ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 424

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

57. Jahrgang
26. November 2014


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

499. Plenartagung des EWSA vom 4./5. Juni 2014

2014/C 424/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Maßnahmen zur Jugendbeschäftigung — bewährte Praxis — Sondierungsstellungnahme (griechischer Ratsvorsitz)

1

2014/C 424/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die transatlantischen Handelsbeziehungen und der Standpunkt des EWSA zu einer verstärkten Zusammenarbeit und einer möglichen Freihandelszone EU-USA — Initiativstellungnahme

9

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

499. Plenartagung des EWSA vom 4./5. Juni 2014

2014/C 424/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Eine Vision für den Binnenmarkt für Industrieprodukte — COM(2014) 25 final

20

2014/C 424/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Europäisches Netz der Arbeitsvermittlungen, den Zugang von Arbeitskräften zu mobilitätsfördernden Diensten und die weitere Integration der Arbeitsmärkte — (COM(2014) 6 final — 2014/0002 (COD))

27

2014/C 424/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Exploration und Förderung von Kohlenwasserstoffen (z.B. Schiefergas) durch Hochvolumen-Hydrofracking in der EU — COM(2014) 23 final

34

2014/C 424/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020-2030 — COM(2014) 15 final

39

2014/C 424/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung und Anwendung einer Marktstabilitätsreserve für das EU-System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten und zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG — COM(2014) 20 final — 2014/0011 (COD)

46

2014/C 424/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Konzept der EU zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels — COM(2014) 64 final

52

2014/C 424/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Gemeinsam für eine wettbewerbsfähige und ressourceneffiziente Mobilität in der Stadt — COM(2013) 913 final

58

2014/C 424/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Energiepreise und -kosten in Europa — COM(2014) 21 final

64

2014/C 424/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Kaseine und Kaseinate für die menschliche Ernährung und zur Aufhebung der Richtlinie 83/417/EWG des Rates — COM(2014) 174 final — 2014/0096 (COD)

72

2014/C 424/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für die Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 für das Kalenderjahr 2014 — COM(2014) 175 final — 2014/0097 (COD)

73

DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

499. Plenartagung des EWSA vom 4./5. Juni 2014

26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Maßnahmen zur Jugendbeschäftigung — bewährte Praxis“

Sondierungsstellungnahme (griechischer Ratsvorsitz)

2014/C 424/01

Berichterstatterin:

Christa SCHWENG

Verwaltungsrätin:

Frau BEDATON

Mit Schreiben vom 6. Dezember 2013 ersuchte Botschafter Theodoros SOTIROPOULOS den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des griechischen EU-Ratsvorsitzes gemäß Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union um Erarbeitung einer Stellungnahme zu folgendem Thema:

Maßnahmen zur Jugendbeschäftigung — bewährte Praxis

Sondierungsstellungnahme.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 13. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 124 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erachtet die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit als politische Priorität. Damit die Jugendlichen von heute das Europa von morgen gestalten können, brauchen sie Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben, wozu auch ein Arbeitsplatz gehört, der ihren Qualifikationen entspricht. Nur eine auf Wachstum ausgerichtete Strategie, die auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und auf die Wiederherstellung des Vertrauens von Investoren und Haushalten abzielt, sowie nachhaltige Investitionen und ein Konjunkturprogramm können die Nachfrage nach Arbeitskräften stimulieren.

1.2

Um Unternehmen zu ermutigen, auch in wirtschaftlich unsicheren Zeiten neue, oft unerfahrene Arbeitskräfte einzustellen, bedarf es entsprechender Anreize. Dazu gehört ein Bildungswesen, das eine Basis auf fachlicher und persönlicher Ebene für den Berufseinstieg schafft, Berufsausbildungen stärker an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientiert sowie den Unternehmergeist fördert. Ebenso bedarf es eines dynamischen und integrativen Arbeitsmarktes, auf dem Menschen über die Kompetenzen verfügen, die für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft, den Zusammenhalt in der Gesellschaft und für langfristig nachhaltige Wachstumsaussichten wesentlich sind. Entsprechende Reformen müssen zu einer Balance von Flexibilität und Sicherheit führen. Dies kann am besten durch die Einbeziehung der Sozialpartner gewährleistet werden.

1.3

Junge Menschen sollen bei der Berufswahl durch qualifizierte Berufsberater unterstützt werden. Eine Analyse des mittelfristigen Arbeitskräftebedarfs besonders auch auf lokaler Ebene kann die Berufswahl positiv beeinflussen. Mitgliedstaaten, deren Bildungssysteme neben der theoretischen auch eine praktische Ausbildung bieten, haben sich in der Krise durch eine im europäischen Vergleich relativ niedrige Jugendarbeitslosigkeit ausgezeichnet. Der EWSA ist vom Erfolg arbeitsbasierter beruflicher Ausbildungsmodelle, wie etwa den dualen Ausbildungssystemen, die es in einigen Mitgliedstaaten gibt, überzeugt. Diese Ausbildungsprogramme sind besonders dann erfolgreich, wenn alle Stakeholder (Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ihre Interessenvertretungsorganisationen sowie die öffentliche Hand) ihre Verantwortung wahrnehmen.

1.4

Ebenso kommt den öffentlichen Arbeitsverwaltungen beim Übergang von der Schule in den Beruf eine wichtige Rolle zu. Sie müssen über entsprechende finanzielle und Humanressourcen verfügen, um nicht nur Arbeitslose bei ihrer Suche nach Arbeit zu unterstützen, sondern auch engen Kontakt zur Nachfrageseite zu halten.

1.5

Die Einbeziehung der Sozialpartner in Wachstumsstrategie, Arbeitsmarktreformen, Bildungsprogramme und Reformen der öffentlichen Arbeitsverwaltungen sowie die Einbeziehung der Jugendorganisationen in die Umsetzung der Jugendgarantie sichert die Zustimmung breiter Teile der Bevölkerung und damit den sozialen Frieden. Nur gemeinsam getragene Entscheidungen haben auch die Chance auf nachhaltige Veränderung.

2.   Einleitung

2.1

Die effektive Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Die Arbeitslosenraten der 15- bis 24-Jährigen waren immer höher als die der Altersgruppe von 24 bis 65, aber die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Jungen, die den ersten Einstieg in den Arbeitsmarkt suchen, besonders hart getroffen. Während laut Eurostat (1) die Jugendarbeitslosenquote bis Ende 2008 doppelt so hoch lag wie die der Gesamtbevölkerung, stieg die Jugendarbeitslosenquote bis Ende 2012 auf das 2,6-Fache der Arbeitslosigkeit der Gesamtbevölkerung.

2.2

Die Gründe dafür sind weniger Jobs auf Grund des schwachen bzw. negativen Wachstums, des Rückgangs der Binnennachfrage, der Einsparungen und des damit verbundenen Einstellungsstopps im öffentlichen Dienst, erschwert durch das Versäumnis rechtzeitig durchgeführter Strukturreformen in Ausbildung und Arbeitsmarkt, fehlender Qualifikationen ebenso wie Qualifikationen, die am Arbeitsmarkt nicht nachgefragt werden.

2.3

Die Jugendarbeitslosenquote bezeichnet den Anteil der 15- bis 24-jährigen Arbeitslosen an den Erwerbspersonen desselben Alters und lag 2013 in der EU-28 bei 23,3 %. Eurostat (2) berechnet als zweiten Indikator den Jugendarbeitslosenanteil (den Anteil der 15- bis 24-jährigen Arbeitslosen an der Gesamtbevölkerung dieser Altersgruppe), der für die EU im Jahr 2013 bei 9,8 % lag. Dieser Indikator zeigt, dass sich viele Jugendliche dieser Altersgruppe in Ausbildung befinden und dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung stehen. Die Mitgliedstaaten sind von Jugendarbeitslosigkeit ganz unterschiedlich betroffen: Der Jugendarbeitslosenanteil reicht von 4 % in Deutschland bis zu 20,8 % in Spanien, die Jugendarbeitslosenquote reicht von 7,9 % in Deutschland bis zu 58,3 % in Griechenland.

2.4

Auch wenn klargestellt werden muss, dass die Jugendarbeitslosenquote nicht angibt, wie viel Prozent aller Jugendlichen arbeitslos sind, bleibt ein relevanter Prozentsatz an Jugendlichen, die Arbeit suchen.

2.5

Unter den jungen Menschen verdient die Gruppe der sogenannten NEETs (Not in employment, education or training) besondere Aufmerksamkeit: Laut EUROFOUND (3) sind NEETs in größerer Gefahr, auch später nur unsichere Arbeitsplätze zu bekommen, und die früh erlebte Frustration macht sie auch anfälliger für Armut, soziale Ausgrenzung und Radikalisierung. Die Kosten für die Nichtteilnahme dieser jungen Menschen am Arbeitsmarkt werden vorsichtig auf 153 Mrd. EUR geschätzt, was 1,2 % des Europäischen BIP entspricht.

2.6

In einigen Mitgliedstaaten der EU ist — unabhängig von der Höhe der Jugendarbeitslosigkeit — eine zunehmende Zahl an offenen Stellen festzustellen, die nicht besetzt werden können. Dies betrifft Facharbeiter in diversen Branchen, hochqualifizierte MINT-Berufe sowie auch Positionen im mittleren Management, wo Menschen mit horizontalen Kompetenzen (wie Kommunikationsfähigkeit, Teamgeist, Unternehmergeist usw.) gefragt sind.

3.   Europas Antwort auf die Jugendarbeitslosigkeit

3.1   Die Jugendgarantie

3.1.1

Seit 2011 ist die Idee einer Jugendgarantie in den Mitteilungen der Europäischen Kommission (4) zu finden. Im April 2013 verabschiedete der EU-Ministerrat eine Empfehlung zur Einrichtung einer Jugendgarantie. Mit deren Umsetzung soll gewährleistet werden, dass alle jungen Menschen unter 25 Jahren binnen vier Monaten nach Verlassen der Schule oder Verlust des Arbeitsplatzes ein gutes Angebot für einen Arbeitsplatz, eine Weiterbildung, eine Lehrstelle oder einen Praktikumsplatz erhalten.

3.1.2

Die Mehrzahl der Jugendgarantie-Maßnahmen kann aus dem Europäischen Sozialfonds kofinanziert werden. Darüber hinaus gibt es für 20 Mitgliedstaaten aufgrund ihrer regionalen hohen Jugendarbeitslosenquote (mehr als 25 % in mindestens einer Region) zusätzliche Mittel aus der Beschäftigungsinitiative.

3.1.3

Im Rahmen des Europäischen Semesters soll die Bewertung und Überwachung der Umsetzungspläne in die länderspezifischen Empfehlungen einfließen, um sicherzustellen, dass die Jugendgarantie im Einklang mit den Zielen der EU-2020-Strategie steht.

3.1.4

Die Europäische Investitionsbank hat 2013 das mit 6 Mrd. EUR dotierte Programm „Qualifikation und Beschäftigung — Investitionen in die Jugend“ ins Leben gerufen. Dieses soll auch 2014 und 2015 mit jeweils derselben Summe dotiert werden.

3.2   Aktionsrahmen der europäischen Sozialpartner zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit

Die europäischen Sozialpartner haben im Juni 2013 einen Aktionsrahmen zur Jugendbeschäftigung (5) verabschiedet. Dieser beruht auf bestehenden und neuen Beispielen guter Praxis in den vier Prioritäten Lernen, Übergang zwischen Ausbildung und Arbeit, Beschäftigung und Unternehmertum. Damit sollen die nationalen Sozialpartner inspiriert werden, Lösungen in ihrem eigenen Umfeld zu finden und an die jeweiligen nationalen Gegebenheiten anzupassen.

3.3   Der Beitrag des EWSA

3.3.1

Der EWSA hat sich in einer Vielzahl von Stellungnahmen (6), Konferenzen und Anhörungen (7) mit der Situation von jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt. Im Rahmen der Arbeitsmarktbeobachtungsstelle kommt als neue Arbeitsmethode die Erstellung von Pilotstudien zu bestimmten Themen zur Anwendung. Dabei wird die Meinung der organisierten Zivilgesellschaft in einigen Mitgliedstaaten eingeholt, um beurteilen zu können, ob europäische Politiken und Maßnahmen den gewünschten Effekt erzielen. Das wichtige Thema Jugendbeschäftigung ist eines der ersten, das auf Grund der Aktualität für die Erstellung einer Pilotstudie ausgewählt wurde.

3.3.2

In seiner Stellungnahme zum Jugendbeschäftigungspaket (8) hat der Ausschuss festgehalten, dass es „auf EU- und nationaler Ebene einer wirklichen Wachstumsstrategie zur Förderung der Schaffung neuer und sichererer Arbeitsplätze bedarf. Das erfordert einen koordinierten Ansatz bei allen Anstrengungen und Maßnahmen, die auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und auf die Wiederherstellung des Vertrauens von Investoren und Haushalten ausgerichtet sind.“ Darüber hinaus hat er festgehalten, dass die Finanzierung der Jugendgarantie mit 6 Mrd. EUR nicht ausreichen wird.

3.3.3

In seiner Stellungnahme zum „Qualitätsrahmen für Praktika“ (9) hat der EWSA darauf hingewiesen, dass Praktika ein wichtiges Tor zum Arbeitsmarkt sind, aber kein Allheilmittel zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Neben der Forderung, Praktika stärker in Studienpläne einzubeziehen und eine grundlegende soziale Absicherung vorzusehen, sollen auch Leitlinien ausgearbeitet werden, die einen Überblick über Fördermöglichkeiten bieten können, um Praktikumskonzepte mit geteilter finanzieller Verantwortung einrichten zu können.

3.3.4

Der Ausschuss hat den Beschluss zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Arbeitsverwaltungen (ÖAV) auch wegen deren Wichtigkeit bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nachdrücklich begrüßt (10). Die ÖAV müssen in der Lage sein, unmittelbar, flexibel und kreativ auf die Änderungen ihres Umfelds zu reagieren, und kurzfristige Interventionen mit nachhaltigen Lösungen kombinieren können. Dies muss in entsprechenden Kapazitäten und ausreichender finanzieller Unterstützung seinen Niederschlag finden. ÖAV sollten sich stärker auf die Angebotsseite der Arbeit konzentrieren, da Arbeitgeber immer größere Schwierigkeiten haben, die benötigen Arbeitskräfte zu finden.

3.3.5

Der EWSA hat in seiner Stellungnahme zur Mitteilung „die Bildung öffnen“ (11) betont, dass ein digitaler Ansatz in den Bildungssystemen zur Verbesserung der Qualität und Kreativität der Bildungsangebote beitragen kann. Unverzichtbar ist die Beteiligung der Lehrkräfte an der Konzipierung und Umsetzung der Initiative — in Verbindung mit einer geeigneten Ausbildung —, um die Bildung mithilfe neuer Technologien und frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien innovativ und im Kontext der „Bildung für alle“ zu öffnen. Die Mobilisierung sämtlicher Akteure und die Förderung der Schaffung von „Lernpartnerschaften“ in der Gesellschaft sind für den Erfolg ebenfalls entscheidend.

3.3.6

Die in den folgenden Kapiteln beschriebenen Projekte werden von den Ausschussmitgliedern empfohlen. Da viele Projekte relativ neu sind, gibt es oft keine Daten über die Effizienz und Effektivität, sodass die Bewertung ausschließlich auf der Wahrnehmung der Ausschussmitglieder beruht.

3.4   Reform der Bildungssysteme

3.4.1

Im Zuge des Europäischen Semesters wurde 16 Mitgliedstaaten empfohlen, ihre Bildungssysteme zu modernisieren, in 12 Fällen wurde empfohlen, die Berufsausbildungen stärker an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes zu orientieren bzw. die duale Berufsausbildung zu stärken.

3.4.2

Bildungssysteme sind nationale Kompetenz und sollen das auch bleiben. Dennoch kann die europäische Ebene durch Erfahrungsaustausch und Peer Learning sowie durch finanzielle Anreize wichtige Impulse setzen. Bildungssysteme sollten so ausgestaltet werden, dass sie junge Menschen nicht nur mit den grundlegenden Kulturtechniken ausstatten, sondern ihnen auch beibringen, auf geänderte Anforderungen selbstständig reagieren zu können, um lebenslanges Lernen zu einem Teil der individuellen Laufbahn zu machen.

3.4.3

Eine rechtzeitig stattfindende Berufsberatung und Berufsinformation soll dabei helfen, die eigenen Begabungen und Kompetenzen zu erkennen, und darüber hinaus Informationen über die Entwicklung am Arbeitsmarkt liefern. Projekte wie der „Wiener Töchtertag“ (12), an dem Mädchen in einen Betrieb gehen, um Einblicke in neue Berufsfelder und Jobchancen zu bekommen, können ebenfalls dazu beitragen, Mädchen auch für technische Berufsausbildungen zu interessieren.

3.4.4

Vorzeitiger Schulabbruch hat eine Vielzahl von Ursachen und bedarf daher individuell zugeschnittener Maßnahmen. Beispiele dafür sind „Jugendcoaching“ (13) in Österreich oder „Joblinge“ (14) in Deutschland, bei denen Jugendlichen, die Gefahr laufen, aus dem System zu fallen, befristet individuelle Beratung und Begleitung bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz bekommen.

3.4.5

In den Staaten Europas, in denen die Jugendarbeitslosigkeit niedrig ist, fällt auf, dass diese über ein arbeitsmarkt- und unternehmensnahes Ausbildungssystem mit zertifizierten, übertragbaren Berufsqualifikationen verfügen. Dabei wird — in unterschiedlichen Ausprägungen — ein Teil der Ausbildung direkt im Betrieb, ein Teil in der Schule absolviert. Dies wurde von den EU-Institutionen und den Sozialpartnern in der EU anerkannt, die die Europäische Ausbildungsallianz (15) unterstützen. Die Lehrlingsausbildung gehört zu den wichtigsten Elementen eines Jugendgarantiesystems, und ihr Erfolg beruht auf einer breiten Partnerschaft, die Interessenträger der Unternehmen, der Arbeitnehmer und der Ausbildung zusammenbringt. Wesentlich bei der Etablierung eines dualen Systems, welches sich am Bedarf der Betriebe, des Arbeitsmarktes und der jungen Menschen orientiert, ist, dass die Organisation und Abwicklung durch eine starke Einbindung von betriebsnahen Institutionen geschieht. Durch die starke Einbindung der Sozialpartner identifizieren diese sich mit dem System und tragen es mit („Miteigentümer des Systems“). Darüber hinaus bedarf es auch der Verantwortung und Investitionsbereitschaft der Arbeitgeber. Auch wenn andere Mitgliedstaaten nicht auf kurze Sicht ein umfangreiches Lehrsystem implementieren können, so könnten z. B. einzelne duale Ausbildungsgänge mit einer festen Gruppe von Unternehmen im selben Sektor erprobt werden. Die sektoralen Sozialpartner müssten dafür gemeinsame Ausbildungsstandards und Zertifizierungen festlegen. Eine andere Möglichkeit wäre eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen einzelnen Schulen im Rahmen deren Autonomie mit einzelnen Unternehmen, wie dies z. B. in Polen der Fall ist.

3.4.6

Malta hat in den vergangenen Jahren mit Lehrgängen des Malta College of Arts, Science and Technology (MCAST) wesentliche Schritte in diese Richtung unternommen, indem ein Teil der Ausbildung direkt im Betrieb erfolgt. So haben von 284 Studenten, die ihre praktische Ausbildung bei Lufthansa Malta absolviert haben, 163 einen Arbeitsplatz bekommen.

3.4.7

Anerkennung von informell erworbenen Qualifikationen. Die Validierung von Lernergebnissen, insbesondere Kenntnissen, Fähigkeiten und Kompetenzen, die auf nichtformalem und informellem Wege erzielt werden, kann für die Steigerung von Beschäftigungsfähigkeit und Mobilität eine wichtige Rolle spielen und insbesondere sozioökonomisch benachteiligte oder niedrigqualifizierte Menschen verstärkt für lebenslanges Lernen motivieren.

3.4.8

In einer Zeit, in der die Europäische Union mit einer schweren Wirtschaftskrise konfrontiert ist, die zu einem steilen Anstieg der Arbeitslosigkeit besonders bei jungen Menschen geführt hat, und angesichts der Bevölkerungsalterung ist die Validierung von relevanten Kenntnissen, Fähigkeiten und Kompetenzen für die Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarkts, für die Förderung der Mobilität und für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wirtschaftswachstums wichtiger denn je.

3.5   Maßnahmen zur Erleichterung des Übergangs zwischen Schule und Beruf

3.5.1

Qualifizierungen und Berufs-Ausbildungsmaßnahmen: Mangelnde Arbeitserfahrung ist ein wesentlicher Punkt, warum Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zögern, junge Menschen aufzunehmen. Rein theoretischer Unterricht ohne das Erfordernis einer praktischen Anwendung des Gelernten erweist sich zunehmend als Hemmnis für den Zugang zum Arbeitsmarkt.

3.5.2

„Thinking outside the box on recruitment“ ist ein litauisches Projekt, das darauf abzielt, junge Menschen jobfit zu machen und ihnen Praktika in passenden Unternehmen zu vermitteln. Ähnlich funktionieren die „Implacementstiftungen“ (16) des Arbeitsmarktservice Österreich, wo Unternehmen, die ihren Personalbedarf nicht abdecken können, und arbeitssuchende Personen, denen für einen bestimmten Arbeitsplatz ein Teil der Ausbildung fehlt, zusammengeführt werden. Die Ausbildungs- und Existenzsicherungskosten werden zwischen Arbeitsmarktverwaltung und Unternehmen geteilt. Evaluierungen haben gezeigt, dass drei Monate nach Maßnahmenende rund 75 % der Teilnehmer in Beschäftigung sind.

3.5.3

In Frankreich wurden seit 2011 durch interprofessionelle Sozialpartnervereinbarungen Maßnahmen speziell für junge Menschen mit oder ohne Hochschulausbildung geschaffen, um diese bei der Suche nach einem Arbeitsplatz zu unterstützen. Bewerbungstrainings bilden dabei den Hauptfokus. Eine Evaluierung ergab, dass die Eingliederung in die Arbeitswelt durch Teilnahme an dieser Maßnahme mit 65 % um 18 % höher liegt als bei der Vergleichsgruppe.

3.5.4

In Irland werden mit Hilfe des Programms „Jobbridge“ (17) 6- bis 9-monatige Praktika für junge Menschen, die mindestens 78 Tage Sozialhilfe bezogen haben, in Unternehmen angeboten. Die Praktikanten erhalten zusätzlich zur Sozialhilfe 50 EUR/Woche. Kritisch zu sehen ist, dass Menschen, die z. B. neben einer Ausbildung einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen, dieses Programm im Anschluss an ihre Ausbildung nicht in Anspruch nehmen können, da sie keine Sozialhilfebezieher sind. Aus Sicht des Ausschusses sollten Aktivierungsmaßnahmen früher einsetzen, da die lange Wartefrist die Menschen entmutigt, statt die Arbeitsaufnahme zu fördern.

3.5.5

Der „Scottish council for voluntary organisations“ hat das Programm „Community Jobs Scotland“ seit 2011 ins Leben gerufen. Dieses richtet sich an junge Arbeitslose und arbeitet mit Sozialhilfeorganisationen, die für 6 bis 9 Monate in einer Reihe von Sektoren Arbeitsplätze für Jugendliche sowohl mit höherer als auch mit Basisqualifikation anbieten. Die jungen Menschen erhalten einen echten Arbeitsplatz, müssen sich in einem Bewerbungsprozess behaupten und erhalten Gehalt und weitere Ausbildung. Über 4  000 junge Menschen nahmen daran teil, wovon 47,3 % direkt in Beschäftigung kamen, und 63,6 % konnten mittelbar von zusätzlicher Ausbildung und Freiwilligentätigkeit profitieren.

3.5.6

In Dänemark schaffen Gewerkschaften und Beschäftigungsfonds in Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Arbeitgebern Praktikumsplätze für junge Menschen mit abgeschlossener Ausbildung, um ihnen Arbeitserfahrung und Spezialisierung in ihrem Fachgebiet zu vermitteln. Die Aufnahme einer Beschäftigung durch Personen, die ein solches Praktikum absolviert haben, liegt im Schnitt bei 60 %, auch wenn genauere Zahlen erst nach Abschluss des Projekts im April 2014 vorliegen werden.

3.5.7

Durch das von der ILO ausgezeichnete slowenische Projekt „Moje izkušnje“ (18) (Meine Erfahrung) wird durch eine Online-Plattform, auf die Studenten ihre Arbeitserfahrung hochladen können, die Verbindung zwischen Studierenden und Arbeitgebern geschaffen. Darüber hinaus werden Zertifikate ausgestellt, um die Arbeitserfahrung zu bestätigen.

3.5.8

In Spanien bietet die Novia Salcedo Foundation als private, nicht auf Profit ausgerichtete Kulturorganisation ein Programm für Praktikanten an, um Berufsabsolventen durch eine Kombination von theoretischem Lernen und praktischer Arbeitserfahrung in Unternehmen zu begleiten. Die Evaluierung hat gezeigt, dass über 52,23 % nach Absolvierung des Programms einen Arbeitsvertrag bekamen.

3.5.9

In der Tschechischen Republik sind Arbeitgeber und Berufsverbände Partner des Projekts „POSPOLU“ („ZUSAMMEN“), das sich für Änderungen in der Organisationsform der Ausbildung und eine Stärkung des arbeitsplatzbasierten Lernens einsetzt, indem Partnerschaften zwischen Schulen und Unternehmen geschlossen und Vorschläge für Änderungen in den Lerninhalten erarbeitet werden. In erster Linie richtet sich das Projekt an Lehrgänge in den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik, Bauingenieurswesen, Verkehr und IT.

3.5.10

In Portugal unterstützt das Netz von Technologiezentren zwei Projekte („Think Industry“ und „F1 in Schools“), in deren Mittelpunkt neue, auf dem Arbeitsmarkt benötigte technische Fertigkeiten stehen. Im Rahmen eines praxisorientierten Ansatzes wird der Einsatz von Instrumenten und Maschinen gefördert und das Wissen vermittelt, das für die Fertigung eines echten Miniatur-Formel-1-Rennwagens sowie für die Vermarktung der Idee/des Projekts erforderlich ist. Schulen und Wirtschaft schließen Partnerschaften, um das Image von beruflichen Laufbahnen im technischen Bereich unter Schülern zu verbessern und sie auf die Anforderungen des Marktes hinzuweisen (19).

3.5.11

In Italien können Schülerinnen und Schüler der beiden letzten Jahre der Sekundaroberstufe im Rahmen des Dreijahresprogramms 2014-2016 und dank einer besseren Nutzung des Lehrvertrags praktische Erfahrungen in einem Unternehmen sammeln.

3.5.12

Förderung der Mobilität: Die Förderung der grenzüberschreitenden Mobilität junger Menschen zum Zweck der Arbeitserfahrung kann ebenfalls dazu beitragen, die Lücke zwischen rein theoretischer Ausbildung und dem ersten Arbeitsplatz zu schließen.

3.5.13

Das bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und Spanien, das Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für rund 5  000 junge Spanier bis 2017 vorsieht, ist ein Beispiel dafür; ebenso die deutschen Förderprogramme „The job of my life“ und „Make it in Germany“, die beide darauf abzielen, junge Menschen nach Deutschland zu bringen, um dort in Berufen eine Ausbildung zu machen, in denen nicht genügend Fachkräfte vorhanden sind. Dabei wird ihnen ein vorbereitender Deutschkurs im Heimatland, ein Zuschuss zu Reise- und Umzugskosten sowie ein Sprachkurs in Deutschland zur Vorbereitung auf ein Praktikum bezahlt. Ist der Arbeitgeber nach Absolvierung des Praktikums zufrieden, kann eine 3- bis 3,5-jährige Ausbildung angeschlossen werden, bei der zusätzlich zur Ausbildungsvergütung eine finanzielle Unterstützung erfolgt und der Jugendliche Begleitung in Schule, Betrieb und Alltag erfährt.

3.5.14

Im Programm „Integration durch Austausch“ wird die berufliche Eingliederung von Personengruppen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt durch den Erwerb berufspraktischer Erfahrungen im EU-Ausland unterstützt. Die Zwischenbilanz dieses vom ESF mitfinanzierten Programms zeigte, dass sechs Monate nach Abschluss des Austauschs 41 % der Teilnehmer einer Beschäftigung nachgingen, 18 % eine Ausbildung, 7 % eine Schule und 4 % ein Studium absolvierten.

3.5.15

Um Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt besser aufeinander abzustimmen, ist eine Reform von EURES unumgänglich. Der EWSA wird sich dazu in einer eigenen Stellungnahme äußern. Entscheidend wird jedoch sein, dass EURES in allen Mitgliedstaaten — und nicht nur in einigen wenigen — als Instrument der Arbeitsmarktpolitik genutzt wird und offene Stellen dort auch bekannt gemacht werden. Die Initiative „Your first EURES Job“ (20) ist ebenfalls ein gutes Beispiel, um grenzübergreifende Mobilität von jungen Arbeitskräften zu fördern, indem ihnen ein erster Arbeitsplatz (keine Ausbildung oder Praktikum) durch einen Zuschuss zu den Mehrkosten, die bei einer Arbeitsaufnahme in einem anderen Land entstehen, vermittelt wird.

3.5.16

Um Qualifikationen besser am Bedarf auszurichten, ist es wesentlich, dass Beobachtungsstellen für die Antizipierung und frühe Ermittlung des Qualifikationsbedarfs eingerichtet werden. Dies sollte auf regionaler und/oder sektoraler Ebene unter Mitwirkung der Sozialpartner erfolgen, sodass rasch auf die verschiedenen wirtschaftlichen und rechtlichen, aber auch technischen Veränderungen eingegangen werden kann; dort sind auch die Anforderungen der Unternehmen und des Arbeitsmarktes besser bekannt.

3.6   Maßnahmen zur Integration von benachteiligten Jugendlichen

3.6.1

Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen brauchen auch besondere Unterstützung, um ihren Weg in den Arbeitsmarkt zu finden. In Österreich wird das durch das Programm „Jobcoaching“ (21) gewährleistet, mit dessen Hilfe Menschen mit Behinderungen oder Lernschwächen durch individuelle Beratung und Begleitung während der ersten Monate im neuen Job unterstützt werden. Diese Unterstützung versteht sich dabei als Angebot für den Jugendlichen, aber auch für das Unternehmen.

3.6.2

In Wales wurde speziell für NEETs das Projekt „Intermediate Labour Market“ geschaffen, das Jugendlichen, die am weitesten weg vom Arbeitsmarkt sind, ein gut strukturiertes Programm und Beschäftigungsmöglichkeiten anbietet. Damit sollen die Jugendlichen zur Arbeitsaufnahme motiviert werden sowie allgemeine Verhaltensregeln und Basisqualifikationen ebenso wie Hilfe bei Bewerbungen erhalten. Von den insgesamt 249 Teilnehmern haben 35 einen Arbeitsplatz bekommen.

3.6.3

Ein Beispiel für die Eingliederung von Menschen, die vom Arbeitsmarkt weit entfernt sind, ist das „Equality of Opportunity“ (22) Projekt von U.S. Steel Košice, bei dem speziell Roma aus der Umgebung von Košice beschäftigt und ausgebildet werden, die dadurch oft zum ersten Mal in Berührung mit der Arbeitswelt kommen. Seit 2002 wurden für mehr als 150 Roma Arbeitsplätze geschaffen.

3.6.4

Das belgische „Activa“-Programm (23) sieht für junge geringqualifizierte Menschen unter 25 Jahren, die mindestens 12 Monate arbeitslos sind, eine Reduktion der Arbeitgeberbeiträge für die Sozialversicherung sowie eine Lohnsubvention für fünf Quartale vor.

3.7   Maßnahmen zur Reform des Arbeitsmarktes

3.7.1

Laut dem Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit sind „in vielen Staaten Europas seit den 1980er Jahren befristete Arbeitsverträge liberalisiert worden, um mehr Einstiegsmöglichkeiten zu schaffen, ohne den in vielen Ländern stark ausgebauten Kündigungsschutz in Frage stellen zu müssen“ (24). Dies hat dazu geführt, dass jungen Menschen zunehmend nur befristete Arbeitsverhältnisse angeboten wurden, ohne Übertrittsmöglichkeiten in unbefristete Arbeitsverhältnisse. Ein stark ausgebauter Kündigungsschutz schützt zwar einerseits langjährige Mitarbeiter in Krisenzeiten eher vor Entlassungen als junge Beschäftigte, erweist sich aber auf Grund des unsicheren wirtschaftlichen Umfeldes als Hemmnis für die Einstellung von jungen unerfahrenen Arbeitskräften und verstärkt so die Segmentierung des Arbeitsmarktes.

3.7.2

Der Ausschuss empfiehlt besonders in den Mitgliedstaaten mit besonders hoher Jugendarbeitslosigkeit, Reformen im Bereich des Arbeitsmarkts unter Einbindung der Sozialpartner fortzuführen um die richtige Balance zwischen Flexibilität und Sicherheit zu finden. Reformen werden zwar nur auf mittlere Sicht wirken, können jedoch im Konjunkturaufschwung einen wesentlichen Beitrag zur raschen Senkung der Jugendarbeitslosigkeit leisten.

3.8   Anreize für Unternehmen zur Einstellung von Jugendlichen

3.8.1

Um Unternehmen die Entscheidung zur Einstellung von jungen unerfahrenen Arbeitskräften zu erleichtern, kann es hilfreich sein, zusätzliche Anreize zu bieten, die oft in Form von Lohnsubventionen oder einer Reduktion der Beiträge zu den Systemen der sozialen Sicherheit bestehen. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass es nicht zu einer Verzerrung des Wettbewerbs und zu einer Aushöhlung der Systeme der sozialen Sicherheit kommt. Beispiele dafür sind die Beihilfen, die HRDA (25) zyprischen Unternehmen für Ausbildungsprogramme von jungen Arbeitnehmern zahlt. Insbesondere KMU können damit die notwendige Ausbildung und den damit verbundenen Produktionsausfall in der Anfangsphase überbrücken.

3.8.2

Mit der finnischen „Sanssi“-Karte (26) wird einem jungen Arbeitslosen unter 30 bescheinigt, dass dessen Arbeitgeber für zehn Monate eine Lohnsubvention beantragen kann.

3.8.3

Ungarn hat den Weg gewählt, Unternehmen einen Anreiz zur Beschäftigung von unter 25-jährigen Arbeitnehmern dadurch zu bieten, dass Bruttoentgelt und Sozialversicherungsbeiträge für einen bestimmten Zeitraum reduziert werden.

3.8.4

In Italien kommen Unternehmen, die jungen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren, die in den vorangegangenen sechs Monaten keiner regulären bezahlten Beschäftigung nachgegangen sind oder über keinen Abschluss der Sekundarstufe II oder einer berufsbildenden Schule verfügen, einen unbefristeten Vertrag anbieten, über einen Zeitraum von 12 Monaten in den Genuss von Steuervergünstigungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen.

3.9   Maßnahmen zur Förderung des Unternehmertums

3.9.1

Eine der drei Säulen im „Aktionsplan Unternehmertum 2020 — Den Unternehmergeist in Europa neu entfachen“ (27) ist die unternehmerische Bildung zur Förderung des Wachstums und der Gründung von Unternehmen. Mit dem „Unternehmerführerschein“ (28) erhalten junge Menschen eine wirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Ausbildung, die nach Abschluss einer Prüfung die in Österreich für die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit nötige Unternehmerprüfung ersetzt.

3.9.2

Mit Hilfe des „Junior Company Programms“ gründen Schüler/innen im Alter von 15 bis 19 Jahren reale Unternehmen für die Dauer eines Schuljahres und bieten selbst entwickelte Produkte und Dienstleistungen auf dem realen Markt an. Wirtschaftskompetenz wird so unmittelbar erfahren.

3.9.3

Das Projekt „Extraordinary EducationTM“ erlaubt es jungen Menschen, in einer ungezwungenen Umgebung eine Geschäftsidee auszuprobieren, und vermittelt ihnen grundlegende unternehmerische und kommunikative Kompetenzen, unabhängig von Alter oder Sprache.

3.9.4

Um neuen Unternehmen Zugang zu Finanzierung zu gewähren sowie sie zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu motivieren, erlässt Rumänien neu gegründeten Unternehmen die Registrierungskosten. Darüber hinaus gibt es eine Steuererleichterung für zwei bis vier Arbeitnehmer, ein Darlehen bis zu 10  000 EUR, das 50 % des Geschäftsplans ausmacht, sowie Garantien durch die Regierung für 80 % der aufgenommenen Kredite. Zwischen 2011 und März 2014 wurden insgesamt 12  646 KMU gegründet und 22  948 Arbeitsplätze geschaffen. Nur 188 KMU wurden wieder geschlossen. Dieses erfolgreiche Programm wird auch in 2014 weitergeführt.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Eurostat — Unemployment statistics.

(2)  Eurostat — Statistics_explained — Youth_unemployment.

(3)  Eurofound — NEETs.

(4)  Chancen für die Jugend und Jugendbeschäftigungspaket.

(5)  Englisch: Framework of actions on youth employment.

(6)  ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 1; ABl. 68 vom 6.3.2012, S. 11; ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 94; ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 97; ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 103; ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 8-15; ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 67-72; ABl. C 327 vom 12.11.2013, S. 58-64; ABl. C 133 vom 9.5.2013, S. 77-80; ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 101; CCMI/118 — EESC-2013-05662-00-00-AS-TRA (Berichterstatter: FORNEA, Ko-Berichterstatter: GRIMALDI); noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.

(7)  http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.events-and-activities-eu-policies-youth-employment

http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.events-and-activities-skill-mobility-competitiveness

(8)  ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 67.

(9)  Qualitätsrahmen für Praktika.

(10)  Öffentliche Arbeitsverwaltungen (ÖAV).

(11)  Die Bildung öffnen.

(12)  Töchtertag.

(13)  NEBA — Jugendcoaching.

(14)  Joblinge.

(15)  Europäische Ausbildungsallianz.

(16)  http://www.implacement-stiftung.at/

(17)  Jobbridge.

(18)  http://youthpractices.org/assessment.php; S. 36.

(19)  http://www.f1inschools.com/

(20)  European Commission — Your first EURES job.

(21)  NEBA — Jobcoaching.

(22)  U.S. Steel Košice — Equality of Opportunity.

(23)  Belgien — Activa.

(24)  IZA — Jugendarbeitslosigkeit in Europa.

(25)  Zypern — Scheme for the job placement and training of tertiary education.

(26)  Finnland — Sanssi card.

(27)  COM(2012) 795 final.

(28)  Österreich — Unternehmerführerschein.


26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/9


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die transatlantischen Handelsbeziehungen und der Standpunkt des EWSA zu einer verstärkten Zusammenarbeit und einer möglichen Freihandelszone EU-USA“

Initiativstellungnahme

2014/C 424/02

Berichterstatter:

Jacek KRAWCZYK

Mitberichterstatter:

Sandy BOYLE

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 11. Juli 2013, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Die transatlantischen Handelsbeziehungen und der Standpunkt des EWSA zu einer verstärkten Zusammenarbeit und einer möglichen Freihandelszone EU-USA

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 20. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 187 gegen 7 Stimmen bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass eine erfolgreiche transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) für die Förderung von echtem Wachstum und Optimismus in der EU ein entscheidender Faktor sein könnte. Angesichts der allgemeinen langsamen Erholung von der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 könnte ein ausgewogenes Abkommen dazu beitragen, dass die europäische Wirtschaft wieder für Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen sorgt.

1.2

Der EWSA begrüßt die bedeutenden Möglichkeiten, die ein weitreichendes Handelsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten bietet, nicht nur für die Ausweitung von Handel und Investitionen beiderseits des Atlantiks, sondern auch angesichts seines potenziellen Beitrags zur Entwicklung besserer globaler Regeln und Normen, die für das multilaterale Handelssystem selbst förderlich wären.

1.3

Der EWSA weist in Anbetracht der verbreiteten und legitimen Forderung der EU-Bürger nach vollkommen transparenten Handelsgesprächen den Rat und die Kommission darauf hin, dass Art. 218 AEUV, insbesondere Absatz 10 („Das Europäische Parlament wird in allen Phasen des Verfahrens unverzüglich und umfassend unterrichtet“), konsequent und peinlich genau anzuwenden ist.

1.4

Die Kommission muss unbedingt die institutionelle Rolle des EWSA während der TTIP-Verhandlungen anerkennen, wie sie ihm gemäß dem Vertrag von Lissabon zukommt. Umfassende Transparenz und Konsultation des EWSA und weiterer Interessenträger der Zivilgesellschaft sind im Hinblick auf eine Unterstützung der breiten Öffentlichkeit für jede Art von Abkommen von wesentlicher Bedeutung. Die Texte müssen den Interessenträgern so früh wie möglich zur Verfügung gestellt werden.

1.5

Die Vorteile der TTIP müssen Wirtschaft, Arbeitnehmern, Verbrauchern und Bürgern gleichermaßen zugutekommen.

1.6

Im Laufe der Verhandlungen und der schrittweisen Bekanntgabe der Ergebnisse von Folgenabschätzungen müssen statistische Projektionen und Wirtschaftsprognosen aktualisiert und überwacht werden.

1.7

Den größten Nutzen wird die TTIP im Bereich der Regulierung bringen. Die nachdrückliche Zusicherung beider Seiten, dass das TTIP-Abkommen nicht zu einer Absenkung der Standards führen wird, ist von entscheidender Bedeutung. Die Einhaltung dieser Verpflichtung wird für eine breite öffentliche und politische Unterstützung ausschlaggebend sein. Der EWSA behält sich vor, das Endergebnis im Lichte all dieser Überlegungen zu beurteilen.

1.8

Anders als bei fast allen anderen bilateralen Handelsabkommen liegen die potenziellen Einsparungen und der Nutzen des TTIP-Abkommens in den nichttarifären Hemmnissen. Obwohl lediglich rund 20 % der Einsparungen auf Zollermäßigungen zurückzuführen sind, gibt es in bestimmten Schlüsselbranchen Spitzenzölle, die es anzugehen gilt. Beim Marktzugang ist die Gegenseitigkeit von großer Bedeutung.

1.9

Ein substanzielles Kapitel zu Handel und nachhaltiger Entwicklung ist überaus wichtig. Dieser Aspekt wird von der Zivilgesellschaft beiderseits des Atlantiks aufmerksam verfolgt.

1.10

Bei der Förderung von Wachstum können transatlantische Investitionen einen wichtigen Impuls geben. Der Vorschlag eines Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat (ISDS, Investor State Dispute Settlement) stieß in der Öffentlichkeit beiderseits des Atlantiks auf starke Bedenken. Die Kommission hat eine öffentliche Online-Konsultation zu den Modalitäten des Investitionsschutzes und der Investor-Staat-Streitbeilegung im Rahmen der TTIP durchgeführt, und am Ende dieses Prozesses muss ein transparenter und integrativer Dialog stattfinden. Bei dessen Förderung kann der EWSA eine wichtige Rolle spielen.

1.11

Die TTIP ist unter allen zivilgesellschaftlichen Gesichtspunkten in der EU und den USA auf enormes Interesse gestoßen. Der EWSA unterhält bereits hervorragende Beziehungen zu US-amerikanischen Wirtschaftsakteuren, Gewerkschaften und Landwirtschafts-, Verbraucher- und Umweltorganisationen. Es besteht eine deutliche Bereitschaft zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau dieser Kontakte, und der EWSA verfügt über eine sehr gute Position, um den laufenden Dialog und die Zusammenarbeit zu fördern und zu vertiefen.

1.12

Der EWSA begrüßt es, dass eine aus drei EWSA-Mitgliedern bestehende Überwachungsgruppe einen gleichberechtigten Zugang zu Dokumenten wie die von der Kommission eingesetzte Beratergruppe erhalten soll. Nach Ansicht des EWSA wird damit seine Funktion als offizielle beratende Einrichtung entsprechend dem Vertrag von Lissabon anerkannt.

Empfehlungen

1.13

Die TTIP muss vom EWSA als eine fortdauernde Priorität für die gesamte Verhandlungsdauer und die Umsetzung jedes Abkommens anerkannt werden. Der EWSA muss sämtliche Aspekte der TTIP-Verhandlungen genau überwachen. Es sollte ein projektbasierter Ansatz verfolgt werden. Im Rahmen der Konsultationen der europäischen und US-amerikanischen Zivilgesellschaft und der Europäischen Kommission sollten Bereiche ermittelt werden, die für die künftige Zusammenarbeit besonders zweckmäßig sind.

1.14

In Bezug auf die Kohärenz von Rechtsvorschriften sollte ein ehrgeiziger und transparenter Ansatz verfolgt werden, wobei bewährte Verfahrensweisen bei den Verhandlungen als Grundlage dienen sollten. Es ist wesentlich, dass beide Parteien ihre Zusagen einhalten, dass es keine Absenkung der Standards geben wird.

1.15

Das Abkommen sollte wirksame Mechanismen und eine Zusammenarbeit im Bereich der Regulierung umfassen, um eine frühzeitige Konsultation zu neuen Vorschriften, die sich auf die Interessen beider Parteien auswirken könnten, zu erleichtern. Das Recht der EU, ihrer Mitgliedstaaten bzw. der USA, Bereiche wie Gesundheit, Verbraucherschutz, Arbeitsmarkt und Umweltschutz in einem Umfang zu regulieren, den sie als geeignet erachten, muss davon unberührt bleiben.

1.16

Beide Parteien sollten bei den Zöllen einen ehrgeizigen Ansatz an den Tag legen und sich auf deren Abschaffung und/oder schrittweisen Abbau einigen. Dies muss so erfolgen, dass es von gegenseitigem Nutzen ist.

1.17

Die Teilnahme an bilateralen Handelsverhandlungen sollte die Verpflichtung der EU gegenüber der WTO und für ein starkes multilaterales globales Abkommen nicht beeinträchtigen.

1.18

Ein solides und substanzielles Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung muss ein fester Bestandteil des Abkommens sein. Hierzu gehört folgendes:

Bekräftigung der mit der Mitgliedschaft in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) einhergehenden Verpflichtungen beider Parteien.

Mindestgrundlage bilden die acht Kernübereinkommen der ILO, wie sie in der Singapurer WTO-Erklärung von 1996 bestätigt wurden.

Bekräftigung eines gemeinsamen Engagements zugunsten der wirksamen Durchsetzung, Förderung und Stärkung der Rechtsvorschriften und Initiativen im Umweltbereich.

Verpflichtung zur Gewährleistung und Förderung des Erhalts sowie der nachhaltigen Nutzung und Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen und Bekenntnis zu wichtigen multilateralen Umweltübereinkommen.

1.19

Nach Abschluss der von der Kommission durchgeführten Konsultation zum Thema „Investitionsschutz und Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten im Rahmen der TTIP“ sollte der EWSA einen breit angelegten Dialog zum Thema ISDS ermöglichen. Zu diesem Zweck sollte die Europäische Kommission erläutern, wie sie die Ergebnisse der Konsultation bewerten und berücksichtigen wird, und sie sollte eine vorläufige Bestimmung des Begriffs „unseriös“ liefern angesichts der erklärten Zielstellung der „Vermeidung unseriöser Klagen“ oder auch des „öffentlichen Interesses“ in Bezug auf die geplanten Ausnahmen von dem Verbot einer Enteignung.

1.20

Der EWSA sollte als Teil seiner laufenden Projektarbeiten zur TTIP eine Initiativstellungnahme zum ISDS erarbeiten.

1.21

Der EWSA begrüßt die Aufnahme eines Kapitels zu Fragen der KMU.

1.22

Der spezifische Charakter der öffentlichen Dienstleistungen in der EU sollte im Einklang mit den Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewahrt bleiben.

1.23

Die Gewährleistung einer verlässlichen Energieversorgung und der Zugang zu strategischen Rohstoffen ist von erheblicher Bedeutung. Im Rahmen der TTIP sollten Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger gefördert und das Recht beider Parteien auf die Beibehaltung bzw. die Schaffung von Normen und Vorschriften in diesem Bereich gewährleistet werden. Zugleich ist eine weitestmögliche Annäherung der EU- und der US-amerikanischen Normen anzustreben.

1.24

Es ist von grundlegender Bedeutung, dass auf beiden Seiten des Atlantiks die gleichen Zugangsbedingungen zu öffentlicher Auftragsvergabe gelten. In keiner Bestimmung darf das Recht der Mitgliedstaaten sowie der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, ihre eigene demokratisch vereinbarte Sozial- und Umweltpolitik zu verfolgen, ausgehöhlt werden.

1.25

Beide Vertragsparteien sollten anerkennen, dass die Förderung und der Schutz der Verbraucherinteressen für eine umfassende Unterstützung eines Abkommens durch die Öffentlichkeit von ausschlaggebender Bedeutung sind.

1.26

Die geltenden europäischen Kriterien in den Bereichen Agrarwirtschaft sowie Landwirtschaft und Lebensmittel müssen beachtet, und das im Vertrag von Lissabon verankerte Vorsorgeprinzips muss eingehalten werden.

1.27

Die TTIP sollte eine praktische Lösung zur Gewährleistung der Rechtssicherheit für die Unternehmen auf der Grundlage geografischer Indikatoren umfassen.

1.28

Die Informationssitzungen für die Zivilgesellschaft am Ende der einzelnen Verhandlungsrunden sollten sich über die gesamte Dauer der Verhandlungen erstrecken und sollten zumindest bis zur letzten Konsultationsphase vor der Paraphierung andauern. Solche Informationssitzungen fänden weitaus größere Zustimmung in der Öffentlichkeit, wenn die Europäische Kommission verdeutlichen würde, dass sie konsultativer Natur sind und die von den Interessenträgern vertretenen Ansichten von den Verhandlungspartnern gebührend berücksichtigt werden.

1.29

Ein starker gemeinsamer Überwachungsmechanismus seitens der Zivilgesellschaft muss fester Bestandteil des Abkommens sein. In diesem Zusammenhang sollte jede Partei dazu verpflichtet werden, Vertreter der eigenen Zivilgesellschaft anzuhören, und zwar im Rahmen einer internen Beratungsgruppe (IBG), in der die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Interessen gleichermaßen vertreten sind. Aufseiten der EU sollte der EWSA eine Schlüsselrolle innerhalb dieses Mechanismus übernehmen. Die IBG sollte:

ermächtigt sein, Empfehlungen an die jeweiligen Behörden und die gemeinsamen politischen Behörden des Abkommens (z. B. gemeinsamer Ausschuss für Handel und nachhaltige Entwicklung) zu richten. Die politischen Behörden sollten diesen Empfehlungen wiederum wirksam und innerhalb einer festgelegten Frist nachkommen;

die Möglichkeit haben, offizielle Ersuchen anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Umsetzung des Kapitels über die nachhaltige Entwicklung einzureichen und diese an die politischen Behörden mit der Bitte um Weiterbehandlung weiterzuleiten;

Stellungnahmen und Empfehlungen entsprechend den Ersuchen Dritter abgeben können;

unter gewissen Umständen die Möglichkeit haben, bei Verstößen gegen die Bestimmungen des Kapitels zur nachhaltigen Entwicklung die Parteien um die Einleitung eines Konsultationsverfahrens bzw. einer Streitbeilegung zu ersuchen.

1.30

Darüber hinaus ist es von wesentlicher Bedeutung festzulegen, dass die Vertreter der internen Überwachungsmechanismen der beiden Parteien mindestens einmal jährlich als ein gemeinsames Gremium tagen, um die Umsetzung des Kapitels zur nachhaltigen Entwicklung zu prüfen und gemeinsame Mitteilungen und Empfehlungen an beide Parteien zu richten.

1.31

Der Transatlantische Arbeitnehmerdialog und der Transatlantische Umweltdialog sollen im Rahmen des Transatlantischen Wirtschaftsrates ihre Arbeit aufnehmen. Diese Forderung stellte der EWSA bereits in seiner Stellungnahme vom März 2009 (1).

1.32

Als unmittelbare Priorität sollte der EWSA eine Kontaktgruppe EU-USA einrichten.

2.   Einleitender Hintergrund

2.1

Bei der Ankündigung der Einleitung von Verhandlungen über eine umfassende Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen den USA und der EU hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des Präsidenten der Europäischen Kommission Jose Manuel Barroso, des Präsidenten des Europäischen Rates Herman Van Rompuy und von US-Präsident Barack Obama: „Durch diese Verhandlungen bietet sich für die Vereinigten Staaten und die Europäische Union die Gelegenheit, nicht nur den Handel und die Investitionen über den Atlantik auszudehnen, sondern auch zur Entwicklung weltweiter Bestimmungen beizutragen, die das multilaterale Handelssystem stärken können.“

2.2

Diese Erklärung verdeutlicht das Potenzial dieses Abkommens für die Festlegung von Normen in einem multilateralen Kontext. In jüngster Zeit hat die EU Verhandlungen über eine Reihe bilateraler Handelsabkommen aufgenommen und in einigen Fällen bereits abgeschlossen. Auch wenn diese Abkommen erhebliches Potenzial bieten, bekräftigt der EWSA seine deutliche Präferenz für ein solides multilaterales Abkommen, das im Rahmen der WTO ausgehandelt wurde. Die EU sollte den eingeschlagenen Kurs beibehalten und auf den bescheidenen Erfolgen der Ministerkonferenz in Bali 2013 aufbauen.

3.   Politischer Hintergrund

3.1

Auf beiden Seiten des Atlantiks und in beiden politischen Lagern der USA besteht der unbedingte politische Wille, die TTIP-Verhandlungen zu einem Erfolg zu führen. Ziel sollte es sein, die Verhandlungen vor Ablauf der Amtszeit der derzeitigen US-Regierung abzuschließen.

3.2

Der EWSA begrüßt erneut das herzliche und positive Klima der Gespräche als Anzeichen für eine Weiterführung zu einem zukunftsorientierten Ergebnis. Er ist ermutigt durch die Versicherungen beider Seiten, dass diese Verhandlungen nicht zu einer Absenkung der Standards führen werden. Der EWSA wird die Verhandlungen aufmerksam verfolgen und sieht einem Austausch einschlägiger vorbildlicher Verfahren erwartungsvoll entgegen.

3.3

Der EWSA stellt fest, dass jede Verhandlungsphase bis zum Abschluss des endgültigen Abkommens einer nachdrücklichen Unterstützung durch die „auf Unionsebene unmittelbar im Europäischen Parlament vertreten[en]“ (siehe Art. 10, Abs. 2 EUV) EU-Bürger bedarf. Daher fordert der EWSA den Rat und die Kommission auf, die in Art. 218 AEUV, insbesondere Absatz 10 („Das Europäische Parlament wird in allen Phasen des Verfahrens unverzüglich und umfassend unterrichtet.“), vorgegebenen Verfahren peinlich genau anzuwenden.

3.4

Die Verhandlungspartner müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, um die Zivilgesellschaft während des Verhandlungsprozesses regelmäßig zu konsultieren und auf dem Laufenden zu halten. Eine umfassende Transparenz ist unerlässlich, und die Texte müssen den Interessenträgern so früh wie möglich zur Verfügung gestellt werden, um rechtzeitige konstruktive Bemerkungen in einer Phase zu ermöglichen, in der sie während des Verhandlungsprozesses berücksichtigt werden können. Dies würde mit Blick auf die Ernennung der neuen Europäischen Kommission auch zu einem reibungslosen Übergang beitragen.

3.5

Das transatlantische Beziehungsklima wurde durch die Enthüllungen über die NSA-Spähaffäre beeinträchtigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Rede vor dem Bundestag (18. November) das heikle Thema der NSA und die laufenden Verhandlungen miteinander in Verbindung gebracht und betont, die transatlantischen Beziehungen und damit auch die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen stünden momentan wegen der Anschuldigungen gegen die USA auf dem Prüfstand. Die Anschuldigungen seien gravierend. Sie müssten erklärt und — was noch wichtiger für die Zukunft sei — neues Vertrauen müsste geschaffen werden. Das Europäische Parlament hat eine Entschließung (2) angenommen, in der deutlich zum Ausdruck kommt, dass die Zustimmung des Parlaments zur Handelsvereinbarung zwischen der EU und den USA „gefährdet sein könnte“, solange die pauschale Massenüberwachung durch die nationale Sicherheitsagentur der Vereinigten Staaten (NSA) nicht eingestellt wird. Der EWSA bringt seine Hoffnung darüber zum Ausdruck, dass Diplomatie und guter Wille zur Lösung dieses Problems beitragen werden.

3.6

Die TTIP-Verhandlungen werden einen Lackmus-Test für die Wiederherstellung des notwendigen Vertrauens darstellen, und es ist wichtig, auf den früheren positiven Tenor der Mitteilung des Exekutivbüros des Präsidenten an den Sprecher des Repräsentantenhauses (März 2013) hinzuweisen, in der die Verhandlungsrichtung vorgegeben werde: „Die potenziellen Gewinne rechtfertigen die Anstrengungen in überwältigendem Maße“. In diesem Sinne nähert sich der EWSA seinen eigenen Überlegungen.

4.   Untersuchungen über die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen der TTIP

4.1

Es ist berechtigt, Zweifel an den letztlichen Erfolgsaussichten zu hegen, insbesondere angesichts früherer Erfahrungen, namentlich der Initiative von Sir Leon Brittan aus dem Jahr 1998 und der jüngeren transatlantischen Dialoge der 2000-Jahre. Zur Gewährleistung einer vorteilhaften Situation für beide Seiten sollten gemeinsame Studien angestrebt werden, in denen die Aussichten für beiderseitige Beschäftigungszuwächse und etwaige Beschäftigungsverluste näher beleuchtet werden. Ohne Wachstum werden indes keine neuen Arbeitsplätze entstehen. Die Ergebnisse der Untersuchung von Kopenhagen Economics von 2010 über die Auswirkungen aktiver ADI der EU, wonach es keine messbaren negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung geben würde, sind in diesem Zusammenhang ebenso von Bedeutung.

4.2

Die EU sollte alles daran setzen, um die TTIP-Verhandlungen zu einem Erfolg zu führen. Beim Marktzugang ist die Gegenseitigkeit von großer Bedeutung. Jüngste Untersuchungen (3) einschließlich der Folgenabschätzung der Kommission zeigen, dass sich die Vorteile nur aus einem umfassenden Abkommen ergeben.

4.3

Die Verhandlungen sollen auf den bisherigen Erfolgen aufbauen. Berechnungen zufolge stehen die Beziehungen zwischen der EU und den USA bereits kombiniert für 13 Millionen Arbeitsplätze und für Investitionen von knapp 3,9 Billionen USD und machen 45 % des globalen BIP aus.

4.4

Es wurden bereits intensive statistische Projektionen durchgeführt. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat die Vermutung geäußert, dass ein umfassendes Abkommen zu einem Anstieg des BIP um 119 Milliarden EUR in der EU und um 95 Milliarden in den USA führen würde.

Nach Schätzungen der Business Coalition for Transatlantic Trade (Geschäftskoalition für transatlantischen Handel) würden durch die TTIP 0,5 Millionen hochbezahlter Arbeitsplätze in der EU und in den USA geschaffen.

4.5

Es gibt jedoch auch weniger optimistische Prognosen. So schätzt das Centre for Economic Policy Research (CEPR), dass die meisten neuen Arbeitsplätze in den gering qualifizierten Sektoren entstehen werden, während hochqualifizierte Arbeitsplätze in der Elektronikbranche der EU besonders stark zurückgehen werden. Das Zentrum schätzt, dass 0,2-0,5 % der Erwerbstätigen der EU infolge der durch die TTIP verursachten wirtschaftlichen Umstrukturierung möglicherweise den Arbeitsplatz wechseln müssten. Es ist wichtig, dass solche Veränderungen in einem frühen Stadium erkannt und geeignete Maßnahmen in den betroffenen Wirtschaftszweigen bzw. Mitgliedstaaten ergriffen werden, um übertragbare Kompetenzen zu erkennen und Umschulungen für diese qualifizierten Arbeitskräfte durchzuführen.

4.6

Es lässt sich nicht vermeiden, dass die Auswirkungen einer erfolgreichen TTIP ungleich wären; ihre Konsequenzen hätten nationale, regionale und branchenspezifische Variablen. Daher müssen die statistischen Projektionen im Laufe der Verhandlungen permanent aktualisiert und überwacht werden; die Zusicherung muss angesichts der sich entwickelnden Realität überprüft werden.

4.7

Es ist von grundlegender Bedeutung, dass der EWSA solche notwendigen Folgenabschätzungen fördert und sich laufend darüber informiert, insbesondere in den Bereichen Schaffung von Arbeitsplätzen, berufliche Mobilität, Arbeitsplatzqualität und Technologieanwendung.

4.8

Studien dieser Art sind bereits Teil des Prozesses auf EU-Seite (z. B. die von der Europäischen Kommission derzeit durchgeführte handelsbezogene Nachhaltigkeitsprüfung (4)), doch ist es äußerst wichtig, dass diese auf einer breiten Grundlage beruhen, offen und transparent sind und einen kontinuierlichen Beitrag der Zivilgesellschaft umfassen. Der EWSA ist bereit, einen wesentlichen, regelmäßigen Beitrag zu leisten. Es sollte während des gesamten Prozesses ein permanentes, konstruktives Engagement und eine grundlegende Anerkennung der Rolle der Zivilgesellschaft geben. Diese Stellungnahme ist ein erster Beitrag des EWSA in diesem Sinne.

4.9

Der EWSA behält sich das Recht vor, das Endergebnis im Lichte all dieser Verpflichtungen zu beurteilen.

5.   Abbau von Zöllen im transatlantischen Handel

5.1

Trotz allgemein relativ niedriger Zölle gibt es beiderseits des Atlantiks auch Spitzenzölle für einige sensible Erzeugnisse wie Tabak, Textilien und Bekleidung, Zucker, Schuhe, Milchprodukte und einige Gemüsesorten. Zudem belegen die USA Lebensmittelzubereitungen, Fisch- und Fleischzubereitungen, Zubereitungen aus Getreide, Nudeln und Schokolade nach wie vor mit hohen Abgaben. Für Akteure dieser Branchen könnte die Abschaffung von Zöllen ein besonderer Anreiz für Exportaktivitäten sein.

5.2

Zudem zeichnet sich der transatlantische Handel durch ein hohes Maß an unternehmensinternem Handel und Handel mit Zwischenprodukten aus. Endprodukte sind häufig Ergebnis einer recht komplexen Lieferkette, innerhalb derer auch geringe Zölle große Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Produktes haben können. Daher sollten so viele Zölle wie möglich ab dem ersten Tag des Inkrafttretens des Abkommens abgeschafft werden. Die Übergangszeiträume für die übrigen Zölle sollten nicht länger als fünf Jahre sein.

6.   Überbrückung grundlegender Unterschiede in den Bereichen Regulierung und Standardisierung

6.1

Sowohl in den USA als auch in der EU wird allgemein anerkannt, dass die TTIP im Bereich der Regulierung das größte Potenzial aufweist. Der EWSA begrüßt die nachdrückliche Verpflichtung des EU-Chefunterhändlers Ignacio Garcia Bercero, dass es „in diesen Verhandlungen nicht — ich wiederhole: nicht — um eine Absenkung der Standards geht.“

6.2

Dieser Punkt ist von grundlegender Bedeutung für den EWSA, und vor dem Hintergrund dieser Aussage und ihrer Bekräftigung durch den Chefunterhändler der USA Dan Mullaney in der Informationssitzung der Zivilgesellschaft (November 2013) verzichtet der EWSA in dieser Stellungnahme darauf, einige der zahlreichen Bedenken hervorzuheben, die entstehen würden, wenn diese Verpflichtung nicht vollständig eingehalten würde.

6.3

Die USA sind nicht nur der größte Handelspartner der EU, sondern auch ein Partner mit ähnlicher Gesinnung, mit dem wir viele Ideale und Werte teilen. Die Gemeinsamkeiten zwischen den EU und den USA sind bei Weitem größer als unsere Meinungsverschiedenheiten. Dies ist eine seltene Situation — und eine hervorragende Grundlage für ein anspruchsvolles Ergebnis. Um das Potenzial für Ausfuhren voll auszuschöpfen, sollte der Schwerpunkt darauf liegen, nichttarifäre Hemmnisse zum gegenseitigen Nutzen abzubauen und zu beseitigen und zugleich das gegenwärtige Schutzniveau für Bürger, den Verbraucher, die Arbeits- und Umweltstandards beizubehalten. Darauf sollten wir bauen.

6.4

Allerdings gibt es unterschiedliche Ansätze bei der Regulierung und Standardisierung, die in einigen Bereichen wie Chemikalien, Lebensmittelsicherheit, Landwirtschaft, Motorfahrzeuge, Kosmetika, Textilien und Arzneimittel viel eingehender geprüft werden müssen. Durch eine größere Kohärenz der Rechtsvorschriften, die Harmonisierung und gegenseitige Anerkennung von Prüfungen und Konformitätsbewertungen, um ähnliche Ergebnisse durch ähnliche Verfahren zu erzielen, dürfte in vielen Bereichen ein beidseitiger Nutzen möglich sein. Jede dieser Optionen sollte jedoch internationalen Normen entsprechen.

6.5

Zur Erleichterung des Handels sollte die Modernisierung der Verfahren und die Zusammenarbeit im Zollwesen zu einer Vereinfachung und zur Abschaffung unnötiger Gebühren und Kontrollen führen.

6.6

Ein wesentliches Merkmal einer engeren Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA bei der Regulierung sollte in der Förderung und dem Austausch vorbildlicher Verfahren sowie in der Verbesserung der Sicherheit, der Gesundheit und des wirtschaftlichen Wohls der Menschen beiderseits des Atlantiks bestehen.

6.7

Ebenso hochgesteckte Ziele sollten die Verhandlungen über technische Handelshemmnisse (TBT) leiten; hier könnte unter anderem ein Kapitel „TBT-plus“, ausgehend von dem Ziel, die Standards nicht abzusenken, zu größerem Vertrauen in die jeweiligen Regelungssysteme führen.

6.8

Zur Vermeidung neuer Hemmnisse sollten wirksame Mechanismen, etwa durch eine frühzeitige Konsultation zu neuen Vorschriften mit potenziell beträchtlichen Auswirkungen auf die Industrie in den USA oder die EU, eingeführt werden, sofern dies nicht dem Recht der Vertragsparteien entgegenstehen, Vorschriften entsprechend dem Gesundheitsschutzniveau, dem Niveau an Schutz der Bürger/Verbraucher sowie der Arbeits- und Umweltstandards zu erlassen, das die Vertragsparteien im öffentlichen Interesse für angemessen halten.

6.9

Es ist wichtig, dass die Praxis der Beschlussfassung auf dem Gebiet der Regulierung auf beiden Seiten des Atlantiks sowie die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA sollten auf einer Reihe von Grundsätzen wie Transparenz, Rechenschaftspflicht und einer Politikgestaltung beruhen, damit die Fakten ohne Verzerrungen und offen aus allen Gesellschaftsbereichen zusammengetragen werden.

6.10

Die Unterschiede zwischen den Parteien in puncto Regeln und Standards könnten in künftigen Bestimmungen durch umfassende, frühe Dialoge und Konsultationen reduziert werden, wodurch Differenzen minimiert und die Kosten sowohl für die Erzeuger als auch für die Verbraucher verringert werden könnten.

7.   Nachhaltige Entwicklung und abweichende Standards

7.1

Der EU und den USA kommt in der Diskussion über nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene ebenso wie bei der internationalen Zusammenarbeit zur Erreichung der entsprechenden Ziele eine entscheidende Rolle zu. Zugleich ist sowohl für die EU als auch für die USA das Streben nach nachhaltiger Entwicklung unter allen ihren drei Aspekten (Wirtschaftswachstum, soziale Entwicklung und Umweltschutz) zum Wohl der eigenen Bevölkerung von Bedeutung. In diesem Zusammenhang bietet die TTIP, und insbesondere das Kapitel zu Handel und nachhaltiger Entwicklung, für die EU und die USA Gelegenheit, ihr Bekenntnis zu nachhaltiger Entwicklung durch ihre jeweilige Politik sowie durch vermehrte Handels- und Investitionstätigkeiten, ebenso wie durch Dialog und Zusammenarbeit im Rahmen des künftigen Abkommens zu bekräftigen.

7.2

Seit Dezember 2009 hat sich die EU im Einklang mit dem Vertrag von Lissabon (5), darum bemüht, in jedes Handelsabkommen, das sie aushandelt, ein Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung aufzunehmen. Der EWSA ebenso wie das EP unterstützen diese Bemühungen ausdrücklich.

7.3

Es ist wichtig, dass in dem neuen Abkommen das Recht der Parteien bekräftigt wird, im Einklang mit ihrem Bekenntnis zu internationalen Normen und Abkommen ihre eigenen Prioritäten für die nachhaltige Entwicklung sowie ihre eigenen politischen Maßnahmen und Rechtsvorschriften zu bestimmen und aufzustellen.

7.4

Die viel zitierte Verpflichtung der Kommission, dass die Standards der EU in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umwelt, Arbeit und Verbraucherschutz nicht abgesenkt werden, ist begrüßenswert. Trotzdem sollte der EWSA dies überwachen und sicherstellen, dass diese Zusicherung nicht unterminiert wird.

7.5

Wir sollten auf dieser Grundlage weiterarbeiten und die zentralen Anliegen beschreiben und ein positives künftiges Vorgehen vorschlagen, das unter anderem auch soziale Themen umfassen sollte. Die TTIP muss vom EWSA als eine fortdauernde Priorität für die gesamte Verhandlungsdauer und die Umsetzung anerkannt werden.

7.6

Die Vertragsparteien sollten ihr Bekenntnis zu wirksamer Umsetzung und Durchsetzung ihrer Rechtsvorschriften im Bereich der Arbeit bekräftigen. Sie sollten ferner ihre Verpflichtungen erneuern, die sich aus der Mitgliedschaft in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), unter anderem aus der für alle ILO-Mitglieder verbindlichen Erklärung der ILO über die Grundprinzipien und Grundrechte am Arbeitsplatz ergeben. Die acht Kernübereinkommen der ILO (wie sie in der Singapurer WTO-Ministererklärung von 1996 bestätigt wurden), müssen — wie in allen jüngsten Freihandelsabkommen der EU — weiterhin die Mindestgrundlage der sozialen Aspekte jedes Kapitels zur nachhaltigen Entwicklung für die TTIP bilden (6).

7.7

Die EU hat stets die „Sozialagenda“ zur Vollendung ihres eigenen Binnenmarktes gefördert, und der EWSA selbst ist die Verkörperung dieser Verpflichtung der EU zu Dialog und Konsens. Die EU sollte dem in gewisser Weise unterschiedlichen Sozialmodell der USA Respekt zollen, dabei jedoch auch ihr eigenes auf sozialer Solidarität basierendes Modell umfassend fördern und schützen.

7.8

Die Parteien sollten die Bedeutung einer globalen umweltpolitischen Steuerung und weltweit geltender Vorschriften zur Bekämpfung gemeinsamer Umweltprobleme anerkennen. Sie sollten ihr Bekenntnis zu wirksamer Umsetzung und Durchsetzung ihrer Rechtsvorschriften im Bereich Umweltschutz bekräftigen. Zudem sollten die Vertragsparteien ihre Zusage erneuern, weiterhin Maßnahmen zu ergreifen, um die Erhaltung, die nachhaltige Nutzung und die Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen sicherzustellen und zu fördern. In diesem Zusammenhang sollten die Parteien auch ihr Bekenntnis zu multilateralen Umweltübereinkommen erneuern.

7.9

Die TTIP sollte der EU und den USA auch Gelegenheit bieten, Handel und Investitionen zur Unterstützung nachhaltiger Entwicklung zu fördern, etwa durch die Liberalisierung des Handels mit Umweltgütern und -dienstleistungen (entsprechend der am 24. Januar 2014 in Davos angekündigten Initiative, der sich beide Parteien angeschlossen haben), die Förderung der sozialen Verantwortung von Unternehmen u. a.

7.10

Anders als die USA hat die EU bis heute noch nicht die Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen aufgenommen, die im Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung des allgemeinen Streitbeilegungsverfahrens behandelt werden. Stattdessen sind diese Fragen Gegenstand eines Konsultationsverfahrens, das keine Handelssanktionen zur Folge haben kann. Der EWSA fordert die Kommission auf, diesen unverständlichen Sachverhalt zu erklären.

8.   Investitionen

8.1

Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon liegen Investitionen nunmehr im Kompetenzbereich der EU. Ein neues Abkommen würde alle bisherigen, bilateral zwischen den USA und neun Mitgliedstaaten geschlossenen Investitionsabkommen ersetzen.

8.2

Auf multilateraler Ebene sind die EU und die USA Unterzeichner des WTO-Abkommens über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen (TRIM) an. Allerdings betrifft dies nur den Handel von Waren, nicht aber von Dienstleistungen und weitere zentrale Bereiche, die sich in den letzten 20 Jahren entwickelt haben. Darüber hinaus haben die EU und die USA im April 2012 ein Abkommen über weitreichende Investitionsgrundsätze abgeschlossen und andere Länder dazu aufgerufen, ihrem Beispiel zu folgen.

8.3

Die Frage der Aufnahme eines ISDS-Mechanismus ist in der Öffentlichkeit beiderseits des Atlantiks auf großes Interesse und starke Bedenken gestoßen. Wir begrüßen es, dass die Kommission die erheblichen Besorgnisse der Öffentlichkeit gegenüber aggressiven Rechtsstreitigkeiten anerkennt (7) und den Kommissionsbeschluss, aufgrund des großen öffentlichen Interesses eine gesonderte öffentliche Konsultation zu dem ISDS-Kapitel der TTIP durchzuführen. Diese, am 27. März 2014 eröffnete öffentliche Konsultation ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Zivilgesellschaft zur Mitgestaltung der Verhandlungen angeregt werden kann.

8.4

Es ist wesentlich, dass die in der TTIP vorgeschlagenen ISDS-Bestimmungen die EU-Mitgliedstaaten nicht in ihrer Fähigkeit beschneiden, Regeln im öffentlichen Interesse aufzustellen. Der EWSA nimmt die Bemühungen um eine größere Transparenz zur Kenntnis und wird eine Initiativstellungnahme zum ISDS erarbeiten.

8.5

In Absatz 8 ihres Hintergrundpapiers vom 3. Oktober 2013 erläutert die Kommission Vorschläge zur Beseitigung des möglichen Missbrauchs von ISDS-Verfahren. Der EWSA ist jedoch der Ansicht, dass weiterhin Unklarheiten bezüglich verschiedener Begriffe — unter anderem „unseriöse Klagen“ und „öffentliches Interesse“ — bestehen und dass dringend eine ordnungsgemäße Definition festgelegt werden muss.

8.6

Der EWSA sieht es als wichtig an, dass die EU in den Verhandlungen mehrere Bedingungen für die Aufnahme von ISDS in das Abkommen stellt: Eine davon sollte sein, dass die jeweiligen Bestimmungen des Abkommens den Mitgliedstaaten ermöglichen, „ohne Diskriminierung legitimierte politische Ziele in den Bereichen Soziales, Umwelt, Sicherheit, Verbraucherschutz, Stabilität des Finanzsystems, Gesundheit und Gefahrenabwehr zu verfolgen“. Diese Position muss eines der Leitprinzipien für die EU-Verhandlungsführer sein und sollte in dem Abkommen deutlich angeführt werden.

9.   KMU

9.1

In der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten sind KMU und neu gegründete Unternehmen entscheidende Antriebskräfte für Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Mehr als 20 Millionen Unternehmen in der EU und 28 Millionen Unternehmen in den USA sind KMU. Auf beiden Seiten des Atlantiks sind KMU wichtige Urheber von Innovationen, neuen Produkten und neuen Dienstleistungen; sie profitieren bereits heute vom transatlantischen Handel.

9.2

Die TTIP wird den KMU besonders zugutekommen, da kleinere Unternehmen mit weniger Reservemitteln als größere Unternehmen, in der Regel unverhältnismäßig stark von Handelshemmnissen betroffen sind. Zu den Bereichen, in denen sich die TTIP vorteilhaft auf KMU auswirken kann, gehören Zölle, Regulierungsfragen, nichttarifäre Handelshemmnisse, Dienstleistungen, der elektronische Handel, öffentliche Ausschreibungen, Zoll- und Handelserleichterungen und die Rechte an geistigem Eigentum.

9.3

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass in das TTIP-Abkommen ein Kapitel zu Fragen, die KMU betreffen, aufgenommen wird. Im Rahmen eines solchen Kapitels ließen sich Mechanismen einrichten, durch die beide Seiten gemeinsam auf eine leichtere Teilnahme von KMU am transatlantischen Handel hinwirken könnten. Zu den Maßnahmen könnte ein KMU-Ausschuss, der sich mit kleineren Unternehmen befasst, ebenso gehören wie die Entwicklung internetbasierter Informationen und anderer Mittel, die den KMU das Verständnis der Bestimmungen des Abkommens und der ihnen daraus entstehenden Vorteile erleichtern würden.

10.   Verbraucherinteressen

10.1

Das Vertrauen der Verbraucher ist für den Erfolg des TTIP von entscheidender Bedeutung. Das Verbrauchervertrauen ist Voraussetzung für Konsum, der sich wiederum positiv auf Wachstum und Arbeitsplätze auswirkt. Es ist daher unerlässlich, dass den Verbrauchern Garantien an die Hand gegeben werden, die Vertrauen in den transatlantischen Markt schaffen. Zunächst ist daher die Klarstellung wichtig, dass bestehende Normen nicht gelockert werden. Die Herausforderung besteht darin, diese Zusage in die Wirklichkeit umzusetzen, wobei ein eindeutiger Rechtsrahmen zu schaffen ist, damit es nicht zu einer solchen Absenkung kommen kann, und neben anderen Initiativen die Zivilgesellschaft ordnungsgemäß und rechtzeitig über den Prozess der Angleichung von Rechtsvorschriften zu informieren. Zudem sollten Bestimmungen aufgenommen werden, um das Recht der Bürgerinnen und Bürger zu wahren, die Durchsetzung der Normen bei Verstößen zu verlangen.

10.2

Es herrscht die Sorge, dass die Öffnung der Grenzen und die Abschaffung von Handelshemmnissen zu einer stärkeren Verbreitung verunreinigter Lebensmittel mit entsprechenden Folgen führen könnte. Das TTIP-Abkommen bietet eine hervorragende Gelegenheit, ein gemeinsames Alarmsystem für die EU und die USA zu entwickeln. Dessen Zweck wäre es, den Verbraucherschutz zu verbessern und im Falle eines Vorkommnisses die negativen Auswirkungen auf den Handel möglichst gering zu halten.

10.3

Die Rückverfolgbarkeit der Inhaltsstoffe von Lebensmitteln und Lebensmittelerzeugnissen ist von entscheidender Bedeutung für Sicherheit, Qualität und bewusste Kaufentscheidungen. Die TTIP bietet der EU und den USA Gelegenheit, die komplexen weltweiten Lebensmittelversorgungsketten und -netze besser zu erfassen und stabile, kompatible und interoperable Verfahren zu entwickeln (u. a. Systeme zur Identifizierung von Tieren), mit denen die Rückverfolgbarkeit und die Echtheit von Lebensmitteln gewährleistet werden kann.

10.4

Um die Markteinführung industriell hergestellter Nanomaterialien verfolgen zu können, sollte die Berichtspflicht und der Informationsaustausch über neue Produkte eingeführt werden. Über diese Nanomaterialien sollte zudem ein umfassendes, der Öffentlichkeit zugängliches Verzeichnis angelegt werden.

11.   Dienstleistungen

11.1

Aus zahlreichen Statistiken geht hervor, dass die Zunahme von Handel und Investitionen im Dienstleistungssektor einer der wichtigsten potenziellen Wachstumsfaktoren sein könnte. Darum ist es wichtig, dass auf beiden Seiten sinnvolle Dienstleistungsverpflichtungen (einschließlich der Finanzdienstleistungen) ausgehandelt werden. Ein verbesserter Marktzugang wird als vorrangig für EU-Unternehmen angesehen.

11.2

Der spezifische Charakter der öffentlichen Dienstleistungen in der EU ist bei den Verhandlungen ebenfalls gebührend zu berücksichtigen, der im Einklang mit den Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewahrt werden muss.

11.3

Im Rahmen der Kooperation in Regulierungsfragen sollten auch Dienstleistungen behandelt und für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Regulierungsbehörden, größere Transparenz und die Abschaffung unnötiger und belastender Anforderungen gesorgt werden.

12.   Landwirtschaft und Lebensmittel

12.1

Das Abkommen sollte gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen (GPR) Fragen hochgesteckte Ziele verfolgen. In diesen Bereichen sollten sich die USA und die EU in den Verhandlungen um ein ambitioniertes Kapitel „SPS-plus“ bemühen.

12.2

Die Verfahren der Agrar- und der Lebensmittelerzeugung entwickeln sich in den USA und in der EU unter grundverschiedenen Umständen (z. B. Tierwohl, Regelungen über die Lebensmittelsicherheit, Verwendung von Pflanzenschutzmitteln). In den USA stützt sich die Entscheidung für oder gegen das Inverkehrbringen eines Erzeugnisses ausschließlich auf wissenschaftliche Erwägungen, wohingegen in Europa eine solche Entscheidung von dem „Vorsorgeprinzip“ geleitet wird. Dieser unterschiedliche Ansatz muss in den Verhandlungen berücksichtigt werden.

12.3

Aufgrund der vorstehend erwähnten Verpflichtung der Kommission, die europäischen Normen — insbesondere hinsichtlich des Verbraucherschutzes — nicht abzusenken, erfordern Fragen der Lebensmittelsicherheit (GVO, Hormonfleisch, chemisch gereinigte Lebensmittel usw.), besondere Aufmerksamkeit und eine stetige Einhaltung des — im Vertrag von Lissabon verankerten — Vorsorgeprinzips. Bei der angestrebten größeren Vereinbarkeit der Regulierungssysteme der USA und der EU muss auf die Wahrung des hohen Sicherheitsniveaus der Standards geachtet werden.

13.   Öffentliches Beschaffungswesen

13.1

Das öffentliche Beschaffungswesen ist ein besonders heikles Thema, bei dem die EU jedoch offensiver auftreten sollte, da die US-amerikanischen Unternehmen derzeit mehr von der Offenheit des EU-Marktes profitieren als umgekehrt. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass im Rahmen jeglicher Vereinbarungen auf beiden Seiten des Atlantiks die gleichen Zugangsbedingungen zur öffentlichen Auftragsvergabe herrschen.

13.2

Die Verhandlungspartner müssen gewährleisten, dass das Recht der EU-Mitgliedstaaten sowie der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, ihre eigene demokratisch vereinbarte Sozial- und Umweltpolitik zu verfolgen, nicht ausgehöhlt wird.

14.   Datenschutz

Es wird befürchtet, dass die TTIP zu einer Aufweichung der Datenschutzbestimmungen in der EU und den USA führen könnte, so dass die Daten der Bürgerinnen und Bürger gefährdet werden und ihre Privatsphäre verletzt wird. Entsprechend der in 6.1 angesprochenen Verpflichtung ist es von wesentlicher Bedeutung, dass die einschlägigen Schutzstandards nicht gesenkt werden und dass den Bürgerinnen und Bürgern der EU dasselbe Schutzniveau aufgrund des derzeitigen EU-Datenschutzrechts gewährleistet wird, wenn sie in Beziehungen zu in den USA ansässigen Unternehmen treten.

15.   Energie und strategische Rohstoffe

15.1

Die Gewährleistung einer sicheren Energieversorgung ist von ausschlaggebender Bedeutung. Im gesamten TTIP-Abkommen muss die Ausarbeitung von Maßnahmen zur Sicherheit der Energieversorgung und der Versorgung mit strategischen Rohstoffen in Betracht gezogen werden. Diese sollen darauf abzielen, zum einen bestehende und künftige Versorgungs- und Infrastrukturengpässe festzustellen und zum anderen Mechanismen zur Überwindung von Versorgungsstörungen und -unterbrechungen einzurichten.

15.2

Energieeffizienz und die Förderung erneuerbarer Energie sind grundlegender Bestandteil der Energiepolitik der EU und der USA. Im Rahmen des TTIP-Abkommens sollten diese Ziele gefördert und das Recht jeder Vertragspartei auf Beibehaltung oder Aufstellung eigener Normen und Vorschriften, z. B. für die Energieleistung von Erzeugnissen, Geräten und Verfahren, gewährleistet werden. Zugleich sollte, soweit möglich, auf eine Angleichung der EU-Normen und der US-Normen hingearbeitet werden.

16.   Geografische Angaben

Die EU exportiert hochwertige Erzeugnisse in die USA, wobei das System geografischer Angaben (g.A.) eine zentrale Rolle spielt. Dieses System schützt EU-Erzeugnisse vor Nachahmungen und Betrug und verhindert eine Irreführung der Verbraucher. Das Abkommen sollte einen praktischen Weg zur Gewährleistung der Rechtssicherheit für die mit geografischen Angaben tätigen Unternehmen umfassen.

17.   Rolle und Einbeziehung der Zivilgesellschaft

17.1

Der EWSA begrüßt den nunmehr etablierten Prozess als sehr nützlich, demzufolge die Zivilgesellschaft nach jeder Verhandlungsrunde umfassend informiert wird. Es ist ganz entscheidend, dass sämtliche Interessenträger weiterhin konsultiert werden und der EWSA als wesentlicher Akteur dieses Prozesses akzeptiert wird. Die Zivilgesellschaft befürchtet jedoch, dass die Verhandlungstexte unnötig vertraulich sind und dadurch den Informationsprozess behindern. Hierdurch könnten das Vertrauen der Öffentlichkeit in und die Unterstützung für jegliches ausgehandelte TTIP-Abkommen erschüttert werden.

17.2

Der Transatlantische Wirtschaftsrat und die Mängel und Ungleichheiten zwischen den fünf transatlantischen Dialogen (Unternehmen, Verbraucher, Gesetzgeber, Arbeit und Umwelt) wurden in der Stellungnahme des EWSA von März 2009 angemessen dargestellt (8). Wie der Transatlantische Unternehmensdialog und der Transatlantische Verbraucherdialog zeigen, können diese ordnungsgemäß eingerichteten und funktionierenden Gremien einen wichtigen Beitrag zum Verhandlungsprozess leisten. Daher bekräftigt der EWSA seine Forderung, dass der Transatlantische Arbeits- und der Transatlantische Umweltdialog ihre Arbeit aufnehmen.

17.3

Wie vorstehend ausgeführt wird, ist das TTIP auch mit Befürchtungen verbunden und ist zugleich viel versprechend, und die Zivilgesellschaft wird eine wesentliche Rolle bei der abschließenden Zustimmung zu den Verhandlungsergebnissen spielen.

Die neue Generation bilateraler Handelsabkommen, denen die EU angehört, enthalten allesamt Bestimmungen für einen Überwachungsmechanismus seitens der Zivilgesellschaft.

17.4

Jeder dieser Mechanismen wird je nach den gegenwärtigen Umständen sui generis sein. Der EWSA besteht jedoch darauf, dass ein solcher Mechanismus so bald wie möglich speziell für das TTIP gefunden und er selbst zu dessen Gestaltung konsultiert wird.

18.   Rolle des EWSA

18.1

Es ist zwingend erforderlich, dass die institutionelle Rolle des EWSA anerkannt und ein regelmäßiger Dialog zwischen dem EWSA, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament während des ganzen Verhandlungsprozesses beibehalten wird.

18.2

Im Lissabon-Vertrag wird die Rolle des EWSA als Brücke zwischen der Zivilgesellschaft und den anderen europäischen Institutionen bekräftigt, und diese Verknüpfung macht einen wesentlichen Teil der engen Zusammenarbeit zwischen dem EWSA und der Kommission aus. Angesichts der möglichen Bedeutung des TTIP ist es unerlässlich, dass:

die Kommission diese Rolle anerkennt und den EWSA über sämtliche Aspekte des Verhandlungsprozesses auf dem Laufenden hält. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA, dass eine aus drei EWSA-Mitgliedern bestehende Überwachungsgruppe einen gleichberechtigten Zugang zu allen Dokumenten für die Beratungsgruppe der GD Handel erhalten soll;

die Zivilgesellschaft am gesamten Verhandlungsprozesses teilhaben kann;

ein verlässliches und umfassend repräsentatives gemeinsames zivilgesellschaftliches Kontrollverfahren eingerichtet wird, um die Vereinbarung nach ihrem Inkrafttreten zu überwachen. Der EWSA muss im dazu geschaffenen Gremium eine zentrale Rolle spielen.

18.3

Die USA verfügen zwar über keine äquivalente Struktur zum EWSA, doch hat die Reise vom Februar 2014 nach Washington ergeben, dass es dort eine etablierte Struktur der organisierten Zivilgesellschaft gibt. Diese entspricht der Drei-Gruppen-Struktur des EWSA. Die TTIP ist daher eine hervorragende Gelegenheit für den EWSA, seine bereits früher festgelegte Politik zur Entwicklung transatlantischer Verbindungen mit der Zivilgesellschaft fortzusetzen. Es wird daher empfohlen, als unmittelbare Priorität eine Kontaktgruppe EU-USA einzurichten.

18.4

Diese Stellungnahme ist der Anfang und nicht das Ende des Engagements des EWSA im TTIP-Prozess. Es wird ein laufendes Projekt des EWSA empfohlen, damit dieser im Namen der Zivilgesellschaft an der Überwachung des TTIP-Verhandlungsprozesses teilhaben kann. Hierzu könnten beispielsweise weitere Stellungnahmen, öffentliche Anhörungen, Seminare, Konferenzen usw. über Themen wie nachhaltige Entwicklung, KMU, ISDS, öffentliches Beschaffungswesen und spezifische Analysen für einzelne Wirtschaftszweige gehören.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 32-39.

(2)  http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2014-0230+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE

(3)  Siehe „Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment — An Economic Assessment“ — Centre for Economic Policy Research, London, März 2013. http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/march/tradoc_150737.pdf

(4)  http://www.trade-sia.com/ttip/

(5)  In Artikel 207 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) über die Grundsätze der gemeinsamen Handelspolitik, in Artikel 3 Absatz 5 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) und Artikel 21 EUV über die Allgemeinen Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union wird ebenfalls auf die Förderung von Handel und nachhaltiger Entwicklung hingewiesen.

(6)  ABl. L 127 vom 14.5.2011, S. 62-65.

(7)  Aggressive Gerichtsverfahren werden gegenwärtig von Privatunternehmen gegen souveräne Staaten geführt, z. B. Veolia gegen Ägypten und Philip Morris gegen Australien.

(8)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 32-39.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

499. Plenartagung des EWSA vom 4./5. Juni 2014

26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Eine Vision für den Binnenmarkt für Industrieprodukte

COM(2014) 25 final

2014/C 424/03

Berichterstatter:

Denis MEYNENT

Die Europäische Kommission beschloss am 7. März 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Eine Vision für den Binnenmarkt für Industrieprodukte

COM(2014) 25 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 14. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 144 gegen 2 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Europäischen Kommission „Eine Vision für den Binnenmarkt für Industrieprodukte“. Diese Mitteilung steht im Zusammenhang mit der jüngsten und begrüßenswerten Entwicklung hin zu einer Industriepolitik auf EU-Ebene, die insbesondere in der Mitteilung „Für ein Wiedererstarken der europäischen Industrie“ ihren Ausdruck gefunden hat.

1.2

Nach Ansicht des EWSA müssen technische Normen für Industrieprodukte in einem demokratischen, offenen und transparenten Regulierungsverfahren festgelegt werden. Dabei sollte ein breites Spektrum von Interessenträgern mit zumindest den Unternehmen, darunter den KMU, den Arbeitnehmern oder ihren Vertretern sowie den Verbrauchern und Umweltschutzorganisationen beteiligt werden. Um diese Offenheit konkret in die Tat umzusetzen, ist es legitim, die Interessenträger, die nicht über ausreichend Ressourcen für eine Beteiligung verfügen, mit öffentlichen Mitteln zu unterstützen.

1.3

Die „wesentlichen Anforderungen“ im Sinn des Gemeinwohls, die sich in technischen Normen fassen lassen, sollten nicht auf die Bereiche Sicherheit, Gesundheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz beschränkt bleiben. Sie sollten sich auf jegliches durch demokratische Entscheidung legitimiertes öffentliches Interesse erstrecken und insbesondere die sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen, die Interoperabilität der technischen Systeme und die Zugänglichkeit für alle Nutzer umfassen.

1.4

Technische Normen müssen regelmäßig überarbeitet und verbessert werden — umso häufiger, je innovativer die Branche ist. Nach Auffassung des EWSA dürfen diese Änderungen nicht verzögert werden, sondern müssen vielmehr in ihren Auswirkungen auf die Unternehmen und insbesondere auf die KMU möglichst gering gehalten werden.

1.5

Im Sinne des Small Business Act sollten die Folgen von Legislativvorschlägen für KMU evaluiert werden (1). Da Normen dem Schutz des öffentlichen Interesses dienen, dürfen KMU demgemäß von ihrer Anwendung nicht ausgenommen werden. Das öffentliche Interesse gilt unabhängig von der Größe des Unternehmens, das ein Produkt entwickelt oder hergestellt hat. Zudem sollte auch ein Markt der zwei Geschwindigkeiten vermieden werden.

1.6

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, zur Harmonisierung der Industrieprodukte das Instrument der Verordnung und nicht das der Richtlinie zu wählen, da sich Erstere durch einheitliche und sofortige Anwendung in der gesamten EU auszeichnet, sowie den Vorschlag, die Entscheidung Nr. 768/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in eine allgemeingültige Verordnung umzuwandeln, da dies zur Vereinfachung des Regelwerks und zu einer besseren Verständlichkeit — insbesondere für KMU — führen wird.

1.7

Der EWSA unterstützt die kostenfreie Abgabe von Kurzfassungen der Normen an die interessierte Öffentlichkeit, insbesondere KMU.

1.8

Der EWSA schlägt der Kommission vor, im Binnenmarkt und auf den Märkten in Drittländern breitangelegt sowohl über die Qualität der Produkte als auch über die strengen Anforderungen zu informieren, die diese gemäß den EU-Normen erfüllen müssen. Hierzu sollten eigens Finanzmittel für die Kommunikation vorgesehen und die unter Ziffer 1.2 genannten Interessenträger einbezogen werden.

1.9

Der demokratische, offene und transparente Charakter des derzeitigen Regulierungsverfahrens für technische Normen den Markt für Industrieprodukte betreffend muss beim Abschluss von Freihandelsabkommen unbedingt erhalten bleiben.

1.10

Der EWSA begrüßt die Einrichtung einer zentralen elektronischen Datenbank, die zu jedem Produkt die entsprechenden Normeninformationen enthält.

1.11

Der EWSA befürwortet die Einrichtung eines Systems der „Online-Überwachung“ des Binnenmarktes, in dessen Rahmen Whistleblower, die nach redlichen Grundsätzen handeln, den Behörden vertraulich Informationen über Normenverstöße zukommen lassen können, die sie bei der Entwicklung, Herstellung oder Einfuhr eines Industrieproduktes beobachtet haben.

1.12

Der EWSA ist der Ansicht, dass eine in Papierform zur Verfügung gestellte technische Information über ein Industrieprodukt ein dauerhafter, authentischer und fälschungssicherer Träger für Vertragsinformationen ist und elektronische Informationsträger nur dann gutzuheißen sind, wenn sie den gleichen Anforderungen genügen.

1.13

Der EWSA stellt fest, dass bestimmte Hindernisse für den freien Warenverkehr und den freien Wettbewerb im Binnenmarkt für Industrieprodukte fortbestehen. Der EWSA spricht sich für eine verstärkte Überwachung des Marktes aus. Im Hinblick auf eine stärkere Kohärenz auf europäischer Ebene sollten die Mitgliedstaaten bei der Überwachung des Marktes und des Vertriebs von Produkten und Dienstleistungen zu einheitlicheren Sanktionen und zu einem vergleichbaren Kontrollniveau und vergleichbaren technischen Standards angehalten werden.

2.   Einleitung

2.1

In ihrer jetzigen Mitteilung, die auf der vom Oktober 2012 aufbaut, nimmt die Kommission die möglichen Entwicklungen des Regelwerks für den Binnenmarkt für Industrieprodukte vorweg, die sich im Rahmen der Internationalisierung des Handels, der technischen Entwicklung der Produkte und der Einführung neuer Produkte und neuer Technologien ergeben können. Es geht darum, die Auswirkungen der bestehenden Vorschriften für den Produktmarkt auf die Unternehmer und Marktteilnehmer auf dem Binnenmarkt auf der Grundlage der Ergebnisse einer öffentlichen Konsultation sowie von Fallstudien zu bewerten, die in der beigefügten Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (nur in englischer Sprache) enthalten sind.

2.2

In dem Kommissionsdokument wird die Entwicklung des EU-Rechts für Industrieprodukte seit der Annahme des „neuen Ansatzes“ für die Harmonisierung von Rechtsvorschriften im Jahr 1985 nachgezeichnet: Der Unionsgesetzgeber legt die „wesentlichen Anforderungen“, d. h. die Ziele in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz fest, die die Unternehmen erfüllen müssen, wenn sie Produkte auf dem Unionsmarkt in Verkehr bringen. Dabei ist das höchste Schutzniveau zu gewährleisten (Art. 114 AEUV). Die Angleichung der „wesentlichen Anforderungen“ erfolgt mit Hilfe von Normen, die von den europäischen Normungsgremien im Auftrag der Europäischen Kommission erarbeitet werden.

2.3

Industrieprodukte werden als Produkte außer Lebensmittel (Non food) definiert, die in industriellen Fertigungsprozessen erzeugt werden, wobei jedoch die Mitteilung hauptsächlich solchen Produkten gilt, die nicht in jüngster Zeit Gegenstand eines neuen oder überarbeiteten Rechtsaktes oder einer Bewertung waren. Ausgespart bleiben auch Produkte, die aufgrund ihrer sehr spezifischen Natur gesondert behandelt werden, wie z. B. Arzneimittel.

2.4

Nach Angaben der Kommission hat die Harmonisierung eine deutliche Zunahme des Handels mit den betroffenen Produkten bewirkt, der zwischen 2000 und 2012 rascher wuchs als die gesamte Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe. Die EU-Rechtsetzung hat Skalenerträge ermöglicht und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dadurch gestärkt, dass Befolgungskosten, die aufgrund der unterschiedlichen nationalen Vorschriften bzw. in manchen Ländern fehlenden Vorschriften zuvor anfielen, nun eingespart werden können.

2.5

Durch die Vorschriften, die nach diesem Ansatz aus dem Jahr 1985 erlassen wurden, ist das Vertrauen der Verbraucher in die europäischen Produkte gewachsen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Eine unabdingbare Voraussetzung für einen gut funktionierenden Binnenmarkt für Industrieprodukte ist das Vertrauen der Verbraucher und der gewerblichen Nutzer entlang der Wertschöpfungskette darauf, dass die Produkte den „wesentlichen Anforderungen“ des öffentlichen Interesses entsprechen. Fehlt dieses Vertrauen, so kommt der Handel zum Stillstand, der Markt bricht zusammen und nur qualitativ minderwertige Waren bleiben verfügbar (2).

3.2

Diese Anforderungen betreffen die Gesundheit, die Verbrauchersicherheit, den Schutz der Arbeitnehmer in der Industrie, den Umweltschutz und den Verbraucherschutz sowie in weiterem Sinne jegliches durch demokratische Entscheidung legitimierte öffentliche Interesse, insbesondere die sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen, die Interoperabilität der technischen Systeme und die Zugänglichkeit für alle Nutzer.

3.3

Diese „wesentlichen Anforderungen“ sind Ergebnis eines demokratischen Entscheidungsprozesses, aus dem sich Gesetze oder Vorschriften ergeben und der deren Legitimität zugrunde liegt. Die öffentliche Gewalt hat das Recht, diese „wesentlichen Anforderungen“ festzulegen und ihre Einhaltung durch alle Akteure des Binnenmarktes sicherzustellen.

3.4

Nach Auffassung des EWSA stellen technische Normen für Industrieprodukte die technische Umsetzung dieser „wesentlichen Anforderungen“ von öffentlichem Interesse dar. Sie sind damit politische Instrumente und müssen in vollem Umfang als solche angesehen werden. In erster Linie handelt es sich dabei um allgemeine politische Instrumente für das Erreichen eines konkreten Gemeinwohlziels; hierzu zählen die in Artikel 114 AEUV genannten, aber auch weitere Ziele: Gesundheit und Sicherheit des Nutzers (Verbraucher oder Arbeitnehmer in einem Arbeitsumfeld), Arbeitsbedingungen, die Produktivität und Motivation der Arbeitnehmer fördern, Erhaltung gefährdeter, nicht erneuerbarer oder seltener natürlicher Ressourcen (Klima, Bodenschätze, Biosphäre, lebende Arten, Wasser), Tierschutz, die Vertraulichkeit und Integrität von Mitteilungen und Daten, die Interoperabilität der Elemente komplexer Systeme und andere, in demokratischen Entscheidungen festgelegte Ziele.

3.5

In zweiter Linie handelt es sich dabei auch um Instrumente der Industriepolitik und der Marktgestaltung. Die Einhaltung einer strengen technischen Norm ist ein Mittel, sich auf dem internationalen Markt durch Qualität und nichtpreisliche Wettbewerbsfähigkeit auszuzeichnen. Durch Vorwegnahme künftiger Bedürfnisse und Marktentwicklungen kann eine Norm europäischen Unternehmen dazu verhelfen, eine Vorreiterrolle einzunehmen, innovativ zu sein und ein relativ preisstabiles Angebot zu haben, das sowohl Gewinne bringt als auch hochwertige Arbeitsplätze schafft. Bei innerhalb eines Marktes miteinander konkurrierenden Normen (insbesondere, wenn sie die Interoperabilität betreffen) hat die Entscheidung für eine der Normen Einfluss auf die Unternehmen, die daraus einen Wettbewerbsvorteil ziehen können, und damit auf den Standort der Wirtschaftstätigkeit und der sich daraus ergebenden Arbeitsplätze.

3.6

Dieser politische Charakter der technischen Normen für Industrieprodukte hat zur Folge, dass sie nicht als ein Privatinteresse und Technikfachleuten vorbehaltener Bereich gelten dürfen. Sie müssen vielmehr Gegenstand eines demokratischen, offenen und transparenten Regulierungsverfahrens sein, an dem ein breites Spektrum von Interessenträgern beteiligt ist. Dieses Regulierungsverfahren umfasst die folgenden 5 Phasen der Entscheidungsfindung:

die Zweckmäßigkeit der Normung selbst;

die Ziele der Normung;

die technischen Mittel zur Erreichung dieser Ziele;

die Kontrolle der Einhaltung der Norm und die Überwachung des Marktes sowie;

wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen bei Nichteinhaltung.

3.7

Dieses Regulierungsverfahren muss sich auf offene und legitime Institutionen stützen, die allen betroffenen Interessenträgern konkret die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Entscheidung geben. Die Liste der Interessenträger, die legitimiert sind, zu diesem Regulierungsverfahren beizutragen, sollte nach Ansicht des EWSA offen und von der Art der jeweiligen Regulierung abhängig sein (eine Norm zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere wird nicht dieselben Interessenträger mobilisieren wie eine Norm zur Interoperabilität digitaler Kommunikationssysteme). Diese Liste sollte jedoch mindestens die Unternehmen, darunter auch KMU, die Arbeitnehmer oder ihre Vertreter, die Verbraucher und die Umweltschutzorganisationen umfassen.

3.8

Die Tatsache, dass es sich bei technischen Normen um Instrumente der Industriepolitik, der Wettbewerbsfähigkeit durch Qualität und Vorwegnahme technischer, gesellschaftlicher und ökologischer Bedürfnisse sowie um Quellen technischer Innovation handelt, hat zur Folge, dass sie regelmäßig überarbeitet und verbessert werden müssen, um dieser Funktion gerecht zu werden — und zwar in umso kürzeren Abständen, je innovativer die Branche ist. Für die besonders innovativen Branchen mit großem Entwicklungspotenzial empfiehlt der Ausschuss, parallel dazu die in den Ziffern 3.2 bis 3.7 genannten Ziele der demokratischen und sozialen Legitimität des Regulierungs- und Normungsverfahrens sowie der zügigen Aufstellung und späteren Überarbeitung von Normen zu verfolgen. Die Auswirkungen dieser Änderungen auf die Unternehmen sollten aber möglichst gering gehalten werden.

3.9

Technische Normen für Industrieprodukte sind die vorrangigen Instrumente der Information und Aufklärung von End- und Zwischenverbrauchern. Anhand objektiver und genauer Angaben können diese somit selbst beurteilen, ob ein Produkt ihren Ansprüchen genügt. Ein entsprechend informierter und aufgeklärter Verbraucher achtet auf Qualität und trägt damit zur preisunabhängigen Wettbewerbsfähigkeit einer europäischen Industrie bei, die sich auf hochqualifizierte und motivierte Arbeitnehmer stützt. Diese Normen sind damit ein wesentliches Element der vorteilhaften Wechselbeziehung zwischen der Industrie, die hochwertige Waren liefert, und konsequenten Verbrauchern mit hohen Ansprüchen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Die bisherige Regulierung harmonisierter Normen in Form von Richtlinien kann zu Instabilität und fortlaufenden, zum Teil unnötigen Anpassungsbemühungen der Unternehmen führen. Eine solche Form der Regulierung birgt die Gefahr einer geografischen Heterogenität der Rechtsvorschriften, d. h. von Bestimmungen, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden sind. Diese Heterogenität scheint von geringer Bedeutung zu sein, ihr ganzes Ausmaß zeigt sich aber, wenn es um Detailfragen der Normeneinhaltung eines Industrieproduktes geht. Diese geografische Heterogenität wird durch eine zeitlich uneinheitliche Wirkung noch verstärkt, die sich daraus ergibt, dass die 28 Mitgliedstaaten die Richtlinie zu verschiedenen Zeitpunkten in nationales Recht umsetzen. Da diese Umsetzungsperiode bis zu 36 Monate dauern und die Aktualisierung von Normen mitunter etwa im gleichen Abstand erfolgt (bzw. bei besonders innovativen Branchen in noch kürzerem Abstand), laufen die Unternehmen Gefahr, sich dauerhaft in einem Zustand des Übergangs und der damit einhergehenden Unsicherheit und Unklarheit zu befinden.

4.2

Diese Situation ist für KMU, die kaum über die nötigen Mittel verfügen, um das Regulierungsgeschehen zu verfolgen, besonders belastend. Deshalb ist der Vorschlag der Kommission, das Instrument der Verordnung und nicht das der Richtlinie zu wählen, sehr zu begrüßen, da sich Erstere durch einheitliche und sofortige Anwendung in der gesamten EU auszeichnet. Der EWSA sieht diese Bestimmung als außerordentlich positiv an. Damit lässt sich eine der Hauptursachen für Rechtsunsicherheit beseitigen. Zudem können Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsteams in einem für 500 Millionen Verbraucher einheitlichen, über mehrere Jahre stabilen Umfeld und in einem Tempo arbeiten, das der Innovationsintensität der jeweiligen Branchen angemessen ist.

4.3

Im Hinblick auf die Subsidiarität verdeutlichen diese Argumente zudem, dass es sich bei der Anwendung des Instruments der Verordnung für die Festlegung technischer Normen für Industrieprodukte um einen Fall handelt, in dem Maßnahmen auf Unionsebene deutlich wirksamer sind als Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten.

4.4

Der EWSA befürwortet überdies die Umwandlung der Entscheidung Nr. 768/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in eine allgemein anzuwendende Verordnung. Durch die Zusammenführung von Definitionen, Bezeichnungen und Begriffen, die branchenübergreifend für die gesamte technische Normung angewandt werden, lassen sich Überschneidungen und Wiederholungen vermeiden. Zudem erleichtert dies die Weiterentwicklung der Vorschriften und entspricht bewährter Praxis für technische Dokumentation.

4.5

Die Tatsache, dass ein breites Spektrum an Interessenträgern am Normungsprozess und den oben (in Ziffer 3.6) genannten fünf Phasen mitwirkt, ist ein Ziel im Interesse des Gemeinwohls. Zu diesen Interessenträgern gehören auch solche, die nur über geringe Mittel verfügen, wie etwa Gewerkschaften, KMU, Verbraucher- und Umweltschutzverbände. Damit die Öffnung dieses Prozesses konkrete Wirklichkeit wird, ist es nach Ansicht des EWSA somit legitim, diesen Interessenträgern für ihre Mitwirkung eine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln sowie ein Stimmrecht zu gewähren.

4.6

Der EWSA unterstützt die kostenfreie Abgabe von Kurzfassungen der Normen. Obwohl Gesetzesvorschriften von allen eingehalten werden müssen, sind technische Normen derzeit nur kostenpflichtig erhältlich, auch dann, wenn Inhalt und Anwendungsbereich der Norm und damit die Frage, ob sie im konkreten Fall überhaupt zur Anwendung kommt, noch gar nicht im Detail bekannt sind. Dadurch werden KMU, aber auch alle anderen Interessenträger benachteiligt. Der EWSA unterstützt daher diese Maßnahme und fordert, die entsprechenden Informationen der interessierten Öffentlichkeit insgesamt zur Verfügung zu stellen.

4.7

Der EWSA begrüßt die Einrichtung einer zentralen elektronischen Datenbank, die Informationen über die Normen enthält, denen die jeweiligen Produkte entsprechen, sowie über die Art der Zertifizierung, mit der diese Normenkonformität bescheinigt wird (insbesondere darüber, ob es sich um eine Eigenbescheinigung oder eine Fremdzertifizierung durch eine zugelassene Stelle handelt). Über diese Datenbank könnten, nach vorheriger Anmeldung, per E-Mail kostenlos automatische Benachrichtigungen über alle Änderungen in Bezug auf die Norm für ein bestimmtes Produkt erfolgen.

4.8

Der EWSA spricht sich dafür aus, Whistleblowern über ein System der Online-Überwachung des Binnenmarktes die Möglichkeit zu geben, die Behörden in vertraulicher Form über Normenverstöße zu informieren, die sie bei der Entwicklung, Herstellung oder Einfuhr eines Industrieproduktes beobachtet haben. Whistleblower, die nach redlichen Vorsätzen handeln, müssen vor möglicher Verfolgung oder Sanktionen, wie etwa Entlassung, geschützt werden. Diese gemeinsame und geteilte Marktüberwachung unter Nutzung der Techniken des Web 2.0 kann zur Verbesserung der Gesundheit und Sicherheit der Nutzer von Industrieprodukten beitragen, die in der gesamten EU im Umlauf sind; zudem schützt sie die Unternehmen, die sich an die Vorschriften halten, vor unlauterer Konkurrenz.

4.9

Nach Auffassung des EWSA handelt es sich bei den technischen Informationen über ein Industrieprodukt um ein wesentliches Element eines Kaufvertrages, das zum einen eine bewusste Kaufentscheidung in voller Sachkenntnis gewährleistet und zum anderen auch nach dem Kauf im Falle von Mängeln, Unfällen oder fehlender Übereinstimmung mit der angegebenen Leistung, Gültigkeit hat. Technische Informationen sind keineswegs „unnötig“ oder „unästhetisch“, wies dies in der Mitteilung der Kommission suggeriert wird. Sie müssen vielmehr den Kunden in einer dauerhaften, authentischen und fälschungssicheren Form dargeboten werden und unabhängig von der Entwicklung elektronischer Hilfsmittel im Laufe der Lebensdauer eines Produktes lesbar bleiben. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass eine Dokumentation auf Papier, die am Verkaufsort zur Verfügung steht, in der Sprache des jeweiligen Verkaufslandes verfasst ist und anschließend mit der Verpackung mitgeliefert wird, diese Bedingungen erfüllt; eine Übermittlung in elektronischer Form kann nur dann gutgeheißen werden, wenn sie den oben genannten strengen Vorgaben genügt.

4.10

Der EWSA schlägt der Kommission vor, innerhalb des Binnenmarktes und auf Märkten in Drittländern breitangelegt sowohl über die Qualität von Produkten als auch über die strengen Anforderungen zu informieren, die diese gemäß EU-Normen erfüllen müssen. Hierzu sollten eigens Finanzmittel für die Kommunikation vorgesehen und die unter Ziffer 3.7 genannten Interessenträger einbezogen werden. Die Verbraucher ebenso wie gewerbliche Einkäufer würden damit besser über die Vorteile der Wahl eines bestimmten Produktes informiert. Hierdurch erhielten in Europa entwickelte und hergestellte bzw. europäischen Normen entsprechende Produkte durch Qualität einen Wettbewerbsvorteil, der damit den Unternehmen und den europäischen Arbeitnehmern zugutekäme.

4.11

Im Sinne des Small Business Act sollten die Folgen von Legislativvorschlägen für KMU evaluiert werden (3). Der EWSA unterstützt demgemäß voll und ganz die Haltung der Kommission, KMU keinerlei Ausnahmen von den Vorschriften zu gewähren. Die Abwehr von Gefahren für Gesundheit oder Sicherheit der Verbraucher oder gewerblichen Nutzer, die Erhaltung der natürlichen Ressourcen, die Kompatibilität mit bestehenden technischen Systemen — all dies sind Ziele im Sinne des Gemeinwohls, die unabhängig von der Größe des Unternehmens, das das Produkt entwickelt oder hergestellt hat, ihre Gültigkeit haben. Zudem sind ganze Branchen, insbesondere für bestimme Verbrauchsgüter wie Kleidung oder Haushaltswaren breit gestreut und bestehen aus einer großen Zahl von KMU: Eine Aufweichung der normativen Anforderungen für KMU ist nicht akzeptabel, da hierdurch de facto für Branchen, die zusammengenommen einen großen Einfluss auf den Konsum haben und im Hinblick auf die Risiken sehr relevant sind, Ausnahmeregelungen gelten würden. Eine solche Ausnahmeregelung würde zudem zu einem Markt der zwei Geschwindigkeiten führen, innerhalb dessen die Erzeugnisse der KMU (zu Recht) qualitativ minderwertig eingeschätzt würden, da sie weniger strengen oder weniger Normen unterworfen wären. Der Wettbewerbsnachteil der KMU gegenüber großen Unternehmen, die überdies auch über größere Werbebudgets verfügen, würde sich hierdurch weiter vergrößern.

4.12

Der EWSA teilt nicht die Meinung der Kommission, wonach die Unternehmen von zu häufigen Normenänderungen überlastet würden. Die Häufigkeit der Normenänderungen ist abhängig von der Innovationsintensität der Branche und trägt zur nichtpreislichen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie bei. Diese Häufigkeit sollte nicht gesenkt werden, wenngleich der EWSA einräumt, dass die KMU über diese Entwicklungen besser informiert werden müssen, gegebenenfalls unter Nutzung der in Ziffer 4.7 genannten Datenbank. Mit der Reaktion der Kommission, Normenänderungen eher im Rahmen einer Verordnung als einer Richtlinie vorzunehmen, begegnet sie den geäußerten Bedenken jedoch in angemessener und ausreichender Weise.

4.13

Nach Ansicht des EWSA muss die Erfahrung, die die EU-Mitgliedstaaten auf dem Weg zu einem (noch immer unvollendeten) Binnenmarkt für Industrieprodukte seit 1993 gemacht haben, nämlich, dass die sie betreffenden technischen Normen in politischen, d. h. demokratischen, offenen und transparente Verfahren festgelegt werden, bei dem Abschluss von Freihandelsabkommen unbedingt erhalten bleiben. Der EWSA fordert die Kommission dementsprechend dazu auf, in den laufenden Verhandlungen, für die oben (in Ziffer 3.6) genannten fünf Phasen des Normungsverfahrens sowie die Konformitätskontrolle einen institutionellen Rahmen einzurichten, der sich durch eben diesen demokratischen, offenen und transparenten Charakter auszeichnet. Die Produktnormen und die Vorschriften und Entscheidungen zum Schutz des Gemeinwohls ebenso wie die Sanktionen bei Nichteinhaltung dürfen, sofern sie dem Gemeinschaftsrecht und den WTO-Abkommen entsprechen, nicht als nicht-tarifäre Handelshemmnisse angesehen und in Frage gestellt werden.

4.14

Wenn Wertschöpfungsketten internationalen Charakter haben und Vorschriften mehrerer Rechtssysteme zur Anwendung kommen, birgt das Erreichen von Gemeinwohlzielen durch technische Normen besondere, bislang ungelöste Schwierigkeiten. Der EWSA schlägt vor, der Erhebung und Zertifizierung von objektiven und zuverlässigen Daten über ein Produkt und die physischen und sozialen Umstände seiner Erzeugung dabei Vorrang zu geben. Diese Daten müssten entlang der Wertschöpfungskette weitergegeben werden und könnten mit den „wesentlichen Anforderungen“ des jeweiligen Rechtssystems abgeglichen werden, wobei dessen Souveränität in vollem Umfang gewahrt bleiben muss.

4.15

Einige Hindernisse für den freien Warenverkehr und den freien Wettbewerb bestehen jedoch fort: Hier wären z. B. Patente auf technische Normen oder die Effizienz der Kontrollen der Umsetzung von Normen und Rechtsvorschriften zu nennen.

4.16

Wenn eine patentierte Innovation zur technischen Norm wird, müssen die Konkurrenten zu einem angemessenen Preis Zugang zu den Zwangslizenzen erhalten. Die Rechtsvorschriften über geistiges Eigentum müssen einen echten Schutz der Innovation bieten, jedoch keine Möglichkeit geben, die Patente oder das Urheberrecht als Hindernis für den Wettbewerb der Unternehmen und Innovationen einzusetzen. Ihre Rolle sollte daher nach Auffassung des Ausschusses bei der Förderung des freien Warenverkehrs auf dem Binnenmarkt berücksichtigt werden. Das Europäische Patent, das dem EWSA ein besonderes Anliegen ist, wird hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten. Der EWSA stellt fest, dass in einigen außereuropäischen Ländern, unter anderem den Vereinigten Staaten, der Erteilung eines Patents nicht immer eine ausreichende Recherche vorausgeht und damit der innovative Charakter des Patents fragwürdig wird; die Akzeptanz von Trivialpatenten stellt deren Erfindungshöhe in Frage; Patente auf abstrakte Konzepte wie Aussehen und Anmutung (look and feel) unabhängig von der Technik zum Erreichen dieses Aussehens widersprechen dem eigentlichen Sinn von Erfindungspatenten, die ausschließlich auf die Art und Weise zur Erzielung eines Ergebnisses erteilt werden. Durch eine solche Situation wird dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet und die europäischen Unternehmen haben das Nachsehen.

4.17

Zudem sind die entsprechenden Sanktionen nicht immer angemessen, verhältnismäßig und abschreckend, um Verstöße gegen nationale oder europäische Normen zu ahnden.

Die verwaltungsrechtlichen oder strafrechtlichen Sanktionen fallen ebenso wie die Kontrolle der Märkte in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die dabei bestehenden Unterschiede bergen die Gefahr des „Forum-shopping“, der Wahl des günstigsten Gerichtsstands, wenn es darum geht, neue Produkte auf den europäischen Markt zu bringen. Im Hinblick auf mehr Kohärenz innerhalb Europas sollten der „Leitfaden für die Umsetzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien“ (Blue Guide), das Schnellwarnsystem für Produktsicherheit RAPEX, der SOLVIT-Dienst und andere Maßnahmen der Überwachung des Marktes und des Vertriebs von Produkten und Dienstleistungen zu einheitlicheren Sanktionen ebenso wie zu einem vergleichbaren Niveau und vergleichbaren technischen Standards führen. Die Kommission initiiert die Rechtsetzung und kontrolliert durch Überwachung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten ihre Anwendung; im Fall einer Verletzung kann sie den Gerichtshof der EU anrufen. Letztlich obliegt es dem Gerichtshof der EU, auf europäischer Ebene für eine gewisse Abstimmung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten und ihrer Kontrolle der Märkte, Produkte und Dienstleistungen zu sorgen.

4.18

Der EWSA spricht sich für eine verstärkte Überwachung des Marktes aus.

4.18.1

Um gegen den Missbrauch des CE-Kennzeichens durch schlecht informierte oder skrupellose Hersteller vorzugehen, müssten insbesondere die Zollkontrollen bei der Markteinführung und dem Inverkehrbringen von Produkten verbessert werden sowie die Einhaltung der Konformitätsvorschriften für diese Produkte durch die betreffenden Beauftragten, Importeure und Händler entsprechend dem geltenden Gemeinschaftsrecht sichergestellt werden. Die Angabe einer Referenznummer für die rechtlich haftbare Person auf dem CE-Kennzeichen, über die sich online deren Identität feststellen und die Bescheinigung über die Konformität einsehen lässt, kann zu einer solchen Konformitätskontrolle, u. a. durch Verbraucher, die Missstände aufdecken, beitragen.

4.18.2

In Zeiten von Sparmaßnahmen möchte der EWSA darauf aufmerksam machen, dass die Behörden, die für die Marktüberwachung zuständig sind, für die Durchführung ihrer Aufgaben mit angemessenen Mitteln ausgestattet werden müssen. Ihre Arbeit sollte sich schwerpunktmäßig auf jene Orte konzentrieren, an denen besonders häufig Betrugsversuche festgestellt werden (Häfen, Vertrieb über Harddiscounter oder ambulanten Handel). Zudem sollte die Verwaltungszusammenarbeit — insbesondere bei der Bekämpfung von Produktfälschungen — ausgebaut werden. Das in Ziffer 4.8 genannte System für Whistleblower kann bei geringer Belastung des öffentlichen Haushalts zu einer größeren Effizienz der Kontrolle beitragen.

4.18.3

Der EWSA zeigt sich beunruhigt darüber, dass einige Industrieunternehmen eine so große Bedeutung für die Wirtschaftsaktivität oder die Beschäftigungslage eines Mitgliedstaates haben, dass sie durch die Androhung einer Betriebsverlagerung die Behörden des Landes zu einem völligen Verzicht auf Sanktionen zwingen können. Das kann die Verbraucher in Gefahr bringen und zu unlauterem Wettbewerb gegenüber Unternehmen und Arbeitnehmern in der gesamten EU führen.

4.19

Nach Ansicht des EWSA ist es möglich, durch die Pflicht zu regelmäßiger Berichterstattung und Untersuchungen vor Ort die Entwicklungen der Produkte eingehend zu verfolgen; die Verbraucher- und Arbeitnehmerorganisationen sind durchaus in der Lage, insbesondere in Fragen der Gesundheit und Sicherheit als Whistleblower zu agieren, und sollten auf allen Ebenen der Aufstellung und Umsetzung von Normen beteiligt sein.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 376 vom 22.12. 2011, S. 51.

(2)  Zu diesem Ergebnis kommt der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften G. Akerlof in seinem Artikel aus dem Jahr 1970 über Gebrauchtwagen (Akerlof, George A. (1970)). „The Market for ‚Lemons‘: Quality Uncertainty and the Market Mechanism“. Quarterly Journal of Economics (The MIT Press) 84 (3): 488-500. doi:10.2307/1879431.

(3)  ABl. C 376 vom 22.12. 2011, S. 51.


26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/27


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Europäisches Netz der Arbeitsvermittlungen, den Zugang von Arbeitskräften zu mobilitätsfördernden Diensten und die weitere Integration der Arbeitsmärkte

(COM(2014) 6 final — 2014/0002 (COD))

2014/C 424/04

Berichterstatterin

:

Vladimíra DRBALOVÁ

Mitberichterstatter

:

Luis Miguel PARIZA CASTAÑOS

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 3. Februar 2014 bzw. am 6. Februar 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Europäisches Netz der Arbeitsvermittlungen, den Zugang von Arbeitskräften zu mobilitätsfördernden Diensten und die weitere Integration der Arbeitsmärkte

COM(2014) 6 final — 2014/0002 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 13. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 116 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt den Vorschlag der Kommission, die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 und den Durchführungsbeschluss 2012/733/EU durch ein einziges Rechtsinstrument zu ersetzen, um auf der Grundlage von Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung die Transparenz zu erhöhen, einen wirksamen automatischen Abgleich zu ermöglichen, Unterstützungsleistungen zu definieren und ein System für den Austausch von Informationen über Arbeitskräftemangel und -überschuss zu schaffen.

1.2

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, den Begriff „Mobilität unter fairen Bedingungen“ angesichts neuer Mobilitätsmuster und des größeren Bedarfs an Mobilität unter fairen Bedingungen in Artikel 2 (Begriffsbestimmungen) zu definieren, wobei diese Definition ausgewogen sein muss. Sie könnte als Grundlage den Wortlaut von Abschnitt 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 heranziehen und gleichzeitig ihre Absicht zum Ausdruck bringen, die Bürger voll zu unterstützen, die in Kenntnis der Sachlage ihr Recht in Anspruch nehmen wollen, in einem anderen Mitgliedstaat zu arbeiten.

1.3

Der EWSA kann die Absicht der Europäischen Kommission nachvollziehen, ein möglichst vollständiges Verzeichnis der Stellenangebote im EURES-Portal bereitzustellen, indem der Grundsatz der Transparenz auch auf andere Einrichtungen als die öffentlichen Arbeitsverwaltungen (ÖAV) über die freiwillige Beteiligung als EURES-Partner am EURES-Netz auf der Grundlage gemeinsamer Mindestkriterien ausgeweitet wird. Er sieht dies indes als kritisch, wenn nicht sichergestellt wird, dass die privaten Dienstleister den gleichen Qualitätsansprüchen genügen müssen wie die öffentlichen Arbeitsverwaltungen. Die Mitgliedstaaten können ggf. zusätzliche Kriterien, die über die im Anhang festgelegten Mindestkriterien hinausgehen, festlegen, diese dürfen jedoch nicht diskriminierend sein. Keinesfalls dürfen teilnehmende private Dienstleister ihre Leistungen kostenpflichtig anbieten.

1.4

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, grundlegende Informationen über das EURES-Netz und seine spezifischen Unterstützungsdienste systematisch zur Verfügung zu stellen, insbesondere für Grenzgänger und junge Menschen, sowie die Kommunikation bzgl. EURES-Dienste zu verbessern und sie stärker publik zu machen.

1.5

Der EWSA befürwortet den Nachdruck, der auf den Auf- und Ausbau der grenzübergreifenden Zusammenarbeit und den Vorschlag zur Nutzung einer einzigen Kontaktstelle für die Kommunikation mit Grenzgängern und Arbeitgebern in Grenzregionen gelegt wird. Er empfiehlt eine Stärkung der Rolle von EURES-T-Partnerschaften.

1.6

Der EWSA fordert Kohärenz und Synergien mit EU-Maßnahmen zur Förderung von Mobilität, insbesondere im Hinblick auf die Einrichtung eines Netzes der öffentlichen Arbeitsverwaltungen (ÖAV) und Maßnahmen zur Unterstützung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie der Bürger und ihrer Familien innerhalb der EU. In Verbindung mit der Umsetzung der Jugendgarantie begrüßt der EWSA die Ausweitung des Geltungsbereichs von EURES auf die Gruppen von Bürgern — insbesondere junge Menschen —, die Lehrstellen, Praktikumsmöglichkeiten oder andere Möglichkeiten suchen, so lange dies im Einklang mit Artikel 45 und 46 AEUV steht, damit diese Arbeitnehmer zum Zwecke der Beschäftigung in einem Mitgliedstaat gemäß den in gesetzlichen Regelungen, Vorschriften oder Verwaltungsakten festgelegten Bestimmungen verbleiben können, die für die Beschäftigung der Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats gelten.

1.7

Der EWSA bekräftigt außerdem, dass die Nationalen Koordinierungsbüros im Hinblick auf die Ausweitung des EURES-Zuständigkeitsbereichs und der neuen Aufgaben in Verbindung mit Unterstützungsdiensten über ausreichend Personal und sonstige Ressourcen verfügen sollten, um ihren Aufgaben nachkommen zu können. Wichtig sind in diesem Zusammenhang u. a. Weiterbildungen von hoher Qualität für ihre Mitarbeiter.

1.8

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, die technische Hilfe der Europäischen Kommission zu nutzen und die Frist für die erste Bestandsaufnahme ihrer Klassifizierungssysteme einzuhalten, um einen Vergleich aller Klassifizierungsdaten mit der europäischen Klassifizierung für Fähigkeiten, Kompetenzen, Qualifikationen und Berufe (ESCO) zu ermöglichen.

1.9

Der EWSA begrüßt, dass das neue Finanzierungssystem die wichtige Rolle grenzübergreifender EURES-Partnerschaften nicht gefährden sollte, und betont, dass sie auch weiterhin durch EU-weite bereichsübergreifende Tätigkeiten unterstützt werden sollten, wobei es möglich sein sollte, sie durch nationale Ressourcen oder ESF-Mittel ergänzend zu fördern.

1.10

In Bezug auf die Erfassung von Daten und Indikatoren weist der EWSA darauf hin, dass die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten in Verbindung mit dem Austausch von Informationen und Statistiken beispielsweise über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Verordnung behutsam festgelegt werden sollten, wenn keine Systeme für die Überwachung einiger Indikatoren bestehen. Er schlägt vor, diese quantitativen Indikatoren durch qualitative Indikatoren zu ergänzen.

1.11

Der EWSA verweist auf die wesentliche Rolle der Sozialpartner auf allen Ebenen als Hauptakteure des Arbeitsmarkts. Er fordert, sie als vollwertige Partner anzuerkennen, die Unternehmen und Arbeitnehmer beraten und unterstützen sowie über Unternehmensbelange und Arbeitsbedingungen informieren. Die Mitgliedstaaten sollten Mechanismen für die wirksame Teilhabe der Sozialpartner an den Nationalen Koordinierungsbüros ausarbeiten und dabei die gängigen Praktiken und Rechtssysteme berücksichtigen.

1.12

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, ein angemessenes Legislativpaket vorzulegen, um die Systeme der sozialen Sicherheit wirksamer zu koordinieren und die Anerkennung und Übertragung von Ansprüchen der Arbeitnehmer zu verbessern.

1.13

In Bezug auf den Datenschutz empfiehlt der EWSA der Europäischen Kommission, den Empfehlungen der Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten vom 3. April 2014 Rechnung zu tragen.

2.   Einleitung

2.1

Die europäische Wirtschaft wächst wieder. Seit Mitte 2013 ist die Arbeitslosenquote relativ stabil geblieben (1). Die Langzeitarbeitslosigkeit nimmt aufgrund der lang anhaltenden Krise weiter zu, die Jugendarbeitslosigkeit ist alarmierend hoch, und auch die Armutsquote der aktiven Bevölkerung steigt (2).

2.2

Die Lage erfordert dringend eine Mobilisierung aller Maßnahmen und Mittel zur Stärkung eines offenen und dynamischen Arbeitsmarkts in Europa, zur besseren Abstimmung von Angebot und Nachfrage sowie zur Erhöhung der beruflichen Mobilität innerhalb der EU. Eine größere Mobilität innerhalb der EU wird die Beschäftigungschancen für Arbeitnehmer verbessern und Arbeitgebern helfen, Stellen besser und schneller zu besetzen (3).

2.3

Im Rahmen der Leitinitiative „Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten“ (4) hat sich die Europäische Kommission zur Neugestaltung des Europäischen Netzes der öffentlichen Arbeitsverwaltungen (EURES) mit dem Ziel verpflichtet, dessen Fähigkeit auszubauen, Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen und Stellenvermittlungen im Dienste der Europäischen Beschäftigungsstrategie vorzunehmen (einschl. der Initiative „Dein erster EURES-Arbeitsplatz“).

2.4

Die Verpflichtung zur Modernisierung von EURES ist auch im Bericht über die Unionsbürgerschaft (5) enthalten sowie Teil weiterer Kommissionsinitiativen zur Förderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU (6), zur Errichtung eines Netzes der öffentlichen Arbeitsverwaltungen (ÖAV) (7), zur Umsetzung des Beschäftigungspakets (8) und sämtlicher Instrumente, um junge Menschen in Beschäftigung zu bringen (9).

2.5

Nach Meinung des EWSA bleibt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer auf der Grundlage der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung (10) sowie des Abbaus bestehender Mobilitätshemmnisse (11) auch in Zukunft eine der Prioritäten der EU. In einer Reihe von Empfehlungen (12) hat er die Umwandlung von EURES in ein echtes Instrument für die Abstimmung von Angebot und Nachfrage auf dem europäischen Arbeitsmarkt gefordert.

3.   Inhalt des Vorschlags

3.1

Auf Initiative der Europäischen Kommission wurden durch ihren Beschluss von 2012 (13) einige Änderungen vorgenommen; Kapitel II der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 jedoch, das den EU-Rechtsrahmen für Zusammenführung und Ausgleich sowie Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über die Arbeitskräftemobilität innerhalb der EU bildet, ist seit 1992 praktisch unverändert geblieben. In Verbindung mit dem neuen Verordnungsvorschlag wird die EURES-Satzung überarbeitet (14).

3.2

Aufgrund neuer Mobilitätsmuster, der technischen Entwicklung in Bezug auf die Weitergabe von Informationen über Stellenangebote, der Nutzung einer Vielzahl von Rekrutierungsmöglichkeiten durch Arbeitsuchende und Arbeitgeber und der zunehmenden Bedeutung anderer Arbeitsvermittlungen, aber auch der zunehmenden Zahl der Arbeitskräfte mit der festen Absicht, ins Ausland zu ziehen und dort zu arbeiten, muss die Funktionsweise von EURES dringend umfassend überarbeitet werden.

3.3

Für eine rasche Verwirklichung der Ziele und die Behebung der ermittelten Mängel erweist sich die Einführung einer neuen Verordnung und die Schaffung eines eigenen Instruments als optimalste Lösung. Das EURES-Netz soll zu einem echten europäischen Arbeitsvermittlungsinstrument ausgebaut werden, das auf der Grundlage der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung arbeitet. Es wird danach auch schrittweise auf Lehrstellen und Praktika ausgedehnt (Pilotprojekt „Dein erster EURES-Arbeitsplatz“).

3.4

Vor Annahme des Beschlusses von 2012 und ausgehend von der Evaluierung des EURES-Netzes im Jahre 2010 (15) führte die Europäische Kommission Konsultationen zu aktuellen Mängeln und zur möglichen künftigen Ausrichtung von EURES durch. Der Beratende Ausschuss für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der in diesem Prozess eine aktivere Rolle übernehmen sollte, wurde ebenfalls zu diesem Vorschlag konsultiert.

3.5

Bei der Bewertung wurden einige grundlegende Mängel bei EURES festgestellt, insbesondere: 1) unvollständiger Pool an Stellen und Lebensläufen, die auf EU-Ebene für alle Mitgliedstaaten zugänglich sind; 2) begrenzte Abgleichungsfähigkeit des EURES-Portals; 3) ungleicher Zugang zu EURES-Diensten innerhalb der EU; 4) begrenzte Verfügbarkeit für die Unterstützung bei Abgleich, Rekrutierung und Vermittlung für Arbeitsuchende und Arbeitgeber; 5) ineffizienter Informationsaustausch zwischen Mitgliedstaaten über Arbeitskräftemangel und -überschuss.

3.6

EURES kann nicht länger in der derzeitigen Form weiterarbeiten. Die Mitgliedstaaten haben die Idee einer Neuausrichtung von EURES und die Ausarbeitung eines Planungszyklus und gemeinsamer Indikatoren für die Tätigkeiten von EURES unterstützt, um die Transparenz im Bereich der Leistungsfähigkeit zu steigern, den Informationsaustausch zu verbessern und die Koordinierung der Maßnahmen zu verstärken.

3.7

In der gesamten Union sollten für alle Arbeitsuchende und Arbeitgeber, die Rekrutierungsdienste suchen, grundlegende Informationen über das EURES-Netz bereitgestellt werden; sie sollten Zugang zum EURES-Netz erhalten, und die Arbeit des EURES-Netzes sollte durch Informationsaustausch über Arbeitskräftemangel und -überschuss in den Mitgliedstaaten unterstützt werden.

3.8

Mit diesem Vorschlag soll das Verzeichnis der Stellenangebote im EURES-Portal möglichst vollständig werden und Arbeitsuchenden in der gesamten EU verzögerungsfrei zugänglich sein; außerdem soll ein umfassender Pool an Lebensläufen verfügbar sein, den registrierte Arbeitgeber für die Rekrutierung konsultieren können.

3.9

Ein wichtiger Schritt wird darin bestehen zu gewährleisten, dass das EURES-Portal einen guten automatisierten Abgleich von Stellenangeboten und Lebensläufen in den verschiedenen Mitgliedstaaten durchführen und dafür sorgen kann, dass auf nationaler und sektoraler Ebene erworbene Fähigkeiten, Kompetenzen, Qualifikationen und Berufsausbildungen in alle EU-Sprachen übersetzt und für alle verständlich präsentiert werden.

3.10

Alle Tätigkeiten, die die Europäische Kommission für das EURES-Netz durchführen muss und die Human- oder Finanzressourcen erfordern, fallen in den Anwendungsbereich der Verordnung zur Einrichtung des Programms für Beschäftigung und soziale Innovation („EaSI“) (16) (2014-2020).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Begriffsbestimmungen

4.1.1

Angesichts neuer Mobilitätsmuster und des größeren Bedarfs an Mobilität unter fairen Bedingungen sollte die Europäische Kommission den Begriff „Mobilität unter fairen Bedingungen“ angemessen definieren. Sie könnte als Grundlage den Wortlaut von Abschnitt 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 heranziehen und gleichzeitig klarstellen, dass Mobilität unter fairen Bedingungen auch das Recht beinhaltet, Zugang zu allen Stellenangeboten in der gesamten EU zu haben und von dieser Möglichkeit auch wirklich Gebrauch machen zu können.

4.1.2

Das Konzept der Mobilität sollte den Standpunkten und spezifischen Bedingungen jedes Mitgliedstaates Rechnung tragen, damit der „freie Verkehr talentierter Kräfte“ gewährleistet werden kann. Im Einklang mit Artikel 26 des Vorschlags erarbeiten die Mitgliedstaaten Mobilitätsmaßnahmen, die fester Bestandteil ihrer Beschäftigungspolitik sind.

4.2   Transparenz

4.2.1

Der EWSA kann die Absicht der Europäischen Kommission nachvollziehen, den Grundsatz der Transparenz auf andere Einrichtungen auszuweiten: öffentliche Arbeitsverwaltungen, private Arbeitsvermittlungsagenturen und weitere Arbeitsvermittlungseinrichtungen, sieht dies jedoch als kritisch, wenn diese nicht den gleichen Qualitätsansprüchen genügen müssen (wie die öffentlichen Arbeitsverwaltungen). Dieses System muss transparent sein und den Grundsätzen der Gleichbehandlung der Bewerbereinrichtungen genügen.

4.2.2

Gleichzeitig sollen die öffentlichen Arbeitsverwaltungen und sonstigen EURES-Partner gemäß dem Verordnungsvorschlag in ihren eigenen Stellenvermittlungsportalen einen besseren Zugang zum EURES-Portal ermöglichen. In einigen Ländern ist es sehr schwierig, einen EURES-Berater zu kontaktieren. Viele Arbeitssuchende stehen außerdem vor einer Reihe von bürokratischen und finanziellen Hürden, insbesondere junge Menschen.

4.2.3

Darüber hinaus zeigen die jüngsten Erfahrungen, dass das EURES-Netz und seine Dienste in vielen Mitgliedstaaten, insbesondere bei jungen Menschen, kaum bekannt sind. Nur ein Drittel der Arbeitgeber hat schon einmal von EURES gehört, ehe sie sich an das Netz wenden. Die Mitgliedstaaten müssen die Kommunikation bzgl. EURES-Dienste verbessern und sie stärker publik machen, um sicherzustellen, dass die Bürger ihre Entscheidung, Arbeit in einem anderen Mitgliedstaat zu suchen, in voller Kenntnis der Sachlage treffen.

4.2.4

Der EWSA begrüßt die Ausweitung des Geltungsbereichs von EURES auf die Gruppen von Bürgern — insbesondere junge Menschen —, die Lehrstellen oder Praktikumsmöglichkeiten oder andere Möglichkeiten in Verbindung mit einem Arbeitsvertrag suchen, was im Einklang mit Artikel 45 und 46 AEUV steht, damit diese Arbeitnehmer zum Zwecke der Beschäftigung gemäß den in gesetzlichen Regelungen, Vorschriften oder Verwaltungsakten festgelegten Bestimmungen in einem Mitgliedstaat verbleiben dürfen, die für die Beschäftigung der Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats gelten.

4.2.5

Der EWSA befürwortet den Nachdruck, der auf den Ausbau der grenzübergreifenden Zusammenarbeit und die Nutzung einer einzigen Kontaktstelle für die Kommunikation mit Grenzgängern und Arbeitgebern in Grenzregionen gelegt wird, und schlägt vor, hierfür die bereits bestehenden Kontaktstellen für Unternehmern zu nutzen.

4.2.6

Die EURES-T-Partnerschaften, in denen öffentliche Arbeitsverwaltungen, Gewerkschaften, regionale Arbeitgeberverbände und in einigen Fällen auch lokale und regionale Gebietskörperschaften vertreten sind, sollten gestärkt und ihre Zuständigkeiten klar festgelegt werden.

4.2.7

Der EWSA empfiehlt, das Verhältnis zwischen dem EURES-Netz und SOLVIT, dem Beratungs- und Informationsportal der EU für den Binnenmarkt, zu klären, insbesondere betreffend die Bestimmung (Artikel 7 Absatz 4) über die Unterstützung seitens der Nationalen Koordinierungsbüros im Falle von Beschwerden in Bezug auf EURES-Stellenangebote und Personalrekrutierung im Rahmen von EURES sowie die Zusammenarbeit mit Behörden wie Arbeitsaufsichtsämtern.

4.3   Automatisierter Abgleich über die gemeinsame IT-Plattform

4.3.1

Das Verfahren für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage ist zwar in Artikel 13 der Verordnung (EG) Nr. 492/2011 (17) festgehalten, doch findet derzeit kein automatischer elektronischer Austausch von Lebensläufen oder anderen Bewerberprofilen statt.

4.3.2

Der EWSA ist sich bewusst, dass eine Harmonisierung der nationalen Klassifizierungssysteme zur Gewährleistung der Interoperabilität in dieser Phase nicht erforderlich ist. Er unterstützt jedoch die Bemühungen der Europäischen Kommission um die Durchführung einer ersten Bestandsaufnahme der Klassifizierungssysteme in den Mitgliedstaaten mit dem Ziel, einen Vergleich aller Klassifizierungsdaten mit der europäischen Klassifizierung für Fähigkeiten, Kompetenzen, Qualifikationen und Berufe (ESCO) zu ermöglichen, die als Instrument zum automatisierten Abgleich und zur vollständigen Interoperabilität der Daten zwischen nationalen Stellenvermittlungsportalen dienen wird.

4.4   Unterstützungsleistungen

4.4.1

Das EURES-Portal muss ein umfassendes Dienstleistungspaket für seine Kunden, Arbeitsuchende und Arbeitgeber, gewährleisten: Sensibilisierungsmaßnahmen, Informationsvermittlung, Einführung von Mechanismen zur einfacheren Registrierung, Register von Lebensläufen und Stellenangeboten, automatisierter Abgleich, Rekrutierung und Vermittlung, aber auch Kontakte zu einschlägigen Organisationen, insbesondere Gewerkschaften, an die sich Arbeitsuchende nach ihrer Einstellung wenden können.

4.4.2

Die Dienstleistungen für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

4.4.3

Der EWSA begrüßt, dass die Mitgliedstaaten nationale Informationen über Arbeitskräftemangel und -überschuss und damit verbundene Maßnahmen systematischer austauschen müssen. Die Entscheidung über derartige Maßnahmen fällt allerdings nicht in den Geltungsbereich dieser Verordnung.

4.4.4

Nach Meinung des EWSA ist eine klare Aufteilung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen dem Europäische Koordinierungsbüro, das für die Festlegung eines kohärenten Rahmens und die Bereitstellung der horizontalen Beihilfen zuständig ist, den Nationalen Koordinierungsbüros, den öffentlichen Arbeitsverwaltungen und den EURES-Partnern notwendig.

4.4.5

Die Nationalen Koordinierungsbüros werden im Zuge der Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs von EURES eine Reihe von neuen Aufgaben übernehmen; sie müssen hierfür über ausreichend Human- und Finanzressourcen verfügen, um ihren Aufgaben nachkommen zu können. Wichtig sind in diesem Zusammenhang u. a. Weiterbildungen von hoher Qualität für ihre Mitarbeiter. Die Europäische Kommission sollte sicherstellen, dass sie so viel technische Unterstützung und Beratung wie möglich erhalten.

4.4.6

Die Nationalen Koordinierungsbüros sollten ein Arbeitsprogramm für die Einrichtungen erstellen, die sich auf dem Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats am EURES-Netz beteiligen. Darin sollten die geplanten Aktivitäten, die personellen und finanziellen Ressourcen, die für ihre Durchführung insgesamt bereitgestellt werden, und die Mechanismen zu ihrer Überwachung und Evaluierung festgelegt sein.

4.5   Schutz personenbezogener Daten

4.5.1

Die in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen müssen im Einklang mit den Vorschriften der Union über die der Verarbeitung personenbezogener Daten stehen (18). Die Einwilligung der Arbeitskräfte zur Veröffentlichung von Informationen auf dem EURES-Portal muss ausdrücklich, zweifelsfrei, aus freiem Entschluss, bezogen auf den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgen.

4.5.2

Damit soll sowohl die tatsächliche Einhaltung der Bestimmungen für den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten der Personen als auch der freie Verkehr personenbezogener Daten zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen und Einrichtungen der Gemeinschaft zum Zwecke der Ausübung ihrer jeweiligen Befugnisse garantiert werden.

4.5.3

Der EWSA hält fest, dass Konsultationen mit dem Europäischen Datenschutzbeauftragten in Bezug auf die neue und ausgeweitete Rolle des EURES-Netzes stattfinden. Er empfiehlt der Europäischen Kommission, den Empfehlungen und Schlussfolgerungen der Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten vom 3. April 2014 Rechnung zu tragen (19).

4.6   Änderungen betreffend die Finanzierung aus ESF-Mitteln

4.6.1

Der EWSA begrüßt, dass das neue Finanzierungssystem die wichtige Rolle grenzübergreifender EURES-Partnerschaften, insbesondere in exponierten Regionen, nicht gefährdet, und betont, dass sie auch weiterhin durch EU-weite bereichsübergreifende Tätigkeiten unterstützt werden sollten, wobei es möglich sein sollte, sie durch nationale Ressourcen oder ESF-Mitteln ergänzend zu fördern.

4.6.2

In Bezug auf den ESF sollten klare Prioritäten für EURES und eine angemessene Unterstützung für das Netz vorgesehen werden. Die Verfahren für Anträge auf Finanzhilfe und ihre Gewährung müssen kohärent, transparent und leicht nachvollziehbar sein.

4.7   Die Rolle der Sozialpartner

4.7.1

Die Europäische Kommission diskutiert eine Neuauslegung der Rolle der Sozialpartner (20). Die Sozialpartner sollten umfassend in den Programmplanungs- und Berichterstattungszyklus eingebunden und zu Sitzungen eingeladen werden.

4.7.2

Der EWSA verweist dennoch auf die wesentliche Rolle der Sozialpartner auf allen Ebenen als Hauptakteure des Arbeitsmarktes, die sich stark in die EURES-Tätigkeiten einbringen, um Kompetenzen und freie Stellen besser aufeinander abzustimmen. Ihre Rolle sollte nicht auf die Rolle assoziierter Partner reduziert werden (21). Insbesondere sollten die Nationalen Koordinierungsbüros enger mit den Sozialpartnern und Berufsverbänden zusammenarbeiten. Der EWSA schlägt vor, dass die Sozialpartner auf europäischer und nationaler Ebene angemessen an den Tätigkeiten des europäischen Koordinierungsbüros und der Nationalen Koordinierungsbüros teilhaben sollten.

4.8   Überwachung und Evaluierung der EURES-Aktivitäten im Bereich Beschäftigung

4.8.1

Um Informationen für die Messung der Ergebnisse des EURES-Netzes zu erhalten, sollten gemeinsame Indikatoren festgelegt werden, die als Richtschnur für die am EURES-Netz beteiligten Einrichtungen bei der Ermittlung ihrer Ergebnisse dienen und helfen sollten, die Fortschritte im Hinblick auf die gesetzten Ziele für das EURES-Netz als Ganzes zu bewerten. Außerdem müssen qualitative Indikatoren wie Arbeitsqualität, Gleichbehandlung und Sozialversicherungsrechte angewendet werden. Die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten in Verbindung mit dem Austausch von Informationen und Statistiken beispielsweise über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sollten in der Verordnung behutsam festgelegt werden, wenn keine Systeme für die Überwachung einiger Indikatoren bestehen.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2013) 801 final.

(2)  COM(2014) 12 final.

(3)  Nur etwa 7,5 Millionen der europäischen Erwerbstätigen von insgesamt rund 241 Millionen (also 3,1 %) sind in einem anderen Mitgliedstaat wirtschaftlich aktiv.

(4)  COM(2010) 682 final vom 23. November 2010.

(5)  COM(2013) 269 final.

(6)  COM(2013) 236 final.

(7)  COM(2013) 430 final.

(8)  COM(2012) 173 final.

(9)  COM(2012) 727 final.

(10)  ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 54.

(11)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 14.

(12)  ABl. C 67 vom 21.11.2013, S. 116; ABl. C 214 vom 8.7.2014, S. 36.

(13)  COM(2014) 6 final — 2014/0002 (COD).

(14)  SWD(2012) 100 final („Reforming EURES to meet the goals of Europe 2020“), Begleitdokument zu COM(2012) 173 final.

(15)  COM(2010) 731 final.

(16)  ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 238.

(17)  „Die besondere Dienststelle jedes Mitgliedstaats übermittelt den besonderen Dienststellen der anderen Mitgliedstaaten sowie dem Europäischen Koordinierungsbüro regelmäßig a) die Stellenangebote, die voraussichtlich durch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten befriedigt werden können; b) die Stellenangebote, die an Drittstaaten gerichtet werden; c) die Arbeitsgesuche von Personen, die formell erklärt haben, dass sie in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten möchten; d) nach Regionen und Wirtschaftszweigen aufgegliederte Angaben betreffend die Arbeitssuchenden, die sich ausdrücklich bereit erklärt haben, eine Stelle in einem anderen Land anzunehmen.“

(18)  Verordnung (EG) Nr. 45/2001; ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31.

Gemäß der Richtlinie 95/46/EG haben die Mitgliedstaaten den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten der natürlichen Personen und insbesondere deren Recht auf die Privatsphäre bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sicherzustellen, um den freien Verkehr personenbezogener Daten in der Gemeinschaft zu gewährleisten.

(19)  http://edps.europa.eu/EDPSWEB/webdav/site/mySite/shared/Documents/Consultation/Opinions/2014/14-04-03_Workers_mobility_EN.pdf

(20)  Siehe Protokoll der Sitzung des Beratenden Ausschusses für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer vom 12. April 2013.

(21)  Gemeinsames Schreiben von EGB, BusinessEurope, UEAPME und CEEP an Kommissionsmitglied László Andor vom 19. Dezember 2012.


26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Exploration und Förderung von Kohlenwasserstoffen (z.B. Schiefergas) durch Hochvolumen-Hydrofracking in der EU

COM(2014) 23 final

2014/C 424/05

Berichterstatter:

Josef ZBOŘIL

Mitberichterstatter:

Sorin IONIŢĂ

Die Europäische Kommission beschloss am 22. Januar 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Exploration und Förderung von Kohlenwasserstoffen (z. B. Schiefergas) durch Hochvolumen-Hydrofracking in der EU

COM(2014) 23 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 22. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 163 gegen 18 Stimmen bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Im Energiebereich der EU finden tiefgreifende Veränderungen statt; die europäische Wirtschaft und schutzbedürftigen Verbraucher sehen sich einer zunehmenden Gefährdung durch eine unsichere Versorgung und hohe Energiepreise ausgesetzt.

1.2

Hochvolumen-Hydrofracking (kurz: Fracking) verursacht Bedenken hinsichtlich der damit verbundenen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt; die betroffenen Kommunen müssen im Hinblick auf angemessene Schutzmaßnahmen bestmöglich informiert und die Bürger vor Ort im Einklang mit den jeweiligen rechtlichen Anforderungen stärker in Entscheidungen über individuelle Projekte einbezogen werden.

1.3

In ihren Leitlinien für die Förderung nicht-konventioneller Kohlenwasserstoffe hat die Kommission eine Reihe Mindestgrundsätze aufgestellt, die die Mitgliedstaaten innerhalb von sechs Monaten umsetzen müssen; die Anwendung der Grundsätze wird anschließend überwacht. Bei der Exploration und Förderung ist Transparenz unerlässlich, um Risiken weitestmöglich auszuschalten und öffentliche Akzeptanz zu gewährleisten.

1.4

Nach Meinung des Ausschusses spiegeln die Dokumente der Kommission (Mitteilung und Empfehlung) einen realistischen Ansatz wider. Weitere Diskussionen müssen auf Fakten und Erkenntnisse gestützt werden, wobei allerdings wichtige subjektive Aspekte wie die Risikoeinschätzung der Öffentlichkeit zu berücksichtigen sind. Der Ausschuss bezieht einen objektiven Standpunkt zur potenziellen Rolle der nicht-konventionellen Kohlenwasserstoffe im EU-Energiemix.

1.5

Der Ausschuss begrüßt das beschleunigte Verfahren, wodurch die Empfehlung es denjenigen Mitgliedstaaten, die die Nutzung nicht-konventioneller Kohlenwasserstoffressourcen zur Deckung ihres Energiebedarfs als unerlässlich erachten, ermöglicht, transparente Genehmigungsverfahren für eine Exploration einzuleiten.

1.6

Nach Meinung des Ausschusses reicht eine korrekte Anwendung der geltenden Rechtsvorschriften für die Tätigkeiten auf lokaler Ebene aus, so dass, zumindest vorläufig, eine spezifische „Schiefergas-Richtlinie“ nicht erforderlich ist. Das EU-Recht ermöglicht angemessene Lösungen für eventuelle grenzüberschreitende Auswirkungen von Fracking. Im Fall eines künftigen Fracking-Booms sollte die Angelegenheit erneut geprüft werden.

1.7

Der Ausschuss betont, dass die Entwicklung nicht-konventioneller Kohlenwasserstoffressourcen auf einer geeigneten institutionellen Grundlage zum Wachstumsfaktor für Europa werden kann. Eine verhältnismäßig saubere, zuverlässige und flexible Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen ist notwendig, um Schwankungen in den Elektrizitätssystemen zu vermeiden. Zudem verdeutlichen die politischen Krisen in den östlichen Nachbarstaaten der EU immer wieder, wie wichtig die Diversifizierung der Versorgungsquellen ist.

1.8

Der Ausschuss empfiehlt, in künftigen Kommissionsdokumenten eine Reihe weiterer Aspekte der Fracking-Technologie zu berücksichtigen. Der Wasserverbrauch ist weniger hoch als teilweise angenommen, auch wenn in Wasserstressgebieten besondere Umsicht erforderlich ist; die eingesetzten Additive sind durch die REACH-Verordnung geregelt und es sollten keine gefährlichen Stoffe verwendet werden; Gas-Leckagen sowie Gasabfackelung sind ordnungsgemäß zu handhaben. Es gilt das Verursacherprinzip.

1.9

Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit und öffentliche Akzeptanz nicht-konventioneller Kohlenwasserstoffe ist es, dass Erträge aus Lizenzgebühren und Verbrauchsteuern auf transparente und berechenbare Weise mit den betroffenen Kommunen geteilt werden, um sie für eventuelle externe Effekte der Fördervorhaben zu entschädigen.

2.   Einleitung

2.1

Im Energiebereich der EU finden tiefgreifende Veränderungen statt, die durch ineinandergreifende Faktoren ausgelöst werden, wie beispielsweise bedeutsame technologische Entwicklungen (bei erneuerbaren wie auch fossilen Energieträgern), große geopolitische Verschiebungen und ehrgeizige politische Ziele, die Anlass zu Maßnahmenpaketen geben, deren Auswirkungen schwer zu überschauen sind. Doch während sich das Spektrum der Energiequellen offenkundig vergrößert und diversifiziert hat, sehen sich die europäische Wirtschaft und schutzbedürftigen Verbraucher einer zunehmenden Gefährdung durch eine unsichere Versorgung und hohe Kosten ausgesetzt.

2.2

Eine in den letzten Jahrzehnten entwickelte neue Technik ist das Hochvolumen-Hydrofracking (kurz: Fracking), das vor allem in den USA rasch ausgebaut worden ist und dort durch die Ausweitung der wirtschaftlich nutzbaren Gasvorkommen sowie die erhebliche Senkung der Erdgaspreise unbestreitbare Vorteile gebracht hat. Gleichzeitig verursacht Fracking Bedenken hinsichtlich der damit verbundenen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt, und die Bevölkerung kritisiert mangelnde Transparenz und öffentliche Konsultation in Verbindung mit Schiefergastätigkeiten. Die betroffenen Kommunen müssen besser informiert und die Bürger vor Ort stärker in Entscheidungen über einzelne Vorhaben sowie in die gemäß den geltenden rechtlichen Verpflichtungen durchgeführten Folgenabschätzungen einbezogen werden.

2.3

Der Ausschuss bekräftigt das Argument der Kommission, dass die Entwicklung nicht-konventioneller Kohlenwasserstoffressourcen auf einer geeigneten institutionellen Grundlage zum Wachstumsfaktor für Europa werden kann. Aus den Erfahrungen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energieträger ist ersichtlich, dass in absehbarer Zukunft noch eine verhältnismäßig saubere, zuverlässige und flexible Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen notwendig sein wird, um Schwankungen in den Elektrizitätssystemen auszugleichen. Zudem verdeutlichen die politischen Krisen in den östlichen Nachbarstaaten der EU immer wieder, wie wichtig eine Diversifizierung der Versorgungsquellen ist.

3.   Kommissionsdokument

3.1

Die Volkswirtschaften und die Bürger Europas benötigen eine sichere und zuverlässige Versorgung mit nachhaltiger und erschwinglicher Energie. Die hohe Importabhängigkeit und die geringe Diversifizierung der Energiequellen haben, neben anderen Faktoren, zu steigenden Energiepreisen in der EU beigetragen, insbesondere im Vergleich zu einigen unserer wichtigsten Konkurrenten.

3.2

Der technologische Fortschritt hat nun den Zugang zu nicht-konventionellen fossilen Brennstoffen ermöglicht, deren Förderung bislang zu schwierig oder zu kostspielig war. In den USA macht nicht-konventionelles Gas 60 % der heimischen Erdgasförderung aus, wobei die höchsten Wachstumsraten bei Schiefergas zu verzeichnen sind. Dies hat dazu geführt, dass billigere Steinkohle aus den USA zur Ausfuhr zur Verfügung steht, insbesondere in die EU.

3.3

Die potenziellen Reserven von Erdgas in Schieferformationen haben in der EU hohe Erwartungen geweckt: Schiefergas ist ein möglicher Ersatzstoff für CO2-intensivere fossile Brennstoffe, kann die Abhängigkeit von Energielieferanten außerhalb der EU verringern und Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und öffentliche Einnahmen schaffen. Infolgedessen wird in einigen Mitgliedstaaten Schiefergas exploriert.

3.4

Jedoch wecken die Risiken, die mit der Technik des Hochvolumen-Hydrofracking (auch „Fracking“) verbunden sind, Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt. Ein hoher Anteil der Bevölkerung nimmt auch einen Mangel an Vorsorge, Transparenz und öffentlicher Konsultation im Zusammenhang mit Schiefergastätigkeiten wahr. Einige Mitgliedstaaten haben beschlossen, das hydraulische Fracking zu verbieten oder Moratorien zu erlassen.

3.5

Infolge der öffentlichen Besorgnis hat die Kommission beschlossen, einen Rahmen für die sichere und zuverlässige Förderung nicht konventioneller Kohlenwasserstoffe zu entwickeln, der darauf abzielt,

sicherzustellen, dass Möglichkeiten zur Diversifizierung der Energieversorgung und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in denjenigen Mitgliedstaaten, die sich dafür entscheiden, sicher und effizient genutzt werden können;

Klarheit und Voraussagbarkeit für Marktteilnehmer und Bürger zu bieten, auch für Explorationsprojekte;

im Einklang mit den Erwartungen der Öffentlichkeit dem Ausstoß von Treibhausgasemissionen und der Bewältigung der Klima- und Umweltrisiken (einschließlich in Bezug auf die Gesundheit) in vollem Umfang Rechnung zu tragen.

3.6

Diese Mitteilung begleitet eine Empfehlung mit Mindestgrundsätzen für die Exploration und Förderung von Kohlenwasserstoffen durch Hochvolumen-Hydrofracking, die die einschlägigen EU-Rechtsvorschriften ergänzt. Ziel dieser Empfehlung ist es, die sichere und zuverlässige Erschließung dieser Ressourcen zu gewährleisten und gleiche Wettbewerbsbedingungen für diesen Industriezweig in allen EU-Mitgliedstaaten zu fördern, die sich für diese Erschließung entscheiden.

3.7

Derzeit verfügbaren Informationen zufolge bietet die Erdgasförderung aus Schieferformationen in Europa offenbar das größte Potenzial im Vergleich zu anderen nicht konventionellen fossilen Brennstoffen. So wurden die technisch erschließbaren Schiefergasressourcen auf rund 16 Billionen Kubikmeter (tcm) geschätzt, was wesentlich mehr als ist die Werte für Tight Gas (3 tcm) und Flözgas (2 tcm). In dem Maße, in dem die Explorationsprojekte voranschreiten, werden weitere Erkenntnisse über die wirtschaftlich abbaubaren Ressourcen aus Schieferformationen und anderen nicht konventionellen Gas- und Ölquellen gewonnen.

3.8

Das neue Verfahren könnte Mitgliedstaaten mit hoher Importabhängigkeit die Möglichkeit geben, ihre Energiequellen zu diversifizieren und ihre Versorgungssicherheit zu verbessern. Doch selbst eine nur mäßige Verringerung oder ein vermiedener Anstieg der Erdgaspreise — z. B. durch eine verstärkte oder aufrecht erhaltene Verhandlungsposition gegenüber Gaslieferanten aus Nicht-EU-Staaten — wäre für die Mitgliedstaaten von Nutzen. Schiefergastätigkeiten können zudem direkte oder indirekte wirtschaftliche Vorteile bringen, beispielsweise durch regionale Infrastrukturinvestitionen, direkte und indirekte Beschäftigungsmöglichkeiten und öffentliche Einnahmen über Steuern, Gebühren und Lizenzgebühren.

3.9

Experten sind sich darüber einig, dass die Schiefergasförderung allgemein einen größeren Umweltfußabdruck zur Folge hat als die Erschließung von konventionellem Erdgas, denn sie erfordert eine intensivere Bohrloch-Stimulationstechnik, findet überwiegend on shore statt und würde sich über größere Flächen erstrecken. Da zudem die Produktivität von Schiefergasbohrlöchern im Allgemeinen niedriger ist als die konventioneller Bohrlöcher, müssen mehr von ihnen gebohrt werden. Einige dieser Risiken und Auswirkungen könnten grenzübergreifend auftreten, z. B. im Fall von Wasser- und Luftverschmutzung.

3.10

Die Umweltrisiken, die auch gesundheitliche Risiken nach sich ziehen, haben in unterschiedlichem Ausmaß Bedenken in der Öffentlichkeit ausgelöst, bis hin zu direktem Widerstand gegen Schiefergasprojekte. Insbesondere wird die unterschiedliche Information von Betreibern, zuständigen Behörden und breiter Öffentlichkeit (namentlich in Bezug auf die Zusammensetzung der Frack-Flüssigkeiten und die geologischen Bedingungen, unter denen das Fracking erfolgen soll) als Problem empfunden.

3.11

In der o.g. Empfehlung werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, bei der Anwendung oder Anpassung ihrer die Exploration und Förderung von Kohlenwasserstoffen durch Hochvolumen-Hydrofracking betreffenden Rechtsvorschriften sicherzustellen, dass:

vor der Erteilung von Lizenzen für die Exploration und/oder Förderung von Kohlenwasserstoffen, die voraussichtlich zum Einsatz von Hochvolumen-Hydrofracking führen wird, eine strategische Umweltprüfung durchgeführt wird;

eine standortspezifische Risikocharakterisierung und-bewertung für den unterirdischen wie auch für den oberirdischen Bereich durchgeführt wird;

der Ausgangszustand (z. B. in Bezug auf Wasser, Luft, seismische Aktivität) ermittelt wird, um eine Bezugsgrößte für die anschließende Überwachung oder bei einem Zwischenfall zu erhalten;

die Öffentlichkeit über die Zusammensetzung der für das hydraulische Fracking in den einzelnen Bohrlöchern verwendeten Flüssigkeit sowie über die Zusammensetzung der Abwässer, Daten über den Ausgangszustand und die Ergebnisse der Überwachung unterrichtet wird;

das Bohrloch angemessen gegen umliegende geologische Formationen abgedichtet ist, um insbesondere eine Verunreinigung des Grundwassers zu verhindern;

das Ablassen von Gasen in die Atmosphäre auf besonders außergewöhnliche und aus Sicherheitsgründen gerechtfertigte operative Umstände begrenzt, das Abfackeln (die kontrollierte Verbrennung von Gas) minimiert und das Gas zur nachfolgenden Nutzung (vor Ort oder über Pipelines) aufgefangen wird.

3.12

Außerdem wird den Mitgliedstaaten empfohlen sicherzustellen, dass die Unternehmen gegebenenfalls die besten verfügbaren Techniken (BVT) sowie bewährte Industriepraktiken anwenden, um die mit Explorations- und Förderprojekten verbundenen Auswirkungen und Risiken zu vermeiden, zu bewältigen und zu verringern. Darüber hinaus überarbeitet die Kommission derzeit das bestehende BVT-Merkblatt über Bergbauabfälle im Rahmen der Richtlinie über Abfälle aus der mineralgewinnenden Industrie. Der Ausschuss geht von einer baldigen Veröffentlichung aus.

3.13

Zur Erleichterung der Einbeziehung der Öffentlichkeit wird die Kommission ein Europäisches Wissenschafts- und Technologienetz für die Förderung nicht konventioneller Kohlenwasserstoffe einrichten, dem Fachleute aus Industrie, Forschung und Wissenschaft sowie Akteure der Zivilgesellschaft angehören. Im Rahmen des Arbeitsprogramms 2014-2015 von Horizont 2020 sind weitere Forschungsarbeiten vorgesehen, die dem Verständnis, der Vermeidung und der Verringerung von Umweltauswirkungen und-risiken der Schiefergasexploration und-förderung dienen.

3.14

Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die in der Empfehlung festgelegten Grundsätze innerhalb von sechs Monaten umzusetzen und ab 2015 die Kommission jährlich über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Die Kommission wird die Umsetzung beobachten, indem sie die Situation in den Mitgliedstaaten in einem öffentlich zugänglichen Fortschrittsanzeiger vergleicht, und wird die Wirksamkeit der Maßnahmen innerhalb von 18 Monaten überprüfen.

4.   Bemerkungen des Ausschusses

4.1

Der Ausschuss begrüßt den ausgewogenen Ansatz der Europäischen Kommission zu den nicht-konventionellen Kohlenwasserstoffen. Die Diskussion darüber muss offen geführt und auf Fakten und Erkenntnisse gestützt werden, wobei allerdings auch subjektive Aspekte wie die Risikoeinschätzung der Öffentlichkeit berücksichtigt werden müssen. Die Mitteilung ist umfassend, informativ, übersichtlich gegliedert und geht auf die Aspekte ein, die im Zusammenhang mit Gesundheits- und Umweltschutz sowie öffentlicher Akzeptanz wesentlich sind. Die potenzielle Rolle der nicht-konventionellen Kohlenwasserstoffe im EU-Energiemix wird objektiv erläutert.

4.2

Da nicht alle Mitgliedsstaaten der EU über diese primäre Energiequelle verfügen, gilt das Subsidiaritätsprinzip. Das EU-Recht ermöglicht angemessene Lösungen für eventuelle grenzüberschreitende Auswirkungen von Fracking. Nach Meinung des Ausschusses reichen die geltenden EU-Rechtsvorschriften aus und decken die meisten Aspekte in Verbindung mit Fracking ab; eine spezifische „Schiefergas-Richtlinie“ ist derzeit nicht erforderlich. Die korrekte Anwendung der geltenden Rechtsvorschriften bietet eine hinreichende Sicherheit für die Entwicklung dieser neuen Fördertechnik.

4.3

Die EU verfügt über relativ wenige einheimische Rohstoffvorkommen; alle verfügbaren Ressourcen sollten möglichst effizient und unter Berücksichtigung der Gesundheits- und Umweltrisiken genutzt werden. Indes gibt es keine vollkommen risikofreie menschliche Tätigkeit und ein vernünftiges Risikomanagement muss integraler Bestandteil jedweder menschlicher Arbeit sein, auch der Exploration und Förderung von nicht-konventionellen Kohlenwasserstoffen.

4.4

Jedes Explorations- oder Nutzungsvorhaben muss in hohem Maße transparent sein, um öffentliche Akzeptanz der neuen Technologie zu gewährleisten. Schon in den frühesten Entwicklungsphasen ist Transparenz angesagt, denn um Lagerstätten und den potenziellen wirtschaftlichen Nutzen einer Förderung realistisch beurteilen zu können, müssen in Gebieten, in denen Schiefergasvorkommen vermutet werden, Erkundungsbohrungen durchgeführt werden. Es muss eine umfassende Folgenabschätzung der Erkundungsmaßnahmen vorgelegt werden. Die EU-Energiepolitik gründet auf einer sicheren und nachhaltigen Versorgung. Da das durch Wind- und Sonnenenergie verursachte Ungleichgewicht im Energiesystem noch nicht ausgeglichen werden kann, ohne andere Ziele wie Niedrigemission oder Effizienzsteigerung zu gefährden, bietet sich nicht-konventionelles Erdgas als gangbare Lösung für die Bewältigung der Energiewende an.

4.5

Auch geopolitische Erwägungen müssen berücksichtigt werden, insbesondere in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen in der Ukraine nach der Veröffentlichung der Mitteilung und Empfehlungen. Ein Aspekt dabei ist die Energieversorgungssicherheit im Falle anhaltender Spannungen in unmittelbaren Nachbarstaaten der EU oder eines Handelskriegs mit Russland. Es geht aber auch um Entwicklungen in anderen Regionen der Welt und die schwächer werdende Position der EU unter den großen Handelsblöcken.

4.6

Der Ausschuss ist sich darüber im Klaren, dass die Technologie zur Förderung nicht-konventioneller Kohlenwasserstoffe in den letzten Jahren weiterentwickelt worden ist. Die wichtigsten Umwelt- und Sicherheitsbedenken sind glaubwürdig behoben und die Risiken in den kritischen Umweltbereichen verringert worden. Indes muss insbesondere die Gefahr der Wasserverschmutzung genau im Auge behalten werden, und in Wasserstressgebieten ist besondere Umsicht erforderlich. Der Ausschuss empfiehlt, die Kommissionsvorlagen baldmöglichst unter Berücksichtigung der nachstehenden Vorschläge zu überarbeiten.

4.7

Bei der Bewertung von Fördervorhaben sollten die Vorteile für die jeweiligen Kommunen (Infrastruktur, Arbeitsplätze, Steuern und Lizenzgebühren usw.) umfassend aufgelistet werden. Sehr wichtig — und gute Praxis: Es empfiehlt sich, dass Erträge aus Lizenzgebühren und Verbrauchsteuern auf transparente und berechenbare Weise, vorzugsweise auf der Grundlage einer öffentlich überprüfbaren Formel, mit den Kommunen geteilt werden, um sie für die Auswirkungen der Fördervorhaben zu entschädigen und ihren Widerstand dagegen abzubauen. Dieser Aspekt sollte in die Empfehlungen der Kommission aufgenommen werden.

4.8

Klimavorteile sollten in vollem Umfang geltend gemacht werden: Die verbrennungsbedingten Emissionen würden um ca. die Hälfte niedriger liegen als bei Kohle. In diesem Zusammenhang wären die Auswirkungen der Gas-Leckagen vom Bohrloch bis zum Brenner zu beachten, die in einigen Regionen sehr hoch sind, jedoch selten bekannt gegeben werden. Inoffiziell räumen Sachverständige ein, dass auf schlecht bewirtschafteten Erdgasfeldern 12-13 % des geförderten Gases entweichen, während die Leckagerate auf unter 3 % gehalten werden kann, wenn Normen und Vorschriften eingehalten werden!

4.9

Die Zielformationen müssen sorgfältig im Hinblick auf geologische und seismische Risiken untersucht werden, doch sollte in der Mitteilung erwähnt werden, dass die Risserzeugung in viel tieferen Gesteinsschichten erfolgt als konventionelle Erdgasförderung, die im Fall von Schiefergas weit unter den Grundwasserleitern liegen. Die mittel- und langfristigen Risiken, die sich aus dem schieren Ausmaß der Fracking-Tätigkeiten ergeben, sollten indes weiter erforscht werden.

4.10

Die Kommission könnte auch darauf eingehen, dass der Wasserverbrauch pro Bohrloch relativ gering ist und ein Großteil des Wassers an die Oberfläche zurückgepumpt und wiederverwendet oder aufbereitet wird. Die eingesetzten Additive unterliegen in der EU der REACH-Verordnung, und Gas-Leckagen sowie Gasabfackelung sind ordnungsgemäß zu handhaben. Zudem ist der Landverbrauch im Vergleich zur Leistungsdichte anderer Erdgasfelder wesentlich niedriger als bei Photovoltaik-, Windkraft- und Biomasseanlagen; dieser Aspekt wird von den Befürwortern erneuerbarer Energien ernstlich unterschätzt, obwohl er bei Entscheidungen darüber, ob Primärenergieträger nutzbar sind, häufig eine Rolle spielt.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020-2030

COM(2014) 15 final

2014/C 424/06

Berichterstatterin:

Ulla SIRKEINEN

Die Europäische Kommission beschloss am 8. Mai 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020-2030

COM(2014) 15 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 22. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 198 gegen 23 Stimmen bei 13 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA gelangt zu der Auffassung, dass:

die Mitteilung der Kommission darauf abhebt, die Klima- und Energiepolitik berechenbarer zu machen;

die Mitteilung den umfangreichen Veränderungen und Erfahrungen seit der Festlegung der einschlägigen EU-Politik bis 2020 gebührend Rechnung trägt;

die jüngst veröffentlichten Erkenntnisse des Weltklimarats die Festlegung der Klima- und Energiepolitik der EU nach 2020 umso notwendiger machen.

1.2

Der Ausschuss befürwortet:

den Vorschlag, als Minderungsziel für den Klimagasausstoß bis 2013 40 % vorzugeben, was immer noch ehrgeizig anmutet, jedoch im Einklang mit dem Ziel einer 80-95 %igen Verringerung bis 2050 steht;

den Vorschlag, ein gemeinsames Ziel für einen Anteil erneuerbarer Energien von mindestens 27 % festzulegen, wobei er im Gegensatz zum Kommissionsvorschlag die Festlegung von nationalen Einzelzielen für erforderlich hält;

die Absicht der Kommission, nach der 2014 anstehenden Bewertung neue Vorschläge zur Verbesserung der Energieeffizienz vorzulegen sowie

den Vorschlag für ein neues iteratives Governanceverfahren.

1.3

Der Ausschuss empfiehlt,

bei den Durchführungsmaßnahmen auf größtmögliche Kosteneffizienz zu achten, um schädliche Auswirkungen gering zu halten und die schwächsten Energieverbraucher zu schützen;

die Festlegung sektorbezogener Ziele für Energieeffizienz, beispielsweise im Gebäudesektor, zu erwägen, um die damit verbundenen vielversprechenden Möglichkeiten einer kosteneffizienten Verwirklichung der energiepolitischen Ziele auszuschöpfen;

Verfahren zu entwickeln, um die Zivilgesellschaft aktiv in die Ausarbeitung und Umsetzung der vorgeschlagenen nationalen Pläne einzubeziehen, und die Konsultation von Nachbarländern verpflichtend vorzuschreiben, bevor nationale Entscheidungen mit weitreichenden Auswirkungen getroffen werden;

einen entscheidenden Schritt hin zu einer echten europäischen Energiegemeinschaft zu machen und die nationalen Pläne, vor allem im Hinblick auf die EU-Energieversorgungssicherheit, zu koordinieren;

konsequent die sehr hohe Energieabhängigkeit der EU von unzuverlässigen Energielieferanten zu verringern, unter anderem indem verbindliche nationale Ziele zum Ausbau erneuerbarer Energien festgelegt werden;

die Unterstützung für im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik assoziierte Länder beim Übergang zur kohlenstoffarmen Wirtschaft zu intensivieren;

mehr Informationen über geplante Schritte für die Nicht-EU-EHS-Sektoren wie vor allem die Bereiche Verkehr, Landwirtschaft und Landnutzung bereitzustellen;

ausführlicher über die Entstehung neuer umweltorientierter Arbeitsplätze zu informieren;

ausreichende Maßnahmen gegen eine CO2-Verlagerung in energieintensiven Industrien sicherzustellen;

Innovation und Forschung als Schlüssel für die Bewältigung der Herausforderungen massiv zu fördern, gleichzeitig Maßnahmen zur Förderung der Produktion von Instrumenten für eine kohlenstoffarme Wirtschaft voranzutreiben und die Unternehmen bei der Umsetzung durch Ausbildungs- und Schulungsmaßnahmen zu unterstützen;

der internationalen Entwicklung in der Klimapolitik vorrangige Bedeutung einzuräumen und gleichzeitig mehr Gewicht auf die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels zu legen. Dazu gehört auch, die berechtigten Interessen der europäischen Industriezweige, die aufgrund einer stringenteren Energie- und Klimaschutzpolitik in Europa international unter Wettbewerbsdruck geraten, im Rahmen der WTO Verhandlungen, aber auch beim TTIP zu vertreten.

2.   Einleitung

2.1

Seit der Europäische Rat im März 2008 die sog. 20-20-20-Ziele für seine Energie- und Klimapolitik bis 2020 festlegte, hat sich Vieles verändert. Erstens gab es die schlimmste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit, von der sich Europa immer noch nicht ganz erholt hat. Zweitens haben andere wichtige Akteure nicht mitgezogen und nicht wie die EU Ziele und Maßnahmen für die Eindämmung des Klimawandels festgelegt. Drittens hat die Schiefergasrevolution in den USA das energiepolitische Marktgeschehen zumindest in den vom Gassektor betroffenen Sektoren und damit deren relative Wettbewerbsfähigkeit verändert. Viertens sind die Energiepreise für die Verbraucher in weiten Teilen der EU in den letzten Jahren rasch angestiegen und gefährden die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie schutzbedürftige Verbraucher. Zusätzlich haben — fünftens — die jüngsten politischen Entwicklungen in der Ukraine auf dramatische Weise die Notwendigkeit verdeutlicht, die Abhängigkeit der EU von russischen fossilen Brennstoffen zu verringern. Es haben sich aber auch — sechstens — geradezu revolutionäre technologische Entwicklungen bei den Erneuerbaren Energien ergeben, die eine kohlenstoffarme Energieproduktion immer kostengünstiger werden lassen. Der EWSA empfiehlt in diesem Zusammenhang der Kommission, ihre Analyse, wonach „Die Kosten des Übergangs zu einer CO2-armen Wirtschaft nicht wesentlich höher sind als die, die bedingt durch die notwendige Erneuerung des alternden Energiesystems, die steigenden Preise für fossile Brennstoffe und die Erfüllung der aktuellen klima- und energiepolitischen Vorgaben ohnehin anfallen“, stärker zu verbreiten. Es „… wird damit gerechnet, dass die Kosten für das Energiesystem im Zeitraum bis 2030 auf ca. 14 % des BIP steigen werden — im Jahr 2010 lagen die Kosten bei rund 12,8 % des BIP. Allerdings wird es bei den Ausgaben eine erhebliche Verlagerung von den Ausgaben für Brennstoffe hin zu Ausgaben für innovative Ausrüstungen mit hohem Mehrwert geben, die Investitionen in innovative Produkte und Dienstleistungen fördern, Arbeitsplätze und Wachstum schaffen und die Handelsbilanz der Union verbessern werden“. Ferner haben sich — siebtens — in einigen Mitgliedstaaten interessante Initiativen dezentraler Energieproduktion auf Basis erneuerbarer Energien unter direkter Beteiligung der Zivilgesellschaft entwickelt. Dabei wird deutlich, dass mit einer aktiven, direkten Einbeziehung von Bürgern, Gemeinden und Regionen in die Energieproduktion neue regionale Wertschöpfungsmöglichkeiten erschlossen werden, was die gesellschaftliche Akzeptanz einer neuen Klima- und Energiepolitik deutlich erhöht. Und — achtens — wird mehr und mehr deutlich, dass in einer technologischen Führerschaft bei erneuerbaren Energien ein großes wirtschaftliches Zukunftspotenzial liegt und dass Regionalentwicklung und Energiepolitik miteinander verknüpft werden können.

2.2

Bei den für 2020 gesetzten Zielen sind erhebliche Fortschritte zu verbuchen. Im Vergleich zum Niveau von 1990 gingen die Treibhausgasemissionen bis 2012 um 18 % zurück und dürften aufgrund der bisher beschlossenen Maßnahmen bis 2020 um 24 % und bis 2030 um 32 % sinken. Der Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch stieg 2012 auf 13 %. Die EU-Kommission rechnet derzeit mit einem weiteren Ausbau bis 2020 auf 21 % und bis 2030 auf 24 %. Die Energieintensität der EU-Wirtschaft hat sich von 1995 bis 2011 um 24 % verringert; indes sieht es nicht so aus, als würde das Richtziel einer 20 %igen Verbesserung der Energieeffizienz erreicht. Diese Zahlen lassen sich teilweise mit der lang anhaltenden Rezession, CO2-Verlagerungen und Verbesserungen bei der Energieeffizienz erklären.

2.3

Die anstehenden Herausforderungen sind indes umso schwerwiegender und erfordern dringende Maßnahmen. Laut einem jüngst veröffentlichten Teil des Fünften Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPCC) haben die weltweiten Treibhausgas-Emissionen trotz Klimaschutzanstrengungen einen Höchststand erreicht. Um die Zwei-Grad-Obergrenze mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % einzuhalten, sind dem Weltklimarat zufolge ein tiefgreifender institutioneller und technologischer Wandel sowie umfangreiche Investitionen unerlässlich.

2.4

2008 beschloss der Europäische Rat im Einklang mit den internationalen Bemühungen zur Begrenzung der Erderwärmung auf 2 oC, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80-95 % zu senken. Die Kommission hat entsprechende Fahrpläne für die Klima- und Energiepolitik bis 2050 vorgelegt.

2.5

Der Ausschuss hat die Beschlüsse über die Energie- und Klimapolitik der EU und ihrer Umsetzung aktiv unterstützt und eng begleitet. In zahlreichen einschlägigen Stellungnahmen auf Befassungsersuchen sowie in Initiativstellungnahmen hat er sich u. a. zu den internationalen Klimaschutzverhandlungen (1), zu einer europäischen Energiegemeinschaft (2), zu Energiekosten (3) und Energiearmut (4) sowie jüngst zu marktwirtschaftlichen Instrumenten zur Förderung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft (5) geäußert.

2.6

Mit dieser Stellungnahme schließt er an seine früheren Stellungnahmen an und ergänzt sie. Wie allen seinen Stellungnahmen liegt ihr ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen Standpunkten zugrunde. Er setzt sich darin allein mit der Mitteilung „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik im Zeitraum 2020-2030“ (6) auseinander. Zu den anderen Teilen des Pakets — Reform des EU-EHS (7), Mitteilung zu Energiepreisen (8), Empfehlung über Mindestgrundsätze für Schiefergas (9) und Mitteilung zum Wiedererstarken der europäischen Industrie (10) — wird der Ausschuss separate Stellungnahmen erarbeiten.

3.   Die Rahmenmitteilung der Kommission

3.1

Auf der Grundlage der Fahrpläne für die Klima- und Energiepolitik bis 2050, eines Grünbuchs zur Konsultation der Interessenträger und einer Folgenabschätzung hat die Kommission im Rahmen der übergreifenden Mitteilung für die Klima- und Energiepolitik bis 2030 (siehe Ziffer 2.8) ein Paket von Vorschlägen vorgelegt.

3.2

Die Kommission schlägt eine Rückführung der Klimagasemissionen um 40 % unter den Stand von 1990 vor. Dabei müssten die EU-EHS-Sektoren eine Senkung von 43 % im Vergleich zu 2005 erreichen, die nicht vom EU-EHS erfassten Sektoren 30 %. Der jährliche Faktor, um den die Emissionsobergrenze gesenkt wird, wird von derzeit 1,74 % auf 2,2 % nach 2020 angehoben werden. Die Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten für Nicht-EHS-Sektoren erfolgt im Wesentlichen wie bisher.

3.3

Die Kommission schlägt einen Anteil erneuerbarer Energieträger von mindestens 27 % am Energieendverbrauch in der EU vor. Es handelt sich um ein übergeordnetes verpflichtendes Ziel auf EU-Ebene, das jedoch nicht in einzelstaatliche Ziele aufgeschlüsselt werden soll, weshalb unklar bleibt, wer bei Nichteinhaltung verantwortlich gemacht werden kann. Der Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor würde von 21 % auf 45 % im Jahr 2030 steigen.

3.4

Zu Energieeffizienz werden keine Vorschläge unterbreitet. Mitte 2014 wird eine Bewertung der Umsetzung der Energieeffizienz-Richtlinie vorgelegt, auf deren Grundlage dann weitere Vorschläge ausgearbeitet werden.

3.5

Die Kommission schlägt vor, das Emissionshandelssystem durch Einführung einer Marktstabilitätsreserve zu reformieren, und hat dazu einen Verordnungsvorschlag (11) vorgelegt.

3.6

Sie spricht ferner den Wettbewerb auf integrierten Märkten sowie die Förderung der Energieversorgungssicherheit an. Zum Thema Energiepreise hat die Kommission eine separate Mitteilung (12) vorgelegt.

3.7

Im Zusammenhang mit den nationalen Plänen wird ein neues Governanceverfahren vorgeschlagen.

3.8

Um Fortschritte besser beurteilen zu können, wird eine breitere Palette von Indikatoren vorgeschlagen.

3.9

Des Weiteren werden wichtige ergänzende Strategien wie Landwirtschaft und Landnutzung, CCS, Innovation und Finanzierung angesprochen.

3.10

Abschließend gibt die Kommission einen kurzen Überblick über die internationale Situation bei der Reduzierung der Klimagasemissionen.

4.   Bemerkungen des Ausschusses zu dem Rahmen bis 2030

4.1

Der Ausschuss begrüßt die Mitteilung, weil sie darauf abhebt, die Ziele der Klima- und Energiepolitik weiterhin berechenbar zu gestalten. Stabilität, Vorhersehbarkeit und kohärente Umsetzung des Regelungsrahmens sind Voraussetzung für die langfristigen Entscheidungen und enormen Investitionen, die notwendig sind, um die Entwicklungen in die erwünschte Richtung zu lenken.

4.2

Die Aussage, dass an den zentralen Elementen des klima- und energiepolitischen Rahmens bis 2020 festgehalten wird, trägt wesentlich zur Vorhersehbarkeit bei.

4.3

In der Mitteilung werden jedoch auch die umfangreichen Veränderungen berücksichtigt, die seit der Verabschiedung der 2020-Politik stattgefunden haben. Unbeschadet der gebotenen Vorhersehbarkeit ist in Anbetracht der internationalen Entwicklungen, der notwendigen Erholung der Wirtschaft und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sowie der steigenden Energiekosten eine Anpassung der bisherigen Maßnahmen erforderlich.

4.4

Die Klimaerwärmung ist eine starke langfristige Bedrohung für unseren Planeten, für das Wohlergehen der künftigen Generationen, aber auch der Wirtschaft insgesamt. Sie kostet uns schon heute viel Geld. Die Anstrengungen in der EU müssen auf die Zielvorgabe einer 80-95 %igen Senkung des Klimagasausstoßes bis 2050 ausgerichtet werden. Der Ausschuss befürwortet den Vorschlag der Kommission, als Minderungsziel für 2030 40 % vorzugeben, auch wenn dies womöglich ehrgeizig anmutet. Laut der begleitend zur Mitteilung veröffentlichten Folgenabschätzung würde eine Zielvorgabe von 35 % genügen, um das für 2050 gesetzte Emissionsziel zu erreichen.

4.5

Als 2008 das „2020-Ziel“ beschlossen wurde, das eine Emissionssenkung um 20 % gegenüber dem Ausgangswert von 1990 vorsieht, lagen die Emissionswerte schon um 10 % unter dem Wert des Ausgangsjahrs 1990. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass bis 2020 minus 24 % erreicht werden, das bedeutet eine Reduktion um 14 % in 11 Jahren. Innerhalb eines Jahrzehnts müsste dann ein weiterer Reduktionsumfang von 16 % erreicht werden, was angesichts des technologischen Fortschritts, der Kostenreduktionen bei der Etablierung erneuerbarer Energien und der steigenden Kosten bei fossilen Energieträgern ohne allzu große Schwierigkeiten zu erreichen sein dürfte. Indes sind die Reduktionsbemühungen seit 1990 erheblich durch die Rezession, durch umfangreiche Umstrukturierungen der früheren sozialistischen Wirtschaftsformen sowie durch die Anwendung der Kyoto-Mechanismen erleichtert worden.

4.6

Damit dieses Ziel allerdings ohne negative Auswirkungen auf die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit erreicht werden kann, ist es unerlässlich, bei den Durchführungsmaßnahmen auf größtmögliche Kosteneffizienz zu achten. Deshalb wird vom Ausschuss begrüßt, dass die Kommission bei einer der teuersten Varianten von Treibhausgas-Reduktionen, dem Biokraftstoffsektor, keine Vorgaben mehr macht; der Ausschuss hatte dies schon 2008 empfohlen (13). Diesbezüglich sollte die Anwendung der flexiblen Mechanismen, die die Kommission nun nach 2020 ausschließen möchte, umfassend bewertet und breit diskutiert werden; dabei sollten die festgestellten Probleme, die Vorteile bezüglich globaler Kosteneffizienz und die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit im Klimaschutz berücksichtigt werden.

4.7

Die Maßnahmen werden sich auf unterschiedliche Sektoren der Wirtschaft unterschiedlich auswirken. Deshalb sollten durch eine sorgfältige Gestaltung und Zielorientierung der Maßnahmen schädliche Auswirkungen begrenzt und die schwächsten Energieverbraucher geschützt werden. Der Übergang zu einer Niedrigemissions-Wirtschaft muss gerecht gestaltet werden. Zentrale Anliegen sind dabei Bildungs- und Schulungsmaßnahmen, qualitativ hochwertige Arbeitsplätze und Arbeitnehmerbeteiligung, ggf. aber auch Kompensationsmaßnahmen.

4.8

Der Ausschuss unterstützt auch den Vorschlag der Kommission, ein gemeinsames Ziel für einen Anteil erneuerbarer Energien von mindestens 27 % festzusetzen. Während das 40 %-Ziel im Bereich der Treibhausgas-Emissionen als wichtiges klimapolitisches Signal, auch für die anstehenden Verhandlungen im Rahmen der COP 20/COP 21 angesehen werden kann, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien dagegen eher ein energiepolitisches Ziel, um die derzeit viel zu große Importabhängigkeit zu reduzieren. Die Tatsache, dass den Mitgliedstaaten keine verbindlichen nationalen Ziele vorgeschrieben werden sollen, wird vom Ausschuss kritisiert. Es ist völlig unverständlich, wie die Kommission ohne nationale Einzelziele die Einhaltung dieses Zielwertes durchsetzen und überwachen, ggf. aber auch Verstöße sanktionieren will.

4.9

Die Verbesserung der Energieeffizienz ist die aussichtsreichste und kosteneffizienteste Verfahrensweise zur Verwirklichung sämtlicher energiepolitischen Ziele — sie ist umweltgerecht, wirtschaftlich und kommt der Versorgungssicherheit zugute. Sie birgt ein enormes Potenzial, doch tun radikale Maßnahmen Not. Der Ausschuss geht davon aus, dass die Kommission auf der Grundlage der 2014 anstehenden Bewertung und unter Berücksichtigung der breiten Palette relevanter Aspekte wirksame Maßnahmen vorschlagen wird. Dabei müssen die Erfahrungen mit dem geltenden, erst jüngst verabschiedeten Rechtsrahmen einbezogen werden. Es wäre zu erwägen, sektorbezogene Ziele festzulegen, um vor allem das große Potenzial des Gebäude- und des Verkehrssektors auszuschöpfen.

4.10

Der Ausschuss begrüßt das von der Kommission vorgeschlagene neue Governanceverfahren, in dessen Rahmen die Mitgliedstaaten mithilfe eines iterativen Prozesses Pläne aufstellen. Die Ausarbeitung der Pläne bietet eine gute Gelegenheit, neben den Interessenträgern auch die breite Zivilgesellschaft an energiepolitischen Fragen zu beteiligen und bei der Umsetzung der Verpflichtungen an Bord zu holen. Wichtigster Aspekt des Vorschlags ist die Anforderung, die Nachbarländer zu konsultieren, die verbindlich vorgeschrieben werden sollte, bevor nationale Entscheidungen mit potenziell weitreichenden Auswirkungen für andere getroffen werden, und die ein entscheidender Schritt hin zu einer echten europäischen Energiegemeinschaft sein könnte. Durch die Kombination unterschiedlicher einzelstaatlicher Ressourcen und Konzepte und damit unterschiedlicher Energiemixe könnten kosteneffiziente regionale Systeme und Märkte geschaffen und Regelenergie, Angemessenheit der Erzeugungskapazitäten und Versorgungssicherheit sichergestellt werden. Der Ausschuss fordert daher die Mitgliedstaaten auf, einem wirksamen Governanceverfahren zuzustimmen und gemeinsam mit der Kommission und der Zivilgesellschaft darüber zu beraten, wie es umgesetzt werden kann. Das neue Governanceverfahren sollte transparent sein, für eine wirksame Einbeziehung der Zivilgesellschaft sorgen und zudem die für die Mitgliedstaaten verursachte Verwaltungslast auf ein Minimum zu beschränken.

4.11

Bei der Wahrnehmung des Rechts der Mitgliedstaaten, ihren Energiemix selbst festzulegen, geht es vor allem um Nachhaltigkeit und Diversifizierung. Aus diesen beiden Gründen werden die erneuerbaren Energieträger weiter ausgebaut und durch andere emissionsarme Energieträger ergänzt werden müssen. Die EU-Politik darf nicht Mitgliedstaaten, die dies wünschen, davon abhalten, Kernkraft oder einheimische Energiequellen wie u. a. nicht-konventionelle Gasvorkommen zu nutzen.

4.12

Es wäre zweckmäßig, im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik assoziierte Länder beim Aufbau einer kohlenstoffarmen Wirtschaft stärker zu unterstützen, ihren Zugang zu den entsprechenden Technologien zu erleichtern und Forschungseinrichtungen, die in diesen Ländern in diesem Bereich tätig sind, zu fördern.

4.13

Das Problem der überaus großen Abhängigkeit der EU von fossilen Energieträgern aus unzuverlässigen Versorgungsquellen ist in den vergangenen Wochen deutlich zutage getreten und muss dringend gelöst werden. Es müssen entschiedene Maßnahmen ergriffen werden, um, wie in Ziffer 4.10 angesprochen, die Energieversorgung zu diversifizieren und dabei besonders auf dauerhaft vorhandene, möglichst emissionsfreie Ressourcen zu setzen. Ferner müssen im Hinblick auf eine Diversifizierung der Versorgungsquellen auch ein echter Energiebinnenmarkt geschaffen und eine gemeinsame Energieaußenpolitik entwickelt werden.

4.14

Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag, mithilfe einer breiteren Palette von Indikatoren eine genauere Überprüfung der Fortschritte zu ermöglichen. Das größte Hindernis für einen echten Energiebinnenmarkt sind nach wie vor unzureichende grenzüberschreitende Übertragungskapazitäten. Einschlägige Fortschritte lassen sich am besten durch die Beobachtung der Entwicklung der Preisunterschiede zwischen den Regionen und Ländern beurteilen.

4.15

Der Kommission würde in diesem Zusammenhang die wichtige Aufgabe zukommen, durch Abschaffung umweltschädlicher Subventionen für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen und staatliche Förderregelungen zu überprüfen (14). Das sollte auch für die im Rahmen des EHS vorgesehenen Unterstützungsmaßnahmen zugunsten der Sektoren gelten, für die ein Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen besteht, um die ihnen entstehenden indirekten Klimakosten, d. h. höheren Strompreise, auszugleichen. Dieser Ausgleich sollte im Rahmen eines EU-weiten Systems geregelt werden, um Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern. Zu dem Vorschlag für eine Reform des EHS äußert sich der Ausschuss auch in einer separaten Stellungnahme (15). Auf internationaler Ebene muss sich die Kommission ebenfalls für gleiche Wettbewerbsbedingungen einsetzen, was bedeutet, dass diese Frage bei den WTO-Verhandlungen, aber auch im TTIP-Abkommen zu behandeln ist.

4.16

Ein wichtiger Teil der nationalen Energiepläne ist ein Konzept für die Nicht-EU-EHS-Sektoren. Der Verkehrsbereich und der Wärmesektor sind besonders wichtig. Zur Biokraftstoffpolitik hat sich der Ausschuss bereits mehrfach geäußert, er verweist auf seine entsprechenden Stellungnahmen (16).

4.17

Landwirtschaft und Landnutzung werden ihren Teil zur Eindämmung des Klimawandels beitragen, doch bedürfen die politischen Maßnahmen weiterer Prüfung und Überlegung. Nachhaltige Biomasse aus der Land- und Forstwirtschaft kann bei der Diversifizierung der Energiequellen eine Rolle spielen. Wenn die Änderungen der Landnutzung in die Ziele eingebunden würden, die nicht unter das EU-ETS fallen, dann müsste der Nettozuwachs an Senkenwäldern in vollem Umfang angerechnet werden.

4.18

In der Mitteilung fehlen auch Informationen über die Entstehung neuer umweltorientierter Arbeitsplätze, der im Rahmen der 20-20-20-Ziele große Bedeutung beigemessen wurde. Untersuchungen lassen bislang nur neutrale oder geringfügig positive Auswirkungen auf die Nettobeschäftigung erkennen, während sich die Berufsstrukturen grundlegend verändern.

4.19

Vermutlich hat eine umfangreiche Ökologisierung der Tätigkeiten in der EU stattgefunden, wofür beispielsweise die erheblich verbesserte Energieeffizienz in der Fertigungsindustrie spricht. Die energieintensiven Industrien waren bisher in der Lage, durch gesteigerte Energieeffizienz auf die Klimaschutzanforderungen zu reagieren; indes ist ihr diesbezügliches Potenzial weitgehend erschöpft, und deshalb sollte dem Risiko der CO2-Verlagerung künftig noch stärkere Aufmerksamkeit gelten.

4.20

Viele energieintensive Branchen in Europa stehen im Wettbewerb auf dem offenen Weltmarkt und können einseitige Zusatzkosten nicht auf ihre Preise aufschlagen. Daraus ergibt sich die Gefahr der CO2-Verlagerung. Meist schneiden diese Unternehmen bezüglich Energie- und CO2-Effizienz im globalen Vergleich ausgesprochen gut ab, so dass durch eine Verlagerung ihrer CO2-Emissionen das Risiko einer weltweiten Zunahme der Emissionen bestünde. Die politischen Maßnahmen der EU sollten daher nicht zu einer Erhöhung der direkten oder indirekten Energiekosten für die betroffenen Unternehmen führen oder sie sollten klare Möglichkeiten für einen Ausgleich der höheren Kosten vorsehen. Die Bestimmungen zur Vermeidung der CO2-Verlagerung müssen eine komplett unentgeltliche (auf technisch machbaren Benchmarks beruhende) Zuteilung von Emissionsberechtigungen vorsehen, bis neue Technologien nachweislich eine erhebliche, wirtschaftlich tragfähige Emissionssenkung ermöglichen.

4.21

Letztlich liegt die Lösung der Klima- und Energieproblematik in Innovation. Die EU, ihre Mitgliedstaaten sowie andere finanzielle Akteure müssen radikal handeln, um dieses Potenzial zu nutzen, indem sie sowohl die Einführung neuer Technologien als auch Versuche mit risikoreicheren bahnbrechenden Innovationen unterstützen. Ohne echte Technologiesprünge können die langfristigen Ziele in vielen Bereichen nicht verwirklicht werden. Voraussetzung für diese Innovationen ist eine wettbewerbsfähige Industrie, die dieser Herausforderung gerecht werden und dadurch wettbewerbsfähig bleiben und neue Horizonte erschließen kann. Entscheidend hierfür ist eine hochwertige Ausbildung. Wirtschaftszweige, die sich auf die Herstellung von Instrumenten für eine kohlenstoffarme Wirtschaft spezialisiert haben, könnten die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken und die Verfügbarkeit dieser Instrumente steigern. Hierzu müssten die Anstrengungen im Bereich der Forschung und Förderung gebündelt werden.

4.22

Um den Klimawandel zu bewältigen und eine sichere, zuverlässige und erschwingliche Energieversorgung für alle in Europa sicherzustellen, müssen alle ihre Einstellungen und Verhaltensweisen ändern. Egal, auf welche Marschrichtung sich die EU-Entscheidungsträger einigen, im Interesse einer reibungslosen Umsetzung müssen von Anfang an alle Interessenträger einbezogen werden. Wie bereits in Ziffer 4.9 gesagt kommt der Zivilgesellschaft eine Rolle zu, und dabei kann der Ausschuss helfen.

4.23

Der wichtigste Aspekt der Klimapolitik ist jedoch die internationale Entwicklung. Durch den in der Mitteilung vorgestellten klima- und energiepolitischen Rahmen würde der Anteil der EU am weltweiten Klimagasausstoß, der derzeit ca. 11 % beträgt, erheblich sinken. Selbst bei einer Fortsetzung der bisherigen Politik würde er laut IEA bis 2035 auf 7 % gesenkt. Europa steht beim Klimaschutz in einer besonderen historischen Verantwortung, könnte im Alleingang jedoch kaum etwas ausrichten, um die Erderwärmung auf 2 oC zu begrenzen. Ein ehrgeiziges internationales Übereinkommen und seine wirksame Umsetzung sind wesentliche Ziele für die EU. Bei einem Scheitern könnte die EU sich gezwungen sehen, ihre eigenen Maßnahmen zu überdenken. Gleichzeitig darf die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels nicht länger vernachlässigt und sollte wesentlich stärker in den Überlegungen und Tätigkeiten berücksichtigt werden.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 145.

(2)  ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 15.

(3)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 1.

(4)  ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 21.

(5)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 1.

(6)  COM(2014) 15 final.

(7)  EWSA-Stellungnahme zum „EU-System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten“ (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht), EESC-2014-00800-00-00-AC-TRA.

(8)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Energiepreise und -kosten in Europa“, EESC-2014-01113-00-00-AC (s. S 64 dieses Amtsblatts).

(9)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Die Exploration und Förderung von Kohlenwasserstoffen (z. B. Schiefergas) durch Hochvolumen-Hydrofracking in der EU“, EESC-2014-01320-00-00-AC-EDI (s. S 34 dieses Amtsblatts).

(10)  EWSA-Stellungnahme zu der Mitteilung „Für ein Wiedererstarken der europäischen Industrie“ (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht), EESC-2014-00746-00-00-AC.

(11)  COM(2014) 20 final.

(12)  COM(2014) 21 final.

(13)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 56.

(14)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 28.

(15)  ABl. C 177 vom 11.6.2014, S. 88.

(16)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 56.


26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung und Anwendung einer Marktstabilitätsreserve für das EU-System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten und zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG

COM(2014) 20 final — 2014/0011 (COD)

2014/C 424/07

Berichterstatter:

Antonello PEZZINI

Das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission beschlossen am 6. Februar 2014 bzw. am 13. Februar 2014 und am 22. Januar 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 192 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung und Anwendung einer Marktstabilitätsreserve für das EU-System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten und zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG

COM(2014) 20 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 22. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 167 gegen 2 Stimmen bei 10 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA betrachtet das Emissionshandelssystem der EU (EU-EHS) als ein Schlüsselinstrument der EU-Klima- und Energiepolitik zur Reduzierung der Emissionen der europäischen Industrie. Er dringt daher auf eine echte Reform dieses Systems, um die EU-Klimaziele sowohl für 2020 als auch für 2030 zu verwirklichen. Dabei muss die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Europas erhalten und eine Investitionsflucht verhindert werden.

1.2

Der EWSA befürwortet die vorgeschlagene Einführung einer EHS-Marktstabilitätsreserve zu Beginn des nächsten EHS-Handelszeitraums im Jahr 2021 als Möglichkeit, der Preisvolatilität des EHS nach 2020 entgegenzuwirken.

1.3

Der Ausschuss weist darauf hin, dass der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 21. März 2014 insbesondere Maßnahmen zum vollen Ausgleich der direkten und indirekten Kosten gefordert hat, die den im internationalen Wettbewerb stehenden Sektoren durch die EU-Klimapolitik verursacht werden, solange nicht ein umfassendes internationales Klimaabkommen für die europäische Industrie weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen schafft.

1.4

Der EWSA fordert:

vorab festgelegte automatische und gegenüber schweren Störungen widerstandsfähige Anpassungsmechanismen ohne Ermessensspielraum oder Raum für Eingriffe;

Transparenz, Vorhersehbarkeit und Einfachheit des Systems;

begrenzte Übergangskosten;

vorhersehbare Investitionsperspektiven;

Gewissheit langfristiger stabiler Ziele;

Verwendung der Erträge aus den Zertifikatsversteigerungen zur Unterstützung der Unternehmen beim Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft und zur Entwicklung und Anwendung sauberer Technologien;

angemessene innovative Fördermaßnahmen für energieintensive Verarbeitungsindustrien;

größere strategische Klarheit auf europäischer und internationaler Ebene.

1.5

Nach Ansicht des Ausschusses überschneidet sich das System für den Handel mit Emissionszertifikaten mit anderen europäischen und nationalen Maßnahmen im Bereich Umwelt, Klima, Energie und industrielle Entwicklung, die besser aufeinander abgestimmt werden sollten, um positive Auswirkungen zu zeitigen: Der EWSA fordert, die Überarbeitung des Systems folglich stärker in die anderen Vorschriften einzubetten, die sich auf die Treibhausgasemissionen und die Kosten der für industrielle Zwecke genutzten Energie auswirken.

1.6

Der EWSA bekräftigt, dass das EHS nicht nur als ein Instrument zur Kostenoptimierung und Förderung der Energieeffizienz in allen Sektoren, sondern auch als Mittel für eine stärkere Sensibilisierung der Öffentlichkeit gestärkt werden muss, um:

CO2-armen Gütern und Dienstleistungen den Vorrang zu geben;

Investitionen in die Infrastrukturen zu fördern;

den Aus- und Aufbau von Kapazitäten in den Schlüsselsektoren zu fördern, um ein wirtschaftliches Wiedererstarken des europäischen verarbeitenden Gewerbes zu bewirken.

1.7

Der Ausschuss unterstreicht, dass sich die Industrie seit jeher in einem kontinuierlichen Innovationsprozess zur Senkung des Energieverbrauchs und zur Steigerung der Energieeffizienz befindet; allerdings liegt auf der Hand, dass die Verzerrungen des EHS-Markts mit exzessiven Senkungen der CO2-Preise eine Verstärkung der nachhaltigen wissenschaftlichen und technischen Innovation erschweren könnten.

1.8

Nach dem Dafürhalten des EWSA sollte die Rolle des EU-EHS ab dem Zeitraum 2020-2030 nicht nur darin bestehen, eine wirtschaftlich tragbare CO2-Reduzierung der betroffenen Anlagen und Sektoren mittels Investitionen in CO2-arme Technologien, die Nutzung erneuerbarer Energieträger und Energieeffizienzmaßnahmen zu erleichtern, sondern auch in der Förderung des Zugangs zu internationalen Ausgleichsgutschriften. Dadurch könnten die Emissionen auf dem weltweiten CO2-Markt reduziert werden, auch mit Blick auf das weltweite Klimaschutzabkommen 2015 und im Einklang mit den in der Agenda für die Zeit nach 2015 genannten Zielen der nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf die integrierten Konzepte für die Entwicklung, die Gleichberechtigung, die Menschenrechte und die vollständige Verwirklichung der ökologischen Nachhaltigkeit.

1.9

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die vorgeschlagene Überarbeitung des EHS ab 2021 als untrennbarer Bestandteil des neuen Rahmens für die Klima- und Energiepolitik bis 2030 eng mit der Umsetzung des Programms Horizont 2020 und der Koordinierung nationaler Programme verknüpft werden sollte, um die nachhaltige technische Innovation beschleunigt anzukurbeln. Hierdurch würde die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie bewahrt, indem die Ansiedlung neuer und besserer Industrien gefördert wird.

1.10

Der EWSA ist überzeugt, dass der CO2-Markt stabiler, flexibler und offener für alle wichtigen Akteure auf internationaler Ebene werden muss, und fordert daher die Kommission, das Parlament und den Rat auf, einen detaillierten und gut abgestimmten Rahmen für die notwendigen Maßnahmen auszuarbeiten, um das Ziel einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen verarbeitenden Industrie zu erreichen.

1.11

Der EWSA betont, dass die Maßnahmen zur Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen und positive Auswirkungen auf die Emissionsreduzierung und die Luftqualität haben können. Er fordert, diese Faktoren in den internationalen Verhandlungen geltend zu machen.

2.   Einführung

2.1

Das System der EU für den Handel mit Emissionszertifikaten (EU-EHS) muss als wirksames Schlüsselinstrument zur Reduzierung der Emissionen der europäischen Energiebranche dienen. Um kosteneffizient zu sein, muss es marktbasiert und in der Lage sein, den CO2-Preis zu stimulieren, aber auch Investitionen in CO2-arme Technologien und den Ausbau der erneuerbaren Energieträger sowie die Verbesserung der Energieeffizienz zu begünstigen, um eine wettbewerbsfähige verarbeitende Industrie zu fördern, die den von allen wichtigen Partnern auf internationaler Ebene mitgetragenen und befürworteten Nachhaltigkeitszielen entspricht.

2.2

Im Rahmen des Emissionshandelssystems ist derzeit vorgesehen, dass die der Pflicht zur Emissionsreduzierung unterliegenden Unternehmen Emissionsgutschriften erhalten, die den ihnen gestatteten Tonnen CO2-Äquivalenten entsprechen, wobei deren Zahl von Jahr zu Jahr sinkt (- 1,74 %). Ab 2021 sollte dieser Prozentsatz auf 2,2 % steigen.

2.3

Seit seiner Schaffung hat das EU-EHS auf EU-Ebene einen Referenzpreis für CO2 vorgegeben. Er dient als tägliche Orientierungshilfe bei operativen und strategischen Investitionsentscheidungen zur Reduzierung der Emissionen in sämtlichen Sektoren der europäischen Wirtschaft, die für etwa die Hälfte der Treibhausgasemissionen der EU verantwortlich sind.

2.4

Das System hat jedoch infolge der schweren Wirtschaftskrise und des daraus resultierenden Rückgangs der Wirtschaftstätigkeit ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen dem Angebot an und der Nachfrage nach EHS-Zertifikaten mit einem Überschuss von rund 2 Milliarden Zertifikaten hervorgerufen, das voraussichtlich noch mehr als zehn Jahres weiterbestehen wird.

2.5

Der Marktüberschuss hat zu einem Preisverfall im EU-EHS geführt, wobei die Preise von ca. 30 € pro Tonne CO2 auf 13,09 €/t im Jahr 2010 und 11,45 €/t im Jahr 2011 sanken, um schließlich 2012 bei einem mittleren globalen CO2-Preis von rund 5,82 €/t anzulangen.

2.6

In vielen europäischen Ländern wurden verschiedene Initiativen entwickelt, wie die weißen und die grünen Zertifikate in Italien, mit dem Ziel, über Einsparungen und Effizienzsteigerungen (weiße Zertifikate) bzw. durch die Substitution der Kohlenwasserstoffe als Primärenergiequelle durch erneuerbare Energieträger (grüne Zertifikate) die CO2-Emissionen zu senken (1).

2.7

Die Industrie befindet sich seit jeher in einem kontinuierlichen Innovationsprozess zur Senkung des Energieverbrauchs und zur Steigerung der Energieeffizienz. Es liegt jedoch auf der Hand, dass durch übermäßige Senkungen des CO2-Preises eine Verstärkung der nachhaltigen wissenschaftlichen und technischen Innovation erschwert würde.

2.8

Nach den derzeit für das EHS geltenden Vorschriften ist die Menge der zur Versteigerung freigegebenen Emissionszertifikate für viele Jahre festgelegt und es sind keine Anpassungen als Reaktion auf große Veränderungen bei der Zertifikatsnachfrage gestattet. Dies führt zu dauerhaften Ungleichgewichten mit Folgen für die Innovation und die Investitionen in neue, CO2-arme Technologien.

2.9

Im Dezember 2013 beschlossen das Europäische Parlament und der Rat im Verlauf ihrer Beratungen über die beim EHS erforderlichen Anpassungen, der Kommission — unter außergewöhnlichen Umständen und zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Markts bis zur Verabschiedung langfristiger struktureller Maßnahmen — die Möglichkeit einzuräumen, den Verkauf von maximal 900 Mio. CO2-Zertifikaten einmalig und ausnahmsweise zu verschieben und anstelle des Dreijahreszeitraums 2014-2016 das Jahr 2020 als neue Frist zu setzen.

2.10

Trotz dieser kurzfristigen Fortschritte ist die EU noch weit von einer Lösung des Problems langfristigerer Überschüsse entfernt.

2.11

Nach Ansicht der Kommission würde die Option, eine — ab 2021, also Phase 4 angewandte — Marktstabilitätsreserve einzurichten, eine Übernahme der geltenden Vorschriften ermöglichen. Dies würde einen ausgewogeneren Markt mit einem stärker von den mittel- bis langfristigen Emissionsreduzierungen gesteuerten CO2-Preis und stabilen Perspektiven sicherstellen. So würden Investitionen in CO2-arme Technologien gefördert, die den Unternehmen zugute kommen, die auch weiterhin den Zwängen einer hohen Energieintensität unterliegen.

2.12

Die Reserve sollte es ermöglichen, sowohl das Problem des in den letzten Jahren entstandenen Überschusses an Emissionszertifikaten zu bewältigen als auch die Widerstandsfähigkeit des Systems gegenüber schweren Störungen zu verbessern, indem die Zahl der zur Versteigerung freigegebenen Zertifikate automatisch angepasst wird.

2.13

Die Schaffung einer solchen Reserve — die möglicherweise dem kürzlich mit dem Beschluss, 900 Millionen Zertifikate erst 2019-2020 zur Versteigerung freizugeben, vereinbarten Zurückhalten von Emissionsrechten („Backloading“) vorzuziehen ist — wird von zahlreichen Interessenträgern befürwortet. Gemäß den Bestimmungen der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften würde die Reserve ganz nach zuvor festgelegten Regeln funktionieren, die der Kommission und den Mitgliedstaaten bei ihrer Anwendung keinerlei Ermessensspielraum lassen sollten.

3.   Wesentlicher Inhalt der Kommissionsvorschläge

3.1

Die Kommission schlägt vor, mit dem Beginn des nächsten EHS-Handelszeitraums im Jahr 2021 eine Marktstabilitätsreserve einzuführen. Die Reserve — in Verbindung mit dem kürzlich vereinbarten Zurückhalten von 900 Millionen Zertifikaten bis 2019-2020 („Backloading“) — sollte es ermöglichen:

dem in den letzten Jahren entstandenen Überschuss an Emissionszertifikaten entgegenzuwirken;

die Widerstandsfähigkeit des Systems gegen schwere Störungen zu verbessern;

Mechanismen für die automatische Anpassung der zur Versteigerung freigegebenen Zertifikate zu schaffen.

3.2

Gemäß den Bestimmungen der vorgeschlagenen Rechtsvorschriften würden diese zuvor festgelegten automatischen Anpassungsmechanismen der Kommission und den Mitgliedstaaten bei ihrer Anwendung keinerlei Ermessensspielraum lassen.

3.3

Der Vorschlag zum EHS ab 2021 ist fester Bestandteil des von der Kommission vorgeschlagenen neuen Rahmens für die Klima- und Energiepolitik bis 2030. Dieser ist Gegenstand einer weiteren Stellungnahme des EWSA und umfasst u. a. folgende Elemente: Verringerung der Treibhausgasemissionen (THG) um 40 % gegenüber 1990; verbindliche Ziele auf EU-Ebene für die Anhebung des Anteils der erneuerbaren Energien auf mindestens 27 %; eine ehrgeizigere Energieeffizienzpolitik; neue Steuerungsstrukturen; eine Reihe neuer Indikatoren für ein wettbewerbsfähiges und sicheres Energiesystem.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA befürwortet seit jeher, dass die Zertifikate zunehmend versteigert werden sollen. Versteigerungen stehen im Einklang mit dem Verursacherprinzip, verhindern Mitnahmegewinne, setzen Anreize und tragen zur Bildung von Kapital bei, das in CO2-emissionsarme Anlagen und Produkte investiert werden kann; sie sind somit innovationsfördernd  (2).

4.2

Nach Ansicht des EWSA ist es entscheidend, ein starkes EHS als Eckpfeiler der klimabezogenen EU-Energiepolitik zu erhalten. Seine Funktionsweise darf nicht zu einem Schrumpfen des verarbeitenden Gewerbes und einer Investitionsflucht führen. Dies ließe sich mithilfe eines reformierten Systems zur Verwaltung des CO2-Markts als einem wirksamen Instrument zur Emissionsverringerung für die Industrie und die anderen beteiligten Wirtschaftszweige sowie durch die Förderung von Investitionen in innovative, weltweit wettbewerbsfähige CO2-arme Technologien bewerkstelligen.

4.3

Die bestehenden Maßnahmen zum Schutz der Industrie im Rahmen des EU-EHS werden größtenteils bis 2021 auslaufen, und die kostenlose Zuteilung wird 2027 komplett abgeschafft. Ein neues CO2-Reduktionsziel zum Jahr 2030 für die unter das EU-EHS fallenden Wirtschaftszweige könnte zusätzliche Belastungen für die Industrie der EU mit sich bringen.

4.4

Solange nicht durch ein umfassendes internationales Klimaabkommen weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Industrie geschaffen werden, sollte das EU-EHS so neugestaltet werden, dass für einen vollen Ausgleich der direkten und indirekten Kosten für die Senkung der CO2-Emissionen gesorgt wird, die den im internationalen Wettbewerb stehenden Sektoren durch die EU-Klimapolitik entstehen. Eine solche Vorgehensweise steht im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 21. März 2014, in denen für den Zeitraum 2020-2030 um Entwicklung von Maßnahmen zur Verhinderung einer möglichen Auslagerung von CO2-Emissionen und Forderung von langfristiger Planungssicherheit für Investitionen der Industrie ersucht wird, um die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Wirtschaftszweige in Europa sicherzustellen.

4.5

Der EWSA hat der Kommission in seiner Stellungnahme zu dem Fahrplan für eine CO2-arme Wirtschaft bis 2050 (3) empfohlen, ein komplettes neues Maßnahmenpaket vorzulegen, um Anreize für die massiven Investitionen zu schaffen, die für die Verwirklichung dieser Ziele erforderlich sind. Dieses Maßnahmenpaket sollte eine Stärkung des EU-EHS als Instrument zur Kostenoptimierung beinhalten, um Investitionsentscheidungen in die richtige Richtung zu lenken, und des Weiteren: die Energieeffizienz in allen Sektoren fördern; die Verbraucher sensibilisieren und in die Lage versetzen, durch ihre Kaufkraft Güter und Dienstleistungen mit guter CO2-Bilanz zu fördern; Investitionen in die notwendigen Infrastrukturen fördern; den Aufbau von Kompetenzen und Kapazitäten in den Schlüsselsektoren unterstützen.

4.6

Nach Auffassung des EWSA sollten auch die umwelt-, klima-, energie- und industriepolitischen Strategien und Maßnahmen der EU untereinander stärker koordiniert werden, um positive Synergieeffekte zu erzielen: Lediglich den Wert des CO2-Zertifikats am EHS-Markt als „CO2-Kosten“ zu betrachten, ohne die Kosten im Zusammenhang mit anderen Instrumenten wie beispielsweise Anreizen für erneuerbare Energieträger oder Energieeffizienzmaßnahmen zu berücksichtigen, könnte sich als zu kurz gedacht und unzureichend erweisen und zu insgesamt verzerrten Bewertungen führen (4).

4.7

Der EWSA unterstützt die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Frühjahr 2014 hinsichtlich der Erfordernisse der Industrie in sämtlichen Bereichen, von der Energie über Wettbewerb und Handel bis hin zur Ausbildung, sowie insbesondere den Grundsatz, dass die industrielle Wettbewerbsfähigkeit „im Zusammenhang mit einer kohärenten europäischen Klima- und Energiepolitik gesehen werden muss, unter anderem indem das Problem der hohen Energiekosten — insbesondere für energieintensive Industriezweige — angegangen wird“.

4.8

Das EHS sollte einen gemeinsamen Rechtsrahmen für den Energiesektor und die energieintensiven Branchen schaffen. Um Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit zu verhindern, müssen Maßnahmen zur Überwachung der Verlagerung von CO2-Emissionen ergriffen werden. Außerdem müssen weitere Verbesserungen in den nicht unter das EHS fallenden Branchen beschleunigt vorangetrieben werden, die mehr als die Hälfte der derzeitigen CO2-Emissionen in der EU ausmachen, insbesondere in Branchen mit einem hohen Energieeffizienzpotenzial wie z. B. dem Bau- und Transportgewerbe.

4.9

Der EWSA fordert nachdrücklich, die Reform des EHS durch eine kräftige Stimulierung der wirtschaftlichen Erholung zu flankieren; zu diesem Zweck sollten Investitionen in Branchen mit einem hohen Potenzial wie beispielsweise Infrastrukturen oder grüne Wirtschaft und in strategische Industriezweige wie Forschung und Innovation sowie insbesondere in das verarbeitende Gewerbe und die KMU getätigt werden.

4.10

Der EWSA ist davon überzeugt, dass das EHS ein wirksames Marktinstrument für eine wirtschaftlich tragbare Reduzierung der Treibhausgasemissionen sein könnte. Es könnte nämlich mehr Stabilität gewährleisten, indem Ermessensspielräume eingeschränkt und Flexibilität nach zuvor festgelegten Regeln auf der Grundlage von Kriterien der Transparenz, Vorhersehbarkeit und Einfachheit geschaffen wird, damit die Marktteilnehmer bei ihrem Vorgehen Erwartungen bezüglich Anpassungen des Angebots einbeziehen können.

4.11

Ein wirksames Emissionshandelssystem setzt Folgendes voraus:

begrenzte Übergangskosten;

vorhersehbare Investitionsperspektiven;

Gewissheit langfristiger stabiler Ziele;

Verwendung der Erträge aus den Zertifikatsversteigerungen zur Unterstützung (5) der Unternehmen beim Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft und zur Entwicklung und Anwendung sauberer Technologien.

4.12

Die Rolle des EU-EHS ab dem Zeitraum 2020-2030 sollte darin bestehen, eine wirtschaftlich tragbare CO2-Reduzierung der betroffenen Anlagen und Sektoren sowohl mittels Investitionen in CO2-arme Technologien als auch durch die Nutzung erneuerbarer Energieträger und engagierte Verpflichtungen zu Energieeffizienz zu erleichtern.

4.13

Der Marktpreis der EHS-Zertifikate muss auch weiterhin eine gültige Bezugsgröße für Investitionen zur Emissionsreduzierung bleiben.

4.14

Im künftigen EHS sollte der Zugang zu internationalen Ausgleichsgutschriften aufrechterhalten werden, da sie glaubwürdige Mittel zur wirksamen Begrenzung der Emissionen dank der Nutzung der Möglichkeiten zur Schaffung eines weltweiten CO2-Markts sind.

4.15

Der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) sollte beibehalten, verbessert und ausgeweitet werden, und das EHS der EU und die neuen, in anderen Regionen der Welt entstehenden Systeme sollten entsprechend miteinander verzahnt werden.

4.16

Nach dem Dafürhalten des EWSA muss die EU alles daran setzen, einen echten internationalen CO2-Markt zu schaffen und wirksame, allen wichtigen Partnern offen stehende Emissionshandelsmechanismen weltweit zu verbreiten.

4.17

Es sollten rasch neue Mechanismen entwickelt und den Regierungen zur freiwilligen Nutzung im Einklang mit ihren nationalen Auflagen zur Verfügung gestellt werden: diese Mechanismen sollten so konzipiert werden, dass soweit wie möglich Wettbewerbsverzerrungen zwischen Regionen bei weltweit gehandelten Gütern vermieden werden.

4.18

Das Emissionshandelssystem überschneidet sich mit anderen europäischen und nationalen Maßnahmen wie denjenigen zur Bildung von Anreizen für die Nutzung erneuerbarer Energieträger oder zur Förderung der Energieeffizienz, woraus Marktverzerrungen und Ineffizienz resultieren: die Überarbeitung des Systems sollte folglich stärker in die anderen Vorschriften eingebettet werden, die sich auf die Treibhausgasemissionen und die Kosten der für industrielle Zwecke genutzten Energie auswirken.

4.19

Einseitige Entscheidungen führen zu höheren CO2-Kosten (in erster Linie Energiekosten) für die Unternehmen und können die Wettbewerbsfähigkeit strategischer Branchen des verarbeitenden Gewerbes beeinträchtigen, ohne konkrete Fortschritte aus klimatischer Sicht zu bringen: Jüngeren Studien zufolge (6) werden die von der EU erzielten Emissionssenkungen durch den Anstieg der Emissionen, die in den in die EU importierten Erzeugnissen „enthalten“ sind, mehr als aufgehoben.

4.20

Nach Ansicht des EWSA ist es zwar äußerst wichtig, 2015 ein die meisten Emissionen verursachenden Länder umfassendes internationales Klimaschutzabkommen zu schließen, doch sollte mit Horizont 2020 und abgestimmten nationalen Investitionen die technologische Innovation weiter vorangetrieben werden, um die Wettbewerbsfähigkeit des verarbeitenden Gewerbes in Europa zu bewahren, indem die Ansiedlung neuer und besserer Industrien gefördert wird.

4.20.1

Zur Verwirklichung dieses Ziels muss ein detaillierter und gut abgestimmter Rahmen für die Maßnahmen ausgearbeitet werden, die weltweit ergriffen werden müssen, um das Ziel einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Industrie zu erreichen: Der EWSA fordert daher die Kommission, das Parlament und den Rat auf, einen solchen Rahmen im Einklang mit den in der UN-Agenda für die Zeit nach 2015 genannten Zielen der nachhaltigen Entwicklung im Rahmen der Millenniumsentwicklungsziele zu entwerfen.

4.21

Der Ausschuss bekräftigt die Notwendigkeit, zu berücksichtigen, „dass das ETS den globalen Wirtschaftskräften nicht standhalten kann. Die Festlegung einer globalen Klimapolitik (oder das Scheitern dieses Bemühens) werden die Zukunft des ETS bestimmen; die Ergebnisse der 2015-Gespräche werden entscheidend sein. Die für das ETS erforderlichen radikalen Abhilfemaßnahmen können ohne größere politische Klarheit auf internationaler Ebene nicht getroffen werden.“  (7)

4.22

Der EWSA betont, dass der Folgenabschätzung zum Politikrahmen bis 2030 zufolge „durch Maßnahmen zur Senkung des CO 2 -Ausstoßes [...] ein Beschäftigungszuwachs [...] erreicht werden [kann] (8). Außerdem sind erhebliche positive Auswirkungen im Hinblick auf die Emissionssenkung und Luftqualität zu verzeichnen, weshalb er fordert, diese Faktoren in den internationalen Verhandlungen geltend zu machen.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Im Einklang mit der Richtlinie 2006/32/EG, in der zur Verbrauchssenkung und zur Weiterentwicklung der erneuerbaren Energieträger für alle Mitgliedstaaten die Aufstellung von Energieeffizienz-Aktionsplänen vorgesehen ist.

(2)  ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 66.

(3)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 110-116.

(4)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 1.

(5)  Vgl. „Comparative Study of Different Measures Funded through the Use of Economic Environmental Instrument“ (EWSA 2012).

(6)  Glen P. Peters, Jan C. Minx, Christopher L. Weber und Ottmar Edenhofer (2010) „Growth in Emission Transfers via International Trade from 1990 to 2008“, PNAS; A. Brinkley, S. Less, „Carbon Omissions“, Policy Exchange, Forschungsnotiz (2010).

(7)  ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 82.

(8)  Vgl. SWD(2014) 18 final, Zusammenfassung der Folgenabschätzung, 22.1.2014.


26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/52


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Konzept der EU zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels

COM(2014) 64 final

2014/C 424/08

Berichterstatter:

Antonio POLICA

Die Europäische Kommission beschloss am 7. März 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Konzept der EU zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels

COM(2014) 64 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 22. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 5. Juni) mit 167 Stimmen gegen 1 Stimme bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA hält den rasanten Anstieg des illegalen Handels mit wildlebenden Arten (illegaler Artenhandel) in den letzten Jahren für eine neue Bedrohung der Europäischen Union unter wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten sowie unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes der Öffentlichkeit wie der heimischen Tier- und Pflanzenarten. Daher befürwortet der EWSA die Initiative des Europäischen Parlaments und der Kommission zur Erarbeitung einer umfassenden und koordinierten Strategie für die wirksamere Bekämpfung solcher Verbrechen.

1.2

Nach Auffassung des EWSA muss die Strategie von der Stärkung und Koordinierung der bereits bestehenden internationalen Übereinkommen (insbesondere CITES (1)), Gesetze, Regelungen, Maßnahmen und Instrumente ausgehen und eine stärkere Integration aller betroffener Bereiche bezwecken wie Umweltschutz, Zollkontrollen, Justiz, Bekämpfung der organisierten Kriminalität usw. Außerdem muss eine wirksamere Zusammenarbeit zwischen den Ursprungs-, Transit- und Zielmarktländern wildlebender Arten erreicht werden.

1.3

Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass eine verstärkte Koordinierung nur dann greifen kann, wenn sie auf einem angemessenen und einheitlichen Ansatz für Ausbildung und Sensibilisierung für alle auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten im Kampf gegen den illegalen Artenhandel beteiligten Behörden basiert.

1.4

Der EWSA misst der Rolle der Zivilgesellschaft bei der Bekämpfung des illegalen Artenhandels sowohl in den Ursprungs- wie in den Zielmarktländern zentrale Bedeutung bei. Insbesondere hält der Ausschuss die aktive und bewusste Beteiligung der Verbraucher und des Privatsektors für wichtig und unterstützt die Einführung eines Systems für Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit.

1.5

Nach Auffassung des Ausschusses müssen den Bevölkerungskreisen in den Drittländern, die an solchen Aktivitäten beteiligt sind, neue und bessere Möglichkeiten einer nachhaltigen Entwicklung und Beschäftigung geboten werden.

1.6

Der illegale Artenhandel stellt aufgrund der zu erzielenden Erträge und der geringen Gefahr von Strafen ein rasch wachsendes Phänomen dar. In puncto Gewinnerwartung entspricht diese Art von Verbrechen dem Menschen-, Waffen- oder Drogenhandel, wobei jedoch für die Bekämpfung des illegalen Artenhandels deutlich weniger Mittel bereitgestellt werden und ihr viel geringere Bedeutung beigemessen wird. Darüber hinaus gibt es auch in der EU keinen einheitlichen Strafbemessungsrahmen, was dazu führt, dass die illegalen Tätigkeiten in Länder mit geringer Strafandrohung oder geringer Effizienz der Tätigkeit der zuständigen Behörden verlagert werden.

1.7

Der EWSA macht daher deutlich, dass der illegale Artenhandel zu den einschlägigen Verbrechen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Geldwäsche und Korruption zählen muss und fordert die Einführung wirklich wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen wie die Verhängung der Höchststrafe von mindestens vier Jahren Haft.

2.   Einleitung

2.1   Kontext: Angaben zum illegalen Artenhandel

2.1.1

Der illegale Artenhandel ist ebenso wie der Menschen-, Drogen- und Waffenhandel eine Form des schweren organisierten Verbrechens (2).

2.1.2

Die Wilderei hat 2013 derart zugenommen, dass die in den vergangenen drei Jahrzehnten realisierte Erholung der Population bedrohter Arten wie Elefanten, Tiger und Nashörner zunichte gemacht wird. Sie gefährdet ernsthaft die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die nachhaltige Entwicklung.

2.1.3

Der illegale Holzeinschlag macht bis zu 30 % des weltweiten Holzhandels aus und trägt zu mehr als 50 % zur Abholzung tropischer Wälder in Zentralafrika, im Amazonasgebiet und in Südostasien bei. Er beraubt die indigenen Bevölkerungsgruppen wichtiger nachhaltiger Entwicklungsmöglichkeiten.

2.1.4

Es wird davon ausgegangen, dass der Wert der illegalen Fischerei etwa 19 % des angegebenen Werts der Fänge entspricht.

2.1.5

Der Anstieg des illegalen Handel ist auf die wachsende Nachfrage an Wildtierprodukten wie Elfenbein, Nashorn-Horn und Tigerknochen vor allem in einigen Ländern Asiens (z. B. China, Vietnam) zurückzuführen.

2.1.6

Die EU ist einer der wichtigsten Zielmärkte für illegale Wildtier- und Wildpflanzenprodukte (3) und ist für den Umschlag illegaler Ware aus Afrika, Lateinamerika und Asien von zentraler Bedeutung.

2.2   Direkte und indirekte Auswirkungen des illegalen Artenhandels

2.2.1

Der illegale Artenhandel ist eine der Hauptursachen für den weltweiten Verlust biologischer Vielfalt: jedes Jahr werden hunderte Millionen von Exemplaren seltener Tier- und Pflanzenarten ihrer natürlichen Umgebung entnommen und auf Schwarzmärkten verkauft.

2.2.2

Der illegale Holzeinschlag ist die Ursache für die Abholzung der wichtigsten Waldbestände der Erde, den Verlust biologischer Vielfalt, die Zunahme der Treibhausgasemissionen sowie die Auseinandersetzungen über die Kontrolle von Gebieten und Ressourcen — und für wirtschaftliche Einbußen der indigenen Gemeinschaften.

2.2.3

Die illegale Fischerei führt zu Überfischung der Bestände, zerstört marine Lebensräume, verzerrt den Wettbewerb und schwächt die Küstengemeinden, insbesondere in den Entwicklungsländern.

2.2.4

Die Gefahr des Aussterbens wildlebender Tiere und Pflanzen wird verstärkt durch weitere Faktoren wie eine nicht nachhaltige Bodenbewirtschaftung, Klimaveränderungen, exzessive Ausbeutung von Heilpflanzen und ein intensiver Tourismus (zumal wenn es sich um einen „Jagd- und Raubtiertourismus“ handelt).

2.2.5

Der globalisierte Verbrauch ist eine große Gefahr für Umwelt und biologische Vielfalt. Ökosysteme werden geschädigt und die Überlebensfähigkeit heimischer Arten wird geschwächt (4).

2.2.6

Der illegale Artenhandel stellt auch eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit und für die heimischen Tier- und Pflanzenarten dar. Illegal in die EU verbrachte Tierarten werden nicht von den zuständigen Veterinärdiensten überprüft, was zur Einschleppung von Seuchen führen kann, die insbesondere Zuchttiere betreffen. Die Umgehung angemessener Pflanzengesundheitskontrollen setzt wildlebende und gezüchtete heimische Pflanzenarten der erheblichen Gefahr einer Ansteckung durch neue Pathogene aus. Schätzungen zufolge sind 75 % der ansteckenden neuen Infektionskrankheiten tierischen Ursprungs und gehen zum Großteil auf wildlebende Arten zurück. Der illegale Handel mit solchen Arten steigert das Risiko weltweiter Epidemien wie Vogelgrippe (H5N1) und SARS (5).

2.3   Rechtlicher Rahmen

2.3.1

Das Übereinkommen von Washington (CITES) von 1973 regelt den Handel bezüglich Ausfuhr, Wiederausfuhr, Einfuhr, Transit, Umladung oder jeden sonstigen Besitz gefährdeter Arten freilebender Tiere und Pflanzen. Das Übereinkommen zielt ab auf die weltweite Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Tier- und Pflanzenbestände.

2.3.2

In der von der UN-Kommission für Verbrechensverhütung und Strafrechtspflege am 26. April 2013 angenommenen Resolution wird der illegale Artenhandel als „schweres organisiertes Verbrechen“ eingestuft, das von weltweit organisierten kriminellen Banden begangen wird.

2.3.3

Die Feststellung, dass einige Milizen ihre Aktivitäten mit dem illegalen Artenhandel finanzieren, haben den Generalsekretär (Bericht S/2013/297) und den Sicherheitsrat der UNO (Resolution 2121 (2013) dazu veranlasst, Wilderei und illegalen Artenhandel als einen Frieden und Sicherheit in der Region gefährdenden Faktor für die Instabilität in Zentralafrika anzusehen. Außerdem hat der Sicherheitsrat im Januar 2014 erstmals gezielte Sanktionen gegen am illegalen Artenhandel Beteiligte in der Demokratischen Republik Kongo und der Zentralafrikanischen Republik verhängt.

2.3.4

Im Juni 2013 haben sich die Staats- oder Regierungschefs der G8-Länder dafür ausgesprochen, Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Handels mit geschützten oder gefährdeten wildlebenden Arten zu ergreifen und regionale und internationale Grenzkontrollen zur Bekämpfung von Korruption und grenzüberschreitender organisierter Kriminalität politisch und finanziell zu unterstützen.

2.3.5

Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 15. Januar 2014 (2013/2747 (INI)) die Kommission aufgefordert, einen EU-Maßnahmenplan zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels aufzulegen und eindeutige Fristen und Ziele für eine Strategie zum Eingreifen sowohl in den EU-Mitgliedstaaten als auch auf internationaler Ebene zu nennen.

2.3.6

Mit der Londoner Erklärung (6) vom Februar 2014 wurden neue und anspruchsvollere Ziele für die Bekämpfung des illegalen Artenhandels gesteckt. Dazu gehören die Änderung des geltenden Rechts, um Wilderei und illegalen Handel mit Wildtieren als „schwere Straftaten“ einzustufen, auf die Nutzung bedrohter Arten zu verzichten, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auszubauen und die Koordinierung der Netze zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels zu stärken (7).

2.3.7

In der Schlusserklärung des EU-Afrika-Gipfels vom 2./3. April 2014 werden gemeinsame Aktionen zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens einschließlich des illegalen Artenhandels vorgesehen.

3.   Antworten auf die im Zuge der Konsultation gestellten Fragen

3.1   Ist die in der EU derzeit existierende politische und rechtliche Rahmenregelung zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels angemessen?

3.1.1

Nach Auffassung des EWSA ist der gegenwärtig in den EU-Mitgliedstaaten geltende Rechtsrahmen — auch aufgrund der geringen vorgesehenen Strafen — noch nicht ausreichend, um Verbrechen gegen die Umwelt wirksam zu bekämpfen.

3.2   Sollte die EU ihr Konzept für die Bekämpfung des illegalen Artenhandels durch einen neuen EU-Aktionsplan verbessern, wie vom Europäischen Parlament gefordert?

3.2.1

In der gegenwärtigen internationalen Lage scheint die Erarbeitung von Rechtsvorschriften, die für die Mitgliedstaaten bindend sind, unabdingbar zu sein. Dabei sollten einheitliche Kriterien für eine wirksame Kontrolle und Überwachung — auch mittels einer Abstimmung mit den spezifischen Vorschriften zum strafrechtlichen Schutz wildlebender Arten — festgelegt werden.

3.2.2

Der EWSA befürwortet die Annahme eines Maßnahmenplans wie bereits für andere Formen des organisierten Verbrechens wie Waffen- oder Menschenhandel angenommen.

3.3   Wie könnte die EU das politische Engagement zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels auf allen Ebenen verbessern? Welche diplomatischen Instrumente wären zur Gewährleistung der Kohärenz zwischen unterschiedlichen internationalen Initiativen am besten geeignet?

3.3.1

Der EWSA begrüßt die stärkere diplomatische Einbeziehung der vom illegalen Handel mit Wildtieren und -pflanzen betroffenen Länder (vor allem der Ursprungs, Transit- und Zielmarktländer). Dies hat unlängst zur Unterzeichnung von gemeinsamen Absichtserklärungen zum Ergreifen entschlossener und dringlicher Maßnahmen zur Beseitigung der Nachfrage nach aus bedrohten Arten gewonnenen Produkten sowie ihres Angebots geführt (8). Der Ausschuss hofft, dass die internationale Gemeinschaft Maßnahmen ergreift, die den illegalen Markt austrocknen können, die Anwendung eines gemeinsamen Rechtsrahmens sicherstellen und eine nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen unter Einbeziehung lokaler Gemeinschaften fördern.

3.3.2

Der EWSA fordert die EU dazu auf, sich für eine Strategie zur globalen Bekämpfung des illegalen Artenhandels — angefangen bei der Neudefinition der Ziele der UN-Agenda für die Zeit nach 2015 — einzusetzen.

3.4   Auf welche internationalen Instrumente sollte sich die EU konzentrieren, um die Strafverfolgung im Bereich des illegalen Artenhandels und die Regierungsführung zu verbessern?

3.4.1

Der Ausschuss ist der Überzeugung, dass der illegale Artenhandel an den Grenzübergängen mittels Koordinierung der zuständigen nationalen Behörden durch einheitliche Vorschriften, Vorgehensweisen und Zielsetzungen wirksamer überwacht, abgehört und kontrolliert werden könnte. Es wäre zweckmäßig, wenn die EU Maßnahmen zur Erleichterung von Synergien, Zusammenarbeit und gemeinsame Aufklärungsmaßnahmen der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten fördert, um die Aktivitäten und Vorgehensweisen zu vereinheitlichen. Diesbezüglich sollten auch Maßnahmen zur Unterstützung der neuen Partnerländer (z. B. vorübergehende Zusammenarbeit) vorgesehen werden.

3.4.2

Eine neue Front des illegalen Handels stellt hingegen der Internethandel dar, der ohne Beeinträchtigung des legalen Handels nur schwer gefiltert werden kann. Der Ausschuss nimmt mit Interesse einige bewährte Verfahren zur Kenntnis, wie z. B. die Vereinbarung zwischen dem staatlichen italienischen Forstkorps (corpo forestale) und den beiden wichtigsten Internet-Anzeigenportalen (eBay und Subito.it). Darin wird vorgesehen, dass den Verbrauchern mehr Informationen zur Verfügung gestellt werden, außerdem können verdächtige Anzeigen zügig entfernt werden. Die Vereinbarung sieht auch eine Kontrolle der Einträge mittels Filterung vor. Dabei können nur Anzeigen veröffentlicht werden, die die Rückverfolgbarkeit der zum Verkauf angebotenen Waren gewährleisten.

3.4.3

Das internationale Engagement muss mit der Forderung einhergehen, beim Abschluss von Freihandelsabkommen mit Drittländern auf die Wahrung der multilateralen Abkommen im Bereich Umwelt und Handel mit Forst- und Fischereiprodukten hinzuweisen. Die Ziele des CITES-Übereinkommens über den internationalen Handel mit wildlebenden Tier- und Pflanzenarten müssen unbedingt verfolgt werden. Damit unternehmen die Signatarstaaten konkrete Maßnahmen gegen den Schmuggel und den illegalen Handel mit einigen vom Aussterben bedrohten Arten.

3.4.4

Das Gewicht der Teilnehmer des Internationalen Konsortiums für die Bekämpfung von Artenschutzvergehen (ICCWC) (9), u. a. CITES, Interpol, das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), die Weltzollorganisation und die Weltbank, kann die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Verbesserung der Kapazitäten für Rechtsdurchsetzung und die Erfüllung der Übereinkommen zur Kontrolle des Handels mit wildlebenden Tieren und Pflanzen gewährleisten. Das Konsortium sollte bei den Maßnahmen zur Information, zur Zusammenarbeit mit den zuständigen nationalen Behörden und nicht zuletzt bei der Schulung der für die Kontrollen zuständigen Beamten und Bediensteten vor Ort auf die besten europäischen Fachkräfte zurückgreifen.

3.4.5

Die Durchsetzung und Stärkung des Rechtsstaats in den Ursprungsländern wildlebender Arten gehört zusammen mit der Korruptionsbekämpfung zu den Grundvoraussetzungen für die Ausmerzung des illegalen Artenhandels. Der EWSA spricht sich diesbezüglich für eine direkte Beteiligung der EU auch in finanzieller Hinsicht aus, um den Aufbau einer entsprechenden Justiz (Strafverfolgung und Gerichte) zusammen mit Maßnahmen zur Sensibilisierung lokaler Behörden zu fördern.

3.5   Welche Instrumente sind für EU-Maßnahmen zur Kontrolle der internationalen und europäischen Nachfrage nach illegalen Produkten wildlebender Tiere und Pflanzen am besten geeignet? Welche Rolle könnten Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft in diesem Zusammenhang spielen?

3.5.1

Die erfolgreiche Bekämpfung des illegalen Artenhandels macht eine zweifache Intervention erforderlich: zum einen gilt es, das Angebot mittels Abschreckung und Sanktionierung von Straftaten zu reduzieren; zum anderen muss die Nachfrage ausgetrocknet werden. Der EWSA hält diesbezüglich die aktive und bewusste Beteiligung des Privatsektors und der Verbraucher für grundlegend.

3.5.2

Der EWSA unterstützt die in der Londoner Erklärung verkündete notwendige Einführung spezifischer Maßnahmen für ein bewusstes Handeln des Privatsektors. Er spricht sich aus für die Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit, das die Rechtsmäßigkeit und die (ökonomische, ökologische und für die lokalen Gemeinschaften soziale) Nachhaltigkeit des Handels mit Wildfauna und -flora gewährleistet. Diesbezüglich können die geltenden Regelungen für den Handel mit Kaviar oder mit Tropenholz (10) als Richtschnur gelten.

3.5.3

Der EWSA hält es auch für notwendig, die Zivilgesellschaft und die Verbraucher bezüglich der schweren Umweltschäden aufgrund des illegalen Handels und seiner Auswirkung auf die kommenden Generationen zu informieren und zu sensibilisieren. Der EWSA erklärt sich erneut bereit, diesbezügliche Initiativen der EU sowohl auf institutioneller Ebene (in Schulen, Museen etc.) als auch mittels Netzen, Konferenzen, Anzeigen, Dokumentationen innerhalb und außerhalb der Union zu unterstützen. Er kann dabei auf das im EWSA bestehende Netzwerk wirtschaftlicher und sozialer Akteure in den Beziehungen der EU zu Afrika zurückgreifen.

3.6   Wie kann die EU bestmöglich dazu beitragen, den Auswirkungen des illegalen Artenhandels auf Frieden und Sicherheit zu begegnen?

3.6.1

Nach Ansicht des EWSA muss in diesem Zusammenhang besonders den Arten Aufmerksamkeit gelten, die aufgrund ihres hohen Werts in den Blickpunkt der organisierten Kriminalität geraten, wovon eine Bedrohung für die innere Sicherheit und sogar für den Weltfrieden ausgeht. Diesbezüglich müssen in Zusammenarbeit mit Europol, Interpol und anderen Organisationen und Foren sowie mit den wichtigsten betroffenen Ländern geeignete Maßnahmen auf europäischer und globaler Ebene vorgesehen werden.

3.6.2

Der EWSA verkennt nicht, dass die jüngeren weltweiten Epidemien wie Vogelgrippe (H5N1) oder SARS eine indirekte Folge des illegalen Artenhandels sind. Deshalb können besagte Systeme der Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit zusammen mit angemessenen Veterinär- und Pflanzenschutzkontrollen zur Verhinderung des Auftretens und der weltweiten Ausbreitung solcher Epidemien beitragen.

3.7   Wie könnten die EU-Instrumente für Zusammenarbeit den Aufbau von Artenschutzkapazitäten und Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels in Entwicklungsländern besser fördern?

3.7.1

Initiativen der internationalen Zusammenarbeit im umfassenderen Kontext von Handelsabkommen bzw. Partnerschaftsvereinbarungen mit Drittländern können für die Ausmerzung des illegalen Artenhandels entscheidend sein.

3.7.2

NGO können bei Sensibilisierungskampagnen und der Unterstützung von Maßnahmen zur Austrocknung der Nachfrage eine zentrale Rolle spielen. Sie sind das Bindeglied zwischen den Institutionen und den betreffenden Bevölkerungsgruppen.

3.7.3

Der EWSA macht deutlich, dass den Menschen, die in Drittländern am illegalen Artenhandel beteiligt sind, neue und bessere Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden müssen, auch im Zuge einer Überführung unerlaubter Aktivitäten in legale Tätigkeiten wie den nachhaltigen Tourismus (11).

3.8   Welche Maßnahmen könnten getroffen werden, um die Qualität der Daten über Artenschutzdelikte in der EU zu verbessern, damit politische Entscheidungen besser ausgerichtet werden können?

3.8.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Erhebung, Aggregierung und Auswertung der Informationen über Straftatbestände (Datenbank) durch die internationalen Sicherheitsbehörden (Europol, Interpol, UNODC) dazu beitragen kann, die Strategien des internationalen Verbrechens besser zu verstehen und kriminellen Aktivitäten vorzubeugen.

3.8.2

In diesem Bereich kann TRAFFIC (12) bei der Sensibilisierung der internationalen Gemeinschaft und der Verbreitung der Daten und Informationen über den internationalen Handel bei den betreffenden Behörden und Interessenvertretern eine wichtige Rolle spielen.

3.9   Welche Maßnahmen könnten getroffen werden, um die Strafverfolgung durch Umweltbehörden, Polizei, Zoll und Staatsanwaltschaften in den Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit zwischen diesen Behörden in Fällen illegalen Artenhandels zu verbessern? Wie könnten Gerichte sensibilisiert werden?

3.9.1

Da Umweltdelikte eng mit Korruption und Schwarzgeldströmen verbunden sind, macht der Ausschuss deutlich, dass der illegale Artenhandel bezüglich der Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Korruption zu den einschlägigen Straftatbeständen gehören muss. Er befürwortet deshalb die Anwendung von Leitlinien, die den Einsatz entsprechender Finanzierungsinstrumente beschreiben (z. B. die Sorgfaltsprüfung (due diligence), bezüglich der wirksamen Rückverfolgbarkeit der unionsinternen und internationalen Transaktionen).

3.9.2

Der EWSA spricht sich für die Einführung tatsächlich wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen aus, um den groß angelegten illegalen Artenhandel des internationalen organisierten Verbrechens zu bekämpfen. Die EU-Rechtsvorschriften müssen deshalb sicherstellen, dass der illegale Artenhandel in den Mitgliedstaaten zu den „schweren Straftaten“ gehört, bei denen eine Höchststrafe von mindestens vier Jahren Haft verhängt wird.

3.9.3

Der EWSA hält es für grundlegend, alle an der Bekämpfung des illegalen Artenhandels beteiligten Behörden zu sensibilisieren und für eine angemessene Schulung der Kontrollberechtigten, aber auch der zuständigen Gerichte zu sorgen. Diese Aktivitäten müssen zu den neuen Koordinierungsverfahren zwischen den einzelstaatlichen Behörden in der EU gehören, an denen nach Möglichkeit auch die Behörden von Drittstaaten beteiligt werden.

3.10   Wie könnten auf Ebene der EU und in den Mitgliedstaaten existierende Instrumente zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität gezielter zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels genutzt werden? Welche zusätzlichen Maßnahmen sollten in Betracht gezogen werden, z. B. in Bezug auf Sanktionen? Welchen Beitrag könnten Europol und Eurojust in dieser Hinsicht leisten?

Es ist zu wünschen, dass diese Verbrechen für Europol zu einer Priorität für die Strafverfolgung werden, die, wie von der Kommission aufgezeigt, mit einer strategischen Koordinierung der Polizeibehörden der Mitgliedstaaten einhergeht, damit sowohl die Straftatbestände des Fangs, des Einschlags, des Besitzes, des Handels und der Vermarktung geschützter Wildtiere und -pflanzen als auch der illegale Handel mit Teilen und Erzeugnissen wirksam verfolgt wird.

Brüssel, den 5. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten frei lebender Tiere und Pflanzen (CITES, 1973).

(2)  Von der UN-Kommission für Verbrechensverhütung und Strafrechtspflege angenommene und vom UN-Wirtschafts- und Sozialrat gebilligte Resolution der Vereinten Nationen.

(3)  In den letzten Jahren wird auch in den EU-Mitgliedstaaten ein Anstieg des illegalen Handels mit seltenen Vogel-, Korallen-, Fisch- und Schildkrötenarten verzeichnet.

(4)  So hat z. B. in Asien die steigende Nachfrage nach Kaschmirwolle zur Ausweitung der Zucht domestizierter Arten geführt. Dadurch wurde der Lebensraum wildlebender pflanzenfressender Arten (Antilopen, Wildpferde und -esel) immer stärker verringert, die die Ernährungsgrundlage der großen heimischen Raubtiere bilden (z. B. Wolf oder Schneeleopard). Untersuchung „Globalization of the Cashmere Market and the Decline of Large Mammals in Central Asia“, veröffentlicht in „Conservation Biology“.

(5)  Quelle: Bericht des WWF — http://awsassets.panda.org/downloads/wwffightingillicitwildlifetrafficking_lr.pdf

(6)  Unterzeichnet von den Staats- oder Regierungschefs, Ministern oder Vertretern von 46 Staaten im Rahmen der Konferenz über den illegalen Wildtierhandel am 12./13. Februar 2014.

(7)  Die Netze zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels (wildlife enforcement networks) sind zwischenstaatliche regionale Initiativen zum Austausch von Informationen und bewährten Verfahren in diesem Bereich: http://www.cites.org/eng/news/pr/2013/20130307_wen.php

(8)  Londoner Erklärung vom 14. Februar 2014.

(9)  International Consortium on Combating Wildlife Crime.

(10)  Im Rahmen von CITES gibt es ein System zur allgemeinen Kennzeichnung und Identifizierung von Kaviar, dessen Einfuhr nur nach der Genehmigung durch die zuständigen Behörden möglich ist (www.cites.org/common/resource/reg_caviar.pdf). Was den Handel im Forstsektor betrifft, wird im Unionsrecht das Ziel verfolgt, den Handel mit Tropenholz mittels nationaler Systeme zur Rückverfolgbarkeit unattraktiv zu machen und die staatliche Bewirtschaftung in den Partnerländern zu stärken. Seit März 2013 ist die Einfuhr von Holz und Holzerzeugnissen aus illegalem Einschlag aus jedem Land der Welt verboten. Die Behörden der Mitgliedstaaten sind gehalten, den Handel mit Holz zweifelhaften Ursprungs zu überprüfen und ggf. zu sanktionieren.

(11)  Das Modell des nachhaltigen Tourismus sieht sowohl die Erhaltung der natürlichen Umgebung, in der er stattfindet, als auch den Unterhalt der angestammten Bevölkerung vor. Es muss sichergestellt sein, dass sie ein Einkommen erzielen kann. Ökologischer Tourismus wird dabei behilflich sein, dass viele Länder die Armut überwinden, viele Familien überleben und die Natur und die Fauna geschützt und gewahrt werden.

(12)  http://www.traffic.org/


26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/58


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Gemeinsam für eine wettbewerbsfähige und ressourceneffiziente Mobilität in der Stadt

COM(2013) 913 final

2014/C 424/09

Berichterstatter:

Edgardo Maria IOZIA

Die Europäische Kommission beschloss am 7. März 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Gemeinsam für eine wettbewerbsfähige und ressourceneffiziente Mobilität in der Stadt

COM(2013) 913 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 21. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 132 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Kommissionsmitteilung vom 17. Dezember 2013 und hält es für sehr wichtig, Programme zur Förderung einer effizienten und nachhaltigen städtischen Mobilität wie beispielsweise CIVITAS oder „Intelligente Energie — Europa“ (IEE) weiterzuführen. Ehrgeizige Vorhaben wie das hier vorgeschlagene erfordern angesichts der knappen verfügbaren Finanzmittel eine rigorose und sorgfältige Prüfung sämtlicher Möglichkeiten, die für unaufschiebbare Initiativen im Bereich der nachhaltigen Mobilität zu Gebote stehen.

1.2

Der EWSA hält Folgendes für unverzichtbar:

die Annahme einer realistischen und kontinuierlich überwachten integrierten und koordinierten Planung, die sowohl die Mobilität von Personen als auch die Logistikkette berücksichtigt und allen Mitgliedern der Gesellschaft gerecht wird, insbesondere Menschen mit eingeschränkter Mobilität;

die Geltendmachung des Subsidiaritätsprinzips gemäß dem von der Kommission vorgesehenen durchdachten Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Zuständigkeitsebenen, insbesondere unter aktiver Einbeziehung der Mitgliedstaaten;

die verstärkte Mobilisierung von Finanzierungsquellen, auch über die Beteiligung von privatem Kapital;

die Einbeziehung der Bürger sowie der sozialen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, damit der Plan für nachhaltige Mobilität zu einem Anliegen für das gesamte Gemeinwesen wird;

die Förderung des Austauschs bewährter Verfahren über ein einziges großes EU-Internetportal;

die Neubelebung des Bürgermeisterkonvents;

die Aufstockung des finanziellen Engagements der EU und der EZB, wodurch Impulse für die EU-weite Realisierung des Projekts für eine nachhaltige städtische Mobilität gegeben werden sollten, das 70 % der Unionsbürger betrifft;

die verstärkte Koordinierung zwischen den öffentlichen und privaten Anbietern von einander ergänzenden städtischen Verkehrsdiensten mittels eines umfassenden und gezielten Ansatzes;

Bemühungen um die Realisierung einer kohärenten Logistik, die aktiv auf die Verwirklichung der Ziele einer „resilienten Stadt“ (transition town) ausgerichtet ist und bei der sämtliche Komponenten zur Verbesserung der Lebens- und Gesundheitsbedingungen der Bürger beitragen;

die Steuerung der Komplementarität von öffentlichen und privaten Dienstleistungen durch die Öffnung des Marktes für den Wettbewerb unter der Voraussetzung, dass die sozialen Garantien, die Preiskontrolle und die ökologische Nachhaltigkeit ohne Abstriche gewährleistet werden;

die Aufstellung standardisierter Leitlinien für die Merkmale der Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs und die Schaffung eines europäischen Marktes, auf dem mittels zentraler Beschaffungsstellen größenbedingte Kosteneinsparungen erzielt werden können.

1.3

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Mobilität in der Stadt eine strategisch wichtige Rolle bei der Entwicklung hin zu intelligenten, menschengerechten Städten spielt, die die Bewältigung der Umweltprobleme und die Anpassung an neue Gegebenheiten ermöglichen, und unterstreicht, dass die sektorale Fragmentierung, die die Verkehrspolitik auch heute noch vielfach kennzeichnet, endlich überwunden werden muss.

1.4

Bei jeglichen Interventionen muss dem notwendigen Gleichgewicht zwischen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten — den drei Achsen der nachhaltigen Entwicklung — gebührend Rechnung getragen werden.

1.5

Der EWSA hat nichts gegen Maßnahmen zur Öffnung für den Wettbewerb und den Zugang zum städtischen Nahverkehrsmarkt einzuwenden unter der Voraussetzung, dass die Rechte und die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer geschützt und die Aufrechterhaltung eines Betriebsnetzes, die effektive Verbesserung der Leistungen und die Tarife gewährleistet werden. Durch eine kontinuierliche Überwachung muss die strikte Einhaltung der Vertragsbedingungen sichergestellt werden.

1.6

Der EWSA vertritt den Standpunkt, dass eine wirksame, effiziente und nachhaltige Verkehrspolitik Folgendes voraussetzt:

 

Auf EU-Ebene:

Pläne für eine nachhaltige Mobilität müssen zu einem wichtigen gemeinsamen Anliegen werden, in die die ganze Stadt mit Initiativen vor Ort einbezogen wird, um die Akzeptanz der Bürger für die notwendige Änderung auch eingefleischter Verhaltensmuster zu verbessern;

eine umfassende Neubelebung des Bürgermeisterkonvents in Sachen Energieeffizienz unter Einbeziehung der Effizienzsteigerung bei der städtischen Mobilität;

Finanzierung der notwendigen Initiativen mithilfe der Mobilisierung europäischer Finanzierungsinstrumente wie die Strukturfonds oder Horizont 2020 für Forschung und Innovation in diesem Sektor;

EIB-Mittel zu ermäßigten Zinssätzen und soweit möglich Ausbau öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) für die Erstellung und Verwaltung großer städtischer Infrastrukturen;

 

Auf nationaler Ebene:

Anreize für effizientere und umweltfreundlichere Verkehrslösungen und die Nutzung neuer Technologien;

wirksame Wahrung des Rechts — insbesondere von Bürgern mit eingeschränkter Mobilität — auf nachhaltige Mobilität;

 

Auf lokaler und regionaler Ebene:

Intermodalität;

Entwicklung von Telearbeitszentren;

gemeinsame Ausbildungsmaßnahmen für die öffentlichen Bediensteten und die Beschäftigten dieses Sektors, um einheitliche Kompetenzen und gemeinsame Strategien zu entwickeln;

gezielte und nachhaltige Zugangsregelungen für die Stadtzentren;

Koordinierung zwischen den großen städtischen Ballungszentren und ihrem Hinterland zwecks Entwicklung gemeinsamer Strategien;

Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in die Suche nach den besten Lösungen;

kontinuierliche Überwachung der erzielten Ergebnisse sowie angemessene und rasche Korrektur unwirksamer Maßnahmen;

Erziehung zu einer verantwortungsvollen Nutzung der privaten und öffentlichen Verkehrsmittel;

Ausbau der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, um den Verkehr von und zu den Produktionsstandorten und den Gewerbegebieten zu koordinieren;

Einbindung der Zielgruppen — d. h. Gruppen mit ähnlichen Bedürfnissen — zwecks gemeinsamer Bewertung der Merkmale der auf die besonderen Erfordernisse abgestimmten Dienste.

1.7

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung einer engeren Abstimmung zwischen den zuständigen Behörden und den Bürgern und verweist auf die Ausführungen der Kommission im „Aktionsplan urbane Mobilität“ (1) unter besonderer Beachtung der Mobilitätserfordernisse schutzbedürftiger Bevölkerungsgruppen wie ältere Menschen, einkommensschwache Gruppen oder Menschen mit eingeschränkter Mobilität, die spezieller Maßnahmen bedürfen.

1.8

Nach Ansicht des EWSA hätte die Kommission auf diese Aspekte, die eine nicht hinnehmbare Diskriminierung darstellen, mit Nachdruck hinweisen müssen. Die Kommission sollte darüber wachen, dass dieses europäische Grundrecht — das Recht auf Mobilität — in den Mitgliedstaaten gleichermaßen für alle Bürger garantiert wird.

1.9

Der EWSA fordert, die Lösung des Problems der Mobilitätsarmut ebenso in Angriff zu nehmen, wie dies die Union im Fall der Energiearmut und in anderen Bereichen getan hat; die Mitgliedstaaten müssen Maßnahmen zugunsten der schutzbedürftigsten und wirtschaftlich am schlechtesten gestellten Bevölkerungsgruppen vorsehen. Das Recht auf Mobilität steht allen zu und darf nicht allein wohlhabenden Bürgern vorbehalten sein.

1.10

Der EWSA weist auf das Potenzial der Stadtlogistik für die Verbesserung der Effizienz und Nachhaltigkeit hin. Daher sollte der Logistik bei der Stadtplanung und bei Kooperationsprojekten die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der Ausschuss begrüßt auch die von der Kommission in diesem Bereich geplanten Initiativen.

1.11

Der EWSA ersucht die Kommission, sämtliche Initiativen und politischen Maßnahmen im Bereich der städtischen Mobilität mittels eines einzigen Instruments zu bündeln. Diesem Bereich sind mindestens fünf verschiedene Portale gewidmet, was zu Ressourcenvergeudung mit dementsprechender Effizienz führt.

1.12

Europa und die Mitgliedstaaten müssen sich auf eine ehrgeizige Vision verständigen und eine gemeinsame, integrierte Politik entwickeln. Die Bürger müssen zur Nutzung alternativer, umweltfreundlicherer Verkehrsmittel erzogen werden. Dies ist der erste Schritt zur Veränderung: den Reiz von Spaziergängen in der Stadt wiederentdecken, mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zu Treffen mit Freunden fahren usw. Die Behörden sollten diese nachhaltige Mobilität durch kulturelle Initiativen fördern, indem sie in den Innenstädten historische oder architektonische Rundgänge ausarbeiten und Führungen anbieten, oder die Organisation von Fahrradtouren unterstützen, die die Lebendigkeit der Innenstädte zur Geltung bringen und zur Nachahmung anregen.

1.13

Die heutigen Städte werden in den nächsten Jahrzehnten in architektonischer und stadtplanerischer Hinsicht einen tiefgreifenden Wandel durchmachen. Der EWSA empfiehlt, alle zu Gebote stehenden Maßnahmen zu verbreiten. Dank IKT, städtischer Innovation und lokaler Initiativen können die Mobilität verbessert und lebenswertere Städte für künftige Generationen geschaffen werden.

1.14

Nach Auffassung des EWSA muss für eine ausgewogene und gleichmäßige Verteilung des städtischen Verkehrsnetzes gesorgt werden, um zu vermeiden, dass die Menschen in schlecht bzw. überhaupt nicht vom öffentlichen Verkehr bedienten Gebieten in den modernen Ghettos unserer Städte eingeschlossen sind.

1.15

Eine intensive und kohärente Koordinierung zwischen allen öffentlichen und privaten Entscheidungsträgern auf sämtlichen Ebenen ist unverzichtbar. Pläne für eine nachhaltige städtische Mobilität im Einklang mit den Zielen in den Bereichen Klima, Umwelt und Energie, Gesundheitsschutz, Zeit- und Energieersparnis sowie Wirtschaftsförderung müssen in der EU auf allen Ebenen zu einer Priorität werden.

1.16

Der EWSA empfiehlt konkrete Maßnahmen für den Ausbau von Rad- und Gehwegen, die ausschließlich dieser Form der nachhaltigen Mobilität vorbehalten sind; sie sollten wo immer möglich und in Verbindung mit intermodalen Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs angelegt werden.

2.   Einleitung

2.1

Europa ist einer der am stärksten urbanisierten Kontinente. Mehr als zwei Drittel der Europäer leben heute in Städten, und dieser Prozentsatz nimmt immer weiter zu („Europäische Städte von morgen“, Bericht der Europäischen Kommission, 2011). In vielen Städten wird die Mobilität zunehmend schwieriger und ressourcenineffizienter und geht häufig mit einer chronischen Verkehrsüberlastung, deren Kosten sich auf schätzungsweise 80 Milliarden EUR jährlich belaufen (zu den Gesamtkosten durch Verkehrsüberlastung siehe SEC(2011) 358 final), sowie schlechter Luftqualität, Unfällen, Lärmbelästigung und hohen CO2-Emissionen einher. Die urbane Mobilität beruht nach wie vor in großem Umfang auf privaten Pkw mit konventionellem Antrieb.

2.2

Dazu Siim Kallas, der für Verkehr zuständige Vizepräsident der Kommission: „Die Bewältigung der städtischen Mobilitätsprobleme zählt zu den größten Herausforderungen der heutigen Verkehrspolitik. Durch koordiniertes Vorgehen können wir mehr erreichen.“ (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-1200_de.htm).

2.3

Das Europäische Parlament und der Rat haben erkannt, dass zur Steigerung der Energieeffizienz und der Energieeinsparungen geeignete Strategien innerhalb des Verkehrssektors notwendig sind, um das Problem des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen anzupacken. Zu diesem Zweck wurde die Richtlinie 2009/33/EG vom 23. April 2009 zur Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge unter Berücksichtigung der Energie- und Umweltauswirkungen über die gesamte Lebensdauer angenommen.

2.4

Das Weißbuch „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum — Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“ (COM(2011) 144 vom 28. März 2011) zielt darauf ab, ein modernes und wettbewerbsorientiertes Verkehrssystem zu schaffen; dabei sollen zugleich Wirtschaftswachstum und Beschäftigung angekurbelt, Europas Abhängigkeit vom Öl verringert und die CO2-Emissionen gesenkt werden.

2.5

Der Verkehr verursacht zurzeit etwa ein Viertel der CO2-Emissionen in der EU und trägt insbesondere in den Städten maßgeblich zur Verschlechterung der Luftqualität (Partikel, NOx, HC und CO) bei. Durch die Nutzung von Alternativen zu Benzin- und Dieselkraftstoffen — sofern sie auf nachhaltige Weise produziert werden — könnten die Umweltauswirkungen des Straßenverkehrs verringert werden.

2.6

In seiner Stellungnahme zu dem „Aktionsplan urbane Mobilität“ (2) hatte der EWSA nachdrücklich befürwortet, dass die Europäische Kommission im Zuge der Veröffentlichung des Aktionsplans „Urbane Mobilität“ im Jahr 2009 den lokalen, regionalen und nationalen Behörden Möglichkeiten aufzeigte, um in den städtischen Gebieten für eine möglichst hohe und nachhaltige Lebensqualität zu sorgen. Die meisten der vorgeschlagenen Maßnahmen waren jedoch nicht verbindlich.

2.7

Zu den von der Kommission vorgeschlagenen Zielen eines wettbewerbsorientierten und ressourceneffizienten Verkehrssystems gehört u. a.: „Halbierung der Nutzung ‚mit konventionellem Kraftstoff betriebener PKW‘ im Stadtverkehr bis 2030; vollständiger Verzicht auf solche Fahrzeuge in Städten bis 2050; Erreichung einer im wesentlichen CO2-freien Stadtlogistik in größeren städtischen Zentren bis 2030“ und „bis 2050 Senkung der Zahl der Unfalltoten im Straßenverkehr auf nahe Null“ (3).

2.8

In der vorliegenden Stellungnahme soll ein strukturierter Überblick über die Initiativen der EU im Bereich der nachhaltigen städtischen Mobilität geboten werden. Insbesondere geht es um die unlängst veröffentlichte Mitteilung der Kommission „Gemeinsam für eine wettbewerbsfähige und ressourceneffiziente Mobilität in der Stadt“. Denn gerade in den durch eine hohe Bevölkerungsdichte gekennzeichneten Städten kann das derzeitige Entwicklungsmodell auf eine effizientere Nutzung der verfügbaren Ressourcen neu ausgerichtet werden.

2.9

Die neuen umweltspezifischen Herausforderungen, die die Städte und die Bürger in unmittelbarer Zukunft bewältigen müssen, haben zum zentralen Stellenwert des Themas der städtischen Mobilität und zur Entstehung „resilienter Städte“ (transition town) beigetragen. Das Konzept der Resilienz dürfte bei der Überprüfung der Maßnahmen für die städtische Mobilitätspolitik entscheidende Impulse für eine wirksamere Bündelung städtischer Wandlungsprozesse und ein integriertes Gesamtkonzept für energie-, umwelt- und mobilitätspolitische Maßnahmen bieten.

2.10

Der EWSA unterstützt den integrierten Ansatz zur Förderung von Maßnahmen in verschiedenen Bereichen wie Umwelt, Gesundheit, saubere und energieeffiziente Technologien, Verbesserung der Infrastrukturen, Stadt- und Verkehrsplanung, Warenlieferlogistik, Innovation und Forschung, Straßenverkehrssicherheit und Sensibilisierung der Öffentlichkeit.

2.11

Der EWSA unterstreicht, dass unbedingt für die Verringerung der Zahl der Verkehrsunfälle und die Verbesserung der Gesundheit der Bürger gesorgt werden muss, indem langfristige Strategien zur Umsetzung geeigneter Maßnahmen mit ehrgeizigen Zielsetzungen entwickelt werden. Jedes dadurch gerettete Menschenleben, jeder vermiedene Unfall, jeder vor Schaden bewahrte Bürger ist von unschätzbarem Wert für die Gesellschaft, und an diesem Maßstab muss auch die Dringlichkeit der Vorkehrungen gemessen werden.

3.   Europäische Initiativen im Rahmen der städtischen Mobilität

3.1

Europäische Strategien und Initiativen sind ausgerichtet auf die Förderung: von nachhaltigen Formen städtischer Mobilität, u. a. Innovationen bezüglich Verkehrsträger und Verkehrsmittel in der Stadt; eines intermodalen städtischen Verkehrssystems; von Maßnahmen für den öffentlichen Verkehr sowie für Fußgänger und Radfahrer; der Einbindung der städtischen Mobilität in einen integrierten strategischen Rahmen für die städtische Entwicklung. Die dafür verfügbaren Mittel sind jedoch leider gekürzt worden und reichen für die auf den verschiedenen Ebenen notwendigen Initiativen nicht aus. Die Mitgliedstaaten haben ihrerseits den lokalen Verwaltungen Mittel gestrichen, die deshalb bei ihren Plänen zur Verbesserung der städtischen Mobilität auf die Bremse treten mussten. Ein radikaler Kurswechsel ist dringend geboten, es müssen wieder zweckmäßige Investitionen getätigt und Anstrengungen unternommen werden, und vor allem muss die Lebensqualität der Menschen schnellstens verbessert werden.

3.2

Intelligente Städte und Gemeinschaften

3.3

Die Europäische Innovationspartnerschaft (EIP) „Intelligente Städte und Gemeinschaften“ ist die Weiterentwicklung der im Jahr 2011 von der Kommission gestarteten gleichnamigen Initiative. Diese bringt Vertreter der Bürger, der Unternehmen und anderer gesellschaftlicher Gruppierungen zusammen und gibt diesen die Möglichkeit, innovative Lösungen zu ermitteln, konzipieren und realisieren. Nachhaltige Mobilität in der Stadt ist — neben zukunftsfähigen Stadtvierteln und Bebauungen, Infrastrukturen und integrierten Prozessen in den Bereichen Energie, IKT und Verkehr — einer der Hauptbereiche, mit denen sich die EIP befassen wird.

3.4

Civitas

3.5

Seit 2002 sorgt die von der Europäischen Kommission kofinanzierte Initiative CIVITAS, die sich zu einem in diesem Bereich heute sehr aktiven Netz entwickelt hat, für frischen Wind in den Städten. In über 200 europäischen Städten wurden nachhaltige Verkehrssysteme eingeführt. Die Kommission beabsichtigt, diese Initiative im Rahmen von „Horizont 2020“ auszubauen und auf den Einsatz innovativer Technologien für die Entwicklung einer wettbewerbsfähigen und ressourceneffizienten Mobilität auszurichten. Der EWSA hat mehrfach die Bedeutung dieser und anderer Initiativen zur Förderung der nachhaltigen Mobilität unterstrichen.

3.6

Das Transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-V)

3.7

Die Europäische Union unterstützt Projekte von gemeinsamem Interesse in städtischen Gebieten, beispielsweise für die Verbesserung der städtischen Logistik, die Teil einer nationalen oder internationalen Lieferkette ist.

3.8

Konvent der Bürgermeister

3.9

Die Verlagerung der urbanen Mobilität auf nachhaltigere Verkehrsträger kommt nur langsam voran. In der 2008 von der Kommission gestarteten Initiative des Konvents der Bürgermeister werden die Unterzeichnerstädte aufgefordert, die Aspekte der Bereiche Verkehr und städtische Mobilität in die Aktionspläne für nachhaltige Energie (SEAP) aufzunehmen und die Beteiligung der Bürger und der Zivilgesellschaft im Allgemeinen zu gewährleisten.

4.   Wesentlicher Inhalt der Mitteilung

4.1

Der Schwerpunkt der Kommissionsmitteilung liegt auf den gegenwärtigen Schwierigkeiten und der Ineffizienz der städtischen Mobilität in Europa im Zusammenhang mit Problemen wie Verkehrsüberlastung, hohe CO2-Emissionen, Luftqualität, den Verkehrstoten in städtischen Gebieten und den Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen.

4.2

Ziel der Mitteilung ist es, die europäischen Städte bei der Bewältigung der Herausforderungen der urbanen Mobilität mehr zu unterstützen, um eine nachhaltige Entwicklung sicherzustellen und zu gewährleisten, dass die EU-Ziele eines wettbewerbsfähigeren und ressourcenschonenderen Verkehrssystems in Europa erreicht werden.

4.3

Die Kommission wird deshalb ihre Unterstützung für die nachhaltige Mobilität in folgenden Bereichen mit einem europäischen Mehrwert ausbauen:

4.3.1

Erfahrungsaustausch und Präsentation vorbildlicher Verfahren: Die diesbezüglichen Maßnahmen der Kommission konzentrieren sich auf geeignete Maßnahmen zur Verbreitung vorbildlicher Praktiken, spezifische Internetportale und die Einsetzung einer europäischen Sachverständigengruppe.

4.3.2

Eine gezielte finanzielle Unterstützung sicherstellen: Mithilfe der europäischen Struktur- und Investitionsfonds lassen sich konkrete gemeinsame Maßnahmen insbesondere in den weniger entwickelten Regionen der EU realisieren. Die Strukturfonds, der Europäische Sozialfonds und andere zur Verfügung stehende Fonds werden auch weiterhin zur Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen im Bereich des städtischen Verkehrs beitragen.

4.4

Unterstützung von Forschung und Innovation: Die Initiative CIVITAS 2020 wird es im Rahmen von Horizont 2020 den Städten, Unternehmen, Universitäten und weiteren betroffenen Akteuren ermöglichen, neue Lösungen für die Probleme der städtischen Mobilität zu entwickeln und zu erproben.

4.4.1

Insbesondere schlägt die Kommission Maßnahmen in folgenden Bereichen vor:

4.5

Beteiligung der Mitgliedstaaten: Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Städte und Ballungsräume Pläne für eine nachhaltige urbane Mobilität erarbeiten und umsetzen können. Dieser Schwerpunkt der Kommission erfordert überzeugte und positive Reaktionen seitens der Mitgliedstaaten. Die Subsidiarität ist in diesem Fall eine unabdingbare und erfolgreiche Strategie, sofern alle engagiert ihren Teil leisten.

4.6

Gemeinsames Vorgehen: Die Kommission spricht eine Reihe von spezifischen Empfehlungen für ein sowohl zwischen allen Regierungs- und Verwaltungsebenen als auch zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor abgestimmtes Handeln in den folgenden vier Bereichen aus:

Stadtlogistik;

Zugangsregelungen;

Einführung von auf intelligenten Verkehrssystemen (IVS) basierenden Lösungen;

Sicherheit im städtischen Straßenverkehr.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2009) 490 final/2.

(2)  ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 56-61.

(3)  COM(2011) 144 final.


26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/64


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Energiepreise und -kosten in Europa

COM(2014) 21 final

2014/C 424/10

Berichterstatter:

Richard ADAMS

Die Europäische Kommission beschloss am 15. Januar 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Energiepreise und -kosten in Europa

COM(2014) 21 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 21. Mai 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 140 gegen 10 Stimmen bei 13 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Energiepreise haben insgesamt gesehen einen historischen Höchststand erreicht — und werden voraussichtlich auch noch weiter steigen. Für viele Privatverbraucher in der EU bedeutet dies eine erhebliche Belastung ihrer Haushaltskassen, und auch industrielle Verbraucher sind oftmals in ähnlicher Weise betroffen. In der Kommissionsmitteilung wird die Notwendigkeit betont, dass der Zivilgesellschaft besser vermittelt werden muss, wie durch die Zusammensetzung der Energiepreise unsere Klimaziele mit unserem Bedarf an Energiesicherheit vereinbart werden können. Andernfalls können weder der erforderliche politische Willen noch die Akzeptanz seitens der Verbraucher erreicht werden.

1.2.

Energiepreise können ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sein. Allerdings sollte eine ökonomische Analyse der industriellen Wettbewerbsfähigkeit nicht auf Energiepreise beschränkt sein. Weitere wichtige Faktoren wie die Energieintensität und der Anteil der Energiekosten an den Gesamtproduktionskosten und den Gewinnspannen sollten ebenfalls berücksichtigt werden. Es bedarf eines kohärenten Vorgehens auf globaler Ebene zur Eindämmung des Klimawandels. Übernimmt Europa eine Führungsrolle, könnte dies einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit sowie Standort- und CO2-Verlagerungen zur Folge haben.

1.3.

Energieeffizienz, erneuerbare Energien und andere heimische Energiequellen können die Versorgungssicherheit verbessern, gehen jedoch allesamt mit Fragen nach den Kosten, Risiken, Umweltauswirkungen und der Akzeptanz einher. Da nationale Konzepte und Standpunkte unterschiedlich sind, sind eine transparente Kostenanalyse sowie eine Überarbeitung und eine bessere Koordinierung der Förderinstrumente (wie Einspeiseregelungen und -tarife) zur Festlegung eines akzeptablen Energiemix in den Mitgliedstaaten notwendig. Ebenso wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern.’

1.4.

Die Industrie muss auch in Zukunft in der Lage sein, sich anzupassen (wie sie es in der Vergangenheit bereits getan hat); so müssen insbesondere die Kapazitäten des Energiesektors gestärkt werden, die notwendigen Investitionen in das Energiesystem zu tätigen. Hierfür sind unverrückbare Zusagen der Regierungen erforderlich, die im Einklang mit einem europäischen Energiebinnenmarkt stehen müssen.

1.5.

Der Energiebinnenmarkt muss vollendet werden, er muss jedoch durch geeignete marktwirtschaftliche Instrumente, eine echte Koordinierung der nationalen Energiepolitiken auf EU-Ebene und eine klare gemeinsame Ausrichtung unterstützt werden, damit er sein volles Potenzial entfalten kann. Transparente und genaue Daten sind nach wie vor eine grundlegende Voraussetzung hierfür. Die besondere Situation der jeweiligen Mitgliedstaaten — wie zum Beispiel die Frage der bestehenden „Energieinseln“ — sollte berücksichtigt werden. Bei der Überprüfung der Preise muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass ohne eine angemessen entwickelte Infrastruktur, die erhebliche Investitionen erfordert, der Energiebinnenmarkt nicht vollendet werden kann und die Mitgliedstaaten seine Vorteile nicht nutzen können.

1.6.

Kostenoptimierung durch eine engere EU-Koordinierung und Solidarität sind von entscheidender Bedeutung, zumal die Hebel der Energiepolitik unter direkter Kontrolle der Mitgliedstaaten bleiben. Bislang ist diese Koordinierung eher schwach gewesen; daher ist ein neuer Ansatz notwendig. Die Solidarität der Mitgliedstaaten ist angesichts zunehmend ungewisser Versorgung unerlässlich. Außerdem müssen gemeinsame Forschung und Entwicklung zur Lösung der offenkundigen Probleme in der Energieerzeugungs- und -versorgungskette stärker gefördert werden.

1.7.

Der Aufbau liquider Gashubs zwischen Gruppen von Mitgliedstaaten kann zur Kostenoptimierung und -senkung beitragen, indem Öl- und Gaspreise voneinander abgekoppelt werden und mehr Flexibilität für Erzeuger geschaffen wird.

1.8.

Zur Verbesserung der Koordinierung fordert der EWSA Maßnahmen und direkte Unterstützung für ein umfassendes Energieprogramm samt Energiedialog auf EU-Ebene. Private und industrielle Energieverbraucher, die gewerblichen und institutionellen Interessenträger in der Energieversorgungskette wie auch die lokalen, regionalen und nationalen Behörden sollten in diesen Dialog eingebunden sein.

1.9.

Dieser inklusive, repräsentative, unabhängige und transparente europäische Energiedialog sollte auch die Grundlage für den neuen, von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Governance-Prozess sein, mit dem die Umsetzung der in dem 2030-Rahmenpaket enthaltenen Energie- und Klimaziele sichergestellt werden soll.

2.   Einleitung und Hintergrund

2.1.

In den letzten Jahren sind die Energiepreise, insbesondere für Strom, für die meisten Privathaushalte und Unternehmen in der EU über die Inflationsrate hinaus gestiegen. In ganz Europa hat dieser Anstieg die privaten Haushaltskassen belastet, und in einigen Mitgliedstaaten hat Energiearmut stark um sich gegriffen. Die Wettbewerbsfähigkeit einiger Industriesektoren, insbesondere der energieintensiven Industrie, ist ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden. In der Vergangenheit reagierte die Industrie auf hohe Preise oftmals mit einer Verbesserung der Energieeffizienz und einer Spezialisierung auf wertschöpfungsintensive Produktion, doch dürfte der Spielraum hierfür zurückgehen. Durch den Konjunkturrückgang hat sich der Druck noch erhöht, und die Preise steigen trotz aller Energieeffizienzmaßnahmen und Einsparungsbemühungen für die meisten Verbraucher weiter.

2.2.

Das von der Europäischen Kommission im Januar 2014 vorgestellte Rahmenpaket enthält zwei wichtige Berichte mit direkter Bedeutung für Preise und Kosten — erstens das Arbeitsdokument zu Energiepreisen und -kosten und zweitens die Studie „Energy Economic Developments in Europe“ (Energiewirtschaftliche Entwicklungen in Europa). In diesem Rahmenpaket werden Energie- und Klimaziele bis 2030 festgelegt und postuliert, dass Klimaschutz, industrielle Wettbewerbsfähigkeit und erschwingliche Energie für alle Bürger miteinander vereinbart werden können. Voraussetzung hierfür ist, dass alle Beteiligten den konkreten wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nutzen der Reduktion der Klimagasemissionen und der Ökologisierung der Wirtschaft verstehen, erkennen und einander mitteilen. In diesem Rahmen wird implizit eingeräumt, dass öffentliche Unterstützung von grundlegender Bedeutung ist und dass es eines realistischeren Ansatzes zur Bewältigung der Herausforderungen, insbesondere finanzieller Natur, bedarf. Die Europäische Kommission betont, dass „die Ziele ein deutliches Signal für den Markt und ein Anreiz für Investitionen von privater Hand in neue Fernleitungen, Stromnetze und CO2-arme Technologien [sind]“ (1).

2.3.

In der Mitteilung zu Energiepreisen und -kosten, die Gegenstand dieser Stellungnahme ist, wird — ebenso wie seitens der Internationalen Energieagentur IEA (2) — festgehalten, dass eine Kombination aus Weltmarktpreisen und notwendigen umfangreichen Investitionen in Infrastruktur und Energieeffizienz in Verbindung mit klimabedingten Abgaben und Gebühren die Energiepreise auf ihrem derzeitigen historischen Höchststand halten werden. Dies kann nicht nur erhebliche Auswirkungen auf die Verbraucher nach sich ziehen. So wird auch die Energiewirtschaft aufgrund des aktuellen Großhandelsstrompreises von ca. 40 EUR/MWh die erforderlichen Investitionen für den Austausch alternder Anlagen und die Bekämpfung des Klimawandels nicht aufbringen können. Im Mittelpunkt dieser Stellungnahme stehen die voraussichtliche Reaktion der Zivilgesellschaft und die Frage, inwieweit starke Marktsignale und politische Reaktionsfähigkeit entwickelt werden können, um die Ziele zu erreichen.

3.   Wesentlicher Inhalt der Kommissionsmitteilung

3.1.

Im Zeitraum 2008 bis 2012 sind die Energieeinzelhandelspreise in der EU trotz relativ konstanter Großhandelspreise für Strom und stabiler Großhandelspreise für Gas in einigen Mitgliedstaaten erheblich gestiegen. Gerade während des Konjunkturrückgangs hat dies enorme Auswirkungen auf die Privathaushalte und die Unternehmen gehabt — und diese werden wohl andauern. Es gibt große Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. So bezahlen einige Verbraucher zweieinhalb- bis viermal mehr als andere. Diese Preissteigerungen sind im Wesentlichen auf eine Erhöhung der Übertragungs- und Verteilungskosten sowie von Steuern und Abgaben zurückzuführen. Die Primärenergiekosten sind jedoch nach wie vor die wichtigste Komponente in der Zusammensetzung der Verbraucherpreise.

3.2.

Die EU-Regierungen müssen den Energiebinnenmarkt bis 2014 vollenden. Die Liberalisierung dieses Markts wird die Investitionen und den Wettbewerb ankurbeln, die Effizienz in mehreren Bereichen verbessern und eventuell Preisvorteile bringen. Die Verbraucher und die Unternehmen (vor allem KMU) können ihre Energierechnungen senken, indem sie zu billigeren Anbietern wechseln, sofern es eine ausreichende Zahl Anbieter gibt.

3.3.

Die EU-Regierungen müssen außerdem die Energieinfrastruktur weiter ausbauen, die Energieversorgung und die Lieferwege diversifizieren und in den Verhandlungen mit wichtigen Energiepartnern geschlossen auftreten.

3.4.

Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass von Endverbrauchern und Steuerzahlern finanzierte Energiemaßnahmen so kosteneffizient wie möglich und auf der Grundlage empfehlenswerter Verfahren durchgeführt werden.

3.5.

Die EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen weitere Arbeiten zum Vergleich der Netzkosten und -praxis unternehmen. Durch eine europäische Vereinheitlichung der Netzpraxis können die Effizienz erhöht und die Netzkostenkomponente der Energiepreise verringert werden.

3.6.

Die Haushalte und die Unternehmen können ihre Energiekosten durch eine Steigerung ihrer Energieeffizienz bis zu einem bestimmten Grad niedrig halten. Freiwillige Maßnahmen der Verbraucher zur Anpassung ihres Energieverbrauchs oder der Verbrauchszeiten (Demand Response) und innovative Energietechnologien können Energie und Geld sparen.

3.7.

Die EU muss ihre Bemühungen zur Zusammenarbeit mit internationalen Partnern in Bezug auf Energiesubventionen und Ausfuhrbeschränkungen fortführen und zum Schutz bestimmter gewerblicher Verbraucher durch Transferleistungen, Steuer- und Abgabenbefreiungen oder -ermäßigungen beitragen.

3.8.

Im Wesentlichen plädiert die Europäische Kommission für die Vollendung des Energiebinnenmarkts, empfiehlt Maßnahmen sowohl seitens der Privathaushalte als auch der Unternehmen zur Erhöhung ihrer Energieeffizienz und zur Nutzung von Demand-Response-Lösungen und weiterer innovativer Energietechnologien, um Energie und Geld zu sparen, und fordert von den Mitgliedstaaten weitreichende Verbesserungen von Übertragung und Verteilung. Die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien kann sich unmittelbar auf die Verbesserung der Energieversorgungssicherheit auswirken. Für die Privatverbraucher in einigen Mitgliedstaaten sind Maßnahmen zur Bekämpfung der Energiearmut, in erster Linie durch sozialpolitische Maßnahmen, erforderlich. Sollte der prognostizierte Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aufgrund der Energiepreise stattfinden, dann könnte er ebenfalls berücksichtigt werden, vor allem im Rahmen der WTO, indem Energiesubventionen seitens internationaler Konkurrenten ebenso abgebaut werden wie sonstige Fiskaltransfers.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Strategie müssen drei grundlegende Fragen entgegengestellt werden. Erstens: Sind unabhängig von der Vollendung des Energiebinnenmarkts eine Fortführung oder Verstärkung der Bemühungen zur Ökologisierung der Wirtschaft gemäß dem 2030-Rahmen weiterhin begründet, und wenn ja, was würde dies für die Energiepreise und -kosten bedeuten? Zweitens: Kann die Zivilgesellschaft durch einen wirksamen sozialen Dialog davon überzeugt werden, dass ein derartiges Vorgehen gerechtfertigt und akzeptabel ist? Drittens: Kann der Markt belebt werden, um private Investitionen in neue Pipelines, Stromnetze und CO2-arme Technologien zu mobilisieren?

4.2.

Energie in all ihren Formen ist insgesamt gesehen wahrscheinlich die weltweit am meisten gehandelte Ware, bezogen auf den Wert. Aufgrund der zentralen Rolle der Energie für die Wirtschaftsentwicklung werden Forschung, Erkundung und Entwicklung sowie die Erzeugung und Übertragung von Energie auch in absehbarer Zukunft massive Investitionen erfordern. Dies gilt auch für die unlängst hervorgehobene Notwendigkeit, eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten — nach dem Motto „Die Lichter dürfen nicht ausgehen“, wobei „Licht“ hier für die unverzichtbare Rolle von Energie in der modernen Gesellschaft steht. Allerdings muss bedacht werden, dass andere energiepolitische Ziele sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene gegenwärtig eher Erwägungen der Versorgungssicherheit untergeordnet sein dürften, der in dieser Mitteilung mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, und dass dadurch auch zusätzliche Kosten entstehen können.

4.3.

Gleichzeitig müssen auch mehrere wichtige Faktoren auf globaler Ebene weiterhin anerkannt und erneut ins Treffen geführt werden, wenn die kurz- und mittelfristigen Kosten der Energiewende bewältigt werden sollen:

Die Energieerzeugung hat erhebliche Umweltauswirkungen auf unseren Planeten und uns selbst, in erster Linie in Form des Klimawandels, aber auch durch Beeinträchtigungen der Gesundheit.

82 % unserer aktuellen globalen Energienachfrage werden durch fossile Brennstoffe bedient, eine langfristig endliche Ressource.

Die prognostizierte Ressourcenknappheit (z. B. „Peak-Oil“ — das Ölfördermaximum) ist aufgrund der Erschließung neuer Lagerstätten und der Entwicklung neuer Fördertechniken weniger zutreffend, und der Markt wird erheblichen Druck zur Nutzung nicht-konventioneller fossiler Brennstoffressourcen ausüben.

Wenn nur ein Drittel der bekannten fossilen Brennstoffressourcen genutzt wird, ist das schon mehr als genug, um den Schwellenwert von 450 ppm für die CO2-Konzentration in der Atmosphäre, der als mit dem 2 oC-Ziel als vereinbar gilt, zu überschreiten — und dennoch fließen enorme Investitionen in neue Erschließungs- und Fördertechniken (3).

Der Energiewandel weg von fossilen Brennstoffen muss unbedingt vollzogen werden. Das Tempo dieses Wandels ist entscheidend: schnell genug, um zu starke Klimaauswirkungen zu vermeiden, doch müssen gleichzeitig auch stabile Wirtschafts- und Sozialstrukturen aufrechterhalten werden. Gemeinsame weltweite Anstrengungen sind geboten. Außerdem muss die Wirtschaftskapazität der EU gewahrt werden, um zu diesem Wandel beitragen zu können. Es bedarf eines kohärenten Vorgehens auf globaler Ebene zur Eindämmung des Klimawandels. Übernimmt Europa eine Führungsrolle, könnte dies einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit sowie Standort- und CO2-Verlagerungen zur Folge haben.

4.4.

Es ist mittlerweile klar, dass die Märkte alleine soziale und ökologische Aspekte oftmals nicht berücksichtigen können. Dies ist aber auch nicht ihre Rolle. Trotz Erfolgen bei der Verwirklichung kurzfristiger Kosten- und Effizienzziele müssen die Märkte nach Ansicht des EWSA durch effektive marktwirtschaftliche Instrumente beeinflusst werden, um sozialen Prioritäten Rechnung tragen zu können (4). Hierfür sind eine gute Regulierung sowie die Unterstützung und das Mitwirken der Zivilgesellschaft und eine entschlossene Verpflichtung der Unternehmen zu sozialer Verantwortung vonnöten.

4.5.

So lange die Gesellschaft das Dilemma, vor dem die EU und die internationale Staatengemeinschaft stehen, nicht begreift, können weder der erforderliche politische Wille aufgebracht noch die Akzeptanz seitens der Verbraucher erreicht werden. Aller Voraussicht nach werden die Preise weiter steigen. Und die Verbraucher werden sich weiterhin vehement gegen derartige Preisanstiege wehren. Es geht daher darum, die politischen und sozialen Auswirkungen abzufedern.

4.6.

Nach Ansicht des EWSA ist die wirksamste Vorgehensweise die umfassende Einbindung der europäischen privaten und industriellen Energieverbraucher sowie der gewerblichen und institutionellen Interessenträger in der Energieversorgungskette in einen aktiven und kreativen Dialog über diese Fragen, der dann in konkrete Maßnahmen mündet.

4.7.

In der vorliegenden Mitteilung gibt es kaum Anzeichen für eine derartige Vorgehensweise. So wird zwar 41 Mal auf „Märkte“ verwiesen, allerdings nur insgesamt dreimal auf „Einbindung“, „Bürger“, „Dialog“ oder „Konsultation“ — und auch dies eher beiläufig. Ähnlich sieht es in dem Rahmendokument für die 2020-2030-Politik aus.

4.8.

Konsequenz und Handeln sind in dieser Frage unerlässlich. In dem Rahmendokument „Energiefahrplan 2050“ aus dem Jahr 2011 wurde dieser Punkt zwar aufgegriffen und in Ziffer 3.4 „Die Einbeziehung der Öffentlichkeit ist von entscheidender Bedeutung“ ausführlich behandelt, es wurde jedoch nur wenig unternommen.

4.9.

Der EWSA fordert die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten auf, dringend den Rahmen für den Europäischen Energiedialog festzulegen und umzusetzen, den der Ausschuss in seiner Stellungnahme „Erfordernisse und Methoden der öffentlichen Beteiligung im Bereich der Energiepolitik“ aus dem Jahr 2013 gefordert hat (5). Ein derartiger Dialog würde eine gestaltende Rolle bei der Schaffung und Durchführung eines EU-weiten Governanceprozesses zur Verwirklichung der Energie- und Klimaziele übernehmen.

4.10.

Im Mittelpunkt eines derartigen Prozesses sollten folgende Aspekte stehen:

viel stärkeres Gewicht auf Transparenz, strenger Regulierung und Governance auf allen Ebenen;

besseres Verständnis des Energiebinnenmarkts seitens der Bürger/Verbraucher und größeres Vertrauen in seine Funktionsweise gekoppelt an angemessene Verbrauchererziehung und Beratung;

stärkere öffentliche Beteiligung bei der Festlegung des nationalen und europäischen Energiemixes;

die Flexibilität der Mitgliedstaaten, optimal auf ihren Energiemix und ihre Präferenzen abgestimmte Maßnahmen zu wählen, wobei gleichzeitig auch auf Konvergenz auf EU-Ebene abgehoben werden muss;

die Verwirklichung nationaler Ziele (Treibhausgasemissionen, erneuerbare Energien und Energieeffizienz) im Rahmen der Marktintegration.

4.11.

Die Diskrepanzen bei den Energiepreisen in der EU wurden bereits erwähnt. Diese sind teilweise zwar auf unterschiedliche Erzeugungs- und Versorgungskosten zurückzuführen, doch ist auch die Erhebung vielfältiger Energiesteuern und -abgaben ein wichtiger Faktor. In sämtlichen Mitgliedstaaten machen Energiesteuern einen beträchtlichen Teil der Staatseinnahmen aus; selbst unter Ausnahme der Mineralölsteuer wäre es äußerst schwierig, andere Einnahmequellen als Ausgleich für Steuersenkungen zu finden (6).

4.12.

Allerdings werden hohe Steuern auf bestimmte Energiequellen mittlerweile, wenn auch widerwillig, akzeptiert. In der EU betragen Mineralölsteuern mehr als 55 % des Preises im Vergleich zu beispielsweise 14 % in den USA und 41 % in Japan.

4.13.

Die besondere Situation der jeweiligen Mitgliedstaaten — wie zum Beispiel die Frage der bestehenden „Energieinseln“ — sollte berücksichtigt werden. Bei der Überprüfung der Preise muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass ohne eine angemessen entwickelte Infrastruktur, die erhebliche Investitionen erfordert, der Energiebinnenmarkt nicht vollendet werden kann und die Mitgliedstaaten seine Vorteile nicht nutzen können.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der „Energiebinnenmarkt“ ist besonders problembehaftet, da Energieversorgungssicherheit ein grundlegendes nationales Interesse ist, das trotz aller Fortschritte bei der Schaffung eines Energiebinnenmarktes weiterhin großteils direkter staatlicher Kontrolle oder Einflussnahme unterliegt. Auch technische, ressourcenbedingte und geografische Faktoren erschweren das Funktionieren des Marktes im Vergleich zu bspw. vielen anderen Arten von Verbrauchsgütern.

5.1.1.

Das in dem 3. Energiepaket aus dem Jahr 2009 verankerte Ziel der Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarktes wird nicht erreicht werden, und wesentliche Aspekte der Energieliberalisierung haben sich als schwer umsetzbar erwiesen. Die Realisierung der Vorteile der Marktintegration ist bei Regierungen, Unternehmen und Bürgern auf Widerstände gestoßen. In einigen Mitgliedstaaten herrscht die Ansicht, dass die umfangreichen Änderungen in Bezug auf Energieerzeugung, -verteilung und -verbrauch inakzeptable Auswirkungen haben könnten.

5.1.2.

Trotz allgemein zunehmender Angleichung der Großhandelspreise in Mittel- und Westeuropa fallen die Einzelhandelspreise in den Mitgliedstaaten aufgrund divergierender nationaler Mechanismen für die Unterstützung von Investitionen im Energiesektor und zur Umlegung dieser Unterstützungskosten auf die Endverbraucher nach wie vor sehr unterschiedlich aus. Die Folge ist ein „flacher“ Energiemarkt, der bestenfalls für eine optimalere Nutzung des bestehenden europäischen Systems sorgt. Dies ist jedoch unzureichend, da ein „tiefer“ Markt, der optimale Investitionen auf europäischer Ebene anstößt, vonnöten ist, damit diese Investitionen überhaupt getätigt werden können und auch noch kosteneffizient sind. So sind beispielsweise eine Überarbeitung und eine bessere Koordinierung der Förderinstrumente (wie Einspeiseregelungen und -tarife) notwendig.

5.1.3.

Voraussetzung hierfür sind höhere Marktliquidität und hub-basierte Preisbildung, insbesondere für Gas. In einigen Mitgliedstaaten bestehen bereits Gasmärkte, sie sind jedoch immer noch nicht liquide genug, um eine gangbare Alternative zu der — umfassenden — Ölpreisbindung und marktbasierte Preise bieten zu können. Daher müssen regionale Gashubs aufgebaut und die Interkonnektivität zwischen diesen Hubs in Bezug auf Übertragungskapazität, Vertragsbedingungen und Marktzugang (vor allem flexible Versorgungstranchen) verbessert werden. Über den Zugang zu den Gasmärkten können Stromerzeuger flexibler vorgehen, um die Erzeugungsperioden zu optimieren. So können sie die Erzeugung in Verlustperioden vermeiden und die Wettbewerbsfähigkeit der Anlagen wahren; dadurch werden wieder weniger ungedeckte Kosten auf die Verbraucher abgewälzt.

5.1.4.

Es gibt nach wie vor Unklarheit in Bezug auf die detaillierte Zusammensetzung der Energiepreise in den Mitgliedstaaten. Die laufende eingehende Analyse der Europäischen Kommission mit dem Ziel, die Zusammensetzung der Energiepreise sowie Ausmaß und Auswirkungen von Energiesubventionen transparenter zu machen, ist von wesentlicher Bedeutung, um eine Grundlage für gleiche Ausgangsbedingungen für Energieerzeugung und -bepreisung zu schaffen. Es gilt, kontinuierlich Daten über Energiepreise und -kosten pro Anlage zu erfassen, um zum einen die Transparenz der Betriebsbedingungen der Industriesektoren zu verbessern und zum anderen politische Maßnahmen auf aussagekräftige Daten zu stützen. Für kosteneffiziente politische Entscheidungen und eine gehaltvolle politische Diskussion mit den Bürgern muss zunächst Transparenz sichergestellt werden. Dies betrifft auch die Zusammensetzung der Gewinnspanne der Energielieferer. Das Fehlen geeigneter Statistiken könnte die Glaubwürdigkeit von Entscheidungen untergraben, die als faktengestützt dargestellt werden. Derartige Statistiken sollten auf allen Governance-Ebenen zur Verfügung gestellt werden.

5.1.5.

Die Industrie kann Investitionen zur Verringerung der Intensität des Energieverbrauchs tätigen und hat dies auch bereits getan. Derartige Investitionen müssen jedoch eine akzeptable Amortisierungsrate aufweisen und sind immer teurer geworden.

5.1.6.

In der Vergangenheit haben die EU und ihre Mitgliedstaaten sensible Industriesektoren durch eine Mischung aus kostenfreier Zuteilung von Emissionsrechten, Ausnahmeregelungen bei Steuern und Abgaben und in einigen wenigen Fällen auch Kompensationsmaßnahmen geschützt. Da die Kluft zwischen den Kosten für die Klimapolitik in der EU und einigen ihrer wichtigsten Handelspartner sich kurzfristig keinesfalls verringern wird, sollte die Europäische Kommission den geltenden Rahmen überprüfen und neue Konzepte beleuchten, die besser mit dem Binnenmarkt vereinbar sind, um Lösungen für sensible Industriesektoren zu finden.

5.1.7.

Da Energiesicherheit von grundlegendem staatlichem Interesse ist, werden die Regierungen etwaige Zusatzkosten zur Gewährleistung der Versorgung in Kauf nehmen. Die Mitgliedstaaten können sich auch aus Souveränitätsgründen nur schwer auf einen zufriedenstellenden Governance-Prozess auf EU-Ebene einigen und nehmen deshalb eine suboptimale Marktstruktur in Kauf. In Zeiten unsicherer Energieversorgung ist Solidarität jedoch von entscheidender Bedeutung für eine dauerhafte Energieversorgung.

5.1.8.

Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass die Mitgliedstaaten in ihren beträchtlich divergierenden nationalen Energiepolitiken der Notwendigkeit einer tiefgreifenderen Integration auf EU-Ebene Rechnung tragen. Dies untergräbt den Energiebinnenmarkt und sendet unklare Investitionssignale. Der EWSA ist der Auffassung, dass ein entscheidender Schritt hin zu einer echten europäischen Energiegemeinschaft notwendig ist, um die nationalen Energiestrategien, vor allem im Hinblick auf die Gewährleistung der EU-Energieversorgungssicherheit zu geringstmöglichen Kosten, zu koordinieren.

5.2.   Die Ökologisierung der Wirtschaft

5.2.1.

Im Prinzip ist der Übergang zu einer nachhaltigeren und ressourceneffizienteren Wirtschaft allgemein angelaufen. In der Praxis jedoch haben Konjunkturrückgang, globaler Wettbewerb und Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten über die Prioritäten das Tempo und die Wirksamkeit dieses Übergangs beeinträchtigt (7).

5.2.2.

Politische Aussagen zur Ökologisierung der Wirtschaft waren vielmals nur Lippenbekenntnisse zu den Nachhaltigkeitszielen der EU, ohne dass dem Umfang des hierfür erforderlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels noch den strukturellen Hindernissen Rechnung getragen wurde.

5.2.3.

Dieses Ziel ist oft fälschlicherweise dahingehend ausgelegt worden, dass bestehende Wirtschaftstätigkeiten „grüner“ (d. h. emissionsärmer) gestaltet und so Wachstum und Beschäftigung angekurbelt werden sollten. Für die Ökologisierung der Wirtschaft sind jedoch weitreichendere Veränderungen der Produktions- und Verbrauchsmuster sowie Verhaltensänderungen erforderlich, als vermutlich innerhalb eines Jahrzehnts auf sozialverträgliche Weise erreicht werden können. Mehr oder weniger alle Wirtschaftstätigkeiten müssten neu aufgestellt werden, und zum Wachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze während der Umstellung von den herkömmlichen auf die neuen grünen Wirtschaftsmuster sind keine verlässlichen Aussagen möglich. Dies sollte durch koordinierte Anstrengungen in Forschung und Entwicklung unterstützt werden.

5.2.4.

In vergleichbarer Weise wurden auch die Hindernisse für eine rasche, effiziente und nutzbringende Ökologisierung der Wirtschaft dramatisch heruntergespielt. Die Bepreisung kommt u. a. bei folgenden Aspekten zum Tragen:

Widerstand der Wirtschaftssektoren (Partikularinteressen) und daher der Politiker;

Vorteile bestehender Technologien aufgrund bereits bezahlter Infrastruktur;

fehlende wirksame Bepreisung von Kohlenstoff;

wirksame Regulierung von Umweltkennzeichnungssystemen;

technologische und politische Risiken neuer CO2-armer Technologien;

Arbeitsplatzverluste und möglicher Widerstand bei der Umschulung von Arbeitskräften;

industrieller Wandel und seine sozialen Auswirkungen;

Finanzierungsschwierigkeiten vor dem Hintergrund eines geringen (oder negativen) Wirtschaftswachstums und der „Haushaltskonsolidierung“;

intensiver internationaler Wettbewerb;

für eine Niedrigemissions-Wirtschaft wären ein solider gesellschaftlicher und politischer Konsens, massive private und öffentliche Investitionen, die durch einfachen Zugang zu Finanzierung gestützt werden, und eine klare strategische Vision erforderlich, d. h. eine grüne „Plan“-Wirtschaft.

5.2.5.

Die Ökologisierung der Wirtschaft muss dennoch stattfinden. Die Aufgabe ist umfangreich und mit hohen Anforderungen verbunden, doch wir haben keine andere Wahl, wenn wir eine nachhaltige Zukunft sichern wollen. Zur Verwirklichung dieses Ziels muss ein Tempo vorgegeben werden, das das Gleichgewicht zwischen politischer Glaubwürdigkeit, Wirtschaftskraft, stabilen Sozialsystemen und Entscheidungsfreiheit der Bürger berücksichtigt. Es fehlen jedoch die Voraussetzungen, insbesondere in Bezug auf das öffentliche Engagement zum Abbau der Hindernisse. Zu bedenken ist auch, dass klare Vorteile wie die Marktführerschaft in nachhaltiger und kohlenstoffarmer Energie entstehen können. Die EU ist bei der Nutzung kohlenstoffarmer Elektrizität für verschiedene Arten von Wärmesubstitution bereits ziemlich fortgeschritten und verfügt auch über einen großen Sektor zur Entwicklung nachhaltiger Verkehrsinnovationen.

5.2.6.

Energieeinsparungen und Energieeffizienz sind wesentlich für die Kostensenkungen. Beim Verbrauch der Privathaushalte können noch zahlreiche Vorteile mittels Nachfragesteuerung erzielt werden. In öffentlichen Gebäuden gibt es eine wachsende Zahl nennenswerter Beispiele für Effizienzgewinne und Verbrauchsminderungen (großteils jedoch nur in Neubauten); weitere Energieeffizienzbestrebungen im Industriebereich, die in einigen Sektoren bereits an der Tagesordnung sind, können nach wie vor für viele Unternehmen Einsparungen bringen.

5.2.7.

Marktwirtschaftliche Instrumente (market-based instruments — MBI) haben eine äußerst wichtige Rolle bei der Förderung der Neuausrichtung der Wirtschaften der Mitgliedstaaten gespielt. Allerdings waren Ausmaß und Nutzung von Steuern, Abgaben, Subventionen und sonstigen marktwirtschaftlichen Instrumenten in der EU meistens sehr unterschiedlich, insbesondere im Energiesektor. Marktwirtschaftliche Instrumente müssen sowohl den Übergang zu einer ressourcenschonenden und kohlenstoffarmen Wirtschaft als auch die wirtschaftliche Erholung voranbringen (8).

5.3.

Zur Verwirklichung der in dem Klima- und Energiepaket vorgeschlagenen Energie- und Klimaziele der EU ist eine wirksame Governance unerlässlich; sie ist eng mit der Aufstellung kohärenter Marktparameter durch die nationalen Energieregulierungsbehörden verbunden. Der EWSA fordert eine stärkere Koordinierung der Energiepolitik mit einer kohärenten und einheitlichen Governance der Politiken der Mitgliedstaaten als Schritt zu einer EU-weiten Kostenoptimierung und unterstützt daher die Kommissionsinitiative. Seiner Meinung nach müssen jedoch grundlegende Überlegungen angestellt werden, damit die Ziele mit diesem System auch wirklich erreicht werden können. Der EWSA kann einen sinnvollen Beitrag zu den künftigen Kommissionsvorschlägen leisten, insbesondere im Hinblick auf:

Ausgewogenheit zwischen Flexibilität und Verwirklichung der Energieziele;

umfassende öffentliche Mitwirkung und Legitimation von nationalen und EU-Maßnahmen;

Förderung der Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für diesen Prozess;

kohärente und zuverlässige Konvergenz auf EU-Ebene.

5.4.

Die Europäische Kommission steht vor der Aufgabe, ein Governance-System zu konzipieren, das wirksam umgesetzt werden kann, aber gleichzeitig flexibel genug ist, um die Zustimmung der Mitgliedstaaten zu finden. Der EWSA schlägt daher vor, in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission einen politisch neutralen Reflexionsprozess unter Einbeziehung aller Interessenträger einzuleiten, um ein wirksames, flexibles und inklusives Governance-System zu schaffen. Sowohl die Einbeziehung der Öffentlichkeit als auch das Governance-System als solches sind unabdinglich, um die Herausforderung der Energiepreise und -kosten zu bewältigen und zu vermitteln bzw. zu verstehen.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Einleitung: http://ec.europa.eu/energy/2030_de.htm

(2)  World Energy Outlook, IEA, 2013.

(3)  „The Burning Question“, Mike Berners Lee, Greystone Books, 2013.

(4)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 1.

(5)  ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 1.

(6)  Energy Policy and Energy Taxation in the EU: IREF Europe.

http://www.irefeurope.org/en/sites/default/files/Energy_policy_EU.pdf

(7)  ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 18.

(8)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 1.


26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/72


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Kaseine und Kaseinate für die menschliche Ernährung und zur Aufhebung der Richtlinie 83/417/EWG des Rates

COM(2014) 174 final — 2014/0096 (COD)

2014/C 424/11

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 2. April 2014 bzw. am 10. April 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Kaseine und Kaseinate für die menschliche Ernährung und zur Aufhebung der Richtlinie 83/417/EWG des Rates

COM(2014) 174 final — 2014/96 (COD).

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 128 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


26.11.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/73


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für die Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 für das Kalenderjahr 2014

COM(2014) 175 final — 2014/0097 (COD)

2014/C 424/12

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 2. April 2014 bzw. am 22. April 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für die Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 für das Kalenderjahr 2014

COM(2014) 175 final — 2014/0097 COD.

Da der Ausschuss sich bereits in seiner Stellungnahme CES2942-2013_00_00_TRA_AC vom 22. Mai 2013 (1) zu dem Inhalt dieses Vorschlags geäußert hat, beschloss er auf seiner 499. Plenartagung am 4./5. Juni 2014 (Sitzung vom 4. Juni) mit 132 gegen 2 Stimmen bei 6 Stimmenenthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 4. Juni 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  EWSA-Stellungnahme NAT/602 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für die Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 für das Kalenderjahr 2013, ABl. C 271/27 vom 19.9.2013, S. 143.