ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 246

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

60. Jahrgang
28. Juli 2017


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

525. Plenartagung des EWSA vom 26./27. April 2017

2017/C 246/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Frauen im Verkehrssektor — Plattform für den Wandel (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen der Europäischen Kommission)

1

2017/C 246/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Digitalisierung und innovative Geschäftsmodelle im europäischen Finanzsektor — Auswirkungen auf Beschäftigung und Kunden (Initiativstellungnahme)

8


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

525. Plenartagung des EWSA vom 26./27. April 2017

2017/C 246/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 560/2014 des Rates vom 6. Mai 2014 zur Gründung des Gemeinsamen Unternehmens für biobasierte Industriezweige(COM(2017) 68 final — 2017/0024 (NLE))

18

2017/C 246/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Überwachung von Barmitteln, die in die Union oder aus der Union verbracht werden, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1889/2005(COM(2016) 825 final — 2016/0413 (COD))

22

2017/C 246/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 515/2014, (EU) 2016/399, (EU) 2016/794 und (EU) 2016/1624(COM(2016) 731 final — 2016/0357 (COD))

28

2017/C 246/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Governance-System der Energieunion zur Änderung der Richtlinie 94/22/EG, der Richtlinie 98/70/EG, der Richtlinie 2009/31/EG, der Verordnung (EG) Nr. 663/2009, der Verordnung (EG) Nr. 715/2009, der Richtlinie 2009/73/EG, der Richtlinie 2009/119/EG des Rates, der Richtlinie 2010/31/EU, der Richtlinie 2012/27/EU, der Richtlinie 2013/30/EU und der Richtlinie (EU) 2015/652 des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 525/2013(COM(2016) 759 final — 2016/0375/(COD))

34

2017/C 246/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz(COM(2016) 761 final] — 2016/0376 (COD))

42

2017/C 246/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden(COM(2016) 765 final — 2016/0381 (COD))

48

2017/C 246/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (Neufassung)(COM(2016) 767 final — 2016/0382 (COD))

55

2017/C 246/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Saubere Energie für alle Europäer(COM(2016) 860 final)

64

2017/C 246/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für einen neuen Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik — Unsere Welt, unsere Würde, unsere Zukunft(COM(2016) 740 final)

71


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

525. Plenartagung des EWSA vom 26./27. April 2017

28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Frauen im Verkehrssektor — Plattform für den Wandel“

(Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen der Europäischen Kommission)

(2017/C 246/01)

Berichterstatterin:

Madi SHARMA

Befassung

Europäische Kommission 13.10.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

11.4.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

26.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

148/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat viel Erfahrung im Bereich der Verkehrspolitik und hat sich unlängst mit der Geschlechterdimension in diesem traditionell von Männern dominierten Wirtschaftszweig auseinandergesetzt (siehe Stellungnahme TEN/573 Frauen im Verkehrswesen  (1). Als EU-Institution zur Vertretung der Zivilgesellschaft verfügt er auch über Sachverstand im Bereich des Dialogs und der Konsultation der Interessenträger zu legislativen Maßnahmen.

1.2.

Der EWSA sieht in Stakeholder-Plattformen wirksame Foren des Wandels, wenn sie:

den Austausch bewährter Verfahren zwischen den verschiedenen Institutionen, Unternehmen und Vereinigungen ermöglichen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen;

die beteiligten Akteure dazu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen und Herausforderungen anzugehen;

die Ursachen der Herausforderungen bedenken;

SMART-Ziele (spezifisch, messbar, ausführbar, realistisch, terminiert) verfolgen;

faktengestützte Tätigkeiten zur Verbreitung hervorbringen;

Instrumente und Ressourcen für andere entwickeln;

europäische Plattformen auf nationaler und auch regionaler Ebene nachbilden, um ähnliche Herausforderungen in den Mitgliedstaaten anzugehen;

Informationen über Initiativen aus anderen Sektoren mit ähnlichen Problemen erhalten.

1.3.

Der EWSA schlägt die Einrichtung einer EU-Plattform für den Wandel (im Folgenden „Plattform“) vor, um die Geschlechtergleichstellung im Verkehrswesen anzugehen, indem zunächst vorrangig die Beschäftigungsfähigkeit von Frauen in diesem Sektor gefördert wird. Dieses anfängliche Ziel könnte später durch den Aspekt „Frauen als Verkehrsnutzer“ ergänzt werden. Verkehr umfasst die Bereiche Luft, See, Straße, Binnenschifffahrt und Logistik. Als Mitglieder in Frage kommen könnten u. a. die EU-weiten und nationalen Vertretungsgremien der politischen Entscheidungsträger, die Verkehrsunternehmen, ihre Gewerkschaften, Medien, Passagierorganisationen und NRO, die sich dafür einsetzen, der Geschlechterungleichheit im Verkehrssektor durch konkrete Maßnahmen entgegenzuwirken.

1.4.

Der EWSA würde die angestrebte Umsetzung geschlechtsspezifischer Maßnahmen mittels Aufstellung klarer Zielvorgaben fördern: Aufgabenbereich und festgelegtes Betätigungsfeld, einschließlich Indikatoren, die von den Mitgliedern im Zuge der Einsetzung der Plattform entwickelt werden. So würde ein Modell für partnerschaftliche Zusammenarbeit und koordiniertes Handeln der Interessenträger des Sektors entstehen, mit dem neue Initiativen in Europa umgesetzt werden.

1.5.

Nach Auffassung des EWSA sollte die Plattform flexibel und anpassungsfähig in Bezug auf sämtliche Dimensionen des Sektors und auf politischer Ebene sein. Transparenz und Rechenschaftspflicht der Mitglieder und hinsichtlich der Arbeitsweise müssen Priorität haben. Überwachung, Evaluierung und jährliche Überprüfungen sind wichtige Instrumente für die Glaubwürdigkeit und den Erfolg der Plattform.

1.6.

Die Plattform kann nur dann erfolgreich sein, wenn sich die Mitglieder voll einbringen, weshalb der EWSA eine Internetpräsenz vorschlägt, auf der eine Liste der Mitglieder, ihrer Tätigkeiten und eine Datenbank der Initiativen, Empfehlungen, Monitoring- und Evaluierungsmaßnahmen zu finden sind, die von anderen übernommen werden oder als Informationsquelle dienen können.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Beschäftigungsquote von Frauen ist im Verkehrssektor besonders gering. 2013 waren 78 % der EU-weit im Verkehrssektor Beschäftigten Männer. Die Schaffung von Anreizen für Frauen ist ausschlaggebend, um für ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis im Verkehrssektor zu sorgen, ihn gleichzeitig benutzerfreundlicher zu machen und einen Ausgleich für den Arbeitskräftemangel und andere personalpolitische Herausforderungen zu schaffen (ein Drittel aller Arbeitnehmer im Verkehrssektor ist älter als 50 Jahre).

2.2.

Am 1. Juli 2015 verabschiedete der EWSA eine Sondierungsstellungnahme zum Thema „Frauen im Verkehrswesen“ und nahm an einer von den Kommissionsmitgliedern Bulc und Jourová im April 2016 organisierten Folgeveranstaltung teil. Anschließend führte die GD MOVE verschiedene Anhörungen von Expertengruppen durch, bei denen aktuelle Herausforderungen und Empfehlungen erörtert wurden. Auf dieser Veranstaltung schlug der Vertreter des EWSA vor, eine „Plattform für den Wandel“ einzurichten, welche die Europäische Kommission als gutes Mittel zur Förderung konkreter und sichtbarer Maßnahmen zugunsten der Geschlechtergleichstellung im Verkehrssektor guthieß. Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, erklärte in seinem Schreiben vom 13. Oktober 2016, dass eine solche Plattform im zweiten Halbjahr 2017 im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung von EWSA und Kommission eingerichtet werden könnte.

3.   Plattform für den Wandel

3.1.

Die EU-Kommission verfügt über zahlreiche Instrumente und Maßnahmen zur Konsultation von Interessengruppen. Eine Plattform für den Wandel könnte sich auf freiwillige und konkret messbare Maßnahmen zur Erreichung der mit ihr angestrebten Ziele konzentrieren. Eine solche Benchmark-Plattform ist die Plattform der GD SANTE „Ernährung, körperliche Bewegung und Gesundheit“.

3.2.

Dementsprechend würde der EWSA der GD MOVE eine Plattform der Interessenträger auf EU-Ebene vorschlagen, mit der die handlungsbezogenen Verpflichtungen zur Förderung verstärkter Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen und der Gleichstellung der Geschlechter im Verkehrssektor umgesetzt werden, um Frauen besser zu integrieren und mehr wirtschaftliches, soziales und nachhaltiges Wachstum zu schaffen, wobei:

die Mitglieder der Plattform festgelegte Kriterien in Bezug auf ihre Ernennung und ihr Verhalten erfüllen müssen;

die Maßnahmen im Einklang mit den von den Mitgliedern bei der Gründung der Plattform festgelegten Zielen und dem Betätigungsfeld definiert werden;

die Handlungszusagen der Plattform überwacht, bewertet und veröffentlicht werden, um den Informationsaustausch zu begünstigen.

3.3.

Bei der Errichtung einer solchen Plattform empfiehlt der EWSA der GD MOVE, zunächst folgende Schritte und Elemente in Betracht zu ziehen (die weiter unten ausführlich erläutert werden):

I.

Phase I — Vorbereitung — Ermittlung der einschlägigen Interessenträger, die an der Plattform mitwirken könnten, und Einleitung eines Dialogs zur Ermittlung von Interessen, zentralen Zielsetzungen, Auftrag und Aufgabenbereich.

II.

Phase II — Entwicklung — mit den Interessenträgern gemeinsame Erarbeitung von Beschlussvorlagen: Verpflichtungserklärung, Auftrag, Aufgabenbereich und Zielsetzungen. Zusätzliche Festlegung von Fristen, möglichen Finanzierungsquellen, Sekretariat und IT-Unterstützungsinstrumenten.

III.

Phase III — Umsetzung — Organisation einer Auftaktveranstaltung unter Teilnahme des für die Plattform zuständigen Kommissionsmitglieds, bei der die Mitglieder Definitionen, Auftrag und Aufgabenbereich vereinbaren und konkrete Handlungsempfehlungen aussprechen. Diskussion über SMART-Ziele, Indikatoren, geschlechtssensible Kommunikation, Überwachung, Evaluierung, Veröffentlichung und Verbreitung.

IV.

Phase IV — Nachhaltigkeit — Festlegung von Indikatoren, Zielvorgaben, verfügbare Mittel, jährliche Überprüfung und Feedback-Mechanismus. Ermittlung von Wegen zur Gewährleistung der Dauerhaftigkeit der Handlungszusagen und zur Einbeziehung weiterer Partner.

4.   Die Rolle der EU-Institutionen

4.1.

Parallel zu den Impulsen von Kommissionspräsident Juncker für Wachstum und Beschäftigung hat der maltesische Ratsvorsitz die Gleichstellung der Geschlechter zu einer seiner Prioritäten erklärt. Die Plattform könnte gegenüber der traditionellen Politikgestaltung einen EU-Mehrwert bieten, der sich ganz speziell auf eine Herausforderung der EU, nämlich die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten im europäischen Verkehrssektor, fokussiert. Dieser gezielte Fokus ermöglicht die Einbindung einschlägiger Interessengruppen, die ansonsten nicht mit der EU-Kommission in Kontakt kämen. Somit könnte die Plattform die Arbeit der EU-Institutionen ergänzen.

4.2.

Ganz wichtig ist, dass die GD MOVE die Federführung übernimmt und das für die Plattform zuständige Kommissionsmitglied deren Arbeit unterstützt, z. B. durch persönliche Anwesenheit bei ihrer Einweihung und allgemein in den Sitzungen der Plattform. Da sich die Mitglieder der Plattform auf freiwilliger Basis engagieren, werden sie es als Privileg empfinden, um Wahrnehmung dieser Aufgabe gebeten zu werden. Daher ist die Verfügbarkeit von Führungskräften der GD MOVE und die Interaktion mit ihnen von großer Bedeutung. Ebenso wichtig ist es, dass sich die EU-Institutionen, die sich der Plattform anschließen möchten, ebenfalls verpflichten, gezielte Maßnahmen vorzuschlagen.

4.3.

Die EU-Institutionen und die Vertreter der nationalen Verkehrsministerien spielen für die Verbreitung wichtiger Erkenntnisse auf nationaler Ebene eine zentrale Rolle. Daher empfiehlt der EWSA die Einrichtung einer hochrangigen Gruppe, die den Regierungen und ihren politischen Entscheidungsträgern einen Überblick gibt, einen Mechanismus für die Verbreitung bewährter Verfahren einsetzt, die Partnerschaftsarbeit ausbaut und für eine gute Verbindung zwischen den politischen Entscheidungsträgern und der Plattform sorgt. Wenn solche Interessenträger auch der Plattform als Mitglieder angehören möchten, sollten sie sich ebenfalls dazu verpflichten, konkrete Maßnahmen durchzuführen.

4.4.

Der EWSA plädiert dafür, dass die GD MOVE den Betrieb der Plattform übernimmt. Sie würde die Mittel zuweisen, das Sekretariat und Ressourcen zur Verfügung stellen. Andere EU-Institutionen könnten über ihre Netze Empfehlungen von Interessenträgern übermitteln und auch Sitzungssäle, Übersetzungs- und Dolmetscherdienste bereitstellen. Alternative Finanzierungsmöglichkeiten könnten sich aus den Ressourcen der Plattformmitglieder ergeben.

4.5.

Ein signifikanter Kostenpunkt wird das zentrale Kommunikationsinstrument sein, also die Website und die Datenbank einschließlich ihrer Pflege. Verschiedene EU-Einrichtungen haben solche Internetressourcen entwickelt, und es dürfte für die GD MOVE kein Problem sein, eine bereits existierende Maske anzupassen.

5.   Mitgliedschaft

5.1.

Die Plattform sollte keine „Plauderrunde“ sein, sondern ein Prozess, bei dem Interessenträger zusammenkommen und über Herausforderungen und Chancen von Frauen im Verkehrssektor diskutieren und sich anschließend zu prüffähigen Aktionen verpflichten. Zu verstehen, welcher Typ Interessenträger die jeweiligen Mitglieder sind, wird helfen, ihr potenzielles Maß an Interesse und Einfluss zu ermitteln. Das größte Interesse werden diejenigen haben, die von den aktuellen Herausforderungen in diesem Wirtschaftszweig unmittelbar betroffen sind.

5.2.

Folgende europäische und nationale Interessenträger könnten der Plattform angehören: Industrie, KMU-Verbände, Gewerkschaften (Sozialpartner), einschließlich auf die Vertretung von Frauen spezialisierte Organisationen, öffentliche Behörden, einschließlich solcher mit Zuständigkeit für Beschaffung und Angebote, wie z. B. der EBWE, NRO einschließlich Dachverbände zur Vertretung der Rechte von Frauen und Gleichstellung, Medien, Think-Tanks, Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

5.3.

In Betracht gezogen werden könnte ggf. auch die Einbeziehung von 1) Personen, die an der Konzeption von Handlungszusagen mitwirken, aber nicht unbedingt ein bestelltes Mitglied der Plattform sind; 2) Entscheidungsträgern und Lobbyisten, u. a. EU-Institutionen und Vertreter der Mitgliedstaaten/öffentlichen Behörden.

5.4.

Die Mitgliedschaft in der Plattform sollte gebührenfrei sein, aber von Kriterien und Bedingungen abhängen. Für die Aktivitäten der Mitglieder oder für die aus ihrer Mitgliedschaft erwachsenden Kosten ist zunächst keinerlei Erstattung vorgesehen.

5.5.

Die Mitgliedschaft sollte basieren auf:

inklusiver Partizipation;

Transparenz, Offenheit und Rechenschaftspflicht;

Akzeptanz der Unterschiedlichkeit und Achtung der Verhältnismäßigkeit;

Nutzung von SMART-Zielen zum Erreichen von Kohärenz.

6.   Zielsetzung und Aufgabenbereich der Plattform

6.1.

Das übergeordnete Ziel dieser Plattform könnte darin bestehen, die Teilnahme von Frauen zu steigern und die Gleichstellung der Geschlechter im Verkehrssektor dadurch zu verbessern, dass die Chancen für Frauen, für Unternehmerinnen und für weibliche Führungskräfte sowie die Arbeitsbedingungen für alle Branchenbeschäftigten und ihre letztlichen Auswirkungen auf Beschäftigung, Inklusivität, Innovation, Nachhaltigkeit und Wachstum verbessert werden. Der Schwerpunkt sollte auf der Geschlechtergleichstellung durch Förderung der Beschäftigung und Schließung von Lücken in der Branche liegen. Dieses Ziel kann u. a. erreicht werden durch: qualitative Verbesserung der Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen für alle, Bekämpfung von Belästigung und geschlechtsspezifischer Gewalt; bessere Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben, Steigerung der Anzahl von Frauen in Entscheidungspositionen und Aufbesserung des Images des Sektors, um mehr Arbeitnehmerinnen, Unternehmerinnen, Wissenschaftlerinnen und Innovatorinnen anzuziehen. Der Aufgabenbereich der Plattform könnte später auf Aspekte wie Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit und Fokussierung auf Maßnahmen, die sich an Frauen als Nutzerinnen richten, ausgeweitet werden.

6.2.

Der EWSA empfiehlt die Umsetzung gleichstellungsorientierter Maßnahmen und eine entsprechende Haushaltsplanung als zentrale Instrumente zur Erreichung der vorgenannten Ziele. Dieses neue Konzept wird oft missverstanden: es bedeutet keine Erhöhung der Gesamtausgaben, sondern vielmehr die Festlegung neuer Prioritäten und die Neuausrichtung der Ausgaben im Rahmen von Programmen, Abteilungen und Dienststellen. Eine gleichstellungsorientierte Haushaltsplanung trägt zu mehr Klarheit bei und schafft Mechanismen, die einen globalen und transversalen Ansatz zur Förderung der Gleichstellung ermöglichen.

6.3.

Der EWSA empfiehlt, dass der Aufgabenbereich und die Prioritäten im Einklang mit der Politik und den Rechtsvorschriften der EU bei gleichzeitiger Wahrung des sozialen Dialogs stehen sollten. Die Plattform sollte Top-down- und Bottom-up-Ansätze zur Unterstützung des privaten Sektors und der öffentlichen Politik kombinieren und gleichzeitig vermeiden, dass Gesetzesänderungen notwendig werden. Die Plattform sollte allenthalben als positive und notwendige Investition betrachtet werden.

6.4.

Der EWSA weist auf die Vorteile einer Beteiligung von Interessenträgern hin, nämlich:

die Interessenträger erhalten Gelegenheiten zum Austausch von Standpunkten, Bedürfnissen und Kenntnissen;

das Finden gemeinsamer Zielsetzungen zur Verwirklichung gemeinsamer Vorstellungen;

die Befähigung zur Einflussnahme auf die Ergebnisse, indem die Teilnehmer in die Gestaltung, Entwicklung, Ermittlung und Durchführung von Maßnahmen eingebunden werden;

ein besseres Verständnis zwischen Interessengruppen und damit Verringerung des Konfliktpotenzials oder von Meinungsverschiedenheiten und Förderung einer wirksamen Zusammenarbeit;

die Stärkung des Engagements und des Gefühls der Mitverantwortung der Interessenträger;

die Gewährleistung der Dauerhaftigkeit der Pläne und der entsprechenden Entscheidungen;

Autonomie und Flexibilität bei der Entscheidungsfindung und Durchführung.

6.5.

Nach Ansicht des EWSA könnte das Tätigkeitsfeld der Plattform folgende Aspekte umfassen:

Datensammlung und Aufstellung von Schlüsselindikatoren zur Ermittlung und Beseitigung von Hindernissen und Stereotypen;

Gewährleistung einer größeren Sichtbarkeit und Beteiligung von Frauen in der Politikgestaltung, Entscheidungsfindung und Planung — über Verwaltungsaufgaben hinaus;

proaktive Einbindung beider Geschlechter in die Schaffung eines besseren Arbeitsumfelds: Ausstattung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Fortbildung, Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben u. a.;

Ergreifen von Initiativen, mit denen Frauen die Beschäftigungsmöglichkeiten im Verkehrssektor mittels Maßnahmen zur Steigerung der Qualität und Quantität von Arbeitsplätzen attraktiver gemacht werden, insbesondere durch Änderung der Einstellungsverfahren;

Überprüfung der rechtlichen Hindernisse, die Frauen den Zugang zu allen Arten von Arbeitsstellen erschweren;

bessere Einbindung von Hochschulen und Berufsberatungsstellen, um die große Bandbreite des Sektors, u. a. die technische Seite, FuE und Ingenieurwesen, stärker zu umwerben; und Berücksichtigung der Geringqualifizierten zur Verbesserung ihrer Ausbildungsoptionen;

proaktive Förderung der Rolle von Frauen in Unternehmen;

Befähigung von Frauen und stärkere Inklusivität des Sektors;

verstärkte Schwerpunktlegung auf die lebenslange Aus- und Weiterbildung von Frauen;

Schutz vor Gewalt, sexueller Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz.

6.6.

Im Zuge einer etwaigen Erweiterung des Tätigkeitsbereichs der Plattform könnten Schwerpunkte gesetzt werden, die nicht alle Mitglieder betreffen. Die Vielfalt des Verkehrssektors könnte dies erforderlich machen. Daher könnte die Einsetzung von Unterausschüssen zur Behandlung spezifischer Interessenbereiche in Betracht gezogen werden.

7.   Leitlinien für die Festlegung der Prioritäten und die Gewährleistung prioritätengerechter Maßnahmen

7.1.

Der EWSA weist darauf hin, dass nur die Mitglieder der Plattform die Prioritäten derselben festlegen können. Die Interessenträger dürften ihre eigenen berechtigten Interessen mitbringen, sodass es für alle von größter Wichtigkeit sein sollte, sie im Hinblick auf die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen für ein gemeinsames Engagement zu gewinnen. Die Zusage zum Ergreifen von Maßnahmen, mit denen der Wandel unterstützt und vorangetrieben werden kann, ist eine Verantwortung, die aufseiten der Interessenträger zu einer verstärkten Identifizierung mit ihren Organisationen und der Plattform führen werden.

7.2.

Der EWSA regt an, dass die Handlungszusagen ehrgeizig sein, eine Änderung des Status quo anvisieren und Einsätze der Mitglieder aus eigenen Mitteln erfordern sollten. Eine klare Kommunikation und Transparenz der Maßnahmen auf der Website werden nicht nur zur Anerkennung der Handlungsverpflichtungen, sondern auch zur Kontrolle durch die Beteiligten führen. Dementsprechend sind eine gute Kommunikation und der Dialog zwischen den Plattformmitgliedern von höchster Bedeutung, um ein kontinuierliches Engagement sicherzustellen und enttäuschten Erwartungen vorzubeugen. Gemeinsame Aktivitäten sollten ebenfalls gefördert werden.

7.3.

Der EWSA empfiehlt, ggf. zusätzliche Zielvorgaben und Indikatoren festzulegen, um die Tätigkeiten der Plattform zu unterstützen. Diese Zielvorgaben und Indikatoren könnten zur Umsetzung und Bewertung von Schritten in Richtung Beschäftigungsmöglichkeiten, Gleichbehandlung und Befähigung von Frauen einschließlich der Frage beitragen, wie Männer und Frauen unabhängig von der genutzten Technik auf gleiche Ebene gestellt werden können. Entwicklungsindikatoren als Beurteilungsinstrumente, die die Auswirkung und Einbeziehung von Ergebnissen in einen Fortschrittsbericht stärken, tragen zur Einflussnahme auf die politische und strategische Planung durch Kartierung der Fortschritte bei.

7.4.

Eurostat verfügt über diesbezügliche allgemeine statistische Daten. Die GD MOVE könnte mit Eurostat und den Mitgliedern der Plattform an der Verbesserung der nach Geschlecht aufgeschlüsselten Datenerhebung arbeiten, um ein vollständigeres Bild zu erhalten.

7.5.

Daten, Zielvorgaben und Indikatoren sollten einen Beitrag zu den Überlegungen über Geschlechtergleichstellung und Stereotypen und Diskriminierung leisten. Ziel ist es, die Organisationen ohne normative Vorschriften dazu zu ermutigen, die Geschlechterthematik transparent und verständlich ihren Organisationen und der Öffentlichkeit zu vermitteln und eine interne Analyse der eigenen politischen Maßnahmen und Verfahrensweisen zu ermöglichen.

7.6.

Ausgangsindikatoren könnten in den folgenden Bereichen erarbeitet werden:

spezifische Ziele, die von der Plattform zur Verwirklichung erreichbarer Ziele festgelegt werden können;

Anteil von Frauen je Stellenbeschreibung, einschließlich Vorstände, Eigentümer, Manager, Mitglieder von Gewerkschaften, Verwaltung, Fachkräfte usw.;

regelmäßige Überprüfung der und Berichterstattung über die Maßnahmen, die zur Sicherstellung der Geschlechtergleichstellung auf den Entscheidungsebenen ergriffen werden;

wirksame Strategien zur Lohngleichheit und schrittweise Schließung des Lohn- und Pensionsgefälles zwischen Männern und Frauen;

ergriffene (politische) Maßnahmen zur Beseitigung aller Hindernisse, die der Chancengleichheit im Wege stehen, und Förderung der Beschäftigung von Frauen (Kinderbetreuungseinrichtungen, Vereinbarkeit von Arbeits-, Privat- und Familienleben, transparenter Rahmen u. a.);

spezifische Haushaltsmittel zur Förderung der Chancengleichheit;

regelmäßige Überprüfung der Einstellungsbedingungen, auch jener von Arbeitsvermittlungsstellen oder Bildungseinrichtungen — Transparenz, Zugänglichkeit, geschlechterorientierte Kommunikation;

Entwicklung von Indikatoren über den Geltungsbereich, die Prävalenz und Inzidenz von Gewalt, sexueller Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz;

jährlicher Überblick über Zielvorgaben im gleichstellungsorientierten Haushalt.

8.   Überwachung und Evaluierung

8.1.

Der EWSA schlägt vor, dass die Mitglieder mit anderen Mitgliedern der Plattform im Vorfeld der Umsetzung zwecks Ausbau der partnerschaftlichen Zusammenarbeit über die Handlungsverpflichtungen und Maßnahmen diskutieren. Anschließend würde ein Monitoringbericht erstellt, in dem die Tätigkeiten, Fristen, erhobenen Daten und wichtigsten Erkenntnisse zusammengestellt werden, damit sie von der Plattform analysiert und bewertet werden können. Diese Überprüfungen sollten auf objektive und unvoreingenommene Weise erfolgen, mit Belegen und qualitativen Bewertungen, welche die Relevanz für die Ziele der Plattform widerspiegeln. Externe Berater könnten zu diesem Zweck herangezogen werden, sofern es die verfügbaren Mittel erlauben, nach dem Vorbild der Bewertung der GD SANTE Plattform (siehe jährlicher Monitoringbericht 2016).

8.2.

Der EWSA schlägt vor, dass die Handlungszusagen von Anfang an gut konzipiert werden und für die Zielsetzungen relevant sind. Die Mitglieder sollten SMART-Verpflichtungen in Betracht ziehen, die eine umfassende Vorbereitung voraussetzen: Fristen, Zielvorgaben und Ziele im Hinblick auf effiziente Berichterstattung, leichte Überwachung und Kommunikation über die Umsetzung.

8.3.

Die Verpflichtungen erfordern von den Mitgliedern Arbeit und Engagement über ihre üblichen Aufgaben hinaus. Diese „Investition“ sollte einen Mehrwert für ihre interne Arbeit, über die soziale Verantwortung von Unternehmen hinaus, darstellen und der Außenwelt präsentiert werden als ihre Absicht, zu einer ausgewogenen Vertretung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt beizutragen. Ihre Handlungen sollten zum Zwecke der Nachahmung für andere zugänglich sein.

8.4.

Die Überprüfung der Tätigkeiten der Plattform sollte Anlass sein, die Vernetzung zu intensivieren und zum Erreichen der Zielsetzungen Hand in Hand zu arbeiten. Somit kann die Zahl der gemeinsamen Verpflichtungen erhöht werden, namentlich durch:

verstärkte Zusammenarbeit zwischen politischen Entscheidungsträgern, der hochrangigen Gruppe, den Mitgliedern der Plattform und ihren Verbänden, wodurch die Synergien für langfristige Beziehungen und Aktionen gestärkt und ggf. neue Strategien entwickelt bzw. ein entsprechender Beitrag dazu geleistet werden kann;

die weniger formale Entwicklung von Tätigkeiten außerhalb der Plattformstruktur, z. B. durch Einbeziehung derjenigen, welche die Kriterien für eine Mitgliedschaft nicht erfüllen;

die Verbesserung der Sichtbarkeit des Sektors und seiner Bemühungen um mehr Gleichstellung mit verbesserten Bedingungen für alle;

die Organisation externer Veranstaltungen zur Präsentation der Aktionen und um neue Beschäftigte, Innovationen oder Beiträge zum Verkehrssektor zu bekommen;

Lernen aus der stetigen Verbesserung als Kollektiv, Umsetzung neuer Arbeitsweisen und Förderung des Sektors.

Brüssel, den 26. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 1.


28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Digitalisierung und innovative Geschäftsmodelle im europäischen Finanzsektor — Auswirkungen auf Beschäftigung und Kunden“

(Initiativstellungnahme)

(2017/C 246/02)

Berichterstatter:TBL

Carlos TRIAS PINTÓ

Ko-Berichterstatter:TBL

Pierre GENDRE

Beschluss des Plenums

22.9.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständig

Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI)

Annahme in der CCMI

7.4.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

26.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

150/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Seit einigen Jahrzehnten machen das Banken- und Versicherungswesen aufgrund technischer Neuerungen, Regulierungsvorschriften und veränderter Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden einen tiefgreifenden Wandel durch. Neue Investitions-, Spar-, Versicherungs- und Geldtransfermodelle ermöglichen es den unterschiedlichsten Menschen, sich an Projekten verschiedener Größenordnung zu beteiligen.

1.2.

Unternehmen der Finanztechnologie (FinTech) und der Versicherungstechnologie (InsurTech) fungieren als Katalysatoren und häufig als Partner von Finanzdienstleistungsinstituten bei der Modernisierung derer Dienstleistungen durch die Verbindung von Stärken und Schwächen und die Schaffung gegenseitiger Synergien. Nach Ansicht des EWSA bietet die Förderung eines innovativen Ökosystems der sogenannten Coopetition (1) ein erhebliches Wertschöpfungspotenzial.

1.3.

Im Finanzsektor müssen unbedingt Vertrauen und Stabilität wiederhergestellt werden, wofür die Bewerkstelligung des Übergangs vom alten (dem traditionellen Bankensystem) auf das neue System grundlegend ist. In dieser Hinsicht dringt der EWSA darauf, im EU-Kontext des Integrationsprozesses der Bankenunion und des digitalen Binnenmarkts geeignete Rechtsvorschriften einzuführen, die Wachstum und Innovation ermöglichen und zugleich den Schutz von Konsumenten und Arbeitnehmern in der Finanzbranche gewährleisten.

1.4.

Um einen echten europäischen Finanzbinnenmarkt zu schaffen, sollte die Europäische Kommission eine Politik für gleiche Innovationsbedingungen betreiben. Generell sind weitgehend analoge Bedingungen im Hinblick auf die Regulierung, die Verbraucherrechte, die Arbeitsbedingungen und die Überwachungspflichten sowohl für die traditionelle Finanzbranche als auch für FinTech-Unternehmen notwendig, gemäß der Regel, dass gleiche Tätigkeit gleiche Regulierung und gleiche Überwachung erfordert. Im Einzelnen bedeutet das:

1.4.1.

Ein risikobasierter Regulierungsansatz sollte während des gesamten Innovationszyklus durchgängig gelten und einen verhältnismäßigen und vereinfachten Regelungsrahmen sowohl für etablierte als auch für neue Marktbeteiligte bieten, damit sie in Interaktion mit den Regulierungsbehörden neue Technologien und Geschäftsmodelle erproben können. Durch die Schaffung eines EU-Rahmens für die Erprobung in Zusammenarbeit mit Branchenvertretern und Interessenträgern im weiteren Sinne — einschließlich Verbraucher- und Arbeitnehmervertretern — würden die Instrumente für eine stärkere Förderung von Innovation bei allen Tätigkeiten in diesem Bereich (sozusagen ein „Sandkasten“ für FinTech-Innovation) bereitgestellt werden (2).

1.4.2.

Um die Bedingungen denen von Dritten anzugleichen, muss die Bearbeitung von Software als immaterielle Anlage betrachtet werden, damit die hohen IT-Investitionen, die in der EU ansässige Rechtspersonen bereits tätigen (nach dem Vorbild des Bankensystems in den USA und der Schweiz oder der Versicherungsbranche (3)), nicht vom harten Kernkapital abgezogen werden.

1.4.3.

Die Europäische Kommission, die Europäische Bankenaufsichtsbehörde und die Mitgliedstaaten müssen sich nachdrücklich zu einer harmonisierten und wirksamen Umsetzung der überarbeiteten Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) verpflichten, mit der unter besonderer Berücksichtigung der technologiebasierten sozialen Medien und der Schwergewichte der Branche sehr strenge Sicherheitsanforderungen für die Beauftragung und Abwicklung elektronischer Zahlungen sowie den Schutz der Finanzdaten der Verbraucher eingeführt werden.

1.4.4.

Im Rahmen des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen für Privatkunden (4) und der FinTech-Taskforce sollten die Herausforderungen und Risiken im Zusammenhang mit der Digitalisierung von Finanzdienstleistungen unter Gewährleistung einer engen Koordinierung zwischen der GD JUST und der GD FISMA sorgfältig geprüft werden, insbesondere in Bezug auf Fragen des Verbraucherschutzes, z. B., welche Arten von Daten zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit verwendet werden sollten und wie das Verständnis der vorvertraglichen Informationen und eine wirksame Identitätsprüfung durch ein Screening-Verfahren sichergestellt werden können.

1.4.5.

Die im Vorschlag für eine Änderung der Geldwäscherichtlinie enthaltenen Maßnahmen sollten unverzüglich umgesetzt werden (5), insbesondere jene gegen die Gefahren der Terrorismusfinanzierung im Zusammenhang mit virtuellen Währungen und den Risiken im Zusammenhang mit anonymen Vorausbezahldiensten.

1.4.6.

Crowdfunding und weitere Lösungen der Sharing Economy sollten ausgebaut werden, indem die Möglichkeiten der Einführung eines „Gütezeichens“ ausgelotet werden, um das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen und so besser virtuelle Gemeinschaften entwickeln zu können und die Interaktion zwischen kooperativen Kunden zu erleichtern.

1.4.7.

Die Einführung quelloffener Software-Lösungen im Finanzsektor sollte unterstützt werden, um den gesunden Wettbewerb am Markt zu stärken, die Kosten zu senken und Anbieterabhängigkeit in diesem Sektor zu vermeiden.

1.4.8.

Gleichzeitig müssen die Vorschriften für Peer-to-Peer-Kredite überarbeitet werden, um kleinere Bilanzen zu fördern.

1.4.9.

Hybridkredite (auf der Grundlage der Eigenkapitalanforderungen von Basel III) sollten von der Europäischen Kommission unterstützt werden.

1.5.

Der EWSA betont, dass die Digitalisierung niemals eine gute individuelle Beratung durch einen kompetenten Berater ersetzen darf (die Kundennähe im Bankwesen mit einem Netz bedarfsgerechter Geschäftsstellen darf nicht verschwinden!).

1.6.

Um FinTech zu verstehen, benötigen alle Beteiligten neue Kompetenzen: die Regulierungsstellen, die Aufsichtsbehörden, die Interessenträger im Finanzökosystem und die Bevölkerung als Ganzes. Um einen der größten potenziellen Vorteile von FinTech als treibender Kraft für die finanzielle Inklusion zu nutzen, müssen die EU-Mitgliedstaaten im Vorausblick auf die neuen Gegebenheiten die Vermittlung von Finanzwissen und die digitale Kompetenz stärken. Damit sollte bereits in der Schule mit Informationen über Finanzprodukte, die Art ihrer Online-Vermarktung und ihren Zusammenhang mit der Entwicklung des Internets der Dinge begonnen werden.

1.7.

Die Digitalisierung in der Finanzbranche gefährdet viele Arbeitsplätze, was die Arbeitnehmer zwingt, ihre Fachkenntnisse und Qualifikationen auf dem neuesten Stand zu halten. Der EWSA plädiert für eine Fach- und Weiterbildung auf zwei Ebenen: intern, indem die Arbeitnehmer neue Aufgaben übernehmen können und ein „Cross-over“ zwischen derzeit in „traditionellen Einrichtungen“ der Finanzbranche Beschäftigten und FinTech- bzw. InsurTech-Unternehmen ermöglicht wird, sowie extern, indem die Arbeitnehmer, die nicht in der Branche bleiben können, auf Arbeitsplätze in anderen Branchen vorbereitet werden.

1.8.

Der EWSA ist der Ansicht, dass mit dem Europäischen Sozialfonds spezielle Ausbildungsprogramme im Rahmen der neuen Leitinitiative „Koalition für digitale Kompetenzen und Arbeitsplätze (6) zwecks Weiterqualifizierung und Umschulung von Arbeitskräften des Finanzsektors gefördert werden sollten, um diese auf neue digitale Technologien vorzubereiten.

1.9.

Die Unternehmen sollten aus Sicht des EWSA Verhaltenskodizes und bewährte Verfahrensweisen für interne Regeln zur Begrenzung der Anforderung an die Arbeitnehmer, rund um die Uhr online zu sein, übernehmen und Leitlinien dafür aufstellen, dass die Arbeitnehmer nicht auch noch am Wochenende und im Urlaub arbeiten. Falls freiwillige Ansätze nicht funktionieren, empfiehlt der EWSA verbindliche Vorschriften in dieser Hinsicht.

1.10.

Rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung im Einklang mit den einschlägigen EU-Richtlinien über die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer sind für die Bewältigung all dieser Herausforderungen unabdingbar. Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass die Bestimmungen des geltenden Rechts und insbesondere die Rechte der Arbeitnehmervertreter, in innerbetriebliche Änderungen eingebunden zu werden, eingehalten werden.

1.11.

Der EWSA meint, dass der Vorschlag für eine Richtlinie über präventive Restrukturierung und eine zweite Chance verstärkt und ergänzt werden sollte, da dies dazu beitragen wird, Zugang zu Umstrukturierungsverfahren zu erhalten, bevor ein Unternehmen Insolvenz angemeldet.

2.   Eine konzentrierte und diversifizierte Branche im raschen Wandel

2.1.

Die Banken- und Versicherungsbranche in Europa weist eine Vielfalt auf, die von großen europa- oder sogar weltweit agierenden Einrichtungen sowie mehr oder weniger eigenständigen regionalen oder lokalen Strukturen mit einigen nationalen Besonderheiten geprägt ist. Obwohl in den meisten Mitgliedstaaten eine Phase der Konzentration stattgefunden hat, bleibt die Branche auf europäischer Ebene weiterhin fragmentiert. Die alten Grenzen zwischen Bankengruppen und großen Versicherungsgesellschaften sind durch die Schaffung von Finanzkonglomeraten beinahe verschwunden.

2.2.

Im neuen Umfeld volatiler Märkte und niedriger Zinsen, mit einem starken Regulierungsdruck, Aufsicht und Kontrolle — die dem Bankwesen infolge der Finanzkrise auferlegt wurde — in Verbindung mit digitalem Wandel und zunehmendem Wettbewerb (neue FinTech-Unternehmen) sowie neuen Konsumtrends schrumpfen die Ergebnisse des Bankensektors weiter dahin. Das Entstehen neuer Nichtbanken-Modelle in der digitalen Wirtschaft macht es erforderlich, das Zusammenspiel von vier Komponenten zu analysieren: traditionelle Banken, neue digitale Akteure, Regulierungsbehörden und Konsumenten.

2.3.

Im Takt mit der zunehmenden Internetnutzung bauen Banken Online-Filialen und virtuelle Niederlassungen auf, in denen die Kunden einfache Transaktionen durchführen und einen Berater kontaktieren können. Unternehmensstrategien zur drastischen Verringerung von Personalkosten und die schlechteren Bedingungen für die Kundenbetreuung vor Ort haben dazu geführt, dass weniger Kunden die Bankgeschäftsstellen aufsuchen, mit der Folge eines Filialsterbens in Europa.

2.4.

In der Versicherungsbranche existieren verschiedene Vertriebswege nebeneinander: angestellte Akquisiteure, Makler, Generalagenten, Allfinanz und für ein einziges Unternehmen tätige selbständige Versicherungsvertreter. Versicherungen werden immer häufiger online oder über Smartphones verkauft. Wie dominant die einzelnen Stränge dieser mehrkanaligen Vertriebsnetze sind, ist von Land zu Land und von Produkt zu Produkt unterschiedlich. Lebensversicherungen werden zum Beispiel hauptsächlich über Bankennetze vertrieben (sogenannte Allfinanz).

2.5.

Die verwendeten Zahlungsarten entwickeln sich ständig und tendenziell immer rascher weiter. Die Nutzung von Schecks und Bargeld hat seit Beginn der 1990er-Jahre drastisch abgenommen. Zugleich haben Zahlungen per Bankkarte, Lastschrift oder Überweisung zugenommen, die bessere Rückverfolgbarkeit, stärkere Kontrolle und mehr Sicherheit gewährleisten und zur Eindämmung der Schattenwirtschaft beitragen. Elektronische Zahlungen bieten mehr Anwendungsmöglichkeiten, vor allem für den Geldtransfer zwischen Einzelpersonen und die Zahlung von Sozialleistungen. Neue Akteure im Bereich des elektronischen Geldes werden im Online-Handel aktiv, während sich neben der Bankkarte neue Technologien entwickeln und etablieren, wie das kontaktlose Bezahlen. Des Weiteren muss der Entwicklung des Marktes für Kryptowährungen (u. a. Bitcoin) besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

3.   Technischer Fortschritt im europäischen Finanzsektor und neue Marktbeteiligte

3.1.

Innovation im Finanzwesen findet im Bereich des Internets statt: Online-Banking, Massendaten (Big Data), künstliche Intelligenz, Blockchain, Cybersicherheit usw. Daten werden mit hoher Geschwindigkeit ausgetauscht, wodurch Risikobewertungen und finanzielle Entscheidungsfindungen mithilfe von Algorithmen und Massendaten möglich werden.

3.2.

Dieser technische Umbruch und die Schwierigkeiten traditioneller Banken aufgrund von Eigenkapitalproblemen und zeitweiser Liquiditätsklemmen sowie die Entwicklung alternativer Vertriebswege, die nicht den für das Bankwesen geltenden gesetzlichen Pflichten unterliegen, haben den Weg für FinTech, InsurTech und Blockchain geebnet und gleichzeitig den Verbrauchern neue Möglichkeiten eröffnet, ihnen aber auch neue Risiken beschert.

3.3.

FinTech- und InsurTech-Unternehmen, deren Anzahl ständig wächst, führen die Bereiche Finanzen, Versicherungen und Technologie zusammen. Diese Unternehmen nutzen die Mittel, die die Technologie ihnen bietet, um Finanzprodukte innovativ zu vermarkten. Sie sind vor allem in den Bereichen Vermögensverwaltung, Kreditvergabe an Privatpersonen, Unternehmensfinanzierung und Online-Zahlungen im Aufwind. Auch bei der Beteiligungsfinanzierung (Crowdfunding und P2P) spielen sie über spezielle Plattformen eine immer größere Rolle und machen sich mobile Apps, virtuelle Währungen sowie elektronische Zahlungen per Internet oder Smartphone zunutze. Auf Banken und Versicherungen üben sie einen immer größeren Druck aus, da sie ihnen auf deren traditionellen Geschäftsfeldern Konkurrenz machen. Die größten Internet-Unternehmen, insbesondere die „GAFA“ (Google, Apple, Facebook, Amazon), sind ebenfalls mit der Entwicklung von Projekten für den Finanzmarkt beschäftigt, weil sie die Kontrolle über Big Data haben.

3.4.

Mit auf der Technik der dezentralen Transaktionsnetzwerke (Distributed Ledger Technology, DLT) basierenden Anwendungen könnte es möglich sein, eine neue Art des Vertrauens in eine breite Palette von Dienstleistungen zu schaffen. Die Blockchain-Technik zur Speicherung und Übertragung von Informationen funktioniert ohne zentrales Kontrollorgan, ist transparent und gesichert. Sowohl Unternehmen als auch Privatleute können dieses System nutzen, um bestimmte Transaktionen unter Umgehung des Finanzsektors durchzuführen, vor allem mithilfe von Kryptowährungen.

Auch PayPal bietet die Möglichkeit, Einkäufe in Fremdwährungen zu tätigen, ohne dafür Bankdaten angeben zu müssen.

3.5.

Mithilfe von FinTech können sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen Crowdfunding für spezielle Projekte nutzen, indem sie über dafür bestimmte Plattformen Finanzmittel in Form von Spenden, Krediten oder auch Kapitalbeteiligungen beschaffen. Über diese Plattformen werden Peer-to-Peer-Kredite, seien es Verbraucherkredite oder persönliche Darlehen, abgewickelt, ohne dabei die Banken einzuschalten. So können Privatpersonen Kleinstunternehmen und KMU direkt finanzieren. Durch die Plattformen kann das Risikokapital insbesondere für innovative Unternehmen ergänzt oder gefördert werden, und mit den zugehörigen mobilen Apps werden den Kunden die Finanzinformationen, die sie zur Verwaltung ihrer Ausgaben oder für Investitionsentscheidungen brauchen, in Echtzeit bereitgestellt.

3.6.

Diese neuen Marktbeteiligten stehen in Konkurrenz zu den traditionellen Geschäftsmodellen der Banken- und Versicherungsbranche, doch sowohl Banken als auch Versicherungsunternehmen beginnen, sich auf eine Koexistenz mit ihnen einzurichten. So sind einige bereits Kooperationen mit FinTech- und InsurTech-Unternehmen eingegangen, während andere eigene Tochterstrukturen aufgebaut haben. Zudem sind Investitionen in FinTech in den vergangenen Jahren rasant gestiegen, und dieses Interesse hat sich auch auf die InsurTech ausgeweitet.

4.   Sind die Kunden die Gewinner?

4.1.

Für Großunternehmen bringt die Anpassung an die Digitalisierung der Finanzdienstleistungen Änderungen mit sich, die sie bei laufendem Geschäft bewerkstelligen können. Bei vielen klassischen KMU und vor allem Kleinstunternehmen sieht dies jedoch ganz anders aus, da sie intern nicht über ausreichend Kenntnisse und Mittel verfügen, um sich problemlos in eine Finanzwelt einzufügen, die sich in einer Phase schnellen Wandels befindet.

4.2.

In der Ära des Internets und des Smartphones haben sich auch die Kundenprofile verändert. Deren Drang nach einer digitalen Abwicklung ihrer Bank- und Versicherungsgeschäfte hängt indessen von verschiedenen Faktoren wie ihrem Alter, ihrem Bildungsniveau und ihrem Beruf ab. Bei der Finanzberatung bleibt jedoch der direkte menschliche Kontakt auf der Basis der Kundenerfahrung notwendig, auch bei jungen Leuten.

4.3.

Virtuelle Zweigstellen, Online-Tochterunternehmen von Banken- oder Versicherungsgruppen bieten den Kunden mithilfe neuer Applikationen Zugang zu Finanzierungen, Darlehen und Versicherungsprodukten über das Internet oder das Smartphone. Für solche Angebote gelten günstigere Konditionen: eine kostenlose Bankkarte, Zinsvergünstigungen, ein Kontoeröffnungsbonus oder auch Rabatte für Versicherungen und Gegenseitigkeitsgesellschaften in Höhe von mehreren Monatsbeiträgen. Diese Kundenvorteile sind Teil der Übergangsphase zwischen dem traditionellen Geschäftsmodell der Banken, der Versicherungen und der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und einem neuen Modell, das aus der Digitalisierung hervortritt.

4.4.

Dieses neue Szenario bietet für den Verbraucher sowohl Risiken als auch Chancen:

leichterer Zugang zu Produkten, mehr/bessere Auswahl, Möglichkeiten für Preisvergleiche über Websites, stärker personalisierte, maßgeschneiderte Angebote, Verringerung der Transaktionskosten (Zeit und Geld) und erhöhte Sicherheit mittels neuer biometrischer Systeme zur Authentifizierung;

neue nützliche Produkte (z. B. Crowdfunding), aber auch zahlreiche neue Produkte, die komplex, undurchsichtig, schwer zu verstehen und riskant sind, z. B. Sofortkredite;

mögliche Schwierigkeiten bei der Bereitstellung vorvertraglicher Informationen/Offenlegung über neue Vertriebswege, z. B. über Smartphones aufgrund ihres kleinen Displays;

unzureichende Information über die mit Finanzprodukten verbundenen Risiken;

unzureichende Überwachung der Tätigkeiten neuer Marktbeteiligter im Finanzdienstleistungssektor bzw. Durchsetzung der für sie geltenden Vorschriften;

in einigen Fällen Rechtsunsicherheit bezüglich der Frage, welche Rechtsvorschriften für neue Marktbeteiligte gelten;

nicht regulierte Bereiche (z. B. automatisierte Beratung);

etwaige ungerechtfertigte Ungleichbehandlung/Ausgrenzung im Zusammenhang mit der Nutzung von Massendaten und dem Mangel an digitalen Kompetenzen;

Cybersicherheit.

4.5.

Digitalisierung sollte eigentlich zu mehr Transparenz bei der Verbreitung von Finanzprodukten führen, doch die scheinbare Vereinfachung der angebotenen Produkte verdeckt möglicherweise, dass in der Finanzbeziehung insgesamt ein Ungleichgewicht besteht. Die Nutzung von Algorithmen ist weder eine Garantie dafür, dass es keine verborgenen Nachteile gibt, noch dafür, dass die Angebote im Einklang mit den europäischen Standards stehen. Die Finanzbildung muss deshalb auch die Vermittlung von Wissen über Finanzprodukte im Hinblick auf die Art ihrer Online-Vermarktung umfassen.

5.   Andere Finanzierungsmöglichkeiten und Bedeutung des ethisch-verantwortungsvollen Finanzwesens

5.1.

Die starke Abhängigkeit der Unternehmen von der Bankenfinanzierung (mehr als 75 % in Europa im Vergleich zu 20 % in den USA) und das Fehlen einer Beteiligungskapitalkultur in Europa macht KMU (mehr als 98 % aller Unternehmen in Europa, die zwei Drittel der Arbeitnehmer beschäftigen und 58 % des gesamten Mehrwerts erwirtschaften) potenziell anfällig für Kreditklemmen, wie sie in den Jahren der weltweiten Finanzkrise aufgetreten sind. Deshalb müssen zusätzliche Möglichkeiten einer bankenunabhängigen Finanzierung und die damit — besonders im Falle von Krisen — einhergehenden Risiken geprüft werden.

5.2.

Für die Finanzierung von KMU gibt es, zusätzlich zu den Hilfen aus europäischen Fonds, eine Reihe von Alternativen, die dazu beitragen, die Entwicklung der Unternehmen zu verbessern und die Risiken zu reduzieren, um die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen durch die Senkung der üblichen Finanzierungskosten anzukurbeln, wie dies im Juncker-Plan vorgesehen ist.

5.3.

Ein sozial verantwortungsbewusstes, transparentes und nachhaltiges Bankenmodell und ein in der Realwirtschaft verankertes Finanzsystem, die für Stabilität sowie für sozialen und territorialen Zusammenhalt sorgen, müssen gestärkt werden. Nachhaltige Banken arbeiten gezielt nach einem Drei-Säulen-Modell (das Messgrößen für die finanzielle, soziale und umweltbezogene Leistung umfasst, um Projekte ohne negative externe Effekte zu finanzieren), indem sie den Aufbau einer engen Beziehung zu ihren Kunden und zu den im weiteren Sinn Betroffenen sehr wichtig nehmen.

5.4.

Für Genossenschaftsbanken und -versicherungen sowie Banken und Versicherungen auf Gegenseitigkeit steht seit langem die Wertschöpfung für alle Partner (das Stakeholder-Value-Prinzip) im Vordergrund, um ihre Geschäfte auszubauen. Dennoch haben auch sie Vorgehensweisen der klassischen kommerziellen Institute übernommen und sind in der Finanzkrise nicht ungeschoren davongekommen. Bisher scheint die Digitalisierung nicht in die Richtung einer Rückkehr zu ethischeren Geschäftspraktiken zu wirken, die den tatsächlichen Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechen.

6.   Auswirkungen auf Beschäftigung und Arbeitsbedingungen

6.1.

Der Ratingagentur Bloomberg zufolge wurden im Bankensektor seit der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 weltweit rund 600 000 Stellen abgebaut. Grund für diese massiven Stellenstreichungen ist hauptsächlich die Krise, aber auch der Digitalisierungsprozess.

6.2.

In Europa sind an die vier Millionen Menschen bei Banken und Versicherungen beschäftigt, drei Millionen davon bei Banken und knapp eine Million bei Versicherungen. Laut CitiGroup dürften im Bankensektor in Europa und den USA in den kommenden zehn Jahren rund 1,8 Mio. Arbeitsplätze gestrichen werden. In Europa, wo Banken derzeit rund 2,9 Mio. Arbeitnehmer umgerechnet in Vollzeitäquivalente beschäftigen, sollen bis 2025 davon nur noch 1,82 Mio. erhalten bleiben. Dieser Trend zeigt sich in den zahlreichen unlängst angekündigten Stellenstreichungen mehrerer großer europäischer Bankengruppen. In einigen Ländern ist in der Finanzbranche eine Tendenz zu Teilzeitarbeit und anderen Beschäftigungsformen zu beobachten.

6.3.

Hier sind aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen erforderlich, um die gegenwärtigen und künftigen Veränderungen für die betroffenen Arbeitnehmer zu bewältigen. Die Sozialpartner auf allen Ebenen spielen bei der Suche nach angemessenen Lösungen eine wichtige Rolle. Ein gutes Beispiel dafür ist der allgemeine Umschulungsfonds für alle betroffenen Bankangestellten in Österreich, der mittels Tarifverhandlungen auf Branchenebene eingeführt wurde und von der Wirtschaft und der öffentlichen Hand gemeinsam finanziert wird.

6.4.

Das sich fortsetzende Filialsterben geht mit einem Überdenken des Filialkonzepts je nach Art der betreffenden Kunden einher. Bereits vor den Filialschließungen hat die Zahl der Mitarbeiter durch die Automatisierung der Geschäftsprozesse abgenommen. Das Netz aus Generalagenten und Maklern der Versicherungsbranche hält trotz eindeutiger Schrumpfungstendenzen stand. Die Zahl der angestellten Akquisiteure wird zurückgehen.

6.5.

Auf dem Handelsparkett werden Kauf und Verkauf von Unternehmensanteilen, Devisen oder „Credit default swaps“ (Finanzderivate, mit denen der Verkäufer dem Käufer beim Ausfall einer dritten Partei Garantien einräumt) immer häufiger von Computern abgewickelt.

6.6.

Gestützt auf Big Data ist eine neue kognitive Plattform, die von einer großen Bankengruppe erprobt wurde, in der Lage, in natürlicher Sprache gestellte Fragen zu einem breiten Themenspektrum zu beantworten und Kundenberatern vorgefertigte Antworten zu liefern. Diese Technologie lässt sich sowohl im Banken- als auch im Versicherungswesen als virtueller Assistent nutzen. Das Verkaufspersonal könnte als erstes von den Auswirkungen betroffen sein.

6.7.

Die Arbeitsbedingungen sind instabil geworden und der Fortbildungsbedarf ist stark gestiegen. Dabei gilt es, den Arbeitnehmern sowohl die notwendigen Kompetenzen im digitalen Bereich zu vermitteln als auch ihnen im Falle beruflicher Mobilität Zugang zu anderen Stellen zu ermöglichen.

6.8.

Da sich die von den Arbeitnehmern benötigten Instrumente sowie ihre Fertigkeiten und Kompetenzen durch den digitalen Fortschritt radikal ändern werden, müssen sich die Unternehmen darauf einstellen, in die kontinuierliche Weiterentwicklung von Fertigkeiten und Qualifikationen zu investieren. Tarifverhandlungen und sozialer Dialog müssen sich auf die Bedeutung der Anpassung der Berufsbildung an den künftigen Bedarf konzentrieren und diese möglich machen sowie detailliert über die Art und Weise informieren, in der die neue Technologie bereits in der Branche genutzt wird. Welche Fertigkeiten die Angestellten im Finanzsektor für die Zukunft benötigen und wie diese Kompetenzen vermittelt werden können, sollte von Fall zu Fall geprüft werden.

6.9.

Die Sorgen über Arbeitsdauer und -zeiten in der aufkommenden digitalen Arbeitswelt sowie über den erheblichen Stellenabbau, der bereits im Gange ist, wachsen. Es ist nicht zu übersehen, dass mehr Finanzaktivitäten innerhalb der EU und außerhalb Europas in Länder mit niedrigen Personalkosten und geringer sozialer Absicherung verlagert werden.

6.10.

Es ist wichtig, dass digitale Lösungen immer den Menschen dienen und dazu beitragen, die sozialen Standards und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Der sektorale soziale Dialog muss auf allen Ebenen, einschließlich der europäischen, vertieft werden, um die bestmöglichen Lösungen zu finden und somit sozialen Unfrieden zu vermeiden. Sowohl auf Branchenebene als auch in den einzelnen Unternehmen müssen sich die Arbeitgeber um Verhandlungen mit den Gewerkschaftsvertretern bemühen, um sicherzustellen, dass wirksame Maßnahmen in Bezug auf Einkommen, Arbeitsbedingungen, sozialen Schutz, Fortbildung und Hilfestellung bei der internen geografischen und beruflichen Mobilität sowie bei der externen Stellenvermittlung ergriffen werden. Diese Maßnahmen müssen so weit wie möglich vor einer Umstrukturierung ansetzen, nicht erst, wenn die ersten Arbeitsplätze verloren gehen.

6.11.

Durch eine kontrollierte Digitalisierung des Finanzsektors müssen gute Arbeitsplätze erhalten und die Beziehungen zum Kunden verbessert werden, wobei dieser nach wie vor ausreichenden Zugang zu einer auf ihn zugeschnittenen Finanzberatung haben muss. Zudem müssen dabei die effektive Sicherheit der Transaktionen und ein wirksamer Schutz der personenbezogenen Daten sowohl für Kunden als auch für Arbeitnehmer gewährleistet werden. Arbeitnehmer und Kunden von Finanzdienstleistungen müssen über die sie vertretenden Verbände einbezogen werden, damit ihre einschlägigen Praxiskenntnisse genutzt werden können.

7.   Regulierung und Überwachung

7.1.

Die zunehmende Komplexität von Finanzprodukten und die Geschwindigkeit der Datenverarbeitung führen — zusammen mit anonymen, automatisierten Vermarktungs-, Benachrichtigungs- und Beratungsdiensten — zu Hochrisikosituationen, die der Eigentümer der angelegten bzw. investierten Mittel häufig nicht beurteilen oder kontrollieren kann. Der EWSA sieht mit Besorgnis, dass die Risikomodelle unzulänglich und für eine ordentliche Bewertung der Risikoprofile verschiedener Arten unbesicherter Investitionen ungeeignet sind.

7.2.

Nach Ansicht des Präsidenten der französischen Zentralbank muss die Digitalisierung des Finanzsektors mit einer Regulierung einhergehen, die so anpassbar ist, dass sie Innovationen nicht abwürgt, und die weiterhin ein hohes Maß an Transaktionssicherheit und Verbraucherschutz garantiert. In dieser Hinsicht müssen nach Auffassung des EWSA sowohl für die traditionelle Finanzbranche als auch für die neuen FinTech-Unternehmen/-Geschäftsmodelle gleich hohe Standards gelten.

7.3.

Die zweite Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) ist eine der wichtigsten Regulierungsinitiativen, die die Marktstruktur und die Geschäftsmodelle ändern wird. Die Unternehmen sollten die Regulierungsmaßnahmen als eine strategische Gelegenheit auffassen.

7.4.

Mit den neuen Bestimmungen zu digitalen Zahlungen (PSD2) soll das Sicherheitsniveau von Online-Transaktionen erhöht werden, um die dabei derzeit vorkommenden Betrugsfälle einzudämmen.

7.5.

Mit der neuen EU-Geldwäscherichtlinie sollen neue Sorgfaltspflichten betreffend die Überprüfung der Kunden in Kraft treten, zusammen mit neuen Pflichten zur Meldung verdächtiger Transaktionen und zum Speichern von Zahlungen.

7.6.

Mit dem aktualisierten Rahmen über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (CPC-Verordnung) erhalten die einzelstaatlichen Behörden mehr Befugnisse für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze und wird die nötige Koordinierung unter den Mitgliedstaaten verbessert.

7.7.

Mit der Umsetzung der im Rahmen von Solvabilität II für Versicherungsunternehmen festgelegten Rechtsvorschriften und der von Basel III/CRD IV für Banken ergriffenen Maßnahmen stellt sich die Frage, wie ein ergänzender Regulierungsansatz den Risiken, denen sich neue Akteure im Finanzsektor gegenübersehen, und ihren Auswirkungen auf diese Branche insgesamt Rechnung tragen kann.

7.8.

Nach den von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde 2016 durchgeführten Stresstests unterbreitet die Kommission nun Vorschläge, die die aktuelle, im Basler Ausschuss über strengere Eigenkapitalanforderungen geführte Debatte widerspiegeln. Die eingeführten universellen Standards sollten je nach Größe und Art der Kreditinstitute und Finanz-Start-ups verhältnismäßig sein. Der EWSA begrüßt das jüngste Vorschlagspaket der Kommission (7).

7.9.

Infolge der Finanzkrise haben Direktinvestitionsfonds, namentlich Schattenbanken, in den letzten Jahren gute Geschäfte gemacht. Die Auswirkungen, die die Digitalisierung auf die Aktivität solcher Fonds hat, sollten nicht zu Regelungslücken führen, die die Stabilität des Finanzsektors gefährden könnten.

7.10.

Angesichts der Unzulänglichkeit der traditionellen Risikobewertungsmodelle, mit denen sich unbesicherte Finanzierungsmodelle nicht angemessen bewerten lassen, sollten die europäischen Finanzaufsichtsbehörden die Kontakte zu jungen FinTech-Unternehmen intensivieren, denn sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass FinTech auch seitens der Aufsichtsbehörden neue Kompetenzen erfordern.

Brüssel, den 26. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Englisches Kofferwort aus cooperation und competition — nicht nur Wettbewerb, sondern auch Zusammenarbeit und Partnerschaft.

(2)  Die Kommission erwägt eine einheitliche unionsweite Zulassung, die es Technologieunternehmen im Finanzdienstleistungssektor gestattet, europaweit zu operieren, sowie die Schaffung eines paneuropäischen „Sandkastens“ bzw. eines speziellen Regelungsrahmens für die gesamte Union.

(3)  Siehe Anforderungen der Richtlinie „Solvabilität II“.

(4)  Veröffentlicht am 23. März 2017, COM(2017) 139 final, Aktionsplan Finanzdienstleistungen für Verbraucher, einschließlich einer öffentlichen Konsultation zu FinTech.

(5)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 121.

(6)  https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/digital-skills-jobs-coalitionbargaining and soc.

(7)  Stellungnahme des EWSA (ECO/424) zum Thema „Reform des Bankwesens — Eigenkapitalanforderungen und Änderungen des Abwicklungsrahmens“ (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).


Glossar

Bancassurance (Allfinanz): Verkauf von Versicherungsleistungen über das Geschäftsnetz von Banken. Diese Art der strategischen Partnerschaft bringt Netze zusammen und erzeugt geschäftliche Synergien.

Big Data: Speicherung und Verarbeitung großer Datenmengen mit hoher Übertragungsgeschwindigkeit. „Analytics“ bezieht sich auf die Umwandlung von Daten in Informationen mit mathematischen und statistischen Methoden für die Beschlussfassung im Finanzwesen.

Big Tech: Technologieriesen wie Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA), die sich anschicken, mit ihrer erheblichen Marktmacht im Bankgeschäft mitzumischen.

Bitcoin: virtuelle Währung in der Erprobungsphase, die mehr und mehr auf dem Markt akzeptiert wird.

Blockchain: eine Technologieplattform, die das Bitcoin-Zahlungssystem unterstützt. Sie enthält eine sehr leistungsfähige Datenbank, die für Finanzen oder für verschiedene andere Zwecke genutzt werden kann.

Cloud: Modelle zur Bereitstellung von Dienstleistungen über das Internet.

Crowdfunding: eine Art der Finanzierung über Internetplattformen, die Unternehmer und Kapitalgeber miteinander in Kontakt bringen. Es gibt auch Plattformen, die die Unternehmer verpflichten, im Gegenzug für die Investition einen Unternehmensanteil anzubieten (Crowdinvesting).

Crowdlending: Form der Finanzierung über das Internet für Unternehmer, die einen Kredit von einer Gruppe von Personen erhalten, der mit einem festgelegten Zinssatz zurückzuzahlen ist.

Cybersicherheit: Systeme, die Schutz gegen Cyberangriffe und Datendiebstahl bieten und darüber hinaus das Verbrauchervertrauen erhöhen und sichern.

Digitalisierung: Dies betrifft die Technik insgesamt (Internet, Mobiltechnik, Big Data, Blockchains, künstliche Intelligenz, Cloud-Computing, Robotik, Cybersicherheit), wenn sie auf neue Modelle der Kundenbeziehung und auf die Abwicklung der Transaktionen von Banken und Versicherungsgesellschaften angewandt wird. Die Technik ist ein Mittel zur Verwirklichung der Digitalisierung und kein Selbstzweck.

Disruption: digitaler Wandel ist nicht möglich ohne ein neues Organisations- und Denkmodell. Innovation ist grundlegend für die Wettbewerbsfähigkeit dieser umfassenden Banksparte. Der Wandel beginnt bei den Menschen.

Exponential-Banking: verwendet Exponentialtechniken (die infolge der digitalen Revolution verfügbar wurden), um die Bandbreite und Qualität von Finanzdienstleistungen zu verbessern und die Kosten zu senken.

FinTech/InsurTech: innovative Start-up-Unternehmen, die neuartige Bank- und Versicherungsdienstleistungen preisgünstig anbieten.

Hybridkredite: eine Kombination der Kreditvergabe durch Banken und private Bankkunden. Dies ermöglicht es den Banken, ihr Geschäftsvolumen zu vergrößern, ohne ihre Bilanz signifikant zu erhöhen, gleichzeitig aber ihre Kunden und Mitinvestoren zufrieden zu stellen.

Konnektivität: Infolge des technischen Fortschritts kann man heutzutage überall rund um die Uhr vernetzt sein. Dies ermöglicht es Arbeitnehmern, flexibler zu arbeiten, da sie ihre Tätigkeit von zu Haus oder von einem anderen Ort aus (Telearbeit, Smart Working), auch in Teilzeit, ausüben können. Junge Leute sind an diese Form des Arbeitens bereits gewöhnt und sehen einen Vorteil darin, verschiedene Optionen sinnvoll einsetzen zu können.

Kundenerfahrung: Aufbau einer gründlichen Kenntnis über jeden einzelnen Kunden, wobei dessen Erfahrungen in allen Bereichen der Interaktion mit der Bank personalisiert wird. Soziale Netze und Web-Plattformen sind dabei grundlegende Elemente.

Künstliche Intelligenz: eine lernfähige Maschine. „Robo-Advisor“ ist eine digitalisierte Form der Finanzberatung, die ähnlich wie das menschliche Gehirn funktioniert.

Mehrkanalsystem: effiziente Kombination aus der Nutzung digitaler und persönlicher Kanäle für Bankgeschäfte. Der Kunde steht im Mittelpunkt des Geschäfts.

Millennials: die erste Generation von „Digital Natives“, also Angehörige der Jahrgänge von 1980 bis 2000, die 2025 rund 75 % der Arbeitskräfte ausmachen werden. Sind üblicherweise nicht in Bankzweigstellen anzutreffen.

MINT: das Studium von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. Die Berufe, die gegenwärtig im Aufwind sind, hängen mit diesen Studienrichtungen zusammen, und digitale Kompetenzen sind überall unentbehrlich. Der Ausbildung kommt daher Priorität zu.

Neo-Banken: Sie brauchen keine Banklizenz für ihre Geschäfte: Sie widmen sich der Entwicklung von Software auf der Grundlage der Infrastruktur einer bestehenden Bank.

RegTech: innovative Technologien, die dazu dienen, die Rechtsbefolgung zu erleichtern und die dazu nötigen Kosten und Mittel zu reduzieren. Digitale Regulierung und Aufsicht ist eine Herausforderung für den Finanzsektor (gleiche Ausgangsbedingungen müssen hergestellt werden).

Wissensnomaden: neue Art von Fachleuten, die in ihrem Wissen ihren Beitrag sehen und denen daher die Freiheit, sich ihre Arbeit und ihre Zeit selbst einteilen zu können, sehr wichtig ist.

Zahlungsarten: Aus dem elektronischen Handel kommend, ist die Bezahlung am Terminal beim Händler (point of sale, POS) die weltweit am meisten verbreitete mobile Art des Bezahlens. Zu diesen Systemen gehört auch die Option PayPal, und die technischen Betreiber sind Samsung Pay, Apple Pay u. a. Bezahldienste nach dem Peer-to-Peer-Prinzip (P2P) sind eine echte Alternative für Menschen, die in Ländern mit einem schwach entwickelten Bankwesen leben. Heutzutage sind Apps für Mobile Payment Teil des Alltags.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

525. Plenartagung des EWSA vom 26./27. April 2017

28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/18


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 560/2014 des Rates vom 6. Mai 2014 zur Gründung des Gemeinsamen Unternehmens für biobasierte Industriezweige“

(COM(2017) 68 final — 2017/0024 (NLE))

(2017/C 246/03)

Hauptberichterstatter:

Mihai MANOLIU

Befassung

Rat, 21.3.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 187 und 188 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Beschluss des Präsidiums

28.3.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung am

27.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

160/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass der Vorschlag zur Änderung der Verordnung des Rates darauf abzielt, deren Bestimmungen zu verbessern und zu straffen, um die Ziele des Gemeinsamen Unternehmens für biobasierte Industriezweige (BBI) zu erreichen. Dieser Änderungsvorschlag steht im Einklang mit den ursprünglichen Zielen und den bestehenden politischen Vorgaben.

1.2.

Der EWSA ist der Ansicht, dass mit dem Gemeinsamen Unternehmen BBI nach Synergien mit anderen Unionsprogrammen in Bereichen wie Kohäsionspolitik, Bildung, Umwelt, KMU, Wettbewerbsfähigkeit und der Politik zur ländlichen Entwicklung gesucht wird, indem die regionalen und nationalen Forschungs- und Innovationskapazitäten in Verbindung mit den derzeitigen Strategien und Maßnahmen zur intelligenten Spezialisierung gestärkt werden.

1.3.

Die Europäische Kommission steht in ständigem Kontakt mit dem Konsortium für biobasierte Industriezweige (Bio-based Industries Consortium, „BIC“), etwa mittels Konsultationen und Beratungen über die Modalitäten für die Leistung des finanziellen Beitrags der Mitglieder des Gemeinsamen Unternehmens BBI. Der Änderungsvorschlag hat keine Auswirkungen, die über die ursprünglich von der Ratsverordnung erwarteten hinausgehen; die vorgesehenen Änderungen sind lediglich technischer Art, weshalb es für diese Initiative keiner Folgenabschätzung bedarf.

1.4.

Der EWSA begrüßt die mit diesem Vorschlag verbundene Verringerung des Verwaltungsaufwands für das BIC im Zusammenhang mit seiner Rolle als Vermittler zwischen den Konsortiumsmitgliedern, die finanzielle Beiträge leisten müssen, und den Projektteilnehmern. Das BIC bleibt letztlich auch in Zukunft für die Übermittlung des Gesamtbetrags der Finanzbeiträge seiner Mitglieder verantwortlich.

1.5.

Der EWSA billigt die wesentlichen Klarstellungen, die in der neuen Verordnung enthalten sind:

Finanzbeiträge werden auf zweierlei Art und Weise geleistet werden können: durch Zahlungen des BIC an das Gemeinsame Unternehmen BBI (wie bisher) und/oder durch unmittelbare Zahlungen eines Konsortiumsmitglieds an einen Begünstigten eines Projekts;

es werden zusätzliche Parteien aufgenommen, die einen Finanzbeitrag leisten können (konstituierende Rechtspersonen des BIC);

die Verpflichtung zur Leistung des Gesamtfinanzbeitrags wird aufrechterhalten;

die Konsortiumsmitglieder erhalten die Möglichkeit, die finanziellen Beiträge anzugeben, die sie auf Projektebene geleistet haben.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Konzept der biobasierten Industriezweige Teil des großen Bereichs der Bioökonomie ist, d. h. der Erzeugung und Gewinnung erneuerbarer biologischer Ressourcen und ihrer Umwandlung in Produkte, die auf der Grundlage biologischer Elemente erzeugt wurden, etwa Nahrungsmittel, Futtermittel oder Bioenergie. Drei Viertel der landwirtschaftlichen Flächen der EU werden zu diesem Zweck genutzt; zwischen 17 und 19 Mio. Europäer arbeiten in diesem Bereich, dessen Umsatz sich auf 2 000 Mrd. EUR beläuft. Die wissensbasierten Unternehmen der Bioökonomie haben einen Umsatz von 57 Mrd. EUR und ca. 305 000 Beschäftigte (2009).

2.2.

In Europa kann die Bioökonomie zur Entwicklung beitragen, Mehrwert sowie neue, sichere und gute Arbeitsplätze schaffen, die Abhängigkeit von Einfuhren erheblich verringern, zur optimalen rationellen Nutzung der begrenzten, aber erneuerbaren biologischen Ressourcen beitragen und den weltweiten Handel erheblich fördern.

2.3.

Häufig lässt sich feststellen, dass die verschiedenen Technologien und Nutzungsarten der biologischen Ressourcen auf verschiedenen Ebenen miteinander konkurrieren. Dieses Problem wird durch die begrenzte Verfügbarkeit dieser Ressourcen noch verstärkt. Einerseits kann die Bioökonomie erheblich zum Erreichen des Ziels der Verringerung des von CO2-Emissionen verursachten Treibhauseffektes beitragen, was sich positiv auf die öffentliche Gesundheit auswirkt. Andererseits gibt es auch unerwünschte Folgen in Form zusätzlicher Treibhausgasemissionen, deren Auswirkungen auf die Umwelt nicht zu unterschätzen sind.

2.4.

Der politische Rahmen auf europäischer Ebene für die Bioökonomie verteilt sich auf mehrere Politikbereiche: Landwirtschaft, Fischerei, Wälder, Klima, Kreislaufwirtschaft und Forschung, Bereiche also, die von verschiedenen Rechtsakten und sektorspezifischen Maßnahmen abgedeckt werden (1).

2.5.

Seit 2012 wird jedoch mittels einer umfassenden Strategie für biobasierte Industriezweige versucht, eine gewisse Kohärenz der Maßnahmen zu gewährleisten. Allerdings scheint es auch weiterhin einen gewissen Mangel an Kohärenz zu geben. Die EU finanziert innovative Aktivitäten im Bereich der Bioökonomie durch das Forschungsrahmenprogramm „Horizont 2020“ und eine Reihe weiterer Finanzierungsinstrumente. Der EWSA hält es für notwendig, in diesem Bereich Nachhaltigkeit und eine kohärente Politik zu gewährleisten.

2.6.

Die Bedeutung der möglichen Einrichtung einer öffentlich-privaten Partnerschaft für biobasierte Industriezweige in Form einer Technologieinitiative wird in mehreren Mitteilungen der Kommission hervorgehoben (2).

2.7.

Rechtsgrundlage für diesen Änderungsvorschlag sind die Artikel 187 und 188 AEUV. Da die Mitgliedstaaten nicht alleine handeln können, obliegt die Änderung des Rechtsrahmens dieses gemeinsamen Unternehmens der EU. Mit diesem Vorschlag sollen die Bestimmungen der Ratsverordnung dahingehend geändert werden, dass den Konsortiumsmitgliedern eine konkrete Möglichkeit geboten wird, ihrer Verpflichtung zur Leistung des Finanzbeitrags nachzukommen. Der Vorschlag entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Diese Änderung wurde auch deshalb notwendig, da es keinerlei Möglichkeit gibt, die Verordnung des Rates dahingehend auszulegen, dass Finanzbeiträge auch auf Projektebene geleistet werden können.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.

Im Jahr 2012 nahm die Europäische Kommission auf der Grundlage des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation eine Strategie für die Bioökonomie an, die darauf abzielt, die politische Kohärenz zwischen den verschiedenen einschlägigen Maßnahmen und den entsprechenden Zielen sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene sicherzustellen. Dieses Vorgehen wurde als notwendig angesehen, damit es mehr öffentliche Mittel und private Investitionen für die Biowirtschaft gibt. Partizipative Steuerungsmodelle wurden festgelegt. Mit dieser Strategie wurde die Grundlage für einen Aktionsplan mit 12 Maßnahmen gelegt, die sich auf folgende drei wesentliche Themen beziehen:

Investitionen in Forschung, Innovation und die Entwicklung von Fähigkeiten;

stärkere politische Zusammenarbeit und Einbeziehung der Interessenträger;

günstige Bedingungen für den Markt und die Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen der Bioökonomie.

3.2.

Die ergriffenen Maßnahmen bezweckten die Einrichtung eines Verbandes der Interessenträger in der Biowirtschaft sowie einer Beobachtungsstelle für bioökonomische Aktivitäten und sie förderten das Entstehen neuer Märkte durch die Festlegung von Normen, insbesondere im Hinblick auf Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit, und indem die Wissensbasis geschaffen wurde, die für eine nachhaltige Intensivierung der Primärproduktion nötig ist. Die Überprüfung und Aktualisierung dieser Strategie war für das Jahr 2017 vorgesehen.

3.3.

Der Vorschlag der Kommission enthält eine technische Änderung des derzeitigen Dokuments, nämlich der Verordnung (EU) Nr. 560/2014 des Rates zur Gründung des Gemeinsamen Unternehmens für biobasierte Industriezweige.

3.3.1.

Das Gemeinsame Unternehmen BBI ist eine Einrichtung, die mit der Umsetzung einer öffentlich-privaten Partnerschaft betraut ist und deren Mitglieder die EU, vertreten durch die Kommission, und das Konsortium für biobasierte Industriezweige (Bio-based Industries Consortium, „BIC“) sind. Zweck des Gemeinsamen Unternehmen BBI ist die Umsetzung der gemeinsamen Technologieinitiative für biobasierte Industriezweige bis zum 31. Dezember 2024.

3.3.2.

Angesichts der Schwierigkeiten des Konsortiums, seinen Finanzbeitrag auf die Art und Weise zu leisten, die in der Ratsverordnung vorgesehen ist, wird — zusätzlich zu der bestehenden Möglichkeit der Beitragsleistung auf Programmebene — die Einführung der Möglichkeit vorgeschlagen, finanzielle Beiträge auf Projektebene zu leisten. Dies ist eine effektive Lösung, die der Verwirklichung der ursprünglichen Ziele der Ratsverordnung dient, da den Konsortiumsmitgliedern die Möglichkeit gegeben wird, ihre ursprünglichen Zusagen einzuhalten. Sie entspricht der Vorgehensweise beim Gemeinsamen Unternehmen IMI2 (Gemeinsame Technologieinitiative für innovative Arzneimittel 2), bei dem andere Mitglieder als die Union finanzielle Beiträge sowohl auf Programmebene (normalerweise Trusts und gemeinnützige Organisationen) als auch auf Projektebene (kommerzielle Unternehmen) leisten können. Diese Änderung ist nicht Teil des REFIT-Programms.

3.4.

Das Gemeinsame Unternehmen „Biobasierte Industriezweige“ bezweckt die Einrichtung einer öffentlich-privaten Partnerschaft bestehend aus einerseits der EU, vertreten durch die Kommission, und andererseits dem Konsortium für biobasierte Industriezweige (BIC), das mit der Verordnung (EU) Nr. 560/2014 des Rates eingerichtet wurde. Mit dieser Partnerschaft soll die gemeinsame Technologieinitiative für biobasierte Industriezweige im Einklang mit dem Statut des Gemeinsamen Unternehmens für biobasierte Industriezweige bis spätestens 31. Dezember 2024 umgesetzt werden.

3.5.

In Artikel 3 der Verordnung des Rates werden konkrete Beiträge für jedes Mitglied des gemeinsamen Unternehmens sowie die unter den Mitgliedern aufzuteilenden Verwaltungskosten und operativen Kosten festgelegt, ebenso wie nicht bezifferte Sachbeiträge für die Durchführung der indirekten Maßnahmen sowie Sachbeiträge für die Durchführung zusätzlicher Tätigkeiten. Aus der Auslegung des Statuts geht klar hervor, dass der Beitrag der BIC auf Programmebene in den Haushaltsplan des Gemeinsamen Unternehmens BBI einfließen muss. Die konstituierenden Rechtspersonen der anderen Mitglieder als der Union, diejenigen also, die sich an der Durchführung indirekter Finanzierungsmaßnahmen beteiligen, müssen sich unmittelbar an diesen indirekten Maßnahmen auf Projektebene beteiligen.

3.6.

Viele Mitglieder der BIC haben Schwierigkeiten mit der Art und Weise, wie dieser Beitrag geleistet werden kann. Sie vertreten die Auffassung, dass sich finanzielle Beiträge auf der Programmebene wirtschaftlich nicht lohnen, da hierdurch — insbesondere bezüglich der Ergebnisse der Projekte und der damit verbundenen Rechte des geistigen Eigentums — keine Gewinne garantiert werden, und da die Leistung von Beiträgen auf Programmebene dazu führen könnte, dass ein Mitglied der BIC diesen Beitrag zugunsten seiner eigenen Konkurrenten leistet. Daher wird eine alternative Art des finanziellen Beitrags vorgeschlagen, nämlich die Zahlung des Beitrags auf Projektebene, bei der die Ergebnisse des Projektes den Teilnehmern zugutekommen, die einen finanziellen Beitrag zu dem Projekt geleistet haben; diese Vorgehensweise beeinträchtigt die Interessen der Union nicht. Die Interessen der biobasierten Wertschöpfungsketten sollten gewahrt werden, darunter die der KMU, der Forschungs- und Technologiezentren und der Hochschulen.

3.7.

Der Finanzbeitrag der anderen Mitglieder des Gemeinsamen Unternehmens BBI muss folgende Anforderungen erfüllen:

die Leistung eines finanziellen Beitrags auf Programmebene gilt nur für das Gemeinsame Unternehmen BBI;

das derzeitige Modell des Unternehmens eignet sich für den Ausbau der Zusammenarbeit mit Trusts und gemeinnützigen Organisationen;

der Rechtsrahmen des Gemeinsamen Unternehmens BBI sollte angepasst werden, um die Zusammenarbeit mit gewerblichen Unternehmen zu fördern.

3.8.

Gemäß diesem Vorschlag haben die Konsortiumsmitglieder weiterhin die Möglichkeit, finanzielle Beiträge auf Programmebene zu leisten. Außerdem können Konsortiumsmitglieder ihren finanziellen Beitrag unmittelbar an einen anderen Teilnehmer desselben Projekts leisten, im Einklang mit den vereinbarten Regeln (Konsortialvereinbarung), dem geltenden Rechtsrahmen [(Finanztransfer von den Konsortiumsmitgliedern an das Konsortium) und (Finanztransfer von den Konsortiumsmitgliedern an die Begünstigten der Projekte)], und ihrem nationalen Recht und ihren üblichen Rechnungslegungsverfahren. Das BIC wird für die Übermittlung des Gesamtbetrags der erhaltenen Finanzbeiträge verantwortlich sein.

3.9.

Die Musterfinanzhilfevereinbarung für das Gemeinsame Unternehmen BBI wird entsprechend geändert. Es wird darauf hingewiesen, dass dieser Änderungsvorschlag weder Auswirkungen auf den Schutz der Grundrechte noch auf den Haushalt hat. Es wird davon ausgegangen, dass eine Kürzung des Budgets in erster Linie Hochschulen und die einschlägigen KMU treffen würde, da der Beitrag der Union in erster Linie der Forschung und Innovation dienen soll.

3.10.

Die Änderung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Es sind keine erläuternden Dokumente erforderlich.

Brüssel, den 27. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  GAP (Gemeinsame Agrarpolitik), EU-Forststrategie, GFP (Gemeinsame Fischereipolitik), Strategie Europa 2020, Aktionsplan der EU für die Kreislaufwirtschaft, 50 Netzwerke des Europäischen Forschungsraums und drei Initiativen für die gemeinsame Planung.

(2)  COM(2012) 60 final: „Innovation für nachhaltiges Wachstum: eine Bioökonomie für Europa“; COM(2014) 14 final: „Für ein Wiedererstarken der europäischen Industrie“; COM(2013) 494 final: „Öffentlich-private Partnerschaften im Rahmen von ‚Horizont 2020‘: ein leistungsstarkes Instrument für Innovation und Wachstum in Europa“; COM(2012) 79 final: „Europäische Innovationspartnerschaft ‚Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit‘“.


28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Überwachung von Barmitteln, die in die Union oder aus der Union verbracht werden, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1889/2005“

(COM(2016) 825 final — 2016/0413 (COD))

(2017/C 246/04)

Berichterstatter:

Javier DOZ ORRIT

Ko-Berichterstatter:

Mihai IVAȘCU

Befassung

Europäisches Parlament, 19.1.2017

Rat der Europäischen Union, 19.1.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

6.4.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

154/4/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass die Bekämpfung des Terrorismus und der Terrorismusfinanzierung sowie der Geldwäsche und anderer, damit im Zusammenhang stehender Formen von Wirtschaftskriminalität eine ständige Priorität der EU-Politik sein sollte.

1.2.

Der EWSA unterstützt die Maßnahmen, die im Kommissionsvorschlag genannt werden, mit dem die vorherige Verordnung von 2005 aufgehoben wird, und deren Ziel es ist, den ordnungspolitischen Rahmen an die aktuelle Situation anzupassen und die in verschiedenen Studien zur Umsetzung der Verordnung festgestellten Mängel zu beheben.

1.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Ausweitung des Umfangs der Kontrollen und der Befugnisse der Behörden zur Durchführung von Kontrollen und zur Beschlagnahme im Falle begründeter Hinweise auf unrechtmäßige Tätigkeiten die Aufdeckung einer größeren Zahl von Betrugsfällen sowie die Erfassung zusätzlicher Informationen ermöglichen wird.

1.4.

Der EWSA hält es für erforderlich, die Zusammenarbeit sowohl zwischen den zuständigen Behörden als auch zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern, damit die Anwendung der neuen Verordnung größtmögliche Wirkung zeitigt. Der Ausschuss fordert alle Mitgliedstaaten auf, ihre Datenbanken im Bereich der Terrorismusbekämpfung Europol zur Verfügung zu stellen. Die Kommission sollte auch Maßnahmen der Zusammenarbeit fördern, damit alle Mitgliedstaaten über die notwendigen Mittel für eine wirksame Kontrolle der verschiedenen Arten von Bargeld und ihres Transfers verfügen.

1.5.

Der EWSA schlägt vor, dass die Kommission im Anschluss an eine Untersuchung und ausführliche Konsultationen einen Plan zur Reduzierung der Verwendung von Barmitteln in der EU ausarbeitet. In diesem Zusammenhang sollte geprüft werden, ob der Schwellenwert für die obligatorische Anmeldung von Barmitteln in Höhe von 10 000 EUR angemessen ist.

1.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission bei der Festlegung der Sanktionen bei Verstößen gegen die Anmeldepflicht noch weiter gehen sollte. Notwendig sind auch die Harmonisierung der nationalen Strafen und deren kohärente Meldung an die Kommission, damit keine Opportunitätseffekte für Betrüger geschaffen werden.

1.7.

Der EWSA verweist auf seine Bedenken, die er in der Stellungnahme ECO/408 (1) in Bezug auf eine Reihe von Faktoren zum Ausdruck gebracht hat, die die Wirksamkeit der Verordnung erheblich schmälern können. Das Hauptproblem ist, dass die Steueroasen, in denen die Geldwäsche vorrangig erfolgt und deren Barmittelbewegungen mit der EU ganz besonders überwacht werden sollten, nicht auf der Liste der Länder und Regionen auftauchen, die von der Kommission in ihrem Vorschlag für eine Verordnung vom 14. Juli 2016 als Länder mit hohem Risiko eingestuft werden.

1.8.

Die Untersuchung krimineller Barmittelbewegungen steht im Zusammenhang mit anderen Straftaten, insbesondere Steuerdelikten. Der EWSA schlägt deshalb vor, dass die Steuerbehörden auch Zugang zu Informationen haben sollten, die im Zuge der Überwachungen von Barmittelbewegungen erfasst werden.

1.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass mit der Annahme der neuen Verordnung außer Gold auch andere hochliquide Rohstoffe in die Definition des Begriffs „Barmittel“ aufgenommen werden sollten.

1.10.

Der EWSA räumt zwar ein, dass Guthabenkarten überall in der EU von sozialer Bedeutung sind, weist jedoch darauf hin, dass die ihre Verwendung durch Kriminelle und Terroristen zur verdeckten Finanzierung ihrer Tätigkeit gefährlich ist.

1.11.

Angesichts der Zunahme der Menge an Daten, die erfasst und zwischen den Behörden ausgetauscht werden, empfiehlt der EWSA, den Schutz dieser Daten zu stärken und die Möglichkeit zu prüfen, strengere verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen gegen Beamte und Privatpersonen anzuwenden, die diese Daten in unangemessener oder rechtswidriger Weise verwenden.

1.12.

Das Problem ist internationalen Ausmaßes, weshalb sich die EU-Institutionen auch umfassend in die Arbeit der internationalen Organisationen einbringen müssen, die auf diesem Gebiet aktiv sind.

1.13.

Der EWSA begrüßt, dass 500-EUR-Banknoten ab 2018 aus dem Verkehr gezogen werden, die nachgewiesenermaßen für Barzahlungen im illegalen Handel verwendet werden, weil sie sich in großen Mengen problemlos und platzsparend transportieren und aufbewahren lassen.

1.14.

Der EWSA erinnert die Kommission daran, dass der Schutz der europäischen Bürger weiterhin oberste Priorität haben muss, ungeachtet aller Kosten und Mühen, die dafür aufzuwenden sind.

2.   Hintergrund des Kommissionsvorschlags

2.1.

Gemäß dem Aktionsplan für ein intensiveres Vorgehen gegen Terrorismusfinanzierung (2) legt die Kommission eine neue Verordnung über die Überwachung von Barmitteln, die in die Union oder aus der Union verbracht werden, und zur Aufhebung der geltenden Verordnung von 2005 (3) vor.

2.2.

Im Mai 2015 nahm die EU das vierte Paket zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung an, das unter anderem die vierte Richtlinie zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (AMLD4) sowie die Verordnung über die Übermittlung von Angaben bei Geldtransfers (4) umfasste. Beide Rechtvorschriften werden gegenwärtig umgesetzt. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat seinen Standpunkt zum Legislativpaket in seiner Stellungnahme zum Thema „Paket zur Bekämpfung von Geldwäsche“ (5) dargelegt.

2.3.

Im Februar 2016 veröffentlichte die Kommission ihren Aktionsplan für ein intensiveres Vorgehen gegen Terrorismusfinanzierung (6), der legislativ in zwei Phasen umgesetzt wurde. In der ersten Phase (Juli 2016) veröffentlichte die Kommission zwei Richtlinienvorschläge — die fünfte Geldwäscherichtlinie zur Änderung verschiedener Aspekte der vierten Geldwäscherichtlinie und die Richtlinie bezüglich des Zugangs von Steuerbehörden zu Informationen zur Bekämpfung der Geldwäsche (7) — und eine Delegierte Verordnung (8) bezüglich der Ermittlung von Drittländern mit hohem Risiko (Steueroasen) zur Ergänzung der vierten und fünften Geldwäscherichtlinie (9). Der Ausschuss hat Stellungnahmen zur fünften Geldwäscherichtlinie und zur Verordnung sowie zu der zweiten Richtlinie verabschiedet (10).

2.4.

In der zweiten Phase (Dezember 2016) hat die Kommission zusätzlich zu dem Verordnungsvorschlag, auf den sich diese Stellungnahme bezieht, einen Vorschlag für eine Richtlinie über die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche (11) und eine Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen (12) vorgelegt.

2.5.

Mit der Verordnung von 2005 werden die Bestimmungen der Geldwäscherichtlinie ergänzt, und zu diesem Zweck sollen Bewegungen von Barmitteln in Höhe von 10 000 EUR oder mehr überwacht werden. Mit dem hier behandelten Vorschlag (13) will die Kommission die Mängel in den bestehenden Regelungen, die auf der Grundlage der Ermittlungen der Zoll-, Polizei- und Justizbehörden festgestellt wurden, abstellen, die vierte (14) und die fünfte (15) Geldwäscherichtlinie weiterentwickeln und ergänzen und die EU-Rechtsvorschriften an die internationalen Standards und Empfehlungen anpassen, insbesondere an die insbesondere der Empfehlung Nr. 32 der FATF.

2.6.

Der vorliegende Vorschlag soll Abhilfe bei folgenden Problemen schaffen: unvollständige Erfassung der grenzüberschreitenden Bewegungen von Barmitteln; Schwierigkeiten beim Austausch von Informationen zwischen den Behörden, fehlende Möglichkeit, Beträge unter dem Schwellenwert (weniger als 10 000 EUR) vorübergehend einzubehalten; unzulängliche Definition des Begriffs „Barmittel“; unterschiedliche Sanktionen bei Nichtanmeldung je nach Mitgliedstaat und unterschiedliche Umsetzung je nach Mitgliedstaat.

2.7.

Der Vorschlag für eine neue Verordnung, die die derzeit geltenden Vorschriften ersetzen soll, wird die Definition des Begriffs „Barmittel“ ausgeweitet und präzisiert, indem vier Kategorien geschaffen werden: Bargeld, übertragbare Inhaberpapiere (Schecks, Reiseschecks, Solawechsel und Zahlungsanweisungen) Rohstoffe als hochliquide Wertaufbewahrungsmittel (Goldmünzen und Goldbarren) und Guthabenkarten.

2.8.

Mit dem Vorschlag wird eine Offenlegungspflicht für nicht von Personen mitgeführte Barmittel im Wert von 10 000 EUR oder mehr, also Barmittel in Fracht- oder Postsendungen eingeführt. Einige Mitgliedstaaten nehmen auch an den Grenzen zu anderen Mitgliedstaaten Kontrollen von Barmittelbewegungen vor.

2.9.

Mit dem Vorschlag erhalten die zuständigen Behörden die Befugnis, die Bewegung von Barmitteln in Höhe von weniger als 10 000 EUR zu kontrollieren, Bericht zu erstatten und bei Vorliegen ernstzunehmender Hinweise auf kriminelle Tätigkeiten Ermittlungen durchzuführen.

2.10.

Es soll möglich sein, Mittel einzubehalten, wenn Barmittelbewegungen in Höhe von 10 000 EUR oder mehr nicht angemeldet werden bzw. wenn im Zusammenhang mit Barmittelbewegungen gleich welcher Höhe Hinweise auf kriminelle Tätigkeiten vorliegen.

2.11.

Mit dem Vorschlag wird der Informationsaustausch verbessert, indem eine aktive Kommunikation mit der zentralen Meldestelle für Geldwäschefälle vorgeschrieben wird. Gegenwärtig sind die zuständigen Behörden lediglich gehalten, Informationen bereitzustellen. Auch müssen Informationen über nicht ordnungsgemäße Vorgänge den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten und der Kommission übermittelt werden, wenn Hinweise auf kriminelle Tätigkeiten vorliegen. Diese Informationen können unter bestimmten Voraussetzungen auch an Drittländer weitergegeben werden.

2.12.

Der Vorschlag sieht die Einführung von Sanktionen in allen Mitgliedstaaten bei Verstoß gegen die Anmeldepflicht vor, die die gesetzlich vorgesehenen Strafen für kriminelle Tätigkeiten ergänzen. Die Kommission ist über die Sanktionen in allen Mitgliedstaaten zu unterrichten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt die anhaltenden Bemühungen der Kommission im Rahmen des weltweiten Kampfes gegen Geldwäsche und Terrorismus. Der EWSA unterstützt auch die in dem Vorschlag enthaltenen Änderungen, die auf die Verbesserung der geltenden Vorschriften abzielen.

3.2.

Die Kommission und die anderen Institutionen der Europäischen Union müssen der europäischen Öffentlichkeit in geeigneter Weise vermitteln, dass sie gewillt sind, gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung mit allen gesetzlichen Instrumenten und allen erforderlichen Mitteln der Polizei, Nachrichtendienste und Justiz vorzugehen. Das Wissen, dass die Institutionen bei ihren diesbezüglichen Anstrengungen mit allen Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, wird ihre Glaubwürdigkeit und Legitimität stärken. Es gibt bereits eine Reihe von Indikatoren in Bezug auf Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, obgleich diese nicht alle veröffentlicht werden können.

3.3.

Der EWSA fordert die EU und die Mitgliedstaaten auf, die internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Terrorismus, Geldwäsche und schweren Straftaten, die damit in Zusammenhang stehen, zu fördern. Alle EU-Institutionen sollten sich dafür einsetzen, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen auch auf internationaler Ebene angenommen werden. Dies ist eine Möglichkeit, sie effizienter zu gestalten.

3.4.

Mit dem Vorschlag für eine neue Verordnung sollen illegale Bewegungen von Barmitteln zwischen der EU und Drittländern unterbunden werden. Um dabei Erfolg zu haben, sollte die Kommission mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die zuständigen nationalen Behörden über die wirksamsten technischen, personellen und sonstigen Mittel (z. B. Spürhunde) verfügen.

3.5.

Es gibt die verschiedensten Systeme zur Terrorismusfinanzierung, angefangen beim Missbrauch legaler Unternehmen bzw. gemeinnütziger Organisationen bis hin zu kriminellen Tätigkeiten oder dem Missbrauch der internationalen Handelssystems. Da terroristische Organisationen ihre Finanzierungsmethoden immer wieder weiterentwickeln, um rechtliche Auflagen zu umgehen, muss der Rechtsrahmen ständig aktualisiert werden. Gewöhnlich werden Unterschiede zwischen den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten von Kriminellen und Terroristen ausgenutzt, die sich für ihre finanziellen Transaktionen die Länder mit den schwächsten Rechtsvorschriften aussuchen.

3.6.

Im Zuge der Weiterentwicklung der europäischen Sicherheitsagenda (16) und als Reaktion auf die Terroranschläge in Europa und anderen Teilen der Welt sowie im Hinblick auf die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für große Geldwäsche-, Betrugs- und Steuerdelikte, die über Steueroasen abgewickelt werden, hat die Europäische Kommission in den vergangenen beiden Jahren zahlreiche Legislativinitiativen auf den Weg gebracht.

3.7.

Dem Bericht (17) der Arbeitsgruppe „Finanzielle Maßnahmen gegen die Geldwäsche“ zufolge wird Bargeld häufig im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität verwendet und ist nach wie vor das wichtigste Mittel der Terrorismusfinanzierung. Das Volumen des dabei „gewaschenen“ Geldes lässt sich nur schwer beziffern, beläuft sich jedoch dem FATF-Bericht zufolge auf mehrere hundert Milliarden bis zu einer Billion USD pro Jahr.

3.8.

Eine Analyse der Wirksamkeit der derzeitigen Verordnung hat gezeigt, dass das Niveau der Bargeldtransfers in die bzw. aus der Union nach wie vor hoch ist. Es gibt jedoch nur wenige Kontrollen auf Bargeldbewegungen (ca. 100 000 pro Jahr in der gesamten EU), wobei deren Zahl und die Zahl der untersuchten Verdachtsfälle von Land zu Land sehr unterschiedlich sind. An der letzten diesbezüglichen Konsultation haben nur neun Länder teilgenommen, wobei nur wenige Daten über die Zahl der Fälle übermittelt wurden und die Analyse uneinheitlich ausfiel.

3.9.

Die Lücken in der bestehenden Verordnung machen es möglich, dass Bargeld über Kanäle wie die Post, Kurierdienste oder Frachtsendungen verbracht werden kann, ohne dass es ausreichende spezifische Kontrollen gibt. Es gab mehrfach den Fall, dass die zuständigen Behörden nicht über die erforderlichen Instrumente verfügten, um angemessene Kontrollen durchzuführen.

3.10.

Da nun mehr Kanäle kontrolliert werden und die zuständigen Behörden bei Verdacht einer kriminellen Tätigkeit auch unterhalb der Schwelle von 10 000 EUR Kontrollen und Beschlagnahmen vornehmen können, dürften mehr Betrugsfälle aufgedeckt und mehr Informationen erfasst werden. Bislang ist die Weiterverwendung der erfassten Informationen nicht zufriedenstellend. Die Daten werden nämlich in bestimmten Mitgliedstaaten nur passiv zur Verfügung gestellt, ohne dass Maßnahmen vorgesehen sind, die ihre ordnungsgemäße Verarbeitung gewährleisten. Die Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden muss schneller und flexibler werden. Dies betrifft die Kommunikation zwischen den Zollbehörden, die üblicherweise die Kontrollen durchführen, und den zentralen Meldestellen für Geldwäschefälle, die die Information erhalten und analysieren, den Informationsfluss zwischen diesen Meldestellen und den Staatsanwaltschaften und Gerichten, und die Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten und in Drittländern, insbesondere jenen Staaten, die für größere illegale Bargeldströme aus der und in die EU verantwortlich sind, wie zum Beispiel Steueroasen.

3.11.

Die gemäß der geltenden Verordnung verhängten Sanktionen bei Nichtanmeldung von Barmitteln sind uneinheitlich, wobei die vorgenommenen Evaluierungen darauf schließen lassen, dass sie nicht die angestrebte Abschreckungswirkung erzielen. Nach der neuen Verordnung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, bei Nichtanmeldung von Barmitteln Sanktionen zu verhängen, ohne dass dafür Indizien für eine Straftat oder ein Zusammenhang mit Ermittlungen anderer Straftaten oder Verstöße vorliegen müssen, und die Kommission über die Sanktionen zu unterrichten. Der EWSA schlägt vor, für die Übermittlung dieser Informationen ein einheitliches Verfahren für alle Mitgliedstaaten festzulegen. Die Festsetzung der Sanktionen bleibt allerdings den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen. Die in Artikel 13 genannten Sanktionen sollten harmonisiert werden, damit keine Schlupflöcher für Betrüger entstehen, die ihre Geschäfte über bestimmte Länder abwickeln.

3.12.

Durch die Anwendung der Verordnung und der übrigen bereits genannten Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche wird das Volumen personenbezogener Daten, die erfasst, gespeichert und den für die Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zuständigen Behörden und Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, erheblich zunehmen. Im Hinblick auf die Wahrung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und insbesondere auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten muss geprüft werden, ob neue Verfahren für den Schutz dieser Rechte notwendig sind (die es ggf. einzuführen gilt) und ob die strafrechtlichen Sanktionen für Privatpersonen oder Beamte, die diese Informationen unrechtmäßig verwenden, verschärft werden müssen.

3.13.

Angesichts der bei der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verwendeten Kanäle und Verfahren, wozu auch illegale Bargeldtransfers gehören, sah sich die Kommission zu Recht veranlasst, gemeinsame Rechtsvorschriften für beide Arten von Straftaten zu erlassen. In beiden Fällen gehen diese Straftaten mit anderen ebenso schweren oder noch erheblicheren Delikten einher. Im Hinblick auf eine wirksame Anwendung der Verordnung und der anderen einschlägigen Rechtsvorschriften ist eine enge Koordinierung zwischen allen beteiligten nationalen Behörden und den Mitgliedstaaten durch geeignete Mechanismen unerlässlich. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden und Institutionen — Polizei, Nachrichtendienste, Justiz, Zoll, Finanzämter — der Mitgliedstaaten lässt nämlich noch viel zu wünschen übrig. Der EWSA ist insbesondere besorgt über die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den nationalen Polizeikräften und Europol, die darin zum Ausdruck kommt, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten Europol noch nicht ihre Datenbanken für die Terrorismusbekämpfung zur Verfügung gestellt hat. Der EWSA fordert deshalb die zuständigen Stellen der EU und die Mitgliedstaaten auf, dieser Situation abzuhelfen.

3.14.

Ein weiteres großes Hindernis für eine wirksame Anwendung der Verordnung und der anderen einschlägigen Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung liegt darin, dass es am politischen Willen zur Beseitigung von Steueroasen mangelt. Der beste Beweis dafür ist die Liste der „Drittländer mit hohem Risiko, die strategische Mängel aufweisen“ im Anhang der Verordnung (EU) 2016/1675 zur Ergänzung der vierten und fünften Geldwäscherichtlinie. Sie enthält nicht eine einzige der Steueroasen, auf die sich die meisten illegalen Transaktionen und insbesondere die Barmittelströme konzentrieren, denen die vorgeschlagene Verordnung gilt. Der EWSA muss die in seiner Stellungnahme ECO/408 formulierte Forderung bekräftigen: Die Kommission sollte eine neue Liste von Steueroasen vorschlagen und in eine Einheitsliste der Rechtsgebiete aufnehmen, die bei der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität und Terrorismusfinanzierung nicht kooperieren.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Die Finanzierung des Terrorismus hat eindeutig globales Ausmaß erreicht, was bedeutet, dass terroristische Aktivitäten in einem bestimmten Land oft mit kriminellen Aktivitäten in einem anderen Land finanziert werden. Erforderlich sind Barmittelkontrollen und tiefgreifende legislative Änderungen, um die Bewegungen von Barmitteln zu unterbinden, Finanztransaktionen zu überwachen und zu begrenzen sowie wichtige Erkenntnisse über die Terroristen und ihre Geldgeber zu erhalten. Der EWSA ist sich der externen Dimension der Terrorismusfinanzierung bewusst und empfiehlt, dass alle Organe der Union umfassend in allen einschlägigen internationalen Organisationen, in denen sie einen Sitz haben, darauf hinwirken, dass ähnliche Maßnahmen in der ganzen Welt zur Anwendung kommen.

4.2.

Die Verwendung von Bargeld ist nach wie vor der Hauptkanal für die Geldwäsche und andere Finanzdelikte (18). Der EWSA empfiehlt der Kommission, zunächst eine umfassende Untersuchung durchzuführen und alle Interessenträger zu konsultieren sowie eine enge Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, der EZB und den nationalen Zentralbanken der einzelnen Länder einzurichten und anschließend einen Plan zur Verringerung der Bargeldverwendung in der Europäischen Union zu erarbeiten. Die Abschaffung der 500 EUR-Banknoten ist ein Schritt in die richtige Richtung. Im Rahmen dieser Untersuchung sollte geprüft werden, ob der Schwellenwert von 10 000 EUR für die obligatorische Anmeldung von Barmitteln angemessen ist.

4.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, ihre Anstrengungen zu intensivieren, damit die Ergebnisse des Warschauer Übereinkommens (19) in der gesamten Union in kohärenter Weise ratifiziert werden. Bis heute wurde das Übereinkommen von sechsundzwanzig Mitgliedstaaten unterzeichnet, aber nur von siebzehn ratifiziert.

4.4.

Der EWSA stellt fest, dass die vorgeschlagene Verordnung deutliche Verbesserungen der Instrumente für die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung bringt und nur minimale Auswirkungen auf die europäischen KMU hat.

4.5.

Der EWSA hält politische Maßnahmen für die Zusammenarbeit im Finanzbereich mit den Nachbarländern und anderen Ländern, über die größere Migrationsströme in die Union kommen, für unverzichtbar, um transparente Geldüberweisungen zu erleichtern und die Kosten dafür zu senken. Die Hindernisse und hohen Kosten für Geldüberweisungen aus und in diese Länder führen zu Bargeldtransporten und undurchsichtigen Transaktionen, was der Verwendung dieser Methoden für kriminelle Zwecke Vorschub leistet.

4.6.

Bei den jüngsten Anschlägen in der EU zeigte sich, dass die Terroristen Guthabenkarten für die Bezahlung z. B. von Hotelzimmern verwendet haben (so bei den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris). Obgleich diese Zahlungsinstrumente einen sozialen Nutzen haben, da sie auch schwachen und marginalisierten Menschen Online- und Offline-Zahlungen ermöglichten, möchte der Ausschuss auf die Gefahr hinweisen, das Kriminelle oder Terroristen weiter auf solche Instrumente zurückgreifen können.

4.7.

Die illegale Verbringung von Barmitteln geht oft mit anderen Delikten wie Steuerdelikten, Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung einher. Der Verordnungsvorschlag der Kommission sieht keinen Austausch der Daten vor, die in Steuererklärungen in Bezug auf Bargeld enthalten sind. Der EWSA ist der Auffassung, dass diese Straftaten mit einem Gesamtansatz verfolgt werden müssen. Insbesondere ist er der Ansicht, dass der Austausch der genannten Daten ermöglicht werden muss, da zwischen Steuerbetrug und Geldwäsche ein klarer Zusammenhang besteht, der oft mittels Bargeldtransport realisiert wird.

4.8.

In Artikel 2 Absatz 2 und Artikel 14 des Vorschlags für eine Verordnung wird der Kommission die Befugnis übertragen wird, delegierte Rechtsakte zur Änderung des Anhangs zu erlassen, insbesondere in Bezug auf den Abschnitt, in dem es um „als hochliquide Wertaufbewahrungsmittel verwendete Rohstoffe“ geht. Der EWSA ist diesbezüglich allerdings der Ansicht, dass kein Grund besteht, diese Kategorie nur auf Gold zu beschränken. In die erste Liste, die das Parlament und der Rat annehmen, könnten auch andere besonders wertvolle Rohstoffe wie Edelmetalle oder Halbedelsteine (roh oder geschliffen) aufgenommen werden.

4.9.

Der EWSA weist erneut darauf hin, dass die Gewährleistung der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger eines der wichtigsten Ziele der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten bleiben muss, ungeachtet aller Kosten und Mühen, die dafür aufzuwenden sind.

Brüssel, den 27. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 121.

(2)  COM(2016) 50 final.

(3)  Verordnung (EU) Nr. 1889/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 309 vom 25.11.2005, S. 9).

(4)  Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 141 vom 5.6.2015, S. 73) und Verordnung (EU) 2015/847 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 141 vom 5.6.2015, S. 1).

(5)  ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 31.

(6)  COM(2016) 50 final.

(7)  COM(2016) 450 final, 2016/0208 (COD) und COM(2016) 452 final, 2016/0209 (CNS).

(8)  Delegierte Verordnung (EU) 2016/1675 (ABl. L 254 vom 20.9.2016, S. 1).

(9)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 121.

(10)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 127.

(11)  COM(2016) 826 — 2016/0414 (COD).

(12)  COM(2016) 819 — 2016/0412 (COD).

(13)  COM(2016) 825 final — 2016/0413 (COD).

(14)  Richtlinie (EU) 2015/849 (ABl. L 141 vom 5.6.2015, S. 73).

(15)  Vorschlag für die fünfte Geldwäscherichtlinie.

(16)  COM(2015) 185 final.

(17)  GAFI-Bericht „Money Laundering: Through the Physical Transportation of Cash“ (Geldwäsche durch die physische Verbringung von Barmitteln) (2015).

(18)  „Why is cash still king? — A strategic report on the use of cash by criminal groups as a facilitator for money laundering“ (König Bargeld: Strategischer Bericht über die Bargeldverwendung durch kriminelle Gruppen mit dem Ziel der Geldwäsche), Financial Intelligence Group, Europol, 2015.

(19)  Übereinkommen Nr. 198 des Europarats über Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten, 2005.


28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 515/2014, (EU) 2016/399, (EU) 2016/794 und (EU) 2016/1624“

(COM(2016) 731 final — 2016/0357 (COD))

(2017/C 246/05)

Berichterstatter:

Jan SIMONS (NL-I)

Befassung

Europäische Kommission, 17.2.2017

Europäisches Parlament, 19.1.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

3.4.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

184/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) sieht in der beabsichtigten Schaffung eines Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS) zur Ermittlung von Risiken im Zusammenhang mit von der Visumpflicht befreiten Personen, die in den Schengen-Raum einreisen, einen derzeit unvermeidbaren Schritt, der den Bedrohungen, die durch äußere und innere Umstände verursacht werden, angemessen ist.

1.2.

Der EWSA begrüßt, dass sich das ETIAS in die allgemeine Strategie der EU im Bereich Migration und Sicherheit einfügt, wie sie von der Kommission 2011 in ihrem Programm „Intelligente Grenzen“ festgelegt wurde, und dass die über das System gesammelten Informationen eine Vorabüberprüfung des potenziellen Risikos für die Sicherheit bzw. für irreguläre Migration ermöglichen, um die EU-Bürger vor Personen zu schützen, die mit bösen Absichten einreisen wollen.

1.3.

Der EWSA betont nachdrücklich, dass das ETIAS die Grundrechte der Antragsteller uneingeschränkt achten und jegliche Diskriminierung vermeiden muss. Alle Daten, insbesondere solche, die sich auf sensible Informationen über Gesundheit, Bildung, Kriminalität usw. beziehen, die über das System gesammelt werden, müssen geschützt werden, und der Zugang zu ihnen sollte strikt auf die bei kriminellen Aktivitäten, Terrorismus, illegaler Einwanderung und anderen Bedrohungen ermittelnden Behörden beschränkt werden. Das ETIAS muss auch das Recht der Antragsteller auf die Einlegung eines Rechtsmittels achten, wenn ihnen eine Reisegenehmigung verweigert bzw. sie ihnen entzogen wird.

1.4.

Der EWSA ist sich der Notwendigkeit bewusst, dass viele technische Probleme im Zusammenhang mit dem ETIAS gelöst werden müssen, insbesondere in Bezug auf die Interoperabilität und die Vernetzung mit anderen Datenerhebungssystemen sowie in Bezug auf die Verwaltung. Das ETIAS sollte auf einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Risiken und Sicherheit basieren und gleichzeitig zusätzliche administrative Belastungen und Hindernisse für Reisende vermeiden, die zu Geschäftszwecken, für ein Studium, wegen einer medizinischen Behandlung usw. häufig in die EU reisen.

1.5.

Die Kommission und der Rat sollten auch den politischen Aspekten der Einrichtung des ETIAS Aufmerksamkeit widmen. Die betreffenden Länder sollten über die Gründe für die Verpflichtung zum Einholen einer Reisegenehmigung trotz Visumfreiheit sowie über die Vorteile eines reibungslosen und raschen Grenzübertritts für Reisende mit einer Reisegenehmigung informiert werden. Die Kommission sollte auch dafür sorgen, dass eventuell im Gegenzug von den betreffenden Ländern für EU-Bürger ergriffene Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zu den EU-Maßnahmen stehen.

1.6.

Das ETIAS sollte den Menschen Rechnung tragen, die nicht in der Lage sind, die Genehmigung online zu beantragen, und es sollten Kabinen für die Antragstellung in den wichtigsten Abgangsflug- und -seehäfen und auch an den wichtigsten Landgrenzübergängen aufgestellt werden. Allen Antragstellern sollte es gestattet sein, die Dienste von Vermittlern, wie etwa Reisebüros oder Beförderungsunternehmen, zu nutzen. Die von diesen Vermittlern für ihre Dienste verlangten Gebühren sollten jedoch von EU-Delegationen in den Drittstaaten überwacht und evaluiert werden.

1.7.

Es wird auch notwendig sein, die Kriterien für die vorgeschlagenen Gruppen von Drittstaatsangehörigen, die von der Verpflichtung zum Einholen einer Reisegenehmigung ausgenommen sind, in Anbetracht der Gefahr einer irregulären Migration sowie von Sicherheits- oder Gesundheitsrisiken genau zu definieren.

1.8.

Der EWSA ruft dazu auf, eine Lösung für die Mitgliedstaaten zu finden, die den Schengen-Besitzstand noch nicht vollständig umgesetzt und folglich keinen Zugang zu SIS, VIS und EES haben (Bulgarien, Kroatien, Rumänien und Zypern).

2.   Hintergrund

2.1.

Die Bürger der Europäischen Union erwarten, dass die Behörden ihre Sicherheit in einem offenen Europa gewährleisten. Sie verlassen sich darauf, dass die Außengrenzen des Schengen-Raums wirksam geschützt werden, um irreguläre Migration zu verhindern und ein höheres Maß an innerer Sicherheit und die Freizügigkeit im Schengen-Raum zu gewährleisten und um Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen in einer von Mobilität geprägten Welt zu erleichtern.

2.2.

Heute können rund 1,4 Mrd. Menschen weltweit aus etwa 60 Ländern (1) ohne Visum in die Europäische Union reisen, wobei ihnen das Gegenseitigkeitsprinzip zugutekommt, aufgrund dessen auch EU-Bürger visumfrei leichter ins Ausland reisen können. Es wird davon ausgegangen, dass die Zahl der von der Visumpflicht befreiten Drittstaatsangehörigen von 30 Mio. Personen, die 2014 in den Schengen-Raum einreisten, um mehr als 30 % auf 39 bis 40 Mio. im Jahr 2020 ansteigen wird (2).

2.3.

Diese Zahlen belegen, dass ein Genehmigungssystem nach dem Vorbild der in einigen Staaten bereits bestehenden Systeme (USA (3): seit 2009, Australien (4): seit 1996, Kanada (5): seit 2016) eingerichtet werden muss, um eventuelle Risiken einer irregulären Migration und Sicherheitsrisiken, die von in die EU reisenden Drittstaatsangehörigen ausgehen, im Einklang mit den Zielen der Visaliberalisierungspolitik der EU einzuschätzen und zu handhaben, allerdings auf eine einfachere und besucherfreundlichere Weise als mit der Standardvisaregelung.

2.4.

Anders als bei visumpflichtigen Drittstaatsangehörigen liegen den zuständigen Grenz- und Strafverfolgungsbehörden bei von der Visumpflicht befreiten Drittstaatsangehörigen vor deren Ankunft an einer Schengen-Grenze nur wenige Informationen zu den möglicherweise von ihnen ausgehenden Risiken vor. Die Ergänzung dieser fehlenden Angaben und eine Risikobewertung in Bezug auf nicht-visumpflichtige Reisende würden gegenüber den bestehenden Maßnahmen zur Wahrung und Stärkung der Sicherheit des Schengen-Raums einen beträchtlichen Mehrwert bewirken und nicht-visumpflichtigen Reisenden gleichzeitig den vollen Genuss der Visumfreiheit ermöglichen.

2.5.

In ihrem Programm „Intelligente Grenzen“ aus dem Jahr 2011 betonte die Kommission die Notwendigkeit eines moderneren und effizienteren Systems zur Bewältigung der Reiseströme an den EU-Außengrenzen, bei dem neue Technologien genutzt werden, um Personen, die häufig in die EU reisen, das Leben zu erleichtern und eine bessere Überwachung des Grenzübertritts von Drittstaatsangehörigen zu gewährleisten.

2.6.

Die neuen Bedrohungen und Herausforderungen, die in den darauf folgenden Jahren aufgekommen sind, machten eine Überarbeitung des ursprünglichen Programms „Intelligente Grenzen“ erforderlich, und nach technischen Studien und einer Konsultation wurde 2016 ein neuer Gesetzgebungsvorschlag für eine Verordnung über ein Einreise-/Ausreisesystem (EES) vorgelegt. Der EWSA verabschiedete seine Stellungnahme zum EES im September 2016 (6). Die kürzlich vorgeschlagene Änderung des Schengener Grenzkodexes (7) hinsichtlich eines verstärkten Abgleichs mit einschlägigen Datenbanken (SIS, Interpol-Datenbank für gestohlene oder verlorene Reisedokumente und andere europäische Datenbanken) an den Außengrenzen soll verpflichtende Kontrollen aller Drittstaatsangehörigen und EU-Bürger sowohl bei der Einreise in die Europäischen Union als auch bei der Ausreise einführen.

2.7.

Zur Vervollständigung dieser Überprüfung veröffentlichte die Kommission einen Vorschlag für ein europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystem (European Travel Information and Authorisation System, ETIAS) zur Verstärkung der Sicherheitskontrollen von der Visumpflicht befreiter Reisender (8). Dabei wird es sich um ein automatisiertes IT-System zur Ermittlung von Risiken im Zusammenhang mit von der Visumpflicht befreiten Personen handeln, die in den Schengen-Raum reisen, wobei ab dem Start 2021 von 40 Mio. Anträgen ausgegangen wird (9).

2.8.

Die Informationen, die über das System gesammelt werden, ermöglichen eine Vorabprüfung des potenziellen Risikos für die Sicherheit bzw. des Risikos irregulärer Migration unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte und des Datenschutzes.

2.9.

Die ETIAS-Genehmigung ist kein Visum. Staatsangehörige visumfreier Länder können immer noch ohne Visum reisen, benötigen jedoch als zwingende Voraussetzung für die Einreise in den Schengen-Raum im Luft-, See- oder inländischen Verkehr vor Antritt der Reise eine gebührenpflichtige Reisegenehmigung (eine Antragsgebühr in Höhe von 5 EUR wird vorgeschlagen). Bei der Entscheidung über die Erteilung oder Ablehnung einer Genehmigung der Einreise in die EU wird das System automatische Prüfungen durchführen (mit einem positiven Bescheid bei voraussichtlich 95 % der Anträge) oder, falls erforderlich, zusätzlich eine manuelle Vorabprüfung veranlassen und dann entweder eine Reisegenehmigung erteilen oder ablehnen. Das Ergebnis dieses Verfahrens wird dem Antragsteller in sehr kurzer Zeit (wenige Minuten oder höchstens 72 Stunden, falls zusätzliche Überprüfungen notwendig sind) mitgeteilt. Die endgültige Entscheidung über die Erteilung oder die Verweigerung einer Genehmigung wird stets im Einklang mit dem Schengener Grenzkodex von den Grenzschutzbeamten an den Außengrenzen getroffen.

2.10.

Eine vorherige Überprüfung visumfrei reisender Drittstaatsangehöriger wird jedoch die Grenzkontrollen erleichtern, eine koordinierte und harmonisierte Risikobewertung von Drittstaatsangehörigen gewährleisten und die Zahl der Einreiseverweigerungen an Grenzübergangsstellen erheblich verringern. Auch wenn die Reisegenehmigung fünf Jahre (bzw. bis zum Ablauf der Gültigkeitsdauer des Reisedokuments) gültig ist, kann sie aufgehoben oder annulliert werden, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für ihre Erteilung nicht mehr erfüllt sind.

2.11.

Die vorgeschlagene Verordnung folgt dem allgemeinen Grundsatz, dass das ETIAS auf der Interoperabilität der abzufragenden Informationssysteme und der Wiederverwendung von für diese Informationssysteme (insbesondere für das Einreise-/Ausreisesystem der EU (EES)) entwickelten Komponenten aufbaut. Dieser Ansatz wird auch zu erheblichen Einsparungen bei den Kosten für die Einrichtung und den Betrieb des ETIAS führen. Das ETIAS und das EES würden ein gemeinsames Register mit personenbezogenen Daten von Drittstaatsangehörigen nutzen; zusätzliche Daten aus dem ETIAS-Antrag (z. B. Angaben zum Wohnsitz, Antworten auf Fragen zum Hintergrund, IP-Adresse usw.) und die Ein-/Ausreisedatensätze aus dem EES würden dabei getrennt gespeichert, jedoch mit dieser einzigen gemeinsamen Identifizierungsdatei verknüpft. Dieser Ansatz steht voll und ganz im Einklang mit der Interoperabilitätsstrategie und würde alle angemessenen Datenschutzgarantien umfassen.

2.12.

Europol wird an der Festlegung der Überprüfungsregeln des ETIAS beteiligt, und die ETIAS-Überwachungsliste wird aus Daten über Personen bestehen, die im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben oder an einer Straftat beteiligt gewesen zu sein oder in deren Fall faktische Anhaltspunkte oder triftige Gründe für die Annahme vorliegen, dass sie schwere Straftaten begehen könnten, oder die andere Risiken für die Sicherheit und die Gesundheit darstellen.

2.13.

eu-LISA, die Europäische Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, wird das ETIAS-Informationssystem entwickeln und für seine technische Verwaltung zuständig sein. Die Kosten für die Entwicklung des ETIAS-Systems werden auf 212,1 Mio. EUR und die durchschnittlichen jährlichen Betriebskosten auf 85 Mio. EUR geschätzt. Das ETIAS soll ab 2020 betriebsbereit sein.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA sieht in der beabsichtigten Einrichtung des ETIAS einen derzeit unvermeidbaren Schritt angesichts der Bedrohungen, die durch äußere und innere Umstände verursacht werden. Dieser Schritt wird zwar von Reisenden aus visumfreien Drittstaaten vielleicht nicht gerade begrüßt werden, fügt sich aber in die allgemeine Strategie der EU im Bereich Migration und Sicherheit im Sinne der Definition der Kommission in ihrem Programm „Intelligente Grenzen“ aus dem Jahr 2011 ein.

3.2.

Der EWSA stellt fest, dass mit dem ETIAS-Vorschlag die Lücke im Grenzmanagement der EU-Außengrenzen geschlossen werden soll, die darin besteht, dass Staatsangehörige von der Visumpflicht befreiter Länder die EU-Grenzen überschreiten können, ohne dass vor ihrer Ankunft an der Schengen-Grenze angemessene Informationen über sie vorliegen, anhand derer etwaige, von ihnen ausgehende Risiken eingeschätzt werden könnten.

3.3.

Im Mittelpunkt des ETIAS-Vorschlags stehen die technischen Aspekte des Systems, seine Verwaltung, die erforderliche Informationstechnologie sowie die Interoperabilität und Vernetzung mit anderen Datenerhebungs- und Datenanalysesystemen (10). Dem EWSA sind die außerordentliche Komplexität dieser Fragen und die Notwendigkeit, viele technische Probleme lösen zu müssen, bewusst, damit das System nach seiner für 2021 geplanten Einführung voll einsatzfähig sein kann. Das ETIAS sollte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Risiken und Sicherheit finden und gleichzeitig zusätzliche administrative Belastungen und Hindernisse für all diejenigen vermeiden, die insbesondere zu Geschäftszwecken, für die Arbeit, zu Forschungszwecken oder für ein Studium häufig in die EU reisen.

3.4.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass die Kommission und der Rat auch den politischen Aspekten der Einrichtung des ETIAS Aufmerksamkeit widmen und in den betreffenden Ländern die Gründe für seine Einrichtung erläutern sollten, einschließlich der Vorteile der Ermöglichung eines reibungslosen und damit schnellen Grenzübertritts für Reisende mit Reisegenehmigungen und der Gewährleistung eines angemessenen Sicherheitsniveaus, wobei die Informationsanforderungen für diese Genehmigung geringer und weniger aufwendig als beim Standardverfahren für Visa sind. Die Kommission sollte auch dafür sorgen, dass eventuell im Gegenzug von den betreffenden Ländern für EU-Bürger ergriffene Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zu den EU-Maßnahmen stehen.

3.5.

Der EWSA empfiehlt, die betreffenden Länder frühzeitig über das geplante System zu informieren und die notwendigen Informationskampagnen durchzuführen, sodass die Reisenden entsprechend informiert sind; außerdem sollte das System Schritt für Schritt eingeführt werden und zunächst fakultativ sein und dann verpflichtend werden, wenn es ordnungsgemäß umgesetzt und technisch durchführbar ist.

3.6.

Der EWSA fordert die Kommission auf, über mögliche Formen der Zusammenarbeit mit EU-Sicherheitsdiensten zu beschließen und auf ihre Sachkenntnis zurückzugreifen, wenn es um die Erstellung von Risikoprofilen und der ETIAS-Überwachungsliste geht.

3.7.

Der EWSA hob in seiner Stellungnahme zu dem Paket „Intelligente Grenzen“ das Erfordernis hervor, die Grundrechte und den Grundsatz der Nichtdiskriminierung uneingeschränkt zu achten und gesammelte und im System gespeicherte Daten durch verfahrenstechnische und institutionelle Mittel zu schützen und ordnungsgemäß zu nutzen (11). Dies bezieht sich insbesondere auf sensible personenbezogene Daten in Bezug auf Bildung, Gesundheit, Kriminalität usw. In diesem Zusammenhang bekräftigt der EWSA seine Forderung und dringt darauf, dass der Zugang zu mit Reisegenehmigungen verbundenen Daten strikt auf die bei kriminellen Aktivitäten, Terrorismus, illegaler Einwanderung und anderen Bedrohungen ermittelnden Behörden beschränkt sein sollte.

3.8.

Der EWSA unterstützt die vorgeschlagene Struktur des ETIAS, das aus einem Informationssystem, einer ETIAS-Zentralstelle in der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache sowie nationalen Stellen bestehen soll. Die Überwachung der einheitlichen und vollständigen Umsetzung des ETIAS durch alle Mitgliedstaaten wird erforderlich sein. Der EWSA unterstützt die Einrichtung eines Programmverwaltungsrats, der gebraucht wird, um die wirksame Interaktion zwischen dem zentralen Entwicklungsteam und den Mitgliedstaaten sicherzustellen, was sich bei der Entwicklung des SIS II als sehr nützlich erwiesen hat.

3.9.

Der EWSA fordert nachdrücklich dazu auf, dass das ETIAS vollständig interoperabel mit anderen europäischen Informationssystemen und mit den Interpol-Datenbanken vernetzt ist und dass auf Komponenten anderer europäischer Systeme, insbesondere des EES, zurückgegriffen wird, wobei die Grundrechte und der Schutz personenbezogener Daten zu achten sind.

3.9.1.

In diesem Zusammenhang fordert der EWSA die Kommission und die Mitgesetzgeber auf, die Anmerkungen und Empfehlungen des Europäischen Datenschutzbeauftragten aus seiner Stellungnahme zum ETIAS-Vorschlag (12) zu berücksichtigen, insbesondere die Forderung, den erheblichen Unterschieden zwischen den Bereichen Migration und Sicherheitspolitik Rechnung zu tragen, den Zugang zu personenbezogenen Daten zu beschränken, die Zuverlässigkeit und Nützlichkeit der erhobenen Gesundheitsdaten zu prüfen, die Profiling-Instrumente für die automatische Prüfung von Anträgen besser zu definieren usw.

3.10.

Die ETIAS-Überwachungsliste wird aus Daten über Personen bestehen, die im Verdacht stehen, eine schwere Straftat begangen zu haben oder an einer schweren Straftat beteiligt gewesen zu sein, wie im Vorschlag definiert, oder in deren Fall faktische Anhaltspunkte oder triftige Gründe für die Annahme vorliegen, dass sie solch schwere Straftaten begehen könnten, oder die ein anderes Risiko für die Sicherheit oder die Gesundheit darstellen. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Antragsteller im Sinne europäischer Standards das Recht haben sollten, die Gründe für die Verweigerung zu erfahren, und dass ihnen ein Rechtsmittel zustehen sollte.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA stimmt zu, dass die Dauer der Datenspeicherung wie bei der EES-Verordnung fünf Jahre betragen sollte.

4.2.

Der EWSA betont, dass das ETIAS in der Lage sein sollte, flexibel und effizient auf Änderungen der Migrationsbewegungen sowie auf Risiken für die Sicherheit und die Gesundheit zu reagieren, ohne langwierige Gesetzgebungsverfahren durchlaufen zu müssen, indem auf Durchführungsrechtsakte und delegierte Rechtsakte zurückgegriffen wird, sofern diese der demokratischen Kontrolle unterliegen.

4.3.

Das ETIAS sollte den Menschen Rechnung tragen, die aus einem schwerwiegenden Grund nicht in der Lage sind, den Antrag online zu stellen. Der EWSA unterstützt die Absicht, Kabinen für die Antragstellung in den wichtigsten Abgangsflug- und -seehäfen sowie an den wichtigsten Landgrenzübergängen aufzustellen. Allen Antragstellern wird es gestattet sein, die Dienste von Vermittlern, wie etwa Reisebüros oder Beförderungsunternehmen, zu nutzen. Die von ihnen für diese Dienste verlangten Gebühren sollten jedoch von EU-Delegationen in den Drittstaaten überwacht und evaluiert werden.

4.4.

In Anbetracht der zu erwartenden Zunahme der Häufigkeit von Grenzübertritten an den EU-Außengrenzen (insbesondere an den Landgrenzen) sollten alle Möglichkeiten zur Erhöhung der Wirksamkeit der Grenzübertrittskontrollen genutzt werden, wie in den Zielen der Verordnung erklärt wird. Der EWSA regt daher an, bestimmte, in dem Reisegenehmigungsantrag enthaltene Informationen den Grenzbehörden zur Verfügung zu stellen.

4.5.

Der EWSA möchte eine mögliche Schwachstelle des ETIAS vermeiden, die sich daraus ergeben könnte, dass möglicherweise zu wenig Zeit für die manuelle Bewertung der Reisegenehmigungsanträge gelassen wird, da die Antragsteller gründlich überprüft werden müssen und evtl. Rücksprachen mit anderen Mitgliedstaaten und Europol erforderlich sind. Der EWSA schlägt daher vor, den Zeitraum für die manuelle Bewertung zu verlängern und strenge Kriterien für eine solche Verlängerung aufzustellen.

4.6.

Es wird ferner notwendig sein, die Kriterien für die vorgeschlagenen Gruppen von Drittstaatsangehörigen, die von der Verpflichtung zum Einholen einer Reisegenehmigung befreit sind, in Anbetracht der Gefahr einer irregulären Migration sowie von Sicherheits- oder Gesundheitsrisiken genau zu definieren.

4.7.

Die vorgeschlagene Gebühr für die Reisegenehmigung sollte sich nach folgenden Kriterien richten: Die Gebühr für die Antragsbearbeitung und die Mittel zu ihrer Erhebung dürfen bestimmte Gruppen nicht von der Beantragung einer Reisegenehmigung abhalten; ferner könnte sie als Filter dienen, um eine Mehrfachbeantragung solcher Reisegenehmigungen zu verhindern.

4.8.

Es muss ausreichende Garantien dafür geben, dass das ETIAS gegen Identitätsbetrug gefeit ist, einschließlich der möglichen künftigen Nutzung biometrischer Daten.

4.9.

Der EWSA unterstützt das Recht der Antragsteller auf Einlegung eines Rechtsmittels im Falle der Verweigerung einer Reisegenehmigung, bzw. wenn diese widerrufen oder aufgehoben wird.

4.10.

Der EWSA weist darauf hin, dass einige Mitgliedstaaten den Schengen-Besitzstand noch nicht vollständig umgesetzt und folglich keinen Zugang zu SIS, VIS und EES haben (Bulgarien, Kroatien, Rumänien und Zypern). Die Frage, wie das ETIAS in diesen Ländern funktionieren soll, wird im Verordnungsvorschlag nicht erörtert, weswegen der EWSA dazu aufruft, eine Lösung für diese Mitgliedstaaten zu finden.

4.11.

Der EWSA weist darauf hin, dass im Fall der Personenbeförderung auf Binnenwasserstraßen, z. B. bei Donauflusskreuzfahrten, bei denen in einem Drittstaat bzw. einem Nicht-Schengen-Staat neue Passagiere an Bord genommen werden können, die für die Einreise in die EU kein Visum benötigen, das ETIAS für das Überschreiten von Schengen-Grenzen auf dem Wasserweg gelten müsste.

Brüssel, den 27. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Albanien, Andorra, Antigua und Barbuda, Argentinien, Australien, Bahamas, Barbados, Bosnien und Herzegowina, Brasilien, Brunei, Kanada, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Dominica, El Salvador, Grenada, Guatemala, Honduras, Hongkong, Israel, Japan, Kiribati, Macau, Mazedonien, Malaysia, Marshallinseln, Mauritius, Mexiko, Mikronesien, Moldau, Monaco, Montenegro, Neuseeland, Nicaragua, Palau, Panama, Paraguay, Peru, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Samoa, San Marino, Serbien, Seychellen, Singapur, Salomonen, Südkorea, Taiwan, Timor-Leste, Tonga, Trinidad und Tobago, Tuvalu, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Vereinigten Staaten von Amerika, Uruguay, Vanuatu, Vatikanstadt, Venezuela sowie britische Bürger, die nicht Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs im Sinne des Rechts der Europäischen Union sind.

(2)  Die Visumfreiheit wird derzeit mit der Ukraine, Georgien, Kosovo und der Türkei vereinbart bzw. ausgehandelt.

(3)  30 Mio. Anträge jährlich.

(4)  1 Mio. Anträge jährlich.

(5)  3 Mio. Anträge jährlich.

(6)  Stellungnahme zum Einreise-/Ausreisesystem (EES) — Berichterstatter: Cristian Pîrvulescu (ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 66).

(7)  COM(2015) 670 final.

(8)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 515/2014, (EU) 2016/399, (EU) 2016/794 und (EU) 2016/1624, COM(2016) 731 final, 16.11.2016.

(9)  Die Europäische Kommission geht geschätzt von ca. 107 000 Anträgen täglich aus, von denen 5 % manuell bearbeitet werden müssen. 3 bis 5 % dieser Fälle könnten von der Zentralstelle gelöst werden, der Rest würde an die nationalen Stellen verwiesen.

(10)  SIS II, VIS, EES, Eurodac, ECRIS, Europol, Interpol-Datenbanken (SLTD, TDAWN).

(11)  ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 97.

(12)  Stellungnahme 3/2017 des EDSB zu dem Vorschlag für ein Europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystem, 6.3.2017.


28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Governance-System der Energieunion zur Änderung der Richtlinie 94/22/EG, der Richtlinie 98/70/EG, der Richtlinie 2009/31/EG, der Verordnung (EG) Nr. 663/2009, der Verordnung (EG) Nr. 715/2009, der Richtlinie 2009/73/EG, der Richtlinie 2009/119/EG des Rates, der Richtlinie 2010/31/EU, der Richtlinie 2012/27/EU, der Richtlinie 2013/30/EU und der Richtlinie (EU) 2015/652 des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 525/2013“

(COM(2016) 759 final — 2016/0375/(COD))

(2017/C 246/06)

Berichterstatter:

Brian CURTIS

Befassung

Europäisches Parlament, 16.1.2017

Rat der Europäischen Union, 20.1.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 191, Artikel 192 und Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

11.4.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

26.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

103/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Mit der Governance-Verordnung sollen nicht nur die zahlreichen Bestandteile der Energieunion in einen übergeordneten operationellen Rahmen gestellt, sondern auch klare Berichterstattungspflichten und ein Prozess für die Verwirklichung sämtlicher Energie- und Klimaziele der EU in absehbarer Zukunft festgelegt werden. Diese Verordnung ist ein komplexer, weitreichender und äußerst wichtiger Rechtsakt.

1.2.

Es kann ohne Übertreibung gesagt werden, dass die Energieunion ohne soliden Governance-Prozess auseinanderbrechen wird und die Chancen der EU, ihre eigenen sowie ihre aus dem Übereinkommen von Paris erwachsenden Verpflichtungen zu erfüllen, schwinden werden. Die Einbeziehung und die Teilhabe der Zivilgesellschaft, die Zusammenarbeit und die Unterstützung der Mitgliedstaaten sowie die Zustimmung und das Engagement der Sozialpartner sind für den Erfolg dieses Prozesses ein Muss. Vor allem darf kein Zweifel daran bestehen, dass diese Verordnung eine gerechte Energiewende, insbesondere in Bezug auf Arbeitsplätze und Energiekosten für Haushalte und Unternehmen, ermöglicht.

1.3.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet den Vorschlag für die Governance-Verordnung. Darin wird ein Rahmen vorgegeben, in dem die Mitgliedstaaten die kostengünstigsten Entscheidungen für ihre nationalen Energie- und Klimapläne festlegen und die Risiken verlorener Vermögenswerte (Infrastrukturen) minimieren können. Allerdings müssen hierfür zunächst erst einige Änderungen an der Verordnung vorgenommen werden. Über einschlägige Unterstützungsmaßnahmen muss ein sozialer Konsens auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene in der Frage erreicht werden, wie die sozioökonomische und technische Dimension einer gerechten Energiewende am besten verwirklicht werden kann.

1.4.

Energiesolidarität und -sicherheit sind von grundlegender Bedeutung; sie sind zwar eine der fünf zentralen Dimensionen für Berichterstattung und Bewertung in der Verordnung, doch muss der Gestaltung einer eindeutigen und gemeinsamen Energiediplomatie und -politik gegenüber Drittländern besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

1.5.

Ohne Stärkung der vorgeschlagenen Governance-Verordnung ist das gesamte Konzept der Energieunion gefährdet, da die Legitimität des Mandats der EU, die Energiewende herbeizuführen, geschwächt wird. Darüber hinaus besteht ein erhebliches Risiko, dass die EU verstärkt als bürgerfernes und technokratisches Gebilde gesehen wird, wenn keine greifbaren Maßnahmen zur Einbindung der Bürger und zur Gewährleistung der Rechenschaftspflicht ergriffen werden.

1.6.

In dem Artikel der Verordnung betreffend die Begriffsbestimmungen sollten u. a. folgende Begriffe präzisiert werden: „Zielsetzungen“, „Ziele“, „nationale Beiträge“, „Konsultation“, „Energiearmut“ und „regional“.

1.7.

In der Verordnung sollte klar darauf hingewiesen werden, dass sie über den Zeithorizont 2030 hinaus ausgerichtet ist; sie sollte die ausdrückliche Verpflichtung der EU zur Verwirklichung ihres THG-Ziels für 2050 und am besten auch ihrer neuen internationalen Zusage, die Nettoemissionen bis 2050 auf null zu senken, einbeziehen.

1.8.

Der Anhang der Verordnung sollte indikative Referenzwerte für 2030 (bestmögliche Schätzungen der Europäischen Kommission) für die nationalen Klimaschutzbeiträge der Mitgliedstaaten betreffend erneuerbare Energie und Energieeffizienz enthalten.

1.9.

Die Mitgliedstaaten sollten in der Verordnung zur Verankerung ihrer vereinbarten Beiträge für 2030 in nationalem Recht verpflichtet werden.

1.10.

Außerdem sollte die Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten, angemessen und verhältnismäßig zu den übergeordneten EU-Zielen beizutragen, ausdrücklich in der Verordnung präzisiert werden.

1.11.

Die von den Mitgliedstaaten bereitgestellten Daten müssen für den Berichterstattungszeitraum relevant und auf dem neuesten Stand sein; dies muss durch das Angebot angemessener Ressourcen und Unterstützungssysteme gewährleistet werden.

1.12.

Die nationalen Pläne für 2030 sollten auf der Grundlage der aus den Langzeitstrategien gewonnenen Erkenntnisse und Orientierungen aufgestellt werden, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen (beispielsweise wären kurzfristige Entscheidungen bei einer Abstimmung auf die Langzeitstrategie kosteneffizienter).

1.13.

In der Verordnung sollte eine Sperrklausel als Mechanismus vorgesehen werden, um zu dem ehrgeizigen Ziel des Übereinkommens von Paris beizutragen, die Erderwärmung auf 1,5 oC im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen.

1.14.

In der Anlage sollte eine Referenzdefinition für Energiearmut enthalten sein, um eine kohärente Vergleichsanalyse der Daten zu ermöglichen.

1.15.

In der Verordnung sollte präzisiert werden, dass die Mitgliedstaaten den Entwurf ihrer nationalen Energie- und Klimapläne so früh wie möglich veröffentlichen müssen und alle Folgefassungen dieser Pläne, einschl. etwaiger Kommentare und Antworten der Europäischen Kommission, regionalen Partner und Mitgliedstaaten, öffentlich zugänglich sein müssen.

1.16.

Es sollten ausführlichere Informationen über die Bemessung der kompensierenden finanziellen Beiträge, das Wesen der Finanzierungsplattform und ihre eventuelle Hebelwirkung zur Mobilisierung zusätzlicher Mittel erteilt werden. Diese Mittel sollten auch für Energieeffizienzmaßnahmen verwendet werden können.

1.17.

Die Begriffsbestimmung für „regionale“ Zusammenarbeit sollte sich nicht auf die geografische Nähe beschränken, sondern auch Gruppierungen von Ländern, einschl. Drittländern, mit einander ergänzenden Energieressourcen beinhalten.

1.18.

Der Anhang sollte spezifische Bestimmungen betreffend die Art, den Umfang und die Finanzierung der öffentlichen Konsultation beinhalten, um eine gleichförmige, auf sachkundigen Informationen beruhende Sensibilisierung und Teilhabe der Bürger in ganz Europa sicherzustellen.

1.19.

Die Einrichtung eines eigenen Referats „Europäische Energieinformationen“ in der Europäischen Umweltagentur sollte in Erwägung gezogen werden.

1.20.

Neben dem „EU-28-Szenario“ sollte auch ein „Brexit-Szenario“ ausgearbeitet werden; die beiden Szenarien sollten im Zuge der Bewertung der nationalen Beiträge parallel erörtert werden.

2.   Einleitung

2.1.

Europa steht derzeit vor vielen Herausforderungen politischer, wirtschaftlicher und technischer Natur, die allesamt die Unionsbürger betreffen und daher das Wesen und die Zukunft unserer Demokratie beeinflussen. Energie ist seit vielen Jahren ein Bereich, in dem starke politische, technische und wirtschaftliche Kräfte wirken. Die Energieunion mit ihrer Zukunftsvision und auf Zusammenhalt ausgerichteten Strategie ist das wichtigste Instrument der EU, um eine sichere, erschwingliche und klimaverträgliche Energie in Europa zu gewährleisten.

2.2.

Eine wirksame Governance der Energieunion bedeutet nicht nur, das Vertrauen der Verbraucher und Investoren aufzubauen, um maximalen Nutzen zu geringsten Kosten zu erzielen, sondern sie ist auch entscheidend, um das Engagement der EU für die Durchführung des Übereinkommens von Paris unter Beweis zu stellen und Weichen zu stellen, damit die EU die Energie- und Klimaziele 2050 übertrifft. Mit der richtigen Governance-Verordnung kann die EU daher ihren Bürgern, ihren Mitgliedstaaten und der Welt ihren Wert beweisen. Diese Verordnung ist besonders wichtig, da sie die Lücke zwischen dem Emissionshandelssystem (EU-EHS) und der Lastenteilungsverordnung schließt und die Mitgliedstaaten dazu anhält, Pläne für eine gesamtwirtschaftliche Dekarbonisierung aufzustellen.

2.3.

Im April 2015 verabschiedete der EWSA eine Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen der Europäischen Kommission zum Thema „Entwicklung des im Rahmen der Klima- und Energiepolitik bis 2030 vorgeschlagenen Governance-Systems“ (1). Seither sind Maßnahmen im Energie- und Klimabereich noch dringender geworden; außerdem wurde deutlich, dass eine längerfristige Perspektive für die Governance der Niedrigemissions-Wende notwendig ist. In diesem Verordnungsvorschlag werden nun die Anforderungen für die integrierten nationalen Energie- und Klimapläne und ein gestrafftes Verfahren für deren Aufstellung und Überwachung festgelegt. In den letzten zwei Jahren ist jedoch das Vertrauen der Bürger in die politische und institutionelle Führungsrolle und in den politischen Zusammenhalt in der EU allgemein gesunken, weshalb die Herausforderung Governance nicht nur dringlicher, sondern gleichzeitig auch schwieriger geworden ist.

2.4.

Darüber hinaus unterzeichneten die EU und ihre Mitgliedstaaten mit dem im Dezember 2015 vereinbarten Übereinkommen von Paris einzel- und gesamtverantwortlich einen globalen Vertrag, in dessen Rahmen sie sich zu nationalen Klimaschutzbeiträgen (Nationally Determined Contributions — NDC) verpflichtet haben, die sich im Wesentlichen mit den in dieser Verordnung festgelegten Verpflichtungen decken. Außerdem wurde in diesem Übereinkommen vereinbart, weiterhin Anstrengungen zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 oC gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu unternehmen. Hierfür sind eine langfristige Planung und voraussichtlich ehrgeizigere Zielsetzungen als die bislang bis 2050 vereinbarten EU-Ziele notwendig.

2.5.

In seiner Stellungnahme aus dem Jahr 2015 wählte der EWSA einen vorausschauenden und pragmatischen Ansatz in dem Wissen, dass ein erfolgversprechender Governance-Vorschlag auf einer tiefgehenden und umfangreichen Bewusstseinsbildung, Information und Einbeziehung der Bürger fußen muss. Es gibt indes nur wenige Anzeichen dafür, dass dies auch wirklich geschehen ist. Governance impliziert die Erfüllung verbindlicher Anforderungen in Bereichen nationaler Souveränität und ist deshalb ein heikles Unterfangen, zumal im Energiebereich, wo die Gegebenheiten der Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich sind. Außerdem muss jedweder Prozess durch nicht legislative Maßnahmen und Initiativen ergänzt werden, um den Erfolg zu garantieren.

2.6.

Die Europäische Kommission nahm 2001 ein Weißbuch „Europäisches Regieren“ (2) an, in dem die fünf Grundsätze für gutes Regieren festgelegt werden, die nach wie vor Gültigkeit haben (aber nicht immer umgesetzt werden):

Offenheit,

Partizipation,

Verantwortlichkeit,

Effektivität,

Kohärenz.

Sie spiegeln die Grundsätze und Werte wider, die der EWSA unterstützt; er würde allerdings als weiteren Grundsatz den „gerechten Wandel“ im Kontext des Verordnungsvorschlags hinzufügen.

2.7.

Im Rahmen des Governance-Systems muss sichergestellt werden, dass Meinungen, Präferenzen, Wahrnehmungen und Werte fortwährend dargelegt werden und in die Entscheidungsfindung und politische Gestaltungsarbeit einfließen. Governance bedeutet zum einen, dass solide und legitime Prozesse für die Entscheidungsfindung gewährleistet werden, und zum anderen, dass diese Entscheidungen dann auf die nationalen Gegebenheiten zugeschnitten und an unvorhergesehene Ereignisse angepasst werden können. Das bedeutet jedoch nicht einen häufigen Kurswechsel — ganz im Gegenteil: Die generelle Marschrichtung ist durch die Verpflichtung auf kurz- und langfristige Ziele, die im Einklang mit der Klimawissenschaft stehen, und einen stabilen Prozess der Entscheidungsfindung über die Verfahrensweisen zur Erreichung dieser Ziele vorgegeben, was letztlich zu mehr Kohärenz und einer integrativen Dynamik führt.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1.

Der Verordnungsvorschlag für das Governance-System, mit dem gewährleistet werden soll, dass die Politik und die Maßnahmen für die Energieunion kohärent, komplementär und ausreichend ehrgeizig sind, stützt sich auf zwei miteinander verbundene Grundpfeiler. Erstens sollen die Planungs-, Berichterstattungs- und Überwachungspflichten im Rahmen der nationalen Energie- und Klimapläne, des Energiefahrplans 2050 und der anschließenden Fortschrittsberichte vereinfacht und zusammengeführt werden, wobei eine integrierte Überwachung seitens der Europäischen Kommission auf EU-Ebene vorgesehen ist; zweitens wird ein politischer Prozess zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten für die Erstellung und Durchführung der nationalen Pläne vorgeschlagen. Wenn der Vorschlag in der vorliegenden Form (eine neue Legislativmaßnahme und die Überarbeitung von geltendem Sekundärrecht) angenommen wird, entsteht ein neuer Mechanismus für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission.

3.2.

Insgesamt wird mit dem Verordnungsvorschlag eine Rechtsgrundlage geschaffen, mit der mehr als 50 geltende einzelne Planungs-, Berichterstattungs- und Überwachungsvorschriften des EU-Besitzstands im Bereich Energie und Klima integriert (31) oder aufgehoben (23) werden. Er findet auf die fünf Dimensionen der Energieunion Anwendung, und zwar Energiesolidarität und Sicherheit der Energieversorgung, Energiebinnenmarkt, Energieeffizienz, Verringerung der CO2-Emissionen sowie Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. In der Verordnung wird der Inhalt der integrierten nationalen Energie- und Klimapläne, die die Mitgliedstaaten ab Januar 2019 und im Anschluss alle zehn Jahre zu diesen fünf Dimensionen vorlegen müssen, relativ ausführlich festgelegt. Neben einer Aktualisierung des ersten Plans und der Folgepläne alle fünf Jahre sind eine öffentliche Konsultation und regionale Zusammenarbeit erforderlich. Die wichtigsten Ergebnisse sind nationale Beiträge in den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz sowie die Erstellung von Plänen für die Dekarbonisierung der Wirtschaft bis 2050.

3.3.

Die Europäische Kommission hat die Aufgabe, die Pläne, ihre aktualisierten Fassungen und die Folgemaßnahmen der Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Empfehlungen zu bewerten. Es wird eine detaillierte Berichterstattungsstruktur für die zweijährlichen Fortschrittsberichte, die die Mitgliedstaaten vorlegen müssen, festgelegt, die ausführliche Anforderungen in Bezug auf THG-Strategien und -Maßnahmen sowie Prognosen, nationale Anpassungsmaßnahmen, die finanzielle und technologische Unterstützung für Entwicklungsländer und Versteigerungserlöse, erneuerbare Energien, die Energieeffizienz, die Sicherheit der Energieversorgung, den Energiebinnenmarkt sowie Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit umfasst. Für diese Berichte wird eine Plattform für die elektronische Berichterstattung vorgeschlagenen.

3.4.

Die Verordnung enthält detaillierte Bestimmungen betreffend Bewertung, Folgemaßnahmen und einen Empfehlungs- und Reaktionsmechanismus im Falle unzureichender Ambitioniertheit oder Fortschritte. Die Bereitstellung eines umfassenden verbindlichen Rahmens für die nationalen Energie- und Klimapläne trägt zur Gewährleistung von Vergleichbarkeit und Kohärenz bei. Wenn ein Mitgliedstaat den vorgesehenen Ausgangswert für den Anteil erneuerbarer Energien nicht einhält, ist er verpflichtet, einen finanziellen Beitrag zu einer Finanzierungsplattform zu leisten. Der jährliche Bericht über die Lage der Energieunion soll Gesamtberichte in all diesen Bereichen enthalten. Der Europäischen Umweltagentur wird eine spezifische und weitreichende Rolle bei der Unterstützung der Europäischen Kommission zuerkannt.

3.5.

Die Verordnung ergänzt das Europäische Semester und steht mit diesem im Einklang; für makroökonomische Anpassungen und Strukturreformen relevante energie- und klimapolitische Aspekte können nach wie vor in den länderspezifischen Empfehlungen im Rahmen des Europäischen Semesters behandelt werden.

4.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

4.1.    Ziele, Vorgaben und Beiträge

4.1.1.

Die Governance-Verordnung enthält einen detaillierten Rahmen für die nationalen Energie- und Klimapläne sowie den damit verbundenen Berichterstattungs-, Bewertungs- und Anpassungsprozess. Im Mittelpunkt stehen die Festlegung von Zielen, die Bewertung der Vorgaben und die Umsetzung der Beiträge. Allerdings werden diese Begriffe in Artikel 2 „Begriffsbestimmungen“ nicht definiert; hier muss Abhilfe geschaffen werden.

4.1.2.

Der EWSA unterstützt und befürwortet die detaillierten, in Anhang I festgelegten Vorgaben für die verpflichtenden nationalen Energie- und Klimapläne. Damit werden die Einzelpläne für Energieeffizienz und erneuerbare Energien ersetzt. Von besonderer Bedeutung ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, nationale Beiträge in diesen Bereichen festzulegen, mit denen insgesamt zumindest die übergeordneten, auf EU-Ebene vereinbarten Ziele erreicht werden sollten.

4.1.3.

Der EWSA hat in seinen früheren Stellungnahmen (3) ausdrücklich und konsequent verbindliche nationale Ziele gefordert, da viele Misserfolge früherer Energiemaßnahmen auf eine schwache Umsetzung zurückzuführen waren. Wenn die in den nationalen Energie- und Klimaplänen festgelegten Beiträge konsequent angewendet, angepasst und durchgesetzt würden, könnte ein vergleichbares Ergebnis wie bei verbindliche Zielen erreicht werden. Doch dazu muss zunächst eine Reihe von Schwachpunkten in dem vorliegenden Vorschlag ausgemerzt werden.

4.1.4.

Die Referenzwerte für die nationalen Beiträge zu Energieeffizienz und erneuerbarer Energie sind die vereinbarten und von den Mitgliedstaaten bereits übermittelten Ziele bis 2020. Die Verordnung hätte eine stärkere Wirkung, wenn sie indikative Referenzwerte für die Beiträge der Mitgliedstaaten bis 2030 enthielte. Diese müssen in jedem Fall als Grundlage für den Dialog über etwaige Anpassungen festgelegt werden und würden bei einer frühzeitigen Vorlage und Veröffentlichung den geplanten iterativen Prozess beschleunigen.

4.1.5.

Einige Mitgliedstaaten haben ihre 2020-Energieziele in nationalen Gesetzen festgeschrieben. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten in der Verordnung zur Verankerung ihrer vereinbarten Beiträge für 2030 in nationalem Recht verpflichtet werden sollten, um die Ziele durch eine rechtliche Verpflichtung zu untermauern. Erfahrungsgemäß garantieren jedoch selbst rechtliche Verpflichtungen nicht unbedingt den Erfolg; daher hebt der EWSA die Bedeutung von „Good Governance“ als stabiler Prozess zur Gewährleistung von Fortschritten hervor. In einem späteren Abschnitt dieser Stellungnahme wird insbesondere darauf hingewiesen, dass erheblich strengere Bestimmungen notwendig sind, um die Teilhabe der Interessenträger an der Governance zu ermöglichen und zu sichern.

4.1.6.

Zur weiteren Stärkung der Bedeutung der nationalen Beiträge sollte in der Verordnung in Bezug auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien die Einzelverantwortung der Mitgliedstaaten präzisiert werden, angemessen und verhältnismäßig zu den übergeordneten EU-Zielen beizutragen. Bislang handelt es sich um eine gesamtverantwortliche Verpflichtung.

4.2.    Berichterstattung

4.2.1.

Der EWSA begrüßt die Berichterstattungspflicht der Mitgliedstaaten und die analytische/kritische Rolle, die der Europäischen Kommission gemeinsam mit der Europäischen Umweltagentur in Bezug auf diese Berichte übertragen wird. Eine präzise, konsequente und mutige Analyse ist entscheidend, damit die anschließenden Empfehlungen und Stellungnahmen der Europäischen Kommission Wirkung zeigen können. Außerdem müssen die Daten für den Berichterstattungszeitraum relevant und auf dem letzten Stand sein, wie in der Stellungnahme zur Lage der Energieunion 2015 betont wurde (4).

4.2.2.

Obwohl die für die Berichterstattung notwendigen Daten mit den gemäß dem Übereinkommen von Paris erforderlichen Daten koordiniert werden, erfolgt die Aktualisierung der nationalen Energie- und Klimapläne vor Ablauf der Frist für die fünfjährliche globale Bilanz dieses Übereinkommens, wodurch eventuelle Änderungen nur mit erheblicher Verzögerung im nationalen Klimaschutzbeitrag der EU berücksichtigt werden könnten. Da die EU das Übereinkommen von Paris nunmehr unterzeichnet hat, wird eine koordinierte Governance dadurch auf unannehmbare Weise untergraben. Die Gelegenheit zur Sicherstellung einer angemessenen zeitlichen Abfolge der Überprüfungen der nationalen Klimaschutzbeiträge auf UN- und EU-Ebene sollte genutzt werden.

4.2.3.

In diesem Zusammenhang sollte in der Verordnung eine „Sperrklausel“ als Mechanismus vorgesehen werden, um zu dem ehrgeizigen Ziel der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 oC im Vergleich zum vorindustriellen Niveau beizutragen. Dies könnte in Form einer Festlegung von CO2-Budgets über fünf bis zehn Etappen erfolgen, mit der sich die EU zur Erreichung des Nullemissionsziels bis 2050 verpflichtet.

4.2.4.

Gemäß der Verordnung müssen die nationalen Energie- und Klimapläne u. a. eine Folgenabschätzung zu sozialen Aspekten und insbesondere nationale Ziele betreffend Energiearmut sowie ein Aktionsprogramm enthalten. Der EWSA hat sich eingehend mit dieser Thematik beschäftigt und begrüßt ihre Berücksichtigung. Allerdings können die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Energie- und Klimaplänen ihre eigene Definition von „Energiearmut“ anwenden, wodurch ein Datenabgleich zwischen den Mitgliedstaaten unmöglich ist; dies wiederum beeinträchtigt die Chancen der EU, einen gerechten Wandel zu bewerkstelligen, und erhöht die Wahrscheinlichkeit des Widerstands der Bürger gegen eben diesen Wandel. In der Verordnung sollte daher eine einfache Referenzdefinition für Energiearmut festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten wären nicht gehalten, sie in ihrer internen Politik zu übernehmen, doch sie würde als Kriterium für die Beurteilung der Fortschritte im Rahmen der nationalen Energie- und Klimapläne herangezogen. Ein Beispiel für eine derartige Definition wäre: „Energiearmut liegt vor, wenn ein Haushalt mehr als 10 % seines verfügbaren Einkommens für Energie zur angemessenen Heizung oder Kühlung verwendet.“ Eine solche Definition hat einige Länder in die Lage versetzt, Fortschritte und andere Entwicklungen bei der Bekämpfung der Energiearmut zu beurteilen; in Anbetracht der Vielzahl ursächlicher Faktoren könnte aber eine umfassendere Definition notwendig sein.

4.3.    Transparenz, Rechenschaftspflicht und Durchsetzung

4.3.1.

Nach Meinung des EWSA wurden viele der früheren Rechtsvorschriften im Energiebereich durch Verzögerungen bzw. Ungenauigkeiten bei der Umsetzung und Durchsetzung beeinträchtigt. Die Mitgliedstaaten müssen daher alles tun, um im Geiste von Solidarität und Engagement politischen Willen zu zeigen und die Verwaltungsressourcen bereitzustellen, die für eine wirksame Umsetzung der Verordnung notwendig sind. Der Zeitplan ist äußerst anspruchsvoll. Die Entwürfe der nationalen Energie- und Klimapläne, die zuvor Gegenstand einer echten Konsultation und eines regionalen Dialogs sein müssen, sind der Europäischen Kommission bis 1. Januar 2018 vorzulegen. Dies setzt voraus, dass die nationalen Energie- und Klimapläne und der damit verbundene Dialog mit den Interessenträgern und regionalen Partner bereits entwickelt werden. Der EWSA kann nachvollziehen, dass die Anforderungen eines neuen Rahmens und neuer Ziele für den Zeitraum 2020-2030 diesen Prozess maßgeblich vorantreiben, ist jedoch besorgt, dass die Legitimität der EU-Energiepolitik ohne grundlegendes Verständnis und Engagement der Bürger untergraben werden könnte, insbesondere bei den Verbrauchern, die steigende Energiekosten in Kauf nehmen müssen.

4.3.2.

Der geplante Governance-Prozess enthält so gut wie keine offenen Sanktionen im Falle von Ambitionsmangel oder Nichteinhaltung. Transparenz und Rechenschaftspflicht sind von grundlegender Bedeutung, damit die Interessenträger, insbesondere die Bürger, Einfluss nehmen können. Der EWSA schlägt daher die Einrichtung eines unabhängigen Gremiums der Interessenträger vor, um eine wirksame Repräsentation und Konsultation der Interessenträger in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten; dieses Gremium sollte einen eigenen Jahresbericht zum Governance-Prozess und dem damit verbundenen Dialog veröffentlichen. (Siehe Ziffer 4.6)

4.3.3.

Die Verordnung enthält zahlreiche Verweise auf die Transparenz, der EWSA sieht jedoch mit Sorge, dass eine frühe Veröffentlichung der nationalen Energie- und Klimaplänen und der öffentliche Zugang zu diesen in jeder Phase ihrer Ausarbeitung nicht verbindlich vorgesehen sind. In den Erwägungsgründen der Verordnung wird auf das Übereinkommen von Aarhus verwiesen, nicht jedoch in den Artikeln; der EWSA erachtet dies als unzureichend. In der Verordnung sollte präzisiert werden, dass die Mitgliedstaaten den Entwurf ihrer nationalen Energie- und Klimapläne so früh wie möglich veröffentlichen müssen und alle Folgefassungen dieser Pläne, einschl. etwaiger Kommentare und Antworten der Europäischen Kommission, regionalen Partner und Mitgliedstaaten, öffentlich zugänglich sein müssen.

4.3.4.

Aufgrund der entscheidenden Bedeutung der Umstellung auf erneuerbare Energieträger muss auch über die Ausgestaltung und Funktionsweise der „Finanzierungsplattform“ (Artikel 27) Aufschluss gegeben werden sowie darüber, wie ein eventuelles Defizit bei der Bereitstellung erneuerbarer Energie in einen finanziellen Beitrag zur Finanzierungsplattform umgerechnet wird. Ist bspw. vorgesehen, dass diese Plattform auf der Grundlage der Beiträge der Mitgliedstaaten als Hebel für die Mobilisierung privater Mittel wirken soll? Die auf dieser Plattform zusammengetragenen Mittel könnten für Energieeffizienzmaßnahmen und die Bereitstellung erneuerbarer Energie verwendet werden.

4.3.5.

Es bleibt offen, wie die Empfehlungen der Europäischen Kommission im Anschluss an die jährliche Berichterstattung durchgesetzt werden, wenn die Mitgliedstaaten ihnen nicht unmittelbar Folge leisten. Erfolgt dies im Zuge des normalen Vertragsverletzungsverfahrens, wäre dies sicherlich viel zu langsam, um innerhalb des Zeitplans Wirkung zu zeigen.

4.4.

Der EWSA unterstützt ausdrücklich die Bestimmungen für die verpflichtende regionale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit der Maßnahmen und zur Förderung von Marktintegration und Energiesicherheit. Er schlägt jedoch vor, den Begriff „regional“ in Artikel 2 „Begriffsbestimmungen“ aufzunehmen, damit die Europäische Kommission das Engagement genau dort fördern kann, wo es noch fehlt. Derzeit könnte „regional“ als innerstaatlich und nicht zwischenstaatlich aufgefasst werden; eine „Region“ könnte rein geografisch und nicht als Gruppierung von Ländern mit einander ergänzenden Energieressourcen verstanden werden.

4.5.

Der EWSA zeigt sich insbesondere enttäuscht, dass die in Artikel 10 vorgesehene „Konsultation der Öffentlichkeit“ relativ konturlos und unzureichend ist und weit hinter dem vom EWSA vorgeschlagenen umfassenden europäischen Energiedialog (EED) abfällt — einem Dialog, der die Bürger/Verbraucher direkt und kontinuierlich einbezieht und an der Basis Verbrauchererziehung und Bürgerengagement für ein Maßnahmenpaket fördert, das in vielen Mitgliedstaaten auf Widerstände treffen wird. Ein derartiger Dialog ist zu wichtig, um, wenn überhaupt, unter der Überschrift „Nicht legislative Maßnahmen“ behandelt zu werden; er sollte durch eine zusätzliche Bestimmung in Artikel 10 inhaltlich konkretisiert werden. In diesem Artikel werden auch die in der Richtlinie über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme („SUP-Richtlinie“) festgelegten Normen nicht eingehalten; darin sind die Bestimmungen für eine transparente und partizipative Governance in Umweltangelegenheiten geregelt, für die die Energie- und Klimapläne ein entscheidender Bestandteil sind.

4.6.

Daher bekräftigt der EWSA seinen Standpunkt, dass die Energie- und Klimapläne im Rahmen des in dieser Verordnung verankerten Governance-Prozesses ohne Einbeziehung und Unterstützung der europäischen Zivilgesellschaft nicht erfolgreich umgesetzt werden können. Um Vertrauen und Engagement der Bürger sicherzustellen, muss solch ein Dialog unabhängig von den Regierungen und dem Verfahren der nationalen Energie- und Klimapläne geführt werden. Er sollte darauf abheben, Verbraucher zu informieren, Energieversorger einzubeziehen, Vertrauen zu bilden und eine Plattform für die zahlreichen Anliegen verschiedener Gruppen wie Sicherheit, Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit der Energieversorgung zu bieten. Der EWSA hat sich bereiterklärt, an diesem Prozess, den er als Europäischen Energiedialog bezeichnet, mitzuwirken und an der Vorbereitung bzw. Durchführung einiger Aspekte der nationalen Konsultationen teilzunehmen. Der Umfang eines solchen Dialogs erfordert jedoch umfassendere Ressourcen und ein erhebliches Engagement der Mitgliedstaaten. Letztlich müssten folgende Voraussetzungen geschaffen werden:

Es wird ein unabhängiger und objektiver Finanzpool eingerichtet, in den in erster Linie die Interessenträger der gesamten Energieerzeugungs- und -versorgungskette einzahlen, während die EU und die Mitgliedstaaten eine angemessene Unterstützung bereitstellen. Der EED bietet sich als ausnehmend kosteneffizienter Ansatz an, um die gesamte Bandbreite der Verbraucher in die Energiesteuerung einzubeziehen und den Beitrag von Prosumenten zu würdigen und zu fördern.

Parallel zu den Leitlinien zur Gestaltung der nationalen Pläne werden über den EED in Abstimmung mit der Kommission und allen wichtigen Interessenträgern Leitlinien für die Einrichtung nationaler Energiedialoge entwickelt.

Es wird eine vollkommen unabhängige EED-Koordinierungsstelle zur Förderung von Tätigwerden und Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten eingerichtet, die u. a. zur notwendigen Prüfung von Inhalt, Zielen und Umsetzung der nationalen Pläne durch die Kommission beitragen sollte. Damit wird der mögliche Beitrag der Interessenträger zur Politikgestaltung aufgewertet und die in der Verordnung enthaltene Anforderung für eine wirksame Konsultation erfüllt.

Die nationalen Pläne werden erörtert und in den Regionalgruppen finden Diskussionen zwischen den Energiedialog-Teilnehmern benachbarter Länder statt. Anschließend finden Diskussionen auf EU-Ebene zwischen allen Energiedialog-Teilnehmern statt. Diese Diskussionen, die von der unabhängigen EED-Koordinierungsstelle zusammengefasst werden, sollten von den EU-Institutionen als konsultativer Beitrag anerkannt werden und zur Kostenwirksamkeit der Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten beitragen.

4.7.

Der EWSA schlägt vor, ein eigenes Referat „Europäische Energieinformationen“ in der Europäischen Umweltagentur einzurichten, das für die Datenerhebung und die Bewertungsverfahren in Verbindung mit der Governance-Verordnung zuständig ist. Es sollte eng mit der vorgeschlagenen Beobachtungsstelle für Energiearmut zusammenarbeiten und Informationsdienste für den Europäischen Energiedialog auf nationaler Ebene bieten.

4.8.

Die Sicherheit der Energieversorgung ist eine der fünf zentralen Dimensionen für Berichterstattung und Bewertung in der Verordnung; insbesondere für diese Dimension wird ein umfassender regionaler Dialog notwendig sein. Der EWSA hat bereits betont, dass die EU eine klare und gemeinsame Energiediplomatie und -politik gegenüber Drittländern braucht (5). Sicherheit der Energieversorgung und Energiesolidarität werden von der Europäischen Kommission als erste Dimension einer gemeinsamen Energieunion genannt, sie können jedoch ohne solide Übereinkommen und Partnerschaften mit den wichtigsten globalen Akteuren und ohne gemeinsame Energiepolitik nicht erreicht werden.

4.9.

Der EWSA zeigt sich über die möglichen Auswirkungen des Brexit auf den Governance-Prozess besorgt. Erstens wird für den in der Verordnung skizzierten Prozess von der EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs ausgegangen; und die nationalen Klimaschutzbeiträge (NDC) werden auf dieser Grundlage bewertet. Die endgültigen nationalen Energie- und Klimapläne werden vor dem formellen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU festgelegt, aber zu diesem Zeitpunkt könnten beträchtliche Anpassungen erforderlich sind, um den nationalen Klimaschutzbeitrag (NDC) des Vereinigten Königreichs aus dem EU-Gesamtbeitrag herauszunehmen. Der EWSA schlägt vor, dass die Europäische Kommission sowohl ein „Brexit-Szenario“ als auch ein „EU-28-Szenario“ ausarbeitet; beide Szenarien sollten parallel erörtert werden. Zweitens könnte der Austritt des Vereinigten Königreichs bei jeder einzelnen der fünf Dimensionen dieser Verordnung, insbesondere bei der Sicherheit der Energieversorgung, erhebliche Folgen für das politische Gleichgewicht und die diplomatische Strategie haben.

Brüssel, den 26. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

George DASSIS


(1)  ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 8.

(2)  COM(2001) 428 final.

(3)  ABl. C 424 vom 26.11.2014, S. 39 und ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 103.

(4)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 117.

(5)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 117.


28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz“

(COM(2016) 761 final] — 2016/0376 (COD))

(2017/C 246/07)

Berichterstatter:

Mihai MANOLIU

Befassung

Rat, 9.12.2016

Europäisches Parlament, 12.12.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 194 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

11.4.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

26.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

115/1/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Es ist notwendig, dass die europäischen Bürger proaktiv Energieeffizienz fördern, die Initiative ergreifen und im Rahmen gemeinsamer Projekte zusammenarbeiten und sich für die Beseitigung wirtschaftlicher, verwaltungstechnischer und rechtlicher Hemmnisse einsetzen. Das gemeinsame Ziel besteht in der Umsetzung der im Rahmen der COP 21 eingegangenen Verpflichtungen, die sich in mehrfacher Hinsicht positiv auswirken wird: beschäftigungsfördernde neue Investitionen (Gebäudesanierung, Verbesserung des Komforts, intelligente und gerechte Verbrauchsmessung), Verringerung der Energiearmut und der Umweltverschmutzung, Verbesserung der öffentlichen Gesundheit und dazu noch die Senkung der Abhängigkeit von Energieeinfuhren. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, sich nachdrücklicher zur Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie zu bekennen, da die neuen, für 2030 vorgeschlagenen Ziele ehrgeiziger sind als die für 2020 festgelegten Ziele.

1.2.

Energieeffizienz ist sehr wichtig für die Zukunft des europäischen Energiesystems. Die Erhöhung der Energieeffizienz in allen Energienutzungsbereichen kann erheblich dazu beitragen, die Kosten für die europäische Wirtschaft zu senken, und der Grundsatz „Energieeffizienz zuerst“ kann den Zugang zu Finanzierungen erleichtern. und kostspielige Nebeninfrastrukturen überflüssig machen. Verpflichtungen zur Energieeinsparung stehen im Einklang mit einer nachhaltigen (tragfähigen und sicheren) Entwicklung, und durch die Nutzung von Synergien sollte ein effizienter Übergang zu einem resilienten, emissionsarmen und intelligenten (überregionale Verteilersysteme, Nachfragesteuerung, Speichersysteme) Energiesystem gefördert werden.

1.3.

Der EWSA nimmt den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Kenntnis, ein verpflichtendes Energieeffizienzziel von 30 % bis 2030 vorzuschreiben, ist aber der Auffassung, dass jedwede Steigerung des 27 %-Ziels durch die Darlegung der damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile und der zur Erreichung der Ziele erforderlichen Investitionen begründet werden muss. In der Folgenabschätzung müssen auf jeden Fall sämtliche Maßnahmen im Rahmen der Klima- und Energiepakete berücksichtigt werden.

1.4.

Um die wesentlichen Hemmnisse für die Anwendung von Art. 7 der Energieeffizienzrichtlinie zu beseitigen, fordert der EWSA, die Endverbraucher durch Förder- und Informationsmaßnahmen verstärkt für Energieeffizienzsysteme und alternative Maßnahmen zu sensibilisieren. Die Mitgliedstaaten müssen zusätzliche Investitionen für glaubwürdige Informations-, Kommunikations-, Aufklärungs- und Unterstützungsmaßnahmen bereitstellen, um die Bürger und die Unternehmen zu überzeugen und die Verwirklichung des strategischen Ziels im Bereich Klimaschutz und Energieeffizienz voranzubringen.

1.5.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, ihr Augenmerk verstärkt auf die Notwendigkeit zu richten, dass die Energiekosten der von Energiearmut betroffenen Haushalte sowie von Sozialwohnungen nachhaltig gesenkt werden müssen. Weitere wichtige Zielvorgaben in diesem Zusammenhang sind die Verbesserung der Energieeffizienz des Wohngebäudebestands sowie Effizienzmindeststandards für gemieteten Wohnraum (Energieaudits).

1.6.

Der EWSA weist darauf hin, dass es wichtig ist, die Endverbraucher über Technologien zur gleichzeitigen Bereitstellung von Elektrizität und Wärme (Kraft-Wärme-Kopplung, Klimatisierung), intelligente Verbrauchserfassung und Sanierungspläne aufzuklären. Auf diese Weise kann den Investoren, Behörden und Unternehmen das notwendige Vertrauen gegeben werden, Projekte mit großem Energieeffizienzpotenzial aufzulegen und sich an der Finanzierung von Forschung und Entwicklung zu beteiligen.

1.7.

Der EWSA hofft, dass durch die Bestimmungen der europäischen Finanzinstrumente (Darlehen, Garantien, Beteiligungsfinanzierung, Subventionen) auch private Finanzmittel für Energievorhaben mobilisiert werden. Ferner müssen Zuschüsse für Vorhaben mit großer sozialer Wirkung berücksichtigt werden. Entsprechende Förderregelungen sollten auf Vorhaben zugunsten einkommensschwacher Verbraucher angewendet werden. Es wird empfohlen, für die nationalen Pläne Leitlinien für Transparenz und Vergleichbarkeit aufzustellen. Der EWSA hält es für erforderlich, vorrangig die von Energiearmut betroffenen Haushalte zu unterstützen und so dafür zu sorgen, dass die Mitgliedstaaten langfristig über einen stabilen politischen Rahmen für eine nachhaltige Entwicklung auf lokaler Ebene verfügen.

1.8.

Nach Meinung des EWSA kann dies durch die Bereitstellung technischer Unterstützung für die Durchführung der Energieeffizienzrichtlinie im Wege einer innovativen marktbasierten Finanzierung erreicht werden. Ein wichtiger quantitativer Faktor bei der Genehmigung finanzieller Anreize ist der Energie-Audit (Definition von KMU, keine Doppelzertifizierung, einheitlicher Ansatz hinsichtlich der Geringfügigkeitsschwelle), ein Instrument zur Steigerung der Energieeffizienz und der Wettbewerbsfähigkeit. Des Weiteren sind nationale Schulungsprogramme für Energieeffizienzanbieter sowie ein angemessener Qualitätssicherungsansatz erforderlich.

1.9.

Zur Verbesserung der Energieeffizienz für die Verbraucher empfiehlt der EWSA die Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen auf nationaler Ebene, um die Kosten zu senken.

1.10.

Der EWSA plädiert für einen übergreifenden Ansatz und die Verbesserung der Energieeffizienz im Verkehrssystem auf der Grundlage der laufenden technischen Weiterentwicklung von Fahrzeugen und Antriebssystemen, der Verlagerung auf energieeffiziente Verkehrsmittel und intelligenter Verkehrssysteme (IVS), um die Auslastung der vorhandenen Kapazitäten zu verbessern. Diese Überlegungen sind auch im Luft- und Seeverkehr zu berücksichtigen. Die Verbraucher müssen auch über den Kraftstoffverbrauch aller Verkehrsmittel einschließlich der einschlägigen CO2-Emissionsobergrenzen informiert werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA stimmt zu, dass „Energieeffizienz an erster Stelle“ ein Leitmotiv der Energieunion ist, das durch den vorliegenden Änderungsvorschlag in die Praxis umgesetzt werden soll. Die günstigste, sauberste und sicherste Energie ist die, die wir erst gar nicht verbrauchen. Energieeffizienz bietet eine äußerst kostenwirksame Möglichkeit, den Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft zu unterstützen und Wachstum, Beschäftigung und Investitionen zu fördern.

2.2.

Für 2020 wird ein Energieeffizienzziel von 20 % angestrebt. Für 2030 sind verschiedene Zielvorgaben geprüft worden (zwischen 27 % und 40 %). Am ehrgeizigsten ist das in einer Entschließung des Europäischen Parlaments geforderte verbindliche 40 %-Ziel. Nach einer Analyse des erwarteten Nutzens in Form von Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum, Versorgungssicherheit, Senkung des Klimagasausstoßes und Vorteilen für Gesundheit und Umwelt schlägt die Europäische Kommission nun ein verbindliches Energieeffizienzziel von 30 % vor. Angesichts dieses anspruchsvolleren Ziels hält der EWSA es für außerordentlich wichtig, sorgfältig die Auswirkungen der Energieeffizienzziele auf andere Zielvorgaben im Rahmen von energiepolitischen Legislativvorschlägen und insbesondere auf das Emissionshandelssystem der EU (EU-EHS) zu prüfen.

2.3.

Um diese inspirierende Ziele zu verwirklichen, müssen die Mitgliedstaaten (mit Unterstützung ihrer jeweiligen Wirtschafts- und Sozialräte) sowie die Energieversorger und -verteiler jährlich 1,5 % Energie einsparen (eine zentrale Maßnahme). Der EWSA befürwortet den Vorschlag, die Energieeinsparverpflichtung über das Jahr 2020 hinaus zu verlängern und die jährliche Quote von 1,5 % sowie die Möglichkeit, die Einsparauflagen durch Energieeffizienzverpflichtungssysteme wie auch flexible alternative Maßnahmen zu erfüllen, beizubehalten.

2.4.

Der vom EWSA unterstützte neue Ansatz wird den Mitgliedstaaten und Investoren die benötigte langfristige Perspektive geben, um ihre Investitionsstrategien und -pläne auf die Verwirklichung des EU-Ziels auszurichten. Über geeignete Maßnahmen auf nationaler und regionaler Ebene sollen bis 2030 umfangreiche Vorteile erzielt werden, darunter eine Senkung des Endenergieverbrauchs um 17 % gegenüber 2005, Wirtschaftswachstum und eine Steigerung des BIP um 0,4 %, niedrigere Strompreise für Haushalte und Industrie (Senkung von 161 auf 157 EUR/MWh), neue Chancen für Unternehmen und Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze, Senkung der Umwelt- und Gesundheitskosten (um 4,5-8,3 Mrd. EUR) und Verbesserung der Energiesicherheit (Rückgang der Gasimporte um 12 % bis 2030).

2.5.

Nach Meinung des EWSA ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass die maßgeblichen Energiemarktteilnehmer informiert sind, die Haushalte und Industriekunden über relevante, klare und kompakte Informationen über ihren Eigenverbrauch verfügen und ihre Rechte im Bereich Verbrauchserfassung (Fernablesung) und Fakturierung, auch für Wärmeenergie, gestärkt werden sollten. Auch schutzbedürftige Verbraucher müssen berücksichtigt werden: Sinkende Energierechnungen sollten zur Verbesserung ihrer Lebensqualität führen.

2.6.

Indes macht es der Schutz sozial schwacher Verbraucher erforderlich, dass durch die Richtlinie keine individuelle Verbrauchserfassung in Ländern vorgeschrieben wird, wo die Vermieter gesetzlich dazu verpflichtet sind, die Energiekosten der Mieter zu übernehmen, zumal diese Mietrechtsvorschriften ein wichtiger Anreiz für die Vermieter sind, energetische Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Ferner wäre hervorzuheben, dass die Nutzlebensdauer vieler, in einigen Mitgliedstaaten erst kürzlich gemäß geltenden EU-Rechtsvorschriften installierter individueller Zähler weit über die von der Europäischen Kommission für die Ersetzung durch fernablesbare Geräte gesetzte Frist von 2027 hinausreicht. Die Ersetzung dieser Zähler kann von den Verbrauchern in der EU als überflüssige zusätzliche Ausgabe angesehen werden und sollte deshalb vermieden werden.

2.7.

Der EWSA erachtet es als unerlässlich, die sozialen Aspekte der Energieeffizienz zu stärken und Energiearmut, insbesondere der schutzbedürftigen Verbraucher, zu bekämpfen. Die EU-Mitgliedstaaten müssen verstärkt auf soziale Maßnahmen achten. Die Umsetzung der Richtlinie ist Voraussetzung für Wohlergehen.

2.8.

Es sei darauf hingewiesen, dass die Energieeffizienzziele und die Klimaschutzziele sich insofern überlagern, als sie auf die Senkung des Klimagasausstoßes abheben. Dies führt dazu, dass im Rahmen verschiedener Maßnahmen die Einführung neuer Technologien in größerem Umfang und rascher vorangetrieben wird. Diese neuen Technologien werden zu Energieeinsparungen im Verkehrssektor, in der Industrie, in den Haushalten und im Gebäudesektor führen. Letztlich bieten sie den Mitgliedstaaten eine kostenwirksame Möglichkeit, im Einklang mit Artikel 7 der Richtlinie (tatsächliche Energieeinsparungen, praktische Energieeffizienzmaßnahmen) nationale Ziele im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems (EU-EHS und ESD) zu erfüllen.

2.9.

Mit Blick auf die geltenden Energieeffizienzrechtsvorschriften gelangt das Europäische Parlament zu dem Schluss, dass die Energieeffizienzrichtlinie zwar unzureichend umgesetzt worden ist, aber einen Rahmen zur Erreichung von Energieeinsparungen bietet, dass konkurrierende Rechtsvorschriften ökologische Erfolge bremsen, Bürokratie schaffen und die Energiekosten in die Höhe treiben, dass die Rechtsvorschriften im Energiebereich kohärenter werden müssen und dass mehr Energieeffizienz mehr Arbeitsplätze und Wachstum bedeutet.

2.10.

Vor diesem Hintergrund geht der EWSA davon aus, dass seine Stellungnahme und die vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Maßnahmen in den neuen Legislativvorschlag zu Energieeffizienz einfließen werden.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.    Rechtsgrundlage, Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit

3.1.1.

Artikel 194 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, auf dem auch die Richtlinie 2012/27/EU beruht, stellt die Rechtsgrundlage für Maßnahmen im Energiebereich dar. Eine Richtlinie zur Änderung einer bestehenden Richtlinie ist daher ein geeignetes Instrument.

3.1.2.

Der EWSA ist der Meinung, dass die Energieeffizienzziele teilweise auch deshalb nicht erreicht worden sind, weil die Mitgliedstaaten im Alleingang gehandelt haben. Es bedarf eines koordinierten Handelns auf EU-Ebene, um die Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten zu unterstützen. Energieprobleme führen zu politischen, wirtschaftlichen (Binnenmarkt, Entwicklung, Investitionen, Regulierung) und sozialen (Energieverbrauch, Energiepreise, Armut, Beschäftigung) Fragestellungen und Schwierigkeiten im Bereich der Energiesicherheit. Auch die Klimaschutzproblematik muss berücksichtigt werden.

3.1.3.

Der EWSA betont, dass das Subsidiaritätsprinzip gewahrt und die Flexibilität in der Energiepolitik und im Energiemix aufrechterhalten werden müssen, damit bis 2030 die Energieeinsparungen erreicht werden, auf die die Mitgliedstaaten sich freiwillig festgelegt haben.

3.2.    Durchführung, Monitoring, Bewertung und Berichterstattung

3.2.1.

Es wurden verschiedene Optionen der Verringerung des Primärenergieverbrauchs gegenüber 2007 bewertet, und es wurde geprüft, ob bei der Formulierung des Ziels der Primär- bzw. Endenergieverbrauch und Energieeinsparungen oder Energieintensität herangezogen werden sollten. Die Konsultation ergab, dass die meisten Interessenträger ein 30 %-Ziel bis 2030 befürworten.

3.2.2.

Der Analyse zufolge sind folgende Optionen zu bevorzugen:

für Artikel 7 über die Energieeinsparungsverpflichtung die Option 3 (Verlängerung des Geltungszeitraums des Artikels 7 bis 2030, Vereinfachung und Aktualisierung);

für die Artikel 9 bis 11 über Verbrauchserfassungs- und Abrechnungsinformationen die Option 2 (Klärung und Aktualisierung sowie Konsolidierung einiger Bestimmungen, um die Kohärenz mit den Rechtsvorschriften für den Energiebinnenmarkt sicherzustellen).

3.2.3.

Eine wesentliche Schlussfolgerung betrifft die sozialen Auswirkungen: je 1,2 Mio. EUR an Investitionen in Energieeffizienz unterstützen unmittelbar etwa 23 Arbeitsplätze.

3.2.4.

Die Senkung der Energiekosten aufgrund von Energieeffizienzmaßnahmen sollte sich positiv für von Energiearmut Betroffene auswirken und dadurch einigen Problemen im Zusammenhang mit sozialer Ausgrenzung entgegenwirken.

3.2.5.

Der EWSA geht davon aus, dass der Vorschlag zur Änderung der Richtlinie Vorteile für KMU in Form von spezifischen Bestimmungen, Förderprogrammen (zur Deckung der Kosten von Energieaudits) und Anreizen zur Durchführung von Energieaudits bringen wird. Kleine Bauunternehmen werden von den geschäftlichen Möglichkeiten der Gebäuderenovierung sowie von der Verlängerung des derzeitigen Geltungszeitraums des Artikels 7 bis 2030 profitieren. Auch Energieleistungsverträge mit Energieversorgern bieten Anreize für Energiedienstleister, bei denen es sich häufig um KMU handelt.

3.2.6.

Gleichzeitig erwartet der EWSA, dass die Maßnahmen hinsichtlich der Energieverbrauchserfassung und -abrechnung zu Klarstellungen und Aktualisierungen im Einklang mit der technischen Entwicklung von Fernablesegeräten für den Wärmeverbrauch (Heizung, Klimatisierung) führen werden. Entsprechend den nationalen energiepolitischen Maßnahmen werden die Energieverbrauchsinformationen zudem präzise, individualisiert und häufiger bereitgestellt.

3.2.7.

Durch den Vorschlag wird der Geltungszeitraum verlängert, doch entstehen keine zusätzlichen budgetären oder administrativen Belastungen, da die Mitgliedstaaten bereits über entsprechende Maßnahmen und Strukturen verfügen. Die mit den Energieeffizienzverpflichtungssystemen verbundenen Kosten werden an die Endkunden weitergereicht. Die Endkunden wiederum werden aufgrund ihres geringeren Energieverbrauchs von niedrigeren Energiekosten profitieren. Der Vorschlag hat keine Auswirkungen auf den EU-Haushalt.

3.2.8.

Im Zuge der neuen energiepolitischen Governance wird ein flexibles und transparentes Analyse-, Planungs-, Berichterstattungs- und Monitoring-System eingerichtet, das auf den nationalen Energie- und Klimaschutzplänen beruht. Die Durchführung der nationalen Pläne zur Verwirklichung der Energieeffizienzziele und die Umsetzung des EU-Gesamtziels werden überwacht. Im Einklang mit der bevorzugten Option werden dazu Erfolgsindikatoren angewandt, und zwar korrekte Umsetzung und Anwendung, weitere Fortschritte bei der Verwirklichung, mehr Informationen für die Verbraucher und ein geringerer Verwaltungsaufwand sowie eine bessere Berichterstattung über die Einsparungen.

3.3.    Bemerkungen zu den spezifischen Bestimmungen des Vorschlags zur Änderung der Richtlinie

3.3.1.

Das hinweisende 27 %-Ziel wird durch ein verbindliches EU-Ziel von 30 % ersetzt. Jeder Mitgliedstaat muss ein auf den End- und Primärenergieverbrauch bezogenes nationales Energieeffizienzziel für 2020 festlegen. Die Europäische Kommission wird die Fortschritte bewerten und alle mitgeteilten Ziele analysieren, um zu bewerten, ob das EU-Ziel erreicht wird. Die Europäische Kommission kann zusätzliche Maßnahmen vorschlagen, wenn die EU ihre Ziele zu verfehlen droht. Das Bewertungsverfahren wird ausführlich im Rahmen des Governance-Systems der Energieunion erläutert.

3.3.2.

Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, langfristige Strategien zur Mobilisierung von Investitionen in die Renovierung ihres nationalen Gebäudebestands aufzustellen. Der betreffende Artikel wird aus der Energieeffizienzrichtlinie gestrichen und in die Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden aufgenommen, die dem EWSA zufolge ein wichtiges Instrument für die Verwirklichung der Ziele ist, denn der Gebäudebereich, auf den 40 % des Gesamtendenergieverbrauchs entfallen, ist der größte Energieverbraucher in Europa.

3.3.3.

Der EWSA versteht unter Kraft-Wärme-Kopplung die gleichzeitige Strom- und Wärmebereitstellung (in Form von Warmwasser, Dampf oder eines Kühlmittels) innerhalb einer Anlage (Dampfturbine oder Motor als Generatorantrieb usw.). Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) ist hocheffizient, wenn durch die kombinierte anstatt der getrennten Produktion von Wärme und Strom Primärenergieeinsparungen von mindestens 10 % erreicht werden. Im Unterschied zu konventionellen Kondensationskraftwerken, in denen die zugeführte Primärenergie nur zu einem Drittel in Strom umgewandelt wird, werden in hocheffizienten KWK-Anlagen zwei Prozesse gekoppelt (gleichzeitige Erzeugung elektrischer und thermischer Energie) und so bis zu 90 % der Primärenergie in Nutzenergie umgewandelt.

3.3.4.

KWK bietet erhebliche Vorteile: Energieeffizienz, Flexibilität bei der Wahl des eingesetzten Brennstoffs, Einfachheit von Betrieb und Wartung, Sicherheit, Komfort für die Kunden, niedrige Kosten über den ganzen Lebenszyklus, geringerer Kapitalbedarf und flexible Systemplanung.

3.3.5.

Energiespeicherung ermöglicht die Erzeugung von Energie aus geeigneten (emissionsarmen) Quellen und die Optimierung des Energieverbrauchs und bietet sich außerdem als Lösung für Unternehmen an, die entweder erneuerbare Energie erzeugen und ihren Verbrauch bedarfsgerecht optimieren wollen oder die ihre Kosten senken wollen, indem sie ihren Stromverbrauch zu Spitzenlastzeiten senken und preiswerteren Schwachlaststrom nutzen.

3.3.6.

Der EWSA unterstützt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Änderung von Artikel 7, durch die die Energieeinsparverpflichtung unter Aufrechterhaltung der verpflichtenden jährlichen Einsparungen von 1,5 % bis 2030 verlängert wird. Die Fortschritte bei der Durchführung der Maßnahmen werden 2027 und danach alle 10 Jahre überprüft, bis die langfristigen Energie- und Klimaziele der Union für 2050 erreicht sind.

3.3.7.

Der EWSA begrüßt die Änderung der Artikel über Verbrauchserfassungs- und Abrechnungsinformationen zur Klärung von Fragen im Zusammenhang mit der zentralen Versorgung mit Wärme, Kälte und Warmbrauchwasser. Jedoch dürfen individuelle Messgeräte nicht in denjenigen Ländern durch EU-Rechtsvorschriften verpflichtend gemacht werden, wo die Vermieter gesetzlich dazu verpflichtet sind, die Energiekosten der Mieter zu übernehmen (Inklusivmiete, die unter staatlicher Aufsicht zwischen Mieter- und Vermieterorganisationen ausgehandelt wird). Für die Gasverbrauchserfassung muss dem Endverbraucher ein individuelles Messgerät zur Verfügung gestellt werden, von dem der Verbrauch klar abgelesen werden kann.

3.3.8.

Gasverbrauchsinformationen werden auf dem tatsächlichen Verbrauch und einem System der regelmäßigen Selbstablesung beruhen. Es wird eine Anforderung geben, dass Informationen über Verbrauch und Energieabrechnungen Energiedienstleistern zur Verfügung gestellt werden. Die (elektronischen) Abrechnungen müssen für die Verbraucher klar und verständlich sein. In Anbetracht der vorgeschlagenen Verbesserungen hofft der EWSA, dass die Mitgliedstaaten sich stärker darum bemühen werden, sozial verträgliche und wirtschaftlich vertretbare Lösungen für die Kosten der Verbrauchserfassung (wer trägt die Zählerkosten?) zu finden — eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung eines gerechten und angemessenen Ansatzes zur Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen beim Zugang zu Energie.

3.3.9.

Die Energieindustrie hat seit geraumer Zeit die Änderung des Primärenergiefaktors (PEF) auf der Grundlage des Endenergieverbrauchs für Energieeinsparungen in kWh in den Mitgliedstaaten gefordert. Die Methodik und ein neuer Faktor stellen eine erhebliche Verbesserung dar. Der EWSA befürwortet den als 2,0 angesetzten PEF, wobei den Mitgliedstaaten Spielraum eingeräumt wird, in ausreichend begründeten Fällen einen anderen Koeffizienten anzuwenden. Die Energieindustrie ist besorgt angesichts der ungünstigen Berechnungsmethode für Nuklearenergie, für die ähnlich wie bei den anderen klimaneutralen Energieträgern ein Faktor 1 (ein Umwandlungswirkungsgrad von 100 %) angesetzt werden sollte.

Brüssel, den 26. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/48


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden“

(COM(2016) 765 final — 2016/0381 (COD))

(2017/C 246/08)

Berichterstatterin:

Baiba MILTOVIČA

Mitberichterstatterin:

Isabel CAÑO AGUILAR

Befassung

Europäisches Parlament, 12.12.2016

Rat der Europäischen Union, 21.12.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 194 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

11.4.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

26.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

157/0/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Ziel der vorgeschlagenen Richtlinie ist es, die vorangegangenen Rechtsvorschriften zur Verbesserung der Energieeffizienz in Gebäuden zu präzisieren und auszuweiten. Ihre Wirksamkeit wird an ihrem Beitrag zu den Hauptzielen der Energieunion gemessen werden, doch da sie sich schwerpunktmäßig auf die bauliche Umwelt bezieht, ist auch ihr Beitrag zu wirtschaftlichen und sozialen Zielsetzungen (insbesondere die Verringerung der Energiearmut, die Sicherstellung der Erschwinglichkeit von Wohnraum und die Senkung der Energiekosten) maßgeblich.

1.2.

Nach Meinung des EWSA muss die Richtlinie vor allem mehr spezifische Empfehlungen zur Bekämpfung der Energiearmut enthalten. U. a. sollten klarere Angaben zum erforderlichen Inhalt der nationalen Definitionen von Energiearmut gemacht, eine Referenzdefinition zur Beurteilung der Eignung der Ansätze im Rahmen der nationalen Pläne aufgestellt und eine Beratung sowie Koordinierung der Maßnahmen durch eine unabhängige, verbraucherorientierte zentrale Anlaufstelle oder Agentur angeboten werden.

1.3.

Nach Meinung des EWSA müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen des legislativen Ansatzes der politischen Option II, die den Änderungen der Richtlinie zugrunde liegt, in ihren nationalen Plänen die in der alternativen Option III (wie in der begleitenden Folgenabschätzung der Europäischen Kommission dargelegt) aufgestellten ehrgeizigeren Ziele anstreben, um einen Entwicklungspfad einzuschlagen, der es langfristig ermöglicht, das im Übereinkommen von Paris angestrebte Ziel zu erreichen.

1.4.

Es wird empfohlen, durch diese Richtlinie die nationalen Strategien für die Renovierung von Gebäuden zu unterstützen und dazu die Aufstellung spezifischer sektorbezogener Ziele vorzuschreiben und eine Referenzmethodik für die Messung der Verbesserungen zu entwickeln. Auch sollten feste Vorgaben für die Mindestenergieeffizienz bei der Renovierung von öffentlichen und gewerblichen Gebäuden gemacht werden.

1.5.

Im Rahmen des Richtlinienvorschlags ist nicht die Gelegenheit genutzt worden, grüne Hypotheken, Fernwärme aus regenerativen Energien, Heimspeicher und gewerbliche Energiespeicher, gezielte Schulungen für Installateure und Renovierer sowie weitere technische, finanzielle und fiskalische Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz in Gebäuden zu fördern. Zwar werden diese Maßnahmen anderweitig unterstützt, doch lässt sich der zurückhaltende Ansatz in dieser Richtlinie nur rechtfertigen, wenn dadurch Impulse für Flexibilität und ehrgeizige Maßnahmen gegeben werden. Der EWSA fordert die Europäische Kommission dringend auf, die Durchführung und Wirksamkeit der Richtlinie genau zu verfolgen und nötigenfalls rechtzeitig auf die in der Governance-Verordnung vorgesehene Möglichkeit der Nachbesserung und Überarbeitung zurückzugreifen.

1.6.

Die Vergleichbarkeit der den Energieeffizienzausweisen zugrunde liegenden Berechnungsmethoden der Mitgliedstaaten und damit der Energieeffizienzausweise sollte gefördert werden.

1.7.

Es sollten weitere Anreize für private und nicht kommunale Vermieter von Sozialwohnungen zur Investition in Altbausanierung vorgeschlagen werden.

1.8.

Der allgemein vorgeschlagene sog. Intelligenzindikator muss auch die Möglichkeit der Bewohner eines Gebäudes abbilden, die Energieeffizienz zu beurteilen und ferner ihre eigene Erzeugung und ihren eigenen Verbrauch erneuerbarer Energie zu steuern bzw. zu erleichtern und ihre Energiekosten zu senken.

1.9.

Der EWSA fordert insbesondere, der Kompetenz der Kommunen bei der Förderung und Koordinierung von Energieeffizienzprogrammen Rechnung zu tragen, und verweist in diesem Zusammenhang auf das Potenzial des Bürgermeisterkonvents.

1.10.

Der EWSA hebt die Notwendigkeit hervor, Neubau und Altbausanierung zu fördern, einen Bereich, in dem KMU 83 % aller Arbeitsplätze stellen (OECD: Small Businesses, Job Creation and Growth).

1.11.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass ohne Innovation die Energiebilanz von Gebäuden nicht verbessert werden kann. Die EU verliert ihre Führungsrolle bei emissionsmindernden Energietechnologien und stellt nur noch 15 % der Arbeitsplätze in diesem Bereich. Die Fachausbildungen müssen an die Kompetenzanforderungen für diese hochspezialisierten Bereiche angepasst werden.

1.12.

Der EWSA begrüßt die Initiative „Intelligente Finanzierung für intelligente Gebäude“ und die Möglichkeit ihrer Verknüpfung mit dem Juncker-Plan als positiven Schritt.

2.   Einleitung

2.1.

Die Richtlinie ist Teil des Pakets „Saubere Energie für alle Europäer“, das die Energieunion auf eine solide Grundlage stellen und das Bewusstsein und die Erkenntnis fördern soll, dass die Umstellung auf saubere Energie der Wachstumssektor der Zukunft ist. Auf den Gebäudesektor entfallen 40 % des Endenergieverbrauchs der EU. Bei der Gebäudeenergieeffizienz sowohl von Neubauten als auch im Zuge der Nachrüstung von Bestandsgebäuden werden weiterhin große Fortschritte erzielt. 15 Jahre einschlägige EU-Rechtsvorschriften haben ihren Teil dazu beigetragen, doch gibt es nach wie vor ein großes Potenzial für Verbesserungen der Energieeffizienz sowie für weitere soziale Vorteile.

2.2.

Trotz technischer Entwicklungen, einschlägiger Rahmendaten und Nutzung öffentlicher, über Finanzinstrumente bereitgestellter Fördermittel ist keine nennenswerte Steigerung bei der Sanierungsquote des Gebäudebestands zu verzeichnen — 75 % der Gebäude in der EU sind nach wie vor nicht energieeffizient.

2.3.

Die weltweiten Auswirkungen des Klimawandels und die Bemühungen um eine Konsolidierung der europäischen Energiepolitik erhöhen die Dringlichkeit, aber einige grundlegende und komplexe Problemstellungen sind nach wie vor ungelöst, und die Fortschritte sind hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Ohne einschlägige Maßnahmen werden die Klima- und Energieziele für 2030 und 2050 kaum zu erreichen sein. Bei Gebäuden könnte der Energieverbrauch um 5-6 % und der CO2-Ausstoß um ca. 5 % gesenkt werden. Da die Sanierungs- bzw. Renovierungsquote im Gebäudebestand derzeit jährlich bei nur 0,4 %-1,2 % liegt, müssen diese Prozesse selbstredend beschleunigt werden.

2.4.

Die vorgeschlagene Richtlinie soll die Vorgängerrichtlinie aus dem Jahr 2010 ändern, die ihrerseits eine Neuauflage der ersten Gebäuderichtlinie aus dem Jahr 2002 ist. Mit der Neufassung 2010 wurde die Richtlinie aus dem Jahr 2002 umfassend geändert. Insbesondere wurden darin der wachsenden Bedeutung von Energieeffizienz in der baulichen Umwelt und ihrem Beitrag zu politischen Zielen sowie wichtigen technischen Erkenntnissen Rechnung getragen, Anpassungen nach acht Jahren praktischer Erfahrungen vorgenommen und die entscheidende Notwendigkeit hervorgehoben, die einzelstaatlichen Ansätze zu regeln und zu verbessern.

2.5.

Die vorgeschlagene Änderungsrichtlinie ist zwar erheblich kürzer, schreibt diesen Ansatz jedoch fort. Insbesondere sieht sie die Einbeziehung von langfristigen Renovierungsstrategien, die Nutzung von intelligenten Technologien in Gebäuden sowie die Straffung der geltenden Bestimmungen vor. Es werden eine ausführliche Bewertung der Richtlinie von 2010 sowie eingehende Folgenabschätzungen möglicher weiterer Maßnahmen vorgenommen. Von der wirkungsstärksten politischen Option III wurde vor allem aufgrund von kurzfristigen Kosten, Subsidiaritätsbedenken und politischem Realitätssinn zugunsten der weniger ehrgeizigen politischen Option II abgesehen.

2.6.

Alle Interessenträger befürworten indes ehrgeizige Fortschritte. Die Branche stellt 18 Mio. direkte Arbeitsplätze und trägt mit 9 % zum EU-BIP bei; die Herausforderung besteht darin, Erschwinglichkeit, die Anforderungen des Wohn- und Gewerbegebäudemarkts sowie die sozialen und die Klimaziele miteinander zu vereinbaren.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1.

Der Richtlinienvorschlag beinhaltet eine Reihe von Änderungen, die die derzeitigen Bestimmungen der Richtlinie 2010/31/EU stärken und bestimmte Aspekte vereinfachen. Die wesentlichen Punkte sind folgende:

Die Definition des Begriffs „gebäudetechnische Systeme“ wird um Aspekte der intelligenten Gebäudetechnik und der Elektromobilitätsinfrastruktur erweitert.

Die im Rahmen der Energieeffizienz-Richtlinie von 2012 von den Mitgliedstaaten entwickelten langfristigen Renovierungsstrategien werden in die Richtlinie übernommen.

Die Mitgliedstaaten müssen einen Fahrplan mit klaren Etappenzielen und Maßnahmen zur Umsetzung des langfristigen Ziels der Dekarbonisierung des nationalen Gebäudebestands bis 2050 aufstellen und darin spezifische Teilziele bis 2030 festlegen. Dies soll auch zur Verringerung der Energiearmut beitragen.

Investitionen werden gefördert, indem die Mitgliedstaaten angehalten werden, Projekte zu bündeln, die damit verbundenen Risiken zu mindern und öffentliche Mittel zu nutzen, um Anreize für private Investitionen zu schaffen und auf spezifische Fälle von Marktversagen zu reagieren.

Die Mitgliedstaaten können Anforderungen festlegen, um sicherzustellen, dass Nichtwohngebäude mit Systemen für die Gebäudeautomatisierung und -steuerung ausgerüstet werden.

Die Mitgliedstaaten können Anforderungen festlegen, um sicherzustellen, dass Wohngebäude, die über zentrale gebäudetechnische Systeme verfügen, mit einer kontinuierlichen elektronischen Überwachungsfunktion und einer wirksamen Steuerungsfunktionen zur Gewährleistung der optimalen Erzeugung, Verteilung und Nutzung der Energie ausgerüstet sind.

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die regelmäßige Inspektion der zugänglichen Teile von Klimaanlagen für Nichtwohngebäude und für Wohngebäude, die über zentrale gebäudetechnische Systeme verfügen, zu gewährleisten.

Die Mitgliedstaaten sind gehalten, die Eigentümer oder Mieter von Gebäuden insbesondere über Ausweise über die Gesamtenergieeffizienz, ihren Zweck und ihre Ziele sowie über kosteneffiziente Maßnahmen zur Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz des Gebäudes zu informieren.

Es werden Anforderungen aufgestellt, um die Einrichtung von Ladepunkten (bzw. die Vorverkabelung der Infrastruktur) für Elektrofahrzeuge in einem Großteil von Neubauten und renovierten Altbauten verpflichtend zu machen.

Veränderungen in den gebäudetechnischen Systemen werden erfasst, bewertet und mitgeteilt.

Über die Entwicklung eines Intelligenzindikators sollen die vorhandenen Gebäudeenergieeffizienzinformationen ergänzt werden.

Es wird ein konkreter Zusammenhang zwischen den für Gebäuderenovierung verfügbaren Finanzierungsmaßnahmen und dem erreichten Grad an Energieeffizienz hergestellt.

4.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt die anhaltende Schwerpunktsetzung auf die Energieeffizienz von Gebäuden, befürchtet aber insbesondere, dass der Energiearmut, die er in früheren Stellungnahmen (1) bereits angesprochen hat und die allgemein als schwerwiegendes soziales Problem anerkannt ist, nur unzureichend Rechnung getragen wird.

4.2.

Ein umfassenderer und ehrgeizigerer Ansatz tut Not. Die bereits von der EU festgelegten Emissionssenkungs- und Energieeffizienzziele sowie das Inkrafttreten des mit großen Hoffnungen verbundenen Übereinkommens von Paris im Oktober 2016 erfordern entschiedenere Maßnahmen, zumal die bisherige unzulängliche Umsetzung der vorhergehenden Vorschläge vermuten lässt, dass Gebäude immer noch eine besondere Herausforderung sind.

4.3.

Der EWSA hegt Vorbehalte gegen Option II (wie in der Folgenabschätzung erläutert) als Grundlage zur Änderung der Richtlinie. Zwar beinhaltet Option III weit über die Kostenoptimalität hinausgehende verpflichtende Maßnahmen, womit der EWSA keinesfalls einverstanden ist, doch müssen wahrscheinlich die wesentlich ehrgeizigeren Zielsetzungen von Option III — mitsamt ihren zwei- bis dreimal größeren Auswirkungen auf das Klima, die Energieeffizienz und soziale Belange — einem langfristigen Entwicklungspfad zugrunde gelegt werden, der es ermöglicht, das im Übereinkommen von Paris angestrebte Ziel zu erreichen. Es wird folglich notwendig sein, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des legislativen Ansatzes der politischen Option II in ihren nationalen Plänen die in der alternativen Option III (wie in der begleitenden Folgenabschätzung der Europäischen Kommission dargelegt) aufgestellten ehrgeizigeren Ziele anstreben.

4.4.

Eine vor Kurzem vorgenommene Bewertung der Gebäuderenovierungsstrategien der Mitgliedstaaten kommt zu allgemein positiven Ergebnissen (JRC 2016: Synthesis Report on the assessment of Member States‘ building renovation strategies). Dieser Aspekt fällt unter die Energieeffizienzrichtlinie; jedoch gibt es bislang keine gemeinsame Definition von „Renovierung“. Es wäre sinnvoll, in der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden die Aufstellung spezifischer sektorbezogener Ziele vorzuschreiben und eine Referenzmethodik für die Messung der Verbesserungen mit einem Schwellenwert für die Förderwürdigkeit, ab dem die Unterstützung von Renovierungsarbeiten einsetzt, zu entwickeln. In Verbindung damit sollten feste Vorgaben für die Mindestenergieeffizienz bei der Renovierung von öffentlichen und gewerblichen Gebäuden gemacht werden.

4.5.

In der Richtlinie werden die Anforderungen für nationale Datenbanken für die Ausweise über die Gesamtenergieeffizienz erweitert. Es wäre nützlich, auf EU-Ebene eine öffentlich zugängliche Datenbank mit anonymisierten nationalen Daten über die nationalen Renovierungsstrategien zu errichten, die mit der in der Governance-Verordnung vorgeschlagenen Plattform für die elektronische Berichterstattung vernetzt werden könnte. In diesem Zusammenhang sollten in der Richtlinie dezidierte Anleitungen zum Vergleich der Berechnungsverfahren gegeben werden, wodurch wiederum die Vergleichbarkeit der Energieeffizienzausweise vereinfacht würde.

4.6.

Zwar gibt es keinen Grund, warum dies nicht in den nationalen Plänen berücksichtigt werden sollte, doch enthält die Richtlinie keinen Vorschlag, um privaten und nicht kommunalen Vermietern von Sozialwohnungen mehr Anreize zur Investition in Altbausanierung zu bieten. Wenn die Mieter die Energierechnungen direkt bezahlen, gibt es für die Vermieter häufig keinen wirtschaftlichen Anlass, die Gebäudeenergieeffizienz zu verbessern. In einigen Ländern macht der Mietwohnungsbereich einen großen Anteil des Wohnungsbestands aus. Die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden hat erhebliche Auswirkungen auf die Erschwinglichkeit von Wohnraum und die Energiearmut, weshalb die Verfügbarkeit von Finanzinstrumenten zur Förderung von Renovierung wichtig ist. Meist können Kommunen, Vermieterverbände und Eigentümer Darlehen für umfangreiche Energieeffizienzverbesserungen von Wohngebäuden in Anspruch nehmen. Häufig entstehen jedoch durch ungünstige Finanzierungs- und Vertragskonditionen und erschwerten Kapitalzugang Hemmnisse.

4.7.

Grüne Hypotheken sollten durch die Richtlinie unterstützt werden. Auch sollten im kleineren Maßstab durchgeführte, bewährte Programme für energetische Sanierung in einem übergeordneten Rahmen gebündelt werden, sodass Förderpakete geschnürt werden können.

4.8.

In der 2016 vorgelegten EU-Strategie für die Wärme- und Kälteerzeugung (COM(2016) 51 final) wurden die Vorteile der Modernisierung und Ersetzung von Fernwärmesystemen in Verbindung mit dem Einsatz erneuerbarer Energieträger herausgestellt. Fernwärme- und Stadtkonzepte gelten meist als Infrastrukturkomponente des Gebäudesystems, und deshalb sollte in dieser Richtlinie eine klare Aufforderung ausgesprochen werden, dies im Rahmen der Stadtplanung zu berücksichtigen.

4.9.

Es ist hervorzuheben, dass die Klima- und Energieziele mit emissionsmindernden Energietechnologien und nachhaltigeren energieeffizienten Gebäuden verknüpft sind. Dabei spielen fortgeschrittene Materialtechnologien (NE-Metalle, Stahl, Glas, Kunststoff usw.) eine zunehmend wichtige Rolle, und ohne Innovation kann die Energiebilanz von Gebäuden nicht verbessert werden. Ca. 5 % der heute produzierten fortgeschrittenen Werkstoffe werden in emissionsmindernden Energietechnologien und in nachhaltigeren Gebäuden eingesetzt, und diese Märkte entwickeln sich rasch.

4.10.

Die EU als solche verliert ihre Führungsrolle und stellt nur noch 15 % der Arbeitsplätze im Bereich der emissionsmindernden Energietechnologien (ca. 1,1 Mio. direkte und indirekte Arbeitsplätze). Auch im Bereich der für diese Technologien notwendigen fortgeschrittenen Werkstoffe sieht sich die EU einem zunehmenden internationalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt, und ohne geeignete Maßnahmen zur Förderung von Technologieschub (Technology Push) und Marktnachfrage (Market Pull) werden Innovation und Fertigung zunehmend außerhalb der EU stattfinden. Auch müssen in Fachausbildungen die Kompetenzanforderungen für diese hochspezialisierten Bereiche vermittelt werden.

4.11.

Der EWSA unterstützt die Entwicklung von Elektromobilität als Beitrag zur allgemeinen Dekarbonisierung der Wirtschaft, fragt sich jedoch, ob solch große Detailgenauigkeit notwendig ist und welche Auswirkungen diese Maßnahmen auf die Erschwinglichkeit von Wohn- und Geschäftsraum und auf den Ermessensspielraum der Behörden bei der Förderung von Elektromobilität haben. Ein weiterer wichtiger ergänzender Aspekt — Energiespeicherung — wird zwar in der Begründung erwähnt, aber in der Richtlinie übergangen, obwohl sie eine aussichtsreiche, sich rasch entwickelnde und erschwingliche Technologie darstellt.

4.12.

Desgleichen ergeben sich durch den zusehenden Ausbau der dezentralen Energieerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern Möglichkeiten für die Integration von Effizienzmaßnahmen für nicht an das Gasversorgungsnetz angeschlossene Gebäude und die Umstellung auf regenerative Wärme- und Kälteerzeugung. Dies sollte gezielt unterstützt werden.

4.13.

Die vorgeschlagenen Änderungen zur Verbesserung der Förderung intelligenter (öffentlicher, gewerblich genutzter und Wohn-) Gebäude sind relativ unbedeutend und sollten zielorientierter und umfassender sein.

4.14.

Der Vorschlag, die Fähigkeit eines Gebäudes, durch die Nutzung von IKT und elektronischen Systemen einen optimalen Betrieb zu gewährleisten und mit dem Versorgungsnetz zu interagieren, durch einen sog. Intelligenzindikator abzubilden, bedarf weiterer Entwicklung, ist jedoch grundsätzlich zu begrüßen. Ziel sollte es sein, einen transparenten, aussagekräftigen Indikator mit Mehrwert für den Energieeffizienzausweis zu entwickeln, ohne jedoch ungebührliche Belastungen durch Datenerhebung und -auswertung zu verursachen. Ein solcher Indikator muss die Möglichkeit der Bewohner eines Gebäudes abbilden, die Energieeffizienz zu beurteilen und ferner ihre eigene Erzeugung und ihren eigenen Verbrauch erneuerbarer Energie zu steuern bzw. zu erleichtern und ihre Energiekosten zu senken.

4.15.

Das Problem der Energiearmut wird in den Zusammenhang mit der Festlegung von Meilensteinen zur Schaffung eines Gebäudebestands mit niedrigen CO2-Emissionen eingeordnet. In der Richtlinie ist jedoch kein Regelungsrahmen vorgesehen, um die Entwicklung eines kostenwirksamen Ansatzes zur Verringerung von Energiearmut als solcher zu unterstützen — obwohl nicht energieeffiziente Wohngebäude eine der Ursachen von Energiearmut sind. Nach Meinung des EWSA wäre dies jedoch angebracht, und er empfiehlt, entsprechende Änderungsvorschläge zu den einschlägigen Artikeln der Richtlinie aus dem Jahr 2012 aufzunehmen. Dies würde im Einklang mit der in dem Verordnungsvorschlag über ein Governance-System der Energieunion vorgesehenen Verpflichtung der Mitgliedstaaten stehen, politische und andere Maßnahmen zur Bekämpfung von Energiearmut zu bewerten und festzulegen.

4.16.

Der EWSA empfiehlt deshalb, in der Richtlinie Kriterien aufzustellen, die in einer Referenzdefinition von Energiearmut berücksichtigt werden sollten, und auch eine eigene Referenzdefinition für Energiearmut vorzuschlagen. Die Mitgliedstaaten wären nicht gehalten, sie in ihrer internen Politik zu übernehmen, wüssten indes, welche Art Kriterien für die Beurteilung der Fortschritte im Rahmen der nationalen Energie- und Klimapläne herangezogen würden. Eine solche Definition hat einige Länder in die Lage versetzt, Fortschritte und andere Entwicklungen bei der Bekämpfung der Energiearmut zu beurteilen, doch ist der EWSA sich durchaus bewusst, dass in Anbetracht der Vielzahl ursächlicher Faktoren eine Priorisierung spezifischer nationaler Faktoren angebracht sein könnte.

4.17.

Der EWSA fordert daher nachdrücklich die Mitgliedstaaten auf, sich auf einen umfassend koordinierten Ansatz zur Eindämmung der Energiearmut zu einigen und dabei die Rolle und Wirkung von sowohl Gebäudeenergieeffizienz als auch Finanzierungsmaßnahmen (u. a. Sozialtarife und Armutsbekämpfungsmaßnahmen), Verbraucherberatung über Versorger- und Tarifauswahl und Informationen über einfache Energiesparmaßnahmen berücksichtigen. Im Interesse einer maximalen Effizienz und Wirksamkeit ist es wesentlich, dass eine unabhängige, verbraucherorientierte zentrale Anlaufstelle oder Agentur Beratung sowie eine Koordinierung der Maßnahmen anbietet.

4.18.

Verschiedene unabhängige Studien und Berichte der Europäischen Kommission weisen darauf hin, dass Tempo und Wirksamkeit der Umsetzung der Gebäudeenergieeffizienz-Richtlinie in den Mitgliedstaaten unterschiedlich sind. Ursachen sind:

Umsetzungs- und Auslegungsprobleme, die die Europäische Kommission durch Durchsetzungsmechanismen zu beheben versucht. Einige Mitgliedstaaten sind sich nicht ausreichend der Bedeutung der Gebäudeenergieeffizienz für die Umsetzung der Energie- und Klimaziele und der nationalen Renovierungsstrategien bewusst. Der EWSA fordert die GD ENER auf, die Umsetzung weiterhin aufmerksam zu überwachen und erforderlichenfalls rasch Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

Die Qualität und die Vergleichbarkeit von Energieeffizienzausweisen. Harmonisierte Anforderungen der EU für die Qualifikation von Experten und Prüfern und Qualitätskontrollen bei Energieeffizienzausweisen wären sinnvoll. Auch eine Erweiterung der Energieeffizienzausweise um zusätzliche technische Informationen und Verbesserungsempfehlungen wäre begrüßenswert.

Der EWSA stellt fest, dass in der Richtlinie finanzielle Anreize an Energieeffizienzausweise geknüpft sind und Fördermittel deshalb erst nachträglich und in Abhängigkeit von dem Vergleich des energetischen Zustands vor und nach der Ausstellung des neuen Energieeffizienzausweises ausbezahlt werden können. Dies ist der Energieeffizienz abträglich, denn von Fördermitteln abhängige Renovierungen werden nur dann durchgeführt, wenn die Fördermittel garantiert sind, bevor die Arbeiten anfangen.

Die Nutzung der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds und insbesondere der Fonds der Kohäsionspolitik. Im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung fließt ein Mindestanteil der Fördermittel in die Umstellung auf eine Niedrigemissionswirtschaft in allen Sektoren, doch gibt es große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Nutzung all dieser Mittel für Gebäudeenergieeffizienz. Es gibt klare Auslegungshilfen, aber die Nutzung dieser Mittel muss gezielter gefördert werden.

Förderung der Fachausbildungen im Bereich Gebäuderenovierung, insbesondere auf Ebene der KMU, auf die 90 % der Bauunternehmen in Europa entfallen.

4.19.

Der EWSA stellt fest, dass die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) und insbesondere die Fonds der Kohäsionspolitik im Programmplanungszeitraum 2014-2020 eine wichtige Rolle bei der Sanierung und dem Neubau von Gebäuden spielen sollen. Es müssen jedoch noch viele Hemmnisse beseitigt werden, vor allem im Zusammenhang mit dem begrenzten Zugang zu Finanzierung, hohen Vorlaufkosten, relativ langen Amortisierungszeiten, der ungünstigeren Einschätzung des Kreditrisikos bei Investitionen in nachhaltige Energie, konkurrierenden Prioritäten der Eigentümer usw. (Europäische Kommission: Technical guidance — Financing the energy renovation of buildings with Cohesion Policy funding). Die Initiative „Intelligente Finanzierung für intelligente Gebäude“ ist ein konkreter Schritt hin zur Überwindung einiger dieser Probleme, und es besteht die Möglichkeit einer Verknüpfung mit dem Juncker-Plan, um weitere Investitionen in diesem Bereich anzuschieben.

4.20.

Die Festlegung überzeugender Prioritäten und Verantwortlichkeiten für die lokalen Behörden ist daher wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Nutzung der verfügbaren Programmressourcen maximale Wirkung erzielt und über die in den Mitgliedstaaten festgesetzten Mindestanforderungen (wie Energieeffizienzanforderungen, Energieaudits usw.) hinausgeht; je ambitionierter die Ziele, desto höher sollte die Förderung sein.

4.21.

Der EWSA nimmt in diesem Zusammenhang insbesondere das Potenzial des Bürgermeisterkonvents zur Kenntnis. Die Unterzeichner des mittlerweile über 7 000 beteiligte Kommunen zählendenden Konvents verpflichten sich, im Wege von Aktionsplänen für nachhaltige Energie (SEAP) die erforderlichen Energieeffizienz- und Erneuerbare-Energien-Maßnahmen zu ergreifen. Die Mobilisierung der Städte, auf die der Großteil unserer baulichen Umwelt entfällt, ist eine lokal ansetzende Initiative mit globaler Wirkung.

4.22.

Die Ziele der Richtlinie werden von den meisten Interessenträgern des Bausektors sowie Vertretern von Eigentümer- und Mietervereinigungen des Wohn- und Gewerbegebäudebereichs generell befürwortet. Voraussetzung für weitere Verbesserungen der Energieeffizienz sind indes Zusammenarbeit, Dialog und konkretes Engagement.

Brüssel, den 26. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 21, ABl. C 424 vom 26.11.2014, S. 64, ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 22, ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 78.


28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/55


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (Neufassung)“

(COM(2016) 767 final — 2016/0382 (COD))

(2017/C 246/09)

Berichterstatter:

Lutz RIBBE

Mitberichterstatter:

Stefan BACK

Befassung

Europäisches Parlament, 1.3.2017

Europäischer Rat, 6.3.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

11.4.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

26.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

108/1/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Vorlage der überarbeiteten Richtlinie zur Förderung erneuerbarer Energien. Der Ausbau erneuerbarer Energien (EE) spielt in Verbindung mit den anderen Vorschlägen des sogenannten „Winterpakets“ eine entscheidende Rolle für die Erreichung der Ziele der Europäischen Energieunion, der Klimaschutzziele der EU sowie des Ziels, weltweit wieder die Nummer 1 bei erneuerbaren Energien zu werden. Der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch soll im Jahr 2030 27 % betragen.

1.2.

Für die Erreichung der Klimaschutzziele sowie für die Verringerung der Importabhängigkeit hat ein „27 %-Ziel“ nur bedingte Aussagekraft. Das 27 %-Ziel muss in Verbindung mit anderen Maßnahmen zur CO2-Reduktion (z. B. Effizienzsteigerungen) gesehen werden und könnte daher in der Tat ausreichen, insbesondere wenn die Regelungen im Governance-Bereich die Mitgliedstaaten in der Tat dazu brächten, gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen. Wenn man das Ziel im Zusammenhang mit dem Anspruch der globalen Führungsrolle im Bereich der erneuerbaren Energien sieht und bedenkt, dass ohne Überarbeitung der Richtlinie laut Kommission schon ein Anteil von 24,7 % erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch im Jahr 2030 erreicht würde, ist es legitim zu fragen, ob das Ziel ambitioniert genug ist.

1.3.

Trotz der Planungs- und Überwachungsbestimmungen in dem vorgeschlagenen Governance-System der Energieunion wiederholt der EWSA sein Bedauern darüber, dass verbindliche nationale Ziele fehlen.

1.4.

Der EWSA unterstützt grundsätzlich das Ziel, dass die Erneuerbaren sich dem Markt stellen müssen. Eine unbefristete Subventionierung, egal ob von fossilen, atomaren oder erneuerbaren Energieträgern, kommt für ihn aus mehreren Gründen nicht in Frage.

1.5.

Die Einführung erneuerbarer Energieträger auf den Strommärkten kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn gleiche Ausgangsbedingungen für alle Energieträger geschaffen werden. Dass erneuerbare Energien heute noch eine staatliche Förderung benötigen, liegt zu einem Großteil daran, dass die konventionelle Stromerzeugung hochsubventioniert ist. Daher ist es zwingend, dass die heute bestehenden Verzerrungen zu Lasten der erneuerbaren Energien beispielsweise durch eine Kombination aus Energiebesteuerung und Emissionshandelssystem, die alle externen Kosten erfasst, beseitigt werden (siehe EWSA-Stellungnahme „Änderung der Gebäudeenergieeffizienz-Richtlinie“ — noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). Der EWSA betont, dass dies zu den geringstmöglichen Zusatzkosten für die Verbraucher oder Unternehmen erfolgen muss und kann.

1.6.

Die neue Energiepolitik sollte sich an den drei großen „Ds“ (Dezentralisierung, Digitalisierung und Demokratisierung) ausrichten. Für die erneuerbaren Energien muss auch ein neues Marktdesign umgesetzt werden, das an die dezentrale Struktur der Stromerzeugung aus Erneuerbaren angepasst ist.

1.7.

Der EWSA befürwortet die von der Kommission vorgesehene Entwicklung dezentralisierter und intelligenter Marktstrukturen, fordert jedoch, dass der von der Europäischen Kommission formulierte Anspruch, die Verbraucher und Bürger in den Mittelpunkt der europäischen Energiepolitik zu stellen, viel wirksamer umgesetzt wird. Durch die Entwicklung neuer intelligenter Marktstrukturen könnte auch das „revolutionäre“ Potenzial, das der Energiewende nach Bekundung der Europäischen Kommission innewohnt, auf eine Art und Weise freigesetzt werden, die den gesellschaftlichen und regionalen Gewinn maximiert.

1.8.

Der EWSA begrüßt die Anerkennung von Prosumenten als wichtige Akteure auf dem neuen Energiemarkt; dies ist ein Schritt in Richtung Energiedemokratie durch die Stärkung der Handlungskompetenz großer und kleiner Verbraucher sowie der Bürger. Die Möglichkeiten, die ihnen in dem Vorschlag eingeräumt werden, bedeuten zwar einen gewissen Fortschritt gegenüber der jetzigen Situation, reichen aber längst nicht aus, beispielsweise in Bezug auf ein einklagbares Recht auf den Zugang zu und die Nutzung von öffentlichen Versorgungsnetzen/Stromnetzen. Deshalb kann der Vorschlag lediglich als erste Etappe auf dem langen Weg hin zur Ausschöpfung des echten sozialen, wirtschaftlichen und regionalen Potenzials prosumentenorientierter Märkte betrachtet werden.

1.9.

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung des raschen Auf- und Ausbaus intelligenter Netze, um eine stabile und sichere Versorgung zu gewährleisten, Sektorkopplung durch die Integration von Power-to-Heat, Power-to-Gas und Vehicle-to-Grid in das Netz auch auf Mikroebene zu erreichen sowie einen effizienten „Peer-to-Peer“-Handel zu ermöglichen, damit Prosumenten umfassend und gleichberechtigt am Strommarkt teilnehmen können.

1.10.

Die Digitalisierung wird es Prosumenten potenziell ermöglichen, sich nicht nur an der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen zu beteiligen, sondern auch am Handel. Der EWSA empfiehlt daher ausdrücklich, ein entsprechendes positives Recht hierauf festzuschreiben.

1.11.

Die regionalwirtschaftlichen Potenziale der Erneuerbaren, u. a. auch von biogenen Energien (inkl. alternativer Kraftstoffe), werden zwar in den Erwägungsgründen erwähnt, sie finden aber im eigentlichen Gesetzestext keine Berücksichtigung. Eine entsprechende Strategie zur Verknüpfung erneuerbarer Energie und regionaler Wirtschaftsentwicklung wird vermisst. Auch die wichtige Bedeutung von Städten, Kommunen und Regionen wie auch der KMU als Treiber der Umstellung auf erneuerbare Energien wird nicht erkannt.

1.12.

Die möglich gewordene Verbindung von neuer Energiepolitik mit Regionalentwicklung ist nicht nur regionalwirtschaftlich von Bedeutung. Die Teilhabe von lokalen Stakeholdern an dezentralen Energieprojekten ist auch für die Akzeptanzschaffung von Bedeutung: Für Klimaschutz oder Energiesicherheit macht es keinen Unterschied, ob ein Windpark einem internationalen Beteiligungskapitalfonds oder lokalen Interessenträgern gehört, für die Akzeptanz dieses Windparks seitens der Bürger jedoch sehr wohl.

1.13.

Energiearmut ist ein soziales Problem, dass im Rahmen der Sozialpolitik angegangen werden muss. Der EWSA verweist indes auf das bislang unerschlossene Potenzial einer Kombination aus Wärme- und Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen, Energieeinsparung, Lastverschiebung und Prosum, um dieses Problem anzugehen. Das setzt voraus, dass Lösungen zur Finanzierung der Anschubinvestitionen, z. B. über Sozialfonds oder Investitionsfazilitäten, gefunden und die Hindernisse beim Zugang zu Kapital durch einen systematischen politischen Ansatz abgebaut werden. Jeder Unionsbürger und Verbraucher sollte in die Lage versetzt werden, Prosument zu werden.

1.14.

Im Titel des Richtlinienvorschlags wird zwar von der „Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen“ gesprochen, im Text selbst werden jedoch keine spezifischen Förderinstrumente beschrieben. Entsprechend klare Regeln sind aber unerlässlich, um Investitionssicherheit zu schaffen. Deshalb muss es ein eigenes, klares und präzise festgelegtes Förderschema für Bürgerenergiegesellschaften und Prosumenten geben. Der EWSA fordert die geltenden Durchführungsbestimmungen für staatliche Beihilfen zu überarbeiten, um die höchstmögliche Rechtsicherheit für die Mobilisierung von Investitionen zu gewährleisten.

1.15.

Der EWSA befürwortet das Ziel, nachhaltige biogene Energieträger und alternative Kraftstoffe zu fördern, bedauert jedoch, dass die diesbezüglichen Bestimmungen in dem Vorschlag teilweise nicht ausreichend flexibel sind, um eine an die Gegebenheiten vor Ort angepasste Nutzung von Roh- und Reststoffen zu ermöglichen. Beim Ausstieg aus nicht nachhaltigen Biokraftstoffen muss vermieden werden, verlorene Vermögenswerte („sunken assets“) zu schaffen.

2.   Allgemeine Anmerkungen zur Förderung erneuerbarer Energie

2.1.

Der EWSA sieht vier wesentliche Vorteile, die erneuerbare Energieträger für die Europäische Union erbringen können. Die Kommission adressiert davon eigentlich nur zwei in ihrem Richtlinienvorschlag, und diese zum Teil zu unkonkret.

a)    Klimaschutz

2.2.

Erneuerbare sind entscheidend für die angestrebte, weitgehend vollständige Dekarbonisierung des europäischen Energiesystems. Allerdings müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:

Es müssen massive Fortschritte bei der Energieeffizienz erreicht werden (siehe EWSA-Stellungnahme „Änderung der Energieeffizienz-Richtlinie“).

Der Verkehrssektor sowie der Sektor Wärme- und Kälteerzeugung spielen bei der Verringerung der Klimagasemissionen eine wichtige Rolle. Die Nutzung von Strom, der zu 100 % aus erneuerbaren Quellen stammt, wird ein wesentlicher Faktor für die Umstellung des Wärme- und Verkehrssektors auf mehr Nachhaltigkeit sein. Vorschläge zur Fahrzeugeinspeisung (Vehicle-to-Grid), der Regulierung von Power-to-Heat und Power-to-Gas sowie dem Auf- und Ausbau intelligenter Netze sind in diesem Kontext ebenfalls wichtig (1).

b)    Versorgungssicherheit

2.3.

Erneuerbare werden unverzichtbare Beiträge zur Versorgungssicherheit leisten und die Abhängigkeit von Energieimporten verringern, sofern Produktion, Nutzung und Nachfragesteuerung koordiniert werden. Dafür sind allerdings spezifische Anreize vonnöten. Der EWSA bezweifelt, dass die in diesem Vorschlag und dem Vorschlag zum Strommarktdesign vorgesehenen Förderregelungen ausreichen. Aufgrund des Problems der EE-Erzeugung „ohne Grenzkosten“ werden wahrscheinlich weitere Maßnahmen notwendig sein.

c)    Überwindung von Energiearmut

2.4.

Die Kostenkurve bei Erneuerbaren geht stetig nach unten, sie sind billiger denn je und mittlerweile so kostengünstig, dass sie bereits jetzt einen konstruktiven Beitrag zur Minderung des Problem der Energiearmut leisten könnten. Die Entwicklung von Bürgerenergie („Prosum“) ist dabei eine äußerst wirksame Option. So zeigt eine Studie der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC Scientific and policy reports — Cost Maps for Unsubsidised Photovoltaic Electricity), dass schon 2014 für 80 % der Europäer eigen erzeugter Strom aus Solaranlagen billiger gewesen wäre als Strom aus dem Netz. Die Europäische Kommission hat aber noch keine geeignete Strategie entwickelt, um den Bürgern diese Option aufzuzeigen (siehe TEN/598).

2.5.

Der Zugang zu Kapital ist gerade für einkommensschwächere Schichten kritisch, und entsprechende Hilfen werden notwendig. Dieser soziale Aspekt wird weder in dieser Richtlinie noch im gesamten Winterpaket angesprochen, obwohl er relevant für das Ziel der Europäischen Kommission ist, gemäß Artikel 17 und 21 des Vorschlags die Bürger in den Mittelpunkt der Energiepolitik zu stellen.

2.6.

Vor diesem Hintergrund hält es der EWSA für zielführend, alle denkbaren Optionen zu ziehen, um möglichst allen Bürgern die Chancen zu geben, sich aktiv und als gleichberechtigter Marktteilnehmer in der „Energiewirtschaft“ zu engagieren. Dazu gehört auch, Fördermittel aus dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) oder anderen Investitionsfazilitäten speziell auch für kleine und kleinste Anlagen zur Verfügung zu stellen. Wenn einkommensschwache Verbraucher Zugang zu Kapital für dezentrale EE-Anlagen hätten, würden sie die Chance erhalten, Prosument zu werden. Durch das so genannte Net-Metering, das in einigen Mitgliedstaaten, u. a. Italien, den Niederlanden, Belgien (Wallonien), Polen und Slowenien praktiziert wird, ist eine direkte finanzielle Entlastung möglich, die das Problem der Energiearmut verringern könnte.

d)    Regionale Wertschöpfung

2.7.

Erneuerbare sind in ihrem Wesen regionale Ressourcen, die nunmehr technisch für jedermann potenziell nutzbar geworden sind. Dies ist insbesondere für strukturschwache Regionen wichtig, wo neue Wertschöpfungsmöglichkeiten entwickelt werden müssen; die Europäische Kommission erwähnt diesen Vorteil zu Recht mehrfach in den Erwägungsgründen.

2.8.

Regionale Wertschöpfungen zu generieren bedeutet aber, lokale und regionale Interessenträger in Wirtschaftsprozesse, bewusst strategisch einzubinden, ihnen die Möglichkeit zu geben, diese mit zu gestalten und so Teilhabe an wirtschaftlichen Entwicklungen zu bekommen. Ein positiver Nebeneffekt ist nicht nur eine höhere Akzeptanz für den notwendigen Infrastrukturausbau, sondern auch dessen Mitfinanzierung.

2.9.

Der EWSA vermisst jedoch eine klare Strategie, die die regionale Entwicklung mit dem EE-Ausbau verknüpft. Entsprechende Strategien hätten die Mitgliedstaaten schon nach Verabschiedung der alten EE-Richtlinie erstellen sollen, das ist nicht geschehen.

3.   Allgemeine Bemerkungen zu dem Richtlinienvorschlag

3.1.

Der EWSA hat die Bemühungen der Europäischen Kommission, die EU erneut zur weltweiten Nummer 1 bei erneuerbaren Energien zu machen, stets begrüßt. Tatsächlich gehen auch viele Vorschläge im Richtlinienvorschlag in die richtige Richtung (z. B. die Vorhersehbarkeit von Förderregelungen inkl. des Ausschlusses von retroaktiven Maßnahmen). Doch besteht die Gefahr, dass die drei folgenden grundsätzlichen Defizite die Entwicklung der erneuerbaren Energien weiterhin überlagern könnten.

a)    Angemessenheit der Förderinstrumente

3.2.

Der Richtlinienvorschlag baut auf den Zielen auf, die im Oktober 2014 vom Europäischen Rat festgelegt wurden, und beinhaltet eine Aktualisierung des alten 20 %-Ziels für 2020 für den EE-Anteil am Endenergieverbrauch auf 27 % bis 2030, d. h. eine Steigerung von weniger als einen Prozentpunkt jährlich. Ohne die Überarbeitung der Richtlinie würde die EU im Jahr 2030 bei ca. 24,7 % Anteil liegen, man will also ein zusätzliches Plus von 2,3 % generieren.

3.3.

Diese langsame Steigerungsrate könnte aber bedeuten, dass dann zwischen 2030 und 2050 eine stark exponentielle Steigerung des EE-Anteils einsetzen müsste, um die Ziele des „Energiefahrplans 2050“ (COM(2011) 885 final) zu erreichen. Die dazu notwendigen Maßnahmen könnten zusätzliche wirtschaftliche Kosten beinhalten. In jedem Fall sollte die Entwicklung der Erneuerbaren genau beobachtet werden, um so früh und kostengünstig wie möglich korrigierend eingreifen zu können.

3.4.

In der Folgenabschätzung zum Richtlinienvorschlag (SWD(2016) 418 final) wird der Schluss gezogen, dass bis mindestens 2030 Förderregelungen in einem stabilen Rechtsrahmen notwendig sind. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass dieser Richtlinienvorschlag auch ganz klare Förderregelungen skizzieren müsste, die zügig und wirksam umzusetzen wären. Er vermisst solche jedoch.

3.5.

Die „Umsetzung“ von Fördermechanismen wird Aufgabe der Mitgliedstaaten, diese müssen im Einklang mit den EU Vorschriften für staatliche Beihilfen handeln. Doch das bestehende EU-Beihilferecht setzt extrem enge Grenzen, es muss dringend modifiziert werden.

3.6.

Denn das derzeit geltende EU-Beihilferecht hat mit dazu geführt, dass bisher zielführende Förderinstrumente wie der Einspeisevorrang und die Einspeisevergütung, die besonders von kleinen und neuen Marktteilnehmern genutzt wurden, nun massiv beschnitten werden. Neue Instrumente wie Ausschreibungen stellen teilweise für Prosumenten, Bürgerenergie und andere Marktakteure fast unüberwindbare Hürden dar.

3.7.

Die in dem Vorschlag enthaltenen Förderregelungen betreffen in erster Linie die Marktstruktur und einige allgemeine Bestimmungen bezüglich der Notwendigkeit „stabiler Fördermaßnahmen im Einklang mit den Vorschriften für staatliche Beihilfen“. Das allein reicht nicht. Der EWSA hält es für geboten, a) die allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 800/2008) und b) die geltenden Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014-2020 dringend zu überarbeiten, um die Vereinbarkeit mit den Zielen dieses Vorschlags insbesondere in Bezug auf die Anforderungen der Prosumenten und KMU zu gewährleisten.

3.8.

So muss z. B. die Ausnahmeregelung für kleine Projekte (Randnummern 125 und 127 der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen) erhöht und die entsprechenden Werte in der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie verankert werden, um absolute Klarheit zu schaffen.

3.9.

Der EWSA zweifelt an der Wirksamkeit der Einführung von Quoten für den Zugang zu Fördermechanismen für Anlagen in anderen Mitgliedstaaten, insbesondere mit Blick auf das Ziel der Förderung dezentraler EE-Erzeugung und regionaler Wirtschaftsentwicklung.

b)    Marktverzerrungen behindern erneuerbare Energien

3.10.

Die Botschaft des gesamten Winterpakets kann eindeutiger nicht sein: Die Philosophie der Europäischen Kommission ist, dass sich Erneuerbare von nun an bzw. möglich rasch dem Markt stellen müssen. Dies ist im Kern zu begrüßen, aber so lange problematisch, als zwei bestehende, grundlegende Marktverzerrungen nicht beseitigt sind. Zum einen sind immer noch a) direkte staatliche Beihilfen für Kraftwerke auf fossiler Basis zu nennen; hinzu kommt b) die vollkommen unzureichende Internalisierung der externen Kosten. Daher ist Strom aus Kraftwerken auf fossiler Brennstoffbasis und andere Formen von Energie, die aus fossilen Ressourcen gewonnen wird, gegenüber den erneuerbaren Energien, die keine oder nur marginale externe Kosten verursachen, systematisch bevorteilt. Global geht der Internationale Währungsfonds (IWF) von einer Subventionierung „schmutziger“ Energien von 5,3 Billionen USD jährlich aus, für die EU wird ein Wert von immerhin 330 Mrd. USD pro Jahr errechnet.

3.11.

Obwohl diese Marktverzerrungen zu Lasten der erneuerbaren Energien seit Jahren bekannt sind und versprochen wurde, diese ungleichen Ausgangsbedingungen zu beenden, hat sich kaum etwas getan; dies ist das größte zu beseitigende Manko, das erneuerbare Energien behindert!

3.12.

Kurioserweise werden hingegen neuerdings vermeintliche Marktverzerrungen kritisiert, die durch die Förderung erneuerbarer Energieträger entstehen würden. Dies ist nicht sachgerecht. Denn die heute noch notwendige Förderung der erneuerbaren Energieträger ist zu einem Großteil die Konsequenz der Subventionierung der konventionellen Energieerzeugung. Mit anderen Worten: Würde man die Subventionierung der Energieerzeugung in Kraftwerken auf fossiler Brennstoffbasis beenden, gäbe es also eine wirklich gleiche Ausgangslage, wäre ein Gutteil der Förderung der erneuerbaren Energien entbehrlich. Der EWSA wiederholt seine Position, u. a. mit marktwirtschaftlichen Instrumenten ein „Level-Playing-Field“ zu schaffen, das Marktverzerrungen abbaut und erneuerbare Energien nicht weiter benachteiligt (siehe EWSA-Stellungnahme „Änderung der Gebäudeenergieeffizienz-Richtlinie“).

c)    Der jetzige Strommarkt passt nicht zu erneuerbaren Energien

3.13.

Die alte Energiewirtschaft ist geprägt von relativ wenigen Erzeugungseinheiten mit jeweils hohen Kapazitäten. Ein von erneuerbaren Energien geprägtes Energiesystem hingegen ist eher durch kleinere, dezentralere Erzeugungskapazitäten gekennzeichnet.

3.14.

Zu denkbar neuen Konzepten für die Organisation des Stromhandels in dezentralen Systemen, u. a. zu dem „zellulären Ansatz“, hat sich der EWSA bereits geäußert (2). Sie setzen darauf, dass auch kleine Marktteilnehmer direkt miteinander kommunizieren und Energie handeln können. Es muss also nicht nur um verbesserte Erzeugungsmöglichkeiten gehen, sondern auch um Teilhabe am Handel.

3.15.

Solche „Peer-to-Peer“-Transaktionen würden eine breite gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, die sich nicht nur auf die Erzeugung und Eigenverbrauch beschränkt, sondern auch auf das aktive Management auch von kleineren und regionalen Energieeinheiten erstreckt, womit gänzlich neue Wertschöpfungsmöglichkeiten erschlossen werden. Dazu gehört auch die Sektorkopplung, denn in vielen Fällen sind Wärme und die für die Mobilität erforderliche Energie lokale Güter, die in kleinen Einheiten erzeugt und verbraucht werden.

3.16.

Der EWSA betont, dass aufgrund administrativer Hindernisse und insgesamt einer unzureichenden Regulierung in vielen Mitgliedstaaten der „Peer-to-Peer“-Handel derzeit nicht möglich ist. Dies müsste mit diesem Richtlinienvorschlag und dem Vorschlag für das Strommarktdesign geändert werden, doch sieht der EWSA große Schwächen in beiden Vorschlägen.

3.17.

Eine unionsweite Öffnung der Strommärkte für „Peer-to-Peer“-Transaktionen würde immense gesellschaftliche und energiewirtschaftliche Potenziale von erneuerbaren Energien erschließen helfen. Indem die Europäische Kommission diesen Punkt unbeachtet lässt und damit auch ganz praktische Hindernisse wie etwa die Grenzwerte für den Energiehandel nicht berücksichtigt, vergibt sie große Chance, die Stellung der europäischen Bürger, großer und kleiner Prosumenten und der KMU im Strommarkt erheblich zu verbessern, größeren Betrieben den Export von „Energielösungen“ auf außereuropäische Märkte zu ermöglichen und generell die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende deutlich zu steigern.

4.   Besondere Anmerkungen zum Text der Richtlinie

a)    Keine national verbindlichen Ziele

4.1.

Der EWSA erneuert seine Kritik (3), dass die neue Richtlinie, anders als die Richtlinie von 2009, keine national verbindlichen Ziele mehr vorsieht. Er hat nach wie vor Zweifel, dass mit der geplanten Governance besonders jene Mitgliedstaaten, die sich gegen national verbindliche Ziele zur Wehr setzen, „motiviert“ werden können, aktiver zu werden. Ein konkretes Instrument, das bei Nichterreichung des 27 %-Zieles greift, ist nicht vorhanden (siehe EWSA-Stellungnahme „Governance-System der Energieunion“). Gleichzeitig anerkennt der EWSA die in Artikel 3 des Richtlinienvorschlags definierte „gemeinsame Verantwortung“, da im Einklang mit dem Governance-Verordnungsvorschlag finanzielle Sanktionen vorgesehen sind, wenn diese Ziele nicht gemeinsam über die nationalen Energie- und Klimaplänen erfüllt werden. Wie diese vollzogen werden, sollen bleibt indes unklar.

b)    Keine Strategie für die regionale Entwicklung

4.2.

Die Kommission verkennt nach Auffassung der EWSA die Bedeutung einer aktiven Teilhabe von lokalen und regionalen Stakeholdern, sowohl hinsichtlich der Akzeptanz der eingeleiteten Politik als auch für die regionalwirtschaftlichen Konsequenzen. Allein die absehbare Entwicklung bei der E-Mobilität eröffnet neue enorme regionalwirtschaftliche Möglichkeiten, wenn man konsequent den notwendigen Ausbau der Erzeugungs- und Verteilungsinfrastruktur auf dezentralen Betreibermodellen ausrichten würde (4).

4.3.

Das würde auch dem Ziel dienen, erneuerbare Energien zu möglichst niedrigen Kosten für die Steuerzahler und die Verbraucher zum Einsatz kommen zu lassen. Dabei kann es aber nicht allein um die puren Strompreise gehen, sondern um eine umfassende volks- und auch regionalwirtschaftliche Betrachtung. So ist z. B. der Aspekt neuer regionaler Arbeitsplätze (siehe Erwägungsgrund 49) mit zu berücksichtigen. Der EWSA hebt hervor, dass etliche Mitgliedstaaten bis heute dazu tendieren, a) dezentrale erzeugte und verbrauchte Energie unnötiger- und ungerechtfertigterweise zu belasten und b) die regionalen Aspekte völlig unberücksichtigt zu lassen.

4.4.

Zum anderen berücksichtigen die Mitgliedstaaten in ihrer Regulierung in aller Regel nicht die Netz- und Systemkosten. Der EWSA ist überzeugt, dass dezentrale Lösungen letztlich zu geringeren Netz- und Systemkosten führen und unterstützt in dieser Hinsicht die Auffassung der Kommission, die sie in Erwägungsgrund 52 äußert.

4.5.

Dieser Erwägungsgrund wurde aus der Richtlinie 2009/28/EG übernommen, ohne dass in den letzten Jahren in den Mitgliedstaaten daraus entsprechende regionalspezifische Strategien entwickelt worden wären. Der EWSA hat festgestellt (Die Energie von morgen erfinden — Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Erzeugung erneuerbarer Energie — Untersuchung des EWSA zur Rolle der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Richtlinie über erneuerbare Energien), dass in der Regulatorik und den Förderprogrammen vieler Mitgliedstaaten regionale und lokale Aspekte keine Anwendung finden und dass etliche nationale Regierungen und Verwaltungen dies sogar europarechtlich begründen. Auch hier ist also eine weitergehende Konkretisierung zu fordern. Mit dem Vorschlag werden zwar die formellen Voraussetzungen für die Dezentralisierung und regionale Entwicklung geschaffen, er enthält jedoch keine Verpflichtung zur Durchführung einer einschlägigen kohärenten Strategie. Nach Ansicht des EWSA kommt die Aufzählung von Grundsätzen ohne ausreichende rechtliche Grundlage nicht einer effizienten Rechtsetzung gleich.

4.6.

Zur weiteren Präzisierung von Erwägungsgrund 49 sollte die Europäische Kommission im Rechtstext konkretisieren, was mit der Aussage Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten demnach nationale und regionale Entwicklungsmaßnahmen in diesen Bereichen fördern, […] und auf den Einsatz von Strukturfondsmitteln in diesem Bereich drängen. gemeint ist. Der genaue Inhalt von Erwägungsgrund 50 bleibt ähnlich vage, in dem es heißt: […] ist es erforderlich, die positiven Auswirkungen auf regionale und lokale Entwicklungsmöglichkeiten, Exportchancen, sozialen Zusammenhalt und Beschäftigungsmöglichkeiten, besonders für KMU und unabhängige Energieproduzenten, zu berücksichtigen. In Bezug auf Erwägungsgrund 52 […] die Entwicklung dezentraler erneuerbarer Energietechnologien zu nichtdiskriminierenden Bedingungen und ohne Behinderung der Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen zu ermöglichen begrüßt der EWSA die Förderung dezentralisierter Konzepte, allerdings besteht auch hier erheblicher Klärungs- und Konkretisierungsbedarf.

c)    Klarere Vorschriften für Prosumenten und Verbraucherrechte tun Not

4.7.

Positiv ist, dass „Fernwärme“, „Eigenverbraucher erneuerbarer Energien“, „Eigenverbrauch erneuerbarer Energien“, „KMU“ wie auch „Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften“ (Artikel 21) zumindest teilweise definiert und somit als für die Energiepolitik und -regulierung relevante Rechtsbegriffe anerkannt werden. In der Vergangenheit haben unklare Begrifflichkeiten erhebliche Investitionsunsicherheiten erbracht. Es gibt aber zwei Probleme. Zum einen fehlt immer noch eine klare Definition von Prosum, und die vorgeschlagenen Definitionen sind im Winterpaket nicht immer konsistent angewendet. Zum anderen ist die in der Richtlinie erfasste Rechtsmaterie nicht geeignet, diese Ansätze wirklich zur Geltung zu bringen. Die Wirkung dieser Bestimmungen hängt von einer wirksamen Umsetzung ab. Der EWSA bedauert, dass die Europäische Kommission keine klaren Orientierungshilfen für diese Umsetzung gibt.

4.8.

Eigenverbraucher erneuerbarer Energie:

Der EWSA begrüßt die Bestimmungen für Eigenverbraucher in Artikel 21 Absatz 1 bis 3. Diese Bestimmungen könnten jedoch wirkungslos bleiben, wenn in dem Artikel nicht umfassend erklärt wird, was unter der Aussage, dass Eigenverbraucher „berechtigt sind, ihre Produktion von Elektrizität aus erneuerbaren Quellen selbst zu verbrauchen und Überschüsse auch mittels Strombezugsverträgen zu verkaufen, ohne unverhältnismäßigen Verfahren und Gebühren unterworfen zu sein, die nicht kostenorientiert sind“, zu verstehen ist. Der Verweis auf ihre Rechte als Verbraucher sollte durch einen Verweis auf Kapitel III des Vorschlag für eine Richtlinie über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt ergänzt werden, in dem festzuhalten wäre, über welche spezifischen Rechte Energieverbraucher tatsächlich konkret verfügen, die ihren eigenen Strom verbrauchen, und wie sie diese Rechte, u. a. das Recht auf die Durchführung von Peer-to-Peer-Transaktionen, nutzen können.

Die Kommission sollte z. B. auch klarstellen, dass Eigenverbrauch von Strom ohne Nutzung der Infrastruktur, ähnlich wie der Eigenverbrauch von Wärme, von Steuern und Abgaben befreit sein sollte.

Die Bestimmung, wonach Eigenverbraucher unter bestimmten Umständen nicht als klassische Energielieferanten zu behandeln sind, gehen in die richtige Richtung, müssen aber präzisiert werden. Denn „Eigenverbrauch“ und „Belieferung“ sind zunächst unterschiedliche Dinge. Die im Richtlinienvorschlag genannten Grenzen sind zu niedrig. Ausgehend von echten Geschäftsmodellen — in Verbindung mit den Bestimmungen für kleine Projekte aus den Randnummern 125 und 127 der derzeitigen Beihilferegeln — wären 20 MWh (6 000 MWh für Windenergie) für Haushalte und 1 000 MWh (36 000 MWh für Windenergie) für juristische Personen angemessene Grenzwerte.

Die Regelung, wonach Eigenverbraucher für den eingespeisten Strom eine Vergütung auf Marktwertniveau erhalten sollen, bedarf einer Definition des Begriffs „Marktwert“. Eine Bestimmung nach dem Preisniveau am Großhandelsmarkt ist solange nicht sachgerecht, wie der Markt durch die Subventionierung der Energieerzeugung mit fossilen Rohstoffen verzerrt ist. Außerdem sollte die Vergütung auch den Zustand des Gesamtsystems (u. a. hinsichtlich der Auslastung des Netzes) berücksichtigen, sodass Eigenverbraucher einen Anreiz erhalten, „systemdienlich“ Energie zu speichern oder Last zu verschieben.

Der EWSA begrüßt die in Absatz 2 vorgeschlagene Regelung zur Objektversorgung, weil sie eine seit Jahren bestehende tiefgreifende Ungerechtigkeit beseitigen würde.

4.9.

In Bezug auf administrativen Vorgaben und Genehmigungen hält der EWSA fest, dass die in Artikel 15 und 16 enthaltenen Überlegungen im Kern richtig sind. Es gibt allerdings mehrere Probleme im vorgeschlagenen Text. So ist zum einen der in Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe d) verwendete Begriff „dezentrale Anlagen“ zu unspezifisch. Er muss definiert werden. Zum anderen wird die angestrebte Gleichberechtigung von Bürgerenergie mit großen Marktteilnehmern in den Mitgliedstaaten regelmäßig verfehlt; ursächlich sind häufig die Auslegungen der Vorschriften über staatliche Beihilfen. So lange die für kleine Projekte, Eigenverbrauch und Prosum relevanten Regeln nicht klarer gefasst sind, wird es also keine Gleichberechtigung geben. Hier besteht dringender Handlungsbedarf für die Europäische Kommission gegeben. Zum Dritten beziehen sich die Vorschläge aus Artikel 15 und 16 nur auf die Erzeugung. Um einen vollen Zugang zum Energiemarkt zu erhalten und vor allem „Peer-to-Peer“-Transaktionen durchführen zu dürfen, brauchen Marktakteure wie Bürgerenergiegesellschaften auch dann vereinfachte Verfahren, wenn es um die Speicherung von Strom, den Handel und den Eigenverbrauch geht.

4.10.

In Bezug auf den „Herkunftsnachweis“ in Artikel 19 trägt der Vorschlag dem aktuellen Marktversagen nicht ausreichend Rechnung. Mit dem Vorschlag wird zwar beabsichtigt, die Entwicklung von EE-Kapazitäten durch die Wahlmöglichkeit für die Verbraucher zu fördern, doch sind gemäß geltendem EU-Recht irreführende Angebote unter dem Deckmantel „grüner Strom“ nicht verboten. Lieferanten können Herkunftsnachweise nutzen, um sich einen „grünen“ Anschein zu geben, während sie weiterhin Energie aus nicht erneuerbaren Energieträgern erzeugen, kaufen und verkaufen. In künftigen EU-Rechtsvorschriften sollten die nationalen Regulierungsbehörden zur Aufstellung verbindlicher Anforderungen für alle Marktteilnehmer verpflichtet werden, die Tarife für „grünen Strom“ anbieten. Die Anbieter sollten den ökologischen Zusatznutzen derartiger Tarife nachweisen. Der Kommissionsvorschlag könnte jedoch für noch mehr Verwirrung unter den Verbrauchern sorgen, und es könnte eine Flut von Herkunftsnachweisen geben. Außerdem sollten Prosumergemeinschaften, die ihren Strom direkt vermarkten, von der Pflicht, die Herkunft ihres Stroms auszuweisen, entbunden werden, da die Herkunft ja durch den Prosum bzw. die Eigenschaft als Bürgerenergie klar erkennbar ist.

d)    Ehrgeizigere Ziele und mehr Flexibilität für biogene Brennstoffe und alternative Kraftstoffe

Biokraftstoffe

4.11.

Der EWSA erachtet den in der Richtlinie verfolgten Ansatz in punkto Biokraftstoffe für zu unflexibel. Das Ziel, die Lebensmittelerzeugung nicht zu beeinträchtigen, ist wichtig, aber genauso wichtig ist die optimale Nutzung der verfügbaren Ressourcen. Daher bekräftigt der EWSA seinen Standpunkt, dass die Weiterentwicklung von Biokraftstoffen gefördert werden muss, die nicht aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder durch eine Flächennutzung gewonnen werden, die die Lebensmittelproduktion beeinträchtigt, sondern aus anderen Quellen wie z. B. Rest-, Neben- und Abfallprodukten, auch aus der Forstwirtschaft (siehe EWSA-Stellungnahme „Verringerung der verkehrsbedingten CO2-Emissionen“) (5). Der EWSA betont außerdem, dass bei eventuellen Maßnahmen für einen stufenweisen Ausstieg verlorene Vermögenswerte möglichst vermieden werden sollten.

4.12.

In seiner Stellungnahme „Indirekte Landnutzungsänderungen (ILUC)/Biokraftstoffe“ (6) vom 17. April 2013 hat der EWSA gefragt, welchen quantitativen Beitrag die „fortschrittlichen Biokraftstoffe“ leisten können und zu welchen Kosten. Die Fragen sind bisher nicht beantwortet.

4.13.

Der EWSA wies ferner darauf hin, dass z. B. durch einen verstärkten Anbau und Nutzung von Ölpflanzen in besonderen nachhaltigen Anbauverfahren (Stichwort: Mischkulturen) durchaus sehr sinnvolle Einsatzfelder, z. B. für den Betrieben von land- und forstwirtschaftlichen Maschinen, erschlossen werden können. Auch hier ist allerdings bisher eine wirkliche Strategie der Europäischen Kommission nicht erkennbar; der Richtlinienvorschlag löst dieses Problem nicht.

4.14.

Nach Ansicht des EWSA ist es wichtig, die Verringerung von Biokraftstoffen, flüssigen Biobrennstoffen und Biomasse-Brennstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen dann flexibel handhaben zu können, sofern sie die in Artikel 27 des Vorschlags enthaltenen Nachhaltigkeitskriterien erfüllen.

4.15.

Der EWSA begrüßt ausdrücklich die in Artikel 26 Absatz 5 enthaltenen Anforderungen zur Gewährleistung einer nachhaltigen Forstwirtschaft. Er empfiehlt, die Begriffsbestimmung für „Genehmigung für die Holzernte“ in Artikel 2 Buchstabe jj) dahingehend zu ändern, dass sie alle Arten rechtlich gültiger Genehmigungen zur Ernte der forstwirtschaftlichen Biomasse umfasst.

Elektromobilität

4.16.

Die in der Richtlinie genannten Quoten für alternative Antriebsstoffe berücksichtigen das große Wachstumspotenzial von Elektromobilität nicht in angemessener Weise. Mit einem stark ansteigenden Anteil von erneuerbaren Energien bei der Stromproduktion wird Elektromobilität auch als Flexibilitätsoption gebraucht, und sie kann, strategisch richtig eingefädelt, einen große Rolle bei der Entwicklung von Prosumstrukturen spielen.

4.17.

Neben der Quote für alternative Kraftstoffe, auch aus industrie- und regionalpolitischen Gründen und um die Energieabhängigkeit von Europe zu beenden, könnte ein Ziel für einen Anteil von Elektromobilität mit Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030 bei 10 bis 20 % liegen. Es ist ferner wichtig, die Nachhaltigkeitskriterien aus Artikel 27 in Bezug auf den EE-Höchstanteil im Energieendverbrauch auch im Verkehrssektor anzuwenden, um die Nutzung von Biokraftstoffen im Verkehr nicht exzessiv einzuschränken.

e)    Neue Impulse für erneuerbare Energien im Wärmesektor und für Fernwärme

Gas und Wärme

4.18.

Die in Artikel 23 vorgeschlagene Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Wärme- und Kälteerzeugung jedes Mitgliedstaats um mindestens einen Prozentpunkt reicht nicht aus. Zur Erreichung der Klimaziele wären deutlich höhere Zielvorgaben anzusetzen.

4.19.

Die in Artikel 20 Absatz 1 vorgeschriebene Prüfung einer Ausweitung der Gasnetzinfrastruktur, um die Einspeisung von Gas aus erneuerbaren Quellen zu erleichtern, ist sinnvoll; allerdings muss beachtet werden, dass Gas ebenfalls ein endlicher fossiler Energieträger ist. Hier wird auf die Stellungnahme „Sichere Gasversorgung“ (7) verwiesen. Bei der Festlegung der Prüfkriterien ist darauf zu achten, dass dem Aspekt der Sektorkopplung Rechnung getragen wird.

4.20.

Der EWSA begrüßt die in Artikel 20 Absatz 3 und Artikel 24 vorgelegten Stärkung von Fernwärmekonzepten, da diese wichtige Ansätze sind, um die Sektorkopplung voranzubringen, die Energiearmut zu bekämpfen und die regionale Wirtschaft zu stärken. Gleichzeitig stellt er fest, dass sektorkoppelnde Quartiers- bzw. Regionallösungen häufig an den nationalen Regulatoriken scheitern.

Brüssel, den 26. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 151.

(2)  ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 13 und ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 78.

(3)  ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 8.

(4)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 78.

(5)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 56.

(6)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 56.

(7)  ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 70.


28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/64


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Saubere Energie für alle Europäer“

(COM(2016) 860 final)

(2017/C 246/10)

Berichterstatter:

Ulrich SAMM

Mitberichterstatter:

Toni VIDAN

Befassung

Europäische Kommission, 17.2.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

11.4.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

26.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

136/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt das Paket „Saubere Energie“, das zum Ziel hat, die Umstellung der EU-Wirtschaft auf saubere Energie zu beschleunigen und zu festigen, während gleichzeitig an den wichtigen Zielen des Wirtschafts- und Beschäftigungswachstums festgehalten wird.

1.2.

Diesem Paket zufolge sollen die Bürger im Mittelpunkt der Energieunion stehen, was bedeutet, dass sie aktiv in den Wandel einbezogen werden und dass vor allem über geeignete politische Rahmenbedingungen erschwingliche Energie für die gesamte Gesellschaft einschließlich der schutzbedürftigen Gruppen sichergestellt wird. Der EWSA unterschreibt diese Grundsätze, hegt aber Zweifel, ob die Rechtsetzungsvorschläge letztlich wirklich geeignet sind, sie umzusetzen.

1.3.

Der EWSA betont, dass „saubere Energie“ nicht nur dem Weltklima zugutekommt, sondern vor allem der Luftqualität vor Ort, wodurch eine bessere und gesündere Umwelt für alle erreicht wird.

1.4.

Das Paket ist Teil der Umsetzung der Klimaschutzverpflichtungen der EU im Rahmen des Übereinkommens von Paris 2015. Dabei spielen Erneuerbare-Energien-Technologien sowie Energieeffizienz-Produkte und-Dienstleistungen eine wichtige Rolle, wobei wir allerdings noch weit von fairen Ausgangsbedingungen entfernt sind, unter denen die erneuerbaren Energieträger ohne besondere Förderung im Wettbewerb bestehen könnten.

1.5.

Der EWSA begrüßt die verschiedenen Bestandteile des Pakets, die Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden, Öko-Design, den Strommarkt und den Verkehrssektor behandeln, als Schritte in die richtige Richtung. Er sieht allerdings mit Sorge, dass das Paket zwar einen großen Fortschritt darstellt, aber immer noch enorme Anstrengungen erforderlich sind, um auf dem Energiemarkt für alle Teilnehmer zufriedenstellende gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen und gleichzeitig die Umstellung auf eine Niedrigemissionswirtschaft sicherzustellen.

1.6.

Der EWSA begrüßt, dass in dem Paket ein sehr optimistisches Bild gezeichnet und von vergleichsweise positiven Annahmen hinsichtlich des Anstiegs der Industrieproduktion aufgrund des Einsatzes von Erneuerbare-Energien- und Energieeffizienz-Technologien und der Schaffung von Arbeitsplätzen ausgegangen wird. Er gibt indes zu bedenken, dass der Wandel auch ernste Risiken und Gefahren birgt, zumal, wenn er zu rasch oder zu langsam vonstattengeht und nicht auf einer integrierten Planung beruht. Sowohl den Chancen als auch den Risiken muss angemessen Rechnung getragen werden.

1.7.

Vor allem bedarf die enorme Aufgabe der wirtschaftlichen Umstrukturierung von Regionen, die gegenwärtig überwiegend von der Kohleindustrie abhängen, sehr viel mehr Überlegung, als dies in dem Paket der Fall ist.

1.8.

Der Europäische Rat hat ein Ziel von mindestens 27 % für den Anteil der erneuerbaren Energien gesetzt, die im Jahr 2030 in der EU verbraucht werden. Dieses Mindestziel ist verbindlich auf EU-Ebene, wird aber nicht in verbindliche Ziele auf nationaler Ebene übertragen. Der EWSA bedauert, dass es unter den Mitgliedstaaten bislang keinen Konsens über eine gemeinsame Energiepolitik und insbesondere nationale Ziele gibt. Die Kommission möchte dieses Problem durch einen Governance-Mechanismus in Form von integrierten nationalen Energie- und Klimaplänen lösen, in deren Rahmen sich die Mitgliedstaaten zu Beiträgen verpflichten.

1.9.

Der EWSA erachtet den Vorschlag für eine Governance-Verordnung als schwierigsten und wichtigsten Teil des Pakets „Saubere Energie“. Er hegt große Vorbehalte gegen die vorgeschlagene Verordnung. Letztlich hängen der Inhalt der nationalen Pläne und die Beiträge der Mitgliedstaaten von einer zufriedenstellenden Einigung mit der Kommission ab, die im Wege von Konsultationen, Sensibilisierung der Öffentlichkeit, Einflussnahme und Konformitätsdruck erreicht werden soll. Insbesondere gibt es keine detaillierte Beschreibung der anderen „Maßnahmen“ neben dem finanziellen Beitrag zu einer EU-Finanzierungsplattform, auf die die Europäische Kommission zurückgreifen kann, wenn die allgemeinen Ziele nicht erreicht werden.

1.10.

Der EWSA befürwortet nachdrücklich das Leitprinzip des Vorschlags „Energieeffizienz zuerst“. Indes kann mit Energieeffizienz zwar die europäische Wirtschaft modernisiert, nicht aber Energiearmut beseitig werden. Anderslautende Behauptungen sind irreführend, da Energieeffizienz Investitionen erfordert, die sich schutzbedürftige Verbraucher womöglich nicht leisten können.

1.11.

Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission nun, wie vom EWSA bereits 2013 gefordert, eine Beobachtungsstelle für Energiearmut einrichten wird, der eine Schlüsselfunktion im Rahmen eines umfassend koordinierten Ansatzes zur Eindämmung der Energiearmut über u. a. Sozialtarife, Armutsbekämpfungsmaßnahmen, Verbraucherberatung oder Energieeffizienzmaßnahmen zukommen könnte.

1.12.

Der EWSA fragt sich, ob die finanziellen Grundlagen des Pakets in Anbetracht der öffentlichen Sparmaßnahmen und des verhaltenen Wachstums in der ganzen EU solide genug sind und ob die vorgesehenen EU-Mittel (mitsamt der dadurch angeschobenen Investitionen) ausreichen werden, um die Ziele zu erreichen.

2.   Einleitung

2.1.

In dieser Stellungnahme wird das Paket „Saubere Energie für alle Europäer“ aus einer übergeordneten Perspektive erörtert, während die Einzelteile des Pakets zu verschiedenen Legislativvorschlägen betreffend Energieeffizienz, erneuerbare Energieträger, Strommarktdesign, Versorgungssicherheit und Governanceregeln für die Energieunion Gegenstand weiterer Stellungnahmen sind (TEN/617, TEN/618, TEN/619, TEN/620, TEN/621, TEN/622, TEN/623, TEN/625, NAT/702).

2.2.

Das Paket „Saubere Energie“ war ursprünglich gar nicht als Paket, sondern als eine Vorschlagsreihe geplant. Auf der einen Seite befürwortet der EWSA den Beschluss, die ineinandergreifenden Vorschläge in einem Paket zu bündeln, auf der anderen Seite jedoch kritisiert er den schieren Umfang des 1 000 Seiten starken Pakets, der die Einbeziehung der Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft in die Prüfung und eingehende Erörterung des Vorschlags erschwert.

2.3.

Es muss bedacht werden, dass das Projekt Energieunion schon vor geraumer Zeit aufgelegt wurde und, motiviert durch die entscheidenden Anliegen Klimaschutz und ausreichende Verfügbarkeit von Brennstoffen, auch schon einschlägige Pakete (bspw. zur Erdgasversorgungssicherheit) veröffentlicht worden sind.

2.4.

Das Paket „Saubere Energie“ erstreckt sich über alle fünf Dimensionen der Energieunion:

Energiesicherheit

Energiebinnenmarkt

Energieeffizienz

Dekarbonisierung

Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.

2.5.

Die Mitteilung „Saubere Energie für alle Europäer“ bietet auch eine Vision bzw. ein Narrativ für die Energieunion.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Mit dem Paket soll die Umstellung auf saubere Energie beschleunigt werden, während gleichzeitig an den wichtigen Zielen des Wirtschafts- und Beschäftigungswachstums in Europa festgehalten wird. Die wichtigsten Beweggründe für dieses Paket sind:

Das erste globale Klimaschutzübereinkommen (Paris, 2015) trat am 4. November 2016 in Kraft. Die Umsetzung der ehrgeizigen Zusagen der EU hängt weitgehend von einer erfolgreichen Umstellung auf ein sauberes Energiesystem ab.

Der Energiesektor ist von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung der europäischen Wirtschaft. Energieeffizienz ist deshalb entscheidend für Fortschritte in den anderen Sektoren der Wirtschaft. Die Entwicklung von Erneuerbare-Energien-Technologien sowie von Produkten und Dienstleistungen zur Verbesserung der Energieeffizienz hat zur Entstehung neuer Unternehmen in ganz Europa geführt, während andere Geschäftsmodelle in der Energiewirtschaft zunehmend mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben. EU-Maßnahmen müssen zum Ziel haben, netto neue und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen und den Erfolg von EU-Unternehmen abzusichern.

Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, den Menschen in Europa die Vorteile der Umstellung auf ein sauberes Energiesystem zu vermitteln. In Anbetracht der großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten und der erforderlichen Teilhabe der gesamten Gesellschaft, auch der schutzbedürftigen Gruppen, ist dies eine große Herausforderung.

3.2.

Wie aus diversen einschlägigen Stellungnahmen zu ersehen ist, unterstützt der EWSA diesen strategischen Ansatz (1).

3.3.

Der EWSA begrüßt dieses Paket aus Rechtsvorschlägen und flankierenden Maßnahmen, die darauf abheben, die Umstellung der EU-Wirtschaft auf saubere Energie zu beschleunigen und zu festigen. Insbesondere ist er erfreut, dass der Wärme- und Kälteerzeugung und dem Verkehrssektor darin ebenso viel Gewicht eingeräumt wird wie der Stromerzeugung.

3.4.

Der EWSA stellt fest, dass die Kommission in ihrer Mitteilung „Saubere Energie für alle Europäer“ ein optimistisches Bild zeichnet und von vergleichsweise positiven Annahmen hinsichtlich des Anstiegs der Industrieproduktion und der Schaffung von Arbeitsplätzen ausgeht. Der EWSA nimmt dies zu Kenntnis und räumt ein, dass positive Signale dieser Art notwendig sind, um die Dynamik eines für manche schwierigen Wandels aufrechtzuerhalten.

3.5.

Der EWSA gibt indes zu bedenken, dass die Energiewende eine enorme Herausforderung für Europa darstellt, die ernste Risiken und Gefahren birgt, vor allem, wenn sie zu schnell oder zu langsam und ohne integrierte Planung vonstattengeht. Besonders besorgniserregend sind die ausgeprägten wirtschaftlichen und politischen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, mit denen sich die neue Governance-Verordnung befassen soll. Nach Meinung des EWSA kann die Energiewende nur dann zum Erfolg geführt werden, wenn Chancen und Risiken sorgfältig abgewägt werden.

4.   Governance der europäischen Energieunion — ein entscheidender Aspekt

4.1.

Während die Mitgliedstaaten sich auf nationale Beiträge zu Energieeffizienz und erneuerbarer Energie bis 2020 festgelegt haben, gibt es für 2030 keine entsprechenden indikativen Zielwerte.

4.2.

Der Europäische Rat hat ein Ziel von mindestens 27 % für den Anteil der erneuerbaren Energien gesetzt, die im Jahr 2030 in der EU verbraucht werden. Dieses Mindestziel ist verbindlich auf EU-Ebene, wird aber nicht unmittelbar in verbindliche Ziele auf nationaler Ebene übertragen. Der EWSA fordert eine deutliche Unterstützung derjenigen Mitgliedstaaten, die sich die ehrgeizigsten Ziele gesetzt haben.

4.3.

In der vorgeschlagenen Verordnung über das Governance-System der Energieunion (siehe TEN/617) werden nun die Anforderungen für die integrierten nationalen Energie- und Klimapläne, die an die Stelle separater Pläne für Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger treten, sowie ein gestrafftes Verfahren für deren Aufstellung und Überprüfung festgelegt. Governance impliziert die Erfüllung verbindlicher Anforderungen in Bereichen nationaler Souveränität und ist deshalb ein heikles Unterfangen, zumal im Energiebereich, wo die Gegebenheiten und politischen Standpunkte der Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich sind.

4.4.

Der EWSA bezweifelt, dass das Governance-System geeignet ist, Anforderungen durchzusetzen und konkrete Ergebnisse zu liefern. Es stützt sich zu sehr auf Konsultationen und Konformitätsdruck anstatt auf klare Regeln. Es herrscht Klärungsbedarf, inwiefern die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten zur Durchführung der „erforderlichen Maßnahmen“ bewegen kann, „falls die Kommission feststellt, dass es hinsichtlich des Anspruchs und der Umsetzung, vor allem im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz, Defizite gibt“. Auch muss über die Ausgestaltung und Funktionsweise der „Finanzierungsplattform“ als eine Art Sanktion bei einem eventuellen Defizit bei der Bereitstellung erneuerbarer Energie Aufschluss gegeben werden.

4.5.

Der EWSA ist insbesondere enttäuscht, dass die in dem Verordnungsvorschlag vorgesehene „Konsultation der Öffentlichkeit“ relativ konturlos ist und weit hinter dem vom EWSA vorgeschlagenen umfassenden europäischen Energiedialog abfällt. Um Vertrauen und Engagement der Bürger sicherzustellen, muss solch ein Dialog unabhängig von den Regierungen und dem Verfahren der nationalen Energie- und Klimapläne geführt werden. Er sollte darauf abheben, Verbraucher zu informieren, Energieversorger einzubeziehen, Vertrauen zu bilden und eine Plattform für die zahlreichen Anliegen verschiedener Gruppen wie Sicherheit, Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit der Energieversorgung zu bieten.

4.6.

Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip und zur Ausschöpfung des Potenzials der ihrem Wesen nach dezentralen und flexiblen Energieeffizienz und Erneuerbare-Energien-Technologien sollte ein immer größerer Teil der energiepolitischen Gestaltungsarbeit und Entscheidungsfindung von der Ebene der Mitgliedstaaten auf die Ebene der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften verlagert werden. Die EU, die Mitgliedstaaten und die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sollten in Zusammenarbeit mit der organisierten Zivilgesellschaft, die eine umfassende öffentliche und gesellschaftliche Teilhabe sicherstellt, diese Verlagerung unterstützen, beschleunigen und auf eine koordinierte, für die Verbraucher und Gesellschaft möglichst vorteilhafte Weise umsetzen.

5.   Energieeffizienz — ein enormes Energiesparpotenzial

5.1.

Die Verbesserung der Energieeffizienz in allen Bereichen (Energieerzeugung, Verarbeitungsindustrie, Verkehr, Elektrizität, Wärmeerzeugung, Kälteerzeugung und Mobilität) ist für das künftige Energiesystem Europas maßgeblich. Der EWSA begrüßt, dass Energieeffizienz im Rahmen der politischen Maßnahmen der EU stärker berücksichtigt werden soll und dass die neuen Initiativen nun auch die Wärme- und Kälteerzeugung und den Verkehrssektor umfassen, was überfällig ist (siehe Stellungnahme TEN/618 zur Energieeffizienzrichtlinie).

5.2.

Mit der alleinigen Verbesserung der Energieeffizienz — selbst im denkbar größten Ausmaß — können die energiebezogenen Probleme im Zusammenhang mit dem Klimawandel, der Versorgungssicherheit oder Armut nicht gelöst werden. Sie kann aber einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung der Probleme leisten. Energieeffizienzverbesserungen können zu einer Senkung des Energieverbrauchs führen und somit selbst bei steigenden Energiepreisen den Energiekostenanstieg aufhalten oder rückgängig machen.

5.3.

Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass Energieeffizienzsteigerungen immer Investitionen voraussetzen. Energieeffizienzverbesserungen führen daher nicht notwendigerweise zu Kostensenkungen für die Verbraucher oder die Industrie, wie in der Mitteilung mehrfach geltend gemacht wird. Sie führen indes immer zu Energieverbrauchssenkungen und wirken sich daher positiv auf das Klima aus. Eine positive Auswirkung auf die Energierechnung hängt jedoch wesentlich davon ab, inwieweit die Investitionskosten durch die eingesparten Energiekosten ausgeglichen werden. Der EWSA würde eine realistischere und kritischere Berücksichtigung dieses Sachverhalts begrüßen.

5.4.

Der EWSA begrüßt die Änderung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (TEN/620). Die Heizung und Kühlung von Gebäuden ist außerordentlich wichtig und macht derzeit 40 % des Gesamtenergieverbrauchs aus. Energieeinsparungen in diesem Bereich werden durch Sanierung und Neubauten erreicht. Für beides sind umfangreiche Investitionen erforderlich. Da die Sanierungsquote und Neubauquote im Gebäudebestand derzeit jährlich bei nur 0,4 %-1,2 % liegen, müssen diese Prozesse selbstredend beschleunigt werden.

5.5.

Die Mitgliedstaaten müssen einen Fahrplan mit klaren Etappenzielen und Maßnahmen zur Umsetzung des langfristigen Ziels der Dekarbonisierung des nationalen Gebäudebestands bis 2050 aufstellen und darin spezifische Teilziele bis 2030 festlegen.

5.6.

Der EWSA stellt enttäuscht fest, dass die weniger ehrgeizige Maßnahmenoption mit weniger Energiesparpotenzial gewählt wurde. Er ist sich im Klaren darüber, dass der politische Wille der Mitgliedstaaten, in diesem Bereich Verbesserungen zu erzielen, nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, obwohl in der Energieeffizienz von Gebäuden das größtmögliche Potenzial ruht.

5.7.

Der EWSA begrüßt das von der Kommission vorgeschlagene breite Spektrum neuer Finanzinstrumente. Finanzinstrumente zur Renovierungsförderung sind wichtig, vor allem auch, um privaten und nicht kommunalen Vermietern von Sozialwohnungen einen Anreiz zur Investition in Altbausanierung zu bieten.

5.8.

Die Eigentümer oder Mieter neuer oder renovierter Gebäude profitieren nicht nur von einer Senkung ihres Energieverbrauchs, sondern auch von einer Steigerung ihres Komforts und ihrer Lebensqualität. Leider wird häufig insofern ein Rebound-Effekt erzeugt, als die Energiekosteneinsparungen leicht durch Mieterhöhungen für renovierten Wohnraum zunichtewerden. In der Mitteilung hingegen werden die Kosteneinsparungen eher optimistisch gesehen. Der EWSA empfiehlt eine kritischere Auseinandersetzung mit dieser Problematik. Ohne Anlegen wirtschaftlicher und sozialer Kriterien wird eine neue Form der Armut älterer Generationen entstehen.

5.9.

Der EWSA begrüßt die Initiative im Rahmen der Richtlinie, für einen Großteil von neuen Gebäuden die Installation von Ladestationen für Elektrofahrzeuge vorzuschreiben. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die künftige Steigerung der Stromnachfrage eine gemeinsame und koordinierte Planung mit den Stromversorgungsunternehmen erfordert, die zusätzlich vorab in Hochleistungstransformatoren in der Nähe von Wohngebieten investieren müssen.

5.10.

Der EWSA ist überzeugt, dass aufgrund des kontinuierlichen technologischen Fortschritts immer energieeffizientere Verkehrssysteme und die Entwicklung kooperativer intelligenter Verkehrssysteme einen großen Beitrag zu den Energiesparbemühungen in Europa leisten werden (TEN/621). Das neue Ökodesign-Arbeitsprogramm im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie (NAT/702) ist ein wichtiger Baustein für den gemeinsamen europäischen Markt und trägt zur Förderung von Produkten mit hoher Energieeffizienz und zur Unterstützung der Kreislaufwirtschaft bei.

6.   Verbraucher — Mittelpunkt der Energieunion

6.1.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission die Verbraucher in den Mittelpunkt der Energieunion stellen will. Im heutigen Alltag benötigen alle Bürger ein Mindestmaß an Energie für Verkehr, Wohnung, Kommunikation und allgemeinen Konsum. Energie darf deshalb nicht zum Luxusgut werden. Das häufig angeführte Phänomen der Energiearmut ist zwar nicht klar definiert, steht jedoch für eine Entwicklung, bei der schutzbedürftige Bürger immer größere Schwierigkeiten beim Zugang zu einer Mindestversorgung mit Energiediensten haben. Der EWSA fordert, dieser Entwicklung entgegenzuwirken und die Energiepolitik entsprechend anzupassen.

6.2.

Dank des technologischen Fortschritts sind die Energieerzeugungskosten in den vergangenen Jahren gesunken. Den Verbrauchern ist dies jedoch nicht zugutegekommen, da die Kostensenkungen häufig durch Steuern, Netzkosten usw. aufgewogen wurden. Dies ist ein echtes Problem, das Energiearmut verschärft.

6.3.

Der EWSA ist nicht der Meinung, dass „Energieeffizienz eine der besten Möglichkeiten ist, den Ursachen von Energiearmut zu begegnen“. Der Begriff der „Energiearmut“ kam mit dem Steilanstieg der Energiepreise auf. Hauptursache dieser speziellen Form der Armut sind daher die hohen Energiepreise, auf die sämtliche Maßnahmen zur Unterstützung der schutzbedürftigen Mitglieder der Gesellschaft vorrangig abheben sollten. Selbstredend sind auch Effizienzverbesserungen hilfreich, setzen jedoch unvermeidlich umfangreiche Investitionen voraus, die gerade schutzbedürftige Verbraucher nicht ohne Weiteres tätigen können (siehe TEN/518).

6.4.

Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission nun, wie vom EWSA bereits 2013 in seiner Stellungnahme TEN/516 zur Energiearmut gefordert, eine Beobachtungsstelle für Energiearmut einrichten wird, die sich zunächst vor allem damit befassen sollte, europäische Indikatoren für Energiearmut festzulegen. Dies könnte entscheidend dazu beitragen, dass die Mitgliedstaaten sich auf einen umfassend koordinierten Ansatz zur Eindämmung der Energiearmut einigen und dabei die Rolle und Wirkung verschiedener Instrumente wie u. a. von Sozialtarifen, Armutsbekämpfungsmaßnahmen, Verbraucherberatung oder Energieeffizienzmaßnahmen berücksichtigen.

6.5.

Der EWSA betont, dass saubere Energie neben den in der Mitteilung beschriebenen Nutzeffekten (Energiesicherheit, Energieeffizienz und Dekarbonisierung) auch erhebliche gesundheitliche Vorteile für alle Bürger bringt.

6.6.

Das Paket bietet den Bürgern nur eine begrenzte Mitwirkung an der Gestaltung der Entscheidungen, die ihren Alltag und ihre Existenzgrundlage bestimmen werden. Es ist nicht klar, ob die Grundsätze eines Energiedialogs, der zu einer sinnvollen Partizipation führt, derzeit und künftig in der gesamten Union angewendet werden (siehe auch TEN/617). Ein solcher Dialog erfordert die Sicherstellung gleicher Ausgangsbedingungen, auch auf institutioneller Ebene.

6.7.

Der EWSA begrüßt die Anerkennung der immer wichtigeren Rolle der Bürger, die als Prosumenten am Strommarkt teilnehmen. Es ist ein neues Markt-Design erforderlich, das die dezentrale Struktur der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern berücksichtigt und wirklich die Verbraucher und Bürger in den Mittelpunkt der europäischen Energiepolitik stellt.

6.8.

Der EWSA unterstützt das Konzept der Bürgerenergie, das auf einem Geschäftsmodell gründet, bei dem die Bürger an ihrem Wohnort gemeinsam Eigentümer von Erneuerbare-Energien-Anlagen sind oder Energieeffizienzprojekte durchführen. Die Rechtsvorschriften in dem neuen Paket sollten Initiativen dieser Art so weit wie möglich fördern.

7.   Erneuerbare Energien — ein neuer Markt

7.1.

Generell befürwortet der EWSA das Ziel der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (TEN/622), dass erneuerbare Energieträger (EE) in Anbetracht der gesunkenen Kosten der regenerativen Stromerzeugung stärker in den Markt integriert werden müssen.

7.2.

Allerdings befürchtet der EWSA, dass die gleichen Ausgangsbedingungen, unter denen die erneuerbaren Energieträger ohne Förderung wettbewerbsfähig wären, noch in weiter Ferne liegen. Es bleibt noch viel zu tun, bis die enormen, durch Subventionen, strukturelle Rahmenbedingungen und fehlende klare Inrechnungstellung externer Kosten verursachten enormen Verzerrungen auf den aktuellen Strommärkten beseitigt sind.

7.3.

Der EWSA begrüßt den vor kurzem veröffentlichten Bericht der Europäischen Umweltagentur (EUA) über die Umgestaltung des Stromsektors in der EU und die Vermeidung der Abhängigkeit von Prozessen, durch die CO2 freigesetzt wird (Transforming the EU power sector: avoiding a carbon lock-in). Ca. die Hälfte des in Europa produzierten Stroms wird nach wie vor aus fossilen Energieträgern erzeugt. In dem Bericht der EUA werden die aktuellen Strommarktentwicklungen mit den EU-Klimazielen für 2030 und danach verglichen. Der Ausstieg aus einer kohlenstoffintensiven Stromversorgung erfordert verstärkte Investitionen in alternative Konzepte in Verbindung mit geeigneten Förderrahmen.

7.4.

Der EWSA stellt besorgt fest, dass Einzelheiten zu spezifischen Maßnahmen und Förderinstrumenten fehlen, was die weitere Förderung erneuerbarer Energieträger gefährden könnte.

7.5.

Der EWSA weist nachdrücklich darauf hin, dass die Energiesicherheit überdacht werden muss, wenn sich die Zusammensetzung des Energiemixes einschneidend verändert — dieser Aspekt kommt in dem Paket zu kurz.

8.   Wirtschaft und Beschäftigung — Chancen

8.1.

Die Energiewende ist eine große Herausforderung für Europa, die Chancen für neue Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und das Wohlergehen aller Bürger eröffnet. In Anbetracht der mit solchen Veränderungen verbundenen Risiken und Gefahren ist es unerlässlich, eine ausgewogene Politik mit den geeigneten Maßnahmen zu entwickeln, um zu vermeiden, dass unsere Gesellschaft — bspw. die Arbeitnehmer (Arbeitslosigkeit, Arbeitsplatzqualität), Verbraucher und KMU — Schaden nimmt. Dazu aber müssen die Interessenträger — und somit der EWSA als wertvoller und relevanter Partner — in allen Phasen des Wandels eingebunden werden.

8.2.

Eine weltweite Führungsrolle bei sauberen Technologien bedeutet auch, dass diese Technologien exportiert werden, was sowohl für die Wirtschaft als auch für die Umwelt vorteilhaft ist (NAT/690).

8.3.

Forschung und Innovation sind eine entscheidende Voraussetzung für die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas und seine Vorreiterrolle im Bereich moderner Energietechnologien und Energieeffizienzlösungen. Die auf schnellere Innovation im Bereich der sauberen Energie (TEN/619) ausgerichtete Strategie sollte durch verstärkte Schwerpunktsetzung und konkrete Maßnahmen sicherstellen, dass Innovationen, die den Ausstieg aus fossilen Technologien ermöglichen, schneller verbreitet und rascher auf den Markt gebracht werden. Der EWSA kritisiert, dass kaum auf Grundlagenforschung und den potenziellen Beitrag der Forschung eingegangen wird. Der SET-Plan wird kurz angesprochen, aber leider nur aus dem industriellen Blickwinkel.

8.4.

In dem Paket wird wiederholt auf Industrie, Arbeitsplätze und Wachstum als maßgebliche Aspekte von Innovation verwiesen; doch Innovation ist mehr. Neben industriellen Gesichtspunkten fallen dabei auch das Wohlergehen der Menschen und die Umwelt ins Gewicht.

8.5.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, ein „Industrieforum für saubere Energie“ zu errichten, das im Wege eines Bottom-up-Prozesses in den übergeordneten Ansatz eines Dialogs mit der Zivilgesellschaft und anderen Interessenträgern eingebettet werden könnte. Er betont die Bedeutung einer ausgewogenen Unterstützung der Forschungs- und Innovationskette von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung bis hin zu neuen Produktinnovationen.

8.6.

Die enorme Aufgabe der wirtschaftlichen Umstrukturierung derjenigen Regionen, die gegenwärtig überwiegend von der Kohleindustrie abhängen, bedarf nach Meinung des EWSA sehr viel mehr Überlegung als dies in dem Paket der Fall ist.

8.7.

Die Kapitalkosten von Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind in den verschiedenen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. Nach Meinung des EWSA sind wirksame fiskalische und institutionelle Maßnahmen erforderlich, um diese diskriminierenden Bedingungen für Verbraucher und Investoren abzuschaffen oder einzuschränken.

8.8.

In Südosteuropa gibt es umfangreiche, weitgehend noch ungenutzte Möglichkeiten für den Ausbau erneuerbarer Energien und ein bislang unausgeschöpftes Potenzial an qualifizierten Arbeitskräften. Der EWSA fordert eine deutliche Steigerung der Förderung für Interessenträger, die die Umsetzung der Ziele der Energieunion in der Region vorantreiben. Damit würden den Verbrauchern und Investoren vor Ort im Einklang mit den Zielen des Pakets „Saubere Energie“ enorme Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.

Brüssel, den 26. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 84, ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 117, ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 8, ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 13, ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 22, ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 75; ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 1.


28.7.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 246/71


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für einen neuen Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik — Unsere Welt, unsere Würde, unsere Zukunft“

(COM(2016) 740 final)

(2017/C 246/11)

Berichterstatter:

Ionuț SIBIAN

Mitberichterstatter:

Mihai MANOLIU

Befassung

Europäische Kommission, 27.1.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

26.4.2017

Zuständige Fachgruppe

Außenbeziehungen

Annahme in der Fachgruppe

4.4.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung am

26.4.2017

Plenartagung Nr.

525

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

166/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den „Vorschlag für einen neuen Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik — Unsere Welt, unsere Würde, unsere Zukunft“. Er entspricht den Empfehlungen des EWSA in der Stellungnahme REX/461 zum Thema „Die Agenda 2030 — eine den globalen Nachhaltigkeitszielen verpflichtete Europäische Union“; dort heißt es: „Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten müssen sich dringend auf höchster politischer Ebene auf das weitere Vorgehen verständigen und im Wege einer interinstitutionellen Vereinbarung zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlaments eine solide Grundlage für weitere politische Maßnahmen schaffen. Ausgehend von dieser Vereinbarung über die Umsetzung der SDG sollte eine übergreifende Strategie zur Integration der Agenda 2030 mit dem Ziel erarbeitet werden, aus der EU eine Union der nachhaltigen Entwicklung zu machen.“ In derselben Stellungnahme wird der Kommission empfohlen: „Die Europäische Kommission sollte die Agenda 2030 ferner uneingeschränkt in den europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik integrieren.“

1.2.

Der EWSA erkennt die Bedeutung an, die dem Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik von 2006 für die Entwicklungszusammenarbeit der EU und der Mitgliedstaaten zukommt (1). Der Mehrwert des Konsenses bestand grundsätzlich darin, dass im Einvernehmen eine Vision für die EU und die Mitgliedstaaten vorgelegt und ein Rahmen für die Umsetzung auf EU-Ebene geschaffen wurde, der in der Folge durch diverse Dokumente, Maßnahmen und Orientierungsaktionen auf europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene ausgestaltet wurde. Der neue Konsens dürfte eine ähnliche Bedeutung erlangen.

1.3.

Der EWSA begrüßt das ausdrückliche Engagement für den Konsens mit dem allgemeinen Ziel der Armutsbekämpfung auf Grundlage eines an Rechtsnormen und Geschlechtergleichstellung orientierten Ansatzes der Entwicklungszusammenarbeit, mit dem sichergestellt werden soll, dass im Rahmen der Agenda 2030 niemand aufgrund seines Wohnorts, der ethnischen Zugehörigkeit, des Geschlechts, des Alters, einer Behinderung, der Religionszugehörigkeit, der Weltanschauung, der sexuellen Ausrichtung, eines Statuts als Zuwanderer oder aus sonstigem Gründen außen vor bleibt.

1.4.

Durch die Bezugnahme auf die Agenda 2030 und die Beibehaltung der Armutsbekämpfung als zentrales Anliegen würdigt der Konsens diesen Aspekt gebührend und schärft das Profil der Entwicklungszusammenarbeit als Politikbereich der EU. Während die Entwicklungspolitik als eine Säule des auswärtigen Handelns der EU aufgefasst werden sollte, ist der Konsens ein Garant dafür, dass die Entwicklungspolitik der EU mit den übrigen Politikbereichen (Sicherheit, Handel, Justiz und Inneres usw.) auf eine Stufe gestellt und diesen nicht untergeordnet wird.

1.5.

Die Überarbeitung des Konsenses findet in einer sehr schwierigen Zeit statt, in der die europäischen Grundwerte und Grundsätze (die in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union genannt werden) und sogar die Existenz der EU selbst wiederholt infrage gestellt werden. Die zahlreichen Krisen ließen die Fähigkeit und die Bereitschaft der Regierungen, die erforderlichen Mittel für die Umsetzung der Agenda 2030 bereitzustellen, geringer werden. Folglich ist es von größter Bedeutung, dass sich alle Mitgliedstaaten und Institutionen der EU voll in die Umsetzung und Einhaltung des Konsenses über die Entwicklungspolitik einbringen und ebenso die diesbezüglichen finanziellen Konsequenzen mittragen.

1.6.

Im Rahmen des Konsenses muss definiert werden, welche Rolle die Kommission und die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen besonderen Kompetenzen im Bereich der Entwicklung haben sollen. Weil davon ausgegangen werden muss, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten das Gesamtbudget für Entwicklung infolge des Brexits und des im Wandel begriffenen internen Umfelds reduzieren müssen, ist dies umso wichtiger. Laut eines Berichts des Entwicklungsausschusses des Europäischen Parlaments von 2013 (2) werden die wirtschaftlichen Kosten des Ausbleibens einer wirksamen Koordinierung der Entwicklungshilfe zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission auf rund 800 Mio. EUR geschätzt. Diese Summe könnte jährlich an Transaktionskosten gespart werden, wenn die Geber ihre Hilfsbemühungen auf weniger Länder und Aktivitäten konzentrieren würden. Außerdem wird geschätzt, dass darüber hinaus jährliche Einsparungen von 8,4 Mrd. EUR durch eine bessere Verteilung in mehreren Ländern erreicht werden könnten.

1.7.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten die Entwicklungshilfe nicht als Hebel verwenden, um ihre Kooperationspartner zur Zusammenarbeit im Sinne wirtschafts-, außen- und sicherheitspolitischer Ziele und der Migrationskontrolle zu bewegen. Primär sollte es bei der Entwicklungszusammenarbeit um die Beseitigung der Armut und die Schaffung von Gleichheit und Menschenwürde für alle Menschen sowie die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit gehen.

1.8.

Der EWSA unterstreicht ganz besonders die Bedeutung der Landwirtschaft in der Entwicklungspolitik. Bessere Bedingungen für die lokale Nahrungsmittelerzeugung, eine Verbesserung der Stellung der Frauen in den ländlichen Gebieten sowie der Zusammenschluss und die Zusammenarbeit der Landwirte sind wichtige Faktoren für die Beseitigung der Armut und die Verwirklichung der Ziele der nachhaltigen Entwicklung in den ärmsten Ländern der Welt.

1.9.

Durch den Konsens wird die Rolle der Sozialpartner und der zivilgesellschaftlichen Organisationen sowohl in Bezug auf die Förderung der Agenda 2030 als auch die Beiträge zu deren Umsetzung anerkannt. Neben einer starken politischen Unterstützung für die Schaffung eines günstigen Rahmens, in denen sie ihre Rolle uneingeschränkt wahrnehmen können, ist es auch nötig, dass die EU solchen Menschenrechtsorganisationen, Watchdog-Organisationen und Gewerkschaften Anerkennung, Unterstützung und Schutz bietet, die unter widrigen Umständen arbeiten müssen. Ferner sollte die EU Anstrengungen zur Entwicklung besser geeigneter Finanzierungsmechanismen unternehmen, die ein breiteres Spektrum zivilgesellschaftlicher Organisationen unterstützen, um sicherzustellen, dass auch mehr kleinere lokale Organisationen Zugang zu EU-Programmen haben. Der EWSA hat diesbezüglich eine Reihe wichtiger Empfehlungen in seiner Stellungnahme REX/461 „Die Agenda 2030 — eine den globalen Nachhaltigkeitszielen verpflichtete Europäische Union“ formuliert.

1.10.

Der soziale Dialog ist als ein Weg zur Umsetzung der Entwicklungsagenda anzuerkennen. Der soziale Dialog benötigt positive Rahmenbedingungen und einen funktionierenden institutionellen Rahmen. Das fängt mit der Wahrung der Vereinigungsfreiheit und der Achtung des Rechts auf Kollektivverhandlungen an. Im Sinne gesunder Arbeitsbeziehungen und einer funktionierenden Arbeitsverwaltung sollte die EU mit unabhängigen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden (Sozialpartnern) zusammenarbeiten.

1.11.

Trotz eines möglicherweise positiven Potenzials gibt es keine hinreichenden Studien, die belegen, dass die EU-Treuhandfonds (EUTF) so gestaltet sind, dass sie den Anforderungen an die Eigenverantwortung und Anpassung der Entwicklungsländer entsprechen. Die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten erhöht die Zuweisungen öffentlicher Entwicklungshilfe für den privaten Sektor, aber Investitionen im kommerziellen Bereich, die mit öffentlichen Mitteln realisiert werden, bleiben im weiten Umfang intransparent und unkontrolliert (3). Die Sozialpartner und die zivilgesellschaftlichen Organisationen sollten unterstützt und befugt werden, die Zuweisung öffentlicher Mittel für Entwicklungsaufgaben, darunter auch diejenigen Mittel, die an den Privatsektor fließen, zu überwachen. Sie sollten bei der Konzipierung, der Durchführung, der Überwachung und der Bewertung von Entwicklungsprogrammen signifikant einbezogen werden, damit sie den tatsächlichen Bedürfnissen einer möglichst großen Zahl von Menschen gerecht werden.

1.12.

Arbeitsplätze zu schaffen, ist eine der größten Herausforderungen in den Entwicklungsländern, und hier ist vor allem der Privatsektor gefragt. In der EWSA-Stellungnahme REX/386 — „Einbeziehung der Privatwirtschaft in den Entwicklungsrahmen für die Zeit nach 2015“ wird herausgearbeitet, wie wichtig die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft im Kampf gegen die weltweite Armut sind, weil durch sie Arbeitsplätze geschaffen, Waren und Dienstleistungen bereitgestellt, Einkünfte und Gewinne generiert und Steuereinnahmen, die von der öffentlichen Hand investiert werden können, ermöglicht werden. Allerdings sollte die Schaffung von Arbeitsplätzen kein Selbstzweck sein, es sei denn, es geht um die Sicherstellung von Umwelt- und Arbeitsnormen sowie menschenwürdigen Arbeitsbedingungen, insbesondere für Frauen und junge Menschen, im Einklang mit der Agenda für menschenwürdige Arbeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), den internationalen Arbeitsnormen der ILO und anderen internationalen Dokumenten (z. B. den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen).

1.13.

Der EWSA ist der Auffassung, dass gute und feste Arbeitsplätze (insbesondere für Frauen und junge Menschen), die ausreichende Einnahmen generieren und nachhaltige Wertschöpfungsketten für eine Reihe von öffentlichen Diensten entstehen lassen, die Grundlage für Inklusion und Dauerhaftigkeit sind. Neue Produktions- und Konsummodelle müssen im Rahmen der Kreislaufwirtschaft gefördert werden. Gefährdete Gruppen würden besser geschützt und bekämen Zugang zu Finanzdienstleistungen, wenn im Rahmen einer redlichen, fairen und nachhaltigen Wirtschaft neue Geschäftsmodelle (sozialwirtschaftliche Unternehmen, die lokale Dienstleistungen anbieten) geschaffen und neue, angemessen regulierte KMU entstehen würden.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Entwicklungspolitik ist gemäß Artikel 21 Absatz 2 Buchstabe d des Vertrags über die Europäische Union (EUV) ein zentraler Bestandteil des auswärtigen Handelns der EU, deren Zweck die nachhaltige wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung der Entwicklungsländer ist; ihr Schwerpunkt liegt gemäß Artikel 208 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auf der Bekämpfung der Armut.

2.2.

Zweck des vorgeschlagenen neuen europäischen Konsenses ist die Schaffung eines Rahmens für ein gemeinsames Vorgehen der EU und ihrer Mitgliedstaaten in der Entwicklungszusammenarbeit.

2.3.

Gleichzeitig wird durch den Konsens ein deutliches Zeichen der Einigkeit an die ganze Welt gesendet, das die Entschlossenheit der EU verdeutlicht, auch weiterhin ein glaubwürdiger, engagierter und verantwortungsvoller globaler Akteur zu sein, der durch beispielhaftes Handeln führt. Er enthält die Grundsätze und Prioritäten der Union mit Blick auf die großen globalen Fragen sowie die Modalitäten für die Erfüllung der Verpflichtungen der EU im Rahmen der Agenda 2030 und des Abkommens von Paris.

2.4.

Der EWSA hält die Überarbeitung des Europäischen Konsenses über die Entwicklungspolitik für angebracht und sehr bedeutungsvoll, da so das Engagement der EU und ihrer Mitgliedstaaten auf die Umsetzung der Agenda 2030 im Sinne der nachhaltigen Entwicklung ausgerichtet wird und zum Erreichen der Prioritäten des auswärtigen Handelns der EU beigetragen werden soll, wie sie in der globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU vorgesehen sind.

2.5.

Die anhaltende Wirtschaftskrise, der Brexit, politische Veränderungen in den Vereinigten Staaten von Amerika, Störungen des Wachstums im Osten, der Konflikt in Syrien und dessen humanitäre Folgen, die Zunahme des Populismus und der Fremdenfeindlichkeit in den Mitgliedstaaten, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels — sie alle bilden zusammengenommen die größte Herausforderung für die EU seit mehr als einem halben Jahrhundert.

2.6.

Wie in der neuen globalen Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: ein stärkeres Europa, 2016) unterstrichen wurde, hat der neue interne und globale Kontext zu mehr Instabilität und Unsicherheit geführt. Folglich muss die EU angesichts dieser großen existenziellen Bedrohungen stärker und geeinter als je zuvor auftreten.

2.7.

Die EU hat sich gemeinschaftlich dazu verpflichtet, 0,7 % ihres Bruttonationaleinkommens (BNE) für die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) nach einem dafür in der Agenda 2030 vorgesehenen Plan zu investieren. Wenn die Ziele des Konsenses erreicht werden sollen, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre selbstgesteckten entwicklungspolitischen Ziele verwirklichen. Gegenwärtig bestehen mit Blick auf die politische Lage in Europa ernsthafte Zweifel am Willen der derzeitigen und künftigen Regierungen, finanzielle Verpflichtungen in dieser Höhe durchzuhalten. Die politischen Entwicklungen in den Mitgliedstaaten könnten die entwicklungspolitischen Ziele der nationalen Regierungen kompromittieren, da populistische Bewegungen immer vehementer nach weniger globaler Solidarität und weniger Ausgaben für die ODA rufen.

2.8.

Das Vereinigte Königreich ist (mit über 14 Mrd. EUR im Jahr 2015) der wichtigste Geber von Entwicklungshilfe in der EU, sodass sich der Brexit direkt auf die Stellung und die Kapazitäten der EU in diesem spezifischen Politikbereich auswirken wird und eine Verknappung der vorgesehenen Mittel für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele abzusehen ist. Neben den nicht-finanziellen Kapazitäten wird die EU durch den Brexit schätzungsweise ca. 15 % ihrer Haushaltsmittel für die Entwicklungshilfe verlieren. Umso wichtiger ist es, dass die Mitgliedstaaten der EU ihre Reihen schließen und ihren Zielen für die Bereitstellung von Hilfe nachkommen.

2.9.

Die EU sollte sicherstellen, dass die Bekämpfung der Armut in den Entwicklungsländern nach wie vor den Kern der öffentlichen Entwicklungshilfe bildet, dass die Mittel wirkungsvoll ausgegeben werden, den tatsächlich Hilfsbedürftigen zugutekommen und dass die Kohärenz der EU-Politiken mit entwicklungspolitischer Relevanz sichergestellt ist. Wie aus dem Bericht „AidWatch“ von Concord (2016) hervorgeht, war es bereits 2015 so, dass 17 % der Hilfen der EU eigentlich kein wirklicher Ressourcentransfer an die Entwicklungsländer waren, da die Mittel für Flüchtlinge, Schuldenerlasse, Studenten, auflagengebundene Zahlungen sowie Zinszahlungen aufgewendet wurden. Einige EU-Mitgliedstaaten haben ihre gemeldete Hilfe fast zur Gänze in Form von Ausgaben für Flüchtlinge im eigenen Land erhöht, wodurch sie zu ihren eigenen Hauptbegünstigten wurden.

2.10.

Von ihrem Wesen und ihrem Gründungsgedanken her ist die EU dazu verpflichtet, den Multilateralismus, also eine Weltordnung, die auf Regeln, Frieden und Menschenrechten beruht, zu fördern und zu verteidigen. Im Laufe der Zeit hat sich die EU zu einem unabkömmlichen, verantwortlichen und wichtigen globalen Akteur entwickelt, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die primären Ursachen von Konflikten und Armut zu bekämpfen und für die allgemeinen Menschenrechte einzutreten; die EU ist beispielhaft vorangegangen und hat ihren Einfluss, ihre „Soft Power“ für positive Veränderungen auf der ganzen Welt in die Waagschale geworfen.

2.11.

Das globale Engagement der EU und ihrer Mitgliedstaaten als führender Akteur in der Entwicklungszusammenarbeit ist zu einem Teil der Identität der Union und ihres Bildes nach außen geworden.

2.12.

Die EU ist der offenste Markt der Welt, der den Entwicklungsländern großzügige Zollermäßigungen gewährt und sich für die Ratifizierung und Umsetzung internationaler Übereinkommen über Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz und verantwortungsvolle Regierungsführung einsetzt.

2.13.

Jenseits der finanziellen Leistungen ist die EU ein wichtiger politischer Partner für die Entwicklungsländer, der gesellschaftliche und politische Veränderungen fördert und für deren gerechtere und stärkere Beteiligung an globalen politischen und wirtschaftlichen Prozessen eintritt.

2.14.

Die EU hat eine wichtige Rolle bei der Formulierung und Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele (2005-2015) gespielt; sie war die wesentliche treibende Kraft bei der Annahme der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (2016-2030), und sie hat entscheidend zur Aufnahme der europäischen Werte — wie Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und soziale Gerechtigkeit — in die neue globale Entwicklungsagenda beigetragen.

2.15.

Als eine global führende Kraft in der Klimaschutzpolitik spielte die EU eine maßgebliche Rolle bei der Schaffung einer breiten Koalition von Industrie- und Entwicklungsländern, die zur Annahme des Übereinkommens von Paris im Dezember 2015 geführt hat. Die EU hat sich verpflichtet, 20 % ihres Haushalts für klimapolitische Maßnahmen aufzuwenden, und zwar sowohl für die Milderung des Klimawandels als auch für Anpassungsmaßnahmen, um so dem Übereinkommen von Paris nachzukommen.

2.16.

Wie aus einer Eurobarometer-Umfrage vom Februar 2016 zum Thema internationale Zusammenarbeit und Entwicklung hervorgeht, befürworten fast neun von zehn EU-Bürgern die Entwicklungshilfe (89 %, was einem Anstieg um 4 Prozentpunkte seit 2014 entspricht). In den neuen Mitgliedstaaten sind die Werte tendenziell etwas niedriger als in den alten. Die Werte belegen eine Zunahme der Zahl derer, die glauben, dass die Bekämpfung von Armut in den Entwicklungsländern eine der wichtigsten Prioritäten der EU (Anstieg um fünf Prozentpunkte auf 69 %) und der nationalen Regierungen (Anstieg um fünf Prozentpunkte auf 50 %) sein sollte. Ungefähr sieben von zehn Befragten befürworten die Aufstockung der EU-Entwicklungshilfe (68 %), ein höherer Prozentsatz als in den vergangenen Jahren. Ungefähr drei Viertel der Befragten teilen die Meinung, dass die Entwicklungshilfe wirksam hilft, die illegale Migration (73 %) einzudämmen, und 80 % meinen, dass entwicklungspolitische Maßnahmen auch im Eigeninteresse der EU liegen. 52 % sind der Meinung, dass die EU ihr Versprechen, die Hilfe für die Entwicklungsländer aufzustocken, erfüllen muss.

3.   Bemerkungen

3.1.

Ein zentraler Aspekt der Agenda 2030 ist die Interkonnektivität: Es geht um einen Handlungsrahmen für die Erarbeitung umfassender nationaler Strategien für die nachhaltige Entwicklung, bei der die wirtschaftliche, soziale und ökologische Dimension ausgewogen integriert werden, um positive Effekte in miteinander verbundenen Bereichen zu erzielen, wobei gleichzeitig übergeordnete Aspekte — wie Geschlechtergleichheit, Jugend, Mobilität, Migration, Investitionen und nachhaltige Energieträger — zu berücksichtigen sind. Die Agenda 2030 benennt folgende Kernbotschaften: Menschen, Planet, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft.

3.2.

Obwohl die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, zwischen 1990 und 2015 um mehr als die Hälfte zurückgegangen ist, müssen immer noch über 800 Mio. Menschen mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen, und 80 % von ihnen leben in Afrika südlich der Sahara und in Südasien. Der Konsens konkretisiert sich in der Notwendigkeit der Armutsbekämpfung in den ärmsten, instabilen, fragilen oder von Konflikten betroffenen Ländern und im Aufbau von Resilienz bei den schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen gegenüber ökologischen und wirtschaftlichen Schocks, Naturkatastrophen bzw. von durch Menschen verursachten Katastrophen sowie globalen Gesundheitsgefahren.

3.3.

Bis 2030 werden die am stärksten von Armut betroffenen Menschen vornehmlich in instabilen Ländern leben, die den Auswirkungen von Konflikten ausgesetzt sein, wodurch sich die Armut noch weiter verschlimmert. Um den Armen unter diesen Umständen zu helfen, bedarf es verschiedener Ansätze. Trotz der höheren Zahl von Menschen, die von extremer Armut befreit werden konnten, hat die Ungleichheit innerhalb und zwischen den einzelnen Ländern zugenommen. Abgesehen von Armut, Konflikten und Klimawandel ist die Ungleichheit in den meisten Teilen der Welt mittlerweile die wichtigste Ursache der Instabilität.

3.4.

Im Kern der Entwicklungszusammenarbeit werden folgende definierende Elemente stehen: die Diskriminierungsproblematik, die Ungleichheit, die Mitnahme aller, die Priorisierung der Armutsbekämpfung, also Elemente, die die Grundlage der nachhaltigen Entwicklung bilden. Gleichermaßen geht es um Fortschritte, die für mehr Menschenwürde sorgen: Beseitigung des Hungers, allgemeiner Zugang zu Bildung und Berufsbildung, Gesundheitsfürsorge, gute Arbeit für alle, Übergang von einer informellen zu einer auf Regeln beruhenden Wirtschaft, korrekter und adäquater Sozialschutz und eine gesunde Umwelt. Dies kann praktisch durch eine Regierungsführung auf Grundlage konsolidierter, zweckgerichteter einzelstaatlicher Politiken und den Schutz hilfsbedürftiger Personen umgesetzt werden.

3.5.

Ein dauerhaftes gemeinsames Vorgehen wird den Bevölkerungen in chronischer Armut helfen, Ungleichheiten verringern, Wachstum schaffen und aus Chancen Resultate entstehen lassen. Konkrete wirtschaftliche Ergebnisse müssen von einer Neuverteilung der öffentlichen Ausgaben begleitet werden, wobei der Zugang zu hochwertigen Dienstleistungen, insbesondere im Hinblick auf den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Wasserversorgung bzw. Kanalisation konsolidiert werden muss.

3.6.

Außerdem können durch diesen Ansatz Sozialschutzleistungen geschaffen werden, die gut, nachhaltig und fair sind und aus einer Arbeit entstehen, die Einkommen schafft — eine beschäftigungsbasierte Solidarität. Als ein elementarer Dienst könnte ein garantiertes Mindesteinkommen (als neues Instrument) erwogen werden, das notwendig ist, um die Voraussetzungen für Resilienz zu schaffen, damit die extreme Armut nicht wieder zurückkehrt. Soziale Strukturen müssen mittel- und langfristig gestärkt werden.

3.7.

Obwohl der Konsens keine entsprechende ausdrückliche Aussage enthält, wird davon ausgegangen, dass das im Rahmen der Agenda für den Wandel bekräftigte Engagement, mindestens 20 % der EU-Hilfe für die soziale Inklusion und die menschliche Entwicklung aufzuwenden, auch weiterhin beibehalten wird.

3.8.

Ein zentrales Anliegen betrifft den Schutz und die Verwirklichung der Rechte von Frauen und Mädchen, die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte, welche als ein wichtiger Faktor für die menschliche Entwicklung zu gelten haben. Gleichzeitig muss die Widerstandsfähigkeit gefährdeter Bevölkerungsgruppen gegen ökologische und wirtschaftliche Schocks, darunter auch Naturkatastrophen und vom Menschen verursachte Katastrophen, verbessert werden. Gebraucht wird ein System für die Bereitstellung humanitärer Hilfe, das kohärent und integriert ist, eine Hilfe für Vertriebene (insbesondere Minderjährige und sonstige gefährdete Personen) bietet, einen besseren Zugang zur Bildung eröffnet und die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze gestattet.

3.9.

Zur Erhaltung seiner Lebensfähigkeit braucht der Mensch Zugang zu abwechslungsreicher und ausreichender Ernährung, die nahrhaft, unbedenklich und erschwinglich ist. Arme Bevölkerungsgruppen müssen unterstützt werden, damit sie einen besseren Zugang zu den begrenzten Ressourcen bekommen, wie Wasser, darunter Trinkwasser, sanitäre Versorgung sowie saubere, sichere Energiequellen, die möglichst umweltfreundlich sind. Dies wird zu einer Verringerung bestimmter Formen der Fehl- und Unterernährung und Wachstumsverzögerung führen, was die Kinder autonomer macht und zu einer besseren psychischen Gesundheit beiträgt. Gleichermaßen wird der Zugang zu verbesserten Dienstleistungen (technischer Fortschritt und digitale Innovation) die Lebensqualität der Menschen in städtischen und ländlichen Gebieten, in denen die Bevölkerungszahl rasant ansteigt, verbessern, was zu einer gesünderen und wohlhabenderen Bevölkerung beiträgt, die ein menschenwürdiges Leben führen kann und deren Bedürfnisse erfüllt werden.

3.10.

Resilienz und Nachhaltigkeit sind von zentraler Bedeutung und unabdingbar für tragfähige Lösungen im derzeitigen globalen Kontext, der komplex, dynamisch und unvorhersehbar ist. Die extreme Verletzlichkeit verschärft die Auswirkungen der Armut, während eine sehr lang anhaltende Fragilität, gepaart mit wiederholten strukturellen Krisen, weitere humanitäre Notlagen erzeugt, die eine Entwicklung der Gemeinschaften blockieren. Die Länge der Konflikte übersteigt die zur Verfügung stehenden Ressourcen, was die Verwirklichung der grundlegenden Menschenrechte erschwert und zu einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen und Vertriebenen führt. Fortschritte werden durch die wiederkehrenden Probleme für die öffentliche Gesundheit unterminiert.

3.11.

Der Zugang zu erschwinglichen und nachhaltigen Energiedienstleistungen (Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen, Bekämpfung der Energiearmut) ist nach wie vor beschränkt und somit ein Hindernis für das Wirtschaftswachstum und eine angemessene und effiziente Industrialisierung, die auf die Bedingungen, den Bedarf und die Möglichkeiten vor Ort (im Einklang mit dem Schutz der Umwelt) abgestimmt ist. Der Zugang zu natürlichen Ressourcen ist begrenzt, da sie durch nicht nachhaltige Bewirtschaftungsformen verbraucht werden.

3.12.

Eine nachhaltige Landwirtschaft, intelligente Lebensmittelsysteme und eine nachhaltige Fischerei bringen Erzeugnisse hervor, die den Bedarf bei exponentiellem Bevölkerungswachstum decken können, ohne die Umwelt zu sehr zu belasten. Die Wasserknappheit und der (nicht nachhaltige) Verbrauch von Wasser haben Auswirkungen auf den Klimawandel.

3.13.

Mit dem Konsens soll ein besonderes Augenmerk auf den positiven demografischen Aspekt der Jugend in den Entwicklungsländern gelegt und das Potenzial der 1,3 Mrd. Menschen genutzt werden, die der Motor eines integrativen Wachstums und einer nachhaltigen Entwicklung sind. Erreicht werden muss das, indem neue, gute Arbeitsplätze geschaffen werden und die Selbstbestimmung junger Menschen und ihre Beteiligung am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehen sowie an der Entscheidungsfindung und an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten auf kommunaler Ebene gefördert werden.

3.14.

Der Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft muss vollzogen werden, um eine effiziente Nutzung der verfügbaren Ressourcen zu ermöglichen und die einer angemessene und nachhaltigen Entwicklung in der Breite zu unterstützen. Es besteht ein echtes Potenzial, dass neue privatwirtschaftliche Akteure mit Partnerschaften und innovative Lösungen sowie wirksamen, beständigen und ethisch vertretbaren Finanzierungsmechanismen aufwarten, die als Fortschrittsmodell dienen können. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Zusammenarbeit sowie in den Kommunikations- und Informationstechnologien (robuste und leistungsfähige Netze und Infrastrukturen), sobald es eine Neuausrichtung der Mittel und Investitionen auf die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele gibt, um Fortschritte als Reaktion auf die globalen Herausforderungen zu ermöglichen.

3.15.

Für die Beseitigung der Armut und eine nachhaltige Entwicklung sind eine ökologische Nachhaltigkeit und ein stabiles Klima erforderlich, die eine Chance für die schwächsten Teile der Gesellschaft darstellen. Die unausgewogenen wirtschaftlichen Prozesse können Frieden und Stabilität gefährden und erhebliche Migrationsbewegungen verursachen. Umweltbelange müssen Teil der präventiven Maßnahmen sein, vor allem muss das „Verursacherprinzip“ verstärkt angewandt werden. Eine verantwortungsvolle Privatwirtschaft kann eine wesentliche Rolle für die Förderung einer effizienten Nutzung der Ressourcen und für einen nachhaltigen Konsum und eine nachhaltige Produktion spielen, zwei Aspekte, die im Rahmen des Übergangs zu einer Kreislaufwirtschaft eine Entkopplung des Wirtschaftswachstums von der Schädigung der Umwelt begünstigen können.

3.16.

Die Rolle der Privatwirtschaft bei der Umsetzung der Agenda 2030 sollte unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeit, einen Beitrag zu der Verwirklichung der Entwicklungsziele in den Bestimmungsländern zu leisten, eingeschätzt werden und auf den Grundsätzen der Globalen Partnerschaft für wirksame Entwicklungszusammenarbeit basieren. Sollten sich neue Finanzierungsinstrumente unter Beteiligung privater Akteure als wirksames Instrument erweisen, um wirtschaftliche Entwicklungen anzustoßen und Arbeitsplätze und staatliche Einnahmen zu schaffen, so ist es von entscheidender Bedeutung, diese Instrumente den gleichen Transparenz- und Bewertungsbedingungen wie Finanzierungen mit öffentlichen Geldern zu unterwerfen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten transparente und unabhängige Bewertungen finanzieren, mit denen Interessenträgern, insbesondere auf der lokalen Ebene, die Möglichkeit gegeben wird, die Kostenwirksamkeit und die Auswirkungen einer privat- und marktwirtschaftlichen Finanzierung im Bereich Entwicklung einzuschätzen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten sich auf ein widerspruchsfreies Konzept zur Rolle der Privatwirtschaft im Bereich Entwicklung einigen, um sicherzustellen, dass bedürftige Regionen oder Länder nicht auf der Strecke bleiben. Innovative Mechanismen zur Entwicklungsfinanzierung wie öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) sollten anhand der Grundsätze einer auch unter dem Kostenaspekt wirkungsvollen Entwicklungszusammenarbeit bewertet werden, um gebundene Entwicklungshilfe zu vermeiden und ein Regelungsumfeld sicherzustellen, in dem der Staat die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen organisieren kann.

3.17.

Als Anreiz für verantwortungsvolle Geschäftspraktiken und Lieferketten sollte die EU leistungsstarke internationale Instrumente im Bereich einer verantwortungsbewussten Wirtschaft fördern. Da der Stellenwert der Privatwirtschaft als Akteur im Entwicklungsbereich zunimmt, sollte bestehenden Instrumenten für ein verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln mehr Bedeutung beigemessen werden. Die Einhaltung und Umsetzung international anerkannter Leitlinien und Grundsätze für unternehmerisches Handeln und entsprechende Rechenschaftsinstrumente sollten eine grundlegende Voraussetzung für die Gewährung einer privatwirtschaftlichen Unterstützung in der Entwicklungszusammenarbeit werden. Die Förderfähigkeit sollte an die Einhaltung der Vorgaben geknüpft sein, und ein geeignetes Überwachungssystem sollte bei Verstößen eine Neubewertung der finanziellen Unterstützung vorsehen.

3.18.

Ein verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln, die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitsrecht sowie menschenwürdige Arbeitsbedingungen (gemäß dem Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und anderen international anerkannten Leitlinien und Grundsätzen für unternehmerisches Handeln), die soziale Verantwortung der Unternehmen (in Bezug auf Arbeitsstandards und menschenwürdige Arbeitsbedingungen), die finanzielle Integrität, der Kampf gegen Korruption und Umweltstandards müssen entschieden unterstützt werden. Auf diese Weise lassen sich Missbrauch und Korruption vermeiden, was einem Übergang von einer informellen zu einer formellen Wirtschaft förderlich ist.

3.19.

Der EWSA ist der Ansicht, dass eine grundlegende Voraussetzung für die nachhaltige Entwicklung ein lebenslanger diskriminierungsfreier Zugang zu einer hochwertigen Ausbildung ist, denn so wird sichergestellt, dass jeder Bürger die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt. Ein besseres Leben mit mehr Würde und mehr Engagement entsprechend den Fähigkeiten jedes Einzelnen bringt bessere und verantwortungsvollere Erwachsene hervor und sorgt für mehr Rechte in einer gerechten Gesellschaft, die auf sozialem Wohlergehen und wirtschaftlichem Wohlstand basiert.

3.20.

Ein weiterer wesentlicher Faktor für eine nachhaltige Entwicklung besteht in der Planung, der Errichtung, der Inbetriebnahme und der Nutzung effektiver städtischer Infrastruktureinrichtungen: nachhaltige und untereinander verbundene sichere Verkehrsnetze sowie andere widerstandsfähige Infrastruktureinrichtungen. Die Städte müssen zu Wachstums- und Innovationspolen werden, die die Inklusion mit den umliegenden ländlichen Gemeinden, in denen angemessene grundlegende Dienste zur Verfügung stehen, begünstigen. Diese Ziele sind Bestandteil des Konzepts der Raumplanung, der gerechten Steuerung der Finanzmärkte und der Mobilität in der Stadt.

3.21.

Ungleichheit, fehlende Rechtsstaatlichkeit, Ausgrenzung und Missachtung der Menschenrechte und der Bedürfnisse der Menschen sind die grundlegenden Ursachen für Armut, Verletzlichkeit und Konflikte, die mit der Vertreibung von Menschen einhergehen. Mit einer demokratischen Regierungsführung wird die Ausübung der bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen (kulturelle Vielfalt) und religiösen Rechte sichergestellt. Der politische Dialog ermöglicht es zu handeln. Die Reform des Justizwesens, der Zugang zur Justiz für alle sowie unabhängige, offene, verantwortungsvolle und effiziente Gerichte verringern die Belastung der gesellschaftlich gefährdeten Gruppen. Es ist notwendig, die Rechtsstaatlichkeit zu festigen, Gewalt und Kriminalität in den Städten zu bekämpfen, die Sicherheit der Bevölkerung so weit wie möglich zu erhöhen und die staatliche Handlungsfähigkeit, die Rechenschaftspflicht, die Transparenz und die Vermeidung von Konflikten zu stärken. All dies gehört zum Aufbau von Vertrauen zwischen Staat und Bevölkerung.

3.22.

Eine nachhaltige Entwicklung benötigt Gesellschaften, die ihre Mitglieder einbeziehen möchten, und demokratische Institutionen mit universellen Werten: eine gute Multi-Level-Governance, Rechtsstaatlichkeit, transparente Entscheidungsprozesse, Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption, Menschenrechte, eine freie, gerechte und offene Gesellschaft sowie eine starke, der Eingliederung förderliche Zivilgesellschaft mit hoher Widerstandskraft gegen interne oder externe Erschütterungen.

3.23.

Aus der Sicht der künftigen Strategie der EU für internationale Kulturbeziehungen (JOIN(2016) 29 und Stellungnahme REX/480, noch in Ausarbeitung) betont der EWSA die Bedeutung, die der Kultur als vierter Säule des Entwicklungsprogramms zukommt, und spricht sich dementsprechend dafür aus, sie in die Prioritäten des neuen Europäischen Konsenses über die Entwicklungspolitik aufzunehmen.

3.24.

In seiner Stellungnahme SOC/268 aus dem Jahre 2007 über die Einwanderungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit stellt der EWSA fest, dass „Migration […] sowohl für die Herkunfts- als auch für die Aufnahmeländer positiv“ ist. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass eine schlecht gesteuerte Migration dazu führen kann, dass die Menschenrechte missachtet werden und der Zugang zu Bildung und Gesundheit verwehrt wird. Migranten laufen Gefahr, Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit zu werden. Hier muss reagiert und schnell und entschlossen gehandelt werden, sowohl in den Herkunfts- und Transit- als auch in den Zielländern. Im Sinne möglichst weitreichender positiver Auswirkungen und einer Verringerung der illegalen Migration ist es gleichzeitig notwendig, eine strukturierte, systematische und Synergien nutzende Koordinierung zu schaffen. Dieser koordinierte Ansatz muss sich in der humanitären Hilfe niederschlagen. Die Lösung liegt in einer Politik für eine nachhaltige Entwicklung und einer Fortführung der Bemühungen in den Herkunftsländern. Der politische Dialog ist Teil der europäischen Außenpolitik und ein Instrument zur Begrenzung von Migration.

3.25.

Laut der Eurobarometer-Umfrage zum Thema internationale Zusammenarbeit und Entwicklung im Februar 2016 hat mehr als ein Drittel (36 %) der Bürgerinnen und Bürger der EU von den Zielen der nachhaltigen Entwicklung zumindest schon gehört, auch wenn nur jeder zehnte Umfrageteilnehmer (10 %) weiß, worum es sich dabei handelt. Am häufigsten haben die Einwohner der nord- und mitteleuropäischen Regionen schon einmal von den Zielen der nachhaltigen Entwicklung gehört oder darüber gelesen. Es liegt auf der Hand, dass die EU im Bereich Entwicklungszusammenarbeit mehr Anstrengungen in die Aufklärung und Unterrichtung der europäischen Bürger investieren muss, wobei das Augenmerk verstärkt auf die Mitgliedstaaten in Süd- und Osteuropa zu richten ist. Der EWSA hat in seiner Stellungnahme REX/461 zum Thema „Die Agenda 2030 — eine der globalen nachhaltigen Entwicklung verpflichtete Europäische Union“ eine entsprechende Empfehlung abgegeben: „Die Europäische Kommission sollte Sensibilisierungsmaßnahmen und Informationskampagnen durchführen, um aus der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung eine europäische Agenda zu machen. Die Europäische Kommission sollte regelmäßige Eurobarometer-Umfragen durchführen, um die Sensibilisierung der EU-Bürger für die SDG und ihr Verständnis der SDG zu bewerten. Hierbei kommt den zivilgesellschaftlichen Organisationen eine entscheidende Rolle zu.“

3.26.

Die EU hat das Potenzial, eine führende Rolle im Bereich der Ziele für nachhaltige Entwicklung zu spielen, und dank ihrer großen Solidarität, ihrer Sozialpolitik sowie ihrer Wirtschafts- und Handelspartnerschaften mit allen interessierten Akteuren, die die gleichen Werte teilen, ist sie auch in der Lage, diese Aufgabe auszufüllen. Ihr weitgespanntes diplomatisches Netz stellt die Kohärenz und Logik ihrer Handlungen sicher und gewährleistet, dass ihre Glaubwürdigkeit und Legitimität gestärkt werden und dass ein Mehrwert mit positiven Auswirkungen entsteht. Die Vielfalt der europäischen Erfahrungen, die differenzierten Ansätze, der so entstehende Mehrwert und die Einheit in der Vielfalt sind spezifische Elemente des auswärtigen Handelns der Union und verschaffen ihr einen Wettbewerbsvorteil.

Brüssel, den 26. April 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen. Bewertung des Europäischen Konsenses über die Entwicklungspolitik von 2005 und Begleitung der Initiative „Vorschlag für einen neuen Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik“.

(2)  Die Kosten für ein Nicht-Europa im Bereich der Entwicklungspolitik: Verstärkte Koordinierung zwischen den Gebern in der EU (The Cost of Non-Europe in Development Policy: Increasing Coordination between EU Donors), Europäisches Parlament (2013).

(3)  Bericht AidWatch, Concord (2016).