ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 237

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

61. Jahrgang
6. Juli 2018


Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

533. Plenartagung des EWSA, 14.3.2018-15.3.2018

2018/C 237/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein sozial nachhaltiges Konzept zur Verbesserung des Lebensstandards, zur Förderung des Wachstums und der Beschäftigung sowie zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger im digitalen Zeitalter (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des bulgarischen EU-Ratsvorsitzes)

1

2018/C 237/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Zukunft der Arbeit — Aneignung der für die künftige Arbeitswelt notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des bulgarischen Ratsvorsitzes)

8


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

533. Plenartagung des EWSA, 14.3.2018-15.3.2018

2018/C 237/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Umgang mit illegalen Online-Inhalten — Mehr Verantwortung für Online-Plattformen (COM(2017) 555 final)

19

2018/C 237/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Halbzeitbewertung des Programms Copernicus (2014-2020)(COM(2017) 617 final)

26

2018/C 237/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Ein ausgewogenes System zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums als Antwort auf die gesellschaftlichen Herausforderungen von heute (COM(2017) 707 final), Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Leitfaden zu bestimmten Aspekten der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (COM(2017) 708 final), Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über den Umgang der EU mit standardessenziellen Patenten (COM(2017) 712 final)

32

2018/C 237/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschung und Ausbildung (2019-2020) in Ergänzung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020(COM(2017) 698 final — 2017/312 (NLE))

38

2018/C 237/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über einen Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer — Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum (COM(2017) 566 final), Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 hinsichtlich des zertifizierten Steuerpflichtigen (COM(2017) 567 final — 2017/0248 (CNS)), Vorschlag für eine Durchführungsverordnung des Rates zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 hinsichtlich bestimmter Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen (COM(2017) 568 final — 2017/0249 (NLE)) und Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Harmonisierung und Vereinfachung bestimmter Regelungen des Mehrwertsteuersystems und zur Einführung des endgültigen Systems der Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten (COM(2017) 569 final — 2017/0251 (CNS))

40

2018/C 237/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Vollendung der Bankenunion (COM(2017) 592 final)

46

2018/C 237/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/825 zur Erhöhung der Finanzausstattung des Programms zur Unterstützung von Strukturreformen und zur Anpassung seines übergeordneten Ziels (COM(2017) 825 final — 2017/0334 (COD)) und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds, sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates in Bezug auf die Unterstützung von Strukturreformen in den Mitgliedstaaten (COM(2017) 826 final — 2017/0336 (COD))

53

2018/C 237/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (COM(2017) 677 final — 2017/0305 (NLE))

57

2018/C 237/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Gemeinsamen Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat — Neue Impulse für die Partnerschaft Afrika-EU [JOIN(2017) 17 final]

66

2018/C 237/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Bürgerinitiative(COM(2017) 482 final — 2017/0220 (COD))

74


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

533. Plenartagung des EWSA, 14.3.2018-15.3.2018

6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein sozial nachhaltiges Konzept zur Verbesserung des Lebensstandards, zur Förderung des Wachstums und der Beschäftigung sowie zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger im digitalen Zeitalter

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des bulgarischen EU-Ratsvorsitzes)

(2018/C 237/01)

Berichterstatterin:

Giulia BARBUCCI (IT-II)

Ersuchen des bulgarischen Ratsvorsitzes

Schreiben vom 5.9.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

23.2.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

15.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

187/16/10

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Bei allen politischen Maßnahmen der europäischen, einzelstaatlichen und lokalen Institutionen sollte neben der ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit auch der Faktor der sozialen Nachhaltigkeit berücksichtigt werden. Die jüngsten Vorschläge zur sozialen Dimension Europas (1), die auf dem Reflexionspapier der Europäischen Kommission und der europäischen Säule sozialer Rechte basieren, bieten eine neue Gelegenheit, die Nachhaltigkeit von Maßnahmen zu fördern, die auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene im Bereich inklusives Wachstum, Beschäftigung und Sozialpolitik ergriffen wurden. Der EWSA empfiehlt, dass die Vorschläge im aktuellen Arbeitsprogramm der Kommission — einschließlich des Pakets für soziale Gerechtigkeit, der Initiative für eine faire Besteuerung der digitalen Wirtschaft und der Reformen der WWU — zur Förderung der Nachhaltigkeit des europäischen Sozialmodells genutzt werden.

1.2

Bei der Folgenabschätzung der Maßnahmen im sozialen Bereich sollte im Hinblick auf deren soziale Nachhaltigkeit auf den bereits vorhandenen Überwachungssystemen und Indikatoren aufbauend eine immer größere Genauigkeit angestrebt werden. Der EWSA empfiehlt den Organen, die vorhandenen und die neuen Instrumente (ausgehend vom Scoreboard der Säule sozialer Rechte) auf ihre Effizienz hin zu überprüfen, um die Folgen der im Bereich der sozialen Rechte vorgeschlagenen politischen Maßnahmen für die Bürgerinnen und Bürger mit größerer Genauigkeit abschätzen zu können.

1.3

Der EWSA nimmt die vom Europäischen Parlament in seiner Entschließung vom 19. Januar 2017 zur europäischen Säule sozialer Rechte ausgesprochene Sorge bezüglich der notwendigen Verbesserung bestehender Arbeits- und Sozialstandards zur Kenntnis. Diesbezüglich wird der EWSA zu gegebener Zeit seinen Beitrag zu dem im Arbeitsprogramm der Kommission für 2018 enthaltenen Paket zur sozialen Gerechtigkeit leisten. Der EWSA unterstreicht darüber hinaus die Notwendigkeit von Rahmenbedingungen auf den Arbeitsmärkten, um neue und vielfältigere Berufswege zu unterstützen, die Beschäftigung zu erhöhen, die Standards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ganz Europa unabhängig von ihren Vertragsverhältnissen zu verbessern und für eine größere Konvergenz hin zu besseren Arbeits- und Lebensbedingungen zu sorgen, was auch zur Überwindung regionaler Unterschiede beitragen würde. Der EWSA unterstützt die Empfehlung des Europäischen Parlaments, dass die Kommission und die Sozialpartner zusammenarbeiten sollten, um einen Vorschlag für eine Rahmenrichtlinie über angemessene Arbeitsbedingungen in allen Beschäftigungsformen zu erarbeiten und bestehende Mindeststandards auf neue Beschäftigungsformen auszudehnen.

1.4

Der EWSA sieht eine klare Verbindung zwischen der Wettbewerbsfähigkeit, der Produktivität und sozialer Nachhaltigkeit: Alle Akteure müssen sich für ein inklusives Wachstum und gleichzeitig für die Schaffung günstiger Bedingungen für Unternehmen einsetzen mit dem Ziel, mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Beschäftigung ist und bleibt der wesentliche Faktor für die Schaffung von Wohlstand und Wohlergehen. Trotzdem muss wieder zur Geltung kommen, dass eine gerechtere Gesellschaft nur entstehen kann auf der Grundlage inklusiveren und nachhaltigen Wachstums und von Arbeitsplätzen mit dem Ziel, dass die Menschen angemessene Arbeitsbedingungen und eine existenzsichernde Entlohnung erhalten und ihre Rechte wahrnehmen können. Bei der Festlegung der politischen Maßnahmen zur Regulierung der Arbeitswelt und der sozialen Rechte müssen die Grundsätze Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Arbeitnehmerrechte wieder gleichberechtigt nebeneinander stehen.

1.5

Der Ausschuss ist sich bewusst, dass die Demokratie gefährdet sein kann, wenn die Menschen, die immer noch unter den Auswirkungen der Sparmaßnahmen leiden, nicht an dem durch Wachstum erzeugten Wohlstand und an der Produktivitätssteigerung dank der Digitalisierung teilnehmen können.

1.6

Der EWSA empfiehlt, wie schon in anderen Stellungnahmen, weitere Anstrengungen zur Überwindung der regionalen Unterschiede bei den Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union zu unternehmen. Die Aufwärtskonvergenz darf nicht nur ein Slogan, sondern muss ein übergreifender Grundsatz sein, den es in allen Politikbereichen der Union, angefangen im Finanz- und Wirtschaftsbereich, zu berücksichtigen und umzusetzen gilt. Eine echte Integration kann es nicht geben, solange zwischen den europäischen Bürgerinnen und Bürgern so große Differenzen bei den Gehältern und der effektiven Nutzung sozialer Rechte bestehen. In diesem Bereich spielen die Strukturfonds eine wesentliche Rolle, die noch stärker auf die Überwindung regionaler Unterschiede ausgerichtet werden sollten.

1.7

Der EWSA begrüßt Initiativen wie die Jugendgarantie, die Weiterbildungspfade und die Initiativen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit mit Nachdruck und fordert die europäischen und einzelstaatlichen Institutionen auf, für angemessene Ressourcen zu sorgen, um Übergänge zu erleichtern und zu beschleunigen und insbesondere für die am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen ein kontinuierliches Einkommen auf angemessene Art und Weise sicherzustellen (2). Er empfiehlt auch, die richtigen Bedingungen zu schaffen, um mittels sozialer Sicherungssysteme und anderer begleitender Maßnahmen, die die Bedürfnisse von Arbeitnehmern und Unternehmen berücksichtigen, Wettbewerbsfähigkeit, die Schaffung von Arbeitsplätzen und reibungslose Übergänge zwischen Beschäftigungsverhältnissen zu garantieren.

1.8

Der EWSA empfiehlt den Sozialpartnern, ein auf allen Ebenen inklusives Tarifvertragssystem zu entwickeln und hält sie dazu an, (auch im Rahmen des nächsten Arbeitsprogramms der EU-Sozialpartner) neue Maßnahmen für den Zugang von Frauen zu digitalen Arbeitsplätzen zu erwägen, um das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen zu beseitigen, den Mutterschutz entschlossen und mit angemessenen Mitteln durchzusetzen und Bedingungen für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt zu schaffen. Des Weiteren empfiehlt der EWSA den Institutionen auf allen Ebenen, den Sozialpartnern und der organisierten Zivilgesellschaft, aufeinander abgestimmte Maßnahmen für die Sicherstellung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen umzusetzen.

1.9

Der EWSA ist auch der Auffassung, dass soziale Nachhaltigkeit auf fairen und effektiven Möglichkeiten für lebenslanges Lernen ab der frühen Kindheit gründet, insbesondere angesichts des potenziellen Ausschlusses breiter Teile der Bevölkerung infolge der digitalen Ausgrenzung. Der EWSA hält die politischen Entscheidungsträger dazu an, Maßnahmen zur Bekämpfung des Qualifikationsdefizits in Schlüsselbereichen der digitalen Wirtschaft zu erwägen, da diese Qualifikationen für Exzellenz und zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit von zentraler Bedeutung sind. Wesentlich ist auch, Kurse zur Vermittlung digitaler Kompetenzen für all jene Menschen anzubieten, die im Zuge der Digitalisierung Gefahr laufen, von sozialen Rechten und Diensten — zumal grundlegender Natur — ausgegrenzt zu werden. Der EWSA empfiehlt daher allen Sozialpartnern und Institutionen, zusammen mit der organisierten Zivilgesellschaft rechtzeitig entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Die Behörden auf allen Ebenen müssen gewährleisten, dass eine angemessene digitale Infrastruktur verfügbar ist und zu verstärkter Inklusion führt, um eventuelle territoriale bzw. umfeldspezifische Ungleichheiten zu beseitigen.

2.   Das Konzept der sozialen Nachhaltigkeit im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung

2.1

In dieser Sondierungsstellungnahme wird das Konzept der sozialen Nachhaltigkeit in einem ganzheitlichen Ansatz — von der Definition des Begriffs bis hin zu den Auswirkungen auf die politischen Maßnahmen im sozialen, beschäftigungsbezogenen und wirtschaftlichen Bereich — untersucht.

2.2

Die Folgen der Globalisierung, das schwere Erbe der Wirtschaftskrise, die sinkende Geburtenrate und die damit verbundene Alterung der europäischen Bevölkerung sowie das schwache Wirtschaftswachstum in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind wichtige Elemente zum Verständnis der heutigen sozialen Herausforderungen.

2.3

Zahlreiche sozioökonomische Indikatoren weisen darauf hin, dass die vor allem auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise zwar einerseits die Eindämmung der durch globale Faktoren verursachten Instabilität beabsichtigt, aber andererseits die Ungleichheiten vergrößert und (auch in geografischer Hinsicht) neue Ungleichgewichte zwischen den sozialen Schichten, den Geschlechtern und den Generationen geschaffen haben. Die Institutionen müssen daher zusammen mit den Sozialpartnern und der organisierten Zivilgesellschaft auf allen Ebenen tätig werden und politische Maßnahmen ergreifen, um diese Ungleichgewichte und Ungleichheiten zu verringern, vor allem durch mehr Beschäftigung auf der Grundlage nachhaltigen und inklusiveren Wachstums.

2.4

Das Konzept der Nachhaltigkeit kennt drei wesentliche Aspekte: ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Diese drei Komponenten sind in den europäischen Verträgen verankert und finden Ausdruck im Konzept der nachhaltigen Entwicklung, das der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung zugrunde liegt. Eurostat stellt im Überblick über die Fortschritte bei der Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung in der EU fest, dass zwar bei der generellen Umsetzung der Umweltziele erhebliche Fortschritte gemacht wurden (Ziel 7: Erschwingliche und erneuerbare Energie, Ziel 12: Verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster, SDG 15: Leben an Land, Ziel 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden), wenngleich der Fortschritt im Hinblick auf die eher sozialen Ziele nur sehr bescheiden war (Ziel 4: Hochwertige Bildung, Ziel 5: Geschlechtergleichheit, Ziel 8: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, Ziel 1: Keine Armut, Ziel 2: Kein Hunger und Ziel 10: Weniger Ungleichheiten).

2.5

Im Allgemeinen wird soziale Nachhaltigkeit definiert als Fähigkeit, für alle Menschen, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung und Geschlechtszugehörigkeit, die gleichen Bedingungen für ihr Wohlergehen zu garantieren (Sicherheit, Gesundheit, Bildung, Demokratie, Teilhabe, Recht). Es muss jedoch betont werden, dass dieses Konzept je nach Kontext unterschiedlich ausgestaltet sein kann. Die soziale Nachhaltigkeit muss in gleichem Maße wie die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit eingeführt und umgesetzt werden und auf Verringerung der Ungleichheiten abzielen.

2.6

Bei der Festlegung der makroökonomischen Politik wurde die soziale Nachhaltigkeit in den letzten Jahren oft fälschlicherweise als Gegensatz zur wirtschaftlichen und finanziellen Nachhaltigkeit gesehen. Ein Beispiel dafür sind die infolge der Finanz- und späteren Wirtschaftskrise von 2007/2008 von den europäischen Institutionen geförderten und von den einzelstaatlichen Regierungen umgesetzten Strukturreformen. Weder die Institutionen noch die Sozialpartner sollten einen Gegensatz zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit herstellen. So hat sich z. B. gezeigt, dass in Sachen Nachhaltigkeit fortschrittlichere Unternehmen im Allgemeinen auch international wettbewerbsfähiger sind. Außerdem sollte die EU die Globalisierung in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung zum Vorteil sowohl von Unternehmen als auch Arbeitnehmern lenken.

2.7

Was die Rolle der Unternehmen betrifft, kommt KMU eine besonders wichtige Aufgabe zu beim Erzielen eines nachhaltigen und inklusiven Wachstums, das auf der Schaffung auskömmlicher Arbeitsplätze und der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit bei gleichzeitiger Beachtung der sozialen Nachhaltigkeit basiert.

2.8

Die globale Agenda für nachhaltige Entwicklung 2030 und ihre 17 Ziele bilden den Rahmen, in dem Innovation und nachhaltige Entwicklung durch die Verknüpfung von globalen und nationalen Initiativen miteinander vereinbar gemacht werden. Die fehlende Nachhaltigkeit des aktuellen Entwicklungsmodells in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht wird hierbei ausdrücklich verurteilt und die Vorstellung verworfen, dass Nachhaltigkeit nur die Umwelt betrifft. Stattdessen wird eine umfassende, alle Dimensionen der Entwicklung umfassende Vision bekräftigt. Die Umsetzung der Agenda erfordert neben effektiven Evaluierungsmaßnahmen ein starkes Engagement aller gesellschaftlichen Kräfte: Institutionen, Sozialpartner, organisierte Zivilgesellschaft sowie Forschung und Universitäten.

2.9

Der EWSA hat mehrmals gefordert, dass die Finanzpolitik und die makroökonomische Politik zum einen und die sozialen Rechte zum anderen wirksam miteinander verknüpft werden müssen, und auf die mangelnde Einhaltung dieser Rechte hingewiesen, was zu wachsenden Ungleichheiten in der Union führt. Insbesondere sollte die soziale Nachhaltigkeit explizit in die laufende Debatte um die Vorschläge zur künftigen Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion und den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) einfließen. Bei der Folgenabschätzung der im sozialen Bereich getroffenen Maßnahmen sollte deren soziale Nachhaltigkeit mithilfe der bereits vorhandenen Überwachungssysteme und Indikatoren mit größerer Genauigkeit bewertet werden.

2.10

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Organe auch die Aufgabe haben, die bereits vorhandenen sowie die neuen Instrumente (wie das Scoreboard der europäischen Säule sozialer Rechte) zu evaluieren und auf ihre Effizienz hin zu überprüfen, um die Folgen der im Bereich soziale Rechte vorgeschlagenen politischen Maßnahmen für die Bürgerinnen und Bürger mit einer gewissen Genauigkeit abschätzen zu können.

2.11

Um die regionalen Unterschiede innerhalb der Union, die sich in einigen Fällen durch die Wirtschaftskrise verschärft haben, zu überwinden, sollten u. a. neue und effizientere Strategien zur Ressourcennutzung gefördert und dazu insbesondere die europäischen Struktur- und Investitionsfonds genutzt werden, die vorrangig nachhaltiges Wachstum und hochwertige Arbeitsplätze fördern sollten. Der EWSA hat sich bereits in seiner Stellungnahme zum Thema „Auswirkungen von Sozialinvestitionen auf die Beschäftigung und die öffentlichen Haushalte“ (3) für ein europäisches Konjunktur- und Investitionsprogramm in Höhe von 2 % des BIP und eine stärkere Fokussierung auf soziale Investitionen ausgesprochen. Neue Finanzmittel müssen in Ergänzung der bestehenden europäischen Struktur- und Investitionsfonds für dieses Investitionsprogramm bereitgestellt werden.

3.   Das europäische Sozialmodell: Nachhaltigkeit und Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen

3.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass das europäische Sozialmodell ein einzigartiger, wertvoller Bestandteil der europäischen Identität ist und über die bestehenden Wohlfahrtssysteme einen hohen Sozialschutz und Bürgerrechte für alle garantiert. Der EWSA ist daher der Meinung, dass es nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr ausgebaut werden sollte. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass mit den politischen Maßnahmen der Union eine stetige Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Unionsbürger in allen Bereichen, wie seit der Gründung der Union in den Verträgen vorgesehen, gewährleistet wird.

3.2

Das aktuelle Arbeitsprogramm der Kommission umfasst Initiativen wie das Paket zu sozialer Gerechtigkeit (Social fairness package) und die Initiative für eine faire Besteuerung der digitalen Wirtschaft; Maßnahmen zur Reform der WWU werden bereits umgesetzt. Der EWSA empfiehlt, diese Vorschläge auf die Förderung der Nachhaltigkeit des europäischen Sozialmodells (4) auszurichten.

3.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass bei der Festlegung der Arbeitsmarktpolitik ein gerechter Kompromiss zwischen sozialer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit gefunden werden muss. Im letzten Jahrzehnt sind die Unterschiede und Ungleichheiten zwischen den Unionsbürgern beim Zugang zu Leistungen der Sozialfürsorge und bezüglich der Möglichkeit des Zugangs zum Arbeitsmarkt gewachsen, und es ist eine Zunahme von atypischen Arbeitsformen festzustellen (wie aus den Statistiken deutlich hervorgeht). Dies hat in der europäischen Öffentlichkeit zu einem größeren Gefühl der Unsicherheit im Hinblick auf die mögliche Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen geführt. Insbesondere bei jungen Menschen und Frauen sowie bei allen Risikogruppen ist diese Wahrnehmung gestiegen. Der EWSA hält es daher für essenziell, die Integration von Migranten in die Arbeitswelt zu fördern, da ihr Beitrag zu den Sozialversicherungssystemen in vielen Fällen für die Stabilität der Systeme der sozialen Sicherheit und der sozialen Netze entscheidend ist.

3.4

Der EWSA nimmt die vom Europäischen Parlament in seiner Entschließung vom 19. Januar 2017 zur europäischen Säule sozialer Rechte ausgesprochene Sorge bezüglich der notwendigen Verbesserung bestehender Arbeits- und Sozialstandards zur Kenntnis. Diesbezüglich wird der EWSA zu gegebener Zeit seinen Beitrag zu dem im Arbeitsprogramm der Kommission für 2018 enthaltenen Paket zur sozialen Gerechtigkeit leisten. Der EWSA unterstreicht darüber hinaus die Notwendigkeit von Rahmenbedingungen auf den Arbeitsmärkten, um neue und vielfältigere Berufswege zu unterstützen, die Beschäftigung zu erhöhen, die Standards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ganz Europa unabhängig von ihren Vertragsverhältnissen zu verbessern und für eine größere Konvergenz hin zu besseren Arbeits- und Lebensbedingungen zu sorgen; dies würde auch zur Überwindung regionaler Unterschiede beitragen. Der EWSA unterstützt die Empfehlung des Europäischen Parlaments, dass die Kommission und die Sozialpartner zusammenarbeiten sollten, um einen Vorschlag für eine Rahmenrichtlinie über angemessene Arbeitsbedingungen in allen Beschäftigungsformen zu erarbeiten und bestehende Mindeststandards auf neue Beschäftigungsformen auszudehnen.

3.5

Der EWSA hat sich in zahlreichen Stellungnahmen mit dem Phänomen der Digitalisierung und ihren Auswirkungen auf die Organisation der Arbeit und die Beschäftigung (5) befasst. Wir sollten uns jedoch nicht darauf beschränken, Digitalisierung nur im Kontext von Beschäftigung und Arbeitsmarkt zu sehen. Die zunehmende Nutzung digitaler Ausrüstungen hat unseren Alltag tiefgreifend verändert: im persönlichen und sozialen Umfeld sowie im Verhältnis zur Politik, in der ehrenamtlichen Tätigkeit und im Bürgerengagement. Die EU sollte Maßnahmen in Bezug auf die frühkindliche Erziehung und lebenslanges Lernen insbesondere in den Bereichen der digitalen Kompetenzen fördern, um das Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und Qualifikationsnachfrage zu beseitigen. Die Bildungssysteme einschließlich der Hochschulbildung, der beruflichen Bildung und des lebenslangen Lernens müssen Exzellenz anstreben, damit europäische Ideen, Waren und Dienstleistung eine Führungsrolle in Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit spielen können.

3.6

Der EWSA hat in mehreren Stellungnahmen betont, dass die Bedürfnisse von sozial gefährdeten Bevölkerungsgruppen besonders berücksichtigt werden müssen. Inklusive Sozialschutzsysteme sind wichtig, bei denen schutzbedürftigen Menschen und ihren Familien besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, um ein Leben in Würde sicherzustellen und geförderte, auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnittene Arbeitsplätze zu schaffen und zu wahren.

3.7

Menschen mit Behinderungen stehen im Zentrum des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie der Europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen. Der EWSA empfiehlt, alles zu unternehmen, um in allen acht Schwerpunktbereichen mit Maßnahmen zur Erreichung der in dem UN-Übereinkommen gesteckten Ziele wesentliche Fortschritte zu erreichen: Zugänglichkeit, Teilhabe, Gleichstellung, Beschäftigung, Bildung, sozialer Schutz, Gesundheit und Förderung der Rechte von Menschen mit Behinderungen auf internationaler Ebene. Da sich die Digitalisierung auf alle Bereiche des täglichen Lebens auswirkt, fordert der EWSA, Menschen mit Behinderungen besonders zu beachten, da sie vom digitalen Wandel mit großer Wahrscheinlichkeit betroffen sein werden. Die Europäische Union sollte die zahlreichen Möglichkeiten zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit und des Zugangs zu angemessener Beschäftigung für Menschen mit Behinderungen nutzen. Dies würde sie auch in die Lage versetzen, zu den Sozialschutzsystemen beizutragen. Der EWSA fordert daher, die Voraussetzungen für eine aktivere Nutzung der Instrumente der lebenslangen Ausbildung und Umschulung von Menschen mit Behinderungen in den neuen digitalen Berufen zu schaffen.

3.8

Der EWSA hält es für äußerst wichtig, das Thema soziale Nachhaltigkeit in der europäischen Politik im Hinblick auf junge Menschen und die Zukunft des europäischen Sozialmodells zu berücksichtigen. Nur wenn die Europäische Union ihr Augenmerk verstärkt auf die Zukunft des europäischen Sozialmodells und seine Nachhaltigkeit legt, kann der wachsenden Skepsis junger Menschen gegenüber den Institutionen (dessen besorgniserregendstes Symptom der hohe Anteil der Nichtwähler ist), gegenüber der organisierten Zivilgesellschaft, gegenüber den Parteien und den Gewerkschaften begegnet und der Zulauf zu euroskeptischen und rechtsextremistischen Bewegungen bekämpft werden. Der EWSA empfiehlt den europäischen Organen und den einzelstaatlichen Regierungen, Initiativen zur Schaffung und qualitativen Verbesserung von Arbeitsplätzen für junge Menschen, zur Unterstützung der Mobilität junger Menschen, zur Sicherstellung von Perspektiven für existenzsichernde Sozialleistungen und zur Förderung der Bildung und des lebenslangen Lernens auf allen Ebenen umzusetzen. Initiativen wie Erasmus+, die Jugendgarantie und alle anderen Maßnahmen im Rahmen der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen (Youth Employment Initiative) müssen angemessen finanziert und umgesetzt werden.

3.9

Der EWSA hält es für wesentlich, die soziale Nachhaltigkeit der Einkommen, insbesondere für Menschen im Ruhestand, sicherzustellen. Es ist wichtig, dass die Sozialschutzsysteme (6) für angemessene Lebensbedingungen sorgen und verhindern, dass Menschen unter die Armutsgrenze rutschen. Der EWSA hat bereits in mehreren Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass die Altersversorgungssysteme auf der Solidarität zwischen den Generationen basieren müssen. Für den EWSA ist es ein zentrales Anliegen, nicht nur die Vielfalt der nationalen Systeme zu berücksichtigen, sondern auch mehr Beschäftigung zu schaffen, was zur Sicherstellung angemessen finanzierter Sozialschutzsysteme beiträgt. Menschen in allen Arten von Vertragsverhältnissen einschließlich der sogenannten neuen Formen der Arbeit im Zusammenhang mit der Digitalisierung sollten Zugang zu Sozialschutzsystemen haben und auch Beiträge dazu leisten (7).

3.10

In den jüngsten Initiativen im Bereich Beschäftigung hat die Europäische Kommission großes Augenmerk auf das Thema der Übergänge gerichtet. Einer der eher besorgniserregenden Trends der letzten Jahre bestand darin, dass zwischen dem Ende der Ausbildung und dem Antritt der ersten Arbeitsstelle immer mehr Zeit vergeht, zumal wenn dabei das erste stabile Beschäftigungsverhältnis berücksichtigt wird. Zudem hat sich die Situation auch für Langzeitarbeitslose und Personen nahe des Renteneintrittsalters verschlechtert. Der EWSA begrüßt nachdrücklich Initiativen wie die Jugendgarantie, die Weiterbildungspfade und die Förderung der Lehre als einer der wichtigsten Möglichkeiten des Zugangs zum Arbeitsmarkt im Rahmen der Europäischen Ausbildungsallianz sowie die Maßnahmen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Er fordert daher die europäischen und einzelstaatlichen Institutionen auf, für ausreichend Ressourcen und die erforderlichen Schulungen zu sorgen, um Übergänge zu erleichtern und zu beschleunigen und die Einkommenssicherheit, insbesondere für die am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen sowie für solche mit Umschulungsproblemen, angemessen sicherzustellen und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen. Er empfiehlt auch, die richtigen Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen zu schaffen, um gleichzeitig mittels sozialer Sicherungssysteme und anderer begleitender Maßnahmen, die die Bedürfnisse von Arbeitnehmern und Unternehmen berücksichtigen, reibungslose Übergänge zwischen Beschäftigungsverhältnissen zu garantieren.

3.11

Der EWSA ist der Ansicht, dass die vollständige Gleichstellung von Frauen und Männern ein Eckpfeiler der sozialen Nachhaltigkeit ist. Er nimmt jedoch zur Kenntnis, dass die Ungleichheiten in diesem Bereich laut den Zahlen von Eurostat und vielen anderen zur Verfügung stehenden Indikatoren immer noch inakzeptabel sind und nicht nur einen Verstoß gegen die in den Verträgen enthaltenen Grundsätze der Gleichbehandlung darstellen, sondern auch ein ernst zu nehmendes Hindernis für die umfassende wirtschaftliche Entwicklung der Union sind. Der EWSA begrüßt daher die kürzlich in diesem Bereich ergriffenen Initiativen, ausgehend vom Aktionspaket der Kommission zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf, und empfiehlt den Sozialpartnern, ein auf allen Ebenen inklusives Tarifvertragssystem zu entwickeln und neue Instrumente zu erwägen (auch im Rahmen des nächsten Arbeitsprogramms der EU-Sozialpartner), um die Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern zu beseitigen, energisch und mit angemessenen Mitteln für den Mutterschutz einzutreten und Bedingungen für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt zu schaffen. Des Weiteren empfiehlt der EWSA den Institutionen auf allen Ebenen, den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft, aufeinander abgestimmte Maßnahmen für die Sicherstellung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen umzusetzen.

3.12

In zahlreichen Studien und Untersuchungen werden die neuen sozialen Risiken im Zusammenhang mit den Folgen der Globalisierung und der Digitalisierung für die Arbeitswelt analysiert. Der EWSA teilt die Sorgen in Verbindung mit der zunehmenden Fragmentierung der Arbeit, der Automatisierung und Digitalisierung. Gleichzeitig hält er diese Prozesse, wenn sie gut gesteuert werden, für eine Chance, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, die Belastung durch schwere Arbeiten zu verringern und besonders komplexe Aufgaben zu vereinfachen.

3.13

Verbraucherschutz spielt im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit ebenfalls eine wichtige Rolle, da sich die Rolle der Verbraucher im Zuge der Digitalisierung ebenfalls verändert. Die europäische sollte Politik in diesem Kontext stets aktualisiert sein, Maßnahmen für eine wirksame Lösung verbraucherspezifischer Probleme gewährleisten und besonderes Augenmerk auf die von der Digitalisierung verursachten Veränderungen in Bereichen wie Verkehr, Energie und Finanzdienstleistungen legen.

3.14

Die neuen Ungleichheiten und sozialen Risiken im digitalen Zeitalter könnten sich auch aus dem Phänomen der digitalen Ausgrenzung ergeben, das heißt, einige Bevölkerungsgruppen verfügen eventuell nicht über die notwendigen IT-Kompetenzen und die grundlegende digitale Kompetenz, um auf zum Teil essenzielle Informationen und Dienste zugreifen zu können. Der EWSA ist der Auffassung, dass soziale Nachhaltigkeit auch auf fairen und effektiven Möglichkeiten für lebenslanges Lernen ab der frühen Kindheit gründet. Dies ist insbesondere für Menschen mit Behinderungen eine Grundvoraussetzung, vor allem in den neuen digitalen Berufen. Dabei muss auch die potenzielle Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen (insbesondere älterer Menschen, in Randgebieten oder in Armut lebender Personen, Migranten, Geringqualifizierte usw.) bedacht werden, die dem Phänomen der digitalen Ausgrenzung geschuldet ist. Im digitalen Zeitalter müssen der Zugang zum Internet und Kurse zur Vermittlung digitaler Kompetenz für all jene bereitgestellt werden, die Gefahr laufen, von sozialen Rechten und Diensten — insbesondere grundlegenden Rechten und Diensten — ausgegrenzt zu werden. Der EWSA empfiehlt daher allen Sozialpartnern und Institutionen, zusammen mit der organisierten Zivilgesellschaft rechtzeitig entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Brüssel, den 15. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145.

(2)  ABl. C 170 vom 5.6.2014, S. 23.

(3)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 21.

(4)  ABl. C 51 vom 17.2.2011, S. 20.

(5)  SOC/570 (siehe Seite 8 dieses Amtsblatts); ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 7; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 36; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30; ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 45; ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 54; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 74.

(6)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 40.

(7)  ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 7; ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 38; ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 66.


Anlage

Folgende abgelehnte Änderungsanträge zu den Ziffern 1.3 und 3.4 erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:

Ziffer 1.3:

Ändern:

 

1.3.

Der EWSA nimmt die vom Europäischen Parlament in seiner Entschließung vom 19. Januar 2017 zur europäischen Säule sozialer Rechte ausgesprochene Sorge bezüglich der notwendigen Verbesserung bestehender Arbeits- und Sozialstandards zur Kenntnis. Diesbezüglich wird der EWSA zu gegebener Zeit seinen Beitrag zu dem im Arbeitsprogramm der Kommission für 2018 enthaltenen Paket zur sozialen Gerechtigkeit leisten. Der EWSA unterstreicht darüber hinaus die Notwendigkeit von Rahmenbedingungen auf den Arbeitsmärkten, um neue und vielfältigere Berufswege zu unterstützen, die Beschäftigung zu erhöhen, die Standards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ganz Europa unabhängig von ihren Vertragsverhältnissen zu verbessern und für eine größere Konvergenz hin zu besseren Arbeits- und Lebensbedingungen zu sorgen, was auch zur Überwindung regionaler Unterschiede beitragen würde. Der EWSA wird seine Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Rahmenrichtlinie über angemessene Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union verabschieden.

Begründung

Erfolgt mündlich.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen

72

Nein-Stimmen

121

Enthaltungen

9

Ziffer 3.4:

Ändern:

 

3.4.

Der EWSA nimmt die vom Europäischen Parlament in seiner Entschließung vom 19. Januar 2017 zur europäischen Säule sozialer Rechte ausgesprochene Sorge bezüglich der notwendigen Verbesserung bestehender Arbeits- und Sozialstandards zur Kenntnis. Diesbezüglich wird der EWSA zu gegebener Zeit seinen Beitrag zu dem im Arbeitsprogramm der Kommission für 2018 enthaltenen Paket zur sozialen Gerechtigkeit leisten. Der EWSA unterstreicht darüber hinaus die Notwendigkeit von Rahmenbedingungen auf den Arbeitsmärkten, um neue und vielfältigere Berufswege zu unterstützen, die Beschäftigung zu erhöhen, die Standards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ganz Europa unabhängig von ihren Vertragsverhältnissen zu verbessern und für eine größere Konvergenz hin zu besseren Arbeits- und Lebensbedingungen zu sorgen, was auch zur Überwindung regionaler Unterschiede beitragen würde. Der EWSA wird seine Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Rahmenrichtlinie über angemessene Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union verabschieden.

Begründung

Erfolgt mündlich.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen

72

Nein-Stimmen

121

Enthaltungen

9


6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Zukunft der Arbeit — Aneignung der für die künftige Arbeitswelt notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des bulgarischen Ratsvorsitzes)

(2018/C 237/02)

Berichterstatterin:

Cinzia DEL RIO (IT/II)

Mitberichterstatterin:

Milena ANGELOVA (BG/I)

Ersuchen des bulgarischen Ratsvorsitzes

Schreiben vom 5.9.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

23.2.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

15.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

218/0/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die fortschreitende und sich rasch entwickelnde Einführung neuer Technologien, die Digitalisierung und die Robotisierung in der Wirtschaft, aber auch im öffentlichen Sektor, haben folgenschwere Auswirkungen auf die Produktionssysteme, die Arbeitsbedingungen und die Organisationsmodelle des Arbeitsmarktes und der Gesellschaft im Allgemeinen.

1.2.

Die neue industrielle Revolution hat das Potenzial, die Produktivität sowie die Lebens- und Arbeitsplatzqualität zu verbessern, wenn sie mit einem soliden Mix von politischen Maßnahmen für integratives und nachhaltiges innovationsorientiertes Wachstum einhergeht. Dies wird erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigung haben: Neue Arbeitsplätze werden entstehen, bereits vorhandene werden sich verändern und andere wiederum werden rasch ersetzt werden. Eine gute allgemeine Grundbildung, eine hochwertige und effektive berufliche Bildung, lebensbegleitendes Lernen, Weiter- und Neuqualifizierung werden die notwendigen Instrumente sein, um die Beschäftigungschancen der Zukunft zu nutzen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu fördern.

1.3.

Um auf diesen raschen technischen und digitalen Wandel vorbereitet zu sein und reagieren zu können, fordert der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips gezielte Strategien zu konzipieren und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung zu verbessern und angemessen anzupassen, nationale Qualifizierungsstrategien mitzugestalten und das Recht auf geeignete Qualifizierungsmaßnahmen für Menschen aller Altersgruppen sowie Arbeitnehmer und Beschäftigte aller Branchen anzuerkennen, und zwar durch:

als ersten Schritt die Sicherstellung eines gleichberechtigten Zugangs aller EU-Bürger zu hochwertiger frühkindlicher Bildung,

die Aufstellung neuer gemeinsamer Vorgaben für die allgemeine und berufliche Bildung, um die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu verringern und den Zusammenhalt zu stärken,

die Neuausrichtung der allgemeinen und beruflichen Bildung und die Stärkung der Berufsbildungssysteme, um den raschen Erwerb der erforderlichen Kompetenzen sicherzustellen,

die Unterstützung von Tarifverhandlungen und des sozialen Dialogs im Einklang mit den jeweiligen nationalen Systemen der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern, damit der Qualifikationsbedarf frühzeitig abgeschätzt werden kann, die Qualifikationen dem technischen und digitalen Fortschritt angepasst und Möglichkeiten der Ausbildung am Arbeitsplatz geschaffen werden können,

die Förderung des Zusammenwirkens von Bildungseinrichtungen und Unternehmen,

den Start einer Qualifizierungsoffensive als Abstützungsmaßnahme zur zunehmenden Digitalisierung unserer Arbeitsmärkte,

die Entwicklung neuer Maßnahmen (etwa ergebnisorientierte Anreize, Schaffung neuer Überwachungsmechanismen zur Bewertung der Ergebnisse im Bereich des digitalen und lebensbegleitenden Lernens, Austausch der Erfassung vorbildlicher nationaler Verfahren in Sachen Zugang und Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, Bildungsurlaub usw. und deren Ausdehnung auf EU-Ebene), damit alle von Ausbildungsprogrammen erfasst werden, sowohl Arbeitssuchende als auch Arbeitnehmer, wobei geringqualifizierten und erwachsenen Arbeitnehmern besondere Aufmerksamkeit gelten muss,

die Gewährleistung des Angebots von Qualifizierungsmaßnahmen und die Teilnahme daran für alle dergestalt, dass sich die Leistung der Unternehmen und die persönliche und berufliche Entwicklung der Arbeitnehmer verbessern, und zwar auch bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen (1); im Idealfall sollte geprüft werden, ob ein solcher individueller Weiterbildungsanspruch übertragbar sein sollte, ob er also zu einem anderen Arbeitgeber bzw. in ein anderes Land mitgenommen werden kann,

die Prüfung, ob Maßnahmen zur Verankerung des Rechts auf bezahlten Bildungsurlaub erforderlich sind und, wenn ja, welche, sowie des Bedarfs an europäischen Maßnahmen, um gute Erfahrungen mit Mindeststandards für einen Anspruch auf Bildungsurlaub als gängige Praxis in einigen Mitgliedstaaten zu verallgemeinern (2),

die Einrichtung eines einheitlichen europäischen Systems der Evaluierung und Validierung der Ergebnisse des nichtformalen und informellen Lernens,

spezifische und gezielte Investitionen auf EU-Ebene zur Begleitung des Wandels und Aufstellung neuer ergebnisabhängiger Kriterien für die Zuweisung dieser Mittel,

die Förderung des beruflichen Austauschs zwischen Unternehmen zur Förderung von Möglichkeiten des Austauschs von Wissen („Brain Exchange“) und zur Schaffung von Plattformen für den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren.

1.4.

Der Schlüssel für künftige Erfolge liegt in der Komplementarität von Kompetenzen, nicht nur digitalen, sondern auch grundlegenden, fachlichen und persönlichen Kompetenzen (soft skills), die leistungsfähige schulische Bildungssysteme und gut ausgebildete Lehrer erfordern. Allerdings muss bei den neuen Formen der Arbeit, die durch die Zusammenführung materieller Produktionsprozesse und digitaler Technologien gekennzeichnet sind, darauf geachtet werden, dass der Mensch nach wie vor im Mittelpunkt steht.

1.5.

Schließlich fordert der EWSA die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Wege zu suchen, wie besonders gefährdete Menschen, die nicht in der Lage sind, auf die Veränderungen und die wachsenden Anforderungen des Zeitalters der neuen Technologien zu reagieren, mitgenommen werden können, anstatt sie zurückzulassen.

2.   Einleitung

2.1.

Die Digitalisierung, die Automatisierung sowie neue Wirtschaftsmodelle wie die Industrie 4.0, die Kreislaufwirtschaft und die Wirtschaft des Teilens (Sharing Economy) haben zu neuen Formen der Arbeit geführt, die durch die Zusammenführung materieller Produktionsprozesse und digitaler Technologien gekennzeichnet sind, die sowohl offline als auch online ausgeführt werden und die erhebliche Auswirkungen auf den Produktionsprozess in den Unternehmen, die Modelle für die Organisation des Arbeitsmarkts, die Arbeitsbedingungen, die Dauer der Arbeitsverträge, den Sozialschutz und das Arbeitsverhältnis haben.

2.2.

Die neuen Technologien und die Digitalisierung können das Privatleben und die Arbeitsbedingungen verbessern und für eine bessere Vereinbarkeit von beiden sorgen, die Produktivität steigern und überhaupt zur verstärkten Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze führen, wenn sie entsprechend von einem gerechten Konzept in Bezug auf die anstehenden Veränderungen und einem soliden Mix politischer Maßnahmen zur Förderung eines inklusiven und nachhaltigen innovationsorientierten Wachstums begleitet werden. Einige bestehende Arbeitsplätze und Tätigkeitsbereiche werden sich weiterentwickeln; einige traditionelle Arbeitsplätze werden verschwinden, und es werden neue Tätigkeiten entstehen. Es sind drei Phänomene zu beobachten — Schaffung neuer Arbeitsplätze, Arbeitsplatzwandel und Ersetzung von Arbeitsplätzen —, die in unterschiedlicher Kombination und Intensität in allen Sektoren auftreten (3).

2.3.

Die Debatte darüber, ob diese neuen Rahmenbedingungen zu Arbeitsplatzverlusten oder -gewinnen führen werden, ist im Gange. Die OECD prognostiziert, dass es in einigen Branchen (Fertigung, Verkehr, Gesundheit, Hotel- und Gastgewerbe, Finanzen und Bildung) grundlegende Umwälzungen in Bezug auf die Beschäftigungs- und die Geschäftsmodelle geben wird. 9 % der Arbeitsplätze sind von Streichung bedroht, da mehr als 70 % der mit ihnen verbundenen Aufgaben automatisiert werden können. Weitere 25 % der Arbeitsplätze werden sich möglicherweise erheblich verändern, da mindestens die Hälfte der mit ihnen verbundenen Aufgaben automatisiert werden kann (4). Zugleich birgt die Digitalisierung das Potenzial zur Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht nur in der Industrieproduktion, sondern auch im Dienstleistungssektor. Das Ergebnis dieser Entwicklung wird letztlich von einer integrierten politischen Agenda, von öffentlichen Entscheidungen sowie von den Strategien abhängen, die zur Bewältigung der Herausforderungen im Zusammenhang mit neuen Produktionsverfahren und Geschäftsmodellen umgesetzt werden, vor allem in Bezug auf die Ausstattung junger Menschen mit den notwendigen Kompetenzen sowie von der beruflichen Ausbildung und der Weiter- und Neuqualifizierung von Arbeitsuchenden und Beschäftigten. Ob diese neuen Prozesse und die Digitalisierung am Ende zu mehr Beschäftigung führen, hängt davon ab, wie erfolgreich sich die Unternehmen und die Arbeitnehmer in der EU an die technologischen Entwicklungen anpassen, wie die Einführung und Nutzung von Technologien sowie Veränderungen der organisatorischen Strukturen gemeinsam von den Sozialpartnern bewältigt werden, wie die Aus- und Fortbildung von Arbeitnehmern erfolgt und inwieweit die EU und die Mitgliedstaaten in der Lage sein werden, günstige politische und rechtliche Rahmenbedingungen zur Wahrung der Interessen von sowohl Unternehmen als auch Erwerbstätigen zu schaffen (5). Der Beitrag und das Fachwissen der Sozialpartner werden hierbei eine entscheidende Rolle spielen, ebenso wichtig werden der soziale Dialog und die Tarifverhandlungen im Einklang mit nationalem Recht und nationaler Praxis sein.

2.4.

Die Herausforderungen bei den neuen Arbeitsformen liegen nicht mehr im Innovations- und Digitalisierungsbedarf, sondern darin, dass für eine angemessene und hochwertige allgemeine und berufliche Bildung für alle gesorgt werden muss, die so gestaltet ist, dass sie den Menschen den unverzüglichen Erwerb neuer Kenntnisse, Kompetenzen und Qualifikationen ermöglicht. Die Frage ist, wie wir Roboter und menschliche Intelligenz miteinander vereinbaren und sowohl bei der künstlichen Intelligenz als auch bei der Einführung der Digitalisierung in allen Wirtschaftssektoren, einschließlich der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette, einen auf den Menschen ausgerichteten Ansatz beibehalten (6).

2.5.

Eine der wichtigsten Fragen im Rahmen einer aktiven Arbeitsmarktpolitik und -regulierung ist daher die der Neuausrichtung der allgemeinen und beruflichen Bildung und des lebensbegleitenden Lernens einerseits entsprechend dem Bedarf der Arbeitgeber und Arbeitsmärkte und andererseits hin zu einer höheren und besseren Beschäftigungsfähigkeit auf einem sich rasch verändernden Arbeitsmarkt. Ferner stellt sich die Frage, wie der Inhalt von Aus- und Fortbildungspfaden zur Weiter- und Neuqualifizierung auch erwachsener Arbeitnehmer angepasst werden kann. Diese Herausforderung betrifft Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen und zwingt sie sowie die Institutionen des Arbeitsmarkts zu mehr Anstrengungen in den Bereichen Prognose, Planung, Finanzierung und Strategie.

2.6.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sich mit dem ernsten Problem der zunehmenden Zahl von Menschen zu befassen, denen die erforderlichen Bildungsvoraussetzungen fehlen, um mit dem Tempo des Wandels Schritt halten zu können, und denen deshalb die Gefahr droht, marginalisiert zu werden.

3.   Aktuelle Situation

3.1.

Vor dem Hintergrund des raschen Wandels in der Arbeitswelt steht die Frage der Kompetenzen, die sowohl im Rahmen der allgemeinen Bildung und der beruflichen Erstausbildung als auch im Rahmen des lebensbegleitenden Lernens erworben wurden, seit einiger Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der EU-Institutionen und der internationalen Organisationen und wird aus verschiedenen Blickpunkten geprüft. In dieser Stellungnahme werden nur Daten aus ihren neuesten Veröffentlichungen herangezogen.

3.2.

In einigen dieser Dokumente, die im Folgenden behandelt werden, wird die Frage der Produktivität untersucht, insbesondere zwei Faktoren: Kompetenzen und neue Muster der Arbeitsorganisation. In allen Dokumenten wird übereinstimmend die Meinung vertreten, dass eine der wichtigsten Herausforderungen, die sich mit der vierten industriellen Revolution für den Arbeitsmarkt stellt, in der Festlegung des neuen Kompetenzbedarfs der Arbeitnehmer bestehen wird. Einige Vorschläge und nützliche Beispiele bewährter Verfahren wurden in jüngster Zeit diskutiert. Der EWSA begrüßt die Initiative „IKT-Kompetenzen für Arbeitsplätze“ 2015/2016 sowie das Manifest für IKT-Kompetenzen, das die Europäische Kommission seinerzeit vorgelegt hat. Er begrüßt die zehn genannten Grundprinzipien als geeignete Leitlinien für künftige Maßnahmen im digitalen Bereich (7) und bekräftigt die Schlussfolgerungen seiner einschlägigen letzten Stellungnahmen (8). Die neue europäische Agenda für Kompetenzen (9) wiederum leitete die Überprüfung des EU-Referenzrahmens für Schlüsselkompetenzen sowie des Manifests für IKT-Kompetenzen vom Dezember 2016 ein, wobei die Überprüfung und Aktualisierung der digitalen Kompetenzen ein wichtiges Element ist. Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission vor Kurzem zwei wichtige Initiativen beschlossen hat — den Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen und die Mitteilung zum Aktionsplan für digitale Bildung (10) —, und erwartet eine rasche Umsetzung der darin enthaltenen Leitlinien.

3.3.

In zwei kürzlich vorgelegten Berichten der OECD (11) wird der Zusammenhang zwischen Lohnungleichheit und der Nutzung von Computern beleuchtet, also die positiven Auswirkungen des technologischen Wandels auf die Löhne qualifizierter Arbeitnehmer — was jedoch zu einem größeren Lohngefälle im Verhältnis zu gering qualifizierten Arbeitnehmern führt, und es werden verschiedene Beispiele für neue Anforderungen an Arbeitsplätze und Kompetenzen, für den steigenden Bedarf insbesondere an zum Programmieren erforderliche IKT-Spezialkenntnisse und für allgemeine und zusätzliche IKT-Kompetenzen angeführt. Der EWSA würdigt auch den kürzlich vorgelegten OECD-Bericht „Key issues for digital transformation in the G20“ (12) für seine umfassende Analyse der diesbezüglichen politischen Herausforderungen und Empfehlungen und betont, wie wichtig gute Beziehungen zwischen den Sozialpartnern für den Erfolg der in der G20 und auf EU-Ebene beschlossenen Maßnahmen sind. Deshalb bekräftigt der EWSA die Schlussfolgerungen und Empfehlungen seiner jüngsten Stellungnahmen und Studien, insbesondere jener zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf Traditionsunternehmen und -branchen (13), zur Notwendigkeit von Veränderungen im Verhältnis der Sozialpartner (14), zur Frage der Arbeitsbedingungen von Arbeitnehmern in atypischen Beschäftigungsverhältnissen (15), zu den Auswirkungen der On-Demand Economy (16), zur Rolle der Regierungen bei politischen Maßnahmen und zur Bedeutung des lebensbegleitenden Lernens für die Zukunft (17). Die OECD arbeitet an einer neuen Beschäftigungsstrategie, die im nächsten Jahr vorgestellt werden soll und bei der ein Kapitel den Kompetenzen und der digitalen Kluft gewidmet sein wird. Der EWSA hegt gewisse Bedenken, ob politische Empfehlungen an die Regierungen vor dem Hintergrund der derzeit erörterten Szenarien tatsächlich sinnvoll sind. Da sich die OECD jedoch immer noch in der Vorbereitungsphase der Beschäftigungsstrategie befindet, wird der EWSA die Debatte im Rahmen der Agenda für Kompetenzen verfolgen, nicht zuletzt mit Blick auf den OECD-Kompetenzgipfel im Juni 2018, und er fordert die Kommission auf, neue gemeinsame Initiativen auszuloten.

3.4.

Ungeachtet seiner Unterstützung für die vierte industrielle Revolution warnt das Weltwirtschaftsforum vor dem potenziellen Risiko, dass nach einigen Prognosen bis 2020 in 15 wichtigen Industrie- und Schwellenländern etwa 5 Millionen Arbeitsplätze wegfallen könnten und nach aktuellen Voraussagen nicht ersetzt werden, und wirft einige Diskussionspunkte in Bezug auf die Stabilität der Kompetenzen, die geschlechtsspezifischen Unterschiede je nach Branche und die Arbeitsstrategien (18) auf.

3.5.

Auf dem Dreigliedrigen Sozialgipfel vom März 2016 forderten die europäischen Sozialpartner die Europäische Kommission auf, den digitalen Wandel der Volkswirtschaften und Arbeitsmärkte zu stützen und mit ihm zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Maßnahmen sowohl für Unternehmen als auch für Arbeitnehmer ausgelegt sind (19).

3.6.

Der EWSA unterstützt die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2017 mit Empfehlungen an die Europäische Kommission zum Thema Zivilrechtliche Regelungen im Bereich Robotik (20), vor allem jene zu den ethischen Grundsätzen (Unversehrtheit, Gesundheit und Sicherheit der Menschen, Freiheit, Integrität und Würde, Selbstbestimmung und Nichtdiskriminierung, Schutz personenbezogener Daten, Transparenz, nötige Modernisierung des EU-Rechtsrahmens durch die Ergänzung durch ethische Vorgaben, die der Komplexität der Robotik Rechnung tragen) sowie zum Thema Bildung und Beschäftigung (Forderung an die Kommission, die Entwicklung digitaler Kompetenzen in allen Altersgruppen und unabhängig vom Beschäftigungsverhältnis umfassend zu unterstützen; die Notwendigkeit, mehr Frauen für eine digitale Karriere zu gewinnen, mittel- und langfristige Trends auf dem Arbeitsmarkt genauer zu analysieren und zu überwachen und die Wichtigkeit, gesellschaftliche Änderungen vorherzusehen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Beschäftigung und flexibler Kompetenzen; sowie Anerkennung des großen Potenzials der Robotik und der künstlichen Intelligenz in verschiedenen Bereichen).

3.7.

Im Kurzbericht des CEDEFOP„Menschen, Maschinen, Roboter — und Kompetenzen“ (21) heißt es: „Damit jedoch Schlussfolgerungen für die Zukunft möglich sind, muss man verstehen, auf welche Weise Technologien die Arbeitswelt verändern: durch die Ersetzung von Arbeitsplätzen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Veränderung bestehender Arbeitsplätze.“ Um das Ausmaß der vor uns stehenden Herausforderung zu erfassen, sollte nach Branche analysiert werden, inwieweit erwachsene Arbeitnehmer zwischen 2009 und 2014 einen technischen Wandel an ihrem Arbeitsplatz erlebt haben (das betrifft weltweit 43 % der erwachsenen Arbeitnehmer).

3.8.

Der EWSA verweist auf zwei seiner kürzlich verabschiedeten Stellungnahmen vom Juli 2017 zu neuen Beschäftigungsformen (22) und insbesondere auf die Bedeutung der sozialen Sicherheit für die im Rahmen neuer Beschäftigungsformen tätigen Arbeitnehmer, etwa Crowdworker, und die neuen Formen der Arbeitsumgebung, die Bedeutung des lebensbegleitenden Lernens und den künftigen Kompetenzbedarf, die grundlegende Rolle der Sozialpartner und der Tarifverhandlungen im Einklang mit nationalem Recht und nationaler Praxis sowie die Bedeutung der Zivilgesellschaft allgemein für die Eindämmung der negativen Folgen dieser raschen Veränderungen und die Verstärkung ihrer positiven Aspekte.

3.9.

Der Bericht von Eurofound aus dem vergangenen Monat „Non-standard forms of employment: recent trends and future prospects“ (23) ist für die Analyse neuer Beschäftigungsformen wichtig, aber auch und vor allem um auf Fragen wie Sozialschutz, Einkommen, Arbeitszeit sowie auf den ungeklärten Status von Menschen mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen aufmerksam zu machen: Der EWSA unterstützt die Vorschläge von Eurofound und fordert die Entscheidungsträger auf, diese Fragen, auf die auch der EWSA in den erwähnten Dokumenten bereits hingewiesen hat, im Blick zu behalten.

4.   Die Zukunft ist jetzt: a) Maßnahmen und Vorschläge

4.1.

Unter den neuen, sich rasch verändernden Rahmenbedingungen für Arbeit ist es schwierig, neue Berufe — und die entsprechend erforderlichen Kompetenzen — auf theoretischem Wege zu bestimmen. Normalerweise nimmt der Arbeitsmarkt, oft unter Beteiligung von Unternehmen und der Sozialpartner, die Definition neuer Berufsprofile entsprechend seinem Bedarf vorweg. Tarifverhandlungen auf allen Ebenen — im Einklang mit nationalem Recht und nationaler Praxis — sowie Verfahren für die Beteiligung von Arbeitnehmern auf Unternehmensebene sind wichtige Instrumente, mit denen Veränderungen beim Kompetenz- und Ausbildungsbedarf angegangen, diese sich abzeichnenden Veränderungen berücksichtigt und Innovationen gefördert werden können.

4.2.

Darüber hinaus weist der EWSA darauf hin, dass mithilfe neuer Methoden, etwa Big-Data-Analyse, in Bezug auf den Bedarf des Arbeitsmarkts rasch Signale für Veränderungen ermittelt werden können: Diese Verfahren ergänzen die traditionellen Prognoseinstrumente und andere Instrumente zur Antizipierung des Kompetenzbedarfs und können dazu beitragen, den sich rasch wandelnden Kompetenzbedarf vor dem Hintergrund der schnellen Einführung neuer Technologien besser zu erfassen.

4.3.

Die Ausbreitung atypischer Beschäftigungsformen in der digitalen Wirtschaft erfordert zunehmend ein angemessenes Maß an Regulierung, damit der soziale Schutz und der gleichberechtigte Zugang zur Aus- und Weiterbildung für alle, auch für diese Gruppe von Arbeitnehmern, gewährt werden können (24). Es sollte weiter geprüft werden, ob ein solcher individueller Weiterbildungsanspruch übertragbar sein sollte, ob er also zu einem anderen Arbeitgeber bzw. in ein anderes Land mitgenommen werden kann.

4.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass es ebenso wichtig ist, die Beteiligung der Arbeitnehmer am lebensbegleitenden Lernen zu verbessern und gemeinsam mit den Unternehmen den Inhalt der Ausbildung am Arbeitsplatz so festzulegen, dass Arbeitnehmer und Unternehmen gleichermaßen davon profitieren. Der gleichberechtigte Zugang der Arbeitnehmer zu arbeitsplatzbezogenem Lernen und beruflicher Weiterbildung sollte durch Investitionen in verschiedene Programme und Instrumente gewährleistet werden. Auch könnte das Potenzial von Plattformen für Online-Lernen und digitales Lernen genutzt werden, doch sollte über die Nutzung solcher Plattformen Einvernehmen zwischen den Sozialpartnern erzielt werden, und die Bestimmungen über die Arbeitszeit und die Freizeit der Arbeitnehmer sind einzuhalten. Wichtig ist, festzustellen, dass lebensbegleitendes Lernen formaler, nichtformaler und informeller Natur sein kann. Jede Form des Lernens ist nützlich, wenn sie von den relevanten Akteuren gut gestaltet wird. Die Validierung des nichtformalen und informellen Lernens ist wichtig, um Fähigkeiten und Kompetenzen auszubauen und nachzuweisen.

4.5.

Die Einbeziehung der Arbeitnehmer in Regelungen zum richtigen betrieblichen Einsatz von Technologie ist von grundlegender Bedeutung, um ihnen die Instrumente und die Ausbildung zu vermitteln, die es ihnen ermöglichen, die Technologie in ihrem Arbeitsbereich zu beherrschen. Außerdem wird so gewährleistet, dass die Arbeitnehmer am Innovationsprozess teilhaben und dass ihre Angst vor Veränderungen durch Aufklärung und Information in Chancen für die persönliche und berufliche Entwicklung verwandelt wird.

4.6.

Der EWSA betont, dass konkrete Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die nationalen Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung dabei zu unterstützen, ihre Programme schnellstmöglich anzupassen, damit Lehrpläne und praxisbasierte Systeme dem Bedarf des Arbeitsmarkts besser entsprechen. Zudem muss sichergestellt werden, dass die Bildungssysteme wirklich alle erreichen, auch Arbeitnehmer, die aufgrund der neuen, im Wesentlichen digital bestimmten Beschäftigungsformen von Ausgrenzung bedroht sind, etwa Geringqualifizierte, Menschen mit Behinderungen oder die Menschen im ländlichen Raum in Gebieten, in denen die Breitbandversorgung wesentlich schlechter ist als in städtischen Ballungsräumen. Es ist daher wichtig, die entsprechenden Verwaltungsverfahren in den Mitgliedstaaten, in denen sie zu aufwendig sind, zu vereinfachen. Um diese Ziele zu erreichen, fordert der EWSA die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, im Rahmen des Europäischen Semesters praktische Maßnahmen zu ergreifen wie: Schaffung neuer Überwachungsmechanismen auf EU-Ebene zur Erfassung und Auswertung von Daten über die auf nationaler Ebene erzielten Ergebnisse im Bereich des digitalen und lebensbegleitenden Lernens; Festlegung neuer Vorgaben zur Umsetzung neuer gemeinsamer Standards für die Grundbildung und Programme für digitale Kompetenzen auf EU-Ebene sowie Sicherstellung, dass die Kluft zwischen den EU-Ländern nicht noch weiter zunimmt; Stärkung von Synergien zwischen den Ländern durch Beteiligung an e-Infrastrukturnetzwerken; Festlegung neuer ergebnisabhängiger robuster Kriterien für die Zuweisung von Mitteln und Schaffung von Anreizen für die Verbesserung der Kohärenz der Systeme für die allgemeine und berufliche Bildung zwischen den Mitgliedstaaten.

4.7.

Der EWSA sieht die Zukunft Geringqualifizierter und allgemein von Risikogruppen in Europa in der Tat mit Sorge und befürchtet, dass die „Initiative für Weiterbildungspfade“ der neuen Agenda für Kompetenzen nicht ausreicht, um das Problem zu beheben. Wie das CEDEFOP kürzlich (25) deutlich gemacht hat, ist die Definition dieser großen Gruppe, die viele verschiedene Kategorien benachteiligter Personen umfasst, eine komplexe und noch nicht zufriedenstellend gelöste Aufgabe. Die Zahlen allerdings sind besorgniserregend: 2015 etwa war einer von vier Europäern im Alter zwischen 25 und 64 (etwa 64 Millionen Erwachsene) nach wie vor nur geringqualifiziert, und der Anteil der Erwachsenen mit geringen kognitiven Kompetenzen beim Lesen und Schreiben sowie beim Rechnen betrug 18 % bzw. 20 %. Nach den vom CEDEFOP erfassten Daten ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Gruppe an Bildungsmaßnahmen teilnimmt, eher gering. Da die Studie bewiesen hat, dass sich Investitionen in Kompetenzen lohnen, erwartet der EWSA, dass die Europäische Kommission mehr unternimmt, um sicherzustellen, dass gefährdete Gruppen wie ältere Menschen in der Lage sind und ermutigt werden, an Initiativen zur Erwachsenenbildung teilzunehmen, damit sie nicht Gefahr laufen, auf dem Arbeitsmarkt marginalisiert zu werden. Außerdem ist es wichtig, Arbeitnehmer in der Altersgruppe zwischen 55 und 64 zu erreichen, da bei ihnen die Wahrscheinlichkeit, dass sie am lebensbegleitenden Lernen teilnehmen, am geringsten ist. Der EWSA betont ferner, dass Maschinen und Software für neue Technologien so angepasst werden müssen, dass sie auch von Menschen mit Behinderungen bedient werden können.

4.8.

Besondere Aufmerksamkeit sollte geschlechtsspezifischen Maßnahmen zur Überbrückung der digitalen Kluft geschenkt werden; anhaltende Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei den Studienfächern können dazu führen, dass Frauen weniger von neuen Beschäftigungsmöglichkeiten in MINT-Berufen profitieren; mehr Flexibilität bei der Arbeit kann die Beschäftigung von Frauen fördern, sich jedoch auch negativ auf die Qualität ihrer Beschäftigung auswirken (26).

4.9.

Vor dem Hintergrund dieses schnellen und kontinuierlichen Wandels müssen jedem Einzelnen viele unterschiedliche Lernmöglichkeiten angeboten werden, mit denen valide (anwendbare) Kompetenzen für den Arbeitsmarkt vermittelt werden können, die der digitalen Dimension der neuen Welt entsprechen, sodass jeder vor dem Risiko geschützt wird, vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt oder in prekäre Beschäftigungsformen gedrängt zu werden. Die Erwartungen der Arbeitnehmer und der Bedarf der Arbeitsmärkte sollten sich in den verfügbaren Angeboten der allgemeinen und beruflichen Bildung wiederfinden, damit die Unternehmen wachsen und Menschen Arbeit finden bzw. im Einklang mit ihren Fähigkeiten, Plänen und Qualifikationen beruflich vorankommen können. Die aktive Einbeziehung der Arbeitnehmer in Programme für lebensbegleitendes Lernen sowie betriebliche Weiterbildung ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, für die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer und für die Sicherstellung guter Arbeitsplätze.

4.10.

Der EWSA betont auch, wie wichtig es ist, mehr Möglichkeiten des lebensbegleitenden Lernens zu bieten und die Beteiligung daran zu steigern, bei dem es um die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Unternehmen und die persönliche und berufliche Entfaltung der Arbeitnehmer geht. Es sollten praktische Maßnahmen beschlossen werden, um Angebote für lebensbegleitendes Lernen und die Beteiligung daran (27) im Einklang mit dem festgestellten Bedarf für alle zu fördern. Kosten und Verwaltungsaufwand sollten dabei angemessen zwischen dem Staat, den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern aufgeteilt werden, und es sollte eine Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie mit den Sozialpartnern erfolgen. Der EWSA weist diesbezüglich darauf hin, dass geprüft werden sollte, welche Maßnahmen zur Verankerung des Rechts auf bezahlten Bildungsurlaub gegebenenfalls erforderlich sind. Außerdem sollte geprüft werden, ob es europäischer Maßnahmen bedarf, um gute Erfahrungen mit Mindeststandards für einen Anspruch auf Bildungsurlaub als gängige Praxis in einigen Mitgliedstaaten zu verallgemeinern (28). Der EWSA betont, dass eine auf die Abstützung der zunehmenden Digitalisierung unserer Arbeitsmärkte zugeschnittene Qualifizierungsoffensive nötig ist, um Anreize für Investitionen sowohl auf Unternehmensebene als auch im öffentlichen Sektor zu bieten und öffentliche und private Investitionen in die berufliche Aus- und Weiterbildung zu fördern.

4.11.

Der EWSA betont weiter, dass ein gleichberechtigter Zugang zu digitalen Dienstleistungen für alle, insbesondere ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen, gewährleistet werden muss, damit die neuen technologischen Ziele keine Hürde, sondern eine reale große Chance für alle sind, ohne Diskriminierungen oder Hindernisse. Er fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Instrumente zur angemessenen Unterstützung für alle in dieser „neuen Gesellschaft“ zu entwickeln und zugleich sicherzustellen, dass der öffentliche Sektor über die hierfür erforderlichen Mittel verfügt. Insbesondere den Menschen, denen aufgrund der Automatisierung ein Verlust des Arbeitsplatzes droht, sollten Umschulungsmaßnahmen angeboten werden.

4.12.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, unter Einbeziehung der Sozialpartner und weiterer Organisationen der Zivilgesellschaft Instrumente zu entwickeln, mit denen der kostenlose Zugang zu Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, entsprechende Gutscheine oder Kostenbeteiligungen für jene gewährt werden, die die Kosten nicht selbst tragen können. Falls Arbeitnehmer eine Zusatzausbildung absolvieren müssen, wäre ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Verpflichtungen bezüglich Arbeits- und Lernzeiten wichtig, das sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber annehmbar ist. Diesbezüglich bekräftigt der EWSA, dass es wichtig ist, Erfahrungen dazu zu prüfen und auszutauschen, wie die berufliche Bildung in verschiedenen Mitgliedstaaten organisiert und angeboten wird, einschließlich der Vielzahl an praktischen Beispielen für das lebensbegleitende Lernen am Arbeitsplatz sowie der Praxis des zum Teil bezahlten Bildungsurlaubs, die in der gesamten EU unterstützt und gefördert werden sollte.

4.13.

Die Qualität von Investitionen in inklusives Wachstum und die Schaffung von guten Arbeitsplätzen sind von grundlegender Bedeutung. Der EWSA betont deshalb, dass zur Begleitung des Übergangs zum technologischen Wandel und zur Digitalisierung angemessene Mittel bereitgestellt werden müssen und dabei der Tatsache gerecht werden muss, dass der Erwerb geeigneter Qualifikationen und Kompetenzen nicht nur auf betrieblicher Ebene, sondern auch durch den Aufbau wirksamer Systeme der beruflichen Bildung dringend erforderlich ist, um für eine kontinuierliche Anpassung der Kompetenzen zu sorgen. Der EWSA hält es für vorrangig, konkrete Haushaltslinien für diese Veränderungen zu bestimmen und neue, ergebnisabhängige Kriterien für die Zuweisung dieser Mittel zu prüfen.

4.14.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auch auf, die Strukturfonds, insbesondere den Europäischen Sozialfonds — dessen Prioritäten in Bezug auf Investitionen in Humankapital bestätigt und beibehalten werden müssen — bestmöglich als ergänzendes Instrument zur Anpassung von Kompetenzen zu nutzen. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten sowie die Interessenträger der Zivilgesellschaft sollten einen Rahmen mit gemeinsamen Kriterien entwickeln, der ein gemeinsames Verständnis des neuen Qualifizierungsbedarfs und der entsprechenden Ziele schafft. Zu berücksichtigen sind dabei einerseits die unterschiedlichen Gegebenheiten in der Europäischen Union und bei der Mobilität nicht nur von natürlichen Personen, sondern auch von Arbeitsinhalten und andererseits die Notwendigkeit eines homogenen Niveaus an Neu- und Weiterqualifizierung, um den Zusammenhalt zwischen den EU-Ländern zu fördern.

4.15.

Entsprechend aktualisierte Instrumente wie der Europäische Qualifikationsrahmen und die Umsetzung der Richtlinie über Berufsqualifikationen sind sinnvoll, um für Transparenz bei den Qualifikationen zu sorgen.

4.16.

Digitale Kompetenzen sind offenkundig sehr wichtig bei der vierten industriellen Revolution. In diesem Zusammenhang muss den Grundkompetenzen (vor allem in Mathematik, Physik, Chemie und Biologie), die auch an Hochschul- und Berufsbildungseinrichtungen vermittelt werden, sowie fortgeschrittenen Sprachkenntnissen ein neuer Wert beigemessen werden: Ohne sie ist es nicht möglich, den nächsten Schritt hin zu den hochspezialisierten Technologie- und Informatikkompetenzen zu gehen, die in einem multikulturellen Umfeld zur Arbeit notwendig sind, wo Professionalität vor allem von Digitalisierung und Robotik bestimmt wird.

4.17.

Grundlagenkenntnisse sind wichtig, da sie das kritische Denken fördern, das wiederum wichtig für die Auswahl der Informationsquellen und für das Verständnis der neuen Technologien ist. Allerdings sollte mehr Wert sowohl auf technische und fachliche Kompetenzen als auch auf persönliche Kompetenzen gelegt werden: Erstere sind notwendig für den Produktionsprozess, letztere sind wichtig, damit Arbeitnehmer komplexe und sich verändernde Umstände bewältigen können. Der Schlüssel für künftige Erfolge liegt in der Tat in der Komplementarität von Kompetenzen. Insbesondere in Bezug auf persönliche Kompetenzen ist es auch von Bedeutung, Lehrkräfte sowie Anbieter allgemeiner und beruflicher Bildung angemessen auszubilden und Familien für ihre Bedeutung zu sensibilisieren.

4.18.

Der EWSA unterstützt einen Ansatz, der den Schwerpunkt auf die persönlichen Kompetenzen legt, u. a. Lösung komplexer Probleme, kritisches Denken, Teamarbeit, Interpretationsfähigkeit, innovatives und adaptives Denken, interkulturelle Kompetenz, virtuelle Zusammenarbeit und kognitive Flexibilität, die wesentliche Elemente der menschlichen Entwicklung sind und die Arbeitnehmer zu eigenständigem Denken befähigen können, bevor sie gefordert sind, sich digitale Kompetenzen anzueignen. Der EWSA schlägt vor, der Entwicklung dieser Kompetenzen bei der Überprüfung des Europäischen Bezugsrahmens zu Schlüsselkompetenzen besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

4.19.

Bereits in der Schule müssen junge Menschen gezielte Informationen über die Arbeitswelt und Orientierung in Bezug auf Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten erhalten, um sie in Bezug auf ihre künftige Entwicklung und berufliche Laufbahn beratend zu unterstützen, doch wird künftig auch eine lebensumspannende Beratung nötig sein. Die Berufswahl ist eine wichtige Entscheidung. Wenn jungen Menschen in dieser Zeit die Vielfalt an möglichen Bildungs- und Berufswegen aufgezeigt wird, können sie eine fundierte Entscheidung treffen.

4.20.

Je nach ihrem Bezug zum jeweiligen Gebiet einerseits und ihrer Aufgabe andererseits bieten Schulen, Hochschulen und Ausbildungseinrichtungen eine Mischung aus neuem Wissen und neuen Arten des Lernens. Der EWSA erachtet es als wichtig, ihre Rolle und Tätigkeiten mit der Rolle zentraler und lokaler Regierungen und Einrichtungen sowie mit der Arbeitswelt zu verknüpfen. Dieser Prozess muss gefördert und unterstützt werden, unter Anerkennung der zentralen Rolle von zivilgesellschaftlichen Organisationen und des sozialen Dialogs, der von der lokalen und regionalen Ebene ausgehen muss.

4.21.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Einrichtung einer aktualisierten Datenbank bewährter Methoden weiterzuführen, die das Potenzial hat, eine EU-weite Debatte auf den Weg zu bringen, in der Leitlinien und Standards auf der Grundlage bewährter Methoden im Bereich der beruflichen Bildung herausgearbeitet werden.

4.22.

Kompetenzen, die durch nichtformales und informelles Lernen erworben werden, gewinnen zunehmend an Bedeutung. In seiner Stellungnahme aus dem Jahr 2015 (29) betonte der EWSA, dass alles Notwendige unternommen werden muss, damit die nationalen Qualifikationssysteme ihre Validierung (gemäß der Empfehlung des Rates 2012/C 398/01 (30)) sicherstellen können, und dass die Zivilgesellschaft einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann. Eine geeignete Validierung (bestehend aus Identifizierung, Dokumentierung, Bewertung und Zertifizierung) wird dem Arbeitsmarkt zugutekommen und als Maß für das professionelle Bewusstsein des Einzelnen dienen, d. h. das Wissen um die individuellen Möglichkeiten. Es ist daher wichtig, die Arbeitsvermittlungsdienste und die „privaten/öffentlichen Agenturen“ dazu anzuhalten, sich hier wesentlich stärker zu engagieren. Die Validierung sollte zugänglich und erschwinglich sein, damit sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber davon profitieren können.

4.23.

Der EWSA betont die zehn vorrangigen Maßnahmen der neuen Agenda für Kompetenzen: Die Initiative für Weiterbildungspfade, Berufsausbildung als erste Wahl, der Referenzrahmen für Schlüsselkompetenzen, die Koalition für digitale Kompetenzen und Arbeitsplätze, der Europäische Qualifikationsrahmen, die Kompetenzprofile für Drittstaatsangehörige, der Europass-Rahmen, die Erfassung von Daten zur Behebung der Gefahr der Abwanderung Hochqualifizierter, die Blaupause zur Branchenzusammenarbeit für Kompetenzen und schließlich die Empfehlung zur Nachverfolgung von Absolventen sind alle nützliche Instrumente zur Vermittlung der richtigen Kompetenzen.

4.24.

Ein gerechter Wandel und eine aktive Arbeitsmarktpolitik werden nur dann funktionieren, wenn es gleichermaßen effiziente Arbeitsvermittlungsdienste gibt, die nicht nur in der Lage sind, Arbeitsplatzangebot und- nachfrage zu steuern, sondern Arbeitssuchenden auch Orientierung und Beratung zu bieten. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, mehr in die Verbesserung der Wirksamkeit, der Effizienz, aber auch der Kapazitäten von Arbeitsvermittlungsdiensten und deren Personal sowie in die Entwicklung von Instrumenten zur Unterstützung derjenigen zu investieren, die noch nicht in den Arbeitsmarkt eingetreten sind. Auf diesem Wege könnte Arbeitnehmern die Möglichkeit geboten werden, Unternehmer auf sich aufmerksam zu machen, die ihren Wert und ihre Kompetenzen zu schätzen wissen, in einer positiven Wechselwirkung aus beruflicher Weiterentwicklung und Unternehmenswettbewerb.

4.25.

Mit Blick auf die Beschäftigungsmöglichkeiten ist es von großer Bedeutung, dass die EU die Frage der Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte aus einigen Mitgliedstaaten in den Griff bekommt. Im Idealfall sollte die Mobilität in Europa den Austausch hochqualifizierter Arbeitskräfte zwischen den Ländern begünstigen, das heißt zur Bereicherung aller Mitgliedstaaten führen. Die Realität ist jedoch eine andere. Einige EU-Länder — vor allem die west- und nordeuropäischen Länder — sind für mobile Arbeitnehmer aus den instabilsten und strukturschwächsten Staaten — vor allem in Ost- und Südeuropa — erheblich attraktiver, da sie wesentlich mehr Arbeitsplätze und höhere Löhne zu bieten haben. Die Arbeitnehmer, die abwandern, streben deshalb vor allem in Bereiche der Industrie 4.0, vom verarbeitenden Gewerbe über Dienstleistungen bis hin zur Forschung, aber auch in Bereiche wie das Gesundheitswesen und die Forschung. Dies führt zu einer erheblichen Abwanderung von Menschen, Kompetenzen und Talenten aus den Ursprungsländern, was wiederum ihre Wettbewerbsfähigkeit verringert und für sie einen Verlust an Investitionen in Bildung sowie an nationalen Steuereinnahmen bedeutet (31). In einigen Fällen finden hochqualifizierte mobile Personen auf dem Arbeitsmarkt des Ziellandes keine ihrer Qualifikation entsprechende Stelle und nehmen schließlich eine Arbeit an, für die sie überqualifiziert sind. Dies kann verhindert werden, indem Europa den beruflichen Austausch zwischen Unternehmen unterschiedlicher Mitgliedstaaten fördert. Allgemein gesagt sind weitere Anstrengungen auf EU-Ebene nötig, um die Konvergenz in Richtung eines inklusiven, auf Innovation beruhenden und beschäftigungswirksamen Wirtschaftswachstums und mehr sozialen Zusammenhalt zu fördern.

4.26.

Ein weiteres wichtiges Thema, das angesprochen werden muss, ist das Thema Sicherheit und Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern. Technologische Innovationen werden schwere und gefährliche Arbeit wahrscheinlich ersetzen und damit die Qualität der Arbeit verbessern, es können jedoch neue Krankheiten auftauchen, die insbesondere isolierte (Tele-)Arbeiter betreffen. Der soziale Dialog auf europäischer, nationaler und Branchenebene ist das nützliche Werkzeug, mit dem geprüft werden kann, ob und in welchem Umfang die Gesundheit und die Privatsphäre der Beschäftigten in Zeiten allgegenwärtiger digitaler mobiler Kommunikation eines zusätzlichen Schutzes bedarf und welche Maßnahmen gegebenenfalls sinnvoll sind. Es muss also bestimmt werden, wie dies gelingen kann, etwa durch das Recht auf Unerreichbarkeit, das kürzlich in Frankreich anerkannt wurde und in einigen Branchenvereinbarungen bzw. auf Unternehmensebene in bestimmten EU-Ländern angewandt wird, allerdings auf EU-Ebene noch nicht existiert. Diese Frage muss auf EU-Ebene weiter geprüft werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Arbeitszeitbestimmungen einzuhalten sind und der neue Ansatz in Sachen Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zu berücksichtigen ist.

4.27.

Das Internet der Dinge, der Schutz der Privatsphäre und Big Data sind weitere vorrangige Themen, die die Vertrautheit mit digitalen Formen der beruflichen Bildung und E-Learning-Tools sowie diesbezüglich den Datenschutz betreffen. Auch die Rolle der Verbraucherverbände ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, denn sie können wirksam zur Gestaltung neuer Instrumente zur Bewältigung der großen Herausforderungen beitragen, die sich daraus ergeben, dass der Schutz der Privatsphäre beim Erwerb und der Nutzung von Online-Lernangeboten gewahrt werden muss (32).

5.   Die Zukunft ist jetzt: b) Beispiele für bewährte Verfahren für die Weiter- und Neuqualifizierung von Arbeitnehmern

5.1.

Anerkannte bewährte Verfahren sind unter anderem offene Bildungsressourcen (OER, d. h. digitale Lehr- und Lernmaterialien, die mit Lizenzen zur Verfügung gestellt werden, die ihre Wiederverwendung, Änderung und Verbreitung ermöglichen) und offene Online-Lehrveranstaltungen (MOOC, d. h. kostenlose Online-Kurse, die für eine große Teilnehmerzahl im Fernunterricht bestimmt sind). Sie sind relativ aktuell, aber nicht neu, es ist jedoch wichtig, die Beratung und Information über die Möglichkeiten zu verstärken. Die Nutzung von OER und MOOC kann ein wichtiges Instrument bei der Öffnung des Zugangs zur allgemeinen und beruflichen Bildung auf eine ressourceneffiziente Weise sein, die es den Menschen ermöglicht, berufliche und familiäre Verpflichtungen miteinander zu vereinbaren.

5.2.

Der EWSA hält den europäischen Rahmen für IKT-Kompetenzen (European e-Competence Framework (e-CF)) für ein nützliches Werkzeug auf europäischer Ebene: Er liefert einen Bezugsrahmen für 40 Kompetenzen, die an IKT-Arbeitsplätzen benötigt werden, und verwendet eine gemeinsame, in ganz Europa verständliche Sprache für die verschiedenen Niveaus an Kompetenzen, Fähigkeiten, Wissen und Befähigungen, einschließlich der Anforderungen an Kompetenzen und Kenntnisse von IKT-Fachleuten, Berufen und Organisationen auf fünf Niveaus, und ist so angelegt, dass er den Bedürfnissen von Einzelpersonen, Unternehmen und anderen Organisationen im öffentlichen und privaten Sektor, insbesondere von Ausbildungseinrichtungen und Unternehmen entspricht.

5.3.

Mit Blick auf die betriebliche Ausbildung sind die dualen Systeme in Ländern wie Dänemark, Deutschland, den Niederlanden und Österreich als vorbildlich anzusehen, da die Sozialpartner in die kontinuierliche Anpassung der Berufsbildungssysteme an die neue digitale Arbeitswelt eingebunden sind (33).

5.4.

Nach Ansicht des EWSA sind die spanische Fundación Estatal para la Formación en el Empleo (FUNDAE), die französischen Organismes paritaires collecteurs agréés (OPCA) und die italienischen Fondi Interprofessionali per la Formazione Continua vorbildliche Beispiele, was die Finanzierung von Ausbildungsmaßnahmen am Arbeitsplatz anbelangt, und tragen bedeutend zur Aktualisierung der digitalen Kompetenzen von Arbeitnehmern bei.

5.5.

Daneben gibt es individuelle Bildungsprogramme, die ebenfalls nützlich sein können: In Frankreich sind dies das Persönliche Bildungskonto (CPF), der Individuelle Bildungsurlaub (CIF), der Urlaub zur Qualifikationsbewertung (CBC) und der Urlaub zur Validierung erlangter Erfahrung (CVAE).

5.6.

In Italien gibt es zwei Arten von Bildungsurlaub: Der erste dient dem Abschluss einer Schul- bzw. Hochschulausbildung sowie von anderen Bildungsmaßnahmen als denen der Arbeitgeber. Der zweite ist sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitslose vorgesehen und soll das Recht auf lebensbegleitendes Lernen von Arbeitnehmern gewährleisten; die Regeln, nach denen Arbeitnehmern die Teilnahme genehmigt wird, die Zeit, die sie aufwenden dürfen, und ihr Einkommen sind tarifvertraglich festgelegt. Zudem gibt es in Italien den Bildungsgutschein (voucher formativo): Dies ist eine Art individueller Fonds für Bildungsmaßnahmen zur Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit von Menschen mittels professioneller und innovativer Lehrgänge.

5.7.

Deutschland ist eines der Länder mit dem höchsten Anteil der Erwerbsbevölkerung weltweit und der niedrigsten Arbeitslosenquote: Einer OECD-Erhebung zufolge bleibt die Beschäftigungsquote vom hohen Grad der Automatisierung unberührt, da Arbeitnehmer in der Bedienung von Robotern geschult und auf andere Arbeitsplätze vermittelt werden, wenn ihre Arbeitsplätze aufgrund der Robotisierung wegfallen. Allerdings besteht in einigen Gebieten eine geringere Beschäftigungsnachfrage, und die Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, sind möglicherweise nicht für die digitalen Kompetenzen geschult, die sie für einen Arbeitsplatz benötigen. Die deutschen Sozialpartner haben beschlossen, die Herausforderung der Innovation anzunehmen, und begonnen, darüber zu verhandeln, wie diese Herausforderung auf dem Arbeitsplatz zu bewältigen ist.

5.8.

In Frankreich wurde vergangenes Jahr ein Gesetz zum Recht auf Unerreichbarkeit verabschiedet, und in Italien steht dieses Thema derzeit zur Debatte und hat Eingang in verschiedene Tarifverträge gefunden.

5.9.

Der EWSA ist der Ansicht, dass junge Menschen in den frühen Phasen ihrer Schulbildung und der beruflichen Bildung nicht nur entsprechend dem Bedarf des Arbeitsmarktes ausgebildet werden dürfen, sondern im Unterricht auch das Ziel der uneingeschränkten aktiven Bürgerschaft vermittelt werden sollte (34). Abschließend sei als weiteres bewährtes Verfahren die Einführung eines Programmiergrundkurses an vielen estnischen Grundschulen erwähnt.

5.10.

In der kürzlich vorgelegten Veröffentlichung der Europäischen Kommission Business cooperating with vocational education and training providers for quality skills and attractive futures (35) werden viele interessante Beispiele aus verschiedenen Mitgliedstaaten präsentiert, die — entsprechend angepasst — andernorts mit Gewinn nachvollzogen werden könnten:

das österreichische Projekt AQUA (Arbeitsplatznahe Qualifizierung), bei dem Arbeitslose entsprechend dem Bedarf von Arbeitgebern, vor allem KMU, qualifiziert werden;

das dänische Projekt Coop Food School, durch das der zunehmende Mangel an Arbeitnehmern in der Lebensmittelindustrie behoben werden soll;

das Projekt Tech Partnership im Vereinigten Königreich, mit dem das Angebot an Arbeitskräften in den digitalen Branchen gestärkt werden soll;

das duale Studium in Deutschland, durch das der Fachkräftemangel durch gezielte Ausbildung behoben werden soll;

Fachhochschulen in Italien, die ein stabiles Angebot an Fachkräften auf lokaler Ebene in strategischen Branchen sicherstellen;

das Projekt TechWise Twente in den Niederlanden, bei dem dafür gesorgt wird, dass Berufsbildungseinrichtungen die Kompetenzen vermitteln, die in der Branche der Hochtechnologiematerialien benötigt werden;

die deutsch-serbische Berufsbildungskooperation, die das Angebot an Arbeitskräften in einigen, von einem Fachkräftemangel betroffenen Branchen verbessern soll;

das in Litauen und Lettland aufgelegte Programm „Educate for Business“, mit dem die Lehrpläne der Berufsbildung aktualisiert und an die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts angepasst werden;

der finnische Valkeakoski Campus, der es dank eines engen Dialogs mit lokalen Unternehmen ermöglicht, Auszubildenden die passenden digitalen Kompetenzen im Bereich Automatisierung und Robotik zu vermitteln;

das gemeinsam von der Slowakei, Tschechien und dem Vereinigten Königreich aufgelegte Projekt „Step Ahead“, das sich vor allem an Berufschullehrer richtet und dafür sorgen soll, dass die Fähigkeiten vermittelt werden, die auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden;

die spanische Arbeitsstiftung für die Baubranche zur Weiterqualifizierung von Arbeitskräften in der Baubranche und Erstellung aktueller Lehrpläne für die berufliche Erstausbildung

sowie

die globale Initiative Nestlé needs YOUth, in deren Rahmen gemeinsam mit Berufsschulen Möglichkeiten für das duale Lernen und entsprechende Lehrpläne entwickelt werden.

Jede dieser Initiativen ist auf einen oder mehrere Aspekte ausgerichtet, etwa Anpassung des Angebots an die Nachfrage, Lernen am Arbeitsplatz, digitale und unternehmerische Kompetenzen, Mobilität sowie soziale Inklusion.

Brüssel, den 15. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 45.

(2)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161.

(3)  Gemäß Bericht des CEDEFOP. Siehe CEDEFOP (2017). Menschen, Maschinen, Roboter — und Kompetenzen. Kurzbericht.

(4)  OECD (2017). Future of Work and Skills. Vorgelegt in der 2. Sitzung der Arbeitsgruppe Beschäftigung der G20. Februar 2017. Siehe S. 8.

(5)  Erklärung der europäischen Sozialpartner zur Digitalisierung, angenommen auf dem Dreigliedrigen Sozialgipfel vom 16. März 2016.

(6)  Wie das CEDEFOP in einem seiner Kurzberichte (siehe Fußnote 1) schreibt: „Technologisch bedingte Arbeitslosigkeit ist ein viel diskutiertes Thema — doch selbst im digitalen Zeitalter entscheidet nicht die künstliche, sondern die menschliche Intelligenz über Beschäftigung.“

(7)  Sie werden in der Rigaer Erklärung zu IKT-Kompetenzen vom März 2015 aufgeführt, die zu Beginn der Initiative „IKT-Kompetenzen für Arbeitsplätze“ 2015/2016 und des Manifests für IKT-Kompetenzen abgegeben wurde. Siehe Schlussfolgerungen von Riga vom Juni 2015.

(8)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 36; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30; ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 45; ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 54; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161; ABl. C 347 vom 18.12.2010, S. 1; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 74; ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 38.

(9)  ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 45.

(10)  COM(2018) 24 und COM(2018) 22.

(11)  T. Berger und C. Frey (2016), Structural Transformation in the OECD: Digitalisation, Deindustrialisation and the Future of Work, OECD Social, Employment and Migration Working Papers, Nr. 193, OECD Publishing, Paris, und OECD (2016), New Skills for the Digital Economy, OECD Digital Economy Papers, Nr. 258, OECD Publishing, Paris.

(12)  OECD (2017). Key issues for digital transformation in the G20. Bericht für die gemeinsame Konferenz des deutschen G20-Vorsitzes und der OECD. Zur Liste der Empfehlungen siehe S. 145 ff.

(13)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161.

(14)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30.

(15)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 54.

(16)  EWSA (2017). Auswirkungen der Digitalisierung und der On-Demand Economy auf die Arbeitsmärkte und Folgen für die Beschäftigung und die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern. Studie eines Forschungsteams des CEPS.

(17)  ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 45.

(18)  Weltwirtschaftsforum (2016). The Future of Jobs. Employment, Skill and Workforce Strategy for the Fourth Industrial Revolution. Global Challenge Insight Report.

(19)  Siehe Fußnote 2.

(20)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2017 mit Empfehlungen an die Kommission zu zivilrechtlichen Regelungen im Bereich Robotik, A8-0005/2017.

(21)  Siehe Fußnote 3.

(22)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 36 und ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30.

(23)  Eurofound (2017). Non-standard forms of employment: Recent trends and future prospects. Eurofound, Dublin.

(24)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30.

(25)  CEDEFOP (2017). Investing in skills pays off: The economic and social cost of low-skilled adults in the EU.

(26)  OECD (2017). Going Digital: The Future of Work for Women. Bericht zur Zukunft der Arbeit.

(27)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Effizienz und Gerechtigkeit in den europäischen Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung“, COM(2006) 481 final.

(28)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161.

(29)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 49.

(30)  Empfehlung des Rates vom 20. Dezember 2012 zur Validierung nichtformalen und informellen Lernens.

(31)  Schellinger, A. (2017). Brain Drain — Brain Gain: European Labour Markets in Times of Crisis. Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung 2015-2017, S. 88.

(32)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 102.

(33)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 57, ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 94.

(34)  Siehe die Stellungnahme des EWSA Neue EU-Bildungsstrategie, Ziffer 1.2 (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 167).

(35)  Europäische Kommission (2017). Business cooperating with vocational education and training providers for quality skills and attractive future. Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

533. Plenartagung des EWSA, 14.3.2018-15.3.2018

6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/19


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Umgang mit illegalen Online-Inhalten — Mehr Verantwortung für Online-Plattformen

(COM(2017) 555 final)

(2018/C 237/03)

Berichterstatter:

Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER

Befassung

Europäische Kommission, 17.11.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

9.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

14.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

180/4/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Illegale Online-Inhalte sind ein komplexes und bereichsübergreifendes Problem, das aus verschiedenen Blickwinkeln wie der Bewertung ihrer Auswirkungen und der Harmonisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Mitgliedsstaaten beleuchtet werden muss.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) betont, dass ein ausgewogener und angemessener Rechtsrahmen für Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt eingerichtet werden muss, mit dem dazu beigetragen werden kann, die Voraussetzungen für einen vertrauensvollen Umgang mit Online-Plattformen sowohl für Unternehmen als auch die Verbraucher im Allgemeinen zu schaffen. Dazu bedarf es politischer Regulierungs- und Selbstregulierungsansätze, die flexibel und zukunftsfähig sind und mit denen unmittelbar auf diese Herausforderungen eingegangen wird, insbesondere in Verbindung mit der Erkennung, Ermittlung, Meldung und Entfernung illegaler Online-Inhalte der Plattformen.

1.2.

Der EWSA erachtet es als notwendig, dass die Annahme von Kriterien und Maßnahmen im Einklang mit seinen Empfehlungen aus früheren einschlägigen Stellungnahmen erfolgt. Als Richtschnur muss gelten, dass das, was außerhalb des Internets verboten ist, auch im Internet (online) illegal ist. Der EWSA betont, dass der Technologieneutralität und der Kohärenz zwischen den Vorschriften, die — soweit dies erforderlich und möglich ist — online und offline in vergleichbaren Situationen gelten, große Bedeutung zukommt.

1.3.

Ein bestmöglicher Ausgleich zwischen den geplanten Beschränkungen hinsichtlich illegaler Inhalte und der Gewährleistung der Grundrechte ist unerlässlich, wobei auch die Größe und Tätigkeit der Online-Plattformen zu berücksichtigen sind.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, geeignete Maßnahmen gegen die in zunehmendem Maße vorhandenen gewaltverherrlichenden und/oder diskriminierenden Botschaften auf Online-Plattformen zu ergreifen, und betont, wie wichtig es ist, schutzbedürftige Personen und Kinder zu schützen und jede Form von Rassismus, Sexismus, Aufstachelung zu Terrorismus und Mobbing auch im digitalen Raum zu bekämpfen.

1.4.

Insbesondere muss die Wirksamkeit der geplanten Maßnahmen in Bezug auf Online-Plattformen mit Sitz außerhalb der EU geprüft werden.

Die Europäische Kommission sollte ferner die vorliegenden illegalen Inhalte so weit wie möglich prüfen und kategorisieren, damit auch andere, in der Mitteilung nicht ausdrücklich genannte Inhalte erfasst werden können.

In jedem Fall sollte die Anwendung von Leitlinien für die Erkennung, Ermittlung, Meldung und Entfernung gefördert werden,

a)

um die in internationalen Übereinkommen anerkannten Rechte zu wahren, u. a. zum Schutz

von Kindern vor digitalen Inhalten, die gegen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes verstoßen;

von Menschen mit Behinderungen vor digitalen Inhalten, die gegen das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verstoßen;

b)

um eine gender-bezogene Diskriminierung in digitalen Inhalten auszuschließen, insbesondere im Sinne der Gewährleistung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen wie auch der Gleichstellung und der menschlichen Würde in der Werbung;

c)

um sicherzustellen, dass die digitalen Inhalte die in der digitalen Agenda festgelegten Anforderungen zur Stärkung der Sicherheit und der Rechte der Verbraucher in der digitalen Gesellschaft erfüllen.

In der Mitteilung sollte die potenzielle Bedeutung der illegalen Inhalte für den Binnenmarkt berücksichtigt werden, so dass über geeignete vorbeugende Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass er weiterhin gemäß seinen Grundprinzipien funktioniert.

1.5.

Jedenfalls begrüßt der EWSA nachdrücklich die Initiative und die Mitteilung der Europäischen Kommission, in der die Problematik illegaler Inhalte im Allgemeinen richtig angegangen wird. In diesem Zusammenhang sollte eine Überarbeitung der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung in Erwägung gezogen werden, wobei als Kriterien u. a. zukunftstaugliche, technologieneutrale und der Entwicklung europäischer Plattformen förderliche Rechtsvorschriften zu Grunde gelegt werden sollten, um den Wirtschaftsteilnehmern Rechtssicherheit zu bieten und den Zugang zu digitalen Diensten nicht einzuschränken.

2.   Hintergrund

2.1.

Online-Plattformen sind Diensteanbieter der Informationsgesellschaft, die innerhalb eines bestimmten digitalen Ökosystems eine Vermittlerrolle spielen. Sie werden von einer breiten Palette von Akteuren betrieben, die sich mit zahlreichen wirtschaftlichen Tätigkeiten befassen, beispielsweise mit elektronischem Geschäftsverkehr, Mediendiensten, Suchmaschinen, kollaborativer Wirtschaft, nicht gewerblichen Tätigkeiten, Verbreitung von kulturellen Inhalten oder sozialen Netzwerken. Da die Plattformen sich ständig weiterentwickeln, lassen sie sich kaum in eine klare präzise Definition fassen. Im Binnenmarkt spielen sie eine zunehmend wichtige Rolle.

2.2.

Die Europäische Kommission hat sich mit dem Thema Online-Plattformen bereits im Kontext des digitalen Binnenmarkts auseinandergesetzt (1) und betont, dass die EU mit Blick auf die Steigerung ihrer künftigen globalen Wettbewerbsfähigkeit vor allem vor der Herausforderung steht, die Innovation in diesen Wirtschaftsbereichen wirksam voranzutreiben, gleichzeitig aber auch die legitimen Interessen der Verbraucher und Nutzer angemessen zu schützen. Die Europäische Kommission hatte in diesem Sinn die Überarbeitung der Richtlinien über Telekommunikation, Privatsphäre und elektronische Kommunikation mit Blick auf die Over-the-Top-Kommunikationsdienste („OTT-Dienste“) vorgesehen.

2.3.

In seiner einschlägigen Stellungnahme (2) unterstrich der EWSA, dass zahlreiche Online-Plattformen eine wichtige Rolle in der kollaborativen Wirtschaft spielen, und bekräftigte seine Schlussfolgerungen zur kollaborativen Wirtschaft, insbesondere im Zusammenhang mit Verbraucherschutz, Arbeitnehmern und Selbständigen. Er warnte auch vor dem Risiko einer Rechtszersplitterung und sprach sich für die Annahme eines kohärenten EU-Rahmens aus.

2.4.

In dieser Mitteilung befasst sich die Kommission mit dem „Umgang mit illegalen Online-Inhalten“. Sie will den Online-Plattformen mehr Verantwortung übertragen und stellt eine Reihe von Leitlinien und Grundsätzen dafür auf, wie Online-Plattformen in Zusammenarbeit mit nationalen Behörden, Mitgliedstaaten und anderen Beteiligten die Bekämpfung illegaler Online-Inhalte verstärken sollten.

2.4.1.

Zur Vorbeugung, Erkennung, Entfernung oder Sperrung illegaler Inhalte sollen verstärkt bewährte Verfahrensweisen angewendet werden, um

a)

die wirksame Entfernung solcher Inhalte sicherzustellen;

b)

die Transparenz und den Schutz der Grundrechte im Online-Umfeld zu fördern;

c)

den Plattformen mehr Klarheit über ihre Haftung zu geben, wenn sie proaktiv tätig werden, um illegale Inhalte zu erkennen, zu entfernen oder zu sperren („Guter-Samariter-Maßnahmen“).

2.4.2.

Der einschlägige EU-Rechtsrahmen beruht auf verbindlichen Rechtsakten und unverbindlichen Regelungen, insbesondere der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (3), die die Voraussetzungen harmonisiert, unter denen bestimmte Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt von der Haftung für illegale Inhalte, die sie bereithalten, freigestellt werden können.

2.4.3.

Ein harmonisiertes und kohärentes Konzept für die Entfernung illegaler Inhalte gibt es in der EU derzeit nicht; was illegal ist, wird durch besondere Rechtsvorschriften auf EU-Ebene sowie durch nationale Rechtsvorschriften bestimmt. Durch ein besser abgestimmtes Vorgehen könnte der Kampf gegen illegale Inhalte indes wirksamer geführt werden. Dies käme auch der Entwicklung des digitalen Binnenmarkts zugute.

2.4.4.

In der Mitteilung werden die Voraussetzungen dafür erörtert, dass Online-Plattformen, zuständige Behörden und Nutzer illegale Inhalte schnell und effizient erkennen können. Dazu sollten sie ihre Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten systematisch verbessern. Gleichzeitig sollten die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die Gerichte in der Lage sind, wirksam gegen illegale Online-Inhalte vorzugehen, und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit stärken.

2.4.4.1.

Ferner sollen laut der Mitteilung Mechanismen für das Tätigwerden „vertrauenswürdiger Hinweisgeber“ (sog. „trusted flaggers“) vorgesehen werden, um eine schnellere und zuverlässigere Entfernung illegaler Online-Inhalte zu ermöglichen. Dabei handelt es sich um spezialisierte Einrichtungen mit besonderen Fachkenntnissen in der Ermittlung illegaler Inhalte sowie spezielle Strukturen zur Erkennung und Ermittlung derartiger Online-Inhalte. Die Kommission wird die Möglichkeiten zur Vereinbarung EU-weiter Kriterien für vertrauenswürdige Hinweisgeber weiter prüfen.

2.4.4.2.

Zur Kommunikation mit den Nutzern sollen Online-Plattformen einen leicht zugänglichen und benutzerfreundlichen Mechanismus einführen, der Nutzern die Meldung von als rechtswidrig anzusehenden Inhalten auf den Plattformen erlaubt.

2.4.4.3.

Um eine hohe Qualität der Meldungen zu gewährleisten, sollten wirksame Mechanismen eingerichtet werden, die die Übermittlung von hinreichend genauen und begründeten Meldungen erleichtern.

2.4.5.

Es wird dargelegt, dass Online-Plattformen proaktive Maßnahmen ergreifen sollten und wie sich dies auf den Haftungsausschluss auswirkt. Des Weiteren wird die Nutzung von Technologien zur Erkennung und Ermittlung illegaler Inhalte befürwortet.

2.4.6.

Als weiterer Aspekt wird in der Mitteilung die Entfernung illegaler Inhalte behandelt, wobei solide Sicherheitsmechanismen zur Begrenzung der Gefahr der Entfernung legaler Inhalte angemahnt werden. Die Europäische Kommission fordert, dass der vorgeschriebenen „unverzüglichen“ Entfernung und Meldung von Straftaten an die Strafverfolgungsbehörden Genüge getan wird. Sie befürwortet auch eine verstärkte Transparenz der Politik zu Plattforminhalten sowie der Melde- und Abhilfeverfahren.

2.4.7.

Im Zusammenhang mit Sicherheitsvorkehrungen gegen die überzogene Entfernung und den Missbrauch des Systems prüft die Europäische Kommission die Anfechtung von Meldungen und Maßnahmen gegen bösgläubige Meldungen und Gegendarstellungen.

2.4.8.

Zur Verhinderung des erneuten Auftauchens illegaler Inhalte wird die Möglichkeit erwogen, die Nutzer durch geeignete Maßnahmen vom wiederholten Hochladen illegaler Inhalte der gleichen Art abzuhalten und deren Verbreitung wirksam zu unterbinden. Ferner wird die Nutzung und Weiterentwicklung von Technologien gefördert, die verhindern, dass illegale Inhalte erneut online auftauchen, bspw. automatische Filter für erneutes Hochladen.

2.4.9.

Generell gibt diese Mitteilung Orientierungshilfe, enthält aber keine Änderung des geltenden Rechtsrahmens oder rechtsverbindliche Vorschriften. Sie soll in erster Linie Online-Plattformen im Hinblick darauf orientieren, wie sie ihrer Verantwortung bei der Bekämpfung von ihnen gehosteter illegaler Inhalte gerecht werden können. Sie zielt ferner darauf ab, die einheitliche Anwendung guter Verfahrensweisen in Bezug auf unterschiedliche Formen von illegalen Inhalten und eine engere Zusammenarbeit zwischen Plattformen und den zuständigen Behörden zu fördern.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA nimmt diese Mitteilung zur Kenntnis und fordert die Europäische Kommission auf, über wirksame Programme und Maßnahmen für einen stabilen und kohärenten Rechtsrahmen im Hinblick auf die wirksame Entfernung illegaler Inhalte zu sorgen. Er erachtet die Mitteilung auch angesichts des Stellenwerts der digitalen Plattformen im Alltag, der mit ihrer gesellschaftlichen Verbreitung verbundenen Risiken und ihrer Auswirkungen auf den digitalen Binnenmarkt als dienlich; letzterer hat zum Ziel, die Rechtszersplitterung zwischen den Mitgliedstaaten zu vermeiden und technische, rechtliche und steuerliche Hemmnisse zu beseitigen, damit die Unternehmen, Bürger und Verbraucher die digitalen Werkzeuge und Dienste uneingeschränkt nutzen können.

Der EWSA betont, dass die Online-Plattformen gegen illegale Inhalte und unfaire Geschäftspraktiken (z. B. den Weiterverkauf von Veranstaltungskarten zu Wucherpreisen) vorgehen müssen, indem Rechtsvorschriften, ergänzt durch Maßnahmen zur wirksamen Selbstregulierung (z. B. ausgesprochen klare Nutzungsbedingungen und geeignete Mechanismen zur Ermittlung von Wiederholungstätern oder die Einrichtung spezieller Arbeitsgruppen zur Moderierung von Inhalten und die Rückverfolgung illegaler Inhalte) festgelegt bzw. hybride Maßnahmen ergriffen werden.

3.2.

Nach Meinung des EWSA sollten die Kategorien illegaler Inhalte überprüft und festgelegt werden, damit nicht nur die in der Mitteilung genannten Inhalte (Aufstachelung zu Terrorismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, insbesondere die öffentliche Aufstachelung zu Hass und Gewalt wie auch die Verbreitung von Material mit Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs) erfasst werden. Ohne eine erschöpfende Liste aufstellen zu wollen, könnten weitere Kategorien einbezogen werden, wie eindeutig böswillige Verleumdung oder Verbreitung von Inhalten, die die Menschenwürde verletzen, wie auch von sexistischen Inhalten, die geschlechtsspezifische Gewalt fördern, um daraus dann gemeinsame Kriterien für die Kategorisierung abzuleiten.

Deshalb sollte die Anwendung von Leitlinien für die Erkennung, Ermittlung, Meldung und Entfernung gefördert werden,

a)

um die in internationalen Übereinkommen anerkannten Rechte zu wahren, u. a. zum Schutz

von Kindern vor digitalen Inhalten, die gegen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes verstoßen;

von Menschen mit Behinderungen vor digitalen Inhalten, die gegen das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verstoßen;

b)

um eine gender-bezogene Diskriminierung in digitalen Inhalten auszuschließen, insbesondere im Sinne der Gewährleistung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen wie auch der Gleichstellung und der menschlichen Würde in der Werbung;

c)

um sicherzustellen, dass die digitalen Inhalte die in der digitalen Agenda festgelegten Anforderungen zur Stärkung der Sicherheit und der Rechte der Verbraucher in der digitalen Gesellschaft erfüllen.

3.3.

Der EWSA spricht sich dafür aus, Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Online-Inhalte zu intensivieren, insbesondere zum Schutz von Minderjährigen Inhalte mit hetzerischen Äußerungen oder die zum Terrorismus aufstacheln, zu entfernen, und der Verhinderung von Mobbing und Gewalt gegen schutzbedürftige Personen besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

3.4.

Nichtsdestotrotz wird der Begriff der illegalen Online-Inhalte in jedem Mitgliedstaat rechtlich und von jedem Menschen ethisch unterschiedlich ausgelegt. So gibt es noch andere, nicht so eindeutige Beispiele, die je nach Lesart und Lösung der Grundrechtskollision, z. B. zwischen der Meinungsfreiheit und anderen anerkannten Rechten, auch als illegale Inhalte eingestuft werden können. Es muss für größtmögliche Rechtsvereinbarkeit gesorgt werden, um derlei Rechtskollisionen vorzubeugen. Indes müssen Maßnahmen gegen die Verbreitung von Falschmeldungen („Fake News“) ergriffen werden, weshalb die Online-Plattformen nach Meinung des EWSA den Nutzern Instrumente an die Hand geben sollten, mit denen sie Falschmeldungen so anprangern können, dass andere Nutzer darüber informiert werden können, dass der Wahrheitsgehalt der Inhalte strittig ist. Online-Plattformen könnten zudem Partnerschaften mit vertrauenswürdigen Hinweisgebern („trusted flaggers“), d. h. zertifizierten Faktencheck-Websites, eingehen, um das Vertrauen ihrer Nutzer in die Richtigkeit der Online-Inhalte zu stärken.

3.5.

Zum Zweck der Veranschaulichung empfiehlt sich eine Systematisierung der Fälle illegaler Inhalte, um im Rahmen des Möglichen zu einer gemeinsamen Definition der Begriffe in den einzelnen Mitgliedstaaten zu gelangen und ihre Gewichtung und Abgrenzung voneinander zu erleichtern, so zum Beispiel:

nationale Sicherheit (Terrorismus, Korruption, Drogenhandel, Waffenhandel, Steuerhinterziehung und Geldwäsche);

Schutz von Minderjährigen (Pornografie, Gewalt usw.);

Menschenhandel, Prostitution und geschlechtsbezogene Gewalt sowie sexistische Werbung;

Schutz der menschlichen Würde (Aufstachelung zu Hass oder Diskriminierung aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, der Ideologie oder der sexuellen Orientierung);

wirtschaftliche Sicherheit (Betrug, Produkt- und Markenpiraterie usw.);

Informationssicherheit (Hacking, Bereitstellung zu gewerblichen Zwecken, Wettbewerbsvermeidung, Desinformation usw.);

Schutz der Privatsphäre (Belästigung über das Internet/Cyber-Mobbing, Abschöpfung und Nutzung personenbezogener Daten, Überwachung des Telekommunikationsverkehrs, Geolokalisierung usw.);

Schutz der Reputation (Verleumdung, verbotene vergleichende Werbung usw.);

geistiges Eigentum.

3.5.1.

Nach Ansicht des EWSA sollte der Versuch einer Definition der Begriffe „illegale Inhalte“ und „gefährliche Inhalte“ unternommen werden, um falsche Auslegungen dieser Begriffe zu vermeiden.

3.6.

Besondere Aufmerksamkeit sollte angesichts ihrer Tragweite der konzentrierten wirtschaftlichen Macht einiger digitaler Plattformen gelten, sowie der Erstellung, Verarbeitung und Verbreitung rein informativer Inhalte, die nur dem Anschein nach legal sind, d. h., durch die illegale oder gar gefährliche Elemente verschleiert werden. Desgleichen muss umfassend auf die Thematik Big Data und den Nutzen, den die Online-Plattformen aus ihrer Verarbeitung ziehen, eingegangen werden.

3.7.

In Anbetracht der übergreifenden Problemstellung sollte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, einschlägige Initiativen für eine auf Gegenseitigkeit beruhende Zusammenarbeit effektiv und effizient zu prüfen und vorzusehen und dabei Grundsätzen wie Information, Auswahl, schrittweise Übertragung, Sicherheit, Datenintegrität, Zugang und Durchführung Rechnung zu tragen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

In diesem Gesamtzusammenhang sollte eine Überarbeitung der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (aus dem Jahr 2000), der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (2005) und der Richtlinie über irreführende Werbung (2006) in Erwägung gezogen werden. Insbesondere sollten dabei die Aspekte der neuen Geschäftsmodelle sowie der Ablösung der herkömmlichen Geschäftsbeziehungen berücksichtigt werden. In jedem Fall sollten die für die Inhalte auf Plattformen geltenden Haftungsregeln verschärft und unionsweit harmonisiert und Umsetzungslücken geschlossen werden. Ziel ist es, die Rechtssicherheit zu verbessern und das Vertrauen der Unternehmen und der Verbraucher zu stärken.

4.1.1.

Auf jeden Fall sollten Maßnahmen vorgesehen werden, um in einem transparenten Verfahren gegen Websites, die gegen die Vorschriften verstoßen, vorgehen und sie beispielsweise blockieren zu können. Dabei muss durch geeignete Garantien sichergestellt werden, dass Einschränkungen auf das Notwendige begrenzt werden und verhältnismäßig sind und dass die Nutzer über den Grund der Zugangsbeschränkung informiert werden. Zu diesen Garantien gehört auch die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten.

4.1.2.

Im Zusammenhang mit der Erkennung und Meldung illegaler Inhalte sollen der Mitteilung zufolge die nationalen Gerichte und zuständigen Behörden befugt sein, einstweilige und andere Maßnahmen zu treffen, um illegale Inhalte zu entfernen oder den Zugang dazu zu sperren. Damit einhergehen sollten Maßnahmen, wie sie der EWSA in seiner Stellungnahme zur Verordnung über die Zusammenarbeit der Verbraucherschutzbehörden vorgeschlagen hat (4).

4.2.

Ferner sollten Verfahren zur Ermittlung der Verantwortlichen sowie Antwortmechanismen zur Vorab- oder späteren Aufhebung der Genehmigungen eingeführt werden, wobei sich die im Einzelfall zu ergreifenden Maßnahmen an der jeweiligen Vorgeschichte und den verfügbaren Informationen orientieren würden.

4.3.

Desgleichen könnten die Aspekte betreffend die Genehmigung von Inhalten im Zusammenhang mit zuvor eingegangenen Meldungen präzisiert werden. So könnten beispielsweise Listen von Plattformen mit illegalen Inhalten aufgestellt werden wie auch Listen von Plattformen, die offiziell anerkannte, am besten bewährte Verfahrensweisen anwenden. Dadurch würde ein Anreiz für mehr Wettbewerb auf der Grundlage von Reputation und Vertrauen in das Internet gegeben.

Innovation begünstigt Investitionen in Forschung, Entwicklung und Weiterqualifizierung von Arbeitnehmern und ist von grundlegender Bedeutung für das Hervorbringen neuer Ideen und Innovationen. Technologische Innovation sollte den Verfahren für die Erkennung, Ermittlung und Entfernung von Inhalten und für die Verhinderung eines erneuten Hochladens illegaler Inhalte dienen, beispielsweise über Informationsverarbeitung, Maschinenintelligenz und Nutzung automatischer Erkennungs- und Filtertechnologien, doch letztlich muss gewährleistet werden, dass die individuelle Entscheidung und Handlung einer Person im Einklang mit den Grundrechten und den demokratischen Werten steht.

Der EWSA bekräftigt, dass ein Ausgleich zwischen der Gewährleistung der Grundrechte und den Beschränkungen hinsichtlich illegaler Inhalte hergestellt werden muss, betont indes, dass die Nutzung der aktuellen automatischen Filtertechnologien die unternehmerische Freiheit der Plattformen, das Recht auf freie Meinungsäußerung der Endnutzer und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten über Gebühr belastet. Patentlösungen wie automatisierte Uploadfilter, die ein erneutes Hochladen verhindern, sollten der Industrie nicht ohne Rücksicht auf die spezifischen Erfordernisse der KMU in der IT-Branche vorgegeben werden. Aktuelle bewährte Verfahren bei der Anwendung automatischer Filter lassen erkennen, dass eine systematische menschliche Beteiligung („human-in-the-loop principle“) erforderlich ist. Dabei werden die endgültigen kontextbezogenen Entscheidungen bei einer kleineren Anzahl strittiger Fälle stets von Menschen getroffen, um die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung zu verringern. Es muss klargestellt werden, dass künstliche Intelligenz nicht an die Stelle ethisch begründeter Entscheidungen von Menschen treten darf.

4.4.

Im Zusammenhang mit den Meldungen sollten Akkreditierungsverfahren für vertrauenswürdige Hinweisgeber eingeführt werden, und bei den Maßnahmen „zur Gewährleistung einer hohen Qualität der Meldungen“ sollte eine Veröffentlichung der Meldungen in Betracht gezogen werden.

4.5.

Die Mitteilung beinhaltet keinen klaren Vorschlag für proaktive, präventive und Umerziehungsmaßnahmen, die es ermöglichen würden, eine Reihe einschlägiger politischer Initiativen zu ergreifen, die wiederum Voraussetzung für eine integrierte und effiziente Bekämpfung illegaler digitaler Inhalte wären.

4.6.

Es müssen geeignete Maßnahmen für die Fälle vorgesehen werden, in denen getroffene Entscheidungen revidiert werden müssen, damit sie rückgängig gemacht und irrtümlich oder aufgrund böswilliger Falschmeldungen gelöschte Inhalte wiederhergestellt werden können, insbesondere Verfahren für die außergerichtliche Geltendmachung mitsamt einem Verhaltenskodex und Sanktionen im Fall von Nichteinhaltung.

Der EWSA plädiert für die Einführung wirksamer Beschwerde- und Streitbeilegungsverfahren, um den KMU und den Verbrauchern die Wahrnehmung ihrer Rechte zu erleichtern.

4.7.

Die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Entfernung illegaler Inhalte könnte durch die Einführung eines klaren Abschreckungsmittels verstärkt werden, bspw. die öffentliche Bekanntgabe der ergriffenen Maßnahmen im Rahmen der jeweiligen Rechtssicherheit, zumal dadurch auch die Transparenz als notwendige Voraussetzung für eine möglichst wirksame Umsetzung eines Rechtsetzungsvorschlags gestärkt würde.

Es muss für ein hohes Schutzniveau zwischen den Plattformen, den Verbrauchern und den übrigen Wirtschaftsteilnehmern gesorgt werden. Es ist wichtig, die Transparenz des Systems und die Zusammenarbeit zwischen Plattformen selbst sowie zwischen den Plattformen und den Behörden zu fördern, um illegale Inhalte gründlicher zu bekämpfen.

4.8.

Schließlich sollten die speziell für den Schutz von Kindern entwickelten Lösungen auch auf schutzbedürftige Gruppen der erwachsenen Bevölkerung ausgedehnt und bedarfsgerecht angepasst werden.

Brüssel, den 14. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Online-Plattformen im digitalen Binnenmarkt — Chancen und Herausforderungen für Europa, COM(2016) 288 final vom 25. Mai 2016.

(2)  ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 119.

(3)  Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. L 178 vom 17.7.2000, S. 1).

(4)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 100.


6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/26


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Halbzeitbewertung des Programms Copernicus (2014-2020)“

(COM(2017) 617 final)

(2018/C 237/04)

Berichterstatter:

Mindaugas MACIULEVIČIUS

Befassung

Europäische Kommission, 18.1.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

9.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

14.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

178/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die bislang mit dem Programm Copernicus erzielten Ergebnisse, über die die Kommission berichtet. Es sind bereits sehr genaue Satelliten in Betrieb, die täglich hochwertige Erdbeobachtungsdaten aus aller Welt übertragen.

1.2.

Der EWSA betont, dass bei der Bewertung der Ergebnisse des Copernicus-Programms neben dem wirtschaftlichen Aspekt auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt werden sollten. Die EU hat sich den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung verschrieben und nimmt angesichts ihrer auf der COP 21 eingegangenen klaren und äußerst ehrgeizigen Verpflichtungen weltweit eine führende Stellung bei der Eindämmung des Klimawandels ein. Das Copernicus-Programm ist hierbei das wichtigste System für die Bereitstellung von Parametern und Instrumenten zur Messung von Leistungen und Ergebnissen, nicht nur auf EU-Ebene, sondern in der ganzen Welt.

1.3.

Copernicus ist von zentraler Bedeutung in den Bereichen Klimawandel, Ernährungssicherheit, öffentliche Gesundheit, Katastrophenschutz, Bekämpfung des Menschenhandels, Sicherheit des Seeverkehrs usw. Die EU steht bei der Überwachung und Bereitstellung genauer Daten in Bezug auf Veränderungen des Klimas, der Emissionen verschiedener Gase, des Zustands land- und forstwirtschaftlich genutzter Flächen und der Lage im maritimen Bereich an der Spitze. Ohne diese Daten könnten sich die Wissenschaftler hiervon kein Bild machen und keine Lösungen für einen erfolgreichen Klimaschutz, eine nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung usw. vorschlagen.

1.4.

Die Unionsbürger identifizieren sich nicht wirklich mit dem Copernicus-Programm und sind auch nicht stolz darauf. Copernicus und sein Nutzen sind ihnen genau so wenig bekannt wie die europäischen Raumfahrtprogramme im Allgemeinen. Das Programm und die in seinem Rahmen durchgeführten Tätigkeiten sollten stärker ins Blickfeld der Medien gerückt und der Zivilgesellschaft und aktiven Bürgerinnen und Bürgern zugänglich gemacht werden. Der EWSA hält es für unbedingt erforderlich, die Zivilgesellschaft an der Konzipierung der Raumfahrtstrategien und -programme zu beteiligen.

1.5.

Ein etwaiges Copernicus-Forum sollte Vertretern der Unternehmen, Verbraucher und Organisationen der Zivilgesellschaft offen stehen. Eine Öffnung gegenüber der Gesellschaft ist notwendig und es muss eine echte Europäische Weltraumgemeinschaft geschaffen werden. Der EWSA erklärt sein Interesse und seine Bereitschaft, hierbei eine aktive Rolle zu spielen, sowohl direkt als auch über die durch ihn vertretenen nationalen Organisationen, die ein enormes Potenzial zur Schließung der mit dem EWSA-Projekt Space & Society aufgezeigten Lücken besitzen.

1.6.

Die Wirksamkeit des Copernicus-Programms sollte nicht nur anhand der wirtschaftlichen Leistung bewertet werden. Sein größter Nutzen liegt in seinen ökologischen und sozialen Elementen. Es handelt sich um ein unverzichtbares Instrument für den Klimaschutz, eine nachhaltige Ernährung der Weltbevölkerung, die Rettung von Menschenleben auf See usw. Es bietet Dienstleistungen, die aufgrund der Relevanz für die nationale Sicherheit nicht von Dritten erworben werden können und derzeit nirgendwo sonst in vergleichbarer Qualität angeboten werden. Es ist unsere Antwort auf diese globalen Herausforderungen und zeigt unsere Bereitschaft als reife globale Gesellschaft, sie zu bewältigen.

1.7.

Von größter Wichtigkeit für eine erfolgreiche Nutzung der Copernicus-Daten ist die Einbeziehung von KMU und Kleinstunternehmen, Start-ups und unabhängigen Forschern. Von ihnen kommen neue Ideen und neue Anwendungsbereiche. Es muss unbedingt für die Entwicklung verschiedener Initiativen gesorgt werden und für die Endnutzer müssen Instrumente entwickelt werden, die einen Mehrwert schaffen. Horizont 2020 hat eine wichtige Rolle gespielt und sollte dies auch weiterhin tun. Der Zugang zu Finanzierungen über die Europäische Investitionsbank (EIB) und den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) ist von höchster Bedeutung.

1.8.

Der EWSA fordert hier in Bezug auf Copernicus eine bessere Abstimmung und Kohärenz sowie eine Sensibilisierung für das Programm. Außerdem sollte für die Nutzung seiner Instrumente für öffentliche Dienstleistungen durch die verschiedenen Generaldirektionen auf EU-Ebene sowie die nationalen und regionalen Behörden auf Mitgliedstaatsebene geworben werden. Die Copernicus-Daten sollten auf europäischer Ebene als unabhängiger und nationaler Maßstab gelten. Eurostat sollte stärker in die Messung der Fortschritte in diesem Bereich und des Nutzens von Copernicus einbezogen werden.

1.9.

Kleine lokale Agenturen könnten eine gute Lösung für die Verbreitung der Daten und von Copernicus als Instrument auf der Ebene der nationalen Verwaltung sein. Durch die Einrichtung lokaler Nutzergemeinschaften unter Einbeziehung vor Ort ansässiger KMU, Kleinstunternehmen und Start-ups sowie unabhängiger Forscher neben regionalen Behörden, Vertretern der Zivilgesellschaft, Bildungseinrichtungen und unabhängigen öffentlichen Beratungsdiensten sowie direkten Copernicus-Nutzern wie Landwirten, Forstwirten und Umweltschützern ließe sich die Nutzung der Copernicus-Daten intensivieren und die auf die nationalen Besonderheiten abgestimmte Leistungsfähigkeit steigern.

1.10.

Von größter Wichtigkeit sind Bildungsmaßnahmen in Bezug auf Copernicus. Der EWSA begrüßt insbesondere spezifische Master-Programme zur Unterstützung von Studenten an europäischen Hochschulen bei ihrem Copernicus-Master-Studium. Der EWSA fordert ein eigenes ehrgeizigeres Programm, das alle relevanten technischen Unterstützungsmaßnahmen zur Einrichtung spezieller Copernicus-Fachbereiche an allen einschlägigen europäischen Hochschulen, Berufsschulen und bei Beratungsfirmen umfasst. Die potenzielle Nutzung von Copernicus sollte als eigener Themenkomplex in allen einschlägigen Studiengängen, einschließlich der Bereiche Land- und Forstwissenschaft, Ingenieurswesen, Umwelt, Meeresforschung usw. eingeführt werden. Der Fortbildungsbedarf der derzeitigen Fachkräfte, darunter auch die Endnutzer, sollte berücksichtigt werden; hier könnten spezielle Programme von unabhängigen und von öffentlichen Beratungsdiensten angeboten werden.

1.11.

Die Verfügbarkeit eines schnellen und einfachen Datenzugangs soll schon bald durch die bevorstehende Inbetriebnahme der Copernicus-Dienste für den Daten- und Informationszugang (Data and Information Access Services — DIAS) sichergestellt werden. Hierdurch werden einige Probleme gelöst, die im Zusammenhang mit der Dauer des Herunterladens der Copernicus-Daten aufgetreten sind. Außerdem fordert der EWSA, durch nationale Vorschriften eine raschere Harmonisierung und uneingeschränkte Verfügbarkeit von In-situ-Daten sicherzustellen. Das Copernicus-Programm kann nur dann ein voller Erfolg werden, wenn Normung und Interoperabilität gegeben sind.

1.12.

Die EU sollte sich im Hinblick auf das Ziel einer nachhaltigen und gesellschaftlich nutzbringenden Wirtschaft vorrangig für die Ausbildung qualifizierter Ingenieure und Techniker, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Vermittlung neuer beruflicher Kompetenzen für die Entwicklung der Anwendungen einsetzen.

1.13.

Mit Blick auf die wichtigen Ergebnisse und ihre Qualität hofft der EWSA, dass europäischen Trägerraketen Vorrang eingeräumt wird. Erfolgreiche Starts, eine genaue Umsetzung der Programme und Einhaltung der Fristen sowie Flexibilität beim Einsatz der neuen Ariane 6 und Vega C dürften dazu beitragen, dass sich europäische Exzellenz durch langfristige Verträge auszahlt. Der EWSA befürwortet zwar keine protektionistischen Maßnahmen, hält es aber zugleich für erforderlich, mithilfe des Grundsatzes der Gegenseitigkeit die europäische Industrie vor unlauteren Praktiken zu schützen.

1.14.

Besonderes Augenmerk sollte darauf gelegt werden, mittels gezielter Sensibilisierungs- und Informationsprogramme für die betreffenden Wirtschaftsakteure die sich hier für die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft und die Fischerei ergebenden Möglichkeiten bekannt zu machen. Mit Energieeinsparungen und einem geringeren Düngemittel- und Pestizideinsatz lassen sich die landwirtschaftliche Produktion und der Gewässerschutz verbessern. Das Programm „Globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung (GMES) und Afrika“, das bereits ausgezeichnete Ergebnisse geliefert hat, sollte nach Auffassung des EWSA gestärkt und auch in anderen Entwicklungsregionen verbreitet werden.

1.15.

Der EWSA begrüßt das für das Copernicus-Programm gewählte Lenkungsmodell, insbesondere die Schaffung des Nutzerforums, das den Vertretern der Wirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft offen stehen sollte. In der nächsten Copernicus-Verordnung sollte das derzeitige Modell der Aufteilung der Zuständigkeiten entsprechend den Fähigkeiten bestätigt werden, wobei zwischen der — auf die Weltraumorganisation (ESA) übertragenen — technischen Zuständigkeit für die Weltraumkomponente und der Zuständigkeit für die Dienste, die „beauftragten Einrichtungen“ übertragen wurde, unterschieden werden sollte.

1.16.

Parallel zur Verbesserung des Zugangs zu Daten und ihrer Qualität muss der flächendeckende Ausbau des Breitbandnetzes in Europa intensiviert werden, insbesondere in den ländlichen und entlegenen Gebieten, die von den privaten Dienstebetreibern häufig vernachlässigt werden. Die wirksame Umsetzung der „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt“ ist von wesentlicher Bedeutung, um die durch das Copernicus-Programm gebotenen Möglichkeiten bestmöglich zu nutzen. Der EWSA unterstützt voll und ganz diese Initiative der Europäischen Kommission und fordert das Europäische Parlament und den Rat auf, die Verhandlungen zur endgültigen Billigung der derzeit noch erörterten Maßnahmen zu beschleunigen.

1.17.

Der Schutz der Daten vor immer häufigeren Angriffen sowie der Weltrauminfrastruktur vor den Gefahren des Weltraummülls stellt eine Priorität dar. Der EWSA empfiehlt, die Sicherheitsvorkehrungen zu verstärken und Programme zur Beseitigung des Weltraummülls und zur Entsorgung von nicht mehr betriebenen Satelliten zu beschleunigen (1). Die Europäische Kommission sollte ihre Bemühungen um ein umfassendes internationales Übereinkommen verstärken.

1.18.

Der EWSA plädiert für eine stärkere Einbeziehung des Finanzsystems und der Investoren in die Weltraumtätigkeiten. Hier könnte über die Ausgabe spezieller „Weltraumanleihen“ die Öffentlichkeit eingebunden werden. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen sowie von Start-ups zum Zweck der Schaffung von Dienstleistungen und innovativen Anwendungen geschenkt werden. Die jüngsten Vereinbarungen zur Eindämmung der Erderwärmung eröffnen die Möglichkeit neuer Wirtschaftstätigkeiten in Bezug auf die Emissionskontrolle.

1.19.

Darüber hinaus empfiehlt der EWSA, die Mittel für das Copernicus-Programm beizubehalten und möglichst aufzustocken; dieses Programm führt nicht nur zu Wachstum und Entwicklung, sondern garantiert auch die Autonomie und Unabhängigkeit Europas bei der Verwaltung seines Gebiets und seiner eigenen Sicherheit und treibt die Innovation, die Forschung und die nachhaltige Entwicklung voran.

2.   Die Mitteilung der Kommission

2.1.

Die Weltraumkomponente des Programms für den Zeitraum von April 2014 bis April 2017 entspricht abgesehen von einer Verzögerung um ca. 10 Monate beim Start des Satelliten Sentinel 2 B aufgrund von Problemen mit der russischen Rockot-Trägerrakete im Wesentlichen den Prognosen. Um die Verzögerungen zu begrenzen, wurde Sentinel 2 B mit der von der italienischen Raumfahrtagentur (ASI) in Zusammenarbeit mit der ESA entwickelten Trägerrakete Vega in die Umlaufbahn gebracht.

2.2.

Die Erwartungen wurden weit übertroffen: die von den fünf Satelliten in der Umlaufbahn übertragene Datenmenge erreichte im März 2017 insgesamt 12 TB pro Tag und die Zahl der bei dem kostenlosen Datenportal registrierten Nutzer belief sich auf 85 000 statt der prognostizierten 50 000 Nutzer (2).

2.3.

Am 13. Oktober 2017 wurde erfolgreich der Satellit Sentinel 5P gestartet, der täglich Daten über die Zusammensetzung der Erdatmosphäre liefern soll. Mit ihm werden die Treibhausgase, die Ozonschicht sowie die Schwefeldioxid- und Formaldehydmenge überwacht. Darüber hinaus wird die Verbreitung von Vulkanasche und Kohlenmonoxid beobachtet.

2.4.

Das Programm Copernicus hat von Anfang an mit anderen „beitragenden“ Missionen zusammengearbeitet, die unverzichtbar sind, um Daten in sehr hoher Auflösung zu liefern, die Copernicus nicht bereitstellen kann. Dank dieser Missionen konnte das Projekt bereits vor dem Start des ersten Sentinel anlaufen. Neben den durch die „parallelen“ Missionen bereitgestellten Daten werden Daten der boden-, see- oder luftgestützten „In-situ-Sensoren“ genutzt und abgeglichen. Die allgemein anerkannte Genauigkeit der Copernicus-Daten ist auf die Validierung der Daten durch den Abgleich mit den von den In-situ-Sensoren erfassten Daten zurückzuführen.

2.5.

Copernicus wurde von vornherein als nutzerorientiertes und auf die Bedürfnisse der Nutzer zugeschnittenes Programm konzipiert. Sein zunehmender Erfolg bei den Dienstebetreibern und -nutzern gründet auf diesem Ansatz und auf dem offenen und kostenlosen Datenzugang.

2.6.

Die Lenkung von Copernicus erfolgt je nach Zuständigkeiten.

2.6.1.

Die Koordinierung und Umsetzung der Weltraumkomponente wurde der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und zum Teil auch der Europäischen Organisation für die Nutzung von meteorologischen Satelliten (EUMETSAT) übertragen.

2.6.2.

Für die Dienste-Komponente sind die Gemeinsame Forschungsstelle (JRC), die Europäische Umweltagentur (EUA), das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF), Mercator Océan, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex), die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und das Satellitenzentrum der Europäischen Union zuständig. Die Konformität von Copernicus mit dem Geodatenprogramm INSPIRE gewährleistet eine effiziente Nutzung aller verfügbaren Datenressourcen.

2.7.

Die Kommission bewertet die bisherigen Erfahrungen und Ergebnisse, die Einhaltung der veranschlagten Mittel, die Entwicklung der Nutzernachfrage sowie die Zusammenarbeit mit den anderen Einrichtungen und Stellen, die zur Verwaltung der Dienste beitragen, als positiv.

2.8.

Die Gesamtverwaltung obliegt dem sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzenden Copernicus-Ausschuss zusammen mit dem Nutzerforum und der Kommission.

2.9.

Dank spezifischer Programme wie Copernicus Relays und Copernicus Academy, die der Sensibilisierung und lokalen technischen Unterstützung dienen, sind im Bereich der Kommunikation und der Verbreitung von Informationen über die von Copernicus gebotenen Möglichkeiten beachtliche Fortschritte erzielt worden.

2.10.

Die Kommission richtet gemeinsam mit der ESA die Copernicus Masters aus, einen jährlich stattfindenden Wettbewerb zur Innovationsförderung. Zudem gibt es das Copernicus-Programm für Start-ups mit dem Copernicus Accelerator, der Start-ups eine Beratung bietet, die für die nahe Zukunft geplanten Copernicus Hackathons (es sind 40 Treffen in zwei Jahren vorgesehen) und das Programm Copernicus Incubation, mit dem in drei Jahren 60 Start-ups gefördert werden.

2.11.

Die künftigen Prioritäten der Kommission lauten folgendermaßen:

Erschließung des wirtschaftlichen Potenzials von Copernicus durch die Nutzung der gelieferten Daten mit innovativen Produkten und Dienstleistungen;

Gewährleistung der Stabilität des Programms in der Zukunft und der vollständigen, offenen und unentgeltlichen Verfügbarkeit der Daten;

vollständige Umsetzung der Weltraumstrategie für Europa, um die Herausforderungen in den Bereichen Klimawandel und nachhaltige Entwicklung anzugehen und um CO2- und andere Treibhausgasemissionen, Bodennutzung und Forstwirtschaft und Veränderungen in der Arktis zu überwachen;

Verstärkung der Sicherheit, die Copernicus im Rahmen der Grenzkontrollen und Seeraumüberwachung gewährleisten kann.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt die bislang mit dem Programm Copernicus erzielten Ergebnisse, über die die Kommission berichtet. Der EWSA hat stets die europäische Raumfahrtpolitik als Ganzes unterstützt, insbesondere die beiden wichtigen Programme Galileo und Copernicus; seine früheren einschlägigen Stellungnahmen (3) wurden in der Mitteilung der Kommission weitgehend berücksichtigt.

3.2.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Hauptziele des Programms erreicht und in einigen Bereichen sogar übertroffen wurden.

3.3.

Die Menge und Qualität der Daten, die täglich von den Satelliten übertragen werden, machen Copernicus zu einem der wichtigsten Datenproduzenten der Welt, der der Europäischen Union Unabhängigkeit bei der Beobachtung ihres Gebiets garantiert und zugleich auch anderen Teilen der Welt genaue und kostenlose Daten zur Verfügung stellen kann. Der unerwartete Erfolg hat zu Problemen bei der Verwaltung der Datenströme geführt. Der EWSA empfiehlt, die der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellten Portale rasch und wirksam auszubauen und die Nachfrage nach Hochgeschwindigkeitssystemen für das Herunterladen von Big Data zu befriedigen.

3.4.

Die bevorstehende Inbetriebnahme des DIAS-Systems dürfte für einen leichten Zugang sorgen und, in Kombination mit dem System für den Copernicus-Referenzdatenzugang (Copernicus Reference Access Data — CORDA), den Nutzern eine deutliche Verbesserung bei Menge und Qualität der verfügbaren Daten bringen. Die Daten sollten auch auf den Bewölkungsfaktor hin geprüft werden, da ein Großteil der vorhandenen Daten aufgrund der Wolkendecke nicht erfolgreich genutzt werden konnte. Dadurch würden die Kosten für den Betrieb und die Abschreibung der DIAS Einrichtungen erheblich gesenkt.

3.5.

Der EWSA betont, dass bei der Bewertung der Ergebnisse des Copernicus-Programms neben den wirtschaftlichen Aspekten auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt werden sollten. Die EU hat sich den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung verschrieben und nimmt angesichts ihrer auf der COP 21 eingegangenen klaren und äußerst ehrgeizigen Verpflichtungen weltweit eine führende Stellung bei der Eindämmung des Klimawandels ein. Das Copernicus-Programm ist hierbei das wichtigste System für die Bereitstellung von Parametern und Instrumenten zur Messung von Leistungen und Ergebnissen, nicht nur auf EU-Ebene, sondern in der ganzen Welt.

3.6.

Trotz der bemerkenswerten Initiativen der Kommission und der mit den Diensten beauftragten Agenturen ist die Öffentlichkeitsarbeit zur Verbreitung der Vorteile der über Copernicus bereitgestellten Daten völlig unzureichend und unkoordiniert, weshalb „sich Hunderte Millionen von Unionsbürgern des Nutzens, den der Weltraum bietet, nicht bewusst sind“. Der EWSA hat mehrfach gefordert, ein großes, der europäischen Weltraumpolitik als Ganzes gewidmetes Weltraumportal einzurichten. Dies sollte der erste Schritt auf dem Weg zur Schaffung der Europäischen Weltraumgemeinschaft sein, wobei die Erfahrungen mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und ihrem Verwaltungsmodell, aus der die Europäische Gemeinschaft hervorging, herangezogen werden sollten.

3.7.

Zu den Prioritäten der europäischen Weltraumstrategie gehört auch die Förderung von Beschäftigung und nachhaltigem Wachstum. Auf die Erfahrung und Marktkenntnis der Wirtschaftsakteure, innovativen Start-ups, Fachleute für Datenverarbeitung und für die Entwicklung neuer Anwendungen zurückgreifen zu können, kann zu einer raschen Zunahme bei der Nutzung der täglich produzierten Daten beitragen, was ein gewaltiges Potenzial an positiven wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Auswirkungen birgt.

3.8.

Die Lenkung des Programms Copernicus ist positiv zu bewerten: Die Zuständigkeiten sind klar auf die Kommission und die beteiligten Agenturen aufgeteilt. In der nächsten Copernicus-Verordnung sollte diese Ausgewogenheit beibehalten werden und die Koordinierung der Weltraumkomponente weiterhin der ESA und die Verwaltung der Dienste den „beauftragten Einrichtungen“ anvertraut werden.

3.9.

Die Entwicklung der weltraumgestützten Dienste ist von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der digitalen Dienste für die Bürger und Unternehmen. Die Copernicus-Dienste bieten auch zahlreiche praktische Anwendungsmöglichkeiten im Alltag: so konnten landwirtschaftliche Betriebe in Österreich dank der Beobachtung ihrer Felder per Satellit ihre Produktivität um 26 % steigern, in den Niederlanden ließen sich mit demselben System die Ausgaben für Öl- und Gasbohrungen, den entsprechenden Transport und die Logistik um mehrere Millionen Euro senken und mehrere europäische Städte konnten die Genauigkeit ihrer Luftverschmutzungsmessungen um 60 % steigern und zugleich die Kosten senken (4).

3.10.

Der EWSA fordert den Ausbau des Breitbandnetzes in ganz Europa, insbesondere in ländlichen und entlegenen Gebieten, wie im Rahmen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt vereinbart wurde.

3.11.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, sich besonders für die Verbreitung von Kompetenzen und neue Arbeitsplätze einzusetzen. Durch europäische Programme sollte die Einrichtung von Berufsbildungskursen unterstützt werden. Die Verbreitung der Präzisionslandwirtschaft wird dank der Einsparung von Wasser, Düngemitteln und Pestiziden bessere Erträge bringen. Landwirtschaft 4.0 wird in großem Maße von der Möglichkeit profitieren, Erdbeobachtungsdaten zu nutzen und sie mit Geolokalisierungsdaten und mit anderen, bereits heute verfügbaren Technologien zu kombinieren. Neue Berufe werden entstehen, wie etwa Territorialanalyst, Cyber-Agronom und Entwickler für Klimaschutzanwendungen.

3.12.

Ein großes Problem für die rasche Entwicklung der Möglichkeiten, die die europäischen Raumfahrtprogramme bieten, ist die Frage der Finanzierung, insbesondere für KMU und Start-ups.

3.13.

Ein weiteres bedeutendes Problem betrifft die Cybersicherheit, den Schutz der Privatsphäre und die Sicherheit der Weltrauminfrastruktur. Im Alltag werden immer mehr aus dem All stammende Daten angewandt. Der EWSA empfiehlt, die Sicherheitsvorkehrungen zu verstärken und Programme zur Beseitigung des Weltraummülls und zur Entsorgung von nicht mehr betriebenen Satelliten zu beschleunigen (5). Zur Erhöhung der Infrastruktursicherheit sollte sich die EU für ein umfassendes internationales Übereinkommen einsetzen.

3.14.

„Öffnung nach außen“ sollte das neue Leitmotiv für die öffentlichen Behörden und die Privatwirtschaft lauten, um eine wirksame Beteiligung der Zivilgesellschaft zu erreichen. Derzeit werden die Informationen zusammenhanglos von verschiedenen öffentlichen und privaten Akteuren bereitgestellt, was insbesondere KMU davon abhält, sich ernsthaft mit der Entwicklung von Einsatzmöglichkeiten für das System zu befassen.

3.15.

Der EWSA begrüßt die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 1. Dezember 2017, die im Einklang mit vom Ausschuss seit langem hervorgehobenen Aspekten stehen: die Einbeziehung privater Akteure und die Verpflichtung zu vollständiger Information, eine langfristige Vision mit angemessenen Finanzmitteln, die Entwicklung und Förderung innovativer Unternehmen, die Stärkung der Unabhängigkeit der Union und ihrer Vorreiterrolle in der Weltraumpolitik, die ihr von traditionellen und neuen Konkurrenten streitig gemacht wird, die nutzerorientierte Ausrichtung unter nicht militärischer Kontrolle und Lenkung von Copernicus sowie die Aufrechterhaltung eines freien, offenen und zugänglichen Systems.

3.16.

In einer kürzlich durchgeführten Studie schätzt die Kommission den von Copernicus im Zeitraum 2017-2035 erbrachten Nutzen auf 67 bis 131 Milliarden Euro. Das Programm wird bei seiner Fortführung nach 2021 Gewinne mit einem Faktor zwischen 11 und 21 erwirtschaften und zur Schaffung von 4 000 hochqualifizierten Arbeitsplätzen pro Jahr beitragen.

3.17.

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung des Programms „GMES und Afrika“ und den Erfolg der jüngst zwischen der EU und der Kommission der Afrikanischen Union geschlossenen Kooperationsabkommen. Die Nutzbarmachung äußerst nützlicher Copernicus-gestützter Daten und Technologien für die Bodenbewirtschaftung, die Ermittlung und Erhaltung von Wasserressourcen und die Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge sollte ein zentrales Element des wachsenden Engagements der EU gegenüber Afrika und den Entwicklungsländern sein.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA bekräftigt seine Bereitschaft, an den Initiativen zur Förderung und zur Verbreitung von Informationen über das soziale und wirtschaftliche Potenzial und die Vorteile des Copernicus-Systems in der Zivilgesellschaft mitzuwirken, wie er es bereits im Rahmen des Projekts Space & Society, das er fortzuführen gedenkt, getan hat. Die Vernetzung der Behörden, der Agenturen, der Erbringer öffentlicher und privater Dienstleistungen und der Zivilgesellschaft ist der Schlüssel für den voraussichtlich außerordentlichen Erfolg der auf der Grundlage der strategischen Projekte wie Galileo und vor allem Copernicus entwickelten Anwendungen.

4.2.

Der EWSA teilt die Bedenken der Kommission in Bezug auf die geringe Einbeziehung der Nutzer aus nicht weltraumbezogenen Bereichen, der deutlich mehr Aufmerksamkeit als bislang gewidmet werden sollte. Die positive Erfahrung der Agentur für das Europäische GNSS (GSA) ließe sich bei Copernicus wiederholen, indem die Verantwortung für die Kommunikation und die von den verschiedenen Copernicus-Diensten gebotenen Möglichkeiten einer einzigen Stelle übertragen wird. Eine Lösung könnte die Schaffung einer neuen Agentur sein.

4.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass Copernicus vor allem deshalb so erfolgreich ist, weil es als nutzerorientiertes Programm konzipiert wurde, und schätzt besonders sein inklusives Lenkungsmodell. Erstmals wird bei einem strategischen Programm der Union neben den Mitgliedstaaten im Rahmen des Nutzerforums auch die Nutzergemeinschaft in die strategischen Entscheidungen einbezogen. Der EWSA empfiehlt, neben den von den Mitgliedstaaten benannten Nutzern auch die von den jeweiligen europäischen Verbänden ausgewählten privaten Nutzer dauerhaft in das Forum aufzunehmen. Der EWSA erklärt sich bereit, an dem Forum mitzuwirken. Auch auf nationaler Ebene sollte der Zivilgesellschaft eine möglichst breite Beteiligung an den Nutzerforen ermöglicht werden.

4.4.

Eines der Probleme, die rasch gelöst werden sollten, ist die Normung und die Interoperabilität von In-situ-Daten. Diese Probleme ergeben sich aus einer unterschiedlichen Umsetzung der INSPIRE-Richtlinie (6) und uneinheitlichen Rechtsvorschriften auf nationaler Ebene. Der EWSA empfiehlt der Kommission und den Mitgliedstaaten sich zu verpflichten, im Hinblick auf eine vollständige, wirksame und kostenlose Nutzung der Daten rasch für die unerlässliche Harmonisierung der Sprachen und Verfahren zu sorgen.

4.5.

Der EWSA hält die Einbeziehung von Privatinvestoren sowie der europäischen und internationalen Finanzsysteme und Investmentfonds für entscheidend. Eine gute Lösung könnte die Schaffung von „Weltraumanleihen“ für unterschiedliche Raumfahrtprojekte einschließlich Projekte in Entwicklungsländern sein, die durch Bürgschaften europäischer Finanzinstitute wie der Europäischen Investitionsbank (EIB) oder internationaler Einrichtungen wie der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) gesichert werden.

4.6.

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Gegenseitigkeitsgrundsatz gegenüber Drittländern angewandt werden sollte, insbesondere im Hinblick auf die Verwendung von Trägerraketen. Den Vorrang sollten europäische Trägerraketen haben, deren Verfügbarkeit mit dem bevorstehenden Start von Ariane-6- und Vega-C-Trägerraketen — ein Ergebnis der europäischen Zusammenarbeit — gesteigert wird. Hierbei handelt es sich um flexible Träger, die die Palette der verfügbaren Optionen vervollständigen. Die Ariane-5-Rakete, die seit 1996 im Einsatz ist, ist bislang auf einen Rekord von 82 erfolgreichen Starts gekommen und wird bis 2023 im Einsatz bleiben. Sie wurde u. a. Träger für das James-Webb-Teleskop, dem Nachfolger des Hubble-Teleskops ausgewählt. Der internationale Markt ist extrem wettbewerbsorientiert und einige Unternehmen in protektionistischen konkurrierenden Ländern bieten Dumpingpreise, um sich für die kommenden Jahre Aufträge zu sichern.

4.7.

Neben den wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten hält der EWSA den Beitrag zur Bekämpfung des Menschenhandels, die Rettung von Migranten in Lebensgefahr und die Sicherung der EU-Grenzen durch wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des vor allem aus den Konfliktgebieten im Nahen Osten ausgehenden Terrorismus für äußerst wichtig. Die territoriale Sicherheit und Verteidigung sind zunehmend ein wichtiges Anliegen der Unionsbürger.

Brüssel, den 14. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 38.

(2)  Am 17. Januar 2018 wurden 118 000 registrierte Nutzer verzeichnet.

(3)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer Raumdateninfrastruktur in der Gemeinschaft (INSPIRE) (ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 33); Europäisches Erdbeobachtungsprogramm (GMES) (ABl. C 339 vom 14.12.2010, S. 14); Weltraumkomponente von GMES (ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 153); Europäische Erdbeobachtungsprogramm (GMES) (ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 72); Programm Copernicus (ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 88); Eine Weltraumstrategie für Europa (ABl. C 209 vom 30.6.2017, S. 15).

(4)  Socio-economic impact of Copernicus in the EU by sector.

(5)  ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 38.

(6)  INSPIRE- Richtlinie.


6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/32


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss — Ein ausgewogenes System zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums als Antwort auf die gesellschaftlichen Herausforderungen von heute

(COM(2017) 707 final)

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Leitfaden zu bestimmten Aspekten der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

(COM(2017) 708 final)

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über den Umgang der EU mit standardessenziellen Patenten

(COM(2017) 712 final)

(2018/C 237/05)

Berichterstatterin:

Franca SALIS-MADINIER

Befassung

Europäische Kommission, 18.1.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

9.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

14.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

180/0/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Innovationsunion gehört zu den wertvollsten Initiativen im Rahmen der Strategie Europa 2020. Dafür ist es unverzichtbar, den Innovationsprozess in Europa zu unterstützen und die in den Mitgliedstaaten verwurzelten Unternehmen zu fördern.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet die Ziele der Kommission im Hinblick auf die Harmonisierung der Rechtssysteme und die Auslegung der Richtlinie über die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (IPRED-Richtlinie) (1) von 2004, in der die notwendigen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vorgesehen werden und festgelegt ist, wie Schadensersatzleistungen zur Entschädigung von Inhabern von Rechten des geistigen Eigentums in den Mitgliedstaaten berechnet werden können.

1.3.

Der EWSA unterstreicht, dass das Allgemeininteresse der Gesellschaft insgesamt durch eine gerechte Aufteilung der Wertschöpfung zwischen den verschiedenen Akteuren des geistigen Eigentums gewahrt werden muss, um den Wohlstand in Europa, die Achtung des Rechts der Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums sowie die Sicherheit und die Gesundheit der Verbraucher zu gewährleisten.

1.4.

Der EWSA unterstützt die FRAND-Grundsätze (faire, angemessene und nicht diskriminierende Bedingungen) in Verbindung mit den standardessenziellen Patenten. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass ähnliche Grundsätze entsprechend auch auf das Urheberrecht, die verwandten Schutzrechte, Patente, Marken, Geschmacksmuster usw. übertragen und angewendet werden können.

1.5.

Der Ausschuss empfiehlt, dass die Grundsätze, die den technischen „Normen“ zugrunde liegen, durch soziale „Normen“ ergänzt werden, um das Gleichgewicht zwischen den privaten Akteuren und den im Allgemeininteresse handelnden öffentlichen Investoren sicherzustellen.

1.6.

Der Ausschuss spricht sich insbesondere für ein Gleichgewicht zwischen einer angemessenen Anerkennung der Rechte des geistigen Eigentums und der Entwicklung von Innovationen aus, die für die Gesellschaft im Ganzen einen echten Nutzen bringen können. Ohne das grundlegende Recht auf Durchsetzung privater Rechte durch das Rechtssystem einschränken zu wollen, stellt der Ausschuss fest, dass im Falle eines Widerspruchs zwischen Einzelinteressen und dem Allgemeininteresse zugunsten des Allgemeininteresses geschlichtet werden muss.

1.7.

Der EWSA setzt sich für eine Regelung ein, die junge Forscher ermutigt, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten für die Entwicklung neuer Unternehmensprojekte zu nutzen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen insbesondere Maßnahmen wie erschwingliche Preise ergreifen, die es jungen Unternehmern ermöglichen, ihre innovativen Projekte zu entwickeln.

1.8.

Nach Ansicht des EWSA ist es bei der Bekämpfung von Nachahmungen wichtig, die Interessenträger (Unternehmen, Urheber, Erfinder, Künstler (2), Verbraucher (3), Mittler, „Rechtsinhaber“ (4) usw.) abhängig von der Art des Rechts des geistigen Eigentums (Patente, Geschmacksmuster) genau zu ermitteln (5), die sich abstimmen müssen, um den Inhaber des Rechts des geistigen Eigentums zu bestimmen.

1.9.

Bei der Bekämpfung von Nachahmungen ist es unverzichtbar, den Verbraucher zu sensibilisieren, damit er eine stärkere soziale Verantwortung gegenüber dem Immaterialgüter-Eigentum vergleichbar der Verantwortung gegenüber dem Eigentum an Sachen übernimmt, ohne dass im Bereich des Urheberrechts das Recht auf „Privatkopien“ beschnitten wird. Der EWSA begrüßt nachdrücklich die Kampagnen, die das EUIPO und die Europäische Beobachtungsstelle für Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums in den Medien durchführen, um für Verletzungen der Rechte des geistigen Eigentums zu sensibilisieren, und wird künftige Vorschläge zur Förderung und Wiederholung dieser Kampagnen unterstützen.

1.10.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass das Open-Source-Prinzip im Bereich der öffentlichen Forschung korrekt angewendet werden muss. Der Begriff „Open Source“ und das Open-Source-Prinzip sind in den universitären Forschungszentren Realität und erfordern einen angemessenen Rechtsrahmen.

1.11.

Der EWSA unterstützt die Ausweitung der Rolle des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO).

1.12.

Um den Umgang mit Konflikten zu verbessern, empfiehlt der EWSA die Einrichtung eines europäischen Mediationsnetzes, das in Übereinstimmung mit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs arbeitet.

1.13.

Der Ausschuss befürwortet alle Empfehlungen der Kommission zur Verbesserung des Instruments des Rechtsforums, um eine bessere Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen.

2.   Vorschlag der Kommission

2.1.

Die Systeme zum Schutz des geistigen Eigentums sind ein grundlegendes Instrument für Innovation und Wachstum und ermöglichen es Unternehmen, Urhebern und Erfindern, aus ihren Investitionen in Wissen und schöpferische Tätigkeit einen Gewinn zu ziehen. Schätzungen in Studien zufolge entfallen auf schutzrechtsintensive Branchen ungefähr 42 % des BIP der EU (etwa 5,7 Billionen EUR jährlich), ferner 38 % aller Arbeitsplätze sowie ein Anteil von bis zu 90 % an den EU-Ausfuhren (6).

2.2.

Die digitale Revolution hat eine Reihe neuer Möglichkeiten eröffnet, die Rechte des geistigen Eigentums sind dadurch jedoch auch neuen und größeren Risiken ausgesetzt, da der Online-Verkehr nachgeahmter Waren und Inhalte erleichtert wird, was Verwirrung bei den Verbrauchern im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen nachgeahmten und echten und legalen Waren schafft und die Ermittlung von Straftätern erschwert. Dies hat zu einer allgemeinen Zunahme von Verletzungen der Rechte des geistigen Eigentums geführt.

2.3.

Heute haben nachgeahmte und unerlaubt hergestellte Waren einen Anteil von 2,5 % am Welthandel, wodurch die Industrie in der EU stark in Mitleidenschaft gezogen wird (7), insbesondere in den Wirtschaftszweigen, in denen in der EU ansässige Unternehmen weltweit führend sind.

2.4.

Mit dem vorliegenden Maßnahmenpaket der Kommission sollen die Anwendung und die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums in den Mitgliedstaaten der EU, an ihren Grenzen und auf internationaler Ebene weiter verbessert werden. Das Paket besteht aus:

einer Mitteilung „Ein ausgewogenes System zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums als Antwort auf die gesellschaftlichen Herausforderungen von heute“ (COM(2017) 707 final);

einer Mitteilung mit einem Leitfaden für die Anwendung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums („IPRED-Richtlinie)“ (COM(2017) 708 final);

einer Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen mit einer Bewertung der IPRED-Richtlinie (SWD(2017) 431 final und SWD(2017) 432 final);

einer Mitteilung über standardessenzielle Patente (COM(2017) 712 final);

einer Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen zur Bewertung des Memorandum of Understanding über den Verkauf nachgeahmter Waren im Internet (SWD(2017) 430 final).

2.5.

Dieses Paket enthält Maßnahmen, die sich in vier Hauptabschnitte unterteilen lassen:

1)

Maßnahmen, die es Interessenträgern im Bereich Rechte des geistigen Eigentums erleichtern sollen, ein einheitliches, faires und wirksames System der gerichtlichen Durchsetzung in der EU zu nutzen;

2)

Maßnahmen zur Unterstützung der von der Wirtschaft eingeleiteten Initiativen zur Bekämpfung von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums;

3)

Initiativen zur Stärkung der Kapazitäten des Zolls und anderer Behörden zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums;

4)

Maßnahmen zur Intensivierung der Bemühungen, Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums auf globaler Ebene zu bekämpfen, indem bewährte Verfahrensweisen gefördert werden und die Zusammenarbeit mit Drittländern verstärkt wird.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die Vorschläge der Kommission sind stichhaltig und behandeln zahlreiche Aspekte im Zusammenhang mit dem Recht des geistigen Eigentums. Der EWSA, bei dessen Mandat die sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, zielt mit seinen Vorschläge darauf ab, Maßnahmen und Empfehlungen für eine bessere Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zu erarbeiten.

3.2.

Die drei Dokumente der Kommission müssen als Ganzes betrachtet werden und alle Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums umfassen. Die Konsultation gilt zwar schwerpunktmäßig dem „Memorandum of Understanding“ und einer eher engen Auslegung der „standardessenziellen Patente“ (SEP) und der FRAND-Grundsätze, es besteht jedoch die Gefahr, dass sie auf Innovationen in der digitalen Welt beschränkt wird. Der EWSA stellt mit seinen Bemerkungen und Empfehlungen jedoch auf alle Bereiche der Rechte des geistigen Eigentums ab.

3.3.

Der EWSA teilt zwar die Bedenken der Kommission hinsichtlich der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Risiken für Rechte des geistigen Eigentums, schlägt jedoch vor, die Frage der Rechte des geistigen Eigentums, der Kreativität und der Innovation sowohl unter dem rechtlichen als auch dem sozialen Gesichtspunkt zu untersuchen, um diese Rechte besser zu schützen.

3.4.

Mit diesen Vorschlägen im Bereich Rechte des geistigen Eigentums möchte die Kommission das Wirtschaftswachstum verstärken und die Beschäftigung in Europa fördern. Der Ausschuss befürwortet diese Ziele, ist jedoch der Ansicht, dass die Grundlage aller Innovation und schöpferischen Tätigkeit die Kreativität des Einzelnen bzw. der Gruppe ist, zu der ein Urheber oder Erfinder gehört. Kreativität ist eine genuin menschliche Fähigkeit und die Vorbedingung für Innovation.

3.5.

Der EWSA empfiehlt in diesem Zusammenhang einen klareren europäischen Rahmen für die Übertragung von Rechten zwischen den verschiedenen Interessenträgern. Gemäß den geltenden nationalen und europäischen Vorschriften geht es bei der Konsultation zur IPRED-Richtlinie nicht darum, konkret zu definieren, was unter „Rechtsinhaber“, z. B. Urheber, Unternehmen, Mittler oder Verleger, zu verstehen ist, da diese Begriffe nicht in der IPRED-Richtlinie, sondern im europäischen und nationalen materiellen Recht über die Rechte des geistigen Eigentums definiert werden.

3.5.1.

Das Recht des geistigen Eigentums deckt eine breite Palette von Aspekten (Urheberrechte und verwandte Schutzrechte, Patente, Marken, Geschmacksmuster, geografische Angaben usw.) ab. Wenn wir letztlich einen europäischen Binnenmarkt erreichen wollen, müssen wir zu einem gemeinsamen Verständnis des Begriffs „Rechtsinhaber“ gelangen und diesen genauer definieren. Dafür müssen die Bedingungen geschaffen werden, die es den Interessenträgern ermöglichen, ihre Interessen zu erörtern und Streitigkeiten beizulegen. Der EWSA empfiehlt, die nationale und die europäische Ebene besser aufeinander abzustimmen, um Konflikte oder Unklarheiten zu vermeiden.

3.6.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Richtlinie zwar keinen einheitlichen Rahmen für ganz Europa bieten, wohl aber die Mitgliedstaaten stärker dazu veranlassen kann, grundlegende Prinzipien für eine Harmonisierung festzulegen, z. B. indem sie für die einzelnen Rechte des geistigen Eigentums spezifische und maßgeschneiderte Regelwerke erarbeiten. Der EWSA spricht sich nachdrücklich für die Anwendung ethischer Grundsätze wie Fairness, Verhältnismäßigkeit und Nichtdiskriminierung auf die Rechte des geistigen Eigentums aus.

3.7.

Der EWSA unterstützt die Initiativen der Kommission im Bereich der Zugänglichkeit von Daten. Ein europäischer Ansatz für die Rechte des geistigen Eigentums bietet zweifellos einen beträchtlichen Größenvorteil und damit neue Möglichkeiten für die Wirtschaft im Hinblick auf Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen.

3.8.

Der wirtschaftliche Prozess findet zwischen der Person, die Produkte schafft, und dem Verbraucher statt, der Produkte kauft. Dazwischen gibt es eine ganze Palette wirtschaftlicher Tätigkeiten, bei denen die verschiedenen Interessen ihren Platz finden müssen. Der Verbraucher steht am Ende dieses Prozesses. Er ist häufig Opfer von Nachahmungen und Piraterie und zahlt überhöhte Preise für nachgeahmte Produkte.

3.8.1.

Viele Innovationen gehen auf die Entwicklung digitaler Prozesse zurück. Im digitalen Bereich ist das Tempo der Innovation sehr hoch. Dadurch stellt sich die Frage der Sicherheit und Geheimhaltung; der Schutz des „geistigen Eigentums“ wird deutlich schwieriger, wenn auch nicht unmöglich. Die Identität aller Beteiligten, vor allem derjenigen mit einer Internetpräsenz, sollte ordnungsgemäß ausgewiesen sein, damit falsche Konten mit unlauteren Handelspraktiken erkannt werden können.

3.8.2.

Der EWSA unterstützt die Vorschläge der Kommission für die Lizenzvergabe und die Durchsetzung der Rechte. Der EWSA bedauert jedoch, dass sich die Kommission bei den Vorschlägen zur Beilegung von Interessenkonflikten auf Rechtsstreitigkeiten (Einheitliches Patentgericht) beschränkt und keine konkreten Instrumente vorschlägt wie etwa ein Mediationszentrum, mit dessen Hilfe die Interessenträger ihre Streitigkeiten im Zusammenhang mit allgemeinen Rechtsvorschriften selbst regeln und in einen Dialog treten könnten, ehe sie ein Gericht anrufen.

3.8.3.

Nach einer entsprechenden Analyse kommt der Ausschuss zu dem Schluss, dass eine spezifische Plattform sehr nutzbringend wäre. Über ein geeignetes Instrument wie eine „Plattform für Rechte des geistigen Eigentums“, vorzugsweise mit einem institutionell anerkannten Status, ließe sich der außergerichtliche Dialog zwischen den repräsentativen Interessenträgern im Hinblick auf eine Schlichtung, Vermittlung und Streitbeilegung organisieren und koordinieren. Mit dieser Plattform wird den verschiedenen Erfordernissen entsprochen, indem die Beteiligten zusammengebracht werden, um ihre Anliegen und unterschiedlichen Standpunkte zu diskutieren und angemessene Verhaltenskodizes zur Annahme vorzuschlagen.

3.8.4.

Über diese Plattform lassen sich bereits in Europa existierende bewährte Verfahren zusammentragen und anderen als Ausgangsbasis vorstellen. Der EWSA selbst repräsentiert die Zivilgesellschaft in ihrer Gesamtheit, in deren Rahmen in Europa und in den Mitgliedstaaten ein Dialog geführt wird, doch bewegt sich dieser auf einer eher allgemeinen Ebene, und es sollten Möglichkeiten für einen engeren Kontakt mit einzelnen Berufsgruppen wie Schriftstellern, Journalisten und Verlegern geschaffen und Wissenschaftler und Forschungsinstitute miteinander vernetzt werden, um eine angemessene Zuweisung von Rechten des geistigen Eigentums zu erreichen und Streitigkeiten zu verhindern.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.   Innovation in Europa

4.1.1.

Innovation steht im Mittelpunkt der Strategie Europa 2020. Die Innovation der in Europa ansässigen Unternehmen muss unterstützt und erhalten werden. Viele innovative Projekte werden in Start-up-Unternehmen und KMU entwickelt. Sie stehen finanziell häufig auf schwachen Füßen und sie werden leicht Opfer von Übernahmen durch Großunternehmen, die sie langfristig in andere Kontinente verlagern. Folglich kommen ihr wirtschaftlicher Mehrwert und ihre Arbeitsplätze Europa nicht zugute.

4.1.2.

KMU breiten sich in Europa zulasten der großen Traditionsunternehmen aus. Zuweilen verschwinden diese traditionellen Unternehmen, während sich gleichzeitig neue Unternehmensprojekte zu entwickeln beginnen. In diesen Unternehmen haben die Übergangsprozesse entscheidende Bedeutung für die Innovation. Besondere Aufmerksamkeit muss bei diesem Prozess den Arbeitnehmern gelten, damit sie durch frühzeitige und angepasste Berufsbildungsmaßnahmen mit der Entwicklung Schritt halten können.

4.2.   Ethische Grundsätze

4.2.1.

Der EWSA spricht sich dafür aus, analog zu den FRAND-Grundsätzen, die die Kommission im Rahmen der standardessenziellen Patente vorschlägt, Fairnessgrundsätze und -standards entsprechend auch auf andere Bereiche der Rechte des geistigen Eigentums anzuwenden. Die FRAND-Grundsätze bringen jedoch strenggenommen eine rechtliche Einschränkung des Patentrechts mit sich. Sie können nicht ohne Weiteres in anderen Bereichen übernommen werden, sondern müssen von Fall zu Fall geprüft und erörtert werden (8).

4.2.2.

Ebenso muss das Open-Source-Prinzip angewendet werden, ohne dadurch die öffentliche Forschung zu benachteiligen. Öffentliche Einrichtungen finanzieren häufig wissenschaftliche Forschungsprojekte, deren Artikel vor ihrem Erscheinen in Fachzeitschriften von Fachkollegen bewertet werden müssen, die eine kritische Begutachtung der Arbeiten der Wissenschaftler vornehmen (Peer Review). Diese Zeitschriften sind in den Forschungszentren an Universitäten über digitale und weltweite Netze, wie das „web of science“, zugänglich. Für den Zugang zu ihrem Inhalt zahlen die Hochschulen ein hohes Entgelt, es sollten aber eher erschwingliche Preise verlangt werden. Die Hochschulen sollten nicht ein zweites Mal zahlen müssen, um ihren Studenten die Möglichkeit bieten zu können, frühere Forschungsarbeiten zu konsultieren. Dieser doppelte Einsatz öffentlicher Mittel ist nicht effizient und steht im Widerspruch zu den Werten der Fairness und Angemessenheit.

4.3.   Sozialschutz

4.3.1.

85 % der Erfindungen werden von Angestellten gemacht. Dies ist ein wichtiges Anliegen für die Kommission, die ein ausgewogenes System zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums als Antwort auf die gesellschaftlichen Herausforderungen von heute vorschlägt (9). Der EWSA unterstreicht, dass auch der soziale Schutz des kreativen Arbeitnehmers zu diesem Gleichgewicht beiträgt. Dadurch könnte der Status von Künstlern und Forschern beträchtlich verbessert werden.

5.   Instrumente für eine bessere Wahrung der und einen besseren Umgang mit den Interessen der Betroffenen

5.1.   Organisation der Interessenträger (10)

5.1.1.

Im Rahmen eines sektorübergreifenden Ansatzes können bewährte Verfahrensweisen in andere Bereiche übertragen werden: Journalistenverbände können beispielsweise mit dem Berufsverband von Herausgebern die Übertragung ihres Urheberrechts gegen eine angemessene Vergütung sowie die spätere Verwendung ihrer Texte in anderen (digitalen) Medien aushandeln. Journalisten können auch Vereinbarungen über die Grundsätze der Pressefreiheit, den Schutz von Hinweisgebern, Verhaltenskodizes zur Geheimhaltung von Angaben und das Urheberrecht der Leser schließen.

5.1.2.

Um einen glaubwürdigen, freiwilligen Rahmen zu entwickeln, sollten alle Beteiligten eine gegenseitige Konsultation in die Wege leiten, um sich über die Modalitäten für die Übertragung von Rechten des geistigen Eigentums zu einigen und Verhaltenskodizes oder geeignete und tragfähige sektorbezogene Vereinbarungen einzuführen, die an die konkrete Situation angepasst sind und den Besonderheiten des Sektors und des jeweiligen Rechtsbereichs Rechnung tragen.

5.1.3.

Im Rahmen einer Plattform für die Rechte des geistigen Eigentums, die der Abstimmung und dem Dialog der Interessenträger dient, könnte über den Geltungsbereich der ausgehandelten Vereinbarungen entschieden werden. Im Rahmen der europäischen Konsultation besteht eine lange Tradition, nationale und europäische Interessen in ausgewogener Weise zum Ausdruck zu bringen. Ein solchen Forum der Konsultation könnte auch eine vermittelnde Rolle spielen, indem die Vertreter von Urhebern, Forschern, Künstlern, NRO, Sozialpartnern (Gewerkschaften und Arbeitgeber), Hochschulen, Berufsverbänden, Mittlern und öffentlichen Einrichtungen zusammengebracht werden, um in Kooperation mit der Kommission und den europäischen Einrichtungen — dem EUIPO und der Beobachtungsstelle — an der Arbeit des Rechtsforums mitzuwirken.

5.2.   Organisation und Sensibilisierung der Verbraucher

5.2.1.

Zur Bekämpfung von Nachahmungen gehört auch die Sensibilisierung der Verbraucher über Kampagnen in den Medien, um eine bessere Durchsetzung der Immaterialgüter-Eigentumsrechte zu erreichen, ohne dass im Bereich des Urheberrechts das Recht auf „Privatkopien“ beschnitten wird. Im Rahmen dieser Kampagnen sollten die Verbraucher auch auf die Gefahren aufmerksam gemacht werden, die die Verwendung bestimmter nachgeahmter Produkte für ihre Gesundheit und Sicherheit mit sich bringt.

5.3.   Verbesserung der Wirksamkeit der gerichtlichen Durchsetzung

5.3.1.

Um die Wirksamkeit von Systemen der gerichtlichen Durchsetzung zu verbessern, unterstützt der Ausschuss die Vorschläge der Kommission (11), die die Mitgliedstaaten dazu aufruft, „Gerichtsentscheidungen […] systematisch zu veröffentlichen“, und den Vorschlag, dem EUIPO sowie der Beobachtungsstelle eine wichtige Rolle zuzuweisen. Es ist Sache der Kommission, darüber zu entscheiden, welche Einrichtung sich am besten für eine Debatte zwischen den Interessenträgern im Rahmen einer „Plattform für die Rechte des geistigen Eigentums“ eignet, mit der in Europa für eine kohärentere und binnenmarktauglichere Politik im Bereich der Rechte des geistigen Eigentums gesorgt werden soll. Der EWSA hält es außerdem für wichtig, die Entwicklung weiterer Instrumente zur alternativen Streitbeilegung (ADR) in Erwägung zu ziehen, um den Grundsatz der Fairness zu wahren.

5.3.2.

Unbeschadet des strafrechtlichen Schutzes der Rechte des geistigen Eigentums, der von der Kommission auf EU-Ebene nicht übernommen wurde, unterstützt der EWSA die Arbeit der Kommission für eine bessere weltweite Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums. In diesem Rahmen muss die Abstimmung zwischen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (OMPI) und dem EUIPO verstärkt werden.

6.   Bewertung der Kommissionsmitteilung

6.1.

Der EWSA stellt fest, dass die Empfehlungen der Kommission im Wesentlichen den rechtlichen Bereich betreffen.

6.2.

Unbeschadet der Arbeit der Gerichte wäre es wünschenswert, einen stärkeren Rahmen für die rechtliche Mediation zwischen den Interessenträgern zu schaffen. Mit diesem Vermittlungsverfahren können Konflikte zwischen verschiedenen Parteien beigelegt und komplizierte, kostspielige und langwierige Gerichtsverfahren vermieden werden. Dieses Prinzip wird bereits im Rahmen des einheitlichen Patentsystems angewandt, das über ein Schieds- und Schlichtungszentrum verfügt. Der EWSA unterstützt die Bemühungen der Kommission, diese Frage in Zusammenarbeit mit dem EUIPO näher zu prüfen, und begrüßt und befürwortet diese Idee in anderen Bereichen der Rechte des geistigen Eigentums.

6.3.

Der EWSA unterstützt den Appell der Kommission an die Wirtschaft, mit der notwendigen Sorgfalt gegen Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums vorzugehen. Zuvor sollten jedoch spezielle institutionelle Instrumente geschaffen werden, damit alle Interessenträger organisiert und zusammengebracht werden können, um einen Dialog einzuleiten bzw. (sofern dieser bereits beispielsweise in Form einer Vereinbarung existiert) fortzuführen und die Rechte des geistigen Eigentums den rechtmäßigen Eigentümern zuzuweisen. Freiwillige Vereinbarungen, die Rechtsinhaber und Anbieter von Internet-Plattformen, Online-Werbung sowie Vertriebs- und Finanzdienstleistungen einbeziehen, müssen gefördert und entwickelt werden.

Brüssel, den 14. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. L 195 vom 2.6.2004, S. 16.

(2)  COM(2017) 708 final, Einleitung, Absatz 4, zweiter Satz: „Dies ist darauf zurückzuführen, dass in der Richtlinie lediglich eine Mindestharmonisierung vorgesehen ist“ (in Artikel 2 wird die Anwendung nationaler Rechtsinstrumente, die für die Rechtsinhaber günstiger sind, explizit zugelassen).

(3)  COM(2017) 712 final, Seite 1, Absatz 1, zweiter Satz.

(4)  COM(2017) 707 final, Seite 4, Absatz 1 „[…] sicherzustellen, dass Patentinhaber für ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung und Standardisierungsmaßnahmen belohnt werden und somit Anreize erhalten, ihre besten Technologien zur Integration in Standards anzubieten.“

(5)  COM(2017) 707 final, Seite 3, Ziffer 1: „Maßnahmen, die es Interessenträgern, die Rechte des geistigen Eigentums besitzen, erleichtern sollen, von einem einheitlichen, fairen und wirksamen System der gerichtlichen Durchsetzung in der EU zu profitieren.“

(6)  Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO): Intellectual property rights intensive industries and economic performance in the EU, 2016.

(7)  Einer neuen Studie zufolge sind 5 % aller Einfuhren in die EU Fälschungen und Nachbildungen, das Volumen dieses illegalen Handels macht schätzungsweise 85 Mrd. EUR aus.

(8)  Siehe Ziffer 1.6.

(9)  COM(2017) 707 final.

(10)  Siehe Ziffer 3.8.1.

(11)  COM(2017) 707 final, Seite 8.


6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/38


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschung und Ausbildung (2019-2020) in Ergänzung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020“

(COM(2017) 698 final — 2017/312 (NLE))

(2018/C 237/06)

Berichterstatter:

Jacques LEMERCIER

Befassung

Kommission, 18.1.2018

Rat, 10.1.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 106a Euratom-Vertrag und Artikel 304 AEUV

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

9.3.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

14.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

178/0/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Das Euratom-Programm 2019-2020 führt die Forschungstätigkeiten des Programms 2014-2018 fort und steht in völligem Einklang mit diesem. Der Kommissionsvorschlag enthält nur sehr wenige Änderungen. Diese betreffen hauptsächlich den Haushaltsplan und sollen die Kontinuität des Programms sicherstellen.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt diese Änderungen unter Berücksichtigung seiner früheren Stellungnahmen zu diesem Thema (1) zur Kenntnis.

1.3.

Das vorrangige Ziel der von Euratom unterstützten Forschung im Bereich der Kernspaltung ist die Verbesserung der Sicherheit der Nukleartechnologien. Nach Auffassung des EWSA muss den Aspekten der nuklearen Sicherheit größtmögliche Aufmerksamkeit zuteilwerden. Verringerung und Lagerung langlebiger radioaktiver Abfälle, Kontrolle spaltbaren Materials sowie Strahlenschutz müssen ebenfalls zu den Prioritäten zählen. Diese Forschungsschwerpunkte sollten im Rahmen des Europäischen Kernenergieforums (ENEF) geteilt werden, in dem die Zivilgesellschaft — unter anderem der EWSA — vertreten ist.

1.4.

Der EWSA wiederholt und bestätigt die in seinen früheren Stellungnahmen hierzu getroffene Hauptaussage, nämlich „dass der Wissensstand über nukleare Techniken, deren Nutzung und deren Folgen erhalten und ausgebaut werden muss. Das Euratom FuE-Rahmenprogramm erbringt hierfür aufgrund seiner koordinierenden Funktion, der Bündelung von Ressourcen und der Integration gemeinsamer Anstrengungen einen signifikanten europäischen Mehrwert.“ (2)

1.5.

Der EWSA bekräftigt seine Forderung, dass die Kommission weiterhin dafür eintritt, nichtfossile, erneuerbare Energieträger zu entwickeln, und den Anteil der Kernenergie im Energiemix der Mitgliedstaaten neu gewichtet.

1.6.

Nach zahlreichen Störfällen in europäischen Kernkraftwerken liegt es nunmehr auf der Hand, dass die Vergabe von Unteraufträgen ein Unsicherheitsfaktor bei der Wartung solcher Kraftwerke ist. Nach Ansicht des EWSA sollte die Unterauftragsvergabe beschränkt sein und genau kontrolliert werden.

1.7.

Der EWSA fordert, diesen Fragen im Zusammenhang mit dem Brexit und der Aufgabe des Euratom-Vertrags durch das Vereinigte Königreich besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1.

Mit dem Kommissionsvorschlag soll eine neue Verordnung erlassen werden, mit der alle Forschungstätigkeiten im Rahmen der Verordnung (Euratom) Nr. 1314/2013 des Rates über das Programm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschung und Ausbildung (2014-2018) in Ergänzung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020 verlängert werden.

2.2.

Das für 2019-2020 vorgeschlagene Euratom-Programm soll das Programm Horizont 2020 ergänzen. Im Euratom-Programm werden der Haushalt für die direkten und indirekten Maßnahmen, die Ziele für Forschung und Entwicklung (FuE) und die FuE-Förderinstrumente festgelegt.

2.3.

Im Einklang mit Artikel 7 Euratom-Vertrag ist das derzeitige Euratom-Programm (2014-2018) auf fünf Jahre begrenzt. Mit dem Vorschlag soll die nahtlose Fortführung des Programms in den Jahren 2019-2020 sichergestellt werden. So würde eine größere Übereinstimmung mit dem Zeitrahmen von Horizont 2020 gewährleistet. Dies ist umso wichtiger, da die Euratom-Programme und Horizont 2020 sich gegenseitig verstärkende Ziele verfolgen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA nimmt die Schlussfolgerungen der Kommission zur Zwischenbewertung des Euratom-Programms 2014-2018 zur Kenntnis und insbesondere die Tatsache, dass „die Analysen der Kommission […] kein abschließendes Ergebnis [erbrachten], das den Schluss zuließe, dass Strategie und Format des Programms 2014-2018 in Frage gestellt oder die Änderung des Anwendungsbereichs, der Tätigkeiten oder der Art der Durchführung des Programms in den Jahren 2019-2020 vorgeschlagen werden sollten“.

3.2.

Der EWSA weist zudem darauf hin, dass die von der Kommission zwischen Oktober 2016 und Januar 2017 durchgeführte öffentliche Konsultation zur Vorbereitung der Zwischenbewertung des Euratom-Programms 2014-2018 und des Vorschlags des Euratom-Programms 2019-2020 insgesamt eine positive Bewertung ergab: So stimmten 80 % der Teilnehmer der Aussage zu (bzw. stimmten ihr nachdrücklich zu), dass das Programm relevant ist. Die Teilnehmer begrüßten vor allem die in den folgenden Bereichen erzielten Ergebnisse: Aus- und Weiterbildung, Forschung zur Entsorgung radioaktiver Abfälle, Sicherheit bestehender Reaktoren und Fusionsforschung. Hingegen scheint das Programm keine Hebelwirkung auf private Investitionen auszuüben.

3.3.

Schließlich verpflichtet sich die Kommission, dafür Sorge zu tragen, dass die Empfehlungen der verschiedenen Interessenträger bei der Ausarbeitung des Euratom-Arbeitsprogramms 2019-2020 bzw. im Rahmen ihrer routinemäßigen Überwachung und Verwaltung des Euratom-Programms berücksichtigt und dass die Empfehlungen zu den längerfristigen Aspekten in die Ex-ante-Folgenabschätzung für das nächste Euratom-Programm des neuen mehrjährigen Finanzrahmens (nach 2020) einbezogen werden.

3.4.

Der EWSA nimmt die obigen Ausführungen zur Kenntnis und unterstützt unter Berücksichtigung seiner früheren Stellungnahmen zu diesem Thema den Kommissionsvorschlag.

3.5.

In Anlehnung an seine früheren Stellungnahmen betont der EWSA, dass das vorrangige Ziel der von Euratom unterstützten Forschung im Bereich der Kernspaltung die Verbesserung der Sicherheit der Nukleartechnologien ist. Nach Auffassung des EWSA muss den Aspekten der nuklearen Sicherheit größtmögliche Aufmerksamkeit zuteilwerden. Verringerung und Lagerung langlebiger radioaktiver Abfälle, Kontrolle spaltbaren Materials sowie Strahlenschutz müssen ebenfalls zu den Prioritäten zählen.

3.6.

Der EWSA unterstreicht einmal mehr, „dass der Wissensstand über nukleare Techniken, deren Nutzung und deren Folgen erhalten und ausgebaut werden muss. Das Euratom FuE-Rahmenprogramm erbringt hierfür aufgrund seiner koordinierenden Funktion, der Bündelung von Ressourcen und der Integration gemeinsamer Anstrengungen einen signifikanten europäischen Mehrwert“ (3).

Brüssel, den 14. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 66, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 111, und ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 127.

(2)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 111, und ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 127.

(3)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 111, und ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 127.


6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/40


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über einen Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer — Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum

(COM(2017) 566 final)

Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 hinsichtlich des zertifizierten Steuerpflichtigen

(COM(2017) 567 final — 2017/0248 (CNS))

Vorschlag für eine Durchführungsverordnung des Rates zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 hinsichtlich bestimmter Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen

(COM(2017) 568 final — 2017/0249 (NLE))

und Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf die Harmonisierung und Vereinfachung bestimmter Regelungen des Mehrwertsteuersystems und zur Einführung des endgültigen Systems der Besteuerung des Handels zwischen Mitgliedstaaten

(COM(2017) 569 final — 2017/0251 (CNS))

(2018/C 237/07)

Berichterstatter:

Giuseppe GUERINI

Mitberichterstatter:

Krister ANDERSSON

Befassung

Rat der Europäischen Union, 23.10.2017

Europäische Kommission, 17.11.2017, 13.12.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 113 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

28.2.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

14.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

185/9/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Ansicht, dass das derzeitige Mehrwertsteuersystem (MwSt-System) stark fragmentiert und sehr komplex ist und daher den Handel und die Investitionen behindert und verzerrt, indem es unnötige und übermäßige Verwaltungshemmnisse und Handelsbarrieren für die Unternehmen schafft.

1.2.

Nach Auffassung des EWSA sollte das MwSt-System auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts ausgerichtet werden. Vor allem muss die Fragmentierung des MwSt-Systems verringert und seine Verwaltung effizienter werden, insbesondere mit Blick auf den grenzüberschreitenden Handel. Es sollte angesichts der zunehmenden Globalisierung und Digitalisierung der Wirtschaft modernisiert werden.

1.3.

Der EWSA begrüßt sowohl die Entschlossenheit der Europäischen Kommission, die Mehrwertsteuerlücke zu schließen, als auch die jüngste Richtlinie Nr. 2017/1371 über die Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug, die das Aktivwerden der Europäischen Staatsanwaltschaft bei einem Mehrwertsteuerbetrug von über 10 Mio. EUR vorsieht.

1.4.

Nach Dafürhalten des EWSA sollten die Steuerbehörden untersuchen, wie künftige Technologien zur Bekämpfung des MwSt-Betrugs beitragen können. Digitale Technologien können auch dabei nützlich sein, den Verwaltungsaufwand sowohl für die Unternehmen als auch die Steuerverwaltungen zu vereinfachen und für die erforderliche Transparenz zu sorgen. Insbesondere sollten die Mitgliedstaaten angemessene Foren für den Austausch bewährter Praktiken bei der Steuererhebung und zur Entwicklung von Technologien zur Erleichterung der Steuererhebung beim grenzüberschreitenden Handel schaffen. Es sollte eine eingehende Untersuchung bezüglich der Möglichkeit erwogen werden, höhere MwSt-Sätze auf Luxusgüter anzuwenden. Wirksame Regelungen für die Mehrwertsteuererstattung sollten zusammen mit gestrafften Systemen für den Informationsaustausch über Betrüger erörtert werden. Die Europäische Kommission sollte zum Aufbau solcher institutioneller Gremien beitragen und dadurch das Wachstum ankurbeln und Einnahmeverluste eindämmen.

1.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass eine funktionierende einzige Anlaufstelle ein wichtiger Teil eines auf dem Bestimmungsland basierenden Systems ist. Kommissionsinitiativen wie die vorgeschlagene Ausdehnung der KEA-Systems (kleine einzige Anlaufstelle) auf alle B2C-Dienste als auch für den B2C-Warenhandel sowohl innerhalb der Union als auch mit Drittstaaten werden daher begrüßt.

1.6.

Der EWSA fordert alle an der Reform des MwSt-Systems beteiligten Institutionen auf, zu sondieren, wie ein gemeinsames System sowohl für Dienstleistungen als auch für Waren möglichst rasch realisiert werden kann, um dadurch die sich aus der Existenz von zwei Systemen — eines für Waren und eines für Dienstleistungen — ergebenden Probleme abzufedern. Eine solche Entwicklung würde der EWSA als positiv empfinden, sofern sie im Einklang mit dem Grundsatz der Steuerneutralität steht.

1.7.

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der steuerlichen Neutralität zwischen den verschiedenen Unternehmen. Es sollte vermieden werden, dass sich die Mehrwertsteuerzahlungen negativ auf die Liquidität bestimmter Unternehmen auswirken. Diesbezüglich sollten die Importeure von Waren dann verpflichtet sein, MwSt zu entrichten, wenn die Waren tatsächlich auf den Markt gebracht werden, und nicht, wenn sie lediglich eingeführt und gelagert werden.

1.8.

Hinsichtlich des zertifizierten Steuerpflichtigen (CTP) stellt der EWSA fest, dass die Kommission dieses Konzept für den Übergang zu einem auf dem Bestimmungslandprinzip beruhenden MwSt-Systems für wichtig hält und stimmt zu, dass Unternehmen mit nachgewiesener Steuerzuverlässigkeit in den Genuss angemessener Maßnahmen zur Vereinfachung kommen sollten.

1.9.

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass es etwas dauern wird, bis sich die Mitgliedstaaten auf CTP geeinigt haben und die Mehrheit der Unternehmen zertifiziert sein wird. Da die im Vorschlag dargelegten „schnellen Lösungen“ für das Funktionieren des MwSt-Systems so wichtig sind, möchte der EWSA die Mitgliedstaaten dazu anhalten, diese für alle Unternehmen anzunehmen, bevor das System des CTP voll entwickelt ist.

1.10.

Hinsichtlich bestimmter Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen gemäß dem Vorschlag zur Änderung der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 stellt der EWSA fest, dass die Aufforderung des Rates an die Kommission, den Rechtsrahmen für Befreiungen zu vereinfachen und zu klären, ein sinnvolles Instrument zur Verringerung des Betrugs und der Begrenzung der Befolgungskosten für KMU sein dürfte.

1.11.

Der EWSA erachtet es für wichtig, dass die Kommission eine umfassende Gesetzesfolgenabschätzung durchführt, um die praktischen Auswirkungen auch in quantitativer Hinsicht des MwSt-Aktionsplans als Ganzes auf Einzelpersonen, Unternehmen und Steuerbehörden zu bewerten.

1.12.

Der EWSA bekräftigt, dass alle Anstrengungen unternommen werden sollten, um das endgültige MwSt-System innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens zu realisieren. Ansonsten könnten die erklärten Ziele gefährdet bzw. nur zum Teil erreicht werden — zum Nachteil des Binnenmarkts, der europäischen Unternehmen und der Verbraucher.

2.   Einführung und Kontext

2.1.

In ihrer Mitteilung Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum: Zeit für Reformen vom 7. April 2016 stellte die Kommission ihren Aktionsplan zur Modernisierung des EU-Mehrwertsteuersystems vor und kündigte eine Reihe diesbezüglicher spezifischer Vorschläge an.

2.2.

Insbesondere ist im Aktionsplan vorgesehen: a) das MwSt-System zu modernisieren und es an die neuen digitalen Technologien anzupassen; b) die Einhaltung der Mehrwertsteuervorschriften für KMU zu erleichtern; c) eine geeignete Strategie zur Festlegung der MwSt-Sätze zu konzipieren; d) die MwSt-Lücke in den Mitgliedstaaten zu verringern und Steuerbetrug zu bekämpfen.

2.3.

Da sich der grenzüberschreitende Handel innerhalb der EU auf über 4,1 Billionen EUR (Ausfuhren) und 3,9 Billionen EUR (Einfuhren) beläuft, ist ein funktionierendes MwSt-System für alle Unionsbürger von größter Bedeutung.

2.4.

Die Kommission veröffentlichte am 1. Dezember 2016 zwei Vorschläge: einen zu MwSt im grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr (1), und einen zu MwSt-Sätze für elektronische Veröffentlichungen (2).

2.5.

Die Kommission veröffentlichte am 21. Dezember 2016 einen Vorschlag über eine befristete generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft bei Lieferungen von Waren und Dienstleistungen mit einem Wert von mehr als 10 000 EUR, um den MwSt-Betrug einzuschränken und den von einigen Mitgliedstaaten im Rat gestellten Forderungen nachzukommen.

2.6.

Im Oktober 2017 veröffentlichte die Europäische Kommission ein weiteres Maßnahmenpaket im Bereich der Mehrwertsteuer. Dieses Paket umfasst: a) einen Vorschlag zur Änderung der derzeitigen MwSt-Richtlinie 2006/112/EG, mit dem das Konzept des CTP sowie einige Korrekturmaßnahmen eingeführt werden (3); b) Maßnahmen, die die Grundlagen legen für eine schrittweisen Annahme des Prinzips der Besteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat und der Verantwortung des Lieferanten als allgemeine Regel (4); c) einen Vorschlag zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 zur Harmonisierung und Vereinfachung der Regeln zum Nachweis der innergemeinschaftlichen Beförderung von Gegenständen im Hinblick auf die MwSt-Befreiung (5); und d) einen Vorschlag zur Änderung der Verordnung über die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den für die MwSt zuständigen einzelstaatlichen Behörden (6).

2.7.

Insbesondere hat die Kommission hat vier „schnelle Lösungen“ zur Verringerung des Verwaltungsaufwands der Unternehmen im derzeitigen System vorgelegt. Diese vier Lösungen umfassen: a) Vereinfachung der MwSt-Vorschriften für Unternehmen bei der Verbringung von Waren von einem Mitgliedstaaten in einen anderen, wo sie vor der Auslieferung an einen im Voraus bekannten Kunden gelagert werden sollen, b) Vereinfachung und Harmonisierung der Vorschriften über Reihengeschäfte und c) Vereinfachung der Nachweise für die Beförderung von Gegenständen zwischen zwei Mitgliedstaaten. Diese Vereinfachungen sind auf Unternehmen beschränkt, die als CTP gelten. Eine vierte schnelle Lösung in Bezug auf die MwSt-Identifikationsnummer von Handelspartnern im elektronischen Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem (MIAS) der EU wird für CTP- und Nicht-CTP-Unternehmen zur Verfügung stehen.

2.8.

Künftig möchte die Kommission die derzeitige Übergangsregelung für die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten schrittweise im Zuge legislativer Maßnahmen und Anpassungen durch ein endgültiges Übereinkommen auf der Grundlage der Besteuerung von Waren im Bestimmungsland ersetzen.

3.   Allgemeine Bemerkungen: Betrugsbekämpfung und Zusammenarbeit zwischen den einzelstaatlichen Behörden

3.1.

Das derzeitige MwSt-System ist stark fragmentiert und sehr komplex und behindert und verzerrt daher den Handel und die Investitionen, indem es unnötige und übermäßige Verwaltungshemmnisse und Handelsbarrieren für die Unternehmen schafft.

3.2.

Nach Auffassung des EWSA sollte das EU-MwSt-System auf ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts ausgerichtet werden. Vor allem muss die Fragmentierung des EU-MwSt-Systems verringert und seine Verwaltung effizienter werden, insbesondere mit Blick auf den grenzüberschreitenden Handel. Es sollte angesichts der zunehmenden Globalisierung und Digitalisierung der Wirtschaft modernisiert werden.

3.3.

Der Ausschuss teilt ebenso die Auffassung der Kommission, dass Mehrwertsteuerbetrug ein erhebliches Problem ist, wie die auf 151 Mrd. EUR geschätzten Mindereinnahmen durch Betrug belegen, die praktische und wirksamere Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Praktiken erforderlich machen. Gleichwohl darf dabei die Konsolidierung des Binnenmarkts nicht konterkariert werden (7).

3.4.

Der EWSA begrüßt sowohl die Entschlossenheit der Europäischen Kommission, die Mehrwertsteuerlücke zu schließen, als auch die jüngste Richtlinie Nr. 2017/1371 über die Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug, die das Aktivwerden der Europäischen Staatsanwaltschaft bei einem Mehrwertsteuerbetrug von über 10 Mio. EUR vorsieht.

3.5.

Daher ist es wichtig, dem Ziel Priorität einzuräumen, einen echten Binnenmarkt zu gewährleisten und Betrug mittels unverzüglicher greifbarer Ergebnisse in diesem Bereich durch engere Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden mit Blick auf den Informationsaustausch und die Entwicklung von Datenbanken und Plattformen für den Datenaustausch zwischen den verschiedenen einzelstaatlichen Behörden zur Unterstützung einer wirksamen Durchsetzung der Steuervorschriften zu bekämpfen. Der EWSA fordert insbesondere die Kommission und die einzelstaatlichen Steuerbehörden auf, täglich viel enger und intensiver zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die Anforderungen des Binnenmarkts erfüllt werden, und um die Verwaltungskosten sowohl für Unternehmen als auch für Steuerbehörden zu senken. Zudem sollten die Europäische Kommission und die Steuerbehörden in Zusammenarbeit mit der organisierten Zivilgesellschaft und anderen Interessenträgern untersuchen, wie künftige Technologien zur Bekämpfung des MwSt-Betrugs beitragen können. Denn neue Technologien können auch dabei nützlich sein, den Verwaltungsaufwand für die Unternehmen und die Steuerverwaltungen zu vereinfachen und für die erforderliche Transparenz zu sorgen.

3.6.

Der EWSA betont, dass die Mitgliedstaaten angemessene Foren für den Austausch bewährter Praktiken bei der Steuererhebung und zur Entwicklung von Technologien zur Erleichterung der Steuererhebung beim grenzüberschreitenden Handel schaffen müssen. Insbesondere sollten wirksame Regelungen für die Mehrwertsteuererstattung zusammen mit wirksamen Systemen für den Informationsaustausch über Betrüger erörtert werden. Die Europäische Kommission sollte zum Aufbau solcher institutioneller Gremien beitragen und dadurch das Wachstum ankurbeln und Einnahmeverluste eindämmen.

4.   Bestimmungslandprinzip und Steuersätze

4.1.

Wie der EWSA bereits in seiner Stellungnahme zum Aktionsplan im Bereich Mehrwertsteuer (8) festgestellt hat, sollte die Überarbeitung des derzeitigen Systems zu einem endgültigen MwSt-System führen, dass nicht nur eindeutig, solide und umfassend, sondern auch in Bezug auf die Unternehmen verhältnismäßig und an den raschen Wandel von Wirtschaft und Märkten angepasst ist.

4.2.

In diesem Zusammenhang befürwortet der EWSA den Vorschlag, das Bestimmungslandprinzip zur Grundlage des endgültigen MwSt-Systems zu machen, weil dadurch voraussichtlich für alle Anbieter auf dem gleichen nationalen Markt gerechtere Wettbewerbsbedingungen geschaffen und die Marktverzerrungen auf dem Binnenmarkt zurückgehen werden.

4.3.

Eine funktionierende einzige Anlaufstelle ist ein wichtiger Teil eines auf dem Bestimmungsland basierenden Systems. Kommissionsinitiativen wie die vorgeschlagene Ausdehnung der KEA-Systems (kleine zentrale Anlaufstelle) auf alle B2C-Dienste als auch für den B2C-Warenhandel sowohl innerhalb der Union als auch mit Drittstaaten werden daher begrüßt. Ohne eine voll funktionsfähige einzige Anlaufstelle auf der Grundlage von Prüfungen im Herkunftsland, skalierbaren Vereinfachungen und der Möglichkeit, die Vorsteuer aller Mitgliedstaaten zu kompensieren, wird bei jedwedem bestimmungslandbasiertem System der Verwaltungsaufwand — insbesondere für KMU — dramatisch ansteigen.

4.4.

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der steuerlichen Neutralität zwischen den verschiedenen Unternehmen. Es sollte vermieden werden, dass sich die Mehrwertsteuerzahlungen negativ auf die Liquidität bestimmter Unternehmen auswirken. Diesbezüglich sollten die Importeure von Waren dann verpflichtet sein, MwSt zu entrichten, wenn die Waren tatsächlich auf den Markt gebracht werden, und nicht, wenn sie lediglich eingeführt und in Erwartung ihrer anschließenden Vermarktung gelagert werden.

4.5.

Bezüglich der ersten Phase des Aktionsplans mit Fokus auf bestimmten Warenlieferungen fordert der Ausschuss alle an der Reform des MwSt-Systems beteiligten Institutionen auf, zu sondieren, wie ein gemeinsames System für Dienstleistungen und Waren möglichst rasch realisiert werden kann, um dadurch die sich aus der Existenz von zwei Systemen — eines für Waren und eines für Dienstleistungen — ergebenden Probleme abzufedern.

4.6.

Dies ist von besonderer Bedeutung angesichts der Tatsache, dass in der digitalen Wirtschaft die Trennlinie zwischen Waren und Dienstleistungen zunehmend verschwimmt und sich weiter verändern wird im derzeitigen Umfeld, in dem sich die Technologie weitaus schneller entwickelt als die von den zuständigen Behörden erlassenen Bestimmungen. Der EWSA fordert deshalb die Europäische Kommission auf, diese Frage im Rahmen der laufenden Reform des Mehrwertsteuersystems zu berücksichtigen und nach Möglichkeit anzugehen.

4.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die von der Kommission verfolgte Strategie der Mehrwertsteuersätze, die darauf abzielt, den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität bei den ermäßigten Steuersätzen zu ermöglichen, grundsätzlich mit dem Bestimmungslandprinzip kompatibel sein sollte, da dieses System normalerweise zu weniger Handelsstörungen führt.

4.8.

Den Mitgliedstaaten mehr Freiheit bei der Festlegung ihrer eigenen Sätze zu gewähren, darf allerdings nicht zu einem insgesamt fragmentierten oder übermäßig komplexen System führen. Daher muss ein ausgewogener Ansatz verfolgt werden, der — insbesondere im Interesse der KMU — zu einem eindeutigen und vorhersehbaren Durchsetzungsrahmen führt, damit die Befolgungskosten für die Wirtschaftsakteure im Allgemeinen (9) gesenkt werden.

4.9.

Daraus geht hervor, dass die zulässigen Ausnahmen auf spezifische und ordnungsgemäß begründete Fälle begrenzt sein sollten, um einen einheitlichen und vorhersehbaren Regelungsrahmen sicherzustellen.

4.10.

Mit Blick auf mögliche Ausnahmen ist der Ausschuss der Ansicht, dass das von der Kommission vertretene Ziel der Unterstützung der sozialen Innovation und der Stärkung der europäischen Säule sozialer Rechte ermäßigte Steuersätze für soziale Unternehmen und die Branche der Sozialdienstleistungen rechtfertigen könnte, — auf der Grundlage spezifischer Initiativen, die die Mitgliedstaaten diesbezüglich im Rahmen des neuen rechtlichen Rahmens für die MwSt beschließen können.

4.11.

Es gilt, ein Online-Informationsinstrument einzurichten, damit die Unternehmen die unterschiedlichen Steuersätze in den 28 Mitgliedstaaten im Blick behalten können. Dieses Instrument muss leicht zugänglich und verlässlich sein und vorzugsweise in allen EU-Amtssprachen zur Verfügung stehen.

5.   Der zertifizierte Steuerpflichtige (CTP)

5.1.

Hinsichtlich des CTP stellt der EWSA fest, dass die Kommission dieses Konzept für den Übergang zu einem auf dem Bestimmungslandprinzip beruhenden MwSt-Systems für wichtig hält und stimmt zu, dass Unternehmen mit nachgewiesener Steuerzuverlässigkeit in den Genuss angemessener Maßnahmen zur Vereinfachung kommen sollten.

5.2.

Das Konzept CTP und die damit einhergehende Umkehrung der Steuerschuldnerschaft kann für die Unternehmen durchaus eine wesentliche Erleichterung darstellen. Der EWSA hält es indes von wesentlicher Bedeutung, dass harmonisierte, eindeutige und verhältnismäßige Kriterien und Vorschriften in den Mitgliedstaaten angewandt werden, um einen möglichst umfassenden Zugang zum Status als CTP zu gewähren und es den Unternehmen zu gestatten, dieses Konzept beantragen zu können.

5.3.

Da es etwas dauern wird, bis sich die Mitgliedstaaten auf den Status des CTP geeinigt haben und die große Mehrheit der Unternehmen zertifiziert sein wird, und da die im Vorschlag dargelegten schnellen Lösungen für das Funktionieren des MwSt-Systems so wichtig sind, möchte der EWSA die Mitgliedstaaten dazu anhalten, diese schnellen Lösungen für alle Unternehmen anzunehmen, bevor das System des CTP voll entwickelt ist.

5.4.

Der EWSA stimmt auch zu, dass es im Sinne einer optimalen Nutzung des Status des CTP wichtig ist, über angemessen entwickelte und für die einzelstaatlichen Steuerbehörden leicht zugänglich elektronische Speichersysteme zu verfügen.

5.5.

Gleichwohl ist es angesichts der derzeitigen, immer noch vagen Formulierung des Kommissionsvorschlags nicht möglich, dieses Konzept eingehender und detaillierter zu bewerten, und die praktischen Auswirkungen seiner Umsetzung sind nicht klar.

5.6.

Daher möchte der EWSA zu diesem Zeitpunkt lediglich darauf hinweisen, dass das Instrument des CTP durch klare und transparente Kriterien für seine Umsetzung unterfüttert werden sollte. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass die Wahl analoger Kriterien wie für den zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten zu einem eingeschränkten Zugang zum CTP-System und den schnellen Lösungen führen und nur eine kleine Minderheit der Unternehmen betreffen könnte. Das CTP-System läuft Gefahr, nur für sehr wenige Unternehmen zugänglich zu sein.

5.7.

Dieses Konzept muss — insbesondere in der ersten Phase der Umsetzung — von der Europäischen Kommission sorgfältig überwacht werden, um zu vermeiden, dass der Nutzen des CTP-Konzepts in puncto Steuervereinfachung und erleichterte Erfüllung der rechtlichen Anforderungen durch den Verlust an Rechtsicherheit und regulatorische Einheitlichkeit auf dem Binnenmarkt zunichte gemacht werden.

5.8.

Mit Blick auf den Vorschlag zur Änderung der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 über bestimmte Befreiungen bei innergemeinschaftlichen Umsätzen stellt der EWSA fest, dass die Aufforderung des Rates an die Kommission, den Rechtsrahmen für Befreiungen zu klären und zu vereinfachen, ein sinnvolles Instrument zur Verringerung des Betrugs und der Begrenzung der Befolgungskosten für KMU darstellt.

6.   Nächste Schritte und abschließende Bemerkungen

6.1.

Der EWSA erachtet es im Allgemeinen für wichtig, dass die Kommission eine umfassende Abschätzung der regulatorischen Folgen durchführt mit dem Ziel, die praktischen Auswirkungen des MwSt-Aktionsplans auch in quantitativer Hinsicht als Ganzes auf Einzelpersonen, Unternehmen und Steuerbehörden zu bewerten.

6.2.

Schließlich stellt der EWSA mit Verweis auf seine frühere Stellungnahme zum Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer (10) fest, dass alle verschiedenen Teile des Aktionsplans als ein untrennbares Ganzes umgesetzt werden müssen.

6.3.

Der Ausschuss bekräftigt, dass alle Anstrengungen unternommen werden sollten, um das endgültige MwSt-System innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens zu realisieren. Ansonsten könnten die erklärten Ziele gefährdet bzw. nur zum Teil erreicht werden — zum Nachteil des Binnenmarkts und der darin operierenden Unternehmen.

Brüssel, den 14. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2016) 757 final.

(2)  COM(2016) 758 final.

(3)  COM(2017) 567 final.

(4)  COM(2017) 566 final.

(5)  COM(2017) 568 final.

(6)  COM(2017) 569 final.

(7)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema MwSt-Ausnahmeregelungen — Umkehrung der Steuerschuldnerschaft, insbesondere Ziffern 1.2-3.2 (ABl. C 288 vom 31.8.2017, S. 52).

(8)  ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 43.

(9)  Siehe Stellungnahme des EWSA Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer (ABl. C 389 vom 20.10.2016, S. 43), Ziffern 3.1.6 und 3.1.7.

(10)  ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 43.


6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Vollendung der Bankenunion

(COM(2017) 592 final)

(2018/C 237/08)

Berichterstatter:

Carlos TRIAS PINTÓ

Mitberichterstatter:

Daniel MAREELS

Befassung

Europäische Kommission, 17.11.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

28.2.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

14.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

180/3/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA befürwortet die seit 2012 ergriffenen Maßnahmen, durch die entscheidend zur Finanzstabilität beigetragen und der Teufelskreis der Verflechtung des Bankwesens mit den Staaten durchbrochen wurde.

1.2.

Er begrüßt deshalb das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene neue Maßnahmenpaket zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) und zur Entwicklung eines optimalen Währungsgebiets (und fordert dessen konkrete Umsetzung). Auf diese Weise sollen die derzeitigen Widerstände überwunden und durch die allmähliche Verminderung und Vergemeinschaftung finanzieller Risiken so rasch wie möglich mehr Klarheit hinsichtlich der Vollendung der dritten Säule der Bankenunion geschaffen werden. Mit der Vollendung der Bankenunion und der Kapitalmarktunion sollte nämlich die vollständige Schaffung einer Finanzunion als einer der Grundpfeiler der WWU möglich werden.

1.3.

Konkret unterstützt der EWSA die verschiedenen vorgeschlagenen Ziele: Stärkung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) und des einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM), Erleichterung der sukzessiven Reduzierung finanzieller Risiken und schließlich Ermöglichung eines gesamteuropäischen Einlagensicherungssystems, das zusätzlich zur Liquiditätssicherung Verluste übernehmen und die dritte Säule der Bankenunion vollenden kann.

1.4.

Dazu ist es notwendig, die Arbeiten zur Teilung und Verringerung der Solvenz- und Liquiditätsrisiken im Finanzsektor parallel fortzuführen. Der EWSA bekräftigt diesbezüglich seinen Standpunkt aus der Stellungnahme zu den Vorschlägen zum europäischen Einlagenversicherungssystem (EDIS). Neben anderen Fragen in diesem Zusammenhang sollte die Frage der notleidenden Kredite weiterhin ganz oben auf der Tagesordnung stehen, und das gilt umso mehr, als das Wirtschaftswachstum wieder Fahrt aufgenommen hat.

1.5.

Da die ursprünglichen EDIS-Vorschläge nach mehr als zwei Jahren ergebnislos geblieben sind, erscheint eine Anpassung des Ansatzes sinnvoll. Die vorliegende Mitteilung schafft Raum für eine breitere Diskussion und einen abgestuften Ansatz zur Umsetzung des Europäischen Einlagenversicherungssystems. Der EWSA unterstützt diesen Ansatz. Es ist wichtig, die Dynamik im Hinblick auf die Vollendung der Bankenunion zu nutzen und die während der Verhandlungen getroffenen Feststellungen zu berücksichtigen. Der EWSA erachtet es in jedem Fall als notwendig, dass sowohl das EDIS als auch die relevanten risikomindernden Maßnahmen mit einem klaren und konkreten Zeitplan umgehend und parallel in Angriff genommen und tatsächlich umgesetzt werden.

1.6.

Die Entscheidung, in der ersten Phase nur eine Liquiditätsdeckung bereitzustellen, die im Laufe der Jahre zunimmt, ist zu begrüßen. Gleichzeitig sollte den nationalen Einlagensicherungssystemen, die für die Deckung von Verlusten bereitstehen, weiterhin volle Beachtung geschenkt werden. Um den anschließenden Übergang zur zweiten Stufe so weit wie möglich zu erleichtern und gegenseitiges Vertrauen zu gewährleisten, hält der EWSA es für wichtig, dass zügig Initiativen zur weiteren Straffung dieser nationalen Systeme ergriffen werden. Ebenfalls angegangen werden müssen die bisherigen Probleme und ungebührliches Risikoverhalten.

1.7.

In der zweiten Phase wird die Verlustdeckung hinzukommen, dieser Übergang erfolgt jedoch nicht automatisch. Der EWSA ist der Auffassung, dass die geplante förmliche Entscheidung sich auf eine möglichst breite Grundlage stützen sollte. Daher erscheint es angebracht, dass die Entscheidung nicht nur von der Kommission, sondern gemeinsam mit dem Rat und dem Parlament gefasst wird.

1.8.

Dieser schrittweise Aufbau der Verlustdeckung im Europäischen Einlagenversicherungssystem ist grundsätzlich positiv; gleichwohl muss den Modalitäten seiner Umsetzung in den Vorschlägen größere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

1.9.

Generell ist die Mitteilung in vielerlei Hinsicht eher allgemein gehalten, und Vorschläge erfolgen „unter Vorbehalt“. Das schafft zweifellos Raum für weitere Diskussionen, kommt aber nicht immer der Durchschlagskraft zugute. Zudem gibt es eine Reihe wichtiger Aspekte, die nicht oder nur unzureichend behandelt werden. Der EWSA fordert, dass die Arbeit zusammen mit allen Beteiligten zügig fortgesetzt wird und die Vorschläge konkretisiert werden. Im Übrigen müssen die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung gerecht werden und bereits vereinbarte Maßnahmen, insbesondere jene im Bereich Einlagensicherung, weiter vorantreiben. Dies ist vor allem aufgrund des in der vorliegenden Mitteilung dargelegten abgestuften Ansatzes sehr wichtig.

1.10.

Im Einklang mit der beabsichtigten Einrichtung eines gesamteuropäischen Einlagensicherungssystems ist es äußerst wichtig, dass der Europäische Währungsfonds in seiner Funktion als Brandmauer für den SRM als Kreditgeber letzter Instanz umgehend einsatzfähig ist. Ebenso unterstützt der EWSA nachdrücklich die geplanten Aufgaben dieses Organs bei der Bewältigung sogenannter asymmetrischer Schocks.

1.11.

Die Verbesserung und Konsolidierung der Säulen der Bankenunion und die Anwendung des einheitlichen Regelwerks müssen einhergehen mit der Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung 2030 und der Pariser Zusagen zum Klimawandel seitens der Finanzwirtschaft, wobei auf diese Weise günstigere Bedingungen hinsichtlich des Kapitalbedarfs für Investitionen in die grüne Wirtschaft und verschiedene langfristige nicht komplexe „inklusive“ Darlehensformen, z. B. Hypothekendarlehen, insbesondere im Zusammenhang mit der Energieeffizienz, der Installation von Installation von Solarpaneelen usw., eingeführt werden sollten.

1.12.

Ebenso stellen FinTech und weitere Finanzinnovationen (wie etwa Blockchain und Smart Contracts) eine erneute Handlungsaufforderung zur Vollendung und Neubelebung der Bankenunion sowie zur Verbesserung der finanziellen und digitalen Inklusion der europäischen Bürgerinnen und Bürger im Einklang mit den strategischen Zielen der EU dar. Nach der aktuellen Formulierung der Nachhaltigkeitsziele 2030 trägt die finanzielle Inklusion bereits zu 7 der insgesamt 17 Ziele bei, während die digitale Inklusion, die eine solche finanzielle Inklusion sicherstellen bzw. unter neuen Rahmenbedingungen auch gefährden könnte, explizit oder implizit nahezu alle Ziele betrifft.

1.13.

Wie bereits in verschiedenen Stellungnahmen dargelegt, bekräftigt der EWSA erneut sein Eintreten für ein vielfältiges Finanzökosystem, in dem große gesamteuropäische Akteure und kleine und mittlere Banken sowie Finanzdienstleister (die keine Banken sind) nebeneinander bestehen und sich in einem Umfeld eines deutlich verringerten Systemrisikos auf gleicher Augenhöhe verlässlich auf die Finanzierung der Realwirtschaft konzentrieren. Vielfalt, Transparenz und Nachhaltigkeit sind die besten Mittel gegen künftige Finanzkrisen.

1.14.

Nach Ansicht des EWSA muss jetzt unbedingt die Beteiligung der nicht zum Euroraum gehörenden Länder gefördert werden. Zugleich sollte jede der drei Säulen der Bankenunion dazu beitragen, dass die globale Finanzarchitektur gestärkt wird, die Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene entsprechend ihrer regulatorischen Rahmenbedingungen intensiviert wird und die daraus resultierenden Erfahrungen weitergegeben werden, insbesondere an die 30 außereuropäischen Länder, deren Referenzwährung der Euro ist, darunter die frankophonen Länder Afrikas.

2.   Geschichte, Hintergrund und Zusammenfassung der neuen Mitteilung

2.1.

Die „große Rezession“, die vor zehn Jahren begann, stellte den Euro auf die Probe und war für die Länder des Euro-Raums mit mehr oder weniger hohen Kosten verbunden. Die finanziellen Rettungsaktionen hatten dementsprechend ebenfalls negative Auswirkungen auf das staatliche Ausfallrisiko.

2.2.

Die Bankenunion wurde 2012 mit dem Ziel eingeführt, als Reaktion auf die strukturellen Mängel des unzureichend durchkonzipierten Euro ein einheitliches und integriertes Finanzsystem für eine wirksame Umsetzung der Geldpolitik zu schaffen, bei dem eine angemessene Risikostreuung über alle Mitgliedstaaten ermöglicht und das Vertrauen in das Bankensystem des Euro-Raums wiederhergestellt wird. Dank der positiven Veränderungen bei der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und den haushaltspolitischen Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten sind auf dem Weg zu einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) Fortschritte erzielt worden. Die derzeitige Aufgabe besteht u. a. darin, den Euro in allen 27 EU-Mitgliedstaaten einzuführen und die dritte Säule der Bankenunion zu vollenden.

2.3.

Angesichts der Gefahr des Populismus und dem zunehmenden Risiko nationalistischer Tendenzen — bedingt vor allem durch die Zunahme der Ungleichheiten infolge asymmetrischer Erschütterungen im Euro-Raum — besteht in der Politik weitgehend Einvernehmen darüber, dass die Finanzunion (Bankenunion und Kapitalmarktunion) vollendet werden muss, um die Finanzstabilität und territoriale Unversehrtheit der EU vor dem, wie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker es nannte, „Gift“ des Nationalismus zu schützen.

2.4.

Eine weitere erhebliche neue Herausforderung betrifft die Finanztechnologie (FinTech) und andere Innovationen in der Finanzinfrastruktur, die bislang von der Finanzaufsicht nicht erfasst wurden. In der Mitteilung der Kommission vom September 2017 mit dem Titel „Die integrierte Aufsicht ausbauen, um Kapitalmarktunion und Finanzintegration in einem sich wandelnden Umfeld zu stärken“ heißt es dazu: „Beim Ausbau der Finanzunion müssen alle Möglichkeiten, die sich durch Finanzinnovationen bieten, ausgeschöpft werden, doch gilt es auch neue Risiken zu steuern“. Ein Aktionsplan ist für Anfang 2018 angekündigt (1).

2.5.

Die auf dem Weg zur Bankenunion erzielten Fortschritte durch die Einführung der Regulierungs-, Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten durch den einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) (2) und den einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM), die zusammen mit dem im Fahrplan für eine Bankenunion niedergelegten „Einheitlichen Regelwerk“ die wichtigsten Meilensteine darstellen, wurden in den Jahren der einsetzenden konjunkturellen Erholung getrübt, da die Partner des Euro-Raums es vorzogen, die mit der Finanzintegration verbundenen Synergieeffekte ungenutzt zu lassen, anstatt die Risiken zu teilen.

2.6.

Wir sehen uns deshalb mit einer ganzen Reihe von Erklärungen und Vorschlägen konfrontiert, die zwar für Fortschritte gesorgt, jedoch nicht zu einer Risikominderung und Risikostreuung geführt haben. Die gesetzgebenden Organe der EU haben noch immer nicht ausreichend konkrete Antworten auf die Frage gegeben, wie die Wirtschafts- und Währungsunion vollendet werden kann, insbesondere in Bezug auf: die Einhaltung der Richtlinie von 2014 in der 2017 vom Rat gestärkten Fassung (3), den Vorschlag für eine Verordnung vom November 2015; die partielle und weitere Entwicklung der Kapitalmarktunion; die Lancierung des Aktionsplans Finanzdienstleistungen für Verbraucher (2017); die neuen Maßnahmen zum Abbau notleidender Kredite (4) usw.

2.7.

Im zuvor genannten Vorschlag für eine Verordnung von 2015 war die allmähliche und progressive Entwicklung eines europäischen Einlagenversicherungssystems (EDIS) vorgesehen. In der ersten Phase würde ein Rückversicherungssystem zum Einsatz kommen, das sich danach zu einem immer stärker vergemeinschafteten System (Mitversicherung) entwickelt und schließlich in der dritten Stufe in ein System mündet, bei dem ab 2024 das Risiko vollständig vom EDIS getragen wird. Parallel zu diesem Entwurf kündigte die Kommission eine Reihe von Maßnahmen zur Risikominderung in der Bankenunion an. Die Verhandlungen darüber waren leider noch nicht von Erfolg gekrönt.

2.8.

Darüber hinaus gibt es in Bezug auf die nationalen Einlagensicherungssysteme noch einiges zu tun, um diesen den Weg zu ebnen. Zu den noch offenen Fragen gehören die erheblichen Unterschiede bei der Umsetzung der Vorschriften der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme durch die einzelnen Mitgliedstaaten und die Notwendigkeit, den Austausch von Informationen und die Instrumente zur Koordinierung zwischen den nationalen Einlagensicherungssystemen zu verbessern (5).

2.9.

Um die festgefahrene Lage zwischen den beiden Legislativorganen zu überwinden, wird in dieser Mitteilung das Kriterium für ein Bail-in verschärft und vorgeschlagen, erstens einen gemeinsamen Rettungsanker für den einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) einzuführen und zweitens einen umfassenderen Fahrplan für das europäische Einlagenversicherungssystem aufzustellen, der mit der Rückversicherung beginnt (indem nur eine allmähliche Liquiditätsdeckung geboten wird, während die Banken den gemeinsamen Fonds bereitstellen), und dann in einer zweiten Phase zu einer Mitversicherung überzugehen, bei der die Bedingung sein könnte, dass Risiken im Zusammenhang mit notleidenden Krediten hinreichend begrenzt sind (6). Zu diesem Zweck wird eine erste zusätzliche Maßnahme vorgeschlagen, mit der die Wahrscheinlichkeit von Unternehmenspleiten infolge von Umstrukturierungsmaßnahmen reduziert werden soll, wobei im Rahmen der Überarbeitung der SSM-Verordnung ebenfalls Anstrengungen zur frühzeitigen Einführung von Bestimmungen zu notleidenden Krediten unternommen werden. In der Mitteilung der Kommission über die Halbzeitbilanz des Aktionsplans zur Kapitalmarktunion von Mitte 2017 werden ebenfalls kurzfristige Maßnahmen zum Aufbau eines Sekundärmarkts für notleidende Kredite angekündigt (7). Letztlich bedeutet dies, dass auch hinsichtlich der Risikominderung im Bankensektor genügend Fortschritte erzielt werden müssen.

2.10.

Die zweite zusätzliche Maßnahme betrifft die Diversifizierung der Staatsanleihenbestände der Banken. Durch Staatsanleihen besicherte Wertpapiere könnten hier einen Beitrag leisten und gleichzeitig zusätzliche Garantien bieten. Ausgehend von den Arbeiten des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) erwägt die Kommission die Vorlage eines Legislativvorschlags zu Beginn des Jahres 2018.

2.11.

Bis Frühjahr 2019 sollten deshalb alle Maßnahmen zur Risikoteilung eingeleitet worden sein und die Umsetzungsphase beginnen können, angefangen bei der Vereinbarung der beiden Legislativorgane über die grundlegenden Elemente des Bankenpakets vom November 2016 und erheblichen Fortschritten bei den verbleibenden Punkten, gefolgt von einer Klärung der bestehenden Kontrollbefugnisse zur Minimierung der Risiken im Zusammenhang mit notleidenden Krediten und schließlich einem Vorschlag für die Bewertung von Investmentgesellschaften.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Da die Volkswirtschaften der Länder des Euro-Gebiets mittlerweile wieder wachsen und auch die Kreditfinanzierung der Volkswirtschaften zunimmt, sollte jetzt die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems gestärkt werden, damit etwaige Finanzkrisen nicht zu einer weiteren Marktfragmentierung (8) führen und den Euro und die europäische Integration insgesamt ein weiteres Mal auf eine harte Probe stellen.

3.2.

Aus diesem Grund ist es unverzichtbar, einen „vollständig vergemeinschafteten“ Einlagensicherungsfonds einzurichten, um die Finanzstruktur der Europäischen Union zu vollenden und die derzeitige Inkongruenz zwischen der (zentralisierten) Bankenaufsicht und -abwicklung einerseits und den (nicht harmonisierten) nationalen Einlagensicherungssystemen andererseits zu beheben. Hierfür sind auch hinreichende Fortschritte in Bezug auf die Risikominderung im Bankensektor erforderlich.

3.3.

Die Fortschritte auf dem Gebiet der Risikominderung und Einlagensicherung gehen Hand in Hand, weshalb der EWSA die Grundsätze bekräftigt, die er bereits in Bezug auf die ursprünglichen Vorschläge zu EDIS (9) formuliert hat. Es wurde insbesondere ausgeführt, dass beide Arten von Maßnahmen auf die gleiche Weise und mit tatsächlich gleichwertigen Instrumenten und Methoden durchgeführt werden müssen, da sie eine Reihe von wichtigen grundlegenden Zielen für die Stärkung und Vollendung der Bankenunion gemeinsam haben. Im Hinblick auf wirkliche Fortschritte ist es für den EWSA daher unerlässlich, dass sowohl das EDIS als auch die relevanten risikomindernden Maßnahmen entsprechend einem klaren und konkreten Zeitplan umgehend parallel in Angriff genommen und tatsächlich umgesetzt werden. Die Schaffung der richtigen Voraussetzungen, um Fortschritte machen zu können, ist ebenfalls von großer Bedeutung für die weitere Vollendung der WWU, wovon die Bankenunion ein wichtiger Teil ist.

3.4.

Neben anderen Initiativen zur Risikominderung muss insbesondere das Thema notleidende Kredite (10) und deren ungleiche Verteilung auf die einzelnen Länder weiterhin ganz oben auf der Tagesordnung stehen, da hier unbedingt Fortschritte notwendig sind. Wie kürzlich festgestellt wurde, hat es insgesamt Fortschritte gegeben, doch Durchschnittswerte sagen nicht alles aus (11). Neben Banken, die energisch handeln oder zumindest Schritte in die richtige Richtung unternehmen, gibt es auch Banken, die die Notwendigkeit, zu handeln, in Abrede stellen oder Maßnahmen ergreifen, die nicht weit genug gehen. Nach der Rückkehr des Wirtschaftswachstums muss dieser Frage Vorrang eingeräumt werden, um die bisherigen Probleme zu lösen und die Lösung künftiger Probleme zu gewährleisten. Die Herausforderung besteht darin, vor Ort wirksame Ergebnisse zu erzielen. Dies ist von wesentlicher Bedeutung, wenn bei der Verwirklichung der dritten Säule der Bankenunion Fortschritte erzielt werden sollen.

3.5.

Im Vergleich zu den ursprünglichen EDIS-Vorschlägen von 2015 bietet die vorliegende Mitteilung Raum für eine breitere Diskussion über das Europäische Einlagenversicherungssystem und einen stärker abgestuften Ansatz für seine Umsetzung. Da es nun darum geht, die Dynamik im Hinblick auf die Vollendung der Bankenunion nicht verpuffen zu lassen und die während der Verhandlungen getroffenen Feststellungen zu berücksichtigen, zeugt dieser neue Ansatz der Kommission von Realitätsbezug und wird vom EWSA befürwortet.

3.6.

Die Entscheidung, in der ersten Phase eine Liquiditätsdeckung bereitzustellen, ist zu begrüßen. Dies bedeutet, dass die Verlustdeckung zu diesem Zeitpunkt über die nationalen Einlagensicherungssysteme geregelt wird. Um den anschließenden Übergang zur nächsten Stufe nicht unnötig zu erschweren und um des gegenseitigen Vertrauens willen, ist es für den EWSA wichtig, dass von vornherein deutlich gemacht wird, dass weitere Anstrengungen erforderlich sind, um die nationalen Systeme so weit wie möglich zu straffen und dadurch allzu große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen. Gleichzeitig müssen auch die bisherigen Probleme und ungebührliches Risikoverhalten angegangen werden.

3.7.

Hinsichtlich des Übergangs von der Rückversicherungsphase (vgl. oben) zur Mitversicherungsphase, die an eine Reihe von Bedingungen geknüpft ist, vertritt der EWSA die Auffassung, dass sich diese Entscheidung auf eine möglichst breite Grundlage stützen sollte. Daher erscheint es angebracht, dass diese nicht nur von der Kommission, sondern gemeinsam mit dem Rat und dem Parlament getroffen wird (12).

3.8.

Ein Höchstmaß an Klarheit ist ebenso hinsichtlich der Bedingungen erforderlich, die sowohl während als auch nach (13) dem Übergang zur Mitversicherungsphase, in der sowohl eine Liquiditätsdeckung als auch eine Verlustdeckung vorgesehen sind, gelten sollen. Der diesbezüglich geplante schrittweise (14) Aufbau ist begrüßenswert. Gleichzeitig besteht jedoch die Befürchtung, dass der aktuelle Wortlaut im Rahmen seiner weiteren Ausarbeitung zu allgemein gehalten bleibt, nicht präzise genug ist und zu viel Raum für unterschiedliche Auslegungen und Diskussionen lässt. Darum sind von Anfang an mehr Stabilität und Sicherheit notwendig.

3.9.

Generell ist anzumerken, dass die Mitteilung im Rahmen dieser Grundlinien in vielerlei Hinsicht recht allgemein gehalten ist und Vorschläge unter Vorbehalt gestellt werden. Einerseits schafft dies Spielraum, der für die weiteren Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten nützlich sein kann; andererseits klingt der Text dadurch weniger dringlich (15) und bietet nicht immer die gewünschte Klarheit. Es gibt eine Reihe wichtiger Aspekte, die nur unzureichend oder gar nicht angesprochen werden, darunter die Anerkennung der Rolle der institutionellen Schutzsysteme, auf die der EWSA bereits hingewiesen hat (16). Um hier Abhilfe zu schaffen, ist es jetzt an der Zeit, die Zusammenarbeit mit allen anderen Beteiligten (Rat, Parlament, Mitgliedstaaten, Kommission usw.) zügig fortzuführen und die Vorschläge konkreter zu formulieren.

3.10.

Der EWSA fordert die beiden Legislativorgane nachdrücklich auf, das am 6. Dezember 2017 vorgelegte umfassende Maßnahmenpaket zur Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion (17) für eine Beschleunigung der Konsensbildung zu nutzen.

3.11.

Der EWSA unterstützt die Absicht der EZB, sicherzustellen, dass Banken in allen EU-Mitgliedstaaten harmonisierte Leistungen anbieten (18) und dadurch die Vorteile eines größeren Marktes nutzen können. Er fordert die noch nicht an der gemeinsamen Währung teilnehmenden Mitgliedstaaten auf, sich als ersten Schritt auf dem Weg zu ihrer vollständigen Integration in das Euro-Gebiet dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) anzuschließen.

3.12.

Die Vollendung der Finanzarchitektur der EU muss entsprechend den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung für 2030 einhergehen mit der digitalen und finanziellen Inklusion. Der EWSA betont, dass die Banken durch ihre Funktion als Mittler zwischen bewusstem Sparen und sozial verantwortlichem Investieren zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Umsetzung von 13 der insgesamt 17 Nachhaltigkeitsziele einen wichtigen Beitrag leisten können. In dieser Hinsicht sollte die Finalisierung der Basel-III-Reformen vom 7. Dezember 2017 sorgfältig geprüft werden, um sicherzustellen, dass die Kreditvergabe durch die Banken in Europa nicht in Bereichen eingeschränkt wird, die für ein nachhaltiges Finanzwesen von entscheidender Bedeutung sind.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA befürwortet die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zur Begrenzung der Risiken im Bereich der Aufsicht, Abwicklung und Einlagensicherung (bei einem eventuellen Übergang von der Rückversicherung zur Mitversicherung).

4.2.

Der EWSA unterstreicht, dass die Harmonisierung der nationalen Einlagensicherungssysteme mit der Umstellung auf EDIS einhergehen sollte. Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, eine Initiative einzuleiten, damit die nationalen Einlagen zur Vollendung der Architektur des europäischen Systems beitragen können, wobei die Gleichbehandlung nicht systemisch relevanter Unternehmen (19) sicherzustellen ist. Der EWSA unterstützt das Recht der nationalen Einlagensicherungssysteme, alternative Maßnahmen nach Artikel 11 der Richtlinie 2014//49/EU über Einlagensicherungssysteme zu ergreifen, soweit diese nicht gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen.

4.3.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich die möglichst rasche Einführung einer Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsmechanismus, für die ein Kreditrahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Anspruch genommen wird, wie beispielsweise von der Task Force „Koordinierte Maßnahmen“ (TFCA) vorgeschlagen wurde.

4.4.

Der EWSA befürwortet die Stärkung der Aufsichtsbefugnisse im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus sowie der gesetzlichen aufsichtlichen Letztsicherungen (Säule 1), um notleidende Kredite in harmonisierter Weise abzubauen. In dieser Hinsicht sollte die Kommission nachweisen, dass die zuständigen Behörden angesichts der neuen Aufsichtsbefugnisse die Rückstellungsgrundsätze der Banken zu notleidenden Krediten beeinflussen können.

4.5.

Die zuvor erwähnten aufsichtsrechtlichen Schutzmechanismen sollten bei allen Banken nach Maßgabe ihres jeweiligen Systemrisikos greifen, das häufig von ihrem Geschäftsmodell bestimmt wird. Das würde bedeuten, dass für kleine und mittlere Banken, von denen keine übermäßigen Risiken ausgehen, angemessene Anforderungen gelten und sie nicht „überreguliert“ werden.

4.6.

Ebenso empfiehlt der EWSA, dass hinsichtlich des Kapitalbedarfs von Banken für Investitionen in die grüne Wirtschaft (20) günstigere Bedingungen herrschen und für Investitionen in die „braune“ Wirtschaft die Erhebung von Kapitalaufschlägen erwogen werden sollten. Der SSM sollte in dieser Frage eine besondere Kontrolle ausüben.

4.7.

Es sollte über weitere Neuerungen bei den Rechtsvorschriften über notleidende Kredite nachgedacht werden, indem geprüft wird, ob private Kreditversicherungsgesellschaften eine größere Rolle spielen können, da sie eine dreifache Funktion erfüllen — Prävention, Entschädigung und Einziehung — und im Zuge finanzieller Innovation immer stärker mit Banken in Verbindung gebracht werden. In ihren Berichten gelangt die EZB zu dem Schluss, dass einige dieser Risiken wie etwa Zinsänderungsrisiken von den meisten Kreditinstituten Europas angemessen gesteuert werden. Erwähnt werden sollte auch, dass die USA die Finanz- und Hypothekenkrise überwanden, als die US-Notenbank ebenfalls großen Rückversicherern Zugang zu Liquidität verschaffte.

4.8.

Wie bereits in mehreren früheren Stellungnahmen fordert der EWSA schließlich gleiche und von Technologie und Geschäftsmodell unabhängige Wettbewerbsbedingungen. Was die vorliegende Stellungnahme betrifft, so fordert er erneut gleiche Voraussetzungen hinsichtlich der Aufsichtstätigkeiten. Dies bedeutet, dass Schattenbanken, Investmentgesellschaften und Finanztechnologie-Unternehmen im Einklang mit dem Grundsatz „gleiche Dienstleistungen, gleiches Risiko, gleiche Vorschriften, gleiche Aufsicht“ verstärkt kontrolliert werden sollten. Dank der Regeln für diese neuen Akteure, die oft zu Gerichtsverfahren geführt haben, werden die Möglichkeiten für eine finanzielle Inklusion verbessert, ohne den Verbraucherschutz hierdurch zu beeinträchtigen.

Brüssel, den 14. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2017) 542 final (Abschnitt 4, S. 11).

(2)  Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates (ABl. L 287 vom 29.10.2013, S. 63).

(3)  Am 16. Juni 2017 erzielte der Rat eine Einigung hinsichtlich der Rangfolge der Bankengläubiger bei Insolvenzverfahren. Nach dieser Richtlinie können Mitgliedstaaten eine ausdrückliche Nachrangigkeit für unbesicherte Einlagen einführen, die im Falle einer Bankenpleite „gerettet“ werden müssten.

(4)  COM(2018) 37 final.

(5)  Siehe Mitteilung S. 12.

(6)  Trotz dieser Verbesserungen hatten die europäischen Banken Ende 2016 doppelt so viele risikogewichtete Aktiva (EU-weit im Schnitt 19,1 %, im Euro-Raum 18,8 %) in ihren Bilanzen wie die Banken in den USA (die japanischen Banken lagen irgendwo dazwischen), während die europäischen Werte zu Beginn der Krise im Jahr 2008 noch besser waren als die der anderen beiden großen Wirtschaftsmächte. Hinzu kommt, dass der Anteil notleidender Kredite nach wie vor dreimal so hoch ist wie in den USA und Japan.

(7)  Siehe COM(2017) 292 final, insbesondere „Vorrangige Maßnahme 5“.

(8)  Die Banken haben ihr Engagement gegenüber anderen Mitgliedstaaten zurückgefahren, und grenzüberschreitende Zahlungen machen nur noch 7 % aus.

(9)  ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 21.

(10)  Notleidende Kredite.

(11)  Interview mit Danièle Nouy, Vorsitzende des Aufsichtsrates der EZB, in Público vom 11. Dezember 2017. Siehe https://www.bankingsupervision.europa.eu/press/interviews/date/2017/html/ssm.in171211.en.html.

(12)  Unbeschadet der wichtigen Rolle, die die Aufsichtsbehörden in diesem Zusammenhang spielen können.

(13)  Siehe die Mitteilung, Ziffer 3.

(14)  Es wird nun allgemein davon ausgegangen, dass es eine Verlustdeckung durch die nationalen Einlagensicherungssysteme und das Europäische Einlagenversicherungssystem geben wird, die sich nach einem allmählich zunehmenden Verteilungsschlüssel richtet, beginnend mit einem 30-prozentigen Beitrag des europäischen Systems im ersten Jahr der Mitversicherungsphase.

(15)  Einige der Elemente sind „unter Vorbehalt“ aufgeführt. Siehe (im Niederländischen) die wiederholte Verwendung der Verbform „zou“ (würde/wäre/sollte) oder „zouden“ (würden/wären/sollten) in der Beschreibung der beiden Phasen der Umsetzung des Europäischen Einlagenversicherungssystems (Seite 11 ff.).

(16)  ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 21.

(17)  COM(2017) 821 final.

(18)  ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 51.

(19)  Gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 unterliegen nur systemisch relevante Kreditinstitute dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus.

(20)  Die Argumente zugunsten des „Faktors zur Unterstützung umweltfreundlicher Lösungen“ beziehen sich auf die positive systemische Bedeutung umweltschonender Tätigkeiten, die langfristige Umweltrisiken verringern, und auf die Notwendigkeit, positive externe Effekte zu integrieren. Siehe http://www.finance-watch.org/our-work/publications/1445 und https://ec.europa.eu/info/publications/180131-sustainable-finance-report_de.


6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/53


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/825 zur Erhöhung der Finanzausstattung des Programms zur Unterstützung von Strukturreformen und zur Anpassung seines übergeordneten Ziels

(COM(2017) 825 final — 2017/0334 (COD))

und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds, sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates in Bezug auf die Unterstützung von Strukturreformen in den Mitgliedstaaten

(COM(2017) 826 final — 2017/0336 (COD))

(2018/C 237/09)

Berichterstatter:

Mihai IVAŞCU

Mitberichterstatter:

Stefano PALMIERI

Befassung

Europäisches Parlament, 14.12.2017

Rat der Europäischen Union, 21.12.2017 und 31.1.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 175, Artikel 177, Artikel 197 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

28.2.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

14.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

183/2/9

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt den Vorschlag, die Finanzausstattung des Programms zur Unterstützung von Strukturreformen (SRSP) zu erhöhen und ein Instrument zur Umsetzung von Reformen für die „Reformzusagen“ aufzunehmen. Vorrang sollte solchen Reformen eingeräumt werden, von denen unmittelbare positive Spillover-Effekte auf die anderen Mitgliedstaaten zu erwarten sind.

1.2.

Bereits in seinen früheren Stellungnahmen hat sich der EWSA für Strukturreformen ausgesprochen, die auf die Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung und den Aufbau institutioneller Kapazitäten ausgerichtet sind, um so die Verwaltung qualitativ zu verbessern. Solche Reformen sollten länderspezifisch sein und Rückhalt durch demokratische Unterstützung haben. Eine Einheitslösung für alle Mitgliedstaaten sollte vermieden werden.

1.3.

Der EWSA betont, dass Strukturreformen nicht nur dann als positiv zu bewerten sind, wenn sie die öffentlichen Ausgaben auf sozial nachhaltige Weise senken, sondern mitunter auch dann, wenn sie die Ausgaben kurzfristig ansteigen lassen, sofern dahinter das Ziel steht, die Haushalte der Mitgliedstaaten mittel- bis langfristig auszugleichen.

1.4.

Zwar wird die Erhöhung der Finanzausstattung des SRSP begrüßt, doch reichen die Mittel vom Umfang her angesichts der steigenden Zahl der Unterstützungsanträge aus den Mitgliedstaaten nicht aus. Allein für 2018 übersteigt das Volumen der Unterstützungsanträge die vorgeschlagene Mittelausstattung um das Fünffache.

1.5.

Weiterhin hält es der EWSA für sehr wichtig, dass die Europäische Kommission ihre Pläne für die Verteilung der neuen SRSP-Mittel transparent darlegt, was im vorliegenden Vorschlag unterlassen wird; außerdem sollte sie klare Auswahlkriterien aufstellen.

1.6.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Erhöhung der Finanzausstattung des Programms zur Unterstützung von Strukturreformen nicht zulasten der Mittelausstattung anderer, ebenso wichtiger Fonds bzw. Programme gehen darf.

1.7.

Vor allem ist eine klare Strategie auf EU-Ebene erforderlich. Sie ist für die Überwachung der Fortschritte und des Entwicklungsstands der einzelnen Mitgliedstaaten unerlässlich und würde zudem visionäre Leitlinien für die Zuweisung von Mitteln unter Berücksichtigung von Konvergenzkriterien bieten. Der Austausch bewährter Verfahren sollte ebenfalls verstärkt und mit der notwendigen technischen Unterstützung durch die Europäische Kommission betrieben werden.

1.8.

Besondere Aufmerksamkeit benötigen die Mitgliedstaaten, die den Beitritt zum Euro-Währungsgebiet anstreben. Dieser Prozess ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der Europäischen Union, worauf Jean-Claude Juncker in seiner Rede über die Zukunft Europas (1) hingewiesen hat.

1.9.

Der EWSA empfiehlt die Einführung einer Regelung, wonach einem Mitgliedstaat Unterstützung versagt werden sollte, wenn bei der Entscheidung über die mehrjährigen Reformzusage-Pakete das Partnerschaftsprinzip unter echter Beteiligung der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft nicht umfassend angewandt wurde (2). Die Anwendung des Partnerschaftsprinzips ist maßgeblich für die Umsetzung faktengestützter Reformen, die ein Abbild der wirtschaftlichen Realität des jeweiligen Mitgliedstaats widerspiegeln.

1.10.

Der EWSA unterstützt den Plan, das neue Reforminstrument mit einem eigenen Finanzierungsmechanismus im mehrjährigen Finanzrahmen nach 2020 vorzusehen.

1.11.

Der EWSA empfiehlt, bestimmte SRSP-Reformen auf Einzelfallbasis finanziell zu unterstützen und sie mit dem neuen Instrument zur Umsetzung von Reformen zu verknüpfen. Dabei sollten Maßnahmen, die den Beitritt zum Euro-Währungsgebiet oder Reformen zur Vertiefung der europäischen Integration zum Ziel haben, Priorität erhalten.

2.   Einleitung und allgemeine Bemerkungen

2.1.

Das von der Europäischen Kommission im Dezember 2017 vorgelegte Paket zur Wirtschafts- und Währungsunion enthält zwei spezifische Verordnungsvorschläge, die im regulären Legislativverfahren angenommen werden sollen: eine Verordnung zur Erhöhung der Finanzausstattung des Programms zur Unterstützung von Strukturreformen, um allen Mitgliedstaaten bessere technische Unterstützung zur Verfügung zu stellen, und die Schaffung eines speziellen Arbeitsstrangs zur Unterstützung von denjenigen Mitgliedstaaten, die im Rahmen ihres Konvergenzprozesses Fortschritte im Hinblick auf die Einführung des Euro erzielen wollen (3), und eine Verordnung zur Einführung gezielter Änderungen an der Verordnung über gemeinsame Bestimmungen, um die leistungsgebundene Reserve im Rahmen der laufenden europäischen Struktur- und Investitionsfonds zur Unterstützung nationaler Reformen einsetzen zu können (4).

2.2.

Der EWSA hat insgesamt vier einschlägige Befassungsschreiben erhalten: zwei vom Europäischen Parlament und zwei vom Rat zu beiden vorgeschlagenen Verordnungen. In dieser Stellungnahme sollen daher die Standpunkte des EWSA zu diesen beiden Legislativvorschlägen als Antwort auf die Ersuchen der beiden Organe dargelegt werden, wobei es sich der EWSA vorbehält, weitere Arbeiten zu den übrigen Teilen des Pakets der Kommission zur WWU durchzuführen.

2.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass das Instrument zur Umsetzung von Reformen denjenigen Mitgliedstaaten, die keine gute Erfolgsbilanz in Bezug auf die Verwendung der bereitgestellten Strukturfondsmittel aufzuweisen haben, eine große Hilfe für einen besseren Einsatz dieser Mittel und somit zur Verringerung der wirtschaftlichen Kluft auf sozial nachhaltige Weise sein könnte.

2.4.

Ein neues Instrument zur Umsetzung von Reformen zur Unterstützung der Reformzusagen der Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Semesters ist von entscheidender Bedeutung. Vorrang sollte solchen Reformen eingeräumt werden, von denen unmittelbare positive Spillover-Effekte auf die anderen Mitgliedstaaten zu erwarten sind. Der EWSA fordert jedoch eine aktive und genaue Überwachung der Fortschritte bei der Umsetzung im Rahmen des Europäischen Semesters.

3.   Vorschläge zur Unterstützung von Strukturreformen in den Mitgliedstaaten

3.1.

Der EWSA weist erneut darauf hin, dass die Mitgliedstaaten bei Entscheidungen über die von ihnen gewünschte Strategie für Strukturreformen die Anwendung des Partnerschaftsprinzips und die echte Beteiligung der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft sicherstellen und sie in die Überwachung im Rahmen des Europäischen Semesters einbinden müssen. Um sicherzustellen, dass in allen Mitgliedstaaten das Partnerschaftsprinzip tatsächlich angewandt wird, schlägt der EWSA die Einführung einer Regelung vor, der zufolge keine Mittel zugeteilt werden sollten, wenn die organisierte Zivilgesellschaft bei Entscheidungen über die mehrjährigen Reformzusage-Pakete nicht umfassend beteiligt wurde.

3.2.

Seit der Einführung des SRSP im Jahr 2017 sind Unterstützungsanträge von 16 Mitgliedstaaten eingegangen. Einer Mittelausstattung von 22,5 Mio. EUR standen 271 Anträge mit einem Gesamtvolumen von mehr als 80 Mio. EUR gegenüber. Für 2018 hatte die Kommission eine Mittelausstattung in Höhe von 30,5 Mio. EUR vorgeschlagen. Allerdings gingen schon 444 Unterstützungsanträge aus 24 Mitgliedstaaten mit einem Gesamtvolumen von mehr als 150 Mio. EUR ein.

3.3.

Der EWSA begrüßt die Erhöhung der Finanzausstattung des Programms zur Unterstützung von Strukturreformen, meldet in Anbetracht des Volumens der Unterstützungsanträge der Mitgliedstaaten jedoch Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahme an.

3.4.

Der EWSA rät dazu, dass die Erhöhung der Finanzausstattung des Programms zur Unterstützung von Strukturreformen nicht zulasten der Mittelausstattung anderer, ebenso wichtiger Fonds bzw. Programme gehen darf.

3.5.

Der EWSA hält es für sehr wichtig, dass die Kommission ihre Absichten in Bezug auf die Verteilung der neuen SRSP-Mittel transparent darlegt, damit jeder Mitgliedstaat einen gerechten Anteil an der verfügbaren Unterstützung erhalten kann, der den durchzuführenden Reformen entspricht.

3.6.

Die Europäische Kommission muss klare und objektive Regeln für die Auswahl der Reformen aufstellen, die mit EU-Fördermitteln unterstützt werden sollen, und zugleich den gleichberechtigten Zugang aller Mitgliedstaaten zu diesen Mitteln gewährleisten. Darüber hinaus sollten die Reformen, für die Unterstützung beantragt wird, mit der Strategie der EU konform sein und im Rahmen des Europäischen Semesters streng überwacht werden.

3.7.

Da die Mitgliedstaaten bereits eigene Reforminitiativen verfolgen, empfiehlt der EWSA, das Programm zur Unterstützung von Strukturreformen vordringlich auf die Maßnahmen auszurichten, mit denen die länderspezifischen Empfehlungen am besten unterstützt werden.

3.8.

Im Übrigen können die Mitgliedstaaten ihre Reformen auch selbst finanzieren. Der Anreiz, den die Europäische Kommission in Form von SRSP-Mitteln bietet, sollte nicht als Aufforderung verstanden werden, Reformen ausschließlich mit EU-Mitteln finanzieren zu müssen. Die Funktionsweise der gesamten Wirtschafts- und Währungsunion basiert auf dem Subsidiaritätsprinzip und verantwortungsvollem Handeln jedes einzelnen Mitgliedstaats.

3.9.

Unter Berücksichtigung der begrenzten Ressourcen vertritt der EWSA die Auffassung, dass die Europäische Kommission Reformen und Maßnahmen unterstützen sollte, die eine Multiplikatorwirkung auf die Maßnahmen ausüben könnten, die von den Mitgliedstaaten in Eigenregie durchgeführt werden.

3.10.

In früheren Stellungnahmen hat sich der EWSA bereits für Strukturreformen ausgesprochen, die die soziale und wirtschaftliche Entwicklung fördern, im Sinne von mehr und besseren Arbeitsplätzen, Wettbewerbsfähigkeit und Wettbewerb im herstellenden Gewerbe und im Dienstleistungsgewerbe, Qualität der Verwaltung und der Institutionen, guter und effizienter öffentlicher Dienste und ökologischer Nachhaltigkeit (5). Solche Reformen sollten länderspezifisch sein, im Einklang mit nationalen Reformprogrammen stehen und durch demokratische Unterstützung abgesichert und keine Einheitslösung für alle Mitgliedstaaten sein.

3.11.

Da sich fast alle Mitgliedstaaten vertraglich verpflichtet haben, den Euro einzuführen, empfiehlt der EWSA, den Reformen, die eine Ausweitung des Euro-Währungsgebiets zum Ziel haben, besondere Aufmerksamkeit zu widmen; nach Möglichkeit sollten zusätzliche Mittel für diese Ziele vorgesehen werden.

3.12.

Die Fortschritte der Mitgliedstaaten, die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehören, können von der Europäischen Union besser überwacht werden als von den Mitgliedstaaten selbst. Bewährte Verfahren sollten kontinuierlich ausgetauscht werden, wozu der EWSA die Einrichtung einer Kommunikationsplattform empfiehlt.

4.   Vorschlag zur Einführung eines neuen Instruments zur Umsetzung von Reformen zur Unterstützung von Strukturreformen in den Mitgliedstaaten

4.1.

Da der Begriff „Strukturreformen“ inzwischen sehr weit gefasst wird, begrüßt der EWSA, dass die Begriffsbestimmung in die vorgeschlagene Verordnung aufgenommen wurde.

4.2.

Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, mit den Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, um verschiedene Möglichkeiten auf dem Weg zu langfristiger Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte auszuloten. Einige Reformen könnten kurzfristig zu einem Anstieg der öffentlichen Ausgaben führen, um neue Verfahren und Tätigkeiten einzuführen, die anschließend mittel- bis langfristig zur Einsparung von Ressourcen oder zur Erzielung höherer Einnahmen beitragen. Deshalb sollte das Augenmerk nicht nur auf kurzfristige Maßnahmen zur Kostensenkung, sondern auch auf Möglichkeiten gerichtet werden, um mehr Haushaltseinnahmen zu erzielen.

4.3.

Der EWSA begrüßt das für den mehrjährigen Finanzrahmen nach 2020 vorgeschlagene neue Instrument zur Umsetzung von Reformen und macht diesbezüglich darauf aufmerksam, dass eine sehr enge Zusammenarbeit der EU-Organe mit den Mitgliedstaaten zur Förderung von Integration und Konvergenz erforderlich ist. Der EWSA fordert eine aktive und genaue Überwachung der Fortschritte bei der Umsetzung im Rahmen des Europäischen Semesters.

4.4.

Zwar bieten das Europäische Semester und die in seinem Rahmen zu erstellten Länderberichte ein hervorragendes grundlegendes Instrument zur Bewertung des Reformunterstützungsprogramms, doch müssten nach Auffassung des EWSA noch weitere Instrumente für eine genaue Einschätzung der Fortschritte entwickelt werden. Diese Instrumente sollten auf die spezifischen wirtschaftlichen Erfordernisse jedes einzelnen Mitgliedstaats zugeschnitten sein.

4.5.

Der EWSA unterstützt die vorübergehende Lösung zur Finanzierung der Pilotphase des neuen Instruments zur Umsetzung von Reformen über die leistungsgebundene Reserve. Dieser Vorschlag darf jedoch nicht zu Lasten der bestehenden europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) gehen, sondern es sollte vielmehr ein eigener Haushalt hierfür geschaffen werden.

4.6.

Die Fortschritte der einzelnen Mitgliedstaaten sollten zeitnah im Rahmen des Europäischen Semesters überwacht werden. Diese Berichterstattung dürfte ein klares Bild der erzielten Fortschritte und eines etwaigen zusätzlichen Mittelbedarfs liefern.

4.7.

Da das neue Instrument zur Umsetzung von Reformen die im Rahmen des SRSP bereitgestellte freiwillige technische Unterstützung ergänzen soll, empfiehlt der EWSA, bestimmte Reformen auf Einzelfallbasis über das neue Instrument zur Umsetzung von Reformen finanziell zu unterstützen und mit ihm zu verknüpfen, vor allem Reformen mit dem Ziel des Beitritts zum Euro-Währungsgebiet oder zur weiteren Vertiefung der europäischen Integration.

Brüssel, den 14. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Rede zur Lage der Union 2017.

(2)  Delegierte Verordnung (EU) Nr. 240/2014 der Kommission vom 7. Januar 2014 zum Europäischen Verhaltenskodex für Partnerschaften im Rahmen der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ABl. L 74 vom 14.3.2014, S. 1).

(3)  COM(2017) 825 final.

(4)  COM(2017) 826 final.

(5)  Beispielsweise Verbesserung der Rahmenbedingungen und Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen sowie FuE-Ausgaben; Steigerung der Produktivität von Unternehmen, einzelnen Branchen und der Volkswirtschaft; Förderung der Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze mit höheren Löhnen bei gleichzeitigem Abbau von befristeten und prekären Beschäftigungsverhältnissen im Niedriglohnbereich; Stärkung von Tarifverhandlungen und der Autonomie der Sozialpartner in diesem Zusammenhang sowie des sozialen Dialogs auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene; Reform der öffentlichen Verwaltungen, damit sie wirkungsvoller der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dienen können und für die Öffentlichkeit transparenter sind; Förderung hochwertiger Bildungs- und Berufsbildungssysteme für Arbeitnehmer im Sinne von Chancengleichheit und positiven Ergebnissen für alle gesellschaftlichen Gruppen.


6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten

(COM(2017) 677 final — 2017/0305 (NLE))

(2018/C 237/10)

Berichterstatter: Michael McLOUGHLIN

Befassung

Befassung durch den Rat, 1.12.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 1 und Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Plenums

24.1.2017

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

23.2.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

15.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

159/43/15

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Entwurf der beschäftigungspolitischen Leitlinien und ihre Ausrichtung auf die europäische Säule sozialer Rechte. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass im Rahmen der Leitlinien mehr getan werden könnte, um das Versprechen im Zusammenhang mit der Säule vollständig einzulösen.

1.2.

Die beschäftigungspolitischen Leitlinien müssen zu einer besseren Ausgewogenheit zwischen den makroökonomischen Regeln und einem sozialen Europa im Einklang mit dem Bericht der fünf Präsidenten über die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion Europas von 2015 (1) beitragen. Nach Auffassung des EWSA muss die Übereinstimmung zwischen der makroökonomischen und der sozialen Lage dann hergestellt werden, wenn es Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung gibt.

1.3.

Der EWSA bekräftigt seine Forderung nach einem echten Sozialinvestitionspaket als Teil eines europäischen Konjunktur- und Investitionsprogramms in Höhe von 2 % des BIP (2).

1.4.

Der Ausschuss verweist auf die zahlreichen Ergebnisse des Entwurfs des Gemeinsamen Beschäftigungsberichts 2018 (3), die belegen, dass die Erholung der Arbeitsmärkte nicht für alle EU-Mitgliedstaaten, Regionen und Bevölkerungsgruppen gleich verläuft.

1.5.

Der EWSA befürwortet eine stärkere Konzentration auf die Auswirkungen und Ergebnisse der sozialen Säule und der beschäftigungspolitischen Leitlinien, die ggf. durch das soziale Scoreboard und weitere Maßnahmen unterstützt werden. Die Mitgliedstaaten und die EU sollten den Auswirkungen im Zusammenhang mit diesen Fragen in der Diskussion und Planung der Zuweisung der EU-Mittel Rechnung tragen.

1.6.

Mit den Bestimmungen der Leitlinie 5 sollte klargestellt werden, dass neue Arbeitsformen nicht immer mit einer weiteren Prekarisierung der Arbeit einhergehen, wie mitunter angenommen werden kann. Maßnahmen zur Förderung reibungsloser Übergänge auf den Arbeitsmärkten einschließlich angemessener Bestimmungen über die Sicherheit der Erwerbstätigen würden dazu beitragen, dass innovative Arbeitsformen gerechte Beschäftigungsmöglichkeiten bieten.

1.7.

Die Tendenz, von der Besteuerung von Arbeit zugunsten anderer Quellen abzurücken, ist begrüßenswert, doch sollte in den Leitlinien geklärt werden, welche anderen Steuerquellen erschlossen werden können. Der EWSA hat Stellungnahmen zu aggressiver Steuerplanung, Steuerbetrug und -hinterziehung sowie Umweltsteuern (4) erarbeitet, die in den Leitlinien als alternative Einnahmequellen vorgeschlagen werden könnten.

1.8.

Nach Auffassung des EWSA sollte die ausdrückliche Erwähnung des ESF in Leitlinie 6 beibehalten werden.

1.9.

Die in Leitlinie 7 genannte Notwendigkeit unparteiischer Streitbeilegung sollte nicht nur für ungerechtfertigte Kündigungen, sondern vielmehr für alle Bereiche gelten. Alternative Streitbeilegungsverfahren sollten das Recht der Parteien auf Anrufung der Gerichte nicht beschneiden.

1.10.

In Leitlinie 8 sind die Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit beizubehalten, insbesondere die garantierte Finanzierung der Jugendgarantie und die Weiterentwicklung der „Kompetenzgarantie“.

1.11.

Langzeitarbeitslosigkeit muss ein Schwerpunkt in Leitlinie 8 bleiben und kann ein Arbeitskräftereservoir bei einem sich verknappenden Angebot auf dem Arbeitsmarkt sein.

1.12.

Die Lage von Menschen mit Behinderungen muss unter dem Aspekt der Rechte gesehen werden, aber auch Gegenstand praktischer Querschnittsmaßnahmen im Bereich der Beschäftigung mit besonderem Schwerpunkt auf Bekämpfung der Diskriminierung — wie in den Verträgen verankert — sein.

1.13.

Bestimmungen zur Gleichstellung der Geschlechter sollten in alle Leitlinien aufgenommen werden, und es muss ein deutlicher Schwerpunkt auf das Problem niedriger Löhne bei der Beseitigung des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen gesetzt werden.

1.14.

Migranten und Flüchtlinge sollten in den Leitlinien ebenfalls ausdrücklich genannt werden.

1.15.

Der EWSA bekräftigt seine Auffassung bezüglich der Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Das tatsächliche Renteneintrittsalter sollte vor allem an das gesetzliche Rentenalter angeglichen werden (5). Ebenso betont er, dass die Tragfähigkeit der Rentensysteme in den Mitgliedstaaten sichergestellt werden muss, indem Herausforderungen wie steigende Lebenserwartung und Veränderungen auf den Arbeitsmärkten, die die Finanzierung der Renten und die Sicherstellung angemessener Rentenniveaus beeinträchtigen, bewältigt werden.

1.16.

Der EWSA begrüßt die Klarstellung, dass für die Säule und die beschäftigungspolitischen Leitlinien dieselben Bestimmungen für die Mitgliedstaaten inner- und außerhalb des Euro-Währungsgebiets gelten.

2.   Hintergrund

2.1.

Die beschäftigungspolitischen Leitlinien sind seit 1997 Bestandteil des Policy-Mixes der EU. Artikel 148 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (6) bildet die Rechtsgrundlage: „[…] der Rat [legt] jährlich Leitlinien fest, welche die Mitgliedstaaten in ihrer Beschäftigungspolitik berücksichtigen“.

2.2.

1997 waren die Leitlinien eines der ersten Beispiele für die Methode der offenen Koordinierung in der EU-Politik, die einen freiwilligen Ansatz für ein bestimmtes Ziel mit rigorosen Systemen für Berichterstattung und Peer-Review verbindet. Die Leitlinien sind nun mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik gemäß Artikel 121 AEUV verbunden.

2.3.

Der Entwurf des Gemeinsamen Beschäftigungsberichts 2018 (7) wurde zusammen mit dem Entwurf der beschäftigungspolitischen Leitlinien veröffentlicht. Darin werden einschlägigen Untersuchungen und Ergebnisse zur Beschäftigungslage in der EU präsentiert. Aus dem Bericht geht hervor, dass sich die allgemeine Beschäftigungslage in der EU verbessert, dass die Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit abnimmt, und dass der in der Strategie Europa 2020 genannte Zielwert von 75 % für die Beschäftigungsquote für die EU insgesamt (mit Ausnahme einiger Mitgliedstaaten) in die Nähe rückt. Gleichwohl unterscheiden sich die Verbesserungen stark zwischen den Mitgliedstaaten, Regionen und Bevölkerungsgruppen. Viele Menschen spüren in ihrem Alltag noch keine Anzeichen wirtschaftlicher Erholung. Zudem ist auf die wichtigen Fragen der Qualität der geschaffenen Arbeitsplätze und der Zunahme von Armut trotz Erwerbstätigkeit zu verweisen.

2.4.

Die europäische Säule sozialer Rechte (8) wurde auf dem Sozialgipfel in Göteborg vom November 2017 als interinstitutionelle Proklamation angenommen. Die Säule ist im Grunde eine politische Erklärung, in der sich die EU zu 20 Grundprinzipien verpflichtet. De facto stellt sie das neue übergreifende Engagement der EU für ein soziales Europa dar. Zur Säule gehört ein sozialpolitisches Scoreboard mit 14 Leitindikatoren zur Bewertung von Beschäftigungstrends und sozialen Entwicklungen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die Europäische Union hat in der Vergangenheit versucht, das Gleichgewicht zwischen den Zielen der sozialen Gerechtigkeit und des wirtschaftlichen Wachstums mittels einer Kombination aus Vertragsbestimmungen, Rechtsakten und nicht bindenden sozialpolitischen Instrumenten sowie durch die Weiterentwicklung des Binnenmarkts herzustellen, wenngleich das nicht immer gelang. In der weltweiten Wirtschaftskrise wurden erhebliche wirtschaftliche Reformen durchgeführt, um eine für den Euro existenzielle Krise abzuwenden. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass das sozialpolitische Engagement der EU seit den Tagen der Delors-Kommission kontinuierlich abgenommen hat. Zudem liegen die politischen und sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise sowie der damit verbundenen Sparmaßnahmen auf der Hand. Mitunter wird sogar eine mehr oder weniger direkte Verbindung zwischen dem Aufstieg des Populismus und dem Brexit gesehen. Die Notwendigkeit, wieder für Übereinstimmung zwischen wirtschaftlicher Integration und angemessenen sozialpolitischen Maßnahmen zu sorgen, wurde im Bericht der fünf Präsidenten über die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion Europas von 2015 (9) offiziell anerkannt. Der Jahreswachstumsbericht 2018 (10) zeugt mit seinem stärkeren Schwerpunkt auf Chancengleichheit und hochwertigen Arbeitsplätzen sowie der Notwendigkeit, die Verteilungswirkung der Reformen zu beachten, von einem gewissen Wandel der Einstellung. Dies ist sehr zu begrüßen.

3.2.

Die europäische Säule sozialer Rechte ist eine neue Initiative, und der EWSA hat bereits seine Sorge über die bestehende Unklarheit in Bezug auf die Säule und ihre künftige Umsetzung zum Ausdruck gebracht. Die Fehler der Vergangenheit im Hinblick auf die Verwirklichung der wichtigsten politischen Zusagen sollten vermieden werden, indem Maßnahmen für das Wohlergehen der Unionsbürgerinnen und -bürger vorangebracht werden. Der EWSA befasste sich in zwei Stellungnahmen (11) von 2017 mit der Säule, in denen er die Grundsätze und Rechte sowie die Rolle der Säule als Kompass für erneuerte Konvergenz in den Mitgliedstaaten begrüßte und alle Seiten dazu aufrief, Umsetzung und Wirksamkeit sicherzustellen. In diesem Sinne forderte der Ausschuss außerdem mehr Klarheit bezüglich der Säule und ihrer Anwendung in der Praxis. Die Säule ist nicht rechtsverbindlich und nicht Teil der Verträge. Der Ausschuss betrachtete es als Ausgangspunkt der Säule, „den bestehenden sozialen Besitzstand der EU und seine vollständige und ordnungsgemäße Durchsetzung [zu] fördern“. Die Stellungnahmen betonen die Rolle der Zivilgesellschaft und insbesondere der spezifischen Rolle der Sozialpartner bei beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und gingen auch auf beschäftigungspolitische Fragen ein wie:

ein faires Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen und sozialen Aspekten finden;

die Zukunft der Arbeit;

besonders benachteiligte Gruppen auf dem Arbeitsmarkt;

Beschäftigung und Schaffung guter Arbeitsplätze,

Unterstützung neuer und vielfältigerer Berufslaufbahnen;

die Notwendigkeit einer „Kompetenzgarantie“;

die Notwendigkeit, das tatsächliche Renteneintrittsalter stärker an die gesetzliche Altersgrenze anzugleichen;

das Ziel, dass Menschen im Rahmen eines lebenszyklusorientierten Ansatzes, der auch gute Arbeitsbedingungen umfasst, länger arbeiten;

gerechte Arbeitskräftemobilität und faire Arbeitsbedingungen für alle;

der Bedarf an Sozialinvestitionen;

die Notwendigkeit, ein verbindliches Sozialschutzminimum anzustreben;

die Rolle des Europäischen Semesters und insbesondere die Notwendigkeit, beschäftigungs- und sozialpolitischen Zielen die gleiche Bedeutung wie die der makroökonomischen Ziele zu geben;

die Notwendigkeit, EFSI-Mittel für soziale Investitionen zur Verfügung zu stellen;

die Lage der nicht dem Euroraum angehörenden Staaten.

3.3.

In dieser Stellungnahme werden die beschäftigungspolitischen Leitlinien und damit verbundene Fragen vor dem Hintergrund der europäischen Säule sozialer Rechte untersucht. Denn die Aktualisierung der Leitlinien durch die Kommission beruht auch auf der Säule und ihren Methoden. In vielerlei Hinsicht können die geänderten beschäftigungspolitischen Leitlinien u. a. als ein erster brauchbarer Test der Säule gesehen werden. Der EWSA muss die Leitlinien aus dem Blickwinkel der bereits zur Säule vorgebrachten Standpunkte untersuchen.

3.4.

Die Fragen der Auswirkungen und der Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien wurden vom Ausschuss bereits in seinen früheren Stellungnahmen zu diesem Thema im Jahr 2015 und zuvor beleuchtet (12). Sie sind auch bei der Bewertung der Leitlinien mit Blick auf die Säule von Bedeutung. Die Säule geht einher mit einem 14 Punkte umfassenden Scoreboard zur Messung der Fortschritte, die Hinweise für die Wirksamkeit der Säule erbringen können. Einige dieser Indikatoren sind jedoch nicht neu und waren bereits im Beschäftigungsanzeiger von 2013 enthalten. Es ist zu begrüßen, dass der Scoreboard alle Bereiche der Säule abdeckt. Gleichwohl sollten die groben Parameter aufgeschlüsselt werden, um detaillierte Aspekte der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten erfassen zu können. Es stellt sich auch die Frage, ob die beschäftigungspolitischen Leitlinien einen Aspekt oder eine Bevölkerungsgruppe ausreichend erfassen, auch wenn diese nicht ausdrücklich in der Säule oder dem Scoreboard aufgeführt sind.

3.5.

Die beschäftigungspolitischen Leitlinien werden nach wie vor mit der Methode der offenen Koordinierung gesteuert, und für die Umsetzung der Säule kommt eine Kombination aus nicht bindenden Maßnahmen („soft law“) und EU-Rechtsakten zum Einsatz. Da dies bei den beschäftigungspolitischen Leitlinien immer schon der Fall war, wird deren Wirksamkeit dadurch auch nicht geschwächt. Da der Säule in ihren Anfängen hohe politische Priorität beigemessen wird, ist denkbar, dass dies auch auf die beschäftigungspolitischen Leitlinien durchschlägt. Auf längere Sicht mag dies indes nicht immer der Fall sein.

3.6.

Der Ausschuss hat in seiner letzten Stellungnahme zur Säule (13) auch darauf hingewiesen, dass Verbesserungen des Scoreboards notwendig sind, und es sowohl eines wirtschaftlichen als auch eines sozialen Europäischen Semesters bedarf. Das Verhältnis zwischen der Überwachung makroökonomischer Aspekte einerseits und der Beschäftigungs- und Sozialpolitik andererseits ist kritisch. Es besteht ein Gegensatz zwischen dem beschäftigungspolitischen Ansatz und den sehr weitgehenden rechtlichen Befugnissen im Bereich des Euro — wie im Rahmen des Zweierpakets und des Sechserpakets zusammen mit dem Fiskalpakt. Der EWSA ist der Ansicht, dass es — trotz gewisser Fortschritte mit der Säule und der Integration der beschäftigungspolitischen Leitlinien in die Grundzüge der Wirtschaftspolitik — noch Spielraum für eine Angleichung dieser beiden Aspekte gibt. Der EWSA bringt erneut seine Besorgnis über die mangelnde Übereinstimmung zwischen den beschäftigungspolitischen Leitlinien und den Grundzügen der Wirtschaftspolitik zum Ausdruck (14). Im Bericht der fünf Präsidenten über die Erreichung eines „AAA-Rating“ im Sozialbereich für Europa wird ebenfalls ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen den wirtschaftlichen und sozialen Aspekten empfohlen. Die Änderung der Leitlinien und die Anwendung des Scoreboards ermöglicht zwar eine weitere, durchaus begrüßenswerte Angleichung der Maßnahmen an die Säule, stellt indes keinen allzu großen Fortschritt bezüglich der umfassenden Notwendigkeit dar, wieder für Ausgewogenheit zwischen sozialen und makroökonomischen Aspekten zu sorgen. Es könnte sogar sein, dass einige Punkte der Grundzüge der Wirtschaftspolitik im Widerspruch zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien stehen.

3.7.

Die länderspezifischen Empfehlungen (15) können bei der wirksamen Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien und der europäischen Säule sozialer Rechte eine entscheidende Rolle spielen. Sie bieten die wichtige Möglichkeit, die nationalen Maßnahmen im Einklang mit den Leitlinien und den Grundsätzen der Säule zu gestalten und gemeinsame Ergebnisse zu erzielen. Trotz der wirtschaftlichen Erholung in ganz Europa bestehen auf dem Arbeitsmarkt weiterhin Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, Regionen und den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Die auf der Grundlage der beschäftigungspolitischen Leitlinien erarbeiteten länderspezifischen Empfehlungen sollten darauf abzielen, diese Unterschiede zu verringern und die für diesen Zweck vorgesehenen Mittel aufzustocken und gezielt einzusetzen.

3.8.

Die europäische Säule sozialer Rechte richtet sich an alle Mitgliedstaaten, auch wenn sie für das Euro-Währungsgebiet konzipiert wurde (16), und daher dienen die Grundsätze der Säule und die Indikatoren des sozialen Scoreboards als Grundlage für die Ausarbeitung der länderspezifischen Empfehlungen für alle Mitgliedstaaten, was zu begrüßen ist.

3.9.

Im Vergleich zu den vorherigen Ausgaben der Leitlinie hat die Idee einer „Kompetenzgarantie“ viel Interesse geweckt. Das Konzept, das auf dem Ansatz der Jugendgarantie basiert und in der Mitteilung der Kommission zu einer neuen europäischen Agenda für Kompetenzen (17) gewissen Ausdruck findet, konzentriert sich auf gering qualifizierte Erwachsene und den Erwerb von Lese-, Schreib-, Rechen- und digitaler Kompetenzen sowie den Abschluss der Sekundarstufe II (18).

3.10.

Die Finanzierung der Umsetzung der Säule und der beschäftigungspolitischen Leitlinien mit europäischen Mitteln wird auch künftig wichtig sein. Die Verhandlungen über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) stehen vor dem Beginn, und es werden sicher enorme Herausforderungen zu bewältigen sein, insbesondere bei der Aufstellung des Haushaltsplans nach dem Brexit. Der EWSA hat seinen Standpunkt zu dieser Frage in seiner Stellungnahme zur Halbzeitüberprüfung des MFR 2014-2020 dargelegt und dort darauf hingewiesen, dass es „ein[es] europäische[n] Mehrwert[s]“ bedarf, „über den ein breiter politischer Konsens zur Unterstützung der EU-Maßnahmen besteht und der für die Bürger greifbare Vorteile bringt“ (19).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Die Kommission hat die beschäftigungspolitischen Leitlinien eindeutig geändert, damit sie mit der europäischen Säule sozialer Rechte im Einklang stehen. Dies ist sehr zu begrüßen. Die vom EWSA 2015 in seiner Stellungnahme zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien (20) dargelegten Schlussfolgerungen und Empfehlungen sind immer noch weitgehend zutreffend. Es gibt allerdings einige spezifische Fragen, die aktualisierter Bemerkungen bedürfen.

4.2.

Die wirtschaftliche Lage in der EU verbessert sich derzeit stetig, aber insbesondere für Mitgliedstaaten, Regionen und Bevölkerungsgruppen mit größeren Schwierigkeiten muss noch sehr viel mehr getan werden. Dies untermauert das Argument für die Stärkung der Sozialpolitik im Einklang mit der europäischen Säule sozialer Rechte.

4.3.

Der EWSA begrüßte bereits das Sozialinvestitionspaket der Kommission (21) im Glauben, dass es einen maßgeblichen Beitrag zu einem politischen Kurswechsel für nachhaltiges Wachstum und verbesserte Resilienz der Gesellschaften leisten kann. Der Ausschuss forderte ein europäisches Konjunktur- und Investitionsprogramm in Höhe von 2 % des BIP und „eine stärkere Fokussierung auf soziale Investitionen im Koordinierungsprozess des Europäischen Semesters“. Der EWSA bekräftigt diese Forderungen für die aktuellen beschäftigungspolitischen Leitlinien und fordert, sie zu ändern, um diese Idee aufzugreifen.

Die derzeitige Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage spricht in der Tat dafür, soziale Investitionen wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken.

4.4.

Der EWSA ist sich der Arbeitsmarktsituation bestimmter Bevölkerungsgruppen mehr denn je bewusst, sowohl in Bezug auf das Arbeitskräfteangebot, als auch auf das Erzielen gerechterer Ergebnisse. Er äußert sich regelmäßig zur Lage vieler dieser Menschen, die für die beschäftigungspolitischen Leitlinien nach wie vor eine wichtige Rolle spielen. Teil 8 der Begründung der Kommission zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien enthält einen ausdrücklichen Hinweis auf die Empfehlung der Kommission zur aktiven Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen (22). Das Dokument stammt aus dem Jahr 2008 und sollte daher überarbeitet werden, um die Übereinstimmung mit der Säule und den beschäftigungspolitischen Leitlinien zu gewährleisten, zumal die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt diesem Teil der Bevölkerung Chancen bieten wird.

5.   Die Leitlinien

5.1.

Es gibt einige spezifische Änderungen in den Leitlinien, um sie unter anderem an die europäische Säule sozialer Rechte anzupassen. Gemäß der Leitlinie 5 sollten die Mitgliedstaaten „innovative Arbeitsformen unterstützen, durch die auf verantwortungsvolle Art und Weise Beschäftigungsmöglichkeiten für alle Menschen geschaffen werden“. Zwar bieten neue Formen von Arbeit und Innovationen Chancen für Wachstum, doch andererseits können sie, wenn sie mit einem Anstieg der prekären Arbeitsverhältnisse einhergehen, auch negative Auswirkungen auf die Menschen haben. Es muss für Ausgewogenheit gesorgt werden, um die unbestreitbaren Vorteile für das Wachstum, das Unternehmertum und die Beschäftigung nutzen zu können. Gleichzeitig müssen die Folgen der neuen Formen von Arbeit sorgfältig untersucht werden (23). Mit den beschäftigungspolitischen Leitlinien sollte versucht werden, die mit diesen neuen Formen der Arbeit verbundenen Entwicklungen in faire Beschäftigungsmöglichkeiten auf der Grundlage eines Gleichgewichts zwischen reibungslosen Übergängen auf den Arbeitsmärkten zum einen und angemessenen Bestimmungen über die Sicherheit der Erwerbstätigen zum anderen münden zu lassen. Mit den Bestimmungen dieser Leitlinie sollte klargestellt werden, dass neue Formen der Arbeit nicht immer mit einer weiteren Prekarisierung der Arbeit einhergehen, wie mitunter angenommen werden kann. Maßnahmen zur Förderung reibungsloser Übergänge auf den Arbeitsmärkten einschließlich angemessener Bestimmungen über die Sicherheit der Erwerbstätigen würden dazu beitragen, dass innovative Arbeitsformen gerechte Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. In einer kürzlich verabschiedeten Initiativstellungnahme (24) hat der EWSA gefordert, dass die Behörden Arbeitgeber und Arbeitnehmer identifizieren, Personen zur Zahlung von Beiträgen zu den Systemen der sozialen Sicherheit verpflichten, elektronische Sozialversicherungs- und Steuerdatenbanken miteinander vernetzen und neue Möglichkeiten zur Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit prüfen.

5.2.

Entwicklungen wie die Digitalisierung und die Ökologisierung der Arbeitsplätze im Zusammenhang mit der Digitalen Agenda der EU und dem Paket zur Kreislaufwirtschaft sollten mit Blick auf die „innovativen“ Formen der Arbeit stärker im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen und mit diesen verknüpft werden. Da die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, zur Stärkung der sozialen Innovation beizutragen, macht der EWSA auf einige wertvolle Modelle der sozialen Innovation aufmerksam, die mit dem EWSA-Preis der Zivilgesellschaft 2017 ausgezeichnet wurden (25).

5.3.

Der EWSA befürwortet die Förderung von Unternehmertum und der Gründung von Kleinst- und Kleinunternehmen sowie des Unternehmergeists (26). Ein Indikator zur Bewertung der Bedingungen für Unternehmertum könnte nützlich sein.

5.4.

Im Hinblick auf die Umsetzung der Kommissionsvorschläge zur neuen europäischen Agenda für Kompetenzen hat der EWSA in seiner Stellungnahme (27) auf zahlreiche Herausforderungen hingewiesen, beispielsweise auf die Notwendigkeit, innovativere Lösungen in den Bereichen Bildung und Kompetenzentwicklung einzuführen, um auf diese Weise die Kompetenzgarantie zu fördern und eine angemessene und bessere Finanzierung sowie einen uneingeschränkten Zugang zu den Finanzmitteln zu ermöglichen.

5.5.

Leitlinie 5 bezieht sich auch auf das „Recht auf eine gerechte Entlohnung, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht“, und auf die „Gewährleistung angemessener Mindestlöhne, wobei deren Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Armut trotz Erwerbstätigkeit berücksichtigt wird“. Damit werden im Vergleich zu den früheren Leitlinien die Themen niedrige Entlohnung und Erwerbstätigenarmut stärker in den Mittelpunkt gerückt, doch ist der EWSA nach wie vor der Überzeugung, dass der Begriff „hochwertiger Arbeitsplatz“ eindeutiger definiert werden muss. Eine erhöhte Wirksamkeit der Tarifverträge beispielsweise durch die Ausweitung ihres Geltungsbereichs wäre in dieser Hinsicht von Nutzen. Gleichzeitig ist die umfassende Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und der Autonomie der Sozialpartner eine Grundvoraussetzung, der zentrale Bedeutung zukommt.

5.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Schwerpunkt zu sehr auf die Hindernisse auf Angebotsseite gelegt wird, ohne den erforderlichen sozialen Investitionen und dem Wachstum die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Die Tendenz, von der Besteuerung von Arbeit zugunsten anderer Quellen abzurücken, ist begrüßenswert, doch sollte in den Leitlinien geklärt werden, welche anderen Steuerquellen erschlossen werden können. Der EWSA hat Stellungnahmen zu aggressiver Steuerplanung, Steuerbetrug und -hinterziehung sowie Umweltsteuern (28) erarbeitet, die in den Leitlinien als alternative Einnahmequellen vorgeschlagen werden könnten.

5.7.

Der Hinweis auf den technologischen und ökologischen Wandel in Leitlinie 6 ist zu begrüßen; allerdings wären weitere Einzelheiten über das Potenzial des grünen Wachstums ebenfalls sinnvoll. In ähnlicher Weise sollte auch die neue Verpflichtung, dass „Ansprüche auf Fortbildung bei beruflichen Übergängen übertragen werden können“, die Mobilität fördern. Dazu hält es der EWSA für notwendig, für die Gewährleistung eines existenzsichernden Auskommens während der Fortbildung — unbeschadet des Ortes der Fortbildung — zu sorgen. Die in einigen EU-Mitgliedstaaten eingesetzten Instrumente, z. B. direkte Zuschüsse, Darlehen, Tarifverträge zur Regelung von bezahlter Bildungsfreistellung oder andere Regelungen sollten ebenfalls im Hinblick darauf geprüft werden, dass bewährte Vorgehensweisen bei Mindestansprüchen auf Bildungsurlaub auch in den anderen Mitgliedstaaten zum Standard werden. Der EWSA begrüßt den neuen Wortlaut in Leitlinie 6 bezüglich der Anerkennung des nichtformalen Lernens, der Aufnahme flexibler Maßnahmen für die berufliche Weiterbildung und verstärkter Maßnahmen für erwachsene Lernende. Es wurde einiges an Arbeit geleistet, um die Bestimmungen von Leitlinie 6 bezüglich der Hindernisse für die Beschäftigung von Frauen auf andere Gruppen auszuweiten und sie insgesamt geschlechterneutraler zu gestalten. Der EWSA ruft dazu auf, in dieser Hinsicht eine gewisse Vorsicht walten zu lassen, damit der Schwerpunkt Geschlechtergleichstellung nicht aus dem Blickfeld gerückt wird. Die Bestimmungen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sind begrüßenswert und werden in gewissem Maße bereits umgesetzt. In diesem Zusammenhang bekräftigt der EWSA seine Unterstützung für den Legislativvorschlag der Kommission zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben einschließlich bezahlter Familien- oder Pflegeurlaube, wie er sie unlängst in einer Stellungnahme (29) zum Ausdruck gebracht hat (dies fehlt im letzten Absatz von Leitlinie 6). Der EWSA ist der Ansicht, dass der Europäische Sozialfonds auch weiterhin ausdrücklich in Leitlinie 6 erwähnt werden sollte.

5.8.

Leitlinie 7 enthält verbesserte Bestimmungen über prekäre Arbeitsbedingungen und flexible Arbeitsmodelle. Dies gilt insbesondere für die „Wahrung eines angemessenen Sicherheitsniveaus und gesunder, sicherer und geeigneter Arbeitsumfelder für die Arbeitnehmer“. Die Bestimmungen zu einem „Umfeld für die Rekrutierung“ jedoch sollten nicht dazu genutzt werden, den arbeitsrechtlichen Schutz zu verringern. Die Bestimmungen zu den aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen und den öffentlichen Arbeitsverwaltungen wurden erheblich geändert. Diese Änderungen sind sehr zu begrüßen und tragen den bewährten Verfahren in diesem Bereich Rechnung. Diesem Bereich käme es angesichts der Bedeutung, die ihm beispielsweise die OECD beimisst, auch zugute, wenn ihm im Rahmen der länderspezifischen Empfehlungen mehr Aufmerksamkeit zuteilwürde. Der EWSA begrüßt den neuen Wortlaut zum sozialen Dialog, wiederholt jedoch seine Ansichten über die Verschiedenartigkeit des sozialen Dialogs innerhalb der EU und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf diesem Gebiet, die in vielen Mitgliedstaaten noch nicht ausgemerzt wurden.

5.9.

Die Bestimmungen über den Zugang zur unparteiischen Streitbeilegung sollten nicht nur bei ungerechtfertigten Entlassungen, sondern uneingeschränkt angewendet werden. Nichtsdestoweniger sollte das Recht der Streitparteien auf Anrufung der Gerichte für den Fall gewahrt werden, dass alternative Streitbeilegungsverfahren scheitern. Auch auf die Einbeziehung der Arbeitnehmer beispielsweise in Fragen der Arbeitszeit sollte hingewiesen werden. Die im Falle von Arbeitslosigkeit gezahlten Leistungen sollen zwar der Aufnahme einer neuen Arbeit nicht im Wege stehen, doch sollte ihre Funktion, arbeitslosen Menschen würdige Lebensbedingungen zu wahren, nicht beeinträchtigt werden. Darüber hinaus müssen die Bestimmungen zur Vereinfachung grenzüberschreitender Tätigkeit mit denen zur Sicherstellung einer fairen Behandlung von Arbeitnehmern und zur Vermeidung von Sozialdumping in Einklang gebracht werden.

5.10.

Es gibt Länder mit einem weniger gut entwickelten sozialen Dialog und auch solche, die auf diesem Gebiet aufgrund der Krise Rückschläge haben hinnehmen müssen. Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern im Rahmen des Europäischen Semesters zu intensivieren. Angesichts der zentralen Bedeutung des sozialen Dialogs für den Erfolg der Säule sowie für die Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien und der länderspezifischen Empfehlungen wiederholt der EWSA seine Forderung, dem sozialen Dialog in allen Mitgliedstaaten zur Geltung zu verhelfen, und er ruft alle politischen Entscheidungsträger auf nationaler und europäischer Ebene auf, hier nicht nachzulassen, sondern die tarifvertraglichen Strukturen auf allen Ebenen zu stärken. Darüber hinaus hat die Kommission Fortschritte bei der Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die länderspezifische Berichterstattung gemacht — eine begrüßenswerte Tatsache, auf die weiter aufgebaut werden sollte.

5.11.

Leitlinie 8 enthält neue Sozialbestimmungen im weiteren Sinne. Die Verpflichtungen zur Vertretung unterrepräsentierter Gruppen wie auch die zum Mindesteinkommen sind zu begrüßen. Noch begrüßenswerter jedoch wären Hinweise darauf, wie das Mindesteinkommen berechnet wird, insbesondere im Hinblick auf die Arbeit zu den Referenzbudgets. Auch ein verbesserter Zugang zu sozialem Schutz für alle Arbeitnehmer ungeachtet ihres Status sollte in der Leitlinie 8 zur Sprache kommen. Weitere Verweise auf Erwerbstätigenarmut in dieser Leitlinie und der detaillierte Hinweis auf einzelne soziale Dienstleistungen sind zu begrüßen, denn dadurch wird deutlich, dass die Leitlinien ein Kontinuum der Sozialpolitik darstellen, die mit den Bestimmungen der Säule sozialer Rechte in Einklang steht, und dass damit auch die Forderung des EWSA nach sozialen Investitionen unterstützt wird. Der EWSA wiederholt in dieser Stellungnahme seine Ansichten über das Renteneintrittsalter und begrüßt die nunmehr in den Bestimmungen enthaltenen „Maßnahmen zur Verlängerung des Erwerbslebens“, wobei jedoch klargestellt werden sollte, dass diese Verlängerung freiwillig ist. Der EWSA wird sich zu gegebener Zeit zum Ansatz der Europäischen Kommission für den Zugang zu Sozialschutz äußern.

5.12.

Die Lage in Bezug auf die Jugendarbeitslosigkeit und die Zahl junger Menschen, die weder einer Beschäftigung nachgehen noch sich in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung befinden, geben nach wie vor Anlass zur Sorge, und die Lösung dieses Problems gestaltet sich besonders schwierig. Im Europäischen Beschäftigungs- und Sozialbericht 2017 (30) wird hervorgehoben, wie unverhältnismäßig stark sich die Wirtschaftskrise auf junge Menschen ausgewirkt hat, und allem Anschein nach gelingt es nicht in ausreichendem Maße, diesen Trend im Zuge des Wiederaufschwungs umzukehren. Der Jugendgarantie ist es, flankiert durch die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen und den Europäischen Sozialfonds, gelungen, verhältnismäßig schnell eine politische Willenserklärung in die Tat umzusetzen, doch es sind noch nicht alle Probleme gelöst. Wie es häufig der Fall ist, war auch hier die Höhe der zur Verfügung stehenden Finanzmittel sehr gering, und ein großer Teil von ihnen war nicht neu. Es wird wichtig sein sicherzustellen, dass die neuen Mittel (Beschäftigungsinitiative für junge Menschen) zumindest in bisheriger Höhe weiter zur Verfügung stehen werden. Es wäre wichtig, weiterhin einen Schwerpunkt auf die Jungendarbeitslosigkeit zu legen, auch wenn die Zahlen besser werden, da häufig eine Strukturreform erforderlich ist, um auszuschließen, dass im Falle eines weiteren Schocks gerade diese Gruppe wieder als erste in Mitleidenschaft gezogen wird. Weitere Forschungen sind nötig, um die Ursache-Wirkung-Beziehungen zwischen besseren Zahlen bezüglich der Jungendbeschäftigung (falls vorhanden) und den konkreten Maßnahmen im Rahmen der Jugendgarantie zu ermitteln. Auch müssen im Zusammenhang mit der Jugendgarantie die Qualität der Interventionen und die ungleichen Veränderungen bei der Jugendarbeitslosigkeit berücksichtigt werden. Der EWSA hat bereits früher gefordert, den Schwerpunkt dauerhaft auf diesen Bereich im Rahmen der ESI-Fonds zu legen und Jugendorganisationen und Sozialpartner stärker in die Umsetzung vor Ort einzubeziehen (31).

5.13.

Wie es häufig der Fall ist, dauert es bei den Langzeitarbeitslosen am längsten, sich bei einer Erholung des Arbeitsmarktes wieder in das Arbeitsleben zu integrieren. Nötig sind in dieser Hinsicht spezifische Maßnahmen, beispielsweise flexible arbeitsmarktbezogene Fortbildungen und persönliche Berufsberatungsdienste. Aufmerksamkeit erfordern in unseren Statistiken auch die Zahlen bezüglich der entmutigten Arbeitnehmer und der Menschen mit geringer Arbeitsmarktbindung, da diese häufig übersehen werden. Ein sich erholender Arbeitsmarkt kann diese Personen wieder dazu bringen, aktiv nach einer Beschäftigung zu suchen, doch ist dazu eine zielgerichtete und spezifische Unterstützung erforderlich, und die nationalen Systeme müssen sich dieser Herausforderung stellen — auch hier würden soziale Investitionen von großer Bedeutung sein. Der Indikatorrahmen für das Monitoring der Umsetzung der Empfehlung des Rates zur Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt (32) des Beschäftigungsausschusses ist sehr zu begrüßen und muss weiterhin in seine Tätigkeit einfließen und durch den Rat „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ kontrolliert werden.

5.14.

Es bedarf eines ausdrücklichen Hinweises auf die Bedürfnisse und die Situation von Migranten und Flüchtlingen in den Leitlinien (33).

5.15.

Das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern und die Überrepräsentation von Frauen in Bereichen mit niedrigem Einkommensniveau geben nach wie vor Anlass zur Sorge und müssen über die Problematik des Arbeitskräfteangebots hinaus in den Leitlinien angesprochen werden. Maßnahmen in diesem Bereich sind eng mit dem Konzept der menschenwürdigen Arbeit und des Mindesteinkommens verknüpft, das stärker in die Leitlinien einbezogen werden muss. In ähnlicher Weise sind hier Initiativen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie zur Kinderbetreuung von Bedeutung. In der kürzlich verabschiedeten Stellungnahme des EWSA (34) zu den Vorschlägen der Kommission zur Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben werden diese Initiativen als erster wichtigen Schritt angesehen. Dies ist ein über die Leitlinien und selbst über die Säule sozialer Rechte hinausgehender Aktionsbereich, da mehrere Politikbereiche zusammenarbeiten.

5.16.

Die Beschäftigung für Menschen mit Behinderungen werden inzwischen als wichtiger Bestandteil der modernen Beschäftigungspolitik gesehen, und der Verweis darauf in diesen Leitlinien ist sehr zu begrüßen, auch wenn er sehr kurz ist und ausgebaut werden könnte. Der EWSA arbeitet auf der Grundlage des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ist der Ansicht, dass die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (35) hier einen wichtigen Meilenstein bildet. Die Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen (2010-2020) bietet in diesem Bereich einen allgemeinen Rahmen. In seiner jüngsten Entschließung zur Zukunft dieser Strategie (36) wies das 4. Europäische Parlament der Menschen mit Behinderungen auf zahlreiche für Letztere relevante Fragen im Zusammenhang mit der Beschäftigung und der Säule sozialer Rechte hin. Der EWSA weist auch auf die für alle Gruppen geltenden Bestimmungen des EU-Vertrags über Diskriminierung hin und rät davon ab, „schutzbedürftige Gruppen“ unter dem Begriff der Diskriminierung über einen Kamm zu scheren.

5.17.

Der EWSA bezweifelt, dass eine reine Anhebung des gesetzlichen Ruhestandsalters die Probleme im Zusammenhang mit demografischen Herausforderungen lösen kann. Gebraucht werden Initiativen zur Förderung einer längeren Lebensarbeitszeit und Solidarität zwischen den Generationen, flankiert durch eine effiziente Wachstums- und Beschäftigungspolitik. Wir brauchen eine echte Politik des „aktiven Alterns“, um gute Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sowie angemessene Arbeitszeitregelungen zu gewährleisten und die Beteiligung am lebenslangen Lernen zu erhöhen. Darüber hinaus muss die Beschäftigungsrate älterer Menschen erhöht werden, die aufgrund gesundheitlicher Beschwerden, der Arbeitsintensität, vorzeitiger Entlassung oder fehlender Möglichkeiten für eine Weiterbildung oder für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden (37).

5.18.

Die Sozialpartner müssen Arbeitsbedingungen aushandeln, beispielsweise die Anpassung der Arbeitsplätze an die Fähigkeiten und den Gesundheitszustand älterer Arbeitnehmer, die Berücksichtigung der Schwere mancher Arbeiten, die Verbesserung des Zugangs zu Weiterbildung, einen besseren Schutz vor Behinderungen, eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sowie die Beseitigung rechtlicher oder anderer Hindernisse, die einem längeren Erwerbsleben im Wege stehen.

5.19.

Der EWSA bekräftigt seine Auffassung bezüglich der Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Das tatsächliche Renteneintrittsalter sollte vor allem an das gesetzliche Rentenalter angeglichen werden (38). Ebenso betont er, dass die Tragfähigkeit der Rentensysteme in den Mitgliedstaaten sichergestellt werden muss, indem Herausforderungen wie steigende Lebenserwartung und Veränderungen auf den Arbeitsmärkten, die die Finanzierung der Renten und die Sicherstellung angemessener Rentenniveaus beeinträchtigen, bewältigt werden.

5.20.

Nach Ansicht des EWSA sollten Vorruhestandsregelungen dennoch beibehalten werden, und zwar für Arbeitnehmer, die lange Zeit in besonders anstrengenden oder gefährlichen Berufen gearbeitet haben oder die sehr früh ins Erwerbsleben eingetreten sind. Der EWSA spricht sich gegen automatische Anpassungsmechanismen für das Ruhestandsalter aus, die entweder auf längerer Lebenserwartung oder auf dem demografischen Wandel beruhen.

6.   Allgemeine Aspekte

6.1.

Im Zuge der Verhandlungen über den nächsten EU-Haushalt müssen erheblich mehr Mittel für Investitionen in die soziale Infrastruktur bereitgestellt werden, da sich dies in vielfacher Hinsicht positiv auf die Arbeitsmärkte und auch auf die Haushalte auswirken wird, wie der EWSA unlängst deutlich gemacht hat (39). Dies gilt insbesondere für Investitionen in Humankapital als Prozentsatz des Gesamthaushalts, wenn die EU ihre eigenen Ziele eines global wettbewerbsfähigen Wirtschaftsraums mit einem AAA-Rating im sozialen Bereich einschließlich der beschäftigungspolitischen Prioritäten erreichen will.

6.2.

Es muss genau beobachtet werden, welche Art von Strukturreformen, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt wurden, wirklich positive Auswirkungen in den Bereichen Beschäftigung, Bildung und lebenslanges Lernen hervorgerufen hat. In ihrem Jahreswachstumsbericht 2018 (40) verweist die Kommission auf das Programm zur Unterstützung von Strukturreformen (41). Der EWSA begrüßt diese Initiative und würde es befürworten, wenn Informationen über die im Rahmen dieses Programms durchgeführten Beschäftigungs- und Bildungsreformen sowie über das Ausmaß der Einbindung der Sozialpartner und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft zur Verfügung gestellt würden.

Brüssel, den 15. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Bericht der fünf Präsidenten: „Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden“, 22. Juni 2015.

(2)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 21.

(3)  Entwurf des Gemeinsamen Beschäftigungsberichts 2018.

(4)  EWSA-Initiativstellungnahme „Ungleichmäßige Verteilung des Vermögens in Europa“ (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 1); EWSA-Sondierungsstellungnahme „Besteuerung der kollaborativen Wirtschaft“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 65, ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 18, ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 42).

(5)  ABl. C 84 vom 15.1.2016, S. 38, ABl. C 299 vom 22.5.2012, S. 115.

(6)  AEUV.

(7)  Entwurf des Gemeinsamen Beschäftigungsberichts 2018.

(8)  Europäische Säule sozialer Rechte.

(9)  Bericht der fünf Präsidenten.

(10)  Jahreswachstumsbericht 2018.

(11)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10 und Stellungnahme „Auswirkungen der sozialen Dimension und der europäischen Säule sozialer Rechte auf die Zukunft der EU“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S 145).

(12)  ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 68.

(13)  EWSA-Stellungnahme „Auswirkungen der sozialen Dimension und der europäischen Säule sozialer Rechte auf die Zukunft der EU“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S 145).

(14)  ABl. C 458 vom 19.12.2014, S. 1, ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 73.

(15)  Länderspezifische Empfehlungen.

(16)  Siehe die Präambel der europäischen Säule sozialer Rechte.

(17)  Eine neue europäische Agenda für Kompetenzen.

(18)  Siehe die Empfehlung des Rates von 2016 für Weiterbildungspfade: Neue Chancen für Erwachsene.

(19)  ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 63.

(20)  ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 68.

(21)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 21.

(22)  Empfehlung der Kommission 2008/867/EG vom 3. Oktober 2008 zur aktiven Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen (ABl. L 307 vom 18.11.2008, S. 11).

(23)  Siehe insbesondere ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 54.

(24)  EWSA-Stellungnahme „Nachhaltige Sozialversicherungs- und Sozialschutzsysteme im digitalen Zeitalter“ (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 7).

(25)  Die Auszeichnung wurde für herausragende Projekte vergeben, die zur Integration von unterstützungsbedürftigen Menschen in den Arbeitsmarkt beitragen, etwa von Menschen mit Migrationshintergrund, Behinderten, Langzeitarbeitslosen, arbeitsmarktfernen Frauen, jungen Menschen sowie von Armut Betroffenen. Siehe die Website des EWSA zum Preis der Zivilgesellschaft 2017.

(26)  ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 20.

(27)  ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 45.

(28)  EWSA-Initiativstellungnahme „Ungleichmäßige Verteilung des Vermögens in Europa“, (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 1); EWSA-Sondierungsstellungnahme „Besteuerung der kollaborativen Wirtschaft“ (ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 65, ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 18, ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 42).

(29)  EWSA-Sondierungsstellungnahme „Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben für erwerbstätige Eltern und Pflegepersonen“ (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 44).

(30)  Europäischer Beschäftigungs- und Sozialbericht 2017 (ESDE).

(31)  ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 40.

(32)  Beschäftigungsausschuss: Indikatorrahmen für das Monitoring der Umsetzung der Empfehlung des Rates zur Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser in den Arbeitsmarkt.

(33)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 19.

(34)  EWSA-Stellungnahme „Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben für erwerbstätige Eltern und Pflegepersonen“ (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 44).

(35)  ABl. L 303 vom 2.12.200, S. 16.

(36)  Europäisches Behindertenforum, Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2020-2030, verabschiedet vom 4. Europäischen Parlament der Menschen mit Behinderungen am 6.12.2017, siehe auch die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 30. November 2017 zur Umsetzung der Europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen.

(37)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 109.

(38)  ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 115.

(39)  ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 91.

(40)  Jahreswachstumsbericht 2018.

(41)  Programm zur Unterstützung von Strukturreformen.


6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/66


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Gemeinsamen Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat — Neue Impulse für die Partnerschaft Afrika-EU

[JOIN(2017) 17 final]

(2018/C 237/11)

Berichterstatter:

Mihai MANOLIU

Befassung

Europäische Kommission, 5.7.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Außenbeziehungen

Annahme in der Fachgruppe

22.2.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

15.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

185/2/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Angesichts des sich rasch wandelnden weltweiten Kontextes kommt dem Jahr 2018 nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) eine entscheidende Bedeutung für die Vertiefung der Partnerschaft EU-Afrika zu. Die beiden Kontinente sehen sich in politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht mit erheblichen und tief greifenden Veränderungen konfrontiert. In diesem Kontext eröffnen sich Chancen zur Neugestaltung und Vertiefung der Partnerschaft. Daher muss die Union nach Auffassung des EWSA nun in besonderem Maße darauf bedacht sein, in die auf dem afrikanischen Kontinent durchgeführten Entwicklungsprojekte neue Akteure sowohl aus der Wirtschaft als auch aus der Zivilgesellschaft Europas einzubinden. Die Entwicklung Afrikas zu unterstützen, sollte nicht nur in der Verantwortung der Organe und Einrichtungen der EU liegen, sondern als gesamtgesellschaftliche Anstrengung aller Europäerinnen und Europäer verstanden werden.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss legt den zuständigen Organen und Einrichtungen der EU nahe, ihre Anstrengungen zur Erhaltung des Friedens und der Sicherheit in Afrika fortzusetzen und die afrikanischen Organisationen bei ihrem Kampf zur Prävention von Konflikten, Terrorismus und organisierter Kriminalität zu unterstützen. Der EWSA begrüßt die Initiative zur Schaffung einer Partnerschaft Afrika-EU und hält einen solchen Ansatz für dringend geboten, wobei insbesondere die neuen geostrategischen Realitäten zu berücksichtigen sind, mit denen sich die beiden Kontinente konfrontiert sehen:

der humane und menschenwürdige Umgang mit den als unkontrolliert wahrgenommenen Migrationsströmen;

die Möglichkeit eines Flüchtlingsstroms;

die Unsicherheit an den Grenzen der Europäischen Union aufgrund der Instabilität bestimmter politischer Systeme und aufgrund des Mangels an Rechtsstaatlichkeit in mehreren afrikanischen Staaten;

der immer größere Einfluss anderer Regionalmächte, wie etwa Chinas, in Afrika, der Umstand, dass die spezifischen Interessen hinsichtlich der natürlichen Ressourcen und hinsichtlich der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen seitens der Staaten Afrikas nicht zum Anlass genommen werden, um die transnationale Zusammenarbeit zu intensivieren;

die Unvorhersehbarkeit des Verhaltens der USA in der internationalen Politik sowie die Herausforderungen aufgrund des Klimawandels.

1.3.

Um das Problem der Nahrungsmittelversorgung zu lösen muss die EU nach Ansicht des EWSA in Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union erfolgreiche lokale und politische Vorhaben und ergriffene Maßnahmen in der Landwirtschaft ermitteln und ihre Übernahme in möglichst vielen Regionen und Gebieten in Afrika fördern. In diesem Zusammenhang darf der demografische Faktor mit seiner starken Dynamik nicht vergessen werden: Bis 2035 müssen jährlich 18 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. In Afrika unterliegt die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ernsten Zwängen, denen die EU Rechnung tragen muss und die eng mit folgenden Aspekten zusammenhängen:

starke Abhängigkeit von einer intensiven Nutzung der Rohstoffe (bzw. der illegale Handel mit Rohstoffen);

Auslöser für Instabilitäten aufgrund von Kriegen, Verletzungen der Menschenrechte, sozialen Ungleichheiten, Fundamentalismus und Klimakatastrophen;

Folgen des Klimawandels;

Auswirkungen der mangelnden Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung;

fehlende sanitäre Einrichtungen;

Epidemien und Infektionskrankheiten;

Fehlen einer an die Gegebenheiten vor Ort angepassten Agrarpolitik.

1.4.

Die genannten Probleme lösen Flucht, Vertreibung und Wanderungsbewegungen aus und tragen auf diese Weise erheblich zur ungeregelten Migration bei. Diese ungeregelte Migration — die häufig durch das organisierte Verbrechen kontrolliert wird — führt wiederum zu erhöhtem Druck auf die Behörden und die politische Führung in den Herkunfts- und Transitländern. Europa kann auf diese Herausforderungen reagieren: mit einem neuen Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik, mit der Europäischen Nachbarschaftspolitik, mit der Europäischen Agenda für Migration sowie mit dem Aufbau einer Beziehung, die auf dem Gedanken der Partnerschaft beruht. Der EWSA kann — im Zusammenwirken mit echten Vertretern der Zivilgesellschaft (Plattformen, Foren, Freiwillige) und den Sozialpartnern Afrikas — einen wesentlichen Beitrag für Demokratie und Menschenrechte leisten.

1.5.

Der EWSA verlangt, in dieser zukünftigen Partnerschaft die Zivilgesellschaft stärker zu berücksichtigen und ihr eine stärkere Rolle zuzuweisen, die von der Konsultation bis hin zur Mitverfolgung der Umsetzung der politischen Maßnahmen reicht. Dies ist wichtig, um die Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung zu gewährleisten und die betroffenen Akteure wirksam einzubeziehen. Die EU kann für die afrikanischen Staaten nämlich ein Vorbild für bewährte Verfahren bei der Einbindung der Zivilgesellschaft in Entscheidungsprozesse und der Konzipierung von Programmen sein, welche auf die Herausbildung einer länderübergreifenden afrikanischen Zivilgesellschaft abzielen. Zudem muss die Union dort, wo die Zivilgesellschaft fehlt oder sehr schwach ausgeprägt ist, eine aktive Rolle bei der Entwicklung der Zivilgesellschaft übernehmen.

1.6.

Angesichts der strategischen Bedeutung der Bildung, der diskriminierungsfreien Vermittlung von Wissen und des allgemeinen Zugangs zu Kultur als wesentliche Elemente für die Schaffung eines Klimas der Kooperation und die Weitergabe von Werten, die von allen Menschen einhellig getragen werden, sowie die Eröffnung positiver Perspektiven für eine erhebliche Zahl junger Menschen in Afrika empfiehlt der EWSA, die zukünftige Partnerschaft EU-Afrika auf Folgendes auszurichten:

erfolgreiche europäische Programme, wie Erasmus+, sollten auf Afrika ausgeweitet werden, um die Mobilität von Studierenden und Dozenten zwischen beiden Kontinenten zu ermöglichen und für einen Erfahrungsaustausch im Hochschulbereich zu sorgen;

es sollten Partnerschaften zwischen europäischen und afrikanischen Universitäten, die auf gemeinsame Projekte und Studienprogramme abzielen, gefördert und finanziell unterstützt werden;

der religiöse Fundamentalismus in einigen afrikanischen Staaten lässt sich durch fundierte Lehrpläne und durch Strategien zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung stoppen.

1.7.

Nach Auffassung des EWSA ist das wichtigste Gut, dass die Europäische Union dem afrikanischen Kontinent bieten kann, ihr Modell der transnationalen Kooperation sowie die Verwirklichung von länderübergreifenden Großprojekten, etwa im Infrastrukturbereich, sofern afrikanische Staaten eine Zusammenarbeit zur Umsetzung derartiger Projekte vereinbaren. Zudem sollte sich die Europäische Union bewusst machen, dass sie Know-how für den Übergang zu einer demokratischen Gesellschaft und zu einer voll funktions- und wettbewerbsfähigen sowie inklusiven Marktwirtschaft zu bieten hat.

1.8.

Nach Auffassung des EWSA sollte mit dieser Partnerschaft die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle von Frauen und jungen Menschen gefördert und verwirklicht sowie ihr Beitrag zum Frieden und zum Aufbau staatlicher Strukturen, zum Wirtschaftswachstum, zur technologischen Entwicklung, zur Verringerung der Armut, zu Gesundheit und Wohlstand und zur kulturellen und menschlichen Entwicklung anerkannt werden. Alle Formen von Gewalt gegen Frauen sowie von gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder politischer Diskriminierung von Frauen müssen vom gesamten afrikanischen Kontinent verschwinden, damit Frauen umfassend gleichberechtigt sind.

1.9.

Der EWSA weist darauf hin, dass in jüngster Zeit China zum wichtigsten Wirtschaftspartner Afrikas aufgestiegen ist. Dies kann zu Änderungen bei den Zielen der Außenpolitik der Staaten in der Region oder zu einer Verringerung ihres Interesses an der Verwirklichung demokratischer Reformen führen. Deshalb braucht die EU eine Partnerschaft mit Afrika, die zu einem echten Neustart und einer Intensivierung der Handelsbeziehungen zwischen den beiden Kontinenten führt und in deren Rahmen vor Ort optimale Bedingungen für europäische Investoren geschaffen werden.

1.10.

Der EWSA empfiehlt, in alle einschlägigen Abkommen zwischen der EU und Drittländern oder -regionen Klauseln zur verantwortungsvollen Regierungsführung aufzunehmen, um nachhaltige Entwicklung zu fördern. Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung ist ein Prozess zur Umsetzung politischer Ziele, der verantwortungsvoll, transparent, aktiv, fair, inklusiv, effizient, partizipativ und rechtsstaatlich sein muss.

1.11.

Der EWSA bedauert, dass Afrika der ärmste Kontinent der Welt ist. Es handelt sich um den einzigen Kontinent, auf dem die Armut zugenommen hat. Es ist nicht hinnehmbar, dass über 50 % der Bevölkerung Afrikas in absoluter Armut leben. Es muss ein internationaler Kampf gegen Armut geführt werden, in den die wichtigsten Akteure des Entwicklungsprozesses einbezogen werden müssen, und es müssen Strategien und Aktionspläne für benachteiligte Bevölkerungsgruppen ausgearbeitet werden. Es ist ein neues Finanzpaket erforderlich, das programmierbar und vorhersehbar sein muss. Nach Ansicht des EWSA ist auch die wirksame Überwachung der Finanzhilfen von grundlegender Bedeutung, um die angestrebten Ziele besser umsetzen zu können.

1.12.

Der EWSA begrüßt den Wunsch Afrikas, der durch die Agenda 2063 und die Schaffung der Afrikanischen Union zum Ausdruck kommt, als einheitliches Ganzes behandelt zu werden, d. h. als eine Gemeinschaft, die eine panafrikanische Integration anstrebt. Eine verantwortungsvolle Regierungsführung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung muss auf einer soliden Wirtschaftspolitik, die sozial und ökologisch fair ist, der Schaffung unbestechlicher demokratischer Einrichtungen, die ein offenes Ohr für die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger haben, der Förderung der Zivilgesellschaft, der Bekämpfung sozialer Ausgrenzung sowie dem wirtschaftlichen Zusammenhalt beruhen. Hierbei dürfen nicht die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Chancengleichheit vergessen werden. Ein für Investitionen günstiges Umfeld kann zum Erfolg führen.

2.   Hintergrund

2.1.

Zwischen der Europäischen Union (EU) und den meisten afrikanischen Staaten gilt schon heute ein umfassendes und rechtsverbindliches Abkommen zur internationalen Zusammenarbeit, das von mehr als der Hälfte der Staaten der Welt abgeschlossen worden ist. Das Partnerschaftsabkommen von Cotonou („Cotonou-Abkommen“) wurde im Jahr 2000 in Benin unterzeichnet und zielt auf die Festigung der langfristigen Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Handel und Entwicklung zwischen der EU und den Staaten in Afrika, in der Karibik und im Pazifik (AKP-Staaten) ab. Infolge dieses Abkommens ist eine Reihe von Einrichtungen geschaffen worden, um die Zusammenarbeit zwischen den AKP-Staaten und der EU auf der Ebene der Regierungen, der Behörden, der Parlamente, der Gebietskörperschaften und der Zivilgesellschaft sowie auch im Privatsektor zu fördern.

2.2.

In der „Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU“ wird betont, dass — angesichts der geografischen Nähe — die Förderung von Frieden und Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent faktisch als Investitionen in den Frieden und den Wohlstand der Europäischen Union einzustufen sind. Eine prosperierende und sichere Union ist in einem Kontext unterentwickelter und in Konflikt befindlicher Nachbarstaaten nur äußerst schwer zu verwirklichen. Deshalb muss die EU aktiv und intensiv an der Verwirklichung einer Afrikanischen Union und an der wirtschaftlichen Belebung der Region mitwirken.

2.3.

Der EWSA stellt fest, dass sich in jüngster Zeit der internationale Kontext erheblich verändert hat, neue globale Herausforderungen entstanden sind und die Sicherheit von Menschen gefährdet ist. Die Bekämpfung von Armut und Pandemien, der Klimawandel und die Wüstenbildung, die Migration und der nachhaltige Umgang mit öffentlichen Gütern sind Fragen, die sich kontinuierlich auf die Politik der afrikanischen Staaten und diejenige der EU ausgewirkt haben.

2.4.

Es ist eine neue gemeinsame politische Vision Afrikas und der EU erforderlich; sie muss konkret sein, auf gemeinsamen Interessen und Werten sowie auf gegenseitigem Respekt und auf der Achtung des Grundsatzes der individuellen Souveränität beruhen und die berechtigten Bestrebungen beider Seiten widerspiegeln. Die beiden Seiten müssen einen gemeinsamen Willen bekunden, indem sie eine gleichberechtigte, bewusste und präferenzielle Partnerschaft schließen, die auf Frieden (mithilfe der Friedensfazilität für Afrika), Sicherheit (Afrika als wichtiger Garant von Sicherheit), nachhaltige Entwicklung und Menschenrechte sowie regionale und kontinentale Integration abzielt.

2.5.

Der EWSA bedauert, dass Afrika der ärmste Kontinent der Welt ist. Es handelt sich um den einzigen Kontinent, auf dem die Armut zugenommen hat. Es ist nicht hinnehmbar, dass über 50 % der Bevölkerung Afrikas in absoluter Armut leben. Es muss ein internationaler Kampf gegen Armut geführt werden, in den die wichtigsten Akteure des Entwicklungsprozesses einbezogen werden müssen, und es müssen Strategien und Aktionspläne für benachteiligte Bevölkerungsgruppen ausgearbeitet werden. Es ist ein neues Finanzpaket erforderlich, das programmierbar und vorhersehbar sein muss. Nach Ansicht des EWSA ist auch die wirksame Überwachung der Finanzhilfen von grundlegender Bedeutung, um die angestrebten Ziele besser umsetzen zu können.

2.6.

Der EWSA begrüßt den Wunsch Afrikas, der durch die Agenda 2063 und die Schaffung der Afrikanischen Union zum Ausdruck kommt, als einheitliches Ganzes behandelt zu werden, d. h. als eine Gemeinschaft, die eine panafrikanische Integration anstrebt. Eine verantwortungsvolle Regierungsführung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung muss auf einer soliden Wirtschaftspolitik, die sozial und ökologisch fair ist, der Schaffung unbestechlicher demokratischer Einrichtungen, die ein offenes Ohr für die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger haben, der Förderung der Zivilgesellschaft, der Bekämpfung sozialer Ausgrenzung sowie dem wirtschaftlichen Zusammenhalt beruhen. Hierbei dürfen nicht die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Chancengleichheit vergessen werden. Ein für Investitionen günstiges Umfeld kann zum Erfolg führen.

2.7.

Um Effizienz und gegenseitige Rechenschaftspflicht auf individueller Ebene zu gewährleisten, müssen langfristig erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen eingesetzt werden, und beide Seiten müssen unmissverständlich zu dieser Pflicht stehen. Nach Auffassung des EWSA kann die Einbindung der Zivilgesellschaft über eine freiwillig eingeführte Plattform erfolgen und zum Entwicklungsprozess beitragen. Die nicht staatlichen Akteure und die Gebietskörperschaften müssen dringend und umfassend in sämtliche Etappen eingebunden werden, einschließlich der Überwachung und Bewertung. Sie können der Entwicklung Afrikas neue Impulse verleihen und für eine verstärkte Legitimierung des außenpolitischen Handelns der EU sorgen sowie die Europaskepsis verringern. Die gemeinsame Vision muss partizipative Demokratie, Pluralismus und die Grundfreiheiten — mit einem Wort: die Achtung vor dem Rechtsstaat — umfassen.

2.8.

Eine weitere ernste Bedrohung geht davon aus, dass die natürlichen Ressourcen Afrikas zur Neige gehen, wodurch die Verringerung der Armut erschwert wird. Beiträge zum Ökosystem — wie beispielsweise die Kohlenstoffspeicherung durch tropische Wälder — müssen ausgeglichen werden. Angesichts der globalen Herausforderungen sind ein gemeinsamer Ansatz und eine einheitlich abgestimmte Partnerschaft erforderlich, in deren Mittelpunkt die Bürgerinnen und Bürger stehen, d. h. ein Ansatz von Kontinent zu Kontinent, sowohl auf der politischen als auch auf der konkreten Verhandlungsebene.

2.9.

Nach Auffassung des EWSA müssen beide Seiten Verantwortung und Kohärenz im Hinblick auf gegenseitige Rechenschaftspflicht, Dialog und zu leistende Beiträge an den Tag legen. Zudem muss der Gedanke der Partnerschaft die Grundlage für die zukünftige Vereinbarung bilden. Partner sind hinsichtlich der Rechte und Pflichten gleichrangig (was die Praxis der Entwicklung und der Investitionen anbelangt). Was das Niveau der Integration sowie das Niveau der personellen, technischen und finanziellen Ressourcen anbelangt, besteht jedoch ein erheblicher Unterschied. Der politische Dialog zwischen der EU und Afrika muss also ausgebaut und gefestigt werden.

2.10.

Die Beseitigung der Armut und die nachhaltige Entwicklung bilden ein zusammenhängendes Ziel (bessere Koordinierung seitens der Geber und nichtstaatlichen Akteure) und eine Verpflichtung im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen der EU und Afrika. Dies ist in der Handelspolitik (freier Zugang zum EU-Markt im Rahmen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen — WPA), der Umweltpolitik und der Landwirtschaftspolitik der EU festgelegt.

2.11.

Der EWSA betont, dass ein globaler Ansatz gegenüber Konflikten auf Verantwortung, Prävention, Lösung, Management und Wiederaufbau beruhen muss. Frieden ist von entscheidender Bedeutung als erster Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen, politisch, wirtschaftlich und sozial gerechten Entwicklung unter uneingeschränkter Achtung der Menschenrechte. Es ist verstärkte Wachsamkeit angesichts des Auftretens von ethnischen und religiösen Spannungen auf dem afrikanischen Kontinent erforderlich. Besondere Aufmerksamkeit muss dem Waffenexport (Verhaltenskodex), insbesondere dem Waffenschmuggel, geschenkt werden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Bei der Gemeinsamen Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat Neue Impulse für die Partnerschaft Afrika-EU handelt es sich um eine koordinierte und konsolidierte Antwort, die im Einklang mit der Agenda 2063 sowie mit der Globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU steht. Die Mitteilung ist ein Beitrag zu laufenden Überlegungen, und zwar im Hinblick auf eine kohärente Grundlage für zukünftige Verhandlungen über die Afrika-Säule.

3.2.

Nach Auffassung des EWSA hat die EU ein politisch ausgerichtetes und auf anerkannten gemeinsamen Werten und Interessen beruhendes strategisches Interesse an der Vertiefung und nachhaltigen Anpassung der Partnerschaft mit Afrika. Die EU muss der wichtigste ausländische Investor, der wichtigste humanitäre Partner und der wichtigste Handelspartner Afrikas werden — ein Garant für Sicherheit.

3.3.

Die EU verfolgt drei strategische Ziele:

eine stärkere gegenseitige Partnerschaft und eine engere Zusammenarbeit auf der Weltbühne auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Interessen, auch im Rahmen der bilateralen Beziehungen;

Sicherheit an Land und auf See sowie Bekämpfung grenzüberschreitender Bedrohungen als Investition in die Sicherheit auf beiden Kontinenten;

nachhaltige und inklusive wirtschaftliche Entwicklung in Afrika, um die Arbeitsplätze zu schaffen, die Afrika braucht, und um die Chancen zu nutzen, die sich daraus für Europa ergeben.

3.4.

Der EWSA teilt die Einschätzung, dass eine ehrgeizige gemeinsame Agenda auf folgende Weise umgesetzt werden kann:

Vertiefung der Allianzen in Fragen der Weltordnungspolitik im Wege eines intensiven Dialogs und einer wirksamen Zusammenarbeit mit strategischen Partnern und wichtigen Verbündeten und Unterstützung der Rechtsstaatlichkeit und der Justiz;

Verstärkung der Zusammenarbeit in Fragen von gemeinsamem Interesse auf der Grundlage häufiger politischer Interaktion auf multilateraler, kontinentaler, regionaler, nationaler oder lokaler Ebene unter Wahrung des Grundsatzes der Subsidiarität;

Verwirklichung einer Partnerschaft, die auf die Menschen, die politischen Entscheidungsträger, die lokalen Behörden, die Sozialpartner, den Privatsektor und die Zivilgesellschaft insgesamt zentriert ist.

3.5.

Der EWSA ist überzeugt, dass die gemeinsame Strategie EU-Afrika auf einer konsequenten Politik der nachhaltigen Entwicklung beruhen muss, welche die Realitäten vor Ort berücksichtigt, da dies eine Voraussetzung für die wirksame Unterstützung einer gerechten Bekämpfung der Armut, eines in wirtschaftlicher, ökologischer (angesichts der verheerenden Auswirkungen des Klimawandels) und sozialer Hinsicht gesunden Wachstums ist, auf menschenwürdiger Arbeit (mit langfristigen Arbeitsplätzen) beruht und im Zeichen von Produktivität, Freiheit, Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, Ethik und Würde steht. Zur Bekämpfung der Armut kann durch die Steigerung der Nahrungsmittelerzeugung vor Ort, die Verbesserung der Ernährungssicherheit, ein angemessenes Einkommen für kleine landwirtschaftliche Familienbetriebe und KMU und die Schaffung eines Binnenmarkts (Eigentumsrechte sowie Verringerung der Verwaltungslasten und der Korruption) beigetragen werden. Der Landwirtschaft und der Ernährungssicherheit muss also im Rahmen der gemeinsamen Politik besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Es müssen Modelle der nachhaltigen Landwirtschaft unterstützt werden, die sich für Kleinbauern eignen und dank der Entwicklung spezialisierter Sektoren konkrete Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen. Die EU und die AU sollten unbedingt erfolgreiche landwirtschaftliche Modelle und politische Maßnahmen ermitteln und für ihre Verbreitung bei benachteiligten Gruppen innerhalb desselben Staates oder auch in anderen Entwicklungsländern Afrikas sorgen.

3.6.

Die Bekämpfung der Wüstenbildung und der Zugang zu Wasser für alle sind maßgebliche Faktoren für Ernährungssicherheit, Migration und Flüchtlinge. Afrika ist der am stärksten vom Klimawandel betroffene Kontinent. Die EU und die Afrikanische Union (AU) sowie die Mitgliedstaaten, wirtschaftlichen Akteure und Investoren müssen sich ihrer Verantwortung (bei der Bekämpfung des Klimawandels) stellen und einen flexiblen und wirksamen finanziellen Rahmen für einen neuen ökologischen Ansatz bereitstellen.

3.7.

Ein freier Handel unter Einhaltung der Umwelt- und Sozialnormen kann das Wirtschaftswachstum sowie den gesellschaftlichen und politischen Fortschritt fördern, indem er eine konkrete Wirkung und einen Katalysatoreffekt entfaltet und in der Folge die Armut durch eine allgemeine nachhaltige Entwicklung zurückgedrängt wird. Es ist eine Asymmetrie zugunsten der Märkte Afrikas erforderlich, um eine regionale Integration zu erzielen und einen verlässlichen Rahmen für Handel und Investitionen bereitzustellen. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) sind Instrumente für den Handel und die regionale Integration, sofern diese Abkommen auf Entwicklung abzielen und Ausnahmen für örtliche Branchen in Übergangsphasen enthalten, damit sich diese an die neuen Marktbedingungen anpassen können. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Afrika müssen auf einem fairen Handel sowie auf einem differenzierten und diversifizierten Ansatz beruhen, der zu einer afrikanischen Integration führt, in deren Rahmen benötigte und wettbewerbsfähige Waren und Dienstleistungen erzeugt werden.

3.8.

Ein maßgeblicher Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung und die Beseitigung der Armut ist die EU-Afrika-Partnerschaft für Energie, in deren Rahmen Projekte umgesetzt werden könnten, die eine effiziente Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen und zu einem erschwinglichen Preis ermöglichen. In diesem Fall könnten die klimatischen und geografischen Bedingungen des afrikanischen Kontinents vorteilhaft sein, insbesondere bei der Solarenergie. Durch den Zugang zu Energie können der sozioökonomischen Entwicklung Afrikas wichtige Impulse verliehen werden.

3.9.

Nach Auffassung des EWSA handelt es sich bei einem Engagement in Sachen Bildung und Gesundheit für alle um konkret wirksame Schritte im Sinne einer gemeinsamen Entwicklungsstrategie zugunsten armer Menschen. Diese Strategie muss zur Berücksichtigung der grundlegenden Prinzipien der Gleichstellung der Geschlechter sowie der Stärkung der Rolle der Frau beitragen, ohne schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen sowie Flüchtlinge aufgrund von humanitären Krisen zu vergessen. Der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen sowie der Kampf gegen gefälschte Medikamente zählen zu den maßgeblichen Faktoren beim Kampf gegen tödliche Krankheiten, eine Geißel, die sich immer mehr ausbreitet. In diesem Zusammenhang sind auch entsprechende juristische und strafrechtliche Schritte erforderlich.

3.10.

Der EWSA schlägt vor, regelmäßig Analysen in Bezug auf die Hauptursachen für Migration sowie die Rechte und die Integration von Migranten, einschließlich der Problematik der Abwanderung von Spitzenkräften („Braindrain“), durchzuführen. Es sind praktische Lösungen erforderlich, um für eine wirkungsvolle zirkuläre Migration zu sorgen. Durch Schranken lässt sich das Problem nicht lösen. Der Dialog auf Grundlage der nationalen und regionalen Identität, der Solidarität und der Kultur kann die Basis für eine Agenda zur nachhaltigen Entwicklung für alle liefern, sofern hierfür angemessene materielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.

3.11.

Der EWSA ist überzeugt, dass die Verschuldung eine Last ist, welche sämtliche Anstrengungen in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung für alle zunichtemacht. Das Schuldenmanagement muss von Fall zu Fall erfolgen und der Konsolidierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie der Verbesserung der Regierungsführung untergeordnet werden. Das Schuldenmanagement sowie die Umschuldung auf andere Kreditgeber bilden einen unverzichtbaren Faktor bei der Budgethilfe (auf der Grundlage von Leistungsindikatoren), um grundlegende soziale Dienstleistungen bereitstellen und die Strukturen der afrikanischen Staaten festigen zu können. Es ist eine transparente Überwachung erforderlich, in welche die Gebietskörperschaften sowie die Zivilgesellschaft einzubeziehen sind.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Nach Auffassung des EWSA muss bei der Agenda 2063 (ein friedliches, sicheres und wohlhabendes Afrika, in dem gute Regierungsführung, Demokratie, Achtung der Menschenrechte, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit herrschen, ein Afrika, in dem die Entwicklung von den Menschen ausgeht und das Potenzial der jungen Menschen — insbesondere der jungen Frauen — sich entfalten kann und niemand zurückgelassen wird) — einer Transformationsagenda, die im Hinblick auf die Reform Afrikas strukturiert ist — eine Konzentration auf zwei Hauptkomponenten erfolgen:

Förderung der Resilienz der Staaten und Gesellschaften:

Konfliktprävention, Krisenbewältigung und Friedenskonsolidierung;

Stärkung der Systeme für ein verantwortungsvolles Regieren;

Steuerung von Migration und Mobilität;

Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen, vor allem für junge Menschen:

verantwortliche und nachhaltige Investitionen anziehen;

Energie für Afrika;

Umwandlung von Landwirtschaft, Agroindustrie und blauer Wirtschaft, einschließlich der Fischerei, in Afrika;

Förderung der Arbeit der Sozialpartner;

Förderung von Kenntnissen und Fähigkeiten.

4.2.

Das Ziel der Förderung der Resilienz der Staaten und Gesellschaften beruht auf berechtigten Bestrebungen, auf den Werten und Zielen der EU, auf der bestehenden Fragilität der eigenen Grenzen und auf der Bedrohung von lebenswichtigen Interessen. Terrorismus, Menschenhandel, Kriminalität und gewalttätiger Extremismus sind Bedrohungen für die Stabilität und den Frieden und Anzeichen für eine strukturelle, eventuell tiefer gehende Instabilität.

4.3.

In dieser Hinsicht hat die EU folgende Leitinitiativen festgelegt:

Einrichtung einer Kooperationsplattform für die Vereinten Nationen und europäische, afrikanische und andere internationale Partner;

erster Beitrag zum AU-Friedensfonds;

Unterstützung afrikanischer Initiativen im Bereich der maritimen Sicherheit.

4.4.

Es steht außer Zweifel, dass gute Regierungsführung, Sicherheit und Entwicklung die Grundpfeiler für eine solide, moderne und resiliente Gesellschaft sind, die über demokratische, wirksame, transparente und rechenschaftspflichtige Institutionen verfügt. Diese stabilen Gesellschaften, welche die Menschenrechte — die Keimzellen für eine nachhaltige Entwicklung — achten, funktionieren in einem vorhersehbaren und stabilen makroökonomischen Rahmen, sodass Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger bereitgestellt werden können. In diesem Bereich kann die EU einen Beitrag zur Entwicklung Afrikas leisten, sowohl mit dem Know-how, über das sie dank einiger Mitgliedstaaten im Hinblick auf den Übergang zu einer demokratischen Gesellschaft und zu einer funktionierenden Marktwirtschaft mit einer Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts verfügt, als auch mit ihrem spezifischen Modell der transnationalen Kooperation mittels gemeinsamer Institutionen.

4.5.

In dieser Hinsicht hat die EU folgende Leitinitiativen festgelegt:

eine gemeinsame hochrangige AU-EU-Konferenz über Wahlen, Demokratie und Regierungsführung in Afrika und Europa;

Verdopplung der Unterstützung bei der Mobilisierung inländischer Einnahmen bis 2020 (Steuerinitiative);

gemeinsame Maßnahmen zur Förderung einer nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, gemeinsame EU-Afrika-Charta.

4.6.

Migration und Mobilität zählen zu den wichtigen Themen für Wirtschaft, Gesellschaft und Sicherheit; sie können sich auf Gesellschaften konsolidierend und bereichernd auswirken, aber auch zu erheblichen Destabilisierungen führen, wenn sie nicht ordnungsgemäß und wirksam gesteuert werden. Flucht, Vertreibung und Wanderungsbewegungen haben einen gefährlich hohen Stand erreicht, was die körperliche Unversehrtheit der Migranten betrifft. In diesem Zusammenhang gibt es eine gemeinsame Verantwortung und globale Lösungen, die auf geteilter Verantwortung und Solidarität beruhen, die sich aus einem politischen Rahmen ergeben, der von entscheidender Bedeutung für die Steuerung großer Flüchtlings- und Migrantenzahlen ist.

4.7.

In dieser Hinsicht hat die EU folgende Leitinitiativen festgelegt:

Unterstützung afrikanischer Initiativen im Bereich der regulären Migration und Mobilität innerhalb Afrikas (Freizügigkeit, Sozialschutzsysteme, Übertragbarkeit, Anerkennung von Kompetenzen);

Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Afrika bei der Bekämpfung des Menschenhandels und der Schleuserkriminalität.

4.8.

Es ist ein Paradigmenwechsel erforderlich, der zur Entstehung eines wohlhabenden Kontinents führt, der über die notwendigen Mittel und Ressourcen verfügt, um die eigene Entwicklung voranzutreiben, und dessen Volkswirtschaften durch Industrialisierung, verarbeitendes Gewerbe und Wertschöpfung strukturell so verändert werden, dass sie durch die Entwicklung des privaten Sektors, unternehmerisches Engagement und die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze für alle für gemeinsames Wachstum sorgen.

4.9.

Nach Auffassung des EWSA muss der sozioökonomische Wandel mit den Chancen und Herausforderungen vereinbar sein, die sich aus den starken Klimaveränderungen und dem Konzept der ökologischen Nachhaltigkeit ergeben. Es ist erforderlich, regionale Märkte und ein investitionsfreundliches Umfeld zu schaffen, um mit dem durch die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) ermöglichten stabilen Freihandel zu vorhersehbaren Bedingungen für eine angemessene und fruchtbringende Wertschöpfung zu sorgen.

4.10.

Der EWSA betont, dass die wirtschaftliche Integration Afrikas auf regionaler und kontinentaler Ebene unter Wahrung der guten Unternehmensführung und der Umwelt- und Sozialstandards erfolgen muss. Die Möglichkeiten zur Schaffung der grünen Wirtschaft, der blauen Wirtschaft und der Kreislaufwirtschaft müssen — gemäß der sozialen Verantwortung der Unternehmen, dem sozialen Unternehmertum und den Grundsätzen ethischen Verhaltens — genutzt werden, um eine den ganzen Kontinent umfassende Freihandelszone zu schaffen.

4.11.

Die Geschäftswelt spielt eine grundlegende Rolle für die Entwicklung der Gesellschaft: als Großinvestor, Innovationsakteur, Qualifikations- und Arbeitsplatzmotor, Triebfeder für das Wirtschaftswachstum sowie (direkte und indirekte) Einkommensquelle, auch für Steuereinnahmen der öffentlichen Hand, die für Investitionen in das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger und für zentrale Infrastruktureinrichtungen, wie Schulen oder Krankenhäuser, benötigt werden. Zudem kann die Wirtschaft bei der Integration sowohl von jungen Menschen als auch von Migranten helfen, da sie dem Einzelnen Möglichkeiten bietet, sich zu entwickeln und ein stabiles Einkommen zu erzielen.

4.12.

In dieser Hinsicht hat die EU folgende Leitinitiativen festgelegt:

Mobilisierung umfangreicher EU-Investitionen in Afrika im Rahmen der EU-Investitionsoffensive für Drittländer, Pakt mit Afrika;

Unterstützung bei der Schaffung berechenbarer und günstiger Rahmenbedingungen für Investitionen in Afrika;

Unterstützung der digitalen Agenda Afrikas.

4.13.

Nach Auffassung des EWSA eröffnen sich durch einen allgemeinen Zugang zu Energie aus nachhaltigen und erneuerbaren Quellen (und zu angemessenen Preisen) Chancen zur Schaffung neuer menschenwürdiger Arbeitsplätze und für eine Entwicklung mit greifbaren Verbesserungen, die den Erfordernissen des Klimawandels Rechnung trägt. Die EU und Afrika können auf der festen Grundlage gemeinsamer Werte enger zusammenarbeiten, um den Übergang zu sauberen Energiequellen zu bewerkstelligen. Die EU ist bei der Förderung sauberer Energiequellen weltweit führend. Damit das Potenzial Afrikas zur Erzeugung von elektrischer Energie sowie zu ihrer effizienten Nutzung innerhalb eines ordnungsgemäßen Regulierungsrahmens genutzt werden kann, sind erhebliche Investitionen erforderlich. Mithilfe dieser Investitionen wird es möglich sein, den Bedarf vor Ort zu decken, wobei darüber hinaus sogar Möglichkeiten zur Anbindung an das europäische Fernleitungsnetz bestehen. Mit der Erzeugung von elektrischer Energie aus erneuerbaren Quellen lässt sich ein Gegengewicht zum Klimawandel setzen.

4.14.

In dieser Hinsicht hat die EU folgende Leitinitiativen festgelegt:

Beitrag der EU zur Afrikanischen Initiative für erneuerbare Energien (AREI) und Erreichung des Ziels, bis 2020 die Energieerzeugungskapazität aus erneuerbaren Quellen auf 5 GW zu erhöhen, 30 Millionen Menschen in Afrika mit nachhaltiger Energie zu versorgen und damit den jährlichen CO2-Ausstoß um 11 Millionen Tonnen zu reduzieren;

Einleitung einer neuen Initiative zur Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren in der EU und Afrika, um mittels einer Plattform auf hoher Ebene in Afrika die Investitionen in nachhaltige Energie zu steigern;

Errichtung einer neuen Partnerschaft EU-Afrika für Forschung und Innovation zum Thema Klimawandel und nachhaltige Energie.

4.15.

Der EWSA betont, dass Landwirtschaft, Viehzucht, Fischzucht und Fischerei eine Haupteinkommensquelle und lebenswichtige Existenzgrundlage für Afrika bilden. Es ist festzustellen, dass nicht nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung, Landbesitzfragen und Unsicherheit auf See sowie nicht zuletzt Mangel an Kapital und fehlender Zugang zu Finanzierung sehr große Hindernisse für die nachhaltige Entwicklung dieses Sektors bilden. Die Nahrungsmittelerzeugung, die ein großes Entwicklungspotenzial aufweist, kann für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Befähigung zur Selbstbestimmung sorgen und zugleich die Ernährungssicherheit garantieren.

4.16.

Afrika kann auf diese Weise einen Mehrwert aus seinen natürlichen Ressourcen ziehen und zugleich eine Industrialisierung betreiben, bei der der Schwerpunkt auf der Schaffung von Kleinstunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes liegt. Der EWSA betont die Bedeutung verantwortungsbewusster Wertschöpfungsketten, die auf die Entwicklung des ländlichen Raums abzielen und mit einer politischen und nachhaltigen Bewirtschaftung der Wasser- und Bodenressourcen einhergehen. Es sind Wirtschaftspartnerschaftsabkommen erforderlich, und es gilt, die Chancen zu nutzen, die für afrikanische Nahrungsmittel auf dem Markt bestehen.

4.17.

In dieser Hinsicht hat die EU folgende Leitinitiativen festgelegt:

Unterstützung bei der Entwicklung von Wertschöpfungsketten durch Förderung verantwortungsvoller Investitionen in eine nachhaltige Agroindustrie und blaue Wirtschaft;

Mobilisierung europäischer und afrikanischer Investitionen in die Förderung von Forschung und Innovation;

gegebenenfalls Ausbau des Netzwerks der Partnerschaftsabkommen über nachhaltige Fischerei zwischen der EU und afrikanischen Ländern.

4.18.

Nach Auffassung des EWSA ist der ungehinderte und diskriminierungsfreie Zugang zur Bildung eine wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige und unumkehrbare Entwicklung. Die afrikanischen Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung müssen — im Einklang mit der demografischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung — viel enger auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts abgestimmt werden. Die Bildungssysteme müssen innovativ sein und sich auf allgemeine und berufliche Bildung konzentrieren, um Dienstleistungen und Unternehmen zu schaffen, welche die erforderliche Existenzgrundlage für den Übergang von der informellen zur formellen Wirtschaft liefern. Afrika muss Wissenschaft, Technologie, Forschung und Innovation aktiv fördern.

4.19.

Nach Auffassung des EWSA ist eine Partnerschaft erforderlich, welche auf die Förderung der Chancengleichheit, den Abbau von Ungleichheit und die Stärkung der gesellschaftlichen Eingliederung abzielt. Sozialer Zusammenhalt, Gerechtigkeit, Diversität und Inklusion sind maßgebliche Faktoren zur Förderung von Wissen und Kompetenzen auf dem Weg zu einer neuen afrikanischen Kultur.

4.20.

In dieser Hinsicht hat die EU folgende Leitinitiativen festgelegt:

Einrichtung einer Fazilität für die Jugend Afrikas zur Ergänzung des Programms Erasmus+;

finanzielle Unterstützung für die Kooperation zwischen europäischen und afrikanischen Universitäten sowie Entwicklung gemeinsamer Studienprogramme;

Schaffung einer EU-Fazilität für berufliche Aus- und Weiterbildung.

4.21.

Mit dem Programm Erasmus+ wird die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Afrika im Bereich der Hochschulbildung gefördert. Die Projekte, an denen Partner der beiden Seiten mitwirken, tragen u. a. dazu bei, die Berufsaussichten der Studenten zu verbessern, die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen zu festigen und Netze zwischen den Hochschuleinrichtungen aufzubauen. Die Zusammenarbeit mit Afrika im Bereich der Hochschulbildung steht mit den Zielen der EU-Außenpolitik, insbesondere denjenigen der Entwicklungszusammenarbeit, in Einklang.

Brüssel, den 15. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


6.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 237/74


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Bürgerinitiative“

(COM(2017) 482 final — 2017/0220 (COD))

(2018/C 237/12)

Berichterstatterin:

Kinga JOÓ

Befassung

Europäische Kommission, 13.9.2017 — Europäisches Parlament, 2.10.2017 — Rat, 11.10.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 24 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständiger Unterausschuss

Unterausschuss SC/049 zur Europäischen Bürgerinitiative

Annahme im Unterausschuss

7.2.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

14.3.2018

Plenartagung Nr.

533

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

201/0/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Sechs Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 (1) über die Bürgerinitiative betont der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), dass die Bürgerinnen und Bürger der EU im Mittelpunkt des europäischen Projekts stehen und dass die Europäische Bürgerinitiative (EBI) zur Behebung des Demokratiedefizits beitragen kann, indem es die aktive Bürgerschaft und die partizipative Demokratie fördert.

1.2.

In seiner Initiativstellungnahme aus dem Jahr 2016 (2) wies der EWSA darauf hin, welche erheblichen technischen, rechtlichen und administrativen Probleme im Zusammenhang mit der Gestaltung der EBI bestehen und dass die Kommission eindeutig über zu viel Macht verfügt. Dies hat dazu geführt, dass die durch die EBI angestoßenen öffentlichen Debatten in ihrer Wirkung beschränkt blieben und erfolgreiche Initiativen nur in begrenztem Maße zu legislativen Maßnahmen geführt haben.

1.3.

Der EWSA teilt die bereits vom Europäischen Parlament, dem Ausschuss der Regionen und der Europäischen Bürgerbeauftragten formulierten Standpunkte und vertritt die Auffassung, dass die gegenwärtige Überarbeitung der EBI (Verordnung (EU) Nr. 211/2011) ein wichtiger Schritt ist, um das volle Potenzial der EBI ausschöpfen zu können.

1.4.

Der EWSA begrüßt folgende Verbesserungen, die im neuen Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über die Europäische Bürgerinitiative enthalten sind:

1.4.1.

Die Gruppe der Organisatoren soll die Sammlung von Unterstützungsbekundungen zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl einleiten können.

1.4.2.

Die Bürgerausschüsse sollen rechtlich anerkannt werden, um die strafrechtliche Haftung für Organisatoren auf Betrug und grobe Fahrlässigkeit zu begrenzen.

1.4.3.

Es soll eine Online-Kooperationsplattform als Forum für Diskussionen und Beratung für die EU-Bürger eingerichtet werden, über die die Organisatoren im gesamten Verfahren der Registrierung der Initiativen und der Suche nach Unterzeichnern unterstützt werden können. Der EWSA möchte an dieser Online-Kooperationsplattform beteiligt und über entsprechende Entwicklungen unterrichtet werden. Er hält es für wichtig, dass die Nutzer der Plattform über die einschlägigen Dienstleistungen, die der EWSA für die EBI-Organisatoren erbringt, gut informiert sind.

1.4.4.

Die Kommission erkennt an, dass die Übersetzungsleistungen, die der EWSA seit 2015 für alle Organisatoren einer EIB erbringt, wichtig sind und dass sie selbst die Übersetzung der EBI in alle Amtssprachen der EU bei Registrierung sicherstellen muss.

1.4.5.

Die Mitgliedstaaten sollten aufgefordert werden, die Systeme der nationalen Vorgaben für die Erfassung und Überprüfung der Daten zu vereinfachen, zu reduzieren und zu harmonisieren. Auch soll das Recht auf Unterzeichnung einer EBI aufgrund der Staatsangehörigkeit gewährleistet sein, so dass Unionsbürger nicht von einer EBI ausgeschlossen sind.

1.4.6.

Jeder Mitgliedstaat soll die EBI aktiv fördern und Kontaktstellen einrichten, die Informationen und Unterstützung für die Organisatoren von EBI in Bezug auf technische Fragen sowie das Verfahren für EBI bereitstellen.

1.4.7.

Die kostenlose Software für die Online-Sammlung von Unterstützungsbekundungen (OCS (3)) sollte von der Kommission dauerhaft zur Verfügung gestellt werden, um die Sammlung und Katalogisierung der Unterstützungsbekundungen sowie ihre Überprüfung durch die nationalen Behörden zu vereinfachen. Der Ausschuss begrüßt zudem, dass dieses Instrument auch für Personen mit Behinderungen zugänglich sein soll.

1.4.8.

Die Kommission soll verpflichtet sein, die Öffentlichkeit für die EBI zu sensibilisieren.

1.5.

Zu dem neuen Vorschlag bringt der EWSA folgende Anmerkungen und Empfehlungen vor:

1.5.1.

Die Rollen des institutionellen Mentors und des Entscheidungsträgers bei der Registrierung sollten getrennt werden — derzeit werden beide von der Kommission wahrgenommen. Der EWSA bekräftigt seine Bereitschaft, auch weiterhin EBI zu unterstützen, und kommt naturgemäß als Vermittler und institutioneller Mentor in Frage.

1.5.2.

Nach dem Vorbild des EWSA, der EBI-Organisatoren zu verschiedenen Debatten in seiner einschlägigen Ad-hoc-Gruppe und seinen Fachgruppen sowie auf seinen Plenartagungen einlädt (4), sollten die Organisatoren der EBI während und nach ihrer Kampagne mehr Möglichkeiten zum Dialog haben, und ein Dialog mit einer erfolgreichen EBI sollte nicht zwangsläufig mit einer förmlichen Reaktion der Kommission enden.

1.5.3.

Der EWSA hält es auch für wichtig, auf seiner jährlichen Konferenz, dem Tag der Europäischen Bürgerinitiative, als einem Forum für den Dialog aufzubauen, den Schwerpunkt verstärkt auf den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Organisatoren zu legen und mehr Möglichkeiten zur Vernetzung der Organisatoren laufender und erfolgreicher EBI zu schaffen.

1.5.4.

Erfolgreiche Initiativen sollten entsprechende Folgemaßnahmen nach sich ziehen. In diesem Sinne hofft der EWSA, dass alle EU-Institutionen gleichermaßen an der Eröffnung von Möglichkeiten für die Organisatoren beteiligt werden, ihre Initiativen vorzustellen und zu erörtern, und damit dem Beispiel des EWSA folgen, der die Organisatoren von EBI zu verschiedenen Debatten einlädt. Er hält es für besonders wichtig, dass die erfolgreichen Initiativen in den Plenartagungen des Europäischen Parlaments diskutiert werden, um die politische Dimension der europäischen Debatten über Fragen im Zusammenhang mit EBI zu verstärken.

1.5.5.

In Bezug auf seine Empfehlung, eine ausgewogene Aufteilung der Zuständigkeiten für die EBI zwischen den EU-Institutionen zu gewährleisten (5), unterstützt der EWSA die Position der Zivilgesellschaft (6), dass öffentliche Anhörungen für erfolgreiche Initiativen auch künftig nur vom Europäischen Parlament organisiert werden sollten, wobei die Kommission auf angemessener Ebene vertreten sein muss. Öffentliche Anhörungen im Europäischen Parlament sind wichtige Veranstaltungen, bei denen die Organisatoren einer erfolgreichen EBI ihre Ziele darlegen und in Kontakt zu MdEP treten können, die die EU-Bürger in einem umfassenderen Sinne repräsentieren.

1.5.6.

Lehnt die Kommission die Registrierung einer Initiative ab, sei es teilweise oder gänzlich, so sollte sie diese Entscheidung in jedem Fall eingehend und präzise begründen.

1.5.7.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, wonach es möglich sein soll, nur einen Teil einer Initiative zu registrieren. Jedoch sollte es auch künftig nur eine einzige Entscheidung über die Registrierung geben.

1.5.8.

In Anbetracht der Bedeutung der EBI für die Demokratie in der EU und der Tatsache, dass sie erst vor Kurzem eingeführt wurde und dass die Umsetzung der Änderungen infolge der derzeitigen Überprüfung der Rechtsvorschriften erhebliche Zeit in Anspruch nehmen wird, sollte der Zeitraum für die Überprüfung der EBI bei drei Jahren bleiben.

1.5.9.

Der EWSA begrüßt es, dass die Europäische Kommission einräumt, dass die Übersetzungen, die der EWSA seit 2015 liefert, wichtig sind und auch künftig gebraucht werden. Die künftige Erbringung von Übersetzungsleistungen durch die Kommission sollte auch die Übersetzung der Anhänge eines EBI-Vorschlags umfassen. Dies ist wichtig, damit die Öffentlichkeit die Vorschläge der Initiative besser versteht (7).

1.5.10.

Der EWSA räumt ein, dass weitere Diskussionen über den Vorschlag, das Mindestalter für die Unterzeichnung einer EBI zu senken, wichtig und notwendig sind.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Die Europäische Bürgerinitiative ist ein innovatives Instrument, das mit dem Vertrag von Lissabon geschaffen wurde, und wichtiger Bestandteil der gegenwärtigen und künftigen Entwicklung der transnationalen partizipativen Demokratie in der EU (8). Die EBI ist ein Recht, das sich aus dem Recht aller Bürger, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen, ableitet. EBI sollten die aktive Teilhabe jedes Bürgers an der Festlegung der europäischen Agenda und der Entscheidungsfindung fördern, indem die öffentliche Debatte in der gesamten EU gefördert wird und die Bürger die Kommission direkt auffordern können, einen Rechtsakt der Union vorzuschlagen.

2.2.

Die Regeln und Verfahren der EBI sind in einer Verordnung (9) geregelt, die am 16. Februar 2011 verabschiedet wurde und am 1. April 2012 in Kraft trat. Als Teil eines Pakets zur Flankierung der Rede zur Lage der Union veröffentlichte die Kommission am 13. September 2017 einen Vorschlag für eine neue Verordnung.

2.3.

Nach der geltenden Verordnung kann jeder EU-Bürger, der das für die Wahlen zum Europäischen Parlament erforderliche Mindestalter (10) erreicht hat, eine Initiative organisieren oder unterzeichnen. Die Initiativen werden von Bürgerausschüssen in die Wege geleitet. Eine Organisation kann eine Initiative fördern oder unterstützen, sofern dies in voller Transparenz geschieht.

2.4.

Das Verfahren für die EBI ist in drei Phasen gegliedert:

2.4.1.

In der Startphase erfolgen die Bildung eines Bürgerausschusses (11), die Registrierung der Initiative (12) nach vorheriger Bewertung der Zulässigkeit durch die Kommission (13) und die Zertifizierung des Online-Systems für die Sammlung der Unterschriften (14).

2.4.2.

In der Phase der Unterschriftensammlung muss innerhalb eines Zeitraums von höchstens 12 Monaten in mindestens sieben EU-Mitgliedstaaten eine Million Unterstützungsbekundungen (Unterschriften) gesammelt werden (15). Die zuständigen nationalen Behörden (16) stellen eine Bescheinigung über die Unterschriften aus, und die EBI wird dann, wenn sie erfolgreich ist, an die Kommission weitergeleitet.

2.4.3.

Die Kommission prüft die erfolgreiche EBI und kommt dann in einer Sitzung mit den Organisatoren zusammen. Im Europäischen Parlament findet eine öffentliche Anhörung statt. Die Kommission entscheidet innerhalb von drei Monaten, inwieweit sie den in der Initiative enthaltenen Legislativvorschlag gegebenenfalls annimmt, und legt dazu eine Mitteilung vor.

2.5.

Bislang haben über acht Millionen EU-Bürger eine EBI unterzeichnet. Von den 69 eingereichten Initiativen sind allerdings nur 48 von der Kommission registriert worden, von denen wiederum nur vier mindestens eine Million Unterschriften erreicht haben (17). Es gab einige begrenzte Reaktionen auf erfolgreiche Initiativen, doch hat nur eine erfolgreiche Initiative dazu geführt, dass die Kommission zusagte, einen neuen Legislativvorschlag (18) vorzulegen.

2.6.

Mittlerweile besteht breiter Konsens unter den EU-Institutionen, den EBI-Organisatoren und den Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft darüber, dass das Instrument EBI trotz einiger positiver technischer Veränderungen sein volles demokratisches Potenzial bei weitem noch nicht entfaltet. Auf dem Tag der Europäischen Bürgerinitiative 2017 (19) kündigte die Kommission eine umfassende Überprüfung der Rechtsvorschrift an. Dies ist eine wichtige Gelegenheit, um die öffentliche Debatte in der EU anzuregen und die Möglichkeit der Öffentlichkeit zu stärken, Themen auf die Tagesordnung zu setzen und Entscheidungsprozesse und damit die Politik der EU durch die EBI zu beeinflussen. Einigkeit herrscht auch darüber, dass die EBI das Potenzial hat, die EU-Bürger für die gemeinsamen Anliegen zusammenzubringen und das Gefühl der europäischen Identität zu stärken.

2.7.

Die EBI-Organisatoren betonten, dass schon das Verfahren für eine Bürgerinitiative an sich wichtig ist, da es darum geht, über die Sammlung der eine Million Unterschriften hinaus sich für gemeinsame Anliegen zu vernetzen.

3.   Institutionelle Reaktion auf die EBI

3.1.

Auf seinem jährlichen Tag der Europäischen Bürgerinitiative (20) nutzt der EWSA die Gelegenheit, die EBI bekannt zu machen, und hat ein EBI-Unterstützungsbüro (21) eingerichtet, das den Organisatoren einer Initiative u. a. innerhalb von drei Arbeitstagen Übersetzungen der EBI-Beschreibungen liefert sowie gedruckte und Online-Veröffentlichungen über die EBI und verschiedene Möglichkeiten zur Präsentation der EBI in den Sitzungen seiner Ad-hoc-Gruppe Europäische Bürgerinitiative und seiner Fachgruppen sowie auf seinen Plenartagungen zur Verfügung stellt (22).

3.2.

Der EWSA hat am 13. Juli 2016 eine Initiativstellungnahme (23) verabschiedet, in der er empfiehlt, die EBI effizienter, sichtbarer und bürgerfreundlicher zu gestalten.

3.3.

Die Schlussfolgerungen einer Studie des Europäischen Parlaments (24) wurden im Oktober 2015 in einer Entschließung (25) aufgegriffen, in der das EP formell eine Überprüfung der EBI-Verordnung forderte und der Kommission nachdrückliche Änderungsempfehlungen an die Hand gab. Das Europäische Parlament erarbeitete 2017 zudem einen Entwurf eines Initiativberichts (26), in dem Änderungen an der EBI-Verordnung vorgeschlagen werden.

3.4.

Im März 2015 erarbeitete die Europäische Bürgerbeauftragte im Anschluss an eine Initiativuntersuchung elf Leitlinien für weitere Verbesserungen der EBI (27) und richtete im Juli 2017 einen offenen Brief an die Kommission, in dem dies bekräftigt wurde (28).

3.5.

Der Ausschuss der Regionen verabschiedete im Oktober 2015 eine Stellungnahme (29), in der er eine rasche und gründliche Überarbeitung der Verordnung befürwortet, und wird auf seiner Plenartagung im März 2018 über eine weitere Stellungnahme abstimmen.

3.6.

Die Kommission veröffentlichte im April 2015 einen Fortschrittsbericht und im Februar 2016 eine Antwort auf die Vorschläge des Europäischen Parlaments, in denen die Schwierigkeiten der Bürger, die eine EBI organisieren und unterstützen, eingeräumt wurden.

3.7.

Die Organisatoren von Bürgerinitiativen haben eine Reihe von Registrierungsentscheidungen der Kommission beim Gerichtshof (30) und durch Beschwerden bei der Europäischen Bürgerbeauftragten (31) angefochten. Die Urteile und Entscheidungen, die in diesen Fällen ergangen sind, verstärkten den Druck, die EBI-Verordnung zu ändern, insbesondere in Bezug auf die teilweise Registrierung einer EBI und die Pflicht der Kommission, ihre Entscheidung zu begründen.

4.   Die Rolle des EWSA und die Europäische Bürgerinitiative

4.1.

Als Brücke zwischen den EU-Institutionen und der organisierten Zivilgesellschaft ist der EWSA an der Debatte über die EBI von Anfang an beteiligt gewesen. Dies zeigen die bisher verabschiedeten Stellungnahmen (32), die für die EBI geleistete Unterstützung und die Einsetzung einer Ad-hoc-Gruppe zur Überwachung der Entwicklung und Umsetzung dieses Rechts auf Beteiligung am demokratischen Leben der Union (33).

4.2.

Der EWSA wird sich auch weiterhin aktiv am Einsatz der unterschiedlichen Institutionen für die EBI beteiligen, wobei ihm eine doppelte Rolle als Vermittler und institutioneller Mentor zukommt. Zu den Initiativen und Zuständigkeiten des EWSA zählen u. a.:

4.2.1.

der EBI-Tag, der jährlich vom EWSA organisiert wird, um die EBI bekannter zu machen, und der erheblich dazu beiträgt, dass der EBI auf der institutionellen Agenda der EU weiterhin ein hoher Stellenwert zukommt. Der EBI-Tag bietet bereits eine wichtige Gelegenheit für den Dialog zwischen den EBI-Organisatoren, den EU-Institutionen und weiteren Interessenträgern, für die Bewertung des Stands der Umsetzung und der Wirksamkeit der EBI sowie für den Austausch bewährter Verfahren und die Förderung der Vernetzung zwischen Organisatoren und Interessenträgern. Er kann zudem eine Plattform für den Dialog für erfolgreiche EBI sein. Der EWSA wird weiterhin auf dem Erfolg des EBI-Tags aufbauen und den Umfang sowie die Bedeutung der Konferenz ausweiten, etwa indem regelmäßig geprüft wird, welche Maßnahmen die Kommission nach erfolgreichen EBI ergriffen hat. Der EBI-Tag wird von der Ad-hoc-Gruppe in Zusammenarbeit mit einschlägigen strategischen Partnern organisiert;

4.2.2.

die Erstellung eines praktischen Leitfadens (mittlerweile in dritter Auflage) zur Bekanntmachung und Förderung der EBI (34). Eine zentrale Stellung nimmt die EBI darüber hinaus in der EWSA-Veröffentlichung „Europäischer Pass für aktive Bürgerschaft“ (35) (gedruckt und als HTML-Version (36) verfügbar) ein, in der die Unionsbürger über ihre Rechte informiert werden und die grenzüberschreitende partizipative Demokratie gefördert wird;

4.2.3.

die Einladung an Organisatoren von EBI in Politikbereichen, für die der Ausschuss zuständig ist, ihre Initiativen im EWSA vorzustellen (37). All dies ermöglicht es dem EWSA, den EBI-Organisatoren eine Plattform zur Verfügung zu stellen, um mit Vertretern der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner in Kontakt zu treten und die EBI als demokratisches Instrument bekannter zu machen, zugleich jedoch eine neutrale Position zu dem konkreten Thema der EBI zu wahren;

4.2.4.

die Erarbeitung einer Initiativstellungnahme zum Gegenstand jeder erfolgreichen EBI, sofern er in den Aufgabenbereich des EWSA fällt;

4.2.5.

die Teilnahme von Vertretern des EWSA an allen öffentlichen Anhörungen für erfolgreiche Initiativen im Europäischen Parlament, was ein Beitrag zur interinstitutionellen Analyse dazu ist, wie auf eine erfolgreiche EBI reagiert werden kann. Der EWSA sollte automatisch zu den öffentlichen Anhörungen eingeladen werden (38). Die Stellungnahme des EWSA wird dann auf den Diskussionen im Rahmen der EWSA-Plenartagungen beruhen, zu denen die Organisatoren eingeladen werden.

4.2.6.

Der EWSA begrüßt die Online-Kooperationsplattform und ist daran interessiert, einbezogen und über ihre Entwicklung unterrichtet zu werden. Er hält es auch für wichtig, dass die Nutzer der Plattform über die einschlägigen Dienstleistungen, die der EWSA für die EBI-Organisatoren erbringt, gut informiert sind.

4.2.7.

Der EWSA sollte sich weiterhin für eine stärkere und wirksamere EBI einsetzen und auf nationaler und lokaler Ebene das Bewusstsein dafür schärfen, etwa in Form seiner Going-local-Initiativen.

5.   Anmerkungen zur Änderung der Verordnung

5.1.

Die Verfahren für die EBI sollten klar, einfach und benutzerfreundlich sein. Viele Organisatoren von EBI, Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen (39), wissenschaftliche Kommentatoren (40) und institutionelle Akteure berichten jedoch über erhebliche technische und rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der EBI. Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission zur Reform der Verordnung, die dazu dient, die komplexeren institutionellen, rechtlichen und organisatorischen Fragen anzugehen und den Dialog zwischen den Bürgern und den Institutionen zu fördern. Dies wiederum wird die EU-weiten Debatten, die von den EBI angestoßen werden, stärken, unabhängig davon, ob eine EBI eine Million Unterschriften erhält oder nicht.

5.2.

Der EWSA bekräftigt mit Nachdruck seine Unterstützung für die Europäische Bürgerinitiative. Er ist der Auffassung, dass eine ordnungsgemäße und vollständige Umsetzung der EBI dazu beitragen könnte, die Kluft zwischen den EU-Bürgern und den EU-Institutionen zu überbrücken und die Beteiligung der Öffentlichkeit am demokratischen Leben der Union deutlich zu verbessern. Sie wäre auch ein wichtiger Schritt im Rahmen der Entwicklung der partizipativen Demokratie in der EU allgemein.

5.3.

Der EWSA erkennt die große interinstitutionelle Unterstützung für die EBI an und begrüßt die Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments, des Ausschusses der Regionen und der Europäischen Bürgerbeauftragten. Während und nach den EBI-Kampagnen kommt jeder Institution eine wichtige Aufgabe zu, indem sie Unterstützung und Chancen für den Dialog zwischen den Institutionen und den Organisatoren bietet.

5.4.

Der EWSA empfiehlt, dass jeder Mitgliedstaat Kontaktstellen einrichtet, die Informationen und Unterstützung für die Organisatoren von EBI in Bezug auf technische Fragen sowie das Verfahren für EBI bereitstellen und die EBI auf nationaler und lokaler Ebene aktiv fördern.

5.5.

Mit Blick auf eine Vereinfachung und stärkere Wirksamkeit der EBI unterbreitet der EWSA für eine Überarbeitung der Verordnung folgende Vorschläge:

5.5.1.

Die derzeit von der Kommission wahrgenommenen Rollen des institutionellen Mentors (41) für die Organisatoren von EBI und des Entscheidungsträgers bei der Registrierung sollten getrennt werden. Dies ist sehr wichtig, um einen eventuellen Interessenkonflikt innerhalb der Kommission zu lösen und die vollständige und wirksame Umsetzung der EBI zu fördern. Der EWSA kommt naturgemäß als institutioneller Mentor in Frage.

5.5.2.

Während und nach der Kampagne sollte es mehr Möglichkeiten zum Dialog mit den Organisatoren der EBI geben, um das politische Profil der Themen der EBI-Kampagnen zu schärfen. In diesem Sinne hofft der EWSA, dass alle EU-Institutionen gleichermaßen an der Eröffnung von Möglichkeiten für die Organisatoren beteiligt werden, ihre Initiativen vorzustellen und zu erörtern, und damit dem Beispiel des EWSA folgen, der EBI-Organisatoren zu verschiedenen Debatten in seiner Ad-hoc-Gruppe, in seinen Fachgruppen und auf den Plenartagungen einlädt. Die Anhörungen im Plenum des Europäischen Parlaments bieten wichtige Gelegenheiten für einen solchen Dialog.

5.5.3.

Zu den erfolgreichen Initiativen sollten adäquate Folgemaßnahmen sichergestellt werden. Der EWSA ersucht die Kommission — unter Achtung ihres Initiativrechts –, innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf der Kampagne einen Legislativvorschlag zu erarbeiten bzw. die Entscheidung, keinen Vorschlag vorzulegen, umfassend zu begründen.

5.5.4.

Über die Anhörungen im Europäischen Parlament sowie ihre Treffen mit den Initiatoren hinaus sollte die Kommission engere Kontakte zu den EBI-Organisatoren knüpfen. Nachdem die Kommission ihre erste Stellungnahme abgegeben hat, sollte es deshalb eine Zusammenarbeit mit den Organisatoren von Aktivitäten geben, die zum Thema einer erfolgreichen EBI stattfinden.

5.5.5.

Um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Aufgaben und Zuständigkeiten herzustellen, unterstützt der EWSA die Position, die die Zivilgesellschaft in einer EWSA-Anhörung zum Ausdruck gebracht hat, dass auch künftig nur das Parlament öffentliche Anhörungen zu erfolgreichen EBI organisieren soll.

5.5.6.

Lehnt die Kommission eine Initiative ab oder registriert sie eine Initiative nur teilweise, so sollte sie diese Entscheidung eingehend und präzise begründen.

5.5.7.

Der EWSA begrüßt, dass der Kommission mit dem Vorschlag das Recht eingeräumt wird, eine Initiative teilweise zu registrieren. Im Interesse klarer und stringenter Verfahren und Kriterien für die EBI-Registrierung sollte es jedoch nach wie vor nur eine einzige Entscheidung über die Registrierung geben. Die Kommission könnte die Organisatoren im Vorfeld der Einreichung über die Rechtsgrundlage ihres Vorschlags beraten und denkbare Lösungen vorschlagen, damit eine Initiative nicht für unzulässig erklärt werden muss.

5.5.8.

Der EWSA wird die Diskussionen über die Senkung des Mindestalters für die Unterzeichnung und Teilnahme an einer EBI weiter verfolgen. Der EWSA ist sich dessen bewusst, dass dieser Punkt viele Fragen aufwirft, räumt jedoch ein, dass hier weiterer Diskussionsbedarf besteht.

5.5.9.

Wichtig ist, dass der Zeitraum für die Überprüfung der EBI bei drei Jahren bleibt, wenn man die Bedeutung der EBI für die Demokratie in der EU, die Tatsache, dass sie erst vor Kurzem eingeführt wurde, sowie die Zeit, die erforderlich ist, um die Änderungen infolge der derzeitigen Überprüfung der Rechtsvorschriften umzusetzen, bedenkt.

5.5.10.

Die Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen zur EBI sollten verstärkt werden, und zwar in erster Linie durch von der Kommission und den Mitgliedstaaten geförderte spontane Kampagnen. In diesem Zusammenhang wird auch vorgeschlagen, dass den Gruppen der Organisatoren die Möglichkeit gegeben wird, interessierte Unterstützer über die Entwicklungen und die im Rahmen der Kampagnen erzielten Ergebnisse zu informieren (sofern die Unterstützer dazu ihr Einverständnis erteilt haben). Ähnliches gilt auch für die Kommission: Sie muss die Folgemaßnahmen zu den erfolgreichen Initiativen effizienter bekannt machen und davon zuerst die Gruppen der Organisatoren in Kenntnis setzen.

5.5.11

. Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission die Bedeutung der Übersetzungsleistungen, die der EWSA seit 2015 erbringt, anerkennt. Es müssen auch die Anhänge eines EBI-Vorschlags übersetzt werden (42). Dies ist wichtig, damit die Öffentlichkeit die Vorschläge einer Initiative besser versteht.

5.5.12.

Es sollten neue Methoden geprüft werden, wie die Online-Unterschriftensammlung mit sozialen und digitalen Medien verknüpft werden kann, um ein immer größeres Publikum zu erreichen.

Brüssel, den 14. März 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. L 65 vom 11.3.2011, S. 1.

(2)  ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 35.

(3)  OCS ist die Abkürzung für Online Collection Software, ein von der Kommission kostenlos zur Verfügung gestelltes Instrument zur Online-Datensammlung. Dieses Programm vereinfacht sowohl die Erhebung der Daten als auch ihre Überprüfung durch nationale Behörden. Die OCS steht zudem im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1179/2011 der Kommission: https://joinup.ec.europa.eu/software/ocs/description.

(4)  Beschluss des Präsidiums vom 14. Oktober 2014 über die internen Kriterien für die Einladung von Organisatoren zu Plenartagungen und Fachgruppensitzungen.

(5)  Ziffer 1.4.5 der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses Die Europäische Bürgerinitiative (Überprüfung) (Initiativstellungnahme) vom 13. Juli 2016.

(6)  Am 12. Dezember 2017 veranstaltete der EWSA eine öffentliche Anhörung über den neuen Vorschlag für die EBI, zu der auch Organisationen der Zivilgesellschaft eingeladen wurden.

(7)  Zu den Diskussionen über die Bedeutung der Anhänge siehe Randnummern 47-58 in der Rechtssache Izsák und Dabis/Kommission Rechtssache T-529/13.

(8)  Artikel 11 Absatz 4 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und Artikel 24 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

(9)  Verordnung (EU) Nr. 211/2011.

(10)  In der Regel liegt das Mindestalter bei 18 Jahren mit Ausnahme von Österreich, wo das Wahlalter 16 Jahre beträgt.

(11)  Der Bürgerausschuss muss sich aus mindestens sieben EU-Bürgern zusammensetzen, die in sieben verschiedenen Mitgliedstaaten wohnhaft sind.

(12)  Die Beschreibung der Initiative darf höchstens 800 Zeichen umfassen (100 für die Bezeichnung, 200 für die Beschreibung und 500 für die Einzelheiten betreffend die Ziele).

(13)  Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 211/2011. Besonders wichtig ist Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b, nach dem eine Initiative nicht offenkundig außerhalb des Rahmens liegen darf, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen. Zur Bewertung der Registrierungsbeschlüsse der Kommission siehe James Organ: „Decommissioning direct democracy? A critical analysis of Commission decision-making on the legal admissibility of European Citizens Initiative proposals“, 10 EuConst (2014), S. 422.

(14)  Artikel 6 der Verordnung (EU) Nr. 211/2011. Gemäß der Verordnung sind dafür die Behörden des jeweiligen Mitgliedstaats zuständig, in dem die Unterstützungsbekundungen gesammelt werden.

(15)  Nach der Verordnung muss eine Mindestzahl an Unterschriften pro Land im Verhältnis zur Einwohnerzahl erreicht werden: http://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/signatories.?lg=de.

(16)  Artikel 15 der Verordnung (EU) Nr. 211/2011.

(17)  Die erfolgreichen Initiativen sind: „Wasser und sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht! Wasser ist ein öffentliches Gut, keine Handelsware“, „Stop Vivisection“, „Einer von uns“ und „Verbot von Glyphosat und Schutz von Menschen und Umwelt vor giftigen Pestiziden“: http://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/initiatives/successful.

(18)  Mitteilung der Kommission über die Europäische Bürgerinitiative Verbot von Glyphosat und Schutz von Menschen und Umwelt vor giftigen Pestiziden, C(2017) 8414 final. Am 1. Februar 2018 nahm die Kommission zudem einen Vorschlag zur Überarbeitung der Trinkwasserrichtlinie an, der zum Teil auf die EBI Wasser ist ein Menschenrecht zurückgeht.

(19)  Der Tag der Europäischen Bürgerinitiative ist eine jährlich vom EWSA organisierte Konferenz. Partner des Tages der Europäischen Bürgerinitiative 2017 waren der Europäische Ausschuss der Regionen sowie ECI Campaign, European Citizens' Action Service, University of Liverpool, School of Law and Social Justice, Democracy International, Initiative and Referendum Institute Europe und People2power. In der Eröffnungssitzung kündigte Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans an, dass die EBI überarbeitet werden soll.

(20)  Erstmals fand der Tag der Europäischen Bürgerinitiative am 30. März 2012 statt, einen Tag vor dem Inkrafttreten der Verordnung über die EBI. Seitdem hat der EWSA sechs Mal, im April jedes Jahres, diese Veranstaltung organisiert. Die siebte Ausgabe wird am 10. April 2018 stattfinden.

(21)  Weitere Informationen finden Sie in der EWSA-Broschüre: „Helpdesk für die Europäische Bürgerinitiative im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss“.

(22)  Siehe Fußnote 4.

(23)  Initiativstellungnahme des EWSA Die Europäische Bürgerinitiative (Überarbeitung) (ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 35).

(24)  Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments, „Umsetzung der Europäischen Bürgerinitiative. Die Erfahrung der ersten drei Jahre“, 2015.

(25)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 28. Oktober 2015 zur europäischen Bürgerinitiative (2014/2257(INI)). Berichterstatter: György Schöpflin: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2015-0382+0+DOC+XML+V0//DE.

(26)  Entwurf eines Berichts — Überarbeitung der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 über die Bürgerinitiative, 11.9.2017: http://www.europarl.europa.eu/committees/de/afco/draft-reports.html?ufolderComCode=AFCO&ufolderId=09289&urefProcCode=&linkedDocument=true&ufolderLegId=8&urefProcYear=&urefProcNum=.

(27)  Fall OI/9/2013/TN, geöffnet am 18.12.2013 — Entscheidung vom 4.3.2015, https://www.ombudsman.europa.eu/de/cases/decision.faces.

(28)  Fall SI/6/2017/KR, Schreiben vom 11.7.2017:

https://www.ombudsman.europa.eu/cases/correspondence.faces/de/81311/html.bookmark.

(29)  Ausschuss der Regionen, Stellungnahme zum Thema Europäische Bürgerinitiative (ABl. C 423 vom 17.12.2015, S. 1).

(30)  Insbesondere die Urteile des Gerichthofs vom 3.2.2017 in der Rechtssache T-646/13 (Minority SafePack), vom 10.5.2017 in der Rechtssache T-754/14 (Stop TTIP) und vom 12.9.2017 in der Rechtssache C-589/15 P (Eine Million Unterschriften für ein Europa der Solidarität), in denen den Klagen der Bürgerinitiativen stattgegeben wurde.

(31)  Entscheidungen im Fall 1086/2017/PMC vom 4.10.2017 (Mum, Dad & Kids), im Fall 1609/2016/JAS vom 18.4.2017 (Stop Vivisection) und Beschwerden 402/2014/PMC (vertraulich) vom 3.3.2015 und 2071/2013/EIS vom 12.12.2014 (Stop Vivisection).

(32)  Stellungnahme des EWSA Die Umsetzung des Vertrages von Lissabon: Partizipative Demokratie und die Europäische Bürgerinitiative (Artikel 11) (ABl. C 354 vom 28.12.2010, S. 59).

Stellungnahme des EWSA Europäische Bürgerinitiative (ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 182).

Initiativstellungnahme des EWSA Die Europäische Bürgerinitiative (Überarbeitung) (ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 35).

(33)  Die Ad-hoc-Gruppe „EBI“ wurde im Oktober 2013 eingesetzt, um politische Leitlinien für die EBI bereitzustellen und die einschlägigen Entwicklungen zu verfolgen.

(34)  http://www.eesc.europa.eu/resources/docs/qe-04-15-566-de-n.pdf.

(35)  http://www.eesc.europa.eu/resources/docs/qe-04-15-149-de-n.pdf.

(36)  http://www.eesc.europa.eu/eptac/de/.

(37)  Siehe Fußnote 4.

(38)  Am 2. Februar 2014 übermittelte der damalige EWSA-Präsident Henri Malosse dem Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz ein offizielles Schreiben, in dem er das Interesse des EWSA zum Ausdruck brachte, regelmäßig zu den öffentlichen Anhörungen über erfolgreiche EBI eingeladen zu werden.

(39)  C. Berg, J. Tomson, An ECI that works! Learning from the first two years of the European Citizens' Initiative, 2014: http://ecithatworks.org/.

(40)  Siehe dazu etwa die in jüngster Zeit erschienenen Artikel: Organ, „EU Citizen Participation, openness and the European Citizens Initiative: the TTIP legacy“, CML Rev, Vol. 54, S. 1713 (2017); Karatzia, „The European Citizens Initiative and the EU institutional balance: On realism and the possibilities of affecting EU lawmaking“, CML Rev., Vol. 54, S. 177 (2017) und Vogiatzis, „Between discretion and control: Reflections on the institutional position of the Commission within the European citizens“ initiative process“, European Law Journal 2017; 23; S. 250.

(41)  Siehe Ziffern 1.2 und 4.3.2 der Stellungnahme des EWSA Europäische Bürgerinitiative (ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 182).

(42)  Zu den Diskussionen über die Bedeutung der Anhänge siehe Randnummern 47-58 in der Rechtssache Izsák und Dabis/Kommission, Rechtssache T-529/13.