in Mitgliedstaaten mit Haushaltsdefiziten konzentriert. Die Kommission und der Rat sollten Maßnahmen vorschlagen, die sowohl übermäßige Defizite als auch Überschüsse verhindern.

Die Investitionslücke im Euro-Währungsgebiet

3.9.

Die Investitionslücke im Euro-Währungsgebiet ist ein weiterer Grund, den neutralen haushaltspolitischen Kurs infrage zu stellen. Die Investitionen haben noch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Die öffentlichen Investitionen sind von einem praktisch konstanten Wert von 3,2 % des BIP (zwischen 1997 und 2007 und zwischen 2009 und 2013) auf 2,6 % des BIP in den Jahren 2017 und 2018 zurückgegangen (8). Diese Investitionslücke ist einer der negativsten Faktoren der Wirtschaftslage und stellt eine schwere Hypothek für die Zukunft der Wirtschaft und der europäischen Gesellschaften dar. Daher bekräftigt der EWSA seine Forderung (9), die sogenannte „goldene Haushaltsregel“ anzuwenden, d. h. die Investitionsausgaben bezüglich der Einhaltung der Defizitziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) nicht zu berücksichtigen, weil sie der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen dienen. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass Ausgaben für produktionswirksame Investitionen ebenfalls zu dieser Tragfähigkeit beitragen können.

3.10.

Es muss betont werden, dass diese Investitionslücke auch in einigen Mitgliedstaaten zu beobachten ist, die zu einer aktiveren europäischen Fiskalpolitik beitragen sollten. Ein bedeutsames Beispiel dafür wären die öffentlichen Investitionen in Deutschland. Der Anteil der öffentlichen Investitionen am BIP lag in Deutschland im Zeitraum 2013-2017 bei 2,1 % (10), einem der niedrigsten Werte im Euro Raum. Die Nettokapitalbildungsrate im öffentlichen Sektor (bei der die Abschreibung des Kapitalstocks berücksichtigt wird) war im gleichen Zeitraum negativ: -0,08 %, ebenso im Zeitraum 2003-2007 (-0,11 %). Zwischen 2008 und 2012 lag sie in Deutschland bei lediglich +0,06 %. Die Nettokapitalbildungsrate im privaten Sektor, die in den Neunzigerjahren zwischen 6 % und 8 % des BIP betrug, ist zwischen 2008 und 2017 hingegen von 3,2 % auf 2,2 % des BIP gesunken. Gleichzeitig hat Deutschland Investitionen in anderen Ländern finanziert. Sein Zahlungsbilanzüberschuss, der 2017 8,0 % des BIP betrug, wird für 2018 auf 7,9 % und für 2019 auf 7,6 % veranschlagt. Die Empfehlungen des Rates und der Kommission sollten ein deutliches Signal aussenden und zur Korrektur des geringen inländischen Investitionsniveaus in Deutschland beitragen. Erhöhte Glaubwürdigkeit der Wirtschaftspolitiken in Bezug auf ihre Tragfähigkeit dürfte öffentliche und private Investitionen auch in anderen Ländern, die derzeit Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen, fördern (11).

3.11.

Der EWSA fordert die Kommission und den Rat auf, nach Maßgabe von Artikel 3 des EU-Vertrags in den wirtschaftspolitischen Leitlinien für das Euro-Währungsgebiet der Steigerung der Investitionsraten bis zum Erreichen des Vorkrisenniveaus Priorität einzuräumen. Diese Steigerung sollte sich am Modell der nachhaltigen Entwicklung in ihren drei Dimensionen (wirtschaftlich, sozial und ökologisch) ausrichten.

Wirtschaftswachstum und Risikofaktoren

3.12.

Die Wachstumsaussichten laut Prognose der Kommission vom Sommer (12) deuten auf ein Andauern dieser Entwicklung bei einer gewissen Abschwächung des Wachstums hin: 2,4 % (2017), 2,1 % (2018) und 2,0 % (2019) im Euro-Währungsgebiet und 2,6 % (2017), 2,3 % (2018) und 2,1 % (2019) in der EU27. Im Rest der Welt wird das Wachstum (ohne EU) im Jahr 2017 3,9 %, 2018 4,2 % und 2019 4,1 % betragen. Die im Januar 2015 von der Kommission mit der „Investitionsklausel“ und der „Strukturreformklausel“ eingeführte Flexibilität bei der Anwendung des SWP (13) hat zweifellos zu dieser positiven Entwicklung beigetragen. Die in der Mitteilung der Kommission „Überprüfung der im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Flexibilität“ unlängst vorgenommene Bewertung dieser Ergebnisse spricht ebenfalls dafür (14).

3.13.

Das Ende der expansiven Geldpolitik steht unmittelbar bevor. Die quantitative Lockerung wird im kommenden Dezember auslaufen, wenn die EZB den Ankauf von Vermögenswerten einstellt. Ab dem Sommer 2019 könnten die Referenzzinssätze nach einer Bewertung der mittelfristigen Inflationsaussichten wieder steigen. Seit einigen Jahren hat EZB-Präsident Mario Draghi gefordert, dass die Fiskalpolitik und angemessene Strukturreformen die Geldpolitik flankieren müssen, um die Erholung zu untermauern und die Inflationsziele zu erreichen. Dasselbe forderten auch der IWF und die OECD sowie viele wissenschaftliche Foren. Was die Fiskalpolitik anbetrifft, gingen die europäischen Entscheidungsträger auf diese Forderung nicht ein. Jetzt, da sich die Geldpolitik auf dem Rückzug befindet, ist eine aktivere Haushaltspolitik im Euro-Währungsgebiet umso notwendiger.

3.14.

Die Fiskalpolitik sollte aufgrund weiterer wirtschaftlicher und sozialer Faktoren sowie interner politischer Ungleichgewichte und Faktoren des Wirtschaftsrisikos und globaler geopolitischer Unsicherheiten ebenfalls zu einer Stärkung des Wachstums beitragen und die Folgen der Krise abfedern, die in vielen Staaten Europas immer noch deutlich zu spüren sind. Der Vorschlag des EWSA würde es gestatten, die mittelfristige finanzielle Tragfähigkeit besser zu gewährleisten und die Ungleichgewichte in Gestalt der übermäßigen Überschüsse abzubauen.

3.15.

Um die politische Instabilität in der EU und die zentrifugalen Kräfte, die in ihrem Inneren im Gefolge der Krise entstanden sind und die die EU in ihrer Existenz bedrohen, bekämpfen und überwinden zu können, sind grundlegende Reformen der WWU und der EU erforderlich, die mehr Integration und mehr Demokratie und eine stärkere soziale Dimension bedeuten würden. Darüber hinaus sollte das Wachstum durch haushalts- und fiskalpolitische Maßnahmen gemäß einem Ansatz gesteigert werden, der den Abbau von Ungleichheit bei der Einkommensverteilung fördert. Dies ist möglich, ohne die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen infrage zu stellen. Ebenso sollte eine Strategie zur Vollendung der WWU auf den Weg gebracht werden, die auf die Einbeziehung aller Mitgliedstaaten abzielt, die nicht aufgrund der Verträge ausgenommen sind.

3.16.

Die Brennpunkte globaler geopolitischer Instabilität, von denen sich einige in Nachbarschaft der EU befinden, die Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen in den Bereichen Handel, Umwelt, Außenpolitik sowie Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufgrund der Beschlüsse der gegenwärtigen US-Regierung veranlassen den EWSA zu unterstreichen, dass die EU eine starke Wirtschaft zur Untermauerung ihrer politischen Führungsrolle in der Welt braucht. Ein Handelskrieg mit mehreren Fronten und der damit verbundene Aufstieg wirtschaftlichen und politischen Nationalismus würde zu einem wirtschaftlich und geopolitisch hochriskanten Szenarium führen. Die EU sollte versuchen, dies zu verhindern, und falls erforderlich, auf die Bewältigung dieser Situation vorbereitet sein.

3.17.

Trotz des Anstiegs der Öl- und Rohstoffpreise wird die Inflationsrate im Euroraum zwischen 2017 und 2019 (Sommerprognosen) stabil bei 1,7 % liegen, die Kerninflation ist dabei mit 1,1 % weit vom Inflationsziel entfernt. Nach Ansicht des EWSA sind dies neue Gründe, die gegen einen Rückzug von der expansiven Geldpolitik sprechen, zumal in einer Zeit, in der ein neutraler haushaltspolitischer Kurs praktiziert wird — ganz zu schweigen von einem negativen haushaltspolitischen Kurs, wie ihn der Europäische Fiskalausschuss für 2019 fordert (15).

Löhne, Beschäftigung und Tarifverhandlungen

3.18.

Der Anstieg der durchschnittlichen Reallöhne lag 2017 im Vergleich zum Vorjahr in den 19 Mitgliedstaaten des Euroraums bei lediglich 0,2 %. In sieben von ihnen war er negativ. 2018 soll dieser Wert 0,9 % und 2019 0,3 % betragen (16). Die realen Lohnstückkosten nehmen in diesen drei Jahren im Euroraum voraussichtlich jeweils um 0,3 %, 0,1 % und 0,6 % ab. Die reale Produktivität pro Erwerbstätigen stieg hingegen 2017 um 0,8 % und wird sich auch 2018 und 2019 jeweils um 1 % erhöhen (17).

3.19.

Die Arbeitslosenquote lag im Euro-Währungsgebiet 2017 bei 9,1 % und damit immer noch über dem Vorkrisenniveau von 8,4 % (2004-2008). Der Unterschied zwischen den Mitgliedstaaten ist enorm, die Arbeitslosenquote variierte 2017 zwischen 3,8 % in Deutschland und 21,5 % in Griechenland. Die Jugendarbeitslosenquote ist nach wie vor sehr hoch und liegt bei über 15 %. Sie ist sehr ungleich verteilt mit extremen Werten in Griechenland (43,2 %), Spanien (35 %) und Italien (32,5 %). Der Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse nimmt weiter zu und lag 2017 bei durchschnittlich 12,2 % gegenüber 11,5 % im Jahr 2012. Ebenso steigt der Anteil der Teilzeitarbeit: 19,4 % 2017 gegenüber 17,5 % im Jahr 2007 (18).

3.20.

Trotz des Konjunkturaufschwungs gibt es in vielen Ländern eine Diskrepanz zwischen den früheren Arbeitsverhältnissen und den neuen, die prekärer und schlechter entlohnt sind. Diese Kluft hat auch einen Generationenaspekt, denn junge Leute sind in höherem Maße davon betroffen. Ähnlich ergeht es aber auch vielen Arbeitnehmern in der digitalen Wirtschaft, deren Beschäftigung von Online-Plattformen abhängt. In den Empfehlungen des Rates und des Europäischen Semesters kommt die Sorge zum Ausdruck, dass die Qualität der Beschäftigung verbessert werden muss. Der EWSA fordert konkrete Pläne und Maßnahmen, damit dieses Ziel zu einer Priorität wird. Die Beteiligung der Sozialpartner durch den sozialen Dialog und die Tarifverhandlungen an der Annahme der notwendigen Maßnahmen ist von zentraler Bedeutung. Ebenfalls grundlegend sind Maßnahmen, die eine deutliche Anhebung der Niedriglöhne bewirken. Außerdem sollte es gefördert werden, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft an der Verbesserung der sozialen Bedingungen und Lebensumstände der Arbeitnehmer mitwirken.

3.21.

Die Empfehlung des Rates zum Lohnwachstum würde bei einer strikten Anwendung nur eine kleine Zahl von Ländern betreffen und könnte zu weiteren Unterschieden und wachsender Ungleichheit führen. Nach Ansicht des EWSA sollte die Wettbewerbsfähigkeit der schwächsten europäischen Volkswirtschaften durch eine Verbesserung der Produktivität dank größerer Investitionen, verstärkter Innovation und besserer Ausbildung der Arbeitnehmer gesteigert werden, nicht aber durch interne Abwertungen, die zudem unerwünschte soziale Folgen haben. Lohnsteigerungen tragen auch zur Ankurbelung der Binnennachfrage bei und fördern mittels erhöhter Steuereinnahmen das Haushaltsgleichgewicht.

3.22.

In jedem Fall müssen die Lohnniveaus von den Sozialpartnern im Zuge von Tarifverhandlungen bestimmt werden. Auch gesetzliche Vorgaben können in einigen Mitgliedstaaten diesbezüglich einen Beitrag leisten, zumindest bei den Mindestlöhnen. Im Europäischen Semester sollten Maßnahmen zur Stärkung der Kollektivverhandlungen auf der Grundlage der Tarifautonomie und des sozialen Dialogs vorgeschlagen werden, insbesondere in denjenigen Staaten, in denen diese durch die Krisenmaßnahmen geschwächt worden sind, oder dort, wo dieses Recht trotz Artikel 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht besteht.

Produktivität, Unternehmensumfeld und Finanzierung privater Investitionen

3.23.

Der EWSA ist besorgt über die Abnahme des Produktivitätswachstums in der EU in den letzten Jahrzehnten. Aus einer aktuellen Studie der OECD (19) geht hervor, dass der durchschnittliche jährliche Anstieg der Ausbringung pro Arbeitsstunde in der EU im Zeitraum 2007-2016 bei 0,6 % lag (er erreichte 2,2 % im Zeitraum 1990-2000 und verringert sich seither stetig). Dieser Wert liegt auch unter dem Durchschnitt der OECD-Länder (0,8 %) und weit unter dem der nicht der OECD angehörenden Länder (5,0 %) im gleichen Zeitraum. Bei der Präsentation der Studie (20) bekräftigte der Generalsekretär der OECD, Ángel Gurría, dass für Produktivitätswachstum neben guter Regulierung und Governance mehr Investitionen in FuE und Innovation und in allgemeine und berufliche Bildung erforderlich sind. Der EWSA stimmt dieser Ansicht voll und ganz zu.

3.24.

Die OECD weist in derselben Studie darauf hin, dass der EU-Haushalt klein ist und im Verhältnis zum europäischen BNE seit 1993 abnimmt (21). Der EWSA ist sehr besorgt, dass sich diese Tendenz fortsetzen könnte, wenn der MFR nach 2020 in der von der Kommission vorgeschlagenen Form angenommen würde. Damit würde es noch schwieriger, die erforderlichen Maßnahmen zum Erreichen wirtschaftlicher und sozialer Aufwärtskonvergenz zwischen den Mitgliedstaaten durchzuführen. Wie bereits in seiner Stellungnahme zum Reflexionspapier zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion bis 2025 (22) ausgeführt, wird diese Situation noch dadurch verschlimmert, dass bisher keine Einigung über die Vollendung der WWU gemäß den in den Reflexionspapieren über die Zukunft Europas vorgezeichneten Grundsätzen erzielt worden ist.

3.25.

Der EWSA teilt auch die Empfehlung bezüglich des Produktivitätswachstums und der Rolle, die Investitionen in FuE und Innovation dabei spielen. Ferner begrüßt er die in den länderspezifischen Empfehlungen angeregten Verbesserungen der öffentlichen Verwaltungen und des Unternehmensumfelds.

3.26.

Zur Förderung des Wachstums muss die Investitionstätigkeit der Unternehmen angekurbelt werden. Der EWSA bekräftigt, wie wichtig die rasche Verwirklichung der Kapitalmarktunion und der Abschluss des Verfahrens zur Errichtung der Bankenunion ist. Der EWSA ist besorgt über die Verzögerungen bei der Bankenunion, da immer noch keine gemeinsame Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsmechanismus über den ESM eingerichtet wurde und da der Aufbau des Europäischen Einlagenversicherungssystems (EDIS) auf Hindernisse stößt, die weit über die berechtigten Befürchtungen in einigen Ländern angesichts des Umfangs notleidender Kredite (23) hinausgehen.

Kampf gegen Steuerbetrug — für eine gerechte Besteuerung

3.27.

Es ist sehr schwer, angesichts des unveränderten gegenwärtigen Umfangs des Steuerbetrugs, der Steuerumgehung, des unfairen Steuerwettbewerbs zwischen den EU-Staaten und der Geldwäsche in Steuerparadiesen die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen sicherzustellen und kraftvolle sozial- und investitionspolitische Maßnahmen durchzuführen. In einem wichtigen, in der Zeitschrift Finance & Development (24) des IWF erschienenen Artikel wird aufgezeigt, dass ca. 40 % der weltweiten ADI (ca. 12 Billionen USD) „Scheininvestitionen“ sind, d. h. aus finanziellen Investitionen in Scheinfirmen ohne jedwede realwirtschaftliche Aktivität bestehen. Der Rückgriff auf Intermediäre oder zwischengeschaltete Stellen an sich muss noch keine Steuervermeidung bedeuten, aber schafft sicherlich mehr Möglichkeiten für Steuervermeidung und sogar Steuerhinterziehung. In diesem Artikel wird auch bekräftigt, dass 9,8 % des weltweiten Reichtums in Steuerparadiesen gehalten wird.

3.28.

Der EWSA betont erneut, dass zur Bekämpfung der missbräuchlichen Verwendung öffentlicher Gelder, von Steuerflucht, Geldwäsche, Steuerparadiesen und unfairem Steuerwettbewerb dringend zusätzliche wirksame Maßnahmen ergriffen werden müssen, angefangen mit der Anwendung der fünften Richtlinie über die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (25) sowie dem Erstellen einer kohärenten, zuverlässigen und einheitlichen Liste von echten Steueroasen weltweit, die mit angemessenen Sanktionen zu belegen sind.

3.29.

Ebenso muss wirksam gegen die aggressive Steuerplanung multinationaler Unternehmen, insbesondere im Bereich der digitalen Wirtschaft, vorgegangen werden. Bei diesem grundlegenden Kampf muss es gelingen, die Dynamik globaler Maßnahmen mit anderen auf EU-Ebene anwendbaren Maßnahmen zu kombinieren. Gleichzeitig gilt es, nach und nach eine angemessene Steuerharmonisierung im Euro-Währungsgebiet und in der EU zu realisieren.

Brüssel, den 17. Oktober 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Stellungnahme des EWSA zu der Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets, (ABl. C 197 vom 8.6.2018, S. 33).

(2)  Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets.

(3)  Siehe COM(2017) 770 final.

(4)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 28.

(5)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 1.

(6)  Investitionen in soziale Betreuung & Unterstützung – Ein Gebot der Stunde für Europa, November 2017.

(7)  ABl. C 197 vom 8.6.2018, S. 33.

(8)  EU-Wirtschaftsprognose — Frühjahr 2018. Statistischer Anhang, S. 165.

(9)  orgebracht in seiner Stellungnahme zu der Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (ABl. C 197 vom 8.6.2018, S. 33) und früheren Stellungnahmen.

(10)  Diese sowie alle folgenden Daten zu Investitionen aus: Alexander Roth und Guntram Wolff, Understanding (the lack of) German public investment [Zum Verständnis der (mangelnden) öffentlichen Investitionen in Deutschland], Bruegel, Blog-Spot, 6. Juni 2018.

(11)  Dies trifft zu für die Niederlande, Irland, Malta und Slowenien im Euroraum sowie für Dänemark außerhalb des Euroraums.

(12)  EU-Wirtschaftsprognose — Zwischenprognose Sommer 2018.

(13)  Siehe Mitteilung der Kommission zum Thema „Optimale Nutzung der im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Flexibilität“, COM(2015) 12 final.

(14)  Siehe COM(2018) 335 final.

(15)  Europäischer Fiskalausschuss, Assessment of the fiscal stance appropriate for the euro area in 2019 (Bewertung des angemessenen haushaltspolitischen Kurses für das Euro-Währungsgebiet im Jahr 2019), 18. Juni 2018.

(16)  EU-Wirtschaftsprognose — Frühjahr 2018. Statistischer Anhang, S. 172.

(17)  Ebda., S. 172-174 und Eurostat.

(18)  Ebda., S. 171 und Eurostat.

(19)  2018 OECD Economic Surveys of the Euro Area and the EU. Präsentation — Zusammenfassung, 19. Juni 2018, S. 21.

(20)  Brüssel, 19.6.2018, Denkfabrik Bruegel.

(21)  Ebenda, OECD, S. 25-30.

(22)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 124.

(23)  Siehe den diesbezüglichen Standpunkt des EWSA in seiner Stellungnahme zum Paket zu notleidenden Krediten (ABl C 367 vom 10.10.2018, S. 43).

(24)  Piercing The Veil: Some $12 Trillion Worldwide Is Just Phantom Corporate Investment (Blick hinter die Kulissen: weltweit ca. 12 Billionen USD vorgespiegelter Unternehmensinvestitionen) von J. Damgaard, T. Elkjaer und N. Johannesen, Finance & Development, 10.6.2018.

(25)  Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 156 vom 19.6.2018, S. 43).