ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 177

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Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

59. Jahrgang
18. Mai 2016


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III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

515. Plenartagung des EWSA vom 16./17. März 2016

2016/C 177/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr Chancen für die Menschen und die Unternehmen [COM(2015) 550 final]

1

2016/C 177/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist [COM(2015) 583 final]

9

2016/C 177/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und die Europäische Zentralbank — Ein Fahrplan für die Schaffung einer kohärenteren Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets in internationalen Foren [COM(2015) 602 final] und dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Maßnahmen zur schrittweisen Einrichtung einer einheitlichen Vertretung des Euro-Währungsgebiets im Internationalen Währungsfonds [COM(2015) 603 final — 2015/0250 (NLE)]

16

2016/C 177/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems [COM(2015) 586 final — 2015/0270 (COD)]

21

2016/C 177/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und die Europäische Zentralbank: Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion [COM(2015) 600 final] und dem Beschluss (EU) 2015/1937 der Kommission vom 21. Oktober 2015 zur Einrichtung eines unabhängigen beratenden Europäischen Fiskalausschusses [C(2015) 8000 final]

28

2016/C 177/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Einrichtung nationaler Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet [COM(2015) 601 final]

35

2016/C 177/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets [COM(2015) 692 final]

41

2016/C 177/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Programm zur Unterstützung von Strukturreformen für den Zeitraum 2017-2020 und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1303/2013 und (EU) Nr. 1305/2013 [COM(2015) 701 final — 2015/0263 (COD)]

47

2016/C 177/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Umsetzung der Europäischen Sicherheitsagenda: EU-Aktionsplan gegen den unerlaubten Handel mit Feuerwaffen und Explosivstoffen und deren unerlaubte Verwendung [COM(2015) 624 final] und zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung [COM(2015) 625 final — 2015/0281(COD)]

51

2016/C 177/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs [COM(2015) 667 final — 2015/0313 (COD)]

57


DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

515. Plenartagung des EWSA vom 16./17. März 2016

18.5.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 177/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr Chancen für die Menschen und die Unternehmen“

[COM(2015) 550 final]

(2016/C 177/01)

Berichterstatter:

Antonello PEZZINI

Die Europäische Kommission beschloss am 15. Juli 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Den Binnenmarkt weiter ausbauen: mehr Chancen für die Menschen und die Unternehmen“

[COM(2015) 550 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 1. März 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 515. Plenartagung am 16./17. März 2016 (Sitzung vom 16. März 2016) mit 170 Stimmen bei 2 Gegenstimmen und 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Binnenmarkt ein Kernstück des europäischen Integrationsprozesses ist. Er kann unmittelbar spürbaren Nutzen schaffen und den europäischen Volkswirtschaften nachhaltiges Wachstum bringen.

1.1.1.

Der Ausschuss fordert, bei der Vollendung des Binnenmarkts die Branchen der grünen Wirtschaft zu berücksichtigen und Marktmodelle für Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch auszubauen, indem die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft weiter umgesetzt und die Bekämpfung des Klimawandels mittels Untersuchung neuer Indikatoren fortgeführt wird.

1.1.2.

Bezüglich des Energiemarkts hält es der EWSA für notwendig, die Bemühungen und die Investitionen im Bereich der Gas- und Stromnetze zu verstärken und den Grundsatz der Subsidiarität bei der Energiespeicherung zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten einzuführen.

1.2.

Der Binnenmarkt und die soziale Inklusion der europäischen Bürger und Arbeitnehmer sollte im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und des Europäischen Sozialfonds immer mehr Bedeutung erhalten.

1.3.

Das Paket zur Arbeitskräftemobilität sollte auf die Beseitigung aller Hemmnisse für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer unter Sicherstellung hoher Schutzniveaus ausgerichtet sein. Zu diesem Zweck fordert der EWSA eine bessere Abstimmung der Sozialversicherungssysteme und die Einführung von Sozialversicherungsträgern mit auf europäischer Ebene anerkannten Funktionen. Er hält es für grundlegend, die Bestimmungen des Vertrags hinsichtlich der Rechte der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung voll umzusetzen. Ferner wünscht er eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung.

1.4.

Nach Ansicht des EWSA müssen die Verbraucher als wichtige Akteure des Binnenmarktes aufgefasst werden, und er fordert die Kommission auf, eine entschlossenere Rolle bei der Koordinierung des Unionsrechts in diesem Bereich zu spielen und die Streitbeilegungsmechanismen zu verbessern. Es bedarf größerer Anstrengungen zur Verbesserung der Produktsicherheit und Marktüberwachung, wobei Betrugsfällen auf dem digitalen Markt besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Diesbezüglich fordert er die Entwicklung eines zweckmäßigen nationalen kollektiven Rechtsdurchsetzungsverfahrens für Verbraucher, das auch auf transnationaler Ebene gültig ist.

1.5.

Nach Auffassung des EWSA müssen Finanzdienstleistungen für Privatkunden in allen Staaten verbessert werden; er fordert den Aufbau zentraler Anlaufstellen und eines Netzes von Anlaufstellen in den verschiedenen Staaten, die mit einem zentralen europäischen System verknüpft werden.

1.6.

Soziales Unternehmertum und partizipative Wirtschaft sind für den sozialen Zusammenhalt von entscheidender Bedeutung, um den Unionsbürgern ein wirksameres und nachhaltigeres Wirtschaftswachstum gewährleisten zu können. Der EWSA kann zu den diesbezüglichen Überlegungen der Kommission beitragen und hat bereits vorgeschlagen, eine ständige Struktur (1) zur Vertiefung dieser Aspekte zu schaffen.

1.7.

Die Dienste und Netze, die Dienstleistungen und Informationen, Rechtsberatung und Hilfestellung bei der Vermarktung anbieten, sollten das ganze Spektrum an Unternehmensformen unter besonderer Berücksichtigung von Kleinstunternehmen abdecken (2).

1.7.1.

Alle einschlägigen Organisationen zur Vertretung der verschiedenen Unternehmensformen sollten am sozialen Dialog auf Unternehmensebene beteiligt werden, sofern ihre Repräsentativität belegt ist.

1.8.

Die europäischen Unternehmen, insbesondere die KMU und erst recht Kleinstunternehmen, benötigen einen starken und dynamischen Binnenmarkt; der EWSA stimmt zu, dass ein Legislativvorschlag für die Bereiche Unternehmensinsolvenzen und frühzeitige Umstrukturierung vorgelegt werden muss, und unterstützt den Vorschlag einer „zweiten Chance“ für Unternehmer. Bei diesem Vorschlag sind der Schutz der Arbeitnehmer und der Verbraucher sowie die Notwendigkeit angemessener Garantien zu beachten.

1.9.

Dem EWSA zufolge muss der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nicht harmonisierter Waren zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen gestärkt werden.

1.10.

Der EWSA unterstreicht, dass die administrativen Hürden, die die Unternehmensentwicklung behindern und vor allem KMU und Kleinstunternehmen belasten, gesenkt und beseitigt werden müssen. Die von den Mitgliedstaaten auferlegten zusätzlichen und überflüssigen Anforderungen sollten abgeschafft werden, wenn sie einer Richtlinie widersprechen oder deren Zielen zuwiderlaufen; ferner wird eine stärkere Konsistenzkontrolle durch die Kommission gefordert. Der EWSA unterstreicht, dass die Besonderheiten für Freiberufler unter Verstärkung der Online-Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten beibehalten werden sollten.

1.11.

Es gilt, die Wirksamkeit der Dienstleistungsrichtlinie und die Notifizierungsverfahren zu verbessern; dabei müssen Protektionismus und weitere Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr mithilfe eines sektorspezifischen Ansatzes bei der Erkennung von Uneinheitlichkeiten und Hindernissen unterbunden werden; bei nachgewiesener Nichteinhaltung der Richtlinie ist der Grundsatz der „Nulltoleranz“ mittels gezielter Vertragsverletzungsverfahren anzuwenden.

1.12.

Der EWSA spricht sich für eine bessere Anwendung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern (96/71/EG) und die Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie von 2014 aus.

1.13.

Es erscheint wichtig und angebracht, für die Anerkennung von beruflichen und akademischen Qualifikationen einzutreten und die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zu fördern mittels eines Harmonisierungsverfahrens, das Gleichberechtigung beim Zugang gewährleistet.

1.13.1.

In diesem Sinne gewinnt die Ausweitung des Europäischen Berufsausweises auf neue Berufe an Bedeutung.

1.14.

Gleichzeitig ist es wichtig, die europäische Normung zu unterstützen mittels eines basisnahen Systems unter kontinuierlicher Einbeziehung von Sozialpartnern, Verbrauchern und Umweltverbänden.

1.15.

Der Ausschuss fordert die Lancierung einer Kampagne zur direkten Beteiligung der Bürger, insbesondere der jungen Menschen, als Ausdruck der gelebten Unionsbürgerschaft eines jeden Einzelnen, mit der Einrichtung einer App für Smartphones und einer interaktiven elektronischen Informationsstelle der EU in allen Sprachen für persönliche Beiträge, um die Vollendung und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts optimal zu steuern und die asymmetrische Informationslage unter Einbindung und zum Nutzen der Bürger zu bekämpfen. Der EWSA fordert auch die Einrichtung eines Programms Erasmus für Handwerker und Auszubildende im Binnenmarkt , das es jungen Handwerkern, neuen Freiberuflern und Auszubildenden ermöglicht, die Einmaligkeit des europäischen Binnenmarkts zu erfahren und Erfahrungen und Fertigkeiten auszutauschen.

1.16.

Der Ausschuss hält es ebenso für wichtig, unter aktiver Beteiligung des Europäischen Auswärtigen Dienstes eine Werbekampagne mit dem Titel „Der europäische Binnenmarkt — mit über 500 Mio. Menschen eine einmalige Chance für sichere und solide Partnerschaften“ zu starten.

2.   Fahrplan für die volle Ausschöpfung der Binnenmarktpotenziale

2.1.

Der Binnenmarkt ist das Herzstück der europäischen Integration. Er bildet die Grundlage für das Vertrauen der Bürger in das Projekt Europa, die Eigeninitiative der europäischen Unternehmen, die harmonische und nachhaltige Entwicklung der Produktions-, Handels- und Dienstleistungstätigkeiten, die Entwicklung der Humanressourcen.

2.2.

Unlängst hat die Kommission die Vorschläge für die europäische Energieunion, die Strategie für einen digitalen Binnenmarkt, den Aktionsplan für eine Kapitalmarktunion, die Initiative „Handel für alle“, ein reichhaltiges Paket zur Kreislaufwirtschaft sowie ein Maßnahmenpaket zur Transparenz der Steuersysteme vorgelegt.

2.3.

Der Binnenmarkt wurde errichtet, damit alle Unionsbürger in vollem Maße die Vorteile nutzen können, die sich daraus ergeben, ohne Einschränkungen überall in der Europäischen Union leben, arbeiten, sich niederlassen, studieren, produzieren, verkaufen und kaufen zu können; in den 23 Jahren seit seiner Errichtung wurde eine Vielzahl von Hürden und Hemmnissen ausgeräumt, die der freien Ausübung dieser Grundfreiheiten entgegenstanden.

2.4.

Trotz der erzielten Fortschritte weist die Vollendung des Binnenmarkts noch erhebliche Lücken und Mängel auf, die „[…] innovationshemmend [wirken] und […] Unternehmen davon ab[halten], neue Produkte und Dienstleistungen in Europa zu entwickeln, mehr Personal einzustellen und auf neue Märkte zu expandieren“ (3).

2.5.

Die Barrieren für den freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr behindern das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen und beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen; auf der Grundlage der positiven Ergebnisse der Binnenmarktakte I und II ist jetzt ein radikaler Schritt erforderlich, um das Funktionieren des Binnenmarktes zu optimieren und sein ungenutztes Potenzial freizusetzen.

2.6.

Man muss deshalb „weiterhin dafür sorgen, dass Hemmnisse ausgeräumt werden und intellektuelle und ideologische Barrieren fallen, damit diese einzigartige Strategie der Zusammenarbeit ihre volle Dynamik zum Nutzen aller 28 Mitgliedstaaten und der drei EWR-Staaten entfalten kann“ (4).

2.7.

Als Prioritäten hat die BBS in ihrem Arbeitsprogramm 2015-2018 die Strategie für einen digitalen Binnenmarkt und den Energiebinnenmarkt sowie andere Formen der Zusammenarbeit wie die Verbesserung von SOLVIT genannt (5).

2.8.

Die Kommission hatte im April 2011 die „Binnenmarktakte I“ und im Oktober 2012 die „Binnenmarktakte II“ vorgelegt, zu denen der Ausschuss auf der Grundlage der Empfehlungen im Monti-Bericht von 2010 mehrfach Stellung genommen hat (6).

2.9.

Ein vertiefter und gerechterer Binnenmarkt ist eine der zehn Prioritäten der Kommission: Der Abbau verbleibender rechtlicher und anderer Hemmnisse im Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen wurde im Jahreswachstumsbericht 2015  (7) als Priorität genannt.

2.10.

Nach dem Cecchini-Bericht von 1988 zu den Kosten eines Europas ohne EU folgten diverse Aktionspläne mit Prioritäten für die Vollendung des Binnenmarkts, und die Kommission hat wiederholt Leitlinien und Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen allerdings bislang keine zufriedenstellenden Ergebnisse erzielt werden konnten. Vor diesem Hintergrund ist die Aufforderung zu konkretem Handeln zu sehen, die seitens der Kommission mit diesem neuen Fahrplan ergeht.

3.   Vorschläge im Fahrplan der Kommission

3.1.

Im Fahrplan werden drei Hauptziele im Hinblick auf die Vollendung des Binnenmarktes genannt:

für Verbraucher, Berufstätige und Unternehmen neue Chancen schaffen;

den von Europa benötigten Modernisierungs- und Innovationsschub ermöglichen und fördern;

die praktische Umsetzung gewährleisten, sodass Verbraucher und Unternehmen davon im Alltag profitieren.

3.2.

Die zentralen Komponenten der Initiative lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a)

ausgewogene Entwicklung der partizipativen Wirtschaft;

b)

Wachstum von KMU und Start-up-Unternehmen;

c)

Verwirklichung des Binnenmarkts ohne Grenzen für den Dienstleistungssektor;

d)

Vorgehen gegen Beschränkungen im Einzelhandel;

e)

Verhinderung der Diskriminierung von Verbrauchern und Unternehmern;

f)

Modernisierung des Systems der technischen Normung;

g)

Konsolidierung des europäischen Rahmens für die Rechte des geistigen Eigentums;

h)

stärkere Kultur der Rechtstreue und Durchsetzungskontrolle;

i)

mehr Transparenz, Effizienz und Rechenschaftspflicht bei der Vergabe öffentlicher Aufträge;

j)

Stärkung des Binnenmarkts für Waren und Dienstleistungen: vollständige Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie und ihre Erweiterung, gegenseitige Anerkennung und Konformitätsprüfungen bei illegalen Waren.

3.3.

Die Kommission will diesen Prozess durch ein aktives Vorgehen zur Umsetzung der verschiedenen einschlägigen Richtlinien und Verordnungen sowie mithilfe einer Reihe von Maßnahmen erleichtern, die auf Zweckmäßigkeit, Modernisierung und konkrete Ergebnisse abstellen und einem genauen und — hoffentlich — verbindlichen Zeitplan folgen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA hat bereits mehrfach die Überzeugung geäußert, dass entsprechende Maßnahmen notwendig sind, damit sich das Potenzial des Binnenmarkts zum Nutzen der Unternehmen, Arbeitnehmer, Verbraucher, Bürger und anderer interessierter Kreise in verschiedenen Bereichen entfalten kann, wie z. B.: Dienstleistungen, Zugang zur Finanzierung, Vereinfachung der Verwaltungslasten für KMU unter Wahrung des Schutzes der Arbeitnehmer, der Verbraucher und der Umwelt, aktualisierte und verbesserte Normung, Online-Handel, digitaler Binnenmarkt und Mobilität.

4.1.1.

Diesbezüglich erachtet es der Ausschuss für unabdingbar, den Wert des europäischen Binnenmarkts im europäischen Bewusstsein eines jeden einzelnen Bürgers, vor allem der jungen Unionsbürger, zu verankern und

eine Kampagne zur direkten Bürgerbeteiligung mit dem Titel „Reibungsloser EU-Binnenmarkt — Ja bitte!“ zu starten. Dies sollte mit der Einrichtung einer App für Smartphones in allen Sprachen einhergehen, um die Vollendung und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts optimal zu steuern und asymmetrische Informationen unter Einbindung und zum Nutzen der Bürger zu bekämpfen;

ein Programm Erasmus für Handwerker und Auszubildende im Binnenmarkt aufzulegen, das es jungen Handwerkern, neuen Freiberuflern und Auszubildenden ermöglicht, die Einmaligkeit des europäischen Binnenmarkts zu erfahren und Erfahrungen und Fertigkeiten auszutauschen.

eine Kampagne für den Europäischen Binnenmarkt zu starten, um die informierte Präsenz Europas als solches auf den Weltmärkten — insbesondere in Asien und Amerika — unter aktiver Beteiligung des Europäischen Auswärtigen Dienstes zu steigern;

eine Kampagne sollte auch die gegenseitigen Besonderheiten in sensiblen Dienstleistungsbereichen in einem europäischen Kohärenzrahmen ansprechen.

4.2.

Vor neuen Gesetzgebungsinitiativen sollten nach Auffassung des EWSA Vorrang haben: Instrumente für die wirksame Umsetzung der bestehenden Vorschriften, mittels Schaffung eines dynamischen Systems zur Erhebung von Informationen; eine bessere Folgenabschätzung, um sowohl Verstöße aufdecken als auch neue Maßnahmen für eine bessere Vollendung des Binnenmarkts vorschlagen zu können. Dabei soll betrachtet werden, inwiefern Deregulierungen die angestrebten Zwecke erreichen können (Prognose).

4.3.

Nach Auffassung des EWSA müssen die Verbraucherschutzvorschriften einer Eignungsprüfung unterzogen werden, wobei Verhältnismäßigkeit, Transparenz, Wirksamkeit und tatsächlicher europäischer Mehrwert sicherzustellen sind.

4.4.

Der EWSA hält es für vorrangig, die Bestimmungen über die gegenseitige Anerkennung zu bekräftigen und die einzelnen Fälle zu untersuchen, um den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr zu stärken und zu steigern.

4.4.1.

Zu diesem Zweck sollten Regeln aufgestellt werden, die in bestimmten Fällen in einer 29. Regelung enthalten sein könnten mit dem Hinweis auf bessere, in den einzelnen Mitgliedstaaten realisierte Lösungen.

4.5.

Der EWSA befürwortet die Förderung von Dienstleistungen in den Produktionssektoren mithilfe von Maßnahmen, die neue Geschäftsmodelle für die gemeinsame Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen ermöglichen. Durch eine bessere Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie und eine klarere und konsensbasierte Formulierung der Durchführungsbestimmungen könnten Anwendungen gewährleistet werden, die hohen Qualitätsstandards entsprechen.

4.6.

Der EWSA begrüßt, dass ein Kapitel der Kommissionsmitteilung der partizipativen Wirtschaft gewidmet ist. Er hat bereits mehrere Stellungnahmen zu diesem Thema vorgelegt (8). Derzeit erarbeitet er eine Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des niederländischen Ratsvorsitzes und zwei Initiativstellungnahmen zum Themenbereich neue Trends im Verbraucherverhalten.

4.6.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die auf Partizipation basierende Wirtschaft wichtige Fortschritte auf dem Weg zu einer ethischeren, auf den europäischen Werten basierenden Wirtschaft ermöglicht, und dass sie den Verbrauchern dabei hilft, zu einem ethischen Konsumverhalten überzugehen.

4.6.2.

Die partizipative Wirtschaft geht unter gewissen Aspekten mit einem Wandel des Begriffs der Arbeitskultur einher und bietet enorme Möglichkeiten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Sie stellt auch unter ökologischen Gesichtspunkten eine innovative Ergänzung dar.

4.6.3.

Der EWSA kann zu den diesbezüglichen Überlegungen der Kommission beitragen und hat bereits eine ständige Struktur zur Vertiefung dieser Überlegungen vorgeschlagen.

4.7.

Nach Ansicht des EWSA muss das gesamte Potenzial der partizipativen Wirtschaft genutzt werden, wobei zugleich die Vorschriften für die von ihr erbrachten Dienstleistungen anhand einer soliden Datenerhebung über die tatsächlichen Gegebenheiten in der gesamten EU genauer zu klären sind. Bei jeder zu ergreifenden Legislativmaßnahme ist zu berücksichtigen, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer gewährleistet werden müssen. In diesem Zusammenhang müssen auch die hohen europäischen Standards des Arbeitsrechts, des sozialen Schutzes und des Verbraucherschutzes sichergestellt sein.

4.8.

Nach Ansicht des EWSA müssen die Hemmnisse für den freien Dienstleistungsverkehr ausgeräumt werden, wobei der Schwerpunkt auf marktbestimmte Dienstleistungen, Baugewerbe, Tourismus und Einzelhandel sowie auf Unternehmensdienstleistungen zu legen ist: Die Mitgliedstaaten müssen die Informationsdienste bezüglich der nationalen Vorschriften für die Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen ausbauen und sämtliche für Dienstleistungserbringer in nichtdiskriminierender Weise geltenden Vorschriften oder weiteren Anforderungen begründen; die entsprechenden Informationen sind der Kommission mitzuteilen. Der EWSA fordert die Kommission auf, sich für die Vereinheitlichung und Leistungssteigerung der zentralen Anlaufstellen einzusetzen und die bestehenden Instrumente besser miteinander zu verknüpfen (9).

4.9.

Grundlegende Bedeutung misst der EWSA der Stärkung von Vertragsverletzungsverfahren bei, die eine Kultur der Rechtstreue auf EU-Ebene und eine korrekte Umsetzung auf einzelstaatlicher Ebene sicherstellen: Die Mitgliedstaaten müssen eine solche Kultur auch durch eine starke zentrale Überwachung, ggf. schnellere Vertragsverletzungsverfahren auf EU-Ebene sowie eine stärkere partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Verwaltungen verwirklichen.

4.10.

Nach Auffassung des EWSA sollten die Initiativen zu den Themen KMU, Start-up-Unternehmen, Unterstützung für Innovation und digitale Anwendungen im Fahrplan stärker hervorgehoben werden, da sie für das Wachstum und die Wiederankurbelung der Beschäftigung in der EU entscheidend sind. In diesem Kontext muss auch die Möglichkeit einer „zweiten Chance für Unternehmer“ bedacht werden.

4.11.

Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission sorgsam darauf achten, dass die neuen Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge (10) von den Mitgliedstaaten fristgerecht und ordnungsgemäß umgesetzt werden, da dieser Bereich etwa 20 % des BIP der Union ausmacht.

4.12.

Die verschiedenen Unternehmensformen in der EU gehen auf die vielgestaltige historische Entwicklung unseres Kontinents zurück. Unter den verschiedenen Formen sticht die partizipative Wirtschaft hervor, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Denn sie kann erschwingliche Antworten auf gesellschaftliche Bedürfnisse geben, und sie bedient sich dabei unterschiedlicher Formen von Beschäftigung und unternehmerischer Initiative.

4.13.

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, auch mittels eines Planes die Sozialwirtschaft zu fördern und die spezifischen Hindernisse für ihre Aktivitäten zu beseitigen, die sie von der vollständigen Ausschöpfung des Potenzials des Binnenmarkts abhalten.

4.14.

Die europäische Normung muss durch den Beitrag aller Sozialpartner und Interessenträger immer mehr zur Ergänzung und Bereicherung der in den Volkswirtschaften der Welt ablaufenden Prozesse beitragen, sei es, um den Europa kennzeichnenden Mehrwert der sozialen Marktwirtschaft beizusteuern, sei es, um die europäische Wirtschaft im Globalisierungsprozess zu stärken.

4.14.1.

Es ist zu wünschen, dass die europäische Standardisierungskultur bei den globalen Prozessen der Normensetzung präsenter und gewichtiger wird.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.    Verbraucher und Bürger

5.1.1.

Die europäischen Verbraucher werden sich immer stärker der Tatsache bewusst, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten — häufig aufgrund des Einflusses großer wirtschaftlicher Interessen — immer mehr direkte und indirekte Hindernisse für den freien Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr errichten.

5.1.2.

Sach-, Dienstleistungs- und Haftpflichtversicherungen sollten in allen Staaten der EU ungehindert operieren können.

5.1.3.

Unter den Mitgliedstaaten wurde kein gemeinsames elektronisches System zur Harmonisierung und Vereinfachung der Autobahngebühren für Privat- und Nutzfahrzeuge geschaffen.

5.1.4.

Das System der technischen Überwachung von Kraftfahrzeugen wurde weder harmonisiert noch in allen Mitgliedstaaten den Bürgern zugänglich gemacht.

5.1.5.

Die für die Bürger immer wichtigeren Steckdosen wurden noch nicht genormt.

5.1.6.

Auch die Kleidungs- und Schuhgrößen sind in zu vielen Mitgliedstaaten noch unterschiedlich.

5.1.7.

Der EWSA spricht sich für breite Informationskampagnen für die Verbraucher über die Vorteile eines energischen Handelns zum Ausbau gemeinsamer Normen im Binnenmarkt aus.

5.1.8.

Der EWSA fordert die Kommission auf, einen Vorschlag zur Harmonisierung der Informationen für die Bürger in Bezug auf Einrichtungsgegenstände vorzulegen.

5.2.    Personen mit Behinderungen

5.2.1.

Die Kategorie der Menschen mit Behinderung, zu der 15 % der europäischen Bevölkerung gehören, wird durch weitere Barrieren vom Genuss der Grundfreiheiten des Binnenmarktes abgehalten. Der EWSA begrüßt den unlängst von der Europäischen Kommission vorgelegten Europäischen Rechtsakt über die Barrierefreiheit, mit dem die Zugänglichkeit von Waren und Dienstleistungen gefördert werden soll.

5.3.    Berufe

5.3.1.

Nach Ansicht des EWSA muss eine in allen EU-Mitgliedstaaten geltende einheitliche Regelung für die freien Berufe geschaffen werden, und der Europäische Berufsausweis ist nach Maßgabe der EU-Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen auf alle möglichen Berufsgruppen auszuweiten.

5.4.    Patente

5.4.1.

Es mangelt noch an Systemen zum Schutz des geistigen Eigentums, insbesondere für KMU; Unsicherheit besteht hinsichtlich des Nebeneinanders von Gemeinschaftspatent und nationalen Patenten bzw. ergänzenden nationalen Schutzzertifikaten.

5.4.2.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass ein einheitliches Patentgericht eingesetzt werden muss, um eine einzige Gerichtsbarkeit in Patentfragen sicherzustellen.

5.4.3.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, das Verfahren zur Gewährung eines einheitlichen Titels für die ergänzenden Schutzzertifikate auf die Unionsebene zu verlegen.

5.5.    Öffentliche Auftragsvergabe

5.5.1.

Was die Vergabe öffentlicher Aufträge betrifft, begrüßt der EWSA die Einführung eines Systems zur Datenerhebung sowie neuer Analysewerkzeuge, um Probleme und Unregelmäßigkeiten erkennen zu können.

5.5.2.

Die Einrichtung europäischer Register für öffentliche Aufträge könnte sich als sehr nützlich erweisen und sollte auf die Erkennung von Unregelmäßigkeiten im Vergabeverfahren abzielen.

5.5.3.

Der EWSA hält auch die Einführung eines freiwilligen Ex-ante-Bewertungsmechanismus für die Bewertung von Aspekten der öffentlichen Auftragsvergabe bestimmter umfangreicher Infrastrukturvorhaben für nützlich.

5.6.    Solvit

5.6.1.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Befugnisse und Einflussmöglichkeiten von SOLVIT auszuweiten, damit die Bestimmungen des Binnenmarkts von den Mitgliedstaaten eingehalten werden, die in letzter Zeit sehr vorsichtig bezüglich des Wiederaufflammens starker nationalistischer Ressentiments sind.

5.6.2.

Der EWSA betont, dass die Kultur der Verwirklichung des Binnenmarkts noch schwach ausgeprägt ist und es zu viele verzerrende nationale Maßnahmen gibt, die seine Vollendung behindern.

Brüssel, den 16. März 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 177 vom 11.6.2014, S. 1.

(2)  ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 31.

(3)  COM(2015) 550 final, Ziffer 1.2.

(4)  EESC-2014-04518-00-00 (Beitrag der Binnenmarktbeobachtungsstelle zum Lenkungsausschuss Europa 2020).

(5)  EESC-2015-05912-00-00 (Arbeitsprogramm der BBS).

(6)  ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 53. ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 24. ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 99.

(7)  COM(2014) 902 final.

(8)  ABl. C 177 vom 11.6.2014, S. 1. ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 26. ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 23.

(9)  SOLVIT, RAPEX, Produktinfostellen usw.

(10)  Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU, 2014/25/EU.


18.5.2016   

DE

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C 177/9


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist

[COM(2015) 583 final]

(2016/C 177/02)

Berichterstatterin:

Milena ANGELOVA

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 15. bzw. am 18. Januar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist

[COM(2015) 583 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. März 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 515. Plenartagung am 16./17. März 2016 (Sitzung vom 16. März 2016) mit 158 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich den vorliegenden Vorschlag für eine Verordnung sowie den diesem Vorschlag zugrunde liegenden Ansatz, die Anforderungen an Prospekte, die beim Angebot von Wertpapieren auf geregelten Märkten zu veröffentlichen sind, zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Die Prospekte sollen damit kosteneffizienter und in Bezug auf die in ihnen enthaltenen Informationen für Anleger nützlicher werden. Der EWSA begrüßt die größere Rechtsklarheit, die durch die Wahl einer Verordnung anstelle einer Richtlinie für die Emittenten, die Anleger sowie alle Interessengruppen hergestellt wird, da dies sowohl das Vertrauen der Anleger erhöhen als auch der Herstellung der Kapitalmarktunion dienen wird.

1.2.

Der EWSA begrüßt, dass besonderes Gewicht darauf gelegt wird, das Vertrauen der Anleger wiederzugewinnen, und billigt die konkreten Maßnahmen, die zu diesem Zweck ergriffen werden. Er unterstützt den Grundsatz, dass verständlichere und gezielter auf die konkrete Situation des Emittenten zugeschnittene Prospekte einen doppelten Vorteil mit sich bringen: Kosten werden gesenkt und die Relevanz für potenzielle Anleger wird gesteigert. Die Tatsache, dass alle Prospekte in der EU in einer gemeinsamen nutzerfreundlichen und zugänglichen Datenbank verfügbar sein sollen, dürfte der Entwicklung der Kapitalmärkte in Europa nach Auffassung des EWSA erhebliche Impulse verleihen und zu mehr Vertrauen der Anleger und der Schaffung diversifizierterer Finanzprodukte führen.

1.3.

Der Vorschlag für eine Verordnung zielt eindeutig darauf ab, den Verwaltungsaufwand bei der Prospekterstellung für alle Emittenten zu verringern, insbesondere für KMU, Daueremittenten von Wertpapieren und Sekundäremissionen. Er verdient deshalb die Unterstützung des EWSA. Auch die Bemühungen, den Prospekt zu einem wesentlichen Offenlegungsinstrument für potenzielle Anleger zu machen und mehr Konvergenz zwischen dem EU-Prospekt und anderen EU-Offenlegungsvorschriften herzustellen, sind zu begrüßen.

1.4.

Damit die erklärten Ziele dieses Verordnungsvorschlags umgesetzt werden können, müssen alle Interessenträger eng in das Verfahren der Erstellung der Gesetzgebungsakte der Stufe 2 sowie in eine gründliche qualitative Bewertung der Folgen eingebunden werden, die zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der Verordnung durchzuführen ist. Dem EWSA ist sehr daran gelegen, aktiv an diesen Konsultationen teilzunehmen.

1.5.

Der EWSA fordert die Kommission auf, einige unklare Punkte zu erläutern, die die Auswirkungen der vorgeschlagenen Verordnung beeinflussen können, und zu verhindern, dass der den Mitgliedstaaten zugestandene Ermessensspielraum zu unnötigen und unverhältnismäßigen Belastungen für die Emittenten führen bzw. die Klarheit der für den Anleger relevanten Informationen beeinträchtigen könnte. Es wird deshalb nachdrücklich empfohlen, dass die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) bei der Wahrnehmung ihrer Befugnisse, die Aufsichtspraxis in den Mitgliedstaaten stärker anzugleichen, nicht nur die Positionen der lokalen Aufsichtsbehörden, sondern auch der lokalen Interessenträger, einschließlich der Marktteilnehmer, berücksichtigt.

2.   Der Vorschlag der Europäischen Kommission

2.1.

Die Reform der Rechtsvorschriften über die Veröffentlichung von Prospekten beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren ist Teil der dritten Komponente der Investitionsoffensive für Europa (1), mit der das Geschäftsumfeld verbessert werden soll, und stellt damit ein Schlüsselelement der Kapitalmarktunion (2) dar.

2.2.

Der Vorschlag für eine Verordnung ist das Ergebnis der langfristigen Bemühungen der Europäischen Kommission um Verbesserung des Rechtsrahmens für die Offenlegung von Informationen bei der Emission von Wertpapieren. Die einzelnen Komponenten des Vorschlags sollten deshalb im Nachhinein bewertet werden, wobei die in den verschiedenen Phasen bereits erzielten Fortschritte zu berücksichtigen sind.

2.2.1.

Die Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (3) ersetzte zwei frühere Richtlinien über Börsenprospekte (1980) (4) und Prospekte (1989) (5), die von den Interessenträgern scharf kritisiert worden waren, weil sie unionsweit sehr unterschiedliche Praktiken zuließen und sich auf ein System der gegenseitigen Anerkennung stützten, bei dem die Behörden der jeweiligen Mitgliedstaaten über einen erheblichen Ermessensspielraum verfügten. Damit wurde erstmals auch der Grundsatz der Einmalzulassung eingeführt.

2.2.2.

Im Rahmen der Überprüfung der Richtlinie 2003/71/EG im Jahr 2010 zeigte sich, dass zwar einige Fortschritte erreicht worden waren, dass es der Richtlinie jedoch noch an Rechtsklarheit mangelte und dass sie nicht wirksam und effizient genug war und nicht zu dem erforderlichen ausgewogenen Verhältnis zwischen Markteffizienz und Anlegerschutz führte. Sie wurde daher durch die Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (6) ersetzt.

2.2.3.

Drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie 2010/73/EU fand eine Überprüfung statt. Dabei zeigte sich deutlich, dass die erwarteten Ergebnisse nicht erreicht worden waren (z. B. in Bezug auf die Zusammenfassung des Prospekts), dass die Richtlinie nicht ehrgeizig genug war (angemessene Offenlegungsregelungen) und dass sie schlicht und einfach nicht die Maßnahmen umfasste, um allen Erwartungen der Interessenträger gerecht zu werden.

2.2.4.

Der Vorschlag für eine Verordnung enthält viele neue Bestandteile und Maßnahmen und kann als wesentlicher Schritt hin zu einer besseren und effizienteren Regelung von Fragen für die Öffentlichkeit gewertet werden. Zudem werden die Emittenten und Anleger wirksam in die Lage versetzt, in der EU tätig zu werden.

2.3.

Hauptziel des Vorschlags ist es, die Kapitalbeschaffung für Unternehmen in der gesamten Union auf der Grundlage einer einzigen Billigung durch eine Aufsichtsbehörde in nur einem Mitgliedstaat (gewöhnlich der Herkunftsmitgliedstaat) einfacher und kostengünstiger zu gestalten und gleichzeitig zu gewährleisten, dass den Anlegern ausreichende und wahrheitsgemäße Informationen zur Verfügung stehen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA unterstützt uneingeschränkt die Initiative der Kommission zur Vereinfachung der Erstellung und der Verfahren für die Veröffentlichung von Prospekten für das öffentliche Angebot von Wertpapieren oder die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt, der sich in einem Mitgliedstaat befindet oder dort betrieben wird. Die Prospekte sollen damit kosteneffizienter und in Bezug auf die in ihnen enthaltenen Informationen für Anleger nützlicher werden. Der EWSA hat diese Grundsätze in seiner Stellungnahme zur Richtlinie 2003/71/EG bereits befürwortet (7).

3.2.

Der EWSA betont, dass das Vertrauen der Anleger wiedergewonnen werden muss, und begrüßt deshalb, dass in dem Entwurf der Verordnung den Anlegern besonderes Augenmerk gilt. Er billigt die konkreten Maßnahmen, die zu diesem Zweck ergriffen werden, und unterstützt den Grundsatz, dass verständlichere und gezielter auf die konkrete Situation des Emittenten zugeschnittene Prospekte einen doppelten Vorteil mit sich bringen: Kosten werden gesenkt und die Relevanz für potenzielle Anleger wird gesteigert. Zudem begrüßt er die Verbesserungen in Bezug auf die Strukturierung der Risikofaktoren im Prospekt.

3.3.

Der EWSA unterstützt auch uneingeschränkt die Auffassung der Kommission, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Lage für die Emittenten zu verbessern, indem der Verwaltungsaufwand beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren verringert wird, da z. B. die KMU in dieser Hinsicht derzeit durch den erheblichen Umfang der erforderlichen Dokumentation und die damit verbundenen hohen Kosten behindert werden. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die in der Folgenabschätzung des Verordnungsvorschlags genannten erwarteten Einsparungen an Zeit und Kosten für die Emittenten (etwa 175 Mio. EUR jährlich) weiter zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen beitragen werden.

3.4.

Die Möglichkeit, über eine gemeinsame Datenbank auf alle Prospekte in der EU zuzugreifen, dürfte der Entwicklung der Kapitalmärkte in Europa nach Auffassung des EWSA erhebliche Impulse verleihen, das Vertrauen der Anleger stärken und die Diversifizierung der Finanzprodukte fördern. Damit eine solche Datenbank auch wirklich effizient funktioniert, sollte sie nutzerfreundlich angelegt und so gestaltet sein, dass die Informationen leicht zugänglich und nutzbar sind.

3.5.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass weniger Informationen offengelegt werden müssen, diese jedoch in standardisierter Form, was auch zu einer Straffung der Arbeit der betroffenen Verwaltungen und so zur Senkung ihrer Kosten führen wird.

3.6.

Der EWSA begrüßt, dass zur Regulierung dieser Frage als Rechtsinstrument eine Verordnung und nicht eine Richtlinie gewählt wurde. Eine Verordnung und damit eine Reihe von Bestimmungen, die von den Mitgliedstaaten direkt anzuwenden sind, beseitigt den Ermessensspielraum, der bislang bei der Umsetzung der Richtlinie (8) in nationales Recht bestand. Mit der Annahme der Verordnung werden die Einheit und Integrität des Binnenmarktes gewährleistet, Unterschiede und Fragmentierung bei den geltenden Rechtsvorschriften in der EU beseitigt und Schritte hin zu einer Kapitalmarktunion getan. Sie bedeutet zudem eine erhebliche Erleichterung für die Anleger, die bei Entscheidungen über Investitionen im Ausland nicht mehr gezwungen sein werden, sich mit unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften vertraut zu machen.

3.7.

Mit Blick auf die bisherige Entwicklung der EU-Prospektvorschriften und den diesbezüglich nachweislich bestehenden Verbesserungsbedarf begrüßt der EWSA, dass die Kommission schon in der Phase des Vorschlags ihre Absicht geäußert hat, nach dem Inkrafttreten der Verordnung einen Bericht über die Anwendung vorzulegen, und dass sie ganz konkret die Rahmenbedingungen dafür dargelegt hat. Der Ausschuss ist jedoch der Auffassung, dass eine Frist von fünf Jahren nach dem Inkrafttreten zu lang für eine so wichtige Bewertung ist, und fordert, den Bericht bereits zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der Verordnung vorzulegen. Damit ließen sich schneller ein Überblick über die Auswirkungen der Verordnung gewinnen und gegebenenfalls korrektive Maßnahmen ergreifen. Der EWSA empfiehlt eine gründliche qualitative Evaluierung zur Ergänzung der genannten Parameter für die quantitative Beurteilung, einschließlich einer gründlichen qualitativen Beurteilung, in deren Rahmen insbesondere auch geprüft wird, wie und inwieweit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch die Kapitalbeschaffung infolge vereinfachter Prospekte gestärkt wurde, inwieweit damit auch Fortschritte beim Ausbau der Kapitalmärkte in den Mitgliedstaaten erzielt wurden und wie dies die Rahmenbedingungen für Unternehmen in den Mitgliedstaaten insgesamt verändert hat. Entscheidend ist auch, zu bewerten, ob die Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Verordnung in Gebieten, auf denen sie einen Ermessensspielraum bei der Anpassung der Bestimmungen haben, überreguliert haben (gold-plating).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Die Erhöhung des Schwellenwerts für die Prospektpflicht auf 500 000 EUR (9) ist ein Schritt in die richtige Richtung, um den Verwaltungsaufwand zu vereinfachen und KMU auf diese Weise den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten zu erleichtern. Andererseits darf das Recht der Mitgliedstaaten, für diese Emissionen angemessene Offenlegungspflichten festzulegen (10), keine zusätzlichen administrativen Hürden schaffen und nicht zu Überregulierung (11) führen und sollte in die Folgenbewertung, die nach dem Inkrafttreten der Verordnung durchzuführen ist, einbezogen werden. Der EWSA sieht diesbezüglich einige potenzielle Risiken und fordert die Kommission auf, diese Frage bei der Bewertung der Folgen gründlicher zu prüfen.

4.2.

Der EWSA begrüßt uneingeschränkt, dass sich die Kommission um eine genaue Definition des Begriffs KMU bemüht (12), und teilt die Auffassung, dass eine weitere Anpassung dieser Definition erforderlich sein könnte. Der Ausschuss hat bereits in zahlreichen seiner jüngsten Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass eine einheitliche, aktualisierte und präzisere Definition nötig ist (13).

4.2.1.

Der EWSA befürwortet die Definition in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f des Verordnungsvorschlags, wonach zumindest zwei der drei Kriterien der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission (14) erfüllt sein müssen. Ein solcher Ansatz sollte breiter verfolgt werden und in alle Legislativvorschläge der Kommission sowie in die Gesetze und die Verwaltungspraxis der Mitgliedstaaten einfließen.

4.2.2.

Der Ausschuss spricht sich auch nachdrücklich dafür aus, den Schwellenwert für die Definition von „Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung“ (15) von 100 auf 200 Mio. EUR anzuheben, was die Definition in der Richtlinie 2014/65/EU (16) bestätigt und die Lücke zwischen dieser und der Definition in der Richtlinie 2003/71/EG (17) schließt.

4.3.

Die Möglichkeit, Prospekte auf freiwilliger Basis zu erstellen (18), bietet den Emittenten zusätzliche Flexibilität und erleichtert den Zugang zu den Kapitalmärkten der EU.

4.4.

Die Bestimmungen, mit denen eine spätere Weiterveräußerung von Wertpapieren („Retail Cascade“) erleichtert werden soll (19), sind neu und sehr begrüßenswert.

4.5.

Die vorgeschlagene äußerst detaillierte Beschreibung der Prospektzusammenfassung (20) entlastet die Emittenten erheblich, da der in der Richtlinie 2010/73/EU im Ergebnis ihrer Bewertung festgestellte Mangel beseitigt wird. Dass der Prospekt nunmehr nur wesentliche Informationen umfassen soll, bringt eine Vereinfachung sowohl für Emittenten als auch für Anleger, da sich letztere leichter in den bereitgestellten Daten orientieren und die Prospekte unterschiedlicher Emittenten vergleichen können. Der EWSA fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass die zivilrechtliche Haftung in allen Fällen gewährleistet ist.

4.6.

Die vorgesehene Möglichkeit, bei Emission von Nichtdividendenwerten einen Basisprospekt zu erstellen, bietet Flexibilität für eine weitere Gruppe von Emittenten.

4.7.

Das einheitliche Registrierungsformular ist eine Möglichkeit (21), die genutzt werden kann, weil sie viele der administrativen Hürden für Daueremittenten erheblich senkt und so ihren Zugang zum Kapitalmarkt erleichtert.

4.8.

Die speziellen Offenlegungsregelungen (22), die den Unternehmen die Veröffentlichung und den Anlegern die Verarbeitung der Informationen erleichtern, sind ebenfalls begrüßens- und unterstützenswert.

4.9.

Der EWSA begrüßt nachdrücklich, dass die ESMA beauftragt werden soll, technische Regulierungs- und Durchführungsstandards auszuarbeiten. Dazu gehören Leitlinien für einen klareren Umgang mit Risikofaktoren und deren Zuordnung zu bestimmten Kategorien, wobei vorrangig konkrete statt generischer Risiken berücksichtigt werden sollen, und Listen für die Erweiterung der Auswahl der offengelegten Informationen, die in Form eines Verweises in den Prospekt aufgenommen werden können. Dies wird die Integration der Kapitalmärkte voranbringen.

4.10.

Der EWSA schlägt vor, auch Vorschläge für eine größere Standardisierung der Verfahren für die Prüfung und Überprüfung eines Prospekts bei Aussetzung oder Absage einer Veröffentlichung aufzunehmen. In vielen Fällen gibt es mehrfaches Hin und Her, bevor die Aufsichtsbehörde ihre endgültige Entscheidung trifft. Dies führt zu unnötigen, für den Emittenten möglicherweise recht kostspieligen Verzögerungen, die nicht anfallen, wenn die Aufsichtsbehörde ihre Empfehlungen mit einem Mal abgibt. Damit Fortschritte bei der Kapitalmarktunion erzielt werden können, sollte die ESMA nach Ansicht des EWSA für die Mitgliedstaaten deshalb einheitliche Regeln ausarbeiten in Bezug auf Fristen und die Form der konkreten Anweisungen an potenzielle Emittenten, wie eventuelle Mängel im Prospektentwurf zu beheben sind. Dies würde es den Emittenten, insbesondere den KMU, erleichtern, ihre Prospekte zu erstellen, und es wären einheitlichere Rahmenbedingungen gegeben, was den Ermessensspielraum bei Regulierungsentscheidungen einschränkt.

4.11.

Der Ausschuss befürwortet auch die Möglichkeit, freiwillig weitere Elemente in den Prospekt aufzunehmen. Damit können die Unternehmen den Anlegern zusätzlich sachlich richtige Informationen betreffend nichtfinanzielle Aspekte, etwa bezüglich Umweltschutz, Produktionsverfahren oder Beteiligung an Sozialprogrammen, vermitteln. Dies ist besonders wichtig für große öffentliche Unternehmen, die Vorreiter in Bezug auf die soziale Verantwortung von Unternehmen sind. Dabei ist darauf zu achten, dass die Prospekte korrekt, verständlich und vollständig sein müssen.

4.12.

Der EWSA möchte folgende Empfehlungen zur Verbesserung der Anhänge des Verordnungsvorschlags abgeben:

4.12.1.

Die Abschnitte, in denen es um die Risiken geht, sollten konkreter gefasst werden: In dem Registrierungsformular sollte zwischen Risiken für das Unternehmen und Risiken für seine Geschäftstätigkeit unterschieden werden (Anhang II, Punkt II.C, S. 5).

4.12.2.

Um die Wiederholung von Informationen zu vermeiden, sollte die Wertpapierbeschreibung nur die Risiken umfassen, die die Wertpapiere selbst betreffen (Anhang III, Punkt III.C, S. 8).

4.12.3.

Die Wertpapierbeschreibung sollte also keine Angaben zur Identität der Geschäftsführer, der Mitglieder des Vorstands, des Aufsichts- bzw. Verwaltungsrats, der Mitglieder der Unternehmensleitung, der Berater und der Abschlussprüfer sowie bestimmte andere Informationen (Anhang III, S. 8, Punkt I) enthalten, da diese Informationen bereits im Registrierungsformular auftauchen, sofern die Wertpapiere nicht von Aktieninhabern ausgegeben werden.

4.12.4.

Die Satzung des Emittenten kann als eigenes Dokument zur Verfügung gestellt werden, auf das im Prospekt verwiesen wird.

4.12.5.

Der EWSA empfiehlt, die Frist für die Billigung des Prospekts von Emittenten, die nicht regelmäßig Wertpapiere begeben, zu verkürzen. Auch die zulässige Antwortfrist einer Aufsichtsbehörde im Falle von Änderungen sollte kürzer als ursprünglich vorgeschlagen sein. Auch sollte es zulässig sein, nach Anmerkungen nur die korrigierten Teile des Prospekts vorzulegen und die Zahl der Papierversionen zu reduzieren, indem es ermöglicht wird, den Prospekt und seine Anhänge in elektronischer Form vorzulegen.

4.12.6.

Der EWSA fordert die Kommission auf, einen ausreichend langen Zeitraum für eine reibungslose Einführung der neuen Bestimmungen vorzusehen, der es den Märkten und den Emittenten gestattet, sich an die anstehenden Veränderungen anzupassen.

5.   Offene Fragen

5.1.

Einige Punkte, die die Wirkung der vorgeschlagenen Verordnung beeinflussen können, sind noch nicht ausreichend geregelt. Der EWSA empfiehlt diesbezüglich zusätzliche Klarstellungen.

5.1.1.

Für Wertpapierangebote mit einem Wert unter 500 000 EUR muss kein Prospekt erstellt werden (23). In diesem Fall können die nationalen Aufsichtsbehörden nach eigenem Ermessen „angemessene Offenlegungspflichten“ für die Emittenten beschließen. Der EWSA empfiehlt, den Inhalt dieser „angemessenen Pflichten“ im Voraus festzulegen, um eine Ungleichbehandlung dieser Emittenten in verschiedenen Mitgliedstaaten zu verhindern. Darüber hinaus empfiehlt er, diese Pflichten in ihrer Form einfacher zu halten als die Prospekte.

5.1.2.

Darüber hinaus können die nationalen Aufsichtsbehörden alle Wertpapierangebote zwischen 500 000 und 10 000 000 EUR vom mit dieser Verordnung eingeführten harmonisierten Prospekt ausnehmen, sofern es sich um inländische Angebote handelt, für die keine Notifizierung im Rahmen der Einmalzulassung („europäischer Pass“) beantragt wird. Nach Auffassung des EWSA steigt die Wahrscheinlichkeit einer Ungleichbehandlung von Emittenten im Rahmen nationaler Vorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten mit zunehmendem Ermessensspielraum der nationalen Regulierungsbehörden. Dies trägt auch dazu bei, mögliche unerwünschte Effekte eines weniger strengen Verbraucherschutzes zu vermeiden. Der Ermessensspielraum der nationalen Aufsichtsbehörden sollte deshalb bis zu einem gewissen Grade eingeschränkt werden. Der EWSA fordert die Kommission auf, diese Idee noch einen Schritt weiter zu verfolgen und zu prüfen, ob die genannte Ausnahmeregelung für alle Emissionen zwischen 500 000 und 10 000 000 EUR insbesondere KMU mit Blick auf die Kapitalmarktunion benachteiligen könnte. Der EWSA fordert die Kommission auf, im Lichte der Ergebnisse einer solchen Prüfung zu erwägen, ob diese Ausnahmeregelung beibehalten oder nicht besser abgeschafft werden sollte.

5.1.3.

Delegierte Rechtsakte nach Artikel 42 des Verordnungsvorschlags sollten vor ihrem Erlass mit allen Interessenträgern ausführlich erörtert werden. Der EWSA ist besonders daran interessiert, bei den Konsultationen zu Gesetzgebungsakten der Stufe 2 aktiv eingebunden zu werden.

5.1.4.

In gleicher Weise sollte die ESMA bei der Wahrnehmung ihrer Befugnisse, die Aufsichtspraxis in den Mitgliedstaaten anzugleichen, nicht nur die Positionen der lokalen Aufsichtsbehörden, sondern auch die der lokalen Interessenträger, einschließlich der Marktteilnehmer, berücksichtigen.

5.1.5.

Da bei Wertpapierangeboten mit einem Wert unter 500 000 EUR kein Prospekt erforderlich ist und diese nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, empfiehlt der EWSA, dass die Kommission oder die ESMA Empfehlungen an die Mitgliedstaaten abgibt, wie der Status von „KMU-Emittenten“ präzisiert werden kann, die nicht auf geregelten Märkten handeln dürfen, sondern nur im Rahmen multilateraler Handelssysteme oder über Crowdfunding-Plattformen. Diese Empfehlungen sollten sich auch darauf erstrecken, ob solche Unternehmen als öffentliche oder als private Unternehmen zu verstehen sind und in welcher Form die Aufsicht erfolgt.

5.1.6.

Der EWSA weist auf den Wortlaut von Artikel 25 Absatz 2 hin, wo es um die „in internationalen Finanzkreisen gebräuchliche Sprache“ geht. Nach Auffassung des Ausschusses sollte es sich dabei um eine Amtssprache der EU handeln, die von dem Aufnahmemitgliedstaat akzeptiert wird.

5.1.7.

In Bezug auf Artikel 7 über die Prospektzusammenfassung mit Informationen für Anleger wäre es zweckmäßig, besondere Warnhinweise auf die mit der Geldanlage verbundenen Risiken aufzunehmen.

Brüssel, den 16. März 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  СОМ(2014) 903 final.

(2)  СОМ(2015) 468 final. Der Aktionsplan zur Kapitalmarktunion ist ein umfassendes und ehrgeiziges Maßnahmenprogramm zur Stärkung der Rolle der marktgestützten Finanzierung in der europäischen Wirtschaft.

(3)  Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 64).

(4)  Richtlinie 80/390/EWG des Rates vom 17. März 1980 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospekts, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist (ABl. L 100 vom 17.4.1980, S. 1).

(5)  Richtlinie 89/298/EWG des Rates vom 17. April 1989 zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist (ABl. L 124 vom 5.5.1989, S. 8).

(6)  Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind (ABl. L 327 vom 11.12.2010, S. 1).

(7)  Stellungnahme des EWSA zur Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind (ABl. C 347 vom 18.12.2010, S. 79).

(8)  Richtlinie 2010/73/EU.

(9)  Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe d des Verordnungsvorschlags.

(10)  Artikel 3 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags.

(11)  In ihrer Mitteilung „Bessere Ergebnisse durch bessere Rechtsetzung — Eine Agenda der EU“ (COM(2015) 215 final, S. 7) definiert die Kommission diesen Begriff wie folgt: „Häufig gehen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften auf nationaler Ebene auch über das hinaus, was unbedingt erforderlich ist (‚Gold plating‘).“ Weiter heißt es: „Dadurch mag der Nutzen erhöht werden, den Unternehmen und den öffentlichen Verwaltungen können jedoch auch zusätzliche unnötige Kosten entstehen, die fälschlicherweise mit den EU-Vorschriften in Verbindung gebracht werden.“

(12)  Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f des Verordnungsvorschlags.

(13)  Stellungnahme des EWSA zum Grünbuch „Schaffung einer Kapitalmarktunion“ (ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 64), Informationsbericht des EWSA zum Zugang zu Finanzierung für KMU (EESC-2014-06006-00-00-ri-tra) sowie Stellungnahme des EWSA zu Familienbetrieben als Impulsgeber für den Wirtschaftsaufschwung und bessere Arbeitsplätze (ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 8). In diesen Stellungnahmen wurde die Kommission aufgefordert, die Definition von KMU zu präzisieren, um der Vielfalt der Unternehmen in Europa besser gerecht zu werden. Damit soll der Notwendigkeit entsprochen werden, die unterschiedlichen Definitionen folgender Dokumente zu vereinheitlichen: Empfehlung 2003/361/EG der Kommission (die im Wesentlichen eine Neuauflage der Empfehlung 96/280/EG darstellt, in hohem Maße veraltet ist und der EU-Erweiterung nicht Rechnung trägt), Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen (die Unterschiede zwischen den Definitionen in den beiden Richtlinien sollen mit dem vorliegenden Verordnungsvorschlag behoben werden).

(14)  Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f des Verordnungsvorschlags. Bei der ursprünglichen Definition von KMU gemäß der Empfehlung 96/280/EG müssen zwei der drei Kriterien erfüllt sein. In der Empfehlung 2003/361/EG wird den zuständigen Stellen jedoch ein Ermessensspielraum zugestanden: „Aus Gründen der Vereinfachung der Verwaltungsverfahren können sich Letztere auch auf ein einziges Kriterium — das der Mitarbeiterzahl — beschränken, wenn es darum geht, bestimmte von ihnen verfolgte Politiken umzusetzen.“ (Erwägungsgrund 7). Dies führt dazu, dass sehr viele Unternehmen nicht unter diese Definition fallen, die in Fragen gekommen wären, wenn zwei der drei Kriterien angelegt worden wären, wie in der ursprünglichen Definition vorgesehen.

(15)  Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe f zweiter Gedankenstrich des Verordnungsvorschlags.

(16)  Artikel 4 Absatz 1 Nummer 13 der Richtlinie 2014/65/EU.

(17)  Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe t der Richtlinie 2003/71/EG.

(18)  Artikel 4 des Verordnungsvorschlags.

(19)  Artikel 5 des Verordnungsvorschlags.

(20)  Artikel 7 des Verordnungsvorschlags.

(21)  Artikel 9, in Verbindung mit den Artikeln 10 Absatz 2, 11 Absatz 3, 13 Absatz 2 und 19 Absatz 5 des Verordnungsvorschlags.

(22)  Artikel 14 und 15 des Verordnungsvorschlags.

(23)  Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe d des Verordnungsvorschlags.


18.5.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 177/16


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und die Europäische Zentralbank — Ein Fahrplan für die Schaffung einer kohärenteren Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets in internationalen Foren

[COM(2015) 602 final]

und dem

Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Maßnahmen zur schrittweisen Einrichtung einer einheitlichen Vertretung des Euro-Währungsgebiets im Internationalen Währungsfonds

[COM(2015) 603 final — 2015/0250 (NLE)]

(2016/C 177/03)

Berichterstatter:

Petr ZAHRADNÍK

Die Europäische Kommission beschloss am 11. November 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und die Europäische Zentralbank — Ein Fahrplan für die Schaffung einer kohärenteren Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets in internationalen Foren

[COM(2015) 602 final]

und

Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Maßnahmen zur schrittweisen Einrichtung einer einheitlichen Vertretung des Euro-Währungsgebiets im Internationalen Währungsfonds

[COM(2015) 603 final — 2015/0250 (NLE)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. März 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 515. Plenartagung am 16./17. März 2016 (Sitzung vom 17. März) mit 204 Stimmen bei 5 Gegenstimmen und 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen (Vorschläge)

1.1.

Die wichtigste allgemeine Schlussfolgerung ist, dass das Euro-Währungsgebiet in den internationalen Finanzinstitutionen nur dann aktiver, effizienter und sichtbarer agieren kann, wenn seine Vertretung nach außen gestärkt und so sein relatives Gewicht im Rahmen der internationalen Finanzinstitutionen erhöht und seinem Standpunkt auf den internationalen Finanzmärkten stärker Geltung verschafft wird. Bereits vor der Veröffentlichung der Vorlagen durch die Europäische Kommission hat sich der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) mit seinen Stellungnahmen zu diesem Thema geäußert (1).

1.2.

Der EWSA stimmt der Logik dieser beiden Dokumente zu, d. h., dass es nach der erheblichen Intensivierung der Koordinierung innerhalb des Euro-Währungsgebiets, insbesondere im Zeitraum 2009-2014, jetzt angezeigt ist, einen großen Schritt hinsichtlich seiner Vertretung in der globalen Wirtschaft zu machen. Damit würde das Signal einer Stärkung der politischen Säule gegeben, die einer ausgewogenen Verknüpfung und Kohärenz zwischen dem internen Zusammenhalt und den externen Erfordernissen für das Funktionieren des Euro-Währungsgebiets dient, welche ebenso zu einer weiteren Konvergenz der Wirtschaftspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten führt.

1.3.

Der EWSA pflichtet auch dem Schwerpunkt einer Stärkung der Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets im Internationalen Währungsfonds (IWF) bei. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, insbesondere die führende Rolle des IWF bei der weltweiten wirtschaftspolitischen Steuerung und Gestaltung der Wirtschaftspolitik sowie seine konkrete Beteiligung an den Programmen zur Rettung mehrerer Mitgliedstaaten der EU in jüngster Zeit.

1.4.

Gleichzeitig ist der EWSA jedoch der Ansicht, dass die vorgeschlagene verstärkte Außenvertretung der EU bzw. des Euro-Währungsgebiets als erster Schritt des ganzen Prozesses anzusehen ist, der nach einem ähnlich ausführlichen Szenarium weiterverfolgt wird in den Beziehungen zu den zuständigen Einrichtungen (z. B. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und OECD), etwa für die Zwecke der Bankenunion und der Kapitalmarktunion. Der EWSA schlägt vor, dass die Europäische Kommission — unter Wahrung des vorrangigen Stellenwerts des IWF bei der Strategie zur Stärkung der Vertretung des Euro-Währungsgebiets nach außen — Szenarien einer stärkeren und wirksameren Verknüpfung auch mit den übrigen einschlägigen internationalen Institutionen entwirft, insbesondere mit Blick auf die entsprechende inhaltliche Zielsetzung.

1.5.

Der EWSA begrüßt im Großen und Ganzen das Szenario und den mit dem Vorschlag zur Vertretung des Euro-Währungsgebiets nach außen angestrebten Endzustand einer einheitlichen Vertretung im IWF bis 2025. Er unterstützt zudem die Aufforderung der Europäischen Kommission zu einer Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat dergestalt, dass der Rat einen für alle Seiten vorteilhaften Beschluss über die vorgeschlagene Vorgehensweise erlassen kann.

1.6.

Gleichzeitig empfiehlt der EWSA in diesem Zusammenhang, eine klare und eindeutige Definition der Aufgaben für die Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets einerseits und eine koordinierte Verknüpfung mit der Rolle der EU als Ganzes andererseits (im Sinne der Wahrung der Integrität des Binnenmarkts). Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die vorgeschlagene Vertretung des Euro-Währungsgebiets im IWF auch auf jene Gebiete bezieht, die sachlich und inhaltlich über den thematischen Rahmen des Euro-Währungsgebiets hinausgehen, aber von größter Bedeutung für die EU und alle ihre Mitgliedstaaten sind. Gleichzeitig empfiehlt der EWSA, dass die Frage einer künftigen Erweiterung des Euro-Währungsgebiets im Prozess ihrer Außenvertretung ebenfalls berücksichtigt wird. Die Existenz einer solchen Koordinierung kann ein zusätzlicher Grund und ein Kriterium für die Bewertung einer Entscheidung darüber sein, ob ein Mitgliedstaat auf einen Beitritt vorbereitet ist.

1.7.

Der EWSA stimmt den Kernelementen eines dreistufigen Szenarios, mit dem ein einziger Sitz für den IWF bis 2025 erreicht werden soll, ebenso zu wie den Übergangsphasen, die zu diesem Ziel führen sollen. Aber der entsprechende politische Druck im Hinblick auf die rechtzeitige Erfüllung der sich daraus für die Mitgliedstaaten ergebenden Verpflichtungen und Zusagen muss gewährleistet sein.

1.8.

Der EWSA pflichtet zugleich dem Vorschlag bei, das Euro-Währungsgebiet so zu gestalten, dass die Schaffung der Funktion eines Vertreters ermöglicht wird, der zur Wahrung der Interessen des Euroraums vorrangig gegenüber dem IWF, aber auch gegenüber allen weiteren einschlägigen Finanzinstitutionen in Brüssel befugt ist (Umwandlung des WFA-Unterausschusses für IWF-Angelegenheiten (SCIMF) in einen vollwertigen Unterausschuss des Wirtschafts- und Finanzausschusses). Ebenso sollte ein Gremium zur Vertretung des gemeinsamen Interesses des Euroraums in Washington, D.C., gebildet werden, wobei eine förmliche und konkret stattfindende Abstimmung mit den nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten sichergestellt werden muss.

1.9.

Der EWSA erwartet, dass es im Ergebnis des vorgeschlagenen Verfahrens zu einer besseren und engeren Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Wirtschaftspolitik und ihrer externen Dimension kommt, und er geht von einer angemessenen Koordinierung zwischen den verschiedenen, auf diesem Gebiet zuständigen Organen und Einrichtungen der EU aus, auch unter Wahrung der größtmöglichen Transparenz.

1.10.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die beiden Dokumente in ihrer Konzeption weitgehend auf verfahrenstechnisch-organisatorische bzw. legislativ-rechtliche Aspekte des Problems ausgerichtet sind. Der EWSA empfiehlt die Aufnahme einer wirtschaftlichen Analyse und einer kurzen Auflistung der nach der Umsetzung zu erwartenden Vorteile und Auswirkungen.

1.11.

Der EWSA stimmt dem vorgeschlagenen Verfahren einer regelmäßigen Vorlage von Berichten über die Fortschritte beim Ausbau der Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets frühestens ab Frühjahr 2017 zu und unterstützt dieses Verfahren.

2.   Die Vorschläge der Kommission: Inhalt und Analyse

2.1.

Gegenstand der Stellungnahme ist die Zusammenfassung der Standpunkte zu zwei Dokumenten, die am 21. Oktober 2015 als Teil eines Pakets von Maßnahmen zur Vollendung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) vorgelegt wurden. Diese Dokumente beziehen sich auf eine der Prioritäten des Pakets — die Vertretung des Euro-Währungsgebiets nach außen. Das Paket ist darüber hinaus als ein System sich gegenseitig beeinflussender und an Bedingungen geknüpfter Schritte konzipiert, die allesamt von entscheidender Bedeutung für die Verwirklichung des bis 2025 angestrebten Ziels sind.

2.2.

Das Konzept beruht auf den bereits vorliegenden Vorschlägen zur Schaffung einer vertieften und echten WWU (vom November 2012) und wurde im Bericht der fünf Präsidenten vom Juni 2015 erneut herausgestellt.

2.3.

In den Dokumenten wird davon ausgegangen, dass dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Schlüsselrolle beim Ausbau der Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets zukommen könnte.

2.4.

Eine einheitliche Vertretung des Euro-Währungsgebiets würde es diesem ermöglichen, auch innerhalb des IWF mit einheitlicher Stimme zu den Politikbereichen zu sprechen, in denen die Koordinierung in der EU weit fortgeschritten ist, wie Wirtschafts- und Finanzpolitik, makroökonomische Überwachung, Wechselkurspolitik und Finanzstabilität.

2.5.

An die so umrissene Ausgangslage knüpft der Vorschlag für eine kohärentere und effizientere Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets im IWF an. Er beruht auf der Strategie, sich möglichst zeitnah auf ein Szenario zu einigen und dieses nach und nach umzusetzen. Drei Phasen werden diesbezüglich vorgeschlagen.

2.6.

Das Konzept der Stärkung der Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets muss transparent realisiert und die interessierte Öffentlichkeit durch regelmäßige Fortschrittsberichte informiert werden.

2.7.

Die Zielvorgaben für die bis 2025 vorgesehene einheitliche Vertretung des Euro-Währungsgebiets im IWF lauten gemäß den in der Mitteilung COM(2015) 603 final enthaltenen Legislativvorschlägen wie folgt:

Darlegung der Standpunkte des Euro-Währungsgebiets durch den Präsidenten der Euro-Gruppe im Gouverneursrat;

Vertretung des Euro-Währungsgebiets durch den Präsidenten der Euro-Gruppe im Internationalen Währungs- und Finanzausschuss (IMFC);

im IWF-Exekutivdirektorium direkte Vertretung des Euro-Währungsgebiets durch den Exekutivdirektor einer Stimmrechtsgruppe des Euro-Währungsgebiets nach Einrichtung einer oder mehrerer nur aus Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets bestehender Stimmrechtsgruppen (Wahl des Exekutivdirektors auf Vorschlag des Präsidenten der Euro-Gruppe; vollumfängliche Abstimmung der mündlichen und schriftlichen Erklärungen).

2.8.

Im Falle einer Erweiterung des Euro-Währungsgebiets erfolgen die notwendigen Änderungen im Benehmen mit den nicht dem Euroraum angehörenden Mitgliedstaaten, und die Maßnahmen zur Anpassung an die neuen Gegebenheiten werden im Rahmen der einheitlichen Vertretung vorgenommen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Im ersten Dokument werden vor allem die verfahrenstechnisch-organisatorischen Punkte des Themas abgehandelt, während die gewonnenen Erkenntnisse im zweiten Dokument in Form eines Legislativvorschlags gefasst werden. Beide Maßnahmen sind ein umfassender Beitrag zur Schaffung der politischen Säule des Euro-Währungsgebiets und zur Gewährleistung eines Gleichgewichts zwischen den internen und den externen Instrumenten, die dem Euro-Währungsgebiet zur Verfügung stehen. Das Sprechen mit nur einer Stimme bei der Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets wird zu einer besseren Koordinierung und zur Stärkung des Zusammenhalts im Euro-Währungsgebiet sowie zur Annäherung des ganzen Spektrums wirtschaftspolitischer Maßnahmen zwischen den einzelnen Mitgliedern führen. Um diese Vision sicherzustellen und mit Leben zu erfüllen, muss eine größere Verantwortung im Sinne einer stärkeren Integration und Stärkung der Institutionen übernommen werden.

3.2.

Im Zeitraum 2009-2014 kam es auf dem Gebiet der Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU zur Annahme beispielloser Maßnahmenpakete (Einführung eines alljährlichen Europäischen Semesters, Anpassung der Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts, Annahme eines „Sechserpakets“ und eines „Zweierpakets“ mit Rechtsakten, Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt), Europäischer Stabilisierungsmechanismus (ESM), Bankenunion, Kapitalmarktunion u. a. m.), bei denen es sich hauptsächlich um die noch fehlenden Schritte zum Aufbau des Euro-Währungsgebiets handelte oder aber um kurzfristige Rettungsmaßnahmen, um den dringendsten Bedarf in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu decken. Das am 21. Oktober 2015 veröffentlichte Maßnahmenpaket, das sich auf den Bericht der fünf Präsidenten stützt, ist das seit langer Zeit ehrgeizigste und vorausschauendste Konzept, das auf die Entwicklung und Verbesserung des institutionellen Umfelds und des zur Verfügung stehenden Instrumentariums des Euro-Währungsgebiets und seiner Architektur abzielt, die durch die Umsetzung dieser Maßnahmen optimiert und stärker integriert werden sollte.

3.3.

Die im Zeitraum 2009-2014 ergriffenen Maßnahmen richteten sich allesamt auf die Stärkung der internen Funktionsweise des Euro-Währungsgebiets, dessen Außenvertretung allerdings nicht in dem Maße gewährleistet wurde, wie es seiner wachsenden Bedeutung bei der Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU entsprochen hätte. Das Euro-Währungsgebiet hat in internationalen Finanzinstitutionen und in der Folge auch auf den internationalen Finanzmärkten relativ gesehen an Stellenwert eingebüßt oder aber das ihm zur Verfügung stehende Potenzial nicht voll ausgeschöpft. Die Stärkung der Außenwirkung des Euro-Währungsgebiets sollte nach außen hin auch zum Ausdruck kommen, und in der Weltfinanzpolitik sollte die Außenvertretung kohärenter und einheitlicher sein.

3.4.

Die Frage der Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets sollte in einem breiteren politischen Kontext gesehen werden und nicht nur durch den Bericht der fünf Präsidenten motiviert sein. Implizit gelangt man zu der Überzeugung, dass

a)

die derzeitige Struktur der WWU nicht ausreicht, um zu gewährleisten, dass der vom Euro-Währungsgebiet erwartete Beitrag auch tatsächlich geleistet wird;

b)

sich die Wirkung der auf die inneren Angelegenheiten des Euro-Währungsgebiets ausgerichteten Maßnahmen mit Blick auf die Rolle, die der Euro in der Welt spielt, ohne eine entsprechende Außenvertretung nicht entfalten kann.

3.5.

Es spricht einiges dafür, dass ohne eine entsprechende Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets das Potenzial des Euroraums zur Mitgestaltung der weltweiten Wirtschafts- und Währungspolitik nicht ausgeschöpft werden und die Attraktivität des Euro als Währung für Transaktionen, Investitionen und für die Bildung von Währungsreserven weltweit begrenzt sein könnte.

3.6.

Die Notwendigkeit der Schwerpunktsetzung auf den IWF ergibt sich aus der starken Komplementarität zwischen der Wirtschaftspolitik und ihren Instrumenten auf Ebene der EU und des IWF, nachdem diese auf europäischer Ebene und insbesondere im Euro-Währungsgebiet eine wesentliche Stärkung und Koordinierung erfahren haben (2). Der IWF wiederum ist die weltweit wichtigste Einrichtung auf dem Gebiet der wirtschaftspolitischen Steuerung und spielte darüber hinaus in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank eine wichtige Rolle bei der Gestaltung und Umsetzung der Hilfsprogramme für die von der Wirtschafts- und Schuldenkrise getroffenen Mitgliedstaaten. Die Rolle des IWF dürfte in Zukunft weiter zunehmen, und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen dem Euro-Währungsgebiet und dem IWF wird nicht nur aus der isolierten Perspektive einzelner Mitgliedstaaten, sondern aus einem weitaus breiteren und komplexeren Blickwinkel heraus betrachtet. Gleichzeitig weist der EWSA darauf hin, dass, wenn es im Euro-Währungsgebiet von Anfang an einen Europäischen Währungsfonds gegeben hätte, wie er bereits in den ersten Vorschlägen noch vor der Entstehung des Europäischen Währungssystems Ende der 70er-Jahre vorgesehen war, dieser in Krisenzeiten die Rolle hätte spielen können, die dann tatsächlich vom IWF übernommen wurde.

3.7.

Einer verstärkten und wirksameren Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets steht eine Reihe von Hindernissen im Weg, die ermittelt und korrekt beurteilt wurden:

Zersplitterung unter den Mitgliedstaaten (im Hinblick auf eine Vertretung im Exekutivdirektorium des IWF; die 19 Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets verteilen sich derzeit auf sechs Stimmrechtsgruppen und zwei Einzelsitze; diese Struktur hindert die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets häufig daran, einen gemeinsamen Standpunkt darzulegen);

unzureichende Vertretung des Euro-Währungsgebiets als Ganzes (es gibt keinen eigenen Vertreter des Euro-Währungsgebiets, der ein offizielles Mandat für das IWF-Exekutivdirektorium innehätte — diese Aufgabe wird gegenwärtig vom EURIMF-Vorsitzenden wahrgenommen); der IWF hat keinen optimalen Ansprechpartner für alle Themen, die für das Euro-Währungsgebiet von Bedeutung sind (vgl. die Maßnahmen, die unlängst zur besseren Koordinierung der Wirtschaftspolitik durchgeführt wurden); die Europäische Zentralbank hat einen Beobachterstatus im IWF-Exekutivdirektorium;

mangelnde Abstimmung auf der Ebene des Euro-Währungsgebiets (ein altes und nicht umgesetztes Übereinkommen des Europäischen Rates in Wien aus dem Jahr 1998); die Abstimmung erfolgt auf Unionsebene im Wirtschafts- und Finanzausschuss und seiner ständigen Arbeitsgruppe für IWF-Angelegenheiten (SCIMF) — die Praxis sieht jedoch meist so aus, dass die einzelnen Mitgliedstaaten ihre nationalen Standpunkte vertreten.

3.8.

Aus den vorstehenden Äußerungen ergeben sich einige grundsätzliche Bemerkungen zu den zwei Vorlagen: für die Umsetzung der Vorschläge aus beiden Dokumenten ist eine intensive Abstimmung in mehrerlei Hinsicht erforderlich — zwischen den internen und den externen Instrumenten, die im Euro-Währungsgebiet zur Verfügung stehen, um seine Architektur und Funktionsweise optimal zu gestalten, die Wirtschaftspolitik zu harmonisieren und Zusammenhalt und Konvergenz zu erzielen, zwischen den Ländern des Euro-Währungsgebiets und den Mitgliedstaaten, die den Euro nicht eingeführt haben (mit einem für den Fall einer Erweiterung des Euro-Währungsgebiets vorbereiteten Verfahren), sowie zwischen den verschiedenen Formen der Vertretung des Euro-Währungsgebiets nach außen (Währungsfragen, Strukturpolitik, Bankwesen, Finanzmärkte und Wirtschaftspolitik). Als Ausgangspunkt für die Koordinierungsgrundsätze kann die These gelten, dass der Euro die Währungseinheit der EU ist.

3.9.

Generell kann noch angemerkt werden, dass die Konzipierung der Dokumente in verfahrenstechnischer, administrativer und legislativer Hinsicht vor dem Hintergrund der entsprechenden wirtschaftlich-analytischen und politischen Argumente erfolgen sollte.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Im Einklang mit den vorstehenden allgemeinen Bemerkungen wird empfohlen, die Berührungspunkte zwischen der neuen wirtschaftspolitischen Steuerung der Union und der Politik des IWF und gegebenenfalls weiterer Institutionen vereinfacht schematisch zusammenzustellen, beispielsweise analog zum inhaltlichen und zeitlichen Szenarium der Durchführung und Verwirklichung des Europäischen Semesters, um so die Debatte zu diesem Thema klarer und leichter zugänglich zu gestalten.

4.2.

Darüber hinaus sollte ein Szenarium zur internen Koordinierung der EU-Organe und -Einrichtungen mit Blick auf eine wirksame Synergie zwischen ihnen erarbeitet werden, insbesondere in den Vorbereitungs- und Übergangsphasen zur Umsetzung dieses Konzepts und im Falle der Erweiterung des Euro-Währungsgebiets unter dem Gesichtspunkt der Flexibilität der Vorschriften und Verfahren. Um im Einklang mit der Kommissionsmitteilung größtmögliche Transparenz und demokratische Rechenschaftspflicht zu gewährleisten, sollte dem Europäischen Parlament eine Rolle in diesen Angelegenheiten zukommen, die den gemeinschaftlichen Beschlussfassungsverfahren entspricht.

4.3.

Der Vorschlag zur Ausweitung der Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets ist Teil des Pakets, das darüber hinaus die Neugestaltung des Europäischen Semesters sowie die Einrichtung nationaler Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit und eines Europäischen Fiskalausschusses enthält. Gerade diese Maßnahmen machen eine Vertretung der EU und des Euro-Währungsgebiets in weiteren einschlägigen Foren erforderlich. In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll, die Zusammenarbeit mit der OECD, den G7, den G20, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und der Weltbank auszubauen. Diese Schritte stehen im Zusammenhang mit der Durchführung und Koordinierung der makroökonomischen Politik, den Reformen zur Regulierung des Finanzsektors und der Transparenz im Steuerbereich (Vertreter der EU und des Euroraums: Präsident des Europäischen Rates, Präsident der Europäischen Kommission, Präsident der Euro-Gruppe, Vertreter der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, die Minister der Staaten, die in der G7 bzw. G20 vertreten sind), mit den Fragen im Zusammenhang mit der Schaffung der Bankenunion und der Kapitalmarktunion und weitere einschlägige Themen. Es können sich auch weitere Möglichkeiten ergeben, wie beispielsweise im Falle der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), in der die einzelnen Mitgliedstaaten in relativ hoher Zahl vertreten sind.

4.4.

Die vorstehend aufgeführten Erkenntnisse zeigen, dass die Notwendigkeit einer wirksameren Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets als erster, unerlässlicher Schritt zur Stärkung des Gewichts, der Bedeutung und des Ansehens der gemeinsamen Währung der EU in der globalen Wirtschaft anzusehen ist, der im Rahmen des Projekts „Vollendung der WWU“ durchgeführt wird und dessen Erfolg in erheblichem Maße von der tatsächlichen Wirtschaftsleistung des Euro-Währungsgebiets und der Qualität der Durchführung sämtlicher wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf diesem Gebiet abhängen wird.

Brüssel, den 17. März 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Initiativstellungnahme des EWSA zum Thema Vollendung der WWU: Die politische Säule (ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8).

(2)  Initiativstellungnahme des EWSA zum Thema Die Auswirkungen der Staatsverschuldungskrise auf das europäische Regieren (ABl. C 51 vom 17.2.2011, S. 15).


18.5.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 177/21


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems“

[COM(2015) 586 final — 2015/0270 (COD)]

(2016/C 177/04)

Berichterstatter:

Daniel MAREELS

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 18. Januar bzw. am 20. Januar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagensicherungssystems“

[COM(2015) 586 final — 2015/0270 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. März 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 515. Plenartagung am 16./17. März 2016 (Sitzung vom 17. März 2016) mit 197 gegen 2 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Gemeinsam und gleichzeitig mit ihrem Vorschlag für ein Europäisches Einlagenversicherungssystem (EDIS) veröffentlichte die Kommission die Mitteilung „Auf dem Weg zur Vollendung der Bankenunion“  (1). Mit dieser Veröffentlichung wird deutlich, dass beide Texte „parallel“ zu betrachten sind und die Einführung stärkerer Risikoteilung (vgl. EDIS-Vorschlag) mit weiterer Risikominderung in der Bankenunion (vgl. Mitteilung) „einhergehen“ muss. Somit sind die beiden Texte zwei Teile eines Ganzen, weshalb der EWSA es als sinnvoll ansieht, sich auch zu der Mitteilung zu äußern. Der EWSA begrüßt sowohl den Legislativvorschlag als auch die Mitteilung.

1.2.

Zusammenfassend und grundsätzlich ist der EWSA der Ansicht, dass jetzt, da feststeht, dass das EDIS und die angekündigten Maßnahmen zur Risikominderung eine Reihe von grundlegenden und wichtigen Zielen für die Stärkung und Vollendung der Bankenunion gemeinsam haben, die beiden Maßnahmenpakete auf die gleiche Weise und mit tatsächlich gleichwertigen Instrumenten und Methoden durchgeführt werden müssen. Diese Methoden, die identische Garantien bieten müssen, um die angestrebten Ziele tatsächlich zu erreichen, sind umso notwendiger, als beide Maßnahmenpakete komplementär und für eine allgemein akzeptable, ausgewogene und zugleich schlüssige Lösung erforderlich sind. Deshalb und um wirkliche Fortschritte zu erzielen, ist es für den EWSA unerlässlich, dass sowohl das EDIS als auch die relevanten risikomindernden Maßnahmen entsprechend einem klaren und konkreten Zeitplan umgehend tatsächlich parallel in Angriff genommen und umgesetzt werden. Die Schaffung der richtigen Voraussetzungen, um Fortschritte machen zu können, ist ebenfalls von großer Bedeutung für die weitere Vollendung der WWU, wovon die Bankenunion ein wichtiger Teil ist.

1.3.

Das EDIS seinerseits ist von großer Bedeutung für die Bankenunion, deren dritte Säule es darstellt. Im Hinblick auf die Stärkung der wirtschaftlichen und finanziellen Stabilität in der EU hat der EWSA bereits früher nachdrücklich die Vollendung der Bankenunion und des Einlagenversicherungssystems gefordert und darauf gedrängt, dass diese bald erreicht wird.

1.4.

Stabile, sichere und gut geschützte Einlagen sind im Interesse aller und stehen bei Sparern und Einlegern an erster Stelle. Der EWSA sieht es weiterhin als wichtig an, ihr Vertrauen zu sichern und ihnen den bestmöglichen Schutz zu bieten. Jetzt gilt es, das Vertrauen der Sparer und Einleger in die Banken zu stärken und sie an den Vorteilen der finanziellen Integration und gleichen Wettbewerbsbedingungen unter den Banken teilhaben zu lassen. Außerdem bleiben stabile Einlagen für die Finanzierung der Wirtschaft sowie von Familien und Unternehmen, insbesondere von KMU, erforderlich.

1.5.

Für den EWSA geht es darum, mit dem EDIS die Bankenunion weiter zu stärken, ihre Widerstandsfähigkeit gegen mögliche Finanzkrisen zu vergrößern und die finanzielle Stabilität zu steigern. Ein europäisches Einlagenversicherungssystem dient naturgemäß dazu, die Situation einzelner Mitgliedstaaten und Banken positiv zu beeinflussen, da es besser zur Abfederung großer lokaler Schocks beitragen kann. Manch einer kann so davon abgehalten werden, gegen bestimmte Länder oder Banken zu spekulieren, wodurch das Risiko von Anstürmen auf die Banken sinkt. Gleichzeitig wird die Verbindung zwischen Bank und jeweiligem Staat weiter gelockert.

1.6.

Die angekündigten Maßnahmen zur Risikominderung in der Bankenunion sind ihrerseits ebenso unerlässlich. Sie tragen zur Stärkung der Bankenunion bei, da sie für gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den Banken und eine Lockerung ihrer Verbindung zu ihren Herkunftsstaaten sorgen. Die Widerstandsfähigkeit und die Stabilität des Systems werden hierdurch gestärkt. Damit Risikoteilungsmechanismen akzeptiert werden, müssen tatsächlich gleiche Wettbewerbsbedingungen in Bezug auf Vorschriften und Aufsicht eingeführt werden, was wiederum dazu beiträgt, bei allen am Projekt der Bankenunion Beteiligten das nötige gegenseitige Vertrauen zu schaffen.

1.7.

Diese Maßnahmen erfordern, dass der bestehende Rechtsrahmen der Bankenunion (Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD) und Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (DGSD)) von allen Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt und durchgeführt wird. Positiv zu werten ist, dass die Zahl der Mitgliedstaaten, die noch Anstrengungen unternehmen müssen, seit der Veröffentlichung der EDIS-Vorschläge und der Mitteilung abgenommen hat. Und mit Blick auf die anderen Staaten ergreift die Kommission entsprechende Maßnahmen.

1.8.

Es gilt, die Risiken im Bankensektor weiter zu verringern und die Bereiche der Bankenunion, in denen bereits Maßnahmen ergriffen wurden, weitestmöglich zu harmonisieren. Dafür ist es erforderlich, vorab gut kapitalisierte, stabile und wirksame nationale Einlagensicherungssysteme zu schaffen. Potenzielle moralische Risiken (moral hazard) seitens der Banken, Staaten und Sparer sind auch bei der weiteren Realisierung dieser Säule der Bankenunion so weit wie möglich zu vermeiden. Denn reale Situationen, in denen ein moralisches Risiko besteht, können die effiziente und sichere Funktionsweise der Bankenunion im Kern bedrohen. Die Bedingung, dass ein Mitgliedstaat das EDIS nur dann nutzen kann, wenn er alle Voraussetzungen erfüllt, ist hier durchaus angebracht.

1.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission angesichts der Bedeutung des Themas für die Bankenunion, die Vollendung der WWU und das Vertrauen der Sparer und Einleger eine umfassende und gründliche Folgenabschätzung vornehmen sollte, möglicherweise auf der Grundlage früherer ähnlicher Studien im Rahmen der Richtlinien über Einlagensicherungssysteme. Die Ergebnisse dieser Folgenabschätzung müssen veröffentlicht werden, auch um die Legitimität des Vorschlags zu stärken.

1.10.

Außerdem bleiben große Unterschiede zwischen den Ländern und zahlreiche Herausforderungen in verschiedenen Bereichen bestehen, wie im Übrigen auch aus einer Reihe aktueller internationaler Berichte hervorgeht. Diese Unterschiede und Herausforderungen müssen angegangen werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, geht es hier u. a. um das immer noch große Volumen notleidender Kredite im Bankensektor und die ungleiche Verteilung dieses Volumens unter den Banken und Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets.

1.11.

Nach Ansicht des EWSA ist bei der weiteren Risikominderung ausreichend auf die entsprechenden Folgen für die Kreditvergabe zu achten. Insbesondere die Kreditvergabe an KMU, KMI, Unternehmensgründungen und andere junge Unternehmen muss für die EU und die Mitgliedstaaten eine Kernpriorität sein und bleiben.

1.12.

Auch Fortschritte im Rahmen der Vollendung der WWU sind für den EWSA von großer Bedeutung. Die Vollendung der WWU beruht u. a. auf einer monetären und finanziellen Säule, zu der auch die Umsetzung einer vollwertigen, von der EU geleiteten Bankenunion zählt. Da der EWSA in früheren Texten festgestellt hat, dass die WWU nach wie vor fragil ist und enorme Herausforderungen bestehen, kommt es jetzt darauf an, sie durch den Ausbau aller ihrer Säulen weiter zu stärken.

1.13.

Nach Auffassung des EWSA ist es in diesem Bereich dringend erforderlich, richtige und angemessene Bedingungen für Fortschritte zu schaffen. Für den EWSA stehen das Vertrauen und seine Stärkung unter den Mitgliedstaaten im Mittelpunkt. Vertrauen unter den Mitgliedstaaten erfordert jedoch gleiche Wettbewerbsbedingungen und koordinierte Ansätze, die auf Konvergenz ausgerichtet sind.

1.14.

Diese Konvergenz hat durch die Krise gelitten, und es kommt darauf an, dass die Mitgliedstaaten jeder für sich und gemeinsam kurzfristig wieder Fortschritte erzielen. Gleichzeitig ist darüber hinaus auch die Erholung der Wirtschaft zu unterstützen, die Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte zu vereinfachen und die Anpassungsfähigkeit zu verbessern.

1.15.

Der EWSA begrüßt, dass das neue Einlagenversicherungssystem für den Bankensektor kostenneutral sein soll, ist jedoch gleichzeitig der Auffassung, dass es vorzuziehen ist, die vorgesehene risikobasierte Methode zur Beitragsberechnung direkt in den EDIS-Vorschlag aufzunehmen, statt sie durch delegierte Rechtsakte festzulegen. Denn es geht hier um einen wesentlichen Bestandteil der geplanten Regelung, der — prinzipiell — auf höchstem Niveau festgelegt werden sollte.

2.   Hintergrund

2.1.

Bei der Schaffung der Bankenunion wurde beschlossen, ihre Säulen schrittweise einzuführen.

2.2.

Die ersten beiden Schritte bestanden in der Einrichtung des gemeinsamen Aufsichtsmechanismus, in dessen Rahmen die EZB die Aufsicht (2) über die Banken (3) im Euro-Währungsgebiet ausübt, und in der Einführung des gemeinsamen Abwicklungsmechanismus ab dem 1. Januar 2016.

2.3.

Als dritte Säule der Bankenunion wird jetzt ein europäisches Einlagenversicherungssystem  (4) vorgeschlagen. Dieses System baut auf der vorhandenen Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (5) auf, mit der nationale Einlagensicherungssysteme eingeführt wurden und für die Anerkennung institutsbezogener Sicherungssysteme als Einlagensicherungssysteme gesorgt wurde. Auch im Bericht der fünf Präsidenten „Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden“ (6) wurde die langfristige Einführung des EDIS vorgeschlagen.

2.4.

Der neue Vorschlag (7) würde allmählich und schrittweise entwickelt werden (8):

2.4.1.

In der ersten Phase geht es um einen Rückversicherungsansatz, der drei Jahre dauern soll, bis 2020. In dieser Phase erhält ein nationales Einlagensicherungssystem erst dann Zugang zu den Mitteln des europäischen Einlagensicherungssystems, wenn es seine eigenen Mittel ausgeschöpft hat und unter der Bedingung, dass die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie in Bezug auf die Einlagensicherungssysteme von dem betreffenden Mitgliedstaat vollständig umgesetzt wurden. Damit soll die Verbindung zwischen den Banken und ihren Herkunftsstaaten gelockert werden.

2.4.2.

Danach soll sich das System allmählich zu einem vergemeinschafteten System (Mitversicherung) entwickeln. In dieser Phase brauchte ein nationales System seine eigenen Mittel nicht auszuschöpfen, bevor es Zugang zu den Mitteln des europäischen Einlagenversicherungssystems erhält, für den Fall, dass eine Intervention erforderlich ist. Der Zugang zu den Mitteln soll auf niedrigem Niveau beginnen (20 %) und über einen Zeitraum von 4 Jahren auf 80 % steigen. Somit handelt es sich hier um ein höheres Maß an Risikoteilung zwischen den nationalen Systemen.

2.4.3.

In der dritten Phase wird das Risiko, das vom europäischen Einlagenversicherungssystem getragen wird, allmählich auf 100 % erhöht. Somit wird das neue System die nationalen Einlagensicherungssysteme ab 2024 vollständig ersetzen und allein für die Zahlung von Entschädigungen an Einleger verantwortlich sein.

2.5.

In diesem Rahmen ist auch die sofortige Einrichtung eines europäischen Einlagenversicherungsfonds vorgesehen. Dieser Fonds wird mit risikogewichteten Beiträgen der Banken finanziert. Das System soll insofern kostenneutral für den Bankensektor sein, als die europäischen Beiträge der Banken von ihren Beiträgen zu den nationalen Einlagensicherungssystemen abgezogen werden.

2.6.

Das System ist mit strengen Garantien verbunden: Beispielsweise werden nur die nationalen Einlagensicherungssysteme versichert, die die EU-Bestimmungen erfüllen und entsprechend diesen Bestimmungen aufgebaut sind.

2.7.

Parallel dazu hat die Kommission in der Mitteilung „Auf dem Weg zur Vollendung der Bankenunion“ noch eine Reihe Maßnahmen zur Risikominderung in der Bankenunion angekündigt (9)  (10).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA stellt fest, dass zusammen mit den Vorschlägen für das EDIS eine Mitteilung für die weitere Risikominderung in der Bankenunion (11) veröffentlicht wurde. Laut Kommission sind beide Veröffentlichungen „parallel“ zu betrachten. Für die Einführung weiterer Risikoteilung (vgl. den EDIS-Vorschlag) wird vorausgesetzt, dass diese mit weiterer Risikominderung „einhergehen“ muss. Der EWSA sieht daher diese Texte als zwei Teile eines Ganzen. Und so sind auch die nachstehenden Bemerkungen und Kommentare zu den neuen Texten zu verstehen.

3.2.

Der EWSA hat sich von Anfang an für die Bankenunion ausgesprochen und die in Bezug auf die ersten beiden ihrer Säulen unternommenen Schritte (12) begrüßt. Dem EWSA war daran gelegen, dass dies unverzüglich in Angriff genommen wird (13).

3.3.

In gleicher Weise hat der EWSA stets die Vollendung der Bankenunion (14) und ihre rasche Ergänzung durch die dritte Säule in Bezug auf die Sicherung der Einlagen befürwortet. In diesem Rahmen wurde bereits zuvor auf eine Stärkung und Verbesserung des gemeinsamen Systems zur Einlagensicherung gedrängt (15).

3.4.

Der EWSA begrüßt die EDIS-Vorschläge, deren Zielen er beipflichtet: Stärkung der Bankenunion, verbesserter und harmonisierter Schutz der Einleger, größere finanzielle Stabilität und weitere Beschränkung der Verbindung zwischen Banken und ihren Herkunftsstaaten.

3.5.

Aufgrund des Prinzips der Risikoteilung kann sich ein solches Schema positiv auf die Situation bestimmter Mitgliedstaaten und Banken auswirken, da es besser als die derzeitigen nationalen Systeme dazu beitragen kann — soweit erforderlich —, große lokale Schocks abzufedern. Manch einer kann so davon abgehalten werden, gegen bestimmte Länder oder Banken zu spekulieren, wodurch sich das allgemeine Risiko in der gesamten Bankenunion senken lässt.

3.6.

Guter Schutz und maximale Garantie der Einlagen der Sparer sind unerlässlich. Seit der Krise sind große Fortschritte zu verzeichnen, und die Zielsetzung der neuen Vorschläge kann dazu beitragen, das Vertrauen weiter zu stärken, da sie die finanzielle Integration zwischen den Ländern und gleiche Wettbewerbsbedingungen unter den Banken fördern können.

3.7.

Stabile Einlagen bilden eine gesunde und notwendige Quelle zur Finanzierung der Wirtschaft, in erster Linie der Haushalte sowie kleiner und junger Unternehmen (wie KMU, KMI (16) und Unternehmensgründungen) und tragen somit zum erforderlichen Wirtschaftswachstum bei. KMU (im weiteren Sinne) leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur europäischen Wirtschaft, da sie mehr als zwei Drittel der Arbeitsplätze im Privatsektor stellen und für 85 % der Nettozunahme bei den Arbeitsplätzen verantwortlich zeichnen. Für den EWSA ist klar, dass die Kreditvergabe an gesunde KMU von wesentlicher Bedeutung für Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze ist und daher sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene eine Kernpriorität sein sollte.

3.8.

Für die weitere Risikominderung ist der gleiche Ansatz wie beim EDIS geeignet, weshalb der EWSA auch dieses Kommissionsdokument begrüßt. Dies ist umso mehr der Fall, als einerseits beide Texte eine Reihe grundlegender Zielsetzungen gemeinsam haben, wie beispielsweise die Stärkung der Bankenunion und die Lockerung der Verbindung zwischen Banken und Staaten, und andererseits für die Erreichung der Zielstellungen eindeutig „Maßnahmen […] kombiniert“ werden müssen.

3.9.

Aus der Perspektive der Risikominderung darf die derzeitige Situation nicht ignoriert werden. Vorrangig gilt es, die Risiken im Bankensektor weiter zu verringern und die Bereiche der Bankenunion, in denen bereits Maßnahmen ergriffen wurden, stärker zu harmonisieren.

3.10.

Zunächst haben alle Mitgliedstaaten den bestehenden Rahmen in Bezug auf die Bankenunion vollständig umzusetzen und zu implementieren. Während zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des EDIS-Vorschlags eine beträchtliche Zahl von Mitgliedstaaten die Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD) und die Richtlinie über Einlagensicherungssysteme noch nicht oder nur teilweise umgesetzt hatten, hat sich die Lage inzwischen verbessert. Und mit Blick auf die anderen Staaten ergreift die Kommission entsprechende Maßnahmen (17).

3.11.

Bei der weiteren Umsetzung und Implementierung des Einlagensicherungssystems und die damit verbundene Regelung für die Ex-ante-Finanzierung ergeben sich gewisse Herausforderungen. Mehr Harmonisierung und die vorhergehende Schaffung gut kapitalisierter, stabiler und wirksamer nationaler Einlagensicherungssysteme werden auch als erforderlich betrachtet, um das moralische Risiko einzuschränken. Auf die Eindämmung dieses Risikos ist auch in allen Phasen der Umsetzung des EDIS zu achten. In diesem Zusammenhang ist auf die Gefahren zu achten, die sich aus einer zu schnellen und strikten Vergemeinschaftung der Risiken ergeben können. Die Bedingung, dass ein Mitgliedstaat das EDIS nur dann nutzen kann, wenn er alle Voraussetzungen erfüllt und die bestehenden Rechtsvorschriften implementiert hat, ist hier angebracht.

3.12.

Außerdem bleiben große Unterschiede zwischen den Ländern und zahlreiche Herausforderungen in verschiedenen Bereichen bestehen, wie im Übrigen auch aus einer Reihe aktueller internationaler Berichte hervorgeht (18)  (19). Diese Probleme gilt es zu lösen. Dazu gehört u. a. das Problem des großen Volumens notleidender Kredite im Bankensektor und die ungleiche Verteilung dieses Volumens unter den Banken und Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets (20). Die effektive Lösung dieses Problems unter Berücksichtigung aller übrigen relevanten Elemente lässt sich als Voraussetzung dafür ansehen, Schritte in Richtung Risikoteilung auf der Ebene der Einlagensicherung zu unternehmen. Dazu ist unter anderem ein von der EU gesteuerter einheitlicher Aufsichtsmechanismus erforderlich.

3.13.

Die Ergebnisse der vorherigen eingehenden Wirkungsanalyse des EDIS sind nicht verfügbar. Dies widerspricht den Transparenzanforderungen. Angesichts der Bedeutung des Themas für die Bankenunion, die Vollendung der WWU und das Vertrauen der Sparer und Einleger ist eine umfassende und gründliche Folgenabschätzung sicher nötig, möglicherweise auf der Grundlage früherer ähnlicher Studien im Rahmen der Richtlinien über Einlagensicherungssysteme (21). Die Ergebnisse dieser Folgenabschätzung müssen veröffentlicht werden, auch um die Legitimität des Vorschlags zu stärken.

3.14.

An die angekündigten zusätzlichen künftigen Maßnahmen zur Risikominderung ist in gleicher Weise heranzugehen wie an das EDIS, da sie beide auf die Stärkung der Bankenunion abzielen, und sie müssen konkretisiert und durchgeführt werden, sobald die erforderlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.

3.15.

Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist klar, dass die Durchführung beider Arten von Maßnahmen in gleicher Weise anzustreben ist. Sie sind komplementär und für eine ausgewogene und zugleich schlüssige Lösung erforderlich. Deshalb ist es unerlässlich, dass sowohl das EDIS als auch die risikomindernden Maßnahmen (22) umgehend tatsächlich parallel in Angriff genommen und umgesetzt werden. Dieses Vorgehen liefert nicht nur den größten Beitrag zur Umsetzung der Bankenunion und zur Vollendung der WWU (vgl. unten), sondern bietet auch die beste Garantie für wirkliche Fortschritte.

3.16.

Für den EWSA ist diese Frage auch im Rahmen der Vollendung der WWU von großer Bedeutung. Diese basiert u. a. auf einer monetären und finanziellen Säule, die eine vollwertige Bankenunion umfasst. Da der EWSA in früheren Texten festgestellt hat, dass die WWU nach wie vor fragil ist und enorme Herausforderungen bestehen (23), kommt es jetzt darauf an, sie durch den Ausbau aller ihrer Säulen weiter zu stärken.

3.17.

Es wurde bereits zuvor festgestellt, dass sich die Mitgliedstaaten aufgrund der anhaltenden Verflechtungen zwischen Staaten und Banken gegen die Schaffung der notwendigen politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen sträuben, wodurch die geeignetsten und wirkungsvollsten Entscheidungen auf die lange Bank geschoben werden (24).

3.18.

Deshalb ist es wichtig, Fortschritte zu ermöglichen, und dabei stehen das Vertrauen und seine Stärkung unter den Mitgliedstaaten im Mittelpunkt. Vertrauen unter den Mitgliedstaaten erfordert jedoch gleiche Wettbewerbsbedingungen und koordinierte Ansätze, die auf Konvergenz ausgerichtet sind.

3.19.

Diese Konvergenz hat durch die Krise gelitten, und es kommt darauf an, dass die Mitgliedstaaten jeder für sich und gemeinsam kurzfristig wieder Fortschritte erzielen. Gleichzeitig ist darüber hinaus auch die Erholung der Wirtschaft zu unterstützen, die Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte zu vereinfachen und die Anpassungsfähigkeit zu verbessern.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

In Bezug auf den EDIS-Vorschlag begrüßt der EWSA den Grundsatz, dass das System für den Bankensektor kostenneutral sein muss. Der Beitrag des Bankensektors wurde nach einer gründlichen Folgenabschätzung auf 0,8 % (25)  (26) der gedeckten Einlagen festgelegt. Um die Kostenneutralität zu wahren, ist es daher auch wichtig, den Beitrag zu den nationalen Systemen und zum europäischen System insgesamt nicht zu erhöhen.

4.2.

Darüber hinaus ist es wichtig, die nationalen Beiträge dabei weitestmöglich zu harmonisieren, um so vollkommen gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den nationalen Einlagensicherungssystemen zu schaffen und Unterschiede zwischen diesen Systemen zu vermeiden.

4.3.

Dieser Ansatz gleicher Wettbewerbsbedingungen sollte gleichermaßen sowohl unter den Ländern der Bankenunion als auch in Bezug auf die ihr nicht angehörenden Mitgliedstaaten im Vordergrund stehen. Das setzt unter anderem voraus, dass die derzeitigen Bestimmungen der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme weiter harmonisiert werden, um für eine stärkere Konvergenz zwischen den Systemen in allen Mitgliedstaaten zu sorgen.

4.4.

Institutsbezogene Sicherungssysteme bieten finanzielle Unterstützung, wenn ihre Mitglieder in Schwierigkeiten geraten, und tragen so dazu bei, Bankenausfälle zu verhindern. Die vorbeugende Wirkung dieser Systeme sollte im Rahmen der neuen EDIS-Regelung in vollem Umfang anerkannt werden, da das Konzept von EDIS sonst gefährdet sein könnte.

Brüssel, den 17. März 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2015) 587 final.

(2)  Seit November 2014.

(3)  Die Großbanken (ca. 130) werden unmittelbar durch die EZB überwacht, die anderen (mehr als 6 000 Banken) in erster Linie durch die nationalen Aufsichtsbehörden.

(4)  Auch bekannt unter der englischen Abkürzung „EDIS“, die für European Deposit Insurance Scheme (europäisches Einlagenversicherungssystem) steht.

(5)  Mit dieser Richtlinie werden die Einlagen der EU-Sparer bis zu einer Höhe von 100 000 Euro geschützt.

(6)  Siehe Bericht „Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden“, vorgelegt von Jean-Claude Juncker in enger Zusammenarbeit mit Donald Tusk, Jeroen Dijsselbloem, Mario Draghi und Martin Schulz, insbesondere S. 13.

(7)  Siehe den „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Einlagenversicherungssystems“ — COM(2015) 586 final — 2015/0270 (COD), veröffentlicht am 24. November 2015.

(8)  Die Architektur des EDIS entspricht der typischen Konstruktion einer Bankenunion: ein „einheitliches Regelwerk“ in Form der derzeitigen Richtlinie über Einlagensicherungssysteme für alle 28 Mitgliedstaaten, ergänzt durch das EDIS, das für die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets verbindlich ist und auch anderen EU-Mitgliedstaaten offensteht, die der Bankenunion beitreten möchten.

(9)  Dazu zählen folgende Maßnahmen:

den Abbau nationaler Wahlmöglichkeiten und Ermessensspielräumen bei der Anwendung der Aufsichtsvorschriften, damit der einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM) so effektiv wie möglich funktionieren kann;

die Harmonisierung der nationalen Einlagensicherungssysteme;

Gesetzgebungsmaßnahmen zur Umsetzung der noch ausstehenden Teile des auf internationaler Ebene vereinbarten Regulierungsrahmens für Banken, insbesondere zur Begrenzung der Verschuldungsquote von Banken, zur Sicherung einer stabilen Bankenfinanzierung und zur Verbesserung der Vergleichbarkeit risikogewichteter Aktiva, sowie zur Ermöglichung der Umsetzung der Empfehlungen des Rates für Finanzstabilität zur Gesamt-Verlustausgleichsfähigkeit der Banken bis 2019, damit für Schieflagen von Banken angemessene Mittel zur Verfügung stehen, ohne dass die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden müssen;

Durchsetzung der bestehenden Regeln, um den Einsatz öffentlicher Mittel zur Erhaltung eines solventen und krisenfesten Bankensektors auf ein Minimum zu beschränken;

stärkere Konvergenz des Insolvenzrechts gemäß dem Aktionsplan zur Kapitalmarktunion;

Vorstöße zur aufsichtsrechtlichen Behandlung der Risikopositionen von Banken gegenüber Staaten, wie die Beschränkung des Engagements der Banken in Anleihen einzelner Staaten, um die Risikostreuung sicherzustellen.

(10)  Siehe Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Auf dem Weg zur Vollendung der Bankenunion“ COM(2015) 587 final, veröffentlicht am 24. November 2015.

(11)  Vgl. vorstehend Ziffer 2.7.

(12)  Vgl. den gemeinsamen Aufsichtsmechanismus und den gemeinsamen Abwicklungsmechanismus.

(13)  Siehe u. a. die Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) hinsichtlich ihrer Wechselwirkungen mit der Verordnung (EU) Nr. …/… des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank“ COM(2012) 512 final — 2012/0244 COD und zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Fahrplan für eine Bankenunion“, ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 34. Ziffer 1.12.

(14)  Vgl. u. a. die Stellungnahmen des EWSA zum Thema „Vollendung der WWU — Die Vorschläge des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses für die nächste europäische Legislaturperiode“, ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 10 und „Vollendung der WWU: die politische Säule“, ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8.

(15)  Siehe die in den Fußnoten 13 und 14 genannten Stellungnahmen.

(16)  Kleine und mittlere Industrieunternehmen.

(17)  Zur Richtlinie über Einlagensicherungssysteme siehe Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 10. Dezember 2015: „Kommission fordert 10 Mitgliedstaaten zur Umsetzung der EU-Vorschriften über Einlagensicherungssysteme auf“ (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-6253_de.htm);

zur Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten siehe Pressemitteilung vom 22. Oktober 2015: „Kommission verklagt sechs Mitgliedstaaten wegen Nichtumsetzung der EU-Vorschriften über die Sanierung und Abwicklung von Banken“ (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5827_de.htm).

(18)  Siehe u. a. EBA — 2015 EU-weite Transparenzübung — zusammenfassender Bericht, siehe https://www.eba.europa.eu/documents/10180/1280458/2015+EU-wide+Transparency+Exercise+Report+FINAL.pdf, (November 2015) und Wirtschaftsbericht der EZB Ausgabe 2015/5 http://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Publikationen/Europaeische_Zentralbank/EZB_Wirtschaftsberichte/ezb_wirtschaftsberichte.html.

(19)  Siehe EBA-Bericht, insbesondere die Bürgerinfo (Zusammenfassung), S. 6 und 7 „Die Qualität der Aktiva und die Rentabilität haben sich auch verbessert, bleiben jedoch — angesichts des niedrigen Ausgangspunkts — problematisch. Die Zahlen für notleidende Forderungen, die zum ersten Mal nach der harmonisierten Definition der EBA publiziert wurden, betragen fast 6 % der Gesamtdarlehen und Vorschüsse in der EU (10 % wenn nur nichtfinanzielle Unternehmen in Betracht gezogen werden), wobei allerdings beträchtliche Unterschiede zwischen Ländern und Banken bestehen. Die Rentabilität hat sich im Jahr 2015 verbessert, bleibt jedoch historisch gesehen — und hinsichtlich der geschätzten Kosten der Kapitalbeteiligung der Banken — niedrig. Ab Juni 2015 beträgt die Eigenkapitalrendite der EU-Banken 9,1 %.

Die heute veröffentlichten Daten weisen auf eine noch immer vorhandene, jedoch allmählich sinkende Präferenz für Investitionen in nationale öffentliche Schuldinstrumente hin, da die Banken im Juni 2015 eine Zunahme der von ihnen geführten ausländischen öffentlichen Wertpapiere meldeten.“

(20)  Finanzstabilitätsbericht der EZB, November 2015, siehe https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/financialstabilityreview201511.en.pdf?24cc5509b94b997f161b841fa57d5eca, S. 74 ff.

(21)  Laut Vertretern der Kommission gründen die gegenwärtigen Vorschläge auf der Folgenabschätzung, die im Zusammenhang mit der Änderung der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme durchgeführt wurde. Siehe http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:52010SC0834. Siehe insbesondere die Ziffern 7.8 und 7.11 des Dokuments.

(22)  In Bezug auf diese risikomindernden Maßnahmen wird es darum gehen, vorrangig diejenigen Maßnahmen umzusetzen, die aus der hier dargelegten Sicht am wichtigsten sind.

(23)  Siehe Stellungnahmen unter Fußnote 14.

(24)  Siehe erste Stellungnahme unter Fußnote 14, Ziffer 4.1.2.

(25)  Im Rahmen der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme.

(26)  Bzw. 0,5 %, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.


18.5.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 177/28


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und die Europäische Zentralbank: Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion

[COM(2015) 600 final]

und dem

Beschluss (EU) 2015/1937 der Kommission vom 21. Oktober 2015 zur Einrichtung eines unabhängigen beratenden Europäischen Fiskalausschusses

[C(2015) 8000 final]

(2016/C 177/05)

Berichterstatter:

Carmelo CEDRONE

Die Europäische Kommission beschloss am 11. November 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Themen zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und die Europäische Zentralbank — Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion

[COM(2015) 600 final]

und

Beschluss (EU) 2015/1937 der Kommission vom 21. Oktober 2015 zur Einrichtung eines unabhängigen beratenden Europäischen Fiskalausschusses

[C(2015) 8000 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. März 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 515. Plenartagung am 16./17. März 2016 (Sitzung vom 17. März) mit 195 Stimmen bei 4 Gegenstimmen und 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Mitteilung der Kommission über die Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion eine gute Gelegenheit sein könnte, sowohl auf politischer als auch zivilgesellschaftlicher Ebene eine ehrliche Debatte anzustoßen, d. h., Klartext zu reden über alle Themen mit Bezug zum Euroraum, auch über das, was seit Maastricht geschehen ist, und über die Wirtschafts- und Finanzkrise, die insbesondere den Euroraum getroffen hat. Dadurch könnten über den derzeitigen Inhalt der Mitteilung hinaus Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Die wichtigsten Punkte lauten wie folgt:

1.2.

Europäisches Semester: Es wäre zweckmäßiger, den Vorschlag für das Europäische Semester in eine umfassende Vereinbarung über die wirtschaftspolitische Steuerung einzubetten, die über die bisherigen Maßnahmen hinausgeht — ausgehend von der Änderung der makroökonomischen Konditionalität und der Stärkung der Rolle der Interparlamentarischen Konferenz, wie sie der EWSA bereits angeregt hat.

1.3.

Wirtschaftspolitische Steuerung: Eine umfassende wirtschaftspolitische (makro- und mikroökonomische sowie währungspolitische) Steuerung des Euroraums muss weit über das hinausgehen, was die Kommission vorgeschlagen hat. Die derzeitigen wirtschaftlichen Paradigmen müssen grundlegend geändert werden. Insbesondere sollten die nationalen Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit auch die Maßnahmen für den Zusammenhalt sowie die sozialen und beschäftigungspolitischen Auswirkungen der durch die Krise noch größer gewordenen Ungleichgewichte und Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern berücksichtigen (1). Die Europäische Kommission und die Ausschüsse sollten auch die neuen Faktoren und Parameter berücksichtigen, die jetzt und auch in Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit und dem Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsblöcken in der Welt zugrunde liegen. Der beratende Europäische Fiskalausschuss sollte transparenter und demokratischer vorgehen — sowohl bei der Ernennung seiner Mitglieder als auch hinsichtlich der Verwendung seiner Empfehlungen, die drohen, auch weiterhin jeder demokratischen Kontrolle entzogen zu sein.

1.4.

Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets: Der Vorschlag ist gerechtfertigt und notwendig, doch stellt sich neben dem Problem der zu langen Fristen die Frage nach der demokratischen Kontrolle der Wahrnehmung dieser Aufgabe sowie den rechtlichen Änderungen, die für die Anerkennung der Rolle der WWU in Angelegenheiten des Euroraums erforderlich sind (2).

1.5.

Finanzunion: Der Vorschlag ist begrüßenswert, auch wenn er an politischem Schwung und Dynamik im Hinblick auf den Zeitplan verloren hat. Dies ist sicherlich die wichtigste Entscheidung, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie zügig umgesetzt wird und dass mithilfe der vorgesehenen Mechanismen zur einheitlichen Abwicklung und Einlagensicherung (3) sowie der Kapitalmarktunion (4) das gemeinsame europäische Regelwerk zeitnah uneingeschränkt verwirklicht wird. In diesem Zusammenhang wäre es sehr hilfreich, wenn die Kommission einen — vom EWSA bereits früher formulierten (5) — Vorschlag zur Frage der öffentlichen und privaten Verschuldung vorlegen würde, um die Risiken und die Spekulationen für das Finanzsystem des Euroraums zu verringern.

1.6.

Demokratische Legitimität: der größte Schwachpunkt der Mitteilung, zumindest in ihrer jetzigen Form, d. h. vor Stufe 2. Die demokratische Legitimität wird sehr oberflächlich und vage abgehandelt, obgleich sie doch insbesondere in den letzten Monaten im Mittelpunkt der Debatte und der Bedenken der europäischen Öffentlichkeit steht. Von ihr hängt letztlich die Zukunft des Euroraums und der Europäischen Union ab. Die Frage der demokratischen Kontrolle wird in keinem der von der Kommission vorgebrachten Handlungsvorschläge ernsthaft angesprochen.

1.6.1.

Einen Beitrag zu diesem Thema könnte der dreiseitige soziale Dialog leisten, sofern er in strukturierter Weise geführt wird und die Umsetzung der zwischen den Parteien erzielten Vereinbarungen verbindlich vorgeschrieben ist.

1.7.

Stufe 2 — Vollendung der WWU: Stufe 2 ist von vorrangiger und grundlegender Bedeutung, um die Glaubwürdigkeit der übrigen bereits vorliegenden Vorschläge zu gewährleisten. Leider beruht diese Stufe in erster Linie auf der Vorlage eines „Weißbuchs“ Ende 2017. Angesichts dieses überaus wichtigen, zentralen Themas der Mitteilung — Demokratie und Errichtung der politischen Säule des Euroraums — reicht es nach Ansicht des Ausschusses nicht, in Erwartung der Stufe 2 nur auf ein Weißbuch zu vertrauen und dabei auf Konsultationen und auf „Dialoge mit den Bürgern“ zu setzen (wobei unklar bleibt, wie diese aussehen sollen, und nicht einmal der EWSA einbezogen wird).

1.8.

Der EWSA ist darüber hinaus der Auffassung, dass auch der von der Kommission vorgelegte Fahrplan in keinem Verhältnis zu den behandelnden Fragestellungen und der Dringlichkeit steht, mit der sie gelöst werden sollten (ständiger Aufschub und Abwarten ohne klare Fristen). Daher wird der EWSA — auch unter Berücksichtigung seines eigenen, vor geraumer Zeit erarbeiteten Fahrplans — einen eigenen Plan zu Stufe 2 vorlegen, gegebenenfalls zusammen mit der Kommission, um diese Fragen im Euroraum und in der Folge in allen EU-Mitgliedstaaten zu erörtern.

1.9.

Die Vorschläge: Seit Beginn der Krise hat der EWSA in einer Reihe von Stellungnahmen Vorschläge zu den verschiedenen Aspekten der Finanzkrise vorgelegt und aufgezeigt, wo die von der EU ergriffenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen an ihre Grenzen stoßen. Der EWSA hat durch eine Reihe von Initiativstellungnahmen spezifische Vorschläge erarbeitet, beispielsweise zur wirtschafts-, finanz- und währungspolitischen Steuerung der WWU und — lange vor Veröffentlichung der Kommissionsvorschläge — zur politischen Steuerung des Euroraums. Somit sei im Hinblick auf die Rahmenvorschläge zu den in der vorliegenden Kommissionsmitteilung behandelten Themen auf die bereits erarbeiteten (6) bzw. zurzeit in Arbeit befindlichen Stellungnahmen zu den spezifischen Kommissionsvorschlägen (7) verwiesen.

2.   Hintergrund

2.1.

Mit dieser Stellungnahme soll die Mitteilung der Europäischen Kommission zum Euro-Währungsgebiet allgemein begutachtet werden. Die spezifischen Aspekte werden in anderen Stellungnahmen des EWSA behandelt.

2.2.

Die Mitteilung der Kommission entspringt der Notwendigkeit, den zweiten „Bericht der fünf Präsidenten“ über die WWU umzusetzen, da die Kommission unter José Manuel Barroso den ersten Bericht völlig ignoriert hatte. Beide Berichte dienten dem Ziel, die Schwachstellen der WWU zu beheben, die bekanntlich durch die Wirtschafts- und Finanzkrise bloßgelegt und allen Europäern, und nicht nur diesen, zu Bewusstsein gekommen sind. Diese Schwachstellen, die die Spekulation mit dem Euro erleichtert und kanalisiert haben, waren und sind die Hauptursache der Krise und ihres Andauerns im Euro-Währungsgebiet.

2.3.

Dies hatte den EWSA auch dazu bewogen, noch vor der Kommission und den anderen Gemeinschaftsinstitutionen konkrete Vorschläge dazu zu formulieren, die jedoch erst seit kurzer Zeit Gehör, gebührende Beachtung und Anerkennung finden (8). In diesem Zusammenhang begrüßt und betont der Ausschuss die Anerkennung, die die Kommission in einem Folgebericht zu verschiedenen aktuellen Stellungnahmen des EWSA zum Ausdruck gebracht hat, sowie insbesondere die Tatsache, dass die Kommission dem EWSA ihren Dank für die tiefgreifende und umfassende Stellungnahme zur politischen Säule der Wirtschafts- und Währungsunion ausspricht, in der nicht nur die derzeitige Lage und die Schwächen der WWU analysiert werden, sondern die auch sehr interessante Vorschläge zu ihrer Vollendung enthält.

2.4.

Anlass zu Bedenken gibt die Tatsache, dass — möglicherweise bedingt durch eine Entspannung der Krise im Euroraum oder durch die Hemmungen der Mitgliedstaaten, Souveränität zu teilen — der zweite Bericht der fünf Präsidenten und infolgedessen auch die Mitteilung der Kommission, mit der er umgesetzt werden sollte, schwächer und nicht so ehrgeizig ausfällt wie der erste, der auch schon unzureichend war.

2.5.

Außerdem haben die Migranten- und Flüchtlingsproblematik sowie die Sicherheitsfrage nach den von Islamisten verübten Terroranschlägen die Menschen und die Politik in Europa in Angst und Schrecken versetzt und unter anderem dazu geführt, dass die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staaten zunehmen, der Nationalismus wieder auf dem Vormarsch ist, Grenzen geschlossen werden usw. usf. Die Vollendung der WWU ist somit nur mehr von sekundärer Bedeutung bzw. in einer Schublade verschwunden. In der politischen Debatte und in den Medien ist sie kein Thema mehr — vielleicht zur Genugtuung zahlreicher Politiker, nicht nur der EU-Gegner, die damit „einer großen Gefahr entronnen“ zu sein glauben.

2.6.

All dies macht nach Auffassung des EWSA jedoch deutlich, dass gehandelt werden muss, dass dringlicher denn je Initiative ergriffen werden muss, um den im Vertrag festgeschriebenen Grundprinzipien und Werten (Frieden, Wohlstand, sozialer Zusammenhalt) zu neuer Geltung zu verhelfen und dadurch Europa ein Stück besser zu machen. All dies liegt im Interesse der Gemeinschaft und jedes Einzelnen, denn die europäischen Staaten und ihre Bürger müssen zu einem Gefühl der gemeinsamen Verantwortung zurückfinden und gegenseitiges Vertrauen wieder neu aufbauen. Sie können sich eine erneute Spaltung, wie sie Europa in der Vergangenheit schon so oft erlebt hat, nicht leisten. Dadurch würde der Kontinent in einen gefährlichen Strudel geraten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die Mitteilung bewegt sich jedoch leider sprachlich wie auch in Bezug auf die Vorschläge auf ausgetretenen Pfaden. Sie könnte sich, wie in der Vergangenheit oftmals geschehen, lediglich als eine Erklärung guter Absichten entpuppen und so zu einem „Bumerang“ werden. Ein großer Teil des Inhalts ordnet sich in die Reihe der nach der Krise umgesetzten Maßnahmen ein und enthält die Forderung nach deren Konsolidierung, auch wenn man weiß, dass einige dieser Maßnahmen für die Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in vielen Ländern der WWU verantwortlich sind. Vollkommen außer Acht gelassen wurden die Gründe für das Scheitern aller bisherigen Versuche zur Schaffung einer echten WWU (vom Werner-Bericht aus dem Jahr 1970 bis zum Bericht der vier Präsidenten 2012). Alle diese Versuche — und auch der hier vorliegende — basieren auf einem durch Bürokratie gekennzeichneten schrittweisen Vorgehen.

3.2.    Stärken

3.2.1.

Positiv ist jedoch, dass sich die Europäische Kommission trotz der Schwäche des Berichts der fünf Präsidenten, dem überdies ein echter Fahrplan fehlt, vorgewagt hat, um in einem Umfeld, in dem viele Mitgliedstaaten praktisch dagegen sind, mit der Umsetzung zu beginnen. Aufgrund dieser folgenschweren und risikoreichen Haltung der Kommission appelliert der EWSA nachdrücklich an die Mitglieder des Euro-Währungsgebiets und alle übrigen Mitgliedstaaten, ihre Einstellung zu ändern und die Initiative der Kommission zu unterstützen, wobei es gilt, die in der vorliegenden Stellungnahme aufgezeigten Schwachstellen durch die Umsetzung der in den anderen EWSA-Stellungnahmen enthaltenen Vorschläge zu beseitigen.

3.2.2.

Positiv ist außerdem die Aufmerksamkeit, die die Kommission in ihrem Papier der Finanzunion in ihren unterschiedlichen Ausprägungen schenkt. Dies ist neben der Vollendung der Bankenunion, die aus der Krise geboren wurde, sicherlich die wichtigste Entscheidung. Voraussetzung ist jedoch, dass sie zügig umgesetzt wird und dass mithilfe der vorgesehenen Mechanismen zur einheitlichen Abwicklung und Einlagensicherung sowie der Kapitalmarktunion das gemeinsame europäische Regelwerk uneingeschränkt verwirklicht wird, denn dadurch werden die Risiken verringert, dass Sparer/Kontoinhaber und Steuerzahler für die Schulden des Bankensektors aufkommen und Investoren und Unternehmen weiter auf den wenig transparenten und in puncto Finanzierungsquellen kaum diversifizierten Finanzmärkten agieren müssen. In diesem Zusammenhang wäre es sinnvoll gewesen, die vom EWSA befürwortete Trennung zwischen Geschäftsbanken und Investitionsbanken vorzunehmen (mit einer „Bad Bank“ für Altlasten als Zwischenlösung).

3.2.3.

Der Vorschlag zur Schaffung einer „einheitlichen Außenvertretung“ des Euro-Währungsgebiets ist wichtig, aber insofern nicht weitgehend genug, als die Umsetzung bis 2025 (9) aufgeschoben und auf kurze Sicht lediglich eine Stärkung der bereits seit 2007 eingeführten Modalitäten zur Koordinierung zwischen den Vertretern des Euroraums und dem Internationalen Währungsfonds angestrebt wird.

3.3.    Schwächen

3.3.1.

Der während der gesamten Krise verfolgte Ansatz wird weitergeführt, sodass man sich beim Lesen des Textes des Eindrucks nicht erwehren kann, diesen bereits viele Male gelesen zu haben. Zu denselben Inhalten hat sich der EWSA bereits bei zahlreichen Gelegenheiten geäußert und Alternativvorschläge zu den Vorschlägen der Kommission und der Mitgliedstaaten unterbreitet. Trotzdem wird weiter behauptet und suggeriert, dass beispielsweise: a) das Problem des Verbleibs in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) nur eine Frage des Einhaltens der „buchhalterischen“ Vorschriften sei, b) es bei der wirtschaftspolitischen Steuerung nur um eine „Koordinierung“ gehe, c) die makroökonomische und finanzielle Nachhaltigkeit der Eurozone nur ein Problem der Transparenz sei und d) die schwerwiegenden Probleme der Arbeitslosigkeit mit rein „formalen“ Vorschlägen gelöst werden können, wie sie bereits seit Jahren kursieren. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission mit Blick auf diese und andere Fragenkomplexe uneingeschränkt und mit mehr Nachdruck von ihrem Initiativrecht Gebrauch machen sollte.

3.3.2.

Gleiches gilt im Hinblick auf die gravierenden sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit in vielen Ländern des Euroraums — ein Thema, das wie die Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche und politische Steuerung zu den Prioritäten der WWU gehören sollte. Es werden hierzu keine konkreten Vorschläge gemacht und kein Instrument der Solidarität vorgeschlagen, und so bleibt unklar, was mit der „europäischen Säule sozialer Rechte“ gemeint ist (Rechte, die in einzelnen Ländern vielleicht bereits bestehen?).

3.3.3.

Bezüglich des Europäischen Semesters hält die Kommission an dem fest, was bislang beschlossen wurde, ohne nennenswerte Änderungen (auch nicht in der Methode) einzuführen, wie sie der EWSA in Form einer Änderung der makroökonomischen Konditionalität und der Stärkung der Interparlamentarischen Konferenz angeregt hatte. Daher besteht die Gefahr, dass die Haushalte der Mitgliedstaaten auch weiterhin jeder demokratischen Kontrolle entzogen sind.

3.3.4.

An den Stellen, wo es um die Stabilisierung der WWU geht, wird versucht, einen „Haushalt“ der WWU zu suggerieren; in Wirklichkeit handelt es sich jedoch um die Summe der nationalen Haushalte und/oder die Haushalte der einzelnen Staaten, die mit einem echten Haushalt des Euroraums nichts zu tun haben. Außerdem fehlt jeder Verweis auf die bestehenden Staatsschulden oder ggf. erforderliche gemeinsame Staatsschulden oder eine Europa-Steuer, um die Ausgaben für Einwanderung, Flüchtlinge, Sicherheit zu bewältigen. Das Fehlen von Vorschlägen zur demokratischen Legitimität ist jedenfalls der eigentliche Schwachpunkt der gesamten Mitteilung (Ziffer 6) (10).

3.3.5.

Weitgehend ungenannt bleiben die „Mittlerorganisationen“ der Gesellschaft — angefangen bei den im EWSA vertretenen — als Ansprechpartner in der Konsultationsphase, ganz zu schweigen von der „Politik“, die praktisch fehlt oder nur am Rande erwähnt wird.

3.3.6.

Der EWSA begrüßt die Einbindung der Sozialpartner in die anderen von der Kommission erwähnten Politikbereiche. Er ist jedoch der Ansicht, dass politisch und verfahrenstechnisch eine neue Qualität erreicht werden muss, um aus einer „formellen“ eine substanzielle Beteiligung am dreiseitigen sozialen Dialog zu machen, der dementsprechend so geregelt werden sollte, dass die erzielten Vereinbarungen auch umgesetzt werden. Dies würde im Übrigen dazu beitragen, das gegenseitige Vertrauen zu stärken und den Einzelnen stärker in die Verantwortung zu nehmen.

3.3.7.

Die Vorbereitung der Stufe 2 (Vollendung der WWU), die von vorrangiger und grundlegender Bedeutung ist, um die Glaubwürdigkeit der übrigen Vorschläge zu gewährleisten, besteht lediglich in der Vorlage eines „Weißbuchs“, vorangehenden Konsultationen und „Dialogen mit den Bürgern“, wobei unklar bleibt, wie diese aussehen sollen, zumal selbst die im EWSA vertretenen Organisationen nicht einbezogen werden. Das ist völlig unzureichend. Es sollten beispielsweise auch die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament einbezogen werden.

3.4.    Risiken

3.4.1.

Die Absichten der Kommission sind zweifellos begrüßenswert, aber der Ansatz ist wenig glaubhaft, wenngleich die Vorschläge für Stufe 2 noch ausstehen. Die Mitteilung stellt vor dem Hintergrund der geltenden Verträge keinen Wendepunkt dar, um zumindest teilweise das „Defizit“ von Maastricht zu kompensieren. Was fehlt, ist ein Gesamtprojekt, das einen Wechsel einläutet und eine Zukunftsvision für den Euroraum und die Bürger der EU bietet.

3.4.2.

Die Weiterführung der bislang verfolgten Wirtschafts- und Sozialpolitik würde negative Folgen haben. Der Arbeitsmarkt und die Einkommen dürfen nicht als einzige Systemvariablen gelten, während die Binnennachfrage, die makro- und mikroökonomischen Ungleichgewichte, die Unausgewogenheit im sozialen Bereich und die Leistungsbilanzen völlig ausgeklammert oder nicht gebührend berücksichtigt werden.

3.4.3.

Das Aufschieben des politischen Handelns auf die lange Bank, obgleich eigentlich jetzt damit begonnen oder zumindest parallel gehandelt werden müsste, zeugt davon, dass sich die Mitgliedstaaten angesichts der bestehenden alten und neuen Krisensituationen zu sehr von Ängsten und politischem Opportunismus leiten lassen, was Europa zum Verhängnis werden könnte, anstatt Verbesserungen herbeizuführen und Hoffnungen für die Zukunft zu wecken.

3.4.4.

Symptomatisch ist die Oberflächlichkeit, mit der von einer demokratischen Legitimität des Semesters und anderer Politikbereiche der WWU oder von den vorgeschlagenen Instrumenten gesprochen wird. Da sind angesichts des Standpunkts der einzelnen Länder nur halbherzige Worte, nichts anderes als ein Demokratieersatz. Wahrscheinlich ist dies der schwächste Punkt des gesamten Vorschlags, zumindest solange er in seiner jetzigen Form belassen wird: in Erwartung der Stufe 2, an deren Gestaltung die Zivilgesellschaft und die politischen Akteure aktiv und begleitend mitwirken müssen.

3.4.5.

Es ist zumindest leichtfertig und illusorisch zu denken, das Problem mit der Demokratie im Euro-Währungsgebiet könne durch einen „Dialog mit den Bürgern“ gelöst werden, ohne näher auf die Umsetzungsmodalitäten, die Verfahren zur Einbeziehung der Bürger und die Instrumente einzugehen, die auf europäischer und nationaler Ebene eingesetzt werden sollen. Stattdessen muss ein konkreterer Weg gefunden werden, um das Interesse der Bevölkerung in Europa für die Vollendung der WWU zu wecken und sie zur Mitarbeit anzuregen, beispielsweise durch große öffentliche Versammlungen in allen Städten oder durch die Abstimmung über Vorschläge und auch über Alternativen in den nationalen Parlamenten.

3.5.    Chancen

3.5.1.

Die Mitteilung könnte eine Chancen sein, um mit den Bürgern in Europa Klartext zu reden und aufzuzeigen, in welchen Punkten der geltende Vertrag noch nicht umgesetzt wurde, worin sein Potenzial besteht und was seit der Einführung des Euro geschehen ist. Es könnte erörtert werden, was während der Krise passiert ist, welche Fehler auf europäischer Ebene und seitens der Mitgliedstaaten gemacht wurden, dass sich die Staaten in stärkerem Maße um eine Politik bemühen sollten, in deren Mittelpunkt der Wert des Menschen steht, welche Chancen verpasst wurden und welche Risiken sich für die Bürger — nicht für ein abstraktes „Europa“ — ergeben, wenn seitens einiger Mitgliedstaaten so weitergemacht wird wie bisher.

3.5.2.

Diese offene und ehrliche Debatte ist dringend erforderlich und wird möglicherweise dadurch erleichtert, dass auch auf zwei andere, sich zuspitzende und die Sicherheit aller Menschen in Europa immer stärker bedrohende Phänomene angemessen reagiert werden muss, nämlich die Migrations- bzw. Flüchtlingskrise und die Bedrohung der Sicherheit durch den islamistischen Terrorismus.

3.5.3.

Darüber hinaus sollten informelle und ernsthafte Überlegungen über unsere gemeinsamen (bürgerlichen, ethischen, religiösen) Werte eingeleitet werden, die die Grundlage unserer Identität bilden und die zum Ausdruck zu bringen und zu verteidigen wir Angst haben: Sie sind das eigentliche Fundament für die Wiedergeburt des Euroraums und/oder der Länder, die ihn wünschen. Dies ist eine einzigartige Integration, die nicht nur den 19 Euroländern, sondern auch allen übrigen — auch den neuen — EU-Mitgliedstaaten, die zum politischen Kern gehören wollen, offensteht und die auf Wachstum ausgelegt ist, wie seinerzeit schon die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (1957) der sechs Gründungsmitglieder, die mit großer Kühnheit handelten und ohne die heute von Europa nicht die Rede wäre, und schon gar nicht von 28 Mitgliedstaaten.

3.5.4.

Sehr nützlich könnte zu diesem Zweck die Einbeziehung der gesellschaftlichen Mittler sein, und hier vor allem der sozialen und zivilgesellschaftlichen Akteure, um auf diese Weise den sozialen und zivilen Dialog auf europäischer und nationaler Ebene neu zu starten. Diese könnten unter Mitwirkung des EWSA und der Kommission eine informative Auseinandersetzung und eine Diskussion einleiten über die Risiken und Gefahren der gegenwärtigen Ereignisse, über die Chancen einer echten Reform einiger Politikbereiche der EU und über die Notwendigkeit, zusammenzubleiben und so das Fundament unseres gemeinsamen Hauses zu verstärken und das noch fehlende Dach zu errichten, ohne dabei das bislang gemeinsam Geschaffene zu zerstören.

4.   Beratender Europäischer Fiskalausschuss (Beschluss der Kommission)

4.1.

Der Beschluss der Kommission enthält keine sachdienlichen Hinweise auf die Gründe für die Einrichtung eines derartigen Ausschusses (11), der die Umsetzung der finanzpolitischen Rahmenvorschriften der EU insbesondere mit Blick auf die horizontale Kohärenz der Beschlüsse zur Haushaltsüberwachung bewerten soll. Vielmehr führt die Einsetzung dieses Europäischen Ausschusses zu Überschneidungen mit Funktionen und Aufgaben, die bereits von der Kommission selbst durch ihre neuen Zuständigkeiten im Rahmen der europäischen Governance wahrgenommen werden.

4.2.

Es ist in der Tat unklar, worin der Mehrwert dieses aus fünf externen Sachverständigen bestehenden Gremiums läge, das den Auftrag hätte, die Haushaltspolitik auf einzelstaatlicher und europäischer Ebene genauer zu überprüfen. Es scheint sich um einen weiteren europäischen Kontrollausschuss zu handeln, der zur Haushaltspolitik sowohl der EU als auch der Euro-Länder berät, der jedoch in Fällen von Verstößen oder unangemessener Haushaltspolitik auf nationaler Ebene oder auf Ebene des Euro-Währungsgebiets nicht über wirksame Interventionsbefugnisse verfügt.

4.3.

Den EWSA überrascht das Ernennungsverfahren für die Mitglieder des beratenden Ausschusses. Es sei nur daran erinnert, dass der designierte Präsident insgesamt drei der fünf Mitglieder ohne jedwede Einbeziehung des Europäischen Parlaments benennt, wie das EP zu Recht in seiner Entschließung (12) hervorhebt. Somit scheint es sich weniger um einen Ausschuss zu handeln, der die Kommission bei ihren Entscheidungen berät, sondern eher um einen „Sonderbeauftragten“ des Rates für eine Funktion, die heute die Kommission selbst wahrnimmt. Dies könnte zu einer Verschlechterung der Situation führen, die bereits heute auf einem fragilen Gleichgewicht beruht.

4.4.

In der Mitteilung der Kommission wird auch auf den möglichen Zusammenhang zwischen dem beratenden Europäischen Fiskalausschuss und den nationalen Räten für Finanzpolitik Bezug genommen, ohne allerdings die avisierten Ziele zu nennen, die jeweiligen Tätigkeitsbereiche festzulegen oder die Verantwortlichkeiten und Bereiche der Zusammenarbeit zwischen den beiden Einrichtungen zu umreißen.

Brüssel, den 17. März 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Nationale Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit (siehe Seite 35 dieses Amtsblatts).

(2)  Stellungnahme des EWSA zur Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets (siehe Seite 16 dieses Amtsblatts).

(3)  Stellungnahme des EWSA zum Europäischen Einlagensicherungssystem (siehe Seite 21 dieses Amtsblatts).

(4)  Stellungnahmen des EWSA zum Grünbuch: Schaffung einer Kapitalmarktunion (ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 64) und zum Aktionsplan zur zur Schaffung einer Kapitalmarktunion (ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 17).

(5)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Wachstum und Staatsverschuldung in der EU: zwei innovative Vorschläge (ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10).

(6)  Stellungnahmen des EWSA u. a. zur Vollendung der WWU — die nächste europäische Legislaturperiode (ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 10), zur Vollendung der WWU: Die politische Säule (ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8) und zum Thema Eine demokratische und soziale WWU durch die Gemeinschaftsmethode (ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 33).

(7)  Stellungnahmen des EWSA zur Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets, zum Europäischen Einlagensicherungssystem, zu den Nationalen Ausschüssen für Wettbewerbsfähigkeit und zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (2016) (siehe Seite 16 dieses Amtsblatts).

(8)  Stellungnahmen des EWSA zu folgenden Themen: Zehn Jahre Euro — und jetzt? (ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 8), Vollendung der WWU — die nächste europäische Legislaturperiode (ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 10) und Vollendung der WWU: Die politische Säule (ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8).

(9)  COM(2015) 603 final — 2015/0250 (NLE).

(10)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Eine demokratische und soziale WWU durch die Gemeinschaftsmethode (ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 33).

(11)  C(2015) 8000 final.

(12)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Dezember 2015 zu dem Thema „Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden“ (2015/2936(RSP)).


18.5.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 177/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Einrichtung nationaler Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet“

[COM(2015) 601 final]

(2016/C 177/06)

Berichterstatter:

Thomas DELAPINA

Mitberichterstatter:

David CROUGHAN

Die Europäische Kommission beschloss am 11. November 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Einrichtung nationaler Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet“

[COM(2015) 601 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. März 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 515. Plenartagung am 16./17. März 2016 (Sitzung vom 17. März 2016) mit 200 gegen 3 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA prüft, wie weit nationale Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet zur notwendigen Verbesserung der wirtschaftspolitischen Steuerung beitragen können, indem sie mithelfen, Auseinanderentwicklungen der Mitglieder der Währungsgemeinschaft zu verringern und künftig zu vermeiden, indem sie die Wirtschafts- und Sozialpolitik genau abbilden und indem sie durch ihren Zusammenschluss in einem Netzwerk im Euro-Währungsgebiet die EU-Dimension stärken.

1.2.

Wettbewerbsfähigkeit ist kein Selbstzweck. Sie ist nur dann ein sinnvolles Ziel, wenn sie konkret den Wohlstand der Bürger erhöht. Nach Auffassung des EWSA stellt eine Fortführung der bisherigen Politik keine Option dar. Die einseitig auf Kostensenkung und Exportsteigerung abgestellte Strategie zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in der WWU trug sogar eher zu einer Verstärkung der Krisenfolgen bei, da sie auf einer zu engen Definition der Wettbewerbsfähigkeit beruht.

1.3.

Deshalb empfiehlt der Ausschuss, künftig eine zeitgemäße Definition („Wettbewerbsfähigkeit 2.0“) anzuwenden und die im von der Kommission finanzierten Projekt WWWforEurope vorgeschlagenen Begriffe zu berücksichtigen. Eine solche moderne Definition steht im Kontext mit den Europa-2020-Zielen, die auch „Beyond-GDP“-Ziele enthalten: Wettbewerbsfähigkeit wird dort definiert als „the ability of a country (region, location) to deliver the beyond-GDP goals for its citizens“ (die Fähigkeit eines Landes (einer Region oder eines Ortes) die „Beyond-GDP“-Ziele für die dortigen Bürger zu erreichen). Danach beruht die Wettbewerbsfähigkeit auf den drei Säulen Einkommen, Soziales und Nachhaltigkeit. Dementsprechend fordert der EWSA dazu auf, die weitere Diskussion nicht unter dem Titel „Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit“ zu führen, sondern unter dem Titel „Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit, sozialen Zusammenhalt und Nachhaltigkeit“.

1.4.

Zudem ersucht der EWSA die Kommission um eine Reihe von Klarstellungen, die benötigt werden, um die Tätigkeit neuer Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit, sozialen Zusammenhalt und Nachhaltigkeit bewerten zu können. Auch verschiedene technische Aspekte, wie die Ernennung der Mitglieder, die Bestimmungen zur Rechenschaftspflicht usw. müssen noch geregelt werden.

1.4.1.

Der EWSA begrüßt den Ansatz der Kommission, wonach es den Mitgliedstaaten freisteht, ihre nationalen Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit eigenständig einzusetzen, indem entweder neue Stellen eingerichtet oder das Mandat vorhandener Stellen ausgeweitet wird, vorausgesetzt, sie sind unabhängig und zielen weder darauf ab, in die Tarifverhandlungen einzugreifen oder Einfluss auf die Rolle der Sozialpartner zu nehmen, noch die nationalen Lohnfindungssysteme zu harmonisieren. Da jedenfalls eine Duplizierung vorhandener Arbeiten und Institutionen vermieden werden muss, fordert der EWSA die Kommission auf, dazu (existierende Bewertungen durch IWF, OECD, existierende Ausschüsse, nationale und weitere potenziell nutzbare Einrichtungen …) eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Eine solche umfassende Darstellung ist eine wichtige Entscheidungshilfe, um den Mehrwert der vorgeschlagenen Ausschüsse abschätzen, eine Kosten-Nutzen-Analyse anstellen und den Bedarf nach zusätzlichen Strukturen abschätzen zu können.

1.4.2.

Der EWSA fordert die Kommission auf, konkrete Vorschläge dazu vorzulegen, wie den folgenden Erfordernisse Rechnung getragen werden kann:

Rechenschaftspflicht, Legitimation und Transparenz durch die uneingeschränkte Einbeziehung der demokratisch legitimierten Institutionen wie Parlamente, Sozialpartner und andere repräsentative Organisationen der Zivilgesellschaft;

Vertretung ausgewogener objektiver Fachkenntnisse, um die bestehende Meinungsvielfalt widerzuspiegeln;

Unverbindlichkeit der Vorschläge des Ausschusses, insbesondere die umfassende Wahrung der Autonomie der Sozialpartner;

Einbeziehung des Doppelcharakters der Löhne, die sowohl ein Kostenfaktor für Unternehmen als auch der wichtigste Bestimmungsfaktor für die Binnennachfrage sind, bei der Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit entsprechend der neuen Definition.

1.5.

Der EWSA hat bereits vor dem jüngsten Paket der Kommission konkrete Vorschläge zur Vertiefung der WWU dargestellt, die es zu verwirklichen gilt.

Es bedarf keiner konkurrierenden nationalen Strategien sondern einer gemeinsamen europäischen Strategie. An zentraler Stelle stehen dabei ein Ausbau des makroökonomischen Dialoges und die Etablierung eines solchen Dialoges für die Eurozone. Dies wären die geeigneten Orte für die erforderliche bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitiken und der drei wesentlichen Faktoren der makroökonomischen Politik.

Auf nationaler Ebene gilt es, die Rolle der Sozialpartner zu stärken und Strukturen für einen makroökonomischen Dialog aufzubauen bzw. zu konsolidieren.

Die Rolle der nationalen Parlamente und des EP muss im Sinne der Demokratie gestärkt werden und darf nicht durch technokratische Expertengremien beschnitten werden.

Der EWSA betont die Bedeutung einer Gleichstellung von ökonomischen und sozialen Zielen sowie einer soziale Folgenabschätzung für alle Maßnahmen im Zusammenhang mit dem europäischen Semester.

Eine entscheidende Bedeutung beim Abbau von Ungleichgewichten fällt der Förderung von öffentlichen und privaten Investitionen zu, was eine Haushaltspolitik erforderlich macht, die das Wachstum und die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze besser fördert.

Letzteres betrifft einerseits die Einnahmenseite, also eine entsprechende Ausgestaltung der Steuersysteme, um eine ausreichende Finanzierungsbasis sicherzustellen. Andererseits sieht der EWSA auch ausgabenseitig noch Bedarf nach wachstumsfreundlicheren Maßnahmen. Insbesondere eine weiter gefasste Art einer goldenen Finanzierungsregel für öffentliche Investitionen erschiene konsistent mit bereits existierenden Maßnahmen, die es erlauben, die Finanzierungskosten für Zukunftsinvestitionen über mehrere Generationen zu verteilen.

2.   Empfehlung der Kommission

2.1.

In ihrer Mitteilung „Schritte zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion“ schlägt die Kommission vor, das Euro-Währungsgebiet bis Anfang 2017 weiter zu konsolidieren (Stufe 1 — „Vertiefung durch Handeln“, die am 15. Juli 2015 startete). Danach sollten mithilfe von Benchmarks für eine verstärkte Aufwärtskonvergenz der Volkswirtschaften des Euro-Währungsgebiets grundlegendere Reformen durchgeführt und mittel- bis langfristig neue Wachstumsperspektiven ins Visier genommen werden (Stufe 2 — „Vollendung der WWU“). Eines der Schlüsselelemente der Stufe 1 ist ein verbessertes Instrumentarium für die wirtschaftspolitische Steuerung einschließlich des Vorschlags an den Rat, in den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets die Einrichtung nationaler Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit zu empfehlen (sowie die übrigen Mitgliedstaaten zu ermutigen, ähnliche Gremien einzurichten).

2.2.

Die Kommission will durch die Mobilisierung unabhängigen nationalen Expertenwissens die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für die notwendigen Maßnahmen und Reformen fördern. Ziel ist es, nationale Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit einzurichten, die die Ergebnisse und Maßnahmen im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit im umfassenden Sinne beobachten und so dazu beitragen, nachhaltige wirtschaftliche Konvergenz und Eigenverantwortung für die notwendigen Reformen auf nationaler Ebene zu fördern. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die in dieser Empfehlung ausgeführten Grundsätze umzusetzen und die Kommission wird ersucht, nach zwölf Monaten einen Fortschrittsbericht über die Umsetzung und die Angemessenheit dieser Empfehlung zu erarbeiten, in dem sie sich unter anderem dazu äußert, ob sie die Einführung verbindlicher Rechtsvorschriften für erforderlich hält.

2.3.

Die Ausschüsse sollen die Entwicklungen im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten überwachen, insbesondere jene Faktoren, die sich kurzfristig auf Preise und Qualität von Waren und Dienstleistungen im Verhältnis zu denen der weltweiten Mitbewerber auswirken können. Vom Mandat der Ausschüsse sollten Themen abgedeckt werden wie „Lohndynamik, nicht lohnbezogene Faktoren, Produktivitätstreiber und dynamische Überlegungen im Zusammenhang mit Investitionen, Innovation und der Attraktivität einer Volkswirtschaft als Unternehmensstandort“. Die Ausschüsse sollen entsprechende Maßnahmen analysieren, bewerten und unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten und der üblichen Praktiken politische Empfehlungen formulieren. Zudem sollen die Ausschüsse einschlägige Informationen für die Lohnbildungsprozesse auf nationaler Ebene bereitstellen. In Einklang mit Artikel 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union soll das Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen unberührt bleiben.

2.4.

Die Ausschüsse sollen strukturell und weisungsunabhängig gegenüber Behörden der Mitgliedstaaten sein. Sie sollten die einschlägigen Interessenträger konsultieren (nationale Akteure oder Gruppen von Akteuren, wie z. B. die Sozialpartner, die regelmäßig am wirtschaftlichen und sozialen Dialog des betreffenden Mitgliedstaats teilnehmen), aber nicht ausschließlich oder hauptsächlich die Standpunkte und Interessen einer bestimmten Gruppe von Interessenträgern vermitteln.

2.5.

Die Ausschüsse sollten Jahresberichte erstellen. Um sicherzustellen, dass die Ziele des Euro-Währungsgebiets und der Union berücksichtigt werden, will die Kommission die Arbeit der Ausschüsse koordinieren, wobei im Zuge der Ausarbeitung der Berichte und anlässlich von Vor-Ort-Prüfungen in den Mitgliedstaaten Konsultationen zwischen der Kommission und den Ausschüssen stattfinden sollen. Ferner sollen die Berichte in die Analysen der Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters und der Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten einfließen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA teilt die Überzeugung der Kommission, dass die WWU besser ausgestaltet und vertieft werden muss. Er hat dies in zahlreichen Stellungnahmen betont und entsprechende konkrete Vorschläge unterbreitet. Der Ausschuss würdigt auch die positiven Ansätze der Kommission, und er teilt ihre Ansicht, dass eine engere Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken unbedingt erforderlich ist, um vorhandene Ungleichgewichte abzubauen und um künftig die Entstehung von Ungleichgewichten zu erschweren. Ein erheblicher Teil des Mehrwerts dieser nationalen Ausschüsse könnte darin bestehen, sie im Euro-Währungsgebiet in einem Netzwerk zusammenzuschließen, wodurch die EU-Dimension in der politischen Debatte zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission gestärkt würde.

3.2.

Mit der derzeitigen Politik wird dieses Problem allerdings nicht in angemessener Weise angegangen, und zur Bewältigung makroökonomischer Ungleichgewichte sind bessere Instrumente erforderlich. Der EWSA begrüßt daher ausdrücklich, dass die Kommission endlich die Notwendigkeit anerkannt hat, die Leistungen der Mitgliedstaaten in den Bereichen Beschäftigung und Soziales stärker in den Mittelpunkt zu rücken und für eine größere Identifikation mit den Reformbemühungen zu sorgen. Auch die Kommission fordert zu Recht eine stärkere Einbindung der Sozialpartner in die Ausarbeitung der nationalen Reformprogramme sowie die Einbeziehung der nationalen Sozialpartner durch die Vertretungen der Kommission in das Verfahren des Europäischen Semesters auf nationaler Ebene. Die nationalen Ausschüsse, die unter der umfassenden Einbeziehung aller Interessenträger eingerichtet werden, könnten zu einem nützlichen Instrument werden, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen derzeitiger und künftiger politischer Maßnahmen genau abzubilden.

3.3.

Für die Mitgliedstaaten, die — mit geringen Aussichten, mittelfristig bzw. überhaupt jemals eine vollwertige Wirtschafts-, Sozial- und Steuerunion wie in einer echten föderalistischen Staatenunion zu werden — eine einheitliche Währungspolitik (einheitliche Währung, ein Zinssatz) eingeführt haben, ist es nicht mehr möglich, Ungleichgewichte durch die Anpassung des nominalen Wechselkurses zu korrigieren. Bisher beschränkten sich die Bemühungen um eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum im Wesentlichen auf das eng gefasste Ziel, durch potenziell kontraproduktive Kostensenkungen die Exportperformance und Leistungsbilanzen zu verbessern. Diese bisherige Politik konnte die Ungleichgewichte und die verheerenden Krisenfolgen nicht beseitigen, sondern verstärkte sie zum Teil noch (1): Eine zu stark rein angebotsseitig orientierte Austeritätspolitik dämpfte die Nachfrage, wodurch Arbeitslosigkeit, öffentliche Defizite und soziale Ungleichheit weiter zunahmen. Da die Entstehung von Ungleichgewichten harte Folgen haben könnte, wenn nicht rechtzeitig dagegen angegangen wird, muss mit neuen politischen Instrumenten vermieden werden, dass die gesamte Anpassung zulasten der Löhne und Arbeitsmärkte geht.

3.4.

Obwohl die Kommission in ihrer Empfehlung für eine „weit gefasste Definition des Begriffs Wettbewerbsfähigkeit“ plädiert, weist der EWSA darauf hin, dass die Kommission bereits im Jahr 2002 eine deutlich breitere Definition von Wettbewerbsfähigkeit veröffentlichte, nämlich „die Fähigkeit der Wirtschaft, der Bevölkerung nachhaltig einen hohen und wachsenden Lebensstandard und eine hohe Beschäftigung zu sichern“ (2). In dem von der Europäischen Kommission finanzierten Projekt WWWforEurope (3) wurde diese Definition von Wettbewerbsfähigkeit im Zusammenhang der Europa-2020-Strategie auf über das BIP hinausgehende Ziele wie soziale Inklusion und nachhaltige Umwelt erweitert (4). Wettbewerbsfähigkeit wird dort definiert als „the ability of a country (region, location) to deliver the beyond-GDP goals for its citizens“ (5). Die Messung der Wettbewerbsfähigkeit stützt sich dabei auf drei Säulen: die Einkommenssäule (wobei die verfügbaren Haushaltseinkommen und Verbraucherausgaben einbezogen werden), die soziale Säule (die die sozioökonomischen Auswirkungen eines Systems misst wie Armutsrisiko, Ungleichheit und Jugendarbeitslosigkeit) und die ökologische Säule (die Ressourcenproduktivität, Treibhausgas-Emissionsintensität, Energieintensität und den Anteil erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung misst). Auch die digitale Agenda muss berücksichtigt werden. Dies bedeutet aber nicht, dass Ungleichgewichte (z. B. in der Leistungsbilanz) übergangen werden können, wie sich in der Folge der Finanzkrise zeigte.

3.5.

Um sicherzustellen, dass die Definition von Wettbewerbsfähigkeit („Wettbewerbsfähigkeit 2.0“) in einem umfassenden Sinn verstanden wird, empfiehlt der EWSA, künftige Diskussionen nicht unter dem Titel „Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit“ zu führen, sondern unter dem Titel „Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit, sozialen Zusammenhalt und Nachhaltigkeit“.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Es existieren zahllose Institutionen und Verfahren auf internationaler Ebene (u. a. IWF, OECD, auch die Europäische Kommission), die Prüfungen der Wettbewerbsfähigkeit durchführen und entsprechende Politik-Empfehlungen abgeben. Auch auf nationaler Ebene befassen sich vielfach Institutionen wie unabhängige Wirtschaftsforschungsinstitute, Statistikämter sowie Wirtschafts- und Sozialräte mit entsprechenden Fragen. Die Kommission weist darauf hin, dass bei der Einrichtung der Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit auf bestehende Strukturen und Arbeiten zurückgegriffen werden kann, da in einigen Ländern bereits solche Ausschüsse existieren, während in anderen Ländern bereits vorhandene Strukturen genutzt werden könnten. Es ist jedoch wichtig, dass die Ausschüsse unabhängig sind und ihre beratende Rolle in angemessener Form eine Beurteilung durch Fachleute widerspiegelt, die im allgemeinen Interesse vorgenommen wurde.

4.2.

Der EWSA nimmt die Empfehlung der Kommission zur Kenntnis, auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten beigebrachten einschlägigen Informationen innerhalb von zwölf Monaten nach Annahme der Empfehlung einen Fortschrittsbericht über die Umsetzung und die Angemessenheit dieser Empfehlung zur Einrichtung nationaler Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit zu erstellen. Vor der Einrichtung der Ausschüsse sollten die Tätigkeit und Wirksamkeit bestehender und potenzieller künftiger Einrichtungen im Rahmen einer Bestandsaufnahme evaluiert werden. Eine solche umfassende Darstellung, in die auch das Fachwissen der Sozialpartner einbezogen werden sollte, wäre eine wichtige Entscheidungshilfe, um den Mehrwert dieser Ausschüsse abschätzen, eine Kosten-Nutzen-Analyse erstellen und den Bedarf an zusätzlichen Strukturen eruieren zu können.

4.3.

Die Kommission betont wiederholt völlig zu Recht die Notwendigkeit, Transparenz und demokratische Legitimierung der Politik zu stärken, indem das Europäische Parlament, nationale Parlamente sowie maßgebliche Interessenträger der Zivilgesellschaft, insbesondere die Sozialpartner, umfassend eingebunden werden. Der EWSA fordert daher, demokratisch rechenschaftspflichtige Stellen umfassend in Aspekte wie die Ernennung und Wiederernennung der Ausschussmitglieder, Befugnisse, Konzipierung von Arbeitsprogrammen, Erstellung von Berichten und Rechnungslegung usw. einzubeziehen, die geklärt werden müssen, wenn die Ausschüsse eingerichtet werden.

4.4.

Bevor die Einrichtung der Ausschüsse gebilligt werden kann, muss die Kommission die Kriterien für ihre Unabhängigkeit und für die Vertretung ausgewogener objektiver Fachkenntnisse — die die Vielfalt der Standpunkte, einschließlich derjenigen der Sozialpartner, widerspiegeln — festlegen, um die Zweifel am Bestehen unabhängigen neutralen Sachverstands zu zerstreuen. Auch die Frage der Verantwortung im Falle unrichtiger Analysen oder Vorausschätzungen durch die Ausschüsse muss geklärt werden.

4.5.

Der EWSA verweist auf die beratende Funktion solcher Gremien und ersucht die Kommission, den unverbindlichen Charakter der Empfehlungen der Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit klarzustellen. Die Frage der Unverbindlichkeit stellt sich insbesondere dann, wenn es um die Absicherung der Autonomie der Tarifpartner geht. In der Mitteilung der Kommission wird zwar festgestellt, dass das Recht der Tarifpartner, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen, nicht berührt werden soll, aber diese Absicherung, die alleine die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union garantierte Berechtigung betrifft (6), ist zu schwach. Versuche, die Lohnbildung direkt zu beeinflussen, fallen in keiner Weise in den Zuständigkeitsbereich der Ausschüsse für Wettbewerbsfähigkeit.

4.6.

Der EWSA verweist auf die weitergehende Betrachtung der Wettbewerbsfähigkeit, die über die Kostenwettbewerbsfähigkeit hinausgeht. Bei anderen Überlegungen dazu, wie die Entstehung von Ungleichgewichten verhindert werden kann, ist der Doppelcharakter der Löhne in einer Volkswirtschaft zu berücksichtigen (Kostenfaktor für Unternehmen und Bestimmungsgröße der Binnennachfrage; siehe Ziffer 5.5). Darüber hinaus ist ein symmetrischer Ansatz in Bezug auf Überschüsse und Defizite erforderlich, um Ungleichgewichte angemessen zu korrigieren (7).

5.   Vorschläge des EWSA

5.1.

Der EWSA ist von der Notwendigkeit der Vertiefung der WWU überzeugt. Da er in seiner vorangegangenen Bewertung des Kommissionsvorschlags zahlreiche offene Fragen identifiziert hat, die erst weiterer Analysen und Klärungen bedürfen, fasst er nachstehend seine eigenen bisherigen diesbezüglichen Vorschläge zusammen. Der EWSA hat in jüngster Vergangenheit mehrere Stellungnahmen zum Thema „Vertiefung der WWU“ (8) verabschiedet, zuletzt 2015 ECO/380 „Eine demokratische und soziale WWU durch die Gemeinschaftsmethode“ (9).

5.2.

In seiner Stellungnahme ECO/380 unterbreitet der EWSA Vorschläge für künftige WWU-Initiativen der Kommission. Er ist davon überzeugt, dass damit die Überwindung der Divergenzen in den Funktionsweisen der Arbeitsmärkte, der Lohnfindungs- und der Sozialsysteme ermöglicht wird, die zur Stabilisierung sowie zur demokratischen und sozialen Vertiefung der WWU notwendig sind. Dabei geht er davon aus, dass im Gesamtkontext von Geld-, Haushalts- und Lohnpolitik Vertrauen aufgebaut und mehr Konvergenz erzielt werden kann, ohne die Tarifautonomie zu beschädigen.

5.3.

Dazu bedarf es einer Aufwertung des makroökonomischen Dialoges und insbesondere der Etablierung eines makroökonomischen Dialoges der Eurozone (MED-EURO). Der MED wurde 1999 ins Leben gerufen, um einen nachhaltigen sowie wachstums- und stabilitätsorientierten makroökonomischen Policy-Mix zu erreichen, also ein spannungsfreies Zusammenspiel zwischen Lohnentwicklung, Geld- und Fiskalpolitik. Dieses Forum zur Abstimmung der drei großen Faktoren der makroökonomischen Politik könnte unter direkter Einbindung der Sozialpartner wesentlich zur notwendigen Koordinierung, zur Einhaltung des gemeinsamen Stabilitätszieles der WWU sowie zu einer demokratischen und sozialen Weiterentwicklung der WWU beitragen. Seine Ergebnisse und Schlussfolgerungen sollten sowohl in den Jahreswachstumsbericht als auch in die länderspezifischen Empfehlungen einfließen.

5.4.

Der EWSA betont erneut die Wichtigkeit, die Rolle der Sozialpartner und deren Einbeziehung in die Politikgestaltung aufzuwerten. Eine Art makroökonomischer Dialog ist auch auf nationaler Ebene von Vorteil. Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität entwickeln sich zumeist in denjenigen Ländern gut, in denen es einen starken sozialen Dialog und Arbeitsbeziehungen gibt und in denen ein hoher Sozialschutz und soziale Kohäsion gewährleistet sind.

5.5.

Die Lohnfindung ist ohne Einmischung von außen den Tarifpartnern zu überlassen. Ihre Autonomie muss uneingeschränkt geachtet und gewährleistet werden. Sie verfügen über die besten Kenntnisse der Realitäten bezüglich Lohnfindung und Arbeitsmärkten, Die Tarifpartner berücksichtigen, dass Lohnänderungen sowohl Kosten- als auch Nachfrageeffekte haben. Sie sind sich dabei bewusst, dass eine Orientierung der Lohnerhöhungen am mittelfristigen nationalen Produktivitätsfortschritt plus Zielinflationsrate der EZB neutral bezüglich Preisentwicklung, Wettbewerbsfähigkeit, Binnennachfrage und Einkommensverteilung wirkt (10). Die Stärkung des makroökonomischen Dialogs wird dadurch noch dringlicher, dass dieses Bewusstsein von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgeprägt ist und manchmal keinen konkreten Ausdruck findet, sodass Ungleichgewichte entstehen.

5.6.

Bei der Steuerung des Euro-Währungsgebiets muss für eine aktivere Beteiligung der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments gesorgt werden. Der EWSA setzt sich ein für die Bildung eines großen EP-Ausschusses mit allen Abgeordneten des Euroraumes und aus den Ländern, die ihm beitreten wollen, verbunden mit einer stärkeren Abstimmung der Parlamentarier des Euroraumes über WWU-Fragen (COSAC+).

5.7.

Der EWSA verweist darauf, dass die wirtschaftspolitischen Ziele besser mit den sozialpolitischen Zielen der EU nach Artikel 4 Absatz 2 AEUV in Einklang gebracht und mögliche Zielkonflikte zwischen wirtschaftlichen und sozialen Zielen ausgeräumt werden müssen. Alle Maßnahmen im Europäischen Semester — gemäß horizontaler Sozialklausel — sind einer sozialen Folgenabschätzung zu unterziehen (11).

5.8.

Des Weiteren hält der EWSA ein kurzfristiges Nachfragemanagement und ein wirksames Investitionsprogramm zur Generierung von Einkommen durch Wachstum, soziale Kohäsion und Solidarität für unabdingbar. Notwendig dafür ist eine wachstums- und beschäftigungsfreundliche Haushaltspolitik. Eine entsprechende Einnahmenbasis des Staates ist durch eine effektive Steuerkoordinierung sicherzustellen. Auch ein entschlossenes Vorgehen gegen Steuerbetrug, Steueroasen und aggressive Steuerplanung ist erforderlich.

5.9.

Auch ausgabenseitig erkennt der EWSA Spielräume für eine wachstumsfreundlichere Haushaltspolitik. Öffentliche Investitionen sind ein zentrales Instrument für die Konjunkturbelebung. Die notwendigen Investitionen in Zukunftsbereichen und im sozialen Bereich (Forschung, Bildung, Kinderbetreuung, Sozialleistungen, öffentlicher Wohnungsbau usw.) fördern nicht nur kurzfristig Wachstum und Beschäftigung, sondern sie erhöhen auch langfristig das Produktionspotenzial. Investitionen und Wachstum, insbesondere in den Krisenländern, sind der Schlüssel zu einem Aufholprozess und damit zu einem Abbau von Ungleichgewichten.

5.10.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, die Beiträge der Mitgliedstaaten zum Europäischen Fonds für strategische Investitionen bei der Berechnung des Haushaltsdefizits auszuklammern. Da es sich dabei um Ausgaben handelt, die das Wachstumspotenzial erhöhen und deren Erträge auch noch zukünftigen Generationen zugutekommen werden, sollte die Finanzierung auch über mehrere Generationen verteilt werden. Der EWSA wiederholt daher seine Frage, wieso nicht mit derselben Begründung eine identische Behandlung für zukunftsorientierte Investitionen aus dem allgemeinen Haushalt in Form einer Goldenen Investitionsregel eingeführt wird (12).

Brüssel, den 17. März 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Eine genaue Beschreibung findet sich in der Stellungnahme des EWSA zu der „Empfehlung des Rates zur Umsetzung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist“ (ABl. C 133 vom 9.5.2013, S. 44) (Ziffer 3.8 ff.).

(2)  KOM(2002) 714 endgültig.

(3)  http://www.foreurope.eu/.

(4)  WWWforEurope, Arbeitspapier Nr. 84: Competitiveness and Clusters: Implications for a New European Growth Strategy (Februar 2015).

(5)  Siehe ebd, S. 9.

(6)  AEUV Artikel 153: Abs. (1) „Zur Verwirklichung der Ziele des Artikels 151 unterstützt und ergänzt die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten auf folgenden Gebieten: […]“ und Abs. (5) „Dieser Artikel gilt nicht für das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht.“

(7)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung“ (ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 33) (Ziffer 3.2.3).

(8)  Insbesondere zur politischen Säule: siehe Stellungnahme des EWSA „Vollendung der WWU: Die politische Säule“ (ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8).

(9)  Zuvor auch die Stellungnahme „Vollendung der WWU: Die politische Säule“ (ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8).

(10)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Jahreswachstumsbericht“ (ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 26) (Ziffer 2.3).

(11)  Vgl. die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Eine demokratische und soziale WWU durch die Gemeinschaftsmethode“ (ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 33) (Ziffer 1.5).

(12)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Eine Investitionsoffensive für Europa“ (ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 27) (Ziffer 4).


18.5.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 177/41


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets

[COM(2015) 692 final]

(2016/C 177/07)

Berichterstatter:

Michael IKRATH

Mitberichterstatterin:

Anne DEMELENNE

Die Europäische Kommission beschloss am 22. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets

[COM(2015) 692 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. März 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 515. Plenartagung am 16./17. März 2016 (Sitzung vom 17. März) mit 201 Stimmen bei 3 Gegenstimmen und 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt grundsätzlich die Festlegung wirtschaftlicher Schwerpunktprogramme zur Belebung des Wachstums in den Ländern des Euro-Währungsgebiets zu Beginn des Europäischen Semesters. Der EWSA bedauert jedoch, dass die Zivilgesellschaft und insbesondere die Sozialpartner zur Konzeption und zu den nationalen Verfahren des Europäischen Semesters nicht konsultiert wurden.

1.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die bestehende Kluft zwischen den Ländern des Euro-Währungsgebiets und den anderen Mitgliedstaaten aufgrund dieser Empfehlungen auf keinen Fall größer werden darf, sondern kleiner werden muss. Das Ziel besteht insbesondere darin, die langfristige Entwicklung des Euro im Auge zu behalten, damit er zur gemeinsamen Währung aller Mitgliedstaaten wird.

1.3.

Der EWSA würdigt die Bedeutung des Kommissionsdokuments für die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Wie bereits in früheren Stellungnahmen ausgeführt (1), spricht sich der EWSA nachdrücklich für die weitere Stärkung und Vollendung der WWU aus. Die Mitgliedstaaten sollten sowohl einzeln als auch gemeinsam alle notwendigen Maßnahmen treffen, um mehr Konvergenz und Integration insbesondere im wirtschaftlichen Bereich zu gewährleisten. Dies sollte mit Fortschritten auf dem Weg zu einer Euro-Fiskalunion (einschl. eigens dafür vorgesehener Mittel), einer Sozialunion und einer einheitlichen Außenvertretung in internationalen Finanzinstitutionen Hand in Hand gehen.

1.4.

Der EWSA sieht die politische Notwendigkeit, für das Euro-Währungsgebiet ein solides politisches und institutionelles Fundament zu schaffen, was seit der Schaffung der Währungsunion noch nicht geschehen ist (2). Vereinzelte Initiativen wie die Errichtung einer Banken- oder Kapitalmarktunion sind zu begrüßen, ersetzen jedoch nicht die erforderliche solide Architektur.

1.5.

Auffällig ist auch, dass bei den jüngsten Investitionsprogrammen in Beschäftigungsoffensiven die gesteckten Ziele nicht in ausreichendem Maße erreicht wurden. Damit sich Wachstum und Beschäftigung erholen, ist ein Mix aus finanz-, steuer-, haushalts-, wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen erforderlich. Entgegen der Empfehlung der Kommission sollte schwerpunktmäßig eher ein expansiver als ein neutraler haushaltspolitischer Kurs verfolgt werden.

1.6.

Der EWSA hält einen neutralen haushaltspolitischen Kurs, auch wenn er einer anhaltenden Austeritätspolitik vorzuziehen ist, unter den gegebenen Umständen für ungeeignet. Angesichts der Tatsache, dass Rezession ein geringeres Wachstumspotenzial zur Folge hat, sind verstärkte fiskalpolitische Maßnahmen zur Wiederankurbelung der Wirtschaft im Euro-Währungsgebiet insgesamt erforderlich. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Risiken einer wirtschaftlichen Überhitzung erheblich geringer als die einer anhaltend niedrigen Inflation oder einer Deflation. Der EWSA empfiehlt daher steuerliche Anreize mit Schwerpunkt auf öffentlichen Investitionen: Dies würde kurzfristig zu einem Anziehen der Nachfrage, aber auch langfristig zu einer Steigerung der Wachstumspotenziale führen.

1.7.

Darüber hinaus plädiert der EWSA für die steuerliche Entlastung von Arbeit, sofern die finanzielle Tragfähigkeit der bereits geschwächten Sozialschutzsysteme dadurch nicht gefährdet wird. Er erinnert daran, dass moderne Sozialschutzsysteme auf den Grundsätzen der Solidarität und Chancengleichheit basieren sollten, nicht nur auf der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit. Darüber hinaus werden bei den Haushalten die Folgen von Robotik und Digitalisierung berücksichtigt werden müssen, die den Arbeitsmarkt belasten und sich wahrscheinlich auf die Steuereinnahmen auswirken werden.

1.8.

Der EWSA begrüßt, dass das Konzept der Flexicurity überdacht wurde; Zeitverträge sollten im Idealfall jedoch zu unbefristeten Arbeitsverhältnissen und nicht zu prekärer Beschäftigung führen. Zur Bekämpfung der wachsenden sozialen Ungleichheiten ist es notwendig, Arbeitsplätze zu schaffen und den Schwerpunkt auf die Qualität der Arbeit zu legen. Gleichzeitig ist das Potenzial der Wirtschaft des Teilens (sharing economy) nicht zu schwächen, sondern auszuschöpfen, und es müssen neue Formen der Beschäftigung bzw. der Arbeit zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt werden, ohne dass dies zu Lasten der Arbeitnehmerrechte und der Sozialschutzsysteme geht.

1.9.

In den letzten acht Jahren wurde das Wachstum im Euro-Währungsgebiet nicht durch ein schwaches Angebot, sondern durch eine schwache Nachfrage beeinträchtigt. Die Anpassung der Arbeitsmärkte erfolgte unausgewogen und asymmetrisch und zumeist über niedrigere Nominal- und Reallöhne und Lohnstückkosten in den von der Krise am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten. Der EWSA gelangt daher zu dem Schluss, dass das Problem des schwachen Aufschwungs nicht allein mit Strukturreformen gelöst werden kann, die darauf abzielen, die Angebotsseite der Wirtschaft zu verbessern und auf diese Weise Investitionen und Wachstum anzukurbeln. Zumindest sollten solche Strukturreformen Priorität haben, die die Nachfrage kurzfristig und selbst unter eingeschränkten Kreditmöglichkeiten für Privathaushalte und Firmen positiv beeinflussen können.

1.10.

Der EWSA fordert auch koordinierte Anstrengungen zur Schaffung eines unternehmensfreundlicheren Umfelds für kleine und mittlere Unternehmen (99 % der EU-Unternehmen sind KMU, die rund 60 % der Arbeitnehmer bzw. rund 65 Mio. Menschen beschäftigen) durch bessere Rechtsetzung und konsequente Entbürokratisierung, die Sicherstellung einer ausreichenden und adäquaten Finanzierung („Access to finance“) (3) sowie eine systematische Erleichterung der Exporte in Märkte außerhalb der Europäischen Union. Dies generiert betriebswirtschaftliche Spielräume für Investitionen in Wachstum und Arbeitsplätze.

1.11.

Der EWSA begrüßt die Initiativen zur KMU-Finanzierung im Rahmen der Kapitalmarktunion. Jedoch müssen insbesondere neue Finanzierungsmöglichkeiten für Kleinst- und Start-up-Unternehmen erschlossen werden wie beispielsweise Seed Capital, Venture Capital, Crowd Investing und Financing und innovative Formen wie Private Equity. In diesem Zusammenhang unterstreicht der EWSA, dass der vorgesehene europäische Risikokapitalfonds eingerichtet werden muss. Es sollte dringend untersucht werden, welche Chancen die neuen Modelle der Banktätigkeit (4) für die Unternehmensfinanzierung in der EU bieten könnten.

2.   Hintergrund

2.1.

Aufbauend auf dem Bericht der fünf Präsidenten über die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion gibt es im Rahmen des Europäischen Semesters einen erneuerten Ansatz zur Stärkung der Integration zwischen dem Euro-Währungsgebiet und den einzelnen nationalen Ebenen. Erstmals legt die Kommission im November zusammen mit dem Jahreswachstumsbericht 2016 eine Empfehlung für das Euro-Währungsgebiet vor. Dadurch sollen die das Euro-Währungsgebiet umfassende und die nationale Dimension der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU besser integriert werden.

2.2.

Ziel ist es, das Europäische Semester so zu strukturieren, dass die Diskussionen und Empfehlungen zum Euro-Währungsgebiet den Diskussionen über die einzelnen Länder vorausgehen, so dass gemeinsamen Herausforderungen bei den länderspezifischen Maßnahmen in vollem Umfang Rechnung getragen wird. Dies ist eine wichtige Änderung gegenüber den vorhergehenden Zyklen des Semesters, in denen die Empfehlungen für das Euro-Währungsgebiet am Ende des Semesters zusammen mit den länderspezifischen Empfehlungen vorgelegt wurden.

2.3.

Die Kommission legte vier Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets vor:

politische Strategien zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung, Förderung der Konvergenz, Begünstigung der Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte und zur Verbesserung der Anpassungsfähigkeit verfolgen;

Reformen durchführen, die folgende Elemente miteinander kombinieren: flexible und verlässliche Arbeitsverträge, umfassende Strategien für lebenslanges Lernen, wirksame Maßnahmen zur Wiedereingliederung Erwerbsloser in den Arbeitsmarkt, moderne Sozialschutzsysteme sowie offene und wettbewerbsfähige Produkt- und Dienstleistungsmärkte; die steuerliche Belastung der Arbeit, insbesondere bei Geringverdienern, haushaltsneutral verringern, um die Schaffung von Arbeitsplätzen zu fördern;

im Jahr 2016 den geplanten weitgehend neutralen haushaltspolitischen Kurs beibehalten; im Hinblick auf das Jahr 2017 unter vollständiger Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts die öffentlichen Schuldenstände verringern, um wieder Kapitalpuffer aufzubauen, und gleichzeitig Prozyklik vermeiden; und

die schrittweise Verringerung notleidender Bankkredite vorantreiben und die Insolvenzverfahren für Unternehmen und Privathaushalte verbessern.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der Entwurf von Empfehlungen für das Euro-Währungsgebiet wird erstmals zu Beginn des Zyklus des Europäischen Semesters veröffentlicht, zusammen mit dem Jahreswachstumsbericht (JWB), dem Warnmechanismus-Bericht (WMB) und dem Entwurf des gemeinsamen Beschäftigungsberichts. Der EWSA stimmt zu, dass dieses neue Vorgehen helfen kann, den das gesamte Euro-Währungsgebiet betreffenden Überlegungen bei der Konzipierung der in den Stabilitätsprogrammen und nationalen Reformprogrammen enthaltenen einzelstaatlichen Politiken besser Rechnung zu tragen.

3.2.

Der EWSA bedauert, dass die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft im Allgemeinen bei der Konzeption des Entwurfs der Empfehlungen für das Euro-Währungsgebiet nicht konsultiert wurden und dass die nationalen Verfahren noch nicht an diese neue Vorgehensweise für das Europäische Semester angepasst wurden. Der soziale Dialog kann im Rahmen des Europäischen Semesters eine treibende Kraft für erfolgreiche, nachhaltige und integrative Reformen in den Bereichen Wirtschaft, Beschäftigung und Soziales sein. Die Sozialpartner sollten auf allen Ebenen mit den entsprechenden Behörden eine echte, rechtzeitige und fundierte Mitwirkung am Europäischen Semester vereinbaren. Außerdem empfiehlt der EWSA für die Zukunft nachdrücklich eine kontinuierliche und enge Zusammenarbeit zwischen der Fachgruppe ECO des EWSA und dem ECON-Ausschuss des EP.

3.3.

Der EWSA unterstützt den Schwerpunkt auf einem koordinierten Ansatz aller Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets, allerdings auch mit übergreifenden geld-, fiskal- und strukturpolitischen/angebotsseitigen Maßnahmen. Darüber hinaus schlägt der EWSA vor, den Schwerpunkt der Strukturreformen auf politische Maßnahmen zu legen, damit die wirtschaftliche Erholung kurzfristig unterstützt werden kann. Was die Flexibilisierung von Arbeitsmärkten betrifft, darf diese nicht wie in früheren Jahren zu einem Verlust an Kaufkraft der Arbeitnehmer führen, um nicht die Binnennachfrage als wesentlichen Wachstumsträger zu gefährden. Das bedeutet, dass der Wettbewerb über Qualitätssteigerung sowie Produktivitätswachstum mittels Innovation und nicht über niedrigere Preise und Löhne zu führen ist.

3.4.

Obwohl der EWSA die enormen Herausforderungen der weiteren Stärkung und Entwicklung des Euro sieht, die jetzt und in naher Zukunft zur langfristigen Sicherung des Euro und des Euroraums erforderlich sein werden, hält er folgende Ziele für erstrebenswert:

Schaffung einer einheitlichen Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets in internationalen Foren (Internationaler Währungsfonds, OECD usw.) (5);

Schaffung einer Euro-Fiskalunion;

Schaffung einer Sozialunion, d. h. die Sozialpartner müssen von der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament bei allen Gesetzgebungsinitiativen noch stärker einbezogen werden.

3.5.

Im Hinblick auf die Halbzeitüberprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) 2014-2020 und erste Überlegungen zum MFR nach 2020 empfiehlt der EWSA, dass das Euro-Währungsgebiet über einen entsprechenden Haushalt verfügen muss. Dieser sollte: a) Mittel für einen zeitlich begrenzten, aber erheblichen Mitteltransfer im Fall regionaler Schocks aufbringen; b) schwere Rezessionen im gesamten Euroraum abfedern und c) die Finanzstabilität gewährleisten. In diesem Sinne braucht das Euro-Währungsgebiet als ersten Schritt hin zu einer Wirtschaftsregierung einen eigenen Finanzminister, der über ein entsprechendes Eigenmittelsystem verfügt, das an den Grundsätzen der Einfachheit, Transparenz, Gerechtigkeit und demokratischen Rechenschaftspflicht ausgerichtet ist.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.    Makroökonomische Ungleichgewichte

4.1.1.

Der EWSA stimmt der Kommission darin zu, dass die Strukturreformen in den Mitgliedstaaten gemäß den länderspezifischen Gegebenheiten fortgesetzt werden sollten, um die Konvergenz zu stärken und die Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte zu erleichtern. Gleichwohl muss zwischen Strukturreformen und produktiven Investitionen, die neue Arbeitsplätze schaffen, ein Gleichgewicht gefunden werden.

4.1.2.

Der EWSA begrüßt die Empfehlung der Europäischen Kommission, dass Mitgliedstaaten mit einem hohen Leistungsbilanzüberschuss vorrangig Maßnahmen umsetzen sollten, die dazu beitragen, überschüssige Ersparnisse in die heimische Wirtschaft zu lenken und auf diese Weise inländische Investitionen fördern. Derartige Maßnahmen sollten sich jedoch nicht auf die Angebotsseite (z. B. Reformen auf den Produktmärkten) beschränken, sondern sich auch auf entschlossenere staatliche Initiativen zu öffentlichen Investitionsoffensiven wie dem Juncker-Plan erstrecken (6).

4.1.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass staatliche Beihilfen insbesondere auf innovative KMU ausgerichtet sein sollten. Bezüglich der Erleichterung des Zugangs solcher Unternehmen zu Finanzierungen liegt es in der Verantwortung des Staates, zum einen Anreizfinanzierungen zu gewähren und zum anderen ein System staatlicher Garantien und Sicherheiten zu errichten. Die einschlägige Interaktion zwischen staatlichen Stellen, KMU und Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist ein wichtiger Bestandteil der Investitionsarchitektur.

4.1.4.

Der EWSA unterstreicht, dass die Exporte ein zentraler Wachstumstreiber für die KMU in der Eurozone sind. Neben dem durch die Geldpolitik der EZB bedingten günstigen Euro-Dollar-Wechselkurs sind Freihandelsabkommen für die Steigerung der Ausfuhren von grundlegender Bedeutung. Wenngleich der EWSA den aktuellen Schwerpunkt auf den TTIP-Verhandlungen unterstützt, empfiehlt er ebenso, ein Abkommen zu schließen, das den Marktzugang für europäische Unternehmen in ihrem Handel mit Schwellenländern mit hohem Wachstumspotenzial erleichtert. Der Schutz der Menschenrechte, der IAO-Normen, der Verbraucherrechte und der in der EU geltenden Umweltvorschriften ist zu gewährleisten.

4.2.    Arbeits-, Produkt- und Dienstleistungsmärkte

4.2.1.

Der EWSA stellt fest, dass zwar laut Bericht der Europäischen Kommission auf den Arbeitsmärkten weiterhin schrittweise Verbesserungen zu verzeichnen sind, dabei jedoch nicht erwähnt wird, dass die Beschäftigungsquote im Euro-Währungsgebiet mit 68,9 % im Jahr 2015 noch immer weit unter dem Kernziel von 75 % der Strategie Europa 2020 liegt. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass nach den von den Dienststellen der Europäischen Kommission vorgelegten Daten (LABREF-Datenbank) kein positiver Zusammenhang zwischen der Zahl der zu einem beliebigen Zeitpunkt durchgeführten Arbeitsmarktreformen (vor oder nach der Krise) und der Entwicklung des Arbeitsmarkts in den Mitgliedstaaten zu bestehen scheint (7).

4.2.2.

Bei Strukturreformen der Arbeitsmärkte müssen soziale Investitionen gefördert werden, d. h. Maßnahmen zur Weiterbildung von Beschäftigten und Arbeitslosen und zur Gewährleistung der finanziellen Absicherung, insbesondere der Arbeitslosen. Ferner unterstützt der EWSA die Senkung der Besteuerung von Arbeit, sofern dies durch andere Einnahmen der öffentlichen Hand ausgeglichen wird. Auf mittlere Sicht kann eine höhere Erwerbsbeteiligung auch zu diesem Prozess beitragen.

4.2.3.

Zur Lösung des europäischen Wettbewerbs- und Nachhaltigkeitsproblems fordert der EWSA die Errichtung einer unternehmensübergreifenden Europäischen Digital-Holding nach dem sehr erfolgreichen Beispiel von Airbus. An dieser multinationalen Zusammenarbeit sind mehrere Tochterunternehmen verschiedener EU-Mitgliedstaaten beteiligt, und sie ist ein zentraler wirtschaftlicher und industrieller Akteur in Europa.

4.2.4.

Schon jetzt stellt die digitale Dominanz der USA eine neue Form der weltweiten Marktbeherrschung dar. Besonders gravierende Auswirkungen zeigen sich im Finanzsektor, wo die großen amerikanischen Investmentbanken bereits engste Kapitalverschränkungen mit den innovativen Unternehmen der Finanztechnologie (Fintechs) eingehen, die wiederum das europäische Modell der klassischen Kundenbanken („Boring Banks“) in ihren Kernfunktionen erfolgreich angreifen.

4.2.5.

Zur Konzeption und Entwicklung der Details eines vergleichbaren Modells einer Europäischen Digitalholding regt der EWSA die kurzfristige Einsetzung einer interdisziplinären Projektgruppe an. Dieser Gruppe unter Einbeziehung des EWSA sollten auch Vertreter der Kommission (Kommissionsmitglied Oettinger) und des Europäischen Parlaments (ITRE-Ausschuss) angehören. Bezüglich der Finanzierung ist es wichtig, dass von Anfang an auf die Vereinbarkeit mit Junckers Investitionsoffensive geachtet wird. Durch eine enge Zusammenarbeit der Kompetenzzentren der Digitalholding mit den KMU selbst werden sich starke Impulse für Wachstum und neue Arbeitsplätze ergeben.

4.3.    Haushaltspolitik

4.3.1.

Der EWSA begrüßt es, dass die Kommission bei der Erarbeitung der Leitlinien für die einzelstaatliche Haushaltspolitik den haushaltspolitischen Kurs des Euro-Währungsgebiets als Ganzes berücksichtigen möchte. Der EWSA stellt jedoch — unbeschadet der Unabhängigkeit der EZB — fest, dass bemerkenswerterweise die geldpolitischen Entwicklungen im Euro-Währungsgebiet bei der Bewertung der Angemessenheit eines neutralen haushaltspolitischen Kurses nicht untersucht worden sind. Dies ist gelinde gesagt ungewöhnlich, haben doch Mitglieder des EZB-Rates wiederholt und öffentlich auf die Haushaltspolitik im Euro-Währungsraum verwiesen (8).

4.3.2.

Dies ist eine beunruhigende Unterlassung, zumal sich der Euroraum derzeit in einer durch stark begrenzte Möglichkeiten geldpolitischer Nachfragestimulation gekennzeichneten Lage befindet. Die Nachfrage ist seit Langem so verhalten, dass die Inflationsrate (selbst unter Bereinigung des Ölpreis-Faktors) weit unterhalb des Zielwerts der EZB von 2 % liegt, wobei der Leitzinssatz der EZB bei annähernd Null liegt und keinen Raum für weitere nennenswerte Senkungen bietet. Die Wirtschaft des Euroraums befindet sich in einer sog. „Liquiditätsfalle“ und es besteht die ernst zu nehmende Gefahr, in eine „Deflationsfalle“ zu geraten, sollte die Inflation nicht bald wieder anziehen. Andernfalls würde die Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets auf viele Jahre hinaus in einer Stagnation verharren, was letztendlich auch die politische Überlebensfähigkeit des Euro gefährdet.

4.3.3.

Die seit Frühjahr 2015 von der EZB ernsthaft verfolgte unkonventionelle Politik der quantitativen Lockerung scheint in Bezug auf die Nachfragebelebung nicht viel bewirkt zu haben (9). Unter diesen Umständen wie auch aufgrund des oben genannten Phänomens der „Hysterese“ (Rezession hat ein geringeres Wachstumspotenzial zur Folge) sind verstärkte fiskalpolitische Maßnahmen zur Wiederankurbelung der Wirtschaft im Euro-Währungsgebiet insgesamt erforderlich (10). Angesichts der haushaltspolitischen Einschränkungen in den Mitgliedstaaten im Süden des Euroraums sollten die Mitgliedstaaten mit unter dem Zielwert liegenden Inflationsraten, niedrigen Kosten der öffentlichen Kreditaufnahme, verhältnismäßig niedrigen Verschuldungsquoten und Leistungsbilanzüberschüssen eine expansive Haushaltspolitik führen, um die Inflation über das EZB-Ziel von 2 % zu bringen. Damit kann die durchschnittliche Inflationsrate im gesamten Euroraum wieder anziehen und sich auf den Zielwert zubewegen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Risiken einer wirtschaftlichen Überhitzung erheblich geringer als die einer anhaltend niedrigen Inflation oder einer Deflation.

4.3.4.

Angesichts der Bedenken bezüglich der Tragfähigkeit der Staatsverschuldung vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung kann und soll eine expansive Fiskalpolitik vor allem in den Mitgliedstaaten mit großen Leistungsbilanzüberschüssen durch die Erhöhung der Ausgaben für öffentliche Investitionen realisiert werden. Steuerliche Anreize mit Schwerpunkt auf öffentlichen Investitionen würden kurzfristig zu einem Anziehen der Nachfrage, aber auch langfristig zu einer Steigerung der Wachstumspotenziale führen. Solche öffentliche Investitionen sollten sich nicht nur auf Infrastrukturen konzentrieren, sondern auch auf Bildung und Qualifikationen („soziale Investitionen“) abzielen.

4.4.    Der Finanzsektor

4.4.1.

Der EWSA fordert die Schaffung eines europäischen Insolvenzrechts, um zum einen die Entschuldung von Privathaushalten zu ermöglichen, und zum anderen Start-ups den Umgang mit unternehmerischem Scheitern zu erleichtern. Dadurch werden die Kaufkraft der Privathaushalte gesteigert und Unternehmensgründungen angeregt.

4.4.2.

Ein noch ungelöstes, aber ernstes Problem ist die Tatsache, dass die Banken im Euroraum immer noch faule Kredite von über 900 Mrd. EUR halten. Erst deren Abbau wird die Banken in die Lage versetzen, ihre Kreditvergabe an Unternehmen und Privathaushalte auszuweiten und so die Wirksamkeit der lockeren Geldpolitik der EZB zu erhöhen, die Wachstumsaussichten zu verbessern und das Vertrauen der Märkte zu stärken. Die einschlägigen politischen und aufsichtsrechtlichen Institutionen des Euro-Währungsraums sollten angehalten werden, entsprechende Konzepte hierfür vorzulegen.

4.4.3.

Es war ein zentrales konsensuales Ziel infolge der Finanzkrise, risikobehaftete Staatsanleihen in den Bilanzen der europäischen Banken deutlich zu verringern. Die derzeitige Lage der meisten Banken zeigt, dass solche Risikopositionen dramatisch zugenommen haben. Der EWSA betont, dass die Reduzierung dieser Risikopositionen in den Bankenbilanzen oberste Priorität haben sollte, um die künftige Stabilität des Banken- und Finanzsektors zu gewährleisten — auch angesichts des jüngsten Vorschlags für das europäische Einlagensicherungssystem (EDIS) (11).

4.4.4.

Der EWSA stellt fest, dass zwecks Realisierung positiver Nachfrageeffekte die Liquidität der Haushalte und Unternehmen nicht eingeschränkt werden sollte. Die Wiederherstellung positiver Kreditströme würde nicht nur die Nachfrage anregen, sondern auch die Wirksamkeit der Geldpolitik der EZB bei der Verbesserung der Wachstumsaussichten und der Stärkung des Marktvertrauens erhöhen. Die einschlägigen politischen und aufsichtsrechtlichen Institutionen des Euro-Währungsraums sollten angehalten werden, entsprechende Konzepte hierfür vorzulegen.

4.4.5.

Ferner fordert der EWSA, die Reformagenda und die Regulierungsstellen auf mehr Transparenz und auf die Beaufsichtigung von Nicht- bzw. Schattenbanken auszurichten, um die Stabilität der Finanzsysteme nachhaltig zu sichern und ihre Funktion für die Realwirtschaft wiederherzustellen, insbesondere im Bereich der Verbriefung (12). Es sollte sichergestellt werden, dass Sicherheiten nicht von Hedgefonds und Finanzinstituten als spekulative Investitionsinstrumente mit renditenmaximierender Zielsetzung („Geierfonds“) eingesetzt werden.

4.4.6.

Da die Finanzkrise hauptsächlich durch die spekulativen Aktivitäten der Investmentbanken ausgelöst wurde, stellt das spekulative Bankgeschäft nach wie vor eine latente Bedrohung der Finanzmarktstabilität dar. Es ist immer noch nicht eingehend untersucht worden, in welchem Maße hochspekulative Handelsaktivitäten wie der Hochfrequenzhandel stattfinden können, wenn doch stabilere Weltmärkte angestrebt werden; es muss strikt getrennt werden zwischen dem risikoarmen Anlage- und Kreditgeschäft zum einen und hochriskanten Geschäften des Investmentbanking zum anderen. Hierzu gibt es bereits eine Reihe von Modellen, wie z. B. das Vickers-Modell oder die Volcker-Rule. Der EWSA empfiehlt die Einführung eines Glass Steagall ACTS in der Europäischen Union, da auf anderen Finanzmärkten (wie dem der USA und den BRICS-Ländern) über deren Wiedereinführung diskutiert wird, um die Stabilität des Bankensektors zu verbessern. Dadurch lassen sich Gefahren für Sparer und Steuerzahler vermeiden.

Brüssel, den 17. März 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Siehe EWSA-Stellungnahmen „Vollendung der WWU — Vorschläge des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses für die nächste europäische Legislaturperiode“ (ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 10) und „Vollendung der WWU — die politische Säule“ (ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8).

(2)  Ebda.

(3)  Stellungnahme des EWSA zum Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion (ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 17).

(4)  Siehe beispielsweise die Bemerkungen in den früheren EWSA-Stellungnahmen „Finanzierungsstrukturen für KMU vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Finanzsituation“ (ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 33) und „Aktionsplan zur Verbesserung des Finanzierungszugangs für KMU“ (ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 45) zum Thema Islamisches Bankwesen.

(5)  Stellungnahme des EWSA zur Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets (siehe Seite 16 dieses Amtsblatts).

(6)  OFCE, ECLM, IMK, AK-Wien, INE-GSEE (2015), Independent Annual Growth Survey 2016, Paris.

(7)  EGI/EGB (2015), Benchmarking Working Europe 2015, Brüssel, EGI (ETUI-Website), S. 26.

(8)  Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Rede von EZB-Präsident Draghi in Jackson Hole vom August 2014 mit dem Titel „Arbeitslosigkeit im Euro-Währungsgebiet“ (https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2014/html/sp140822.de.html).

(9)  http://epthinktank.eu/2015/12/10/the-ecbs-quantitative-easing-early-results-and-possible-risks/

(10)  Theodoropoulou S. (2015) How to avert the risk of deflation in Europe: rethinking the policy mix and European economic governance (Bekämpfung des Deflationsrisikos in Europa — Überdenken des Policy-Mix und der wirtschaftspolitischen Steuerung in Europa), Brüssel, ETUI.

(11)  Stellungnahme des EWSA zum Europäischen Einlagensicherungssystem (siehe Seite 21 dieses Amtsblatts).

(12)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Rechtsrahmen für Verbriefungen (ABl. C 82 vom 3.3.2016, S. 1).


18.5.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 177/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Programm zur Unterstützung von Strukturreformen für den Zeitraum 2017-2020 und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1303/2013 und (EU) Nr. 1305/2013“

[COM(2015) 701 final — 2015/0263 (COD)]

(2016/C 177/08)

Berichterstatter:

Ioannis VARDAKASTANIS

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 2. Dezember 2015 bzw. am 20. Januar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 Absatz 3 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Programm zur Unterstützung von Strukturreformen für den Zeitraum 2017-2020 und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1303/2013 und (EU) Nr. 1305/2013“

[COM(2015) 701 final — 2015/0263 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. März 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 515. Plenartagung am 16./17. März 2016 (Sitzung vom 16. März 2016) mit 153 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt diese Initiative, die es der Europäischen Union erleichtern soll, Strukturreformen in den Mitgliedstaaten durch einen eigens dafür vorgesehenen Finanzierungsmechanismus — das Programm zur Unterstützung von Strukturreformen (SRSP) — zu fördern.

1.2.

Der EWSA bedauert, dass die für diesen Fonds abgestellten Gesamtmittel keineswegs ausreichen, um die makroökonomischen Reformen in der EU zu bewältigen; er bedauert weiterhin, dass das SRSP aus den vorhandenen Mitteln der europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) gespeist werden soll, und ruft dazu auf, zwischen dem Finanzbedarf für technische Unterstützung im Rahmen der ESIF und dem Finanzbedarf für technische Unterstützung im Rahmen des SRSP Ausgewogenheit herzustellen. Der EWSA fordert dazu auf, bei künftigen Reformen des mehrjährigen Finanzrahmens der EU ein eigenständiges Programm zur Unterstützung von Strukturreformen zu schaffen.

1.3.

Um den Erfolg des SRSP zu gewährleisten, empfiehlt der Ausschuss nachdrücklich, dass folgende Vorbedingungen erfüllt werden:

Die Beiträge der Mitgliedstaaten zu den Strukturreformen im Zusammenhang mit dem SRSP sollten unter die „Strukturreformklausel“ des Stabilitäts- und Wachstumspakts fallen.

Die Teilnahme der Mitgliedstaaten am SRSP ist freiwillig und bringt keine obligatorischen, stigmatisierenden Verfahren mit sich.

Es müssen zentrale Stellen benannt werden, die die gegenseitige Ergänzung der Programme und Fonds sowie die bessere Nutzung der Mittel sicherstellen, damit keine Doppelgleisigkeiten entstehen.

1.4.

Der EWSA dringt auf die Einbeziehung der Sozialpartner und der zivilgesellschaftlichen Organisationen in das SRSP. Dadurch soll Folgendes sichergestellt werden:

Fördermaßnahmen sollten nach umfassender Konsultation der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft und im Einklang mit den einzelstaatlichen Vorschriften sondiert und eingeleitet werden.

Es sollten stringentere Bestimmungen aufgenommen werden, welche die Einbindung der Sozialpartner und Vertreter der Zivilgesellschaft in die Konzipierung und Überwachung der reformpolitischen Programme auf allen Ebenen — also der nationalen, regionalen und lokalen Ebene — vorsehen.

Der Kapazitätsaufbau aufseiten der sozialen und zivilgesellschaftlichen Akteure, die an den Reformprogrammen beteiligt sind, sollte zu den förderfähigen Maßnahmen hinzugenommen werden.

1.5.

Der EWSA unterstreicht, dass auf der Grundlage der Verteilung der Befugnisse und Zuständigkeiten in jedem Mitgliedstaat sowie der länderspezifischen Empfehlungen, die oft an die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften gerichtet sind, das Programm für die Regionen und Kommunen zugänglich sein muss und Letztere direkt in die Planung des jeweiligen strukturellen Reformvorhabens eingebunden werden müssen.

1.6.

Der EWSA bedauert die augenscheinliche Unzulänglichkeit der Liste der Indikatoren; sie müsste sowohl aktualisiert als auch um die bestehenden Indikatoren, die für die ESIF verwendet werden, ergänzt werden.

1.7.

Der EWSA betont, dass „Einzelziele und Anwendungsbereich des Programms“ von den Mitgliedstaaten auf weitere Politikbereiche ausgedehnt werden können, darunter Armutsbekämpfung, Menschenrechte, Verkehrspolitik, IKT und Umsetzung der Ziele für die nachhaltige Entwicklung.

1.8.

Der EWSA meint, dass für das SRSP die bestehenden Mechanismen zur Überwachung der ESIF eingesetzt werden könnten, damit eine solide Überwachung und Bewertung sowie eine bessere Verzahnung mit den ESIF ermöglicht werden und bereits geschaffene Kontrollmechanismen einen möglichst hohen Nutzen erbringen.

1.9.

Zu diesem Zweck unterstützt der EWSA die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1303/2013 und (EU) Nr. 1305/2013 — vorausgesetzt jedoch, dass sie eine Bestimmung enthalten, die den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft in Bezug auf die Mittel, die in das neue Programm fließen, eine Mitgestaltung zusichert, und dass dieselben Überwachungsmechanismen wie in der Allgemeinen Verordnung zu den ESIF vorhanden sind.

1.10.

Der EWSA sieht in kleineren Unterstützungsmaßnahmen nur eine Art Nothilfe. Um die Probleme zu lösen, die sich im Zuge der anhaltenden Krise aufgetan haben, wäre es an der Europäischen Kommission und den nationalen Regierungen, den wirtschaftspolitischen Ansatz zu überdenken, der im Euroraum seit Beginn der Krise gefahren wird. Dies ist der einzige Weg, um die Strukturreformen voranzubringen, die bisherigen Schäden zu vermeiden und zu verhindern, dass sich die Europäer von der EU abwenden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Europäische Union einen zusätzlichen Nutzen zu den politischen Reformen auf nationaler Ebene beisteuern kann, und begrüßt daher die Initiative, die die Fähigkeit der EU zur Unterstützung politischer Reformen im Zusammenhang mit der wirtschaftspolitischen Steuerung (insbesondere den länderspezifischen Empfehlungen), den wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen sowie den Reformen verbessern, die die Mitgliedstaaten von sich aus unternehmen, wie in Artikel 3 des vorliegenden Vorschlags ausgeführt wird.

2.2.

Der EWSA meint, dass sich die Hilfsprogramme für Griechenland (Task Force für Griechenland) und Zypern (Unterstützungsgruppe für Zypern) für die betreffenden Länder bewährt haben und dass die Möglichkeit eines Einsatzes eines solchen Unterstützungsmechanismus für alle Mitgliedstaaten die Gesamtkapazität für institutionelle, strukturelle und administrative Reformen verbessern würde.

2.3.

Zu seinem Bedauern muss der EWSA jedoch feststellen, dass in der Vergangenheit die Kapazität der EU, technische Hilfe für politische Reformen zu leisten, reduziert wurde. Dies hatte zur Folge, dass die EU nicht in der Lage war, schnell genug in Situationen zu handeln, die politische Reformen in Krisenzeiten erfordert hätten, und andere internationale Organisationen in die Bresche springen und die Führung übernehmen mussten.

2.4.

Der EWSA bedauert weiterhin, dass das nun vorgeschlagene Programm aus bereits bestehenden Fonds der EU gespeist werden soll, anstatt als eigenständiges Programm ausgestaltet zu werden, das nicht auf Kosten anderer, auf Strukturreformen abzielender EU-Fonds geht. Darüber hinaus befürchtet der EWSA, dass die SRSP-Initiative aufgrund ihrer finanziellen Beschränkungen in der derzeit geplanten Form nicht den Erfordernissen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die technische Unterstützung gerecht werden kann.

2.5.

Der EWSA warnt davor, überzogene Hoffnungen auf dieses Programm für technische Hilfe zu setzen — es sollte als ein Ansatzpunkt gesehen werden, um den Mitgliedstaaten Hilfestellung bei der Erreichung eines makroökonomischen Gleichgewichts im Rahmen des Europäischen Semesters zu leisten. Die unzureichende Mittelausstattung lässt keine echten Impulse gegen die makroökonomischen Probleme zu, die von den Mitgliedstaaten im Streben nach Konvergenz bewältigt werden müssen.

2.6.

Der EWSA betont außerdem, dass die Bemühungen der Mitgliedstaaten um Strukturreformen im SRSP-Zusammenhang unter die „Strukturreformklausel“ des Stabilitäts- und Wachstumspakts fallen sollten, weil sie der Ankurbelung des Wachstums, der Bekämpfung der Armut und der Förderung von Beschäftigung und Wohlstand dienen.

2.7.

Der EWSA hält ein Umdenken für wichtig, damit es zu einer neuen Sicht der Strukturreformen kommt, um Stigmatisierungen oder Sanktionen zu vermeiden und zu verhindern, dass sie zu einer bürokratischen Falle werden. Der neue Ansatz soll Reformen und das Verständnis zwischen den Ländern fördern; der EWSA begrüßt daher die positive Herangehensweise und die Freiwilligkeit in Bezug auf diesen Mechanismus, wodurch gewährleistet werden soll, dass das Programm nicht als Kontrollinstrument bzw. Instrument eingesetzt und/oder wahrgenommen wird, das den nationalen Behörden ihre Verantwortung für die Reformvorhaben abnimmt. Er weist jedoch darauf hin, dass die Länder verpflichtet sind, die Förderung und den Erfolg des Programms durch eine solide, demokratische und verantwortungsvollen Berichterstattung zu dokumentieren.

2.8.

Der EWSA begrüßt einen Einsatz des Programms zur Unterstützung von Strukturreformen (SRSP) auf einzelstaatliches Ersuchen, weist allerdings darauf hin, dass bei der Auswahl und Initiierung der Unterstützung eine breitere Konsultation der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft im Einklang mit den nationalen Bestimmungen gewährleistet werden muss.

2.9.

Der EWSA unterstreicht, dass auf der Grundlage der Verteilung der Befugnisse und Zuständigkeiten in jedem Mitgliedstaat sowie der länderspezifischen Empfehlungen, die oft an die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften gerichtet sind, das Programm für die Regionen und Kommunen zugänglich sein muss. Weiterhin ersucht der EWSA die Kommission zu prüfen, ob Anträge der nationalen Behörden auf technische Unterstützung die Zuständigkeitsbereiche der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften betreffen und ob Letztere unmittelbar in die Planung eines strukturellen Reformvorhabens einbezogen wurden und es gutgeheißen haben.

2.10.

Der EWSA begrüßt zudem den proaktiven Ansatz des SRSP, der es ermöglicht, alle Mitgliedstaaten unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation zu unterstützen, wobei er unterstreicht, dass das Programm als ein Mechanismus für die langfristige strukturelle Förderung und nicht nur als bloße Reaktion auf wirtschaftliche und/oder politische Krisen gesehen werden muss.

2.11.

Nach Auffassung des EWSA muss Artikel 5 „Einzelziele und Anwendungsbereich des Programms“ eine offene Liste sein, damit bei politischen Reformen die erforderliche Flexibilität gewahrt werden kann. Der EWSA hält die vorgeschlagene Liste zwar für recht umfassend, plädiert jedoch dafür, noch weitere Politikbereiche hinzuzunehmen, darunter Armutsbekämpfung, Förderung der Menschenrechte, Verkehrspolitik, IKT und Umsetzung der Ziele für die nachhaltige Entwicklung durch die Mitgliedstaaten.

2.12.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Politik der Europäischen Union unter aktiver Beteiligung der Allgemeinheit gestaltet werden muss, denn in Bezug auf die europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) gilt, dass „Partnerschaften, die alle Partner im Sinne der Definition unter Artikel 5 Absatz 1 der Allgemeinen Verordnung in die Vorbereitung, Durchführung und Ex-post-Evaluierung der im Rahmen der EU-Kohäsionspolitik durchgeführten Projekte einbeziehen, unmittelbar zu deren Erfolg beitragen.“ Der EWSA ist daher der Auffassung, dass das neue SRSP Bestimmungen für eine schlüssigere Einbindung der Sozialpartner und der Vertreter der Zivilgesellschaft in die Konzipierung der reformpolitischen Programme auf allen Ebenen — also der nationalen, regionalen und lokalen Ebene — beinhalten sollte. Dies wird dazu beitragen, die Kluft zwischen den politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit zu schließen.

2.13.

Nach Auffassung des EWSA könnten im Zusammenhang mit dem SRSP die bestehenden Mechanismen zur Überwachung der ESIF eingesetzt werden, damit eine bessere Überwachung und Bewertung sowie eine bessere Abstimmung mit den ESIF ermöglicht werden und die bereits eingesetzten Kontrollmechanismen einen möglichst hohen Nutzen erbringen.

2.14.

Der EWSA ist der Ansicht, dass das SRSP im Einklang mit der Allgemeinen Verordnung zu den ESIF (außer Artikel 25, 58 und 91) umzusetzen ist, die eine umfassendere Unterstützungsstruktur als das derzeit vorgeschlagene Programm vorsieht.

2.15.

Der EWSA empfiehlt, den Aufbau der Kapazitäten sozialer und zivilgesellschaftlicher Akteure, die an den Reformprogrammen beteiligt sind, zu den förderfähigen Maßnahmen (Artikel 6) hinzuzunehmen.

2.16.

Es ist aus Sicht des EWSA darauf zu achten, dass die neuen, aus den ESIF bereitgestellten Mittel ausgewogen zur Deckung des Finanzbedarfs für technische Hilfe im Rahmen der ESIF sowie zur Deckung des Finanzbedarfs für technische Unterstützung für das SRSP eingesetzt werden, damit bei beiden Fonds die entsprechende Kapazität für technische Hilfe gegeben ist.

2.17.

Der EWSA würdigt die Bedeutung des im SRSP gewählten bereichsübergreifenden Ansatzes zur Förderung von Reformen, fordert jedoch die EU und die nationalen Behörden auf, Überschneidungen mit sektorspezifischen Programmen zu vermeiden. Aus diesem Grund sieht der EWSA die Notwendigkeit, zentrale Stellen zu schaffen, die darüber wachen, dass sich die Programme und Fonds ergänzen und verfügbare Mittel besser und ohne Doppelgleisigkeiten genutzt werden. Artikel 13 sollte nachgebessert werden, um weitere Elemente in den Koordinierungsmechanismus aufzunehmen.

2.18.

Der EWSA würde künftig gern über die Einzelheiten der Koordinierungsmechanismen, die für diesen Fonds geschaffen werden, informiert werden.

2.19.

Der EWSA bedauert, dass die Liste der Indikatoren unzureichend erscheint; er unterstreicht die Wichtigkeit geeigneter Indikatoren für die Überwachung und Bewertung des Programms, weist aber darauf hin, dass im Rahmen der ESIF eine umfangreiche Palette von Indikatoren zur Verfügung steht, die die im Zusammenhang mit dem SRSP vorgeschlagenen Indikatoren ergänzen könnten. Die Indikatoren der EU zur Messung der Reformwirkung müssen aktualisiert werden, um die Reformerfolge bewerten und sie in den Kontext des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts einordnen zu können. Außerdem sollten die Indikatoren Aufschluss darüber liefern, ob sich die Reformwirkung auf die nationale Ebene beschränkt oder einen tatsächlichen europäischen Mehrwert ergibt.

2.20.

Der EWSA begrüßt die Regelung, wonach der Kofinanzierungssatz bis zu 100 % der förderfähigen Ausgaben betragen kann, weil dies den Zugang der Mitgliedstaaten zu dem Programm erleichtert.

2.21.

Der EWSA betrachtet das SRSP als einen ersten Schritt, an den sich jedoch eine weitere Konsolidierung und Verstärkung im Zuge künftiger Reformen des mehrjährigen Finanzrahmens der EU anschließen müssen, um ein eigenständiges Programm zu schaffen, das nicht aus bestehenden EU-Fonds gespeist werden muss.

2.22.

Zu diesem Zweck unterstützt der EWSA die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1303/2013 und (EU) Nr. 1305/2013 und empfiehlt zugleich nachdrücklich, die Schlussfolgerungen und Empfehlungen dieser Stellungnahme zu berücksichtigen.

2.23.

Nach Ansicht des EWSA sollte in den geänderten Verordnungen allerdings vorgesehen werden, dass für die zu neuen Programmen transferierten Mittel dieselben Mitwirkungserfordernisse gelten und sie dem gleichen Kontrollmechanismus unterliegen wie die ESIF. Dies sollte sich außerdem in der vorgeschlagenen SRSP-Verordnung niederschlagen und der derzeitige Text dahin gehend geändert werden, dass bestimmte Bestimmungen und Verweise auf die Allgemeine Verordnung zu den ESIF und deren Überwachungssystem eingebaut werden.

Brüssel, den 16. März 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


18.5.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 177/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Umsetzung der Europäischen Sicherheitsagenda: EU-Aktionsplan gegen den unerlaubten Handel mit Feuerwaffen und Explosivstoffen und deren unerlaubte Verwendung

[COM(2015) 624 final]

und zu dem

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung

[COM(2015) 625 final — 2015/0281(COD)]

(2016/C 177/09)

Berichterstatter:

Cristian PÎRVULESCU

Die Europäische Kommission beschloss am 22. Dezember 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Umsetzung der Europäischen Sicherheitsagenda: EU-Aktionsplan gegen den unerlaubten Handel mit Feuerwaffen und Explosivstoffen und deren unerlaubte Verwendung

[COM(2015) 624 final]

und

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Terrorismusbekämpfung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung

[COM(2015) 625 final — 2015/0281(COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 24. Februar 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 515. Plenartagung am 16./17. März 2016 (Sitzung vom 17. März) mit 145 Stimmen ohne Gegenstimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ruft die Mitgliedstaaten auf, ihre Mittel zu bündeln, um den illegalen Handel mit Feuerwaffen und Munition sowie den Terrorismus zu bekämpfen. Die Intensivierung von Schutzmaßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene kann allerdings eine kumulative Wirkung entfalten, die sich insgesamt negativ auf die Wahrung der Grundrechte auswirken kann. Solche Beeinträchtigungen würden bedeuten, dass die Europäische Union ihren eigentlichen Zweck verfehlt.

1.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Richtlinienvorschlag und die Mitteilung notwendig sind, um Europa für alle hier lebenden Menschen sicherer zu machen, da die Bekämpfung des Terrorismus in der gemeinsamen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der Union liegt. Hier stellt sich die Frage möglicher rechtlich bindender Maßnahmen, die den Mitgliedstaaten mit der Richtlinie auferlegt werden könnten. Es liegt in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, alle Möglichkeiten zur Prävention und Bekämpfung jeglicher Form der organisierten Kriminalität und insbesondere des Terrorismus ungeachtet seiner Motive auszuschöpfen. Ebenso liegt es in der Verantwortung der Organe der EU, zur Koordinierung und Harmonisierung der Anstrengungen beizutragen, die zur Begrenzung der Ausbreitung dieser Art von Gewaltverbrechen notwendig sind.

1.3.

Der EWSA weist nachdrücklich darauf hin und fordert ein, dass das jedem Rechtsstaat zwingend innewohnende Verhältnismäßigkeitsprinzip von allen Staatsorganen und Gerichten eingehalten wird. Um Fehlinterpretationen oder Missbräuchen der notwendigen Schutzmaßnahmen vorzubeugen, stellt der EWSA in Übereinstimmung mit der Resolution 1566 des UN-Sicherheitsrates fest, dass Terror-Vorwurf immer nur erhoben werden kann, wenn es das Ziel von Androhungen oder Handlungen mit Tötungs- oder schwerer Körperverletzungsabsicht, zur Geiselnahme oder schwerer Schädigung von Infrastruktureinrichtungen ist, einen Zustand des Schreckens hervorzurufen, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder etwa eine Regierung zu nötigen.

1.4.

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind Teil umfassenderer und aufgrund der derzeitigen Bedingungen der internationalen Politik heiklen Bemühungen, auf eine besondere Bedrohung zu reagieren, die ihrem Wesen nach auf die Grundfesten des europäischen demokratischen Systems abzielt. Die Verbreitung von Angst, die Spaltung der öffentlichen Meinung, die Verbreitung von Vorurteilen über bestimmte Personengruppen, die Störung des Gleichgewichts zwischen den Einrichtungen der Staatsgewalt und die Stärkung der Strafverfolgungsbehörden zum Nachteil der demokratisch-repräsentativen Kräfte sind zusätzliche Auswirkungen der Terroranschläge, die mit Entschlossenheit und Weitsicht angegangen werden müssen. Der EWSA ist überzeugt, dass sich Sicherheit und Freiheit in Europa miteinander vereinbaren lassen.

1.5.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass es für eine Demokratie gefährlich ist, für alle potenziellen Straftaten vorsorglich Gesetze zu erlassen (Kriminalisierung von Verstößen oder Straftaten, die noch nicht begangen wurden). Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe i des Vorschlags muss gestrichen werden, damit Recht und Sicherheit nicht miteinander verwechselt werden. Ebenso werden in Artikel 15 des Richtlinienvorschlags weder die Grundfreiheiten noch die Unschuldsvermutung garantiert. Zudem ist der EWSA besorgt im Hinblick auf die Frage des Nachweises einer Absicht und meint, dass alle in den Artikeln 5 bis 13 aufgelisteten Fälle einem Richter vorgelegt werden müssen, bevor die Vorwürfe als bestätigt angesehen werden können.

1.6.

Der EWSA vertritt den Standpunkt, dass die Entwicklung von Instrumenten für die Prävention von Radikalisierung als Teil eines umfassenderen Programms, das die sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, religiösen und politischen Gründe für die Ausbreitung dieser Art von Bedrohung berücksichtigt, zu begrüßen ist und mit den Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus sowie der Bestrafung entsprechender Verbrechen abgestimmt werden sollte. Eine Radikalisierung ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einem Hang oder einer Aufstachelung zur Gewalt. Vorbeugende Maßnahmen und Programme müssen auf die Einzelnen und Gruppen zugeschnitten sein, die am ehesten zur Anwendung von Gewalt neigen, um Terror zu verbreiten. Der Zivilgesellschaft kommt eine unverzichtbare Rolle hinsichtlich der Umstände zu, die der Radikalisierung und dem Hang zur Gewaltanwendung Vorschub leisten.

1.7.

Neben der Verdeutlichung von Rechtsvorschriften und bei der Verbesserung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den oben genannten Bereichen besteht Bedarf an einer Koordinierung der europäischen Außenpolitik in Bezug auf den Nahen Osten und Nordafrika, wo sich die Lage in letzter Zeit stark gewandelt hat und für viele von Gewalt geprägt ist, die in einigen Fällen zu Instabilität und Konflikten geführt hat. Die Zuspitzung der Bedrohung durch den Terrorismus in den letzten Jahren ist den aktuellen Konfliktzonen geschuldet, die für viele Europäerinnen und Europäer zum Drehkreuz für eine entsprechende Beeinflussung und Ausbildung wurden. Anhaltende — offene oder schwelende — Konflikte in der Region befördern ebenfalls eine Mobilisierung von Gruppen und Einzelnen für die Vorbereitung von Terroranschlägen. Der EWSA ist der Auffassung, dass unbedingt mehr Einsatz gezeigt werden muss, wenn es um Stabilisierung, Entwicklung und Demokratisierung in dieser Region geht. Der Bekämpfung von Armut, Korruption und politischer und sozialer Ausgrenzung muss Vorrang gegeben werden.

1.8.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen vor allem den Zugang zu Feuerwaffen, Munition und Explosivstoffen beschränken sollten. Die jüngst in Europa verübten Anschläge haben gezeigt, dass die in diesem Umfeld aktiven Personen gefährliche Feuerwaffen auf dem Schwarzmarkt erworben haben, wo es ein umfangreiches Angebot gibt. Verbindungen zwischen Terrorgruppen und dem Milieu der organisierten Kriminalität stellen eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Europas und von Drittländern dar.

1.9.

Der EWSA spricht sich für die Klarstellung der Rechtsvorschriften über Terroropfer aus. Ihnen muss schnell und wirksam geholfen werden, und zwar nicht nur unmittelbar nach einem Anschlag, sondern auch mittel- und langfristig. Ferner ist es notwendig, die sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Folgen von Terroranschlägen auf Bevölkerungsgruppen, Einzelpersonen und Wirtschaftszweige besser zu verstehen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, diese Aspekte zu analysieren und auf der Grundlage der Ergebnisse die erforderlichen Maßnahmen vorzuschlagen. Die jüngsten Attentate drohen Wirtschaftszweige wie den Tourismus und das Transportwesen zu beeinträchtigen; es ist Sache der europäischen und nationalen Behörden, entsprechende Förderprogramme aufzulegen. Der EWSA weist darauf hin, dass die Vorbeugung und Bekämpfung des Terrorismus mit Kosten verbunden ist, weshalb die Europäische Union eine finanzielle Unterstützung für die entsprechenden nationalen Bemühungen erwägen sollte.

2.   Der aktuelle Kontext: das Bedürfnis nach mehr Sicherheit mit der Wahrung der Grundrechte in Einklang bringen

2.1.

Wie bereits in seinen Stellungnahmen zum Haager Programm, dem Stockholmer Programm und der Kommissionsmitteilung „Ein offenes und sicheres Europa“ zum Ausdruck kommt, ist der EWSA der Auffassung, dass der Schutz der Grundrechte gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Ausgangspunkt und die Grundlage einer Politik der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sein muss (1).

2.2.

Zur Bekämpfung des Terrorismus hält es der EWSA vor dem derzeitigen internationalen Hintergrund für logisch, den geltenden Rechtsrahmen dahingehend zu überarbeiten, dass Handlungen im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten als Straftaten betrachtet werden. Der EWSA stellt fest, dass in dem Abschnitt des Richtlinienentwurfs, in dem die Grundrechte behandelt werden (Abschnitt 3 der Begründung), die Notwendigkeit des Ausschlusses jedweder Form von Willkür genannt wird, und verweist wie bereits in früheren Stellungnahmen zu diesem Thema darauf, dass die Priorität auf den Grundrechten sowie der Notwendigkeit liegen muss, angesichts der terroristischen Bedrohungen ein solides und gut funktionierendes demokratisches Klima zu erhalten (2).

2.3.

Der EWSA hebt die Bedeutung der Beibehaltung des Schengen-Raums hervor, mit dem die Grundsätze des Vertrags verwirklicht werden. Er ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, keinerlei Maßnahmen zur Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb der EU das Wort zu reden.

2.4.

Im Bewusstsein der großen Herausforderungen im aktuellen geopolitischen Kontext stellt der EWSA fest, dass der Richtlinienvorschlag keine ausreichend klaren Definitionen enthält, um die Rechte der Bürger gemäß der im Vertrag verankerten Charta der Grundrechte zu gewährleisten. Der EWSA weist darauf hin, dass der Interpretationsspielraum der Begriffe viel zu groß ist und dass diese unter den gegebenen Umständen nicht von Richtern, sondern der Staatsanwaltschaft und den Ordnungskräften interpretiert werden. Der Ausschuss befürchtet, dass man sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene der Versuchung erliegt, außergewöhnliche Maßnahmen in das allgemeine Recht einfließen zu lassen, wie es der Vorschlag einer solchen Richtlinie in einem Bereich der geteilten Zuständigkeit vermuten lässt.

2.5.

Der EWSA begrüßt die Einführung interoperabler digitaler Informationssysteme, insofern ihre Konzipierung zur erfolgreichen Bekämpfung des Terrorismus beiträgt. In diesem Zusammenhang ist er der Ansicht, dass das Schengener Informationssystem SIS eine wichtige Säule des Informationsmechanismus der Union ist, weshalb er empfiehlt, alle Anstrengungen zu unternehmen, damit alle Mitgliedstaaten daran teilnehmen.

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

3.1.    Der EU-Aktionsplan gegen den unerlaubten Handel mit Feuerwaffen und Explosivstoffen und deren unerlaubte Verwendung

3.1.1.

Allgemeine Bemerkungen

3.1.1.1.

Der EWSA begrüßt die in der Mitteilung dargelegten Vorschläge. Die institutionelle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten muss deutlich verbessert werden, sowohl in Bezug auf den Informationsaustausch als auch die Zusammenführung der bestehenden Datenbanken. Die Ausbildungsprogramme für das Personal nationaler Behörden, die bisher keine Priorität hatten, sollten besondere Erwähnung finden.

3.1.1.2.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Interoperabilität von Datenbanken und eine an nationale Behörden gerichtete Aufforderung zur Erhebung entsprechender Daten unerlässliche Elemente einer korrekten Analyse der Überwachung der Verwendung von Feuerwaffen und Explosivstoffen sind.

3.1.1.3.

Der EWSA begrüßt die Aufmerksamkeit, die der notwendigen Erschwerung der unerlaubten Beschaffung von Feuerwaffen über das Internet (den allgemein zugänglichen Teil oder das „Darkweb“) ebenso wie den Gefahren gewidmet wird, die technische Innovationen wie der 3D-Druck darstellen.

3.1.1.4.

Auch wenn es weiterer Anstrengungen sowohl beim Einsatz von Aufdeckungstechnologien als auch bei der Standardisierung ihrer Verwendung bedarf, verweist der Ausschuss auf die Gefahr, dass ein „Markt“ für diese Technologien geschaffen wird. Falls Wirtschaftsteilnehmer diese Technologien auf den Markt bringen wollen, könnten sie versucht sein, die möglichen Sicherheitsgefahren zu übertreiben, wodurch sie möglicherweise ein Gefühl der Angst unter den Bürgerinnen und Bürgern verbreiten würden. Der EWSA steht einer generellen Anwendung von Aufdeckungstechnologien ablehnend gegenüber, befürwortet jedoch deren selektiven Einsatz je nach Bedarf und Gefahrenlage.

3.1.1.5.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, eine enge Zusammenarbeit zwischen Europol, Interpol, den wesentlichen Akteuren von iTrace und sonstigen zuständigen Stellen — etwa den Zollbehörden und den für die Ausstellung der Ein- und Ausfuhrlizenzen von Feuerwaffen zuständigen Behörden — zu gewährleisten, um die operative Zusammenarbeit und die Rückverfolgbarkeit zu optimieren und durch präventive Maßnahmen zu verhindern, dass Feuerwaffen auf den Schwarzmarkt gelangen.

3.1.1.6.

Der EWSA begrüßt die Absicht, die operativen Tätigkeiten zu stärken, den Anwendungsbereich des Aktionsplans zwischen der EU und Südosteuropa auszuweiten und die Zusammenarbeit mit den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas (der sog. MENA-Region) zu vertiefen. Die Zusammenarbeit mit Drittländern ist in diesem Bereich besonders wichtig.

3.1.1.7.

Der EWSA weist darauf hin, dass es in den meisten dieser Länder Schwierigkeiten institutioneller Art gibt, insbesondere in Bezug auf die Integrität der Polizeikräfte. Zusätzlich zur Zusammenarbeit auf dem speziellen Gebiet der Feuerwaffen muss die Europäische Union die institutionellen Reformen in diesen Ländern fördern und unterstützen.

3.2.

Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung

3.2.1.

Allgemeine Bemerkungen

3.2.1.1.

Nach Ansicht des EWSA müssen die Gesetze und institutionellen Verfahren ständig den sicherheitsrelevanten Entwicklungen und Gefahren angepasst werden. Die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, dass der Terrorismus aufgrund der Kommunikationsinfrastruktur und der Konflikte im Nahen Osten und in Nordafrika zu einem internationalen Problem geworden ist.

3.2.1.2.

Finanzierung, Ausbildung, Anstiftung und Reisen zum Zweck des Mitwirkens in terroristischen Gruppen sind allesamt Handlungen, die in einem engen Zusammenhang mit den eigentlichen Terrorakten stehen. Der EWSA fordert die Organe und Einrichtungen der EU und die Mitgliedstaaten auf, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, wobei die Bestrafung und Bekämpfung solcher Handlungen in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Taten und zum entsprechenden Vorsatz stehen sollte.

3.2.1.3.

Ebenfalls begrüßenswert ist es, dass Handlungen unter Strafe gestellt werden sollen, durch die terroristische Straftaten gefördert oder koordiniert werden; diese Handlungen werden oftmals von Personen vorgenommen, die sich nicht unmittelbar an der Durchführung von Anschlägen beteiligen, sondern als Mittelsmänner fungieren.

3.2.1.4.

Gleichzeitig zeigt sich der EWSA besorgt in Bezug auf die Kapazität und die unterschiedliche Bereitschaft der Mitgliedstaaten, die Grundrechte zu schützen und dafür zu sorgen, dass die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und die internationalen Verträge in der Praxis eingehalten werden. Die Verhängung des Ausnahmezustands in Frankreich nach den Terroranschlägen Ende letzten Jahres ermöglichte es dem französischen Staat, Maßnahmen zu ergreifen, die von Organisationen der Zivilgesellschaft aus grundrechtlicher Sicht kritisiert wurden (3). Der EWSA ruft die nationalen Behörden dazu auf, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben auf Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit zu achten sowie Aktionen zu vermeiden, mit denen möglicherweise das Gegenteil des beabsichtigten Effekts erreicht wird. Bei der Prävention und Bekämpfung von Terrorismus müssen die Rechtsstaatlichkeit, die Grundrechte und die internationalen Verträge geachtet werden. Der EWSA hält es für notwendig, eine Form der kontinuierlichen Beobachtung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Terrorismus einzuführen, weshalb er die Europäische Kommission auffordert, Verfahren vorzusehen, mit denen eventuelle Entgleisungen entdeckt und korrigiert werden können. Eine Möglichkeit bestünde in der Nutzung des von der Europäischen Kommission eingerichteten Mechanismus zur Überprüfung der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, mit dem Verstöße erkannt werden können und der Verfahren für die entsprechende Korrektur vorsieht.

3.2.1.5.

Zur Gewährleistung einer wirksamen Koordinierung der Bemühungen um Prävention und Bekämpfung des Terrorismus sowie die Bewältigung seiner Auswirkungen ebenso wie einer einheitlichen Handhabung auch in Bezug auf die Achtung der Grundrechte fordert der EWSA die Europäische Kommission und die anderen EU-Organe auf, die Schaffung einer Europäischen Agentur für Terrorismusbekämpfung zu erwägen.

3.2.2.

Besondere Bemerkungen

3.2.2.1.

Hinsichtlich der Definition „terroristischer Straftaten“ (Titel II, Artikel 3) besteht die Gefahr, dass die Definition von Terrorismus und von Handlungen, die in Verbindung zu Terrorismus stehen, zu weit greift.

3.2.2.2.

So können gemäß Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe d „schwerwiegende Zerstörungen an (…) einer Infrastruktur einschließlich eines Informatiksystems“ als Terrorismus betrachtet werden. Hierbei ist nicht deutlich, ob illegale computergestützte Handlungen (Hacks) als terroristische Handlung angesehen werden können. Es gibt Fälle, in denen durch Handlungen dieser Art Dokumente von öffentlichem Interesse zugänglich gemacht werden sollen, die jedoch — selbst wenn Entwendung und Veröffentlichung solcher Dokumente strafbare Handlungen darstellen — nicht der üblichen Definition von Terrorismus entsprechen.

3.2.2.3.

Und in Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe i wird festgelegt, dass die „Drohung, eine [terroristische] Straftat zu begehen“, an sich bereits als terroristische Straftat gilt. Diese Bestimmung ist äußerst heikel, insbesondere dann, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wird. Eine Drohung kann nicht einer Handlung gleichgestellt werden, da sie eine Eventualität, nicht jedoch eine tatsächliche Handlung darstellt. Der EWSA schlägt vor, den Buchstaben i von Artikel 3 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags zu streichen.

3.2.2.4.

In Bezug auf die „öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat“ (Titel III, Artikel 5) ist die Definition der Straftat unklar. Angesichts von Presse- und Meinungsfreiheit ist unklar, unter welchen Bedingungen die Information der Öffentlichkeit über einen Terroranschlag nicht mehr nur als Information, sondern bereits als Aufforderung gilt. Gleichfalls ist es angesichts der Entwicklung der sozialen Medien — in denen jeder Nutzer auch zum Urheber von Inhalten wird — äußerst schwierig, genau festzustellen, was Information und was eine Aufforderung ist.

3.2.2.5.

Im Hinblick auf die strafrechtliche Verfolgung von „Auslandsreisen für terroristische Zwecke“ (Titel III, Artikel 9) mangelt es erheblich an Klarheit in Bezug auf die Definition des Begriffes „terroristische Zwecke“. Klarheit herrscht nur, wenn es um die Organisation eines Anschlags oder die Teilnahme an einer entsprechenden Ausbildung geht; absolut unklar ist die Situation jedoch, wenn es um Personen geht, die an einem Aufstand, einer bewaffneten Rebellion oder einem Bürgerkrieg teilnehmen, wie es etwa in Syrien oder Libyen der Fall ist. Gilt die Teilnahme an einem quasi konventionellen Krieg als einem terroristischen Zweck dienend (4)? Ferner kann es Fälle geben, in denen sich europäische Kämpfer aufständischen Gruppen anschließen, die von der nationalen Regierung des Landes, in deren Hoheitsgebiet sie kämpfen, oder von Regierungen von Drittstaaten als terroristische Gruppen klassifiziert werden.

3.2.2.6.

In diesem Zusammenhang ist es ebenfalls schwierig, festzulegen, welche Vereinigung als „terroristisch“ eingestuft wird. Das Problem stellt sich nicht nur in der Analyse, sondern auch in Bezug auf die institutionelle Ebene: Die Europäische Union handhabt ihr eigenes System zur Aufstellung der Liste terroristischer Vereinigungen und zur Streichung selbiger von dieser Liste, insbesondere für diejenigen, die auf der „eigenen“ Liste stehen, die unabhängig von der Liste der UNO geführt wird (5). Auch kann sich die nationale Praxis bzw. Definition einer terroristischen Vereinigung von der der EU unterscheiden. In diesem Falle bedarf es einer Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen — insbesondere den hierfür zuständigen Einrichtungen (z. B. Europol).

3.2.2.7.

Im Zusammenhang mit den Artikeln 12 bis 14 ist nicht ersichtlich, warum es notwendig ist, diese Taten unabhängig von den Taten unter Strafe zu stellen, die gemäß den Strafgesetzbüchern der Mitgliedstaaten üblicherweise unter Strafe stehen. Allerdings könnte das Vorliegen eines terroristischen Vorsatzes als erschwerender Umstand bezüglich der genannten Straftaten gewertet werden, aufgrund dessen — im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit — die Verhängung einer höheren Strafe gerechtfertigt wäre.

3.2.2.8.

Was den „Bezug zu terroristischen Straftaten“ (Artikel 15) angeht, ist die Formulierung „für die Strafbarkeit einer Straftat nach Artikel 4 und Titel III ist es [nicht] erforderlich, dass tatsächlich eine terroristische Straftat begangen wird“ problematisch. Wie soll festgelegt werden, dass ein terroristischer Vorsatz vorliegt, d. h., dass eine bestimmte Handlung Teil einer Kette von Handlungen ist, die zu einer tatsächlichen Straftat führt, und keine isolierte Handlung ist? Diese Frage kann sich nachteilig auf die Wahrung der Grundrechte auswirken.

3.2.2.9.

Der EWSA äußert Zweifel an der Angemessenheit des Vorschlags in Artikel 17 zu Sanktionen gegen natürliche Personen, wonach die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, dass die betreffenden Straftaten mit Strafen bedroht sind, „die zu einer Auslieferung führen können“.

3.2.2.10.

Hinsichtlich der Umsetzung sieht der Vorschlag eine Frist von zwölf Monaten ab Erlass der Richtlinie vor. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, diesen Zeitraum so weit es geht zu verringern, damit die Richtlinie schneller in Kraft tritt.

Brüssel, den 17. März 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 96.

(2)  ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 91.

(3)  Siehe den Bericht „France: Abuses under State of Emergency. Halt Warrantless Search and House Arrest“, Human Rights Watch (HRW), 3. Februar 2016, sowie den Bericht „Devant l’urgence, que deviennent les principes de l’Etat de droit?“ (Dominique Guibert), Europäische Vereinigung zur Verteidigung der Menschenrechte (AEDH).

(4)  Ein interessantes Beispiel ist das der europäischen Kämpfer, die in Syrien in den Reihen kurdischer Milizen gegen den IS („Da’esh“) kämpfen, eine Gruppierung, die weltweit im Mittelpunkt des religiös motivierten Terrorismus steht. Ein niederländischer Staatsbürger und ehemaliger Soldat der niederländischen Armee wird von den niederländischen Behörden gesucht, da er aufgrund seiner Beteiligung an den Kämpfen in Syrien auf Seiten kurdischer Einheiten (YPG) des Mordes beschuldigt wurde. Nach der Umsetzung der Richtlinie in niederländisches Recht wäre unklar, ob sich die rechtliche Einstufung ähnlicher Sachverhalte ändert.

(5)  „EU Terrorist Listing. An Overview about Listing and Delisting Procedures“, Martin Wählisch, Berghof Peace Support, 2010.


18.5.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 177/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs“

[COM(2015) 667 final — 2015/0313 (COD)]

(2016/C 177/10)

Berichterstatter:

Jan SIMONS

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 27. Januar 2016 bzw. am 21. Januar 2016, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 100 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs“

[COM(2015) 667 final — 2015/0313 (COD)].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. März 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 515. Plenartagung am 16./17. März 2016 (Sitzung vom 16. März 2016) mit 175 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, da er sich in das umfassendere Konzept für einen besseren Schutz der Seeaußengrenzen einreiht.

1.2.

Im Einklang mit seinen im September und Dezember 2015 verabschiedeten Entschließungen betreffend den massiven Flüchtlingszustrom will der EWSA erneut bekräftigen, dass bei der Umsetzung der geplanten Maßnahmen große Eile geboten ist. Es kann und darf nicht sein, dass die Flüchtlingsströme über das Meer weiter Opfer fordern, der illegale Zustrom an Migranten andauert und die Mitgliedstaaten im Alleingang Maßnahmen ergreifen, um dauerhafte Grenzkontrollen einzuführen.

1.3.

Der EWSA empfiehlt ausdrücklich, in dem Titel und dem gesamten Text der Verordnungsvorschläge den Betreff „Küstenwache“ zu streichen und nur von der „Europäischen Agentur für Grenzwache“ zu sprechen, da sie lediglich eine der Aufgaben der Küstenwache erbringt, wohingegen viele Aufgaben der Küstenwache bereits von der EMSA unterstützt werden. Die Verwendung des Begriffs „Küstenwache“ in der Bezeichnung der Agentur für die Grenzwache stiftet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur unnötige Verwirrung und kann letztlich auch Doppelarbeit nach sich ziehen.

1.4.

Der EWSA stimmt der Ausweitung der Aufgaben der EMSA zu, da diese Agentur in den vergangenen Jahren erheblich zur Erhöhung der Seeverkehrssicherheit und zur Vermeidung und Bekämpfung von Meeresverschmutzung durch Schiffe beigetragen hat. Er hegt indes große Zweifel, ob die Agentur mit den bereitgestellten Human- und Finanzressourcen ihren zusätzlichen Aufgaben ordnungsgemäß nachkommen kann.

1.5.

Es ist beunruhigend, dass kleine Gummi- oder Holzboote mit Satellitenbildern wenn überhaupt nur schwierig auszumachen sind. Nach Meinung der Europäischen Kommission kann der Einsatz von ferngesteuerten Luftfahrtsystemen (Remotely Piloted Aerial Systems — RPAS, auch Drohnen genannt) hier Abhilfe schaffen. Der EWSA teilt diese Meinung, da dadurch eine umfassende Verfolgung möglich wird und u. a. Menschenopfer verhindert werden können.

1.6.

Darüber hinaus nimmt der EWSA mit Sorge zur Kenntnis, dass Mitgliedstaaten dauerhafte Grenzkontrollen einführen, die einschlägigen Studien zufolge erhebliche Kosten verursachen. Ein kostenwirksames und leistungsfähiges Küstenüberwachungssystem würde seiner Ansicht nach dazu führen, dass die Mitgliedstaaten von dauerhaften Grenzkontrollen absehen werden und Schengen im alten Glanz wiederaufleben kann.

1.7.

Nach Auffassung des EWSA dürften eine engere Zusammenarbeit und ein umfassender Informationsaustausch zwischen den drei EU-Agenturen untereinander sowie den mit der Küstenwache betrauten nationalen Behörden für ein effizientes Küstenüberwachungssystem sorgen. Der EWSA fordert eine schnelle Entscheidungsfindung. Die Probleme sind so dringlich, dass rasches Handeln geboten ist.

2.   Einleitung

2.1.

Am 15. Dezember 2015 legte die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Verordnung (EU) des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (COM(2015) 667 final) vor; daraufhin ersuchten der Rat und das Europäische Parlament den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 100 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu dieser Kommissionsvorlage.

2.2.

Der EWSA kommt diesem Ersuchen gerne nach, da er den Vorschlag zur Änderung von Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 als wichtigen Schritt zur Stärkung der europäischen Zusammenarbeit im Bereich Grenzschutzdienste an den Küsten und zur Verbesserung der Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen den einschlägigen EU-Agenturen sieht, um Synergieeffekte zu erzielen und ihre Arbeit somit effizienter und kostenwirksamer zu gestalten. So können die EU-Agenturen den mit der Grenz- und Küstenwache betrauten nationalen Behörden qualitativ hochwertige und kosteneffiziente Informationen bereitstellen.

2.3.

Dies ist notwendig, da derzeit — laut Informationen der Europäischen Kommission — mehr als 300 zivile und militärische Behörden für den Grenzschutz an den Küsten in den Mitgliedstaaten zuständig sind, namentlich Seeverkehrssicherheit, Grenzkontrolle, Fischereiaufsicht, Zollkontrollen, Umweltschutz usw.

2.4.

Diese nationalen Behörden werden bei der Ausübung ihrer Aufgaben von mehreren EU-Agenturen unterstützt, wie etwa der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Frontex), der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und der Europäischen Fischereiaufsichtsagentur (EFCA).

2.5.

Dieser Verordnungsvorschlag ist Teil eines Maßnahmenpakets, das die Europäische Kommission für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen und eine engere Zusammenarbeit im Bereich Küstenwache vorschlägt. Die weiteren Vorschläge betreffen eine Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache und eine Änderung der Verordnung (EG) Nr. 768/2005 des Rates, mit der — vergleichbar mit dem hier in Rede stehenden Kommissionsvorschlag — seinerzeit eine Europäische Fischereiaufsichtsagentur eingerichtet wurde.

2.6.

In der begleitenden Kommissionsmitteilung „Ein europäischer Grenz- und Küstenschutz und effiziente Sicherung der Außengrenzen“ (COM(2015) 673 final) wird als Grund für die Vorlage dieser Vorschläge die erheblich gestiegene Zahl an illegalen Grenzübertritten an den EU-Außengrenzen ins Treffen geführt.

2.7.

Laut dieser Mitteilung (COM(2015) 673 final, Absatz 1 und Fußnote 1) wurden zwischen Januar und November 2015 mehr als 1,5 Mio. illegale Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen festgestellt. Flüchtlinge und Migranten konnten somit durch die EU weiterreisen, ohne zuvor identifiziert und registriert worden zu sein.

2.8.

Dadurch ist das Schengener Abkommen unter Druck geraten. Einige Mitgliedstaaten haben inzwischen beschlossen, vorübergehend wieder Kontrollen an ihren Landesgrenzen einzuführen. Dies kann aber längerfristig so nicht bleiben.

2.9.

Laut einer vor Kurzem durchgeführten Studie des französischen Regierungs-Think-Tanks „France Stratégie“ kann der wirtschaftliche Schaden der Aufhebung des Schengen-Abkommens bis zu 100 Mrd. EUR betragen. Der Handel zwischen den 26 Schengen-Ländern würde auf lange Sicht um 10 % bis 20 % zurückgehen, und das Bruttoinlandsprodukt in diesen Ländern um 0,8 % sinken.

2.10.

Die Europäische Kommission hält in ihrer Mitteilung zur europäischen Migrationsagenda von Mai 2015 (COM(2015) 240 final) fest, dass ein gemeinsames Grenzmanagement für die europäischen Außengrenzen im Einklang mit Artikel 77 AEUV geschaffen werden muss.

2.11.

Darüber hinaus kündigte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union im September 2015 an, bis Ende 2015 Maßnahmen zur Schaffung eines voll funktionsfähigen europäischen Grenz- und Küstenwachesystems vorzuschlagen. Dies ist am 15. Dezember 2015 geschehen. Der vorliegende Vorschlag ist eine dieser Maßnahmen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA verabschiedete am 16. September 2015 eine Entschließung „Die gegenwärtige Flüchtlingskrise“, in der er ein sofortiges verantwortungsvolles und gemeinsames Handeln der EU zur Bewältigung des massiven Flüchtlingszustroms forderte.

3.2.

Der EWSA zeigte sich in dieser Entschließung außerdem sehr besorgt darüber, dass das Schengener Übereinkommen und damit die Freizügigkeit ausgehöhlt wird. Dies wird in der am 10. Dezember 2015 verabschiedeten Entschließung zu Flüchtlingen bekräftigt: „Es ist wichtig, die Außengrenzen der Schengen-Staaten angemessen zu sichern. Der Wiederaufbau von Grenzzäunen und Mauern im Innern trägt jedoch in keiner Weise dazu bei, die EU-Bürger einander näher zu bringen und die Unionsbürgerschaft zu fördern.“

3.3.

Nach Meinung des EWSA müssen unbedingt rasch Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich Grenzschutz, einschl. an den Küsten, ergriffen werden. Daher stimmt er dem Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1406/2002 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs und insbesondere der Idee, aber nicht dem eigentlichen Vorschlag zu, eine Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache als Nachfolgerin von Frontex einzurichten, die eng mit der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) und der Europäischen Fischereiaufsichtsagentur (EFAC) zusammenarbeitet.

3.4.

Der EWSA kann nämlich nicht nachvollziehen, warum die Europäische Kommission in Bezug auf die Nachfolgeagentur von Frontex von „Küstenwache“ spricht. Die EMSA hat bereits verschiedene einzigartige Seeverkehrsinformationssysteme entwickelt, verfügt daher über einiges an Erfahrung und wird gemäß den Kommissionsvorschlägen in Zukunft auch weitere Aufgaben in diesem Bereich übernehmen.

3.5.

Nach Ansicht von Experten auf diesem Gebiet ist dies aus der Veranschlagung der Haushaltsmittel herauszulesen. Aus dem Finanzbogen geht hervor, dass die EMSA Dienste auf der Grundlage ferngesteuerter Luftfahrtsysteme (RPAS-Dienste oder Drohnendienste) anbieten wird, wodurch zusätzliche Informationen in das EMSA-System eingespeist werden können, die über reine Grenzüberwachungsdaten hinausgehen.

3.6.

Daher empfiehlt der EWSA, den Begriff „Küstenwache“ zu vermeiden, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen. Außerdem zeigt die aktuelle Zusammenarbeit der drei Agenturen, dass die Aufgabenverteilung in der Praxis bereits effizient und wirksam zu sein scheint.

3.7.

Der EWSA fordert, dass die mit der Küstenwache beauftragten nationalen Behörden rasch von der verbesserten Zusammenarbeit in Form eines wirksameren Informationsaustausches und einer effizienteren operationellen Überwachung der EU-Außengrenzen profitieren können müssen.

3.8.

Der EWSA begrüßt, dass die EMSA die deutliche Verbesserung der Überwachungskapazitäten durch RPAS-Dienste an den Seeaußengrenzen der EU in die Hand nehmen soll. RPAS (Drohnen) ermöglichen nicht nur eine effizientere Kontrolle, sondern können auch zu verschiedenen Zwecken eingesetzt werden.

3.9.

In seiner Stellungnahme zur Änderung der Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (1) begrüßte der EWSA die Rolle der EMSA bei der Verbesserung der Seeverkehrssicherheit in den Mitgliedstaaten. Bereits damals (!) betonte der Ausschuss, dass es seiner Meinung nach sehr wichtig sein wird, dass die Aufgaben und Zuständigkeiten der EMSA auf verantwortungsvolle Weise ausgedehnt werden.

3.10.

Für die Übertragung zusätzlicher Aufgaben an die EMSA ist es entscheidend, dass die Agentur über ausreichende Human- und Finanzressourcen verfügt. Laut EU-Haushalt sind eine jährliche Mittelaufstockung um 22 Mio. EUR bis 2020 sowie die Einstellung von 17 Bediensteten auf Zeit für die EMSA vorgesehen. Der EWSA zweifelt daran, dass dies ausreicht. Obwohl die unmittelbar beteiligten Akteure wie die EMSA dies als ausreichend erachten, ist der Ausschuss der Ansicht, dass diese Mittel keinen Spielraum lassen, um auf Notsituationen zu reagieren, die sich sicherlich einmal ergeben werden. Seiner Meinung nach sollte eine finanzielle Reserve angelegt werden.

3.11.

Der EWSA zeigt sich besorgt, dass es mit der derzeitigen Technik schwierig ist, kleine Gummi- oder Holzboote auszumachen, mit denen Migranten über das Meer gebracht werden. Satelliteninformationen sind nur zu bestimmten Zeiten, je nach Flugbahn der Satelliten verfügbar. Nach Auffassung der Europäischen Kommission kann diesen Einschränkungen durch den Einsatz von RPAS (Drohnen) entgegengewirkt werden.

3.12.

Angesichts des Ausmaßes des Flüchtlingsstroms betont der EWSA, dass es unter dem humanitären Aspekt und im Sinne eines effizienten Küstenschutzes von großer Bedeutung ist, alle Bewegungen auf dem Meer zu erfassen, damit Rettungsdienste rechtzeitig eingreifen können.

3.13.

Der EWSA erachtet es daher als richtig, dass der EMSA unter den drei Agenturen eine führende Rolle für die Organisation von RPAS-Diensten (Drohnendiensten) zuerkannt wird.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA spricht sich für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den EU-Agenturen untereinander und mit den nationalen Küstenwachen aus. Eine bessere Zusammenarbeit muss zu einer effizienteren und kostengünstigeren Bewachung der EU-Seeaußengrenzen führen.

4.2.

Angesichts des massiven Flüchtlingszustroms muss dies rasch verwirklicht werden. Der EWSA erachtet es als inakzeptabel, sich aus welchen Gründen auch immer mit den entsprechenden Maßnahmen Zeit zu lassen. Ganz im Gegenteil, alle Kommissionsvorschläge, also nicht nur der Vorschlag zur EMSA, sollten, allerdings so wie es der EWSA sich vorstellt, angenommen und unverzüglich umgesetzt werden.

4.3.

Der EWSA stimmt der Ausweitung der Aufgaben der EMSA zu, da sie in den vergangenen Jahren bewiesen hat, dass sie für ein hohes Niveau an Sicherheit und Gefahrenabwehr im Seeverkehr zu sorgen vermag, und eine große Rolle im Kampf gegen Meeresverschmutzung durch Schiffe gespielt hat.

4.4.

Diese Ausweitung der Aufgaben der EMSA muss eine bessere Verbreitung von Echtzeitdaten über die Seeverkehrsüberwachung zwischen den drei EU-Agenturen und den nationalen Küstenwachen bewirken sowie den Einsatz von RPAS (Drohnen) für die Überwachung der Seeaußengrenzen der EU, die Verfügbarkeit von Satelliteninformationen, bessere Kommunikationsdienste zur Unterstützung gemeinsamer Operationen auf See und eine größere Aufmerksamkeit für und höhere Investitionen in Aus- und Weiterbildung mit sich bringen.

4.5.

Der EWSA fragt sich, warum die Europäische Kommission der Einstellung der kostenlosen Satelliten-AIS-Datendienste (SAT-AIS) der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) einen ganzen Absatz widmet, dabei aber nicht auf die Abschnitte im Finanzbogen zu dem Vorschlag verweist, in denen festgehalten ist, dass ab 2017 hierfür Mittel vorgesehen sind, während das Jahr 2016 über das Programm Copernicus abgedeckt werden soll. Der Ausschuss vertraut darauf, dass dies so eintreten wird.

Brüssel, den 16. März 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 68.