ISSN 1977-088X

doi:10.3000/1977088X.C_2013.327.deu

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 327

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

56. Jahrgang
12. November 2013


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

491. Plenartagung am 10. und 11. Juli 2013

2013/C 327/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Das ungenutzte Wirtschaftspotenzial für die Wettbewerbsfähigkeit der EU — Reform der öffentlichen Unternehmen (Sondierungsstellungnahme)

1

2013/C 327/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Rolle der Zivilgesellschaft in den Beziehungen EU/Serbien

5

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

491. Plenartagung am 10. und 11. Juli 2013

2013/C 327/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch Langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft — COM(2013) 150 final/2

11

2013/C 327/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über das Zollrisikomanagement und die Sicherheit der Lieferkette — COM(2012) 793 final

15

2013/C 327/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein europäischer Aktionsplan für den Einzelhandel — COM(2013) 36 final

20

2013/C 327/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Grünbuch über unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa — COM(2013) 37 final

26

2013/C 327/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Intelligente Regulierung — Anpassung an die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen — COM(2013) 122 final

33

2013/C 327/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung eines Programms zur Unterstützung der Beobachtung und Verfolgung von Objekten im Weltraum — COM(2013) 107 final — 2013/0064 (COD)

38

2013/C 327/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (Neufassung) — COM(2013) 162 final — 2013/0089 (COD)

42

2013/C 327/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates im Hinblick auf die Offenlegung nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Gesellschaften und Konzerne — COM(2013) 207 final — 2013/0110 (COD)

47

2013/C 327/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch die Vereinfachung der Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 — COM(2013) 228 final — 2013/119 (COD)

52

2013/C 327/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Neue Denkansätze für die Bildung: bessere sozioökonomische Ergebnisse durch Investitionen in Qualifikationen — COM(2012) 669 final

58

2013/C 327/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen — COM(2012) 788 final — 2012/0366 (COD)

65

2013/C 327/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Eine stärkere europäische Industrie bringt Wachstum und wirtschaftliche Erholung. Aktualisierung der Mitteilung zur Industriepolitik — COM(2012) 582 final

82

2013/C 327/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Handelsregelung für bestimmte aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren — COM(2013) 106 final — 2013/0063 (COD)

90

2013/C 327/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Blueprint für den Schutz der europäischen Wasserressourcen — COM(2012) 673 final; Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) — Bewirtschaftungspläne für Flusseinzugsgebiete — COM(2012) 670 final; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bericht über die Überprüfung der EU-Strategie zur Bekämpfung von Wasserknappheit und Dürren — COM(2012) 672 final

93

2013/C 327/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zur Reduzierung der Kosten des Ausbaus von Hochgeschwindigkeitsnetzen für die elektronische Kommunikation — COM(2013) 147 final — 2013/0080 (COD)

102

2013/C 327/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die mehrjährige Finanzierung der Maßnahmen der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs hinsichtlich der Verschmutzung durch Schiffe und der Meeresverschmutzung durch Erdöl- und Erdgasanlagen — COM(2013) 174 final

108

2013/C 327/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für den Zugang zum Markt für Hafendienste und für die finanzielle Transparenz der Häfen — COM(2013) 296 final — 2013/0157 (COD)

111

2013/C 327/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste (laufendes Programm) — COM(2013) 130 final

115

2013/C 327/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Viertes Eisenbahnpaket mit den folgenden Dokumenten: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Das vierte Eisenbahnpaket — Vollendung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums zur Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in der EU — COM(2013) 25 final; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1192/69 des Rates über gemeinsame Regeln für die Normalisierung der Konten der Eisenbahnunternehmen — COM(2013) 26 final — 2013/0013 (COD); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Eisenbahnagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 881/2004 — COM(2013) 27 final — 2013/0014 (COD); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 hinsichtlich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste — COM(2013) 28 final — 2013/0028 (COD); Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums bezüglich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste und der Verwaltung der Eisenbahninfrastruktur — COM(2013) 29 final — 2013/0029 (COD); Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Europäischen Union (Neufassung) — COM(2013) 30 final — 2013/0015 (COD); Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Eisenbahnsicherheit (Neufassung) — COM(2013) 31 final — 2013/0016 (COD)

122

2013/C 327/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/53/EG vom 25. Juli 1996 zur Festlegung der höchstzulässigen Abmessungen für bestimmte Straßenfahrzeuge im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr in der Gemeinschaft sowie zur Festlegung der höchstzulässigen Gewichte im grenzüberschreitenden Verkehr — COM(2013) 195 final/2 — 2013/0105 (COD)

133

DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

491. Plenartagung am 10. und 11. Juli 2013

12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Das ungenutzte Wirtschaftspotenzial für die Wettbewerbsfähigkeit der EU — Reform der öffentlichen Unternehmen“ (Sondierungsstellungnahme)

2013/C 327/01

Berichterstatter: Raymond HENCKS

Mit Schreiben vom 15. April 2013 ersuchte Vytautas LEŠKEVIČIUS, stellvertretender Außenminister Litauens, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Namen des künftigen litauischen Ratsvorsitzes um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

Das ungenutzte Wirtschaftspotenzial für die Wettbewerbsfähigkeit der EU – Reform der öffentlichen Unternehmen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 170 gegen 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Hintergrund

1.1

Mit der vorliegenden Sondierungsstellungnahme des EWSA soll auf den besonderen Beitrag hingewiesen werden, den öffentliche Unternehmen für die Wettbewerbsfähigkeit der EU leisten können. Sie soll die besonderen Herausforderungen auf diesem Gebiet für die europäischen Politikbereiche und Institutionen beleuchten.

1.2

Die Stellungnahme knüpft an die Verträge an, die den Mitgliedstaaten einen großen Ermessensspielraum bei der Definition, der Organisation und der Finanzierung ihrer Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einräumen. Zudem fallen gemäß den Verträgen auch die Auswahl und die Rechtsform (privat, öffentlich oder öffentlich-private Partnerschaft) der für die Ausführung öffentlich-rechtlicher Aufträge zuständigen Unternehmen in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten (1).

1.3

Eine Behörde kann je nach Analyse einer Branche, festgelegten Zielen und Aufgaben und langfristig zu fördernden Leitlinien von Fall zu Fall beschließen, auf ein öffentliches Unternehmen als eines ihrer Handlungsmöglichkeiten zurückzugreifen.

1.4

Ein öffentliches Unternehmen ist gemäß der Richtlinie 80/723/EWG der Kommission vom 25. Juni 1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen "jedes Unternehmen, auf das die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann".

Es wird vermutet, dass ein beherrschender Einfluss ausgeübt wird, wenn die öffentliche Hand unmittelbar oder mittelbar:

a)

die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt oder

b)

über die Mehrheit der mit den Anteilen des Unternehmens verbundenen Stimmrechte verfügt oder

c)

mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des anderen Unternehmens bestellen kann.

1.5

Alle europäischen Staaten haben im Laufe ihrer Geschichte öffentliche Unternehmen gegründet, ob direkt oder durch Verstaatlichung oder Kommunalisierung von Privatunternehmen. Dies geschah aus einer Vielzahl von Gründen:

Umsetzung strategischer Ziele im Zusammenhang mit der äußeren oder inneren Sicherheit oder mit der Versorgungssicherheit bestimmter grundlegender Güter oder Dienstleistungen;

Bau von für das wirtschaftliche und soziale Leben erforderlichen Infrastrukturen;

Mobilisierung bedeutender Investitionen (insbesondere nach jedem der beiden Weltkriege);

Förderung neuer Aktivitäten, die auf kurze Sicht nicht unbedingt gewinnbringend sind;

Behebung von Versagen des Marktes (natürliche Monopole, Outsourcing) bzw. von Privatinitiativen;

Reaktion auf Finanz-, Wirtschafts-, Sozial- oder Umweltkrisen;

Durchführung öffentlich-rechtlicher Aufträge.

1.6

Bei der Messung der Leistungsfähigkeit, der Effizienz und ggf. des Reformbedarfs öffentlicher Unternehmen dürfen nicht nur die gewöhnlichen Indikatoren der Rentabilität wirtschaftlicher Tätigkeiten herangezogen werden, sondern es müssen sämtliche, von den Behörden zugewiesenen Ziele und Aufgaben berücksichtigt werden.

1.7

Laut der offiziellen europäischen Definition ist Wettbewerbsfähigkeit die Fähigkeit, den Lebensstandard der Bürger auf Dauer anzuheben und eine hohe Beschäftigung sowie den sozialen Zusammenhalt zu sichern.

1.8

In Bezug auf die Produktivität verliert die EU jedes Jahr ein wenig an Boden. Diese Verlangsamung ist gleichbedeutend mit einer Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit. Indizien für diesen Rückgang sind der Mangel an Innovationen, fehlende Investitionen in Infrastrukturen, Technologien und Humankapital.

1.9

Die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der Europäischen Union hängen demnach von Investitionen in Infrastrukturen, Aus- und Weiterbildung, Forschung und Entwicklung, Gesundheits- und Sozialwesen, Umweltschutz usw. ab - alles Bereiche, für die Behörden öffentliche Unternehmen als eines der möglichen Instrumente einsetzen können.

1.10

Doch der Staat und die regionalen oder lokalen Behörden sind nicht von Natur aus fehlerfrei: Auch bei öffentlichen Unternehmen gibt es Versagen, die u.a. zurückzuführen sind auf:

eine administrative, bürokratische oder "politische" Aufsicht;

eine fehlende Verantwortung der Behörde, die sich auf rein finanzielle oder vermögensrechtliche Ziele beschränken kann;

die Instrumentalisierung des öffentlichen Unternehmens für fremde Zwecke.

1.11

Das öffentliche Unternehmen kann Teil einer defensiven oder offensiven Strategie der zuständigen Behörde sein:

defensiv, um die Auswirkungen der Krise zu begrenzen, bei der Insolvenz eines Unternehmens als Retter einzuspringen oder Arbeitsplätze zu retten, eine vorübergehende Verstaatlichung vorzunehmen, bis ein "Käufer" gefunden wurde, einen offensichtlichen Missbrauch eines Privatunternehmens zu sanktionieren usw.;

offensiv, um eine Industriepolitik oder neue Technologien zu fördern, Ordnungspolitik durchzuführen, neue politische Ziele zu entwickeln, neue Zielsetzungen zu fördern (Artenvielfalt, erneuerbare Energien, Energiewandel) oder ein neues (z.B. nachhaltiges, integratives) Entwicklungsmodell zu fördern.

1.12

Dies setzt voraus, dass die Behörde ihren Verpflichtungen bei der Festlegung strategischer Leitlinien nachkommt, gleichzeitig aber dem Unternehmen weitgehende Verwaltungsautonomie einräumt. Die Behörde muss jedoch eine echte staatliche Aufsicht und Regulierung sicherstellen, was eine Leitung ihrer öffentlichen Unternehmen erfordert, die auf der Mitwirkung aller Beteiligten sowie der Personalvertreter stützt.

1.13

Die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, die die Mitgliedstaaten mittels öffentlicher Unternehmen erbringen, umfassen Tätigkeiten industrieller und kommerzieller Natur, die oftmals in direktem Wettbewerb mit den Tätigkeiten anderer Unternehmen stehen.

1.14

Unter den öffentlichen Unternehmen, die sich in einem liberalisierten und wettbewerbsorientierten Umfeld bewegen, sind als erstes die netzgebundenen Branchen zu nennen (Strom, Gas, elektronische Kommunikation, Verkehr, Post), bei denen die Zugänglichkeit und eine fortlaufende, hochwertige und erschwingliche Versorgung nicht nur für die Bürger, sondern auch für einen Großteil der Privatunternehmen unerlässlich sind. Daher sind sie für die Volkswirtschaft und die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Mitgliedstaats von maßgeblicher Bedeutung. Dies gilt auch für andere Bereiche, wie etwa die audiovisuellen Medien, das Wohnungswesen oder das Gesundheits- und Sozialwesen, in denen Marktversagen Bürger von der wie auch immer gestalteten Wahrnehmung ihrer Grundrechte abhalten kann.

2.   Gegenstand des Ersuchens um eine Sondierungsstellungnahme

2.1

In seinem Schreiben bat der künftige litauische Ratsvorsitz, den Schwerpunkt insbesondere auf die Verbesserung der Leistungsfähigkeit öffentlicher Unternehmen sowie auf ihre Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen Landes zu legen. Gewünscht wurde eine Untersuchung der aktuellen Lage und der positiven (oder negativen) Verfahren, was bislang auf EU-Ebene noch nicht geleistet wurde. Außerdem sollte im Rahmen der wirtschaftspolitischen Koordinierung und ihrer Auswirkungen auf den Binnenmarkt eine Strukturreform bezüglich der Bewertung der Leistungsfähigkeit dieser Art von Unternehmen angeregt werden.

2.2

Auch wenn das EU-Recht nur wenige spezifische Tätigkeitsbereiche öffentlicher Unternehmen betrifft (staatliche Beihilfen und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse), schlägt der litauische Ratsvorsitz vor, mit Blick auf die Reform der öffentlichen Unternehmen die Initiativen auf nichtlegislative Maßnahmen zu beschränken und keine Ziele mit Bezug auf den neuen Rechtsrahmen festzulegen. Die mögliche Privatisierung öffentlicher Unternehmen sollte ebenfalls im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten verbleiben.

2.3

Schließlich bedauert der litauische Ratsvorsitz, dass es in den bestehenden und geplanten Initiativen und Dokumenten der Europäischen Kommission bislang noch keine allgemeine Aussprache über die Reform der öffentlichen Unternehmen, ihre Führung, die Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit und ihren Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit und zum Erreichen der Ziele der Europa-2020-Strategie gab. Die Kommission und das Europäische Parlament haben sich bislang lediglich auf zwei Aspekte konzentriert: die Einhaltung der Bestimmungen bezüglich staatlicher Beihilfen und bezüglich der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse.

3.   Vorschläge des EWSA

3.1

Der EWSA begrüßt nachdrücklich das Ersuchen des künftigen litauischen Ratsvorsitzes um eine Untersuchung der aktuellen Lage und der positiven (oder negativen) Verfahren und um eine Strukturreform bezüglich der Bewertung der Leistungsfähigkeit dieser Art von Unternehmen im Kontext der Koordinierung der Wirtschaftspolitik und ihrer Auswirkungen auf den Binnenmarkt.

3.2

In den Verträgen ist die verstärkte Verpflichtung der EU und ihrer Mitgliedstaaten verankert, ein reibungsloses Funktionieren der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu gewährleisten. Dazugehört insbesondere auch die Entwicklung eines progressiven Konzepts zur Leistungsbewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Solange dies nicht erreicht ist, können die Leistungsbewertungen nicht zur Erfüllung der Bedürfnisse der Bürger und der Wirtschaft auf nationaler und europäischer Ebene beitragen.

3.3

Eine derartige Bewertung muss der Wirksamkeit und Effizienz der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und ihrer Anpassung an die sich wandelnden Bedürfnisse der Bürger und Unternehmen dienen. Zudem soll sie den Behörden diejenigen Elemente an die Hand geben, mit denen sie möglichst angemessene Entscheidungen treffen können. Außerdem kommt der Bewertung eine entscheidende Rolle für das richtige Abwägen zwischen Markt und allgemeinem Interesse sowie zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen zu.

3.4

In seiner Stellungnahme "Eine unabhängige Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse" (2) hatte der EWSA konkrete Vorschläge unterbreitet, um auf Gemeinschaftsebene die Modalitäten für Austausch, Gegenüberstellung, Vergleich und Koordinierung festzulegen. Somit obliegt es der Union, dem Konzept für eine unabhängige Bewertung neue Impulse zu verleihen. Dabei soll im Rahmen des Dialogs mit den Vertretern der betroffenen Akteure und auf der Grundlage gemeinsamer Indikatoren sowie unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und der Grundsätze, die im den überarbeiteten Verträgen als Anhang beigefügten Protokoll aufgestellt wurden, eine europaweit harmonisierte Bewertungsmethodik sowie Wege zu ihrer Anwendung ausgearbeitet werden.

3.5

Im Rahmen seiner Überlegungen über einen größeren Beitrag der öffentlichen Unternehmen zur wirtschaftlichen Erholung und zur Wettbewerbsfähigkeit der Union hat sich der EWSA in mehreren Stellungnahmen umfassend mit der Frage der europäischen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse beschäftigt.

3.6

Seit dem 8. Oktober 2001 gibt es ein Statut der Europäischen Gesellschaft. Dieses Statut, das seit dem 8. Oktober 2004 anwendbar ist, bietet Unternehmen, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, die Möglichkeit, sich in einer einzigen Gesellschaft europäischen Rechts zusammenzuschließen und somit die gleichen Bestimmungen anzuwenden: ein einziges System der Verwaltung und Veröffentlichung der Rechnungslegung. Gesellschaften, die dieses Statut annehmen, müssen dadurch keine Anpassungen an die nationale Rechtsetzung in jedem Mitgliedstaat vornehmen, in dem sie eine Niederlassung haben. Dadurch werden die Verwaltungskosten verringert.

3.7

In diesem Zusammenhang müsste die Einführung eines "Statuts für europäische öffentliche Unternehmen" geprüft werden, entsprechend dem Ansatz der Europäischen Kommission 2011 für Galileo (3), das heute "de facto ein europäisches öffentliches Unternehmen" ist.

3.8

Insbesondere könnte die Schaffung europäischer öffentlicher Unternehmen für die großen, transeuropäischen Infrastrukturnetze im Bereich Energie und Verkehr, die in den Verträgen als Gemeinschaftspolitik definiert werden, erwogen werden. Diese Unternehmen würden mit den in diesen Bereichen tätigen nationalen oder lokalen Unternehmen zusammenarbeiten, um die neuen, im Vertrag von Lissabon enthaltenen Bestimmungen und Befugnisse, insbesondere im Bereich der Energiepolitik der EU (Artikel 194 AEUV), umzusetzen bzw. wahrzunehmen.

3.9

Der EWSA spricht sich in seiner Stellungnahme zum Grünbuch "Hin zu einem sicheren, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Energienetz" (4) dafür aus, zu untersuchen, inwieweit die Energieversorgung der Bürger als europäische Dienstleistung von allgemeinem Interesse mit einem gemeinsamen Ansatz im Hinblick auf die Bepreisung, Besteuerung, Finanz- und Sicherheitsvorschriften, Kontinuität, wirtschaftliche Entwicklung und Klimaschutz sinnvoll und machbar wäre.

3.10

In diesem Grünbuch plädiert die Kommission für die Einrichtung eines europäischen Fernleitungsnetzbetreibers durch den schrittweisen Aufbau eines unabhängigen Unternehmens, das das Management eines einheitlichen EU-weiten Gastransportnetzes übernimmt.

3.11

Derartige Dienstleistungen auf EU-Ebene könnten unabhängig von der Rechtsform ihres Erbringers (öffentlich, privat, ÖPP) insofern einen Mehrwert in elementaren multinationalen bzw. transnationalen Bereichen wie Energieversorgungssicherheit, Sicherung der Wasserressourcen, Wahrung der Artenvielfalt, Erhaltung der Luftqualität, innere und äußere Sicherheit usw. schaffen, als diese Dienstleistungen wirksamer auf europäischer Ebene wirksamer erbracht werden können als auf nationaler oder lokaler Ebene.

3.12

In diesem Zusammenhang spricht sich der EWSA für öffentliche (Union und Mitgliedstaaten) und private Partnerschaften aus, um die Energieversorgungssicherheit zu erhöhen und eine integrierte Steuerung der Energieverbundnetze (Gas, Strom, Erdöl) zu erreichen. Der Ausschuss befürwortet zudem den Ausbau des Offshore-Windpark-Netzes und die Anbindung der Windparks an das Landnetz, wodurch die Betriebs- und Investitionskosten erheblich gesenkt und verstärkte Anreize gegeben werden könnten, in neue Netzprojekte zu investieren (5).

3.13

Was die Zuständigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten, z.B. im Bereich des Energiemixes betrifft, gehen die sozialen und gesellschaftlichen Fragen, die sich bei der Handhabung und Nutzung von natürlichen Ressourcen, Kernkraft, Klimawandel, nachhaltige Bewirtschaftung und Sicherheit stellen, über die traditionellen Staatsgrenzen hinaus. Zufriedenstellendere Antworten lassen sich im Rahmen einer europäischen Konzeption des Allgemeininteresses und der entsprechenden Dienstleistungen finden.

3.14

Hier könnte man ebenfalls die Frage der wirtschaftlichen Tätigkeiten der europäischen Exekutivagenturen aufwerfen.

3.15

Derzeit gibt es sechs solcher Exekutivagenturen (6), die für den Zeitraum 2007-2013 Programme mit einem Volumen von etwa 28 Milliarden EUR verwalten. Der Großteil dieser Programme fällt in Bereiche, in denen die EU die Mitgliedstaaten unterstützt.

3.16

Einerseits können diese Exekutivagenturen als eine Form der Untervergabe bestimmter Funktionen der Kommission betrachtet werden, was die Frage nach der tatsächlichen Unabhängigkeit dieser Agenturen aufwirft. Andererseits üben diese Agenturen im Rahmen ihrer Aufgaben und Zuständigkeiten unmittelbare wirtschaftliche und soziale Tätigkeiten aus. Ist dies so weit von der umfassenden Auslegung der Begriffe "wirtschaftliche Tätigkeit" und "Unternehmen" durch den EuGH entfernt?

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Die Verträge lassen die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt. Artikel 345 AEUV legt fest, dass die EU gegenüber dem öffentlichen oder privaten Charakter der Anteilseigner eines Unternehmens neutral ist und die Eigentumsordnung der Mitgliedstaaten unangetastet bleibt.

(2)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 42.

(3)  Impact assessment on the Proposal for a Regulation on further implementation of the European satellite navigation programme (2014-2020) (Folgenabschätzung zum Vorschlag für eine Verordnung über die weitere Durchführung des europäischen Satellitenprogramms (2014-2020)), SEC(2011)1446.

(4)  ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 51.

(5)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 65.

(6)  Exekutivagentur für das transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-TEA), Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrats (ERCEA), Exekutivagentur für die Forschung (REA), Exekutivagentur für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (EACI), Exekutivagentur für Gesundheit und Verbraucher (EAHC) und Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA).


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/5


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle der Zivilgesellschaft in den Beziehungen EU/Serbien“

2013/C 327/02

Berichterstatter: Ionuț SIBIAN

Mitberichterstatter: Christoph LECHNER

Die Europäische Kommission ersuchte mit Schreiben von Kommissionsmitglied ŠEFČOVIČ vom 12. Dezember 2012 den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 AEUV und Artikel 9 des Protokolls über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und dem EWSA um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema:

Die Rolle der Zivilgesellschaft in den Beziehungen EU/Serbien.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 25. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 171 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Anstrengungen, die die serbische Regierung in den letzten zehn Jahren unternommenen hat, um die Wirtschaft und die Institutionen des Landes zu reformieren. Er sieht im EU-Beitrittsprozess Serbiens eine Chance für die Konsolidierung und wirksame Umsetzung der eingeleiteten Reformen. Er betont, wie wichtig die Mitwirkung der Zivilgesellschaft für die Angleichung des serbischen Rechts an den Besitzstand der EU ist. Er ruft die serbische Regierung und die EU-Institutionen auf, die Organisationen der Zivilgesellschaft stärker zu unterstützen und sie enger in die kommenden Schritte auf dem Weg zum EU-Beitritt einzubinden.

1.2

Der EWSA begrüßt den Beschluss des Europäischen Rates, die Beitrittsverhandlungen mit Serbien bis spätestens Januar 2014 zu eröffnen. Er beglückwünscht Belgrad und Priština zur Unterzeichnung der Ersten Grundsatzvereinbarung zur Normalisierung der Beziehungen am 19. April 2013 in Brüssel und des im Mai verabschiedeten diesbezüglichen Umsetzungsplans. Er ruft nun beide Parteien auf, die Vereinbarung mit Unterstützung der EU umzusetzen. Der EWSA betont, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen an der Umsetzung beteiligt werden müssen, da sie einen entscheidenden Beitrag zur Aussöhnung leisten können.

1.3

Der EWSA fordert die serbischen Behörden auf, mehr öffentliche Anhörungen und Konsultationen der zivilgesellschaftlichen Organisationen sowohl in den frühen Phasen der Politikgestaltung als auch in der Umsetzungsphase durchzuführen. Der EWSA betont, dass es sehr wichtig ist, sie in Schlüsselbereiche des Reformprozesses einzubinden: Rechtsstaatlichkeit, regionale Zusammenarbeit und Aussöhnung, sozioökonomische Entwicklung, Umweltschutz, Landwirtschaft, Minderheitenrechte, Bekämpfung der Diskriminierung u.a.

1.4

Der EWSA empfiehlt, dass die Regierung der Bekämpfung des Menschenhandels, der Korruption und des organisierten Verbrechens besondere Aufmerksamkeit widmet. Darüber hinaus unterstreicht er nachdrücklich, dass die Sicherheit von Menschenrechtlern und zivilgesellschaftlichen Aktivisten, die sich für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens einsetzen, als eine Notwendigkeit wahrgenommen und von der Regierung sichergestellt werden muss.

1.5

Der EWSA weist darauf hin, dass es trotz der bedeutenden Fortschritte bei der Förderung einer integrativeren Gesellschaft noch viel zu tun gibt, um eine Gesellschaft aufzubauen, in der alle gleichgestellt sind, ungeachtet des Geschlechts, der sexuellen Ausrichtung, der Herkunft oder der Religion. Der EWSA ruft die Regierung auf, bei der Umsetzung der im Juni 2013 verabschiedeten Antidiskriminierungsstrategie keine Zeit zu verlieren. Er empfiehlt der Europäischen Kommission, in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen der Zivilgesellschaft ihre Jahresfortschrittsberichte dazu zu nutzen, die Umsetzung der Strategie mitzuverfolgen.

1.6

Der EWSA begrüßt die Einbeziehung des Büros für Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in die unter dem Ministerpräsidenten tätige Expertengruppe der Koordinierungsstelle für das EU-Beitrittsverfahren. Er begrüßt ebenfalls die Einbindung von Organisationen der Zivilgesellschaft, einschließlich Vertretern der Sozialpartner, in den Rat für EU-Integration des Ministerpräsidenten. Dies ist ein begrüßenswertes Verfahren, das ausgebaut werden sollte: So sollte die Beteiligung von Organisationen der Zivilgesellschaft, einschließlich Vertretern der Sozialpartner, an Serbiens Team für künftige Beitrittsverhandlungen in Erwägung gezogen werden. Nichtsdestotrotz sollten häufig breit angelegte Anhörungen mit Organisationen der Zivilgesellschaft durchgeführt werden, um die wichtigsten gemeinsamen Standpunkte und Empfehlungen zu ermitteln. Es ist wichtig, Fachleute aus zivilgesellschaftlichen Organisationen zu einer Reihe von Sachverständigenuntergruppen innerhalb dieser Expertengruppe der Koordinierungsstelle einzuladen.

1.7

Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, über das Instrument für Heranführungshilfe (IPA II) den Kapazitätenaufbau der Organisationen der Zivilgesellschaft (einschl. Sozialpartner) stärker zu unterstützen und den Schwerpunkt auf eine umfassendere Unterstützung der Partnerschaften nicht nur zwischen nichtstaatlichen Organisationen, sondern auch zwischen Organisationen der Zivilgesellschaft und staatlichen Stellen zu legen. Die Mittel aus der Fazilität zur Förderung der Zivilgesellschaft sollten aufgestockt werden und verstärkt Projekten zugutekommen, die auch von den Sozialpartnern durchgeführt werden. Der Aufbau der Kapazitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen zum Zwecke einer umfassenden Beteiligung am EU-Integrationsprozess sollte weiterhin Priorität haben, indem vereinfachte Verfahren für die Projektauswahl und -umsetzung, die Nutzung institutioneller Zuschüsse sowie die Weitergabe von Zuschüssen gefördert werden. Dabei ist nicht nur finanzielle Unterstützung angezeigt, sondern auch die Unterstützung der Mechanismen zur Verbesserung des Dialogs zwischen der Zivilgesellschaft und den Behörden.

1.8

Der EWSA fordert die Delegation der Europäischen Union in Serbien dazu auf, weiterhin die Weitergabe von Zuschüssen von größeren Organisationen der Zivilgesellschaft an kleinere zivilgesellschaftliche Organisationen zu erlauben, da dies ein weiterer Schritt in die richtige Richtung ist, um diese Mittel für einen größeren Kreis zivilgesellschaftlicher Organisationen zugänglich zu machen.

1.9

Die Erhöhung der Transparenz bei öffentlichen Ausgaben muss im Rahmen der Strategie für die Entwicklung der Zivilgesellschaft eine der wichtigsten Maßnahmen bleiben, während die Mechanismen zur Planung und Auszahlung der Kofinanzierungsmittel im Rahmen der von Organisationen der Zivilgesellschaft umgesetzten EU-Projekte verbessert und die Kofinanzierungsmittel aufgestockt werden müssen.

1.10

Der EWSA ruft die serbische Regierung auf, sich verstärkt um die Umsetzung eines institutionellen und rechtlichen Rahmens zu bemühen, der zur Entwicklung und Nachhaltigkeit der Zivilgesellschaft beiträgt. Der EWSA empfiehlt, eine gesetzliche Regelung zur steuerlichen Absetzbarkeit von Spenden ("percentage law") in Erwägung zu ziehen, sodass die Bürger einen Teil ihrer Einkommenssteuer gemeinnützigen Organisationen bereitstellen könnten, wodurch (in Anlehnung an das Modell in mittel- und osteuropäischen Ländern) die individuelle Philanthropie gefördert würde, ebenso wie die Einführung von Steueranreizen zugunsten der individuellen und Unternehmensphilanthropie.

1.11

Der EWSA empfiehlt, das kürzlich erlassene Gesetz über das öffentliche Auftragswesen, das Hindernisse für zivilgesellschaftliche Organisationen im Wettbewerb um öffentliche Ausschreibungen geschaffen hat, zu überarbeiten. Mit dem Gesetz wurden obligatorische finanzielle Garantien eingeführt, die zivilgesellschaftliche Organisationen nicht haben können. Die könnte dazu führen, dass sie nicht an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen können, und zwar nicht nur im Bereich der Sozialdienstleistungen, sondern auch der Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen.

1.12

Der EWSA ruft die serbische Regierung auf, eine umfassende Strategie zur Bekämpfung und Einschränkung der Schattenwirtschaft auf den Weg zu bringen. Dies würde die finanzielle Situation des Landes verbessern, unlauteren Wettbewerb verhindern und somit ein besseres Wirtschaftsumfeld schaffen, während gleichzeitig die Wahrung der Sozialrechte der Arbeitnehmer besser gewährleistet würde. Es würde auch dazu beitragen, das Vertrauen in die Institutionen wiederherzustellen und den Gedanken der Rechtsstaatlichkeit zu fördern.

1.13

Der EWSA weist auf die Bedeutung des sozialen Dialogs hin und ruft sämtliche Interessenträger dazu auf, die bestehenden Einrichtungen, insbesondere den Sozial- und Wirtschaftsrat (SWR) bestmöglich zu nutzen. Er ruft die Regierung auf, den SWR verstärkt zu fördern und ihn regelmäßiger zu allen politischen Fragen zu konsultieren, an denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse haben. Der EWSA ist der Auffassung, dass der soziale Dialog nicht ad hoc, sondern regelmäßig und strukturiert stattfinden und wirksamer und ergebnisorientierter sein sollte.

1.14

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die Förderung des sozialen Dialogs eine der Hauptprioritäten der EU-Institutionen in ihren Beziehungen zu Serbien ist und in allen für Serbien verfügbaren Programmen der Europäischen Kommission zum Ausdruck kommt. Hierfür erforderlich wäre eine stärkere Einbindung des SWR, der in jeder Phase der Beitrittsverhandlungen ebenfalls offiziell eingebunden und angehört sowie an der Überwachung der Umsetzung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Serbien beteiligt werden sollte. Der SWR sollte befähigt sein, den EU-Institutionen bei ihrer Bewertung der Fortschritte Serbiens auf dem Weg zum EU-Beitritt Anmerkungen und Standpunkte vorzulegen.

1.15

Nach Auffassung des EWSA sollte der soziale Dialog aufbauend auf den regionalen Strukturen des SWR auf regionaler und lokaler Ebene verstärkt gefördert werden. Auch auf sektoraler Ebene und insbesondere im privaten Sektor sollte er systematischer ausgebaut werden. Die Unterzeichnung – und Durchsetzung – von Tarifverträgen in möglichst vielen Branchen würde die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern in Serbien stabilisieren. Den lokalen und nationalen Behörden sollten immer wieder die Vorteile und die Relevanz des sozialen Dialogs in Erinnerung gerufen werden.

1.16

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass eine trilaterale Arbeitsgruppe eingerichtet wurde, um das Arbeitsrecht, einschließlich des Streikgesetzes, das Anmeldeverfahren für Gewerkschaften sowie das Gesetz über die Repräsentativität der Sozialpartner zu überarbeiten. Der EWSA ruft die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Europäische Kommission auf, diese laufenden Arbeiten zu unterstützen, um die serbischen Gesetze und Verfahrensweisen voll in Einklang mit den internationalen und europäischen Normen zu bringen.

1.17

Nach Auffassung des EWSA sollte der Ausbau der Möglichkeiten der Sozialpartner, sich aktiv am sozialen Dialog zu beteiligen, in die Prioritäten der EU-Hilfsprogramme aufgenommen werden. Sie müssen beim Ausbau ihrer Fähigkeit zur wirksamen Teilnahme an sämtlichen wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Fragen, darunter auch den EU-Beitrittsverhandlungen, unbedingt unterstützt werden. Ihre Organisationsstrukturen, die interne Kommunikation und die Fähigkeit, ihre Mitglieder zu unterstützen, sollten gestärkt werden.

1.18

Der EWSA weist darauf hin, dass die grundlegenden Arbeitnehmerrechte in Serbien immer noch regelmäßig verletzt werden und die Mechanismen zur Vorbeugung und Sanktionierung dieser Verstöße nicht effizient genug sind. Der EWSA ruft die serbische Regierung auf, die Funktionsweise der Agentur für die friedliche Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten zu überprüfen. Der EWSA schlägt vor, die Möglichkeit einer Einrichtung von Gerichten zu erwägen, die sich gezielt mit arbeitsrechtlichen Streitigkeiten befassen. Darüber hinaus ruft der EWSA die Europäische Kommission auf, in ihre Jahresberichte ein Kapitel über die Gewerkschaftsrechte und die grundlegenden Arbeitnehmerrechte aufzunehmen, und zwar in enger Abstimmung mit nationalen und europäischen Gewerkschaften sowie der ILO.

1.19

Serbische Unternehmerinnen spielen im gesamten Balkanraum eine wichtige Rolle und sind sehr gut vernetzt. Nun wird konkret an einem kohärenten regionalen Ansatz gearbeitet, um das Unternehmertum von Frauen auf lokaler Ebene weiter auszubauen. Der EWSA empfiehlt, die Unterstützung von europäischer, regionaler und nationaler Seite auszubauen, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile schneller zur Geltung zu bringen. Daneben muss erkannt werden, wie wichtig die Unterstützung des Unternehmertums von Frauen in Serbien aus wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht ist.

1.20

Der EWSA empfiehlt die Gründung eines Gemischten Beratenden Ausschusses (GBA) EU/serbische Zivilgesellschaft aus Mitgliedern des EWSA und Vertretern der serbischen Zivilgesellschaft. Dieses gemeinsame zivilgesellschaftliche Gremium sollte seine Arbeit nach der offiziellen Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen Serbiens aufnehmen. Der GBA würde es den zivilgesellschaftlichen Organisationen beider Seiten ermöglichen, einen eingehenderen Dialog zu führen und den politischen Stellen Impulse zu den Kapiteln der Beitrittsverhandlungen zu geben.

2.   Hintergrund der Stellungnahme

2.1

In den letzten zehn Jahren hat Serbien große Anstrengungen unternommen, um seine Institutionen, seinen Rechtsrahmen und seine Wirtschaftsbestimmungen zu reformieren, um den internationalen und europäischen Normen zu entsprechen und eine offene und effiziente Marktwirtschaft zu fördern.

2.2

Die Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens (SAA) zwischen Serbien und der EU im Jahr 2008 hat deutlich das Bekenntnis der serbischen Regierung zu einem EU-Beitritt aufgezeigt und dem Reformprozess neuen Schwung verliehen. 2010 trat ein Interimsabkommen über Handel und Handelsfragen (als Teil des SAA) in Kraft.

2.3

Die neue Regierung, die seit 2012 im Amt ist, hat das Ja Serbiens zum EU-Beitritt bekräftigt. Sie hat praktische Schritte unternommen, um die bisher verwirklichten Reformen weiterzuführen. Im Mittelpunkt stehen dabei insbesondere die Bekämpfung der Korruption, die Festigung des Rechtsstaates, der Schutz der Minderheitenrechte und die wirtschaftliche Wiederbelebung. Darüber hinaus ist die Regierung weiterhin um eine bessere regionale Zusammenarbeit bemüht.

2.4

Im Dezember 2012 beauftragte der Rat die Europäische Kommission damit, bis zum Frühjahr 2013 einen Bericht zu erarbeiten, in dem die Fortschritte Belgrads im Dialog mit Priština und in seinen EU-orientierten Reformen bewertet werden. Auf der Grundlage dieses Berichts, in dem eine positive Empfehlung gegeben wird, gelangte der Europäische Rat auf seiner Tagung am 28. Juni 2013 zu dem Schluss, dass die Bedingungen für eine Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien erfüllt sind.

2.5

Am 19. April 2013 sind sich Belgrad und Priština schließlich in der zehnten Gesprächsrunde unter EU-Leitung über die Zukunft des überwiegend von Serben bewohnten Nordkosovo einig geworden und haben die Erste Grundsatzvereinbarung zur Normalisierung der Beziehungen unterzeichnet. Im Mai nahmen beide Parteien einen Umsetzungsplan an. Ferner wurde von beiden Parteien ein Umsetzungsgremium eingerichtet, das Unterstützung durch die EU erhält.

3.   Politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen

3.1

Serbien ist immer noch ein Land im Umbruch. Zwar fanden einige Privatisierungen statt, doch stützt sich ein Großteil der serbischen Wirtschaft nach wie vor auf staatliche Unternehmen, die oftmals Restrukturierungen bitter nötig haben. Die Arbeitslosigkeit ist stark angestiegen (24 % der Erwerbsbevölkerung im Jahr 2012). Junge Menschen versuchen auszuwandern. Die Bevölkerung altert. Ein Großteil der Bevölkerung ist immer noch in der Landwirtschaft tätig und lebt auf dem Lande, wo fehlende Investitionen eine wirksame Entwicklung hemmen. Die Schattenwirtschaft ist ein weit verbreitetes Phänomen, das die Wirtschaft insgesamt aushöhlt, den Staatshaushalt schwächt und den Arbeitnehmern keinerlei Sozialschutz bietet. Die Korruption, die manchmal mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung steht, behindert nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch die Konsolidierung der Institutionen. Zudem muss die Justiz dringend reformiert werden, wenn sie eine echte Achtung der Rechte der Bürger und Verbände gewährleisten soll.

3.2

In seiner Stellungnahme zum Thema Beziehungen EU/Serbien: die Rolle der Zivilgesellschaft vom 29. Mai 2008 wies der EWSA auf diese unterschiedlichen Probleme hin, betonte gleichzeitig aber auch, dass die Behörden Anstrengungen unternommen hatten, um die notwendigen Reformen in die Wege zu leiten. Viele neue Bestimmungen wurden eingeführt. Zudem wurden neue Einrichtungen geschaffen, die insbesondere den Dialog mit den Sozialpartnern und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft organisieren sollen. Auch die Minderheitenrechte sind nunmehr offiziell anerkannt. Obwohl dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist, besteht das Hauptproblem allerdings darin, all diese institutionellen und rechtlichen Änderungen in die Praxis umzusetzen.

3.3

Serbien hat 77 Verträge und Übereinkommen des Europarates ratifiziert, darunter die Konventionen zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, zum Schutz nationaler Minderheiten, zur Verhütung von Folter, zum Schutz des Kindes und zur Korruptionsbekämpfung sowie die Europäische Sozialcharta. Bei acht weiteren unterzeichneten Übereinkommen steht die Ratifizierung noch aus, so auch beim Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Auf internationaler Ebene hat Serbien 75 ILO-Übereinkommen ratifiziert (73 sind in Kraft).

3.4

Wie der Menschenrechtskommissar des Europarates bereits betont hat (1), bedürfen viele dieser Übereinkommen noch weiterer Maßnahmen zur ordnungsgemäßen Durchsetzung. Der Europaratskommissar machte auf das Problem vermisster Personen und von Zwangsvertriebenen im Zuge des Krieges, die weitverbreitete Diskriminierung von Roma, die Gewalt gegen Frauen und die weitverbreitete Homophobie aufmerksam.

3.5

Obgleich die Regierung im Oktober 2011 eine Medienstrategie annahm, sind Journalisten nach wie vor Gewalt und Drohungen ausgesetzt. Ebenfalls an der Tagesordnung ist eine wirtschaftliche und politische Einflussnahme auf die Medien, was deren Unabhängigkeit sowie die Fähigkeit der Journalisten zur Ausübung ihres Berufs bedroht. Darüber hinaus werden Gewerkschafter immer noch schikaniert oder entlassen, weil sie Mitglied eines Gewerkschaftsverbandes sind.

3.6

Der EWSA ist der Auffassung, dass die weitere Konsolidierung des Reformprozesses, die Justizreform und die Durchsetzung der Bürger-, Sozial- und Menschenrechte eindeutig Prioritäten für Serbien sind. Die EU sollte sich in ihren Beziehungen zu Serbien eindeutig auf diese Aspekte konzentrieren. Dies ist auch ein zentrales Thema für Organisationen der Zivilgesellschaft: Ihre aktive Teilnahme muss daher nach Kräften unterstützt werden.

4.   Die gegenwärtige Stellung und die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft

4.1

Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wird durch die Verfassung gewährleistet und im Allgemeinen respektiert. Die Vereinigungsfreiheit wird jedoch durch vermehrte Drohungen gewalttätiger nationalistischer Gruppen gefährdet.

4.2

Die serbische Zivilgesellschaft hat ihre Basis vorwiegend in den Städten und ist in den Regionen ungleichmäßig vertreten. Im ländlichen Raum ist die organisierte Zivilgesellschaft nur sehr schwach aufgestellt, und ihre Kapazitäten sind dort nicht gut entwickelt. Für die Anziehung von Vereinigungen und Verbänden, den Kapazitätenaufbau und die Förderung der Vernetzung der Organisationen der Zivilgesellschaft im ländlichen Raum und/oder in kleineren Städten ist weitere Unterstützung notwendig.

4.3

Eine besondere Aufmerksamkeit sollte der Landwirtschaft bzw. dem Aufbau landwirtschaftlicher Interessenvertretungen ebenso wie der Beteiligung der Landwirtschaft am Sozialdialog zukommen. Die Landwirtschaft spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Serbien – rund ein Viertel der erwerbstätigen Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft, wobei der Agrarsektor gleichzeitig auch ein wichtiger Wirtschaftssektor ist. Die Landwirtschaft und die Agrarpolitik werden im künftigen EU-Beitrittsprozess eine wichtige Rolle spielen. Gleichzeitig wird die Angleichung an das EU-Recht für den serbischen Agrarsektor eine besondere Herausforderung darstellen.

4.4

Gut organisierte und strukturierte Interessenverbände könnten nicht nur zur Förderung der landwirtschaftlichen Interessen beitragen, sondern vor allem eine wertvolle Hilfestellung im bevorstehenden Integrationsprozess leisten, vor allem bei der Ausarbeitung und Umsetzung spezifischer Förderprogramme zugunsten der Landwirtschaft, der ländlichen Regionen und der Landbevölkerung.

4.5

Es gibt mehrere aktive Partnerschaften und Bündnisse unter den Organisationen der Zivilgesellschaft, doch sind die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel und Unterstützung zu gering, als dass sie noch aktiver und einflussreicher werden können. Für die Partnerschaften zwischen Organisationen der Zivilgesellschaft und Behörden sind SECO (2) und KOCD (3) Beispiele für Mechanismen, aus denen sich eine gute Praxis entwickeln kann, wenn ihr Beitrag berücksichtigt und eine kontinuierliche und systematische Finanzierung und Unterstützung gewährleistet werden.

4.6

Die größten Hindernisse für die Tragfähigkeit der Organisationen der Zivilgesellschaft liegen in der unzureichenden und nicht an gezielten Prioritäten festgemachten Unterstützung durch den Staat, dem geringen Sponsoring durch Unternehmen, dem Mangel an Beiträgen Einzelner, dem Rückzug internationaler Geldgeber, der rudimentären Zusammenarbeit mit lokalen Gebietskörperschaften und der begrenzten Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger im Allgemeinen. Es sollten Anstrengungen unternommen und Hilfe bereitgestellt werden, um die Anhängerschaft von Organisationen der Zivilgesellschaft auszubauen. Ein begrenzter Mitgliederstamm beeinträchtigt das Image und die Anerkennung der zivilgesellschaftlichen Organisationen, während öffentliche Gelder immer noch nicht angemessen auf sämtlichen Ebenen geregelt werden. Im Allgemeinen haben die Organisationen der Zivilgesellschaft kaum eine Möglichkeit, die soziale und politische Agenda zu beeinflussen, abgesehen von einem Dutzend starker Organisationen, die zum größten Teil ihren Sitz in Belgrad haben.

4.7

Der EWSA begrüßt die Bemühungen um eine Verbesserung des Rechtsrahmens für Vereinigungen und Stiftungen, darunter das Gesetz über Vereinigungen (Oktober 2009), das Gesetz über Stiftungsgelder und Stiftungen (November 2010), das Gesetz über die Freiwilligentätigkeit (Mai 2010) und die vereinfachten Verfahren der Buchführung für kleine Vereinigungen und Stiftungen (noch nicht verabschiedet). Daneben sind weitere wichtige Gesetze erlassen, bislang aber noch nicht umgesetzt worden, so etwa das 2011 verabschiedete Sozialhilfegesetz. Der EWSA unterstützt die Entwicklung eines gesetzlich geregelten Rahmens, der Organisationen der Zivilgesellschaft einen fairen Zugang zu öffentlichen Mitteln zum Zwecke der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen gewährleisten könnte.

4.8

Der EWSA begrüßt die an Artikel 41 der Verfahrensordnung der Regierung zu öffentlichen Anhörungen vorgenommenen Änderungen. In diesem Artikel werden die Kriterien für obligatorische öffentliche Anhörungen festgelegt (wodurch sie zur Regel statt zur Ausnahme werden) und angemessene Zeitrahmen für die Dauer der Anhörungen festgesetzt. Der EWSA betont, dass der Mechanismus ordnungsgemäß umgesetzt werden muss. Der Fokus sollte dabei auf die Sensibilisierung der Behörden für die Vorteile einer Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft sowohl in den Anfangsphasen der Gestaltung öffentlicher Maßnahmen als auch später bei ihrer Umsetzung gerichtet werden. Darüber hinaus wären Verfahren für die Ernennung von Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen in unterschiedliche Gremien auf nationaler und lokaler Ebene unter Berücksichtigung bewährter Verfahren in den Nachbarländern und der Vorschläge von Organisationen der Zivilgesellschaft zu erwägen.

4.9

Das Büro für Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft (OCCS) nahm 2011 die Arbeit auf. Der Operationsplan 2013-2014 enthält sehr wichtige Ziele, die verfolgt werden müssen:

Konzipierung einer Strategie zur Schaffung eines Umfelds, das der Entwicklung der Zivilgesellschaft förderlich ist, sowie Errichtung eines Nationalen Rats für die Entwicklung der Zivilgesellschaft.

Förderung neuer Finanzierungsquellen als Voraussetzung für die Tragfähigkeit: institutionelle Zuschüsse, soziale Tätigkeiten von Unternehmen, Unternehmensphilanthropie, soziales Unternehmertum, Festlegung von Kriterien für die Nutzung öffentlicher Räume durch Organisationen der Zivilgesellschaft usw.

Erzielung weiterer Fortschritte hinsichtlich eines institutionellen Rahmens, der zur Entwicklung der Zivilgesellschaft beiträgt, d.h. Einrichtung diesbezüglicher Referate und Aufgabenbereiche in den entsprechenden Fachministerien, Prüfung der Möglichkeit, einen zivilgesellschaftlichen Entwicklungsfonds zu schaffen, und Stärkung der Mechanismen für die Zusammenarbeit zwischen den Organisationen der Zivilgesellschaft und der serbischen Nationalversammlung.

4.10

Der EWSA begrüßt die Bemühungen des OCCS, das mit der Herausgabe des Jahreskurzberichts über die Zahlungen aus dem Haushalt der Republik Serbien an Vereinigungen und andere zivilgesellschaftliche Organisationen für mehr Transparenz bei der Finanzierung von Organisationen der Zivilgesellschaft aus dem Staatshaushalt sorgen will. Dem OCCS sollten jedoch mehr Befugnisse übertragen werden, um die Antwortquote aus den Regierungsstellen auf sämtlichen Ebenen zu erhöhen und auf diese Weise eine vollständige Datensammlung zu gewährleisten und jährlich zu veröffentlichen. Der EWSA begrüßt daher die Unterstützung, die die EU-Delegation dem OCCS über das im Dezember 2012 angelaufene Dreijahresprogramm für technische Hilfe gewährt (4).

4.11

Die Zahlen von 2011 zeigen, dass zur Kofinanzierung von Programmen bzw. Projekten nur wenige Mittel zugewiesen und tatsächlich ausgezahlt wurden, auch dort, wo eine Unterstützung durch Geldgeber sichergestellt war, und das, obwohl die Organisationen der Zivilgesellschaft diese Mittel dringend brauchen.

5.   Der soziale Dialog

5.1

Der soziale Dialog ist für die Entwicklung der Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt, den Serbien benötigt, von wesentlicher Bedeutung. 2008 wurde ein Allgemeines Tarifabkommen unterzeichnet. Im April 2011 schloss der Sozial- und Wirtschaftsrat der Republik Serbien (SWR) ein neues Wirtschafts- und Sozialabkommen, das von den Vorsitzenden der Sozialpartner und vom serbischen Ministerpräsidenten unterzeichnet wurde und wichtige Verpflichtungen der beiden Parteien enthält. In dem Abkommen wird bekräftigt, dass der soziale Dialog eine Voraussetzung ist, um gemeinsame Entwicklungsziele zu erreichen, die wirtschaftskrisenbedingten Probleme zu bewältigen und den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in Serbien zu gewährleisten. 2012 unterzeichnete der SWR ein Abkommen über Mindestlöhne. Auf sektoraler Ebene wurden 2011 und 2012 vier Branchentarifverträge in den Bereichen Landwirtschaft, Bauwesen, chemische Industrie und Metallindustrie unterzeichnet. Der Arbeitsminister weitete diese Tarifverträge auf alle Staatsbetriebe aus. Die Tarifverträge gelten auch für den Großteil des öffentlichen Sektors. Gedeckt sind Beschäftigte des Gesundheitswesens, der kommunalen und nationalen Behörden, der Bereiche Kultur und Bildung und der Polizei.

5.2

Der SWR wurde 2005 per Gesetz eingerichtet und ist eine institutionelle Plattform für trilaterale Verhandlungen. Daneben gibt es mittlerweile 18 Wirtschafts- und Sozialräte auf örtlicher Ebene, auch wenn weniger als die Hälfte davon voll funktionsfähig ist, was in erster Linie auf ein mangelndes Engagement der regionalen Behörden zurückzuführen ist. Der SWR kämpft immer noch mit einer Reihe von Problemen, die seine Tätigkeiten erschweren. Das größte Hindernis ist dabei der Mangel an Finanz- und Humanressourcen. Er hat es jedoch geschafft, ständige Arbeitsgruppen zu Wirtschaftsthemen, Rechtsetzung, Tarifabkommen sowie Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz einzurichten. Vertreter der Sozialpartner nehmen nun regelmäßig an den Sitzungen des SWR teil, im Gegensatz zur Regierung, die oft durch Beamte vertreten ist. Seit der Wiedereinsetzung des SWR im September 2012 werden sie jedoch stärker eingebunden. Sogar der Ministerpräsident ist nun Mitglied des SWR. Doch der SWR hat immer noch Probleme mit der Ausrichtung seiner Sitzungen.

5.3

Auch wenn der soziale Dialog gute Ergebnisse erzielt hat, muss er immer noch konsolidiert und ausgeweitet werden. Die Sozialpartner haben wenig Einfluss, insbesondere im privaten Sektor. Tarifabkommen werden zwar unterzeichnet, aber nicht unbedingt umgesetzt. Daneben gibt es weite Bereiche, die vom sozialen Dialog nicht abgedeckt sind. Auf nationaler Ebene wird der SWR nicht regelmäßig zu allen Fragen konsultiert, die in seine Zuständigkeit fallen, oder aber die Konsultation ist rein formaler Art und seine Empfehlungen werden von der Regierung allzu oft ignoriert. Eine positive Ausnahme bildet das Arbeitsministerium, das dem SWR sämtliche Gesetzesentwürfe und Strategien zur Stellungnahme vorlegt. Darüber hinaus richtete das Ministerium vor Kurzem eine trilaterale Arbeitsgruppe ein, um Änderungen zu arbeitsrechtlichen Vorschriften auszuarbeiten. Es gab auch Verbesserungen in der Bildungsgesetzgebung. So hat das Ministerium für Bildung und Wissenschaft dem Rat drei Gesetzentwürfe zur Stellungnahme vorgelegt. Ungeachtet dieser positiven Aspekte wird der SWR bei allgemeinen wirtschaftspolitischen Fragen und Maßnahmen, die direkte Auswirkungen auf die Tätigkeiten von Unternehmen und Arbeitnehmern haben, nach wie vor weitestgehend ignoriert.

5.4

2005 wurde eine Agentur für die friedliche Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten eingerichtet, um sowohl individuelle als auch kollektive Arbeitsstreitigkeiten beizulegen. Sie konzentriert sich auf individuelle Fälle, in denen ein Schlichter eine bindende Entscheidung treffen kann und über dieselben Rechtsmittel wie ein Gericht verfügt. In der Praxis konnte sich diese Agentur jedoch bislang nicht wirklich als eine Alternative durchsetzen, und die meisten Konflikte werden immer noch vor den Gerichten ausgetragen, die wiederum notorisch überlastet sind. Im Falle der Beilegung kollektiver Arbeitsstreitigkeiten übernimmt die Agentur die Rolle des Vermittlers. Sie kann daher die Streitparteien nicht zu irgendeiner Vereinbarung zwingen, sondern versucht vielmehr, beide Parteien dazu zu bewegen, freiwillig eine friedliche Beilegung anzunehmen.

5.5

2013 soll die Regierung mit der ILO ein Programm für würdige Beschäftigung unterzeichnen (Decent Work Programme). Anhand dieses Programms sollen die unterschiedlichen Aspekte der Sozialgesetzgebung und der diesbezüglichen Verfahren überarbeitet und vollständig den internationalen Normen angepasst werden. Außerdem soll es zum Aufbau der Kapazitäten der Sozialpartner beitragen, damit es, unterstützt durch EU-Mittel und –Programme, einen effizienten Beitrag zum sozialen Dialog leisten können.

5.6

Nicht zuletzt mit Blick auf die EU-Beitrittsverhandlungen ist es wichtig, dass die Sozialpartner besser in die Wirtschafts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik der Regierung eingebunden werden. Sie sollten auch in die Vorbereitungen zur Förderfähigkeit Serbiens durch den Europäischen Sozialfonds und andere EU-Fonds einbezogen werden. Nur dann werden die serbischen Sozialpartner ihrer künftigen Rolle in den Foren der partizipativen Demokratie auf EU-Ebene erfolgreich nachkommen können.

6.   Sozialpartner – gegenwärtige Lage

6.1

Der Serbische Arbeitgeberverband UPS ist der wichtigste nationale Interessenverband der Arbeitgeber. Er vertritt die serbischen Unternehmer im SWR. Die Tatsache, dass die meisten der größten, in Serbien tätigen Unternehmen sowie andere Organisationen wie der Verband der Klein- und Mittelständler (ASME) dem UPS nicht angehören, schwächt dessen Legitimität als Teilnehmer am sozialen Dialog.

6.2

Die serbische Industrie- und Handelskammer – der größte Wirtschaftsverband – war in der Vergangenheit aufgrund eines Pflichtmitgliedschaftssystems nicht an den Arbeiten des SWR beteiligt. Am 1. Januar 2013 wurde in Serbien jedoch das freiwillige Mitgliedschaftssystem eingeführt und die IHK trägt nunmehr in großem Umfang zum sozialen Dialog bei, insbesondere in den Bereichen berufliche Bildung, Förderung des Außenhandels und regionale Entwicklung. Sie setzt sich für die Stärkung der Stellung des Serbischen Arbeitgeberverbandes im SWR ein und sorgt dafür, dass er im Rahmen eines wirksamen Konsultationsprozesses unter Beteiligung aller Arbeitgeberverbände möglichst viele Interessen der Arbeitgeber zum Ausdruck bringen kann.

6.3

Angesichts der hohen Arbeitslosenquote sollten Arbeitgeber stärker Einfluss auf die Entwicklung eines guten Geschäftsumfelds nehmen können. Der Unternehmergeist und schnellere Unternehmensgründungen sollten gefördert werden, insbesondere die Gründung von kleinen und mittleren Unternehmen, die eine der wichtigsten Quellen für neue Arbeitsplätze in Europa sind. Zu den größten Hürden bei der Verwirklichung eines besseren Geschäftsumfelds zählen: mangelnde Transparenz und Vorhersehbarkeit des Rechtsrahmens, unattraktives Steuersystem einschl. einiger parafiskalischer Maßnahmen, Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, Verfahren für die Unternehmenseintragung, Bürokratie im Zusammenhang mit dem Außenhandel usw. Nach der allgemeinen eigenen Einschätzung der serbischen Unternehmenswelt ist sie unzureichend in den Gesetzgebungsprozess und die Folgenabschätzung eingebunden, insbesondere die Abschätzung der Folgen für die KMU.

6.4

Die Gewerkschaften sind fragmentiert und schwach. Viele gehören einem der beiden größten Verbände Serbiens an: dem Bund unabhängiger Gewerkschaften Serbiens (SSSS) bzw. dem Gewerkschaftsbund Nezavisnost ("Unabhängigkeit"). Es gibt noch zwei weitere Bünde: die Vereinigung freier und unabhängiger Gewerkschaften Serbiens (ASNS) und den Bund der freien Gewerkschaften (KSSS), die für sich Repräsentativität beanspruchen. Diese ist zu überprüfen nach einem neuen Gesetz über die Repräsentativität, welches gerade debattiert wird. Darüber hinaus gibt es laut Angaben des Arbeitsministeriums rund 2 000 gewerkschaftliche Organisationen in Unternehmen, die nicht Mitglied eines nationalen Gewerkschaftsbundes sind. Alle einschlägigen Arbeitnehmerverbände müssen stärker in den sozialpartnerschaftlichen Entscheidungsprozess auf Arbeitnehmerseite einbezogen werden. Die Rolle der Gewerkschaften in Serbien ist für die Stärkung des sozialen Dialogs ausschlaggebend.

6.5

Die Schwierigkeiten in der Übergangsphase und die Wirtschaftskrise haben die Gewerkschaften weiter fragmentiert und geschwächt. Das aufwendige Registrierungsverfahren für Gewerkschaften, die Ablehnung und bisweilen auch Nötigung durch Manager, die sich gegen den sozialen Dialog auf Unternehmensebene sträuben – all dies hemmt die normale Entwicklung einer Arbeitnehmervertretung und untergräbt den sozialen Dialog. Die wirksame Zusammenarbeit, die sich in den letzten Jahren zwischen den beiden repräsentativen Verbänden SSSS und Nezavisnost herauskristallisiert hat, ist vor diesem Hintergrund jedoch zu begrüßen.

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Thomas HAMMARBERGH. Menschenrechtskommission des Europarates. Bericht im Anschluss an seinen Serbienbesuch vom 12.-15. Juni 2011. CommDH(2011)29.

(2)  SECO steht für die Vernetzung und den Kapazitätsaufbau im Bereich der EU-Integration und die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der IPA-Programmplanung.

(3)  KOCD sind Netze von Organisationen im Bereich des Sozialschutzes für Randgruppen, die gemeinsam an die zuständigen Entscheidungsträger herantreten.

(4)  Der Finanzrahmen für das Programm für technische Hilfe beläuft sich auf 1,2 Mio. EUR und hat folgende Schwerpunkte: Unterstützung für weitere Änderungen an den die Organisationen der Zivilgesellschaft betreffenden Rechtsvorschriften, Einführung einer Rahmens für eine transparente staatliche Finanzierung und Einbindung der Organisationen der Zivilgesellschaft in die Entscheidungsfindung.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

491. Plenartagung am 10. und 11. Juli 2013

12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/11


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch „Langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft“

COM(2013) 150 final/2

2013/C 327/03

Berichterstatter: Michael SMYTH

Die Europäische Kommission beschloss am 25. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Grünbuch "Langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft"

COM(2013) 150 final/2.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 19. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 151 gegen 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Einer der wichtigsten Bestandteile der Strategie, Europa auf den Weg nachhaltigen Wachstums zurückzuführen, ist die Gewährleistung langfristiger Finanzierung zu angemessenen Kosten. Das Konsultationsdokument der Kommission ist begrüßenswert und kommt zur rechten Zeit.

1.2

Der EWSA begrüßt den Schwerpunkt, der im Grünbuch auf produktive Investitionen und die Bildung langlebiger Sachanlagen und immaterieller Vermögenswerte gelegt wird. Er empfiehlt indes der Kommission, den Bedarf an sozial nützlichen Investitionen stärker zu berücksichtigen.

1.3

Wenn Banken in Zukunft voraussichtlich eine geringere Bedeutung als Anbieter langfristiger Finanzierungen haben werden, könnten sich Gelegenheiten für andere Intermediäre wie nationale und multilaterale Entwicklungsbanken, institutionelle Anlieger, Staatsfonds und – in entscheidendem Maße – Anleihemärkte ergeben. Gleichwohl dürfen keine Hindernisse entstehen, die Banken davon abhalten könnten, ihrer Rolle als wichtigste Quellen für langfristige Finanzierungen gerecht zu werden. Außerdem ist darauf zu achten, dass Finanzierungen und Kapitalflüsse nicht aufgrund des rechtlichen Rahmens den regulierten Sektor verlassen.

1.4

Der EWSA begrüßt die jüngst erfolgte Kapitalerhöhung der EIB. Dadurch wird sie zusätzliche private Investition hebeln und eine stärkere antizyklische Rolle bei der Finanzierung von Investitionen und der Kreditversorgung von KMU spielen können. Obschon ein Kapitalzuschuss von 10 Mrd. EUR nicht unbedeutend ist, hält der EWSA diesen Betrag angesichts der Erfordernisse der aktuellen Lage für zu gering.

1.5

Die Einführung von Europa-2020-Projektanleihen, wenngleich noch in der Testphase, ist ebenfalls eine positive Entwicklung. Diese Projektanleihen wurden von der Kommission und der EIB gemeinsam konzipiert. Analoge Gemeinschaftsunternehmungen mit Staatsfonds sollten ebenfalls in Erwägung gezogen werden.

1.6

Wenn Initiativen wie Projektanleihen den Markt für anleihebasierte Finanzierung erfolgreich ausweiten konnten, sollten sie nach Ende und Auswertung der Testphase intensiviert werden.

1.7

Im Grünbuch wird die Rolle von Sparguthaben für das Angebot langfristiger Investitionsmittel untersucht. Während einige Mitgliedstaaten spezielle Anlageformen zur Mobilisierung langfristiger Ersparnisse für umfassende soziale Investitionen eingeführt haben, könnte es durchaus sinnvoll sein, über die Einführung spezifischer Instrumente auf Ebene der EU oder des Euroraums, die eventuell einen Zinsaufschlag bieten, nachzudenken.

1.8

Einige Mitgliedstaaten waren bei der Förderung des Sparens für die Altersvorsorge und anderer Sparmodelle durch geschickte steuerliche Möglichkeiten relativ erfolgreich. Die Bürger sträuben sich tendenziell gegen die Aussicht auf das Zahlen von Steuern auf das von ihnen erwirtschaftete Einkommen und das Zahlen weiterer Steuern auf langfristige Ersparnisse aus diesem Einkommen nach Steuern. Im Kontext sozial verantwortlicher Investitionen sollte es möglich sein, marktgängige und niedrig oder gar nicht besteuerte persönliche Sparprodukte mit angemessenen jährlichen Beschränkungen zu konzipieren, um die langfristige Finanzplanung zu fördern.

1.9

Die kurzfristige Ausrichtung des Finanzsystems, die eng mit Fragen der Unternehmensführung verknüpft ist, war ein maßgeblicher Hinderungsgrund für angemessene langfristige Investitionen. Die Umstellung der Anreize zur Förderung langfristiger Leistungsfähigkeit ist keine einfache Aufgabe. Der EWSA begrüßt die Empfehlungen der Kommission bezüglich der Ausweitung der Stimmrechte und Erhöhung der Dividenden für langfristige Investoren und die Veränderungen bei der Richtlinie über Aktionärsrechte. Zusätzlich könnten koordinierte Entlastungen bei der Kapitalertragssteuer erwogen werden, um Anreize zu setzen für das längerfristige Vorhalten von Wertpapieren seitens der Fondsmanager.

1.10

Bezüglich Risikokapitals enthält das Grünbuch einige interessante Empfehlungen. Der EWSA hat bereits vorgeschlagen, die Rolle des Europäischen Investitionsfonds (EIF) zu stärken und von der Darlehensvergabe auch auf die Bereitstellung von Risikokapital auszuweiten. Das wurde auch ursprünglich bei seiner Gründung im Jahr 1994 angestrebt. Würde der EIF analog zur Europäischen Investitionsbank (EIB) angemessen rekapitalisiert, könnte er zu einer der wichtigsten Quelle von Risikokapital für KMU werden.

1.11

Da nationale und regionale Regierungen über ihre Regionalentwicklungsorgane bereits an der Förderung des Fortbestands und des langfristigen Wachstums von KMU beteiligt sind, gibt es schließlich gute Gründe, dass diese Organe beim Betrieb solcher KMU-Handelsplattformen mitwirken. Diese Rolle könnte von der Bewertung der Kreditwürdigkeit anfragender KMU zur Gewährung begrenzter Garantien für institutionelle Anleger reichen.

1.12

Der EWSA würde es begrüßen, wenn sozial verantwortlichen Investitionen ein höherer Stellenwert gegeben würde und schlägt vor, eine Beobachtungsstelle zur Überwachung der Bedingungen für langfristige Investitionen einzurichten.

2.   Einleitung und Hintergrund des Grünbuchs

2.1

Der wichtigste Grund für die Kommission, das Grünbuch zu erarbeiten, liegt darin, dass Europa auf den Weg intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums zurückgeführt werden muss. Europa steht vor dem Erfordernis langfristiger, umfangreicher Investitionen als Grundlage nachhaltigen Wachstums. Die Bewältigung dieser Aufgabe wird erheblich erschwert durch die gegenwärtige Risikoscheu privater Haushalte und Unternehmen sowie durch die notwendige Haushaltskonsolidierung durch zahlreiche Regierungen, wodurch das Angebot langfristiger Finanzierungen insgesamt eingeschränkt wird.

2.2

Derzeit bestehen akute Probleme bei den traditionellen Finanzierungskanälen. Banken waren in Europa die Hauptquelle von Investitionen, aber viele von ihnen sind nun in erster Linie damit beschäftigt, ihren Fremdkapitalanteil zu verringern, weshalb sie ihrer normalen Rolle nicht nachkommen können. In dem Grünbuch wird über die gegenwärtige Krise hinausgedacht. Es werden Lösungen für die Bereitstellung langfristiger Investitionen gesucht.

2.3

Die Kommission hat den Schwerpunkt auf produktive Investitionen und die Bildung langlebiger Sachanlagen und immaterieller Vermögenswerte gelegt. Diese sind im Allgemeinen weniger prozyklisch als kurzlebigere Investitionsgüter. Die Kommission definiert langfristige Finanzierung als den Prozess, mit dem das Finanzsystem für die für langfristige Projekte notwendigen Investitionen aufkommt.

2.4

Die EU hat ein Programm zur Reform des Finanzsektors aufgenommen, um die Stabilität zu verbessern und das Vertrauen in die Finanzmärkte wiederherzustellen. Die Stabilität des Finanzsystems ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Förderung langfristiger Investitionen. Die Kommission nennt eine Reihe weiterer Bereiche, in denen gehandelt werden muss, wie z.B.:

Die Fähigkeit der Finanzinstitute zur Kanalisierung langfristiger Projektfinanzierungen;

Effizienz und Wirksamkeit der Finanzmärkte bei der Bereitstellung langfristiger Finanzierungsinstrumente;

Maßnahmen zur Förderung langfristigen Sparens und langfristiger Investitionen;

Erleichterung des Zugangs zu Bankkrediten und Nichtbankenfinanzierungen für KMU.

3.   Bemerkungen zu den Vorschlägen

3.1   Die Fähigkeit der Finanzinstitute zur Kanalisierung langfristiger Projektfinanzierungen

3.1.1

Geschäftsbanken. Die Untersuchung der Kommission bezüglich der Herausforderungen bei der Sicherstellung langfristiger Finanzierung in Europa ist im Großen und Ganzen zutreffend. Die traditionelle wichtige Funktion der Banken als Hauptquellen für langfristige Finanzierungen ändert sich, und Banken werden diesbezüglich in der Zukunft an Bedeutung verlieren. Die potenzielle Unvereinbarkeit einiger neuer Bankenregulierungen mit den Zielen des Grünbuchs bei der Förderung langfristiger Investitionen wird nicht erörtert. Im Grünbuch wird lediglich festgestellt, dass die Auswirkungen jüngster und voraussichtlicher Finanzreformen das Aktivitätsniveau der Banken in der Kette der Intermediäre dämpfen könnte. Zwischen den aufsichtsrechtlichen Anforderungen von Basel III und den Anreizen für die Banken, langfristige Finanzierungen zur Verfügung zu stellen, sollte ein besseres Gleichgewicht gefunden werden. Jedenfalls ist es wahrscheinlich, dass sich neue Möglichkeiten eröffnen für andere Finanzintermediäre wie z.B. nationale und multinationale Entwicklungsbanken, institutionelle Anleger, verstärkte Nutzung von Anleihemärkten und Staatsfonds.

3.1.2

Nationale und multilaterale Entwicklungsbanken. Diese Institute spielen bei der Risikoteilung mit privaten Investoren und Akteuren zur Entwicklung bedeutender Projekte eine wichtige Rolle und beugen somit Marktversagen vor. Aufgrund ihres längerfristigen strategischen Handelns haben sie auch eine antizyklische Funktion. Die EIB und der EIF spielen eine immer wichtigere Rolle bei der Risikoteilung. Die unlängst erfolgte Kapitalerhöhung der EIB – wenngleich nach Auffassung des EWSA unzureichend – wird zweifelsohne ihre Fähigkeit zur Hebelung weiterer privater Finanzierungen steigern. Der EWSA fordert die EIB auf, mehr zu tun für die Förderung wichtiger grenzüberschreitender Infrastrukturobjekte, die mit besonderen finanziellen Hindernissen zu kämpfen haben.

3.1.3

Der EWSA begrüßt das Auflegen von Europa-2020-Projektanleihen, die nun in eine Reihe von öffentlich-privaten Partnerschaftsprojekten für Infrastrukturmaßnahmen in den Bereichen Energie, Verkehr und IKT gelenkt werden (1). Die Kommission erwähnt auch die mögliche Rolle von Staatsfonds bei längerfristigen Finanzierungen. In Anlehnung an die von der Kommission und der EIB gemeinsam entwickelten Projektanleihen könnte es sinnvoll sein, eine ähnliche gemeinsame Initiative mit Staatsfonds zu konzipieren und dadurch die für längerfristige Finanzierungen insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel zu mehren.

3.1.4

In Bezug auf die institutionellen Anleger wird im Grünbuch ein möglicher Zielkonflikt zwischen dem Bedürfnis der wirksamen Regulierung des Kapitalanlagerisikos der Versicherungsunternehmen und der Notwendigkeit, sie zur Finanzierung längerfristiger Investitionen anzuregen, festgestellt. Derzeit laufen diesbezügliche Gespräche zwischen der Kommission und der Europäischen Aufsichtsbehörde über das Versicherungswesen. Die Kommission beabsichtigt, Vorschläge zu Fonds für langfristige Investitionen auszuarbeiten, um die Schaffung einer Reihe von Verfahren zur Risikobündelung unter Beteiligung verschiedener Arten institutioneller Anleger anzuregen. Dieser Vorschlag ist sehr zu begrüßen. Pensionsfonds könnten bei den langfristigen Finanzierungen eine wichtigere Rolle spielen, aber sie stoßen dabei auf zahlreiche institutionelle, regulatorische und politische Hindernisse. Insbesondere sind sie von den Versuchen politischer Entscheidungsträger betroffen, sie mit der Finanzierung bestimmter Projektarten zu betrauen, die nicht im Interesse ihrer Mitglieder liegen. Pensionsfonds sollten konsultiert werden bei der Frage, wie diese Hindernisse verringert oder beseitigt werden könnten. Die Schaffung der Bankenunion könnte in diesem Zusammenhang hilfreich sein.

3.1.4.1

Anreize bei der Körperschaftsteuer könnten auch ein Mittel sein, um institutionelle Anleger zu verstärkter Bereitstellung langfristiger Finanzierungen zu bewegen. Ein System degressiver Erleichterungen bezüglich der Finanzierung großer Infrastrukturvorhaben könnte institutionelle Anleger zu einer größeren Beteiligung in diesem Bereich bewegen.

3.2   Effizienz und Wirksamkeit der Finanzmärkte bei der Bereitstellung langfristiger Finanzierungsinstrumente

3.2.1

Im Grünbuch wird festgestellt, dass einige Kapitalmärkte in Europa sich weiterentwickeln und reifen müssen, um das Volumen der verfügbaren langfristigen Finanzierungen zu vergrößern. Die europäischen Anleihemärkte sind weniger entwickelt als die der USA und gelten für die meisten Unternehmen mit mittlerer Marktkapitalisierung (Mid Caps) und KMU als unerreichbar. Selbst die Einführung von Projektanleihen wurde von den Ratingagenturen mit verhaltener Zustimmung aufgenommen. Dies veranschaulicht den steinigen Weg bei der Ausweitung der Kapazitäten des Anleihemarkts. Wenn Initiativen wie Projektanleihen, die bis zu 4,6 Mrd. EUR für neue Infrastrukturprojekte aufbringen könnten, den Markt für anleihebasierte Finanzierung erfolgreich ausweiten, sollten sie nach Ende und Auswertung der Testphase intensiviert werden.

3.3   Maßnahmen zur Förderung langfristigen Sparens und langfristiger Investitionen

3.3.1

Die Faktoren, die langfristiges Sparen und Finanzieren beeinflussen, werden eingehend bewertet. Auf der Angebotsseite ist noch viel zu tun, wenngleich einige Mitgliedstaaten Anstrengungen zur Ausweitung langfristiger Sparmöglichkeiten unternommen haben. Im Grünbuch wird die Schaffung von Instrumenten auf EU-Ebene vorgeschlagen, mit denen langfristige Ersparnisse mobilisiert werden sollen, die mit weiterreichenden gesellschaftlichen Zielen verknüpft werden. Diese Idee könnte im Zusammenhang des Ausbaus grenzüberschreitender Infrastrukturen von Vorteil sein. Damit könnte auch die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt und eine Planung der Altersvorsorge im Binnenmarkt gefördert werden. Es könnte notwendig sein, neue Sparprodukte mit Prämiensätzen oder abgestuften Zinssätzen anzubieten, um längerfristiges Sparen zu fördern.

3.3.2

Besteuerung. Das Verhältnis zwischen Besteuerung, langfristigen Geldanlagen und langfristigen Finanzierungen wird ziemlich gründlich untersucht. Die Anwendung der Körperschaftsteuer auf Investitionen führt tendenziell dazu, dass schuldenbasierte Finanzierung gegenüber der Finanzierung mit Eigenkapital bevorzugt wird. Bei der Suche nach passenden Reformen zur Förderung verstärkter Finanzierung längerfristiger Investitionen durch Eigenkapital könnte über ein System degressiver Steuererleichterungen nachgedacht werden. Solche Systeme finden bei der Besteuerung von Kapitalerträgen breite Anwendung, und sie könnten so konzipiert werden, dass die gegenwärtigen Vorteile der Schuldenfinanzierung kompensiert werden.

3.3.3

Mit Blick auf langfristige Ersparnisse und Besteuerung stellt die Kommission fest, dass die Bildung stabiler, angemessener Ersparnisse gewährleistet werden muss, wofür entsprechende Anreize notwendig sind. Einige Mitgliedstaaten waren bei der Förderung des Sparens für die Altersvorsorge und anderer Sparmodelle durch geschickte steuerliche Möglichkeiten relativ erfolgreich. Die Bürger sträuben sich tendenziell gegen die Aussicht auf das Zahlen von Steuern auf das von ihnen erwirtschaftete Einkommen und das Zahlen weiterer Steuern auf langfristige Ersparnisse aus diesem Einkommen nach Steuern. Es sollte möglich sein, marktgängige und niedrig oder gar nicht besteuerte persönliche Sparprodukte mit angemessenen jährlichen Beschränkungen zu konzipieren, um die langfristige Finanzplanung zu fördern.

3.3.4

Der Rückgriff auf Steueranreize, um die erwünschten langfristigen Finanzierungen zu erhalten, ist nicht ohne Nachteile. Als problematisch könnten sich Mitnahmeeffekte und Arbitragemöglichkeiten erweisen. Gleichwohl sind steuerliche Anreize im Rahmen einer konsistenten und stabilen längerfristigen Planung notwendig, um das gewünschte Investitionsniveau anzuregen und zu halten.

3.3.5

Corporate Governance. Kurzfristiges Denken ist der Knackpunkt bei der Bereitstellung langfristiger Finanzierungen, und es ist eng mit Corporate Governance verknüpft. Bislang fördern zahlreiche Anreize für Fondsverwalter, Investmentbanker und Geschäftsführer von ihrer Natur her tendenziell kurzfristiges Denken. Die Umstellung dieser Anreize im Sinne einer stärkeren Förderung langfristiger Leistungsfähigkeit wird nicht einfach sein. Das Grünbuch enthält eine Reihe interessanter Empfehlungen, u.a. bezüglich der Ausweitung der Stimmrechte und Erhöhung der Dividenden für langfristige Investoren sowie Veränderungen bei der Richtlinie über Aktionärsrechte. Vielleicht könnte ein proaktiverer Einsatz von Erleichterungen bei der Kapitalertragsteuer ein Mittel zur Anregung längerfristiger Beteiligungen seitens der Fondsverwalter sein.

3.4   Erleichterung des Zugangs von KMU zu Bankkrediten und Nichtbankenfinanzierungen

3.4.1

Im Grünbuch wird konstatiert, dass KMU in vielen Mitgliedstaaten zunehmend Schwierigkeiten beim Zugang zu Finanzierungen haben, dank derer sie überleben und wachsen können. Abgesehen von den Auswirkungen der Verringerung des Fremdkapitalanteils der Banken sehen sich KMU mit einem fragmentierten und unübersichtlichen Mix alternativer Finanzierungsquellen konfrontiert. Lokale Banken haben weitgehend die Verbindungen zu ihrer Ursprungsregion verloren oder gelockert. Die Verbindungen zwischen den Banken und den KMU wurden geschwächt und müssen neu geknüpft bzw. verstärkt werden. Es wurden verschiedene Initiativen zur Erschließung von Nichtbankenkanälen für Darlehen für KMU ergriffen, wie z.B. der Zugang zu einigen Risikokapitalfonds und der Rückgriff auf Anlagenfinanzierung (2), "Supply-Chain"-Finanzierung und "Crowdfunding" (Schwarmfinanzierung). Hier muss noch viel mehr getan werden. Die Versicherungswirtschaft und Pensionsfonds sind gewillt, eine wichtigere Rolle zu spielen, benötigen aber angemessene Anreize. Diese Frage sollte nun von der Kommission angegangen werden. Bei künftigen Maßnahmen zur Erleichterung des Zugangs von KMU zu längerfristigen Finanzierungen sollte sichergestellt werden, dass diese auch in den Genuss dieser Maßnahmen in der geplanten Form kommen können – ohne übermäßige zusätzliche Bedingungen seitens der Banken, wenn diese Maßnahmen über Bankenkanäle abgewickelt werden.

3.4.2

Risikokapital. Die Kommission schlägt den Ansatz eines "Dachfonds" vor, um für Risikokapitalfinanzierung eine kritische Masse zu bilden. Außerdem könnte der vorgeschlagene Garantiefonds für institutionelle Anleger für eine Ausweitung dieses Markts sorgen. Der EWSA hat bereits vorgeschlagen, die Rolle des Europäischen Investitionsfonds (EIF) zu stärken und von der Darlehensvergabe auch auf die Bereitstellung von Risikokapital auszuweiten (3). Dies wurde auch ursprünglich bei seiner Gründung im Jahr 1994 angestrebt. Würde der EIF analog zur Europäischen Investitionsbank (EIB) angemessen rekapitalisiert, könnte er zu einer der wichtigsten Quellen von Risikokapital für KMU werden.

3.4.2.1

Hand in Hand mit der Ausweitung der Risikokapitalfinanzierung für KMU geht der Ausbau bestehender oder die Schaffung neuer Handelsplattformen für die Eigenkapitalfinanzierung von KMU. Hierzu enthält das Grünbuch eine Reihe nützlicher Vorschläge. Da nationale und regionale Regierungen über ihre Regionalentwicklungsorgane bereits an der Förderung des Fortbestands und des langfristigen Wachstums von KMU beteiligt sind, gibt es schließlich gute Gründe, dass diese Organe beim Betrieb solcher KMU-Handelsplattformen mitwirken. Diese Rolle könnte von der Bewertung der Kreditwürdigkeit anfragender KMU zur Gewährung begrenzter Garantien für institutionelle Anleger reichen.

3.4.3

Der EWSA hätte ein stärkeres Eintreten des Grünbuchs für Investitionen in sozial verantwortliche Investmentfonds mittels Einführung spezifischer Finanz- und Steuerregelungen als auch des öffentlichen Beschaffungswesens als solches begrüßt. Diesbezüglich könnte es sinnvoll sein, eine Europäische Beobachtungsstelle für langfristige Finanzierungen einzurichten. Diese Einrichtung könnte mit aktiver Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft die Entwicklungen sowohl auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite bezüglich langfristiger Finanzierungen und Ersparnisse überwachen und dabei behilflich sein, einen angemessenen Fluss von Informationen sicherzustellen, damit die Wirtschaftsakteure fundierte langfristige Investitionsentscheidungen treffen können.

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Siehe z.B. COM(2009) 615 final.

(2)  Siehe z.B. "Funding for Lending Scheme" http://www.hm-treasury.gov.uk/ukecon_fundingforlending_index.htm.

(3)  ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über das Zollrisikomanagement und die Sicherheit der Lieferkette

COM(2012) 793 final

2013/C 327/04

Berichterstatter: Antonello PEZZINI

Die Europäische Kommission beschloss am 18. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über das Zollrisikomanagement und die Sicherheit der Lieferkette

COM(2012) 793 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 168 Stimmen gegen 1 Stimme folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Nach Ansicht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) ist ein gemeinsames Konzept für das Zollrisikomanagement und die Sicherheit der Lieferkette von zentraler Bedeutung für die Gewährleistung einer einheitlichen und diskriminierungsfreien Anwendung des EU-Rechts durch die zuständigen Behörden im gesamten Gebiet der Zollunion, die gemäß Artikel 3 AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union fällt.

1.2

Der EWSA unterstützt ausdrücklich die Vorschläge der Kommission, die darauf gerichtet sind, mittels einer gemeinsamen Strategie mit geeigneten IT-Systemen für ein EU-Zollrisikomanagement ein wirksameres und effizienteres Risikomanagement der die EU-Grenzen passierenden Warenbewegungen zu gewährleisten.

1.3

Der EWSA stellt mit großer Besorgnis fest, dass es in der Zollunion (die auf die Römischen Verträge von 1957 zurückgeht und 1968 verwirklicht wurde und die basiert auf der gemeinsamen Politik zur Gewährleistung einer einheitlichen Handelszone mit Freizügigkeit und freiem Warenverkehr sowie einer einheitlichen Anlaufstelle für die Zollformalitäten aller Handelspartner auf der Grundlage der Gleichbehandlung) immer noch unterschiedliche Leitlinien und Anwendungsmodalitäten gibt, die ein wirksames und effizientes Zollrisikomanagement verhindern und dadurch die Handelsströme und den freien Warenverkehr innerhalb der EU verlangsamen.

1.4

Der EWSA hält es für wesentlich, die Zollkapazitäten überall in der EU zu verbessern, um ein hochwertiges Risikomanagement in der gesamten Zollunion zu gewährleisten, konkret im Hinblick auf die einheitliche Anwendung von Definitionen, Einstufungen und die Datenerfassung und -übermittlung an die EU-Datenbank nach eindeutigen gemeinsamen Kriterien, die nach einem einheitlichen System der Qualitätskontrolle überprüft und mit entsprechenden Sanktionen bei Verstößen durchgesetzt werden.

1.5

Der EWSA empfiehlt die Entwicklung gemeinsamer technischer Normen für die homogene Umsetzung eines hochwertigen Risikomanagements an sämtlichen Außengrenzen der EU, flankiert durch Anstrengungen der Union für eine optimale Ausbildung der entsprechenden Fachkräfte unter Berücksichtigung der Unterschiede in den Aufgaben, die sich aus der Vielfalt der Situationen in den einzelnen Mitgliedstaaten ergibt.

1.6

Der EWSA fordert nachdrücklich, die volle Interoperabilität zwischen den verschiedenen bestehenden Datenbanken im europäischen Marktaufsichtssystem zu gewährleisten, was auf der Grundlage einer gemeinsamen Strategie und durch deutliche Unterstützung der EU-Programme für die technologische Entwicklung geschehen sollte, sodass die gemeinsame Nutzung der Daten durch die verschiedenen Behörden auf unterschiedlichen Ebenen in Echtzeit sichergestellt und damit auch ein Beitrag zur Bekämpfung möglicher Risiken des Hygiene-, Umwelt- und Sozialdumpings geleistet wird.

1.7

Der EWSA fordert verstärkte Maßnahmen der EU zur Entwicklung qualifizierter Humanressourcen und zur Stärkung der Managementkapazitäten, u.a. durch den Ausgleich der Unterschiede bei der Verteilung der Kontrolllasten und die Schaffung einer gemeinsamen zentralen Zolleinheit, die auf Anfrage bei Notlagen Soforthilfe leistet.

1.8

Nach Ansicht des EWSA sollte im Hinblick auf eine optimale Zusammenarbeit beim Risikomanagement die Partnerschaft zwischen den Zollbehörden, den Transportunternehmen und den zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten in ihrem Status und Nutzen dadurch gestärkt werden, dass die Daten ohne unnötigen bürokratischen Mehrfachaufwand direkt in eine einheitliche Datenbanklösung übermittelt werden.

1.9

Der EWSA fordert die Umsetzung eines reformierten Verwaltungssystems, dem sämtliche einzelstaatlichen und EU-Behörden sowie die Agenturen und Frühwarn- und Meldesysteme auf europäischer Ebene angehören, um eine besser strukturierte und systematischere Zusammenarbeit zwischen dem Zoll und den anderen auf den Binnenmarkt tätigen Behörden zu gewährleisten.

1.10

Der EWSA fordert die Umsetzung des im mehrjährigen Aktionsplan zur Marktüberwachung festgelegten Maßnahmenpakets in schlüssiger und abgestimmter Weise, um Mehrfachkontrollen, Unterschiede bei den angelegten Kriterien, die Mehrfachanforderung der gleichen Daten, unterschiedliche Sichtweisen der verschiedenen für die Marktaufsicht zuständigen Kontrollbehörden und mangelnde Interoperabilität zu vermeiden.

2.   Einleitung

2.1

Die Zollunion fällt nach Artikel 3 AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union.

2.2

Bereits im Jahr 2004 hatte der EWSA die Tatsache herausgestellt, dass "hinsichtlich des strategischen Konzepts in Bezug auf die Zolldienste eine neue Ausrichtung gewählt wurde, indem seit kurzem der Durchführung der gemeinsamen Zollpolitik an einer Reihe neuer Außengrenzen nach der Erweiterung der Union zusätzliches, berechtigtes Gewicht beigemessen wird. Er ist sich auch des veränderten Umfelds bewusst, das durch die gestiegenen Erwartungen an Sicherheitsverfahren entstanden ist, insbesondere im Hinblick auf die Erfahrungen der USA, um die Bürger der Union zu schützen" (1).

2.3

Die Zollunion ist bezüglich ihrer Funktionsweise durch die unterschiedliche Anwendung der EU-Rechtsvorschriften mit großen Problemen konfrontiert, die ihre Gesamteffektivität beeinträchtigen könnten, was zu Ineffizienz, Verschwendung und Diskrepanzen zwischen dem Bedarf und den verfügbaren Ressourcen führt. Der EWSA forderte in diesem Zusammenhang "eine gemeinsame Zollpolitik, die auf einheitlichen, aktualisierten, transparenten, effizienten und vereinfachten Verfahren basiert und zur Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der EU auf internationaler Ebene beiträgt […]" (2).

2.4

Die Zollunion ist der operative Arm für die meisten handelspolitischen Maßnahmen der EU und setzt zahlreiche internationale, die Handelsströme der EU betreffende Übereinkommen um. Sie entwickelt dazu über die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten wichtige horizontale Verfahren in den Bereichen Datenverwaltung, Verwaltung der Wirtschaftsbeteiligten und "Risikomanagement einschließlich Ermittlung, Beurteilung, Analyse und Entschärfung der zahllosen verschiedenen Risikoarten und Risikostufen im Zusammenhang mit dem internationalen Warenaustausch" (3).

2.5

Die Einführung eines gemeinsamen Ansatzes für ein integriertes Risikomanagement an den Ein- und Ausfuhrpunkten sollte zu folgenden Zielen beitragen:

bessere Zuweisung der Human- und Finanzressourcen durch eine angemessene Bündelung;

vollständige und einheitliche Anwendung der Zollvorschriften der EU;

integriertes System der Zusammenarbeit zwischen Behörden, Wirtschaftsbeteiligten und Transportunternehmen;

Vereinfachung der Formalitäten und Verringerung des Zeit- und Kostenaufwands für die Transaktionen.

3.   Rolle der Zollbehörden für die Sicherheit

3.1

Wie im Ende 2012 vorgelegten Bericht der Kommission zur Lage der Zollunion festgestellt wird, ist "der Zoll […] die einzige Behörde, die einen vollständigen Überblick über und die volle Verantwortung für die Kontrolle sämtlicher Waren hat, die die Außengrenzen der EU passieren und ungehindert innerhalb des gesamten Zollgebiets der EU befördert werden können, sobald sie zollseitig in einem der Mitgliedstaaten in den freien Verkehr übergeführt worden sind" (4).

3.2

Aufgrund dieser besonderen Situation sind die Zollbehörden der Union in erster Linie dafür zuständig, den internationalen Handel der EU zu überwachen und dadurch zur Umsetzung der externen Aspekte des Binnenmarkts, der gemeinsamen Handelspolitik und der anderen Politiken der Europäischen Union in handelsrelevanten Bereichen sowie zur Sicherheit der Lieferkette insgesamt beizutragen.

3.3

Der EWSA hat betont, dass "eine effiziente Zollunion für den europäischen Integrationsprozess unabdingbar ist, insofern als sie einen wirksamen, sicheren und transparenten freien Warenverkehr gewährleistet und gleichzeitig den bestmöglichen Schutz der Verbraucher und der Umwelt und eine wirksame Betrugs- und Fälschungsbekämpfung in der gesamten Europäischen Union sicherstellt" (5) und hat eine gemeinsame Zollpolitik empfohlen, die auf einheitlichen, aktualisierten, transparenten, effizienten und vereinfachten Verfahren basiert.

3.4

Die Funktionsweise der Zollunion basiert zwar auf gemeinsamen Rechtsvorschriften und einer gemeinsamen Politik, ist in der Praxis jedoch komplex und wird innerhalb der EU nach wie vor von 27 verschiedenen Verwaltungen umgesetzt, die dazu auf einen Mix personeller, technischer und finanzieller Ressourcen der verschiedenen Ebenen zurückgreifen. Dies gilt sowohl für die Zollabfertigung und -kontrolle als auch für die Verwaltung und Verarbeitung von Daten, Wirtschaftsbeteiligten, das Management der Risiken im Zusammenhang mit dem internationalen Warenverkehr und die Sicherheit der Lieferkette.

3.5

Der EWSA betont, dass die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Anwendung der Zollvorschriften nicht in ein Korsett gezwungen werden dürfen, damit sie auch in Zukunft der gesamten Bandbreite der Warenströme Rechnung tragen können. In diesem Zusammenhang stellt der EWSA fest, dass die Mitgliedstaaten zahlreiche neue Vorkehrungen getroffen haben, um den Handel zu erleichtern: Dematerialisierung der Formalitäten, vereinfachte Verfahren, Einführung des Status "zugelassener Beteiligter".

3.6

Einer Harmonisierung muss auf jeden Fall auf den besten Vorgehensweisen und nicht etwa auf dem europäischen Durchschnittsniveau basieren.

3.7

Will man die Kosten rationalisieren, die Arbeiten ergebnisorientiert gestalten, und zwar auch unter dem finanziellen Gesichtspunkt der Einnahmen, und greifbare Fortschritte erreichen, sollte nach Ansicht des EWSA die Zollkontrolle nicht so sehr von einer an einzelnen Transaktionen ausgerichteten Methodologie geprägt sein, sondern vielmehr durch einen systemischen Ansatz (systems-based approach) auf der Grundlage einer Risikoabschätzung.

4.   Risikomanagement der Lieferkette

4.1

Vor dem Hintergrund ständig wachsender Handelsströme und neuer und zunehmend komplexer und immer schnellerer Geschäftsmodelle kommt die Zollunion bezüglich ihrer praktischen Funktionsweise infolge der rasch wachsenden Zahl an Aufgaben und der Erwartungen der Beteiligten zunehmend unter Druck. Die Modernisierung der praktischen Aufgaben in einem elektronischen Zollumfeld setzt voraus:

die europaweite Anwendung neuer Verfahren,

mehr Investitionen in Informationstechnologie,

neue Qualifikationen für das Personal.

4.2

Für die Herausbildung wirksamer gemeinsamer Strategien der Analyse, Kontrolle und des Risikomanagements ist ein grundsätzliches Umdenken in allen beteiligten Verwaltungen hin zu gemeinsamen strategischen Zielen und Methoden erforderlich; dies sollte im Rahmen eines gemeinsamen Risikomanagements mit anderen Behörden und Partnern auf internationaler Ebene, insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit und Umwelt, geschehen.

4.3

Für ein effizienteres Risikomanagements bedarf es insbesondere einer engeren Zusammenarbeit zwischen Zollbehörden und Marktaufsichtsbehörden in den Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene, weil sonst eine Festlegung gemeinsamer Risikokriterien und spezifischer Risikoprofile kaum möglich wäre.

4.4

Bei der Einführung eines gemeinsamen Ansatzes für das Risikomanagement an den Ein- und Ausfuhrpunkten muss berücksichtigt werden, dass den Zollverwaltungen derzeit in über 60 Rechtsvorschriften (6) Kontrollbefugnisse übertragen werden, während die Aufsichtsbehörden für ganze Reihe zusammenhängender Verfahren zuständig sind (Inspektionen, Stichproben, Laboruntersuchungen, Ergebnisauswertung, Risikoeinschätzung, Korrekturmaßnahmen und Verhängung von Sanktionen zur Verbesserung der Sicherheit der im Verkehr befindlichen Erzeugnisse), wie das in den Binnenmarktakten I (7) und II (8) vorgesehen ist.

4.5

Für die Methoden der Risikobewertung sollte es eine gemeinsame, systemisch angelegte Plattform geben, in deren Rahmen die Zollbehörden und die Marktaufsichtsbehörden auf verschiedenen Ebenen - auch über die Gruppen der Verwaltungszusammenarbeit - kooperieren und die Erfahrungen mit den in unterschiedlichen Bereichen funktionierenden Datenbanken genutzt werden können.

4.6

Der Zoll und die Marktaufsichtsbehörden sollten ihre Ressourcen und ihr Fachwissen bündeln, um "KMU-freundliche Methoden anwenden" können (9), auch durch die Umsetzung von Leitlinien durch beide Behörden, wobei es die Abstimmung aufeinander und die Zusammenarbeit, den Informationsaustausch und gemeinsame Maßnahmen zu stärken gilt, um ein zielgerichtetes Risikomanagement für Speditionen mit erhöhten Sicherheitsrisiko vornehmen zu können.

5.   Bedeutung der Partnerschaft zwischen Zoll, Handel und Transportunternehmen

5.1

Die Partnerschaft zwischen den Zollbehörden, den Akteuren des Handels und den Transportunternehmen ist von grundlegender Bedeutung im Hinblick auf den Schutz der Integrität der Lieferkette, was für die Bürgerinnen und Bürger, die Geschäftswelt und den Staat von Interesse ist.

5.2

Diese Partnerschaft muss auf einem tragfähigen Fundament gegenseitigen Vertrauens aufbauen, wozu u.a. folgende Faktoren gehören:

Vereinheitlichung der allgemeinen Pflichten der Wirtschaftsakteure, um für Hersteller, Importeure und Händler klare Bestimmungen über Produktsicherheit und Haftung zu gewährleisten, mit umfassenden Maßnahmen für eine sichere Lieferkette;

Übermittlung von kodierten Qualitätsdaten durch die Wirtschaftsbeteiligten an alle für das Risikomanagement zuständigen Behörden, u.a. Bestimmung und Rückverfolgbarkeit der Waren und der an den Transaktionen tatsächlich Beteiligten;

Gewährleistung der Gleichbehandlung aller Wirtschaftsbeteiligten hinsichtlich des Risikomanagements in der gesamten EU und an jedem Punkt ihrer Außengrenzen durch Vermeidung von Unterschieden bei der Behandlung;

engere Zusammenarbeit mit den Unternehmen des grenzüberschreitenden Warentransports;

Eindämmung der Verwaltungslasten, Formalitäten und der Bürokratie für die Wirtschaftsbeteiligten, insbesondere wenn es sich um KMU handelt.

5.3

Die Verringerung tiefgreifender Kontrollen ist bereits Bestandteil des überarbeiteten Kyoto-Übereinkommens zur Vereinfachung und Harmonisierung der Zollverfahren der Weltzollorganisation (WZO) (10) und zudem auch Gegenstand der WTO-Verhandlungen über Handelserleichterungen (11), ungeachtet der Tatsache, dass es insbesondere nach den Ereignissen vom 11. September 2001 die Versuchung gab, die systematischen Kontrollen weiter auszubauen.

5.4

Es gilt, die uneinheitlichen und zusammenhanglosen Informationsflüsse zu verbessern und die Schwierigkeiten aufgrund der unterschiedlichen Risikomanagementkapazitäten der einzelnen Mitgliedstaaten zu überwinden, um ein einheitliches Niveau des Risikomanagements und der elektronischen Risikoanalyse zu gewährleisten: Grundlage dafür bleibt eine gemeinsame europäische Kultur des Risikomanagements und der Sicherheit der Lieferkette.

6.   Neue Technologien: Interoperabilität der Systeme und Informationsaustausch

6.1

Die mehrjährigen FuE-Programme der Europäischen Union, insbesondere das siebente Rahmenprogramm, aber auch IDABC (12) und ISA (13) für interoperable öffentliche Verwaltungsdienste, haben die Grundlagen für die Entwicklung verschiedener gemeinsamer Vorhaben auf dem Gebiet des Risikomanagements gelegt und neue Instrumente geschaffen, mit denen die nationalen Verfahren und Domänen in der Computertechnik und bei den von Land zu Land sehr unterschiedlichen Anwendungen überwunden werden können.

6.2

Innovation und FuE müssen unbedingt EU-weit koordiniert werden, damit die Technologien rasch einsatzfähig und vermarktbar sind. Vor allem Projekte zur Erbringung von Machbarkeitsnachweisen und Pilotanlagen für die Herstellung sind Grundvoraussetzungen dafür, dass Technologien in industriellem Maßstab Anwendung finden. Durch öffentlich-private Partnerschaften können die Mittel für derartige Initiativen aus den Strukturfonds oder im Rahmen von Horizont 2020 und mit Hilfe anderer EU-Programme aufgebracht werden.

7.   Strukturierte und systematische Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen Zoll und anderen Behörden

7.1

Der EWSA hat erst unlängst darauf hingewiesen, dass "eine engere Zusammenarbeit zwischen den Zollverwaltungen, den Marktüberwachungsstellen, den Dienststellen der Kommission und den europäischen Agenturen erforderlich [ist], um eine bessere Kontrolle der Qualität der die Grenze überschreitenden Güter zu gewährleisten" (14), wofür geeignete Informationen und gemeinsame Weiterbildungsmaßnahmen erforderlich sind.

7.2

Nach Ansicht der Kommission müssen "Kapazitäten und Ressourcen der Mitgliedstaaten […] auf EU-Ebene besser gebündelt werden, damit die Ziele des EU-Risikomanagements an allen Stellen der Außengrenze wirksamer erreicht werden können", u.a. durch den "den Echtzeit-Einsatz eines elektronischen Risikoanalyseinstruments", um die Kapazitäten auf EU-Ebene zu stärken.

7.3

Nach Ansicht des EWSA ist die Frage der Zusammenarbeit und Abstimmung beim Risikomanagement einer der wichtigsten Punkte des Kommissionsvorschlags, nicht nur im Hinblick auf die systematische Koordinierung der Behörden der Mitgliedstaaten, sondern auch auf die Abstimmung unmittelbar auf EU-Ebene zwischen den verschiedenen Generaldirektionen und Agenturen.

8.   Allgemeine Bemerkungen

8.1

Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission, die darauf abzielt, mittels einer gemeinsamen Strategie auf mehreren Ebenen ein wirksames und effizientes Risikomanagement der die EU-Grenzen passierenden Warenbewegungen zu gewährleisten, um Art und Stufe des Risikos und die möglichen Antworten zu ermitteln, und dies innerhalb einer europäischen Struktur für die behördenübergreifende Koordinierung mit einem einheitlichen Ansatz und nach vorab festgelegten gemeinsamen Kriterien zu erreichen.

8.2

Der EWSA ist überzeugt von der Notwendigkeit einer zentralen elektronischen Zollabfertigung, wobei die Kommission mit entsprechenden IT-Systemen für ein EU-Zollrisikomanagement auszustatten ist. Grundlage dafür ist ein Netz interoperabler Datenbanken und die systematische Anwendung standardisierter Arbeitsmethoden, die den Schutz der Verbraucher und Unternehmen vor den Risiken eines Hygiene-, Umwelt- und Sozialdumpings gewährleisten.

8.3

Der EWSA hält es für wesentlich, die Zollkapazitäten zu verbessern, um überall im EU-Gebiet ein gleichwertiges Risikomanagement zu gewährleisten, bei dem eindeutige gemeinsame Kriterien zur Anwendung kommen, deren Einhaltung nach einem einheitlichen System zur Qualitätskontrolle überprüft und mit entsprechenden Sanktionen bei Verstößen durchgesetzt wird.

8.4

Nach Ansicht des EWSA sollte diese Frage im Rahmen des mehrjährigen Aktionsplans zur Marktüberwachung  (15) und der darin festgelegten 20 Maßnahmen, die bis 2015 umzusetzen sind, angegangen werden, und zwar mit folgenden Schwerpunkten:

Unterstützung bei der Umsetzung der Leitlinien durch die Zoll- und Marktüberwachungsbehörden in den Mitgliedstaaten (Maßnahme 17);

effizientere Gestaltung der an den Grenzen durchgeführten Sicherheits- und Konformitätskontrollen (Maßnahme 18);

Dokumentierung der unterschiedlichen Praktiken bei Kontrollen von Sicherheit und Konformität von in die Union gelangenden Produkten (Maßnahme 19);

Erarbeitung eines einheitlichen Konzepts für das Risikomanagement bei Produktsicherheits- und Konformitätskontrollen des Zolls (Maßnahme 20).

8.5

Nach Ansicht des EWSA dürfen das Zollkontrollmanagement und die Steuerung der Marktaufsicht nicht voneinander getrennt umgesetzt werden. Auch die Festlegung eines gemeinsamen Konzepts auf europäischer Ebene ist eine Aufgabe, die, zusammen mit der vollen Interoperabilität der vernetzten Instrumente für die Analyse und die Datenerfassung und –verarbeitung, von den verschiedenen beteiligten Behörden gemeinsam angegangen werden muss.

8.6

Der EWSA spricht sich für ein System zur Förderung besserer Risikomanagementkapazitäten der einzelnen Mitgliedstaaten aus, um einheitliche Qualitätsstandards und ein EU-weites Verfahren zur Überprüfung, Kontrolle, Aufsicht und ggf. für Sanktionen zu gewährleisten. Dafür erforderlich sind auch größere Anstrengungen der Union bei der Schulung der spezialisierten Fach- und Führungskräfte, die insbesondere dort gebraucht werden, wo die Belastung und die Kosten höher sind, zum Beispiel an den Grenzen des Schengen-Raums.

8.7

Der EWSA fordert in diesem Zusammenhang verstärkte Maßnahmen der EU zur Entwicklung qualifizierter Humanressourcen und zur Stärkung der Managementkapazitäten, u.a. die Schaffung einer gemeinsamen zentralen Zolleinheit, die auf Anfrage bei Notlagen Soforthilfe leistet.

8.8

Zur Gewährleistung klarer und kohärenter gemeinsamer Vorschriften im gesamten Binnenmarkt, für vergleichbare Sicherheitsstufen, fordert der EWSA nachdrücklich eine engere Zusammenarbeit und den Informationsaustausch (nach hohen gemeinsamen Standards) zwischen den Zollverwaltungen, den Marktüberwachungsstellen, den Dienstellen der Kommission und den europäischen Agenturen, um eine bessere Kontrolle der Qualität der die Grenze passierenden Güter zu gewährleisten.

8.9

Der EWSA schließt sich den Schlussfolgerungen des Rates zu den Fortschritten bei der Strategie für die weitere Entwicklung der Zollunion (16) an, wonach es gilt, die Governance der Zollunion zu verbessern, die Fähigkeit der Zollunion zu stärken, ihre Auswirkungen zu messen, die einheitliche Anwendung der Zollvorschriften zu fördern, die Zusammenarbeit mit anderen Agenturen zu verbessern und vor allem "sich ein umfassenderes Konzept der internationalen Lieferkette zu eigen zu machen", das den Handel fördert und "den zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten echte und spürbare Vorteile verschafft".

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 110 vom 30.4.2004, S. 72.

(2)  ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 68.

(3)  COM(2012) 791 final.

(4)  COM(2012) 791 final.

(5)  ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 68.

(6)  Anhang 2 der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen "Impact Assessment of an action programme for customs and taxation in the European Union for the period 2014-2020 (FISCUS)" - SEC(2011) 1317 final.

(7)  COM(2011) 206 final.

(8)  COM(2012) 573 final.

(9)  COM(2013) 76 final, Maßnahme 9.

(10)  WZO 2003.

(11)  Art. VIII des GATT-Übereinkommens zur Verringerung der notwendigen Formalitäten für Importeure und Exporteure.

(12)  Interoperable Erbringung europaweiter elektronischer Behördendienste (eGovernment-Dienste) für öffentliche Verwaltungen, Unternehmen und Bürger (IDABC). Das IDABC-Programm trägt zur i2010-Initiative der Modernisierung des europäischen öffentlichen Sektors bei.

(13)  Interoperabilitätslösungen für europäische öffentliche Verwaltungen 2010-15 (ISA).

(14)  ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 68.

(15)  COM(2013) 76 final.

(16)  ABl. C 80 vom 19.3.2013, S. 11.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein europäischer Aktionsplan für den Einzelhandel

COM(2013) 36 final

2013/C 327/05

Berichterstatterin: Daniela RONDINELLI

Die Europäische Kommission beschloss am 18. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein europäischer Aktionsplan für den Einzelhandel

COM(2013) 36.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 174 Stimmen gegen 1 Stimme bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt den ganzheitlichen Ansatz des Aktionsplans und hat bereits zu mehreren der 11 vorgeschlagenen Maßnahmen Stellung genommen, deren Umsetzung jedoch Zeit und verschiedene Unterstützungsmaßnahmen – auch finanzieller Art – erfordern.

1.2

Nach Ansicht des EWSA besteht die Gefahr, dass einige Maßnahmen des Aktionsplans nicht berücksichtigt werden bzw. nicht vollständig realisierbar sind, da den Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den Sektor – insbesondere in den von den Sparmaßnahmen am stärksten betroffenen Ländern – nicht Rechnung getragen wird.

1.3

Es wird empfohlen, bei der Umsetzung des Plans die unterschiedlichen Formen von KMU und Mikrounternehmen zu berücksichtigen und stärker zur Geltung zu bringen.

1.4

Der EWSA begrüßt den Vorschlag, eine ständige Gruppe für Wettbewerbsfähigkeit im Einzelhandel einzurichten, und spricht sich dafür aus, dass die europäischen Sozialpartner, die Vertreter der Verbraucherverbände und der KMU dieser Gruppe angehören.

1.5

Der EWSA empfiehlt, den Verbrauchern wesentliche relevante und wahrheitsgemäße Informationen nicht nur zur Verfügung zu stellen, sondern dafür zu sorgen, dass die Verbraucher sie auch wirklich zur Kenntnis nehmen, indem sie knapp und leicht verständlich (ohne technische oder rechtliche Begriffe) präsentiert werden.

1.6

Die Mitgliedstaaten sollten dazu angehalten werden, festzulegen, welche Formen des Einzelhandels gemäß der Dienstleistungsrichtlinie von allgemeinem (sozialem und kulturellem) Interesse sein können.

1.7

Nach Ansicht des EWSA müssen die Unternehmen zur Integration des bislang noch oftmals alternativ zueinander stehenden elektronischen und herkömmlichen Handels bewegt werden, wodurch auch die Probleme der Ladenöffnungszeiten gelöst werden können.

1.8

Die übermäßige Konzentration des kommerziellen Vertriebs wirft verschiedene Probleme auf: So ist es objektiv betrachtet schwierig, für echten Wettbewerb zu sorgen.

1.9

Der EWSA schlägt vor, den Missbrauch des sogenannten transfer pricing, bei dem die Preise für Transaktionen innerhalb einer Unternehmensgruppe auf der Grundlage von Bewertungskriterien festgelegt werden, die an die Steuerlast der Gruppe gekoppelt sind, statt für die Bewertung die normalen Marktbedingungen anzusetzen, auf europäischer Ebene anzugehen, wie in seiner Stellungnahme vorgeschlagen (1).

1.10

Der EWSA empfiehlt, sich weiterhin für einen nachhaltigen Handel und für weniger Verschwendung einzusetzen, und dabei auch den Verkauf unverpackter Waren zu fördern, der umweltschädliche Verpackungen verringert.

1.11

Die Kommission muss die Innovationen und Veränderungen aktiv mit allen ihr zur Verfügung stehenden Instrumenten fortsetzen, denn der Wettbewerb ist Voraussetzung und nicht etwa Auslöser des Wandels.

1.12

Der EWSA hält es für grundlegend, dass das geforderte Berufsprofil und die Qualifikationen der Beschäftigten übereinstimmen und ist davon überzeugt, dass sich die Mitwirkung der Unternehmen nicht nur auf die Ausbildungsinhalte beschränken, sondern auch gezielte Investitionen umfassen sollte.

1.13

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen des European Skills Council for commerce (Europäischer Qualifikationsrat für den Handel) fordert der EWSA die Mitgliedstaaten auf, bilaterale Gremien der Sozialpartner zur Entwicklung der beruflichen Bildung einzurichten (Matching, Ausbildungspläne, Finanzierung, Ermittlung des Ausbildungsbedarfs, Umsetzung und Ausbildungsfeedback).

1.14

Der EWSA unterstützt die Kommissionsinitiative, einen Dialog mit sämtlichen Beteiligten einzuleiten, um auf EU-Ebene wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft und der Schwarzarbeit zu konzipieren. Ein diesbezüglich starker politischer Wille seitens der Mitgliedstaaten ist wünschenswert, den die Kommission im Zuge einer verstärkten Partnerschaft koordinieren könnte.

2.   Den Binnenmarkt im kommerziellen Handel verwirklichen

2.1

Zur Verwirklichung des Binnenmarktes im Handel wird in dem Aktionsplan im Rahmen der Europa-2020-Strategie ein Zeitplan mit fünf Prioritäten und 11 Maßnahmen vorgeschlagen, die bis 2014 umgesetzt werden sollen. Die Kommission wird die diesbezügliche Überwachung gewährleisten und 2015 einen Bericht über die erzielten Fortschritte vorlegen.

2.2

Der Handel spielt in der EU eine wesentliche Rolle bei der Wachstumsförderung, der Schaffung von Arbeitsplätzen sowie bei innovativen und nachhaltigeren Verbrauchsmodellen. Der Sektor steuert 11 % zum BIP und knapp 15 % zur Beschäftigung bei; dies entspricht 36 Mio. Beschäftigten in über 6 Mio. Unternehmen, d.h. 29 % aller Firmen, darunter ein hoher Prozentsatz an KMU und Mikrounternehmen.

2.3

In dem Aktionsplan wird verdeutlicht, dass der kommerzielle Vertrieb immer stärker mit den anderen Wirtschaftszweigen verknüpft ist und es immer schwieriger wird, diese voneinander zu trennen. Außerdem wird auch darauf hingewiesen, dass es immer noch Hindernisse gibt, die der Schaffung des Binnenmarktes für einen effizienten, wettbewerbsfähigen und integrierten Handel im Wege stehen. Es gilt daher, die Wettbewerbsfähigkeit und die Produktivität des Sektors zu steigern und seine ökonomischen, sozialen und ökologischen Ergebnisse zu verbessern, wobei den Unterschieden im Allgemeinen und der Lage der KMU und der Mikrounternehmen im Besonderen Rechnung zu tragen ist.

2.4

Der EWSA betont, dass viele im Handel tätige KMU trotz des Modernisierungsprozesses der Branche in den letzten 20 Jahren Konkurs anmelden mussten. Ursachen hierfür sind nicht nur der stärkere Preiswettbewerb und schwindende Gewinnmargen, sondern auch die Wirtschaftskrise, die zu einem erheblichen Konsumrückgang und zu einer geringeren Kaufneigung geführt hat.

2.5

Die Finanzkrise, die gestiegenen Rohstoffpreise, die Alterung der Bevölkerung, das Erfordernis größerer Nachhaltigkeit und die technologische Innovation (z.B. elektronische Bezahlung, Self Scanning) haben die Geschäftsprozesse und -modelle des organisierten Großhandels und der KMU tiefgreifend verändert.

2.6

Der EWSA begrüßt den Vorschlag, eine ständige Gruppe für Wettbewerbsfähigkeit im Einzelhandel (Mitgliedstaaten, Interessenträger, KMU) mit dem Ziel einzurichten, die Probleme des Sektors in den Mittelpunkt der politischen Debatte in Europa zu rücken, Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen, die bisherigen Erfolge zu überwachen und Empfehlungen auszusprechen. Der EWSA plädiert dafür, dass die europäischen Sozialpartner der Branche (UNI-Europa Commercio und Eurocommercio), die bis Ende der 80 er Jahre einen konstruktiven sozialen Dialog geführt haben, dieser Gruppe ebenso angehören wie Vertreter der Zivilgesellschaft, insbesondere Verbraucherverbände und KMU-Vertretungen.

2.7

Der EWSA empfiehlt der Kommission und den Mitgliedstaaten, auf der Grundlage von Verträgen mit klaren und ausgewogenen Garantien alle fairen und ausgewogenen Formen der Zusammenarbeit und Handelszusammenschlüsse zwischen unabhängigen Handelsunternehmen sowie zwischen diesen und großen Vertriebsunternehmen zu fördern und zu unterstützen.

3.   Stärkung der Verbraucher (Maßnahmen 1 und 2)

3.1

Rechte werden erst wirklich zu solchen, wenn sie bekannt sind und wahrgenommen werden. Information ist nicht gleich Kenntnis, welches das erste Recht der Verbraucher ist, damit sie ihre Kaufentscheidungen frei nach individuellem und kollektivem Interesse und Vorteilhaftigkeit treffen können. Heute basieren viele Kaufentscheidungen auf einer Vielzahl verfügbarer Informationen.

3.2

Eines der größten Probleme des Sektors besteht momentan in dem Marketing großer Einzelhandelsunternehmen, die nahezu ausschließlich auf den Verbraucherpreis fixiert sind und das Preis-Leistungsverhältnis außer Acht lassen. In vielen Mitgliedstaaten hat dies zu Qualitätseinbußen bei Lebensmitteln geführt, unter anderem auch deshalb, weil natürliche Inhaltsstoffe durch Ersatzstoffe ausgetauscht wurden. Hierdurch werden die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher eingeschränkt, die oftmals bereit wären, mehr für ein hochwertiges Produkt zu bezahlen, dieses jedoch nicht im Angebot finden können.

3.3

Wenn die Bürger die Produktmerkmale kennen, können sie bewusst einkaufen und darauf hinwirken, dass das Angebot hochwertiger, vielfältiger und dienstleistungsorientierter wird. Über mehr Informationen zu verfügen, heißt jedoch nicht zwangsläufig, eine größere Kenntnis zu haben. Oftmals trifft genau das Gegenteil zu: Angesichts der immensen Informationsflut entscheidet sich der Verbraucher häufig dazu, diese gar nicht zu lesen, weil er keine Zeit hat und die Informationen allzu fachlich und wenig verständlich formuliert sind.

3.4

Neben der Ausarbeitung von Leitlinien für bewährte Verfahren und Verhaltenskodizes (Maßnahme 1) (2) sollte die Kommission wirksame und verbindliche Instrumente vorsehen, damit die Hersteller und Einzelhandelsunternehmen die Verbraucher über alle jene Merkmale ihrer Produkte, Dienstleistungen und Preise unterrichten, die für andere soziale, ökologische, territoriale und ökonomische Zwecke von wesentlicher Bedeutung sind. Darüber hinaus sollten alle notwendigen Informationen kurz und leicht verständlich formuliert sein. Auf diese Weise können die Verbraucher frei entscheiden, ob sie das eine oder andere dieser Merkmale bevorzugen, und müssen sich hierbei nicht nur auf die Marketinginformationen stützen.

3.5

Das Angebotssystem gibt dem Verbraucher für seine Kaufentscheidungen nützliche Kenntnisse an die Hand, doch geht es dabei meistens um Aspekte des Produkts, die sich auf den Erwerb und die Nutzung in der ersten Zeit beziehen, d.h. der anfänglichen Kundenzufriedenheit wird mehr Bedeutung beigemessen als dem späteren Lebenszyklus' des Produkts (Grad der Recyclingfähigkeit der Verpackung, Leistungsdauer, Hilfe- und Umtauschmöglichkeiten, Wert zum Zeitpunkt des etwaigen Wiederverkaufs als gebrauchtes Erzeugnis, Kundendienst).

3.6

Die Kommission sollte nicht nur Methoden vorschlagen, mit denen sämtliche Auswirkungen von Produkten und Organisationen gemessen und kommuniziert werden können (Maßnahme 2) (3), sondern dem Verbraucher auch die Kenntnisse liefern, die er für seine Kaufentscheidungen (4) benötigt. Bei der Umsetzung der Maßnahme sollten daher klare Angaben zu folgenden Aspekten gemacht werden:

Grad der Recyclingfähigkeit der Produkte und ihrer Verpackungen;

Verpackungsmenge, die für das reine Verpacken unverzichtbar ist (Transportfähigkeit, nützliche Informationen, Schutz und Hygiene, Haltbarkeit im Nutzungszeitraum);

Grad der Vereinbarkeit der Produktions- und Vertriebskette mit den Produktions- und Umweltschutzbestimmungen und mit den Arbeitnehmerrechten;

Zugänglichkeit des Kundendienstes.

3.7

Der EWSA schlägt daher im Interesse eines besseres Verbraucherschutzes und der Unternehmen, insbesondere der KMU, eine wirksame und realistische Umsetzung dieser Maßnahme vor, damit diese sie umsetzen können.

4.   Besserer Zugang zu nachhaltigen und wettbewerbsfähigeren Dienstleistungen des Einzelhandels (Maßnahmen 3, 4 und 5)

4.1

In der Dienstleistungsrichtlinie werden unter dem Verbot bestimmter Erfordernisse "Planungserfordernisse, die keine wirtschaftlichen Ziele verfolgen, sondern zwingenden Gründen des Allgemeininteresses dienen," ausgeschlossen, und sie berührt daher "nicht das Recht der Mitgliedstaaten, im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht festzulegen, welche Leistungen sie als von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erachten." Unter den "zwingenden Gründen des Allgemeininteresses" werden in der Richtlinie ausdrücklich "die Erhaltung des nationalen historischen und künstlerischen Erbes" sowie "die Ziele der Sozialpolitik und Ziele der Kulturpolitik" genannt.

4.2

Bestimmte Formen des Einzelhandels sind charakteristisch für Kultur und Lebensstil einer Region. Diese Formen – und nur diese – müssen innerhalb eines Systems ähnlicher Unternehmen, das kontinuierlich auf Qualitäts- und Effizienzverbesserungen zugunsten der Verbraucher abzielt, miteinander konkurrieren können. Würden diese Handelsunternehmen dem Druck großer Organisationen ausgesetzt, würde dies zwar kurzfristig den Grundsätzen des freien Marktes entsprechen, langfristig jedoch ein Kulturerbe und Lebensstile zerstören, die nur schwer wieder zurückzugewinnen wären und die Bevölkerung und die jeweilige Region auch wirtschaftlich schwächen würden.

4.3

Durch den Wettbewerbsdruck mussten die Einzelhandelsbetriebe die Qualität ihrer Dienstleistungen und die Effizienz ihrer Produktion verbessern. Es ist unverzichtbar, dass die Kommission zwischen gesunder Konkurrenz zwischen ähnlichen Unternehmen, die auf kontinuierliche Qualitäts- und Effizienzverbesserungen zugunsten der Verbraucher abzielt, und anderen Formen von Wirtschaft- und Handelskonflikten zwischen Unternehmen unterscheidet.

4.4

Es ist daher wichtig, dass in einer Region eine gesunde Konkurrenz zwischen Branchenunternehmen – unabhängig von ihrer Größe – herrscht, nicht mit Blick auf eine etwaige Dominanz, sondern damit diese sich in einer positiven Dynamik gegenseitig stimulieren. Dies führt zu besseren Dienstleistungen, einem größeren Sortiment, besseren Strukturen, günstigeren Preisen und einer Identität der Bevölkerung vor Ort.

4.5

Wenn große Ketten das herkömmliche Geschäft dank ihrer wirtschaftlichen Stärke verdrängen können, ist dies eindeutig schädlich, da hierdurch das Kulturerbe und Lebensstile sowie das für die jeweilige Region und Bevölkerung typische lokale, territoriale, wirtschaftliche und soziale Gefüge zerstört wird, dessen Wert somit weit über bloße Sortiments- und Preisvorteile für den Verbraucher hinausreicht.

4.6

Hinsichtlich der Maßnahmen 3 und 4 sollte die Kommission im Einklang mit der Dienstleistungsrichtlinie die Mitgliedstaaten dazu anhalten zu bewerten, ob und welche Arten des Einzelhandels diese sozial- und kulturpolitischen Ziele erreichen können. Die Kommission sollte daher im Interesse der Allgemeinheit den traditionellen und selbständigen Einzelhandel dort fördern, wo er Ausdruck der Regionalität und ihrer Wesensmerkmale ist. Gleichwohl sollte natürlich vermieden werden, dass individuelle gebietsbezogene Interessen als allgemeine Interessen der Bevölkerung – etwa Umweltschutz und Stadtplanung – ausgegeben werden. Zu diesem Zweck sollte die Kommission in aller Deutlichkeit festlegen, welche Interessen als allgemeine Interessen eines Gebietes akzeptabel sind; so sollte sie gegebenenfalls jede Region bzw. jedes Gebiet auffordern, selbst eine Rangliste der drei vorrangigen Interessen aufzustellen, die bei der Prüfung neuer Handelsniederlassungen berücksichtigt werden müssen.

4.7

Der Online-Einzelhandel kann das Geschäft vor Ort nicht ersetzen, doch müssen beide Modelle Integrationsformen vor allem deshalb finden, weil der Einzelhandel eine grundlegende soziale Funktion erfüllt, die nicht auf die Versorgung mit günstigeren Waren und Dienstleistungen beschränkt ist.

4.8

Der EWSA fordert die Kommission auf, in Absprache mit den Mitgliedstaaten und in Zusammenarbeit mit KMU-Organisationen, in den KMU Fortbildungsmaßnahmen zur Integration der neben dem traditionellen Verkauf existierenden anderen Verkaufsformen zu fördern.

4.9

Das Entwicklungspotenzial des Online-Handels lässt sich nicht vorhersagen, da es davon abhängig ist, wie es von den Märkten und Einrichtungen geregelt wird. Die Kommission sollte jedwede Maßnahmen zur Aufwertung der vom Offline-Handel erbrachten Non-sale-Dienstleistungen (die nicht unmittelbar mit einem speziellen Erwerb zusammenhängen) einleiten und erleichtern.

4.10

Heute bieten die Geschäfte den Kunden viele kostenlose Dienstleistungen (zum Beispiel den Schaufensterbummel), deren Kosten durch die Verkaufsmarge gedeckt werden. Daher verhindern die Hersteller oftmals den Online-Einkauf und zwingen die Kunden zum Offline-Erwerb. Immer mehr Verbraucher haben jedoch mittlerweile ein gemischtes Kaufverhalten: Online vergleichen sie Produkte und Preise und offline fassen sie die Waren an und probieren sie aus. Der EWSA empfiehlt, diese online-offline-Konkurrenz zu überwinden und die Integration und Aufwertung der Dienstleistungen des traditionellen Handels zu fördern, da der physische Einkauf echte soziale Beziehungen schafft, die sich nicht in digitale Beziehungen verwandeln lassen.

4.11

Der EWSA weist darauf hin, dass in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Bestimmungen hinsichtlich der Ladenöffnungszeiten sowie der Sonntags- und Nachtarbeit gelten. Darüber hinaus stehen diese Bestimmungen in vielen Staaten unter Verweis auf die Konkurrenz zwischen unabhängigen Geschäften, KMU und Mikrounternehmen sowie auf die Auswirkungen für das Personal auf dem Prüfstand. Der EWSA fordert die Kommission auf, dieses Hindernis, das der Verwirklichung des Binnenmarktes und des europäischen Sozialmodells im Wege steht, auch im Zuge der Integration des Online- und Offline-Handels zu überwinden.

5.   Fairere Handelsbeziehungen entlang der Lieferkette im Einzelhandel (Maßnahme 5)  (5)

5.1

Nach Ansicht des EWSA ist die Handelsbranche einer der Sektoren mit der stärksten Konzentration. Tatsächlich wird der Markt in jedem Mitgliedstaat von drei bis fünf Unternehmen kontrolliert, bei denen es sich oftmals um multinationale Konzerne handelt. Dies ist in puncto Wettbewerbsfähigkeit äußerst problematisch, da die Branche allzu mächtig gegenüber den Lieferanten geworden ist, die weitaus zahlreicher sind.

6.   Aufbau einer nachhaltigeren Lieferkette im Einzelhandel (Maßnahmen 6 und 7)

6.1

Der EWSA begrüßt die Maßnahme 6 zur Unterstützung der Einzelhändler darin, Maßnahmen zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung (6) umzusetzen, und unterstützt den Beschluss, bis 2013 eine Mitteilung zum Thema nachhaltige Lebensmittel vorzulegen.

6.2

Der EWSA unterstützt die Kommissionsmaßnahme 7, die darauf abzielt, "die Lieferketten umweltfreundlicher und nachhaltiger zu gestalten", und zwar durch jegliche Methode zur Verringerung der verwendeten Energie und der Produktion umweltschädlicher Materialien. Hinsichtlich umweltschädlicher Materialien schlägt der EWSA unter anderem vor, ein Modell für den losen Vertrieb von Produkten des breiten Konsums statt abgepackter Waren zu fördern. Zur konkreten Umsetzung dieser Maßnahme, mit der die Produktion von zu entsorgendem Verpackungsmaterial reduziert werden soll, fordert der EWSA die Kommission auf, sämtliche Beteiligten zu konsultieren.

6.3

Dies wird heute nur selten und für sehr wenige Produkte praktiziert, wäre jedoch ausbaufähig:

Weniger Verpackung. Bei der Entnahme des Produkts aus einem Automaten würden die Verbraucher auf den Kauf eines neuen Behältnisses verzichten und stattdessen ihr altes wieder verwenden.

Größere Hygiene. Ein Automat würde das Produkt besser schützen, da es nicht von Personen angefasst würde, die es dann nicht kaufen.

Weniger Verschwendung. Durch den Ankauf loser Produkte kann der Verbraucher die Menge dosieren statt Produkte zu kaufen, die viel zu groß für seinen Bedarf und die häufigste Ursache für Verschwendung sind.

Bessere Kommunikation für die Marken. Der Automat für lose Produkte ist in der Regel größer als eine einzelne Verpackung, deren Oberfläche für mehr Informationen als auf einem kleinen Etikett genutzt werden könnte.

6.4

Dieses Modell wird heute nur sehr selten verwendet, beispielsweise für den Verkauf von Frischmilch, während z.B. der automatisierte Vertrieb von Fahrzeugkraftstoff bereits stark verbreitet ist. Das Produkt an sich ist nicht wirklich umweltfreundlich, doch werden bei seinem Vertrieb weder Kunststoff erzeugt noch Verschwendung verursacht.

6.5

Für dieses Modell müssten die Verkaufsstellen umgestaltet und mit Rohren zum Wiederauffüllen der Ladenregale mit Lagerware oder zumindest mit Systemen zum Wiederauffüllen der Automaten ausgestattet werden. Auf jeden Fall wären die Regale keinen statischen und undifferenzierten Konstrukte mehr.

6.6

Die Einführung dieses neuen Modells ist nur dann erfolgreich, wenn sie von den großen Einzelhändlern – den Hauptvertreibern von Konsumerzeugnissen – entsprechend gefördert wird, denn sie hätten die notwendigen Kapazitäten und Mittel zur Einleitung dieses großen Umgestaltungsprozesses. Hierbei sollten auch die KMU eine Schlüsselrolle spielen.

6.7

Die Kommission könnte die Einleitung dieses Wandels unterstützen, indem sie seinen sozialen und ökologischen Nutzen betont und alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente – auch wirtschaftlich-finanzieller Art – nutzt, um konkrete Initiativen und Projekte zu fördern und zu erleichtern.

7.   Innovativere Lösungen (Maßnahmen 8, 9 und 10)

7.1

Der Wiederaufschwung der Realwirtschaft hängt auch von den Innovationen (Maßnahme 8) ab, zu denen die Branche imstande sein wird; dabei ist es von grundlegender Bedeutung, dass die KMU verstärkt und leichter Zugang zu Bankkrediten haben, um innovative Projekte und Tätigkeiten auf den Weg zu bringen.

7.2

Anders als in den USA müssen die Innovationsinvestitionen der Unternehmen mit dem Arbeitnehmerschutz und der Beschäftigungsqualität einhergehen.

7.3

Die Kommission scheint mit diesen Veränderungen im Zuge der gesteigerten "Wettbewerbsfähigkeit im Einzelhandel" zu rechnen, deren Förderung das einzige Ziel der in der Mitteilung vorgeschlagenen Maßnahmen wäre. Es stimmt zwar, dass mangelnder Wettbewerb den Wandel behindert, doch ist der Wettbewerb an sich noch kein Garant für den Wandel.

7.4

Der Kommission würdigt die Handelsunternehmen als "Innovationsmultiplikatoren" und erkennt damit an, dass die KMU des Einzelhandels, die einen direkteren Kontakt zu den Verbrauchern haben, neue Anforderungen besser erkennen und dank ihrer größeren Flexibilität im Vergleich zu Großunternehmen daher auch das Angebot besser auf eine variable und vielgestaltige Nachfrage abstimmen können.

7.5

Bestimmte System- oder Modellwechsel erfordern jedoch eine Planungsfähigkeit und vor allem eine Verhandlungsstärke, wegen der man auf Großunternehmen als Akteure nicht verzichten kann. Die Kommission muss alles daran setzen, um alle Unternehmen – kleine, mittlere und große – in die Innovations- und Veränderungsprozesse einzubeziehen.

7.6

Der EWSA begrüßt die Errichtung einer Datenbank, in der alle auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften zur Lebensmittelkennzeichnung (Maßnahme 9) zusammengetragen werden (7).

7.7

Der EWSA unterstützt die Kommission dabei, eine bessere Marktintegration für Karten-, Internet- und mobile Zahlungen sicherzustellen (Maßnahme 10) (8) und erhofft sich davon eine schnellere Verbreitung.

8.   Besseres Arbeitsumfeld (Maßnahme 11)

8.1

Adäquate Kompetenzen sind grundlegend für eine bessere Beschäftigungsqualität (9) des Sektors, der oftmals die wichtigste Möglichkeit zum Eintritt bzw. Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt darstellt, jedoch nicht oft und nicht überall als attraktiver und interessanter Sektor angesehen wird, in dem man sich beruflich engagieren möchte.

8.2

Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität des Einzelhandels müssen das geforderte Berufsprofil und die Qualifikationen der Beschäftigten unbedingt enger aufeinander abgestimmt werden (Maßnahme 11); Letzteren muss Gelegenheit zur Steigerung ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit – auch im Hinblick auf eine stärkere Automatisierung – geboten werden.

8.3

Die Kommission will die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern stärken, um die Ausbildungs- und Qualifizierungsstrategien im Einzelhandel zu verbessern; dies soll auch über einen europäischen Qualifikationsrat für den Sektor erfolgen.

8.4

Trotz der Maßnahmen zur technologischen Innovation bleibt die Produktivität des Sektors eher gering, und die KMU haben Schwierigkeiten, in neue Technologien, Innovationen und die berufliche Weiterbildung ihrer Beschäftigten zu investieren.

8.5

In dem Aktionsplan darf jedoch nicht ignoriert werden, dass der Sektor im Binnenmarkt unter Sozialdumping und unlauterem Wettbewerb zwischen Handelsunternehmen – unabhängig von ihrer Größe – leidet, weil die Arbeitsbeziehungen und der Tarifverhandlungen von Land zu Land unterschiedlich sind und daher zu unterschiedlichen Entwicklungsmodellen und verschiedenen Investitionsmaßnahmen führen.

8.6

Die Analyse ist nicht erschöpfend, da sie sich nur auf die Abstimmung zwischen gefordertem Berufsprofil und verfügbaren Qualifikationen bezieht und dabei alle anderen Probleme außer Acht lässt, die heute die effektive Schaffung eines integrierten und wettbewerbsfähigen europäischen Binnenmarktes für diese Branche behindern, etwa in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, die Arbeitsorganisation, die geringe Vergütung, die Flexibilität, prekäre Beschäftigung und die zahlreichen Scheinselbständigen.

8.7

In der Mitteilung werden Investitionen in die berufliche Bildung vorgeschlagen, für die der Staat, Einzelpersonen und das Bildungswesen verantwortlich wären, und die Unternehmen werden dazu aufgerufen, bei der Gestaltung neuer Lehrpläne, neuer Aus- und Weiterbildungsprogramme sowie Praktika eine wichtige Rolle zu spielen. Nach Ansicht des EWSA sollte sich die Einbeziehung der Unternehmen nicht nur auf die Ermittlung des Ausbildungsbedarfs beschränken, sondern sie sollten sich durch gezielte Investitionen für den Erwerb der erforderlichen Kompetenzen proaktiv beteiligen (10).

8.8

Diese miteinander verzahnten öffentlichen und privaten Investitionen würden nicht nur jungen Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, sondern auch denjenigen Gruppen helfen, die große Schwierigkeiten mit dem Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt haben (Langzeitarbeitslose, ältere Arbeitnehmer, Zuwanderer und Menschen mit Behinderungen). Besondere Aufmerksamkeit sollte der Beschäftigung von Frauen gelten, die stärker Gefahr laufen, aufgrund der Umstrukturierungsprozesse vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden, und die größere Schwierigkeiten haben, Beruf und Privatleben miteinander in Einklang zu bringen.

8.9

Die Anpassung der Kompetenzen und die Stärkung der Partnerschaft zwischen Schulen und Unternehmen sowie der ausbildungsgestützten Bildung können nur dann die gewünschten Ergebnisse in puncto Arbeitnehmermobilität und Produktivität des Sektors haben, wenn zugleich die Studienabschlüsse, Praktika, Ausbildungen und erworbenen Kompetenzen EU-weit anerkannt werden.

8.10

Trotz der auf nationaler Ebene unternommenen Anstrengungen sind Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft nach wie vor ein großes Problem, das zwischen den Unternehmen einen unlauteren Wettbewerb in puncto Arbeitskosten erzeugt. Arbeitnehmer in der informellen Wirtschaft sind nicht nur von der Kranken- und Sozialversicherung, sondern auch von der Aus- und Weiterbildung ausgeschlossen, was sich natürlich negativ auf ihre Möglichkeiten zum Erwerb von Kompetenzen und Professionalität auswirkt.

8.11

Folglich ist die Kommissionsinitiative zu begrüßen, alle interessierten Parteien in einen Dialog einzubinden, um die Auswirkungen der informellen Wirtschaft auf die Arbeitsbedingungen zu bewerten und auf EU-Ebene effektive Maßnahmen zu deren Bekämpfung festzulegen. Nach Ansicht des Ausschusses wird diese Initiative noch wirksamer, wenn die Mitgliedstaaten hierbei starken politischen Willen bekunden, den die Kommission durch eine verstärkte Partnerschaft koordinieren könnte.

8.12

Der EWSA hält es für wesentlich, dass Maßnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und informellen Beschäftigung von den Sozialpartnern der Branche im Rahmen eines europäischen sozialen Dialogs (11) kontinuierlich erörtert werden.

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Stellungnahme des EWSA zum Thema "Finanz- und Steueroasen", Ziffern 3.25 und 3.26, ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 7.

(2)  Der Bericht über die "Comparison Tools" wurde auf dem europäischen Verbrauchergipfel am 18. März 2013 vorgelegt.

(3)  "Binnenmarkt für grüne Produkte", am 9. April 2013 von der Kommission verabschiedet.

(4)  Bespiele für Informationen, die zu Kenntnissen wurden: Herkunft von Fleisch und ihrer Lieferkette; territoriale Abdeckung des Mobiltelefonsignals; 0-km-Lieferkette in der Agrar- und Ernährungswirtschaft.

(5)  Stellungnahme des EWSA zum Thema "Unlautere Handelspraktiken in der Lieferkette" (Siehe Seite 26 dieses Amtsblatts).

(6)  Stellungnahme des EWSA zum Thema "Vermeidung und Verringerung von Lebensmittelverschwendung", Berichterstatter: Yves SOMVILLE, ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 46.

(7)  ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 77 und ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 47.

(8)  ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 52.

(9)  32 % aller Beschäftigten im Einzelhandel sind nicht- oder geringqualifiziert gegenüber durchschnittlich 27 % der Beschäftigten insgesamt; 15 % der Beschäftigten des Sektors sind jünger als 24 Jahre gegenüber durchschnittlich 9 %, und 60 % der Beschäftigten sind Frauen.

(10)  In einigen Ländern, etwa in Italien und Frankreich, wurden dank interprofessioneller Bildungsfonds im Rahmen bilateraler Einrichtungen bzw. paritätischer Ausschüsse aufschlussreiche Erfahrungen gesammelt.

(11)  Gemeinsame Erklärung von UNI-Europa Commercio und Eurocommercio vom 24. April 2012.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/26


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Grünbuch über unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa

COM(2013) 37 final

2013/C 327/06

Berichterstatter: Igor ŠARMÍR

Die Kommission beschloss am 18. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Grünbuch über unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa

COM(2013) 37 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) mit 140 gegen 1 Stimme bei 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt die Veröffentlichung des Grünbuchs durch die Europäische Kommission zur Kenntnis und stellt fest, dass in diesem Dokument eine erhebliche positive Veränderung der Sicht der Kommission auf die Problematik der unlauteren Handelspraktiken erkennbar wird.

1.2

Für den EWSA sind unlautere Handelspraktiken nicht nur "unredlich", sondern auch ethisch nicht vertretbar. Sie stellen eine Verletzung elementarer Rechtsgrundsätze dar und stehen den Interessen sowohl der Angebots- als auch der Nachfrageseite entgegen. Da es in der Realität um den Missbrauch einer erheblichen marktbeherrschenden Stellung geht, empfehlen wir, in diesem Zusammenhang den Terminus "missbräuchliche Geschäftspraktiken" zu gebrauchen, der üblicherweise etwa im Französischen oder Englischen verwendet wird.

1.3

Nach Auffassung des EWSA sind der derzeitige Umfang und das Ausmaß der unlauteren Handelspraktiken vor allem eine unmittelbare Folge der Unternehmenszusammenschlüsse im Laufe der letzten Jahrzehnte.

1.4

Der EWSA erachtet die bisherigen Ergebnisse des Hochrangigen Forums für die Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette als unklar und die vorgeschlagenen Lösungen als nicht ausreichend zur Lösung der durch die unlauteren Praktiken verursachten Probleme. Er fordert die Europäische Kommission daher auf, weitere Initiativen vorzulegen.

1.5

Der EWSA hegt keinen Zweifel daran, dass es in allen möglichen Vertragsbeziehungen zu unlauteren Praktiken kommen kann; er ist jedoch überzeugt, dass die Lage besonders ernst ist in den Beziehungen zwischen Einzelhandelsketten auf der einen und landwirtschaftlichen Betrieben sowie kleinen und mittelständischen Lebensmittelunternehmen auf der anderen Seite. Hier kommt es zu Formen und einer Intensität des Missbrauchs, die in anderen Vertragsbeziehungen nicht zu beobachten ist.

1.6

Der EWSA begrüßt vor allem, dass die Kommission in ihrem Grünbuch ausdrücklich das Vorliegen einer tatsächlichen Vertragsfreiheit in denjenigen Beziehungen bezweifelt, die in hohem Maße unausgewogen sind, womit sie sich der Meinung des EWSA anschließt.

1.7

Nach Ansicht des EWSA werden in dem Grünbuch der Europäischen Kommission die Substanz und die Hauptformen der unlauteren Handelspraktiken sehr gut charakterisiert. Andererseits ist der EWSA überzeugt, dass die Europäische Kommission eine einheitliche Bestimmung des Begriffs "unlautere Handelspraktiken" hätte vorlegen sollen, ähnlich dem, der bereits in der Richtlinie 2005/29/EG aufgeführt wurde, denn es gibt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den im Grünbuch kritisierten Praktiken und der "irreführenden Werbung" (1).

1.8

Unlautere Handelspraktiken treten vor allem in einer "Atmosphäre der Angst" auf, die aus den Befürchtungen der schwächeren Vertragspartei entsteht, die stärkere Vertragspartei könne die Geschäftsbeziehung beenden. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn große Handelsmarken ihre Lieferanten auf unfaire Weise unter Druck setzen und/oder überzogene Preise an ihre Einzelhändler und damit auch an die Kunden weitergeben.

1.9

Der EWSA ist der Auffassung, dass die negativen Auswirkungen der unlauteren Handelspraktiken über den Rahmen der Beziehungen zwischen den Unternehmen hinausgehen und nicht allein die schwächere Vertragspartei schädigen. Opfer sind auch die Verbraucher und das "wirtschaftliche Interesse der Staaten", was im Grünbuch nicht genügend zum Ausdruck kommt.

1.10

Nach Ansicht des EWSA wurden in mehreren Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften zur Eindämmung der unlauteren Handelspraktiken erlassen, weil die derzeitige Lage nicht mehr hinnehmbar ist. Diese Gesetze haben zwar aus verschiedenen Gründen bisher keine zufriedenstellenden Ergebnisse gezeitigt, aber es kann auch nicht behauptet werden, es sei gar nichts erreicht worden. Als Erfolg kann angesehen werden, dass es mehr Transparenz bei der Aufteilung der Gewinne gibt und dass die skandalösesten erpresserischen Praktiken beendet worden sind.

1.11

Dem EWSA liegen zwar keine Informationen vor, die belegen, dass der Erlass der genannten Rechtsvorschriften auf einzelstaatlicher Ebene den freien Warenverkehr innerhalb der EU beeinträchtigt, es kann aber zu gewissen Beschränkungen kommen. Keine dieser Rechtsvorschriften hat jedoch einen protektionistischen Charakter; sie gelten in gleichem Maße für die einheimischen Unternehmen wie für die Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten.

1.12

Der EWSA empfiehlt, für weitere Überlegungen zur Lösung des Problems unlauterer Handelspraktiken als Ausgangspunkt festzuhalten, dass es in bestimmten Handelsbeziehungen keine Vertragsfreiheit gibt.

1.13

Der EWSA empfiehlt zudem, bei künftigen Vorschlägen zur Regulierung unausgewogener Geschäftsbeziehungen die Existenz eines "Angstfaktors" zu berücksichtigen. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass die Vertragsparteien in Augenhöhe miteinander verhandeln, was in einem fairen Umgang miteinander zum Ausdruck kommt. Aus diesem Grunde kann es bei der Regulierung unlauterer Handelspraktiken nicht nur darum gehen, die schwächere Vertragspartei zu schützen, sondern auch das "wirtschaftliche Interesse der Staaten", damit beispielsweise die betroffenen Lebensmittellieferanten nicht aktiv in den entsprechenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren auftreten müssen.

1.14

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, Rechtsvorschriften vorzuschlagen, mit denen die Anwendung unlauterer Handelspraktiken untersagt wird. Als Grundlage sollte ein allgemeines Verzeichnis dienen, in dem die wichtigsten Formen unlauterer Handelspraktiken aufgeführt sind, die von der stärkeren Vertragspartei angewandt werden, um ihre eigenen Kosten und Risiken auf die schwächere Vertragspartei abzuwälzen.

1.15

Der EWSA ruft die Europäische Kommission auf, mit den nationalen Wettbewerbsbehörden zusammenzuarbeiten und im Lichte der konkreten Erfahrungen der letzten Jahrzehnte eine radikale Überarbeitung der geltenden und stark in die Jahre gekommenen Wettbewerbsregeln in Angriff zu nehmen, um für einen fairen Wettbewerb zu sorgen, der auch auf einem fairen Austausch wichtiger Informationen in diesem Bereich basieren muss, damit auf diese Weise alle Fälle einer beherrschenden Stellung berücksichtigt werden.

2.   Einleitung

2.1

In dem Grünbuch wird unterschieden zwischen der Liefer- und Vertriebskette für Lebensmittel und der für sonstige Waren, und dies ist völlig gerechtfertigt, denn die Lebensmittellieferkette hat im Unterschied zu anderen Lieferketten ihre eigenen Besonderheiten.

2.2

Bei den zur Liefer- und Vertriebskette zählenden Unternehmen hat es in den letzten zwei Jahrzehnten einen starken Konzentrationsprozess gegeben, durch den echte Oligopole entstanden sind. In der Lebensmittelversorgungskette kam es zur stärksten Konzentration im Bereich des Einzelhandels, etwas weniger bei der Verarbeitung von Lebensmitteln und am wenigsten in der landwirtschaftlichen Primärerzeugung. Das Ergebnis dieses Prozesses sind enorme Ungleichgewichte in der Lebensmittelversorgungskette, denn die Oligopole verfügen über eine enorme Verhandlungsmacht gegenüber ihren Geschäftspartnern, die ihnen in viel größerer Zahl gegenüberstehen.

2.3

Der EWSA ist überzeugt, dass die entstandenen strukturellen Ungleichgewichte in bestimmten Fällen zur Anwendung unlauterer Handelspraktiken führen und dass diese Praktiken häufig nicht nur im Widerspruch zum Grundsatz der Lauterkeit, der Redlichkeit oder aber Ethik stehen, sondern auch elementare Rechtsgrundsätze verletzen.

2.4

Die im Grünbuch enthaltene Aussage, wonach über unlautere Handelspraktiken auf EU-Ebene erstmals im Jahre 2009 gesprochen wurde, ist nicht zutreffend. In diesem Jahr wurde die Problematik lediglich Teil der offiziellen Agenda der Europäischen Kommission. Aber bereits 2005 hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Stellungnahme abgegeben (2), in der zu einer Zeit, als die unlauteren Handelspraktiken noch tabu waren, auf sehr kritische Weise auf mehrere negative Aspekte des Geschäftsgebarens der Einzelhandelsketten hingewiesen wurde. An dieser Stelle ist auch auf die große Rolle der schriftlichen Erklärung von Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2007 hinzuweisen (3), in der die Europäische Kommission unmittelbar aufgerufen wurde, die für eine Verbesserung der Lage notwendigen Vorkehrungen zu treffen.

2.5

Der EWSA erachtet die bisherigen Ergebnisse des Hochrangigen Forums für die Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette als unausgegoren, weil der Rahmen für die Umsetzung "guter Praktiken" nicht zu einem Einvernehmen über die Beseitigung der unlauteren Praktiken geführt hat, wozu bereits drei Mitglieder der Europäischen Kommission ihr Bedauern geäußert haben (4).

2.6

Im Bericht des Europäischen Wettbewerbsnetzes wird bestätigt, dass es tatsächlich unlautere Praktiken gibt, vor allem im Lebensmittelbereich. Dies steht im Einklang mit der Überzeugung des EWSA, dass der Missbrauch der stärkeren Stellung der Einzelhandelsketten gegenüber kleinen und mittelständischen Erzeugern und Verarbeitern von Lebensmitteln um ein Vielfaches gravierender ist als in anderen Vertragsbeziehungen. Beleg dafür ist, dass sich seit Jahren nur Lebensmittellieferanten über die großen Einzelhandelsketten beschweren – und sonst niemand.

2.7

Der EWSA nimmt die Bestätigung der Kommission zur Kenntnis, dass die Anwendung unlauterer Praktiken einen schädlichen Einfluss auf die Volkswirtschaft der EU hat und nicht nur auf die vertraglichen Beziehungen zwischen zwei Geschäftspartnern.

3.   Begriffsbestimmung der unlauteren Handelspraktiken

3.1   Konzept der unlauteren Handelspraktiken

3.1.1

Bisher wurde die Existenz einer tatsächlichen Vertragsfreiheit in den Handelsbeziehungen und auch in den Beziehungen zwischen den Einzelhandelsketten und kleinen und mittelständischen Verarbeitern von Lebensmitteln nicht in Frage gestellt. Die Vertragsfreiheit gehörte zu den Hauptargumenten der Einzelhandelsketten, aber auch der Behörden gegen eine Regulierung unlauterer Handelspraktiken, die angeblich die bestehende Vertragsfreiheit beeinträchtigen würde. Für den EWSA ist es von großer Bedeutung, dass dieses Paradigma im Grünbuch bereits aufgegeben und darin ausdrücklich anerkannt wird, dass es im Falle eines erheblichen Ungleichgewichtes in der Wirtschaftskraft zwischen zwei Vertragspartnern keine echte Vertragsfreiheit gibt.

3.1.2

Nach Ansicht des EWSA ist die Anerkennung der Tatsache, dass keine Vertragsfreiheit vorliegt, Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Suche nach wirksamen Lösungen für die Probleme, die sich aus den bestehenden Ungleichgewichten in der Liefer- und Vertriebskette vor allem bei den Lebensmitteln ergeben.

3.1.3

In diesem Teil des Grünbuchs der Europäischen Kommission werden die Substanz der unlauteren Handelspraktiken und ihre Hauptformen sehr gut charakterisiert. Vor allem in der Beziehung zwischen den Einzelhandelsketten und den Lebensmittellieferanten hat die schwächere Seite keine wirkliche Wahl, denn es gibt auf dem Markt nur sehr wenige Abnehmer von Rang, und vor allem verhalten sich alle Abnehmer gegenüber den Lieferanten gleich.

3.1.4

Mehrere in der Vorlage aufgeführte Beispiele unlauterer Handelspraktiken lassen erkennen, dass bestimmte Abnehmer nicht zögern, alle möglichen Mittel einzusetzen, um sich zusätzliche und in keiner Weise gerechtfertigte Vorteile auf Kosten der anderen Vertragspartei zu verschaffen. Insbesondere geht es um Zahlungen für fiktive Dienstleistungen, die für die andere Vertragspartei keinerlei Wert haben und von ihr nicht verlangt wurden.

3.1.5

Zu den in diesem Teil des Grünbuchs vorgelegten Fragen bezieht der EWSA folgendermaßen Stellung:

Frage Nr. 1: Nach Ansicht des EWSA sollte die Begriffsbestimmung "unlautere Handelspraktiken" im vorgelegten Grünbuch der Begriffsbestimmung in der Richtlinie 2005/29/EG gleichen. Der EWSA bestätigt jedoch die Aspekte und Parameter, die dem Grünbuch zufolge das Vorliegen unlauterer Handelspraktiken kennzeichnen.

Frage Nr. 3: Das Konzept der unlauteren Handelspraktiken sollte nicht nur auf Vertragsverhandlungen beschränkt bleiben, sondern auf die ganze Dauer der Geschäftsbeziehung angewandt werden.

Frage Nr. 4: Theoretisch kann es auf allen Stufen der Liefer- und Vertriebskette zu unlauteren Handelspraktiken kommen, aber zu der aufgeführten Form kommt es nur in den Beziehungen zwischen Handelsketten auf der einen und kleinen und mittelständischen Herstellern sowie Verarbeitern von Lebensmitteln auf der anderen Seite. Es ist kein Beispiel bekannt, dass multinationale Lebensmittelfirmen, die ebenfalls Oligopole bilden, von ihren Lieferanten die Auflistung von Zuschlägen oder Zahlungen für fiktive Dienstleistungen gefordert hätten; allerdings müssen auch Beispiele dafür erwähnt werden, dass multinationale Lebensmittelfirmen für die Lieferung ihrer (gefragten) Waren die Bedingung stellen, dass vergleichbare Waren der Konkurrenz nicht abgenommen werden.

Frage Nr. 5: Der "Angstfaktor" ist eine bekannte Tatsache in den Beziehungen zwischen den Handelsketten und den Lebensmittelerzeugern aus den Reihen der KMU. Dies ergibt sich aus der ausgesprochenen oder unausgesprochenen Drohung, die Geschäftsbeziehung zu beenden, und den daraus folgenden enormen wirtschaftlichen Problemen für den Lieferanten. Mit dem "Angstfaktor" muss immer gerechnet werden, wenn versucht wird, die unlauteren Handelspraktiken zu regulieren, denn das bedeutet, dass in den entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren von Seiten der Lieferanten keine Beschwerden oder gar Beweise zu erwarten sind.

3.2   Beispiele unlauterer Handelspraktiken

3.2.1

Der EWSA begrüßt, dass sich die Europäische Kommission in diesem Teil auf Informationen beruft, die sie von einigen nationalen Wettbewerbsbehörden erhalten hat. Neben den angeführten Behörden empfehlen wir eine Zusammenarbeit vor allem mit den französischen und tschechischen Behörden, denn diese haben unmittelbare Erfahrungen mit der Durchführung ihrer nationalen Rechtsvorschriften zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken. Die Kartellbehörden sind berechtigt, bei ihren Kontrollen die Bücher (Verträge, Rechnungen, Bankauszüge usw.) zu prüfen, mit denen unmittelbar die Anwendung unlauterer Praktiken belegt werden kann.

3.2.2

Die von britischen, spanischen und irischen Behörden für den Wettbewerbsschutz vorgelegten Beispiele machen deutlich, dass es in vielen Fällen unangemessen ist, die angewandten Praktiken lediglich als "ethisch nicht vertretbar" zu bezeichnen, denn mit ihnen wird offenkundig die Grenze der Legalität überschritten (insbesondere wenn es um Schikanen und Einschüchterung geht).

3.3   Potenzielle Auswirkungen unlauterer Handelspraktiken

3.3.1

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Anwendung unlauterer Handelspraktiken seitens der stärkeren Vertragspartei negative Folgen für die schwächere Vertragspartei hat, und die Unterdrückung von Investitionen und Innovationen in der Erzeugung sind ihre logische Folge. Nach Ansicht des EWSA werden aber die Auswirkungen auf die Verbraucher nicht in ausreichendem Maße dargestellt, denn diese zeigen sich bei weitem nicht nur in einer verlangsamten Innovation. In diesem Teil des Grünbuchs wird jedoch ein Aspekt vollkommen ausgelassen, der teilweise in den vorangegangenen Teilen des Kommissionsdokuments angeschnitten wird, nämlich die Bedrohung der wirtschaftlichen Interessen des Staates. Am deutlichsten wird das in den Ländern Mittel- und Osteuropas sichtbar, in denen der Lebensmittelgroßhandel vollständig von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten kontrolliert wird. Da die Hersteller vor Ort in der übergroßen Mehrzahl kleine und mittlere Betriebe sind, können sie die häufig erpresserischen Geschäftsbedingungen nicht erfüllen, und daher geht in dieser Region die ganze Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft zu Grunde, sodass die Länder, die sich traditionell selbst mit Grundnahrungsmitteln versorgt haben, in erheblichem Maße ihre Ernährungssicherheit verloren haben. An die Stelle der einheimischen Erzeugung treten Einfuhren häufig zweifelhafter Qualität.

3.3.2

Auf die in diesem Teil des Grünbuchs vorgelegten Fragen antwortet der EWSA wie folgt:

Frage Nr. 6: Im Lebensmittelbereich werden unlautere Praktiken hauptsächlich von Handelsketten routinehaft in der alltäglichen Handelspraxis angewandt.

Frage Nr. 7: Lieferanten anderer Waren außer Lebensmittel werden offensichtlich sehr viel weniger zu Opfern unlauterer Praktiken der Handelsketten. Vermutlich liegt das daran, dass sie von den großen Einzelhandelsunternehmen sehr viel weniger abhängig sind, denn die Hersteller von Spielzeug, Sportartikeln oder Bekleidung haben grundsätzlich eine größere Auswahl bei der Vermarktung als die Lebensmittelhersteller. Unlautere Handelspraktiken gibt es in Franchise-Beziehungen sowohl in der Lebensmittelbranche als auch in den Einzelhandelsbereichen außerhalb der Lebensmittelbranche, wobei im Prinzip dieselben Probleme auftreten, wie sie in der Stellungnahme beschrieben werden, nämlich dieselben ungleichen Beziehungen zwischen einer starken Partei (Franchisegeber/Kette) und einer viel schwächeren Partei (Franchisenehmer), sodass demzufolge auch hier von einer Vertrags- oder Verhandlungsfreiheit nicht die Rede sein kann. Der Franchisenehmer unterzeichnet einen Vertrag zu den vom Franchisegeber vorgegebenen Bedingungen, und er hat auch keine andere Wahl, wenn er den Vertrag abschließen will. Die Aussagen bezüglich des Angstfaktors und der Tatsache, dass Kosten, die dem Lieferanten (Franchisegeber) entstanden sind, dem Abnehmer (Franchisenehmer) in Rechnung gestellt werden, ohne dass dieser dafür eine Gegenleistung oder einen Mehrwert erhält, gelten mithin auch für Franchise-Beziehungen. Während der Vertragslaufzeit werden seitens des Franchisegebers häufig einseitige Änderungen der Vertragsabsprachen vorgenommen, und zwar durch außervertragliche "Anweisungen".

Frage Nr. 8: Unlautere Handelspraktiken beeinflussen in starkem Maße die Investitions- und Innovationsmöglichkeiten der kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft. Investitionen in den Schutz öffentlicher Güter wie Umwelt, Arbeitsbedingungen, Wohlergehen der Tiere und Klima fallen aufgrund der Abhängigkeit von einigen wenigen Abnehmern und der sich daraus ergebenden Unsicherheit geringer aus.

Frage Nr. 9: Die Auswirkungen der unlauteren Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf die Verbraucher werden in spezifischen Studien eingehend analysiert (5). Die Verbraucher zahlen bei dem derzeitigen System vor allem auf lange Sicht drauf, denn es fehlen Investitionen in eine nachhaltige Erzeugung und Innovationen. Langfristig gesehen ergeben sich Nachteile für die Verbraucher auch wegen des Marktversagens im Bereich Umweltschutz, Klimaschutz, Arbeitsbedingungen und artgerechte Tierhaltung. Aus diesen Gründen wäre es eher hinnehmbar, dass die Verbraucher heutzutage etwas mehr für Lebensmittel zahlen, denn der Wettbewerb zwischen den Handelsorganisationen wird heutzutage nur nach dem Maßstab des geringstmöglichen Verbraucherpreises ausgetragen, dem alle anderen Aspekte untergeordnet werden.

Frage Nr. 10: Unlautere Handelspraktiken haben zweifellos negative Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes, denn sie beschränken erheblich die Möglichkeiten der Wirtschaftsakteure kleiner und mittlerer Größe, sich auf dem Markt durchzusetzen. Die großen Handelsunternehmen beschließen hauptsächlich darüber, was wo verkauft wird, wobei in vielen Fällen das Kriterium nicht das beste Preis-Qualitäts-Verhältnis, sondern häufig die "Bereitschaft" oder aber "Fähigkeit" ist, unlautere Handelspraktiken hinzunehmen.

4.   Rechtsrahmen zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken

4.1

Bei der Analyse der auf nationaler und europäischer Ebene bestehenden Rechtsrahmen treten zwei Tatsachen zu Tage: Zunächst ist jetzt allgemein anerkannt und unbestritten, dass einige wirtschaftlich starke Unternehmen unlautere Handelspraktiken anwenden, wobei die zuständigen Behörden in mehreren Mitgliedstaaten zu dem Schluss gekommen sind, dass die derzeitige Lage eine Regulierung erforderlich macht.

4.2

Das Ausmaß, das die Anwendung unlauterer Handelspraktiken nunmehr erreicht hat, vor allem zwischen großen Einzelhandelsketten und Lebensmittelherstellern, macht deutlich, wie veraltet die Rechtsvorschriften für die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs sind. Einige der unlauteren Handelspraktiken zeigen, dass das Wettbewerbsumfeld stark verzerrt ist und es tatsächlich marktbeherrschende Stellungen gibt, die aber vom derzeitigen Kartellrecht nicht erfasst werden.

4.3

Neben einer Überarbeitung der Rechtsvorschriften für den Wettbewerbsschutz erachtet es der EWSA als völlig legitim, auf EU-Ebene die Anwendung unlauterer Handelspraktiken zu verbieten und die erforderliche Harmonisierung der fragmentierten Rechtsrahmen in Angriff zu nehmen. Die Regulierung der unlauteren Handelspraktiken und die Novellierung des Kartellrechts müssen jedoch logisch miteinander verknüpft werden, damit für den Abschluss von Verträgen mit unlauteren Geschäftsbedingungen nur ihre logischen Initiatoren, also die Vertragsparteien mit der beherrschenden Stellung, verfolgt werden.

4.4

Bei dieser Harmonisierung der Rechtsvorschriften muss – damit sie wirksam sein kann – die vorhandene "Angst vor Auslistung" und somit auch die Zwangslage der schwächeren Vertragspartner berücksichtigt werden, vor allem der kleinen und mittleren Lieferanten der Handelsketten, die sich nicht beschweren können, und dieses Konzept muss mehr umfassen als nur die Lösung von Problemen in Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen.

4.5

Auf die in diesem Teil des Grünbuchs vorgelegten Fragen (die in den vorstehenden Abschnitten nicht beantwortet wurden) antwortet der EWSA wie folgt:

Frage Nr. 11: Die in einigen Mitgliedstaaten bestehenden Regulierungsrahmen haben bisher keine zufriedenstellenden Ergebnisse gebracht. Nach Ansicht des EWSA liegt das daran, dass die meisten dieser Vorschriften erst vor relativ kurzer Zeit erlassen wurden (Italien, Slowakei, Tschechische Republik, Ungarn und Rumänien) sowie auch daran, dass ihre rechtliche Ausgestaltung nicht ausdrücklich auf dem Fehlen der Vertragsfreiheit beruhte, wenngleich allein schon die Anerkennung der Anwendung unlauterer Handelspraktiken indirekt bedeutet, dass mit der Vertragsfreiheit nicht alles in Ordnung sein kann. Es lässt sich aber nicht sagen, dass mit diesen Gesetzen bisher nichts erreicht wurde. In den Staaten, in denen sie erlassen wurden, werden die skandalösesten Vertragsbedingungen nicht mehr angewandt, und die Handelsketten müssen raffiniertere Methoden anwenden, wenn sie sich ungerechtfertigte Vorteile verschaffen wollen. Der größte Fortschritt wurde in Frankreich erzielt, wo die außerhalb der Rechnung gewährten Rabatte unter dem Druck der Gesetzgebung und Strafverfolgung auf ein akzeptables Maß verringert werden konnten (10-15 % statt 50-60 % in der Vergangenheit) (6). Das Ergebnis ist eine viel höhere Transparenz bei der Aufteilung der Gewinne in der Lebensmittelversorgungskette.

Frage Nr. 12: Die Dringlichkeit, einschlägige Rechtsvorschriften zu erlassen, ist abhängig vom Ausmaß der Anwendung unlauterer Praktiken, das von Land zu Land unterschiedlich hoch ist. Die Situation im Süden Europas unterscheidet sich von der in den Ländern Mittel- und Osteuropas und diese wiederum von der Lage in Nordeuropa. In jeder Region sind Rechtskultur und Traditionen etwas unterschiedlich. Daher verfügen manche Länder über einen Regulierungs- oder Selbstregulierungsrahmen, andere hingegen nicht.

Frage Nr. 14: Der EWSA ist überzeugt, dass neue Maßnahmen zur Angleichung der Vorschriften auf EU-Ebene getroffen werden sollten (siehe die Ziffern 4.2, 4.3 und 4.4).

Frage Nr. 15: Es kann bereits von positiven Auswirkungen der bestehenden Regulierung gesprochen werden (siehe oben). Es gibt Befürchtungen wegen der Einführung einer Regulierung in diesem Bereich, die allerdings mit der Annahme zusammenhängen, es liege Vertragsfreiheit vor. Da von Vertragsfreiheit jedoch in den einschlägigen Vertragsbeziehungen nicht die Rede sein kann, sind solche Befürchtungen unbegründet.

5.   Durchsetzung der Vorschriften zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken

5.1   Durchsetzungsmechanismen auf nationaler Ebene

5.1.1

Der EWSA pflichtet der Europäischen Kommission darin bei, dass die auf nationaler Ebene angewandten Verfahren zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken insgesamt unzureichend sind. Hauptgründe dafür sind, dass das Fehlen einer wirklichen Vertragsfreiheit nicht berücksichtigt wird und es eine "Angst vor Auslistung" und somit eine gewisse Atmosphäre der Angst gibt. Dieses Problem wurde bisher am besten in Frankreich bewältigt, wo die Kontrollbehörde aufgrund von informellen Informationen und aus eigener Initiative tätig wird, wobei die Bekämpfung unlauterer Praktiken auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Staates und nicht der schwächeren Vertragspartei ausgerichtet ist.

5.1.2

In einigen Mitgliedstaaten gelten Gesetze gegen die Anwendung unlauterer Vertragspraktiken, in anderen wiederum nicht. Darüber hinaus bestehen zwischen den einzelnen Gesetzen erhebliche Unterschiede. Diese Tatsachen bilden zweifellos ein gewisses Hindernis für den grenzüberschreitenden Handel (Frage Nr. 16).

5.1.3

Nach Ansicht des EWSA kann nur die Annahme harmonisierter Rechtsvorschriften gegen die Anwendung unlauterer Vertragspraktiken als zweckmäßiges gemeinsames Vorgehen zur Beseitigung der negativen Auswirkungen unterschiedlicher Gesetze auf diesem Gebiet erachtet werden (Frage Nr. 17).

5.2   Durchsetzungsmechanismen auf EU-Ebene

5.2.1

Der EWSA schließt sich der Feststellung der Kommission an, dass es derzeit auf EU-Ebene keinerlei spezifische Mechanismen zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken gibt. Er ist ebenso überzeugt, dass der "Angstfaktor" nur überwunden werden kann, wenn die zuständigen nationalen Stellen die Befugnis erhalten, aus eigener Initiative tätig zu werden, anonyme bzw. informelle Beschwerden anzunehmen und Sanktionen zu verhängen (Frage Nr. 18).

6.   Arten unlauterer Handelspraktiken

6.1

Der EWSA stimmt zu, dass es in der ganzen Lieferkette für Lebensmittel und sonstige Waren zu unlauteren Handelspraktiken kommt, im Einklang mit den vorstehenden Ausführungen ist er jedoch überzeugt, dass die Lage in den Beziehungen zwischen Lebensmittelgroßhandel und kleinen und mittleren Lebensmittelunternehmen besonders ernst ist.

6.2

Mit Blick auf die Einlistung ist keineswegs deutlich, welchen Gegenwert die entsprechende Zahlung hätte, die der künftige Lieferant leisten muss. In den meisten Fällen gibt selbst eine solche vorab geleistete Zahlung als notwendige Voraussetzung für eine Geschäftsbeziehung dem Lieferanten keinerlei Garantie, dass der Abnehmer tatsächlich die betreffende Ware abnehmen und sie nicht ohne Angabe von Gründen wieder auslisten wird.

6.3

Die sogenannten Rabatte außerhalb der Rechnung sind derzeit übliche Praxis der großen Handelsketten, und laut EWSA kann ihr Nutzen für die Allgemeinheit zumindest in Frage gestellt werden. Zum einen sind außerhalb der Rechnung gewährte Rabatte ein Zeichen für den Missbrauch einer tatsächlichen beherrschenden Stellung, denn hinter ihnen verbergen sich häufig nicht verlangte und fiktive Dienstleistungen, auf der anderen Seite bewirken sie einen erheblichen Mangel an Transparenz mit Blick auf die Aufteilung der Gewinne. Wegen der Gewährung der Rabatte außerhalb der Rechnung haben die Lieferanten (und gleichermaßen externe Beobachter) größte Schwierigkeiten festzustellen, wie viel tatsächlich für die gelieferte Ware bezahlt wurde. In Wirklichkeit wird für die Warenlieferung die Annahme von Dienstleistungen verlangt, die der Abnehmer erbringt. Nach Ansicht des EWSA müssten die Zahlungen für tatsächliche und begründete Dienstleistungen, die der Abnehmer dem Lieferanten erbringt, mit in die Kalkulation des Preises der Lebensmittel einfließen.

6.4

Auf die in diesem Teil des Grünbuchs vorgelegten Fragen (die in den vorstehenden Abschnitten nicht beantwortet wurden) antwortet der EWSA wie folgt:

Frage Nr. 19: In das Verzeichnis der unlauteren Handelspraktiken würden wir noch Zahlungen für fiktive und unerwünschte Dienstleistungen, unverhältnismäßig hohe Zahlungen für tatsächlich erbrachte Dienstleistungen und die Übertragung des unternehmerischen Risikos wie auch von Aufwendungen für den Vertrieb auf den Lieferanten aufnehmen.

Frage Nr. 20: Durch das Verzeichnis der unlauteren Praktiken ist eine Grundvoraussetzung für die Bekämpfung dieser Praktiken gegeben. Natürlich müsste dieses Verzeichnis regelmäßig aktualisiert werden. Allerdings sollten die Maßnahmen nicht auf Verzeichnisse beschränkt bleiben. Es sollte eine ausreichend breit gefasste Begriffsbestimmung der unlauteren Praktiken vorgeschlagen werden, die diejenigen Fälle umfasst, die nicht der allgemeinen Definition der "guten Geschäftspraktiken" nach den Kriterien des "guten Glaubens", des "vertraglichen Gleichgewichts" und der "gemeinsamen Regeln der Unternehmen in den betroffenen Wirtschaftszweigen" entsprechen.

Frage Nr. 21: Der EWSA ist der Ansicht, dass in der ganzen Lieferkette jedes Glied seine eigenen Kosten und Risiken tragen und sich somit seinen gerechten Anteil an der Gesamtgewinnspanne verdienen sollte. Das bedeutet, dass die Erzeuger die Aufwendungen und Risiken im Zusammenhang mit der Erzeugung und der Händler die mit dem Verkauf verbundenen Aufwendungen und Risiken tragen muss.

Frage Nr. 23: Der EWSA ist der Ansicht, dass faire Praktiken in einem EU-Rahmen verankert werden sollten.

Frage Nr. 24: Der EWSA ist überzeugt, dass auf EU-Ebene ein verbindliches Legislativinstrument, also eine "Verordnung" erlassen werden sollte.

Frage Nr. 25: Nach Auffassung des EWSA wird im Grünbuch nicht ausreichend beachtet, welche Auswirkungen die unlauteren Praktiken in den Beziehungen zwischen Unternehmen auf die Verbraucher und auf das wirtschaftliche Interesse der Staaten haben.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Vgl. die EWSA-Stellungnahme zum Thema "Irreführende Werbung" (ABl. C 271 vom 19. September 2013, S. 61).

(2)  ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 44.

(3)  "Schriftliche Erklärung zu der Untersuchung des Machtmissbrauchs durch große Supermarktketten, die in der Europäischen Union tätig sind, und zu entsprechenden Abhilfemaßnahmen", Nr. 0088/2007.

(4)  Europäische Kommission, Brüssel, Pressemitteilung vom 5. Dezember 2012: "Die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette verbessern".

(5)  Consumers International, "The relationship between supermarkets and suppliers: What are the implications for consumers?" (Beziehungen zwischen Supermärkten und Lieferanten: Was sind die Auswirkungen für die Verbraucher?), 2012.

(6)  Informationen der DGCCRF.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Der folgende Änderungsantrag, auf den mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurde im Verlauf der Beratungen abgelehnt (Art. 54 Abs. 3 der Geschäftsordnung):

Ziffer 1.10

Ändern:

Nach Ansicht des EWSA wurden in mehreren Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften zur Eindämmung der unlauteren Handelspraktiken erlassen, weil die derzeitige Lage nicht mehr hinnehmbar ist. Diese Gesetze haben zwar aus verschiedenen Gründen bisher keine zufriedenstellenden Ergebnisse gezeitigt, aber es kann auch nicht behauptet werden, es sei gar nichts erreicht worden. Als Erfolg kann angesehen werden, dass es mehr Allerdings liegen bisher sowohl die Transparenz bei der Aufteilung der Gewinne gibt Preisgestaltung als auch die Aufgabe und dass die der skandalösesten erpresserischen Praktiken beendet worden sind immer noch in weiter Ferne.

Begründung

Erfolgt mündlich.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen

:

54

Nein-Stimmen

:

63

Enthaltungen

:

27


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/33


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Intelligente Regulierung — Anpassung an die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen

COM(2013) 122 final

2013/C 327/07

Berichterstatterin: Anna Maria DARMANIN

Mitberichterstatter: Brendan BURNS

Die Europäische Kommission beschloss am 18. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Intelligente Regulierung — Anpassung an die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen

COM(2013) 122 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) mit 156 gegen 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt das Vorhaben der Kommission, der intelligenten Regulierung einen hohen Stellenwert auf ihrer Agenda einzuräumen. Regulierung ist eine Notwendigkeit, muss aber gut konzipiert sein, um die politischen Ziele der EU bei minimalem Kostenaufwand zu erreichen. Der EWSA begrüßt das jahrelange Engagement der Europäischen Kommission für die Konzipierung und Anwendung besserer Regulierungsinstrumente einschließlich der Folgenabschätzungen und der Einbeziehung der Betroffenen.

1.2

Der Ausschuss:

a)

stellt deshalb fest, dass intelligente Regulierung zwar für Unternehmen aller Größenordnungen notwendig ist, bürokratischer Aufwand auf Kleinunternehmen, insbesondere auf Kleinstunternehmen, eine unverhältnismäßig große Auswirkung hat;

b)

erinnert alle Dienststellen der Kommission daran, dass der KMU-Test integrativer Bestandteil von Folgenabschätzungen ist. Er fordert den europäischen Gesetzgeber auf, die spezifischen Eigenschaften von Klein- und Kleinstunternehmen innerhalb der Kategorie der KMU bei der Vorbereitung von Folgenabschätzungen und der Erarbeitung von Rechtsvorschriften zu berücksichtigen;

c)

begrüßt das regulatorische Eignungs- und Leistungsprogramm (REFIT), das Belastungen und unnötige Maßnahmen für KMU ausmacht. Dieses Programm sollte dafür genutzt werden, nicht mehr zweckdienliche Vorschriften festzustellen und zu beseitigen und die bestehenden Rechtsvorschriften zu konsolidieren. Der EWSA legt der Kommission nahe, möglichst bald neue Eignungsprüfungen durchzuführen und dabei den zehn aufwändigsten EU-Vorschriften Vorrang zu geben, die in der Kommissionsmitteilung unter besonderer Berücksichtigung der Kleinstunternehmen aufgeführt werden;

d)

verweist auf einen Grundsatz dieses Programms, demzufolge Folgenabschätzungen durch Verwendung eines Standardformulars nutzerfreundlicher gestaltet werden und eine klare Zusammenfassung beinhalten, in der die zentralen Fragen einschließlich der Umsetzungskosten insbesondere für Kleinstunternehmen dargelegt werden;

e)

unterstützt den Vorschlag, langfristig ein einheitliches unabhängiges Folgenabschätzungsgremium einzurichten, das für alle EU-Organe tätig ist. Dieses unabhängige Gremium sollte auf externe Sachverständige zurückgreifen, die die Kommissionsvorschläge zusätzlich prüfen. Damit soll sichergestellt werden, dass die verschiedenen zur Verfügung stehenden Konzepte richtig verstanden werden;

f)

teilt die Ansicht, dass Kleinstunternehmen nicht generell ausgenommen werden sollten. Vielmehr sollte bei Legislativvorschlägen ein den Einzelfällen gerechter Ansatz gewählt werden, der aus einer sorgfältigen Folgenabschätzung hervorgeht;

g)

legt der Kommission nahe, im Detail anzugeben, welche Änderungen und aus welchen Gründen im Zuge des Konsultationsprozesses vorgenommen worden sind;

h)

ist der Auffassung, dass die Europäische Kommission den KMU-Anzeiger ständig verfolgen sollte, der von einer zentralen Koordinierungsstelle in enger Zusammenarbeit mit den KMU-Verbänden erstellt wird;

i)

fordert ein neues Programm zur Verringerung unnötigen Regelungsaufwands, mit dem sichergestellt wird, dass Unternehmen infolge intelligenterer Regulierung nicht von den Rechtsvorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer sowie Gleichstellungs- oder Umweltschutzstandards ausgenommen werden. Er spricht sich deshalb mit Nachdruck dafür aus, der sog. Stoiber-Gruppe ein bis 2020 reichendes neues Mandat zu erteilen, um insbesondere in Zusammenarbeit mit KMU-Verbänden Maßnahmen für Kleinst- und Kleinunternehmen zu überwachen und umzusetzen;

j)

legt dem Rat und dem Parlament nahe, bei der Entscheidung über Rechtsvorschriften der EU ebenso die Verwaltungslasten für Unternehmen zu begrenzen;

k)

schlägt den Austausch bewährter Verfahren unter den Mitgliedstaaten im Bereich der intelligenten Regulierung vor, um die Übererfüllung von EU-Vorgaben (Goldplating) zu verhindern.

2.   Der Kommissionsvorschlag

2.1

Die Kommission veröffentlichte im November 2011 einen Bericht zum Thema "Verringerung der Verwaltungslasten für KMU – Anpassung der EU-Rechtsvorschriften an die Bedürfnisse von Kleinstunternehmen" (1), in der speziell auf KMU zugeschnittene Maßnahmen dargelegt wurden. In diesem Bericht wurden der im "Small Business Act" (SBA) aufgestellte Grundsatz des "Think Small First" (2) (Vorfahrt für KMU) erörtert. Diesem zufolge müssen bei der Erarbeitung von Rechtsvorschriften die Auswirkungen auf KMU berücksichtigt werden, außerdem ist das bestehende Regelungsumfeld zu vereinfachen. Die Kommission erklärte sich bereit, Belastungen für KMU im Rahmen des neuen Programms REFIT anzugehen (3), das ebenfalls im Dezember 2012 gestartet wurde.

2.2

In der am 7. März 2013 angenommenen Mitteilung der Kommission für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates zum Thema "Intelligente Regulierung – Anpassung an die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen" (4) wird eine Bestandsaufnahme aller seit 2011 von der Kommission durchgeführten Maßnahmen bezüglich der Belastungen von KMU vorgenommen. Der Bericht beleuchtet Fortschritte in folgenden Bereichen:

Erörterung der Rolle von Folgenabschätzungen bei Regulierungen für KMU;

Einführung eines jährlichen KMU-Anzeigers;

Gewährleistung der Durchführung von Leistungstests.

3.   Bemerkungen und Kommentare

3.1   Intelligente Regulierung ist von zentraler Bedeutung für KMU – insbesondere für Kleinstunternehmen

3.1.1

Der EWSA hat Initiativen für bessere Rechtsetzung immer schon unterstützt und befürwortet, wie in seinen zahlreichen Stellungnahmen deutlich wird (5). Er erinnert daran, dass intelligente Regulierung zwar für alle Unternehmen wichtig ist, bürokratischer Aufwand auf Kleinstunternehmen indes eine unverhältnismäßig große Auswirkung hat. Deshalb muss die Berücksichtigung des Grundsatzes "Vorfahrt für KMU" bei der Erarbeitung neuer Rechtsvorschriften und während des gesamten Entscheidungsprozesses eine prioritäre Leitlinie sein.

3.1.2

KMU unterscheiden sich nach Größe, Aktivitätsbereichen, Zielen, Finanzierung, Unternehmensführung, Standort und Rechtsform (6). Politische Entscheidungsträger müssen daher bei der Erarbeitung von Vorschriften für KMU diese Unterschiede berücksichtigen. Sie müssen sich bewusst machen, dass die einzelnen Rechtsvorschriften für sich genommen nicht besonders belastend erscheinen mögen. Es ist aber vor allem die Anhäufung von Regeln und Vorschriften, die ein Kleinst- oder Kleinunternehmen davon abhalten, neue Ideen zu entwickeln, neue Märkte zu erkunden und mehr Personal einzustellen.

3.1.3

Daher empfinden viele KMU, insbesondere Kleinst- und Kleinunternehmen, Gesetzgebung eher als eine Einengung unternehmerischer Entwicklung denn als ein Mittel zur Wachstumsförderung. Der EWSA ist der Auffassung, dass intelligente Regulierung auf Unionsebene nicht helfen kann, sofern in den Rechtsvorschriften nicht eindeutig ausgemacht wird, welchen Unternehmen geholfen werden soll und welche Ausnahmen (wenn überhaupt) diesen Unternehmen gewährt oder von diesen eingefordert werden können. Der EWSA fordert daher die Kommission mit Nachdruck auf, den KMU-Test bei allen Folgenabschätzungen in den verschiedenen Generaldirektionen voll und ganz anzuwenden. Der EWSA ist der Auffassung, dass der KMU-Test auch die potenziellen Kosten und den potenziellen Nutzen der Vorschläge unter Berücksichtigung der Unternehmensgröße umfassen muss. Dabei ist klar zwischen Kleinst- und Klein- sowie mittleren Unternehmen zu unterscheiden. Sollte der KMU-Test nicht angemessen durchgeführt werden, würde der Ausschuss für Folgenabschätzung ein negatives Votum abgeben.

3.2   Die Rolle von Folgenabschätzungen

3.2.1

Der EWSA anerkennt deshalb die zentrale Rolle von Folgenabschätzungen (7) für die KMU-Politik auf Unionsebene. Der Ausschuss fordert, dass die Kommission solide Folgenabschätzungen vorbereitet, die ihren Zweck erfüllen und logisch sind. Der EWSA erinnert die Kommission daran, dass das Solidaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden müssen. In den Folgenabschätzungen müssen auch die Kosten analysiert werden. Die von den Unternehmen zu tragenden Befolgungskosten der Rechtsvorschriften lassen bestimmte Aktivitäten unwirtschaftlich werden, die ohne die entsprechenden Vorschriften rentabel sein würden. Als Folge könnten einige unbedeutendere Unternehmen zum Marktaustritt gezwungen sein, was die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Aktivitäten der Privatwirtschaft einschränkt. Der EWSA fordert die Kommission auf, eine von unabhängiger Seite überprüfte jährliche Aufstellung der insgesamt von den Unternehmen zu tragenden Nettobefolgungskosten herauszugeben. Diese Aufstellung sollte auch den Bericht über maßgebliche Änderungen der ursprünglichen Vorschläge infolge von Folgenabschätzungen beinhalten.

3.2.2

Dem EWSA ist bewusst, dass Folgenabschätzungen technische Dokumente sind. Aber ihre Länge und Sprache kann sie mitunter undurchschaubar machen, zumal für Kleinunternehmen, die dazu Beiträge leisten wollen. Der Ausschuss empfiehlt, sie durch Verwendung eines Standardmusters und mittels einer klaren Zusammenfassung, in der die wichtigsten angesprochenen Punkte hervorgehoben werden, benutzerfreundlicher (8) zu gestalten und sie auf jede KMU-Untergruppe auszurichten.

3.2.3

Der EWSA verlangt eine unabhängige und transparente Überprüfung der Folgenabschätzungsentwürfe durch Interessenvertreter, einschließlich Unternehmensverbände, die Kleinst- und Kleinunternehmen sowie mittlere Unternehmen vertreten. Damit soll sichergestellt werden, dass sie hochwertig sind und entsprechend den Leitlinien erarbeitet wurden (9).

3.2.4

Folgenabschätzungen müssen detailliert darauf eingehen, in welchem Maße besondere Maßnahmen und Modelle (wie Ausnahmen, Vereinfachungen usw.) eingesetzt werden sollen, um den Verwaltungsaufwand für KMU zu verringern. Der EWSA begrüßt den verstärkten Einsatz des KMU-Tests, erinnert aber daran, dass die Auswirkungen der Rechtsvorschriften sorgfältig und für jede der drei unterschiedlichen Untergruppen getrennt untersucht werden müssen. Anschließend ist die Möglichkeit einer Ausnahme von Kleinstunternehmen von neuen Rechtsvorschriften oder die Verabschiedung weniger strenger Vorschriften zu prüfen.

3.2.5

Der EWSA stellt fest, dass die Kommission von ihrem Vorhaben Abstand nimmt, beim Abschluss des Folgenabschätzungsverfahrens Blankoausnahmen für Kleinstunternehmen von EU-Rechtsvorschriften vorzusehen. Der EWSA begrüßt diese Entwicklung und betont, dass intelligente Regulierung auf die Unternehmenskategorie und -größe zugeschnitten und nicht allzu kompliziert sein sollte. Wenn diese Konditionen erfüllt sind, ist es für Unternehmer einfacher, geeignete interne Verfahren zu entwickeln, die den Zielen der intelligenten Regulierung entsprechen.

3.2.6

Kleinst- und Kleinunternehmen bekennen ihre Kundennähe und die Tatsache, dass von den Kunden eine wachsende Nachfrage nach lokalen Unternehmen ausgeht, die ethische Grundsätze beachten und die lokale Umwelt schützen. Der EWSA erinnert die Kommission daran, dass Normen und Vorschriften für die Qualität der Unternehmen, ihrer Produkte und Dienstleistungen von den Unternehmen daher unbedingt eingehalten werden müssen, wenn sie erfolgreich sein und ihre Wettbewerbsfähigkeit auf verschiedenen Märkten erhalten wollen. Werden Kleinstunternehmen z.B. von Verbraucher- und Umweltschutzbestimmungen ausgenommen, könnte dies letztlich für diese Unternehmen von Nachteil sein (10).

3.2.7

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass sich Folgenabschätzungen – über die obenstehenden Ausführungen hinaus – auch mit der genauen Messung der Folgewirkungen befassen müssen, die eine Maßnahme zur Verringerung des Verwaltungsaufwands durch die Veränderung der Vorschriften für KMU auslösen könnte. Denn möglicherweise treten Nebenwirkungen auf, die zu einer Veränderung der sozialen Gleichgewichte und der Beziehungen zu den Behörden führen können (in puncto Schwarzarbeit, Kenntnis der Steuerdaten, Sozialbeiträge, Ausgestaltung und Art des Arbeitsverhältnisses usw.).

Eine intelligente Regulierung für KMU muss so gestaltet sein, dass die von ihr verursachten externen Effekte wenn nicht null, so doch zumindest nicht negativ sind. Diesbezüglich weist der EWSA die Kommission darauf hin, dass intelligente Regulierung weder die Arbeitnehmerrechte unterminieren noch den Mindestschutz senken sollte, insbesondere in Bezug auf Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz (11).

3.3   Der KMU-Anzeiger

3.3.1

Der EWSA begrüßt die Erarbeitung eines jährlichen KMU-Anzeigers. Dieser macht es möglich, spezifische Maßnahmen über den ganzen Gesetzgebungszyklus zu verfolgen. Der EWSA sieht der Anwendung und den Ergebnissen erwartungsvoll entgegen.

3.3.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Europäische Kommission den KMU-Anzeiger mittels einer zentralen Koordinierungsstelle in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen Organen und Einrichtungen der EU ständig überwachen sollte. Die Mitgliedstaaten und KMU-Organisationen werden gebeten, sich auch daran zu beteiligen.

3.4   Die Konsultation von KMU verbessern

3.4.1

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass den Interessenvertretern im Rahmen einer Planung der Vorbereitungs- und Konsultationsarbeiten "Fahrpläne" verfügbar gemacht werden, die sie über mögliche Kommissionsinitiativen informieren. Die Konsultationen von Interessenvertretern sollten breit angekündigt werden, damit diese rechtzeitig reagieren können. Sie sollten indes nicht auf Quantität, sondern auf Qualität abzielen und durch empirische Daten untermauert werden, die auf direkten Gesprächen mit Praktikern aus der Wirtschaft, einschließlich Arbeitnehmern, und mit Vertretern der Unternehmensverbände, Besuchen vor Ort oder Anmerkungen der Kleinst- und Kleinunternehmen basieren. Der EWSA erinnert die Kommission daran, dass Fahrpläne immer eine erste grobe Abschätzung der zu erwartenden Kosten enthalten sollten, damit die Akteure einen Qualitätstest der möglichen Auswirkungen vornehmen können. Der Ausschuss weist die Kommission darauf hin, dass eine umfassende Konsultation der Betroffenen von entscheidender Bedeutung ist, um hochwertige Daten erheben und Vorschläge für intelligente Regulierung erarbeiten zu können.

3.4.2

Nach durchgeführter Anhörung werden viele Unternehmensverbände und deren Mitglieder darüber im Unklaren gelassen, ob sich ihr Engagement beim Ausmachen von Schwachstellen und dem Vorschlagen von Lösungsmöglichkeiten gelohnt hat. Der EWSA tritt dafür ein, dass einige dieser Verbände gemäß einem offiziellen Verfahren an den Folgenabschätzungen als externe Sachverständige teilnehmen, um eine zusätzliche Prüfung der Kommissionsvorschläge vorzunehmen. Damit soll sichergestellt werden, dass die unterschiedlichen zur Verfügung stehenden Konzepte auch richtig verstanden wurden.

3.4.3

Der EWSA hat eine relative Zunahme der Zahl der von den Gesetzgebern in den letzten Jahren übertragenen delegierten Rechtsakte festgestellt. Viele der im Zuge delegierter Rechtsakte getroffenen Entscheidungen sind von erheblicher Auswirkung für KMU. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass der Bereich der Konsultationen ausgedehnt werden sollte auf einige zentrale delegierte Rechtsakte, die wesentliche wirtschaftliche, umweltspezifische und/oder soziale Auswirkungen für einen spezifischen Sektor oder wichtige Akteure haben.

3.4.4

Der EWSA fordert, bei der Ausarbeitung von Rechtsvorschriften einen echten und strukturierten "KMU-Dialog" mit den verschiedenen Beteiligten zu führen. Diese Partnerschaft sollte eine Beteilung aller KMU und ihrer Organisationen gewährleisten, insbesondere der Verbände der Kleinunternehmen, die sich für die Wahrung des Grundsatzes "Vorfahrt für KMU" und des "Einmal"-Prinzips (12) des 'Small Business Acts' einsetzen, um Effizienzziele zu fördern.

3.4.5

Der EWSA unterstützt im Prinzip das Enterprise Europe Network (EEN). Er bedauert, dass es immer noch hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, weil viele europäische KMU nichts von seiner Existenz wissen. Die Dienste des EEN sollten in enger Zusammenarbeit mit KMU-Verbänden auf die tatsächlichen Anforderungen und Bedürfnisse von KMU ausgerichtet sein. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Trägerorganisationen des EEN dabei unterstützt werden sollten, den Bedürfnissen von KMU im Behördenverkehr mehr Mittel zu widmen. Nach Auffassung des EWSA sollte sich diese Unterstützung vor allem auf Kleinstunternehmen konzentrieren, die bei der Bewältigung von Regulierungsfragen von ihrem lokalen EEN-Zentrum direkt konsultiert werden sollten. Die Ergebnisse dieser persönlichen Treffen und die Beiträge der KMU-Verbände sollten von allen Kommissionsdienststellen berücksichtigt werden, um den Grundsatz "Vorfahrt für KMU" Wirklichkeit werden zu lassen.

3.4.6

Der EWSA begrüßt die Verlängerung des Mandats der Hochrangigen Gruppe unabhängiger Interessenträger im Bereich Verwaltungslasten (13) (der sogen. Stoiber-Gruppe). Der EWSA würde es insbesondere begrüßen, wenn der Gruppe eine neue zentrale Rolle der Unterstützung der Kommission bei der Erarbeitung, Überwachung und Umsetzung von Maßnahmen für Kleinst- und Kleinunternehmen in enger Zusammenarbeit mit KMU-Organisationen und Gewerkschaften zugewiesen würde.

3.4.7

Der EWSA nimmt die Ergebnisse der Top-10-Konsultationen zu bürokratischen Formalitäten, die KMU den größten Aufwand bescheren (14), zur Kenntnis. Er fordert die Kommission auf, auf diese Ergebnisse so rasch wie möglich mit der Veröffentlichung spezifischer Vereinfachungsvorschläge zu reagieren.

3.5   Die Bedürfnisse von KMU berücksichtigen

3.5.1

Der EWSA unterstützt einen regulatorischen Leistungstest für KMU-Politik (15) (das sogenannte "REFIT-Programm"). Der EWSA erwartet die Ergebnisse der Pilotbewertungen (16) mit Spannung und legt der Kommission nahe, weitere Leistungstests in ihrem Programm 2014 für Schlüsselbereiche vorzusehen, die nach Auffassung des EWSA für die Wachstumsbelebung und die Schaffung von Arbeitsplätzen von zentraler Bedeutung sind. Die Kommission wird gebeten, auf ihrer Website sämtliche für KMU durchgeführte oder geplante Leistungstests zu veröffentlichen.

3.5.2

Der EWSA schlägt auch vor, einen umfassenden Leistungstest der EU-Rechtsvorschriften, die Unternehmen beim Handel mit Drittstaaten zu berücksichtigen haben, durchzuführen. Der EWSA hält den Verwaltungsaufwand solcher Rechtsvorschriften für hoch. Ein solcher Test könnte ein wichtiger Beitrag für die EU-Agenda in den Bereichen intelligente Regulierung, Wachstum und Handel darstellen.

3.5.3

Der EWSA fordert die Kommission auf, mithilfe des REFIT-Programms zu ermitteln, welche geltenden Regelungen und anhängigen Vorschläge mittlerweile nutzlos geworden sind, ihre Rücknahme vorschlagen, und die Konsolidierung der geltenden Rechtsvorschriften im Rahmen ihrer Vereinfachungsbemühungen vorantreiben. Es wird empfohlen, dass alle Reduktionsziele messbar sein müssen und auf spürbare Erleichterungen für die Unternehmen abzuzielen haben.

3.5.4

Nach Dafürhalten des EWSA sollte von der Kommission bei der Erarbeitung KMU-spezifischer Vorschriften eine gezieltere Wahl der Rechtsinstrumente einschließlich der Verfahren der Selbst- und Koregulierung (17) erfolgen.

3.6   Hin zu einer besseren Steuerung und zu Koordinierungsverfahren in der KMU-Politik

3.6.1

Der EWSA weist darauf hin, dass alle am politischen Gestaltungsprozess der EU Beteiligten – sowohl auf Ebene der Union als auch der Mitgliedstaaten – gemeinsam für intelligente Regulierung verantwortlich sind.

3.6.2

Auf europäischer Ebene:

Der Ausschuss hält es für sinnvoll, dass sich die Kommission dafür einsetzt, die Verwaltungskosten für Unternehmen in ihren Legislativvorschlägen so gering wie möglich zu halten. Der Rat und das Parlament sollten analoge Anstrengungen unternehmen, um den Verwaltungsaufwand für die Unternehmen zu senken bzw. auf dem im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Niveau zu beschränken.

Sollten der Rat und das Parlament dieses Niveau überschreiten, sollten sie gehalten sein, diese Entscheidungen zu begründen. Der EWSA fordert das Parlament und den Rat daher auf, sich ferner dafür einzusetzen, bei ggf. erforderlichen wesentlichen Abänderungen der Kommissionsvorschläge möglichst Folgenabschätzungen durchzuführen.

3.6.3

Auf Ebene der Mitgliedstaaten:

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Grundsatz der intelligenten Regulierung nur funktioniert, wenn es auch eine intelligente Umsetzung gibt. Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, eine Unterminierung der auf EU-Ebene ergriffenen Vereinfachungsmaßnahmen bei der Umsetzung in einzelstaatliches Recht zu vermeiden. Dieses "Goldplating" behindert eindeutig die Entwicklung der Unternehmen. Der Ausschuss empfiehlt deshalb spezifische Schulungen für Politiker, Ministerialbeamte und andere, an der Umsetzung von Legislativmaßnahmen in nationales Recht beteiligte Personen.

Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Mitgliedstaaten höhere Standards festlegen können, wenn sie dies wünschen.

Der EWSA fordert die Kommission auf, die Mitgliedstaaten mittels Tagungen und Workshops mit den Behörden im Sinne eines reibungslosen Umsetzungsprozesses zu unterstützen. Nach Dafürhalten des EWSA sollte die Kommission die Weiterverfolgung der Umsetzung in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen Generaldirektionen und den Mitgliedstaaten sorgfältig koordinieren.

Der EWSA rät der Kommission und den Mitgliedstaaten, enger zusammenzuarbeiten und Beispiele für bewährte Verfahren der Folgenabschätzung auszutauschen, um vergleichbare, transparente und flexible Methoden zu entwickeln. Die Mitgliedstaaten werden auch aufgefordert, den Austausch bewährter Verfahren für die Vereinfachung der Vorschriften für KMU (18) zu verstärken (z.B. Lösungen im Rahmen elektronischer Behördendienste für Unternehmen, damit sie den Regeln entsprechen und diese verstehen können (19).

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  http://ec.europa.eu/dgs/secretariat_general/simplification/sme/sme_en.htm.

(2)  Siehe Ronny LANNOO, Stellungnahme zu dem Thema "Überprüfung des 'Small Business Act' ", ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 51.

(3)  http://ec.europa.eu/governance/better_regulation/documents/1_EN_ACT_part1_v8.pdf.

(4)  http://ec.europa.eu/governance/better_regulation/documents/1_EN_ACT_part1_v4.pdf.

(5)  Siehe Stellungnahme zum Thema "Intelligente Regulierung", Berichterstatter: Jorge PEGADO LIZ, ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 87.

(6)  Siehe Initiativstellungnahme zum Thema "Unterschiedliche Unternehmensformen", Berichterstatter: Miguel Ángel CABRA DE LUNA (ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 22). Bsp.: Die Gruppe der freien Berufe, die im Interesse der Kunden und der Öffentlichkeit strengen Berufsregelungen unterliegen.

(7)  Siehe Stellungnahme zum Thema "Intelligente Regulierung", Berichterstatter: Jorge PEGADO LIZ, Ziffer 4 A (ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 87).

(8)  Die unlängst erarbeitete Folgenabschätzung zum Paket Verkehrssicherheit umfasst 102 Seiten, die zum Datenschutz sogar 241 Seiten.

(9)  Siehe Stellungnahme zum Thema "Intelligente Regulierung", Berichterstatter: Jorge PEGADO LIZ, Ziffer 4 B (ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 87).

(10)  BEUC – Intelligente Regulierung – Antwort auf die Befragung von Interessenträgern. http://ec.europa.eu/governance/better_regulation/smart_regulation/consultation_2012/docs/registered_organisations/beuc_en.pdf.

(11)  http://www.etuc.org/IMG/pdf/our_priorities_soc_dial_in_smes.pdf.

(12)  Ebenda, Ziffer 2.

(13)  http://ec.europa.eu/dgs/secretariat_general/admin_burden/ind_stakeholders/ind_stakeholders_en.htm.

(14)  http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-13-168_en.htm?locale=FR.

(15)  http://ec.europa.eu/governance/better_regulation/documents/com_2013_de.pdf.

(16)  http://ec.europa.eu/dgs/secretariat_general/evaluation/docs/fitness_check_en.pdf.

(17)  http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.self-and-co-regulation.

(18)  http://ec.europa.eu/dgs/secretariat_general/admin_burden/best_practice_report/best_practice_report_en.htm.

Siehe folgendes Beispiel: http://wwww.bru.gov.mt/15-6-reduction-in-administrative-burden-registered_news-posted-on-17th-december-2012. In Malta wurde im Frühjahr 2006 die Stabsstelle "Better Regulation Unit" (BRU) eingerichtet im Anschluss an die von der nationalen Regierung eingegangenen Verpflichtung, ein der besseren Rechtsetzung zuträgliches Umfeld zu schaffen.

(19)  http://www.irma-international.org/viewtitle/21237/ Ron Craig, "E-government and SMEs" (Elektronische Behördendienste und KMU).


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/38


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung eines Programms zur Unterstützung der Beobachtung und Verfolgung von Objekten im Weltraum

COM(2013) 107 final — 2013/0064 (COD)

2013/C 327/08

Berichterstatter: Edgardo Maria IOZIA

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union beschlossen am 14. März 2013 bzw. am 20. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einrichtung eines Programms zur Unterstützung der Beobachtung und Verfolgung von Objekten im Weltraum

COM(2013) 107 final — 2013/0064 (COD)

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 165 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) erkennt an, wie wichtig für Europa ein autonomes System zur Beobachtung von Objekten im Weltraum ist, um seine eigenen Weltrauminfrastrukturen zu schützen und die Sicherheit der Starts zu gewährleisten, und begrüßt die Kommissionsinitiative, in der die Thematik erstmals behandelt wird und Lösungen vorgeschlagen werden, um in diesem Bereich einen Prozess der Zusammenarbeit und Integration in der Europäischen Union auf den Weg zu bringen.

1.2

Der EWSA unterstützt das Vorhaben der Kommission, sich seitens der Mitgliedstaaten in den Fällen, in denen die Qualität und Quantität der vorgesehenen Informationen und die gemeinsame Nutzung der Kenntnisse, auch über die Methoden und die Kapazitäten der Datenanalyse, von offensichtlichem europäischem Interesse sind, operationelle Vorschläge zur Billigung unterbreiten zu lassen.

1.3

Der EWSA ist sich der Schwierigkeit bewusst, von allen Mitgliedstaaten mitgetragene Lösungen zu finden, und erachtet den Kommissionsvorschlag als einen ersten und wichtigen Schritt hin zu ambitionierteren Zielen der Zusammenarbeit. Aufgrund der starken militärischen Interessen in diesem Programm wird die Schaffung einer gemeinsamen Infrastruktur äußerst komplex, deren Realisierung sich der EWSA so schnell wie möglich auf der Grundlage dieser Initiative erhofft. Es ist jedoch gut, das Fundament für diese Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Einrichtungen zu legen, an der auch die ESA, die Europäische Verteidigungsagentur und die Direktion Krisenbewältigung und Planung teilhaben sollten.

1.4

Der EWSA hält es für vorrangig, die für die SST-Tätigkeit im Verlauf der sieben Betriebsjahre dieses Dienstes vorgesehenen Finanzmittel für die Legung des ersten Grundsteins einer unabhängigen europäischen Kapazität zu nutzen, zu der ein Teil der momentan in den Verteidigungsministerien der Mitgliedstaaten existierenden Kapazität transferiert werden könnte. Diese Kapazität sollte mithilfe bereits in Europa (Kanarische Inseln) verwendeter optischer Teleskope und mithilfe des Baus mindestens eines europäischen Radars erfolgen, der denjenigen der Verteidigungsstrukturen ähnelt. Dies ginge in Richtung einer dauerhaften Investition, im Rahmen derer neue Kapazitäten und Kompetenzen zur Verbesserung der Lebensqualität der europäischen Bürger auf den zivilen Bereich übertragen würden.

1.5

Nach Ansicht des EWSA muss hinsichtlich der für die Realisierung dieses Programms veranschlagten sieben Jahre das von den nationalen Partnern erwartete Dienstniveau mit spezifischen Prognosen festgelegt werden, was die Menge der zu liefernden Daten, die Art, Häufigkeit, Qualität und Verfügbarkeit angeht, um die notwendigen Instrumente zur Bewertung des Dienstes zu besitzen, wie im Falle der Forschungsprogramme des Siebten Rahmenprogramms, in denen diese Parameter klar definiert und aufeinander abgestimmt sind.

1.6

Der EWSA empfiehlt, die Kriterien für den Zugang zum Programm offen zu halten und sie in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a} genauer zu definieren. Es ist wesentlich, dass an dem Programm nicht nur diejenigen Länder teilnehmen, die bereits über eine unabhängige Kapazität verfügen (zum Beispiel Frankreich, Deutschland, Vereinigtes Königreich), sondern all diejenigen, die Kompetenzen für die Datenverarbeitung zur Verfügung stellen können. Der vorgeschlagene Text sollte entsprechend überarbeitet werden.

1.7

Der EWSA weist darauf hin, dass die Tätigkeiten zur Weltraumlageerfassung (sog. Space Situational Awareness (SSA)) neben der Beobachtung und Verfolgung von Objekten im Weltraum (Space Surveillance and Tracking) auch die Vorhersage und Verfolgung meteorologischer Weltraumphänomene (sog. Space Weather, hinsichtlich der magnetischen Sonnenaktivität) und die Beobachtung erdnaher Objekte (Near Earth Objects, NEO) umfassen.

1.8

Da generell anerkannt wird, dass die Gefahr, der die Weltrauminfrastrukturen aufgrund der Sonnenaktivität ausgesetzt sind, mindestens ebenso hoch, wenn nicht gar höher als die Gefahr aufgrund der Auswirkungen besonders intensiver Ereignisse ist, vertritt der EWSA insbesondere die Ansicht, dass beide Aspekte, wie ursprünglich in der Definition von Space Situational Awareness bezweckt, parallel verfolgt werden sollten. Daher fordert erfordert die Kommission, einen umfassenden und integrierten Rahmen für die vielfältigen Aspekte der Verteidigung der Weltrauminfrastrukturen festzulegen, insbesondere mit der ESA, die bereits aktiv an einem Programm zum Schutz vor Sonnenstrahlung mitwirkt. In den Schlussfolgerungen der Konferenz zu Weltraum und Sicherheit (am 10./11. März 2011 in Madrid), auf die in der Folgenabschätzung Bezug genommen wird, wird verdeutlicht, wie die Zusammenarbeit aller Beteiligten, insbesondere der EU, der ESA und der Mitgliedstaaten, in diesem Bereich verstärkt werden kann.

1.9

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, die Zusammenarbeit mit den USA und den anderen an einem gemeinsamen Projekt zum Schutz der Weltrauminfrastrukturen interessierten Staaten zu stärken, um gefährliche und mitunter katastrophale Zusammenstöße – auch mit winzigen Materieteilchen – zu verhindern, die kostspielige und für die menschlichen Aktivitäten unverzichtbare Satelliten außer Gefecht setzen können.

2.   Das Kommissionsdokument

2.1

In der vorliegenden Mitteilung wird die Auflage eines neuen europäischen Programms zur Beobachtung und Verfolgung von Objekten im Orbit (SST, Space Surveillance and Tracking) vorgeschlagen.

2.2

Das Programm wird aufgelegt, um die europäischen Weltrauminfrastrukturen, insbesondere diejenigen im Rahmen der Programme Galileo und Kopernikus/GMES, aber auch die europäischen Raumfahrzeuge beim Start vor der Gefahr einer Kollision mit Weltraummüll zu schützen.

2.3

In der Mitteilung werden auch der Rechtsrahmen des Programms und sein Finanzierungsplan für den Zeitraum 2014-2020 festgelegt.

2.4

Die Mitteilung wird von einem Bericht begleitet (1), in dem insbesondere fünf Finanzierungs- und Verwaltungspläne für das Programm untersucht sowie deren besondere Merkmale, Kosten und Vorteile beschrieben werden.

2.5

Dem eigentlichen Rechtsakt geht eine Begründung voraus, in der der Hintergrund erläutert wird.

2.6

Der geschätzte Gesamtbeitrag der EU zur Umsetzung des SST wird für den Zeitraum 2014-2020 mit 70 Mio. EUR veranschlagt.

2.7

Diese Kosten würden den Beitrag zum Betrieb der sich bereits im Eigentum der teilnehmenden Mitgliedstaaten befindenden Sensoren decken – in der Regel ihre Militärinfrastrukturen – und eines Warndienstes der sich auf die von diesen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Daten stützt und vom Satellitenzentrum der Europäischen Union (EUSC) bereitgestellt wird.

2.8

Die Teilnahme an dem Programm ist fakultativ und sieht auch vor, dass die Mitgliedstaaten über bereits operationelle Sensoren (Teleskope, Radareinrichtungen) und die notwendigen technischen und personellen Mittel bzw. über die adäquaten Kompetenzen im Bereich der Datenverarbeitung verfügen müssen.

2.9

Der dem Vorschlag beigefügten Zusammenfassung der Folgenabschätzung zufolge würden sich die Kosten in Verbindung mit den Auswirkungen von Weltraummüll auf die europäischen operationellen Satelliten in Europa auf jährlich 140 Mio. EUR belaufen und könnten angesichts des für die Dienste des Satellitensektors in den nächsten Jahren vorgesehenen 50 %igen Wachstums auf bis zu schätzungsweise 210 Mio. EUR steigen. Diese Zahlen entsprechen einer sehr vorsichtigen Schätzung und spiegeln nicht den Verlust "vor Ort" wider, d.h. den wirtschaftlichen Verlust aufgrund des Zusammenbruchs von Diensten, die auf Satellitendaten basieren.

2.10

Es sei darauf hingewiesen, dass fast alle diese Verluste nicht so sehr aus dem physischen Verlust der Satelliten, sondern aus der Verkürzung ihrer Lebensdauer aufgrund von Ausweichmanövern zur Kollisionsvermeidung herrühren.

2.11

Auch wenn verschiedene Mitgliedstaaten heute über einen eigenen Beobachtungsdienst verfügen, ist die Kommission der Ansicht, dass die EU an dem Vorhaben mitwirken muss, damit die für die Projektfinanzierung notwendigen Investitionen gebündelt und Vorkehrungen für die Projektlenkung getroffen werden, damit eine Datenpolitik festgelegt sowie ferner dafür Sorge getragen wird, dass bestehende und künftige Kapazitäten koordiniert und effizient zum Einsatz kommen.

2.12

Bis heute dient das vom amerikanischen Verteidigungsministerium verwaltete Space Surveillance Network (SSN) als Richtgröße für sämtliche Warndienste. In diesem Zusammenhang wird die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA, bei der kostenlos amerikanische Daten zur Verfügung gestellt werden, als unzureichend erachtet, da diese Daten nicht präzise genug sind und die EU keinerlei Kontrolle über ihre Verwaltung hat.

2.13

Die Einrichtung dieses Dienstes würde daher gut der Strategie der Unabhängigkeit Europas in als kritisch erachteten Bereichen und insbesondere beim Zugang zum Weltraum entsprechen.

2.14

Gegenwärtig werden in Europa schätzungsweise 65 % der Sensoren für Satelliten in erdnahen Umlaufbahnen vollständig oder teilweise von Institutionen im Bereich des Verteidigungssektors verwaltet (2).

2.15

Nach Ansicht der Kommission ist die Europäische Weltraumagentur (ESA) nicht für die Durchführung eines derartigen Programms geeignet, da sie nicht für die Verarbeitung geheimer Daten – wie der aus den von den Militärstrukturen verwalteten Sensoren stammenden Daten – ausgerüstet ist.

2.16

Die europäische Agentur, die für die operationellen Aufgaben der Koordinierung zuständig sein sollte, ist das Satellitenzentrum der Europäischen Union (EUSC), eine EU-Agentur, die durch die Gemeinsame Aktion des Rates vom 20. Juli 2001 eingerichtet wurde und den zivilen und militärischen Nutzern weltraumgestützte geografische Bildinformationsdienste und -produkte mit verschiedenen Geheimhaltungsstufen zur Verfügung stellt. Das EUSC könnte die Erbringung der SST-Dienste erleichtern und wird sich (in Zusammenarbeit mit den teilnehmenden Mitgliedstaaten) an der Errichtung und dem Betrieb der Funktion zur Erbringung von SST-Diensten – eines der Ziele des SST-Unterstützungsprogramms – beteiligen. Momentan sieht das Statut dieser Agentur jedoch kein Tätigwerden im Bereich des SST vor.

2.17

Es wird davon ausgegangen, dass die Verwaltung des Programms 50 Mitarbeiter (einschließlich der von den teilnehmenden Mitgliedstaaten, dem EUSC und der Kommission bereit gestellten Humanressourcen) erfordern wird.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass in dem Vorschlag keine ausreichenden Instrumente und Kompetenzen für die Erhebung und Analyse der Daten auf europäischer Ebene vorgesehen werden. Folglich wird sich Europa am Ende des fünfjährigen Finanzierungszeitraums für dieses Programm in derselben Lage wie vor fünf Jahren befinden und daher diese Vereinbarung wahrscheinlich verlängern müssen, um eine kontinuierliche Bereitstellung der Daten durch die Verteidigungsstrukturen der teilnehmenden Mitgliedstaaten sicherzustellen.

3.2

Hinsichtlich der vorgeschlagenen Finanzierung von 70 Mio. EUR werden keine Auflagen zur Verfügbarkeit, Qualität und Zeitnähe der von den nationalen Strukturen bereitzustellenden Daten gemacht. Es ist daher schwierig, Kriterien zur Bewertung des erbrachten Dienstes festzulegen. Dies wird erst dann möglich sein, wenn die Kommission die zu verfassenden Durchführungsrechtsakte vorgelegt hat.

3.3

Die Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dass die ESA keine ausreichenden Garantien für die Verarbeitung sensibler Daten bereitstellt; die hierfür zuständige Agentur wäre die EUSC. Es ist jedoch festzustellen, dass auf einzelstaatlicher Ebene die Länder mit einem eigenen Beobachtungs- und Verfolgungsdienst (wie das Vereinigte Königreich, Frankreich und Deutschland) diesen im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen Weltraum- und Verteidigungsagenturen betreiben, was vermuten lässt, dass sich diese Form der Zusammenarbeit in der Praxis als wirkungsvoll erwiesen hat. Daher ist nicht klar, warum die ESA von einem derartigen Dienst ausgeschlossen wird, zumal sie bereits an einem globalen Warn- und Katastrophenbewältigungsdienst, der International Charter on Space and Major Disasters, mitwirkt.

3.4

Das SST-Programm ist eines der drei Bereiche des Vorbereitungsprogramms für die Weltraumlageerfassung (Space Situational Awareness (SSA)), das von der ESA seit 2009 in präoperativer Form durchgeführt wird; bei den beiden anderen handelt es sich um die Vorhersage und Verfolgung meteorologischer Weltraumphänomene (Space Weather) und die Beobachtung erdnaher Objekte (Near Earth Objects).

3.5

Das SSA-Vorbereitungsprogramm der ESA wurde mit Mitteln in Höhe von 55 Mio. EUR finanziert. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Programmen ist unklar. Vor allem ist unverständlich, wie dieser SST-Dienst mit einem ähnlichen Dienst unterstützt werden soll, der Warnungen vor Risiken der Sonnenaktivität erzeugt und verwaltet.

3.6

Es ist sinnvoll, das Ausmaß der durch Zusammenstöße mit Weltraummüll verursachten Schäden mit demjenigen der Schäden infolge geomagnetischer Sonnenaktivität zu vergleichen. Einer Studie der amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) (3) zufolge sind die wirtschaftlichen Verluste aufgrund der Auswirkungen von Sonnenstürmen auf die Satelliteninfrastrukturen erheblich. 2003 hat die intensive Sonnenaktivität ADEOS-2, einen japanischen Satelliten mit einem Wert von 640 Mio. Dollar, zerstört. 1997 hat ein Magnetsturm zum Verlust des Telekommunikationssatelliten Telstar mit einem Wert von 270 Mio. Dollar geführt, während 1989 ein anderer Magnetsturm in der Region von Kanada einen neunstündigen Stromausfall mit auf sechs Milliarden Dollar bezifferten Schäden verursachte.

3.7

Ein Super-Solarsturm (solar superstorm) wie derjenige aus dem Jahr 1859 würde heute – was lediglich die Schäden an Satelliten in geostationärem Orbit angeht – Schäden in Höhe von schätzungsweise 30 Mrd. Dollar verursachen, während die Schäden am Stromnetz diese Zahl auf 1 bis 2 Trillionen Dollar ansteigen lassen würden und für die vollständige Wiederherstellung seiner Betriebsfähigkeit 4 bis 10 Jahre erforderlich wären (4).

3.8

Das Risiko infolge der Sonnenaktivität ist mindestens so hoch wie das Risiko infolge des Weltraummülls. Diese müssten daher beide zusammen beobachtet werden, wie im Übrigen auf der Konferenz von Madrid im März 2011 vorgesehen wurde. In der Mitteilung wird jedoch nicht näher erläutert, wer einen operationellen Dienst für Warnungen bezüglich der Sonnenaktivität einrichten soll.

3.9

Nach Ansicht des Ausschusses sollte in dem Vorschlag der Schutz der europäischen Weltrauminfrastrukturen berücksichtigt werden – einschließlich einer ergänzenden Aktivität zur Beobachtung des Space Weather und der Fristen für die Realisierung und Integration beider Systeme.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

In Artikel 5 Absatz 2 ist vorgesehen, dass keine neuen Kapazitäten aufgebaut werden, sondern nur die vorhandenen Kapazitäten der Mitgliedstaaten verwendet werden sollen. In Teil 2 der Begründung heißt es jedoch ausdrücklich, dass die vorhandenen Kapazitäten nicht ausreichen. Es ist folglich überhaupt nicht klar, welche Art von System – auch in Bezug auf die fünf in der beigefügten Folgenabschätzung (Impact Assessment) genannten Formen – im Einzelnen verwirklicht werden soll.

4.2

Die technischen Merkmale dieses Systems sind nicht ausdrücklich definiert. Dessen Ziele werden beschrieben, doch wird auf künftige Beratungen zwischen den Staaten verwiesen, um seine Zusammensetzung festzulegen.

4.3

Zusammenhang zwischen militärischer und ziviler Nutzung. Das System ist als ziviles System konzipiert. Die meisten Informationen stammen jedoch aus dem Militärbereich. Es gibt keine ausdrücklichen Auflagen oder Protokolle zur Verpflichtung der militärischen Seite, diese Informationen der zivilen Seite bereitzustellen. Hier wird in dem Dokument erneut auf eine künftige Bestimmung des Problems verwiesen.

4.4

Beziehung zwischen den Mitgliedstaaten und der EU. In dem Vorschlag heißt es, dass sämtliche Sensoren im Besitz der einzelnen Mitgliedstaaten sind und bleiben sollen. Es scheint keine ausdrücklichen Auflagen zu geben, die ein Mindestmaß an Daten- und Informationsfluss garantieren.

4.5

Definition des Dienstes. In dem Vorschlag wird dieser Punkt nicht ausdrücklich angesprochen. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob dies für die Programmprojekte ausreicht.

4.6

In der Entschließung vom 26. September 2008 "Weiterentwicklung der europäischen Raumfahrtpolitik" betont der Rat die Notwendigkeit der "Schaffung einer Kapazität, um dem Bedarf der europäischen Nutzer an einer umfassenden Lageerkennung in Bezug auf das Weltraumumfeld zu genügen"

4.7

Es ist wichtig, die SST-Programme wie die aktuellen SSA-Programme aktiv weiterzuentwickeln.

4.8

Die in Absatz 1.4.4 genannten "Leistungs- und Erfolgsindikatoren" sind eher Tautologien, da sie in operationeller Hinsicht wenig Informationen zur nachträglichen Bewertung der Wirksamkeit des Programms liefern.

4.9

Über die Definition der Lenkungsstruktur hinaus ist das operationelle Modell des Systems nicht zufriedenstellend definiert.

Die Teilnahme der Mitgliedstaaten ist nicht obligatorisch. Was wäre die Mindestgrundlage für einen funktionierenden Dienst?

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen Impact Assessment [Folgeabschätzung], SWD(2013) 55 final.

(2)  Study on Capability Gaps concerning Space Situational Awareness, ONERA, 2007.

(3)  Value of a Weather-Ready Nation, 2011, NOAA.

(4)  Siehe: National Research Council (2008), Severe Space Weather Events. Understanding Societal and Economic Impacts: A Workshop Report. Washington, DC, The National Academies Press.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (Neufassung)

COM(2013) 162 final — 2013/0089 (COD)

2013/C 327/09

Hauptberichterstatter: Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER

Der Rat beschloss am 15. April und das Europäische Parlament am 16. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (Neufassung)

COM(2013) 162 final — 2013/0089 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 16. April 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 116 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Angesichts des unbestreitbaren wirtschaftlichen Werts der Marken und ihrer Nützlichkeit für den Binnenmarkt ist der geltende Rechtsrahmen für ihren supranationalen Schutz eindeutig unzureichend. Der Vorschlag für eine Richtlinie ist dennoch ein Fortschritt gegenüber der jetzigen Situation, in der unterschiedliche Regelungen für die Gemeinschaftsmarke und die innerstaatlichen Marken nebeneinander bestehen.

1.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss spricht sich folglich für einen stärkeren Schutz der Rechte des geistigen Eigentums aus, die mit der legitimen Nutzung eines Warenzeichens verbunden sind. Das Register für Gemeinschaftsmarken muss nach Kräften gefördert werden. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) in seinen Aufgaben zur Überwachung der Wahrung dieser Rechte zu unterstützen.

1.3

In diesem Sinne sieht das Unionsrecht für den Markeninhaber zum einen die ausschließliche Nutzung der Marke zum Zweck der Gewinnerzielung ("ius utendi") und zum anderen die Möglichkeit vor, dagegen vorzugehen, dass ihre Nutzung durch Handlungen Dritter im Wege der Nachahmung oder der unrechtmäßigen Verwendung ihrer Unterscheidungsmerkmale beeinträchtigt wird ("ius prohibendi"). Der Ausschuss dringt darauf, Präventivmaßnahmen gegen die Produktpiraterie, die die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen unterminiert, und Maßnahmen zur Wiedergutmachung des entstandenen Schadens zu ergreifen.

1.4

Im geltenden Unionsrecht ist allerdings nicht eindeutig geregelt, unter welchen Bedingungen der Inhaber einer Marke seine Ansprüche zur Unterbindung derartiger Praktiken vor Gericht durchsetzen kann.

1.5

Allgemein muss dieser Prozess der Angleichung in den nächsten Jahren in eine Vereinheitlichung des Markenrechts münden, wozu ein Markenkodex der EU zu verabschieden wäre, der u.a. die Schaffung eines flexiblen, einheitlichen und kostengünstigen Verfahrens regeln müsste, das es den Beteiligten erleichtert, sich von sich aus für das freiwillige Warenzeichenregister zu entscheiden, und das der heutigen Verschiedenheit der Rechtslagen ein Ende setzt.

1.6

Der EWSA sollte eine aktive Rolle im Gesetzgebungsverfahren für den Erlass sämtlicher, das geistige Eigentum betreffender Rechtsakte spielen; daher bedauert er, dass er nicht mit dem Vorschlag zur Änderung der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke befasst wurde.

1.7

Der EWSA hofft, dass es künftig ein System geben wird, das den Unternehmen und Verbrauchern einen einheitlichen Schutz der Marken garantiert.

2.   Einleitung

2.1

International ist das Markenrecht durch die Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums geregelt, die am 20. März 1883 in Paris unterzeichnet wurde, zuletzt geändert am 14. Juli 1967 in Stockholm und berichtigt am 28. September 1979 (1) (im folgenden "Pariser Verbandsübereinkunft").

2.2

Nach Artikel 19 der Pariser Verbandsübereinkunft können Verbandsländer einzeln untereinander Sonderabkommen zum Schutz des gewerblichen Eigentums treffen.

2.3

Diese Bestimmung diente als Grundlage für den Abschluss des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken, das am 15. Juni 1957 auf der Diplomatenkonferenz in Nizza angenommen, zuletzt am 13. Mai 1997 in Genf geändert und am 28. September 1979 (2) modifiziert wurde. Die Nizza-Klassifikation wird alle fünf Jahre von einem Expertenausschuss überarbeitet.

2.4

Gemäß der Datenbank der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) sind von den EU-Mitgliedstaaten nur Zypern und Malta nicht Vertragspartei des Abkommens von Nizza, machen jedoch beide von der Nizza-Klassifikation Gebrauch.

2.5

Der Markenschutz ist im Wesentlichen gebietsbezogen. Das liegt daran, dass die Marke ein Eigentumsrecht ist, das ein Zeichen in einem bestimmten Gebiet schützt.

2.5.1

Im Primärrecht der EU ist in Artikel 17 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegt: "Geistiges Eigentum wird geschützt."

2.5.2

Des Weiteren enthält Artikel 118 AEUV die Bestimmung, dass im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen zur Schaffung europäischer Rechtstitel über einen einheitlichen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums in der Union sowie zur Einführung von zentralisierten Zulassungs-, Koordinierungs- und Kontrollregelungen auf Unionsebene erlassen.

2.6

In der Europäischen Union besteht der Schutz nationaler Marken und der Gemeinschaftsmarke nebeneinander. Der Inhaber einer nationalen Marke kann die Rechte aus dieser Marke in dem Gebiet des Mitgliedstaates geltend machen, nach dessen innerstaatlichem Recht die Marke geschützt ist. Der Inhaber einer Gemeinschaftsmarke kann das Gleiche in dem Gebiet der 28 Mitgliedstaaten tun, denn die Marke ist in dem gesamten Gebiet gültig.

2.7

Das Markenrecht der Mitgliedstaaten wurde durch die Richtlinie 89/104/EWG vom 21. Dezember 1988 (kodifiziert als Richtlinie 2008/95/EG) in Teilen angeglichen.

2.8

Parallel zu dieser Richtlinie und zu den nationalen Markenrechtssystemen wurde mit der Verordnung (EG) Nr. 40/94 vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (kodifiziert als Verordnung (EG) Nr. 207/2009) eine eigenständige Regelung für die Eintragung von Markenrechten eingeführt, die eine einheitliche Wirkung in der gesamten EU entfalten. In diesem Kontext wurde dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) die Zuständigkeit für die Eintragung und Verwaltung von Gemeinschaftsmarken übertragen.

2.9

In den letzten Jahren hat die Europäische Kommission öffentliche Debatten über das geistige Eigentum geführt, an denen sich der EWSA beteiligte. 2011 kündigte sie eine Modernisierung des Markensystems sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene an, um es effektiver, effizienter und insgesamt kohärenter zu machen.

2.10

In seiner Entschließung vom 25. September 2008 über einen europäischen Gesamtplan zur Bekämpfung von Nachahmungen und Piraterie forderte der Rat die Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen (3). Der EWSA hofft, dass Verbesserungen am Rechtsrahmen vorgenommen werden, um den Schutz der Rechte am geistigen Eigentum durch die Zollbehörden zu verstärken und eine angemessene Rechtssicherheit zu gewährleisten.

2.11

Das europäische Markensystem basiert auf dem Grundsatz der Koexistenz und Komplementarität zwischen dem einzelstaatlichen Markenschutz und dem Schutz auf EU-Ebene.

2.12

Die Verordnung über die Gemeinschaftsmarke regelt umfassend alle materiell- und verfahrensrechtlichen Fragen, während sich die Richtlinie auf die Angleichung ausgewählter materiellrechtlicher Bestimmungen beschränkt. Der Vorschlag zielt folglich darauf ab, dass die materiellrechtlichen Regeln im Wesentlichen gleich und zumindest die wichtigsten Verfahrensvorschriften miteinander kompatibel sind.

2.13

Ziel des Vorschlags ist die Förderung von Innovation und Wirtschaftswachstum durch besser zugängliche und leistungsfähigere Verfahren für die Eintragung von Marken in der gesamten EU, die für die Unternehmen kostengünstiger und einfacher, schneller und berechenbarer sind und mehr Rechtssicherheit bieten.

2.14

Mit der Neufassung der Richtlinie werden konkret folgende Ziele verfolgt:

Modernisierung und Verbesserung der bestehenden Richtlinienvorschriften durch Änderung überholter Bestimmungen, Erhöhung der Rechtssicherheit und genauere Bestimmung des Umfangs und der Grenzen von Markenrechten;

größere Angleichung der nationalen Markenrechte und Verfahren mit dem Ziel, sie stärker mit dem Gemeinschaftsmarkensystem in Einklang zu bringen, und zwar durch:

a)

die Aufnahme zusätzlicher materiellrechtlicher Bestimmungen und

b)

die Aufnahme grundlegender Verfahrensvorschriften entsprechend den Bestimmungen der Verordnung in die Richtlinie, insbesondere derjenigen, bei denen die bestehenden Divergenzen aus Sicht der Nutzer besondere Probleme bereiten und eine Angleichung als unverzichtbar für einen stimmigen, komplementären Markenrechtsschutz in Europa gilt;

Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den Markenämtern der Mitgliedstaaten und dem HABM durch Einfügung einer entsprechenden Rechtsgrundlage zu dem Zweck, Verfahrensweisen besser abzustimmen und die Entwicklung gemeinsamer Tools zu fördern.

2.15

Der Richtlinienvorschlag dient zum einen der Modernisierung und Verbesserung der bestehenden Vorschriften betreffend:

die Definition der Marke, indem die Möglichkeit der Eintragung von Marken vorgesehen wird, die mit technischen Mitteln darstellbar sind, die ausreichende Garantien bieten;

die Rechte aus der Marke nach Artikel 10 und 11, in denen es um die Rechte des Markeninhabers unter Nichtbeeinträchtigung älterer Rechte geht, um identische Marken, um die Benutzung als Unternehmensbezeichnung oder Handelsname, die Benutzung in vergleichender Werbung, Sendungen von kommerziellen Anbietern, in das Zollgebiet verbrachte Waren sowie um Vorbereitungshandlungen und Beschränkungen der Wirkungen der Marke.

2.16

Zum anderen wird mit dem Vorschlag eine größere Angleichung des materiellen Markenrechts bezweckt, und zwar betreffend den Schutz geografischer Angaben und traditioneller Bezeichnungen, den Schutz bekannter Marken, die vermögensrechtlichen Aspekte von Marken, da sie Gegenstand einer Abtretung von dinglichen Rechten sein können, und Kollektivmarken.

2.17

Bei der Angleichung der wichtigsten Verfahrensvorschriften geht es um die Bezeichnung und Klassifizierung der Waren und Dienstleistungen, die Prüfung von Amts wegen, die Gebühren, das Widerspruchsverfahren, die Einrede der Nichtbenutzung in Widerspruchsverfahren, das Verfalls- oder Nichtigkeitsverfahren und die Einrede der Nichtbenutzung in Nichtigkeitsverfahren.

2.18

Außerdem soll der Vorschlag die Zusammenarbeit zwischen den Markenämtern erleichtern, denn Artikel 52 bietet ergänzend zu dem Kooperationsrahmen, der im Zuge der Überarbeitung der Verordnung vorgeschlagen wird, eine Rechtsgrundlage für eine einfachere Zusammenarbeit zwischen dem HABM und den für geistiges Eigentum zuständigen Ämtern der Mitgliedstaaten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie, denn er ist in einem weltwirtschaftlichen Umfeld, das durch einen hohen Wettbewerbsdruck und den Konjunkturabschwung in Europa gekennzeichnet ist, besonders sachdienlich.

3.1.1

Markenzeichen sind in dieser Hinsicht zum einen ein Beitrag zum Wert eines Unternehmens und zur Kundenbindung und zum anderen zum Verbraucherschutz.

3.1.2

Gerade der letzte Aspekt ist hier aus verschiedenen Gründen von großer Relevanz:

erstens, weil der Markenschutz die Suchkosten der Verbraucher verringert;

zweitens, weil er ihnen ein gleichbleibendes Qualitätsniveau zusichert, was den Hersteller zwingt, sich um die Beschaffenheit seiner Produkte oder Dienstleistungen zu kümmern;

drittens, weil er Investitionen in Verbesserung und Innovation erfordert, was das Geschäftsvertrauen der Verbraucher stärkt.

3.2

Die vorgeschlagene Richtlinie wird den gegenwärtigen Rechtsrahmen der Mitgliedstaaten in dreifacher Hinsicht ganz erheblich verbessern:

die Vereinfachung der Systeme für die Eintragung von Marken in der gesamten EU, mit der daraus folgenden Kostensenkung und Beschleunigung der Verfahren;

die Rechtssicherheit, weil eine größere Komplementarität zwischen den innerstaatlichen und den supranationalen Normen in diesem Bereich entsteht und die Koordinierung unter den zuständigen Behörden verbessert wird, und schließlich

die Verbesserung des Schutzes des geistigen Eigentums, die sich in erster Linie aus der Klarstellung der Regeln für Waren im Durchgangsverkehr, die Aufnahme neuer Eintragungskriterien, z.B. für Hörmarken, bestimmte Spezifikationen betreffend den Schutz geografischer Angaben, die Nicht-EU-Sprachen u.a. ergibt.

3.3

Außerdem sieht der Vorschlag angesichts der wirtschaftlichen, kommerziellen und juristischen Entwicklung bedeutsame Neuerungen vor, wie bei der Definition der Marke, bei der im Interesse einer präziseren Bestimmung der Marke andere Formen der Darstellung als die grafische zugelassen werden. So wird es möglich sein, Zeichen eintragen zu lassen, die sich mit technischen Mitteln darstellen lassen, die ausreichende Garantien bieten.

3.4

Begrüßenswert ist die Absicht, eine stärkere Angleichung des materiellen Rechts zu erreichen. Hinzukommen sollen der Schutz geografischer Angaben und traditioneller Bezeichnungen, der Schutz bekannter Marken und die Behandlung von Marken als Vermögensgegenstand, wie bei der Abtretung, sowie grundlegende Aspekte der wirtschaftlichen Nutzung. Die Aufnahme von Kollektivmarken und Garantie-/Gewährleistungsmarken als Rechtsinstitute in den Richtlinienvorschlag ist sowohl für die Unternehmen als auch die Verbraucher von sehr großer Bedeutung.

3.5

Auch die Angleichung der wichtigsten Verfahrensvorschriften wird vom EWSA begrüßt, denn für die Bezeichnung und Klassifizierung von Waren und Dienstleistungen, die Prüfung von Amts wegen, das Widerspruchs-, das Verfalls- oder Nichtigkeitsverfahren werden gemeinsame Bestimmungen gelten, die der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgen.

3.6

Erfreulich ist für den Ausschuss auch, dass die Ausarbeitung des Richtlinienvorschlags mit einem hohen Maß an Öffentlichkeit und Mitwirkung interessierter Kreise der Zivilgesellschaft erfolgte.

3.7

Allerdings ist auch ein Einwand gegen den Gegenstand und den Inhalt des hier debattierten Vorschlags zu erheben, unbeschadet dessen, was der - mit dem Richtlinienvorschlag ein Legislativpaket bildende - Vorschlag zur Änderung der geltenden Verordnung (EG) Nr. 207/2009, mit der einziges Verfahren für die Eintragung einheitlicher Schutzrechte eingeführt wurde, bringen wird.

3.8

Der Ausschuss stellt nämlich mit Befremden fest, dass ihm der Vorschlag COM (2013) 161 final vom 27. März 2013 zur Änderung der Verordnung Nr. 207/2009 über die Gemeinschaftsmarke überhaupt nicht zur Stellungnahme vorgelegt wurde.

3.9

Da es sich um einen Rechtsakt handelt, der unmittelbare Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes (Artikel 118 AEUV) hat und das Niveau des Verbraucherschutzes (Artikel 169 AEUV) betrifft, führt die wörtliche, kohärente Auslegung der Vertragsbestimmungen, die dem Ausschuss ausdrücklich eine beratende Zuständigkeit in diesen Fragen zuweisen, zu dem Schluss, dass die Beteiligung des Ausschusses an dem Gesetzgebungsverfahren für den Erlass dieses Rechtsaktes unumgänglich ist.

3.10

In diesem Sinne sieht das Unionsrecht für den Markeninhaber zum einen die ausschließliche Nutzung der Marke zum Zweck der Gewinnerzielung ("ius utendi") und zum anderen die Möglichkeit vor, dagegen vorzugehen, dass ihre Nutzung durch Handlungen Dritter im Wege der Nachahmung oder der unrechtmäßigen Verwendung ihrer Unterscheidungsmerkmale beeinträchtigt wird ("ius prohibendi"), wie in Artikel 9 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 festgelegt.

3.11

Im geltenden Unionsrecht ist allerdings nicht eindeutig geregelt, unter welchen Bedingungen der Inhaber einer Marke seine Ansprüche zur Unterbindung derartiger Praktiken vor Gericht durchsetzen kann.

3.11.1

Wenngleich der Richtlinienvorschlag eine erhebliche Ausweitung der Zahl der Fälle vorsieht, in denen der Markeninhaber Dritten die Verwendung der Marke verbieten kann (Artikel 10), wozu sogar ein neuer Tatbestand eingeführt wird, die Verletzung der Rechte des Markeninhabers durch Benutzung der Aufmachung, Verpackung oder anderer Kennzeichnungsmittel (Artikel 11) oder die unerlaubte Benutzung durch einen Agenten oder einen Vertreter des Markeninhabers (Artikel 13), bleibt die genaue Bestimmung des Umfangs des Rechtes der Rechtsauffassung des zuständigen Richters überlassen, falls vom Betroffenen ein Gerichtsverfahren angestrengt wird.

3.11.2

Anschließend obliegt es dem jeweiligen Gericht zu beurteilen, ob die Gefahr einer Verwechslung besteht oder eine unrechtmäßige Verwendung der geschützten Marke durch einen Dritten vorliegt, und falls ja, auch den Schadensersatz festzulegen, die dem Markeninhaber je nach der geltend gemachten Forderung gebührt.

3.11.3

Folglich bietet der Richtlinienvorschlag weder einen einheitlichen Schutz der Nutzungsrechte des Markeninhabers noch der Rechte der Verbraucher, falls diese sich durch die missbräuchliche oder betrügerische Verwendung einer Handelsmarke geschädigt sehen sollten.

3.12

Bei der Komplementarität zwischen dem supranationalen Schutz und den innerstaatlichen Systemen für den Schutz der Rechte des Markeninhabers besteht also eindeutig die Gefahr, dass der Schutz nicht so wirksam und schnell erfolgt, wie in den Zielen des Richtlinienvorschlags erhofft.

3.12.1

So ist z.B. nicht sichergestellt, dass die von Land zu Land bestehenden Diskrepanzen, die sich aus der fehlerhaften Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2004/48/EG (zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums) ergeben, bezüglich der folgenden Maßnahmen zur Klagesicherung überwunden werden:

Unterlassung, einschließlich der eventuellen Vernichtung der Waren und der zu ihrer Herstellung benutzten Materialien und Geräte, oder Verhängung von Zwangsgeldern;

Schadensersatz oder die Möglichkeit der Veröffentlichung des entsprechenden Urteils.

3.12.2

Diese Rechtsunsicherheit wird noch größer in Fällen einer Verletzung der Rechte des Markeninhabers, die in mehreren Mitgliedstaaten eingetreten sind.

3.13

Dies gilt umso mehr, als im Richtlinienvorschlag selbst Umstände aufgeführt sind, die den Grad an Komplexität des Schutzes erhöhen.

3.13.1

So ist z.B. in Artikel 4 Ziffer 3 (Eintragungshindernisse oder Nichtigkeitsgründe) festgelegt: "Eine Marke ist für nichtig zu erklären, wenn der Anmelder die Marke bösgläubig zur Eintragung angemeldet hat." Und weiter: "Jeder Mitgliedstaat kann überdies vorsehen, dass eine solche Marke von der Eintragung ausgeschlossen ist".

3.14

Da nach Ansicht des HABM die fehlende Verwendungsabsicht nicht unter den Begriff der Bösgläubigkeit fällt, stellt sich die Frage, welches Organ einheitliche Kriterien aufstellt, anhand derer die zuständigen Prüfer feststellen können, ob es andere Gründe für die Vermutung der Böswilligkeit gibt.

3.15

Diese Gesetzeslücke ist paradox, wenn man sie mit der neuen Bestimmung in Artikel 10 Absatz 5 des Richtlinienvorschlags vergleicht, die den Inhaber einer eingetragenen Marke stärkt, um zu verhindern, dass Dritte Waren, die aus nicht zur Zollunion gehörenden Gebieten stammen, einführen, ohne die Waren dort in den zollrechtlich freien Verkehr zu überführen. Der Vorschlag folgt hier also nicht der geltenden Rechtsprechung des Gerichtshofes über im Versand befindliche Waren (verbundene Rechtssachen C-446/09 und C-495/09, Philips/Nokia) und macht jede Vermutung oder jeden Beweis hinsichtlich des guten Glaubens, in dem die betreffenden Dritten handeln könnten, unwirksam (4).

3.16

Andererseits wäre es der Verhütung und Bekämpfung dieser Art von unlauteren Geschäftspraktiken eindeutig förderlich, wenn die Europäische Kommission durch eine spezifische Rechtsgrundlage in dem Richtlinienvorschlag ermächtigt würde, im Wege der Zusammenarbeit mit den Behörden der Drittstaaten, deren Unternehmen diese Praktiken allgemein und systematisch anwenden, intensiver tätig zu werden.

3.17

Ebenfalls nicht ausreichend ist die Bestimmung in Artikel 45 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags, der allgemein festlegt: "Die Mitgliedstaaten stellen für den Widerspruch gegen die Eintragung einer Marke aus den in Artikel 5 genannten Gründen ein effizientes, zügiges Verwaltungsverfahren bei ihren Markenämtern bereit". Es müsste genauer festgelegt werden, wie ein solches Verfahren aussehen soll, und im Einklang mit den Bestimmungen in Artikel 41 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der EU (Recht auf eine gute Verwaltung) ist gesetzlich eine angemessene Frist festzulegen, innerhalb derer die zuständigen nationalen Behörden tätig werden müssen.

3.18

Ähnlich ist aus Gründen der Wirksamkeit und Vorhersehbarkeit, die für einen supranationalen Schutz der Inhaber von Markenrechten wesentlich sind, eine Änderung anderer Bestimmungen des Richtlinienvorschlags geboten, wie der Artikel 44 und 52. In Artikel 44, demzufolge eine zusätzliche (Klassen-) Gebühr für jede Klasse von Waren und Dienstleistungen über die erste Klasse hinaus verlangt werden muss, die Bestandteil der Erstgebühr (Eintragungsgebühr) sein sollte, wäre eine Höchstgrenze für diese Gebühren festzulegen.

3.19

Und Artikel 52, der eine Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und dem HABM vorsieht, um die Abstimmung von Verfahren und Instrumenten zu fördern und bei der Prüfung und Eintragung von Marken übereinstimmende Ergebnisse zu erzielen, müsste um eine besondere Bestimmung ergänzt werden, durch die der Kommission im Einklang mit Artikel 291 Absatz 2 AEUV Durchführungsbefugnisse für die Verabschiedung eines bindenden "Verhaltenskodex" übertragen werden.

3.20

Die Verwaltungszusammenarbeit zwischen dem HABM und den jeweiligen einzelstaatlichen Ämtern ist als Frage von gemeinsamem Interesse im Sinne von Artikel 197 AEUV anzusehen. In dieser Hinsicht wäre es besonders interessant, den Informations- und Beamtenaustausch zu erleichtern und Fortbildungsprogramme zu unterstützen, wofür angemessene öffentliche Mittel bereitzustellen wären.

3.21

Allgemein muss dieser Prozess der Angleichung in den nächsten Jahren in eine Vereinheitlichung des Markenrechts münden, wozu ein Markenkodex der EU zu verabschieden wäre, der u.a. die Schaffung eines flexiblen, einheitlichen und kostengünstigen Verfahrens regeln müsste, das es den Beteiligten erleichtert, sich von sich aus für das freiwillige Warenzeichenregister zu entscheiden.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Vertragssammlung der Vereinten Nationen, Bd. 828, Nr. 11851.

(2)  Vertragssammlung der Vereinten Nationen, Bd. 818, Nr. I-11849.

(3)  ABl. L 196 vom 2.8.2003, S. 7.

(4)  Artikel 10 Absatz 5 der vorgeschlagenen Richtlinie lautet: "Der Inhaber einer eingetragenen Marke ist auch berechtigt, Dritten zu untersagen, im Rahmen einer kommerziellen Tätigkeit Waren in das Zollgebiet des Mitgliedstaats zu verbringen, in dem die Marke eingetragen ist, ohne die Waren dort in den zollrechtlich freien Verkehr zu überführen, wenn die Waren, einschließlich ihrer Aufmachung, aus Drittstaaten stammen und ohne Zustimmung eine Marke aufweisen, die mit der für derartige Waren eingetragenen Marke identisch ist oder in ihren wesentlichen Aspekten nicht von dieser Marke zu unterscheiden ist." Es geht, einfach gesagt, um die Schaffung eines starken Hebels gegen nachgeahmte, außerhalb der EU hergestellte Erzeugnisse. Es soll nicht zugelassen werden, dass die Betreffenden von der gesetzlichen Fiktion profitieren, Durchfuhrgüter würden nicht in das Zollgebiet der EU eintreten.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/47


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates im Hinblick auf die Offenlegung nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Gesellschaften und Konzerne

COM(2013) 207 final — 2013/0110 (COD)

2013/C 327/10

Berichterstatterin: Evelyne PICHENOT

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 2. Mai 2013 bzw. am 21. Mai 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 50 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates im Hinblick auf die Offenlegung nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Gesellschaften und Konzerne

COM(2013) 207 final — 2013/0110 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 27. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) mit 95 gegen 31 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Vorschläge der Kommission zur Änderung der Rechnungslegungsrichtlinien im Hinblick auf die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen sowie die Diversität in Leitungsorganen. Diese begrenzten Änderungen tragen zur Verbesserung des ordnungspolitischen Rahmens der EU für die Unternehmensführung (1) bei.

1.2

Der EWSA empfiehlt dem Europäischen Parlament und dem Rat, dem Gleichgewicht Rechnung zu tragen, das erreicht wird durch diese Änderungen zur Verbesserung der Transparenz bei ökologischen, sozialen und die verantwortungsvolle Unternehmensführung betreffenden Aspekten (ESG-Kriterien). Der Vorschlag der Kommission ist ein flexibles Instrument und gut geeignet, um die Kommunikation mit den Aktionären, Investoren, Arbeitnehmern und anderen Interessenträgern zu verbessern. Da kleineren Unternehmen keine zusätzlichen Anforderungen auferlegt werden sollen, betrifft dieser Vorschlag nur die Großunternehmen.

2.   Empfehlungen

2.1

Der EWSA stellt fest, dass die ausgewogene Kombination folgender Elemente es gestattet, den Aktionären in der Hauptversammlung nichtfinanzielle Informationen zukommen zu lassen und die Interessenträger zu unterrichten. Dies entspricht den erklärten Zielen der Transparenz und Kohärenz.

Wichtige nichtfinanzielle Informationen werden in den jährlichen Lagebericht aufgenommen.

Diese Informationen betreffen insbesondere Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung.

Die Informationen betreffen die diesbezüglichen Maßnahmen des Unternehmens, die Ergebnisse dieser Maßnahmen sowie die damit zusammenhängenden Risiken und Ungewissheiten und die Art und Weise, wie das Unternehmen damit umgeht.

Die Regelung ist von allen Gesellschaften mit beschränkter Haftung anzuwenden, die den Rechnungslegungsrichtlinien unterliegen.

Sie gilt für Unternehmen, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen und eine Bilanzsumme von mehr als 20 Mio. EUR oder einen Nettoumsatz von mehr als 40 Mio. EUR aufweisen. KMU sind somit von den Anforderungen ausgenommen.

Die Gesellschaften können sich auf nationale, EU-basierte oder internationale Rahmenwerke stützen, in denen Grundsätze und/oder Indikatoren sowie Leitlinien für die Berichterstattung festgelegt sind.

Die für die Gesellschaft relevanten Informationen werden von diesen bevorzugt behandelt.

Die Anwendung des Grundsatzes "Mittragen oder Begründen" begründet eine Rechenschaftspflicht, wobei die Gesellschaften einen gewissen Spielraum haben, wenn die Abwesenheit von Informationen ihrer Auffassung nach begründet werden kann.

Die Flexibilität der Regelung führt dazu, dass der Verwaltungsaufwand nicht steigt, insbesondere auf Grund der Möglichkeit, nach wie vor einen getrennten Bericht zu erstellen, der denselben Anforderungen unterliegt und Bestandteil des Lageberichts ist.

2.2

Der EWSA ist mit Blick auf dieses ausgewogene Verhältnis der Auffassung, dass die Annahme des Richtlinienvorschlags zur Änderung der Rechnungslegungsrichtlinien zum richtigen Zeitpunkt erfolgen würde:

Die Zivilgesellschaften nehmen mit wachsender Aufmerksamkeit die Auswirkungen der Tätigkeit der Unternehmen auf die Gemeinschaft wahr. Von den Staaten und der Wirtschaft wird mehr Transparenz erwartet, und sozial verantwortliche Investitionen nehmen zu (2).

Die nichtfinanzielle Fragen betreffenden nationalen Rechtsvorschriften und Empfehlungen der Mitgliedstaaten sind nach wie vor unterschiedlich, nähern sich jedoch an. In den letzten zehn Jahren wurden die internationalen Vorgaben, z.B. der OECD und der IAO, geändert, die Norm ISO 26000 wurde erarbeitet und die Instrumente zur nichtfinanziellen Rechnungslegung, wie sie im Rahmen der Global Reporting Initiative (GRI), vom Dachverband der europäischen Finanzanalystenvereinigungen (European Federation of Financial Analysts Societies – EFFAS), von Ratingagenturen und Unternehmensanalysten sowie im Rahmen branchenspezifischer Benchmarks genutzt werden, wurden weiter verbessert.

Die aus der Krise in finanzieller, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht gezogenen Lehren machen auf europäischer und internationaler Ebene mehr Transparenz (3) erforderlich, was Investitionen, Besteuerung und die Bekämpfung von Korruption, vor allem in der Rohstoffwirtschaft, betrifft.

Es werden Instrumente geschaffen, um die Umweltauswirkungen der Produktionstätigkeit zu messen, beispielsweise die Analyse des Lebenszyklus von Produkten, der ökologische Fußabdruck und die Berechnung der externen Kosten.

Einige Unternehmen gehen auf verantwortungsbewusste Verbraucher zu und bieten nachhaltigere Produkte und Dienstleistungen an, beispielsweise durch Vermeidung geplanten Produktverschleißes und Förderung des Fairen Handels.

2.3

Der EWSA begrüßt, dass die Änderung der Rechnungslegungsrichtlinien neue Perspektiven eröffnet, denn sie

führt dazu, dass ökologische, soziale und die verantwortungsvolle Unternehmensführung betreffende Aspekte in der Strategie und der Kommunikation von Unternehmen berücksichtigt werden,

wertet die Hauptversammlung der Aktionäre auf und stellt die Grundsätze für verantwortungsbewusste Investitionen in den Vordergrund,

bietet Garantien und Flexibilität und ermöglicht es so allen Unternehmen, die ihre soziale Verantwortung als mikroökonomischen Ausdruck der nachhaltigen Entwicklung verstehen, sich bei diesem fortschrittlichen Konzept einzubringen,

leitet eine neue Form der Präsentation und der Entscheidungsfindung in der Strategie des Unternehmens ein, so dass langfristige Perspektiven bevorzugt werden und das Verhältnis zwischen Tochter- und Muttergesellschaften gestärkt wird.

2.4

Der EWSA weist das Europäische Parlament und den Rat auf folgende Empfehlungen hin:

Die Unternehmen sollten die positiven bzw. negativen Auswirkungen ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft darlegen.

Wenn Arbeitnehmervertreter im Leitungsgremium eines Unternehmens vertreten sind, sollte das Unternehmen dies in seinen Berichten erwähnen.

Die Personalvertretungsorgane sollten bei der Erstellung der Lageberichte informiert und konsultiert werden.

Die fachlichen Angaben des Teils des Berichts, der sich auf die ESG-Kriterien bezieht, sollten von fachlich kompetenten Personen zusammengestellt werden, vor allem was soziale und ökologische Aspekte betrifft.

Die auftraggebenden Unternehmen sollten über ihre Beziehungen zu ihrer Lieferkette bzw. ihrer Wertschöpfungskette informieren, vor allem im Hinblick auf Arbeitsrecht und Menschenrechte.

Die Unternehmen, die nicht der Richtlinie unterliegen, sollten freiwillig Transparenz an den Tag legen, um ihre Art der Geschäftsführung zu verbessern.

Die Mitgliedstaaten beziehen die Qualität der Vorlage nichtfinanzieller Informationen in ihre nationale Strategie zur sozialen Verantwortung der Unternehmen ein.

Die Mitgliedstaaten, die es für zweckmäßig halten, senken im Zuge der Umsetzung die Schwelle, damit eine erhebliche Zahl an nationalen Unternehmen erfasst wird.

Die Kommission wird aufgefordert, ein Verfahren einzuleiten oder zu fördern, durch das die zahlreichen Interessenträger (4) einbezogen werden, damit die wichtigsten Grundsätze und Bezugsstandards, die die Vergleichbarkeit und langfristig die Harmonisierung fördern, besser definiert werden.

Die Kommission sollte im Rahmen ihrer eigenen Maßnahmen zur Förderung von und Sensibilisierung für die soziale Verantwortung von Unternehmen, wie sie dies in der Mitteilung vom Oktober 2011 angekündigt hat, den betreffenden Unternehmen empfehlen, jene internationalen Vorgaben für Leitlinien zur Offenlegung nichtfinanzieller Informationen heranzuziehen, die ihrer neuen Definition der sozialen Verantwortung von Unternehmen am besten entsprechen.

2.5

Der EWSA billigt die vorgeschlagene Änderung der vierten Richtlinie betreffend die Pflicht, Informationen zur Diversitätspolitik der Gesellschaften in ihren Leitungs- und Kontrollorganen vorzulegen.

2.6

Er betont jedoch, dass dies nicht nur die Leitungs- und Kontrollorgane betrifft, sondern dass Diversitätsmaßnahmen sinnvollerweise auch auf die Ausschüsse dieser Organe und insbesondere den Rechnungsprüfungsausschuss angewandt werden könnten.

2.7

Er verweist darauf, dass die Ziele in Bezug auf den Frauenanteil in diesen Organen in den meisten Mitgliedstaaten nicht erreicht werden (5).

2.8

Er ist der Auffassung, dass zu den Diversitätskriterien auch die Beteiligung von Aufsichtsratsmitgliedern gehören sollte, die aus dem Kreis der Arbeitnehmer, insbesondere aus dem Europäischen Betriebsrat, stammen und von den Gewerkschaften entsandt werden.

2.9

Der EWSA empfiehlt der Kommission, diese Überarbeitung durch eine Klausel zu flankieren, mit der ein Rückschritt gegenüber den bestehenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften ausgeschlossen wird, und innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten der Richtlinie eine Bewertung der Auswirkungen dieser Änderungen der Rechnungslegungsrichtlinien auf die Unternehmenspraxis bei der Offenlegung nichtfinanzieller Informationen vorzunehmen.

3.   Hintergrund

3.1

Dieser Vorschlag zur Änderung der Rechnungslegungsrichtlinien ist im Rahmen der Bemühungen zu sehen, die mit dem Grünbuch 2001 zur Sozialen Verantwortung der Unternehmen (CSR) (6) eingeleitet und durch die Mitteilung von 2006 (7) weitergeführt wurden; und er entspricht den Maßnahmen, die in dem Arbeitsplan der Mitteilung von 2011 (8) angekündigt wurden. Die Änderung wurde notwendig im Ergebnis der Folgenabschätzung, in der die begrenzte Wirksamkeit der von den Gesellschaften offengelegten nichtfinanziellen Informationen nachgewiesen wurde und in die in weitreichendem Maße Beiträge der öffentlichen Konsultation eingeflossen sind. Die Informationen sind von unterschiedlicher Qualität. Die Zahl der Gesellschaften ist im Übrigen unzureichend.

3.2

In ihrer Mitteilung zur Binnenmarktakte vom April 2011 hatte die Kommission angekündigt, dass die Transparenz der Gesellschaften in Sozial- und Umweltbelangen verbessert werden solle.

3.3

Seit der Stellungnahme zu den Informations- und Messinstrumenten (9) im Jahr 2005 hat sich der EWSA mit der vierten Richtlinie über den Jahresabschluss befasst, die eine Bestimmung zu den nichtfinanziellen Informationen enthält, die den Gesellschaften die Möglichkeit einräumt, bestimmte Informationen zu Sozial- und Umweltbelangen ihrer Tätigkeit offenzulegen. 2012 unterstützte der EWSA die Kommission in ihrem Bestreben, die Diversität in den Leitungs- und Kontrollorganen zu erhöhen. In seiner Stellungnahme zur CSR von 2012 (10) bekräftigte der EWSA, dass er die obligatorische Vorlage eines Berichts mit nichtfinanziellen Informationen unterstützt.

3.4

1992 stellte das Vereinigte Königreich als erster Mitgliedstaat einen Corporate-Governance-Kodex auf (den sogenannten Cadbury's Code) (11), in dem der Grundsatz "Mittragen oder Begründen" eingeführt wurde. Diese Regelung wurde in unterschiedlicher Weise von anderen Ländern, insbesondere Deutschland und Dänemark, übernommen. Diese Flexibilität ermöglicht es, in bestimmten sensiblen Bereichen wie der Korruptionsbekämpfung, deren Erfolg mitunter ein gewisses Maß an Diskretion bzw. Vertraulichkeit erfordert, Informationen nur unter Vorbehalt freizugeben.

3.5

Mehrere Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, die Niederlande, das Vereinigte Königreich, Schweden und Spanien, haben in den letzten zehn Jahren Rechtsvorschriften erlassen, um mit Blick auf die Vereinheitlichung europäischer Standards einen nationalen Rahmen für die Berichtspflichten zu schaffen.

3.6

Während des irischen Ratsvorsitzes wurde eine europäische Vereinbarung über Transparenz in der Rohstoffwirtschaft geschlossen, durch die die Rechnungslegungsrichtlinie geändert wurde. Nach der Richtlinie ist künftig Transparenz (für jedes Land und jedes Projekt) aller Finanzströme herzustellen, die von europäischen Unternehmen der Rohstoffwirtschaft und der Forstwirtschaft in die Länder gehen, in denen sie tätig sind.

3.7

In seiner Entschließung vom Februar 2013 hat das Europäische Parlament (12) anerkannt, dass der Offenlegung von Informationen zur Nachhaltigkeit wie sozialen und ökologischen Faktoren durch die Unternehmen eine große Bedeutung zukommt, um Gefahren für die Nachhaltigkeit aufzuzeigen und das Vertrauen von Investoren und Verbrauchern zu stärken. Das EP forderte die Kommission auf, einen Vorschlag zur Offenlegung nichtfinanzieller Informationen durch Unternehmen vorzulegen.

3.8

In Krisenzeiten, da die Öffentlichkeit der EU-Mitgliedstaaten von den Unternehmen mehr Moral in ihrer Tätigkeit erwartet, ist die Wahrnehmung der sozialen Verantwortung von Unternehmen anerkanntermaßen ein Faktor, der die Handels- und die Entwicklungspolitik der Europäischen Union sowie die Umsetzung der Strategie Europa 2020 beeinflusst. Sie begünstigt den sozialen und bürgerschaftlichen Dialog. Zudem trägt sie dazu bei, die tatsächliche Situation in der gesamten Lieferkette besser zu erfassen. Katastrophen wie der kürzliche Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch zeigen wieder einmal, wie groß die Verantwortung der Auftraggeber ist.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 91.

(2)  ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 33.

(3)  Stellungnahme des EWSA "Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance" (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(4)  ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 35.

(5)  ABl. C 133 vom 9.5.2013, S. 68.

(6)  COM(2001) 366 final.

(7)  COM(2006) 136 final und ABl. C 286 vom 17.11.2005, S. 12.

(8)  COM(2011) 681 final und ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 77.

(9)  ABl. C 286 vom 17.11.2005, S. 12.

(10)  ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 77.

(11)  Finanzaspekte der Corporate Governance, 1.12.1992.

(12)  Entschließung 2012/2098 (INI), Berichterstatter: Raffaele BALDASSARRE.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgender abgelehnter Änderungsantrag erhielt mindestens ein Viertel der Stimmen (Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

Den Text der Stellungnahme CES3548-2013_00_00_TRA_AS durch folgenden Text ersetzen:

1.   Allgemeine Bemerkungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschusses erachtet den Richtlinienvorschlag als überflüssig (insbesondere in Bezug auf die verbindliche Offenlegung der "Diversitätspolitik"), da seiner Auffassung nach in diesem Bereich keine weitere Rechtsvorschriften auf europäischer Ebene erforderlich sind. Ganz allgemein sieht er in diesem Vorschlag keinen grundlegenden Mehrwert gegenüber der geltenden Regelung; er befürchtet vielmehr eine weitere Erhöhung des Verwaltungsaufwands.

1.2

Der Ausschuss erachtet Transparenz als Teil des modernen Unternehmensmanagements. Die europäischen Unternehmen haben bewiesen, dass sie im geltenden Rechtsrahmen ausreichend transparent agieren. Soziale Verantwortung wird in Europa von den einzelnen Unternehmen gehandhabt, sie ist Teil der Unternehmensstrategie und beruht auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit. Selbst in der aktuellen Krise haben die europäischen Unternehmen keine Abstriche in Sachen Transparenz und Verantwortung gemacht.

1.3

Der Ausschuss ist sich bewusst, dass einige Interessenträger und die Öffentlichkeit mehr Transparenz in der Unternehmenspolitik fordern, insbesondere in Bezug auf die Veröffentlichung von Sozial- und Umweltinformationen, vor allem im Fall von Unternehmen, die in Drittländern tätig sind, z.B. im Bergbau in Afrika (Umweltrisiken, Korruption) und in der Textilindustrie in Asien (soziale Aspekte, Menschenrechte).

1.4

Der einzige potenzielle Mehrwert des Vorschlags liegt darin, dass er auf die Problematik der Risiken, ihre Definition, ihre Bewältigung und die verbindliche Berichterstattung abhebt. Dies könnte Unternehmen bei einem besseren Umgang mit diesen Risiken und Chancen helfen und somit ihr Verantwortungsbewusstsein für die Auswirkungen ihres Handelns im nichtfinanziellen Bereich steigern, auch wenn in diesem Fall oftmals gilt, dass es eher eine Entscheidung des Unternehmens ist, ob es diese Tätigkeit letztlich ausführt oder nicht.

2.   In Bezug auf nichtfinanzielle Informationen

2.1

Der Ausschuss weiß, dass mehr Transparenz von großer Bedeutung für ein wirksames Funktionieren des Binnenmarktes ist. Die leichtere Vergleichbarkeit von Informationen über die Funktionsweise von Unternehmen muss dazu dienen, dass Investoren und Aktionäre wirksame Entscheidungen treffen können.

2.2

Der Ausschuss erachtet Art und Ausmaß der veröffentlichten nichtfinanziellen Informationen in ihrer bisherigen Form als qualitativ hochwertig und für ihren Zweck ausreichend. Die neu vorgeschlagene verbindliche Veröffentlichung wäre eine überflüssige Belastung, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuwiderläuft. Nach Meinung des Ausschusses sollte in diesem Vorschlag ausschließlich die Veröffentlichung von wirklich relevanten und aussagekräftigen Informationen vorgeschrieben werden, damit der Verwaltungsaufwand für die Unternehmen nicht unnötig erhöht wird und der Vorschlag den größtmöglichen Mehrwert für die Nutzer dieser Informationen (Investoren, Aktionäre, Arbeitnehmer) bringt.

2.3

Nach Meinung des Ausschusses sollten Unternehmen nichtfinanzielle Informationen lediglich freiwillig veröffentlichen. Diesbezüglich schlägt er vor, Artikel 1 und 2 des Richtlinienvorschlags entsprechend zu überarbeiten.

2.4

Aus dem Vorschlag geht hervor, dass kleine und mittlere Unternehmen nicht zur Veröffentlichung nichtfinanzieller Informationen verpflichtet werden. Dies steht im Einklang mit den langfristigen Zielen der Europäischen Union zum Bürokratieabbau für Unternehmer.

2.5

Nach Ansicht des Ausschusses ist die Veröffentlichung nichtfinanzieller Informationen im jährlichen Lagebericht und ihre Prüfung durch einen Abschlussprüfer gemäß dem Vorschlag komplex und schwer durchzuführen; diesbezüglich wird die Ausarbeitung praktischer Leitlinien erforderlich sein. Gemäß den geltenden europäischen Rechtsvorschriften muss der Abschlussprüfer prüfen, ob der jährliche Lagebericht mit dem Jahresabschluss im Einklang steht. Außerdem muss der jährliche Lagebericht den Jahresabschluss, den Prüfungsbericht und möglicherweise weitere Dokumente enthalten. Die Prüfung der nichtfinanziellen Informationen könnte sich indes als sehr problematisch und kostspielig erweisen. Die in dem jährlichen Lagebericht enthaltenen Anforderungen müssen genau festgelegt werden, um so auch zu verhindern, dass die Nutzer dieses Berichts mit nicht sachdienlichen Informationen überladen werden. Der Ausschuss wird sich für eine Veröffentlichung nichtfinanzieller Informationen in den Dokumenten einsetzen, für die keine Prüfung erforderlich ist.

3.   In Bezug auf die Diversität

3.1

Der Ausschuss erachtet die verbindliche Offenlegung der "Diversitätspolitik" als überflüssigen Verwaltungsaufwand, der weder gerechtfertigt ist noch nachweislich positive Auswirkungen hat. Die Verpflichtung zu einer "Diversitätspolitik" für Privatunternehmen, insbesondere die Verpflichtung, eine "Diversitätspolitik" des Unternehmens zu veröffentlichen oder die Nichtverfolgung einer derartigen Politik zu erläutern, ist ein ungerechtfertigter Eingriff in die unternehmerische Freiheit und die Freiheit der Unternehmenseigentümer. Als solches lehnt der Ausschuss diesen Grundsatz ab. Die Veröffentlichung von Informationen über das Unternehmen sollte ausschließlich auf einer freiwilligen Entscheidung des Unternehmens beruhen je nachdem, ob diese Veröffentlichung einen Wettbewerbsvorteil bietet oder nicht. Der Ausschuss spricht sich aus mehreren Gründen dagegen aus, Einzelheiten bezüglich dieser "Diversitätspolitik" bekannt zu machen.

3.2

Erstens hat die Offenlegung der "Diversitätspolitik" betreffend die Zusammensetzung der Unternehmensorgane keinerlei Einfluss auf das Unternehmensmanagement und die Unternehmensleistung, wie dies fälschlicherweise in der Begründung behauptet wird. Der Ausschuss betont, dass der bzw. die Eigentümer oder die Unternehmensaktionäre entscheiden sollten, welche Person aus seinem/ihrem Unternehmen die Leitung innehat, welche Aufsichtsmechanismen für das Unternehmensmanagement gelten und welche Rolle die Mitglieder der Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgane in diesem Prozess übernehmen. Die Funktionsweise eines Unternehmens hängt in erster Linie von der Eigenverantwortung seiner Eigentümer/Aktionäre ab, die auch die Risikoverantwortung für Verluste aufgrund schlechter Unternehmensentscheidungen mit einschließt. Eine künstliche Änderung der Zusammensetzung der Aufsichts-/Verwaltungsorgane kann nur eine Beeinträchtigung der Funktionsweise zur Folge haben.

3.3

Die Europäische Kommission darf keinesfalls in die Entscheidungsprozesse des Unternehmens (beispielsweise über die Zahl der Vorstandsmitglieder, ihre Qualifikation, ihr Alter, ihr Geschlecht) eingreifen. Aus der Analyse der Europäischen Kommission geht nicht hervor, ob eine direkte Verbindung zwischen Alter, Geschlecht und sonstigen Überlegungen und der Unternehmensleistung besteht. Und selbst wenn dies der Fall wäre, würde dies ein autoritäres Eingreifen in die Zusammensetzung des Vorstands oder Aufsichtsrats eines Unternehmens keinesfalls rechtfertigen.

4.   Schlussfolgerungen

Aufgrund der oben angeführten Argumente

1)

spricht sich der Ausschuss dafür aus, die neu geforderte Veröffentlichung nichtfinanzieller Informationen gemäß dem Subsidiaritätsprinzip den Unternehmen im Sinne einer freiwilligen Entscheidung zu überlassen oder in einer nationalen Rechtsvorschrift zu regeln, in der die Informationsverpflichtung festgelegt wird;

2)

schlägt der Ausschuss vor, Artikel 1 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags in Bezug auf die "Diversitätspolitik" zu streichen; sollte es nicht möglich sein, dieser Forderung nachzukommen, empfiehlt der Ausschuss, die Offenlegung der "Diversitätspolitik", einschl. die Erläuterung, warum ein Unternehmen keine derartige Politik verfolgt, den Unternehmen im Rahmen einer freiwilligen Entscheidung zu überlassen oder in einer nationalen Rechtsvorschrift zu regeln.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen

:

37

Nein-Stimmen

:

96

Enthaltungen

:

2


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/52


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch die Vereinfachung der Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012

COM(2013) 228 final — 2013/119 (COD)

2013/C 327/11

Hauptberichterstatter: Vincent FARRUGIA

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 13. Mai 2013 bzw. am 21. Mai 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch die Vereinfachung der Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012

COM(2013) 228 final — 2013/119 (COD).

Das Präsidium beauftragte am 21. Mai 2013 die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch, mit den diesbezüglichen Vorarbeiten.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) Vincent FARRUGIA zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 96 gegen 2 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Bürgerinnen und Bürger stehen im Mittelpunkt der europäischen Integration. Im Bericht über die Unionsbürgerschaft wird unterstrichen, dass die Unionsbürgerschaft den Bürgerinnen und Bürgern neue Rechte verleiht und ihnen neue Möglichkeiten eröffnet. Darin wird ferner darauf hingewiesen, dass das von den Bürgern am stärksten mit der Unionsbürgerschaft assoziierte Recht das Recht auf Freizügigkeit ist: die Möglichkeit, ihr Land für kürzere oder längere Zeit zu verlassen, zwischen EU-Ländern hin- und herzupendeln, um zu arbeiten, zu studieren oder sich fortzubilden, um auf Geschäfts- oder Urlaubsreise zu gehen oder jenseits der Grenze einen Einkaufsbummel zu machen (1).

1.2

Im Bericht über die Unionsbürgerschaft 2013 werden zwölf neue Maßnahmen in folgenden sechs Bereichen beschrieben, die auf die weitere Beseitigung von Hindernissen abzielen, die die EU-Bürger daran hindern, ihre EU-Rechte wahrzunehmen, wie z.B. das Recht, sich innerhalb der EU-Grenzen frei zu bewegen. Dazu zählen (2):

(01)

Beseitigung von Hindernissen für Arbeitnehmer, Studierende und Praktikanten in der EU, die das reibungslose Funktionieren des EU-Arbeitsmarktes erschweren und es ihnen dadurch zu ermöglichen, einen Arbeitsplatz in anderen Mitgliedstaten zu finden und somit die europäische Wirtschaft anzukurbeln.

(02)

Bürokratieabbau in Bezug auf das Recht auf Freizügigkeit, da Bürger, die dieses Recht nutzen, Probleme haben, die häufig auf umständliche oder unklare Verwaltungsverfahren zurückzuführen sind.

(03)

Schutz besonders schutzbedürftiger Personen in der EU, da laut Ergebnis der Konsultationen Menschen mit Behinderungen auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie in der EU reisen.

(04)

Beseitigung der Hindernisse im Bereich des elektronischen Handels, der beträchtlich zugenommen hat. Beim Online-Shopping sind die EU-Bürger immer noch mit Problemen konfrontiert.

(05)

Gezielte und leicht zugängliche Informationen, um das Bewusstsein der Bürger für ihre EU-Rechte und das diesbezügliche Verständnis zu steigern.

(06)

Teilhabe der Unionsbürger am demokratischen Leben in der EU.

1.3

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch die Vereinfachung der Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012: COM(2013) 228 final, 2013/0119 (COD).

1.4

Dieser Vorschlag steht insofern im Einklang mit dem Bericht über die Unionsbürgerschaft als er Maßnahmen einführt, mit denen es den EU-Bürgern erleichtert werden soll, ihre Rechte als Bürgerinnen und Bürger der EU wahrzunehmen.

1.5

Obwohl der Lissabon-Vertrag und die EU-Grundrechtecharta die im Vertrag von Maastricht verankerten Rechte – einschließlich des Rechts, sich in der EU frei zu bewegen und aufzuhalten – gestärkt haben, wurde der Verwaltungsprozess, der die Anwendung dieses Rechts unterstützt, nicht entsprechend überarbeitet. In der Tat spiegelt die Vorlage einer Apostille – eine Formalität, die auf dem Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation aus dem Jahr 1961 basiert und die Freizügigkeit über die Landesgrenzen hinweg in einer technologiefreien Welt erleichtern sollte – nicht die Tatsache wider, dass die EU keine Grenzen hat und somit das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit innerhalb der EU nicht erleichtert, sondern eher erschwert.

1.6

Die vorgeschlagene Vereinfachung für folgende öffentliche Urkunden ist eine bedeutsame Maßnahme, die zu einem kohärenteren Rechtsrahmen führen wird, der die Wahrnehmung des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der EU erleichtern wird.

 

Öffentliche Urkunden von EU-Bürgern

Personenstandsurkunden (z.B. Geburt, Tod, Name, Eheschließung, eingetragene;

Partnerschaft; Elternschaft und Adoption);

Urkunden in Bezug auf Wohnsitz, Unionsbürgerschaft und Staatsangehörigkeit;

Urkunden in Bezug auf Grundeigentum;

Urkunden in Bezug auf Rechte des geistigen Eigentums;

Urkunden in Bezug auf Vorstrafenfreiheit; und

 

Öffentliche Urkunden von europäischen Unternehmen (Gesellschaften und andere Unternehmen);

Urkunden in Bezug auf ihre Rechtsform und Vertretungsbefugnis;

Urkunden in Bezug auf Grundeigentum;

Urkunden in Bezug auf Rechte des geistigen Eigentums;

Urkunden in Bezug auf Vorstrafenfreiheit.

Die Vereinfachung dieser öffentlichen Urkunden wird zweifelsfrei die Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen erleichtern, den Handel im Binnenmarkt weiter steigern und das Beibringen dieser Urkunden durch die Bürger einzelner Mitgliedstaaten leichter machen.

1.7

Die Einführung eines vereinfachten Rahmens für die Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden bis zur Ebene der lokalen öffentlichen Verwaltung ist ein wichtiges politisches Instrument, da es:

die Kosten für Unternehmen und öffentliche Verwaltungen senkt: Statistiken für das Jahr 2010 zeigen, dass knapp 30 % der KMU im Import/Export tätig sind und 2 % ausländische Direktinvestitionen im Ausland haben. Darüber hinaus sind rund 7 % der KMU in der EU an grenzüberschreitenden Unteraufträgen beteiligt und 26 % haben Kunden in anderen Mitgliedstaaten (3).

den Urkundenverkehr mit der öffentlichen Verwaltung erleichtert und den Kostenaufwand für Bürger und Unternehmen verringert: Die Kosten für den Erhalt einer Apostille liegen im Jahresdurchschnitt bei 13,20 EUR. Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten der Bürger und Unternehmen für Apostillen im innergemeinschaftlichen Verkehr auf über 25 Mio. EUR. Hinzu kommen die Kosten für die Legalisation öffentlicher Urkunden, die nicht unter das Apostille-Übereinkommen fallen: sie sind beträchtlich und liegen bei durchschnittlich 16,50 EUR. Die Kosten für beglaubigte Übersetzungen sind mit 30 EUR pro Seite anzusetzen: die beglaubigte Übersetzung für eine grenzüberschreitende Hochzeit kostet in den meisten Mitgliedstaaten rund 120 EUR (4).

Kosteneinsparungen für die Mitgliedstaaten bewirkt, die netto bei 5-7 Mio. EUR im Zuge der Abschaffung der Apostille und bei weiteren 500 000 bis 1 Mio. EUR als Folge der Abschaffung der Legalisation liegen (5).

die indirekte Diskriminierung von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gegenüber Inländern im grenzüberschreitenden Kontext beseitigt, die dadurch entsteht, dass die nationalen Behörden in der Regel mit den für öffentliche Urkunden im Ausstellungsland geltenden Anforderungen, wie z.B. Unterschriften, Siegel und Stempel, nicht vertraut sind.

1.8

Der EWSA bedauert, dass die jetzt vorgeschlagenen Reformen zur Erleichterung der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen in der EU 20 Jahre nach der Einführung der Unionsbürgerschaft und 42 Jahre nach dem Haager Übereinkommen vorgelegt werden. Denn im Grunde hat sich die EU nicht mit dem technologischen Fortschritt weiterentwickelt, der dazu hätte genutzt werden können, den Aufwand für die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen bei der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit zu verringern oder zu beseitigen. Der EWSA betont, dass das Binnenmarkt-Informationssystem (IMI) ein wichtiges Instrument ist, das offensiver genutzt werden sollte, um den EU-Bürgern die Ausübung ihrer Grundrechte zu erleichtern.

1.9

Aus diesen Gründen kommt der EWSA zu dem Schluss, dass die politischen Empfehlungen der Europäischen Kommission im Hinblick auf:

einen Legislativvorschlag zur Förderung der Freizügigkeit von Bürgern und Unternehmen durch Vereinfachung der Verwaltungsformalitäten für die Verwendung und Annahme bestimmter öffentlicher Urkunden innerhalb der Europäischen Union;

ergänzt durch eine verbesserte Verwaltungszusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten unter Verwendung des Binnenmarkt-Informationssystems; und

unter Rückgriff auf mehrsprachige EU-Formulare, die unabhängig davon in grenzüberschreitenden Kontexten verwendet werden; ein hervorragender Vorschlag ist. Gleichwohl weist er darauf hin, dass einige Bestimmungen des Vorschlags überarbeitet werden könnten, um die Rechte der EU-Bürger auf Freizügigkeit weiter zu stärken, die u.a. Unternehmen und Bürgern wechselseitige wirtschaftliche Vorteile bringen.

1.10

Der EWSA empfiehlt:

1.10.1

Bei künftigen Vereinfachungsmaßnahmen bezüglich öffentlicher Urkunden sollten wichtige öffentliche Urkunden ins Visier genommen werden, die sich z.B. auf die Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU (ein grundlegender Faktor für die Entwicklung von grenzüberschreitender Unternehmenstätigkeit und grenzüberschreitendem Handel) oder schutzbedürftigen Menschen, wie Menschen mit Behinderungen, beziehen, soweit diese öffentlichen Urkunden nicht in anderen EU-Richtlinien Berücksichtigung finden.

1.10.2

Ein Bürger oder ein Unternehmen sollte ein Höchstmaß an Sicherheit bezüglich des Umfangs haben, in dem öffentliche Urkunden von jeder Form der Legalisation oder ähnlichen Formalitäten befreit sind. Daher sollte die in dem Vorschlag angeregte Definition von "berechtigten Zweifeln" wie folgt geändert werden:

"2.

Die berechtigten Zweifel nach Absatz 1 können sich beziehen auf:

(a)

die Echtheit der Unterschrift,

(b)

die Eigenschaft, in der die die Urkunde unterzeichnende Person gehandelt hat;

(c)

die Echtheit des Siegels oder Stempels."

1.10.3

Falls ein Mitgliedstaat ein offizielles Auskunftsersuchen bei Vorliegen berechtigter Zweifel an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem diese Urkunde ausgestellt wurde, richtet, muss er die Person oder das Unternehmen über die Gründe, aus denen dieses Ersuchen gestellt wird, ausdrücklich unterrichten.

1.10.4

Es bedarf eines ausgewogenen Rechenschaftssystems im Zuge eines von der Europäischen Kommission durchgeführten jährlichen Leistungsvergleichs, mit dem beurteilt werden kann, in welchem Umfang die Mitgliedstaaten den Vorschlag tatsächlich umsetzen.

1.10.5

Für den Fall, dass sich die erwarteten Vorteile einstellen, sobald das IMI konsolidiert ist, sollte der Zeitraum für die Erteilung einer Antwort im Rahmen der Verwaltungszusammenarbeit auf maximal zwei Wochen gekürzt werden. Dadurch würde sowohl den Bürgern als auch den Unternehmen deutlich signalisiert, dass sich die EU tatsächlich bemüht, die Unionsbürgerschaft Wirklichkeit werden zu lassen, und dass sie die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt.

1.10.6

Der Austausch und die Übermittlung von Informationen und Dokumenten durch die Mitgliedstaaten nach Maßgabe des Vorschlags sollte den Grundsätzen der EU in Bezug auf den Datenschutz Rechnung tragen.

2.   Einleitung

2.1

Das Stockholmer Programm von 2009 "Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger" (6) hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, die Unionsbürgerschaft mit Leben zu füllen und die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt der EU-Justizpolitik zu stellen. Dieser Auftrag wird im einschlägigen Aktionsplan (7) mit dem Hinweis bestätigt, dass ein funktionierender europäischer Rechtsraum "vor allem […] Bürgern und Unternehmen zugutekommen [und] die Wirtschaftstätigkeit im Binnenmarkt fördern [sollte]". Die Europäische Kommission bekräftigte daraufhin in ihrem Bericht über die Unionsbürgerschaft 2010 ihre Bereitschaft, den Verkehr öffentlicher Urkunden innerhalb der EU zu erleichtern, und formulierte im Dezember 2010 konkrete Vorschläge in ihrem Grünbuch "Weniger Verwaltungsaufwand für EU-Bürger: Den freien Verkehr öffentlicher Urkunden und die Anerkennung der Rechtswirkungen von Personenstandsurkunden erleichtern" (8).

2.2

Parallel dazu wurde die Binnenmarktakte (9) eingeführt, um das Vertrauen der Bürger in den Binnenmarkt zu stärken und dem Binnenmarkt als eigentlichem Motor für das Wachstum der europäischen Wirtschaft zur vollen Entfaltung seines Potenzials zu verhelfen. Dies erforderte unter anderem die Beseitigung unverhältnismäßiger Hindernisse, die den EU-Bürgern und Unternehmen bei der Wahrnehmung ihrer Binnenmarktfreiheiten im Wege stehen. Die Förderung der Mobilität der Bürger und Unternehmen innerhalb der EU ist einer der Schwerpunkte der Binnenmarktakte II (10).

2.3

Die Europäische Kommission zielt mit ihrem Aktionsplan zu europäischem Gesellschaftsrecht und Corporate Governance (11) auf die Unterstützung europäischer Unternehmen und insbesondere auf mehr Rechtssicherheit für grenzüberschreitende Geschäfte ab. In der Digitalen Agenda für Europa (12) wird auf den Legislativvorschlag zur elektronischen Identifizierung und elektronischen Signatur (13) Bezug genommen, der die Einführung eines Rechtsrahmens für gemeinsame Verwaltungserleichterungen für die elektronische Identifizierung von Bürgern und Unternehmen vorsieht.

2.4

Im jüngsten Aktionsplan Unternehmertum 2020 (14) steht die Verringerung unnötigen oder übermäßigen Verwaltungsaufwands auf der politischen Tagesordnung der Kommission nach wie vor ganz oben. In dem Aktionsplan wird die weitestgehende Beseitigung bzw. der Abbau des Verwaltungsaufwands für alle Unternehmen, insbesondere für Kleinstunternehmen, gefordert. Folglich kommt die Verringerung des Verwaltungsaufwands durch Vereinfachung der Verfahren für die Verwendung und Annahme öffentlicher Urkunden im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten und durch Angleichung der diesbezüglichen Vorschriften allen Maßnahmen zugute, die auf ein Europa der Bürger und einen funktionierenden Binnenmarkt für EU-Unternehmen abzielen.

2.5

Im Bericht über die Unionsbürgerschaft wird unterstrichen, dass die Unionsbürgerschaft den Bürgerinnen und Bürgern neue Rechte verleiht und ihnen neue Möglichkeiten eröffnet. Auch wird darauf hingewiesen, dass das von den Bürgern am stärksten mit der Unionsbürgerschaft assoziierte Recht das Recht ist, sich innerhalb der EU frei zu bewegen und aufzuhalten. Im Bericht über die Unionsbürgerschaft 2013 werden zwölf neue Maßnahmen in den folgenden sechs Bereichen beschrieben, die auf die weitere Beseitigung von Hindernissen abzielen, die den Genuss der EU-Rechte seitens der Bürger erschweren, einschließlich des Rechts, über die EU-Binnengrenzen hinweg frei zu reisen und eine Geschäftstätigkeit auszuüben. Dazu zählen (15):

(01)

Beseitigung von Hindernissen für Arbeitnehmer, Studierende und Praktikanten

(02)

Abbau bürokratischer Hindernisse

(03)

Schutz besonders schutzbedürftiger Personen

(04)

Beseitigung der Hindernisse für Unionsbürger im Bereich des elektronischen Handels

(05)

Gezielte und leicht zugängliche Informationen

(06)

Teilhabe der Unionsbürger am demokratischen Leben in der EU

2.6

Obwohl der Lissabon-Vertrag und die EU-Grundrechtecharta die im Vertrag von Maastricht verankerten Rechte – einschließlich des Rechts, sich in der EU frei zu bewegen und aufzuhalten – gestärkt haben, wurde der Verwaltungsprozess, der die Anwendung dieses Rechts unterstützt, nicht entsprechend überarbeitet. Tatsächlich gibt es in der EU insofern weiterhin einen fragmentierten Rechtsrahmen, als in den Mitgliedstaaten Verwaltungsformalitäten wie die Vorlage einer Apostille zur Beglaubigung von Kopien und Übersetzungen fortbestehen – eine Formalität, die auf dem Haager Apostillen-Übereinkommen von 1961 beruht, mit dem der Verkehr über internationale Grenzen hinweg erleichtert werden sollte. Diese Formalität spiegelt nicht die Tatsache wider, dass die EU keine Binnengrenzen hat; sie erleichtert somit nicht das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit innerhalb der EU, sondern erschwert es eher.

2.7

Derzeit müssen z.B. Bürger, die ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlagern, viel Zeit und Geld aufwenden, um die Echtheit der im Heimatmitgliedsstaat ausgestellten Urkunden sicherzustellen. Es wird anerkannt, dass Unternehmen und Bürger zweifellos von einem kohärenten und transparenten Rechtsrahmen für bestimmte öffentliche Urkunden profitieren werden, die für den Verkehr von Gütern, Dienstleistungen und Personen in der EU bzw. im Binnenmarkt entscheidend sind.

2.8

Die EU hat sich nicht parallel zum technologischen Fortschritt weiterentwickelt, der dazu genutzt werden kann, die Belastung der Bürger und Unternehmen im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit zu verringern oder zu beseitigen. Der EWSA hält das IMIS, eine internetgestützte Anwendung, die es nationalen, regionalen und lokalen Behörden ermöglicht, schnell und einfach mit ihren Äquivalenten im Ausland zu kommunizieren, für eine geeignete IKT-Plattform, die die Verwaltungszusammenarbeit erleichtert, sobald der Vorschlag umgesetzt wird. Das IMIS wird auch als ein wichtiges Medium zur Speicherung der am häufigsten verwendeten nationalen öffentlichen Urkunden in der EU dienen, einschließlich ihrer Übersetzung in alle EU-Amtssprachen, um den Behörden mit unzureichendem Sprachwissen dabei zu helfen, die Richtigkeit oder die Qualität von Übersetzungen der ihnen vorgelegten öffentlichen Urkunden zu beurteilen (16).

2.9

Der EWSA bedauert, dass die derzeitigen Reformen, die durch den Vorschlag zur Erleichterung der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit innerhalb der EU seitens der Bürgern und Unternehmen eingeführt wurden, 20 Jahre nach der Einführung der Unionsbürgerschaft und 42 Jahre nach dem Haager Übereinkommen vorgelegt werden.

3.   Rechtliche Aspekte des Vorschlags

Nachfolgend wird die Position des EWSA zu den wichtigsten Aspekten des Vorschlags wiedergegeben.

3.1   Gegenstand, Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen

3.1.1

Der EWSA teilt die Ansicht, dass die Definition der "öffentlichen Urkunden" gemäß Artikel 3 Absatz (1) des Vorschlags die wichtigen öffentlichen Urkunden umfasst, die sich auf die EU-Rechte der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen der Union beziehen.

3.1.2

Der EWSA betont jedoch, dass die öffentlichen Urkunden, die im Vorschlag genannt werden, tatsächlich die ersten einer Reihe öffentlicher Urkunden sein sollten, die Gegenstand eines Vereinfachungsprozesses mit dem Ziel sind, die Freizügigkeit in der EU, grenzübergreifende Tätigkeiten und das Funktionieren des EU-Binnenmarkts zu verbessern.

3.1.3

Der EWSA unterstreicht, dass bei künftigen Vereinfachungsmaßnahmen bezüglich öffentlicher Urkunden wichtige öffentliche Urkunden ins Visier genommen werden sollten, die sich z.B. auf die Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU (ein grundlegender Faktor für die Entwicklung der grenzüberschreitend tätigen Unternehmen und des grenzüberschreitenden Handels) oder Menschen mit Behinderungen beziehen, insofern diese öffentlichen Urkunden nicht in anderen EU-Richtlinien Berücksichtigung finden. Solche öffentlichen Urkunden umfassen z.B. nationale Bildungs- und Sozialversicherungsnachweise.

3.2   Befreiung von der Legalisation, Vereinfachung sonstiger Formalitäten und Auskunftsersuchen

3.2.1

Der EWSA betont, dass das derzeitige Erfordernis der Vorlage einer Apostille internationale Verfahren und damit nicht die Entwicklungen der EU als Binnenmarkt widerspiegelt. Es gibt ca. 12,5 Mio. Unionsbürger, die in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem eigenen leben, und über 380 000 kleinste, kleine und mittelständische EU-Unternehmen, die an grenzüberschreitenden Unteraufträgen beteiligt sind und die ständig mit Verwaltungsaufwand und unnötiger Bürokratie konfrontiert sind, wenn sie von einem Mitgliedstaat in den anderen umziehen bzw. grenzüberschreitende Geschäfte tätigen. Dieser Stand der Dinge widerspricht dem Bild einer EU ohne Binnengrenzen.

3.2.2

Der EWSA stimmt deshalb dem Vorschlag der Europäischen Kommission zu, öffentliche Urkunden von den in den Mitgliedstaaten geltenden Rechts- und Verwaltungserfordernissen zu befreien. Er hält dies für einen ersten Schritt in einem fortlaufenden Programm zur Vereinfachung öffentlicher Urkunden.

3.2.3

Der EWSA teilt die Ansicht, dass Bestimmungen eingeführt werden sollten, um sicherzustellen, dass im Falle berechtigter Zweifel eine Überprüfung im erforderlichen Umfang erfolgt. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass es Situationen geben wird, in denen die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten notwendig ist, um zu gewährleisten, dass eine öffentliche Urkunde oder ihre beglaubigte Kopie echt ist.

3.2.4

Der EWSA spricht sich nachdrücklich für den Grundsatz aus, dem zufolge Bürger oder Unternehmen ein Höchstmaß an Gewissheit über den Umfang haben müssen, in dem öffentliche Urkunden von allen Formen der Legalisierung oder sonstigen Formalitäten befreit sind. Diese Gewissheit wird es den Bürgern oder Unternehmen ermöglichen, ihre Tätigkeiten vorausschauend zu planen, und so wird sichergestellt, dass sämtliche in der Folgenabschätzung der Kommission genannten materiellen und immateriellen Vorzüge und Leistungen auch tatsächlich in Anspruch genommen werden (17).

3.2.5

Der EWSA stellt fest, dass 99 % der entsprechend dem derzeitigen System pro Jahr für unionsinterne Tätigkeiten ausgestellten ca. 1,4 Mio. Apostillen keine Probleme mit sich bringen. Er ist deshalb der Auffassung, dass die von der Kommission vorgeschlagene politische Option in Bezug auf die Verwaltungszusammenarbeit (basierend auf dem IMIS in Fällen berechtigter Zweifel an der Echtheit öffentlicher Urkunden und auf der Grundlage mehrsprachiger Formulare) zu besseren Ergebnissen führen sollte.

3.2.6

Der EWSA empfiehlt, die Definition der "berechtigten Zweifel" im Kommissionsvorschlag eindeutig zu formulieren, um Unklarheiten zu beseitigen. In dieser Hinsicht schlägt der EWSA folgende Änderungen vor:

"2.

Die berechtigten Zweifel nach Absatz 1 können sich beziehen auf

(a)

die Echtheit der Unterschrift,

(b)

die Eigenschaft, in der die die Urkunde unterzeichnende Person gehandelt hat,

(c)

die Echtheit des Siegels oder Stempels."

3.2.7

Falls ein Mitgliedstaat ein offizielles Auskunftsersuchen bei Vorliegen berechtigter Zweifel auf der Grundlage dieser neuen Definition an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem diese Urkunde ausgestellt wurde, richtet, muss er die betreffende Person über die Gründe, aus denen dieses Ersuchen gestellt wird, ausdrücklich unterrichten.

3.2.8

Der EWSA ist zuversichtlich, dass die Ersuchen um Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten deutlich effizienter als die im Vorschlag festgelegte Frist von einem Monat sein werden, sobald das IMIS in allen Mitgliedstaaten umgesetzt ist und alle regelmäßigen Fortschrittsberichte zeigen, dass das System stabil funktioniert und dass sich alle in den Mitgliedstaaten zuständigen Personen die erforderlichen Kenntnisse angeeignet haben. Der EWSA empfiehlt deshalb, dass die Kommission diese Frist auf zwei Wochen herabsetzen sollte, falls die Ergebnisse signifikante Verbesserungen erkennen lassen. Eine solche Überarbeitung würde sowohl den Bürgern als auch den Unternehmen deutlich signalisieren, dass sich die EU tatsächlich bemüht, die Unionsbürgerschaft Wirklichkeit werden zu lassen, und dass sie die Bürger in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt.

3.2.9

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung eines ausgewogenen Rechenschaftssystems, das dazu dient zu beurteilen, inwieweit die Mitgliedstaaten den Vorschlag wirksam umsetzen. Er empfiehlt, dass die Kommission einen jährlichen Leistungsvergleich der Umsetzungsanstrengungen seitens der Mitgliedstaaten vornimmt.

3.3   Verwaltungszusammenarbeit

Der EWSA teilt die Auffassung, dass das Binnenmarktinformationssystem (Artikel 8) in Fällen eingesetzt werden sollte, in denen ein Mitgliedstaat berechtigte Zweifel an der Echtheit einer öffentlichen Urkunde oder an ihrer beglaubigten Kopie hat und sich diese Zweifel nicht auf andere Weise ausräumen lassen (Artikel 7). Der Ausschuss stimmt auch zu, dass die Mitgliedstaaten mindestens eine Zentralbehörde benennen und der Kommission alle benannten Zentralbehörden und ihre Kontaktangaben mitgeteilt werden (Artikel 9) und dass diese Zentralbehörden Amtshilfe bei Auskunftsersuchen gemäß Artikel 7 leisten und sonstige Maßnahmen treffen, um die Anwendung dieser Verordnung zu erleichtern (Artikel 10).

3.4   Standardisierte mehrsprachige EU-Formulare

Der EWSA stimmt zu, dass die mehrsprachigen EU-Formulare zu Geburt, Tod, Eheschließung, eingetragener Partnerschaft sowie Rechtsform und Vertretung einer Gesellschaft oder eines sonstigen Unternehmens in den Anhängen aufgeführt und festgelegt werden (Artikel 11) und dass diese Formulare Bürgern und Gesellschaften oder sonstigen Unternehmen auf Wunsch als Alternative zu den entsprechenden öffentlichen Urkunden ausgestellt werden und sie Ausstellungsdatum, Unterschrift und Siegel der Ausstellungsbehörde aufweisen müssen (Artikel 12). Der EWSA ist auch damit einverstanden, dass die Kommission eine ausführliche Anleitung zur Verwendung solcher Standardformulare erstellt (Artikel 13) wie auch elektronische Versionen entwickelt (Artikel 14) und dass die Formulare dieselbe formelle Beweiskraft wie die entsprechenden öffentlichen Urkunden besitzen und von den Behörden der Mitgliedstaaten ohne Notwendigkeit von Formalitäten angenommen werden (Artikel 15).

3.5   Verhältnis zu sonstigen Rechtsinstrumenten

Der EWSA teilt die Auffassung, dass diese Verordnung nicht die Anwendung anderer EU-Rechtsvorschriften oder den Gebrauch anderer durch Unionsrecht etablierter Formen der Verwaltungszusammenarbeit hindert (Artikel 16) und die Anwendung internationaler Übereinkommen unberührt lässt, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten angehören, jedoch Vorrang vor zwischen ihnen geschlossenen Übereinkommen hat, soweit diese Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind (Artikel 18). Der EWSA billigt auch die Aufnahme des in Artikel 17 formulierten Standardtexts.

3.6   Allgemeine und Schlussbestimmungen

3.6.1

Der EWSA stimmt zu, dass der Austausch von Informationen und die Übermittlung von Urkunden durch die Mitgliedstaaten dem Zweck dienen, die Überprüfung der Echtheit öffentlicher Urkunden mittels des Binnenmarktinformationssystems zu ermöglichen (Artikel 19). Er ist auch damit einverstanden, dass die Mitgliedstaaten der Kommission den Namen der von ihnen benannten Zentralbehörden übermitteln und sie über diesbezügliche Änderungen unterrichten und dass die Kommission diese Informationen veröffentlichen wird (Artikel 20). Schließlich stimmt der EWSA zu, dass die Kommission mindestens alle drei Jahre dem Europäischen Parlament einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung vorlegt (Artikel 21).

3.6.2

Der EWSA betont, dass der Artikel 19 "Datenschutz" gewährleisten muss, dass der Austausch von Informationen und die Übermittlung von Urkunden durch die Mitgliedstaaten nach Maßgabe des Vorschlags den Datenschutzgrundsätzen der EU Rechnung tragen.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2013) 269 final.

(2)  Ebd.

(3)  SWD(2013) 144 final.

(4)  Ebd.

(5)  Ebd.

(6)  ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1.

(7)  COM(2010) 171 final.

(8)  COM(2010) 747 final.

(9)  COM(2011) 206 final.

(10)  COM(2012) 573 final.

(11)  COM(2012) 740 final.

(12)  COM(2012) 784 final.

(13)  COM(2012) 238 final.

(14)  COM(2012) 795 final.

(15)  Ebd.

(16)  Verordnung Nr. 1024/2012 vom 25. Oktober 2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinformationssystems (Amtsblatt vom 14. November 2012) ermöglicht ein hohes Maß an Flexibilität für die künftige Ausweitung des IMIS auf EU-Rechtsakte, die noch nicht im Anhang aufgeführt sind (Artikel 4 der IMIS-Verordnung). Grundlage sind von der Kommission durchgeführte Pilotprojekte und Auswertungen ihrer Ergebnisse, einschließlich Datenschutzfragen und wirksamen Übersetzungsfunktionen.

(17)  SWD(2013) 144 final.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/58


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Neue Denkansätze für die Bildung: bessere sozioökonomische Ergebnisse durch Investitionen in Qualifikationen

COM(2012) 669 final

2013/C 327/12

Berichterstatter: Mário SOARES

Mitberichterstatter: Pavel TRANTINA

Die Europäische Kommission beschloss am 20. November 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Neue Denkansätze für die Bildung: bessere sozioökonomische Ergebnisse durch Investitionen in Qualifikationen

COM(2012) 669 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 26. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 154 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die Initiative der Kommission grundsätzlich, insbesondere ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, ist aber der Ansicht, dass die Mitteilung inhaltlich nicht dem Anspruch gerecht wird, der im Titel "Neue Denkansätze für die Bildung" zum Ausdruck kommt.

1.2

Die derzeitige wirtschaftliche und soziale Krise bestimmt den Haushaltsspielraum der EU-Mitgliedstaaten – und ganz besonders jener, die Programmen zur Haushaltsanpassung unterliegen – eine Situation, die durch die Kürzung des EU-Haushalts noch verschärft wird. Der EWSA warnt davor, dass die als notwendig erachteten Initiativen und Vorschläge infolge der derzeitigen Kürzungen in den Bildungsetats zu bloßen Absichtserklärungen verkommen könnten.

1.3

Der EWSA ist sich der erheblichen Mängel in den Bildungssystemen bewusst, die es dringend zu beheben gilt. Darüber hinaus sollten die Schwierigkeiten in den Beziehungen zwischen Schulwesen und Arbeitswelt überwunden werden. Vor diesem Hintergrund formuliert der EWSA folgende Empfehlungen:

 

Die europäischen Institutionen sollten:

1.3.1

die bestehenden Verfahren zur Erfassung, Vorlage und Auswertung der Daten über die allgemeine und berufliche Bildung überarbeiten, um sicherzustellen, dass diese transparent und vergleichbar sind;

1.3.2

auch die gegenwärtigen europäischen Bildungsprozesse und die verschiedenen, bereits bestehenden Instrumente überarbeiten, insbesondere die Europäischen Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung (engl. Sigel: ESGQA);

1.3.3

die derzeit vorgeschlagenen Maßnahmen umsetzen und sie in andere Initiativen einbinden, die auf die Eingliederung Jugendlicher in den Arbeitsmarkt abzielen, insbesondere das Aktionsfeld Beschäftigung und Unternehmertum des Aktionsplans "Jugend in Bewegung";

1.3.4

gewährleisten, dass im nächsten EU-Haushalt die für das gesamte Programm erforderlichen Mittel vorgesehen werden, insbesondere für die kürzlich angenommene Beschäftigungsinitiative für junge Menschen.

 

Die Mitgliedstaaten sollten:

1.3.5

die Maßnahmen im Bereich Beschäftigung und hochwertige öffentliche Dienstleistungen unter Vermeidung von Rückschritten überarbeiten und/oder aktualisieren – in der Überzeugung, dass die Investitionen in diesem Bereich mit beschäftigungsspezifischen, sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen zur Förderung von nachhaltigem Wachstum und Wohlstand einhergehen müssen, um die Bildungsziele voll und ganz zu verwirklichen, wobei eine umfassende Beteiligung der Sozialpartner und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft sicherzustellen ist;

1.3.6

die Aufnahme des Erwerbs unternehmerischer Kompetenzen in die Bildungsmaßnahmen und –programme anregen, was über den Schulunterricht hinaus durch Unternehmenspraktika und durch die Förderung der Beteiligung der Unternehmen an Initiativen der Schulen ggf. ergänzt werden könnte;

1.3.7

die Integration dualer Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in den Schulen fördern, die den Unterricht im Klassenraum mit der Erfahrung am Arbeitsplatz kombinieren, wobei die Bildungsbehörden und die Unternehmen für die Bedeutung dieser Initiativen sensibilisiert werden sollten;

1.3.8

die Beziehungen zwischen Berufsbildung und Arbeitswelt im Interesse eines besseren Verständnisses etwaiger Mängel dringend überprüfen sowie für eine Berufsbildung sorgen, die den Erfordernissen des Arbeitsmarkts tatsächlich entspricht;

1.3.9

für alle Betroffenen die für einen kontinuierlichen Lernprozess und die Verbesserung ihrer Ausbildung (Fortbildung oder Umschulung) erforderlichen Bedingungen unter gebührender Achtung des Rechts auf eine hochwertige lebenslange Ausbildung gewährleisten;

1.3.10

das nichtformale Lernen auf kreative und innovative Weise anerkennen und aufwerten, indem die Bekanntheit der außerhalb des formalen Systems erworbenen Qualifikationen verstärkt, die Komplementarität zwischen dem nichtformalen und formalen Lernen gefördert und im selben Zuge die Chancengleichheit unterstützt wird;

1.3.11

gemeinsame Normen und Prinzipien aufstellen, die es ermöglichen, Qualitätskriterien für die Systeme zu definieren, die die Anerkennung und Validierung des nichtformalen Lernens gewährleisten;

1.3.12

in die Ausbildung und Anstellung kompetenter Lehrer investieren, indem ihre akademische und berufliche Bildung verbessert, bei der Einstellung eine stärkere Ausgewogenheit zwischen Frauen und Männern angestrebt wird sowie angemessene Arbeits-, Gehalts- und Karrierebedingungen geboten werden, um den Lehrberuf für den Nachwuchs attraktiver zu machen;

1.3.13

die Haushaltsmittel für die allgemeine und berufliche Bildung als Zukunftsinvestition und ständige Notwendigkeit betrachten, um der Pflicht zur Gewährleistung einer hochwertigen und relevanten Bildung für alle nachkommen zu können, wobei Kürzungen zu vermeiden sind, die die Erfüllung dieser Verpflichtung erschweren;

1.3.14

alle Interessenträger (Jugendorganisationen und örtliche Vereine, Schulen und Lehrer, Eltern und Erziehungsberechtigte, Unternehmen und Gewerkschaften usw.) an der Erarbeitung und Begleitung der Bildungsmaßnahmen und der Ermittlung möglicher Probleme wie auch an der Aufgabe der allgemeinen und beruflichen Bildung der Jugendlichen und ihrer gesellschaftlichen Integration beteiligen, wobei klare Ziele festgelegt, regelmäßige Bewertungen vorgenommen sowie ausreichende und damit nachhaltige Mittel bereitgestellt werden müssen.

 

Die Sozialpartner sollten:

1.3.15

ihrer Verantwortung gerecht werden und den im Rahmen ihres gemeinsamen Arbeitsprogramms für den Zeitraum 2012-2014 gebilligten Aktionsrahmen für die Beschäftigung junger Menschen ordnungsgemäß umsetzen und dabei insbesondere der Verknüpfung zwischen der Bildung, den Erwartungen der jungen Menschen und den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts Rechnung tragen und auch den Übergang junger Menschen von der Schule zum Arbeitsmarkt berücksichtigen, um die Beschäftigungsquoten generell zu erhöhen.

2.   Einleitung

2.1

Der EWSA hat die Bildung regelmäßig in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt. Deshalb begrüßt er, dass die Kommission in ihrer Mitteilung "Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung" als einen "Schlüsselfaktor für Produktivitätssteigerungen und Konjunkturwachstum" (1) bezeichnet. Er teilt auch die in der Mitteilung deutlich werdende Sorge über die derzeitigen weitreichenden Veränderungen auf den europäischen Arbeitsmärkten, aufgrund derer die Bildungssysteme noch dringender überarbeitet werden müssen, um festgestellte Fehler oder Mängel zu beheben.

2.2

Mit zahlreichen Stellungnahmen (2) hat der EWSA zur Anerkennung der Bildung als grundlegendes Menschenrecht beigetragen. In diesen Stellungnahmen vertritt er die Ansicht, dass das zentrale Ziel der Bildung auch weiterhin darin besteht, freie, kritische, selbstständige Bürgerinnen und Bürger herauszubilden, die in der Lage sind, zur Entwicklung der Gesellschaft, in der sie leben, beizutragen und die sich bewusst sind, dass sie gemeinsame Werte und eine gemeinsame Kultur teilen.

2.3

Nach Auffassung des Ausschusses sollten in der Lehrerbildung Kompetenzen in der modernen Kommunikation berücksichtigt und gefördert werden, die dazu beitragen, den Unterricht lebensnah und interessant zu gestalten (3).

2.4

Der EWSA teilt die Ansicht, dass es dringend erforderlich ist, kohärente und übergreifende politische Antworten auf einige zentrale Fragen zu finden: das Fortbestehen der hohen Schulabbruchsquote in Europa, die geringe Teilnahme von Arbeitnehmern an Maßnahmen des lebenslangen Lernens, die Millionen Frauen und Männer mit geringer Schulbildung, die schlechten Leseleistungen der Unter-15-Jährigen und die in manchen EU-Mitgliedstaaten massive Jugendarbeitslosigkeit.

2.5

Der EWSA fürchtet jedoch, dass die in der Mitteilung vorgeschlagenen Initiativen infolge der Krisensituation der europäischen Länder an Bedeutung verlieren. Die Korrektur der grundlegenden Ungleichheiten und die Förderung einer hochwertigen Bildung für alle könnten durch die Haushaltskürzungen, insbesondere bei den Mitteln für die allgemeine und berufliche Bildung, in Frage gestellt werden (4).

2.6

Obwohl Bildung ein Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten ist, spielt auch die EU eine wichtige Rolle, sowohl im Rahmen der Gemeinschaftsmethode der offenen Koordinierung zwischen den verschiedenen Bildungsministerien als auch der Mechanismen zur Erhebung von Daten auf europäischer Ebene, aber auch im Rahmen der verschiedenen europäischen Bildungsinitiativen, wie dem Bologna- und dem Kopenhagen-Prozess, das Kommuniqué von Brügge, das Europäische System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (ECTS), das Europäische Leistungspunktesystem für die Berufsbildung (ECVET), der Europäische Qualitätsrahmen (EQF) und die Europäischen Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung (ESGQA) (5).

2.7

Es ist wichtig, der Sorge weiter Teile der Zivilgesellschaft über das Ungleichgewicht zwischen den derzeitigen Kompetenzen der Jugendlichen und den Erfordernissen der Unternehmen sowie dem schwierigen Übergang von der Schule in den Beruf oder zwischen Phasen der Arbeitslosigkeit und der Erwerbstätigkeit Rechnung zu tragen; dieses Ungleichgewicht muss überwunden werden. Der EWSA begrüßt deshalb insbesondere die Entscheidung der Kommission, mit den Interessenträgern in den Bereichen Bildung und Beschäftigung verstärkt gemeinsame Initiativen und Maßnahmen zu ergreifen, die den Übergang von der Schule zum Arbeitsleben erleichtern, die Mobilitätshürden innerhalb der EU abbauen, das Funktionieren des Arbeitsmarkts deutlich verbessern und Chancengleichheit gewährleisten. Der EWSA ersucht die Kommission und die Mitgliedstaaten, auf diesem Weg weiterzugehen und dabei am europäischen Sozialmodell festzuhalten und den sozialen Zusammenhalt zu stärken.

2.8

Der EWSA begrüßt den neuen Aktionsrahmen für die Beschäftigung junger Menschen, der von den Sozialpartnern als wesentlicher Bestandteil ihres gemeinsamen Arbeitsprogramms für den Zeitraum 2012-2014 aufgestellt und auf dem Dreigliedrigen Sozialgipfel am 14. März 2013 erstmalig vorgestellt wurde.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss begrüßt, dass die Kommission der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in vier Schlüsselbereichen besondere Aufmerksamkeit widmet: hochwertige allgemeine und berufliche Bildung, Aufnahme einer praxisorientierten Ausbildung am Arbeitsplatz, Berücksichtigung von Praktika und dualen Ausbildungsmodellen und Stärkung der Partnerschaften zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels.

3.2

Der Titel der Mitteilung suggeriert einen Anspruch, dem der Inhalt nicht gerecht wird – wahrscheinlich, weil die Kommission versucht, ihre Überlegungen auf ein einziges Ziel zu konzentrieren. Gleichwohl hätte man nach Ansicht des EWSA in den Überlegungen weitergehen und Fragen/Herausforderungen (wie die gegenwärtige Bevölkerungsentwicklung in Europa, die Energiefrage und die Migration) behandeln können, die von großer Dringlichkeit sind und deutlich komplexere Antworten erfordern würden. Ebenso sollten künftig andere Positionen berücksichtigt werden, wie etwa die, die kürzlich von der UNO und der UNESCO vertreten wurden (6).

3.3

Mit Blick auf den Kommissionsvorschlag warnt der EWSA davor, die Bildung als bloßes Instrument zur Entwicklung von Kompetenzen zu betrachten, die ausschließlich auf die Arbeitswelt und die Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit ausgerichtet sind (7). Der EWSA bekräftigt seine Überzeugung, dass die Beschäftigungsfähigkeit nicht nur vom Erwerb grundlegender Kompetenzen und praktischen Erfahrungen abhängt, sondern auch von Eigenschaften und Haltungen wie aktive Bürgerschaft, Entwicklung der Persönlichkeit und Wohlbefinden. Aus diesem Grund – und wenn schon bei einer Neubewertung der Bildung die Beschäftigungsfähigkeit als ein Hauptziel anvisiert wird – darf dies nicht zu eng ausgelegt werden.

3.4

Der EWSA weist darauf hin, dass Bildungsinvestitionen mit beschäftigungsspezifischen, sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen zur Förderung des nachhaltigen Wachstums und des Wohlstands einhergehen müssen, um die gesteckten Bildungsziele voll und ganz zu erreichen. Der EWSA empfahl bereits der EU und den Mitgliedstaaten gerade angesichts der Krise eine Revision und/oder nichtregressive Aktualisierung der politischen Maßnahmen in Bezug auf die Beschäftigung und hochwertige öffentliche Dienstleistungen, mehr Aufmerksamkeit für spezifische Gruppen (Kinder, Menschen mit besonderen Bedürfnissen, Migranten) sowie die Einbeziehung der Geschlechterperspektive und die umfassende Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft hinsichtlich all dieser Maßnahmen (8).

3.5

Anerkanntermaßen gibt es ein gewisses Ungleichgewicht zwischen den Kompetenzen, die heute auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden, und denen, die Jugendliche und Arbeitnehmer im Allgemeinen besitzen; um dieses Ungleichgewicht zu korrigieren, ist eine Verbindung von Bildungs- und Arbeitswelt dringend erforderlich, wenngleich feststeht, dass Bildungs- und Beschäftigungszeiten nicht identisch sind und auch nicht sein können.

3.6

Der EWSA begrüßt den jüngst vom Europäischen Rat gefassten Beschluss, eine "Jugendgarantie" auf den Weg zu bringen, die sicherstellen soll, dass jeder unter 25 Jahren binnen vier Monaten nach seinem Abgang von der Schule oder nach Eintritt der Arbeitslosigkeit ein gutes Angebot für einen Arbeitsplatz, eine Weiterbildung oder eine Ausbildungs- bzw. Praktikumsstelle erhalten.

3.7

Der EWSA macht jedoch darauf aufmerksam, dass die derzeitige hohe Arbeitslosigkeit nicht nur junge Menschen, sondern auch ältere Arbeitnehmer betrifft. Deshalb wäre es angezeigt, das Wissen dieser Arbeitskräfte zu nutzen, um nicht nur zur Eingliederung der jungen Menschen in den Arbeitsmarkt, sondern auch zur Weitergabe von Kenntnissen beizutragen, die auf vielfältigen Erfahrungen beruhen.

3.8

Der EWSA bedauert. dass die Kommission in dieser Mitteilung nicht die Gelegenheit wahrgenommen hat, um die Rolle anzuerkennen, die die nichtformale Bildung als Ergänzung der formalen Bildung spielen kann, und weist auf die Forderung der Teilnehmer am Straßburger Symposium hin, gemeinsam einen lang- oder mittelfristigen Prozess zur Anerkennung der nichtformalen Bildung in Europa einzuleiten (9).

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Querschnittskompetenzen und Grundfertigkeiten

4.1.1

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass "intensivere Bemühungen zur Entwicklung von Querschnittskompetenzen (…) notwendig" sind. Der erste Schritt sollte aber sein, dass sich alle Betroffenen Grundfertigkeiten bzw. Basisqualifikationen aneignen. Er teilt darüber hinaus die Ansicht, dass das Erlernen von Fremdsprachen weiterhin Priorität haben muss. Tatsächlich dürften Jugendliche, die über solide Grundkenntnisse und fächerübergreifende Fähigkeiten verfügen (insbesondere Teamfähigkeit, Fremdsprachen- und IT-Kenntnisse, die Fähigkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese zu artikulieren oder sich an der Beschlussfassung zu beteiligen), weniger Schwierigkeiten haben, sich in den Arbeitsmarkt einzugliedern und eine unternehmerische Tätigkeit aufzunehmen.

4.1.2

Die "unternehmerischen Kompetenzen", die auch "Unternehmerkompetenzen" heißen könnten, sind sicherlich ein wichtiger Aspekt – vorausgesetzt, dass es dabei nicht ausschließlich um die Gründung von Unternehmen geht. Ohne Unternehmergeist kann man nur wenig im Leben erreichen, vor allem nicht in so schwierigen Zeiten wie diesen. Es ist somit begrüßenswert, dass diese Kompetenzen in bildungspolitische Maßnahmen und Programme einbezogen werden.

4.1.3

Über die Lehrpläne hinaus können zur Schaffung von Unternehmergeist die Möglichkeit einer Ausbildung in Unternehmen oder Organisationen sowie die Förderung der Beteiligung von Unternehmen und Organisationen an Initiativen der Schulen wichtig sein. Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten auf transparentere Weise festlegen, was unter einem gerechten Zugang zu angemessenen Lernprozessen und berufsvorbereitenden Programmen gemeint ist, sowie ein kohärentes Bündel von Indikatoren definieren, die einen Vergleich auf den verschiedenen Ebenen und eine Bewertung der Ergebnisse unter Beteiligung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft ermöglichen.

4.1.4

Der EWSA vertritt dennoch die Ansicht, dass der Unternehmergeist nur dann sein gesamtes Potenzial entfalten kann, wenn er mit einem Teamgeist einhergeht, den die Bildungseinrichtungen unter Kindern und Jugendlichen ebenfalls fördern sollten.

4.1.5

Die Aneignung von Qualifikationen in Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurwissenschaften und Mathematik ("STEM" (10)) verdient weiterhin besondere Aufmerksamkeit seitens der Bildungssysteme, weil diese im Mittelpunkt des Interesses einer von Technologien und technischer Entwicklung dominierten Gesellschaft stehen und weil hochqualifizierte Arbeitnehmer mit umfangreichen wissenschaftlichen Kenntnissen immer stärker nachgefragt werden (11). Wichtig ist jedoch, dass diese Themen auf adressatengerechtere und kreativere und damit attraktivere Weise behandelt werden, die auch der Gleichstellung von Frauen und Männern besser gerecht wird (12).

4.1.6

In der Mitteilung fehlen Verweise auf die Folgen der Krise und der Anpassungsmaßnahmen für Wissenschaft und Forschung und deren Akteure (Forscher, Wissenschaftler, Hochschulen) wie auch auf die Abwanderung von Fachkräften, die derzeit in mehreren EU-Mitgliedstaaten stattfindet. In mehreren Stellungnahmen (13) hat der EWSA erklärt, wie wichtig es ist, auf die Vollendung des Europäischen Forschungsraums hinzuwirken, und festgestellt, dass die Freizügigkeit von Forschern, wissenschaftlichen Kenntnissen und Technologien die "fünfte Freiheit" des Binnenmarkts bilden muss.

4.2   Berufliche Qualifikationen

4.2.1

Der EWSA teilt die Sorge der Kommission über die Schieflage zwischen Bildung und Arbeitsmarkt. Tatsächlich kann ein vom Arbeitsmarkt abgekoppeltes Bildungssystem zu unzureichenden Qualifikationen oder – schlimmer noch – zu Arbeitslosigkeit führen (14). Der EWSA teilt die Ansicht, dass der Überprüfung der Beziehungen zwischen beruflicher Bildung und Arbeitswelt größere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss und dass das Verständnis für die Wechselbeziehung zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung einerseits und der Arbeitswelt andererseits verbessert werden muss, damit die eine Seite den Erfordernissen der anderen Seite wirklich entspricht, und unterstreicht, dass die Beteiligung der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft für eine arbeitsmarktrelevante Berufsbildung wichtig ist (15).

4.2.2

Die Vermittlung und Zertifizierung von IKT-Kompetenzen sind für den Arbeitsmarkt sehr wichtig. Deshalb ist es notwendig, in entsprechende Programme zu investieren, die diese Kompetenzen gewährleisten, vor allem im Bereich der Berufs- und Hochschulbildung und insbesondere in Bezug auf junge Frauen. Der EWSA unterstützt den Vorschlag eines europäischen Qualitätssiegels für Industrie, die Ausbildung und Zertifizierung im IKT-Bereich.

4.2.3

Der EWSA bekräftigt das Recht aller Menschen auf ein Bündel von Kenntnissen und Fähigkeiten, die ihnen eine vollkommene Eingliederung in das berufliche und soziale Leben ermöglichen. Das Recht auf Berufsbildung sollte nicht nur jungen Menschen zuerkannt werden, die vor der Eingliederung in den Arbeitsmarkt stehen, sondern allen Arbeitnehmern, damit diese ihre Kenntnisse aktualisieren und damit auf die laufenden Veränderungen reagieren können. Beschäftigungsfähigkeit geht nicht allein junge Menschen an.

4.2.4

Das Lernen am Arbeitsplatz und insbesondere die dualen Systeme, die den Unterricht in der Klasse mit der Erfahrung am Arbeitsplatz verbinden, können eine wichtige Rolle bei den für die Schaffung von Arbeitsplätzen notwendigen Veränderungen spielen (16), müssen aber Teil des Bildungssystems sein und erfordern eine Klärung der Rolle der verschiedenen Akteure. Von entscheidender Bedeutung ist die Sensibilisierung von Schulen und Unternehmen für diese Art des Lernens (17).

4.3   Offenes und flexibles Lernen anregen

4.3.1

Die Anerkennung der Tatsache, dass sich die Paradigmen mit einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit weiterentwickeln (Übergang von einer industriellen Gesellschaft zu einer Wissensgesellschaft, die sich auf eine vernetzte Gesellschaft hinbewegt), erfordert ein kreativeres und innovativeres Vorgehen, bei dem verschiedene Lebens-/Tätigkeitsbereiche zusammengeführt, die erreichten Erfolge anerkannt und gewürdigt, Brücken zwischen Kultur, allgemeiner und beruflicher Bildung und Arbeitsmarkt geschlagen, Komplementarität zwischen nichtformalem und formalem Lernen gefördert und gleichzeitig die Chancengleichheit unterstützt werden.

4.3.2

Die Förderung des Lernens ist dann sinnvoll, wenn die Betroffenen über die dafür erforderlichen Bedingungen verfügen und wenn dies nicht ausschließlich von den Anstrengungen abhängt, die jeder einzelne unternehmen kann und muss. Ist das nicht der Fall, werden diejenigen Gruppen, die bereits per se benachteiligt oder ausgegrenzt sind, weiterhin kollektiv ausgrenzt. So stellt der EWSA mit wachsender Besorgnis eine sehr geringe Teilnahme Erwachsener an Maßnahmen des lebenslangen Lernens fest: Der Kommission zufolge beträgt die durchschnittliche Teilnahmequote Erwachsener am lebenslangen Lernen 8,9 %, in sieben Mitgliedstaaten jedoch nur 5 %.

4.3.3

Es ist notwendig, die derzeit zu formalistischen Verfahren zur Anerkennung außerhalb der Schule (im Rahmen der nichtformalen Bildung) erworbener Kenntnisse zu verbessern. Ferner ist zu betonen, dass die diesbezüglichen Beschlüsse auf der Absprache mit den betroffenen Sozialpartnern und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft beruhen müssen und der Staat für die Qualität dieser Anerkennung zu sorgen hat. Die Verfahren für die Anerkennung können auf wirksamere Weise dazu beitragen, die Vorzüge der nichtformalen Bildung insbesondere bei den Sozialpartnern stärker bekannt zu machen. Ebenso sollten möglichst umfassende und verständliche Informationen über die Verfahren zur Anerkennung und Aufwertung von Lernergebnissen bereitgestellt werden, um sicherzustellen, dass alle hiervon profitieren.

4.3.4

In einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit – insbesondere Jugendarbeitslosigkeit – ist es notwendig, offene und flexible Denkansätze für den Erwerb von Qualifikationen zu entwickeln. Dies ist mittel- und langfristig eine fundamentale Herausforderung für Europa. Die Bewältigung dieser Herausforderung erfordert u.a. folgende Maßnahmen seitens der Mitgliedstaaten:

a)

Gewährleistung der notwendigen Bedingungen für lebenslanges Lernen, so dass alle Menschen ihre Qualifikationen verbessern und Zugang zu höherqualifizierter Arbeit erhalten können, womit das Europa-2020-Ziel des "integrativen Wachstums" verwirklicht wird;

b)

Gewährleistung der Unterstützung von Jugendlichen durch Berufsberatungsexperten;

c)

Verbesserung der Ausbildung (Fortbildung und Umschulung) durch konkrete, innovative und kreative Maßnahmen für alle, die sich bereits auf dem Arbeitsmarkt befinden bzw. in den Arbeitsmarkt eintreten wollen, aber deren schulische oder außerschulische Qualifikationen unzureichend sind. Bei diesen Initiativen sollte dem Alter, der Erfahrung und dem Wissen der betroffenen Arbeitnehmer Rechnung getragen werden;

d)

Verankerung des Rechts auf zertifizierte und hochwertige Ausbildung, einschließlich der Festlegung einer jährlichen Stundenzahl für die Fortbildung aller Arbeitnehmer, unabhängig vom Qualifikationsniveau oder Vertragstyp;

e)

Förderung der Erarbeitung von Kompetenzentwicklungsplänen in den Unternehmen, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgestellt werden sollten, unter Berücksichtigung der Situation der Unternehmen (insbesondere der KMU) und damit im Einklang mit den von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf europäischer Ebene geschlossenen Abkommen;

f)

Unterstützung von Initiativen zur Erhöhung des Bekanntheitsgrads von außerhalb des formalen Systems erworbenen Qualifikationen, zur verstärkten Anerkennung des nichtformalen Lernens und zur Gewährleistung/Erhöhung der Qualität dieses Lernens.

4.3.5

Der EWSA bestärkt die Kommission in ihrer Absicht, einen Europäischen Raum der Kompetenzen und Qualifikationen zu schaffen, der eine größere Konvergenz und Transparenz bei der Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen innerhalb der EU ermöglicht.

4.4   Lehrer und Erzieher in Europa unterstützen

4.4.1

Der EWSA gibt der Kommission recht, dass die Lehrer und Erzieher eine wesentliche Rolle spielen, wenn es darum geht, den Lernprozess zu verbessern und Kinder und Jugendliche dafür zu motivieren, die Qualifikationen zu erwerben, die für die Bewältigung der Globalisierungsherausforderungen notwendig sind. Insofern ist die Konzentration auf die Ausbildung und Anstellung hochqualifizierter Lehrer und Erzieher eine notwendige und positive Strategie.

4.4.2

Zu sagen, dass gute Lehrer und Erzieher eine maßgebliche Rolle spielen können, bedeutet allerdings nicht, dass einzig und allein die Lehrmethode das Lernverhalten der Schüler bestimmt oder dass der sozioökonomische Kontext des Lernprozesses unterschätzt werden darf.

4.4.3

Vor dem Hintergrund weit- und tiefgreifender wirtschaftlicher, sozialer und technischer Veränderungen ist es dringend notwendig, den Lehrberuf als einen Schlüsselfaktor für die Förderung einer hochwertigen, den Erfordernissen unserer Zeit angepassten Bildung zu betrachten. Zur Erreichung dieses Ziels ist es von entscheidender Bedeutung, die akademische und berufliche Bildung der Lehrkräfte zu verbessern, angemessene Gehalts- und Karrierebedingungen zu bieten und den Lehrberuf für junge Menschen attraktiver zu machen. Ferner ist es äußerst wichtig, bei der Einstellung von Lehrkräften auf eine stärkere Ausgewogenheit im Verhältnis zwischen Frauen und Männern zu achten.

4.4.4

Der EWSA ist der Ansicht, dass bei der Einstellung von Lehrern der Vielfalt der Gesellschaft namentlich in Bezug auf Volkszugehörigkeit, Kultur, Religion, Alter usw. Rechnung getragen werden sollte. Zusätzlich ist im Rahmen der Freizügigkeit und der Migration die Verbesserung der Sprachkenntnisse und der interkulturellen Fähigkeiten sowohl der Kinder und Jugendlichen als auch der Lehrer wichtig, damit es auch dann zu einer besseren Zusammenarbeit kommen kann, wenn unterschiedliche Muttersprachen gesprochen werden. Die Lehrer müssen mit entsprechenden Qualifikationen ausgestattet werden, um auch Schulabbrecher und Schüler aus sozialen Risikogruppen bzw. gesellschaftlichen Randgruppen unterrichten zu können. Deshalb sind Lehrer erforderlich, die sich in ein multikulturelles und vielgestaltiges Lernumfeld integrieren können (18).

4.5   Finanzierung der Bildung

4.5.1

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission zusagt, der Finanzierung der Bildung mehr Aufmerksamkeit zu schenken, indem sie eine Diskussion mit den wichtigsten Interessenträgern über den Nutzen der Bildungsinvestitionen einleitet (19). Er unterstützt auch die Absicht, gemeinsam mit den Sozialpartnern die Steigerung des Angebots an hochwertiger Ausbildung am Arbeitsplatz zu untersuchen.

4.5.2

Der EWSA bewertet es positiv, dass die Mitgliedstaaten nationale Debatten über die Mechanismen für eine nachhaltige Finanzierung der allgemeinen und beruflichen Bildung fördern. Trotz dieses Interesses wird jedoch in vielen Mitgliedstaaten an der Finanzierung der allgemeinen und beruflichen Bildung gespart (20). Der Ausschuss unterstreicht die Bedeutung der umfassenden und ständigen Beteiligung der Sozialpartner und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft am gesamten Prozess. Er begrüßt die Bemühungen um die Beteiligung des Privatsektors an der Finanzierung des Bildungsbereichs, insbesondere an der beruflichen Bildung, empfiehlt jedoch gleichzeitig, in solchen Fällen klare Kriterien für die gemeinsamen Zuständigkeiten der verschiedenen Sektoren (öffentlicher und privater Sektor und andere) festzulegen. Dies darf nicht bedeuten, dass der Staat seiner nationalen und internationalen Verpflichtungen zur Gewährleistung einer angemessenen Finanzierung und hochwertigen Bildung für alle entbunden wird (21).

4.5.3

Der EWSA bekräftigt seine Überzeugung, dass Programme wie Erasmus, Erasmus Mundus und Jugend in Aktion, deren Beitrag zur persönlichen Entwicklung und Aneignung von Fähigkeiten und Kompetenzen der Jugendlichen allseits anerkannt ist, für die Mobilität von Jugendlichen wichtig sind. Deshalb muss ihre Finanzierung im Zuge des mehrjährigen Finanzrahmens verstärkt werden, und es muss die Auswahl der Teilnehmer verbessert werden, um faire, gleiche und reale Chancen für alle sicherzustellen, mit Hilfe von Programmen die Teilnahme verschiedener Risikogruppen an Maßnahmen zu fördern und Lösungen für die vielen Schüler und Jugendlichen anzubieten, die in Bezug auf ihre finanziellen Möglichkeiten oder ihre Qualifikationen mit Barrieren zu kämpfen haben.

4.6   Partnerschaften

4.6.1

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Zusammenarbeit mit den verschiedenen sozialen Akteuren und Gruppen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung verstärkt werden sollte. Partnerschaften ermöglichen einen bereichernden Erfahrungsaustausch und bieten die Gelegenheit, diejenigen, die spezifische Qualifikationen anbieten und/oder aktualisieren können (insbesondere die Qualifikationen, die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden), in den Bildungsprozess einzubeziehen.

4.6.2

Der EWSA unterstreicht, dass es wichtig ist, alle Interessenträger (Jugendorganisationen und örtliche Vereine, Schulen und Lehrer, Eltern und Erziehungsberechtigte, Unternehmen und Gewerkschaften, Gebietskörperschaften und andere staatliche Stellen usw.) an der Bildungsaufgabe zu beteiligen, klare Ziele festzulegen, regelmäßige Bewertungen vorzunehmen und für ausreichende und damit nachhaltige Mittel zu sorgen. Der EWSA hofft, dass das Programm "Erasmus für alle" einen entscheidenden Beitrag zur Unterstützung, Anregung und Förderung von Partnerschaften leistet, die zum Ziel haben, die Qualität der Bildung und die Chancengleichheit sicherzustellen. Als ganzheitliche Tätigkeit erfordert Bildung ein hohes Maß an Berufsberatung mit einem entsprechenden Berufsberatungsdienst. Außerdem sollten die guten Erfahrungen vieler Schulen propagiert werden, die sich außerhalb der Unterrichtszeit zu Zentren für Kultur, Begegnungen und lebenslanges Lernen entwickelt haben – mit Angeboten für Angehörige verschiedener Generationen und unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen.

4.6.3

Der EWSA anerkennt den Wert von Jugendverbänden für die Beteiligung Jugendlicher und ihren Beitrag zur Lösung der immensen Probleme, vor denen Jugendliche heute stehen. Aus diesen Problemen sticht natürlich die Jugendarbeitslosigkeit hervor, deren sehr hohe Quoten vollkommen inakzeptabel sind. Der Aufbau von Partnerschaften mit diesen Organisationen, die die Entwicklung persönlicher Kompetenzen wie Organisation, Kommunikation, Führung, Initiativgeist, Fremdsprachenkenntnisse usw. ermöglichen, kann eine positive Strategie sein, sofern auch die erforderlichen Mittel für ihre Tätigkeit gewährleistet sind (22).

4.6.4

Der EWSA unterstützt den Vorschlag, Jugendgarantien in den Mitgliedstaaten zu schaffen, die aus einem spezifischen Fonds und im Rahmen des mehrjährigen Finanzierungsprogramms finanziert werden, hält jedoch 6 Mrd. EUR für eindeutig unzureichend angesichts der Tatsache, dass ein Teil dieser Mittel bereits aus dem Europäischen Sozialfonds stammt.

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2012) 669 final.

(2)  ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 67; ABl. C 161 vom 6.5.2013, S. 27; ABl. C 11 vom 15.01.2013, S. 8-15; ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 97; ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 103; ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 1; ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 154; ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 94; ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 143; ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 11; ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 50; ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 1; ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 142; ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 1; ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 55; ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 66; ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 81; ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 113; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 10; ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 100; ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 95; ABl. C 151 vom 17.6.2008, S. 45; ABl. C 218, 11.9.2009, S. 85; ABl. C 151 vom 17.6.2008, S. 41

(3)  Survey of Schools: ICT in Education (https://ec.europa.eu/digital-agenda/node/51275).

(4)  In dem Zwischenbericht über die UNESCO-Initiative "Bildung für alle" aus dem Jahr 2012 wird zunächst die Stagnation bei der Verwirklichung der EFA-Ziele bemängelt und dann gefolgert, dass die Bildungssysteme über ausreichende und nachhaltige Mittel verfügen müssen, damit für die Bürger positive Ergebnisse erzielt werden. In jüngster Zeit hat die OECD erklärt, dass eine auf Qualität und Gleichheit ausgerichtete öffentliche Bildung die beste Methode ist, damit die Regierungen nicht nur Geld sparen, sondern gleichzeitig auch Geld sinnvoll investieren. Damit von einem hochwertigen Bildungssystem gesprochen werden kann, müssen jedoch die am stärksten benachteiligten Gruppen und Personen einbezogen werden. Internationale Bildungskonferenz der OECD: "Quality and dialogue key to public education", 4. Februar 2013.

(5)  Alle Sigele beziehen sich auf die englischen Bezeichnungen.

(6)  Zwölf internationale Bildungsfachleute haben im Rahmen der UNESCO (12.-14. Februar 2013, Paris) im Lichte der jüngsten tiefgreifenden sozialen Veränderungen mit einer kritischen Überarbeitung der wichtigsten Berichte begonnen, die die Organisation zum Thema Bildung im 20. Jahrhundert angefertigt hat, d.h. des Berichts "Learning to be" (1972) von Edgar Faure (1972) und des Berichts "Learning: The Treasure within" (1996) von Jacques Delors: www.unesco.org.

(7)  "Beschäftigungsfähigkeit" und "Schaffung von Arbeitsplätzen" bedeuten und bezeichnen nicht dasselbe. Die "Schaffung von Arbeitsplätzen" bezeichnet ein komplexes Phänomen gemeinsamer Zuständigkeiten von Staat, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die einen sozialen Dialog und Verhandlungen erforderlich machen; die "Beschäftigungsfähigkeit" scheint hingegen fast ausschließlich auf die individuelle Verantwortung der Arbeitssuchenden zu verweisen.

(8)  ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 18.

(9)  Das Symposium fand vom 14. bis 16. November 2011 statt und wurde gemeinsam von der Europäischen Kommission und dem Europarat sowie einigen Jugendorganisationen wie dem Europäischen Jugendforum, Jugend für Europa (der deutschen Agentur für das EU-Programm "Jugend in Aktion") und dem Zentrum für Ausbildung und Kooperation SALTO veranstaltet. (http://youth-partnership-eu.coe.int/youth-partnership/documents/EKCYP/Youth_Policy/docs/Youth_Work/Policy/ STATEMENT_Symposium_participants_160312.pdf).

(10)  Englisches Sigel für Science, Technology, Engineering and Mathematics.

(11)  Dem CEDEFOP zufolge dürfte bis 2020 die Nachfrage nach hochqualifizierten Arbeitskräften auf 16 Mio. und nach durchschnittlich qualifizierten Arbeitskräften auf 3,5 Mio. ansteigen; gleichzeitig könnte die Zahl der Geringqualifizierten auf 12 Mio. sinken.

(12)  Einige Beispiele aus den Mitgliedstaaten zeigen, wie der Mathematikunterricht attraktiver gestaltet werden kann.

(13)  ABl. C 95 vom 23.4.2003, S. 8; ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 8; ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 13; ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 39; ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 121; ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 111; ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 72; ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 60; ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 88; ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 43; ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 31.

(14)  In der überarbeiteten Empfehlung der UNESCO zum Thema heißt es, dass die technische und berufliche Bildung wegen der derzeitigen oder voraussichtlichen weitreichenden wissenschaftlich-technologischen und sozioökonomischen Entwicklungen, die für unsere Epoche kennzeichnend sind (insbesondere die Globalisierung und die Revolution im Bereich Information und Kommunikationstechnologien) ein Kernelement des Bildungsprozesses in allen Ländern sein muss (UNESCO, 2001).

(15)  Memorandum zur europäischen Zusammenarbeit in der beruflichen Aus- und Weiterbildung in Europa, 10./11. Dezember 2012, Berlin.

(16)  In der Mitteilung werden folgende Bereiche mit Wachstumspotenzial genannt: Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), Gesundheitswesen, CO2-arme Technologien, personalisierte Dienstleistungen, Unternehmensdienstleistungen, maritime Wirtschaft und "grüne" Wirtschaftszweige sowie Branchen, in denen aufgrund eines Strukturwandels besser qualifizierte Arbeitskräfte benötigt werden.

(17)  Das duale System in Österreich ist ein Beispiel für ein bewährtes Verfahren. Es erscheint angezeigt, die Voraussetzungen für die Verwirklichung dieses Systems sowie die damit bisher erzielten Ergebnisse zu analysieren.

(18)  ABl. C 151 vom 17.6.2008, S. 41; ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 85.

(19)  Die UNESCO hat eine neue Studie veröffentlicht, in der sie die Beiträge von Unternehmen und privaten Stiftungen zur Bildung analysiert und aufzeigt, dass diese nur 683 Mio. US-Dollar pro Jahr ausmachen. Zur Verdeutlichung: Dies entspricht 0,1 % der größten Erdölunternehmen der Welt bzw. den Kosten für zwei Airbus-Flugzeuge des Typs A380. Es handelt sich de facto um einen geringen Beitrag im Vergleich zum Betrag von 16 Mrd. USD, der jährlich notwendig ist, um den Zugang zur Grundschule für alle Kinder zu gewährleisten (Präsentation auf dem Forum in Davos, 23. Januar 2013).

(20)  Eurydice-Bericht "Funding of Education in Europe 20-2012. The Impact of the Crisis".

(http://eacea.ec.europa.eu/education/eurydice/documents/thematic_reports/147EN.pdf).

(21)  Die Verpflichtung zur Gewährleistung einer hochwertigen Bildung für alle ist national in allen Verfassungen verankert - sowie international in der Schlusserklärung der UNESCO-Weltkonferenz über Bildung (1990, Jomtien) und in den UN-Milleniumsentwicklungszielen (2000, New York), die alle EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet haben.

(22)  Ein Bericht der Universität Bath/GHK (2012) hat die Auswirkungen der formalen Bildung auf die Beschäftigungsfähigkeit Jugendlicher und die mögliche Bedeutung von Jugendorganisationen in diesem Prozess aufgezeigt.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/65


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen

COM(2012) 788 final — 2012/0366 (COD)

2013/C 327/13

Berichterstatter: José Isaías RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO

Die Europäische Kommission beschloss am 15. Januar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen

COM(2012) 788 final — 2012/0366 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 26. März 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) mit 173 gegen 52 Stimmen bei 28 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Die Rechtsgrundlage des von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Gesetzgebungsakts ist Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (1). Erklärtes Ziel dieses Rechtsetzungsvorschlags ist somit die Angleichung der Rechtsvorschriften für Tabakerzeugnisse zu dem Zweck, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten. In Ziffer 3.9.1 der Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie wird präzisiert, dass die Wahl dieser Rechtsgrundlage für die Richtlinie 2001/37/EG vom Gerichtshof der Europäischen Union bestätigt worden ist (2) und für den vorliegenden Vorschlag daher die gleiche Rechtsgrundlage gewählt wird, um ein hohes Maß an Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren von Tabakerzeugnissen zu gewährleisten.

1.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt grundsätzlich diese Rechtsgrundlage mit Blick auf die Ziele des Vorschlags, die der Ausschuss voll und ganz unterschreibt und die insbesondere darauf abheben, vor allem junge Menschen vom Rauchen abzuhalten. Nichtsdestotrotz nimmt er zur Kenntnis, dass gelegentlich, zum Beispiel im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, Vorbehalte gegen diese Rechtsgrundlage vorgebracht werden, namentlich, dass das angestrebte Ziel auf Ebene der Mitgliedstaaten ausreichend erreicht werden kann.

1.3

Der EWSA stimmt völlig mit der Europäischen Kommission überein, dass das Recht auf Gesundheit über jeder wirtschaftlichen Erwägung stehen muss. Diesbezüglich spricht sich der EWSA entschieden dafür aus, Programme und öffentliche Kampagnen zur Aufklärung über und Sensibilisierung für die schweren gesundheitlichen Folgen des Rauchens anzustoßen. Allerdings ist nach wie vor fraglich, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen die schrittweise Aufgabe des Rauchens erleichtern würden. Der EWSA empfiehlt deshalb, die fragliche Maßnahme zu ergänzen und unmissverständlich zu betonen, wie wichtig die europaweite Umsetzung der Informations- und Beratungsstrategien in den Bildungseinrichtungen (Grund- und weiterführende Schulen) sind, damit jedes Kind bzw. jeder Jugendliche korrekt, vollständig und regelmäßig über den Tabakkonsum und seine schädlichen Auswirkungen ebenso wie über die kanzerogenen Folgen einer Belastung durch Tabakrauch in der Umgebungsluft (ETS) informiert wird (3).

1.4

Der EWSA ist sich bewusst, dass in der gesamten Europäischen Union in allen Bereichen der Wertschöpfungskette für Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse, von der Landwirtschaft über Produktion und Verpackung bis hin zum Einzelhandel, viele Arbeitsplätze gefährdet sein werden. Er fordert, der Vorbeugung dieser Arbeitsmarktrisiken gebührende Aufmerksamkeit zu widmen, und empfiehlt nachdrücklich, hier auf alle verfügbaren Übergangs- und Umstrukturierungsmaßnahmen zurückzugreifen, insbesondere Ausbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer sowie wissenschaftliche und technische Unterstützung und Innovationsförderung für Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe, die neue Erzeugnisse herstellen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Es muss darauf hingewiesen werden, dass der Tabakanbau zur Beschäftigung im ländlichen Raum beiträgt. Der Kohäsions- und die Strukturfonds, der Fonds für regionale Entwicklung sowie die Fonds für Forschung und Innovation sollten in denjenigen Mitgliedstaaten, die von diesen eventuellen Umstrukturierungsmaßnahmen am stärksten betroffen sind, insbesondere angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise wirksam zum Einsatz kommen.

1.5

Es besteht die Gefahr eines erheblichen Verlusts an Steuereinnahmen, und zwar nicht nur durch den Anstieg des illegalen Handels, sondern auch durch den Rückgang des Verkaufs und der Preise. Derzeit werden in der Europäischen Union nahezu 100 Mrd. EUR an Tabaksteuern eingenommen.

1.6

Es wird ein starker Anstieg des illegalen Handels (Schmuggel und Fälschungen) durch kriminelle Netze stattfinden, was zu einem Rückgang des Verkaufs von legalem Tabak und einer Verringerung der Tabaksteuereinnahmen führen, die Verbrauchersicherheit aufgrund fehlender Gesundheits- und Qualitätskontrollen beeinträchtigen und den Zugang von Minderjährigen zu Tabakerzeugnissen erleichtern wird. Jedes Jahr gehen in der Europäischen Union infolge des illegalen Handels 10 Mrd. EUR (4) (Zahlen von OLAF) an Steuereinnahmen verloren, denn der Verkauf von Schmuggeltabak in der EU liegt heute bei 10 % (5). Der EWSA begrüßt denn auch die innerhalb des Rahmenübereinkommens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Eindämmung des Tabakgebrauchs erfolgte jüngste Unterzeichnung eines Protokolls zur Beseitigung des illegalen Tabakhandels, in dem die einschlägigen Akteure aufgefordert werden, wirksame Maßnahmen gegen die illegale Herstellung von und den illegalen Handel mit Tabak zu ergreifen (6).

1.7

Der Richtlinienvorschlag wird in seiner jetzigen Fassung die Bedingungen für den Marktzugang, den Wettbewerb und das erforderliche Funktionieren des freien Handels mit einem legalen, wenn auch außergewöhnlich stark regulierten Erzeugnis erheblich verändern. Dem EWSA sind die diesbezüglich in einigen Folgenabschätzungen auf EU- und internationaler Ebene vorgebrachten Bedenken bekannt. Dennoch fordert er auch dazu auf, die erwarteten Verbesserungen sowohl in Bezug auf die Senkung der Gesundheitskosten als auch auf die Verbesserung der Gesundheit nicht außer Acht zu lassen, und zwar in dem Bewusstsein, dass die Unionsbürger nach Maßgabe von Artikel 35 der Charta der Grundrechte erwarten dürfen, dass die Europäische Union ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherstellt.

1.8

Indem der Kommission weitreichende Befugnisse für die spätere Weiterentwicklung wesentlicher Aspekte der Richtlinie mittels delegierter Rechtsakte eingeräumt werden, wird in die souveränen Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten eingegriffen und somit das Subsidiaritätsprinzip verletzt. Der EWSA kann keine delegierten Rechtsakte akzeptieren, die nicht ausdrücklich unter die Bestimmungen von Artikel 290 AEUV fallen. Überdies haben acht nationale Parlamente (Subsidiaritätskontrolle) wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip mit 14 Stimmen gegen den Vorschlag der Kommission gestimmt (7).

1.9

Der EWSA unterstützt das Konzept der Risikoverringerung und fordert die Kommission daher auf, eine klare Definition und einen angemessenen Rechtsrahmen für "Erzeugnisse mit verringertem Risiko" festzulegen, der wissenschaftlich unstreitig eine Verringerung des Risikos im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten belegt, insbesondere für Erzeugnisse, die Tabak (und kein chemisches Nikotin) enthalten und somit der Richtlinie unterliegen.

2.   Einleitung

2.1

Der EWSA ist sich der Gefahren, die Tabak für die Gesundheit der Bevölkerung birgt, vollkommen bewusst. Wie in Ziffer 1 der Begründung des Richtlinienvorschlags dargelegt, ist Tabak die Hauptursache für vorzeitiges Sterben in der EU und jedes Jahr verantwortlich für fast 700 000 Todesfälle. Der Vorschlag bezieht sich somit auf lobenswerte Ziele, die die volle Zustimmung des EWSA haben, wie zu verhindern, dass Menschen, insbesondere junge Menschen, mit dem Rauchen anfangen, denn 70 % der Raucher fangen vor dem 18. Lebensjahr und 94 % vor dem 25. Lebensjahr mit dem Rauchen an, was es umso notwendiger macht, Maßnahmen in Bezug auf Kinder und Jugendliche zu ergreifen (8).

2.2

In diesem Zusammenhang nimmt der EWSA zur Kenntnis, dass eine Überarbeitung der Richtlinie unbedingt erforderlich ist und daher unverzüglich durchgeführt werden muss. Sie ist schon einige Jahre überfällig, obwohl die Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorsieht, dass bei der Festlegung und Durchführung der Politik und Maßnahmen der Union in allen Bereichen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen ist. Das Recht auf Gesundheit muss über jeder wirtschaftlichen Erwägung stehen. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich die Prävalenz des Tabakkonsums in Ländern mit sehr restriktiven Anti-Tabak-Gesetzen kaum verändert hat. Dies ist beispielsweise in Spanien der Fall, wo gemäß einem unlängst veröffentlichten Bericht der Europäischen Kommission über rauchfreie Umgebungen die Prävalenz des Tabakkonsums in den letzten drei Jahren trotz des Erlasses strenger Gesetze gerade einmal um zwei Prozentpunkte gefallen ist (9). Der EWSA spricht sich daher entschieden dafür aus, zusätzlich zu den vorgeschlagenen Maßnahmen Programme und öffentliche Kampagnen zur Aufklärung über und Sensibilisierung für die schweren gesundheitlichen Folgen des Rauchens anzustoßen. Hierdurch wird die langfristige Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit verstärkt, da nach wie vor eine gewisse Skepsis besteht, ob diese die notwendige schrittweise Aufgabe des Rauchens erleichtern.

2.3

Der von der Europäischen Kommission am 19. Dezember 2012 vorgelegte Vorschlag für eine Überarbeitung der Richtlinie 2001/37/EG über Tabakerzeugnisse kann jedoch schwerwiegende Auswirkungen auf die Beschäftigung, die Wirtschaft und die Steuereinnahmen in der Europäischen Union haben und damit anderen grundlegenden Unionszielen wie Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum (Artikel 3 EUV) entgegenstehen, wenn keine flankierenden Maßnahmen durchgeführt werden. Die Tabakbranche in der EU beschäftigt nahezu 1,5 Mio. Menschen, 400 000 dieser Arbeitsplätze entfallen auf Tabakbauern, und 956 000 hängen vom Tabakeinzelhandel ab (10). Im Übrigen werden jedes Jahr nahezu 100 Mrd. EUR an Steuern auf Tabakerzeugnisse eingenommen. Dieser Wirtschaftszweig ist für den Export sehr wichtig, da er als einer der wenigen sowohl auf europäischer Ebene als auch in vielen Mitgliedstaaten weiterhin eine positive Bilanz aufweist. So betrug der Gesamtexport von Tabakerzeugnissen aus der Europäischen Union 2010 ca. 55 000 Tonnen. Das größte Exportvolumen kam aus Bulgarien (13 200), Griechenland (11 200) und Frankreich (8 000). Zudem ist Tabak ein Agrarerzeugnis, das 400 000 Menschen in der Europäischen Union Arbeit bietet, hauptsächlich in benachteiligten Regionen ohne Alternativen. Aus Statistiken von UNITAB und COPA geht hervor, dass 96 % der Tabakanbaubetriebe familiengeführt sind und eine durchschnittliche Anbaufläche zwischen 0,5 und 3 Hektar haben (11).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der von der Europäischen Kommission vorgelegte Vorschlag für eine Richtlinie über Tabakerzeugnisse bezieht sich auf sechs Bereiche:

Kennzeichnung und Verpackung

Inhaltsstoffe

Formate

Rückverfolgbarkeit und Sicherheitsmerkmale

grenzüberschreitender Fernabsatz

rauchlose Tabakerzeugnisse und Ausdehnung des Regelungsbereichs auf weitere Erzeugnisse.

Drei dieser sechs Bereiche werden erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigung und die Steuereinnahmen der EU-Mitgliedstaaten haben. In Bezug auf Kennzeichnung, Verpackung und Inhaltsstoffe verlangt der Vorschlag gesundheitsbezogene Warnhinweise, die im Vergleich zu den bestehenden unverhältnismäßig groß sind, mit Einschränkungen für Format, Geschmack und Inhalt der Tabakerzeugnisse. So müssen alle Schachteln bildliche und textliche Warnhinweise enthalten, die 75 % der Packung bedecken. Hinzu kommen – zusätzlich zu der in einigen Mitgliedstaaten obligatorischen Steuermarke, der Meldung über das Verkaufsverbot an Minderjährige sowie der Fläche, die für die neuen Maßnahmen zur Gewährleistung der Verfolgung und Rückverfolgbarkeit von Tabakerzeugnissen vorgesehen ist – neue Informationshinweise auf den Schmalseiten (50 % je Seite). Dies bedeutet de facto eine erhebliche Verringerung der für die Darstellung der rechtmäßig eingetragenen Handelsmarken zur Verfügung stehenden Fläche. Zudem werden die Schachteln eine Mindesthöhe und -breite haben, was dazu führen wird, dass einige der Packungsmodelle vom Markt verschwinden. Dies ist beim "Casket"-Format der Fall, das in einigen Ländern wie Griechenland sehr beliebt ist. Auch das in Portugal am weitesten verbreitete Schachtelformat wird eingestellt werden. Überdies können diese nicht auf wissenschaftlichen Nachweisen beruhenden Änderungen an der Verpackung Arbeitsplätze in der Paketierungs- und Verpackungsindustrie gefährden, die in vielen europäischen Ländern wie z.B. Deutschland, Polen, Frankreich, Großbritannien oder Österreich sehr wichtig ist. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Mindestanforderungen an die Höhe und Breite der Tabakerzeugnisse nicht in die öffentliche Konsultation aufgenommen wurden und auch nicht Teil der Folgenabschätzung waren. Darüber hinaus wird der Verkauf von Zigaretten mit charakteristischen Aromen verboten, und es wird eine neue Definition von "Zigarillo" erfunden, die den seit etwas mehr als einem Jahr geltenden Steuergesetzen in der EU widerspricht (12).

3.2

Da alle Schachteln dasselbe Format und alle Erzeugnisse denselben Geschmack haben werden, wird der Preis das einzige Unterscheidungskriterium zwischen Marken sein, was zu einer Verarmung der Wertschöpfungskette der gesamten Branche führen wird. Mit dem Preis als dem einzigen wettbewerbsrelevanten Unterscheidungselement wird es zu einem Preisverfall kommen, der einerseits einen Rückgang der Einkommen der Wirtschaftsakteure der Branche und der Steuereinnahmen der Mitgliedstaaten bewirken und andererseits Arbeitsplätze in der Branche vernichten wird.

3.3

Diese ausschließlich preisbasierte Differenzierung wird beispielsweise dazu führen, dass der in der EU angebaute Qualitätstabak seine Attraktivität für Unternehmen mit Produktionsstätten im Unionsgebiet verliert, da die Qualität kein Kriterium für den Ankauf von Tabakblättern mehr ist, was entgegen der Folgenabschätzung der Kommission eine schwerwiegende Bedrohung für die vom Tabakanbau abhängenden Arbeitsplätze darstellen wird. Derzeit werden in der EU jährlich 250 000 Tonnen Tabakblätter geerntet. Größter Erzeuger ist Italien mit 89 000 Tonnen, gefolgt von Bulgarien mit 41 056 Tonnen, Spanien mit 38 400 Tonnen und Griechenland mit 24 240 Tonnen. Dieses Glied der Kette gibt 400 000 Menschen Arbeit, allen voran Bulgarien mit 110 000 im Tabakanbau tätigen Menschen, gefolgt von Polen (75 100) und Italien (59 300) (13).

3.4

Eine weitere Konsequenz der Vereinheitlichung von Formaten und Geschmack könnte möglicherweise auch ein Anstieg des Tabakschmuggels sein. Sind alle Erzeugnisse letztlich fast gleich, so wird dies kriminellen Banden in die Hände spielen, denen es ein Leichtes ist, Schmuggelware mit dem ursprünglichen Format und Geschmack herzustellen, an die die Verbraucher gewöhnt sind, um diese Nachfrage – über nicht geregelte Kanäle und ohne auch nur einen Euro an die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten abzuführen – entsprechend zu bedienen. Darüber hinaus werden diese Erzeugnisse keinerlei Qualitätskontrolle unterzogen, wodurch die Sicherheit der Verbraucher ernsthaft beeinträchtigt sein wird.

3.5

Neuesten Daten zufolge gehen der EU aufgrund des illegalen Handels jedes Jahr Tabaksteuereinnahmen in Höhe von 10 Mrd. EUR verloren. Gegenwärtig macht der Verkauf von geschmuggeltem Tabak in der EU 10 % des Gesamtverkaufs aus (14). Daher kann der EWSA die am 12. November 2012 erfolgte Unterzeichnung eines Protokolls zur Beseitigung des illegalen Tabakhandels im Rahmen des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakgebrauchs nur begrüßen. Das Protokoll wurde von der Europäischen Kommission im Namen der Union und ihrer Mitgliedstaaten ausgehandelt, hierin werden die einschlägigen Akteure aufgefordert, wirksame Maßnahmen gegen die Herstellung von und den illegalen Handel mit Tabak zu ergreifen (15).

3.6

Neben dem Verlust an Steuereinnahmen wird die Zunahme des illegalen Handels zu einem Rückgang der Tabakumsätze führen, der Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette haben wird, insbesondere jedoch auf den Tabakwaren-Einzelhandel. Fast 1 Mio. Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt vom Tabakeinzelhandel in der Europäischen Union ab, sowohl in kleinen Lebensmittelgeschäften und Kiosken als auch in spezialisierten Handelseinrichtungen wie in Frankreich, Italien, Spanien und (seit Kurzem) Ungarn, wo es Netze staatlich zugelassener Verkaufsstellen für Tabak und Briefmarken gibt, die vom jeweiligen Staat geregelt und kontrolliert werden. Allein in Griechenland hängen 40 000 Arbeitsplätze vom Tabakeinzelhandel ab (16).

3.7

Der EWSA ist sich der möglichen Bedrohung für die Beschäftigung in allen Sektoren entlang der Wertschöpfungskette von Herstellung, Verpackung und Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen sowie in denjenigen Bereichen der Landwirtschaft bewusst, in denen keine Alternativen entwickelt und die GAP-Beihilfen gestrichen wurden. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Anbau von Tabak Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten sichert. Der EWSA fordert, der Minimierung dieser Arbeitsmarktrisiken das erforderliche Augenmerk beizumessen, und empfiehlt nachdrücklich, hier alle zur Verfügung stehenden Arten von Übergangs- und Umstrukturierungsmaßnahmen einzusetzen, insbesondere Aus- bzw. Weiterbildungsprogramme für Arbeitnehmer zusammen mit wissenschaftlicher und technischer Unterstützung für Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe, die neue Erzeugnisse herstellen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Der Kohäsions- und die Strukturfonds, die Regionalfonds und die Fonds für Forschung und Innovation sollten in den Mitgliedstaaten, die am stärksten von den Auswirkungen dieser eventuellen Umstrukturierung betroffen sind, insbesondere angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise wirksam eingesetzt werden.

3.8

Alles in allem ist der EWSA sich darüber im Klaren, dass die vorgeschlagene Richtlinie möglicherweise erhebliche Risiken birgt. Er fordert jedoch, dass den zu erwartenden Verbesserungen, und zwar sowohl der Senkung der Gesundheitsausgaben als auch der Verbesserung des Gesundheitsstandards, Rechnung getragen wird, zumal die EU-Bürger gemäß Artikel 35 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Anspruch darauf haben, dass die EU ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherstellt.

3.9

Darüber hinaus enthält der Richtlinienvorschlag 16 delegierte Rechtsakte, mit denen der Europäischen Kommission Regelungs- und Entscheidungsbefugnisse in wesentlichen Elementen der Richtlinie übertragen werden, was Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausdrücklich ausschließt (17). Damit bleibt dem Rat, dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten kaum Handlungsspielraum für die Regelung grundlegender Aspekte der Richtlinie.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Die im Richtlinienvorschlag enthaltenen Maßnahmen sind sehr restriktiv und beruhen auf Kriterien zur Verringerung der Attraktivität des Tabaks, um die angestrebten Gesundheitsziele zu erreichen. Der EWSA weist außerdem auf die Notwendigkeit hin, speziell auf junge Menschen in Europa zugeschnittene Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen durchzuführen. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die Schätzung der positiven gesundheitlichen Auswirkungen ihrer Maßnahmen durch die Europäische Kommission selbst sehr verhalten erscheinen kann (2 %). Diese Progression verhindert jedoch, dass gravierende und daher potenziell unverhältnismäßige wirtschaftliche Schäden entstehen.

4.1.1

Es gibt für die Aufnahme von gesundheitsbezogenen Warnhinweisen auf 75 % der Vorder- und Rückseite sowie von Informationshinweisen auf 50 % der Schmalseiten (Artikel 9) keine unanfechtbaren wissenschaftlichen Nachweise. Obgleich in der Hammond-Studie (18) auf die Wirksamkeit dieser Warnhinweise verwiesen wurde, geht aus anderen Untersuchungen wie der Studie der Universität Maastricht (19) oder der Studie der amerikanischen Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelzulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) (20) das Gegenteil hervor, d.h. dass große bildliche Warnhinweise nicht wirksam sind, um die Zahl der Raucher zu verringern. In diesem Zusammenhang geben laut einer von der Europäischen Kommission selbst in Auftrag gegebenen Eurobarometer-Umfrage (21) neun von zehn Rauchern an, durch die großen Warnhinweise nicht zur Aufgabe des Rauchens veranlasst zu werden, und sind sieben von zehn der Meinung, dass Maßnahmen dieser Art nicht dazu beitragen, den Konsum unter Minderjährigen zu verringern. Eines der Bundesberufungsgerichte der USA gelangte in einem neueren Urteils ebenfalls zu dem Schluss, dass es keine ausreichenden Belege für die Wirksamkeit dieser großen bildlichen Warnhinweise gibt. So heißt es darin, es gebe "keine Hinweise darauf, dass diese Warnhinweise in einem der Länder, in denen sie heute vorgeschrieben sind, unmittelbar eine substanzielle Verringerung der Raucherquoten bewirkt haben", und es wird angefügt, dass "die Beweiskraft unzureichend" (22) sei.

4.2

Diese unverhältnismäßige Vergrößerung des Formats der gesundheitsbezogenen Warnhinweise wird zudem folgende Konsequenzen haben:

die einseitige Enteignung der legitimen geistigen und gewerblichen Eigentumsrechte der Hersteller, die ihre eingetragenen Marken nicht mehr nutzen können. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (23) zufolge haben die Hersteller das Recht auf Nutzung ihrer eingetragenen Handelsmarken und die weitere individuelle Differenzierung ihrer Produkte;

eine neuerliche Beschränkung des Wettbewerbs in einer Branche, in der schon jetzt nur sehr eingeschränkte Unterscheidungsmöglichkeiten gegeben sind;

die Verletzung der grundlegenden, jeder rechtmäßigen Handelstätigkeit innewohnenden Handelsrechte;

ein Hindernis für die Markteinführung neuer Produkte und

die Unterbindung der Forschung und einer möglichen Verbesserung der Qualität der angebotenen Produkte. Der Markteintritt neuer Produkte der neuen Generation wird willkürlich beschränkt, ohne dabei die Möglichkeit zur Aufstellung eines klaren Regelungsrahmens zu lassen, durch den die potenziellen Risiken dieser Erzeugnisse für die Bevölkerung analysiert werden können. Dies könnte auch der Schaffung von Wohlstand und von Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit Innovation und der Erforschung dieser Erzeugnisse abträglich sein. Überdies sollten diese neuen, potenziell weniger risikoträchtigen Erzeugnisse nicht denselben Beschränkungen wie die herkömmlichen Erzeugnisse unterliegen.

4.3

Gleiches gilt für die Beschränkung der Inhaltsstoffe zur Beseitigung des charakteristischen Geschmacks oder Aromas (Artikel 6): Sie beruht nicht auf wissenschaftlichen Nachweisen wie der erhöhten Toxizität oder dem stärkeren Suchtpotenzial dieser Inhaltsstoffe, sondern auf einem so subjektiven Kriterium wie der Verringerung der Attraktivität des Tabaks und auf unsachlichen Stereotypen hinsichtlich der je nach Alters- oder Geschlechtsgruppe gerauchten Tabakart. Dieselbe Subjektivität zeigt sich an dem willkürlichen, argumentationslos auferlegten Verbot bestimmter Formate wie der Slim-Zigaretten (das nicht in der öffentlichen Konsultation enthalten war und nicht Teil der Folgenabschätzung ist), der kurzen Zigaretten und der gesamten Kategorie der Menthol-Zigaretten sowie daran, dass ein Mindestgewicht für Schnitttabakbeutel festgelegt, das Format der Tabakdosen vereinheitlicht oder sogar eine neue Kategorie von "Zigarillos" unter Verstoß gegen die seit dem 1. Januar 2011 geltende Richtlinie 2011/64/EU (24) erfunden wird. Dieses Verbot der in mehreren europäischen Ländern sehr beliebten Slim- und Menthol-Zigaretten hätte zur Folge, dass die Verbraucher keinen Zugang mehr zu ihnen hätten und sie sich auf dem Schmuggelmarkt beschaffen würden. Zudem handelt es sich dabei um Tabakerzeugnisse, die hauptsächlich von erwachsenen Rauchern konsumiert werden, weshalb sich das Argument, es gehe um die Verhinderung des Zugangs Minderjähriger zum Tabakkonsum, in diesem konkreten Fall nicht anwenden lässt. Im konkreten Fall des Mentholtabaks sei beispielsweise daran erinnert, dass diese Tabakart vorwiegend von älteren Menschen konsumiert wird und er von Ländern mit einer sehr ausgefeilten Anti-Tabak-Gesetzgebung und ganz spezifischen Bestimmungen zum Verbot bestimmter Inhaltsstoffe, wie die USA oder Kanada, nicht verboten wurde, weshalb der EWSA vorschlägt, das Verbot von Menthol aus dem Richtlinienvorschlag zu streichen.

4.3.1

Der EWSA ist schließlich völlig mit dem Vorschlag der Kommission einverstanden, neue Produkte mit Kaugummi-, Piña-colada-, Mojito-Geschmack usw. – die sogenannten "candy-flavoured cigarettes" (Zigaretten mit Bonbon-Aroma) – auf dem Markt zu verbieten, da sie sich grundsätzlich an junge Konsumenten richten können.

4.3.2

Eine übermäßige Beschränkung der Inhaltsstoffe würde zu einer Vereinheitlichung des Geschmacks führen und damit die Unterscheidung zwischen Konkurrenten unmöglich machen, wodurch die Investitionsbereitschaft gehemmt und die Möglichkeit der Einführung neuer Produkte beschnitten würde – alles zu Lasten des Verbrauchers, den man damit seiner Wahlmöglichkeit beraubt.

4.4

Der EWSA fordert von der Kommission eine klare Definition und einen angemessenen Rechtsrahmen für "Erzeugnisse mit verringertem Risiko", die wissenschaftlich unstreitig eine Verringerung des Risikos im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten belegen. Das Konzept des verringerten Risikos gilt für Erzeugnisse, die herkömmliche Zigaretten ersetzen können, aber ein viel geringeres Gesundheitsrisiko aufweisen, nicht jedoch für Entwöhnungsprodukte. Erzeugnisse, die Tabak (und kein chemisches Nikotin) enthalten und daher der Richtlinie unterliegen, müssen klar definiert und reguliert werden, damit dem Verbraucher ihre Eigenschaften vermittelt werden können.

4.5

Im Übrigen hat die Europäische Kommission in ihren Vorschlag Maßnahmen zur Verringerung des illegalen Tabakhandels aufgenommen. So legt sie z.B. in Artikel 14 des Vorschlags ein System der Verfolgung und Rückverfolgung sowie verschiedene weitere Sicherheitsmaßnahmen fest, um sicherzustellen, dass in der EU nur richtlinienkonforme Produkte verkauft werden. Diese Maßnahme impliziert eine unverhältnismäßige wirtschaftliche und administrative Belastung, die viele kleine und mittlere Unternehmen nicht schultern können, und wird, statt den illegalen Handel zu reduzieren, den Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Kontrollen einen noch größeren Verwaltungsaufwand aufbürden. Zudem werden mit diesem System Schmuggel und illegaler Handel nicht unterbunden, sondern durch die restlichen Maßnahmen des Richtlinienvorschlags vielmehr begünstigt. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass die Bestimmungen des Artikels 14 des Richtlinienvorschlags identisch mit den Bestimmungen über Verfolgung und Rückverfolgbarkeit sein müssen, die in das Ende letzten Jahres durch die Konferenz der Vertragsparteien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) abgeschlossene Protokoll über den unerlaubten Handel aufgenommen wurden (25).

4.6

Last but not least wird die Richtlinie der Europäischen Kommission die Möglichkeit geben, mittels einer zunehmenden Zahl delegierter Rechtsakte grundlegende Aspekte zu regeln und zu ändern, wie beispielsweise die Menge an Zusatzstoffen oder den Wortlaut der gesundheitlichen Warnhinweise und ihre Platzierung und Größe. Dadurch bleibt den Mitgliedstaaten fast kein Regelungsspielraum bei dieser Richtlinie, was ein extremes, in der EU bisher nur selten angewandtes Maß von Interventionismus darstellt, das die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit verletzt, wie die nationalen Parlamente von acht Mitgliedstaaten (26) (Italien, Tschechische Republik, Griechenland, Bulgarien, Dänemark, Portugal, Rumänien und Schweden) bereits monieren. Im Fall Italiens hat das Parlament nicht nur darauf hingewiesen, dass der Vorschlag gegen diese Grundsätze verstößt, sondern auch betont, dass einige der verbotenen Zigarettenformen, wie Slim-Zigaretten und teerarme Zigaretten, ein nützliches Mittel im Rahmen einer Politik zur Verringerung oder Aufgabe des Konsums sein können (27).

4.6.1

Die Europäische Kommission wird in den Artikeln 8, 9 und 11 der Richtlinie beispielsweise ermächtigt, mittels delegierter Rechtsakte den Wortlaut der gesundheitsbezogenen Warnhinweise sowie ihre Gestaltung, ihr Layout, ihr Format und ihre Platzierung zu ändern. In Artikel 6 wird es ihr ebenfalls gestattet, mittels eines delegierten Rechtsakts den Gehalt und die Höchstmenge an Zusatzstoffen festzulegen.

4.6.2

Im Falle von Zigarren, Zigarillos und Pfeifentabak behält sich die Kommission in der Richtlinie überdies das Recht auf automatische Rücknahme bestimmter Ausnahmen im Text vor, falls es eine "wesentliche Änderung der Umstände" gibt, wobei diese Änderung mit einer Zunahme des Verkaufs um mindestens 10 % in mindestens zehn Mitgliedstaaten oder von 5 % der Raucher unter 25 Jahren verbunden ist. Die Kommission übersieht dabei, dass der Markt für diese Produkte in zehn der derzeit 27 Mitgliedstaaten extrem klein ist und sich eine Schwankung von 10 % leicht ergeben könnte, wodurch die Maßnahme jeglichen Sinn verliert und zu großer Rechtsunsicherheit in dieser Teilbranche führt.

4.7

Obgleich die Befugnisübertragung mittels delegierter Rechtsakte in Artikel 290 AEUV vorgesehen ist, müssen diese Akte eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen. So kann ein delegierter Rechtsakt nur zur Änderung nicht wesentlicher Vorschriften eines Gesetzgebungsakts erlassen werden, was auf diesen Vorschlag nicht zutrifft.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Artikel 114 AEUV:

"1.

Soweit in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist, gilt für die Verwirklichung der Ziele des Artikels 26 die nachstehende Regelung. Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben".

(2)  Siehe die Rechtssache C-491/01, The Queen gegen Secretary of State for Health, ex parte: British American Tobacco (Investments) Ltd und Imperial Tobacco Ltd.

(3)  ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 89-93.

(4)  http://europa.eu/rapid/press-release_OLAF-11-5_en.htm?locale=EN.

(5)  The European Tobacco Sector. An analysis of the socio-economic footprint, elaborado por Nomisma und Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 16. November 2012.

(6)  Ebenda.

(7)  http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/dossier.do?code=COD&year=2012&number=0366&appLng=DE.

(8)  ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 6-11.

(9)  Report on the implementation of the Council Recommendation of 30 November 2009 on Smoke-free Environments.

(10)  The European Tobacco Sector. An analysis of the socio-economic footprint, von Nomisma erarbeitete Studie.

(11)  DIVTOB: Diversification for Tobacco Growing Regions in the Southern European Union. Hohenheim University. Sixth Framework Programme funded European Research and Technological Development.

(12)  Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21. Juni 2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren, ABl. L 176 vom 5.7.2011, S. 24-36.

(13)  Siehe Fußnote 10.

(14)  Siehe Fußnote 5.

(15)  Siehe Fußnote 5.

(16)  Siehe Fußnote 10.

(17)  ABl. C 115 vom 9.5.2008, S. 172.

(18)  Hammond D., "Health warning messages on tobacco products: a review", Tobacco Control 2011; 20:327-3. Sambrook Research International, "A review of the science base to support the development of health warnings for tobacco packages", Newport: Sambrook Research International; 2009 (für die Europäische Kommission erstellter Bericht).

(19)  http://www.maastrichtuniversity.nl/web/Main/Sitewide/News1/SmokersWillNotBePutOff1.htm.

(20)  Nonnemaker, J., et al., Experimental Study of Graphic Cigarette Warning Labels: Final Results Report Prepared for Center for Tobacco Products, Food and Drug Administration, Contract No. HHSF-223-2009-10135G, Dec. 2010.

(21)  http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/eurobaro_attitudes_towards_tobacco_2012_en.pdf.

(22)  RJ Reynolds Tobacco Company v Food & Drug Administration, United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit, August 2012.

(23)  Urteil des EuGH vom 17. Oktober 1990 in der Rechtssache C-10/89.

(24)  Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21. Juni 2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren, ABl. L 176 vom 5.7.2011, S. 24-36.

(25)  http://apps.who.int/gb/fctc/PDF/cop5/FCTC_COP5(1)-en.pdf.

(26)  http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/dossier.do?code=COD&year=2012&number=0366&appLng=EN.

(27)  Stellungnahme des Ausschusses für soziale Angelegenheiten des italienischen Parlaments zum Dokument der Europäischen Kommission COM(2012) 788 final.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:

Gegenstellungnahme

Den gesamten Text der Stellungnahme durch folgenden Wortlaut ersetzen:

1.    Schlussfolgerungen

1.1

Die Rechtsgrundlage der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Richtlinie ist Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (1). Ziel des Vorschlags ist die Angleichung der Gesetze und sonstiger Rechtsvorschriften für Herstellung, Aufmachung und Verkauf von Tabakerzeugnissen, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten. In Ziffer 3.9.1 der Begründung des Vorschlags wird dargelegt, dass die Wahl dieser Rechtsgrundlage für die Richtlinie 2001/37/EG (2) vom Gerichtshof der Europäischen Union bestätigt worden ist und für den vorliegenden Vorschlag daher die gleiche Rechtsgrundlage gewählt wird. Die Richtlinie von 2001 und die nun vorgeschlagene Überarbeitung streben daher beide danach, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts und ein hohes Schutzniveau der Bevölkerung vor den von Tabakerzeugnissen ausgehenden Gefahren zu gewährleisten.

1.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Ansicht, dass das Ziel der Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarkts seine nachdrückliche Unterstützung verdient. Es gibt den Mitgliedstaaten überdies einen zusätzlichen Anreiz, Schritte zu ergreifen, die nötig und wünschenswert sind, um die menschliche Gesundheit zu schützen, und ermöglicht es den Mitgliedstaaten, strengere Maßnahmen als die in dem Vorschlag enthaltenen zu erlassen.

1.3

Der EWSA stimmt – im Einklang mit seinen zahlreichen früheren Stellungnahmen zum Thema Gesundheit und verwandten Themen – völlig mit der Europäischen Kommission überein, dass das Recht auf Gesundheit über jeder wirtschaftlichen Erwägung stehen muss. Der EWSA spricht sich deshalb nachdrücklich dafür aus, Programme und öffentliche Kampagnen zur Aufklärung über und Sensibilisierung für die schweren gesundheitlichen Folgen des Rauchens anzustoßen. Diese sollten parallel zu den verschiedenen, hier vorgeschlagenen Maßnahmen stattfinden, um die Anreize für junge Menschen, mit dem Rauchen anzufangen, zu verringern und all denjenigen, die bereits von Nikotin abhängig sind, beim Aufhören zu helfen. Der EWSA empfiehlt, diese Ziffer zu ergänzen, um zu betonen, wie wichtig die europaweite Umsetzung von Informations- und Beratungsstrategien in Schulen sind, damit jedes Kind und jeder Jugendliche korrekt, vollständig und regelmäßig über den Tabakkonsum und seine schädlichen Auswirkungen, die Abhängigkeits- und sonstigen mit Nikotin einhergehenden Gesundheitsprobleme ebenso wie über die kanzerogenen und sonstigen gesundheitlichen Folgen einer Belastung durch Tabakrauch in der Umgebungsluft (ETS) informiert wird (3).

1.4

Der EWSA ist sich ebenfalls bewusst, dass möglicherweise bestimmte Arbeitsplätze in landwirtschaftlich geprägten Gegenden bedroht sind, in denen keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten entwickelt worden sind und die Erzeugungsbeihilfen der GAP nicht mehr zur Verfügung stehen. Hier sollte dringend eine Übergangsunterstützung verfügbar gemacht werden, ebenso wie wissenschaftliche und technische Hilfe zur Entwicklung alternativer, ebenso rentabler, nachhaltigerer, sozial vertretbarerer und weniger schädlicher Anbausorten und – wo immer möglich – qualitätsvoller Arbeitsplätze. Gleiches gilt für alle anderen infolge dieses Vorschlags direkt bedrohten Arbeitsplätze in der Lieferkette: Ist dies im besten Interesse der Gesundheit der Bevölkerung, so ist eine öffentliche Unterstützung für qualitätsvollere Arbeitsplätze völlig gerechtfertigt und sollte ermutigt werden.

1.5

In jedem Fall aber muss der Hauptnutzen berücksichtigt werden: die Prävention des Todes und der tabakinduzierten Erkrankung bereits rauchender Manager, Arbeitnehmer und Konsumenten sowie potenzieller Raucher aller Alters- und Gesellschaftsgruppen, die – so diese Maßnahmen verabschiedet werden – fortan unter weniger direktem kommerziellem Druck stehen, mit dem Rauchen anzufangen. Laut der Folgenabschätzung der Kommission wird dies zu einem Nettonutzen für die EU-Wirtschaft von ca. 4 Mio. EUR, Einsparungen im Gesundheitswesen von 506 Mio. EUR und einem Gewinn an 16,8 Mio. Lebensjahren führen (4). Durch geeignete Maßnahmen sollten neue Arbeitsplätze dadurch geschaffen werden, dass Mittel innerhalb der EU umgewidmet und Steuereinnahmen auf einzelstaatlicher Ebene besser genutzt werden.

1.6

Der EWSA stellt fest, dass in der Europäischen Union derzeit ungefähr 100 Mrd. EUR an Tabaksteuern eingenommen werden. Die Besteuerung von Tabakerzeugnissen ist die wirksamste und wirtschaftlichste Art, den Tabakkonsum zu verringern, insbesondere unter jungen Menschen und einkommensschwachen Gruppen (d.h. den schwächsten Mitgliedern unserer Gesellschaft) (5). Untersuchungen haben gezeigt, dass der Preis von Tabakerzeugnissen der von Rauchern am dritthäufigsten genannte Grund für die Aufgabe des Rauchens ist (6). Das Geld, das dadurch gespart wird, dass es nicht mehr für Tabakerzeugnisse ausgegeben wird, kann verwendet werden, um andere Güter zu kaufen, für die auch Steuern gezahlt werden. Es sei auch darauf hingewiesen, dass mit den Steuern, die heute eingenommen werden, die Gesundheitsfürsorge für die Menschen bezahlt wird, die vor 50 Jahren mit dem Rauchen begonnen haben; diejenigen, die heute mit dem Rauchen anfangen, werden in 50 Jahren dieselbe Fürsorge benötigen. Die heutige Erfahrung zeigt, dass sich die Regierungen der Mitgliedstaaten dessen völlig bewusst sind und die Steuern trotz eines europaweiten Rückgangs des Gebrauchs und Verkaufs von Tabak weiter erhöhen konnten. Es gibt keinen Grund, weshalb dieser Vorschlag dies ändern sollte.

1.7

Um eine weitere Zunahme des illegalen Handels (d.h. Schmuggel, Fälschung, Schwarzhandel und illegale Herstellung) durch kriminelle Netze zu verhindern, die die größte Bedrohung sowohl für die Beschäftigung als auch die Einziehung von Steuern in der EU darstellen, fordert der EWSA die Ergreifung aller notwendigen Maßnahmen, um die rasche und effektive Anwendung einschlägiger Rechtsvorschriften in allen Mitgliedstaten zu gewährleisten. Im Benehmen mit der Tabakindustrie sollten weitere Vorschläge für Maßnahmen vorgebracht werden, mit denen das Fälschen und Schmuggeln begrenzt und die Identifizierung erleichtert werden können, beispielsweise durch die Aufnahme schwer nachzuahmender Identifikationsmarkierungen oder einer elektronischen Kennzeichnung in die Verpackung. Der EWSA ist sich im Klaren, dass mithilfe der modernen Technik nahezu alle Waren oder Verpackungen leicht zu fälschen sind; entsprechenden Gesundheitswarnhinweisen mehr Platz zu widmen, wird also höchstwahrscheinlich ohnehin keine wesentlichen Auswirkungen haben.

1.8

Neben den weitreichenden Befugnissen, die der Kommission für die Weiterentwicklung wesentlicher Aspekte der Richtlinie mittels delegierter Rechtsakte eingeräumt werden, ist sicherzustellen, dass die Beschlussfassung offen und im Einklang mit den Interessen der Mitgliedstaaten erfolgt. Der EWSA betont, dass verbindliche Maßnahmen mit Artikel 290 AEUV übereinstimmen müssen.

1.9

Der EWSA unterstützt nachdrücklich das Konzept der Risikoverringerung und fordert die Kommission daher auf, eine klare Definition und einen angemessenen Rechtsrahmen für "Erzeugnisse mit verringertem Risiko" festzulegen. Besonders relevant ist dies für der Richtlinie unterliegende Erzeugnisse, die Tabak, aber weniger Nikotin, oder Nikotin, aber keinen Tabak enthalten. Der EWSA meint, dass einige dieser Erzeugnisse – unter sorgfältigen Kontrollen, die noch entwickelt werden müssen – ein gangbarer Weg sein können, um die langfristigen negativen Auswirkungen des Tabakkonsums infolge von Nikotinabhängigkeit zu reduzieren.

2.    Einleitung

2.1

Der EWSA ist sich der gesundheitlichen Gefahren von Tabak in all seinen Formen vollkommen bewusst. Tabak ist die Hauptursache für vorzeitiges Sterben in der EU und jedes Jahr verantwortlich für fast 700 000 Todesfälle. Der Vorschlag konzentriert sich deshalb darauf, zu verhindern, dass Menschen, insbesondere junge Menschen und andere schützenswerte Gruppen, mit dem Rauchen anfangen. Im Vorschlag wird festgestellt, dass 70 % der Raucher vor dem 18. Lebensjahr und 94 % vor dem 25. Lebensjahr mit dem Rauchen anfangen, was es umso notwendiger macht, Maßnahmen in Bezug auf Kinder und Jugendliche zu ergreifen (7).

2.2

Vor diesem Hintergrund vertritt der EWSA die Ansicht, dass die Überarbeitung der Richtlinie unbedingt erforderlich ist und daher unverzüglich durchgeführt werden muss. Er stellt fest, dass sich die Prävalenz des Tabakkonsums in einigen Ländern auf einem hartnäckig hohen Niveau hält – selbst dort, wo strikte Anti-Tabak-Gesetze erlassen wurden. Es ist auch deutlich, dass bestehende Kontrollen in den meisten Mitgliedstaaten einen signifikanten Rückgang bewirkt haben. In Spanien wurde über einen kurzen Zeitraum ein Rückgang um 2 % berichtet. Mit diesem Vorschlag wird angestrebt, einen vergleichbaren Rückgang in ganz Europa herbeizuführen. Der EWSA befürwortet zudem nachdrücklich Programme und öffentliche Kampagnen zur Aufklärung über und Sensibilisierung für die schweren gesundheitlichen Folgen des Rauchens.

2.3

Der EWSA stellt fest, dass der Vorschlag Bedenken über Arbeitsplätze, Steuern und die Wirtschaft insgesamt hervorgerufen hat. Die Tabakindustrie hat angegeben, bis zu 1,5 Mio. Menschen in der EU zu beschäftigen, von denen 400 000 Tabak anbauen. Zahlen der Kommission und anderer Quellen legen nahe, dass hierunter Personen fallen, die saisonal, mit befristeten Verträgen oder auf Teilzeitbasis in der Lieferkette für Tabakerzeugnisse arbeiten. So liegt die Zahl derjenigen, die direkt und ausschließlich im Tabakanbau tätig sind, Schätzungen zufolge unter 100 000. Die Produktion dieser Anbauer macht ca. ein Viertel des Tabaks aus, der in der EU hergestellt und verkauft wird; der Rest wird importiert, hauptsächlich aus den USA. Andere Arbeitsplätze in den Bereichen Verpackung, Vermarktung, Verkauf, Rechtsdienstleistungen, Forschung und Vertrieb dürften nicht betroffen sein. Es ist daher unklar, weshalb die vorgeschlagenen Änderungen an der Verpackung des Endprodukts wesentliche Auswirkungen auf das derzeitige Beschäftigungsniveau haben sollten. Noch unklarer ist es, wie die vorgeschlagenen Maßnahmen sowohl als "unbewiesen und wahrscheinlich nicht erfolgreich" und "potenziell katastrophal" für die Tabakindustrie beschrieben werden können. Der EWSA ist der Ansicht, dass in beiden Fällen das Gegenteil zutrifft; dass diese Maßnahmen einen nützlichen, wertvollen und verhältnismäßigen Effekt auf die menschliche Gesundheit und nur geringfügige Auswirkungen auf das Wachstum und die Rentabilität der Industrie insgesamt haben werden. So dürften etwaige Verluste bei Neuverkäufen an junge Menschen mehr als wettgemacht werden durch die Verringerung der wesentlich höheren illegalen Verkäufe, die niemandem als den an ihnen beteiligten kriminellen Banden zugutekommen.

2.4

Der Tabakanbau in der EU stellt jedoch Arbeitsplätze bereit, insbesondere in benachteiligten Gegenden, in denen bislang nur wenige Alternativen entwickelt worden sind. Nun, da die GAP-Beihilfen für die Produktion von Tabakpflanzen nicht mehr zur Verfügung stehen, ist dringend technische und finanzielle Übergangshilfe erforderlich, um den Wandel hin zu weniger schädlichen, langfristigeren und nachhaltigeren Einkommensquellen zu unterstützen. Ähnliches gilt für andere Arbeitsplätze in der Lieferkette: Liegt deren Verlust im allgemeinen Interesse, so ist eine öffentliche Unterstützung eindeutig angebracht.

2.5

Jedes Jahr werden nahezu 100 Mrd. EUR an Steuern auf Tabakerzeugnisse eingenommen. Der EWSA stellt fest, dass dies zwar dazu beiträgt, die Gesundheitsausgaben für diejenigen auszugleichen, die vor 50 oder mehr Jahren mit dem Rauchen begonnen haben, dass aber dieselbe Höhe an Steuern in 50 Jahren für die Fürsorge für diejenigen benötigt wird, die heute mit dem Kauf und Konsum von Tabakerzeugnissen anfangen. Steuererhöhungen werden daher von wesentlicher Bedeutung sein, um etwaige Verkaufsrückgänge wettzumachen. Die bisherige Erfahrung zeigt, dass sich die Regierungen der Mitgliedstaaten dessen bewusst sind und die Gesamtsteuereinnahmen trotz des Verkaufsrückgangs der letzten Jahre erfolgreich aufrechterhalten oder sogar erhöhen können. Beispielsweise sind in Großbritannien einem jüngst veröffentlichten parlamentarischen Bericht "All Party Parliamentary Group Report on Smoking and Health" (2013) (8) zufolge die Zigarettenverkäufe zwischen 1992 und 2011 bei kontinuierlich steigenden Preisen und einer Besteuerung in Höhe von 75 % oder mehr des Gesamteinzelhandelspreises um 51 % zurückgegangen, während die Steuereinnahmen für die Regierung um 44 % gestiegen sind. Die Raucherrate unter Erwachsenen fiel während eines vergleichbaren Zeitraums von 27 % auf 20 %.

2.6

Obwohl die meisten der in der EU produzierten Tabakerzeugnisse an Kunden in der EU geliefert werden, wird eine bestimmte Menge auch exportiert. Zahlen der Industrie zufolge lagen die Gesamtexporte von Tabakerzeugnissen 2010 bei ca. 55 000 Tonnen, und zwar zumeist in Länder in Afrika und Asien, wo die Lebenserwartung derzeit traurigerweise zu niedrig ist, als dass sich spezifische negative Auswirkungen auf die Gesundheit erkennen ließen. Zu gegebener Zeit und in dem Maße, wie andere Probleme gelöst werden und die Lebenserwartung in dem anvisierten Umfang steigt, werden sich die Folgen der Nikotinabhängigkeit und des Tabakgebrauchs, wie auch bei anderen exportierten Krankheiten, deutlicher manifestieren.

2.7

Der EWSA stellt insbesondere fest, dass im Gegensatz zu dem vorstehend Gesagten in den stärker entwickelten Ländern der EU mit dem weiteren Anstieg von Lebenswartung und Lebensarbeitszeit die Folgen des Rauchens am Arbeitsplatz und für die Gesellschaft als Ganze immer deutlicher zu Tage treten und damit zu einer zunehmenden und immer offenkundigeren Herausforderung und Verantwortung sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen werden. In der derzeitigen Rezession werden der vorzeitige (und vermeidbare) Tod von Gehalts- und Lohnempfängern und der Verlust ihrer Einkommen oder Renten das Problem von Familien, die schon jetzt um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen, noch verschärfen.

2.8

Der EWSA stellt fest, dass die Latenzzeit für mit dem Rauchen im Zusammenhang stehende Krebsarten zwar konstant bleibt, die Lebenserwartung für Nichtraucher jedoch weiterhin steigt. Der Verlust an Lebenserwartung aufgrund des Gebrauchs von Tabak nimmt daher zu – von 2-3 Jahren am Anfang des 20. Jahrhunderts bis hin zu 20-30 Jahren für diejenigen, die heute oder in dem von diesem Vorschlag abgedeckten Zeitraum mit dem Rauchen anfangen.

3.    Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über Tabakerzeugnisse bezieht sich auf eine Reihe von Maßnahmen, einschließlich solcher zur Verringerung des illegalen Handels, mit denen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts und gleichzeitig ein hohes Schutzniveau der Bevölkerung vor den Risiken des Tabakrauchens gewährleistet werden kann. Es sind dies:

Kennzeichnung und Verpackung

Inhaltsstoffe

Rückverfolgbarkeit und Sicherheitsmerkmale

grenzüberschreitender Fernabsatz

rauchlose Tabakerzeugnisse und Ausdehnung des Regelungsbereichs auf weitere Erzeugnisse.

3.2

In Bezug auf Kennzeichnung, Verpackung und Inhaltsstoffe verlangt der Vorschlag angesichts der mit dem Tabakkonsum einhergehenden schwerwiegenden Gesundheitsrisiken größere gesundheitsbezogene Warnhinweise.

3.3

Der Vorschlag gestattet den Herstellern die Beibehaltung von Aromen, die für ihre jetzigen Marken wesentlich sind, beschränkt jedoch die Verwendung neuer, nicht mit Tabak verbundener Zusatzstoffe, mit denen der Marktanteil insbesondere unter jungen Menschen erhöht werden soll. Alle Schachteln müssen bildliche und textliche Warnhinweise enthalten, die 75 % der Packung bedecken. Hinzu kommen – zusätzlich zu der in einigen Mitgliedstaaten obligatorischen Steuermarke, der Meldung über das Verkaufsverbot an Minderjährige sowie der Fläche, die für die neuen Maßnahmen zur Gewährleistung der Verfolgung und Rückverfolgbarkeit von Tabakerzeugnissen vorgesehen ist – neue Informationshinweise auf den Schmalseiten (50 % je Seite). Dies bedeutet eine Verringerung der für die Darstellung der rechtmäßig eingetragenen Handelsmarken und anderer vermarktungsspezifischer Abbildungen zur Verfügung stehenden Fläche. Die Mitgliedstaaten können neutrale Einheitsverpackungen einführen, wenn sie es wünschen, sind im Rahmen dieses Vorschlags jedoch nicht dazu verpflichtet. Zudem müssen die Schachteln eine Mindesthöhe und -breite haben, was dazu führen wird, dass einige der Packungsmodelle, insbesondere diejenigen, die so gestaltet wurden, dass sie junge Menschen anziehen, vom Markt verschwinden. Ähnliche Regelungen wurden in den USA 2009 eingeführt, um die Zielausrichtung auf Kinder und junge Menschen zu reduzieren. Der EWSA befürwortet diese Maßnahmen allesamt.

3.4

Dies wird zwar Veränderungen beim Verpackungsdesign erforderlich machen; es ist jedoch nur schwer vorstellbar, weshalb sich daraus wesentliche Auswirkungen auf die Arbeitsplätze in der Verpackungsindustrie in Ländern wie Deutschland, Polen, Frankreich, Tschechien und Österreich ergeben sollten. Die Basisverkäufe von Tabakfertigerzeugnissen in sämtlichen Formen an einen nunmehr regelrecht gebundenen Absatzmarkt von ca. 150 Mio. jetzigen nikotinabhängigen Nutzern in der gesamten EU werden im Großen und Ganzen voraussichtlich so weitergehen wie bisher. Es sollte jedoch das Potenzial eines signifikanten Zugewinns für die öffentliche Gesundheit – sowohl wirtschaftlich als vor allem auch hinsichtlich der Verringerung menschlichen Leids – hervorgehoben werden, ebenso wie die Tatsache, dass ehemalige Raucher Geld in anderen Bereichen ausgeben und somit Möglichkeiten für neue Arbeitsplätze schaffen werden. Schätzungen zufolge beläuft sich die jährliche Belastung des Tabakkonsums für die EU auf 517 Mrd. EUR (9). Auf Ebene der Mitgliedstaaten werden die Gesamtkosten auf ca. 4,6 % des BIP der EU geschätzt (10). Die EU verliert derzeit 25,3 Mrd. EUR durch die Behandlung von Krankheiten, die mit dem Tabakkonsum einhergehen, sowie 8,3 Mrd. EUR aufgrund von Produktivitätsverlust (11). Diese Beträge entsprechen in etwa den Einnahmen der Tabakindustrie entlang der gesamten Wertschöpfungskette (Steuern nicht mitgerechnet) in Höhe von insgesamt 35 Mrd. EUR.

3.5

Der EWSA stellt fest, dass es sich bei den Kosten, die unmittelbar durch die Krankheiten verursacht werden, die auf den Gebrauch von Nikotin- und Tabakerzeugnissen zurückzuführen sind, um die derzeit besten Schätzungen der realen Kosten für die Mitgliedstaaten handelt. Sie sind wesentlich niedriger als der theoretische "Wert eines Menschenlebens" (1 Mio. EUR für jedes verlorene oder verkürzte Leben), den die Kommission in früheren Folgenabschätzungen zugrunde gelegt hat, um Rechtsvorschriften zu rechtfertigen und den erwarteten Kosten für Unternehmen und sonstige Akteure entgegenzustellen. Würde diese wesentlich größere Zahl hier verwendet, so würden sich die wahrgenommenen Anreize, diesen Vorschlag anzunehmen, auf 700 Mrd. EUR erhöhen, was alle anderen Erwägungen in den Schatten stellen würde.

3.6

Es sei auch darauf hingewiesen, dass Rauchen und damit zusammenhängende Gewohnheiten den Nutzern keinen echten sozialen oder wirtschaftlichen Nutzen bringen außer dem, die Folgen ihrer Nikotinabhängigkeit zu lindern. Infolge dieser Abhängigkeit ist das Aufhören mit dem Rauchen in der Tat langdauernd und schwierig. Bedauerlicherweise reicht sogar das Wissen, dass fast die Hälfte aller Nutzer ("Kunden", "Bürger" und "schutzbedürftigen Personen") infolge ihrer Gewohnheit schließlich vorzeitig sterben werden, per se nicht aus, um diese Abhängigkeit zu überwinden – daher die Notwendigkeit der Reduzierung sämtlicher Anreize, mit dem Rauchen überhaupt anzufangen.

3.7

Die hier eingeführten Maßnahmen sollen und werden sich höchstwahrscheinlich nicht auf das Verhalten der jetzigen erwachsenen Raucher auswirken; sie sollten nach Erfahrungen aus der ganzen Welt die Anreize für junge Menschen, mit dem Rauchen anzufangen, jedoch weiter verringern. Der Rückgang der Anzahl der Raucher wird vor allem die Gesundheitskosten erheblich reduzieren sowie mit der Zeit viele Leben retten und menschliches Leid verringern.

3.8

Der EWSA stellt fest, dass dieser Vorschlag nicht so weit geht, vollständig vereinheitlichte Verpackungen mit genormten Farben und Schrifttypen wie in Australien einzuführen. Einzelmarken werden bestehen bleiben und sich durch ihren Herstellernamen und spezielle Tabakaromen unterscheiden. Die Anforderung an die Produktqualität wird weiterhin relevant sein, da der Konsument nach wie vor über den Hersteller des von ihm gekauften Erzeugnisses informiert werden wird.

3.9

Es gibt wenige aussagekräftige Belege dafür, dass diese Änderungen der Verpackungsvorschriften zu einer Zunahme der Tabakfälschung und des Tabakschmuggels führen werden. Im Gegenteil, der Rückgriff der Raucher auf illegalen Tabak steht eng mit dem Preis und der Verfügbarkeit im Zusammenhang (12). Neuesten Daten der Industrie zufolge gehen der EU aufgrund dieses illegalen Handels jedes Jahr Tabaksteuereinnahmen in Höhe von 10 Mrd. EUR verloren. Gegenwärtig macht der Verkauf von geschmuggeltem Tabak in der EU 10 % des Gesamtverkaufs aus (13). Das Angebot aus Drittländern, hauptsächlich Russland und China, ist ohne Weiteres verfügbar. In Ländern mit erschwerten wirtschaftlichen Bedingungen und/oder hohen Tabaksteuern ist die Nachfrage hoch. Illegale Verkäufe gefährden Arbeitsplätze in der EU, verringern die staatlichen Steuereinnahmen und reduzieren die Rentabilität der legitimen Verkäufe. Folglich sollten sämtliche Anstrengungen zur Begrenzung des Tabakschmuggels unternommen werden, etwa durch die Verbesserung der Sicherheit, die Umsetzung von Überwachungs- und Präventionsmaßnahmen sowie stringentere Qualitätskontrollen, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Verwendung von geprägten Identifikationsmarkierungen oder einer elektronischen Kennzeichnung sollte neben anderen, mit der Tabakindustrie bereits vereinbarten Maßnahmen erwogen werden.

3.10

Wie hoch die Kosten der Umsetzung dieser Vorschläge auch sein mögen, muss berücksichtigt werden, dass die möglichen umfassenden Vorteile, die sich im Hinblick auf die Verbesserung der öffentlichen Gesundheit durch eine Senkung des Tabakkonsums ergeben können, deutlich größer sind. So haben Studien gezeigt, dass Regierungen und Arbeitgeber, die Maßnahmen getroffen haben, um das Rauchen am Arbeitsplatz zu unterbinden, unmittelbare positive Auswirkungen feststellen konnten (höhere Produktivität, weniger Fehlzeiten, niedrigere Ausgaben für Pflege und Instandhaltung der Anlagen und geringere Kosten für Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung) (14).

3.11

Der Vorschlag enthält auch 16 delegierte Rechtsakte, mit denen der Europäischen Kommission gemäß Artikel 290 AEUV die Befugnis zur Änderung bestimmter Aspekte der Richtlinie oder zur Entscheidung über diese übertragen wird (15).

4.    Besondere Bemerkungen

4.1

Die Richtlinie sollte sich weiterhin auf die Erreichung der in ihr festgelegten binnenmarkt- und gesundheitspolitischen Ziele konzentrieren und sowohl lang- als auch kurzfristige Maßnahmen umsetzen. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass die Europäische Kommission selbst die gesundheitlichen Auswirkungen ihrer Maßnahmen auf eine zweiprozentige Verringerung der Zahl der derzeitigen oder der potenziellen Raucher beziffert. Die Richtlinie ist in erster Linie darauf ausgelegt, das Wachstum zu begrenzen, anstatt die Höhe des derzeitigen Konsums zu verringern. Obgleich dieser Prozentsatz niedrig erscheinen mag, lässt sich in mehreren Bereichen eine eindeutig positive Wirkung erkennen.

4.2

Menschen im erwerbsfähigen Alter, die mit dem Rauchen aufhören (sowie potenzielle Raucher, die nicht damit anfangen), leben länger und haben folglich ein längeres Arbeitsleben. Es wird geschätzt, dass Raucher infolge von Krankheiten im Zusammenhang mit dem Rauchen oder den damit einhergehenden Komplikationen heute 14 Jahre früher sterben als Menschen, die nie geraucht haben. Dieser Unterschied wird in dem Maße zunehmen, wie die Gesamtlebenserwartung insbesondere für Nichtraucher steigt. Eine Verringerung des Tabakkonsums um 2 % bedeutet 2,4 Mio. Raucher, die aufhören, und ein Gewinn an 16,8 Mio. Lebensjahren. Dies entspräche einem Gewinn für die Gesellschaft in Höhe von 10,3 Mrd. EUR pro Jahr und würde die Gesundheitsausgaben um jährlich 506 Mio. EUR reduzieren. Die Vorteile einer höheren Produktivität aufgrund weniger Fehlzeiten, Frühverrentung u.Ä. würden sich auf insgesamt 165 Mio. EUR pro Jahr belaufen (16).

4.3

Die Aufnahme gesundheitsbezogener Warnhinweise auf 75 % der Vorder- und Rückseite der Packung sowie von Informationshinweisen auf 50 % der Schmalseiten (Artikel 9) sind Teil eines Bündels von Maßnahmen, die dazu beitragen, die Zahl der Raucher insgesamt zu verringern. Die Verpackung von Tabakerzeugnissen ist so zu gestalten, dass die Informationen über ihren Inhalt nicht irreführend sind. Sie muss daher klare Angaben über die damit einhergehenden Gesundheitsrisiken enthalten, darunter nicht zuletzt vorzeitiges Sterben. In den Verkaufsstellen sollten Warnhinweise angebracht werden. Werbung an der Verkaufsstelle sollte selbstverständlich verboten werden.

4.4

Die Beschränkung der Inhaltsstoffe zur Beseitigung des charakteristischen Geschmacks oder Aromas (Artikel 6) sowie die optische Präsentation der Verpackungen sind besonders wichtig. Eines der objektiven Kriterien wie die Verringerung der Anziehungskraft des Tabaks ist für bestimmte Altersgruppen oder für ein bestimmtes Geschlecht von besonderer Bedeutung, und zwar konkret für Frauen und Mädchen, die einen der am rasantesten wachsenden Märkte in der EU bilden und deshalb am stärksten dem Druck durch die Werbung ausgesetzt sind, mit dem Rauchen anzufangen.

4.5

Der EWSA ist daher völlig mit dem Vorschlag der Kommission einverstanden, neue Produkte mit Kaugummi-, Piña-colada-, Mojito-Geschmack usw. – die sogenannten "candy-flavoured cigarettes" (Zigaretten mit Bonbon-Aroma) – auf dem Markt zu verbieten, die sich gezielt an junge und zumeist weibliche potenzielle Konsumenten richten. Slim-Verpackungen richten sich ebenfalls speziell an Frauen in dem Bemühen, eine schlanke Linie, Gewicht und Glamour mit einer Gewohnheit in Verbindung zu bringen, die letztlich den vorzeitigen Tod der Hälfte von ihnen herbeiführen wird. Da die langfristigen, unvermeidbaren Gefahren des Nikotin-induzierten Tabakrauchens nunmehr von allen Beteiligten verstanden und akzeptiert werden, ist es dem EWSA unbegreiflich, wie derartige Vermarktungsstrategien von verantwortungsvollen Herstellern entwickelt oder gar umgesetzt werden konnten.

4.6

Der EWSA fordert von der Kommission eine klare Definition und einen angemessenen Rechtsrahmen für "Erzeugnisse mit verringertem Risiko", die wissenschaftlich unstreitig eine Verringerung des Risikos im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten belegen. Das Konzept des verringerten Risikos gilt für Erzeugnisse, die herkömmliche Zigaretten ersetzen können, aber ein viel geringeres Gesundheitsrisiko aufweisen, nicht jedoch für Entwöhnungsprodukte. Diese Produkte, die Tabak und weniger Nikotin oder – besser – Nikotin ohne Tabak ("elektronische Zigaretten") enthalten und Gegenstand dieser Richtlinie sind, sollten klar definiert und reguliert werden, damit die Konsumenten über ihre langfristigen Risiken oder Nutzen im Vergleich zu herkömmlichen Tabakerzeugnissen informiert werden können.

4.7

Der Vorschlag enthält überdies Maßnahmen zur Verringerung des illegalen Tabakhandels. So legt die Europäische Kommission in Artikel 14 des Vorschlags ein System der Verfolgung und Rückverfolgung sowie verschiedene weitere Sicherheitsmaßnahmen fest, um sicherzustellen, dass in der EU nur richtlinienkonforme Produkte verkauft werden. Diese Maßnahmen werden nicht nur einen unverhältnismäßigen wirtschaftlichen und administrativen Aufwand mit sich bringen, den viele kleine und mittlere Unternehmen (im Gegensatz zu den vier oder fünf großen multinationalen Konzernen, die den weltweiten Handel mit Tabak- und Nikotinerzeugnissen dominieren) nur schwer schultern können, sondern auch den Verwaltungsaufwand der Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Überprüfungen erhöhen. Mithilfe dieses Systems werden Schmuggel und illegaler Handel hoffentlich eingedämmt. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass die Bestimmungen des Artikels 14 des Vorschlags identisch mit den Bestimmungen über Verfolgung und Rückverfolgbarkeit sein müssen, die in das Ende letzten Jahres durch die Konferenz der Vertragsparteien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) abgeschlossene Protokoll über den unerlaubten Handel aufgenommen wurden (17).

4.8

In Bezug auf Zigarren, Zigarillos und Pfeifentabak sieht der Vorschlag das Recht auf automatische Rücknahme bestimmter Ausnahmen im Text vor, falls es eine "wesentliche Änderung der Umstände" gibt, wobei diese Änderung mit einer Zunahme des Verkaufs um mindestens 10 % in mindestens zehn Mitgliedstaaten oder von 5 % der Raucher unter 25 Jahren verbunden ist. Der Markt für diese Produkte ist in zehn der derzeit 27 Mitgliedstaaten jedoch extrem klein, und es könnte sich leicht eine Schwankung von 10 % ergeben, ohne dass dies wesentliche Auswirkungen auf Beschäftigung oder Steuereinnahmen hätte.

4.9

Der EWSA stellt fest, dass Artikel 290 AEUV die Übertragung von Befugnissen mittels delegierter Rechtsakte vorsieht, die eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen müssen. So kann ein delegierter Rechtsakt nur im Zusammenhang mit nicht wesentlichen Vorschriften eines Gesetzgebungsakts erlassen werden.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

89

Nein-Stimmen

:

162

Enthaltungen

:

17

Neue Ziffer 1.4

Neue Ziffer:

Der EWSA weist auf die Bedeutung einer gesunden Bevölkerung und die dadurch entstehenden Vorteile in vielen Bereichen hin; er schlägt daher den Mitgliedstaaten vor, die Ausweitung rauchfreier Zonen zu fördern, in denen die Bürger sowohl moralische als auch medizinische Unterstützung finden können und die insbesondere für junge Menschen, Bildungseinrichtungen, Unternehmen usw. bestimmt sind. Ebenso wäre es notwendig, die Entwicklung und Aufrechterhaltung unterschiedlicher Unterstützungsmethoden und unterschiedlicher Netze der Zusammenarbeit mit innovativen und pädagogischen Inhalten zu fördern.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 1.5

Ändern:

Gefahr eines erheblichen Verlusts an Steuereinnahmen, und zwar nicht nur durch den Anstieg des illegalen Handels, sondern auch durch den Rückgang des Verkaufs und der Preise. Derzeit werden in der Europäischen Union nahezu 100 Mrd. EUR an Tabaksteuern eingenommen. Die Besteuerung von Tabakerzeugnissen ist die effizienteste und wirtschaftlichste Interventionsmethode, um den Tabakkonsum insbesondere unter Jugendlichen und den einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen einzudämmen  (18) . Studien zufolge ist der Preis der Tabakwaren der dritthäufigste von Rauchern genannte Grund, um mit dem Rauchen aufzuhören  (19) . Außerdem sei darauf hingewiesen, dass das zuvor für den Kauf von Tabakerzeugnissen ausgegebene und nunmehr gesparte Geld für den Erwerb anderer Waren eingesetzt wird, für die ebenfalls Steuern gezahlt werden.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 1.8

Ändern:

Eingriff in die souveränen Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, indem der Kommission Zusätzlich zu den weitreichenden Befugnissen, die der Kommission für die spätere Weiterentwicklung wesentlicher Aspekte der Richtlinie mittels delegierter Rechtsakte eingeräumt werden, muss gewährleistet sein, dass die Beschlussfassung offen und im Einklang mit den Interessen der Mitgliedstaaten erfolgt. Der EWSA unterstreicht, dass bei einer verbindlichen Maßnahme und somit das Subsidiaritätsprinzip verletzt wird. Der EWSA kann keine delegierten Rechtsakte akzeptieren, die nicht ausdrücklich unter die Bestimmungen von Artikel 290 AEUV fallen gewahrt werden muss. Überdies haben acht nationale Parlamente (Subsidiaritätskontrolle) wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip mit 14 Stimmen gegen den Vorschlag der Kommission gestimmt (20) .

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 1.9

Ändern:

Der EWSA unterstützt das Konzept der Risikoverringerung und fordert die Kommission daher auf, eine klare Definition und einen angemessenen Rechtsrahmen für "Erzeugnisse mit verringertem Risiko" festzulegen, der wissenschaftlich unstreitig eine Verringerung des Risikos im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten belegt, ; dies gilt insbesondere für Erzeugnisse, die Tabak (und kein chemisches Nikotin) enthalten und somit der Richtlinie unterliegen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 3.1

Ändern:

(…)

Drei dieser sechs Bereiche werden erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigung und die Steuereinnahmen der EU-Mitgliedstaaten haben. In Bezug auf Kennzeichnung, Verpackung und Inhaltsstoffe verlangt der Vorschlag noch besser sichtbare gesundheitsbezogene Warnhinweise, die im Vergleich zu den bestehenden unverhältnismäßig groß sind, mit Einschränkungen für Format, Geschmack und Inhalt der Tabakerzeugnisse. So müssen alle Schachteln bildliche und textliche Warnhinweise enthalten, die 75 % der Packung bedecken. Hinzu kommen – zusätzlich zu der in einigen Mitgliedstaaten obligatorischen Steuermarke, der Meldung über das Verkaufsverbot an Minderjährige sowie der Fläche, die für die neuen Maßnahmen zur Gewährleistung der Verfolgung und Rückverfolgbarkeit von Tabakerzeugnissen vorgesehen ist – neue Informationshinweise auf den Schmalseiten (50 % je Seite). Dies bedeutet de facto eine erhebliche Verringerung der für die Darstellung der rechtmäßig eingetragenen Handelsmarken zur Verfügung stehenden Fläche. Zudem werden die Schachteln eine Mindesthöhe und breite haben, was dazu führen wird, dass einige der Packungsmodelle vom Markt verschwinden. Dies ist beim "Casket"-Format der Fall, das in einigen Ländern wie Griechenland sehr beliebt ist. Auch das in Portugal am weitesten verbreitete Schachtelformat wird eingestellt werden. Überdies können diese nicht auf wissenschaftlichen Nachweisen beruhenden Änderungen an der Verpackung Arbeitsplätze in der Paketierungs- und Verpackungsindustrie gefährden, die in vielen europäischen Ländern wie z.B. Deutschland, Polen, Frankreich, Großbritannien oder Österreich sehr wichtig ist. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Mindestanforderungen an die Höhe und Breite der Tabakerzeugnisse nicht in die öffentliche Konsultation aufgenommen wurden und auch nicht Teil der Folgenabschätzung waren. Darüber hinaus wird der Verkauf von Zigaretten mit charakteristischen Aromen verboten, und es wird eine neue Definition von "Zigarillo" erfunden, die den seit etwas mehr als einem Jahr geltenden Steuergesetzen in der EU widerspricht (21). Die neue grafische Darstellung der Schachteln sowie die Mindestanforderung bezüglich ihrer Länge und Breite werden positive Ergebnisse zeitigen, insbesondere in Bezug auf die Risikogruppen, die aus Kindern und Jugendlichen bestehen. Studien belegen einhellig, dass die Verpackung ein Marketing-Instrument zum Verkauf des Produkts ist. Derzeit ist die Verpackung von Tabakprodukten strategisch konzipiert, um ein spezifisches Zielpublikum anzuziehen. So wird z.B. durch Untersuchungen belegt, dass Frauen in Lettland bei der Wahl eines Produkts mit heller Verpackung denken, dass deren Teergehalt geringer und deshalb weniger gesundheitsschädlich sei. Das Zielpublikum Kinder ist übrigens der Auffassung, dass bunt verpackte Produkte überhaupt nicht gesundheitsschädlich seien (22). Folglich wird eine einheitliche Verpackung, wenn möglich von einfacher Gestaltung, die Verbraucher nicht bezüglich der tatsächlichen Wirkung des Produkts hinters Licht führen können. Untersuchungen belegen vielmehr, dass eine einfach gestaltete Verpackung mit Langeweile, schlechtem Geruch, Schrecken und Überkommensein usw. konnotiert wird (23).

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 3.2

Ändern:

Da alle Schachteln dasselbe Format und alle Erzeugnisse denselben Geschmack haben werden, wird der Preis das einzige Unterscheidungskriterium zwischen Marken sein, was zu einer Verarmung der Wertschöpfungskette der gesamten Branche führen wird. Mit dem Preis als dem einzigen wettbewerbsrelevanten Unterscheidungselement wird es zu einem Preisverfall kommen, wobei die Mitgliedstaaten jedoch höhere Verbrauchsteuern ansetzen und dadurch ihre Einnahmen steigern können , der einerseits einen Rückgang der Einkommen der Wirtschaftsakteure der Branche und der Steuereinnahmen der Mitgliedstaaten bewirken und andererseits Arbeitsplätze in der Branche vernichten wird.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Neue Ziffer 3.3

Hinzufügen:

Ungeachtet dessen, dass die Verpackung von Tabakerzeugnissen vereinheitlicht werden soll, indem die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Merkmalen der verschiedenen Hersteller verringert werden, wird auf der Verpackung an einer dafür vorgesehenen Stelle in einheitlicher Größe, Farbe und Schrift der Hersteller und der Name des Produkts angegeben. Deshalb bleibt das Kriterium der Produktqualität aktuell, denn der Verbraucher wird auch künftig darüber informiert, wer der Hersteller des von ihm erworbenen Produkts ist.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 3.3

Ändern:

Diese ausschließlich preisbasierte Differenzierung wird beispielsweise dazu führen, dass der in der EU angebaute Qualitätstabak seine Attraktivität für Unternehmen mit Produktionsstätten im Unionsgebiet verliert, da die Qualität kein Kriterium für den Ankauf von Tabakblättern mehr ist, was entgegen der Folgenabschätzung der Kommission eine schwerwiegende Bedrohung für die vom Tabakanbau abhängenden Arbeitsplätze darstellen wird. Derzeit werden in der EU jährlich 250 000 Tonnen Tabakblätter geerntet. Größter Erzeuger ist Italien mit 89 000 Tonnen, gefolgt von Bulgarien mit 41 056 Tonnen, Spanien mit 38 400 Tonnen und Griechenland mit 24 240 Tonnen. Dieses Glied der Kette gibt 400 000 Menschen Arbeit, allen voran Bulgarien mit 110 000 im Tabakanbau tätigen Menschen, gefolgt von Polen (75 100) und Italien (59 300) (24).

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 3.7

Ändern:

Darüber hinaus enthält der Richtlinienvorschlag 16 delegierte Rechtsakte, mit denen der Europäischen Kommission Regelungs- und Entscheidungsbefugnisse in wesentlichen spezifischen Elementen der Richtlinie übertragen werden, was Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausdrücklich ausschließt (25). Damit bleibt dem Rat, dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten kaum Handlungsspielraum für die Regelung grundlegender Aspekte der Richtlinie.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Neue Ziffer 4.1.1

Neuer Text:

In Ländern, die von der Wirtschaftskrise der letzten Jahre betroffen waren, wie z.B. Lettland, sind die sich aus dem Tabakkonsum ergebenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Kosten erstaunlich hoch: Von den Todesfällen stehen 25 % bei Männern und 4 % bei Frauen mit dem Tabakkonsum im Zusammenhang, während 12 % der Krankheiten dortzulande auf dessen Folgen zurückzuführen sind. Die Kosten für die Behandlung dieser Krankheiten haben dort ungefähr 29 Mio. EUR erreicht, d.h. 3,27 % der Gesundheitsausgaben insgesamt. Die Produktionsverluste wegen Fehlzeiten aufgrund von Gesundheitsproblemen, die auf das Rauchen zurückzuführen sind, liegen bei 29,5 %, was in Lettland einem Schaden in Höhe von 12 Mio. EUR entspricht. Auch die vorzeitigen Todesfälle aufgrund von Tabakkonsum ziehen hohe Ausgaben nach sich, die ca. 2,5 Mrd. EUR, d.h. 9,38 % des BIP, betragen (26).

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 4.2

Ändern:

Diese unverhältnismäßige Vergrößerung des Formats der gesundheitsbezogenen Warnhinweise wird zudem werden folgende Konsequenzen haben:

die einseitige Enteignung die Erhaltung der legitimen geistigen und gewerblichen Eigentumsrechte der Hersteller, die ihre eingetragenen Marken nicht mehr nutzen können. Dem Gerichtshof der Europäischen Union  (27) zufolge sind diese Rechte nicht absolut und können daher Einschränkungen unterliegen haben die Hersteller das Recht auf Nutzung ihrer eingetragenen Handelsmarken und die weitere individuelle Differenzierung ihrer Produkte;

eine neuerliche Beschränkung des Wettbewerbs in einer Branche, in der schon jetzt nur sehr eingeschränkte Unterscheidungsmöglichkeiten gegeben sind;

die Verletzung der grundlegenden, jeder rechtmäßigen Handelstätigkeit innewohnenden Handelsrechte die Anerkennung der Tatsache, dass die öffentliche Gesundheit und die damit zusammenhängenden Vorteile ein wesentlicher Wert sind, der Vorrang vor der Tätigkeit des Tabakhandels hat;

ein Hindernis für die Markteinführung neuer Produkte, die für die öffentliche Gesundheit und folglich für das Wirtschaftswachstum besonders schädlich sind. , und

die Unterbindung der Forschung und einer möglichen Verbesserung der Qualität der angebotenen Produkte. Der Markteintritt neuer Produkte der neuen Generation wird willkürlich beschränkt, ohne dabei die Möglichkeit zur Aufstellung eines klaren Regelungsrahmens zu lassen, durch den die potenziellen Risiken dieser Erzeugnisse für die Bevölkerung analysiert werden können. Dies könnte auch der Schaffung von Wohlstand und von Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit Innovation und der Erforschung dieser Erzeugnisse abträglich sein. Überdies sollten diese neuen, potenziell weniger risikoträchtigen Erzeugnisse nicht denselben Beschränkungen wie die herkömmlichen Erzeugnisse unterliegen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 4.3

Ändern:

Gleiches gilt für die Die Beschränkung der Inhaltsstoffe zur Beseitigung des charakteristischen Geschmacks oder Aromas (Artikel 6) und die optische Präsentation der Verpackungen sind besonders wichtig. Eines der objektiven Kriterien wie die Verringerung der Anziehungskraft des Tabaks ist insbesondere für bestimmte Altersgruppen oder für ein bestimmtes Geschlecht von Bedeutung. Sie beruht nicht auf wissenschaftlichen Nachweisen wie der erhöhten Toxizität oder dem stärkeren Suchtpotenzial dieser Inhaltsstoffe, sondern auf einem so subjektiven Kriterium wie der Verringerung der Attraktivität des Tabaks und auf unsachlichen Stereotypen hinsichtlich der je nach Alters- oder Geschlechtsgruppe gerauchten Tabakart. Dieselbe Subjektivität zeigt sich an dem willkürlichen, argumentationslos auferlegten Verbot bestimmter Formate wie der Slim-Zigaretten (das nicht in der öffentlichen Konsultation enthalten war und nicht Teil der Folgenabschätzung ist), der kurzen Zigaretten und der gesamten Kategorie der Menthol-Zigaretten sowie daran, dass ein Mindestgewicht für Schnitttabakbeutel festgelegt, das Format der Tabakdosen vereinheitlicht oder sogar eine neue Kategorie von "Zigarillos" unter Verstoß gegen die seit dem 1. Januar 2011 geltende Richtlinie 2011/64/EU (28) erfunden wird. Dieses Verbot der in mehreren europäischen Ländern sehr beliebten Slim- und Menthol-Zigaretten hätte zur Folge, dass die Verbraucher keinen Zugang mehr zu ihnen hätten und sie sich auf dem Schmuggelmarkt beschaffen würden. Zudem handelt es sich dabei um Tabakerzeugnisse, die hauptsächlich von erwachsenen Rauchern konsumiert werden, weshalb sich das Argument, es gehe um die Verhinderung des Zugangs Minderjähriger zum Tabakkonsum, in diesem konkreten Fall nicht anwenden lässt. Im konkreten Fall des Mentholtabaks sei beispielsweise daran erinnert, dass diese Tabakart vorwiegend von älteren Menschen konsumiert wird und er von Ländern mit einer sehr ausgefeilten Anti-Tabak-Gesetzgebung und ganz spezifischen Bestimmungen zum Verbot bestimmter Inhaltsstoffe, wie die USA oder Kanada, nicht verboten wurde, weshalb der EWSA vorschlägt, das Verbot von Menthol aus dem Richtlinienvorschlag zu streichen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 4.3.1

Ändern:

Der EWSA ist schließlich völlig mit dem Vorschlag der Kommission einverstanden, neue Produkte mit Kaugummi-, Piña-colada-, Mojito-Geschmack usw. – die sogenannten "candy-flavoured cigarettes" (Zigaretten mit Bonbon-Aroma) – auf dem Markt zu verbieten, da sie sich grundsätzlich an junge Konsumenten richten können.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 4.3.2

Ändern:

Eine übermäßige Die Beschränkung der Inhaltsstoffe würde zu einer Vereinheitlichung des Geschmacks führen, was für die tatsächlichen und potenziellen Verbraucher von Tabakerzeugnissen ein zusätzlicher Anreiz wäre, um sich über das von ihnen konsumierte Produkt zu informieren oder ganz auf diese Erzeugnisse zu verzichten. Auf diese Weise würden sie ihre Gesundheit, ihre Produktivität und alle anderen Faktoren verbessern, die sich maßgeblich auf die Lebensqualität auswirken. und damit die Unterscheidung zwischen Konkurrenten unmöglich machen, wodurch die Investitionsbereitschaft gehemmt und die Möglichkeit der Einführung neuer Produkte beschnitten würde– alles zu Lasten des Verbrauchers, den man damit seiner Wahlmöglichkeit beraubt.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 4.5

Streichen:

Im Übrigen hat die Europäische Kommission in ihren Vorschlag Maßnahmen zur Verringerung des illegalen Tabakhandels aufgenommen. So legt sie z.B. in Artikel 14 des Vorschlags ein System der Verfolgung und Rückverfolgung sowie verschiedene weitere Sicherheitsmaßnahmen fest, um sicherzustellen, dass in der EU nur richtlinienkonforme Produkte verkauft werden. Diese Maßnahme impliziert eine unverhältnismäßige wirtschaftliche und administrative Belastung, die viele kleine und mittlere Unternehmen nicht schultern können, und wird, statt den illegalen Handel zu reduzieren, den Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Kontrollen einen noch größeren Verwaltungsaufwand aufbürden. Zudem werden mit diesem System Schmuggel und illegaler Handel nicht unterbunden, sondern durch die restlichen Maßnahmen des Richtlinienvorschlags vielmehr begünstigt. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass die Bestimmungen des Artikels 14 des Richtlinienvorschlags identisch mit den Bestimmungen über Verfolgung und Rückverfolgbarkeit sein müssen, die in das Ende letzten Jahres durch die Konferenz der Vertragsparteien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) abgeschlossene Protokoll über den unerlaubten Handel aufgenommen wurden (29).

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29

Ziffer 4.6

Streichen:

Last but not least wird die Richtlinie der Europäischen Kommission die Möglichkeit geben, mittels einer zunehmenden Zahl delegierter Rechtsakte grundlegende Aspekte zu regeln und zu ändern, wie beispielsweise die Menge an Zusatzstoffen oder den Wortlaut der gesundheitlichen Warnhinweise und ihre Platzierung und Größe. Dadurch bleibt den Mitgliedstaaten fast kein Regelungsspielraum bei dieser Richtlinie, was ein extremes, in der EU bisher nur selten angewandtes Maß von Interventionismus darstellt, das die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit verletzt, wie die nationalen Parlamente von acht Mitgliedstaaten (30) (Italien, Tschechische Republik, Griechenland, Bulgarien, Dänemark, Portugal, Rumänien und Schweden) bereits monieren. Im Fall Italiens hat das Parlament nicht nur darauf hingewiesen, dass der Vorschlag gegen diese Grundsätze verstößt, sondern auch betont, dass einige der verbotenen Zigarettenformen, wie Slim-Zigaretten und teerarme Zigaretten, ein nützliches Mittel im Rahmen einer Politik zur Verringerung oder Aufgabe des Konsums sein können (31).

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

69

Nein-Stimmen

:

157

Enthaltungen

:

29


(1)  Artikel 114 AEUV lautet wie folgt:

"1.   Soweit in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist, gilt für die Verwirklichung der Ziele des Artikels 26 die nachstehende Regelung. Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben."

(2)  Siehe die Rechtssache C-491/01, The Queen gegen Secretary of State for Health, ex parte British American Tobacco (Investments) Ltd and Imperial Tobacco Ltd.

(3)   ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 89.

(4)  Folgenabschätzung, http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/com_2012_788_ia_en.pdf.

(5)  Stefan Callan, Smoke Free Partnership, Making Tobacco Tax Trendy Toolkit, 2012, S. 5,

http://www.smokefreepartnership.eu/sites/sfp.tttp.eu/files/LV%20-%20Tax%20Toolkit_4.pdf

(6)  Europäische Kommission, Attitudes of Europeans Towards Tobacco ,

http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/eurobaro_attitudes_towards_tobacco_2012_en.pdf, S. 84.

(7)   ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 6.

(8)  http://www.ash.org.uk/APPGillicit2013.

(9)  Folgenabschätzung, S. 15.

(10)  In der von der Europäischen Kommission durchgeführten Studie über die Verantwortung und die gesundheitlichen Kosten des Rauchens werden die Gesamtkosten (im Hinblick auf Gesundheit, Produktivitätsverlust und Verlust an Menschenleben) für 2009 auf 544 Mrd. EUR beziffert, http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/tobacco_liability_final_en.pdf, S. 2.

(11)  Folgenabschätzung.

(12)  Moodie C, Hastings G, Joossens L., Young adult smokers’ perceptions of illicit tobacco and the possible impact of plain packaging on illicit tobacco purchasing behaviour, Eur J Public health, erste Online-Veröffentlichung am 26. March 2011. DOI:10.1093/eurpub/ckr038, in: Claims that Standardised Packaging Would Increase Illicit Trade are Untrue, Smoke Free Partnership, 10. September 2012, http://www.smokefreepartnership.eu/response-to-tobacco-retailers.

(13)  Siehe Fußnote 5.

(14)  Carin Hakansta, Arbeitspapier der Internationalen Arbeitsorganisation A Review of National and Local Practical and Regulatory Measures", März 2004, S. 6,

http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_protect/---protrav/---safework/documents/publication/wcms_108424.pdf.

(15)   ABl. C 115 vom 9.5.2008, S. 172.

(16)  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen – Folgenabschätzung zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen, http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/com_2012_788_ia_en.pdf, S. 116.

(17)  http://apps.who.int/gb/fctc/PDF/cop5/FCTC_COP5(1)-en.pdf.

(18)  Stefan Callan, Smoke Free Partnership, Tabakas nodokļi un nelikumīga tirdzneicība, Making Tobacco Tax Trendy Toolkit, 2012, S. 5., http://www.smokefreepartnership.eu/sites/sfp.tttp.eu/files/LV%20-%20Tax%20Toolkit_4.pdf.

(19)  Europäische Kommission, Attitudes of Europeans Towards Tobacco,

http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/eurobaro_attitudes_towards_tobacco_2012_en.pdf, S. 84.

(20)   http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/dossier.do?code=COD&year=2012&number=0366&appLng=DE.

(21)   Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21. Juni 2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren, ABl. L 176 vom 5.7.2011, S. 24-36 .

(22)  http://www.cancercampains.org.uk/ourcampaigns/theanswerisplain/moreinformation.

(23)  The Packaging of Tobacco Products, März 2012, The Centre for Tovacco Control Research Core, finanziert vom Cancer Research UK,

http://www.cancerresearchuk.org/prod_consump/groups/cr_common/@nre/@new/@pre/documents/generalcontent/cr_086687.pdf. S. 40.

(24)  Siehe Fußnote 11.

(25)   ABl. C 115 vom 9.5.2008, S. 172.

(26)  http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/tobacco_liability_final_en.pdf.

(27)  Urteil des EuGH vom 17. Oktober 1990 in der Rechtssache C-10/89.

(28)   Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21. Juni 2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren, ABl. L 176 vom 5.7.2011, S. 24-36 .

(29)  http://apps.who.int/gb/fctc/PDF/cop5/FCTC_COP5(1)-en.pdf.

(30)   http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/dossier.do?code=COD&year=2012&number=0366&appLng=EN.

(31)  Stellungnahme des Ausschusses für soziale Angelegenheiten des italienischen Parlaments zum Dokument der Europäischen Kommission COM(2012) 788 final.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/82


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine stärkere europäische Industrie bringt Wachstum und wirtschaftliche Erholung. Aktualisierung der Mitteilung zur Industriepolitik“

COM(2012) 582 final

2013/C 327/14

Berichterstatter: Joost VAN IERSEL

Ko-Berichterstatter: Enrico GIBELLIERI

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Oktober 2012 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Eine stärkere europäische Industrie bringt Wachstum und wirtschaftliche Erholung. Aktualisierung der Mitteilung zur Industriepolitik

COM(2012) 582 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 18. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) mit 132 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt nachdrücklich die Schwerpunktlegung auf die europäische Industrie (verarbeitendes Gewerbe und Dienstleistungssektor) im Rahmen der Aktualisierung der Mitteilung zur Industriepolitik vom Oktober 2012, einschließlich der Anlagen mit klaren Analysen der industriepolitischen Maßnahmen und Defizite in den Mitgliedstaaten. Viele dieser Elemente stehen im Einklang mit den vom EWSA formulierten Standpunkten (1). Die Nagelprobe wird die eigentliche Umsetzung sein.

1.2

Die Industriepolitik, eine der sieben Leitinitiativen der Europa-2020-Strategie, sollte den Grundstein der EU-Wachstumsinitiative bilden, über die zwar viel geredet wird, ohne dass jedoch konkrete Maßnahmen folgen. Es bedarf einer entsprechenden Mentalität sowie kohärenter Konzepte. Die politische Bedeutung steht außer Frage. Der EWSA fordert die Kommission, den Rat und das Europäische Parlament auf, mehr (kohärente!) Initiativen und Querschnittsmaßnahmen zu ergreifen, um die enorme Herausforderung des Ausbaus der Industrieproduktion in ganz Europa zu bewältigen.

1.3

Der Europäische Rat sollte bei der Aufstellung der industriepolitischen Agenda federführend sein. Die Kommission sollte voll und ganz beteiligt werden. In verschiedenen Ratsformationen – Wettbewerbsfähigkeit, Forschung, Umwelt, Sozialpolitik –, in der Kommission und im Europäischen Parlament ist bei der Festlegung und Förderung hochmoderner Maßnahmen in ganz Europa ein zielgerichtetes und gemeinsames Vorgehen erforderlich.

1.4

Um eine wirksame Strategie für Europa zu werden, müssen die Beschlüsse über industriepolitische Maßnahmen, Fahrpläne und Fristen umfassend verbreitet werden – was gegenwärtig noch ein bedauerliches Manko ist.

1.5

Darüber hinaus muss die EU die 27 nationalen Industriepolitiken und die EU-Industriepolitik optimal aufeinander ausrichten, was einer ganzen Reihe von Untersuchungen zufolge derzeit nicht der Fall ist. Vielfalt ist vorteilhaft, Fragmentierung hingegen nachteilig. Geopolitische Ungleichheiten sollten beseitigt werden.

1.6

Die Verbesserung der allgemeinen Bedingungen bedeutet vor allem die Vollendung des EU-Binnenmarkts im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft auf der Grundlage präziser Bewertungen, Regelungen und Umsetzungen im Unionsgebiet. Öffentliche Investitionen in grenzüberschreitende Infrastrukturen wie Straßen, Schifffahrtswege, See- und Flughäfen sowie Eisenbahnverbindungen müssen im Dienste des Binnenmarkts stehen.

1.7

Industrie und Innovation im Allgemeinen benötigen bei einem Anstieg der Zahl der Arbeitslosen auf 16 Mio., geringem Wachstum und schrumpfenden Haushalten Perspektiven und günstige Bedingungen. Es bedarf eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Haushaltskonsolidierung (Sparmaßnahmen), nationalen Reformprogrammen und Industriepolitik, um Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen anzuregen und damit das Vertrauen zu stärken.

1.8

Jede EU-Initiative sollte die Position Europas als Wettbewerber und Partner im Zuge globaler Entwicklungen stärken. Das sehr ehrgeizige Ziel eines Anteils des Verarbeitenden Gewerbes am BIP von 20 % erfordert umfangreiche Investitionen und substanzielle politische Anpassungen. Die Produktivität muss dringend verbessert werden.

1.9

Intelligente Bedingungen für die Industrie gehen weit über technische Bestimmungen und Anpassungen hinaus. Sie beziehen sich auf das gesamte Umfeld der Industrie, insbesondere eine kohärente und vorhersagbare Klima- und Energiepolitik im Interesse einer wettbewerbsfähigen industriellen Basis. Die Bedingungen sollten herausragende Leistungen begünstigen sowie neu entstehende Industriebranchen fördern.

1.10

Maßnahmen der EU müssen situations- und sektorspezifisch sein und auf Bewertungen der Verhältnisse vor Ort beruhen, die den technischen und wirtschaftlichen Kapazitäten und Herausforderungen am besten gerecht werden. Diese Grundsätze sollten auch bei der Verwirklichung der im Rahmen der Ressourceneffizienz-Leitinitiative festgelegten Ziele angewandt werden. Dabei geht es darum, eine effizientere Nutzung von Rohstoffen zu erreichen und gleichzeitig die Innovation zu fördern und die Widerstandsfähigkeit europäischer Unternehmen zu stärken.

1.11

Die Industriepolitik hat eine ausgeprägte soziale Dimension, die alle Gesellschaftsschichten betrifft: Regionen und Kommunen, sämtliche Unternehmen, Arbeitskräfte in sich rasch verändernden Arbeitsplatzstrukturen - Digitalisierung, Roboterisierung, dienstleistungsbezogene Herstellung, IKT – Bildungswesen und Hochschulen, Verbraucher und Bürger. Die Industriepolitik beinhaltet sowohl Umstrukturierung als auch Antizipierung. Sie sollte für eine zeitgemäße allgemeine und berufliche Bildung und Information sorgen und Technologie, Innovation, Kreativität und Unternehmergeist fördern. Des Weiteren muss vorausschauend und angemessen auf den demografischen Wandel reagiert werden.

1.12

In ehrgeizigen Regionen wird die industrielle Leistungsfähigkeit gefördert. Die EU und die Mitgliedstaaten sollten deren Selbstständigkeit fördern, einschließlich Spezialisierung und entsprechender Forschung, Qualifikationen und Clusterbildung. Hier bestehen große Potenziale.

1.13

Initiativen und Projekte sowie erfolgreiche nationale und regionale Methoden, die das Vertrauen der Menschen und sozioökonomischen Akteure stärken, sollten herausgestellt werden. Partnerschaftsabkommen der EU-Mitgliedstaaten und die Vernetzung der Mitgliedstaaten und Regionen sollten ausgeweitet werden. Das jährliche Europäische Semester birgt viele Möglichkeiten für eine kontinuierliche Überwachung.

1.14

Die EU-Industriepolitik sollte ein Prozess geteilter Vorstellungen, Befugnisse und Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten sein, in dem Vertreter von Unternehmen und Gewerkschaften vollwertige Partner sind. In gleichem Maße sollten sich daran ggf. andere Interessenträger wie Bildungswesen, Hochschulen (Forschung), Nichtregierungsorganisationen, Verbraucher und andere beteiligen.

1.15

Trotz der erheblich unterschiedlichen Wirtschaftsleistungen der Mitgliedstaaten sollten alle von den bewährten Methoden und den zugrunde liegenden Positionen und Konzepten profitieren.

1.16

Der EWSA unterbreitet fortlaufend Vorschläge zu einzelnen Branchen und zur Industriepolitik (siehe Anhang). In der vorliegenden Stellungnahme geht es eher um die Kohärenz wichtiger Themen und eine wirksame Steuerung im Zuge der Koordinierung und Feinabstimmung.

2.   Hintergrund

— a)   Auf globaler Ebene

2.1

Der Analyse der Kommission zufolge scheint der Anteil der Arbeitskosten an den gesamten Produktionskosten abzunehmen (2). Produktivität ist ein wichtiger Faktor. Dadurch könnte ein Teil der Produktion nach Europa zurückgeholt werden. Gleichwohl wächst der Wettbewerb in anderen Bereichen wie Verbesserung der Wirtschaftsinfrastruktur in den BRICS-Ländern, Aufwertung des Euros und Energiepreise, die Investitionen im Ausland anregen.

2.2

Darüber ist die EU bei der Innovationsleistung und technologischen Spezialisierung gegenüber den USA und Japan im Rückstand. Europa ist in Industriebranchen mit mittlerem Technologieniveau (medium-high/medium-low technology) stärker vertreten als die USA; die traditionelle Kluft zwischen den beiden Kontinenten im Spitzentechnologie-Segment ist in den letzten Jahren jedoch deutlich größer geworden.

2.3

Das Weiße Haus und der Kongress zeigen im Rahmen einer nationalen Wettbewerbsfähigkeitsstrategie für 2014-2018 ein starkes Engagement für die Wiederbelebung des verarbeitenden Gewerbes (3). Von zentraler Bedeutung sind die Rolle und der Wert des verarbeitenden Gewerbes für die Wirtschaft, Sicherheit und globale Führungsposition der USA.

2.4

Öffentlich-private Partnerschaften verstärken die technologie- und innovationsspezifischen Infrastrukturen. Die Ministerien für Verteidigung, Energie und Handel sind unmittelbar beteiligt, wie auch die Nationale Wissenschaftsstiftung und die NASA, wovon wichtige Impulse für zahlreiche nationale Forschungsinstitute und Hochschulen ausgehen.

2.5

Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung in einem Land, das bis vor Kurzem noch die postindustrielle Wirtschaft propagierte. Die zunehmende Wettbewerbsfähigkeit Chinas und anderer Länder hat wie ein Weckruf gewirkt. Die allgemeine Wahrnehmung ändert sich. Prognosen zufolge wird China bis 2030 die Rolle der wichtigsten Wirtschaftsmacht der Welt übernehmen, während die USA ihre globale Führungsposition beibehalten. Japan und Europa werden weit abgeschlagen folgen (4).

2.6

Die neue Ölexploration und vor allem die Erschließung von Schiefergas werden voraussichtlich zur Energieunabhängigkeit der USA führen. Diese Exploration kommt einer Energierevolution gleich, die eine industrielle Renaissance in den USA sowie geopolitische Kräfteverlagerungen zur Folge haben wird. Umwelt- und Gesundheitsbedenken müssen noch Rechnung getragen werden (5).

2.7

Der Aufstieg Chinas, Brasiliens und Indiens geht weiter. Aber auch Russland ist bereits auf dem Weg. In ihrem Windschatten folgen rasch andere asiatische und südamerikanische Länder. Seit Jahren liegen die Wachstumszahlen in den Schwellenländern weit über dem Durchschnitt, vor allem in Asien. Neu geschaffene Bildungssysteme bringen eine Vielzahl gut ausgebildeter und qualifizierter Techniker und Ingenieure hervor. Gleichzeitig werden riesige Forschungsinstitute eingerichtet. Allgemein verbessert sich die Qualität von Waren und Innovationsprozessen. Schnelle Fortschritte gibt es bei den Verkehrseinrichtungen und Dienstleistungsinfrastrukturen.

2.8

In China entsteht ein Mischsystem aus staatlichem Kapitalismus und Mechanismen des freien Markts (6), das mit der nationalen Kultur und (politischen) Traditionen eng verwoben ist. Die Schaffung von Wohlstand geht weder mit Demokratie und noch mit Menschen- und Arbeitnehmerrechten Hand in Hand. Umwelt- und Gesundheitsbedingungen weisen weiterhin Mängel auf, wenngleich die Qualität der Produktion steigt. Gegenreaktionen sind jedoch nicht ausgeschlossen. Mit Fug und Recht kann aber behauptet werden, dass bestimmte Produktionszweige, die im Einklang mit nationalen Bestrebungen stehen, weiterhin durch kapitalistische Eingriffe des Staats gesteuert werden. Investitionen von Staatsfonds – sowohl im Ausland als auch im Inland – könnten in eine ähnliche Richtung zielen.

2.9

Mehrere Länder profitieren im Allgemeinen von schlankeren Steuerungsstrukturen als die der EU, da sie über ein einziges und maßgebliches Entscheidungszentrum, eine gemeinsame Strategie und vereinbarte Zielvorgaben für den öffentlichen Sektor verfügen.

2.10

Teile Afrikas unterliegen auch einem raschen Wandel. China investiert hier ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Folgen.

2.11

Die globalen Zusammenhänge und geopolitischen Bedingungen verändern sich unaufhörlich. Daten sind von entscheidender Bedeutung, um die Öffentlichkeit und die Politik viel stärker zu sensibilisieren. Der EWSA empfiehlt einen jährlichen EU-Fortschrittsanzeiger für eine Reihe wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen in relevanten Teilen der Welt.

— b)   Europa

2.12

Die eingehenden Untersuchungen der Kommission der europäischen und der länderspezifischen Entwicklungen lassen ein gestiegenes Bewusstsein für die Notwendigkeit des verarbeitenden Gewerbes erkennen.

2.13

Die Situation unterscheidet sich erheblich von Land zu Land: Die Bandbreite reicht von Deutschland, das einen Anteil von 30 % am gesamten verarbeitenden Gewerbe in Europa hat, bis zu – größeren oder kleineren – Ländern mit einem deutlich niedrigeren bzw. sehr geringen Anteil. In einer Reihe von Mitgliedstaaten haben die Industrieinvestitionen in den letzten 20 Jahren beträchtlich abgenommen. In einigen Fällen ist das die Folge weitreichender Umstrukturierungen, in anderen Fällen einer gewissen Vernachlässigung (7).

2.14

Zahlreiche Mitgliedstaaten bemühen sich um bessere Bedingungen – einige offenkundig mit mehr Erfolg als andere. Die Beschäftigung in der Industrie nimmt stetig ab. Darüber hinaus sind im Zuge der gegenwärtigen Krise seit 2008 über 4 Mio. Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verlorengegangen.

2.15

Nichts deutet darauf hin, dass Maßnahmen und Instrumente oder bewährte Methoden Gegenstand der Diskussion unter den Mitgliedstaaten sind. Die einzelstaatlichen industrie- und innovationspolitischen Ansätze beruhen vornehmlich auf nationalen Traditionen und Verfahren und sind durch nationale Rahmenbedingungen und Beziehungen zwischen öffentlichem und privatem Sektor – einschließlich Unternehmen, Forschungsinstitute, Hochschulen und Gewerkschaften – geprägt.

2.16

Folglich sind viele Maßnahmen und die entsprechenden Finanzierungsregelungen vorrangig an nationalen Bedürfnissen ausgerichtet, was dem Binnenmarkt oder den branchen- und grenzübergreifenden Projekten nicht förderlich ist.

2.17

Abgesehen von den großen Erfolgen in einigen Ländern wirkt, wie die Kommission zu Recht feststellt, eine unerwünschte Zersplitterung des Binnenmarkts potenziellen Wachstumsfaktoren entgegen.

2.18

Kreative Vielfalt ist ein großer Pluspunkt in Europa; sie wird aber nur dann für alle Europäer von Vorteil sein, wenn die Konvergenz der gemeinsamen Ziele gewährleistet ist. Es sollte ein optimales Verhältnis zwischen kreativer Vielfalt unter den Mitgliedstaaten einerseits und transparenter und überzeugender Konvergenz andererseits erreicht werden.

2.19

Das Beispiel der USA zeigt, dass eine solche Konvergenz insbesondere für europäische KMU-Netze mit Wachstumspotenzial von Vorteil sein wird.

3.   Europa 2020: Gemeinsame Vision, gemeinsame Zuständigkeiten, gemeinsames Handeln

3.1

Der Binnenmarkt braucht einen neuen Impuls. Obwohl versteckter Protektionismus zunimmt und weiterhin das Risiko der Renationalisierung und Fragmentierung besteht, gelingt es der EU, den Binnenmarkt intakt zu halten und den Grundsatz der offenen Märkte zu bewahren, auch wenn die Umsetzung ein gewisser Schwachpunkt bleibt.

3.2

Die Europa-2020-Strategie, die auf geteilten Zuständigkeiten der EU und der Mitgliedstaaten beruht, sollte als Vorbild dienen. Unter Achtung bestimmter nationaler Ansätze und Methoden stellt sie Instrumente bereit, um die auf der übergeordneten europäischen Ebene gebotenen Vorteile zu nutzen. Die möglichen Vorteile einer solchen gezielten Steuerung wurden bisher systematisch ausgeklammert.

3.3

Außerdem müssen bei der Ausrichtung erfolgreicher Innovationsprozesse und der Schaffung von Arbeitsplätzen gemäß der sich verändernden Verarbeitungs-, Vermarktungs- und Dienstleistungsmuster unbedingt konkrete Ergebnisse erzielt werden.

3.4

Umstrukturierungen müssen bewusst antizipiert werden. Das wird die Akzeptanz von Anpassungen verbessern, die Umschulung und Höherqualifizierung von Arbeitnehmern fördern und zur Eindämmung prekärer Arbeitsverhältnisse beitragen (8).

3.5

Die Kommissionsmitteilung von 2010 führte bereits zu Initiativen wie Horizont 2020, Wettbewerbsfähigkeitstests, industrieller Innovation, Ressourceneffizienz, Kompetenzen und Bildung, dem Zugang zu Finanzierung, dem Zusammenspiel und dem Verschwimmen der Grenzen zwischen Industrie und Dienstleistungen sowie einem verschärften Bewusstsein für Schwierigkeiten bei internationalen Investitionen und Technologietransfer.

3.6

Es überrascht, dass die Mitgliedstaaten bis vor kurzem nur selten gegenseitige Beurteilungen (peer reviews) vorgenommen haben. Die Kontrollfunktion der Kommission sollte ausgeweitet werden.

3.7

Solche gegenseitigen Beurteilungen würden veraltete Strukturen in den Bereichen Industrie und Beschlussfassung zutage fördern. Sie würden dazu beitragen, die Modernisierung durch den Rückgriff auf erfolgreiche Konzepte zu beschleunigen und könnten als Indikatoren für die europäische Orientierung an "Spitzenleistungen" sowohl für den öffentlichen als auch den privaten Sektor dienen.

3.8

Die Arbeitsdokumente der Kommissionsdienststellen enthalten länderspezifische Empfehlungen bezüglich der industriellen Entwicklung (9). Diese länderspezifischen Empfehlungen müssen im Rahmen der nationalen Reformprogramme – von den Mitgliedstaaten und der Kommission als Teil des Europäischen Semesters erörtert – besser berücksichtigt werden.

3.9

Es wäre jedoch ein ernster Fehler, diese Aufgabe nur der Kommission zu überlassen. Sie obliegt vorrangig auch den Ministerien der Mitgliedstaaten, die für jene Politiken zuständig sind, die nicht von Rechtsakten oder Maßnahmen der EU abgedeckt werden. Darüber hinaus müssen diese Ministerien die ordnungsgemäße Umsetzung des EU-Rechts sicherstellen.

3.10

Finanzpolitische Maßnahmen im Euroraum implizieren eine genaue Abstimmung zwischen den europäischen Institutionen und den nationalen Behörden. Es gibt keinen Grund, warum zur Stärkung der Rahmenbedingungen für Industrie, Innovation und Arbeitsplatzschaffung keine vergleichbare Koordinierung auf der Grundlage einer gemeinsamen Vision erreicht werden kann.

3.11

Die Arbeitsdokumente der Kommissionsdienststellen können den Mitgliedstaaten auch helfen, zwei- oder dreiseitige Beurteilungen bezüglich industrierelevanter Bereiche vorzunehmen, wie z.B. Kompetenzen und Bildung, Technologie und Innovation, Verwaltungsaufwand, Steuerpolitik und staatlichen Beihilfen. Jedes Land kann daraus – in einer gemeinsamen europäischen Perspektive – leicht Schlüsse im Hinblick auf wünschenswerte nationale Maßnahmen ziehen. Eine gründliche Bewertung der angewandten Maßnahmen sollte in jedem Falle Teil der einzelstaatlichen Programme sein.

3.12

Da diese Entwicklungen von der gesamten Gesellschaft getragen werden müssen, ist es sehr wichtig, dass Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften in diesem Prozess als vollwertige Partner agieren. Das gilt ggf. auch für andere Interessenträger wie Bildungswesen, Nichtregierungsorganisationen und Verbraucher. Konsensbasierte Ansätze machen sich bezahlt. Der soziale Dialog auf nationaler und regionaler Ebene wie auch in den Branchen und Unternehmen ist sehr hilfreich.

4.   Zu behandelnde Themen

4.1   Der EWSA stimmt der Auffassung der Kommission zu, dass Komplementaritäten zwischen den industriepolitischen Interventionen der Mitgliedstaaten und der EU eine grundlegende Voraussetzung für den Erfolg der europäischen Industriepolitik sind. Sie werden die Wirkung der Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten verstärken und viele Möglichkeiten bieten, um den Worten Taten folgen zu lassen.

4.1.1   Ein allgemeines Konzept impliziert ein ganzheitliches und bereichsübergreifendes Vorgehen. Der EWSA unterstreicht im Folgenden miteinander verknüpfte Themen, die er für die Zukunft der europäischen Industriepolitik für entscheidend hält.

4.2   Industrielle Innovation

4.2.1

Industrielle Innovation bedarf einer soliden europäischen Technologiebasis, die durch grenz überschreitende Koordinierung und Kooperation zwischen Forschungsinstituten und Hoch schulen, angewandten Technologien und Unternehmen unterstützt wird.

4.2.2

Schlüssel- und andere Querschnittstechnologien sind für die FuE-Programme der EU und der Mitgliedstaaten von entscheidender Bedeutung. Davon werden vielfältige nachgelagerte Branchen sowie öffentliche Politikbereiche in Zusammenhang mit Infrastrukturen und Nachhaltigkeit profitieren. Der EU-Rahmen für die öffentlich-private Zusammenarbeit und Konsultation (vor allem über EU-Technologieplattformen) spielt eine wesentliche Rolle. Die öffentliche Auftragsvergabe sollte auch Anreize für zukunftsweisende Innovationen schaffen.

4.2.3

Technologie ist für die Zukunft von zentraler Bedeutung. Durch die Förderung internationaler (Leuchtturm-)Projekte sollten die Kommission und der Rat "Forschung" eine Führungsrolle bei der Stärkung des Binnenmarkts für Technologie und grenzüberschreitende Vorhaben übernehmen. Erfolgreiche FuE-Tätigkeiten und europäische Patente sollten innovative Investitionen und hochwertige Arbeitsplätze begünstigen.

4.2.4

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der für EU-Finanzmittel für FuE und grenzüberschreitende Projekte. Mit Horizont 2020 sollte den rasch zunehmenden Maßnahmen in anderen Kontinenten Paroli geboten werden. Auch wenn Europa weiterhin gut aufgestellt ist, wird seine traditionelle Führungsposition allmählich schwächer. Die Beschneidung des Budgets für Horizont 2020 ist kontraproduktiv.

4.2.5

Die Schlüsselrolle der Hochschulen und der entsprechenden Innovationsforschung sollte außer Frage stehen. Programme und ihre Verwaltung sollten ggf. angepasst werden.

4.2.6

Jährliche Informationsberichte über öffentliche und private Investitionen in Schlüsseltechnologien sind wünschenswert.

4.2.7

Innovation ist für viele andere Bereiche von Bedeutung, weil sie in Unternehmen und am Arbeitsplatz eine neue Dynamik schafft: Neugestaltung der bestehenden Produktionsmethoden, Notwendigkeit der Umstrukturierung veralteter Arbeitsprozesse, Entwicklung von Wertschöpfungsketten und neuen "Branchen", Aufheben der strikten Trennung zwischen Industrie- und Dienstleistungssektor. Innovation bedeutet Modernisierung und Kreativität in der Gesellschaft, und so sollte sie auch vermittelt werden.

4.2.8

Alle Dienststellen der Kommission betonen, dass Technologie und Innovation als horizontale Priorität zu gelten haben. Es wäre zu begrüßen, wenn nationale Behörden diese Methode übernähmen.

4.3   Kompetenzen und Qualifikationen

4.3.1

Technologie, Innovation, neu gestaltete Herstellungsverfahren, Verbindung von Industrie und Dienstleistungen, neue gesellschaftliche Erfordernisse und Leitbranchen tragen dazu bei, dass geeignete Kompetenzen und Qualifikationen auf allen Ebenen eine zentrale Bedeutung erhalten.

4.3.2

Besonders wichtig ist ein auf allen Ebenen hochmodernes Bildungswesen. Die Aufmerksamkeit der EU für allgemeine, schulische und berufliche Bildung nimmt zu Recht zu, wie dies auch auf nationaler und regionaler Ebene der Fall ist. Bildung ist ein grundlegendes Erfordernis und muss für alle zugänglich sein.

4.3.3

Jede EU-Wachstumsinitiative macht es erforderlich, dass dem gesamten Bildungsspektrum fortlaufend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Angesichts der substanziellen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten wird ein Austausch bewährter Verfahren unabdingbar sein, um insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

4.3.4

Den Interessenträgern kommt eine Schlüsselrolle zu. Gegenstand des sozialen Dialogs auf allen Ebenen – Unternehmen (u.a. mit den Betriebsräten), lokal, regional, national und EU – sollten Bildung, Lehre/duale Bildung, Ausbildung am Arbeitsplatz sowie Fortbildung (lebenslanges Lernen) sein, um das Kompetenzniveau und die Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern und so den Arbeitsmarkterfordernissen zu entsprechen. Die grenzübergreifende Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen sollte die Regel sein, um die internationale Mobilität zu fördern.

4.3.5

Im Einklang mit der OECD sollte die Kommission damit beauftragt werden, peer reviews zu den Bildungssystemen und ihren Ergebnissen in den Mitgliedstaaten durchzuführen. Sie werden nützliche Indikatoren für etwaige Verbesserungen liefern, so wie dies bereits in vielen anderen Bereichen der Fall ist.

4.3.6

Das in Unternehmern und der Gesellschaft erforderliche Kompetenzniveau steigt stetig. Fachliche Bildung und Dienstleistungen für das verarbeitende Gewerbe (von der Geringqualifizierung bis zur Hochschulbildung) haben Priorität. Technische weiterführende Schulen und Berufsbildungssysteme spielen eine wesentliche Rolle.

4.3.7

Hochschulbildung sollte auf den strukturellen Mangel an Wissenschaftlern, Ingenieuren und Mathematikern (Studierenden und Forschern) reagieren und so dem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirken.

4.3.8

Jeder Arbeitnehmer sollte das Recht auf berufliche Bildung haben. Besonders notwendig ist das für Facharbeiter in KMU und Handwerksbetrieben.

4.3.9

Die Schaffung einer nachhaltigen industriellen Beschäftigung, die auf modernen Arbeits-, Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen beruht, ist Teil der für Modernisierungsprozesse in der Industrie erforderlichen Mentalität. Eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit sollte mit guten Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechten Hand in Hand gehen.

4.3.10

Besondere Aufmerksamkeit muss den Auswirkungen der Bevölkerungsalterung in der EU auf das Arbeitskräfteangebot in der Industrie geschenkt werden. Die Arbeitsbedingungen der älteren Arbeitnehmer sowie die Strukturen und Kapazitäten der beruflichen Bildung und des lebenslangen Lernens müssen entsprechend angepasst werden.

4.4   Zugang zur Finanzierung

4.4.1

Der Zugang zur Finanzierung bleibt eine Schwachstelle. Der Industriesektor hat sehr unter der Bankenkrise gelitten. Die Banken sind bei der Kreditvergabe nach wie vor zögerlich. Die Krise hat die Renationalisierung von Geschäftsabläufen begünstigt. Die traditionelle Risikoaversion wird durch strengere internationale Eigenkapitalregelungen und vermutlich auch durch EU-Finanzvorschriften verstärkt. Glücklicherweise werden die Basel-III-Regeln, die die Kreditvergabe erschweren, künftig schrittweise flexibler angewandt.

4.4.2

Die KMU benötigen angemessenere Finanzinstrumente und neue Finanzquellen, wie z.B. Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds. Ein Hauptziel besteht darin, die Risiken u.a. durch Garantieregelungen oder öffentliche Mittel zu verteilen oder zu vermindern. Durch crowd-funding müssen attraktive Perspektiven eröffnet werden.

4.4.3

Gleichzeitig muss die private Finanzierung bzw. die Finanzierung außerhalb des Bankensektors zunehmen. Privatinitiativen in den Mitgliedstaaten sollten herausgestellt werden. Der Unterschied zu den USA spricht für sich: Zwei Drittel der amerikanischen Investitionen werden außerhalb des Finanzsektors finanziert, in Europa hingegen nur ein Drittel. EU- und nationale Rechtsvorschriften sollten den Trend zur mehr privater Finanzierung und privater Beteiligung begünstigen, um insbesondere die Innovation zu fördern.

4.4.4

Subsidiarität bringt auch eine große Vielfalt von Steuerpolitiken wie auch von Subventions- und Kreditsystemen in Europa mit sich. Der EWSA drängt auf eine Bewertung und peer reviews nationaler Instrumente durch die Kommission im Hinblick auf eine effiziente Konvergenz dieser Instrumente.

4.4.5

Die EIB und die Kommission arbeiten an einer neuen Generation unionsweiter Instrumente mit größerer (Hebel-)Wirkung als Darlehen. Die Risikotragfähigkeit der EU-Fonds soll in Verbindung mit der Finanzierungsfähigkeit der EIB zu verschiedenen Möglichkeiten für Konzipierung und Einsatz der Finanzinstrumente für industrielle Zwecke führen.

4.4.6

Revolvierende Fonds, die von der EIB und der Kommission koordiniert und im Rahmen von Horizont 2020 angewandt werden, COSME, der mehrjährige Finanzrahmen und die Regionalpolitik müssen Multiplikatoreffekte erzielen. Es muss insbesondere auf transparente Zuständigkeitsbereiche geachtet werden. Der EWSA unterstreicht, dass an einem soliden und gut verwalteten EU-Haushalt festgehalten werden muss, der mit erfolgreichen (neu) gestalteten nationalen Kreditinstrumenten verzahnt wird. Projektbezogene Anleihen und "grüne" Kredite müssen ausgebaut werden.

4.4.7

Die derzeitigen EU-Vorschriften sind zu strikt und zu bürokratisch. Der EWSA bekräftigt, dass die EU-Instrumente marktorientiert und einfach umzusetzen sein müssen. Sie müssen sich flexibel an die sich rasch verändernden Marktbedingungen für innovative Unternehmen wie auch für kleine, kaum wahrgenommene mikroökonomische Projekte anpassen. Zwischen einer zuverlässigen Steuerung der Instrumente und den Markterfordernissen muss ein neues Gleichgewicht erreicht werden.

4.5   Nachhaltige Entwicklung

4.5.1

Nachhaltige Entwicklung und Ressourceneffizienz werden trotz erheblicher Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in den vor- und nachgelagerten Branchen immer stärker berücksichtigt. Nachhaltige Geschäftsmodelle stärken die Widerstandsfähigkeit der europäischen Unternehmen. Öffentliche und private Akteure müssen sich aufeinander verlassen.

4.5.2

Ein Sonderfall sind der Klimawandel und die CO2-Emissionen. Angesichts des fortbestehenden Risikos der Verlagerung von CO2-Emissionen und des Investitionsschwunds fordert der EWSA eine erneute Bewertung der EU-Politik als Grundlage für einen nachhaltigen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft.

4.5.3

Kosteneffizienz und technische Machbarkeit sind zwecks Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen eine Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der EU. Nur so entstehen Synergien zwischen Umweltschutzzielen und industrieller Leistungsfähigkeit.

4.5.4

Ein technologiebasierter Übergang zu einer emissionsarmen/ressourceneffizienten Wirtschaft sollte auch gegenüber allen Arbeitnehmergenerationen sozial gerecht gestaltet werden.

4.5.5

Die Bevölkerungsalterung führt dazu, dass unter den Verbrauchern der Anteil der Senioren zunimmt, auf deren Konsummuster sich die Industrieproduktion einstellen muss. Das bringt jedoch auch neue Chancen für die Unternehmen mit sich und schafft Raum für Innovationen, beispielsweise in den Bereichen funktionelle Lebensmittel, Umbau von Wohnungen und Wohnhäusern, Anpassungen im Verkehrssektor sowie neue Technologien in der Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege.

4.5.6

Programme und rechtliche Bestimmungen der EU sollten nachhaltige Innovationen zur Folge haben, u.a. entsprechend den Vorgaben der Ressourceneffizienz-Leitinitiative. Angesichts der großen industriellen Interessen in diesem Bereich sind vergleichbare, stabile und vorhersehbare Bedingungen in der ganzen EU von entscheidender Bedeutung. Die Effizienz des "Ökodesigns" (10) und die Einführung von absoluten Obergrenzen für die Verwendung von Rohstoffen für die Industrie sollte ordnungsgemäß überprüft werden.

Überregulierung betrifft auch Innovation und Investitionen und kann zum Verlust von Marktanteilen führen. Die Kommission und der Rat sollten die (energieintensive) Grundstoffindustrie der EU schützen und derartige Wettbewerbsverzerrungen im Vergleich zu Drittstaaten beseitigen.

4.6   Dienstleistungen

4.6.1

Der Dienstleistungssektor macht 70 % der europäischen Wirtschaft aus und beschäftigt die meisten Arbeitskräfte. Er ist mit industriellen Prozessen unauflöslich verknüpft und stärkt deren Grundlage. Die Dienstleistungsrichtlinie ist allerdings bisher nur unvollständig umgesetzt worden. In den meisten Gebieten der EU sind die Unternehmensdienstleistungen weiterhin unzureichend entwickelt.

4.6.2

Das Fehlen eines integrierten Dienstleistungsmarkts – ein bekanntes, aber ignoriertes Problem – wirkt sich negativ auf den Binnenhandel und die Produktivität in Europa aus. In beiden Bereichen sind die USA aufgrund ihres erheblich stärker integrierten Dienstleistungsmarkts führend. Im Falle der Dienstleistungen gibt es weiterhin eine deutliche Bevorzugung des jeweiligen Heimatmarkts (home bias), die durch Hindernisse für grenzüberschreitende Dienstleistungen verstärkt wird. "Weniger Handel bedeutet weniger Wettbewerb: Die EU-Dienstleistungsmärkte sind noch weitgehend nationaler Art, wodurch das Produktivitätswachstum gebremst wird" (11).

4.6.3

Dieser Entwicklungsrückstand behindert eine wettbewerbsfähige IKT-Branche in Europa, erschwert bahnbrechende Initiativen und schafft Hemmnisse für das Produktivitätswachstum. Mithin sollte die EU die Entwicklung eines freien Dienstleistungsmarkts sicherstellen und Unternehmensdienstleistungen und die damit verbundene Schaffung von Arbeitsplätzen in ganz Europa fördern.

4.7   Administrative Hindernisse

4.7.1

Beschwerden über administrative Hindernisse sind an der Tagesordnung. Sie führen jedoch selten zu einer systematischen Neubewertung der nationalen Vorschriften und Bestimmungen; für diese wären Folgenabschätzungen, so wie sie die Kommission für ihre Maßnahmen vornimmt, ebenfalls äußerst wünschenswert. Die Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten ist im Allgemeinen unzureichend. Zahlreiche Versuche zur Gründung von Unternehmen und zur Förderung von KMU scheitern an administrativen Hürden.

4.7.2

Der versteckte Protektionismus nimmt in diesem Bereich zu. Der EWSA drängt auf kontinuierliche und transparente Bewertungen Die Kommission sollte damit beauftragt werden, Nachforschungen anzustellen, und peer reviews sollten im Rat erörtert werden, der entsprechende Ziele und Fristen festlegen sollte.

4.8   Kleine und mittlere Unternehmen

4.8.1

Es gibt sehr viele unterschiedliche, oft nicht vergleichbare Typen von KMU. In einigen Bereichen (z.B. Einzelhandel) stehen sie unter großem Druck. In anderen übernehmen sie jedoch Tätigkeiten von Großunternehmen: Auslagerung, Wertschöpfungsketten usw. Sie sind normalerweise für die Innovation von Produkten und Dienstleistungen von wesentlicher Bedeutung. Aufgrund ihrer Innovationsstärke und ihrer Markterfolge müssen die KMU deutlich integriert und als eine treibende Kraft der EU-Industriepolitik herausgestellt werden.

4.8.2

Aufgrund ihrer Dynamik, Interaktion mit Wertschöpfungsketten und Flexibilität sind KMU häufig Wegbereiter für maßgeschneiderte Lösungen und Erneuerungen, und sind auch für die Schaffung neuer Arbeitsplätze von Bedeutung. Die KMU sollten in ihren Bemühungen um eine Reduzierung des Einsatzes knapper Ressourcen und Energieträger unterstützt werden. Das wird letztlich zu einer Verringerung der Kosten führen, was ihnen ermöglicht, bessere Leistungen zu erbringen und Arbeitsplätze zu schaffen.

4.8.3

Europa braucht mehr Jungunternehmer. Der "Unternehmergeist" verdient im Bildungswesen (u.a. unternehmerisch ausgerichtete Hochschulen) besondere Aufmerksamkeit. Der EWSA begrüßt den Aktionsplan der Kommission für die unternehmerische Initiative.

4.8.4

Die Zahl der Unternehmensgründungen steigt. Im Vergleich mit den USA zeigt sich aber, dass in Europa zu wenige kleine Unternehmen das Niveau eines soliden Wachstums erreichen. Dies hat sowohl mit den schwachen Finanzbedingungen als auch mit nationalen Hürden im europäischen Markt zu tun.

4.9   Energie

4.9.1

Nationale Energiepolitiken führen zu einer uneinheitlichen Energiemix-Politik in der EU, was sich auf Energiepreise, Technologie, Beziehungen zu Drittstaaten und vor allem den Binnenmarkt auswirkt. Der EWSA drängt auf eine gemeinsame Energiepolitik. Angesichts der weitreichenden wirtschaftlichen Implikationen der Energiefrage kann eine ernstzunehmende Industriepolitik ohne bestimmte gemeinsame europäische Grundsätze nicht Gestalt annehmen.

4.9.2

Der Rat kann sich nicht länger einer strategischen Debatte über langfristige Energieperspektiven und entsprechende Maßnahmen verschließen, d.h. dem wünschenswerten Energiemix in der EU, der fossile Rohstoffe, Kernenergie und erneuerbare Energieträger umfasst. Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen sollten auch Teil dieser Agenda sein.

4.9.3

Beschlüsse sind jetzt umso dringlicher, als die Entwicklung der Schiefergasförderung in den USA die weltweite Energiesituation derzeit völlig verändert.

4.9.4

Die Energiepreise liegen in der EU deutlich höher als im Falle der wichtigsten Handelspartner. Der amerikanische Gaspreis liegt bei 20 % des europäischen Preises. Das hat enorme Folgen für die Chemie- und Stahlindustrie und kann sich auf die nachgelagerte Branchen auswirken. Die Auswirkungen auf Investitionen in Europa und die Notwendigkeit einer koordinierten Reaktion der EU und der Mitgliedstaaten werfen drängende Fragen auf, die zufriedenstellend beantwortet werden müssen.

4.9.5

Die Industrie trägt zu erneuerbaren Energien bei. Aufgrund der hohen Energiekosten ist es aber wesentlich, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wettbewerbsfähigkeit und dem Prozess der Finanzierung neuer Energieträger zu finden, was eine Senkung der Abgaben und bessere Programme zur Förderung der Kosteneffizienz umfassen könnte.

4.10   Außenbeziehungen

4.10.1

Die Außenbeziehungen gehen über die offiziellen Abkommen wie die von der Welthandelsorganisation geschlossenen hinaus. Im Rahmen der Entwicklung der Außendimension der Industriepolitik sollten die EU und die Mitgliedstaaten gemeinsame Standpunkte zu der Frage festlegen, wie bei komplizierten Sachverhalten (insbesondere der Gewährleistung weltweit gleicher Wettbewerbsbedingungen) verfahren werden soll. Da offene Märkte Gegenseitigkeit implizieren, sollte sich die EU ernsthaft mit den konkreten und negativen Verzerrungen beschäftigen, die den Interessen der europäischen Industrie schaden können.

4.10.2

Aus wirtschaftlichen und sicherheitsspezifischen Gründen ist eine reibungslose Energieversorgung unabdingbar. Diese Problematik erfordert ein gesamteuropäisches Vorgehen, insbesondere angesichts der derzeit niedrigen Energiepreise in den USA. Besondere Aufmerksamkeit ist auch den Werkstoffen zu widmen, die für Industrieprozesse von wesentlicher Bedeutung sind.

4.10.3

Internationale Umwelt-, Klima- und Sozialstandards oder entsprechende Branchenabkommen sind für weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen unerlässlich. Sie müssen die Voraussetzungen für den Erhalt von Wertschöpfungsketten im verarbeitenden Gewerbe in Europa schaffen.

4.10.4

Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit, die Rechte des geistigen Eigentums zu schützen. Der Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe im Ausland sollte gewährleistet werden.

4.10.5

Sorgsam ausgehandelte und ausgewogene Freihandelsabkommen – insbesondere mit den USA – sind nachdrücklich zu begrüßen. Eine sorgfältige Überwachung ist in diesem Zusammenhang von grundlegender Bedeutung.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Siehe u.a.: ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 38 – eine Reaktion des EWSA auf die vorhergehende Kommissionsmitteilung zur Industriepolitik von 2010.

(2)  Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, SWD(2012) 297 final, S. 10 (Anm. d. Übers.: Deutsche Fassung liegt nicht vor).

(3)  American Manufacturing Competitiveness Act 2012.

(4)  Global Trends: Alternative Worlds, National Security Council, Dezember 2012, Washington.

(5)  US EPA, Study of the Potential Impacts of Hydraulic Fracturing on Drinking Water Resources: Progress Report, Dezember 2012 (http://www2.epa.gov/hfstudy).

(6)  Siehe: State Capitalism, The Economist, Sonderbericht, Januar 2011.

(7)  Industrial Performance Scoreboard and Report on Member States’ Competitiveness, Performance and Policies, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, SWD(2012) 298 final, Teil 1, 2, 3 und 4 (Anm.: Deutsche Fassung liegt nicht vor).

(8)  Siehe auch den Cercas-Bericht des EP.

(9)  Siehe Fußnote 7: Arbeitsdokumente der Kommissionsdienststellen, Teile 1-4.

(10)  EU-Richtlinie 2009/125, Oktober 2009.

(11)  "How to build European services markets", John Springford, Centre for European Reform, September 2012, S. 4.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/90


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Handelsregelung für bestimmte aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren

COM(2013) 106 final — 2013/0063 (COD)

2013/C 327/15

Berichterstatter: Mindaugas MACIULEVIČIUS

Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission beschlossen am 12. bzw. 15. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2, Artikel 207 Absatz 2 AEUV und Artikel 304 um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Handelsregelungen für bestimmte aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren

COM(2013) 106 final — 2013/0063 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 12. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 149 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt diesen Vorschlag zur Angleichung an den Vertrag von Lissabon, wie bereits in der Stellungnahme 357/2011 des EWSA (1) und anschließend immer wieder in späteren Stellungnahmen bekräftigt wurde.

1.2

Der EWSA fordert eine durchgängige Modernisierung der Handelsregelungen und eine allgemeine Verbesserung ihrer Transparenz; dies sollte unter Einbindung aller relevanten Akteure und gleichzeitig in Übereinstimmung mit den Zielen der Gemeinsamen Agrarpolitik geschehen, um die Werte der EU weltweit zu fördern.

1.3

Der EWSA fordert die Einführung wirksamer Schutzmaßnahmen gegen potenziellen Missbrauch für Fälle, in denen Freihandelsabkommen genutzt werden, um Lebensmittel auf den EU-Markt zu bringen, die unter niedrigeren Standards erzeugt wurden und billiger und einfacher zu produzieren sind.

1.4

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, künftige Handelsregelungen so zu gestalten, dass Wettbewerbsverzerrungen auf dem EU-Markt aufgrund niedrigerer Umwelt-, Lebensmittelsicherheits-, Tierschutz- und Sozialstandards in Drittländern verhindert werden. Dies könnte durch zusätzliche Kompensationsbeträge im Rahmen der Einfuhrzölle gewährleistet werden.

1.5

Der EWSA fordert eine Überarbeitung der Verfahren für die Erteilung von Einfuhrlizenzen, Erstattungsbescheinigungen und Befreiungen von Lizenzen für die aktive Veredelung (AV-Lizenzen) sowie insbesondere für die Zuweisung von Kontingenten, damit auch kleinen und mittleren Erzeugern Chancen eingeräumt werden.

1.6

Der Ausschuss spricht sich dafür aus, Instrumente für das elektronische Auftragswesen in das Zollsystem zur Verwaltung der Lizenzen, Kontingente und Bescheinigungen zu integrieren. Ein solches System sollte es ermöglichen, die Marktsituation in Echtzeit genau zu erfassen und bei Erreichen der Auslösungsvolumina bzw. Auslösungspreise sofort zu reagieren.

1.7

Der Ausschuss fordert, das System der Ausfuhrerstattungen weiterhin in der Hinterhand zu behalten, da derzeit nicht abzusehen ist, wann dieses Sicherheitsnetz wieder benötigt wird.

1.8

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, die Rolle der beratenden Gruppe zu den internationalen Aspekten der Landwirtschaft (Advisory Group on International Aspects of Agriculture) zu stärken, um über unmittelbare Kontakte zu Landwirten, Verarbeitern, Verbrauchern, Handel usw. zu verfügen (2).

2.   Hintergrund

2.1

Mit der vorgeschlagenen Verordnung sollen die derzeit in der Verordnung 1216/2009 festgelegten geltenden Handelsregelungen für landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse/Nicht-Anhang-I-Waren und die derzeit in der Verordnung (EG) Nr. 614/2009 festgelegte gemeinsame Handelsregelung für Eieralbumin und Milchalbumin an den Vertrag von Lissabon angeglichen und aus Gründen der Rationalisierung, Harmonisierung und Vereinfachung zusammengefasst werden.

Feststellung der delegierten Befugnisse und der Durchführungsbefugnisse der Kommission sowie Festlegung der entsprechenden Verfahren zum Erlass solcher Rechtsakte,

Angleichung dieser Verordnungen an die neue Verordnung über die einheitliche GMO [COM(2011) 626 final] im Zusammenhang mit der Anpassung der GMO an den Vertrag von Lissabon und an die GAP nach 2013, die derzeit Gegenstand langwieriger Beratungen auf Ebene des Rates und des Europäischen Parlaments ist,

Aktualisierung dieser Verordnungen und Schaffung einer klareren und solideren Rechtsgrundlage für die Durchführungsbestimmungen,

Schaffung eines soliden Rechtsrahmens für die Verwaltung der verringerten Einfuhrzölle und Einfuhrkontingente nach Maßgabe der Freihandelsabkommen sowie des Ausfuhrerstattungssystems und Anpassung der bestehenden Verordnung an die aktuellen Verfahren im Rahmen von Freihandelsabkommen und Ausfuhrerstattungen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission zur Vereinfachung, Rationalisierung und Harmonisierung der Rechtsvorschriften für den Handel mit landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen und insbesondere die Tatsache, dass beide Verordnungen (die Verordnung über landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse und die Verordnung über die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte) zeitgleich an den Vertrag von Lissabon angepasst werden, da beide ähnliche Bestimmungen hinsichtlich der Einfuhr- oder Ausfuhrregelungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und für landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse enthalten (etwa verringerte Einfuhrzölle, zusätzliche Einfuhrzölle, Einfuhrkontingente, Ausfuhrerstattungen, Ausfuhrlizenzen, Erstattungsbescheinigungen usw.).

3.2

Zugleich ist der Ausschuss der Auffassung, dass diese Vereinfachung, Rationalisierung und Harmonisierung der Rechtsvorschriften eine gute Gelegenheit wäre, die Handelsregelungen zu modernisieren und allgemein transparenter zu gestalten, wobei alle relevanten Akteure eingebunden werden sollten, um die Werte der EU weltweit zu fördern.

3.3

Der EWSA würdigt die Tatsache, dass die derzeit geltenden Bestimmungen mit der vorgeschlagenen Verordnung ohne grundlegende Veränderungen "lissabonisiert" werden, ruft aber zugleich dazu auf, die Handelspolitik einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und sie mit den in Artikel 39 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegten Zielen der Gemeinsamen Agrarpolitik in Einklang zu bringen.

3.4

Der EWSA hat sich bereits mehrfach für Freihandels- und Präferenzhandelsabkommen ausgesprochen und die Bedeutung der WTO-Verhandlungen hervorgehoben. Der EWSA betont jedoch, dass der EU als dem weltweit größten Importeur von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln eine grundlegende Bedeutung dabei zukommt, die in der Union geltenden höchsten Standards in puncto Lebensmittelsicherheit und Lebensmittelqualität, Tierschutz, Umweltschutz und soziale Werte zu fördern.

3.5

Der EWSA weist darauf hin, dass die Einfuhrzölle, insbesondere deren Agrarteilbetrag, um zusätzliche Teilbeträge für Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit, Tierschutz und Soziales ergänzt werden sollten, die dazu genutzt werden könnten, die von der EU getragenen Werte im Zusammenhang mit der Lebensmittelerzeugung in Drittländer zu verbreiten. Für diese Teilbeträge sollten nur unter der Voraussetzung Ermäßigungen gewährt werden, dass der Erzeuger der in die EU exportierten Waren diese Standards einhält. Indem die EU ihre gesellschaftlichen Werte auf diese Weise weitergibt, lässt sich langfristig die Widerstandsfähigkeit und die Nachhaltigkeit der weltweiten Lebensmittelerzeugung verbessern.

3.6

Der EWSA fordert die Einführung wirksamer Schutzmaßnahmen gegen potenziellen Missbrauch für Fälle, in denen Freihandelsabkommen genutzt werden, um Lebensmittel auf den EU-Markt zu bringen, die unter niedrigeren Standards erzeugt wurden und billiger und einfacher zu produzieren sind.

3.7

Der EWSA ruft die Kommission dazu auf, ihr Verfahren für die Erteilung von Einfuhrlizenzen, Erstattungsbescheinigungen und Befreiungen von Lizenzen für die aktive Veredelung (AV-Lizenzen) sowie insbesondere für die Zuweisung von Kontingenten zu überarbeiten, damit auch kleinen und mittleren Erzeugern Chancen eingeräumt werden und nicht einige wenige Akteure den Markt beherrschen.

3.8

Der Ausschuss ruft die Kommission dazu auf, Instrumente für das elektronische Auftragswesen in das Zollsystem zur Verwaltung der Lizenzen, Kontingente und Bescheinigungen zu integrieren, da hierdurch die Transaktionskosten deutlich gesenkt würden und die Risiken, die mit der Nutzung von Dokumenten in Papierform durch die jeweiligen Wirtschaftsbeteiligten verbunden sind, geringer wären.

3.9

Ein solches System sollte es ermöglichen, die Marktsituation in Echtzeit genau zu erfassen und bei Erreichen der Auslösungsvolumina bzw. Auslösungspreise sofort zu reagieren.

3.10

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass Ausfuhrerstattungen, auch wenn sie derzeit nicht angewandt werden, bei Marktungleichgewichten eine sehr wichtige Aufgabe als Sicherheitsnetz übernehmen. Da derzeit nicht abzusehen ist, wann dieses Sicherheitsnetz wieder benötigt wird, ist es zugleich sehr wichtig, das System weiterhin in der Hinterhand zu behalten.

3.11

Die Kommission sollte die Rolle der beratenden Gruppe zu den internationalen Aspekten der Landwirtschaft (Advisory Group on International Aspects of Agriculture) unbedingt stärken, um über unmittelbare Kontakte zu Landwirten, Verarbeitern, Verbrauchern, Handel usw. zu verfügen und somit ein wertvolles Forum zur Konsultation und Information zu schaffen (3).

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 33-36.

(2)  ABl. C 304 vom 10.11.1993, S. 8-10.

(3)  ABl. C 304 vom 10.11.1993, S. 8-10.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/93


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Ein Blueprint für den Schutz der europäischen Wasserressourcen“

COM(2012) 673 final;

Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) — Bewirtschaftungspläne für Flusseinzugsgebiete

COM(2012) 670 final;

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bericht über die Überprüfung der EU-Strategie zur Bekämpfung von Wasserknappheit und Dürren

COM(2012) 672 final

2013/C 327/16

Berichterstatter: Georges CINGAL

Mitberichterstatterin: An LE NOUAIL MARLIERE

Die Europäische Kommission beschloss am 11. November 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Blueprint für den Schutz der europäischen Wasserressourcen

COM(2012) 673 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 12. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 128 gegen 101 Stimmen bei 17 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss würdigt die Mitteilung der Kommission, ist jedoch der Ansicht, dass darin nicht genügend zielgerichtete Maßnahmen zur Lösung der festgestellten Probleme vorgeschlagen werden.

1.2

Die Kommission sollte Folgendes beherzigen:

Demokratisierung der Wasserbewirtschaftung, d.h. dem einzelnen Verbraucher muss in den jeweiligen Wassereinzugsgebieten gegenüber den zuständigen Stellen der Platz eingeräumt werden, der ihm rechtmäßig zusteht,

eine europäische Wasserkontrolle für eine Gleichbehandlung aller Regionen,

zwingende Berücksichtigung bedenklicher Stoffe (Chemikalien, Nanoelemente usw.).

1.3

Der EWSA begrüßt das Bemühen der Kommission um Einbeziehung der wasserpolitischen Ziele in andere zentrale Politikbereiche, wie etwa die GAP, den Kohäsionsfonds und die Strukturfonds sowie die Politik zur Förderung von Energie aus erneuerbaren Quellen. Er stellt jedoch zugleich fest, dass noch weitaus umfassendere Bemühungen notwendig sind, um eine echte Kohärenz der Politikbereiche zu erzielen und keine Anreize mehr für eine übermäßige Wasserentnahme, für morphologische Schädigungen und Wasserverschmutzung zu bieten.

1.4

Der EWSA fordert die Kommission dazu auf, die Frage der Nachhaltigkeit der Ressourcen zu klären. Während die Wasserrahmenrichtlinie (1) eine Schädigung der Wasserressourcen untersagt, lässt die EU die Entwicklung von Projekten zur Sicherung der Energieversorgung zu. Das ehemals marginale Problem könnte mit den Projekten zur Förderung von Schiefergas zu einem Dauerproblem werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass den Wasserressourcen Vorrang gebührt.

1.5

Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Mitgliedstaaten zur strikten Anwendung von Artikel 9 (Verursacherprinzip) der Wasserrahmenrichtlinie anzuhalten, damit ein guter Zustand der Wasserressourcen hergestellt wird.

1.6

Der EWSA fordert die Kommission dazu auf zu klären, was unter dem Begriff "Wasserstress" zu verstehen ist. Zieht man die klassische Definition heran (der Wasserbedarf übersteigt die vorhandenen Ressourcen), so besteht allzu häufig die Gefahr, dass es für entsprechende Maßnahmen zu spät ist (Waldsterben usw.). Neben der Festlegung von ökologisch begründeten Mindestabflüssen müssen zur Vermeidung kritischer Situationen dementsprechend auch Alarmstufen festgelegt werden, die vor Erreichung der Schwellenwerte zur Einleitung von Präventivmaßnahmen führen.

1.7

Der EWSA fordert die Kommission auf, mithilfe der Instrumente der Kohäsionspolitik (EFRE, ESF, europäische territoriale Zusammenarbeit)

die Gebietskörperschaften zum Ausbau der dritten Reinigungsstufe in Kläranlagen anzuregen,

bei den Wirtschaftsakteuren stärker das Interesse für die Widerstandskraft ihres Eigentums gegen den Klimawandel zu wecken und zum Schutz der Wasserressourcen natürlichen Mechanismen den Vorzug zu geben (Böden, Bepflanzung usw.), beispielsweise durch Verwendung des C/N-Verhältnisses (Kohlenstoff/Stickstoff) als eines Indikators für die Bodenqualität,

die besten Initiativen zu fördern (Umweltförderprogramm LIFE usw.).

1.8

Der EWSA fordert die Kommission dazu auf, über die besten verfügbaren Techniken zu informieren. Die Schließung des Wasserkreislaufs erscheint, gemessen an den bereits erzielten Fortschritten z.B. in der Papierindustrie, nicht mehr unrealistisch. Als notwendig erachtet der EWSA indes die Aufstellung von Normen und Vorschriften zur Reduzierung von Leckagen in Wasserverteilungsnetzen.

1.9

Der EWSA fordert die Kommission dazu auf, ein Rechtsinstrument vorzuschlagen, durch das in der Wasserbewirtschaftung (Messung, Transport, Abwasserreinigung) immer stärker der Maßstab der Effizienz angelegt wird. Die Nutzung durch private Haushalte kann nicht das alleinige Thema sein. Auch freiwillige Maßnahmen sind nicht mehr ausreichend. Die integrierte Wasserbewirtschaftung betrifft alle Wassereinzugsgebiete.

1.10

Der EWSA ruft die Kommission dazu auf, die Liste der Schadstoffe um solche Stoffe zu erweitern, die zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung (2) in Oberflächenwasser und Grundwasser nicht enthalten sein dürfen (Nanoelemente, krebserzeugende, erbgutverändernde bzw. fortpflanzungsgefährdende Stoffe). Zudem könnten Empfehlungen zur Wiederverwendung von aufbereitetem Abwasser aufgestellt werden. Der EWSA unterstreicht die Bedeutung des Berichts Nr. 1/2013 der Europäischen Umweltagentur (EUA) "Späte Lehren aus frühen Warnungen, Band II" (3).

1.11

Der EWSA bringt erneut seine Besorgnis bezüglich des Transfers mit finanziellem Ausgleich zum Ausdruck und mahnt die Kommission zur größtmöglichen Vorsicht. Alle Projekte sollten öffentlich bekannt gemacht (Aarhus-Konvention) und offen diskutiert werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass ein Transfersystem ungerecht wäre und der am meisten benachteiligten Bevölkerung zum Schaden gereichen würde, ob nun mit finanziellem Ausgleich oder ohne.

2.   Hintergrund

2.1

Mit der Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 wurde eine Rechtsgrundlage zum Schutz und zur Sanierung sowie zur Sicherstellung einer langfristigen nachhaltigen Nutzung der europäischen Gewässer geschaffen. Allgemeines Ziel der Wasserrahmenrichtlinie ist es, dafür zu sorgen, dass sich alle Gewässer in der EU, d.h. Seen, Flüsse, Ströme und Grundwasser, bis 2015 in einem guten Zustand befinden.

2.2

Die Kommission hat festgestellt, dass es den Behörden häufig nicht gelungen ist, die Ziele Effizienz und Gerechtigkeit miteinander zu verknüpfen (dazu müssten das Verursacherprinzip angewandt und kontraproduktive und schädliche Subventionen abgeschafft werden), um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Einnahmen und investitionsbedingten Ausgaben herzustellen.

2.3

Am 14. November 2012 veröffentlichte die Europäische Kommission das Wasserpaket, das aus drei Teilen besteht:

der Mitteilung "Ein Blueprint für den Schutz der europäischen Wasserressourcen",

dem Bericht über die Überprüfung der EU-Strategie zur Bekämpfung von Wasserknappheit und Dürren,

und dem Bericht über die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und der Wasserbewirtschaftungspläne.

2.3.1

Die Bewirtschaftung der Wasserressourcen ist von grundlegender Bedeutung für die Unionsbürger und erfordert deshalb auch das nötige Fachwissen. Die Zusammenfassungen der technischen Bewertungen und Folgenabschätzungen sind so wichtig, dass sie an die Organisationen der Zivilgesellschaft weitergeleitet werden und deshalb auch in den verschiedenen Sprachen zur Verfügung stehen sollten.

2.3.2

Die Vorschläge der Kommission gehen auf verschiedene Studien, insbesondere der EUA zurück:

Towards efficient use of water resources in Europe, Bericht Nr. 1/2012, 68 Seiten

European waters – assessment of status and pressures, Bericht Nr. 8/2012, 96 Seiten

European waters – current status and future challenges, a synthesis, 51 Seiten

Water resources in Europe in the context of vulnerability, Bericht Nr. 11/2012, 92 Seiten.

2.3.3

Die Überprüfung der europäischen Maßnahmen in Bezug auf Wasserknappheit und Trockenheit ist insofern zu begrüßen, als die Nachfrage wächst, die vorhandenen Ressourcen aber nicht zunehmen und die Trockengebiete immer weiter nach Norden vorrücken, wie in verschiedenen Berichten der Vereinten Nationen festgestellt wird.

2.4

Der Wasseraktionsplan basiert auf drei Elementen, zu denen Maßnahmen in 25 Etappen ergriffen werden sollen:

verbesserte Umsetzung der derzeitigen Wasserpolitik der EU durch umfassende Nutzung der Möglichkeiten der geltenden Rechte;

stärkere Einbeziehung der Ziele der Wasserpolitik in die anderen betroffenen Politikbereiche, wie etwa Landwirtschaft, Fischerei, erneuerbare Energien, Verkehr sowie Kohäsions- und Strukturfonds;

Behebung der Mängel des derzeitigen Rechtsrahmens, insbesondere bezüglich der notwendigen Instrumente für eine rationellere Wassernutzung.

2.5

Der Zeitplan für den Aktionsplan Wasser ist eng verknüpft mit dem Zeitplan der Europa-2020-Strategie und insbesondere des Fahrplans zur Ressourceneffizienz. Der Aktionsplan entspricht dem Teil dieses Fahrplans, der dem Thema Wasser gewidmet ist.

2.6

Am 22. September 2010 veröffentlichte der EWSA den Informationsbericht "Menschenwürdige Arbeit und nachhaltige Entwicklung im Mittelmeerraum mit dem Schwerpunkt auf den Bereichen Süß- und Salzwasser sowie Abwasserentsorgung", der von der Fachgruppe REX angenommen und im November 2010 auf dem Gipfeltreffen der Wirtschafts- und Sozialräte des Europa-Mittelmeerraums vorgelegt wurde. In diesem Bericht werden die Probleme im Zusammenhang mit Austrocknung im Mittelmeerraum, deren soziale Folgen und die Finanzierungsbedingungen für entsprechende Projekte behandelt. Am 15. Juni 2011 verabschiedete der EWSA auf Ersuchen des damaligen ungarischen Ratsvorsitzes eine Sondierungsstellungnahme zum Thema "Integration der Wasserpolitik in andere relevante Politikfelder der EU" (4). Am 23. Mai 2012 verabschiedete er eine Stellungnahme zu den prioritären Stoffen im Bereich der Wasserpolitik (5). Am 13. Dezember 2012 verabschiedete er eine Stellungnahme zur Europäischen Innovationspartnerschaft für Wasser (6). Darüber hinaus sei auf die Stellungnahmen "Schaffung eines Ordnungsrahmens für den Bodenschutz" (7) und "7. Umweltaktionsprogramm der EU" (8) verwiesen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA würdigt ebenso wie die Kommission die Wasserrahmenrichtlinie als das richtige Instrument zur Erreichung eines guten ökologischen Zustands der Gewässer in Europa. Dieses Ziel lässt sich jedoch nur erreichen, wenn ihre Datenbanken von unabhängigen Stellen verwaltet werden und wenn ihre Umsetzung entscheidend verstärkt wird. Das Ziel eines guten Zustands wird für 47 % der Gewässer bis 2015 nicht erreicht werden, obwohl die bisherigen Fortschritte bei der Wasserbewirtschaftung im Rahmen des Aktionsplans ausgewertet und einige bis 2020 umzusetzende Vorschläge vorgelegt werden.

3.2

Einige Mitgliedstaaten sind im Rückstand, was die Umsetzung von Artikel 9 der Wasserrahmenrichtlinie betrifft, obwohl diese bereits im Jahr 2000 erlassen wurde. Dies führt dazu, dass der gute Zustand der Gewässer nur mit Verzögerung realisiert werden kann. Der EWSA ist der Auffassung, dass das Verursacherprinzip jederzeit und überall für die Wasserbewirtschafter zu gelten hat, was die Festsetzung des Wasserpreises und der Abwassergebühren betrifft, und empfiehlt, dass der Plan sowohl in Regionen mit Wassermangel als auch in Regionen mit einem Wasserüberschuss umgesetzt wird.

3.2.1

Der EWSA bedauert, dass die Mitgliedstaaten die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie hinauszögern und damit den Bürgern eine bessere Wasserqualität vorenthalten. Der Ausschuss unterstützt die Kommission daher uneingeschränkt in ihrem Drängen auf Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in den Mitgliedstaaten.

3.3

Er zeigt sich jedoch beunruhigt darüber, dass die Kommission nicht ausreichend innovative Maßnahmen für eine effizientere Wasserbewirtschaftung vorschlägt. Es ist zu erwarten, dass 2030 die Nachfrage nach Wasser das Angebot um bis zu 40 % überschreiten wird. Dies bedeutet, dass die Mehrzahl der Mitgliedstaaten von der Wasserknappheit betroffen sein wird. Das Konzept der Kommission stellt insofern ein beträchtliches Risiko dar, als es ausschließlich auf den vorhandenen Instrumenten beruht und über die Ökodesign-Richtlinie hinaus keine Verwaltung nach Kategorien beinhaltet, die der Nachfrage der Privathaushalte, der Industrie (einschließlich Steinbrüche) und der Landwirtschaft Rechnung tragen würde. Unter diesen Voraussetzungen ist zu befürchten, dass noch weitere Gewässer austrocknen oder verschmutzt werden. Nach Ansicht des EWSA besteht die Gefahr, dass die Bürger weiterhin Gebühren zur Subventionierung von Produktionssystemen zahlen, die nicht auf eine nachhaltige Entwicklung hin angelegt sind. Die integrierte Wasserbewirtschaftung ist lediglich eine allgemeine Leitlinie. Die Bedingungen, unter denen sie auf alle Wassereinzugsgebiete Anwendung finden muss, sind zu präzisieren.

3.4

Der EWSA begrüßt die Maßnahmen zur Erhaltung der Ökosysteme und unterstützt das Vorgehen zur Erhaltung des natürlichen Grundwassers. Dieses Vorgehen ist unter dem Gesichtspunkt der Widerstandsfähigkeit von Arten und Ökosystemen gegenüber dem Klimawandel vor allem dann als positiv zu werten, wenn es von entsprechenden Maßnahmen für die Gemeinsame Agrarpolitik und die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums flankiert wird. Der Zusammenhang zwischen Wasser und Klima wurde bedauerlicherweise von der Kommission nicht ausreichend thematisiert. Es muss festgelegt werden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, damit Niederschläge im Boden gehalten werden und ins Grundwasser gelangen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Da Wasser für Menschen und natürliche Ökosysteme ein lebenswichtiges Gut und gemeinsames Menschheitserbe ist, kommt ihm grundlegende Bedeutung zu.

4.2

Die Wasser- und Abwasserpolitik muss einem Nachhaltigkeitsansatz folgen, damit die Ressource Wasser für den derzeitigen Bedarf der Bevölkerung ausreichend vorhanden ist und für den Bedarf künftiger Generationen bewahrt wird. Europa- und weltweit haben zahlreiche Menschen keinen Zugang zu dieser lebenswichtigen Ressource. Das Konzept der Vereinten Nationen, die den Zugang zu Trinkwasser in ausreichender Menge sowie zu Sanitärversorgung zum Grundrecht erklärt haben, würde mehr als einer Million Menschen in Europa, die keinen Zugang zu sauberem und erschwinglichem Trinkwasser haben, sowie mehreren Millionen Unionsbürgern, die keinen Zugang zur Abwasserentsorgung haben, die Verwirklichung eines Grundrechts ermöglichen (9).

4.3

Der EWSA fordert die Europäische Kommission deshalb auf, einen Legislativvorschlag vorzulegen, in dem der Zugang zu Wasser und Abwasserentsorgung als Menschenrecht im Sinne der Vereinten Nationen anerkannt wird, und die Versorgung mit Wasser und die Abwasserentsorgung als grundlegende öffentliche Dienstleistungen für die Allgemeinheit zu fördern. Über das europäische Recht sollten Regierungen verpflichtet werden können, ihrer Bevölkerung Abwasserentsorgungsleistungen sowie sauberes Trinkwasser in ausreichender Menge zu garantieren und zu liefern. Der EWSA empfiehlt:

Die europäischen Institutionen und die Mitgliedstaaten sollten angehalten werden, für die Umsetzung des Rechts aller Bürger auf Wasser und Abwasserleistungen Sorge zu tragen.

Die Wasserversorgung und die Wasserressourcenbewirtschaftung sollten nicht ausschließlich den Regeln des Binnenmarktes unterworfen sein, und die Dienstleistungen im Zusammenhang mit Wasser sollten von der Liberalisierung und dem Anwendungsbereich der Richtlinie über Konzessionen ausgenommen werden (10).

Die Europäische Union sollte sich verstärkt darum bemühen, den Universalzugang zu Wasser und Abwasserleistungen auf ihrem Gebiet Wirklichkeit werden zu lassen.

4.4

Der Zugang zu Wasser ist ein Grundrecht, das eng verknüpft ist mit Dienstleistungen im Zusammenhang mit Wasser sowie mit der Regelung der Wassergebühren. Der EWSA zeigt sich daher interessiert an dem laufenden Untersuchungsverfahren bezüglich des französischen Wassermarkts, das die Europäische Kommission im Januar 2012 eröffnet hat. Drei der maßgeblichen multinationalen Konzerne auf dem weltweiten Wassermarkt sind französische Konzerne. Der Ausschuss unterstützt dieses offizielle Verfahren in all seiner Tragweite, bei dem es um Absprachen und Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung geht und dem im Frühjahr 2010 in allen drei Unternehmen durchgeführte Untersuchungen vorausgegangen waren. Durch das Verfahren dürfte die Kommission feststellen können, ob die drei Unternehmen im Einvernehmen mit der Fédération professionnelle des entreprises de l'eau (Berufsverband der Wasserunternehmen) ihr Vorgehen auf dem französischen Wasser- und Abwassermarkt unter Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts abgesprochen haben und ob die Unternehmen Absprachen über die den Verbrauchern in Rechnung gestellten Preise getroffen haben. Der EWSA sieht der Veröffentlichung der Ergebnisse mit großer Erwartung entgegen.

4.5

Für den Transfer von Wasser von einem Wasserkörper in einen anderen sind beträchtliche Investitionen erforderlich, und er kann mit bedeutenden Umweltrisiken verbunden sein. Damit ist nicht nur keine nachhaltige Ressourcennutzung gegeben, sondern es wird auch die Unausgewogenheit weiter gefördert, da sich nur die vermögendsten Wirtschaftsakteure die rare Ressource leisten können.

4.6

Die Mitteilung enthält lediglich den Vorschlag, zur Reduzierung der Leckagen aus Wasserverteilungsnetzen die besten verfügbaren Techniken anzuwenden. Dieses Problem müsste durch die Festlegung von Normen und bessere Regelungen für jedes einzelne Wassereinzugsgebiet gelöst werden. Die Festlegung von Normen hat sich bei der Verbesserung von Dienstleistungen und der Erhöhung der Produktivität als nützlich erwiesen. Die Kommission könnte einen Plan zur Reduzierung von Leckagen erwägen.

4.7

Für einen Projektträger, der ein Infrastrukturprojekt plant, das sich auf einen Wasserkörper auswirkt, gilt die unbedingte Berücksichtigung der Ziele der Erhaltung der biologischen Vielfalt. Der EWSA weist darauf hin, dass mehrere Gebiete im Rahmen des Ramsar-Abkommens für Bewässerungsmaßnahmen geopfert wurden. Der EWSA unterstreicht, dass in dem Aktionsplan keine Sanierung von Schäden der Vergangenheit vorgesehen ist, und dass die Vorschläge unzureichend sind, weil Fischaufstiegshilfen und Fischpässe gänzlich unberücksichtigt bleiben. Es ist bedauerlich, dass in dem Aktionsplan der Schutz der Quellgebiete und der kleineren Gewässer (Sümpfe, Weiher, Moore usw.) nicht als zwingend erforderlich dargestellt wird.

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. L 327 vom 22.12.2000, S. 1-73.

(2)  ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 116-118.

(3)  http://www.eea.europa.eu/de/pressroom/newsreleases/die-kosten-ignorierter-warnsignale-eea.

(4)  ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 43-48.

(5)  ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 116-118.

(6)  ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 147-152.

(7)  ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 29-33.

(8)  ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 77-81.

(9)  ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 147-152.

(10)  ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 84-96.


ANHANG I

zu der Stellungnahme des Ausschusses

Die folgende Gegenstellungnahme wurde im Laufe der Erörterung abgelehnt, erhielt jedoch mindestens ein Viertel der Stimmen:

Gesamte Stellungnahme durch folgenden Text ersetzen:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Wasser ist für Mensch, Natur und Wirtschaft lebensnotwendig. Wasser erneuert sich fortlaufend, ist aber auch endlich und kann nicht hergestellt oder durch andere Ressourcen ersetzt werden.

1.2

In den vergangenen Jahrzehnten konnte die Einleitung von Schadstoffen in europäische Gewässer erfolgreich reduziert und eine Verbesserung der Wasserqualität herbeigeführt werden. Es liegen jedoch Informationen vor, wonach sich mehr als die Hälfte der Oberflächengewässer in Europa in einem weniger als guten ökologischen Zustand befinden und zur Erfüllung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind.

1.3

In dem Wasseraktionsplan wird eingeräumt, dass die aquatische Umwelt in der EU sehr unterschiedlich ist; entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden daher keine einheitlichen Lösungen vorgeschlagen.

1.4

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss würdigt den Umfang und die Qualität der Arbeit, die in der Vorbereitungsphase des Wasseraktionsplans geleistet wurde. Die den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete zugrunde liegenden Erfahrungen im Zusammenhang mit Gewässern wurden dabei ebenso herangezogen und eingehend geprüft wie Studien von Sachverständigen.

1.5

Bei der Suche nach Lösungen für die zahlreichen Probleme und die Einhaltung des humanitären Grundsatzes des Zugangs zu gesundem Trinkwasser und grundlegender Sanitärversorgung auf globaler Ebene wurden alle vier grundlegenden Prinzipien des Umweltrechts angemessen berücksichtigt.

1.6

Der EWSA begrüßt das Konzept der Flusseinzugsgebiete als Bausteine der EU-Wasserpolitik, da hierdurch die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine möglichst effiziente Lösung zentraler Probleme erleichtert wird.

1.7

Obwohl der EWSA den Wasseraktionsplan und die entsprechenden Hintergrundpapiere für außerordentlich gelungen hält, muss der Durchführung der geplanten Maßnahmen jedoch noch größere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

1.8

Bei der Umsetzung der bestehenden Vorschriften (Aktionsbereich 1) sollte der Eindämmung diffuser Verunreinigungsquellen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Umsetzung sollte entsprechend den spezifischen Gegebenheiten in den jeweiligen Flusseinzugsgebieten durch Anreize gefördert werden.

1.9

Die Anwendung des Verursacherprinzips erfordert angemessene Messungen und Kontrollen, um für zusätzliche Maßnahmen über eine solide Grundlage zu verfügen. Diese Anforderungen sollten jedoch in einem angemessenen Verhältnis zu den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und zur Schwere des zu lösenden Problems stehen.

1.10

In dem Wasseraktionsplan wird zu Recht die Weiterentwicklung der Wasserkonten in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und der Europäischen Umweltagentur gefordert. Diese Konten ermöglichen es den für die Bewirtschaftung der Flusseinzugsgebiete Verantwortlichen zu berechnen, wie viel Wasser genutzt werden kann und wie viel Wasser zur Erhaltung der Ökosystemfunktionen (ökologisch erforderlicher Wasserabfluss) zurückbehalten werden sollte.

1.11

Illegale Wasserentnahmen stellen in einigen Regionen mit Wasserknappheit ein ernsthaftes Problem dar. Anhand von Studien zur Überprüfung der Daten des Programms Copernicus/GMES könnten die Mitgliedstaaten illegale Wasserentnahmen ausfindig machen.

1.12

Der Ausschuss betont, dass die Gelegenheit besonders günstig ist, den Wasseraktionsplan mit der GAP in Einklang zu bringen, da das Parlament, der Rat und die Kommission zurzeit den Plan für die nächsten sieben Jahre festlegen. Diese Gelegenheit sollte genutzt werden.

1.13

Die Hochwasserschutzmaßnahmen (die derzeit in Mitteleuropa sehr aktuell sind) würden eine koordinierte Finanzierung erfordern und auch Mittel aus den Strukturfonds bzw. dem Kohäsionsfonds umfassen. Zudem wurden einige der (als Reaktion auf frühere Überschwemmungen) geplanten Maßnahmen wegen verschiedener administrativer Hindernisse nicht zu Ende geführt.

1.14

Der Ausschuss hat bereits seine Zustimmung zu den Europäischen Innovationspartnerschaften für Wasser sowie für landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit geäußert. Es ist hervorzuheben, dass diese Initiativen von der Basis entwickelt wurden.

1.15

Politische Maßnahmen außerhalb von Süßwassergebieten können ebenfalls zur Vermeidung von Wasserverschmutzung beitragen. Die Rechtsvorschriften zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden, zu Industrieemissionen, zu Arzneimitteln ebenso wie die REACH-Verordnung sollten mit der Wasserrahmenrichtlinie in Einklang gebracht werden.

1.16

Bei der Schließung der bestehenden Lücken wird zu Recht der Schwerpunkt auf die effizientere Nutzung von Wasser gelegt, wobei der Ausbau der Möglichkeiten der Wiederverwendung von Wasser von besonderer Bedeutung ist. Um die erwünschten und erwarteten Ergebnisse zu erzielen, müssen zunächst Kriterien für eine gefahrlose Wiederverwendung von Wasser aufgestellt werden.

1.17

Schließlich weist der Ausschuss darauf hin, dass wichtige Aspekte der Boden- und Forstbewirtschaftung eng mit dem Thema Wasser verknüpft sind.

1.18

Der EWSA weist mahnend darauf hin, dass die Erreichung der Ziele des Wasseraktionsplans auf Hindernisse stoßen wird. Alle am Prozess der Umsetzung des Wasseraktionsplans beteiligten Seiten sollten sich dieser Hürden bewusst sein und entsprechend dem Grad ihrer Verantwortung alles in ihrer Macht Stehende tun, um möglichst viele dieser Hindernisse zu beseitigen. Die Zivilgesellschaft sollte in diesen schwierigen Prozess eng eingebunden werden, indem sie angemessen informiert und an politischen Entscheidungen beteiligt wird und ihr Verhalten beim Umgang mit Wasser ändert.

2.   Hintergrundinformationen, Kommissionsdokumente

2.1

Wasser ist für Mensch, Natur und Wirtschaft lebensnotwendig. Wasser erneuert sich fortlaufend, ist aber auch endlich und kann nicht hergestellt oder durch andere Ressourcen ersetzt werden. Von den Wasservorräten auf der Erde sind nur etwa 2 % Süßwässer, die konkurrierende Nachfrage kann dazu führen, dass die globalen Wasservorräte bis 2030 um schätzungsweise 40 % zurückgehen.

2.2

Das Paket umfasst zwei wichtige Berichte und einen Plan der zentralen notwendigen Maßnahmen:

den Bericht über die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) – Bewirtschaftungspläne für Flusseinzugsgebiete,

den Bericht über die Überprüfung der EU-Strategie zur Bekämpfung von Wasserknappheit und Dürren,

den Blueprint zum Schutz der europäischen Wasserressourcen.

2.3

Zudem sind zahlreiche Studien verfügbar, die die breite Palette an Problemen im Zusammenhang mit Wasser aufzeigen. Soweit dies aus den vorliegenden Dokumenten ersichtlich ist, werden in dem Wasseraktionsplan die zentralen Probleme aufgegriffen.

2.4

Zur Klarstellung und Unterstützung der Umsetzung wurden im Rahmen der gemeinsamen Strategie für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in einem offenen und partizipativen Verfahren unter Teilnahme zahlreicher Interessengruppen 26 Leitfäden zu verschiedenen Aspekten der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie erarbeitet.

2.5

Die Anhörung der Öffentlichkeit ergab, dass die gemeinsame Umsetzungsstrategie die relevanten Themen ganz oder teilweise abdeckte und dass die Leitfäden bei der praktischen Umsetzung der EU-Wasserpolitik von Nutzen waren. Einige Themen (wie etwa die Kosten-Nutzen-Analyse, die Zielsetzung) bedürfen jedoch weiterer Klarstellungen, und der Nutzen der Leitfäden wäre größer, wenn diese zu einem früheren Zeitpunkt im Umsetzungszeitplan erarbeitet worden wären.

2.6

Die Fortschritte, die durch den ganzheitlichen Ökosystem-Ansatz bei der Wasserpolitik erzielt worden sind, könnten sich als unzureichend erweisen. In Zukunft könnte es notwendig sein, die Definition des "guten Zustands" zu überprüfen und sicherzustellen, dass diese zur Vermeidung künftiger Verschlechterungen ausreichend ambitioniert ist. Zudem wird nun dem Schutz der Ökosystemdienstleistungen größere Bedeutung beigemessen.

2.7

Im Rahmen des Fitnesschecks wurden die wichtigsten zu lösenden Probleme aufgezeigt:

Wasserqualität: aus dem ersten Bewirtschaftungsplan für Flusseinzugsgebiete (2009) geht hervor, dass mehr als die Hälfte der Oberflächengewässer in Europa nicht die Kriterien eines "guten ökologischen Zustands" erfüllen. Zusätzlich zu den Maßnahmen im Rahmen älterer Richtlinien (Nitratrichtlinie, Richtlinie über kommunale Abwässer, Richtlinie über Industrieemissionen) sind zur Umsetzung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie weitere Vorkehrungen notwendig.

Wasserknappheit wird zu einem immer größeren Problem in Europa. Große Gebiete, insbesondere in Südeuropa, sind von Wasserknappheit betroffen und durch konkurrierende Nutzung steigt in ganz Europa die Nachfrage. In mehreren europäischen Regionen stellt Wasserknappheit eine unmittelbare und langfristige Gefahr für die Ökosysteme und die Wasserversorgung der Landwirtschaft, Industrie und Haushalte dar.

Die Überschwemmungen und Dürren sowie die ökologischen und ökonomischen Schäden, die sie verursachen, scheinen in den vergangenen dreißig Jahren an Häufigkeit und Intensität zugenommen zu haben. Dies lässt sich sowohl auf den Klimawandel als auch auf andere anthropogene Belastungen (wie etwa die Veränderung der Bodennutzung) zurückführen. Flutkatastrophen in Europa haben seit 1998 etwa 700 Menschenleben gefordert, zur Umsiedlung etwa einer halben Million Menschen geführt und einen (versicherten) wirtschaftlichen Schaden von mindestens 25 Mrd. EUR verursacht.

Weitere signifikante Belastungen der Gewässer in der EU gehen von Schadstoffeinleitungen, hydromorphologischen Veränderungen und Wasserentnahmen aus, die größtenteils auf demografisches Wachstum, Landnutzung und Wirtschaftstätigkeit zurückzuführen sind.

2.8

In den vergangenen Jahrzehnten konnte die Einleitung von Schadstoffen in europäische Gewässer erfolgreich reduziert und eine Verbesserung der Wasserqualität herbeigeführt werden. Den Informationen im ersten Bewirtschaftungsplan zufolge befinden sich mehr als die Hälfte der Oberflächengewässer in Europa in einem weniger als guten ökologischen Zustand und machen zur Erfüllung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie weitere Maßnahmen erforderlich. Die stärksten Belastungen für Oberflächengewässer gehen von diffusen Verunreinigungsquellen aus, die zu Nährstoffanreicherung führen, sowie von hydromorphologischen Belastungen, die Veränderungen der Lebensräume zur Folge haben.

2.9

In dem Wasseraktionsplan wird eingeräumt, dass die aquatische Umwelt in der EU sehr unterschiedlich ist; entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip werden daher keine einheitlichen Lösungen vorgeschlagen. Zu seinen Schwerpunktthemen gehören: Verbesserung der Flächennutzung, Bekämpfung der Wasserverunreinigung, Verbesserung von Wassereffizienz/Widerstandsfähigkeit und bessere Bewirtschaftung der Wasserressourcen durch die verantwortlichen Stellen.

2.10

Der Wasseraktionsplan enthält für die Lösung der ausstehenden Probleme zahlreiche spezifische Maßnahmen/Programme auf verschiedenen Ebenen, die in drei Aktionsbereiche unterteilt sind:

Umsetzung

Einbeziehung der wasserpolitischen Ziele in andere EU-Politikbereiche

Schließung der Lücken im bestehenden Rahmen.

Die Maßnahmen sind bereits in Angriff genommen worden und sollen, mit Ausnahme der langfristigen Maßnahmen/Programme bis 2021, voraussichtlich bis 2016 abgeschlossen sein.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss würdigt den Umfang und die Qualität der Arbeit, die in der Vorbereitungsphase des Wasseraktionsplans geleistet wurde. Die den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete zugrunde liegenden Erfahrungen im Zusammenhang mit Gewässern wurden dabei ebenso herangezogen und eingehend geprüft wie Studien von Sachverständigen. Erfreulich ist auch die Tatsache, dass das Wasserrecht in europäischen Ländern schon immer ein wichtiger Bestandteil der Rechtsstruktur war und dementsprechend in diesem Bereich ein großer Erfahrungsschatz gesammelt werden konnte.

3.2

Bei der Suche nach Lösungen für die zahlreichen Probleme und die Einhaltung des Grundsatzes des Zugangs zu gesundem Trinkwasser und grundlegender Sanitärversorgung auf globaler Ebene wurden alle vier grundlegenden Prinzipien des Umweltrechts angemessen berücksichtigt.

3.3

In dem Wasseraktionsplan wird zwar der großen Bandbreite an natürlichen Gegebenheiten, die die Gewässer in der EU aufweisen, nicht offiziell Rechnung getragen, aber es werden praktische Maßnahmen für die spezifischen Probleme einzelner Regionen/Flusseinzugsgebiete vorgeschlagen. Der EWSA begrüßt das Konzept der Flusseinzugsgebiete als Bausteine der EU-Wasserpolitik, da hierdurch die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine möglichst effiziente Lösung zentraler Probleme erleichtert wird.

3.4

Der Ausschuss würdigt auch den Fitnesscheck, der hier mit zum ersten Mal durchgeführt wurde und eine wichtige Bewertung der Wasserpolitik als solcher und deren Stellenwert innerhalb des gesamten Regelwerks verwandter Politikbereiche beinhaltet.

3.5

Obwohl der EWSA den Wasseraktionsplan und die entsprechenden Hintergrundpapiere für außerordentlich gelungen hält, muss der Durchführung der geplanten Maßnahmen jedoch noch größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wie auch in anderen Bereichen wird auch in diesem Fall die Umsetzung Schwierigkeiten bereiten und muss oberste Priorität haben. Für den Erfolg dieses Plans sollten alle erdenklichen politischen Bemühungen, Anreize und Methoden des System-/Projektmanagement zum Einsatz kommen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Bei der Umsetzung der vorhandenen Vorschriften (Aktionsbereich 1) sollte der Eindämmung diffuser Quellen der Verunreinigung mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, indem Nitrataktionsprogramme gestärkt werden. Die Gründe für die Verzögerungen sollten gründlich analysiert werden, und die erforderlichen Verbesserungen sollten je nach den konkreten Bedingungen in den jeweiligen Flusseinzugsgebieten mit angemessenen Anreizen gefördert werden.

4.2

Das Verursacherprinzip ist auch in diesem Fall anzuwenden, jedoch muss eine solche Verpflichtung korrekt definiert werden und auf realistischen Annahmen/Bewertungen des Wasserkreislaufs beruhen. Der Verursacher sollte verpflichtet sein, für die von ihm verursachte und nachgewiesene tatsächliche Verschmutzung zu zahlen.

4.3

Die Bemühungen um weitere Eindämmung der Verschmutzung durch industrielle Punktquellen beruhen auf der Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen. Neben dem Verursacherprinzip, das bei Punktquelle gut zu bestimmen ist, muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angewandt werden.

4.4

Die Anwendung des Verursacherprinzips erfordert angemessene Messungen (Mengen) und gegebenenfalls Kontrollen (Schadstoffe), um für zusätzliche Maßnahmen über eine solide Grundlage zu verfügen. Diese Anforderungen sollten dem Ort und dem Ausmaß des zu lösenden Problems angemessen sein.

4.5

Leider ist in vielen Teilen Europas noch kein vollständiges Bild der Wasserströme verfügbar. In dem Wasseraktionsplan wird zu Recht die Entwicklung der Wasserkonten in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und der Europäischen Umweltagentur gefordert. Diese Konten ermöglichen es den für die Bewirtschaftung der Flusseinzugsgebiete Verantwortlichen zu berechnen, wie viel Wasser genutzt werden kann und wie viel Wasser zur Erhaltung der Ökosystemfunktionen (ökologisch erforderlicher Wasserabfluss) zurückbehalten werden sollte. Der Ausschuss empfiehlt nachdrücklich, diese Maßnahmen so rasch wie möglich abzuschließen.

4.6

In vielen Teilen Europas ist es aufgrund der exzessiven Entnahme von Wasser zu Bewässerungszwecken unmöglich, einen guten Zustand der Gewässer zu erreichen. Illegale Wasserentnahmen stellen in einigen Regionen mit Wasserknappheit ein ernsthaftes Problem dar. Anhand von Studien zur Überprüfung der Daten des Programms Copernicus/GMES könnten die Mitgliedstaaten illegale Wasserentnahmen ausfindig machen. Das GMES-Programm erhielte damit als Projekt von EU-weiter Bedeutung zusätzliches Gewicht.

4.7

Der Ausschuss hält es für wichtig, eine gemeinsame Methode zur Kostenanlastung zu entwickeln, die vergleichbare Ergebnisse in der gesamten EU ermöglicht. Dies würde gewährleisten, dass alle Wassernutzer durch entsprechende Anreize zum effizienten Wasserverbrauch angeregt werden.

4.8

Der EWSA weist auf verschiedene Beispiele von Initiativen und Konzepten in Gebieten mit Wasserknappheit hin, die auf seiner öffentlichen Anhörung zu diesem Thema vorgestellt wurden. Darüber hinaus wurden unter dem Motto "Mehr Ertrag pro Tropfen" einige Untersuchungen zur effizienten Wassernutzung veröffentlicht. Die Ergebnisse dieser Arbeiten könnten herangezogen werden, um den Bedarf der Landwirtschaft und die verfügbaren Wasserressourcen in Gebieten mit Wasserknappheit in Einklang zu bringen. Auch hier ist beim Umgang mit derart sensiblen Fragen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzuwenden.

4.9

Auch Aktionsbereich 2, die Einbeziehung der wasserpolitischen Ziele in andere EU-Politikbereiche, erfordert zahlreiche, im Wasseraktionsplan genannte Maßnahmen.

4.10

Der Ausschuss betont, dass die Gelegenheit besonders günstig ist, den Wasseraktionsplan mit der GAP in Einklang zu bringen, da das Parlament, der Rat und die Kommission zurzeit den Plan für die nächsten sieben Jahre festlegen. In den folgenden Bereichen sollte diese Chance nicht vertan werden:

Einbeziehung der wesentlichen Maßnahmen der Wasserrahmenrichtlinie in den Cross-Compliance-Mechanismus

Ökologisierung von Säule I der GAP, vor allem in Gebieten von Umweltinteresse

Erarbeitung von Programmen zur Entwicklung des ländlichen Raums zur Lösung von Wasserproblemen

Finanzielle Förderung im Rahmen der Säule II der GAP für verbesserte und effiziente Bewässerungssysteme (Auflagenbindung in Bezug auf Umweltbelange, z.B. Verbrauchsmessung durch Zähler)

Förderung von Maßnahmen zur Förderung der natürlichen Wasserrückhaltung (Auen, Feuchtgebiete oder Pufferstreifen an Flussufern, wichtige Maßnahmen zur Wiederherstellung der Funktion der Ökosysteme Die finanzielle Unterstützung betroffener Gebiete im Rahmen der zweiten Säule ist von entscheidender Bedeutung Außerdem sollten Maßnahmen im Rahmen von LIFE+, Horizont 2020 usw. unterstützt werden.

4.11

Die Hochwasserschutzmaßnahmen (die derzeit in Mitteleuropa sehr aktuell sind) würden auch eine koordinierte Finanzierung erfordern, möglicherweise aus Mitteln der Strukturfonds. Zudem wurden einige der (als Reaktion auf frühere Überschwemmungen) geplanten Maßnahmen wegen verschiedener administrativer Hindernisse nicht zu Ende geführt. Solche dringenden Probleme würden auch ebenso dringliche Maßnahmen auf Verwaltungsebene erfordern.

4.12

Der Ausschuss begrüßt die Innovationspartnerschaften für Wasser sowie für landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit. Es ist zu betonen, dass diese Initiativen in den Mitgliedstaaten von der Basis entwickelt wurden und die Kommission dabei eine koordinierende Funktion hatte. Durch diese Einbeziehung der Akteure in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen vergrößern sich die Erfolgsaussichten.

4.13

Politische Maßnahmen außerhalb von Süßwassergebieten können ebenfalls zur Vermeidung von Wasserverschmutzung beitragen. So müssen beispielsweise die Rechtsvorschriften zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden, zu Industrieemissionen, zu Arzneimitteln ebenso wie die REACH-Verordnung mit den geplanten Maßnahmen im Rahmen der Wasserrahmenrichtlinie in Einklang gebracht werden.

4.14

Aktionsbereich 3, Schließung der Lücken im bestehenden Rahmen, konzentriert sich zu Recht auf eine effizientere Wassernutzung mit dem entscheidenden Aspekt der Erhöhung des Potenzials für die Wiederverwendung von Wasser. Um die erwünschten und erwarteten Ergebnisse zu erzielen, müssen zunächst Kriterien für eine gefahrlose Wiederverwendung von Wasser aufgestellt werden. Die Wiederverwendung an sich könnte natürlich in denselben/ähnlichen Anlagen erfolgen, doch würde die Nutzung von Wasser nacheinander durch unterschiedliche Verbraucher/Anlagen ein sorgfältig austariertes Gleichgewicht sowohl der benötigten Mengen als auch der benötigten Qualität erforderlich machen.

4.15

So ist beispielsweise die vollständige Schließung von Wasserkreisläufen auch mittels einer einzigen Operation fast unmöglich, da der Gehalt an anorganischen Salzen in diesen Kreisläufen ständig steigt. Deshalb muss ein sicheres Gleichgewicht hergestellt werden, damit die Prozesse ohne Störungen betrieben werden können.

4.16

Schließlich stellt der Ausschuss fest, dass wichtige Aspekte der Boden- und Forstbewirtschaftung eng mit wasserbezogenen Themen verknüpft sind. Aufgrund der bisweilen gegensätzlichen Anforderungen der verschiedenen Politikbereiche geraten die Waldbestände im Hinblick auf die Erbringung ihrer nichtproduktiven Dienstleistungen unter erheblichen Druck. Hier wäre unter anderem ihre Rolle als wichtigstes natürliches Mittel der Wasserrückhaltung, als Kohlendioxidsenke sowie ihr Beitrag zur Bewahrung der Artenvielfalt zu nennen. Um der Bedeutung der Wälder in der EU gerecht zu werden, sollten bei der Lebenszyklusanalyse alle Aspekte berücksichtigt und auch ausgewogene Maßnahmen eingeplant werden.

4.17

Die Themen Wasser und Boden sind nicht voneinander zu trennen. Der Ausschuss fordert dazu auf, dem Boden angemessene Aufmerksamkeit zu schenken, räumt jedoch die subsidiäre Natur der Bodenagenda ein. In der weiteren Arbeit an dem Wasseraktionsplan sollten Elemente, die beiden Bereichen gemeinsam sind, gründlicher behandelt werden.

4.18

Der EWSA weist mahnend darauf hin, dass die Erreichung der Ziele des Wasseraktionsplans auf Hindernisse in folgenden Bereichen stoßen wird.

Marktversagen (Mindereinnahmen, Kosten-Nutzen-Verteilung)

Mangelnde Finanzierung, schädliche Beihilfen

Gesetzliche Hürden

Fehlende Koordinierung

Mangelnder politischer Wille

Die Einbeziehung der wasserpolitischen Ziele in andere sektorbezogene politische Maßnahmen existiert nur auf dem Papier.

Alle am Prozess der Umsetzung des Wasseraktionsplans beteiligten Seiten sollten sich der Gefahren bewusst sein und entsprechend dem Grad ihrer Verantwortung alles in ihrer Macht stehende tun, um möglichst viele dieser Hindernisse zu beseitigen. Die Zivilgesellschaft sollte in diesen schwierigen Prozess eng eingebunden werden, indem sie angemessen informiert und an politischen Entscheidungen beteiligt wird und ihr Verhalten beim Umgang mit Wasser ändert.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen

:

112

Nein-Stimmen

:

129

Enthaltungen

:

12


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/102


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zur Reduzierung der Kosten des Ausbaus von Hochgeschwindigkeitsnetzen für die elektronische Kommunikation

COM(2013) 147 final — 2013/0080 (COD)

2013/C 327/17

Berichterstatter: Thomas McDONOGH

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 12. bzw. 16. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zur Reduzierung der Kosten des Ausbaus von Hochgeschwindigkeitsnetzen für die elektronische Kommunikation

COM(2013) 147 final — 2013/0080 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 180 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss erachtet den universellen Zugang zu Hochgeschwindigkeitsnetzen für die elektronische Kommunikation als unabdinglich für die Förderung von Wachstum, Beschäftigung und Zusammenhalt in Europa. Der Ausschuss unterstützt nachdrücklich die Breitbandziele der Digitalen Agenda (1), die sich jedoch ohne gezielte Anstrengungen der Mitgliedstaaten und der Kommission im Hinblick auf eine Verbesserung der angebots- und nachfrageseitigen Rahmenbedingungen für eine flächendeckende Breitbandversorgung in der EU nur schwer verwirklichen lassen.

1.2

Der Ausschuss ist außerordentlich enttäuscht über den Beschluss des Europäischen Rates, die im Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2014 bis 2020 vorgesehenen Mittel für digitale Infrastrukturen von 9,2 Mrd. EUR auf nur 1 Mrd. EUR zu kürzen. Durch diese Kürzung entfallen die Fördermittel für den Breitbandausbau, was vor allem zu Lasten der ärmeren und benachteiligten Regionen der EU geht.

1.3

Der Ausschuss begrüßt die von der Kommission vorgeschlagene Verordnung. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind eine wichtige Voraussetzung für die Überbrückung der digitalen Kluft und den Breitbandausbau in ländlichen Gebieten.

1.4

Die Kommission sollte Überlegungen dazu anstellen, wie der Zugang zum Hochgeschwindigkeits-Breitband als universelles Recht aller Bürger unabhängig von ihrem Aufenthaltsort verankert werden kann. Die Kommission warf im Jahr 2010 die Frage auf, ob der "Breitbandzugang für alle" in die bestehende Universaldienstverpflichtung aufgenommen werden sollte (2). Im Interesse des Wohlergehens der Bürger, der Beschäftigung und der digitalen Inklusion bedarf diese Frage dringend einer Antwort.

1.5

Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre nationalen Breitbandpläne unverzüglich fertig zu stellen.

1.6

Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten überlegen, mit welchen finanziellen und sonstigen Fördermaßnahmen die Privatwirtschaft zu Investitionen in den Ausbau des Hochgeschwindigkeits-Breitbandnetzes in dünn besiedelten Gebieten bewegt werden könnte.

1.7

Der Ausschuss geht davon aus, dass neben umfangreichen privatwirtschaftlichen Investitionen in den Hochgeschwindigkeits-Breitbandausbau noch schätzungsweise bis zu 60 Mrd. EUR öffentliche Mittel bereitgestellt werden müssen, um die Ziele der digitalen Agenda für 2020 zu erreichen. Er fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, diesen kritischen Finanzierungsbedarf in den Haushalten zu berücksichtigen.

1.8

Die Kommission sollte sich mit dem Problem befassen, dass Breitbandanbieter ihren Kunden nicht die vertraglich zugesicherten Übertragungsgeschwindigkeiten bieten. Diese "Nicht-Erfüllung" und irreführende Werbung untergräbt das Vertrauen in den digitalen Markt, beeinträchtigt die Nachfrage und muss durch entschiedene Maßnahmen angegangen werden.

1.9

Auf der Grundlage der vorgeschlagenen Verordnung sollte die Kommission einen europaweiten Großhandelsmarkt für Breitbandinfrastruktur entwickeln.

1.10

Die Kommission, die nationalen Regulierungsbehörden und die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass in allen Gebieten der Union ein wettbewerbsfähiger Markt für Breitbandinfrastruktur entwickelt wird.

1.11

Der Ausschuss stellt fest, dass die vorgeschlagene Verordnung neue Geschäftsmöglichkeiten für Versorgungsunternehmen und Verkehrsdienste im Breitbandinfrastrukturmarkt eröffnen wird. Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten diese Unternehmen gezielt ermutigen, diese Geschäftsmöglichkeiten zu nutzen.

1.12

Der Ausschuss verweist die Kommission auf seine jüngsten Stellungnahmen zum Breitbandausbau und zur Überbrückung der digitalen Kluft: Eine Digitale Agenda für Europa  (3), Funkfrequenzpolitik / Breitbandnetze  (4) und Die Digitale Agenda für Europa – digitale Impulse für das Wachstum in Europa (CES959-2013, noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1   Zweck

2.1.1

In der Mitteilung "Binnenmarktakte II – Gemeinsam für neues Wachstum" wurde die Kostensenkung des Breitbandausbaus als eine von zwölf wachstumsfördernden Leitaktionen genannt.

2.1.2

Der Hochgeschwindigkeits-Breitbandausbau hat sich vor allem in den Städten aufgrund des Flickwerks an Regeln und Verwaltungsverfahren auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene verlangsamt.

2.2   Ziele

2.2.1

Die Verordnung hebt auf folgende Ziele ab:

Senkung der Kosten und Investitionsrisiken durch die Verschlankung der Planungs- und Investitionsprozesse für die Breitbandversorgung;

Beseitigung der Hindernisse für ein gutes Funktionieren des Binnenmarkts, die durch das Flickwerk an Regeln und Verwaltungsverfahren für die Bereitstellung von Breitbandinfrastrukturen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene entstehen;

Förderung einer flächendeckenden Breitbandversorgung;

Gewährleistung der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung der Unternehmen und Investoren im Bereich Breitbandversorgung.

2.3   Die vorgeschlagene Verordnung

2.3.1

Um die Kostensenkungs- und Effizienzziele zu erreichen, werden in der Verordnung eine Reihe direkt geltender Rechte und Pflichten für Netz- und Infrastrukturbetreiber in Bezug auf die verschiedenen Schritte des Infrastrukturausbaus festgelegt.

2.3.2

Folgende rechtliche Bestimmungen sind vorgesehen, um die Verordnungsziele zu erreichen:

Zugang zu bestehenden physischen Infrastrukturen: Jeder Netzbetreiber (Eigentümer von Telekommunikations- und anderen Infrastrukturen – dem Verordnungsvorschlag zufolge ist ein "Netzbetreiber" ein Betreiber eines elektronischen Kommunikationsnetzes oder ein Unternehmen, das eine physische Infrastruktur betreibt, die dazu bestimmt ist, Erzeugungs-, Leitungs- oder Verteilungsdienste für Gas, Strom (einschließlich öffentlicher Beleuchtung), Fernwärme und Wasser (einschließlich Abwasserbehandlung und -entsorgung) sowie Verkehrsdienste (einschließlich Schienen, Straßen, Häfen und Flughäfen) bereitzustellen) hat das Recht, den Zugang zu seinen Infrastrukturen anzubieten, und eine Pflicht, allen zumutbaren Anträgen auf Zugang zu seinen physischen Infrastrukturen zwecks Einrichtung elektronischer Hochgeschwindigkeits-Kommunikationsnetze – Festnetz- und Funk-Breitband – stattzugeben;

Informationen über bestehende Infrastrukturen: Breitbandanbieter werden berechtigt sein, über eine zentrale Informationsstelle Zugang zu Mindestinformationen über bestehende Infrastrukturen zu erhalten und Vor-Ort-Untersuchungen bestehender physischer Infrastrukturen durchzuführen;

Koordinierung von Bauarbeiten: Jeder Netzbetreiber hat das Recht, Vereinbarungen in Bezug auf die Koordinierung von Bauarbeiten mit den für die Bereitstellung von Komponenten von Hochgeschwindigkeits-Breitbandnetzen zugelassenen Unternehmen auszuhandeln. Im Hinblick auf eine reibungslose Koordinierung der Arbeiten müssen Netzbetreiber auf Antrag Mindestinformationen über laufende oder geplante Bauarbeiten an ihren physischen Infrastrukturen zur Verfügung stellen;

Genehmigungserteilung: Jeder Breitbandanbieter hat über eine zentrale Informationsstelle elektronischen Zugang zu allen Informationen über die Bedingungen und Verfahren für die Erteilung von Genehmigungen für Bauarbeiten und kann über diese zentrale Informationsstelle auch Genehmigungen beantragen. Die zuständigen Behörden müssen die Genehmigungen innerhalb von sechs Monaten nach Eingang des Antrags erteilen oder ablehnen;

Gebäudeinnenausstattung: Alle neuen Gebäude sowie umfangreich renovierte alte Gebäude müssen mit hochgeschwindigkeitsfähigen gebäudeinternen physischen Infrastrukturen bis zu den Netzabschlusspunkten ausgestattet werden.

2.3.3

Konflikte zwischen Netzbetreibern und Breitbandanbietern über ihre Rechte und Pflichten werden erforderlichenfalls durch eine zuständige nationale Streitbeilegungsstelle – die nationale Regulierungsbehörde oder eine andere zuständige Behörde – geschlichtet.

2.3.4

Nach Annahme durch das Europäische Parlament und den Rat würde die Verordnung unmittelbar EU-weit gelten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Breitband ist wesentlich

3.1.1

Breitbandnetze sind die grundlegende notwendige Infrastruktur für die Digitale Agenda und die Vollendung des digitalen Binnenmarkts. Die wirtschaftliche Bedeutung der Breitbanddienste kann nicht genug betont werden. Breitbandzugang fördert Wirtschaftswachstum: Die Weltbank geht davon aus, dass je 10 % höherer Breitbandpenetration das BIP um 1,5 % steigt. Flächendeckende Hochgeschwindigkeitsanschlüsse sind Voraussetzung für den Ausbau neuer transformativer Technologien und Dienste wie Cloud Computing und intelligente Netze.

3.1.2

In Anerkennung der Relevanz von Breitband für Wachstum und Beschäftigung wurden in der Digitalen Agenda folgende Ziele gesetzt: bis 2013 eine grundlegende Breitbandanbindung für alle Europäer und bis 2020 1) Breitbandzugang mit Geschwindigkeiten von 30 Mbit/s für alle Europäer und 2) Internetanschlüsse mit mehr als 100 Mbit/s für mindestens 50 % der europäischen Haushalte. Diese Ziele werden aber nur zu erreichen sein, wenn es gelingt, die Kosten des Infrastrukturausbaus EU-weit zu senken, und Sondermaßnahmen ergriffen werden, um die Breitbandversorgung in ländlichen und benachteiligten Gebieten der Union sicherzustellen.

3.2   Kostengünstig und qualitativ hochwertig

3.2.1

Kostengünstige qualitativ hochwertige Breitbandinfrastrukturen sind eine grundlegende Komponente für eine dynamische Wirtschaft im 21. Jahrhundert. Wissensbasierte Unternehmen werden dort entstehen, wo die erforderlichen Qualifikationen und Infrastrukturen vorhanden sind, um sie zu unterstützen. Außerdem werden immer mehr fortgeschrittene Gesundheits-, Bildungs- und Sozialdienstleistungen von der Versorgung mit schnellem und ultraschnellem Breitband abhängen.

3.2.2

Die Netzqualität, die Kosten der Netzbereitstellung und wettbewerbsfähige Endnutzerpreise sind wichtige Managementkriterien gut durchdachter Programme. Da 80 % der Kosten für die Netzinfrastruktur auf Bauarbeiten entfallen, müssen sich die nationalen und lokalen Behörden bemühen, durch eine effiziente Koordinierung der Infrastrukturvorhaben für eine erhebliche Verminderung der Kosten zu sorgen.

3.3   Universelles Recht

3.3.1

Der Ausschuss hat die Kommission schon mehrfach und erst jüngst wieder in seiner Stellungnahme zum Thema "Die Digitale Agenda für Europa – digitale Impulse für das Wachstum in Europa" (5) aufgefordert, Überlegungen dazu anzustellen, wie der Zugang zum Hochgeschwindigkeits-Breitband als universelles Recht aller Bürger unabhängig von ihrem Aufenthaltsort verankert werden kann. Eine Antwort tut dringend Not.

3.4   Ultraschnelles Breitband ist notwendig

3.4.1

Die in der Digitalen Agenda vorgegebenen Breitbandversorgungsziele für 2020 werden in nicht allzu ferner Zukunft von den raschen Entwicklungen bei der Breitbandtechnologie und den internetbasierten Diensten (bspw. HD-Videokonferenzen) überholt werden. In einigen Ballungszentren (http://arstechnica.com/tech-policy/2012/07/tokyo-seoul-and-paris-get-faster-cheaper-broadband-than-us-cities/) gibt es bereits ultraschnelle Breitband-Internetverbindungen mit Übertragungsraten von bis zu 1 Gbit/s (1 000 Mbit/s), und es entstehen videobasierte Dienste, die diese hohen Übertragungsraten benötigen.

3.4.2

In der gesamten EU müssen umfangreiche Investitionen in Hochgeschwindigkeits-Internetverbindungen getätigt werden, um mit der weltweiten Entwicklung der Internetwirtschaft Schritt halten zu können.

3.5   EU fällt zurück

3.5.1

Wie die Kommission jüngst in ihrer Mitteilung über die Bedeutung der Digitalen Agenda für die Wachstumsförderung in Europa (6) einräumte, fällt Europa beim Breitbandausbau im globalen Wettbewerb zurück.

3.5.2

Investitionen in den Hochgeschwindigkeits-Breitband-Ausbau erfolgen in Teilen Asiens und in den USA rascher und ermöglichen eine wesentlich bessere Versorgung und höhere Datenübertragungsraten. Im Dezember 2011 war Südkorea mit 20,6 % Anschlüssen auf 100 Einwohner (doppelt so viel wie in Schweden) beim Glasfaser-Ausbau weltweit Spitzenreiter (Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Begleitdokument zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zur Reduzierung der Kosten des Ausbaus von Hochgeschwindigkeitsnetzen für die elektronische Kommunikation SWD(2013) 73 final Part 1 (nur EN)).

3.6   Digitale Kluft

3.6.1

Aus dem Resümee ("Scoreboard") der Digitalen Agenda (https://ec.europa.eu/digital-agenda/en/scoreboard) und den jüngsten von Eurostat veröffentlichten Statistiken (http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/information_society/data/main_tables) ist abzulesen, dass die digitale Kluft breiter wird und das Gefälle zwischen den Mitgliedstaaten erheblich ist. 2012 hatten 28 % der Haushalte in der EU27 keine Breitband-Internetverbindung. 90 % der Haushalte ohne Breitband-Internetverbindung waren in ländlichen Gebieten angesiedelt. 35 Millionen Haushalte in ländlichen Gebieten warten noch immer auf eine Hochgeschwindigkeits-Internetverbindung, und wenn die Menschen, die außerhalb von Großstädten leben, diesbezüglich vernachlässigt werden, wird ihre wirtschaftliche und soziale Benachteiligung weiter zunehmen.

3.6.2

Die in der von der Kommission vorgeschlagenen Verordnung vorgesehenen Maßnahmen bieten eine Grundlage, um über eine Reform der Planungsvorschriften, eine intelligente Infrastrukturplanung, Investitionsanreize und innovative Technologie die Breitbandkluft zu überwinden.

3.7   Investitionsbedarf

3.7.1

Der Ausschuss war außerordentlich enttäuscht über den Beschluss des Rates vom Februar, die im Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2014 bis 2020 vorgesehenen Mittel für digitale Infrastrukturen und Dienste im Rahmen der Durchführung der Fazilität "Connecting Europe" von 9,2 Mrd. EUR auf nur 1 Mrd. EUR zu kürzen. Durch diese Kürzung würden die Fördermittel für den Breitbandausbau entfallen, was vor allem zu Lasten der ärmeren und benachteiligten Regionen der EU gehen und die digitale Kluft weiter verbreitern würde.

3.7.2

Die im Mehrjährigen Finanzrahmen für den Breitbandausbau vorgesehenen Mittel sollten von der Kommission für die Förderung des Breitbandmarkts verwendet werden, doch betragen diese Mittel nur einen Bruchteil des Finanzierungsbedarfs für die Verwirklichung der Breitbandziele gemäß der Digitalen Agenda. Den Beratern zufolge, die die Kommission mit der Prüfung der Finanzierungslücke beauftragt hat, müssen schätzungsweise zusätzliche 62 Mrd. EUR öffentliche Mittel bereitgestellt werden, um die 2020-Ziele zu erreichen (von Analysys Mason Limited für die Europäische Kommission erstellte Studie "The socio-economic impact of bandwidth", 2012).

3.7.3

Diese umfangreichen Investitionen müssen vor allem durch die Privatwirtschaft getätigt werden, doch müssen gezielte Anreize für privatwirtschaftliche Investitionen in ländlichen Gebieten gesetzt werden, die aufgrund ihrer geringen Bevölkerungsdichte für Investoren nicht interessant sind. Die Europäische Investitionsbank hat bereits eine Reihe solcher Projekte finanziert und wird diese Art Unterstützung auch weiterhin in großem Umfang leisten müssen. Die Kommission sollte sich gezielt damit befassen, wie die europäischen Institutionen und die Mitgliedstaaten die privatwirtschaftliche Finanzierung des Breitbandausbaus besser fördern können.

3.7.4

Aktion 48 im Rahmen der Digitalen Agenda sieht die Finanzierung des Hochgeschwindigkeits-Breitbandnetzes über die Strukturfonds vor. Dabei sollte auch der Kohäsionsfonds einbezogen werden.

3.8   Förderung des Angebots

3.8.1

Regional- und Kommunalbehörden können für die Förderung der Breitbandversorgung in ihren Regionen eine wichtige Rolle spielen, indem sie ÖPP-Initiativen einleiten und die in dem Verordnungsvorschlag vorgesehenen Maßnahmen möglichst rasch und wirksam umsetzen.

3.8.2

Die vorgeschlagene Verordnung bietet noch mehr neuen Marktteilnehmern Zugang zum Markt für die Bereitstellung von Breitbandanschlüssen und -diensten, insbesondere Nicht-Telekommunikationsunternehmen mit umfangreichen Infrastrukturen, die für die Bereitstellung von Hochgeschwindigkeitsnetzen genutzt werden könnten. Die Mitgliedstaaten und die Kommission sollten diese neuen Marktteilnehmer gezielt motivieren.

3.8.3

Die vorgeschlagene Verordnung bietet ferner die Möglichkeit, den Markt für grenzüberschreitende Investitionen von Unternehmen in ganz Europa in die Infrastrukturbereitstellung zu öffnen. Die Kommission sollte prüfen, inwieweit dieser Binnenmarkt für Infrastrukturen gefördert werden könnte, indem europaweit für eine bessere Wahrnehmung der Investitionsmöglichkeiten gesorgt wird, das Investitionsrisiko für Investoren aus einem anderen Mitgliedstaat verringert wird und eventuell spezielle Finanzinstrumente (bspw. Anleihen) aufgelegt werden, die Investitionen in den problematischsten Regionen attraktiver machen.

3.8.4

Durch innovative Technologie-Lösungen, u.a. den verstärkten Einsatz von Drahtlos-Technologien, muss raschestmöglich der Breitbandausbau vorangetrieben und die wachsende digitale Spaltung zwischen Stadt und Land bekämpft werden.

3.8.4.1

Vor allem ist es unabdinglich, das Programm für die Funkfrequenzpolitik (7) in den Mitgliedstaaten umfassend umzusetzen, um sicherzustellen, dass im Hinblick auf die 2020-Ziele ausreichende und geeignete Frequenzen für Versorgungs- und Kapazitätserfordernisse der drahtlosen Breitbandtechnologie zugeteilt und verfügbar gemacht werden.

3.8.4.2

Über Satellitentechnologie können die abgelegensten Gebiete der EU mit Breitband versorgt werden. Allerdings werden Satellitenverbindungen aufgrund ihrer Bandbreiten, Kosten und Übertragungsgeschwindigkeiten nur von untergeordneter Bedeutung sein und bis 2020 womöglich weniger als 10 % der Breitbandanschlüsse mit Geschwindigkeiten von 30 Mbit/s in Europa ausmachen.

3.9   Anregung der Nachfrage

3.9.1

Eine vor allem in dünn besiedelten Gebieten schwache Breitband-Nachfrage hemmt Investitionen in den Netzausbau; indes gibt es in Gebieten ohne Hochgeschwindigkeits-Internetverbindungen immer eine große latente Nachfrage.

3.9.2

Die Kommission und die Mitgliedstaaten müssen über eine Reihe gezielter Maßnahmen die Breitband-Nachfrage stimulieren, u.a. durch zielgruppenorientierte öffentliche Informationskampagnen, öffentliche WiFi-Hotspots, die Weiterentwicklung der elektronischen Behördendienste und die Förderung von E-Kompetenz sowie eSkills. Die Maßnahmen zur Anregung der Nachfrage sollten insbesondere auf ländliche Gebiete ausgerichtet werden.

3.9.3

Wesentliche Voraussetzung für eine höhere Breitbandpenetration ist die Transparenz der Breitbandkosten und -tarife. In ganz Europa beschweren sich die aktuellen Breitbandnutzer, dass die Datenübertragungsraten hinter den von ihren Providern vertraglich zugesicherten Übertragungsgeschwindigkeiten zurückbleiben. Diese "Nicht-Erfüllung" und irreführende Werbung untergräbt das Vertrauen in den digitalen Markt, beeinträchtigt die Nachfrage und muss durch entschiedene Maßnahmen angegangen werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Notwendigkeit einer Verordnung

4.1.1

Für in der elektronischen Kommunikation kommerziell tätige Unternehmen gibt es keine ausreichenden finanziellen Anreize, in vielen bevölkerungsarmen Gegenden in der EU in Breitbandinfrastruktur zu investieren. Der Ausschuss begrüßt daher, dass die vorgeschlagene Verordnung Maßnahmen vorsieht, um die mit der Breitbandversorgung verbundenen Kosten und Risiken erheblich zu senken und das Investitionsszenario für Netzbetreiber zu verbessern.

4.1.2

Im Interesse einer echten digitalen Inklusion und zur Gewährleistung eines größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzens einer flächendeckenden Hochgeschwindigkeits-Breitbandversorgung müssen die Mitgliedstaaten und die regionalen und lokalen Behörden Breitbandausbau und -nachfrage stärker fördern und dazu über geeignete Breitbandpläne für einen Ausgleich zwischen den hohen Investitionserträgen des Infrastrukturausbaus in dicht besiedelten Gebieten und den wesentlich weniger rentablen notwendigen Infrastrukturinvestitionen in rückständigen Gebieten herbeiführen. Die vorgeschlagene Verordnung wird ihnen das erleichtern.

4.1.3

Auf vielen Märkten gibt es einen alleinigen marktbeherrschenden Infrastrukturanbieter. Der Ausschuss hofft, dass durch eine wirksame Durchführung der Verordnung bessere Markteintrittsbedingungen für neue Netzbetreiber und wettbewerbsorientierte Angebote ermöglicht werden.

4.2   Kosteneinsparungen und Verbesserung der Zusammenarbeit

4.2.1

Der Mitteilung zufolge können Bauarbeiten bis zu 80 % der Kosten für den Breitbandausbau ausmachen. Durch die Durchführung der vorgeschlagenen Verordnung könnten die Betreiber schätzungsweise Investitionsausgaben in einer Größenordnung von 20-30 % der Gesamtinvestitionskosten, d.h. bis zu 63 Mrd. EUR bis 2020, einsparen. Die eingesparten 63 Mrd. EUR können dann in andere Wirtschaftsbereiche investiert werden.

4.2.2

Zusammenarbeit und gemeinsame Nutzung durch private Infrastrukturanbieter haben wesentlichen Einfluss auf Aspekte wie Effizienz, Tempo der Umsetzung, Umweltverträglichkeit und Verfügbarkeit wettbewerbsfähiger Preise für Endnutzer. Der Ausschuss stellt mit Befriedigung fest, dass die Verordnung für private Infrastrukturanbieter die Pflicht vorsieht, zuverlässige Informationen über bestehende und geplante Infrastruktureinrichtungen zu veröffentlichen, und Netzbetreibern Verpflichtungen zur Zusammenarbeit auferlegt, was einer guten Planung, Zusammenarbeit und einem effizienten Mitteleinsatz förderlich ist.

4.3   Natürliche Monopole

4.3.1

In dünn besiedelten Gebieten kann sich aus wirtschaftlichen Gründen nur ein Anbieter von Breitband-Kerninfrastruktur halten, so dass es praktisch ein natürliches Monopol gibt.

4.3.2

Diese natürlichen Monopolbedingungen können als Argument für ein Open-Access-Breitbandmodell dienen, bei dem ein alleiniger Anbieter, womöglich eine ÖPP, die Kernnetzinfrastruktur ausbaut und dann Netzkapazitäten zu fairen und gleichberechtigten Bedingungen an kleinere Diensteanbieter vermietet. Die Kommission könnte sich damit befassen, wie dieses Open-Access-Modell in Europa entwickelt und reguliert werden könnte, ohne dass der normale Wettbewerb beeinträchtigt wird.

4.4   Großhandelsmarkt

4.4.1

Die vorgeschlagene Verordnung würde Durchführungsvorschriften für die Entwicklung eines Großhandelsmarktes für Breitbandinfrastruktur bereithalten. Die Kommission könnte prüfen, wie durch die Verordnung ein solcher Markt vor allem in den abgelegenen Regionen der EU stimuliert werden könnte.

4.4.2

Ein Großhandelsmarkt für Dark-Fibre-(unbeschaltete Glasfaserkabel)-Infrastruktur oder Infrastruktur für drahtlose Datenübertragung könnte grenzübergreifend oder europaweit entstehen, sofern es zuverlässige Informationen über die Verbrauchernachfrage und bestehende Infrastruktur gäbe. Die Kommission sollte untersuchen, wie ein solcher Markt stimuliert und unterstützt werden könnte.

4.5   Nationale Breitbandpläne

4.5.1

Der Infrastrukturausbau insbesondere in ländlichen Gebieten erfordert eine wirksame nationale Strategie und Umsetzungsplanung. Alle Mitgliedstaaten haben mittlerweile eine Breitbandstrategie, doch fehlt es vielen von ihnen an Plänen für die Verwirklichung der Ziele der Digitalen Agenda. Die nationalen Strategien müssen in naher Zukunft aktualisiert und um konkrete Zielvorgaben und Durchführungsmaßnahmen für den Ausbau der Hochgeschwindigkeitsnetze erweitert werden.

4.5.2

Aktion 46 im Rahmen der Digitalen Agenda, der zufolge die Mitgliedstaaten nationale Breitbandpläne ausarbeiten und durchführen sollen, ist von der Kommission als "verspätet" gekennzeichnet worden. Durch diese Verzögerung werden Breitbandausbau und Investitionsvorhaben der Industrie beeinträchtigt. Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Pläne im Lichte der vorgeschlagenen Verordnung raschestmöglich zu überarbeiten.

4.5.3

Ein umfassender nationaler Breitbandplan mit u.a. ÖPP-Initiativen und gezielten Fördermaßnahmen für die Breitbandversorgung im ländlichen Raum würde es wesentlich leichter machen, EU-und EIB-Fördermittel in Anspruch zu nehmen.

4.6   Versorgungsunternehmen

4.6.1

Die vorgeschlagene Verordnung wird es Infrastruktureigentümern, die keine Telekommunikationsunternehmen sind, – also bspw. Energie-, Wasserversorgungs-, Verkehrs- und Abfallentsorgungsunternehmen – ermöglichen, ihre Infrastruktur zu Marktbedingungen für die Bereitstellung von Breitbanddiensten zur Verfügung zu stellen. Diese Unternehmen können sich dadurch neue Einnahmequellen erschließen, Infrastrukturkosten mit Breitbandanbietern teilen und so die für wesentliche Infrastrukturen anfallenden Kosten senken, und bei der Weiterentwicklung ihrer Kerndienstleistungen, bspw. dem Ausbau von intelligenten Netzen für Energieversorger, Synergien erzielen.

4.6.2

Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten sich bemühen, diese Unternehmen für die Chancen zu sensibilisieren, die ihnen durch den Breitbandausbau geboten werden, und ihnen die potenziellen positiven Auswirkungen der vorgeschlagenen Verordnung auf ihr Unternehmen verdeutlichen.

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2010) 245 final.

(2)  COM(2008) 572 final.

(3)  ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58-64.

(4)  ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 53-57.

(5)  "Digitales Wachstum – Zwischenbilanz", ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 127.

(6)  COM(2012) 784 final.

(7)  COM(2010) 471 final.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/108


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die mehrjährige Finanzierung der Maßnahmen der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs hinsichtlich der Verschmutzung durch Schiffe und der Meeresverschmutzung durch Erdöl- und Erdgasanlagen

COM(2013) 174 final

2013/C 327/18

Berichterstatterin: Anna BREDIMA

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union beschlossen jeweils am 16. bzw. 18. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die mehrjährige Finanzierung der Maßnahmen der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs hinsichtlich der Verschmutzung durch Schiffe und der Meeresverschmutzung durch Erdöl- und Erdgasanlagen

COM(2013) 174 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 10. Juli) mit 179 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der EWSA unterstützt die im Verordnungsvorschlag vorgesehene Aufstockung des EMSA-Haushalts von 154 Mio. EUR auf 160,5 Mio. EUR im Zeitraum 2014-2020. Er bekräftigt seine Unterstützung für die Ausweitung der Befugnisse der EMSA gemäß der Verordnung 100/2013.

1.2

Die Annahme des Verordnungsvorschlags erfolgt zu einem kritischen Zeitpunkt, was die Entdeckung von Öl- und Gasfeldern im östlichen Mittelmeer und entsprechende Initiativen zu ihrer raschen Ausbeutung durch Off-Shore-Bohrungen angeht. Durch diese Aktivitäten wird die Fähigkeit der EMSA, auf potenzielle Gefahren der Off-Shore-Bohrungen und des Transports von Öl und Gas zu reagieren, auf die Probe gestellt.

1.3

Der EWSA befürwortet zwar den vorgeschlagenen Finanzrahmen, hält ihn jedoch für möglicherweise unzureichend, um angesichts folgender Probleme die im Siebenjahreszeitraum erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen: stärkere Verkehrsströme (mehr Öl- und Gastanker auf See), verstärkte Bohrungen zur Öl- und Erdgasexploration in den die EU umgebenden Gewässern, weitere Küsten- und Inselstaaten, die der EU als Mitgliedstaaten beigetreten sind. Bei schwerwiegenderen Vorkommnissen kann die begrenzte Eingreifkapazität im Notfall zu höheren externen Kosten führen.

1.4

Der EWSA ist der Auffassung, dass die gegenwärtig bereitstehenden 19 Schiffe möglicherweise nicht für alle EU-Küstengebiete ausreichen, um die Mitgliedstaaten bei der Beseitigung von Verschmutzungen auf See zu unterstützen. Auch die Finanzmittel könnten sich als nicht ausreichend zur Weiterentwicklung von Satellitenbildern erweisen, die dazu dienen, die Emission von Schadstoffen aus Schiffen im gesamten EU-Gebiet zu ermitteln und einen Beitrag zu ihrer Aufnahme zu leisten.

1.5

Der EWSA fordert die EMSA auf, mit ihren neu erworbenen Befugnissen einen Beitrag zur Bekämpfung von Seepiraterie zu leisten. Die EMSA-Instrumente zur Satellitenüberwachung werden beim Aufspüren von Piratenschiffen von großem Nutzen sein.

1.6

Der EWSA fragt sich, ob die EU-Mitgliedstaaten und die Nachbarländer nach wie vor angemessen ausgestattet sind, um auf größere Unfälle wie die Havarien der Erika und der Prestige oder auf Katastrophen des Ausmaßes der Deepwater Horizon zu reagieren.

1.7

Der EWSA fordert die EU, ihre Mitgliedstaaten und die neuen benachbarten Küstenstaaten auf, die Umsetzung der folgenden regionalen Übereinkommen zu stärken, die in der Begründung des Verordnungsvorschlags genannt werden: die Übereinkommen von Helsinki, Barcelona und Bonn, das OSPAR-Übereinkommen sowie die Übereinkommen von Lissabon (das noch nicht in Kraft getreten ist) und von Bukarest.

1.8

Der EWSA fordert Maßnahmen der EMSA zur Feststellung unangemessener Aufnahmeeinrichtungen für Ölrückstände in EU-Häfen sowie Häfen benachbarter Staaten.

2.   Der Vorschlag der Europäischen Kommission

2.1

Die Europäische Kommission übermittelte am 3. April 2013 einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die mehrjährige Finanzierung der Maßnahmen der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs hinsichtlich der Verschmutzung durch Schiffe und der Meeresverschmutzung durch Erdöl- und Erdgasanlagen (1).

2.2

Als Reaktion auf die Meeresverschmutzung durch Schiffe im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2013 wurde mit der Verordnung 2038/2006 (2) (18. Dezember 2006) eine mehrjährige Finanzierung für die Tätigkeit der EMSA eingeführt.

2.3

Mit der Verordnung 100/2013 (15. Dezember 2013) wurden der EMSA neue Hauptaufgaben übertragen: Eingreifen bei Meeresverschmutzung durch Öl- und Gasanlagen sowie erweiterte Dienstleistungen der EMSA für die Länder, die sich um Aufnahme in die Union bemühen, und die Länder der Europäischen Nachbarschaftspolitik (3). In der vorliegenden Stellungnahme wird vor allem geprüft, inwieweit die Finanzierung der EMSA deren neuen Aufgaben entspricht. Der vorgeschlagene Finanzrahmen beläuft sich auf 160,5 Mio. EUR für einen Zeitraum von sieben Jahren (1. Januar 2014 – 31. Dezember 2020).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA unterstützt die im Verordnungsvorschlag vorgesehene Aufstockung des EMSA-Haushalts von 154 Mio. EUR auf 160,5 Mio. EUR im Zeitraum 2014-2020. Er bekräftigt seine Unterstützung für die Ausweitung der Zuständigkeit der EMSA gemäß der Verordnung 100/2013. Diese Position deckt sich mit dem Inhalt einer Reihe von EWSA-Stellungnahmen (4) zur Rolle der EMSA.

3.2

Mit der Verordnung 100/2013 wird der EMSA die Zuständigkeit übertragen, außer bei Verschmutzungen durch Schiffe auch bei Ölverschmutzungen durch Off-Shore-Erdöl- und -Erdgasanlagen einzugreifen. Vorausgegangen war die Explosion auf der Bohrinsel Deepwater Horizon im Golf von Mexiko (April 2010) und die darauf folgende Ölpest. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass das allgemeine Ziel des Kommissionsvorschlags darin besteht, eine effiziente Unterstützung der EU beim Eingreifen bei Meeresverschmutzung durch Schiffe und Verschmutzung durch Erdöl- und Erdgasanlagen durch die EMSA zu gewährleisten, die für die betroffenen Staaten nachhaltige Dienstleistungen im Bereich des Eingreifens bei Verschmutzung erbringt. Die Mitgliedstaaten können eine solche Unterstützung deshalb bei der Ausarbeitung/Überprüfung ihrer nationalen Pläne für das Eingreifen bei Meeresverschmutzung in Erwägung ziehen.

3.3

Der EWSA stellt fest, dass die EMSA mit dem vorgeschlagenen Finanzrahmen in die Lage versetzt werden soll, ihr Netz auf Abruf bereitstehender Ölbekämpfungsschiffe, das auf die EU-Meeresgebiete aufgeteilt ist, zu erhalten, und dass nur eine begrenzte Anzahl zusätzlicher neuer Schiffe zur Bekämpfung der Ölverschmutzung gebaut wird, um die Verschmutzung durch Schiffe und Off-Shore-Anlagen zu bekämpfen. Ferner wird erwartet, dass keine Mittel für die Modernisierung der Ausrüstungen zur Ölaufnahme, deren Zustand im Zeitraum 2014-2020 möglicherweise nicht mehr optimal sein wird, zur Verfügung stehen.

3.4

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Überwachung von Off-Shore-Ölanlagen durch das CleanSeaNet zur Feststellung illegaler Einleitungen vor allem durch die Mitnutzung von Satellitenbildern erfolgt, die zur Überwachung der Verschmutzung durch Schiffe angefordert werden. Der EWSA verweist auf eine frühere Stellungnahme (5), in der es heißt: "Angesichts der hohen Kosten eines solchen Satellitenbild-Servicezentrums hält es der EWSA für notwendig, die Ressourcen rationell zu nutzen und insbesondere die Nutzung dieser Bilder zwischen den Mitgliedstaaten abzustimmen, wodurch erhebliche Einsparungen erzielt werden können. Außerdem wären Investitionen in eine bessere Flächendeckung bei der bildmäßigen Erfassung sämtlicher Meeresgewässer der Gemeinschaft angebracht, da die Flächendeckung insbesondere im Mittelmeerraum derzeit nicht voll gegeben ist."

3.5

Der EWSA stellt fest, dass die Finanzmittel nicht dazu bestimmt sind, in Partnerländern der Europäischen Nachbarschaftspolitik technische Hilfe zu leisten und/oder Kapazitätsaufbau zu betreiben.

3.6

Die Annahme des Verordnungsvorschlags erfolgt zu einem kritischen Zeitpunkt, was die Erkundung neuer Energieträger für die EU angeht. Im östlichen Mittelmeer werden insbesondere die Entdeckung neuer unterseeischer Öl- und Erdgaslagerstätten und die anschließenden Bohrungen zur raschen Ausbeutung dieser Vorkommen die Fähigkeiten der EMSA, auf mögliche Gefahren zu reagieren, auf die Probe stellen. Der EMSA sollten zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, damit sie ihre Aufgaben diesbezüglich umfassend wahrnehmen kann. Der zunehmende Verkehr von Schiffen und insbesondere Erdöl- und Erdgastankern, die Entdeckung neuer Erdöl- und Erdgaslagerstätten sowie die darauf folgenden Bohrungen werden wesentlich mehr Schiffe im Mittelmeer und im Schwarzen Meer erfordern. Dass 19 Schiffe für die gesamte EU-Küste für den Zeitraum 2014-2020 ausreichen, ist eine sehr optimistische Einschätzung, die sich unter den gegebenen Umständen als äußerst verhalten erweisen kann.

3.7

Die Ausweitung der Zuständigkeiten der EMSA in dem genannten Bereich wird die Weiterentwicklung des Satellitenbild-Servicezentrums zu Überwachungszwecken, die Früherkennung von Verschmutzungen und die Feststellung der verantwortlichen Schiffe bzw. Erdöl- und Erdgasanlagen erfordern. Die Verfügbarkeit von Daten und die Effizienz der Maßnahmen zur Bekämpfung von Verschmutzungen sollten verbessert werden.

3.8

Der EWSA fragt sich, ob die EU-Mitgliedstaaten und die Nachbarländer nach wie vor angemessen ausgestattet sind, um auf größere Unfälle wie die Havarien der Erika und der Prestige oder auf Katastrophen des Ausmaßes der Deepwater Horizon zu reagieren.

3.9

Vor diesem Hintergrund ist der EWSA der Auffassung, dass zusätzliche Mittel eingeplant werden sollten, um die Ausrüstungen zum Eingreifen bei Ölverschmutzung an Bord der per Vertrag verpflichteten Schiffe zu ersetzen, zusätzliche auf Abruf bereitstehende Schiffe zum Aufnehmen von Öl bereitzustellen, damit auch Gebiete mit Off-Shore-Anlagen abgedeckt sind, die gegenwärtig nicht in vertretbarer Reichweite sind (z.B. die Arktis), zusätzliche Dispersionsmittel und –ausrüstungen für Off-Shore-Verschmutzungen anzuschaffen, die Dienstleistungen des CleanSeaNet auf Gebiete mit Off-Shore-Anlagen auszuweiten und die Unterstützung für die Länder der Europäischen Nachbarschaftspolitik abzudecken.

3.10

Der EWSA fordert die EMSA auf, mit ihren neu erworbenen Befugnissen einen Beitrag zur Bekämpfung von Seepiraterie zu leisten. Die Instrumente und Daten der EMSA, insbesondere die Satellitenüberwachung, werden sich als nützlich für das Aufspüren von Piratenschiffen erweisen. Die Bereitstellung von Angaben zu Schiffspositionen sollte zu einer der Hauptaufgaben der EMSA werden, jedoch nur auf Antrag der nationalen Behörden erfolgen. Der EWSA bekräftigt seine Auffassung, dass die EMSA einen Beitrag zur Bekämpfung der Piraterie leisten muss, die er bereits in seiner Stellungnahme "Seepiraterie – Verstärkte EU-Maßnahmen" (16. Januar 2013) und der entsprechenden öffentlichen Anhörung (24. Januar 2013) formuliert hat.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Artikel 2: Begriffsbestimmungen

Die Definition von "Öl" im Verordnungsvorschlag bezieht sich auf die Definition des Internationalen Übereinkommens von 1990 über Vorsorge, Bekämpfung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Ölverschmutzung. Der EWSA fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, das Übereinkommen konsequenter umzusetzen.

4.2   Artikel 2: Begriffsbestimmungen

Die Definition der "gefährlichen und schädlichen Stoffe" bezieht sich auf die Definition des Protokolls von 2000 über Vorsorge, Bekämpfung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verschmutzung durch gefährliche und schädliche Stoffe. Der EWSA fordert die EU und jene Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, auf, dem Protokoll beizutreten und es umzusetzen.

4.3   Artikel 4: Finanzmittel der Union

4.3.1

Der EWSA stellt fest, dass die Unterstützung der EMSA für Länder, die unter die Erweiterungspolitik oder die Europäische Nachbarschaftspolitik fallen, aus Mitteln bestehender Programme der Union für diese Länder finanziert werden und daher nicht Teil dieses mehrjährigen Finanzrahmens sein sollte.

4.3.2

Der EWSA unterstützt zwar den vorgeschlagenen Finanzrahmen, bezweifelt jedoch, dass er angesichts der anstehenden Aufgaben ausreichen wird, um die im Siebenjahreszeitraum erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen: stärkere Verkehrsströme (mehr Öl- und Gastanker) und verstärkte Bohrungen zur Ausbeutung von Erdöl- und Erdgasvorkommen in den die EU umgebenden Gewässern. Bei schwerwiegenderen Vorkommnissen kann die begrenzte Eingreifkapazität im Notfall zu höheren externen Kosten führen.

4.4   Artikel 5: Kontrolle bestehender Kapazitäten

Da die Meeresverschmutzung an der Grenze nicht Halt macht, fordert der EWSA mit Blick auf die Liste der öffentlichen und privaten Verschmutzungsbekämpfungsmechanismen in der EU Maßnahmen zur Berücksichtigung entsprechender Verfahren der an die EU angrenzenden Küstenstaaten. Zwar beschränkt sich die vorliegende Stellungnahme auf Verschmutzungen durch Unfälle, doch regt der EWSA Maßnahmen der EMSA zur Ermittlung unangemessener Aufnahmeeinrichtungen in EU-Häfen sowie Häfen benachbarter Küstenstaaten an. Betriebsbedingte Verschmutzungen erregen im Gegensatz zu Verschmutzungen durch Unfälle weitaus weniger Medienaufmerksamkeit und öffentliches Interesse, tragen aber zu einem größeren Teil zur Gesamtverschmutzung der Meere bei.

4.5   Der EWSA fordert die EU, ihre Mitgliedstaaten und die benachbarten Küstenstaaten auf, die Umsetzung der folgenden regionalen Übereinkommen zu stärken, die in der Begründung des Verordnungsvorschlags genannt werden: die Übereinkommen von Helsinki, Barcelona und Bonn, das OSPAR-Übereinkommen, sowie die Übereinkommen von Lissabon (das noch nicht in Kraft getreten ist) und von Bukarest. Der EWSA ist der Auffassung, dass (gemeinsame) Übungen zur Bekämpfung von Verschmutzungen, die von den Übereinkommen veranstaltet werden, weiter ausgebaut werden sollten. Darüber hinaus hält er den Austausch von Experten im Bereich der Meeresverschmutzung für notwendig. Deshalb sollte durch das EMSA-Programm EMPOLLEX (Programm zum Austausch von Experten für Meeresverschmutzung) ein engerer Austausch zwischen den Mitgliedstaaten erleichtert werden.

4.6   Der EWSA betont erneut, dass die benachbarten Küstenstaaten das Ur-Seerechtsabkommen, das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 (UNCLOS), uneingeschränkt umsetzen müssen, das die Rechtsgrundlage für Maßnahmen gegen Meeresverschmutzung, Bohrungen auf dem Meeresgrund und umweltfreundlichen Seeverkehr bietet.

4.7   Die per Vertrag verpflichteten Schiffe können beträchtliche Mengen ausgelaufenes Öl aufnehmen und verfügen über verschiedene Systeme zur Aufnahme von Öl. Nach Auffassung des EWSA sollten die von der EMSA per Vertrag verpflichteten Schiffe zur Aufnahme von Öl aus dem Meer auch für das Leichtern und den Transfer von Schiff zu Schiff eingesetzt werden können.

Brüssel, den 10. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2013) 174 final.

(2)  ABl. L 394 vom 30.12.2006, S. 1.

(3)  ABl. L 39 vom 9.2.2013, S. 30.

(4)  ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 15.

ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 153.

ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 81.

ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 173.

ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 103.

ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 20.

ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 31.

ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 16.

ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 52.

(5)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 16.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/111


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für den Zugang zum Markt für Hafendienste und für die finanzielle Transparenz der Häfen

COM(2013) 296 final — 2013/0157 (COD)

2013/C 327/19

Hauptberichterstatter: Jan SIMONS

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 19. Juni bzw. am 10. Juni 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 100 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Rahmens für den Zugang zum Markt für Hafendienste und für die finanzielle Transparenz der Häfen

COM(2013) 296 final — 2013/0157 (COD).

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft am 21. Mai 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten (Art. 59 GO) bestellte der Ausschuss auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) Jan SIMONS zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 81 gegen 2 Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Fazit und Empfehlungen

1.1

Der EWSA stimmt einer Kombination aus einem Ansatz mit unverbindlichen Regelungen ("soft law") und unvermeidlichen Rechtsvorschriften zu.

1.2

Der Ansatz der Kommission, die Vorschläge auf alle 319 TEN-V-Häfen anzuwenden, wobei die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, die Bestimmungen der Verordnung auch auf andere Häfen anzuwenden, wird vom EWSA befürwortet.

1.3

Angesichts der derzeit geringen Auswirkungen akzeptiert der EWSA den Vorschlag der Kommission, Personenverkehr und Ladungsumschlagsdienste vom Anwendungsbereich der Verordnung auszunehmen. Allerdings empfiehlt der EWSA, bei der Anwendung besonders auf Lotsendienste, Festmachen und Schleppen zu achten und ihren verschiedenen Auswirkungen angemessen Rechnung zu tragen, damit diese Dienste auf der Grundlage einer unabhängigen Beurteilung ohne jeglichen kommerziellen Druck durchgeführt werden können, der Sicherheit, Gefahrenabwehr und Umweltschutz der Hafengemeinschaft und der breiten Öffentlichkeit beeinträchtigen könnte.

1.4

Der EWSA ist zufrieden darüber, dass die Garantie der Arbeitnehmerrechte in die Verordnung aufgenommen wurde, fragt sich gleichwohl, warum die Umsetzung der Richtlinie 2001/23/EG freigestellt ist. Bezüglich der sozialen Aspekte, die bei öffentlichen Aufträgen und Konzessionsverträgen zu berücksichtigen sind, verweist der EWSA auf seine Stellungnahme vom 26. April 2012 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (1). Zudem ist mit der Einführung eines unabhängigen sozialen Dialogs im Hafensektor kürzlich ein langgehegter Wunsch des EWSA in Erfüllung gegangen.

1.5

Der Grundgedanke der Kommission, die finanzielle Transparenz im Hafensektor zu vergrößern, wird vom EWSA unterstützt, da dadurch Informationen über mögliche staatliche Beihilfen schneller bekannt werden.

1.6

Die Handelsfreiheit des Leitungsorgans des Hafens bei der Festlegung der Hafentarife wird durch die Anführung von allerlei Kriterien und die Übertragung von Befugnissen an die Kommission praktisch zunichte gemacht. Unter Ziffer 5.5 wird eine Lösung vorgeschlagen.

1.7

Nach Ansicht des EWSA ist das in Artikel 17 angeführte unabhängige Aufsichtsorgan, das die Anwendung dieser Verordnung überwachen soll, überflüssig. Das Wettbewerbsrecht ist ausreichend und falls nicht, ist eine spezifische Regelung zu finden.

1.8

Die Kommission möchte die Verordnung bereits drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten bewerten und möglicherweise neue Maßnahmen vorschlagen. Der EWSA hält diesen Zeitraum für zu kurz und regt an, innerhalb von drei Jahren eine Zwischenbewertung mit reinen Anmerkungen zu erstellen und die endgültige Bewertung mit Schlussfolgerungen erst nach sechs Jahren vorzunehmen.

2.   Einleitung

2.1

Aller guten Dinge sind drei! Zum dritten Mal unterbreitet die Europäische Kommission Vorschläge zu Seehäfen der Union – diesmal mit einer neuen Ausgangslage und einem anderen Ansatz.

2.2

Neu sind die Aufnahme von 319 Seehäfen in das transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-V) und die Fazilität "Connecting Europe" (CEF) mit dem Ziel, die Seehäfen und ihre Verbindungen mit dem Hinterland zu verbessern. Dadurch sind die Seehäfen jetzt per Definition ein europäisches Anliegen, aber auch – zumindest potenziell – Konkurrenten.

2.3

Die unverbindlichen Regelungen der Vergangenheit hatten nahezu keinerlei Wirkung auf den gleichberechtigten Marktzugang und die Transparenz. Deshalb schlägt die Kommission jetzt, neben einer Reihe anderer Aktionen, eine verbindliche Maßnahme – eine Verordnung – für die zwei vorgenannten Punkte vor, damit die Häfen der EU zu einem Motor für Wachstum und kombinierten Verkehr werden.

3.   Die Kommissionsdokumente

3.1

Nach einer langen und detaillierten Konsultation, wie in der Wirkungsanalyse beschrieben, schlägt die Kommission in ihrer Mitteilung "Häfen als Wachstumsmotor" ein Paket von acht zusätzlichen, sogenannten unverbindlichen Aktionen vor, die sie für die Entwicklung des Potenzials der 319 Häfen, von denen 83 Teil des TEN-V-Kernnetzes sind, für notwendig hält.

3.2

Die Kommission weist darauf hin, dass das Grundprinzip der EU-Strategie darin besteht, jegliches unnötige Eingreifen in Häfen mit guten Leistungen zu vermeiden, jedoch rückständigen Häfen unter Berücksichtigung der Vielfalt und der besonderen Gegebenheiten der einzelnen Häfen durch die Einführung "bewährter Verfahrensweisen" und eines gesunden Managementkonzepts Unterstützung anzubieten.

3.3

Der Hafenbetrieb trägt direkt zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Die 2 200 Hafenbetreiber beschäftigen derzeit etwa 110 000 Hafenarbeiter und die Häfen in den 22 Küstenmitgliedstaaten bieten insgesamt bis zu 3 Millionen (direkte und indirekte) Arbeitsplätze. Außerdem sind sie eine wichtige Steuereinnahmequelle für die Behörden.

3.4

In dem Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung eines Rahmens für den Zugang zum Markt für Hafendienste und für die finanzielle Transparenz der Häfen wird das Prinzip der Dienstleistungsfreiheit ausdrücklich auf alle Dienstleistungsformen in sämtlichen TEN-V-Häfen angewandt.

3.5

Der Abschnitt über den Marktzugang (Kapitel II) und die Übergangsmaßnahmen (Artikel 24) des Verordnungsvorschlags gelten jedoch nicht für Fahrgast- und Ladungsumschlagsdienste.

3.6

Das Leitungsorgan des Hafens hat die Möglichkeit, an den Dienstleister Qualitäts- und Verfügbarkeitsanforderungen zu stellen, wobei sie die Zahl der Dienstleister für eine spezifische Dienstleistung aufgrund von Flächenknappheit beschränken kann, sofern dies in einem offiziellen Entwicklungsplan für den Hafen klar festgelegt ist oder einem Betreiber eine eindeutige und öffentlich dokumentierte Gemeinwohlverpflichtung auferlegt wird.

3.7

Die Kommission weist darauf hin, dass die Rechte der Arbeitnehmer gewährleistet werden und die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben müssen, diese Rechte im Falle der Übernahme eines Unternehmens und des Personals des ehemaligen Unternehmens weiter zu stärken.

3.8

In dem Vorschlag wird präzisiert, dass die Finanzbeziehungen zwischen den Leitungsorganen der Häfen und den öffentlichen Behörden transparent sein müssen, vor allem wenn das Leitungsorgan des Hafens öffentliche Mittel erhält.

3.9

Das Leitungsorgan des Hafens legt die Entgelte für die Nutzung der Hafeninfrastruktur autonom und entsprechend seiner eigenen gewerblichen Strategie und seinem Investitionskonzept fest, wobei diese Entgelte unterschiedlich hoch angesetzt werden können, je nach Häufigkeit der Nutzung des Hafens und/oder um eine effizientere Nutzung der Hafeninfrastruktur und des Kurzstreckenseeverkehrs oder aber eine hohe Umweltverträglichkeit, Energieeffizienz oder Kohlenstoffeffizienz des Verkehrs zu fördern.

3.10

In dem Vorschlag werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine unabhängige nationale Stelle zu haben, die die Anwendung der vorliegenden Verordnung überwacht.

3.11

Dabei muss es sich um eine rechtlich selbstständige und in ihrer Funktion von den Leitungsorganen der Häfen oder Hafendiensteanbietern unabhängige Stelle handeln. Sie bearbeitet Beschwerden, ist berechtigt, von den Leitungsorganen der Häfen, Hafendiensteanbietern und Hafennutzern die Vorlage von Informationen zu verlangen, die erforderlich sind, um Aufsicht und Überwachung der Anwendung dieser Verordnung zu gewährleisten, und fasst verbindliche Beschlüsse, gegen die nur vor Gericht Berufung eingelegt werden kann.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission mit der Veröffentlichung der Mitteilung, der Wirkungsanalyse und des Verordnungsvorschlags einen Schritt hin zur Öffnung des Marktzugangs zu Hafendiensten und größerer finanzieller Transparenz der Häfen unternommen hat. Der EWSA weist auf die Bedeutung einer Verbesserung der Qualität der Dienstleistungen und einer Erhöhung der Investitionen in die Häfen hin, die für ein gutes Funktionieren des Marktes dringend notwendig sind. Sicherheit, Sicherung, Umwelt sowie der Koordinierungsaufgabe der Union wird ebenfalls gebührend Rechnung getragen.

4.2

Die Vorschläge umfassen sowohl einen Ansatz mit unverbindlichen Regelungen – die acht in der Mitteilung aufgeführten Aktionen – als auch einen verbindlichen Ansatz in Form eines Verordnungsvorschlags. Ganz allgemein sollten nach Ansicht des EWSA soweit möglich unverbindliche Regelungen und, wo es sich nicht vermeiden lässt, Rechtsvorschriften zum Einsatz kommen. Diese Überlegungen hat der EWSA bereits früher in seiner Stellungnahme über eine Europäische Hafenpolitik angestellt (2).

4.3

Der Verordnungsvorschlag gilt für alle 319 Häfen des TEN-V, da sie aufgrund ihrer Natur eine wichtige Rolle für das europäische Verkehrssystem spielen. Allerdings können die Mitgliedstaaten beschließen, die Bestimmungen dieser Verordnung auch auf andere Häfen anzuwenden. Der EWSA ist mit dem – in seinen Augen – pragmatischen Ansatz der Kommission einverstanden.

4.4

Der EWSA stellt fest, dass die Ladungsumschlags- und Fahrgastdienste von den Marktzugangsbestimmungen und Übergangsmaßnahmen der Verordnung ausgenommen sind (Artikel 11). Die Kommission argumentiert hier, dass Ladungsumschlags- und Fahrgastdienste (soweit es um Kreuzfahrtlinien geht) häufig über Konzessionen abgewickelt werden, während Fahrgastverkehr per Fährdienst in der Regel eine Gemeinwohlverpflichtung ist. Der EWSA kann die Argumentation der Kommission nachvollziehen.

4.5

Der Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit in den Seehäfen ist ein entscheidendes Element dieser Verordnung. Es sind vier Möglichkeiten vorgesehen, diese Freiheit einzuschränken:

die Möglichkeit von Mindestanforderungen an die Erbringung von Hafendiensten;

die Beschränkung der Zahl der Anbieter von Hafendiensten;

gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen;

der Rückgriff auf einen internen Betreiber.

Der EWSA kann sich mit diesem Ansatz zur Handhabung des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit, der die Möglichkeit einzelner, spezifischer auf die Seehäfen zugeschnittener Einschränkungen bietet, anfreunden. Allerdings empfiehlt der EWSA, bei der Anwendung besonders auf Lotsendienste, Festmachen und Schleppen zu achten und ihren verschiedenen Auswirkungen angemessen Rechnung zu tragen, damit diese Dienste auf der Grundlage einer unabhängigen Beurteilung ohne jeglichen kommerziellen Druck durchgeführt werden können, der Sicherheit, Gefahrenabwehr und Umweltschutz der Hafengemeinschaft und der breiten Öffentlichkeit beeinträchtigen könnte.

4.5.1

Es ist nicht klar, warum der "interne Betreiber" (Artikel 9) auf gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen beschränkt ist. Denn rein kommerzielle Gründe, wie die Sicherstellung der Kontinuität und der Verfügbarkeit einer Dienstleistung, können das Leitungsorgan eines Hafens dazu veranlassen, eine bestimmte Dienstleistung selber erbringen zu wollen, ohne dass es dabei ausdrücklich um eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung geht und/oder dass die Flächenknappheit oder vorbehaltene Flächennutzung zur Begrenzung der Zahl der Anbieter führt. Die letztgenannte Möglichkeit sollte in der Verordnung ebenfalls vorgesehen werden.

4.6

Der EWSA begrüßt, dass Artikel 10 in die Verordnung aufgenommen wurde, der die Arbeitnehmerrechte garantiert. Der EWSA fragt sich, warum die Umsetzung der Richtlinie 2001/23/EG freigestellt ist. Bezüglich der sozialen Aspekte, die bei öffentlichen Aufträgen und Konzessionsverträgen zu berücksichtigen sind, verweist der EWSA auf seine Stellungnahme über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (3).

4.7

Die Kommission hat verschiedene Artikel in die Verordnung aufgenommen (Artikel 12 ff.), die die finanzielle Transparenz und Autonomie fördern sollen. Unter anderem müssen die Hafenbehörden offenlegen, wie viel öffentliche Unterstützung sie erhalten, und dafür eine getrennte Buchführung haben, wenn das Leitungsorgan des Hafens selbst auch Hafendienste erbringt. Der EWSA verficht eine möglichst große Transparenz und begrüßt die diesbezüglichen Vorschläge.

4.8

Nach Ansicht des EWSA ist das in Artikel 17 genannte unabhängige Aufsichtsorgan, das die Anwendung dieser Verordnung überwachen soll, überflüssig, da unnötig: so wird gerade die Tendenz der Häfen, als kommerzielle Akteure eine marktorientierte Qualität zu liefern, konterkariert. Das geltende nationale und europäische Wettbewerbsrecht ist ausreichend und dort, wo es nicht angewandt wird, muss die Kommission Maßnahmen gegen den entsprechenden Mitgliedstaat ergreifen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Das Erfordernis eines sozialen Dialogs im Hafensektor erscheint umso offensichtlicher, als 2030 schätzungsweise 15 % mehr Hafenarbeiter als heute benötigt werden. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein reibungsloses Funktionieren der Häfen ist nach Auffassung des EWSA ein gutes soziales Klima und die Bereitschaft aller Beteiligten zu einem konzertierten Handeln.

5.2

Deshalb ist der EWSA erfreut, dass am 19. Juni 2013 ein "EU-Ausschuss für den sozialen Dialog" eingerichtet wurde, in dem die Sozialpartner in völliger Unabhängigkeit u.a. die Arbeitsbedingungen erörtern können.

5.3

Der EWSA begrüßt den Vorschlag, dass das Entgelt für die Nutzung der Hafeninfrastruktur nach Konsultation der Hafennutzer festgesetzt wird. Er hält diese Art der Festsetzung der Hafeninfrastrukturentgelte für transparent.

5.4

Ein Pluspunkt der Verordnung ist nach Ansicht des EWSA, dass die Hafenbehörden offenlegen müssen, wie viel öffentliche Unterstützung sie erhalten und wie diese in ihre Kosten integriert ist. Dadurch werden staatliche Beihilfen früher erkennbar, was der finanziellen Transparenz zugutekommt.

5.5

Ein Aspekt, der dem EWSA sehr wichtig ist, nämlich die Handelsfreiheit der Hafenbehörde bei der Festlegung der Hafentarife (Artikel 14 Absätze 1, 2 und 3), wird in den folgenden Absätzen dieses Artikels praktisch wieder zunichte gemacht, indem allerlei Kriterien angeführt und der Kommission Befugnisse übertragen werden. Im Falle der Streichung dieser Absätze und die einfache Hinzufügung der Wörter "und Wettbewerb" am Ende von Absatz 3, d.h. nach "mit den Vorschriften über staatliche Beihilfen", bliebe diese Freiheit bestehen.

5.6

Die Kommission schlägt vor, bereits drei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung einen Bericht über die Folgen dieser Rechtsetzung zu veröffentlichen. Nach Ansicht des EWSA sollte dies ein Zwischenbericht sein, denn die Frist ist für eine endgültige Beurteilung zu kurz. Eine Bestandsaufnahme nach sechs Jahren wäre hingegen sehr wohl gerechtfertigt.

5.7

Schließlich erinnert der Ausschuss daran, dass weitere Schritte erforderlich sind, um einen fairen Wettbewerb zwischen EU-Häfen und Häfen benachbarter Drittstaaten zu gewährleisten.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 191, 29.06.2012, S. 84.

(2)  ABl. C 27, 3.2.2009, S. 45.

(3)  ABl. C 191, 29.06.2012, S. 84.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/115


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste (laufendes Programm)

COM(2013) 130 final

2013/C 327/20

Berichterstatterin: Milena ANGELOVA

Mitberichterstatter: Raymond HENCKS

Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union beschlossen am 16. April bzw. am 16. Juli 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste (laufendes Programm)

COM(2013) 130 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) mit 136 gegen 6 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt die größere Rechtssicherheit, die der aktuelle Vorschlag sowohl den Fluggästen als auch den Luftfahrtunternehmen bringt, indem die entsprechenden in der Verordnung verwandten Begriffe genauer definiert werden, womit den Grundsätzen der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union Rechnung getragen und ein solider Rechtsrahmen geschaffen wird. Der Ausschuss bedauert jedoch, dass die Kommission in ihrem Vorschlag kein hohes Verbraucherschutzniveau vorsieht.

1.2

Der EWSA befürwortet grundsätzlich die Maßnahmen, die die Luftfahrtunternehmen jeweils ergreifen müssen, um den Fluggästen im Falle einer großen Verspätung, alternativen Beförderung und Verschiebung von Flügen Ausgleichsleistungen zu bieten sowie bei verspäteten oder verpassten Flügen ihren allgemeinen Komfort zu erhöhen. Der EWSA ist jedoch insbesondere nicht mit den Ausgleichsleistungen einverstanden, die der Verordnungsvorschlag für Verspätungen bzw. große Verspätungen bei Flügen bzw. Kurzstreckenflügen vorsieht und dabei von der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union abweicht.

1.3

Der EWSA begrüßt, dass der Vorschlag nach Durchführung einer ausführlichen Folgenabschätzung unterbreitet wird und weist darauf hin, dass die wirksame und rechtzeitige Umsetzung des Legislativpakets "Einheitlicher europäischer Luftraum II+" ein wichtiges Instrument ist, das die Kosten der Luftfahrtunternehmen reduzieren dürfte.

1.4

Der EWSA lehnt den Vorschlag der Kommission ab, die einen Ausgleichsanspruch begründende Verspätungsgrenze zu erhöhen, weil sie damit von drei aufeinanderfolgenden Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union abweicht.

1.5

Der EWSA kann die Gründe für eine deutliche Erhöhung der einen Ausgleichsanspruch begründenden Verspätungsgrenze bei Langstreckenflügen nachvollziehen, fordert die Kommission gleichwohl auf, weiterhin nach Anreizen für die Luftfahrtunternehmen zu suchen, deutlich unter diesen Schwellenwerten zu bleiben. Bei Menschen mit Behinderungen oder mit eingeschränkter Mobilität sollten sie noch weiter gesenkt werden, um den diesen Personengruppen bei jedweder großen Verspätung entstehenden besonderen Kosten Rechnung zu tragen.

1.6

Der EWSA begrüßt die Einführung einer Frist und die Tatsache, dass ein Luftfahrtunternehmen, das nicht in der Lage ist, dem Fluggast mit eigenen Verkehrsdiensten eine anderweitige Beförderung zu bieten, die Möglichkeit der Beförderung mit einem anderen Luftfahrtunternehmen oder einem anderen Verkehrsträger zu prüfen hat. Allerdings hält der Ausschuss eine Wartezeit von zwölf Stunden bis zur Nutzung anderer Dienste oder Luftfahrtunternehmen für zu lang. Außerdem sollte ein Fluggast die Möglichkeit haben, die Beförderung mit einem anderen Verkehrsträger (z.B. Bus, Zug oder Schiff) abzulehnen. Zur Deckung der Zusatzkosten für die schnellstmögliche Umbuchung auf ein anderes Luftfahrtunternehmen wiederholt der EWSA seinen Vorschlag, gemäß dem Grundsatz der "gesamtschuldnerischen Haftung" einen Fonds für die Repatriierung oder alternative Beförderung durch andere Luftfahrtunternehmen zu schaffen.

1.7

Was die Definition des Begriffs "außergewöhnliche Umstände" anbelangt, sollte nach Meinung des EWSA klar festgelegt werden, dass die Verspätungen, Flugplanänderungen oder Annullierungen nur dann als außergewöhnliche Umstände zu erachten sind, wenn sie

1.

aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind,

2.

von ihm nicht zu beherrschen sind und

3.

sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

Es wird daher jedes Mal, wenn außergewöhnliche Umstände geltend gemacht werden, zu prüfen sein, ob diese tatsächlich alle drei Bedingungen erfüllen, was bei einigen der in Anhang 1 des Verordnungsvorschlags genannten Umstände (z.B. Gesundheits- oder Sicherheitsrisiken, Wetterbedingungen oder Arbeitsstreitigkeiten) nicht unbedingt immer gegeben sein dürfte.

1.8

Der EWSA ersucht die Kommission um eine Regelung, die in Bezug auf andere Verkehrsträger neutral ist, um nicht gegen das Prinzip der Gleichbehandlung zu verstoßen und nicht einen Verkehrsträger gegenüber den anderen zu bevorzugen.

2.   Einführung

2.1

Die Verbesserung des Luftverkehrs war der Europäischen Kommission auch in den letzten Jahren stets ein vorrangiges Anliegen. Durch die Einhaltung immer strengerer Gemeinschaftsregeln für die Sicherheit, die Effizienz und die ökologischen Auswirkungen der Luftfahrt im einheitlichen europäischen Luftraum (1) sind die Luftverkehrsdienste verbessert und die geltenden Fluggastrechte gestärkt worden. Der EWSA hat zu allen relevanten Texten Stellungnahmen erarbeitet (2) und die Kommission aufgefordert, ihre Bemühungen in derselben Richtung fortzusetzen, unter der Maßgabe, dass mehr getan werden muss.

2.2

Angesichts der Tatsache, dass Flugreisen kein Luxus mehr sind, sondern eine Notwendigkeit, um beruflichen Anforderungen gerecht werden zu können und den EU-Bürgern die Ausübung ihres selbstverständlichen Rechts auf Freizügigkeit zu ermöglichen, ist der EWSA der Ansicht, dass es noch immer Bereiche gibt, die näher untersucht werden müssen, sowohl um die Wahrung der Fluggastrechte zu gewährleisten als auch um den Luftfahrtunternehmen ein solides rechtliches und wirtschaftliches Umfeld zu bieten, dank dessen sie auf einem äußerst hart umkämpften Markt erfolgreich sein können. Zu den Bereichen, in denen der rechtliche Rahmen verbessert und die geltenden Rechtsvorschriften wirksamer angewandt werden müssen, gehört auch die Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1

Mit diesem Vorschlag wird die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 geändert. Er beruht auf einer Reihe von Entwicklungen:

die Luftfahrtunternehmen verweigern Fluggästen häufig die ihnen bei Nichtbeförderung, großer Verspätung oder Annullierung von Flügen und unsachgemäßer Behandlung des Gepäcks zustehenden Rechte;

die Kommission stellte 2011 fest, dass aufgrund von Grauzonen und Lücken in den geltenden Rechtsvorschriften, diese von den Mitgliedstaaten und den verschiedenen Luftverkehrsunternehmen uneinheitlich angewandt wurden;

die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hat eine wesentliche Rolle gespielt, z.B. bei der Festlegung, was als "außergewöhnlicher Umstand" anzusehen ist und auf welche Ausgleichsleistungen im Falle einer großen Verspätung ein Anspruch besteht.

3.2

Hauptziel des Vorschlags ist es, die grundlegenden Rechte von Fluggästen zu garantieren – insbesondere das Recht auf Information, Kostenerstattung, anderweitige Beförderung, Unterstützung während der Wartezeit und Ausgleichsleistungen unter bestimmten Bedingungen (3) – und zugleich auch den finanziellen Folgen für die Luftfahrtbranche Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass für die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen auf einem liberalisierten Markt einheitliche Bedingungen gelten.

3.3

In dem Vorschlag werden die drei Hauptbereiche angesprochen, in denen die Kommission weitere Maßnahmen für erforderlich hält, um für eine bessere Anwendung der Verordnung zu sorgen, d.h. die erfolgreich harmonisierte Durchsetzung der EU-Rechte, die Ermöglichung ihrer Ausübung in der Praxis und die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für diese Rechte. Er erfüllt die Empfehlung des Europäischen Parlaments, dass "die Rechtssicherheit jedoch verstärkt werden muss und es einer größeren Klarheit bei der Auslegung und einer einheitlichen Anwendung der Verordnungen in der EU bedarf" (4).

3.4

Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Überarbeitung der Verordnung Nr. 261/2004 beinhaltet denn auch die:

Integration der Grundsätze der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union;

Eingrenzung und Festlegung der genauen Bedeutung des Begriffs "außergewöhnliche Umstände", unter denen ein Luftfahrtunternehmen von den Ausgleichszahlungen für eine Annullierung, eine große Verspätung oder einen verpassten Anschlussflug befreit ist;

Festlegung der Fluggastrechte im Falle eines verpassten Anschlussflugs aufgrund einer Verspätung oder Flugplanänderung des vorhergehenden Fluges;

Festsetzung einer Verspätungsgrenze, ab der die Fluggäste Anspruch auf Erfrischungen und Mahlzeiten haben;

Abdeckung weiterer Aspekte, wie die Bereitstellung von Informationen für die Fluggäste und das Recht auf Berichtigung von Schreibfehlern, unter gleichzeitiger Anerkennung des Rechts des Luftfahrtunternehmens, Entschädigungen von Dritten zu fordern, wenn diese für Störungen verantwortlich sind.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA bedauert, dass der Vorschlag nicht gänzlich der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union folgt und bei den für die Fluggastrechte wichtigsten Aspekten von ihr abweicht. Er erkennt gleichwohl an, dass der Vorschlag in den Bereichen, in denen die Kommission die vorhandene Rechtsprechung des Gerichtshofs berücksichtigt hat, eine Verbesserung gegenüber der geltenden Verordnung darstellt.

4.2

Der EWSA bringt seine Zufriedenheit darüber zum Ausdruck, dass mit dem jetzigen Vorschlag wohl die meisten von der Branche und den Fluggästen festgestellten Mängel der vorhergehenden Fassung (5) behoben und zugleich einige Definitionen klargestellt wurden.

4.2.1

Für die Branche dürfte der Mehrwert des Vorschlags im Vergleich zu den geltenden Rechtsvorschriften darin bestehen, dass:

die Verpflichtung zur Betreuung im Fall außergewöhnlicher Umstände, die sich der Kontrolle des Luftfahrtunternehmens entziehen, eingeschränkt wird;

eine nicht erschöpfende Beschreibung der Fälle, die als "außergewöhnliche Umstände" gelten, enthalten ist;

klargestellt wird, dass die Möglichkeit besteht, entstandene Kosten von einem dafür verantwortlichen Dritten zurückzufordern und eine gesamtschuldnerische Haftung einzuführen;

die Verspätungsgrenze, ab der das Luftfahrtunternehmen Ausgleichszahlungen leisten muss, verlängert wird;

die Pflicht zur Unterbringung der Fluggäste im Fall "außergewöhnlicher Umstände" auf maximal drei Übernachtungen und 100 EUR pro Fluggast begrenzt wird. Diese Obergrenze gilt nicht für Personen mit eingeschränkter Mobilität, Kinder ohne Begleitung, Schwangere und Personen mit speziellen medizinischen Bedürfnissen;

die Unterbringungspflicht bei Flügen über eine Entfernung von 250 km oder weniger mit Luftfahrzeugen mit einer Höchstkapazität von 80 Sitzplätzen aufgehoben wird, sofern es sich nicht um einen Anschlussflug handelt.

4.2.2

Für die Fluggäste dürfte der Mehrwert des Vorschlags darin liegen, dass:

die Bedingungen für die Anwendung der Verordnung klargestellt werden;

angegeben wird, wie mit Fällen von Nichtbeförderung, Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und verpassten Anschlussflügen umzugehen ist, und Vorschriften über den Anspruch auf Ausgleichsleistungen, Kostenerstattung, anderweitige Beförderung und Betreuung deutlicher ausgeführt werden;

die Durchsetzung der Rechte im Einzelnen dargelegt wird;

Ausgleichsleistungen für große Verspätungen eingeführt werden;

eine einheitliche Frist von zwei Stunden festgelegt wird, nach der das Luftfahrtunternehmen Erfrischungen und Mahlzeiten anbieten muss;

die Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens, die Fluggäste über ihre Rechte sowie ihre Ansprüche auf Ausgleichsleistungen und die Beschwerdeverfahren zu informieren, wesentlich verschärft wird.

4.2.3

Der EWSA räumt ein, dass es eine große Herausforderung ist, den Anforderungen aller Akteure zugleich Genüge zu tun, weswegen der der einen Seite gebotene Mehrwert möglicherweise für die andere Seite weniger zufriedenstellend ist.

4.3

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Maßnahmen der Kommission zur Verbesserung des Schutzes der Fluggäste im Falle der Insolvenz eines Luftfahrtunternehmens (6) ein Schritt in die richtige Richtung sind, betont aber, dass diese auf Freiwilligkeit beruhenden Maßnahmen nicht ausreichen, um im Falle der Insolvenz eines Luftfahrtunternehmens einen umfassenden und wirksamen Schutz der Fluggäste sicherzustellen; ist der Ansicht, dass ein Mechanismus geschaffen werden sollte, um zu gewährleisten, dass die Luftfahrtunternehmen im Falle der Insolvenz der vorgeschlagenen Verordnung nachkommen.

4.4

In dem Vorschlag wird eine Trennungslinie zwischen der Verordnung selbst und der Richtlinie des Rates 90/314/EWG gezogen und den Fluggästen die Wahl gelassen, auf welchen Rechtsakt sie ihre Forderungen stützen, ohne ihnen aber das Recht zu geben, auf der Grundlage beider Regelwerke Ausgleichsleistungen für dasselbe Problem zu beanspruchen.

4.5

In seinen früheren Stellungnahmen zu Fluggastrechten unterbreitete der EWSA mehrere Vorschläge zur Stärkung dieser Rechte (7), von denen viele in diesen Verordnungsentwurf eingeflossen sind. Der EWSA bedauert jedoch feststellen zu müssen, dass folgende Vorschläge nicht berücksichtigt worden sind:

Aufnahme der in den Urteilen des Gerichtshofs enthaltenen Lösungen in den künftigen Text;

für bestimmte Ausnahmefälle: Bestimmung der Reichweite bzw. der Grenzen des Rechts auf Unterstützung, Festlegung alternativer Verfahren zur Gewährleistung der legitimen Rechte von Fluggästen, indem innerhalb einer angemessenen Frist für alle Beteiligten bindende Entscheidungen getroffen werden;

Regelung der Situationen, die gegenwärtig im Zusammenhang mit Flugplanänderungen entstehen;

Regelung der Verpflichtung zur Unterstützung an den Anschlussflughäfen;

Einbeziehung der Bodenverkehrsdienstleister, die im Namen von Luftfahrtunternehmen die in der Verordnung vorgesehenen Dienstleistungen erbringen;

Angabe der Behörde, die für die Bearbeitung von Fluggastbeschwerden und die Überwachung der Einhaltung der Verordnung zuständig ist;

auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten: Beobachtung und Veröffentlichung von Beschwerden über die Nichteinhaltung der Verordnung, untergliedert nach Luftfahrtunternehmen und nach Art des Verstoßes, und Einführung der Möglichkeit, dass Luftfahrtunternehmen, denen ein Luftverkehrsbetreiberzeugnis (AOC) gewährt wird, diesbezüglich in jedem Staat überprüft werden können;

Verbesserung der Kohärenz im Wortlaut der Absätze 1 und 2 von Artikel 14 der Verordnung;

Festlegung der Verpflichtung zur Entschädigung betroffener Fluggäste, falls eine Fluggesellschaft Konkurs anmeldet, gemäß dem Grundsatz der "gesamtschuldnerischen Haftung" für die Repatriierung durch andere Luftfahrtunternehmen, die noch über freie Plätze verfügen, und Einrichtung eines Fonds zur Entschädigung von Fluggästen gemäß dem Grundsatz "wer am Markt teilnimmt, zahlt";

Möglichkeit, den Reisevertrag an einen Dritten abzutreten;

Verbot der derzeitigen Praxis von Luftfahrtunternehmen, den Rückflug zu annullieren, wenn der Fluggast den auf dem gleichen Flugschein eingetragenen Hinflug nicht angetreten hat.

4.6

Der EWSA begrüßt alle Verbesserungen in Bezug auf die Durchsetzung der Rechte von Fluggästen mit Behinderungen bzw. eingeschränkter Mobilität, da sie eine Angleichung an die Bestimmungen des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ermöglichen. In diesem Zusammenhang schlägt der EWSA folgende Änderungen vor:

4.6.1

Der im Vorschlag verwendete allgemeine Begriff "Person mit eingeschränkter Mobilität" ist durch die Begriffsbestimmung "behinderter Mensch" oder "Person mit eingeschränkter Mobilität" zu ersetzen, wie sie in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität enthalten ist.

4.6.2

Der in dem vorgeschlagenen Artikel 6 b genannte Begriff "Mobilitätshilfen" ist durch den Begriff "Mobilitätshilfen und Hilfsgeräte" zu ersetzen.

4.6.2.1

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich einen fachkundigeren Umgang mit Mobilitätshilfen und Hilfsgeräten bei Flugreisen. Dazu müssen alle Mitarbeiter, die solche Hilfen handhaben, besser informiert und geschult werden. EU-Rechtsvorschriften, die die Rechte von Fluggästen mit Behinderungen betreffen, sind entsprechend anzupassen. Eine größere Professionalität wäre von Vorteil für Abfertigungsunternehmen, Fluggesellschaften, Flughäfen und Passagiere gleichermaßen.

4.6.3

In dem neuen Artikel 6 des Verordnungsvorschlags sollte klargestellt werden, dass im Fall einer großen Verspätung aus jedwedem Grunde Fluggäste mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität Anspruch auf dieselben Hilfeleistungen haben, wie sie in den Anhängen I und II der Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 aufgeführt sind.

4.6.4

Es ist ausdrücklich klarzustellen, dass die bereitgestellte Unterkunft, die Beförderung dorthin, die Informationen über die getroffenen Vorkehrungen und die zu ihrer Verbreitung genutzten Mittel (einschließlich Websites und sonstiger elektronischer Mittel) sowie ggf. die Beschwerdeverfahren und Interessenserklärungen Menschen mit Behinderungen zugänglich sein müssen und außerdem im Bedarfsfalle Führ- und Begleithunde bereitzustellen sind. In diesem Zusammenhang sind die Bestimmungen des vorgeschlagenen Artikels 14 in Bezug auf die Verpflichtung zur Information der Fluggäste auf alle Kategorien von Menschen mit Behinderungen auszudehnen und dürfen sich nicht nur auf blinde oder sehbehinderte Personen erstrecken (siehe Artikel 14 Absatz 3).

4.6.5

Der Verordnung zufolge darf die Beförderung eines Fluggastes nicht aufgrund seiner Behinderung oder eingeschränkten Mobilität abgelehnt werden; in Artikel 4 ist jedoch eine Ausnahme von diesem Grundsatz vorgesehen, um Sicherheitserfordernissen und der Tatsache Rechnung zu tragen, dass wegen der Größe des Luftfahrzeugs oder seiner Türen die Anbordnahme oder die Beförderung einer Person mit Behinderung oder eingeschränkter Mobilität physisch unmöglich sind.

In dieser Hinsicht wäre zumindest eine Politik der Transparenz in Bezug auf die Möglichkeiten des Zugangs zu Luftfahrzeugen mittels klarer und nachvollziehbarer Informationen bei der Buchung von Flugscheinen erforderlich, was nicht die gängige Praxis ist.

5.   Besondere Bemerkungen zu den geänderten Vorschriften

5.1

Der EWSA befürwortet im Grundsatz die Maßnahmen, die die Luftfahrtunternehmen jeweils ergreifen müssen, um den Fluggästen Ausgleichsleistungen bei großer Verspätung, bessere Betreuungsleistungen, Beförderungsalternativen und Leistungen im Falle einer Verschiebung von Flügen zu bieten sowie bei verspäteten oder verpassten Flügen ihren allgemeinen Komfort zu erhöhen.

5.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Vorschlag der Kommission, die einen Ausgleichsanspruch begründende Verspätung bei allen Reisen innerhalb der EU von drei auf fünf Stunden zu erhöhen, nicht akzeptabel ist. Der EWSA versteht nicht, warum infolge einer Senkung der einen Ausgleichsanspruch begründeten Verspätungsgrenze die Zahl der annullierten Flüge abnehmen sollte, da die Luftfahrtunternehmen im Falle einer Annullierung ohnehin eine Ausgleichszahlung leisten müssen.

5.3

Es ist verständlich, dass für Reisen aus bzw. in Drittländer flugdistanzabhängige Verspätungsgrenzen gelten sollen, wobei den praktischen Problemen der Luftfahrtunternehmen bei der Behebung von Verspätungsursachen auf weit entfernten Flughäfen Rechnung getragen wird. Der EWSA hält allerdings die vorgeschlagenen neun oder zwölf Stunden für zu lang und ist der Ansicht, dass die Kommission weiterhin nach Anreizen für die Luftfahrtunternehmen suchen sollte, deutlich unter diesen Schwellenwerten zu bleiben. Bei Menschen mit Behinderungen oder mit eingeschränkter Mobilität sollten diese Verspätungsgrenzen noch weiter gesenkt werden, um den ihnen durch eine große Verspätung entstehenden besonderen Kosten Rechnung zu tragen. Der EWSA erachtet die wirksame und rechtzeitige Umsetzung des Legislativpakets "Einheitlicher europäischer Luftraum II+" als ein wichtiges Instrument für die Reduzierung der Kosten der Luftfahrtunternehmen, denen damit eine größere Flexibilität bei der Finanzierung der Absenkung des Schwellenwerts an die Hand gegeben wird.

5.4

Der EWSA begrüßt die Einführung einer Frist und die Auflage, dass ein Luftfahrtunternehmen, das nicht in der Lage ist, dem Fluggast innerhalb dieser Frist mit eigenen Verkehrsdiensten eine anderweitige Beförderung zu bieten, die Möglichkeit der Beförderung mit einem anderen Luftfahrtunternehmen oder einem anderen Verkehrsträger zu prüfen hat (vorbehaltlich der Verfügbarkeit von Sitzplätzen). Allerdings ist eine Wartezeit von zwölf Stunden bis zur Inanspruchnahme anderer Dienste oder Luftfahrtunternehmen seines Erachtens zu lang. Außerdem sollte ein Fluggast die Möglichkeit haben, die Beförderung mit einem anderen Verkehrsträger (z.B. Bus, Zug oder Schiff) abzulehnen. Zur Deckung der für die schnellstmögliche Umbuchung auf ein anderes Luftfahrtunternehmen entstehenden Zusatzkosten wiederholt der EWSA seinen Vorschlag, in enger Abstimmung mit sämtlichen Interessenträgern gemäß dem Grundsatz der "gesamtschuldnerischen Haftung" einen Fonds für die Repatriierung oder alternative Beförderung durch andere Luftfahrtunternehmen zu schaffen.

5.5

Der EWSA hält eine genauere Definition der Verpflichtungen der Flughäfen im Hinblick auf die Unterstützung der Fluggäste bei mehreren Flugannullierungen für erforderlich, wenn diese darauf zurückzuführen sind, dass die jeweilige Flughafenbehörde nicht für die notwendigen Voraussetzungen für eine reibungslose Flugverkehrsdienstleistungserbringung gesorgt hat.

5.6

Der EWSA begrüßt, dass die Anwendung der in Artikel 1 Absatz 4 Buchstabe b) des Vorschlags enthaltenen Klausel der "außergewöhnlichen Umstände" einer zweiten Prüfung unterzogen werden soll und empfiehlt, dass die nationalen Durchsetzungsstellen eine gründliche Durchführung sicherstellen.

5.7

Der EWSA befürwortet den Vorschlag, eine einheitliche Verspätungsgrenze von zwei Stunden für alle Flugentfernungen vorzusehen, die die derzeitige flugdistanzabhängige Verspätungsgrenze ersetzen soll. Dies liegt sehr im Interesse der Fluggäste und sorgt für angemessene und angenehme Bedingungen während der Wartezeit.

5.8

Der EWSA begrüßt den Vorschlag, Fluggästen, die aufgrund einer Verspätung des vorhergehenden Fluges einen Anschlussflug verpassen, einen Anspruch auf Betreuung und unter bestimmten Umständen einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen zuzuerkennen, da hierdurch ebenfalls die Position der Fluggäste gestärkt wird.

5.9

Ein Schritt in Richtung einer besseren Gewährleistung der Fluggastrechte ist der Vorschlag, dass Fluggäste, deren Flug weniger als zwei Wochen vor dem ursprünglichen Abflug verschoben wird, vergleichbare Rechte wie die von Verspätungen betroffenen Fluggäste haben.

5.10

Der EWSA empfiehlt der Kommission nachdrücklich, Maßnahmen für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Flughäfen und den Luftfahrtunternehmen zu treffen, um die Wartezeit der Fluggäste bei Verspätungen auf der Rollbahn erheblich zu verkürzen.

5.11

Der EWSA fordert die Kommission auf, die aktuelle Praxis der Luftfahrtunternehmen, den Rückflug zu annullieren, wenn ein Fluggast den Hinflug desselben Flugscheins nicht angetreten hat, zu verbieten (8). Der Ausschuss befürwortet auch die Stärkung des Anspruchs der Fluggäste auf Unterrichtung über Flugunterbrechungen (sobald die entsprechenden Informationen vorliegen), da hierdurch auch die Fluggäste besser die nächsten Schritte planen können, die zu unternehmen sind, wenn sie am Endreiseziel angekommen sind.

5.12

Dem EWSA leuchtet die Notwendigkeit ein, die Zeitspanne, während der ein Luftfahrtunternehmen für die Unterbringung von Fluggästen bei außergewöhnlichen Umständen zu sorgen hat, zu begrenzen, und akzeptiert die vorgeschlagene Begrenzung auf drei Nächte. Er rät der Kommission jedoch dringend, die nationalen Durchsetzungsbehörden für jeden einzelnen Mitgliedstaat eine Preisgrenze für diese Übernachtungen festlegen zu lassen. Diese Preisgrenze sollte nicht für Personen mit eingeschränkter Mobilität gelten.

6.   Durchsetzung

6.1

In dem Vorschlag zur Änderung der Verordnung Nr. 261/2004 wird die Rolle der nationalen Durchsetzungsstellen klargestellt, indem ihnen die Aufgabe der allgemeinen Durchsetzung übertragen wird. Für die außergerichtliche Behandlung individueller Beschwerden werden Beschwerdestellen (alternative Streitbeilegungsstellen) zuständig sein, wie der EWSA bereits zuvor angeregt hatte (9). Mit diesen Bestimmungen werden den Stellen mehr Befugnisse übertragen, die für die Verhängung angemessener Sanktionen gegenüber Luftfahrtunternehmen im Falle der Nichteinhaltung der Bestimmungen der Verordnung 261/2004 zuständig sind, und den Fluggästen zuverlässigere Mittel an die Hand gegeben, die ordnungsgemäße Anwendung ihrer Rechte durchzusetzen.

6.2

Der vorgeschlagene Informationsaustausch und die Koordinierung zwischen den nationalen Durchsetzungsstellen sowie zwischen diesen und der Kommission dank verstärkter Berichterstattungspflichten und förmlicher Koordinierungsverfahren werden eine rasche Reaktion auf sämtliche festgestellten Probleme bei der Einhaltung ermöglichen.

7.   Bestimmung des Begriffs "außergewöhnliche Umstände"

7.1

Der EWSA begrüßt, dass der hier erörterte Verordnungsvorschlag

auf der Definition der "außergewöhnlichen Umstände" gemäß dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-549/07 (Wallentin-Hermann) basiert und

klarstellt, dass Verspätungen oder Annullierungen nur dann als außergewöhnliche Umstände zu erachten sind, wenn

1.

sie aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind (Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe e)),

2.

sie von ihm nicht zu beherrschen sind (Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe e)) und

3.

die Annullierung, Flugplanänderung oder Verspätung sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Artikel 1 Absatz 4 Buchstabe b) und Artikel 1 Absatz 5 Unterabsatz 4)).

Diese Präzisierungen werden sowohl für die Fluggäste bei der Einschätzung ihrer diesbezüglichen Rechte als auch für die Luftfahrtunternehmen bei der Festlegung ihrer sich daraus ergebenden Verpflichtungen von Vorteil sein.

7.2

Außerdem wird dank der in Anhang 1 des Verordnungsvorschlags enthaltenen, nicht erschöpfenden Liste von Umständen, die als außergewöhnlich bzw. als nicht außergewöhnlich anzusehen sind, das Risiko unnötiger Streitigkeiten zwischen den Fluggästen und den Luftfahrtunternehmen gesenkt.

7.3

Daher sollte nach dem Dafürhalten des EWSA in der Verordnung klar festgelegt werden, dass jedes Mal, wenn außergewöhnliche Umstände geltend gemacht werden, zu prüfen sein wird, ob diese tatsächlich diese drei Bedingungen erfüllen, was bei einigen der in Anhang 1 genannten Umstände (z.B. Gesundheits- und Sicherheitsrisiken, Wetterbedingungen oder Arbeitsstreitigkeiten) nicht unbedingt immer gegeben sein dürfte.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  COM(2012) 573 final.

(2)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 125-130, ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 38-43, ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 9-13.

(3)  COM(2011) 174 final.

(4)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 29. März 2012 zur Funktionsweise und Anwendung der geltenden Fluggastrechte (2011/2150 (INI)).

(5)  SEC(2011) 428.

(6)  COM(2013) 129 final.

(7)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 125-130 und ABl. C 229 vom 31.7.2013, S. 122-125.

(8)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 127.

(9)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 130.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:

Neue Ziffer 4.1.3 (Änderungsantrag 7)

Der EWSA bedauert, dass mit dem Vorschlag das zwischen allen Interessen herrschende Gleichgewicht gestört wird, weil er eher die Rechte der Luftfahrtunternehmen als die der Fluggäste schützt.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen

:

52

Nein-Stimmen

:

70

Enthaltungen

:

14

Ziffer 5.3 (Änderungsantrag 11)

Ändern:

Es ist unverständlich, dass für Reisen aus bzw. in Drittländer flugdistanzabhängige Verspätungsgrenzen gelten sollen, die, wobei den praktischen Problemen der Luftfahrtunternehmen bei der Behebung von Verspätungsursachen auf weit entfernten Flughäfen Rechnung getragen wird. Der EWSA hält allerdings indes die vorgeschlagenen neun oder zwölf Stunden für zu lang und ist der Ansicht, dass die Kommission in allen Fällen an der derzeit geltenden Verspätungsgrenze von drei Stunden festhalten sollte. weiterhin nach Anreizen für die Luftfahrtunternehmen suchen sollte, deutlich unter diesen Schwellenwerten zu bleiben. Bei Menschen mit Behinderungen oder mit eingeschränkter Mobilität sollten diese Verspätungsgrenzen noch weiter gesenkt werden, um den ihnen durch eine große Verspätung entstehenden besonderen Kosten Rechnung zu tragen. Der EWSA erachtet die wirksame und rechtzeitige Umsetzung des Legislativpakets "Einheitlicher europäischer Luftraum II+" als ein wichtiges Instrument für die Reduzierung der Kosten der Luftfahrtunternehmen, denen damit eine größere Flexibilität bei der Finanzierung der Absenkung des Schwellenwerts an die Hand gegeben wird.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen

:

50

Nein-Stimmen

:

81

Enthaltungen

:

12

Ziffer 5.12 (Änderungsantrag 12)

Ändern:

Der m EWSA bedauert, dass mit dem neuen Vorschlag die geltende Verordnung – in der festgelegt wird, dass die Fluggäste Anspruch auf Betreuung haben, während sie im Falle von Störungen warten müssen – verwässert wird. Hiermit wird im Hinblick auf das Recht auf Unterkunft erneut von einem Urteil des Gerichtshofs abgewichen (Rechtssache Denise McDonagh/Ryanair, 31. Januar 2013). Der EWSA ist der Ansicht, dass das Recht auf Unterkunft in Situationen, die über einen langen Zeitraum andauern und in denen die Fluggäste besonders schutzbedürftig sind, umso gerechtfertigter ist; darüber hinaus geht es beim Luftverkehr im Gegensatz zu anderen Verkehrsträgern zumeist um große Entfernungen und häufig sind die von Störungen betroffenen Fluggäste weit von zu Hause weg und die häufig großen Entfernungen führen dazu, dass die Fluggäste ihr Endreiseziel nicht auf eine andere Art erreichen können leuchtet die Notwendigkeit, die Zeitspanne, während der ein Luftfahrtunternehmen für die Unterbringung von Fluggästen bei außergewöhnlichen Umständen zu sorgen hat, zu begrenzen, und akzeptiert die vorgeschlagene Begrenzung auf drei Nächte  (1). Er rät der Kommission jedoch dringend, die nationalen Durchsetzungsbehörden für jeden einzelnen Mitgliedstaat eine Preisgrenze für diese Übernachtungen festlegen zu lassen. Diese Preisgrenze sollte nicht für Personen mit eingeschränkter Mobilität gelten.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen

:

56

Nein-Stimmen

:

78

Enthaltungen

:

7


(1)  Artikel 8 Absatz 9 des Vorschlags – Artikel 9 der geänderten Verordnung (EG) Nr. 261/2004.


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/122


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Viertes Eisenbahnpaket“ mit den folgenden Dokumenten: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Das vierte Eisenbahnpaket — Vollendung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums zur Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in der EU

COM(2013) 25 final;

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1192/69 des Rates über gemeinsame Regeln für die Normalisierung der Konten der Eisenbahnunternehmen

COM(2013) 26 final — 2013/0013 (COD);

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Eisenbahnagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 881/2004

COM(2013) 27 final — 2013/0014 (COD);

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 hinsichtlich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste

COM(2013) 28 final — 2013/0028 (COD);

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums bezüglich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste und der Verwaltung der Eisenbahninfrastruktur

COM(2013) 29 final — 2013/0029 (COD);

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Europäischen Union (Neufassung)

COM(2013) 30 final — 2013/0015 (COD);

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Eisenbahnsicherheit (Neufassung)

COM(2013) 31 final — 2013/0016 (COD)

2013/C 327/21

Berichterstatter: André MORDANT

Die Kommission beschloss am 19. Februar 2013, der Rat am 21./22. Februar 2013 und das Europäische Parlament am 7. Februar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 91, Artikel 91 Absatz 1 sowie Artikel 109, 170, 171 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Viertes Eisenbahnpaket

mit den folgenden Dokumenten:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: "Das vierte Eisenbahnpaket — Vollendung des einheitlichen europäischen Eisenbahnraums zur Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in der EU

COM(2013) 25 final;

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1192/69 des Rates über gemeinsame Regeln für die Normalisierung der Konten der Eisenbahnunternehmen

COM(2013) 26 final — 2013/0013 (COD);

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Eisenbahnagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 881/2004

COM(2013) 27 final — 2013/0014 (COD);

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 hinsichtlich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste

COM(2013) 28 final — 2013/0028 (COD);

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums bezüglich der Öffnung des Marktes für inländische Schienenpersonenverkehrsdienste und der Verwaltung der Eisenbahninfrastruktur

COM(2013) 29 final — 2013/0029 (COD);

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Europäischen Union (Neufassung)

COM(2013) 30 final — 2013/0015 (COD);

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Eisenbahnsicherheit (Neufassung)

COM(2013) 31 final — 2013/0016 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. Juni 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli) mit 82 gegen 20 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA fordert von der Kommission eine unter der Kontrolle sämtlicher Akteure durchgeführte Bestandsaufnahme der Konsequenzen der Eisenbahnpakete in Bezug auf die Bedienung der Bedürfnisse der Bürger, die Verkehrsverlagerung, die Raumordnung, die Weiterentwicklung der grenzübergreifenden Beziehungen, die anhand von Fakten gemessene Qualität der Schienenverkehrsdienste, die Zugänglichkeit, die Stärkung der Fahrgastrechte usw. zu bewerten.

1.2

Der EWSA rät, die neue Gesetzesinitiative, das so genannte Eisenbahnpaket, auf den Beitrag zu stützen, den der Schienenverkehr dank seiner wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Wirkung zum europäischen Einigungswerk leisten kann.

1.3

Die Gesetzesinitiative muss darauf abzielen, die zwischen den Mitgliedstaaten herrschenden Grenzeffekte zu beseitigen. Sie muss es ermöglichen, grenzübergreifende Beziehungen zwischen Nachbarstaaten aufzubauen, indem Einfluss auf die Dimensionen nachhaltige Entwicklung und Raumordnung genommen wird. Dies kann erreicht werden, indem zwischen den Mitgliedstaaten, denen es ganz oder teilweise an Infrastrukturen fehlt, solche aufgebaut werden.

1.4

Der EWSA fordert, dass die Union die Möglichkeit vorsieht, grenzübergreifende Strukturen zu schaffen, sowie die Festlegung der Modalitäten für deren Tätigwerden in den von ihnen abgedeckten Gebieten, um die Aufgaben der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, wie in Artikel 14 des Vertrags und im Protokoll Nr. 26 vorgesehen, festlegen und organisieren zu können.

1.5

Der EWSA fordert, es auch weiterhin den Mitgliedstaaten zu überlassen, ihre nationalen Eisenbahnsysteme zu organisieren und je nach ihrer geografischen Lage, ihrer Demografie, ihrer Geschichte und den jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gegebenheiten ihren Markt für den inländischen Schienenverkehr dem Wettbewerb zu öffnen.

1.6

Der EWSA empfiehlt, es – wie derzeit in der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 vorgesehen – den zuständigen Behörden zu überlassen, ob sie die Aufträge über öffentliche Dienstleistungen im Schienenverkehr direkt an die Betreiber vergeben oder eine Ausschreibung durchführen wollen und wie sie diese strukturieren.

1.7

Mit Blick auf die von der Kommission geforderte Auflage, Pläne für den öffentlichen Verkehr zu erstellen, plädiert der EWSA dafür, den zuständigen Behörden keine Einschränkungen hinsichtlich der Definition der Aufgaben im Rahmen der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen aufzuerlegen, und fordert, mit Hilfe von Konsultationen und Kontrollen des Qualitätsniveaus der Dienstleistungen klare Ziele zur Verbesserung der Zugänglichkeit für Personen mit Behinderungen und hinsichtlich der Einbeziehung der Fahrgäste aufzustellen.

1.8

Andererseits empfiehlt der EWSA, dass die Betreiber auch weiterhin die Kontrolle über die technischen Aspekte des Eisenbahnbetriebs behalten, indem ihnen das Eigentum des Rollmaterials und anderer Anlagen überlassen wird, um einen Anreiz für die Forschungs- und Innovationsbemühungen zu bieten, die für die Weiterentwicklung des Sektors im Hinblick auf Sicherheit und Qualität unerlässlich sind.

1.9

Der EWSA empfiehlt der Kommission, eine Initiative zur Kontrolle des für die Entwicklung des Eisenbahnsektors wesentlichen Sicherheitsniveaus des Schienenverkehrs einzuleiten, indem sie nationale Beobachtungsstellen oder gemischte Sicherheitsausschüsse einrichtet. Er rät, für transparente Bedingungen im Eisenbahnbetrieb zu sorgen, das Sicherheitskonzept der Behörden demokratischer zu gestalten und Artikel 91 des Vertrags zu erfüllen, in dem die Union bezüglich der Verkehrssicherheit zur Erzielung von Ergebnissen verpflichtet wird.

1.10

Der EWSA schlägt vor, die europäische Eisenbahnagentur damit zu beauftragen, den Dimensionen Gesundheitsschutz und Sicherheit der Arbeitnehmer Rechnung zu tragen, die unabdingbar sind, um den Fahrgästen, Arbeitnehmern und Gleisanliegern dauerhaft ein hohes Niveau an Sicherheit im Schienenverkehr zu bieten.

1.11

Darüber hinaus hält der EWSA eine rechtliche Haftung der Agentur für jede ihrer Entscheidungen für unerlässlich.

1.12

Der EWSA ist der Ansicht, dass dem technischen Teil des Maßnahmenpakets Vorrang gegeben werden muss, um eine Verkehrsverlagerung zugunsten der Schiene zu begünstigen.

1.13

Der EWSA fordert von den Arbeitgebern und Behörden, der Beschwerlichkeit und Gefahrträchtigkeit der Schienenverkehrsberufe mit einem spezifischen Sozialschutzniveau sowie entsprechenden Tarifverträgen, Gehältern und Karrieremöglichkeiten Rechnung zu tragen und den von ihnen hinsichtlich der Ruhegehälter eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen.

1.14

Der EWSA empfiehlt ein System zur Fortbildung und Anerkennung der gesammelten Erfahrungen, mit dem die Bemühungen der Arbeitnehmer um den Erwerb und die Pflege von Kenntnissen honoriert werden.

1.15

Der EWSA fordert, dass jeder Mitgliedstaat im Rahmen der Entscheidungen, die er bei der Organisation oder der Öffnung für den Wettbewerb trifft, das Niveau der Beschäftigung bei den jeweils dort etablierten Betreibern zu wahren, die dem Personal gewährten Sozialleistungen beizubehalten und die Vergütungs- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer aufrechtzuerhalten. Im Falle eines Betreiberwechsels sind die Übernahme des betroffenen Personals und die Beibehaltung ihrer Sozialleistungen vorzusehen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Die vorliegende Stellungnahme stützt sich auf folgende Stellungnahmen und darin enthaltene Empfehlungen:

TEN/432-433 vom 16. März 2011 zum einheitlichen europäischen Eisenbahnraum (1);

TEN/445 vom 15. Juni 2011 zu den sozialen Aspekten der EU-Verkehrspolitik (2);

TEN/454 vom 25. Oktober 2011 zu dem Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum (3);

TEN/495 vom 13. Dezember 2012 zur Qualität der Schienenverkehrsdienste in der EU (4).

2.2

Das vorliegende vierte Eisenbahnpaket umfasst neben einer einleitenden allgemeinen Mitteilung sechs Rechtstexte, die die Änderung, Neufassung oder Aufhebung bestehender Rechtsakte zum Gegenstand haben und denen diverse Berichte und Folgenabschätzungen beigefügt sind.

2.3

Bei der Prüfung der Vorschläge der Kommission werden die vier Pfeiler dieses vierten Maßnahmenpakets ins Visier genommen, als da sind Verwaltung und Öffnung des Märkte für den Personenfernverkehr, Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 über die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, Rolle der europäischen Eisenbahnagentur, Wechselwirkungen mit der Interoperabilität und der Sicherheit und soziale Bestimmungen.

2.4

Die derzeitige Situation dient als Ausgangspunkt für die Überlegungen und Vorschläge im Lichte der denkbaren Entwicklung des Sektors im Einklang mit dem Lissabon-Vertrag. Um die Sachdienlichkeit der vorgeschlagenen Lösungen zu überprüfen, sollten die Ergebnisse der seit mehr als 20 Jahren von der EU betriebenen Politik ausgewertet und auf dieser Grundlage Überlegungen für die Zukunft angestellt und Ziele hinsichtlich der Rolle festgelegt werden, die der Schienenverkehr in Bezug auf die Dimensionen Raumordnung und Gleichberechtigung der Regionen, deren Entwicklung, den Dienst an den Bürgern und den Verkehrsunternehmen sowie deren Zugang zu diesem Verkehrsträger spielen kann und muss.

2.5

Im weiteren Sinne muss bei der Ausarbeitung dieses neuen Rechtsakts der Beitrag als Grundlage genommen werden, den dieser Verkehrsträger zu einem ins Stocken geratenen europäischen Einigungswerk leisten kann, und der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension Rechnung getragen werden.

2.6

Er muss außerdem den Aufbau grenzüberschreitender Beziehungen zwischen benachbarten Mitgliedstaaten ohne gemeinsame Infrastruktur ermöglichen und durch die Schaffung Letzterer den Bürgern dieser Länder, insbesondere den Menschen mit Behinderungen oder eingeschränkter Mobilität, den Kontakt erleichtern.

2.7

Verstärktes Augenmerk muss in diesem Zusammenhang den Ergebnissen gelten, die beim Ausbau der grenzüberschreitenden Beziehungen dank der politischen Maßnahmen der EU erzielt werden konnten, die auf die Beseitigung eines Grenzeffekts abzielen, dessen Fortbestehen die europäische Integration, die Freizügigkeit und die Verkehrsverlagerung zugunsten der Schiene bremst.

2.8

Die Aufmerksamkeit muss auf das Niveau der Betriebssicherheit dieser Netzindustrie gerichtet werden, deren Entwicklung von dem ihr von der Gemeinschaft entgegenbrachten Vertrauen und von der unerlässlichen transparenten Gestaltung der Produktionsbedingungen dieses Sektors abhängt.

2.9

Es ist zu prüfen, ob Artikel 10 Absatz 3 des Vertrags in Bezug auf das Recht der Bürger auf Teilhabe am demokratischen Leben der Union eingehalten wird. Die Entscheidungen müssen so offen und bürgernah wie möglich getroffen werden.

2.10

Im Hinblick auf die bereits eingeleiteten Umstrukturierungsmaßnahmen, eine Neufestlegung des Aktionsradius, die Übertragung von Befugnissen in Zeiten eines bedeutenden Personalwechsels im Eisenbahnsektor und ihre sozialen und Arbeitsbedingungen muss unter Berücksichtigung der Ziele des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit der Arbeitnehmer eine Prognose der sozialen Entwicklung des Eisenbahnsektors vorgenommen werden.

3.   Verwaltung und Öffnung der Märkte für den inländischen Schienenpersonenverkehr für den Wettbewerb

3.1

Mit diesem Legislativvorschlag möchte die Kommission den Schienenverkehr durch die Öffnung des inländischen Schienenpersonenverkehrs für den Wettbewerb neu beleben. Nach Ansicht der Kommission muss dieser Wettbewerb durch EU-Rechtsvorschriften angeregt werden, die die Trennung der Funktionen des Infrastrukturbetreibers, die sich auf die Aufgaben Verkehrsbetrieb, Wartung der Streckennetze und Investitionen in das Schienennetz erstrecken auf der einen Seite, von den Funktionen des Beförderungsunternehmens auf der anderen Seite vorsehen. Dies impliziert auch die Stärkung der Regulierungsbehörden, die den Eisenbahnmarkt beaufsichtigen sollen.

3.2

Zu diesem Zweck schlägt die Kommission eine Änderung der Richtlinie 2012/34/EG vom 21. November 2012 vor, die bis zum 16. Juni 2015 in nationales Recht umzusetzen ist. Es ist anzumerken, dass diese Initiative ergriffen wird, ohne die Effizienz der im Rahmen dieser Neufassung ergriffenen Maßnahmen abzuwarten.

3.3

Gleichermaßen wurden Maßnahmen für die Verwaltung der großen Verkehrskorridore ergriffen, deren volle Wirkung noch nicht gemessen werden konnte.

3.4

In den in Verbindung mit dem vierten Eisenbahnpaket vorgenommenen Folgenabschätzungen trägt die Kommission eine Reihe von Feststellungen vor und räumt ein, dass einige Darstellungen jüngeren Datums und doppeldeutig sind. Gleichwohl werden mehrere Aspekte als Argument für die vorgeschlagenen Lösungen angeführt.

3.5

Mehrere Studien haben zu recht uneinheitlichen Ergebnissen in Bezug auf die Folgen der Trennung der Funktionen der Infrastrukturbetreiber und derjenigen der Eisenbahnunternehmen geführt. Eine Prüfung der von der Kommission bereitgestellten statistischen Daten zeigt jedoch, dass zwischen dieser Trennung, der Marktöffnung und der Verbesserung der Ergebnisse des Eisenbahnsektors kein zwangsläufiger Zusammenhang besteht. Vielmehr scheint Letztere unmittelbar von den Finanzierungsniveaus und der Höhe der Infrastrukturbenutzungsentgelte abzuhängen. Andererseits wird im McNulty-Bericht eine äußerst gemischte Bilanz der Situation in Großbritannien gezogen und anerkannt, dass sich das dortige Eisenbahnsystem für den Staat und die Nutzer als kostspieliger erweist und es unter der mangelnden Abstimmung unter den verschiedenen Akteuren leidet und folglich eine stärkere Einbindung des Staats in die entsprechende Integration (Tarife, Verteilung, Fahrpläne usw.) erforderlich ist. Um die Dinge wieder ins Lot zu bringen empfiehlt Sir McNulty drei verschiedene Empfehlungen aus: Aufteilung der Kosten und Einnahmen unter dem Infrastrukturbetreiber und den Eisenbahnunternehmen, Joint Ventures zwischen diesen Akteuren und Wiederzusammenlegung bei bestimmten Franchise-Verträgen.

3.6

Einige nationale Studien, in denen die Qualität der Schienenverkehrsdienste untersucht wird, wie die Studie des britischen Verbraucherschutzverbands "Which?" ergeben aus Sicht der Fahrgäste ein gemischtes Bild des Bahnbetriebs. Daraus geht hervor, dass sie bei der Hälfte der Betreiber zu 50 % oder weniger damit zufrieden sind und nur 22 % der Fahrgäste der Ansicht sind, dass sich die Systemqualität verbessert (http://which.co.uk/home-and-garden/leisure/reviews-ns/best-and-worst-uk-train-companies/best-train-companies-overall/).

3.7

Andererseits werden im Kommissionsvorschlag keinerlei Vorschläge im Hinblick auf eine bessere Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen unterbreitet. In dieser Hinsicht müssen die Fahrgäste von den verschiedenen Akteuren konsultiert und angehört werden.

3.8

Die Kommission weist auf eine 2012 durchgeführte Erhebung zur Zufriedenheit der Nutzer mit den Schienenpersonenverkehrsdiensten hin, die der EWSA in seinen Empfehlungen in Ziffer 1.6 seiner Stellungnahme TEN/495 vom 13. Dezember 2012 als unzureichend erachtete.

3.9

Die Kommission betont andererseits, wie wichtig die dem Sektor gewährten öffentlichen Subventionen sind, und dass öffentliche Mittelzuflüsse notwendig sind, um das System zu entschulden. Diese Möglichkeit wird in der Richtlinie 91/440/EWG und in den Leitlinien für staatliche Beihilfen vom April 2008 genannt und empfohlen. Diese Gewährung staatlicher Beihilfen steht im Hinblick auf die Bedeutung des Sachkapitals, das zur Verwirklichung von Umweltzielen, aus Gründen des öffentlichen Interesses oder gar für die Zwecke der öffentlichen Politik erschlossen werden muss, nicht allein. Dieselben Regeln gelten auch für Wirtschaftsakteure aus anderen – öffentlichen oder privaten – Sektoren.

3.10

Zur Schaffung der Voraussetzungen für eine Marktöffnung schlägt die Kommission vor, die sich auf einen neuen Aktionsradius erstreckenden Funktionen des Infrastrukturbetreibers strikt von denjenigen des Beförderungsunternehmens zu trennen. Mit diesem Vorschlag bezweckt die Kommission, Interessenskonflikte und diskriminierende Praktiken zu vermeiden und die Aufdeckung und Verhinderung von Quersubventionierungen zu fördern, ohne jedoch einen Beweis für derartige Praktiken oder Elemente beizubringen, die von den betroffenen Akteuren sowie vom Gerichtshof der Europäischen Union angezweifelt werden. Der Gerichtshof hat unter anderem aus diesem Grund die Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Deutschland und Österreich in vollem Umfang abgewiesen. Der Ausschuss betont, dass Eisenbahnspediteure und Logistikunternehmen im Allgemeinen sowie neue Eisenbahnunternehmen im Besonderen einen getrennten und deregulierten grenzenlosen EU-Schienenverkehrsmarkt befürworten, bei dem die Unternehmenspraxis der anderen Verkehrsträger stärker berücksichtigt wird, während sich andere Akteure auf dem Schienenverkehrsmarkt wie bspw. etablierte Eisenbahnunternehmen, Verbraucherverbände und öffentliche Verkehrsbetriebe zurückhaltender geben und mehr um die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Dienstleistungsqualität besorgt sind.

3.11

Aufgrund von Artikel 63 Absatz 1 der Richtlinie 2012/34/EU zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums haben die beiden Mitgesetzgeber die Kommission aufgefordert, einen Bericht "über die Umsetzung von Kapitel II" der Richtlinie vorzulegen, in dem es im Wesentlichen um die Unabhängigkeit und die Strukturen des Eisenbahnsektors in der EU geht. In diesem Bericht werden "die Entwicklung des Marktes einschließlich des Stands der Vorbereitungen für die weitergehende Öffnung des Schienenverkehrsmarktes für Personenverkehrsdienste beschr[ie]ben" und "die verschiedenen Modelle für die Organisation dieses Marktes sowie die Auswirkungen dieser Richtlinie auf Verträge für öffentliche Dienstleistungen sowie deren Finanzierung analysier[t]". Dabei hätte die Kommission auch "die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 sowie die immanenten Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Netzdichte, Passagierzahlen, durchschnittliche Reiseentfernung) berücksichtigen" sollen. Im vorliegenden Fall wurde in der Debatte, die in jüngster Zeit im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens für die Neufassung des ersten Eisenbahnpakets, aus der die Richtlinie 2012/34/EU hervorging, geführt wurde, über diese Frage entschieden, indem Regelungen getroffen wurden, die nach der Umsetzung in nationales Recht ihre volle Wirksamkeit entfalten dürften. Im Verlauf der Diskussionen trat die Notwendigkeit zu Tage, den Mitgliedstaaten die Organisation ihrer nationalen Systeme zu überlassen und eine integrierte Organisationsform der Produktion beizubehalten, um eine Bündelung zu ermöglichen und die Zahl der wirtschaftlich abträglichen und die Sicherheit beeinträchtigenden Schnittstellen zu senken, sofern ihnen dies sinnvoll erscheint.

3.12

Bei einem spurgebundenen schienengeführten Verkehrssystem bringt die Trennung des Infrastrukturbetriebs in der Regel mehr Störungen als Vorteile mit sich, da der Betrieb stark verkompliziert wird, wodurch die Kosten steigen und die Dienstleistungsqualität abnimmt. Dies gilt insbesondere bei intensiv mit Mischverkehren genutzten Netzen.

3.13

Die Einführung technischer Neuerungen ist zeitaufwändiger und schwieriger. Innovationen, die häufig zugleich sowohl im ortsfesten (Infrastruktur) als auch im mobilen (Rollmaterial) Bereich stattfinden, werden gebremst. Die erhebliche Zunahme der Bürokratie und der Zahl unnötiger Schnittstellen führt zu höheren Betriebskosten und langwierigen Entscheidungsprozessen.

3.14

Darüber hinaus führt die Trennung der Funktionen der Infrastrukturbetreiber und derjenigen der Beförderungsunternehmen dazu, dass sich der Netz- oder Infrastrukturbetreiber zunehmend von den Endnutzern (Fahrgäste und Spediteure) und deren Anforderungen an die Dienstleistungsqualität (insbesondere die Pünktlichkeit) entfernt. Innerhalb des Eisenbahnsystems muss also auch weiterhin eine Mittlerrolle vorgesehen werden, ohne die Unabhängigkeit der wesentlichen Funktionen des Infrastrukturbetreibers anzutasten.

3.15

Hinsichtlich der Serviceeinrichtungen hat der EWSA andererseits in seiner Stellungnahme TEN/432-433 vom 16. März 2011 in Ziffer 1.7 Folgendes erklärt: "In Bezug auf den Zugang zu Serviceeinrichtungen kann der EWSA die Verpflichtung zu rechtlicher, organisatorischer und entscheidungstechnischer Unabhängigkeit nicht unterstützen, da das Risiko einer Gefährdung der unersetzlichen vorhandenen Strukturen besteht". Aus der Analyse ist kein neues Element hervorgegangen, das eine Änderung dieser Aussage notwendig machen würde.

3.16

Die Kommission räumt jedoch ein, dass mit einer Bündelung bestimmter Funktionen die Leistungsfähigkeit des Systems und die Qualität der den Passagieren erbrachten Dienstleistungen verbessert werden könnte. Der EWSA teilt diese Ansicht.

3.17

Was die im Januar 2010 in Kraft getretene Liberalisierung des internationalen Schienenpersonenverkehrs anbelangt, kann kaum behauptet werden, dass sie bislang systematisch zu einer deutlichen Senkung der für diese Dienstleistungen verlangten Entgelte oder einem bedeutenden Wachstum dieses Segments geführt hätte.

3.18

Das Europa der Hochgeschwindigkeitsschienennetze hat dank erheblicher öffentlicher Investitionen in einigen Mitgliedstaaten schon vor 2010 seinen Anfang genommen und der in diesem Bereich stattfindende Wettbewerb dürfte wohl noch lange Zeit deutlich stärker intermodaler als intramodaler Natur bleiben. Eine der Entwicklungen nach der Liberalisierung von 2010 bestand darin, dass mehrere bestehende Verbindungen, die unter Einsatz konventionellen Materials sowie unter klassischen Betriebsbedingungen (Hochgeschwindigkeitszüge ausgenommen) bedient wurden, abgeschafft und Kooperationen aufgekündigt wurden, obwohl sie schon seit Langem bestanden. Der EWSA bedauert diese Entwicklung und fordert die Kommission nachdrücklich auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die grenzüberschreitenden Schienenpersonenverkehrsdienste zu verbessern und auszubauen.

3.19

Eine Untersuchung der Lage des Schienengüterverkehrs ergibt ihrerseits in einer Vielzahl von Mitgliedstaaten ein katastrophales Bild. Dies liegt vor allem daran, dass die Modernisierung und der Ausbau der Schienenwege nicht mit dem Tempo der Modernisierung der Straßenverbindungen mithalten und dass die Eisenbahnen Trassenbenutzungsgebühren bezahlen müssen. Hinzu kommt, dass der Wettbewerb um die rentabelsten Verbindungen gewisse Verbesserungen für eine Reihe von Ganzzugbedienungen bringt. Zum Teil geht dies jedoch zu Lasten des Einzelwagenladungsverkehrs, dessen Systeme mehr und mehr ausgedünnt werden. Dies kann eine industrielle Verödung ganzer Regionen bewirken und bringt Tausende LKWs wieder auf die Straße. Zahlreiche Akteure geben übrigens unumwunden zu, dass die Liberalisierung in einer Reihe von Mitgliedstaaten keine einzige zusätzliche Tonne an Gütern auf die Schiene gebracht hat.

3.20

Die obigen Feststellungen veranlassen den EWSA dazu, der Kommission trotz der offensichtlichen Notwendigkeit einer Marktreform zu raten, mit Vorsicht an die Liberalisierung des inländischen Personenverkehrs heranzugehen und hierbei insbesondere die derzeit mit der Liberalisierung des internationalen Verkehrs gesammelten Erfahrungen zu untersuchen. Die Kommission erkennt im Übrigen die Schwierigkeit der Neubelebung eines internationalen Schienenverkehrs an, der zu sehr von dem ihm unzweifelhafte Netzvorteile bringenden inländischen Streckennetz abgekoppelt ist.

3.21

In dieser Hinsicht schließt sich der EWSA der Feststellung an, dass der internationale Schienenpersonenverkehr trotz des unbestreitbaren Willens der Europäischen Kommission, einen entsprechenden Rechtsrahmen zu schaffen, nur schwach entwickelt ist.

3.22

Daraus ergibt sich der offenkundige Schluss, dass die empfohlenen Lösungsansätze unzureichend sind, weil der Markt zumal nicht in der Lage ist, ohne adäquate Investitionen und geeignete ordnungspolitische Impulse die geschilderten Probleme zu lösen. Eine besondere Herausforderung ist in diesem Zusammenhang die Gewährleistung der Verkehrsanbindung der Randgebiete mit modernen und umweltfreundlichen Verkehrsmitteln.

3.23

Dieses Ziel muss die Union prioritär behandeln, um einen einheitlichen europäischen Raum schaffen zu können, indem die Grenzeffekte aufgehoben werden und indem Einheiten, die bislang zu einem lähmenden Parallelismus gezwungen sind, im Hinblick auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eine Kohärenz verliehen wird.

3.24

Der EWSA fordert, dass die Union die Möglichkeit vorsieht, grenzübergreifende Strukturen zu schaffen, sowie die Festlegung der Modalitäten für deren Tätigwerden in den von ihnen abgedeckten Gebieten, um die Aufgaben der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wie in Artikel 14 des Vertrags und im Protokoll Nr. 26 vorgesehen festlegen und organisieren zu können.

3.25

Nur eine politische Initiative mit einer starken Förderung durch die öffentliche Hand kann einen Raum und Beziehungen schaffen, die von einem ausgereiften Markt besetzt werden können. Der Ausschuss fordert die Kommission dringend auf, die Verbesserung der Leistungsqualität und Leistungssicherheit – insbesondere der grenzüberschreitenden Dienste – auf dem EU-Schienenverkehrsmarkt stärker ins Visier zu nehmen und dabei auch den Entwicklungen bei anderen Verkehrsträgern Rechnung zu tragen. Ziel müssen wachsende Marktanteile des Schienenverkehrs und Kundenzufriedenheit sein; indes können die verschiedenen Mitgliedstaaten diese Ziele auf unterschiedliche Weise erreichen.

4.   Überarbeitung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 über die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen

4.1

In der Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 ist Folgendes vorgesehen: die Pflicht, beim Schienenverkehr Ausschreibungen durchzuführen, die Organisation dieser Ausschreibungen, die Ausarbeitung von Plänen für den öffentlichen Verkehr und die Bereitstellung des Rollmaterials für die neuen Marktteilnehmer.

4.2

Der EWSA äußert der EWSA in Ziffer 1.7 seiner Stellungnahme TEN/495 vom 13. Dezember 2012 starke Bedenken hinsichtlich der Überarbeitung der Verordnung über die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen. Es ist festzustellen, dass die vorgesehene Bewertung nicht die Erwartungen im Hinblick auf die in den Folgenabschätzungen enthaltenen Ergebnisse erfüllt.

4.3

Mehrere Studien, darunter einige im Auftrag der Kommission wie der Bericht "Study on Regulatory Options on future Market Opening in Rail Passengers Transport" fördern unterschiedliche und gegensätzliche Elemente zu Tage, die keine einheitliche Lösung für die Probleme im Zusammenhang mit dem Fahrgastaufkommens, der Dienstleistungsfrequenz, der Entwicklung der staatlichen Beihilfen und der Produktivität ermöglichen.

4.4

Bei einem unterschiedlichem Rechtsrahmen (Öffnung für den Wettbewerb oder nicht) unterliegenden Netzen waren sehr ähnlich Ergebnisse zu verzeichnen, was dazu geführt hat, Abstand von einem allzu allgemeinen Ansatz zu nehmen, bei dem nicht den die Verkehrsorganisation beeinflussenden nationalen Gegebenheiten Rechnung getragen wird, wie geografische Lage, Wetterbedingungen, räumliche Ordnung der Produktion und der Wohnorte, von denen einige noch sehr schlecht schienenverkehrsmäßig angebunden sind, wie in der Stellungnahme TEN/495 vom 13. Dezember 2012 erwähnt wird.

4.5

Diese Aspekte müssen die Union dazu veranlassen sich zu vergewissern, dass die eingesetzten Mittel es ermöglichen, die Ziele der geplanten Maßnahme, die sich auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene nicht erreichen ließen, auf Unionsebene zu verwirklichen, ohne über das zur Erreichung der Ziele erforderliche Maß hinauszugehen.

4.6

Im Lichte des Vorschlags der Kommission, für die Direktvergabe eine Höchstgrenze festzulegen – eine Bestimmung, die eine fragwürdige Beschneidung des Grundsatzes der Selbstverwaltung der Gebietskörperschaften bedeutet –, muss sorgfältig geprüft werden, ob diesem Ziel Genüge getan wird.

4.7

Bei der Festlegung einer Höchstzahl von Franchiseverträgen pro Betreiber muss den unweigerlichen Schwelleneffekten Rechnung getragen werden, die der Kohärenz der Dienstleistungen schaden können und – mangels Ausgleichsleistung – zu Einbußen bei der infolge der Marktöffnung erwarteten Wettbewerbsfähigkeit führen werden. Daher muss wie derzeit in der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 vorgesehen, die Entscheidung, ob ein oder mehrere Lose direkt an einen Betreiber oder im Wege eines Ausschreibungsverfahrens vergeben werden, den zuständigen Behörden überlassen werden, ebenso wie die Gliederung dieser Verfahren, einschließlich deren eventuelle Aufteilung in Lose zur Vermeidung dieser Schwelleneffekte.

4.8

Außerdem stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit einer solchen Ausführlichkeit und Detailgenauigkeit bei der Erstellung von Plänen für den öffentlichen Verkehr, was wie eine Einschränkung des im Vertrag vorgesehenen "weiten Ermessensspielraums der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen" anmutet.

4.9

Besondere Aufmerksamkeit muss den Bedingungen geschenkt werden, unter denen die Kommission neuen Akteuren, denen die für die Qualität und die Sicherheit der Schienenverkehrsdienste doch so wichtigen Investitionen und Tätigkeiten im Bereich der Forschung und Innovation erspart werden, das für den Eisenbahnbetrieb erforderliche Sachkapital zur Verfügung stellen will.

4.10

Das Beispiel des Vereinigten Königreichs zeigt, dass die Anmietung dieses Materials über Finanzierungsgesellschaften von Banken erfolgt, was erhebliche Risiken im Hinblick auf die Verfügbarkeit dieses Sachkapitals mit sich bringt und die Frage nach der Kontrolle seiner Verwendung aufwirft.

5.   Rolle der europäischen Eisenbahnagentur, Schienenverkehrssicherheit und Interoperabilität des Eisenbahnsystems

5.1

Im zweiten Maßnahmenpaket ist die Schaffung einer europäischen Eisenbahnagentur mit Sitz in Valenciennes in Frankreich vorgesehen, die damit beauftragt ist, die technische Harmonisierung der europäischen Netze und des europäischen Materials einzuleiten, über die Ausarbeitung gemeinsamer Standards (Technische Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI) und gemeinsamen Sicherheitsmethoden (CSM)) die Interoperabilität weiterzuentwickeln und die Schienenverkehrssicherheit zu stärken.

5.2

In Artikel 91 des Vertrags wird die Union bezüglich der Verkehrssicherheit zur Erzielung von Ergebnissen verpflichtet, was zur ständigen Verbesserung des Sicherheitsniveaus zwingt.

5.3

Ferner lässt sich das Sicherheitsniveau im Schienenverkehr und dessen Entwicklung im Zuge der institutionellen und technischen Änderungen, denen er unterworfen ist, keineswegs anhand der registrierten Zahl der Unfallopfer messen. Vielmehr muss es mit Hilfe von Indikatoren bewertet werden, die es ermöglichen, diese Entwicklungen zu erfassen und vorausschauend zu handeln, um den Fahrgästen und Gleisanliegern ein höchstmögliches Sicherheitsniveau zu garantieren.

5.4

Zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums ist eine bessere Interoperabilität erforderlich. Die Kompatibilität der Infrastrukturen sowie des Rollmaterials und ortsfesten Materials muss auf einfachen und raschen Verfahren gründen, mit denen deren Sicherheitsniveau aufrechterhalten und deren Weiterentwicklung, Modernisierung und Anpassung an neue Bedürfnisse gewährleistet wird.

5.5

Unter diesem Gesichtspunkt kann die Sicherheit – entgegen der Darstellung in dem Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Durchführung der Bestimmungen der Richtlinie 2007/58/EG zur Öffnung des Marktes für grenzüberschreitende Schienenpersonenverkehrsdienste (Begleitunterlage zur Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament zum vierten Eisenbahnpaket) – nicht als ein Hindernis angesehen werden. Jüngst in anderen Bereichen gesammelte Erfahrungen zeigen, dass sich ein allzu großer Laxismus auf diesem Gebiet negativ auf die Wahrnehmung der Rolle der Union durch die Unionsbürger auswirken kann. Andererseits sollten die sich nahe Viareggio und in jüngerer Zeit bei Schellebelle ereigneten Zugunglücke sämtliche Akteure dazu veranlassen, beim Eisenbahnbetrieb größte Umsicht und Strenge walten zu lassen.

5.6

In dieser Hinsicht spielt die europäische Eisenbahnagentur eine zentrale Rolle, die mit den an ein Netz für Informationsaustausch und Zusammenarbeit angebundenes nationalen Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten. Ferner müssen ihre Aufgaben sowie diejenigen der nationalen Sicherheitsbehörden auf die menschliche Dimension des Eisenbahnbetriebs ausgeweitet werden und den Aspekten der unbestreitbar zur Schienenverkehrssicherheit gehörenden Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer Rechnung tragen.

5.7

Aufgrund der zunehmenden Zahl von Akteuren im Eisenbahnsektor und der potenziellen Folgen einer mangelhaften Arbeitsorganisation sollte die Rolle der nationalen Sicherheitsbehörden außerdem auf die Kontrolle der Bedingungen für die Erbringung von Dienstleistungen im Schienenverkehr ausgedehnt werden. Sie sollten zu einer wahren Eisenbahnpolizei werden, mit der Aufgabe, die Anwendung der geltenden Bestimmungen zu überwachen, bei denen es sich um ordnungspolitische Vorschriften handelt.

5.8

Im April 2011 wurde im Auftrag der Kommission eine Bewertung der Rolle der Agentur vorgenommen. Daraus geht hervor, dass der Eisenbahnagentur die Aufgabe übertragen werden könnte, die Innovation zu fördern, um die Interoperabilität und die Schienenverkehrssicherheit zu verbessern, insbesondere die Nutzung der neuen Informationstechnologien und Überwachungs- und Ortungssysteme. Die Agentur kann jedoch nicht von ihrer rechtlichen Haftung für ihre Entscheidungen befreit werden.

5.9

Diese Dimension führt zur Definition einer auf Forschung, Innovation und Investitionen gestützten Industriepolitik, bei der angesichts einer großen europäischen Aufgabe, die zum wirtschaftlichen Aufschwung beitragen kann, eine Unterstützung durch die öffentliche Hand erforderlich ist. Das europäische Industrie- und Forschungsprojekt Shift2Rail kann bei angemessener Einbeziehung aller Unternehmen des Schienenverkehrs ein geeigneter Ansatz sein.

5.10

Darüber hinaus könnte im Einklang mit den Verpflichtungen, die der Union gemäß Artikel 91 des Vertrags auferlegt werden, und zur Gewährleistung eines höheren Gesundheitsschutz- und Sicherheitsniveaus der Arbeitnehmer der Eisenbahnagentur die Befugnis übertragen werden, dafür zu sorgen, dass alle Akteure die in Bezug auf die Interoperabilität getroffenen Entscheidungen einhalten.

6.   Soziale Aspekte

6.1

Der letzte Aspekt der Neubelebung der Industriepolitik auf EU-Ebene steht in Zusammenhang mit den Herausforderungen der Altersstruktur der Beschäftigten und der Verteilung der Qualifikationen im Eisenbahnsektor und im Gleisbau.

6.2

So ist eine Alterung der Arbeitnehmer sowie eine veränderte gesellschaftliche Schichtung innerhalb der Sektoren festzustellen, dergestalt dass zukünftig immer mehr Beschäftigte Führungskräfte, Ingenieure und Techniker sind.

6.3

Diese Situation wird in den kommenden Jahren zu einem umfassenden Personalwechsel bei den für den Eisenbahnbetrieb zuständigen Mitarbeitern und einer erheblichen Personalfluktuation bei den neuen Marktteilnehmern führen. Dies wirft die Frage nach den Arbeitsbedingungen Letzterer und der Senkung des spezifischen Sozialschutzniveaus des Sektors auf, bei dem der Beschwerlichkeit und Gefahrträchtigkeit von Schienenverkehrsberufen Rechnung getragen wurde und das vor der Liberalisierung eine Beschäftigung in diesem Sektor attraktiv machte.

6.4

Daher ist im Hinblick darauf, den Eisenbahnbetrieb in den Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene zuverlässiger zu machen, die Attraktivität einer Beschäftigung im Eisenbahnsektor, insbesondere für junge Menschen und Frauen, eine große Herausforderung, die darin besteht, im Eisenbahnsektor neue Arbeitnehmer einzustellen und das Personal zu halten.

6.5

Diese doppelte Zielsetzung der Attraktivität/Mitarbeiterbindung zwingt dazu, dass die Mitgliedstaaten die im Bereich Sozialschutz (insbesondere bei den Renten), Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen eingegangenen Verpflichtungen einhalten und den Mitarbeitern auf dem Erwerb und der Anerkennung von Kenntnissen aufbauende langfristige Aussichten für ihre Karriere und ihre berufliche Laufbahn bieten. Hierzu können spezifische Programme wie Erasmus herangezogen werden.

6.6

Die Stellungnahme des EWSA zu sozialen Aspekte der europäischen Verkehrspolitik (TEN/445) vom 15. Juni 2011 enthält einige einschlägige Empfehlungen zur Verbesserung der Attraktivität des Sektors, die die Kommission in ihre Legislativvorschläge aufnehmen sollte.

6.7

Der EWSA fordert, dass jeder Mitgliedstaat im Rahmen der Entscheidungen, die er bei der Organisation oder der Öffnung für den Wettbewerb trifft, das Beschäftigungsniveau seiner etablierten Betreiber zu wahren, die dem Personal gewährten Sozialleistungen beizubehalten und die Vergütungs- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer aufrechtzuerhalten. Im Falle eines Betreiberwechsels sind die Übernahme des betroffenen Personals und die Beibehaltung ihrer Sozialleistungen vorzusehen.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 99-107.

(2)  ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 22-30.

(3)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 146-153.

(4)  ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 49-52.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der Stimmen:

Ziffer 1.5

Ändern:

Der EWSA fordert, es auch weiterhin den Mitgliedstaaten zu überlassen, ihre nationalen Eisenbahnsysteme zu organisieren und je nach ihrer geografischen Lage, ihrer Demografie, ihrer Geschichte und den jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Gegebenheiten ihren Markt für den inländischen Schienenverkehr dem Wettbewerb zu öffnen.Der EWSA befürwortet das Ziel des Kommissionsvorschlags, einen gemeinsamen Schienenverkehrsmarkt mit hochwertigen Verkehrsleistungen und ohne grenzüberschreitende Hindernisse in Europa zu schaffen. Der Ausschuss fordert die Kommission dringend auf, die Verbesserung der Leistungsqualität der Dienste – insbesondere der grenzüberschreitenden - auf dem EU-Schienenverkehrsmarkt stärker ins Visier zu nehmen und dabei auch den Entwicklungen bei anderen Verkehrsträgern Rechnung zu tragen. Allgemeines Ziel müssen wachsende Marktanteile des Schienenverkehrs und Kundenzufriedenheit sein; indes können es die verschiedenen Mitgliedstaaten auf unterschiedliche Weise erreichen.

Abstimmungsergebnis (Ziffern 1.5 und 3.1 gemeinsam zur Abstimmung gebracht und abgelehnt)

Ja-Stimmen

:

30

Nein-Stimmen

:

71

Enthaltungen

:

7

Ziffer 3.1

Ändern:

Mit diesem Legislativvorschlag für ein viertes Eisenbahnpaket setzt möchte die Kommission ihre Bemühungen fort, den europäischen Schienenverkehr neu zu beleben. Wie die vorhergehenden, bereits verabschiedeten Eisenbahnpakete gründet auch dieses vierte Paket auf der Tatsache, dass der Schienenverkehr ein wichtiger Teil eines nachhaltigen Personen- und Güterverkehrssystems in der EU ist und dass eine Marktreform als notwendig erachtet wird, um einen gemeinsamen Schienenverkehrsmarkt zu schaffen, der die Ansprüche erfüllt, denen der Eisenbahnverkehr in den vergangenen Jahrzehnten nicht gerecht werden konnte. Nach dem durch die Öffnung des Schienengüterverkehr und dem internationalen Schienenpersonenverkehr soll nun auch der inländischen Schienenpersonenverkehrs für den Wettbewerb geöffnet werden neu beleben. Nach Ansicht der Kommission muss dieser Wertbewerb durch EU-Rechtsvorschriften angeregt werden, die die Trennung der Funktionen des Infrastrukturbetreibers, die sich auf die Aufgaben Verkehrsbetrieb, Wartung der Streckennetze und Investitionen in das Schienennetz erstrecken auf der einen Seite, von den Funktionen des Beförderungs Eisenbahnunternehmens auf der anderen Seite vorsehen. Dies impliziert auch die Stärkung der Regulierungsbehörden, die den Eisenbahnmarkt beaufsichtigen sollen. Der Ausschuss stellt fest, dass es mit der aktuellen Lage im Schienenverkehrssektor nicht zum Besten steht und Marktreformen dringend Not tun. Er befürwortet das Ziel des Kommissionsvorschlags, einen gemeinsamen Schienenverkehrsmarkt mit hochwertigen Verkehrsleistungen und ohne grenzüberschreitende Hindernisse in Europa zu schaffen.

Abstimmungsergebnis (Ziffern 1.5 und 3.1 gemeinsam zur Abstimmung gebracht und abgelehnt)

Ja-Stimmen

:

30

Nein-Stimmen

:

71

Enthaltungen

:

7

Ziffer 3.5

Ändern:

Mehrere Studien haben zu recht uneinheitlichen Ergebnissen in Bezug auf die Folgen der Trennung der Funktionen der Infrastrukturbetreiber und derjenigen der Eisenbahnunternehmen und der Deregulierung der Schienenverkehrsmärkte geführt. Eine Prüfung der von der Kommission bereitgestellten statistischen Daten zeigt jedoch ferner, dass zwischen dieser Trennung, der Marktöffnung und der Verbesserung der Ergebnisse des Eisenbahnsektors kein zwangsläufiger Zusammenhang besteht. In den verschiedenen Mitgliedstaaten, die die Trennung der Funktionen und/oder die Deregulierung der Schienenverkehrsmärkte vollzogen haben, und auf den Märkten, auf denen keine Reformbemühungen stattgefunden haben, sind sichtlich unterschiedliche Erfahrungen gemacht worden. Die Marktanteile des Schienenverkehrs hängen demnach nicht nur vom jeweiligen Governance-Modell ab, sondern auch vom allgemeinen Investitionsniveau sowie von den geografischen, demografischen und industriellen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten. Vielmehr scheint Letztere unmittelbar von den Finanzierungsniveaus und der Höhe der Infrastrukturbenutzungsentgelte abzuhängen. Andererseits wird im McNulty-Bericht eine äußerst gemischte Bilanz der Situation in Großbritannien gezogen und anerkannt, dass sich das dortige Eisenbahnsystem für den Staat und die Nutzer als kostspieliger erweist und es unter der mangelnden Abstimmung unter den verschiedenen Akteuren leidet und folglich eine stärkere Einbindung des Staats in die entsprechende Integration (Tarife, Verteilung, Fahrpläne usw.) erforderlich ist. Um die Dinge wieder ins Lot zu bringen empfiehlt Sir McNulty drei verschiedene Empfehlungen aus: Aufteilung der Kosten und Einnahmen unter dem Infrastrukturbetreiber und den Eisenbahnunternehmen, Joint Ventures zwischen diesen Akteuren und Wiederzusammenlegung bei bestimmten Franchise-Verträgen.

Abstimmungsergebnis (Ziffern 3.5 und 3.6 gemeinsam zur Abstimmung gebracht und abgelehnt)

Ja-Stimmen

:

27

Nein-Stimmen

:

70

Enthaltungen

:

7

Ziffer 3.6

Streichen:

Einige nationale Studien, in denen die Qualität der Schienenverkehrsdienste untersucht wird, wie die Studie des britischen Verbraucherschutzverbands "Which?" ergeben aus Sicht der Fahrgäste ein gemischtes Bild des Bahnbetriebs. Daraus geht hervor, dass sie bei der Hälfte der Betreiber zu 50% oder weniger damit zufrieden sind und nur 22% der Fahrgäste der Ansicht sind, dass sich die Systemqualität verbessert ( http://which.co.uk/home-and-garden/leisure/reviews-ns/best-and-worst-uk-train-companies/best-train-companies-overall/ ).

Abstimmungsergebnis (Ziffern 3.5 und 3.6 gemeinsam zur Abstimmung gebracht und abgelehnt)

Ja-Stimmen

:

27

Nein-Stimmen

:

70

Enthaltungen

:

7

Ziffer 3.11

Ändern:

Aufgrund von Artikel 63 Absatz 1 der Richtlinie 2012/34/EU zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums haben die beiden Mitgesetzgeber die Kommission aufgefordert, einen Bericht "über die Umsetzung von Kapitel II" der Richtlinie vorzulegen, in dem es im Wesentlichen um die Unabhängigkeit und die Strukturen des Eisenbahnsektors in der EU geht. In diesem Bericht werden "die Entwicklung des Marktes einschließlich des Stands der Vorbereitungen für die weitergehende Öffnung des Schienenverkehrsmarktes für Personenverkehrsdienste beschr[ie]ben" und "die verschiedenen Modelle für die Organisation dieses Marktes sowie die Auswirkungen dieser Richtlinie auf Verträge für öffentliche Dienstleistungen sowie deren Finanzierung analysier[t]". Dabei hätte die Kommission auch "die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 sowie die immanenten Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Netzdichte, Passagierzahlen, durchschnittliche Reiseentfernung) berücksichtigen" sollen. Im vorliegenden Fall wurde in der Debatte, die in jüngster Zeit im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens für die Neufassung des ersten Eisenbahnpakets, aus der die Richtlinie 2012/34/EU hervorging, geführt wurde, über diese Frage entschieden, indem Regelungen getroffen wurden, die nach der Umsetzung in nationales Recht ihre volle Wirksamkeit entfalten dürften. Im Verlauf der Diskussionen trat die Notwendigkeit zu Tage, den wurde befürwortet, dass die Mitgliedstaaten die Organisation ihrer nationalen Systeme zu überlassen organisieren und eine integrierte Organisationsform der Produktion beizubehalten sollten, um eine Bündelung zu ermöglichen und die Zahl der wirtschaftlich abträglichen und die Sicherheit beeinträchtigenden Schnittstellen zu senken,sofern ihnen dies sinnvoll erscheint.

Abstimmungsergebnis (Ziffern 3.11, 3.12, 3.13 und 3.14 gemeinsam zur Abstimmung gebracht und abgelehnt)

Ja-Stimmen

:

35

Nein-Stimmen

:

67

Enthaltungen

:

2

Ziffer 3.12

Streichen:

Bei einem spurgebundenen schienengeführten Verkehrssystem bringt die Trennung des Infrastrukturbetriebs in der Regel mehr Störungen als Vorteile mit sich, da der Betrieb stark verkompliziert wird, wodurch die Kosten steigen und die Dienstleistungsqualität abnimmt. Dies gilt insbesondere bei intensiv mit Mischverkehren genutzten Netzen.

Abstimmungsergebnis (Ziffern 3.11, 3.12, 3.13 und 3.14 gemeinsam zur Abstimmung gebracht und abgelehnt)

Ja-Stimmen

:

35

Nein-Stimmen

:

67

Enthaltungen

:

2

Ziffer 3.13

Streichen:

Die Einführung technischer Neuerungen ist zeitaufwändiger und schwieriger. Innovationen, die häufig zugleich im ortsfesten (Infrastruktur) als auch im mobilen (Rollmaterial) Bereich stattfinden, werden gebremst. Die erhebliche Zunahme der Bürokratie und der Zahl unnötiger Schnittstellen führt zu höheren Betriebskosten und langwierigen Entscheidungsprozessen.

Abstimmungsergebnis (Ziffern 3.11, 3.12, 3.13 und 3.14 gemeinsam zur Abstimmung gebracht und abgelehnt)

Ja-Stimmen

:

35

Nein-Stimmen

:

67

Enthaltungen

:

2

Ziffer 3.14

Ändern:

Darüber hinaus besteht bei der führt die Trennung der Funktionen der Infrastrukturbetreiber und derjenigen der Beförderungsunternehmen die Gefahr dazu, dass sich der Netz- oder Infrastrukturbetreiber zunehmend von den Endnutzern (Fahrgäste und Spediteure) und deren Anforderungen an die Dienstleistungsqualität (insbesondere die Pünktlichkeit) entfernt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer guten Aufsichtsfunktion auf diesen Märkten. Innerhalb des Eisenbahnsystems muss also auch weiterhin eine Mittlerrolle vorgesehen werden, ohne die Unabhängigkeit der wesentlichen Funktionen des Infrastrukturbetreibers anzutasten.

Abstimmungsergebnis (Ziffern 3.11, 3.12, 3.13 und 3.14 gemeinsam zur Abstimmung gebracht und abgelehnt)

Ja-Stimmen

:

35

Nein-Stimmen

:

67

Enthaltungen

:

2

Bisherige Ziffer 3.19

Ändern:

Eine Untersuchung der Lage des In Bezug auf den Schienengüterverkehrs hat sich die Deregulierung sehr unterschiedlich auf die einzelnen Mitgliedstaaten und Märkte ausgewirkt. In einigen ergibt ihrerseits in einer Vielzahl von Mitgliedstaaten, vor allem in Osteuropa, sind die jüngsten Entwicklungen äußerst problematisch ein katastrophales Bild. Dies liegt jedoch nicht an der Deregulierung an sich, sondern vor allem daran, dass die Modernisierung und der Ausbau der Schienenwege nicht mit dem Tempo der Modernisierung der Straßenverbindungen mithalten und dass die Eisenbahnen Trassenbenutzungsgebühren bezahlen müssen. In einigen anderen Ländern wurden die Dienstleistungen für die Kunden erheblich ausgebaut, so dass mehr Güter auf der Schiene befördert werden als zuvor. Allgemein hat sich der zunehmende Wettbewerb vor allem im Ganzzugverkehr positiv ausgewirkt. Dagegen ist der in Europa seit langem schon problembehaftete Einzelwagenladungsverkehr in den meisten Mitgliedstaaten weiter rückläufig, was zu Netzeffekten und zur Stilllegung wenig genutzter Schieneninfrastruktur führt. Hinzu kommt, dass der Wettbewerb um die rentabelsten Verbindungen gewisse Verbesserungen für eine Reihe von Ganzzugbedienungen bringt. Zum Teil geht dies jedoch zu Lasten des Einzelwagenladungsverkehrs, dessen Systeme mehr und mehr ausgedünnt werden. Dies kann eine industrielle Verödung ganzer Regionen bewirken und bringt Tausende LKWs wieder auf die Straße. Zahlreiche Akteure geben übrigens unumwunden zu, Aus der Mitteilung der Kommission geht deutlich hervor, dass die Deregulierung des EU-Schienengüterverkehrs nicht ausgereicht hat, um einen neuen wettbewerbsfähigen Schienengüterverkehrsmarkt zu schaffen. Einige Betreiber behaupten sogar, dass die Liberalisierung an sich in einer Reihe von Mitgliedstaaten keine einzige zusätzliche Tonne an Gütern auf die Schiene gebracht hat.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

:

39

Nein-Stimmen

:

72

Enthaltungen

:

3


12.11.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 327/133


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/53/EG vom 25. Juli 1996 zur Festlegung der höchstzulässigen Abmessungen für bestimmte Straßenfahrzeuge im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr in der Gemeinschaft sowie zur Festlegung der höchstzulässigen Gewichte im grenzüberschreitenden Verkehr

COM(2013) 195 final/2 — 2013/0105 (COD)

2013/C 327/22

Hauptberichterstatter: Virgilio RANOCCHIARI

Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 13. Mai 2013 bzw. am 18. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 91 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 96/53/EG vom 25. Juli 1996 zur Festlegung der höchstzulässigen Abmessungen für bestimmte Straßenfahrzeuge im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr in der Gemeinschaft sowie zur Festlegung der höchstzulässigen Gewichte im grenzüberschreitenden Verkehr

COM(2013) 195 final/2 — 2013/0105 (COD).

Das Präsidium beauftragte die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft am 21. Mai 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 491. Plenartagung am 10./11. Juli 2013 (Sitzung vom 11. Juli), Virgilio RANOCCHIARI zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 87 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Kommissionsvorschlag, die derzeitige Richtlinie über Gewichte und Abmessungen bestimmter Fahrzeuge – nach 17 Jahren – zu überarbeiten. Das Ziel des Vorschlags lautet, mit dem technischen Fortschritt Schritt zu halten, um die Sauberkeit und Sicherheit der Fahrzeuge zu erhöhen.

1.2

Zugleich stellt der EWSA fest, dass einige heikle Fragen geklärt werden müssen, damit die Überarbeitung im Einklang mit den bereits bestehenden Rechtsvorschriften erfolgen kann und jegliche unnötige Komplexität und/oder Diskriminierung vermieden wird.

1.3

Von daher ist der EWSA zuversichtlich, dass der für den Erlass delegierter Rechtsakte eingesetzte Sachverständigenausschuss zur Beseitigung jeglicher Widersprüche beitragen wird.

1.4

Bezüglich der Heckklappen empfiehlt der EWSA nachdrücklich, ihre Anbringung in das derzeitige System der europäischen Typgenehmigung aufzunehmen und die nationale Typgenehmigung zu vermeiden, die einen Rückschritt gegenüber der Ganzfahrzeug-Typgenehmigung (Whole Vehicle Type Approval, WVTA) darstellen würde.

1.5

Die nur für zweiachsige Fahrzeuge mit Elektro- oder Hybridantrieb gewährte Gewichtsausnahme sollte auf Fahrzeuge mit drei oder mehr Achsen und auf andere Fahrzeuge mit alternativen Antriebssystemen und Kraftstoffen ausgedehnt werden, wenn die einschlägigen technischen Lösungen zu einem Mehrgewicht führen, wodurch das Ladevermögen verringert wird.

1.6

On-board-Wiegesysteme werden nicht verbindlich vorgeschrieben, sondern nur empfohlen. Der EWSA weist darauf hin, dass es nicht für alle Fahrzeugtypen eine technische Lösung gibt und dass die Anbringung dieser Vorrichtungen an Fahrzeugen mit mechanischer Federung bzw. vielachsigen Fahrzeugen sehr problematisch sein kann.

Letztlich wird es äußerst schwierig sein, ein System zu schaffen, das präzise genug ist, so dass es als Durchsetzungsinstrument für das hier in Rede stehende Regelwerk genutzt werden kann. Demgegenüber könnte dasselbe Ergebnis erzielt werden, wenn die bereits in den Mitgliedstaaten verwendete WIM-Technik (in die Straßenoberfläche integrierte, dynamische Achslastwiegesysteme, Weight in Motion) verstärkt genutzt würde.

1.7

Schließlich ist der EWSA bezüglich des modularen Konzepts bzw. Riesen-LKW (Longer Heavier Vehicles, LHV) der Ansicht, dass der Kommissionsvorschlag einstweilen angemessen ist, wie in Ziffer 4.6 dieser Stellungnahme näher ausgeführt wird.

1.8

Es kann jedoch zu einem Dominoeffekt kommen, wenn schließlich mehr Mitgliedstaaten den grenzüberschreitenden Einsatz von LHV gestatten und solche Fahrzeuge schrittweise europaweit zugelassen werden. In diesem Fall könnte aufgrund der Ausnahmeregelungen die derzeitige außerordentliche Praxis zur Norm werden und dem Leitprinzip des Vorschlags zuwiderlaufen, bei dem einmal mehr betont wird, dass das modulare Konzept den internationalen Wettbewerb nicht maßgeblich beeinträchtigen und diejenigen Mitgliedstaaten, die keine LHV auf ihrem Gebiet zulassen, nicht benachteiligen darf.

1.9

In einem solchen Fall könnte die Kommission dies nur zur Kenntnis nehmen und die Entscheidung über den einzuschlagenden Weg den Marktkräften überlassen. Falls die LHV einen Marktanteil in Mitgliedstaaten mit adäquaten Infrastrukturen und Sicherheitsanforderungen erobern, wird die Europäische Kommission sie nicht ohne Missachtung des Subsidiaritätsprinzips beschränken können.

2.   Einleitung

2.1

Die derzeitige Richtlinie zur Festlegung der höchstzulässigen Abmessungen im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr und der höchstzulässigen Gewichte im grenzüberschreitenden Verkehr für bestimmte Straßenfahrzeuge in der Gemeinschaft (1) datiert vom Juli 1996.

2.2

Aufgrund der zwingender werdenden Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen und den Verbrauch von Erdölprodukten zu senken, und da 82 % des Energieverbrauchs im Verkehrssektor auf den Straßenverkehr entfallen, war es an der Zeit, diese Rechtsvorschriften zu aktualisieren und sich dabei an den jüngsten technischen Entwicklungen zu Verringerung des Kraftstoffverbrauchs und zur Erleichterung intermodaler Transporte zu orientieren.

2.3

Eigentlich wurde die Überarbeitung der derzeitigen Richtlinie bereits im Verkehrs-Weißbuch von 2011 (2) mit dem Ziel angekündigt, energieeffizientere Fahrzeuge auf den Markt zu bringen.

2.4

Vor diesem Hintergrund begrüßt der EWSA nachdrücklich den Kommissionsvorschlag zur Überarbeitung der derzeitigen Richtlinie, zumal hierbei nicht nur die Verringerung des Kraftstoffverbrauchs, sondern auch die Erfordernisse des intermodalen Verkehrs und der Containerisierung und nicht zuletzt auch die Straßenverkehrssicherheit berücksichtigt werden.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1

Zulassung einer Abweichung von den Abmessungsobergrenzen für Fahrzeuge:

für die Anbringung aerodynamischer Luftleiteinrichtungen (Heckklappen) zur Verbesserung der Energieeffizienz;

für die Änderung des Führerhauses zur Verbesserung der Aerodynamik und der Straßenverkehrssicherheit sowie des Fahrerkomforts.

3.2

Erhöhung des zulässigen Gewichts um eine Tonne für:

zweiachsige Fahrzeuge mit Elektro- oder Hybridantrieb, um dem Gewicht der Batterien bzw. des Doppelantriebs Rechnung zu tragen, ohne das Ladevermögen dieser Fahrzeuge zu beeinträchtigen;

dieselbe Gewichtserhöhung wird für Kraftomnibusse gewährt, um dem gestiegenen Durchschnittsgewicht der Passagiere und ihres Gepäcks, aber auch dem Gewicht der neuen Sicherheitsvorrichtungen an Bord Rechnung zu tragen. Hierdurch wird eine Verringerung der Anzahl der Fahrgäste, die pro Bus befördert werden können, vermieden.

3.3

Zulassung einer Längenabweichung von 15 cm bei LKW, um den Einsatz 45 Fuß langer Container auf EU-Ebene zu ermöglichen.

3.4

Zur besseren Aufdeckung von Verstößen hinsichtlich einer Überladung wird die Einführung von On-board-Wiegesystemen empfohlen, mit denen Gewichtsangaben den Kontrollbehörden übermittelt und Bedingungsgleichheit für Spediteure gewährleistet werden können.

3.5

Bestätigung des grenzüberschreitenden Einsatzes des EMS (europäisches modulares System) bzw. von LHV, wenn sie nur eine Grenze überschreiten und unter der Voraussetzung, dass die beiden betroffenen Mitgliedstaaten dies bereits zulassen und wenn dabei die von der Richtlinie vorgegebenen Abweichungsbeschränkungen eingehalten werden. Der Einsatz dieser Fahrzeuge darf den internationalen Wettbewerb nicht maßgeblich beeinträchtigen.

3.6

Die Europäische Kommission wird technische Merkmale, Mindestleistungsniveaus, Herstellungsvorgaben und Verfahren hinsichtlich der oben genannten Anforderungen festlegen.

3.7

Zu diesem Zweck wurde ein Sachverständigenausschuss eingesetzt, der delegierte Rechtsakte erlassen soll, die dem Prinzip leistungsbasierter Standards entsprechen und dadurch die Auferlegung unverhältnismäßiger Verpflichtungen verhindern, die insbesondere KMU benachteiligen könnten. Alle wesentlichen Interessenträger sind in dem Sachverständigenausschuss vertreten.

4.   Anmerkungen des EWSA

4.1   Hintere Luftleiteinrichtungen

4.1.1

Die höchstzulässige Fahrzeuglänge kann um bis zu zwei Meter überschritten werden, wenn (einziehbare oder klappbare) aerodynamische Klappen am Heck angebracht werden.

4.1.2

Der EWSA unterstützt diese Neuerung, fordert die Kommission jedoch auf, jeden möglichen legislativen Widerspruch zwischen diesem Vorschlag (2 Meter Toleranz) und den Typgenehmigungsvorschriften (Verordnung 1230/2012) zu vermeiden, die eine Fahrzeugverlängerung um 50 cm zulassen und unmittelbar nach der Annahme dieses Vorschlags aktualisiert werden müssen.

4.1.3

Darüber hinaus heißt es in dem Vorschlag, dass die Anbringung solcher aerodynamischer Luftleiteinrichtungen Gegenstand einer nationalen Typgenehmigung durch die Mitgliedstaaten sein soll, die eine von allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennende entsprechende Bescheinigung ausstellen werden. Demgegenüber spricht sich der EWSA angesichts der Bedeutung dieser Einrichtungen – auch hinsichtlich der Sicherheit – nachdrücklich dafür aus, ihre Genehmigung in die gegenwärtige Regelung der europäischen Typgenehmigung aufzunehmen. Der nationale Ansatz würde einen Rückschritt gegenüber der Ganzfahrzeug-Typgenehmigung darstellen.

4.2   Aerodynamische Gestaltung des Führerhauses

4.2.1

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, dass sowohl die Richtlinie als auch der Bewertungsbericht des Sachverständigenausschusses spezifische Bestimmungen zur Verbesserung des Komforts des Führerhauses enthalten sollten. Immer mehr Fahrer verbringen auf internationalen Fahrten innerhalb der EU ihre Ruhezeiten im LKW, wobei im Extremfall nicht gebietsansässige Fahrer (Fahrer, die ihre Tätigkeit außerhalb ihres Wohnsitzstaates ausüben) praktisch monatelang in ihren LKW leben. Das Führerhaus muss unbedingt verbessert werden. Diese Verbesserungen werden sicherlich durch die Durchsetzung der Verordnung (EG) 561/2006, die es Fahrern untersagt, ihre wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug zu verbringen, sowie durch Maßnahmen zum Bau neuer gesicherter und erschwinglicher Parkplätze ergänzt werden müssen.

4.2.2

Der EWSA weist darauf hin, dass die Gestaltung eines Führerhauses kostspielig und komplex ist und ihre Entwicklung Zeit in Anspruch nimmt. Folglich müssen die Hersteller über eine angemessene Vorlaufzeit vor der Umsetzung verfügen; der EWSA schlägt daher eine Übergangszeit vor, die Bedingungsgleichheit für sämtliche Hersteller gewährleistet.

4.3   Fahrzeuge mit Elektro- oder Hybridantrieb

4.3.1

Der EWSA befürwortet die Gewährung von Gewichtsabweichungen für diese Fahrzeuge – LKW und Busse – spricht sich jedoch nachdrücklich dafür aus, dass die Ausnahmeregelung auch für Fahrzeuge mit drei oder mehr Achsen gelten kann.

4.3.2

Darüber hinaus ist der EWSA der Ansicht, dass alle umweltfreundlichen Fahrzeuge gleich behandelt werden sollten – entsprechend dem Grundsatz der technischen Neutralität, den die Europäische Kommission noch unlängst in dem Aktionsplan für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Automobilindustrie in Europa: CARS 2020 (3) bekräftigt hat. Der EWSA empfiehlt daher, dieselbe Abweichung auch für andere Antriebssysteme und alternative Kraftstoffe zu gewähren, wenn technische Lösungen zu einem das Ladevermögen beeinträchtigenden Mehrgewicht führen, z.B. bei Wasserstoff-, CNG- und LNG (Flüssigerdgas)-Fahrzeugen.

4.4   45 Fuß große Container für die intermodale Beförderung

4.4.1

Der Vorschlag, die Länge von Fahrzeugen, die 45 Fuß lange Container befördern, um 15 cm zu erhöhen, wird vom EWSA uneingeschränkt unterstützt.

4.4.2

Dieser Containertyp, dessen Zahl zwischen 2000 und 2010 weltweit um 86 % stieg, der 20 % des weltweiten Containerbestandes darstellt und in Europa einen Marktanteil von ca. 3 % besitzt, wird nunmehr keine Sondergenehmigung mehr benötigen; dies erleichtert einen besseren intermodalen Verkehr.

4.4.3

Ein fragwürdiger Aspekt dieses Vorschlags ist die Logik hinter der in Artikel 11 vorgesehenen Beschränkung des Anteils der Straße an der Beförderung: weniger als 300 km […] oder bis zu den am nächsten gelegenen Terminal, zwischen denen ein regelmäßiger Verkehrsdienst besteht. Eine solche Bestimmung dürfte ziemlich schwer zu interpretieren und kontrollieren sein. Zweifelhaft erscheint außerdem die unterschiedliche Behandlung der Straßenbeförderungen hin zu bzw. von einem Kurzstreckenseeverkehr innerhalb der EU, für die keine Beschränkungen festgelegt wurden und für die offenbar auch eine längere Straßenstrecke zulässig ist; hierdurch werden die anderen Kombinationen des intermodalen Verkehrs benachteiligt.

4.5   Wiegevorrichtungen an Bord

4.5.1

Es ist bekannt, dass Überladungskontrollen von Fahrzeugen oftmals ineffizient sind und nicht oft genug durchgeführt werden, was auf Kosten der Straßenverkehrssicherheit geht und zu einer hohen Zahl von Verstößen führt; denjenigen Spediteuren zu einem Wettbewerbsvorteil verhilft, die sich nicht an die geltenden Bestimmungen halten.

4.5.2

Die Anbringung solcher Vorrichtungen ist nicht einfach, es gibt keine technischen Lösungen für alle Fahrzeugtypen, und es wird sehr komplex und kostspielig sein, ein System zu schaffen, das so genau genug ist, dass es als Durchsetzungsinstrument für das hier in Rede stehende Regelwerk genutzt werden kann. Außerdem können solche Einrichtungen nur in neuen Fahrzeugen angebracht werden, und es besteht die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten verschiedene Systeme einsetzen und somit eine Fragmentierung des Marktes verursachen.

4.5.3

Dieselben Messungen können auch erreicht werden, wenn die vorhandene WIM-Technik in etwa verdoppelt wird, und es scheint auch gemäß der Folgenabschätzung dieses Vorschlags eine praktikable Lösung zu sein, in der die Vorteile für die Mitgliedstaaten weitaus höher als die Kosten eingeschätzt werden.

4.6   Europäisches modulares System/modulares Konzept

4.6.1

Dies ist das heikelste und umstrittenste Thema seit Erlass der geltenden Richtlinie im Jahr 1996, als die Ausnahmeregelung zum modularen Konzept infolge des EU-Beitritts von Finnland und Schweden angenommen wurde, wo bereits LHV zwischen beiden Ländern verkehrten.

4.6.2

Kurz gesagt besteht das EMS aus einer Kombination des längsten Sattelanhängers mit einer Höchstlänge von 13,60 m mit der längsten Zugmaschine mit einer Höchstlänge von 7,82 m – entsprechend den Zulassungen in der EU. Das Ergebnis ist ein Fahrzeug mit einer Höchstlänge von 25,25 m mit einem Gesamtgewicht von bis zu 60 Tonnen, während die Höchstlänge in anderen EU-Ländern, in denen das EMS nicht zugelassen ist, 16,50 m für Sattelkraftfahrzeuge und 18,75 m für Lastzüge mit einem zulässigen Gesamtgewicht 40 Tonnen (44 Tonnen bei der Beförderung von 40 bzw. 45 Fuß langen Containern im intermodalen Verkehr) beträgt.

4.6.3

Die Vor- und Nachteile des EMS sind wohlbekannt und spiegeln sich auch in seinen verschiedenen "Spitznamen" wider, die von "Ökokombi" und "Eurokombi" hin zu "Gigalinern", "Mega Trucks", "Riesen-LKW" und so weiter reichen.

4.6.4

Die Befürworter des EMS unterstreichen, dass es das Logistiksystem des europäischen Kontinents verbessern wird. Zwei LHV können drei gegenwärtige LKW ersetzen, so dass die Zahl der Fahrten um ca. 30 % und der Kraftstoffverbrauch um 15 % verringert und eine Kosteneinsparung von über 20 % erzielt werden kann. All dies wird weitere Vorteile in puncto Umwelt, Verkehrsbelastung, Straßenbelag und Straßenverkehrssicherheit gestatten.

Die Gegenseite verwendet für ihre ablehnende Haltung mehr oder weniger die gleichen Argumente: Das EMS ist eine Gefahr für die Straßenverkehrssicherheit mit starken Auswirkungen auf die Straßeninfrastruktur und einer stärkeren Umweltbelastung. Sein eventueller Erfolg könnte den Güterstraßentransport billiger machen und der Straßenverkehr könnte durch die Verlagerung von Gütern von der Schiene auf die Straße zunehmen.

4.6.5

Diese gegensätzlichen Ansichten gibt es nicht nur unter Interessenträgern, sondern auch unter Mitgliedstaaten. Wie bereits ausgeführt, haben Finnland und Schweden das EMS seit langem zugelassen, und die Niederlande folgten ihnen 2008 nach jahrelangen Tests. Deutschland, Belgien und Dänemark befinden sich noch in der Erprobungsphase, während sich andere Mitgliedstaaten gegen das EMS in ihrem Gebiet ausgesprochen haben.

4.6.6

Die vorliegenden Kommissionsvorschläge sind nicht mehr als eine Verdeutlichung der derzeitigen Richtlinie, deren Wortlaut als recht unklar angesehen wurde. Die wesentlichen Punkte sind folgende:

Die Entscheidung über die Nutzung des EMS wird den Mitgliedstaaten überlassen – entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip, auf der Grundlage verschiedener örtlicher Bedingungen und im Einklang mit der Verkehrsträgerneutralität der EU.

Kein Mitgliedstaat ist zur Nutzung des EMS verpflichtet, aber jeder Mitgliedstaat hat das Recht, den EMS-Verkehr in seinem Gebiet zu untersagen.

Das EMS darf die Grenze zweier benachbarter Mitgliedstaaten überschreiten, die seine Nutzung gestatten, sofern die Transporte auf diese beiden Mitgliedstaaten auf vorher festgelegten Straßennetzen beschränkt bleiben.

4.6.7

Der EWSA ist der Ansicht, dass der Kommissionsvorschlag zum EMS rechtlich und politisch angemessen ist.

4.6.8

Die Kommission könnte eine Liberalisierung des EMS weder anordnen noch verbieten, ohne gegen das Subsidiaritätsprinzip und die Verkehrsträgerneutralität zu verstoßen. Nach Ansicht des EWSA ist es Sache der Mitgliedstaaten, nach der Durchführung einer eigenen Kosten-Nutzen-Analyse eine Entscheidung zu treffen.

4.6.9

Längerfristig ist zu prüfen – wie bereits in einer früheren Stellungnahme des EWSA (4) vorgeschlagen wurde –, ob der Einsatz längerer, mit neuen Kraftstoffen betriebener Fahrzeuge an die Entwicklung multimodaler Korridore gekoppelt werden könnte, die im Fahrplan als Teil des TEN-V-Kernnetzes vorgesehen sind.

Brüssel, den 11. Juli 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Für die Personenbeförderung: M2 (ab 8+1 Sitzen mit einer Höchstmasse ≤ 5t); M3 (dieselbe Sitzanzahl wie M2, aber mit einer Höchstmasse > 5t). Für die Warenbeförderung: (Höchstmasse > 3,5t und ≤ 12t); N3 (Höchstmasse > 12t); O2 (Anhänger mit einer Höchstmasse > 0,75t und ≤= 3,5t); O3 (Anhänger mit einer Höchstmasse > 3,5t und ≤ 10t); O4 (Anhänger mit einer Höchstmasse > 10t).

(2)  COM(2011) 144 final.

(3)  COM(2012) 636 final.

(4)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 146-153.