ISSN 1977-088X doi:10.3000/1977088X.C_2013.271.deu |
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Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271 |
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Ausgabe in deutscher Sprache |
Mitteilungen und Bekanntmachungen |
56. Jahrgang |
Informationsnummer |
Inhalt |
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I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen |
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STELLUNGNAHMEN |
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Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss |
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490. Plenartagung am 22. und 23. Mai 2013 |
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2013/C 271/01 |
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2013/C 271/02 |
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2013/C 271/03 |
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III Vorbereitende Rechtsakte |
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EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS |
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490. Plenartagung am 22. und 23. Mai 2013 |
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2013/C 271/04 |
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2013/C 271/05 |
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2013/C 271/06 |
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2013/C 271/07 |
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2013/C 271/08 |
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2013/C 271/09 |
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2013/C 271/10 |
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2013/C 271/11 |
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2013/C 271/12 |
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2013/C 271/13 |
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2013/C 271/14 |
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2013/C 271/15 |
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2013/C 271/16 |
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2013/C 271/17 |
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2013/C 271/18 |
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2013/C 271/19 |
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2013/C 271/20 |
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2013/C 271/21 |
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2013/C 271/22 |
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2013/C 271/23 |
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2013/C 271/24 |
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2013/C 271/25 |
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2013/C 271/26 |
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2013/C 271/27 |
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2013/C 271/28 |
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2013/C 271/29 |
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2013/C 271/30 |
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2013/C 271/31 |
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2013/C 271/32 |
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DE |
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I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen
STELLUNGNAHMEN
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss
490. Plenartagung am 22. und 23. Mai 2013
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/1 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema: „Die soziale Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion“ (Sondierungsstellungnahme)
2013/C 271/01
Berichterstatter: Luca JAHIER
Mitberichterstatter: Georgios DASSIS
Der Präsident des Europäischen Rates beschloss am 24. Januar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:
Die soziale Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion
(Sondierungsstellungnahme).
Der mit den Vorarbeiten beauftragte Unterausschuss „Die soziale Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion“ nahm seine Stellungnahme am 23. April 2013 mehrheitlich bei einer Gegenstimme an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 161 gegen 50 Stimmen bei 47 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Zusammenfassung der Vorschläge
1.1 |
Die Vollendung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Union steht immer noch aus. Die Währungsunion wurde gestartet, ohne die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte ausreichend zu berücksichtigen, hatte aber erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen. Die Entwicklung hin zu einer Finanz-, Fiskal- und Bankenunion ist nun in Gang gekommen, jedoch ohne die entsprechenden EU-Haushaltsmittel für flankierende Maßnahmen zur Förderung des Wirtschaftswachstums und des sozialen Zusammenhalts. Gleichzeitig bleibt der Weg in Richtung soziale und politische Union blockiert. Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion sind jedoch voneinander abhängig, sie bedingen und verstärken sich gegenseitig. All diese Aspekte sollten zusammen ein greifbareres, im realen Leben verankertes Europa ermöglichen, das die Bürger anspricht, dem Investoren, Erzeuger, Arbeitnehmer und Verbraucher vertrauen und an dem sie teilhaben können: Ein dynamischeres Europa zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, eines intelligenten und integrativen Wachstums, der wirtschaftlichen Möglichkeiten, der Beschäftigung und der effektiven Wahrnehmung aller sozialer Rechte. Ohne ein solches Gleichgewicht wird eine politische Union keine Zukunft haben. |
1.2 |
Zwischen 2008 und Februar 2013 ist die Arbeitslosenquote in der EU-27 von 7 % auf 10,9 % mit insgesamt 26,4 Mio. Arbeitslosen gestiegen. Die Arbeitslosenquote im Euroraum ist sogar auf 12 % geklettert; sie ist in 19 Staaten gestiegen und in acht gefallen. 5,7 Mio. junge Menschen sind derzeit in der EU-27 arbeitslos (23,5 %), wohingegen die Gesamtarbeitslosigkeit Anfang 2013 in den USA bei 7,7 % und in Japan bei 4,2 % lag (1). Diese Zahlen stehen den Zielen der Strategie Europa 2020 absolut konträr gegenüber, und der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass Maßnahmen zur Ankurbelung unserer (sinkenden) Wettbewerbsfähigkeit, zur Wachstumssteigerung, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und zur Verringerung der Armut allerhöchste Priorität haben müssen. Die Stärkung des Instrumentariums zur Überwachung der Auswirkungen der Wirtschafts- und Währungspolitik auf die soziale Lage und den Arbeitsmarkt in den Mitgliedstaaten ist von zentraler Bedeutung. Die Bestimmungen bezüglich der Überwachung der nationalen Wirtschaftspolitiken im Rahmen des Europäischen Semesters sollten um sozial- und beschäftigungspolitische Maßnahmen ergänzt werden. Mit Blick auf diese dramatischen Zahlen ist nach Auffassung des EWSA ein solcher Ansatz nicht nur dringend geboten, sondern steht auch voll und ganz im Einklang mit Artikel 9 AEUV zu den Entwicklungszielen der Union für soziale Fragen und Nachhaltigkeit. Die soziale Dimension der WWU bedarf eindeutiger Instrumente, Indikatoren sowie qualitativer und quantitativer Ziele, die ebenso wirksam sind wie die wirtschaftlichen und finanziellen Auflagen der WWU. Es ist die vordringlichste Aufgabe der Staats- und Regierungschefs der EU, den Europagedanken den Bürgern wieder nahe zu bringen. |
1.3 |
Es sollte ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU aufgelegt werden, das die Entwicklung hin zu einer engeren Finanz-, Banken- und Fiskalunion flankiert. Im Aktionsprogramm sollten klare greifbare Ziele – sowohl qualitativer wie quantitativer Natur – gesteckt werden, die auf den bereits in der Strategie Europa 2020 festgelegten Zielen aufbauen, insbesondere in Bezug auf folgende Punkte: Unterstützung der Anstrengungen bezüglich der Reindustrialisierung Europas, Abbau und Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit, Gewährleistung der sozialen Grundrechte, Förderung von Unternehmertum und neuen Arbeitsplätzen, Armutsbekämpfung, Unterstützung der sozialen Eingliederung, Erleichterung von Sozialinvestitionen, Förderung der Hochschul- und Berufsbildung sowie Ausbau der sozialen Ausrichtung der Politik und der partizipatorischen Teilhabe am Projekt Europa. Das neue sozialpolitische Aktionsprogramm der EU sollte je nach Eignung mithilfe nichtlegislativer und legislativer Maßnahmen umgesetzt werden – entweder in der gesamten EU oder im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit. Es sollte das europäische Konjunkturprogramm, das europäische Sozialinvestitionspaket, europäische Bewertungen der sozialen Auswirkungen, die Europäische Jugendgarantie und den einheitlichen europäischen Qualifikationspass umfassen und die Wahrung der horizontalen Sozialklausel, der sozialen Grundrechte und der Bürgerbeteilung sicherstellen. In dem Programm sollte auch das Recht der Unionsbürger auf ein garantiertes Mindesteinkommen untersucht und gefördert werden. |
1.4 |
Der EWSA möchte zwei neue Sondierungsmaßnahmen vorschlagen: 1) Die Begebung europäischer Sozialbonds für finanziell tragfähige Sozialinvestitionsprojekte über einen sozialpolitischen Aktionsfonds der EU, der von den zuständigen EU-Einrichtungen gefördert wird, sich aber im Besitzvon (privaten, genossenschaftlichen und öffentlichen) zivilgesellschaftlichen Akteuren befindet und von diesen finanziert, verwaltet und transparent überwacht wird; 2) Einrichtung eines europäischen Bildungsnetzes für Arbeitslose, mit langfristigen, wirksamen und hochwertigen Bildungsangeboten, die auf die Erfordernisse des Arbeitsmarkts zugeschnitten sind. Dafür sollten grenzübergreifende Bildungsgutscheine ausgegeben und Leistungsanerkennungssysteme nach dem Beispiel des ERASMUS-Programms eingerichtet werden, um Arbeitslosen neue Bildungshorizonte zu eröffnen, sie beim Erwerb neuer kognitiver Fähigkeiten und beruflicher Kompetenzen zu unterstützen und ihnen neue berufliche Möglichkeiten zu eröffnen und die Wiedereingliederung in den europäischen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Gleichzeitig ist in einem Europa der Freizügigkeit eine sicherere und aktualisierte Grundlage für die Mobilität vonnöten (z.B. angemessene Rechte auf Information und Unterstützung für Menschen, die in anderen Mitgliedstaaten arbeiten), um den Unionsbürgern europaweite Mobilität bei der Suche nach einem Arbeitsplatz zu ermöglichen. Dabei sind gleiche Ausgangsbedingungen für einen fairen Wettbewerb und die Wahrung der sozialen Grundrechte und der Kollektivvereinbarungen sicherzustellen. |
2. Wirtschaftspolitische Steuerung unter Berücksichtigung der sozialen Dimension
2.1 |
Der EWSA fordert bekanntlich eine umfassende und beschleunigte Entwicklung hin zu einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Union. |
2.2 |
Eine Wirtschaftsunion sollte auch eine Finanz- und Bankenunion umfassen, mit einem gemeinsamen Einlagensicherungssystem, einem gemeinsamen Abwicklungsfonds und unionsweiter Aufsicht. Eine Fiskalunion sollte auf gemeinsamen Schuldeninstrumenten basieren und in einem Rahmen der Haushaltsdisziplin und -konsolidierung und einem dynamischeren europäischen Wachstumsmodell realisiert werden, das die Bürger anspricht und in das die Investoren, Erzeuger, Arbeitnehmer und Verbraucher Vertrauen haben. Die anhaltende Unsicherheit bezüglich der Integrität des Euro-Währungsgebiets sollte überwunden werden, da sie das Vertrauen der Bevölkerung und der Unternehmer unterminiert. Der Europäische Gipfel vom Juni 2012, auf dem der Pakt für Wachstum und Beschäftigung beschlossen und die Bereitstellung von 180 Mrd. EUR für diesen Zweck geplant wurden, sowie die Ankündigungen der EZB, „alles Erforderliche zu tun“, um den Teufelskreis aus schwachen Banken, Staatsschulden und nicht tragfähigen Zinsaufschlägen (Spreads) zu durchbrechen, geben Anlass für mehr Vertrauen in die Entwicklung eines wirtschaftlichen Rahmens für Europa. Europa braucht ein neues Investitionsprogramm (2), um die Mittel wirksam einzusetzen, die Reindustrialisierung zu unterstützen, das Wachstum wieder anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. |
2.3 |
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Gleichzeitig hatten Sparmaßnahmen verheerende Folgen in puncto sozialer Zusammenhalt, soziale Sicherheit, integrativer Arbeitsmarkt und Armutsquoten. In der EU sind 26 Mio. Menschen ohne Arbeit und 120 Mio. Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Die Ziele der wirtschaftlichen Erholung, der Geldwertstabilität, des nachhaltigen Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit werden sich ohne eine erneuerte soziale Dimension nicht erreichen lassen. Auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rates vom 14./15. März 2013 wurde diese Realität schließlich anerkannt. Die Mitgliedstaaten wurden dazu aufgefordert, sozialpolitische Maßnahmen als Triebfedern der wirtschaftspolitischen Steuerung aufzunehmen, insbesondere durch eine Schwerpunktverlagerung beim Europäischen Semester auf die Unterstützung für Beschäftigung, soziale Investitionen, soziale Inklusion und die durchgängige Berücksichtigung sozialer Ziele (3). Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nimmt diesen neuen sozialpolitischen Schwerpunkt auf nationaler Ebene zur Kenntnis, ist indes der Auffassung, dass auch auf EU-Ebene in Bezug auf sozialpolitische Maßnahmen, soziale Investitionen und soziales Benchmarking die Initiative ergriffen werden muss. |
2.4 |
Deshalb ist es an der Zeit, im Rahmen eines sozialen Europas den sozialen Pfeiler für die WWU zu schaffen, ohne den das Festhalten der Bürger am Projekt Europa insgesamt in Gefahr ist. Die gegenwärtigen Kluften und sozialen Ungleichgewichte in der EU unterminieren nicht nur nachhaltige Lösungen für Wirtschaftswachstum und sozialen Zusammenhalt, sondern sie stellen auch eine grundlegende Herausforderung für die nächsten Europawahlen 2014 dar, da die einen eine europäische Dimension für die Erholung anstreben, während sich die anderen in nationale Alternativen flüchten. Die Europawahlen werden zur einer Polarisierung der Positionen und Stimmen führen: Es ist von zentraler Bedeutung, dass diese Wahlen zu einem Sprungbrett und nicht zu einem Bremsklotz werden für mehr Europa, für ein den Bürgern, den Familien und den Unternehmen näher stehendes Europa, für ein sozialeres Europa. |
2.5 |
Die grundlegenden sozialen Rechte sind untrennbar mit den bürgerlichen und politischen Rechten verbunden, und es besteht die im Vertrag verankerte Pflicht, sie zu wahren und zu fördern. Die Kommission und die EZB müssen als Mitglieder der Troika bei all ihren Aktivitäten ihren Pflichten bezüglich der grundlegenden sozialen Rechte nachkommen. Die Kommission sollte im Rahmen der sozialen Dimension der WWU die umfassende Einhaltung der Pflichten in Bezug auf die grundlegenden sozialen Rechte wirkungsvoll überwachen, bewerten und sicherstellen. |
3. Für ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm und einen Sozialinvestitionspakt der EU
3.1 |
2008 verabschiedete der EWSA auf Ersuchen des französischen Ratsvorsitzes eine Sondierungsstellungnahme, in der er die Notwendigkeit eines notwendigen neuen sozialpolitischen Aktionsprogramms der EU unterstrich. In der Stellungnahme wurde auf die Pionierarbeit des Ausschusses bei der Unterstützung der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer und des sozialpolitischen Aktionsprogramms der EU von 1989 sowie auf den daraus resultierenden sozialen Besitzstand im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt, dem Vertrag und dem Tätigwerden der EU im Allgemeinen verwiesen. In der Stellungnahme wurde festgehalten, dass ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm erforderlich ist, „damit die soziale Entwicklung in der EU mit Wirtschafts- und Marktentwicklungen Schritt halten kann“. Trotz der Unterstützung, der ihm auf der informellen Sitzung des Rates (Beschäftigung und Sozialpolitik) während des französischen Ratsvorsitzes zuteil wurde, war der Vorschlag des Ausschusses rasch durch die Wirtschaftskrise und fünf hektische Jahre der Versuche zur Rettung der WWU und des Schmiedens eines engeren wirtschaftlichen Zusammenhalts im Euroraum überschattet worden. Nun ist es sicherlich an der Zeit, auf die Idee eines neuen sozialpolitischen Aktionsprogramms der EU zurückzukommen, um mit den neuen Formen wirtschaftspolitischer Steuerung Schritt zu halten und sie durch einen entsprechenden sozialen Zusammenhalt und sozialpolitische Aktionen zu unterfüttern. |
3.2 |
Der Ausschuss forderte in seiner Stellungnahme von 2008 eine „Multi-Level-Governance“ für ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU auf der Grundlage von Rechtsvorschriften, dem sozialen Dialog, dem zivilen Dialog, der Ko- und Selbstregulierung, der offenen Koordinierung, der umfassenden Berücksichtigung der sozialen Dimension, der verstärkten Zusammenarbeit und dem Initiativrecht für die Bürger. Es wurde keine Rangordnung für die Aktionen aufgestellt, was zählt, sind die Maßnahmen, die unter Wahrung der Gemeinschaftsmethode und Achtung der neuen horizontalen Sozialklausel (Artikel 9 AEUV) am besten funktionieren. Ebenso wurden folgende Anregungen gemacht: ein finanzielles Engagement, z.B. mittels einer gezielteren Verwendung und besseren Zugänglichkeit des Europäischen Sozialfonds, evtl. die Einrichtung eines Sozialinnovationsfonds der EU zur Unterstützung neuer sozialer Initiativen mit Versuchscharakter sowie die Idee eines „europaweiten Darlehens für die Entwicklung sozialer Infrastrukturen“. |
3.3 |
In der Zwischenzeit wurden die Forderungen des Ausschusses, die Gemeinschaftsmethode anzuwenden und dem zwingenden Charakter der horizontalen Sozialklausel gerecht zu werden, dringlicher. Insbesondere hat der Ausschuss vorgeschlagen, einen Europäischen Sozialinvestitionspakt zu schließen. Damit soll sichergestellt werden, dass Sparmaßnahmen und halbautomatische Sanktionen im Rahmen der wirtschaftspolitischen Steuerung und des Europäischen Semesters durch soziale Folgeabschätzungen, die Wahrung sozialer Grundrechte, ein echtes Engagement bezüglich der Armutsbekämpfungsziele der EU 2020-Strategie und die allgemeine Entwicklung einer sozialpolitischen Steuerung in Europa flankiert werden. |
3.4 |
Der Ausschuss hält es für ermutigend, dass das Europäische Parlament unlängst die Notwendigkeit eines „Sozialpakts für Europa“, „sozial- und beschäftigungspolitischer Richtwerte“ bei der „bindenden Überwachung der Haushaltsdisziplin“, der Berücksichtigung der Nachhaltigkeit des Sozialmodells im jährlichen Wachstumsbericht und eines „integrierten beschäftigungs- und sozialpolitischen Rahmens“ als einem „fünften Baustein“ im WWU-Fahrplan betonte (4). Er begrüßt auch die Absicht des Europäischen Rates, Maßnahmen und einen Fahrplan mit Terminvorgaben für die „soziale Dimension der WWU“ auf seiner Tagung im Juni 2013 vorzulegen (5). Kommissionsmitglied Andor hat ebenso neulich betont, dass eine „Währungsunion mit menschlichem Antlitz“ erforderlich sei. Seiner Auffassung nach müsse die soziale Dimension der WWU aufgefasst werden als die Möglichkeit, mit den Vorschriften, Entscheidungsmechanismen, dem haushaltspolitischen Spielraum und anderen politischen Instrumenten der WWU zugleich sicherzustellen, dass wirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit verfolgt werden (6). Der Ausschuss sieht sich auch bestärkt durch die Schlussfolgerungen von Präsident Van Rompuy auf dem Dreigliedrigen Sozialgipfel vom 14. März 2013: „Das europäische Sozialmodell ist nach wie vor ein wichtiger Aktivposten und ein globaler Wettbewerbsvorteil“, und „wir (müssen) Mechanismen schaffen, die zur Verringerung der sozialen Unterschiede in unserer Union beitragen“ (7). Das von der Kommission veröffentlichte „Sozialinvestitionspaket“, das den Mitgliedstaaten Leitlinien für die Bereiche Sozialschutz und soziale Eingliederung (8) bietet, geht in Richtung Entwicklung von Indikatoren für die soziale Dimension. Der Ausschuss ist jedoch der Auffassung, dass ein „Anzeiger“ (scoreboard) für Beschäftigung und soziale Ungleichgewichte in der EU auch mit einem engagierteren Ansatz für unionsweite Maßnahmen einhergehen muss. Der Ausschuss betont deshalb erneut, dass ein umfassendes, proaktives sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU mit einer Multi-Level-Governance erforderlich ist, an dem die zuständigen Einrichtungen, Gremien und Interessenvertreter Europas sowohl im Rahmen legislativer wie nichtlegislativer Maßnahmen eingebunden sind. Dieses Aktionsprogramm sollte die Aufgabe verfolgen, die in der Strategie Europa 2020 festgelegten sozialen Ziele zumindest einzuhalten – wenn nicht zu verbessern. |
4. Spezifische Vorschläge
Der EWSA unterstützt die Ziele der Strategie Europa 2020 und betont, dass das Problem der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit Europas gelöst, mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze geschaffen und die Armut bekämpft werden müssen. Nach Maßgabe von Artikel 9 EUV, d.h. im „Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes“, fordert der Ausschuss ein zwingenderes und angemessen finanziertes EU-weites sozialpolitisches Aktionsprogramm und Engagement mit u.a. den folgenden spezifischen Zielen.
4.1 |
Das Verfahren des Europäischen Semesters muss im selben Rahmen wie für die Überwachung der wirtschaftspolitischen Koordinierung und Strukturreformen auch Parameter für Beschäftigung und soziale Inklusion umfassen. Die für die Schulden und Defizitgrenzen geltenden Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts müssen entsprechend um quantifizierbare europäische beschäftigungs- und sozialpolitische Ziele ergänzt werden. Es sollten konsequente Anpassungsmechanismen zum Abbau makroökonomischer und sozialer Ungleichgewichte eingesetzt werden. Ziel sollte es sein, intelligentes und nachhaltiges Wachstum zu fördern, hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen, den Zugang zu hochwertigen und erschwinglichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sicherzustellen und die sozialen Ungleichgewichte EU-weit abzubauen. Kurzfristige Wirtschaftlichkeit darf nicht auf Kosten langfristiger Investitionen in das Sozialkapital gehen. Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung sind unter dem Aspekt ihrer Auswirkungen auf Wachstum, Beschäftigung und soziale Inklusion zu bewerten. Strukturreformen sollten durch europäische Solidaritätsmechanismen flankiert werden. Um die Unterstützung der Unionsbürger für eine echte Wirtschafts- und Währungsunion sicherzustellen, müssen die nationalen Reformprogramme durch entsprechende soziale und zivile Dialoge im Rahmen einer europäischen Dynamik der sozialen Dimension abgesichert werden. Dabei darf es nicht zu einem „race to the bottom“, zu einem Senkungswettlauf mit Gehaltskürzungen und Rückgang der Gesamtnachfrage kommen. Es müssen freie und autonome Tarifverhandlungen gewährleistet werden. Der europäische soziale Dialog sollte bei der Entwicklung und Anwendung der neuen wirtschaftspolitischen Steuerung eine zentrale Rolle spielen. Unionsweite soziale Grundrechte müssen überwacht und gewahrt werden. |
4.2 |
Der Europäische Sozialfonds und der Europäische Fonds zur Anpassung an die Globalisierung müssen aufgestockt werden, um der beschäftigungsspezifischen und sozialen Lage in Europa gerecht werden zu können, die Präsident Van Rompuy als „menschliche Tragödie und soziale Notlage“ (9) bezeichnet hat. Das macht eine „verpflichtende und umfassende Überprüfung des MFR“ erforderlich, wie das EP in seiner Entschließung vom 13. März gefordert hat (10). Im Rahmen der darin genannten Flexibilitätsmechnanismen, der laufenden Verhandlungen zwischen dem EP und dem Rat sowie der höchst wünschenswerten strukturellen Überarbeitung des MFR nach den Neuwahlen zum EP müssen mindestens die von der Europäischen Kommission ursprünglich vorgesehenen Beträge wieder eingesetzt werden. Dabei sind auch eine angemessenere Verwendung der vorgesehenen EU-Eigenmittel und eine wesentliche Erhöhung der Mittel des Fonds für den territorialen Zusammenhalt, des Sozialfonds, der Mittel für Bildung und Ausbildung und des Fonds zur Anpassung an die Globalisierung vorzusehen. |
4.3 |
Die EU sollte gleichzeitig sozialverantwortliche Investitionen und die Unterstützungsfunktion der Sozialwirtschaft stärker fördern, insbesondere durch folgende Schritte: Wiedereinführung europäischer Satzungen für Verbände und Gegenseitigkeitsgesellschaften; die ausdrückliche Aufnahme von Programmen für die Gründung und Entwicklung sozialer Unternehmen in die entsprechende Programmplanung der Strukturfonds, die Erleichterungen für Soziallabels sowie Ausgleichsmaßnahmen und Sonderkonditionen bei der öffentlichen Auftragsvergabe für Unternehmen von anerkanntem sozialem Wert. Es sollte auch ein Sozialinnovationsfonds der EU eingerichtet werden, um wertvolle grenzübergreifende Pilotprojekte wieder aufzugreifen, die auf die Beseitigung von Diskriminierung und Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt abzielen. Diese gerieten mit der Aufgabe des Programms EQUAL durch die Europäische Kommission ins Hintertreffen. |
4.4 |
Außerdem müssen unbedingt alle notwendigen Schritte und beschäftigungspolitischen Maßnahmen zu Reindustrialisierung Europas ergriffen werden, um das Ziel des Anteils der Industrie am BIP von 20 % bis 2020 zu erreichen. Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der Wettbewerbsfähigkeit für die Unternehmen, die mittels eines kohärenten europäischen Rahmens erreicht werden muss. |
4.5 |
Die EU muss sich für die Jugend in Bewegung setzen, ansonsten besteht die Gefahr, dass die jungen Menschen vom Projekt Europa insgesamt entfremdet werden. Das dramatische Ausmaß der Jugendbeschäftigungskrise in Europa erfordert eine überzeugendere EU-Mittelausstattung als die unzureichenden 6 Mrd. EUR, die für das Jugendbeschäftigungspaket und die Jugendgarantie vorgeschlagen wurden, um Beschäftigung, Ausbildung oder Bildung für arbeitslose junge Menschen insbesondere dort sicherzustellen, wo dies am dringendsten notwendig ist. Ohne ausreichende Finanzierung läuft die europäische Jugendgarantie Gefahr, als reine Augenwischerei aufgefasst zu werden. Die EU sollte auch mithilfe des europäischen Qualifikationspasses eine stärkere Führungsrolle übernehmen, den Europäischen Qualifikationsrahmen ausweiten und alle Qualifikationen und Kompetenzen im Bereich formaler, informeller und nicht formaler Bildung berücksichtigen. Ganz offensichtlich wird ein europäischer Rahmen für Partnerschaften zwischen Schulen, Unternehmen und den Sozialpartnern benötigt, zusammen mit ähnlichen strategischen Synergien, die Hochschulbildung und lebenslanges Lernen in das Zentrum der Schaffung von Arbeitsplätzen, des Ausgleichs des Missverhältnisses zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage sowie der Förderung von Beschäftigungsfähigkeit, Innovation und Unternehmertum stellt. Mithilfe des Europäischen Semesters muss sichergestellt werden, dass öffentliche Investitionen in Bildung und Ausbildung nicht durch Maßnahmen zur Senkung der Staatsschulden und zum Abbau der nationalen Defizite gefährdet werden. |
4.6 |
Echte Arbeitsplätze, menschenwürdige Arbeit und die Portabilität sozialer Rechte müssen im Mittelpunkt eines tragfähigen europäischen Konjunkturprogramms stehen. Das europäische Sozialmodell ist ein Pluspunkt bei der Anziehung von Auslandsinvestitionen und für die Unternehmensentwicklung in Europa. Es sollte durch die Anregung steuerlicher Vorteile für Aktivitäten zur Beschäftigungsförderung einschließlich Kleinstunternehmen und echte selbstständige Tätigkeit zur Geltung gebracht werden. Die soziale Sicherheit muss bei unionsweiten beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gewährleistet sein. Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilität müssen Hand in Hand gehen mit menschenwürdiger Arbeit und Löhnen, die nicht unterhalb der Armutsschwelle liegen. Den europäischen Sozialpartnern kommt im Rahmen ihres Arbeitsprogramms eine besondere Verantwortung bei der Bewältigung des Problems der erwerbstätigen Armen zu. |
4.7 |
Die EU muss sich ernsthafter und deutlicher bei der Bekämpfung und Beseitigung der Armut engagieren. Der wirtschaftliche und soziale Nutzen aktiver Maßnahmen zur Armutsbekämpfung für Europa übersteigt die Kosten anhaltender wirtschaftlicher und sozialer Schäden aufgrund von Untätigkeit oder tatsächlich Armut verschärfender Maßnahmen. Zumindest die zentralen Verpflichtungen der Strategie Europa 2020 im Rahmen des Europäischen Semesters, 20 Mio. Menschen aus der Armut herauszuführen, müssen aktiv verfolgt und dürfen nicht durch Maßnahmen zur Reduzierung des Defizits konterkariert werden. In erster Linie macht dies eine Reihe besserer unionsweiter Indikatoren erforderlich, um die Auswirkungen von Armut zu messen und sicherzustellen, dass die nationalen Reformprogramme sowie die Sparmaßnahmen, die in Wirklichkeit die Armut verschärfen und die Erholung gefährden, angemessen überwacht und ggf. korrigiert werden. Der EWSA erstellt derzeit auch einen Überblick über die Regelungen für garantierte Mindesteinkommen in den Mitgliedstaaten und möchte dabei bewährte Verfahren in der gesamten EU ausfindig machen und fördern. Er schließt sich auch dem Aufruf des Europäischen Parlaments an, eine Gesetzesvorlage zur Einführung eines angemessenen Mindestlohns von mindestens 60 % des Medianeinkommens in jedem Mitgliedstaat (11) abzuwägen und anzustreben. Es könnte ein spezieller EU-Solidaritätsfonds zur Armutsbekämpfung eingerichtet werden, um solche Maßnahmen zur Einkommensunterstützung zur ermöglichen – als ein sozial stabilisierender Anpassungsmechanismus des Europäischen Semesters. Der Ausschuss bekräftigt auch seinen Vorschlag, 20 % aller ESF-Mittel für die Bereiche soziale Inklusion und Armutsbekämpfung vorzusehen. |
4.8 |
Ein europäischer Rechtsakt über die Barrierefreiheit ist wesentlich um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen in den Genuss ihrer Rechte auf Freizügigkeit und auf Zugang zu Gütern, Dienstleistungen und der bebauten Umwelt kommen. Ein europäischer Mobilitätsausweis wäre für diesen Zweck ein konkretes und wirksames Mittel. Die Kommission sollte auch ein Verfahren zur Folgenabschätzung bezüglich des UN-„Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ entwickeln und dies im Rahmen des Europäischen Semesters berücksichtigen. |
4.9 |
Ebenso sollte eine Methode und ein Rahmen der EU für vergleichbare und messbare Indikatoren für Gesundheitsschutz und Verringerung von Ungleichheiten im Gesundheitsbereich konzipiert werden, um die Lage in den Mitgliedstaaten als Teil des Europäischen Semesters zu überprüfen. |
4.10 |
Unionsweite gesellschaftliche Benchmarks und Leitlinien für bewährte Verfahren für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Zugang zu Kinderbetreuungsdiensten, aktives Altern, Freiwilligenaktivitäten, das Recht auf Wohnraum und Bekämpfung der Obdachlosigkeit sollten auch in die soziale Dimension des Europäischen Semesters aufgenommen werden. |
4.11 |
Zugewanderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leisten einen positiven Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum Wohlstand Europas. Die Verfahren der EU für die Zuwanderung von Arbeitskräften müssen legal und transparent sein. Die Rechtsvorschriften über Einwanderung müssen die Menschenrechte wahren und die Gleichbehandlung gewährleisten. Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU die integrationspolitischen Maßnahmen verstärken muss, ebenso wie die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung von Zuwanderern und Minderheiten. |
4.12 |
Für eine nachhaltige Konjunkturerholung ist mehr wirtschaftliche und monetäre Symmetrie und mehr sozialer Zusammenhalt in der gesamten EU erforderlich. Ein sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU, das die oben aufgelisteten spezifischen Ziele umfasst, würde dabei hilfreich sein, eine kohärentere soziale Grundlage für die Bündelung der Kräfte und die Verbindung zwischen der EU und ihren Bürgern zur schaffen. Die Wiederherstellung eines sozialen Gleichgewichts sowohl in der EU als auch in der WWU – unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips im dynamischen Sinne – ist deshalb zu bevorzugen. Sollte sich allerdings für eine derartige neubelebte soziale Dimension der EU kein tragfähiger Konsens finden lassen oder sollte dafür kein ausreichender politischer Wille vorhanden sein, würde der EWSA die Option einer Verstärkten Zusammenarbeit innerhalb der WWU vorschlagen. Diese sollte über eigene finanzielle Mittel, einen zusätzlichen Sozialfonds, einen Pakt für den sozialen Fortschritt Europas auf der Grundlage der gleichen demokratisch rechenschaftspflichtigen und strikten vertraglichen Vereinbarungen wie für die Wirtschafts- und Währungskonvergenz sowie soziale Standards, Ziele und Stabilisierungsmechanismen verfügen. (Es sollte eine Debatte mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft darüber geführt werden, ob und wie eine wie unlängst von Kommissionsmitglied Andor vorgeschlagene Arbeitslosenversicherung oder ein System der Arbeitslosenunterstützung sinnvoll wäre). Diese Verstärkte Zusammenarbeit sollte die fiskalischen, haushalts- und währungsspezifischen Stabilisierungsmechanismen einer vertieften Wirtschafts- und Währungsunion begleiten – eine WWU mit entsprechender sozialer Dimension. |
4.13 |
Vertragliche Verpflichtungen für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum, die auf dem EU-Gipfel im Dezember erörtert wurden, müssen der demokratischen Rechenschaftspflicht unterliegen und dürfen nicht den in Artikel 3 Absatz 3 EUV verankerten Grundsatz der demokratischen Marktwirtschaft aushöhlen. Außerdem müssen Solidaritätsmechanismen zur Flankierung einzelstaatlicher Maßnahmen besser definiert und präzisiert werden, die nach und nach die Form echter Finanztransfers annehmen könnten. Sie sollten mit anfänglichen spezifischen Haushaltsmitteln von 50-100 Mrd. EUR ausgestattet werden, die auf ähnlichem Wege wie beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bereitgestellt werden könnten. |
4.14 |
Um diese größere Ausgewogenheit im Einklang mit der im Vertrag verankerten sozialen Marktwirtschaft erzielen zu können, muss das gestiegene Gewicht des für Wirtschafts- und Währungsfragen zuständigen Kommissionsmitglied durch eine Stärkung der Rolle des für Beschäftigung und Soziales verantwortlichen Kommissars flankiert werden. Das steigende Gewicht des Rates (Wirtschaft und Finanzen) sollte durch eine analoge Stärkung des Rates (Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz – EPSCO) ausgeglichen werden. |
4.15 |
Unter besonderem Verweis auf das Europäische Semester und die Strategie Europa 2020 ist es im Zusammenhang der wirtschafts- und sozialpolitischen Steuerung der EU auch dringend notwendig, dass die Rolle sowohl des Europäischen Parlaments als auch der nationalen Parlamente gestärkt wird. Außerdem muss die Beteiligung der Sozialpartner und der zivilgesellschaftlichen Organisationen auf alle Ebenen der politischen Verhandlung ausgedehnt und sichergestellt werden. |
5. Sondierungsvorschläge
5.1 Europäische Sozialbonds
5.1.1 |
Neben den o.g. Vorschlägen sollten vielleicht auch weitere Wege zur Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger Europas, der Zivilgesellschaft und organisierter Interessenvertreter beim Wiederauflegen sozialpolitischer Maßnahmen Europas in Erwägung gezogen werden, insbesondere durch das Engagement für und die Begebung von europäischen Sozialbonds. Dadurch könnten in Zeiten knapper öffentlicher Mittel zusätzliche Mittel für genau definierte Zwecke mobilisiert werden, die aus erheblichen ungenutzten privaten Sparguthaben stammen. |
5.1.2 |
Diese Initiative wäre unabhängig von den laufenden Gesprächen über die Emission europäischer Stabilitätsanleihen (zur Vergemeinschaftung der Schulden) sowie von Aufschwungs- und Wachstumsbonds (als Teil eines europäischen Konjunkturpakets). Europäische Sozialbonds hingegen würden nicht aus den nationalen Haushalten bezahlt oder über die europäischen Haushaltsmechanismen kofinanziert, sondern sie würden von den einzelnen Bürgern, Unternehmen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen erworben bzw. mitfinanziert werden, die einzeln oder gemeinsam soziale Verantwortung wahrnehmen möchten, indem sie sich an einem sozialpolitischen Aktionsfonds der EU beteiligen. Dieser würde von ihnen selbst mit sinnvollen Zinsraten und auf nicht gewinnorientierter Grundlage finanziert und verwaltet, und von den zuständigen EU-Institutionen transparent überwacht, reguliert, gefördert und bis zu einem angemessenen Betrag garantiert werden. |
5.1.3 |
Die Emission der Bonds sollte von den zuständigen EU-Institutionen logistisch unterstützt, bürgernah organisiert und gemeinsam von privaten, privatwirtschaftlichen und öffentlichen Akteuren verwaltet werden, die sich für die Teilnahme am und der Übernahme von Verantwortung für den sozialpolitischen Aktionsfonds der EU entschieden haben. Diese würden die Anleihen kaufen, sammeln und in soziale Programme ihrer Wahl investieren, vorzugsweise im Rahmen des vorgeschlagenen sozialpolitischen Aktionsprogramms der EU, mit technischer Hilfe der einschlägigen EU-Institutionen und beratenden Gremien, um die finanzielle Machbarkeit und die mögliche soziale Wirkung zu überprüfen. Diese soziale Investitionen könnten folgende Bereiche umfassen: Sozialer Wohnungsbau; Genossenschaften und soziale Unternehmen; Unterstützung für Selbsthilfegruppen, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, kommunale Sozialdienste und Gesundheitsfürsorge; Netzwerke für Bildung, Ausbildung und Weiterbildung; soziale Innovation, Forschung und Entwicklung; Darlehen und Partnerschaften für Infrastrukturentwicklung, Agrotourismus, Mobilitätszulagen, kulturelle Aktivitäten, Wohltätigkeitsaktionen usw. |
5.1.4 |
Anschließend könnten detailliertere Pläne für die Entwicklung solcher europäischer Sozialbonds untersucht werden, wie z.B. die Entwicklung einer Reihe solcher Bonds, die auf lokaler und/oder nationaler Ebene von den o.g. Akteuren gefördert und verwaltet werden. Diese Bonds, die den Kriterien des allgemeinen europäischen Konzepts sowohl hinsichtlich der Ziele als auch der Verwaltungsverfahren entsprechen, könnten eine entsprechende europäische Zertifizierung für die Teilnahme an dem allgemeinen Konzept erhalten, und auf dieser Grundlage könnten die Subskribenten evtl. auch in den Genuss von Steuererleichterungen kommen. |
5.1.5 |
Der Verwaltungsrat des sozialpolitischen Aktionsfonds der EU sollte mit den an dem Konzept beteiligten und gemäß ihrem Investitionsanteil vertretenen Akteuren besetzt sein. Er sollte von den einschlägigen Einrichtungen der EU (einschließlich EWSA) logistische und beratende Unterstützung erhalten. |
5.2 Europäisches Bildungsnetz für Arbeitslose
5.2.1 |
Die Massenarbeitslosigkeit in Europa wird sich kurz-/mittelfristig nicht lösen lassen, selbst wenn sich die Wachstumsprognosen ab 2014 aufhellen und europäische Konjunkturmaßnahmen greifen sollten. Der europäische Arbeitsmarkt muss eine wichtigere Rolle spielen als ein Mittel, Arbeitskräften mehr Freizügigkeit zu ermöglichen, damit Kompetenzen dort verfügbar sind, wo sie auch gebraucht werden, und neue Kompetenzen erworben werden, die nach der Rückkehr weiterentwickelt werden. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Arbeitskräfte aktiv bleiben, vorzugsweise in Beschäftigung, möglicherweise auch in Teilzeitbeschäftigung. Sollte das nicht möglich sein, sollten sie an Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. Es muss sichergestellt werden, dass Bildung effizient, zukunftsorientiert und innovativ ist und sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts orientiert. Viele Bildungs- und Ausbildungsprogramme sind tendenziell zu kurzfristig angelegt und eröffnen keine Chancen auf einen dauerhaften Arbeitsplatz. Die Wahrscheinlichkeit, dass ältere Arbeitnehmer, die arbeitslos werden, an solchen Maßnahmen teilnehmen, ist gering. Es sollte ein längerfristiger Ansatz mit europäischer Perspektive sondiert werden, der auch auf bestimmten Erfahrungen im Rahmen bewährter Verfahren in Europa basiert, wie z.B. die Erwachsenenbildungsprogramme, die zwischen 1997 bis 2002 in Schweden durchgeführt wurden, oder das duale Ausbildungssystem in Deutschland und Österreich. Die EU könnte evtl. die Schaffung eines europäischen Bildungsnetzes für Arbeitslose vorantreiben. Dabei sollten umfassende, zweijährige Bildungsmöglichkeiten geboten werden, um sich beruflich zu verändern, Arbeits-, Ausbildungs- und Bildungsaustauscherfahrungen in anderen Mitgliedstaaten zu machen – mittels Ausgabe von grenzübergreifenden Bildungsgutscheinen mit Übertragbarkeit der in den Kursen erworbenen Leistungsnachweise – und schließlich eine gegenseitig anerkannte berufliche Qualifikation zu erwerben. |
5.2.2 |
Ein solches System, sofern es mit angemessenen Ressourcen ausgestattet und von den Mitgliedstaaten weitgehend übernommen wird, kann im Rahmen präziser vertraglicher Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern, die an solchen Programmen freiwillig teilnehmen, eine erhebliche Zahl von Langzeitarbeitslosen, die ansonsten sicherlich keine Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden hätten, in hochwertigen Arbeitsplätzen halten. Dies hätte sicherlich positive Auswirkungen - sowohl für die betroffenen Personen als auch für das gesamte soziale Kapital der Staaten Europas. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Daten von Eurostat, siehe http://ec.europa.eu/eurostat/euroindicators
(2) Eine Art neuer Marshall-Plan: Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wachstum und Staatsverschuldung in der EU: zwei innovative Vorschläge“, ABl. C 143 vom 22.5.2012, Ziffern 2.8 und 2.13; siehe ebenso: Grünbuch der Kommission „Langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft“, COM(2013) 150 final/2 vom 9.4.2013.
(3) Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 14./15. März 2013, EUCO 23/13.
(4) Bericht des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission zum Bericht der Präsidenten des Europäischen Rates, der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und der Euro-Gruppe „Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion“ (2012/2151 (INI)), S.29, und begleitende Stellungnahme des EP-Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, Vorschlag J und Empfehlung Nr. 6.
(5) Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zur Vollendung der WWU vom 14. Dezember 2012, Ziffer 12b.
(6) Rede von László Andor, für Beschäftigung, Soziales und Integration zuständiges Mitglied der Europäischen Kommission, vor dem EGB am 28.1.2013 in Madrid.
(7) „Im Mittelpunkt unseres Treffens stand: die soziale Dimension der WWU. Das europäische Sozialmodell ist nach wie vor ein wichtiger Aktivposten und ein globaler Wettbewerbsvorteil“ – Ausführungen des Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, im Anschluss an den Dreigliedrigen Sozialgipfel am 14.3.2013 in Brüssel, EUCO 68/13.
(8) Sozialinvestitionen für Wachstum und sozialen Zusammenhalt – einschließlich Durchführung des Europäischen Sozialfonds 2014-2020, COM(2013) 83 final.
(9) „Als Ergebnis fallen immer mehr Menschen einfach aus dem Arbeitsmarkt heraus, geben jede Ausbildung auf und laufen Gefahr, marginalisiert zu werden (die entsprechende Quote beträgt nicht weniger als 13 % für die Gruppe der 15-24-Jährigen). Dies ist eine menschliche Tragödie und eine soziale Notlage“. Ausführungen von Herman VAN ROMPUY, Präsident des Europäischen Rates, im EWSA in Brüssel am 17.1.2013, EUCO 13/13.
(10) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. März 2013 zu den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates zum mehrjährigen Finanzrahmen vom 7./8. Februar (2012/2803 (RSP)), Ziffer 9.
(11) Der EWSA fordert einen detaillierten Fahrplan für die Umsetzung der aktiven Eingliederungsstrategien auf lokaler Ebene. Er schließt sich dem Aufruf des Europäischen Parlaments an die Kommission an, die Auswirkungen einer Gesetzesvorlage zur Einführung eines angemessenen Mindestlohns von mindestens 60 % des Medianeinkommens in jedem Mitgliedstaat zu untersuchen (ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 130).
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/8 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema: „Zehn Jahre Euro — und jetzt? Die wirtschaftliche und politische Zukunft der EU und der neue Vertrag“ (Initiativstellungnahme)
2013/C 271/02
Berichterstatter: Carmelo CEDRONE
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 12. Juli 2012 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
Zehn Jahre Euro – und jetzt? Die wirtschaftliche und politische Zukunft der EU und der neue Vertrag.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 4. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 134 gegen 27 Stimmen bei 22 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Vorschläge für die Zukunft des Euro
1.1 |
Der EWSA hält die Einführung des Euro und die Schaffung der WWU für den wichtigsten Meilenstein in der Entwicklung Europas. Dies war Teil eines strategischen Plans für die Union im Rahmen der Vision, die der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und dem Vertrag von Rom zugrunde lag. Mit diesem großen und mutigen Engagement – einer Wette auf die Zukunft – wurden große Hoffnungen geweckt. Es gipfelte in der allgemeinen Überzeugung, dass sich im Sog der Einheitswährung sämtliche noch bestehenden Widerstände überwinden ließen, Widerstände, die der notwendigen Vollendung der Währungsunion und der politischen Union im Wege standen. Der Euro bleibt aber nach wie vor die Voraussetzung für all dies. |
1.2 |
Nach zwanzig langen Jahren ist indes einzugestehen, dass dies nicht eintraf. Vielleicht, weil der Euro in dieser ganzen Zeit keinen größeren internen oder externen Erschütterungen ausgesetzt war, oder vielleicht wegen des nach wie vor mangelnden Vertrauens zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern in Europa, was letztlich mangelnder Zusammenhalt und fehlendes Vertrauen in unsere Regierungen bedeutet. Alle hatten sich auf ruhige Zeiten und Wohlstandswahrung eingestellt, alles schien glatt zu laufen – doch die Ruhe war trügerisch. Denn als die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise über Europa hereinbrach, gingen die Alarmsirenen an, die in der Struktur der WWU angelegten Schwachstellen und Widersprüche brachen auf und der Euro verlor seine Anziehungskraft. Ursprünglich wurde geglaubt, ein paar „Buchführungsvorschriften“ wie der Stabilitätspakt würden ausreichen, damit die WWU funktioniert. Dabei war das Problem nicht technischer, sondern wirtschaftlicher und politischer Natur. |
1.3 |
Der EWSA weiß, dass Stabilität wichtig ist. Allerdings betrifft Stabilität nicht nur Preise oder Einrichtungen der Wirtschaft und der Finanz, sondern auch die Politik und die sozialen Bedingungen. Die Bürgerinnen und Bürger haben zu Recht den Eindruck, dass sie und nicht die Banken, die in der Krise eine entscheidende Rolle gespielt haben, den höchsten Preis für die Krise bezahlen und die Schulden zurückzahlen müssen, und dass dies ungerecht ist. Der EWSA ist davon überzeugt, dass die Sparpolitik nicht mehr lange politisch tragbar ist. In einigen Ländern wurden die Grenzen vielmehr bereits überschritten. |
1.4 |
Der EWSA ist deshalb der Ansicht, dass die gemeinsame Währung nur dann dauerhaft bestehen kann, wenn zwischen den Staaten des Euroraums Konvergenz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hergestellt und die Wettbewerbsfähigkeit insgesamt gesteigert werden. Diese Ziele erfordern sowohl wirtschaftliche als auch politische Anstrengungen. Kleine provisorische Ausbesserungen reichen da nicht aus. Vielmehr ist ein Qualitätssprung notwendig, bei dem nicht nur die Währung und die Wirtschaft, sondern auch die Politik, der Souveränitätsaspekt, die Menschen sowie die Fähigkeit zum Dialog zwischen den europäischen Völkern eine Rolle spielen. Wir brauchen eine stärkere politische Integration, weniger Dirigismus und eine soziale Marktwirtschaft, um Wachstum und Beschäftigung neue Impulse zu geben. Der Euro muss wieder als Vorteil wahrgenommen werden, nicht als Handicap. |
1.5 |
Aus der Stellungnahme geht klar hervor, dass die Vorschläge des EWSA proaktiv, die Antworten der Kommission und des Rates auf die Krise hingegen überwiegend reaktiv sind. Es sei z.B. daran erinnert, dass in dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung das Augenmerk auf Stabilität gelegt wird. Indes werden keine gemeinsamen Finanzierungsinstrumente für wirtschaftliche Erholung und Beschäftigung vorgeschlagen, auch wenn das Übereinkommen über einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) einen wichtigen Fortschritt darstellt – allerdings in Abwesenheit eines glaubwürdigen und konkreten Fahrplans für die politische Union. Europa muss hingegen Wohlstand erst wieder produzieren, um ihn gerecht verteilen zu können. Das ist der Königsweg zur Besänftigung der Gemüter. Sparzwang allein reicht nicht aus. |
1.6 |
Der EWSA fordert indes, wie schon mehrfach zuvor, eine schonungslose Bestandsaufnahme vorzunehmen in puncto: Euro und Europa (um sie zu retten); ihre politischen und wirtschaftlichen Grenzen; die Vorteile und Verluste; und die Verantwortlichkeiten für die gegenwärtige Lage. Rasches Handeln ist vonnöten, für große Worte, Täuschungsmanöver und Märchen ist keine Zeit mehr. Nur so kann die Auflösung Europas, das sich schon seit einiger Zeit auf Talfahrt befindet, vermieden werden. Deshalb wäre es auch besser, diejenigen, die gegen die auferlegten Opfer protestieren, nicht des Populismus zu bezichtigen. Europa muss lernen, ohne Anmaßung zuzuhören, es kann sich nicht länger taub stellen. |
Vorschläge zur Vollendung der WWU: die fehlenden Aspekte
Wirtschaftliche Aspekte
1.7 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass der beste Weg zu der Vollendung der WWU, der Vermeidung der Rezession, dem Abbau nationaler Schulden und der Stabilisierung der Haushalte darin besteht, das gegenwärtige Prinzip der Wirtschaftskultur der EU (Wachstum durch Stabilität) umzukehren. D.h., Wachstum muss Hauptziel werden, und ein neuer Pakt für (die Vergemeinschaftung von) Wachstum, Beschäftigung und Stabilität ist zu fördern, auch mittels Beteiligung der Sozialpartner (Stabilität durch Wachstum). Der EWSA vertritt folgende Standpunkte:
|
1.8 |
Die politischen Maßnahmen müssen aufeinander abgestimmt werden, um die Tragfähigkeit des Euro abzusichern und die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Ländern abzubauen. Dies soll durch einen Solidarplan, der die Investitionsressourcen in die Länder mit schwächeren Volkswirtschaften lenkt, durch gezielte Projekte, ggf. fiskalische Umschichtungen und durch die Integration des Arbeitsmarkts und der Sozialpolitik bewerkstelligt werden. Es geht also um symmetrische Anpassungen: gemeinsame Fonds zur Stützung ausfallender Banken, europäische Einlagensicherung, Unionsanleihen, Eurobonds, gemeinsame Maßnahmen zur Senkung des Zahlungsbilanzdefizits der EU usw. (Schaffung eines gemeinsamen Ausgleichs- oder Anpassungsfonds). |
1.9 |
Schaffung einer Wirtschaftsregierung der EU und Überwindung der derzeitigen Koordinierungsmaßnahmen, die keine positiven Ergebnisse erzielt haben, durch Umgestaltung der Eurogruppe in ein Gremium, das zusammen nach dem Mehrheitsprinzip entscheidet und als Sprecher des Euro auftritt. Eine Währungs- und Bankenunion bei getrennten Wirtschaftspolitiken ist nicht mehr tragbar. Eine Governance (wie sie mit dem Fiskalpakt ins Leben gerufen wurde) auf Makro- und Mikroebene (durch Lancieren eines Industriepakts) kann indes die Wirtschafts- und Fiskalpolitik auf die Förderung des Wachstums, der Beschäftigung und der sozialen Integration ausrichten. |
1.10 |
Es sollte ein gemeinsamer Haushalt des Euroraums, natürlich mit gemeinsamen Vorschriften, angestrebt werden, indem die Handelspolitik und die Zahlungsbilanzen zusammengeführt werden, die heute große Unterschiede aufweisen. Dabei soll die Haushaltskonsolidierung unter Einwirkung auf die Struktur von Multiplikatoren vorangetrieben werden, um Ressourcen für die Förderung von Wachstum und Beschäftigung freizusetzen, und indem Reformen zur Steigerung der Produktivität (der schwächeren Länder) durchgeführt werden (2). |
1.10.1 |
Jedenfalls müssen die gegenwärtigen Sparmaßnahmen in den am höchsten verschuldeten Ländern verringert und/oder abgemildert und die Nachfrage in den Gläubigerländern belebt werden. Um die Beschäftigung und die soziale Gerechtigkeit zu fördern, ist ein gleichzeitiges Handeln seitens der Mitgliedstaaten bezüglich Schulden und Strukturreformen, und seitens der EU bezüglich Wachstum mittels eines konkreten Solidarplans erforderlich. In der Rezession darf keine Sparpolitik betrieben werden, wie die EU es macht: gehen Einschnitte bei den Schulden mit einer Kreditklemme einher, ist dies für die Wirtschaft schädlich. |
Geld- und finanzpolitische Aspekte
1.11 |
Deshalb ist ein System erforderlich, das die Fehler und Schwächen der einzelnen Staaten abfedern, den Reformprozess begleiten und das wirtschaftliche Gefälle und die Ungleichgewichte zwischen den Ländern des Euroraums – auch durch die Geldpolitik – abbauen kann. |
1.12 |
Auch die EZB leidet unter den Beschränkungen der WWU. Die EZB war aufgrund des Vertrags gehalten, eine einheitliche, fast föderale Geldpolitik zu verfolgen, obwohl die Wirtschaftssysteme nach wie vor unterschiedlich sind und große Ungleichgewichte zwischen ihnen bestehen. Was wie gesagt Korrekturmaßnahmen seitens der EU erfordert hätte bzw. erfordern würde. Dadurch ließe sich die übermäßige Beanspruchung der EZB vermeiden, die ihre auf Preisstabilität ausgerichteten Aktivitäten wirksamer und ausgewogener durchführen könnte. Ebenso ließen sich die bestehenden Verzerrungen und Ungleichgewichte abbauen, die andernfalls die Existenz der gemeinsamen Währung bedrohen können, wie sich in der jüngsten Phase der Staatsschuldenkrise gezeigt hat. Nur durch ein beherztes Eingreifen des EZB-Präsidenten konnte Schlimmeres verhindert werden. Dies ist notwendig, um die wirtschaftliche Integration zu fördern, die der monetären Integration hinterherhinkt, zumindest bis zur Überwindung des gegenwärtigen Mandatsdefizits der EZB und Politikdefizits der EU. |
1.12.1 |
Die Rolle der EZB ist gegenwärtig überfrachtet. Um ihrer Rolle besser gerecht werden und sich mit gleichen Mitteln zur Wehr setzen zu können, müsste sie dieselben Funktionen und das gleiche Mandat wie die US-Notenbank haben – einschließlich das des Kreditgebers der letzten Instanz, um die Zinsdifferenz zu verringern. Sie muss folglich ein umfassendes Mandat erhalten, das der EZB ggf. erlaubt, auch wachstumsfördernde Maßnahmen zu ergreifen. |
1.12.2 |
Unter den Zentralbanken wird derzeit heftig darüber diskutiert, mit welchen Strategien das Wachstum angekurbelt werden soll. Dabei handelt es sich um die altbekannte Frage des Verhältnisses Sparen/Wachstum, d.h. Inflation/Wachstum und Wachstum/Beschäftigung. Die US-Notenbank pumpt jeden Monat 85 Mrd. USD in den Markt, um ihrem Auftrag nachzukommen, die Arbeitslosenrate auf 6 % zu drücken (die Bank of England steht angeblich im Begriff, eine ähnliche Politik zu betreiben). Angesichts dessen befindet sich die EZB in einer schwachen Position, da sie im Gegensatz zu den anderen Zentralbanken nicht durch eine Regierung oder einen Haushalt gestützt wird. Dies betrifft auch das Verhältnis zwischen den Währungen. Die EZB sollte auch Verantwortung über die Wechselkurspolitik ausüben. Bislang hat laut Vertrag nur der Rat das Recht, offizielle Vereinbarungen über den Wechselkurs zwischen Euro und Drittlandswährungen abzuschließen. |
1.12.3 |
Die Schulden: ein weiteres großes Problem der WWU. Der EWSA hat hierzu bereits den konkreten Vorschlag vorgelegt, 60 % der Staatsschulden vom Markt zu nehmen, um dadurch negative Auswirkungen der Spekulationen der Märkte auf den Euroraum zu unterbinden (3). Es liegt auf der Hand, dass bei einer Vollendung der WWU und einem gemeinsamen Haushalt des Euroraums auch die Emission gemeinsamer Anleihen vorgesehen werden kann (natürlich im Rahmen eines gemeinsamen Haushalts des Euroraums). |
1.13 |
In Bezug auf die Gesamtheit des Finanz- und Bankensystems hält es der EWSA für erforderlich, möglichst rasch und zügig alle Aspekte der von der EU initiierten Maßnahmen zu vervollständigen (4), d.h. einiger der wichtigsten und wirksamsten Instrumente, um die WWU und den Binnenmarkt zu vollenden und Stabilität zu schaffen. |
Politisch-institutionelle Aspekte
1.14 |
Der EWSA hält es für das Überleben des Europa-Gedankens für erforderlich, bei der Diskussion über die Zukunft der EU und ihrem institutionellen Aufbau ideologische Muster zu überwinden (wenngleich dem EWSA das „föderale Modell“ am geeignetsten zu sein scheint) und funktionale und inhaltliche Fragen zu behandeln. Die Menschen und die Solidarität müssen in Europa wieder in den Mittelpunkt gerückt werden – die Wirtschaft muss sich um sie drehen, nicht umgekehrt. Es ist an der Zeit, die Schaffung einer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Union in Angriff zu nehmen. Der diesbezügliche Versuch des Rates ist zwar lobenswert, aber nach Auffassung des Ausschusses zu zaghaft, schwach und wirklich unzureichend. Dem Egoismus, der Illusion der Verteidigung von Partikularinteressen, der Europa aufgesessen ist, muss zugunsten der Solidarität eine Absage erteilt werden. Die Sparpolitik ist zu beenden oder abzuschwächen, um die Notlagen zu lindern und Beschäftigung und Wachstum wieder ins Zentrum seiner Initiativen zu rücken. |
1.15 |
Folglich bedarf es der Konvergenz hin zu einer politischen und sozialen Union zur Vollendung der WWU gemäß den o.g. Vorschlägen. Der Entscheidungsprozess muss demokratischer (Mehrheitsentscheidung) und transparenter werden – im Sinne einer positiven und ausgewogenen Integration und geteilter Souveränität. Dadurch soll das Gefälle beim Integrationsprozess verringert werden. Dann könnte die EU auch in den internationalen Gremien mit einer Stimme sprechen. |
1.16 |
Neuer Vertrag: Der EWSA ist der Auffassung, dass die meisten in der vorliegenden Stellungnahme aufgeführten Vorschläge wirtschaftlicher Natur sind und ohne eine Änderung des Vertrags realisiert werden können. Falls erforderlich wäre ein Handeln im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Ländern, die die Vorschläge mittragen (wie beim Fiskalpakt), möglich. Dies auch, um rascher zu handeln und dem Risiko einer eventuellen Auflösung der EU angesichts neuer externer Angriffe und dem Beibehalten der Sparpolitik vorzubeugen. Eine weitere Möglichkeit für eine vertiefte Integration bestünde darin, das Europäische Parlament nach den nächsten Wahlen mit der Erarbeitung eines Verfassungsvorschlags zu beauftragen, der dann einem gleichzeitig in allen betroffenen Ländern organisierten Referendum unterzogen werden könnte. |
Internationaler Aspekt
1.17 |
Was in Europa geschieht, wirkt sich auch auf internationaler Ebene aus, und umgekehrt. Deshalb bedarf es wirksamerer, mit größerer Entscheidungsfähigkeit ausgestatteter internationaler Instanzen, um eine umfassendere globale Ordnungspolitik zu gewährleisten. Die EU sollte in diesem Zusammenhang zumindest für den Euroraum über eine einheitliche Vertretung verfügen. Insbesondere sollten die G20-Staaten u.a. einen „Wirtschafts- und Sozialrat“ für die weltweite Entwicklung einrichten und Fiskalanreize setzen. |
1.18 |
Nur eine andere – kohärentere und demokratischere – politische Struktur kann der EU neben einer besseren Governance im Inneren ein wirksameres auswärtiges Handeln und ein einheitliches Auftreten auf der internationalen Bühne ermöglichen. Dies betrifft insbesondere das Verhältnis zwischen den Währungen, um Schaden von der EU-Wirtschaft fernzuhalten, sowie das Verhältnis zwischen den Wirtschaftssystemen auf globaler Ebene – vor allem mit Blick auf die Entwicklungsländer. |
1.19 |
Kurzum, dies sind die vier Vorschläge zur Vollendung der Konstruktion des Euro:
|
2. Einleitung
2.1 |
Die EU durchlebt derzeit eine besonders schwierige und gefährliche Phase mit möglichen negativen Auswirkungen, die über die derzeitigen wirtschaftlichen und sozialen Beeinträchtigungen weit hinausgehen könnten. In dieser Initiativstellungnahme werden eine Reihe von Fragen behandelt, wie z.B. die Notwendigkeit der Einhaltung der bereits eingegangenen Vertragsverpflichtungen im Bereich des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, die Förderung einer neuen Wirtschafts- und Währungspolitik für Wachstum und Beschäftigung, proaktivere Innovationsmaßnahmen, die Einrichtung eines europäischen Risikokapitalfonds für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und schließlich der Einsatz für die Zukunft der Europäischen Union (5). |
2.2 |
Auch in der EU ist keine Konvergenz, sondern vielmehr eine Kollision großer wirtschaftlicher Interessen festzustellen. Der Euro trägt für die gegenwärtige Entwicklung keinerlei Verantwortung (6). Er wurde lange Zeit vernachlässigt und wartet immer noch darauf, dass die Kontrahenten (die Regierungen) sich zu einer Entscheidung durchringen. |
2.3 |
Der EWSA hat die Pflicht, auf diese Herausforderungen einzugehen, mit großer Weitsicht die Dinge klar und deutlich zu benennen, ohne sie zu beschönigen und in dem Bewusstsein, was auf dem Spiel steht und auf welcher Ebene die Konfrontation ausgetragen wird. Mit seiner Initiativstellungnahme und der diesbezüglichen Anhörung möchte er einen aktiven und vorbehaltslosen Beitrag zur Vollendung der WWU und zur Überwindung der Krise leisten – im Interesse der Arbeitnehmer, Unternehmen und Bürger der EU und insbesondere des Euroraums, der am meisten unter der gegenwärtigen Krise leidet. |
3. Der Vertrag von Maastricht: Währungspolitik und Zusammenhalt
3.1 Währungsunion
3.1.1 |
Die Übernahme der gemeinsamen Währung wäre für jene Staaten optimal gewesen, die einem symmetrischen Schock ausgesetzt sind oder über einen Mechanismus verfügen, um asymmetrische Schocks zu absorbieren. Empirische Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit asymmetrischer Schocks in Europa höher ist als in den USA. Naturgemäß kann die EZB mit ihrer vorrangig auf Preisstabilität in der Währungsunion ausgerichteten Währungspolitik nicht auf asymmetrische Schocks in den einzelnen Mitgliedstaaten der Eurozone reagieren. Aus diesem Grunde ist ein anderer, effizient wirkender Mechanismus zur Absorbierung derartiger Schocks erforderlich. Je geringer die Mobilität der Produktionsfaktoren und die Offenheit der Volkswirtschaften sind, je weniger die Wirtschaftszyklen miteinander synchronisiert werden, je geringer die Diversifizierung der Produktion und die Finanzintegration, je niedriger das gegenseitige Handelsvolumen, je unflexibler der Arbeitsmarkt und je höher die Inflationsdifferenziale zwischen den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten sind, desto weniger wird die gemeinsame Geldpolitik der EZB für die Mitglieder der Eurozone geeignet sein. Je schlechter die Anpassungsmechanismen funktionieren, die die negativen Auswirkungen asymmetrischer Schocks auffangen (Preis- und Lohnflexibilität, Mobilität der Arbeitskräfte und des Kapitals über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg oder auch ein fiskalischer Föderalismus), desto schlechter werden die Staaten mit dem Verlust der eigenen Währungshoheit zurechtkommen. |
3.1.2 |
Die WWU ist vielleicht die wichtigste, aber nicht die einzige Säule des Vertrags von Maastricht. Für die WWU gab es nicht nur wirtschaftliche, sondern nach dem Fall der Berliner Mauer vornehmlich politische Gründe. Viele Länder blieben in dieser veränderten Lage staunende und unbeteiligte Zuschauer, auch angesichts der fast unmittelbaren Auflösung der DDR und der Währungsparität zwischen der DM und der Mark der DDR (Wechselkurs 1 zu 1, der von der Bundesbank unterstützt wurde). Man zog es vor, die Entscheidung für die Vollendung der WWU aufzuschieben, und schuf so die allgemeine Erwartung – die sich als illusorisch erweisen sollte –, dass die Währungsunion die politische Union nach sich ziehen würde, dass sich der Euro als Motor eines föderalen Europas herausstellen würde. Aber so ist es nicht gekommen. |
3.1.3 |
Die Union hätte hinsichtlich des Euros nicht nur für Deckung und eine gemeinsame Stimme sorgen, sondern auch alle Mängel des Euros beheben sollen. Stattdessen wurde davon ausgegangen, dass für die Funktionstüchtigkeit der Währungsunion nur wenige „Regeln“ ausreichen würden, wie z.B. der Stabilitätspakt mit willkürlichen Parametern. Dieses selbstreferenzielle System wurde für unfehlbar gehalten, aber es funktionierte nicht wie erwartet – und hätte es auch gar nicht können. Auch das Mandat der EZB ist einseitig, und im Vergleich zu den anderen Zentralbanken begrenzter. Diese Widersprüche sind im Zuge der Finanzkrise, die in der EU erst mit großer Verzögerung wahrgenommen wurde, und dann in der Staatsschuldenkrise evident geworden. Dem Euro wurden seine Aura und seine magischen Kräfte genommen, die ihm seit seiner Einführung zugeschrieben wurden. Dadurch wurde seine Anziehungskraft so sehr geschmälert, dass er heute gar als Bedrohung oder als hinterhältiger Vorwand zur Rechtfertigung von Sparmaßnahmen wahrgenommen wird. |
3.2 Durch die Sparpolitik wird der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt gefährdet, eine weitere Säule der Einheitlichen Europäischen Akte und des Maastricht-Vertrags, die eine hohe Beschäftigungsquote und einen hohen Lebensstandard als ein Ziel der EU vorsieht. Und eben dieses Ziel wurde von der gegenwärtigen Krise von der europäischen Agenda gefegt. Wenngleich unlängst wieder Lippenbekenntnisse für den Zusammenhalt zu vernehmen waren, folgten doch keine Durchführungsinstrumente, weshalb keinerlei praktische Wirkung auf die Realwirtschaft und die Beschäftigung zu verzeichnen ist.
4. Die ersten zehn Jahre des Bestehens des Euros
4.1 Vorteile
4.1.1 |
Bis 2008 funktionierte die WWU unter währungspolitischen Gesichtspunkten für die Staaten des Euroraums relativ gut: Sie vereinfachte den Handel, beseitigte Wechselkursrisiken und wettbewerbsbedingte Abwertungen, gewährleistete Preisstabilität (durchschnittliche jährliche Inflationsrate von 2,03 %, abgesehen von außergewöhnlichen Schwankungen in einigen Ländern bei der Umstellung vom alten auf das neue System), führte zur Verringerung und Angleichung der Schuldzinsen (bis 2009!), erzeugte Wachstum und Beschäftigung (14,5 Mio. neue Arbeitsplätze (7)) und sorgte für die Ausgeglichenheit sämtlicher Leistungsbilanzen, die öffentliche Schuldenquote lag unterhalb der Japans und der USA und der Wechselkurs zum Dollar blieb (mit etwas über 30 %) aufgrund der schwächeren Volkswirtschaften verhalten. |
4.1.2 |
So stellt sich der Gesamtüberblick dar. Bei der Betrachtung der Situation der einzelnen Staaten ergibt sich aber ein anderes Bild. Die größten Vorteile hatten vor allem diejenigen Länder, auf deren Wirtschaft die bei der Euro-Einführung festgelegten Parameter basierten: Ihr Wachstum und ihre Produktivität wurden gestärkt, ihre Ausfuhren schnellten in die Höhe (um ca. 2 Billionen USD seit 2 000 allein für Deutschland), und sie erreichte relativ ausgeglichene Zahlungsbilanzen (8), während andere Länder nur teilweise profitierten bzw. reale Nachteile hinnehmen mussten. Dies ist hauptsächlich auf die Asymmetrie des Systems im Zusammenhang mit der einheitlichen Währung zurückzuführen, das Länder mit einem Defizit zu Korrekturen zwingt, während diese für Länder mit einem Überschuss nicht erforderlich sind. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Staaten auf die durch den Euro geschaffenen Bedingungen unterschiedlich reagierten. |
4.2 Kosten
4.2.1 |
Die zu berücksichtigenden Kosten stehen im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit der Länder, ihrem Souveränitätsverlust im Bereich der makroökonomischen Politik, dem Wechselkurs, den wettbewerbsbedingten Abwertungen usw. |
4.2.2 |
Ohne eine angemessene oder vollständige WWU hat die Krise noch andere Kosten mit sich gebracht, z.B. die Übernahme von Schulden der Banken durch die öffentlichen Haushalte oder den Schuldenanstieg mit einer Zunahme der Schwierigkeiten für die bereits höher verschuldeten Länder. Dies hat zu einer Spaltung der EU geführt: auf der einen Seiten stehen die Gläubigerländer, auf der anderen die Schuldnerländer, die immer mehr Ländern der Dritten Welt ähneln. Die Gläubigerländer verursachen mehr Armut vor allem im Süden und mehr Reichtum im Norden. Man denke nur an die von Deutschland angesammelten Überschüsse – nicht bezogen auf die interne Bilanz im Euroraum (in diesem Falle wäre die Zahlungsbilanz der EU ausgeglichen!), sondern in Bezug auf den gegenüber Drittstaaten erzielten Überschuss. Dieser ist so hoch, dass er sich auf lange Sicht zu einem Finanzrisiko für Deutschland und eine Gefahr für seine Wirtschaft entwickeln könnte. |
4.3 Kritische Punkte
4.3.1 |
Die Steuerung der Währung weist mehrere strukturelle Mängel und Schwachpunkte auf: die Grenzen des Stabilitäts- und Wachstumspakts, den einige Länder (Deutschland, Frankreich und Italien) auszuhöhlen versuchten, als er ihnen Probleme bereitete; fehlende Überwachung der Produktivitätsindikatoren; fehlende Instrumente zur Krisenbewältigung; die Kosten des Verbleibs im Euro; die systemischen Risiken; die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Ländern; das Festhalten der Nationalstaaten an der Steuer- und Haushaltshoheit. |
4.3.2 |
Wechselkursrisiken und Abwertungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit wurden indes nicht beseitigt zwischen den Mitgliedstaaten des Euroraums und den Mitgliedstaaten, die nicht dazu gehörten, vor allem das Vereinigte Königreich. Eine erhebliche Abwertung des britischen Pfunds gegenüber dem Euro könnte in relativ kurzer Zeit die gleichen Wettbewerbsbedingungen unterminieren, die eigentlich auf dem Binnenmarkt gelten sollten. |
4.3.3 |
Aus wirtschaftlicher Sicht besteht das größte Problem in den wirtschaftlichen Ungleichgewichten, die bereits vor dem Jahr 2 000 bestanden. Diese Situation hat die schwächeren Länder benachteiligt und ausgeprägte „asymmetrische Schocks“ ausgelöst, die auch durch die umfangreichen Kapitalflüsse nach Deutschland begünstigt wurden. Die EZB konnte mit den ihr gegenwärtig zur Verfügung stehenden Instrumenten nichts gegen diese asymmetrischen Schocks ausrichten. Ein weiteres Problem besteht auf internationaler Ebene, das erst durch die Krise allmählich zu Tage trat (9). |
4.3.4 |
Der größte Fehler war jedoch zu glauben, dass eine einheitliche Währung ohne jedwede Begrenzung der Souveränität der Staaten machbar wäre. Dies bezieht sich nicht nur auf die Haushaltsautonomie, sondern vor allem auch auf das getrennte Schuldenmanagement und das in nationaler Zuständigkeit verbliebene Banken-, Finanz- und Aufsichtssystem. |
4.3.5 |
Das schwerwiegendste politische Manko ist schließlich die Einführung des Euros ohne Schaffung eines gemeinsamen Hauses und ohne gemeinsame Stimme – sieht man einmal von den vereinzelten Versuchen der EZB ab, diesen Mangel zu beheben. Auf diese Weise entfernte sich die EZB von ihrer vertraglich verankerten Unabhängigkeit hin zum Lückenbüßer für die Politik, um Schaden von der einheitlichen Währung und der EU abzuwenden (10). Ebenso wie auch beim Wachstum die Rolle des stärksten Landes deutlich wurde. |
4.3.6 |
Der EWSA ist jedenfalls der Ansicht, dass der Euro an Tragfähigkeit gewinnen wird, wenn die Wirtschaftsleistungen der Euro-Länder konvergieren, um ein einheitlicheres Wachstum zu bewirken, und wenn es eine politische Union gibt, die diese Differenzen akzeptabel macht. Denn das Problem ist nicht buchhalterischer, sondern politischer Natur, und betrifft auch die Demokratie und folglich eine gerechtere Stimmengewichtung in den verschiedenen Beschlussorganen. Wir können uns nicht länger die Illusion und den Irrtum leisten, uns ausschließlich auf wirtschaftliche und „buchhalterische“ Aspekte zu beschränken. |
5. Internationaler Kontext
5.1 |
Die gegenwärtigen Ereignisse in Europa wirken sich auch auf internationaler Ebene aus – und umgekehrt. Es gibt enge Verknüpfungen zwischen den Wirtschaftssystemen, den Schulden, den Finanzsystemen, dem Handel, dem Verhältnis zwischen den Währungen usw. Dies gilt insbesondere für die noch engeren Verbindungen zwischen den Wirtschaftssystemen diesseits und jenseits des Atlantiks. So war es zumindest bis 2009. Heute hingegen erholt sich die Wirtschaft der USA, während sich die europäische Wirtschaft in einer Rezession befindet. Dies ist nicht nur auf die unterschiedliche Funktion von amerikanischer Notenbank und EZB, sondern auch auf unterschiedliche volkswirtschaftliche Denkweisen zurückzuführen. |
5.2 |
Für die gesamte Weltwirtschaft sind jedenfalls wirksamere internationale Einrichtungen mit größerer Entscheidungsfähigkeit erforderlich, um eine ausgeprägtere globale Ordnungspolitik (durch IWF, Weltbank, ILO und WTO) sicherzustellen. Die Gruppe der G-20-Staaten sollte besser strukturiert sein, um verpflichtende Entscheidungen treffen zu können. Z.B. sollten ein „Wirtschafts- und Sozialausschuss“ für die weltweite Entwicklung eingerichtet, steuerliche Anreize gesetzt und die Beziehungen zwischen den Währungen gesteuert werden, um Handelsdiskriminierungen auch dank verstärkter Handlungsmöglichkeiten der EZB abzubauen. |
5.3 |
Globale Sparüberschüsse. Wachstum ist auch für die übrige Weltwirtschaft von wesentlicher Bedeutung. Die Warnung der IWF, dass Europa neben den Schritten zum Schulden- und Defizitabbau auch wachstumsstimulierende Maßnahmen ergreifen muss, kommt zum richtigen Zeitpunkt und ist gerechtfertigt. Es gibt Sparüberschüsse auf globaler Ebene, für die sich keine Anlagemöglichkeiten finden. Tatsächlich wurden vergeblich Anlagemöglichkeiten für Private-Equity-Fonds in Höhe von fast 2 000 Mrd. USD gesucht (11). Der wichtigste staatliche Investitionsfonds Norwegens reduziert derzeit die Quote für europäische Investitionen von mehr als die Hälfte auf zwei Fünftel (12). 2011 verzeichnete der wichtigste staatliche Investitionsfonds Asiens, China Investment Corporation, Verluste bei Investitionen in Private-Equity-Fonds, halbierte seinen Bestand privater Anleihen auf ein Viertel und sucht jetzt nach langfristigen Anlagemöglichkeiten nicht im privaten, sondern im öffentlichen Sektor (13). |
6. Laufende Maßnahmen in der EU
6.1 EFSF/ESM: Angesichts der Verschärfung der Krise, die in spekulative Angriffe auf den Euro ausuferte, ohne dass irgendwelche Schritte gegen die Spekulanten unternommen worden wären, hat die Union versucht, auf verschiedenen Ebenen zu reagieren. Die Verstärkung des Rettungsschirms mit eventueller Bankenlizenz ist ein Beispiel für ein wirksames, wenngleich begrenztes Instrument, um von unverschuldeter Zahlungsunfähigkeit bedrohte Staaten zu schützen gegen die Spekulation auf Bankwertpapiere und Schulden, auch wenn damit die Krise nicht gelöst wird.
6.2 Einen weiteren Ansatz stellt die Bankenunion dar. Tatsächlich ist es unmöglich, einen einheitlichen Währungsraum mit 17 unterschiedlichen Finanz- und Schuldmärkten aufrecht zu erhalten, insbesondere nachdem die Segmentierung in nationale Märkte durch die Krise noch verschärft wurde. Die Bankenunion wird deshalb zu einem unerlässlichen und prioritären Instrument für die Teilung des Risikos, für den Einlegerschutz – auch mittels des „Abwicklungsmechanismus“ –, für neues Vertrauen in das System, dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt ist, und für die Wiederankurbelung des Finanzierungskreislaufs für die Unternehmen in allen Staaten auf der Grundlage der betroffenen Bevölkerung, nicht der Größe der Banken. Dabei wird der Liquiditätsabfluss in Länder mit geringerer Risikoeinstufung vermieden und die Zinsdifferenz verringert. Die Bankenunion hilft außerdem, das systemische Risiko zu verringern und würde die Verknüpfung zwischen Staatsschulden und Banken kappen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass bei der Einführung des Euro die Bankensysteme getrennt blieben – ein schwerer Mangel. Das ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Bankensysteme einiger starken Länder großteils öffentlich-rechtlicher Natur sind.
6.3 Die europäische Bankenaufsicht vervollständigt die in Erarbeitung befindlichen Maßnahmen. Diese Zuständigkeit wird auf die Unionsebene verlagert und unmittelbar von einer einzigen Behörde wahrgenommen. Um zu zeigen, dass Europa einen wichtigen Mehrwert bietet, ist es unerlässlich, bei den Bankaktivitäten für mehr Transparenz zu sorgen und Interessenkonflikte sowie unlautere Praktiken wie z.B. die Manipulation des LIBOR-Zinssatzes zu unterbinden. Der EWSA begrüßt den Vorschlag, ein einheitliches Aufsichtssystem unter der Führung der Europäischen Zentralbank einzuführen, das für den gesamten Euroraum zuständig ist und dem auch alle anderen Mitgliedstaaten beitreten können (14).
6.4 Der EWSA begrüßt auch das neue Programm zum Ankauf von Staatsanleihen („Outright Monetary Transactions“ – unbegrenzter Anleihekauf), mit dem die EZB Staatstitel auf dem Sekundärmarkt aufkaufen kann, um die Spekulation zu stoppen und die Zinsdifferenz bei den Staatstiteln der Mitgliedstaaten und folglich beim Euro zu verringern. Dies stellt zusammen mit den anderen geldpolitischen Sondermaßnahmen (die es auch früher schon gab), die in Reaktion auf die Finanzkrise eingeleitet wurden, eine Richtungsänderung der EZB dar – im Geiste des Vertrags und in die richtige Richtung. Es handelt sich dabei aber auch hier um technische Instrumente, die letztlich die Krise nicht lösen, sondern den Regierungen und der EU etwas Zeit verschaffen, um die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
6.5 Die EZB
6.5.1 |
Ziel der EZB ist die Aufrechterhaltung der Preisstabilität, wofür sie politisch unabhängig sein muss. D.h., sie darf weder von den Regierungen noch der EU „Weisungen einholen oder entgegennehmen“. Dies ist ein korrekter Status, wenngleich im Vertrag dem Rat die Aufgabe zugewiesen wird, Vereinbarungen über den Wechselkurs zwischen Euro und Drittlandswährungen abzuschließen (15). Ohne solche Vereinbarungen bzw. in der Zeit zwischen solchen Abkommen sollte die EZB die Wechselkurspolitik als Teil ihrer Aufgaben betrachten. Die EZB verfolgt auch sekundäre Ziele wie z.B. einen Beitrag zur Finanzstabilität zu leisten. Dennoch können ihre Interventionen während der Krise unter dem Hauptziel subsumiert werden, das großteils durch die Notwendigkeit diktiert wurde, wieder einen wirksamen Übertragungsmechanismus der Geldpolitik herzustellen und dadurch die Finanzstabilität in allen Staaten des Euroraums zu wahren. |
6.5.2 |
Hinsichtlich der Preisentwicklung ist darauf hinzuweisen, dass sich im Zusammenhang mit den Maastricht-Kriterien die Frage stellt, ob es richtig ist, bei der Berechnung des Inflationskriteriums den Inflationsdurchschnitt der drei erfolgreichsten EU-Staaten und nicht den der Eurozone zugrunde zu legen. |
6.5.3 |
Allgemein gesprochen ist das Mandat der EZB begrenzter als das anderer Zentralbanken. Zunächst hat die EZB kein Mandat für die Förderung von Wachstum und Beschäftigung wie z.B. die FED, wenngleich ihre Geldpolitik ähnlich ist. Grundlegende Unterschiede bestehen indes zwischen den USA (zentralistisches Fiskalsystem) und der EU bei der Durchführung der Haushaltspolitik. Die Rolle der EZB als Kreditgeber letzter Instanz (lender of last resort) ist außerdem derzeit auf das Bankensystem beschränkt und schließt nicht die Regierungen ein (die EU-Regierung), wie dies in „nationalen Kontexten“ der Fall wäre – und wie dies eine Vollendung der WWU ermöglichen würde. Ferner wird eine einheitliche Geldpolitik der EZB dadurch erschwert, dass es zwischen den verschiedenen Staaten des Euroraums – aufgrund fehlender Korrekturmaßnahmen seitens der EU – wirtschaftliche Divergenzen und Ungleichgewichte gibt. |
6.5.4 |
Es ist deshalb zu begrüßen, dass die EZB den Euro auf dem Grundsatz der Einheit des Euroraums für „unumkehrbar“ erklärt hat. Dadurch konnte sie wie gesagt nach einer harten Auseinandersetzung Maßnahmen zur Senkung der Zinsdifferenz (spread) zwischen den Staatsschulden der Mitgliedstaaten ergreifen, indem sie die Möglichkeit vorsah, Schuldtitel auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen. Dieses Vorgehen macht parallel zur Wiederankurbelung des Wachstums einen „europäischen“ Plan für den Schuldenabbau erforderlich, der die entsprechenden einzelstaatlichen Pläne begleitet (16). |
6.5.5 |
Dadurch können zumindest die Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der Kosten für die Finanzierung der Schulden und der Investitionen verringert werden. Bis heute werden die bestehenden Ungleichgewichte – auch bezüglich der Zahlungsbilanzen – durch einen enormen Spread verschärft. |
6.5.6 |
Der EWSA ist außerdem der Auffassung, dass die Frage der von der EZB und der EU auferlegten Bedingungen ebenfalls überdacht werden muss. Es ist nicht hinnehmbar, dass Banken zu sehr niedrigen Zinsen ohne jedwede Bedingungen z.B. bezüglich der Verwendung der Mittel mit Liquidität versorgt werden. Zumindest ein Teil der Mittel sollte für Investitionen eingesetzt werden; wohingegen der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB (Outright Monetary Transactions – OMT) – auch wenn die Sachlage hier anders ist – Bedingungen unterliegen, die für die Länder sehr hart sind. Diese Bedingungen werden hauptsächlich damit begründet, dass der Marktlogik entsprochen werden müsse – der Logik eines veränderten und skrupellosen, anonymen Hochgeschwindigkeitsmarktes, der mit einem echten Markt wenig gemein hat (17). Dafür darf sich die EU nicht hergeben: extreme Sparzwänge und Härte für die Bürger und die Unternehmen in Krisenzeiten, Neutralität gegenüber Investoren/Spekulanten, die sich hinter den Investmentbanken und internationalen Investmentfonds verschanzen – abgesehen von der Entschlossenheit des EZB-Präsidenten, den Euro zum kritischsten Zeitpunkt der Angriffe zu verteidigen. |
6.5.7 |
Das Handeln der EZB sollte vielmehr eine ausgewogene Unterstützung der Wirtschaft der verschiedenen Länder ermöglichen, um die existierenden Verzerrungen und Ungleichgewichte mit den derzeitigen Instrumenten zu verringern und so über das gegenwärtige Mandat hinauszugehen und das Politikdefizit der EU zu überwinden. Z.B. könnte der Interbankenmarkt in einigen Ländern des Euroraums mittels Negativzinsen für die Übernacht-Einlagen bei der EZB neubelebt werden. |
6.5.8 |
Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass die Schuldenfrage zügig nach Maßgabe seiner Vorschläge gelöst werden muss, und dass das Handeln der EZB und des Rates für dieses Ziel von grundlegender Bedeutung ist (18). |
6.5.9 |
Der EWSA hält eine größere Transparenz der EZB-Beschlüsse für angebracht. Beispielsweise könnten die Abstimmungsbeschlüsse aus den Sitzungen des EZB-Rates veröffentlicht werden, um den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten der Währungsunion eine höhere Verantwortung zu übertragen. Das würde dazu führen, dass sie ihre Entscheidungen nach gesamtwirtschaftlichen Kriterien in der Eurozone fällen und nicht nach der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Heimatländer. |
6.5.10 |
Ein weiteres erwähnenswertes Problem betrifft das Abstimmungssystem des EZB-Rates (19), insbesondere das Ungleichgewicht zwischen Stimmrecht und Finanzbeitrag der Mitgliedstaaten. Dieses Problem hat sich bereits für das Zahlungssystem innerhalb des Europäischen Stabilitätsmechanimus (ESM) ergeben und könnte sich auch in Zukunft stellen, z.B. im Rahmen der Bankenunion. |
7. Die wirtschaftliche Zukunft der EU: Wirtschafts- und Sozialunion – Wachstum und Beschäftigung
7.1 |
Nach Auffassung des EWSA ist ein durch Investitionen in die Bereiche Umwelt und Soziales induzierter Aufschwung (20) erforderlich. Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass Stabilität allein nicht den Aufschwung gewährleisten kann, denn dieser hängt vom Vertrauen sowohl der Unternehmer als auch der Verbraucher ab. Angesichts der begrenzten Erwartungen des Privatsektors und der brachliegenden Kapazitäten können sich die Unternehmen nicht darauf verlassen, dass Investitionen jetzt zu künftigen Gewinnen führen. Haben die Bürger ihrerseits nicht die Gewähr, ihren Arbeitsplatz behalten oder einen neuen finden zu können, ziehen sie Sparen oder Schuldenabbau neuen Ausgaben vor. Eine höhere Arbeitslosigkeitsrate führt zwangsläufig zum Anstieg der Zahl von Personen, die keine Ausgaben machen können. |
7.2 |
Um bei Unternehmen und Bürgern mehr Vertrauen zu schaffen, muss der Aufschwung deshalb nach Art des „New Deal“ in den USA durch Investitionen induziert werden (21). Die Schlüsselkriterien dafür sind diejenigen, die die EIB seit dem Amsterdamer Sonderaktionsprogramm von 1997 angenommen hat mit der Aufgabe, den Zusammenhalt und die Konvergenz in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Stadterneuerung, Umwelt sowie Transeuropäische Netze zu fördern. |
7.3 |
Dies ist ein anzustrebendes Ziel, bei dem Sparüberschüsse auf globaler Ebene – wie in Ziffer 5.3 skizziert – in Umlauf gebracht werden. Tatsächlich sind einige Investitionsfonds auf der Suche nach langfristigen Anlagemöglichkeiten für die in anderen Teilen der Welt erwirtschafteten Sparüberschüsse. Das bietet beiderseitige Vorteile, sowohl für die Investoren aus Drittstaaten als auch für die europäische Wirtschaft. In diesem Zusammenhang können die beiden Komponenten der Europäischen Investitionsbank-Gruppe, d.h. die EIB und der Europäische Investitionsfonds (EIF), eine Schlüsselrolle spielen. |
7.4 |
Die Erhöhung des von der EIB gezeichneten Kapitals ist deshalb zu begrüßen. Auch die projektbezogenen Anleihen können für den Aufschwung eine wichtige Rolle spielen. Die Verwendung der Überschüsse auf globaler Ebene für Investitionen der EU sollte jedoch Eurobonds genannt werden (die Märkte werden dafür evtl. die Abkürzung „€-Bonds“ wählen). Der Widerstand einiger Regierungen gegen die Eurobonds ist bekannt, beruht gleichwohl auf einer irrigen Annahme, da die Eurobonds, die zur Ankurbelung des Wachstums notwendig sind, mit den Unionsanleihen verwechselt werden, die für die Schulden vorgesehen sind (22). |
7.5 |
Seit seinen Anfängen ist der EIF der Auffassung, dass er europäische Anleihen zur Finanzierung langfristiger sozialer Investitionen (23) auflegen könnte mittels einer Erhöhung des gezeichneten Eigenkapitals gegenüber dem derzeit ziemlich niedrigen Volumen von 3 Mrd. EUR, ohne dass dafür eine Änderung der Verträge erforderlich wäre (24). Keiner der wichtigsten Mitgliedstaaten wie auch die anderen des Euroraums berücksichtigt derzeit die Finanzierungen der EIB bei der Berechnung der eigenen Staatsschulden, und dasselbe sollte auch für die Finanzierungen des EIF gelten. Die vom EIF begebenen Anleihen könnten – analog zur Praxis der EIB – durch die Renditen der Projektfinanzierungen garantiert werden. |
7.6 |
Produktinnovation und Erschließung von Märkten: Der EWSA ist außerdem der Auffassung, dass die Union eine entschlossenere Innovationspolitik verfolgen sollte. In den 1970er Jahren kamen industriepolitische Maßnahmen aus der Mode aufgrund der Tatsache, dass die Regierungen keine „bestimmten Akteure“ oder „nationalen Marktführer“ bevorzugen konnten. Jedoch gibt es nach Ansicht des Ausschusses triftige Gründe, diesen Ansatz zu überdenken (25). |
7.7 |
Vor allem ist erstens nicht gesagt, dass nichtinterventionistische Maßnahmen auch vorbildlich sind. In der Vergangenheit haben sie den Ausschlag für falsche Investitionen im Finanzbereich gegeben. Zweitens müssen noch viel entschlossenere Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ergriffen werden. Und drittens wird eine viel zu große Zahl von Technologieprojekten, die im Kontext der Rahmenprogramme vorgelegt werden, nicht wegen inhaltlicher Mängel, sondern aufgrund mangelnder Eigenmittel abgelehnt. Dieses Problem könnte mithilfe eines europäischen Risikokapitalfonds gelöst werden, der durch die Emission von Anleihen finanziert werden könnte. Viertens waren die Schwellenländer in der Lage, eine Reihe von nationalen Marktführern zu fördern – mit durchaus respektablen Ergebnissen (26). |
7.8 |
Die Investitionsfinanzierung mittels Transfer der Überschüsse in Eurobonds sollte für alle Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen und würde auf makroökonomischer, sozialer, beschäftigungsspezifischer und politischer Ebene zu kumulativen Vorteilen führen. Dies würde auch belegen, dass „mehr Europa“ notwendig ist: ein Ansatz, der gegenwärtig von den Wählern und einigen Regierungen mit wachsender Skepsis betrachtet wird. |
7.9 |
Wachstum kann auch zu mehr Stabilität führen. Gemäß dem Grundsatz der EIB, dass anleihebasierte Finanzierungen nicht notwendigerweise zu den nationalen Schulden hinzugerechnet werden müssen, würde die Finanzierung durch Eurobonds zur Förderung des Aufschwungs eine schnellere Senkung der nationalen Schuldenstände und eine Erhöhung der nationalen Steuereinnahmen ermöglichen. Dadurch ließen sich die Haushaltsdefizite senken oder niedrig halten, wobei gleichzeitig die grundlegenden Ausgaben im Sozialbereich sichergestellt werden könnten. Diesbezüglich müssten von den Ländern und Eurostat Parameter und gemeinsame Kriterien für eine gerechtere und bessere Auswertung der Daten festgelegt werden. |
7.10 |
Übrigens wurde nicht berücksichtigt, dass der Ansatz des Verdrängungseffekts (crowding out) Vollbeschäftigung voraussetzt. Angesichts der derzeit in den meisten Mitgliedstaaten hohen Arbeitslosenraten könnte die – separate oder gemeinsame – Finanzierung durch EIB/EIF-Projektanleihen zu einem Verstärkungseffekt (crowding in) bei Investitionen im Privatsektor, Einkommen und Arbeitsplätzen mit einem Multiplikator der eingesetzten Investitionen bis zum Faktor 3 führen. Positive fiskalische Multiplikatoren könnten zu erhöhten Einnahmen bei den direkten und indirekten Steuern führen (27). |
7.11 |
Angesichts der Schwierigkeiten, in denen sich einige andere Länder, vor allem Griechenland und Zypern befinden, schlägt der EWSA vor, die von der Troika geforderte kurzfristige strukturelle Anpassung zu überdenken. Dabei sind die längerfristigen Perspektiven dieser Länder infolge der Entdeckung umfangreicher Erdöl- und Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeerraum zu berücksichtigen, die bislang noch kaum genutzt werden (28). |
8. Die politische Zukunft der EU
8.1 |
Der EWSA ist deshalb davon überzeugt, dass einfache und periodische „Erhaltungsmaßnahmen“ für die EU nicht ausreichen. Die EU kann das seit dem Maastrichter Vertrag bestehende politische Vakuum nicht fortbestehen lassen, ohne sich der Herausforderung des Euros zu stellen, die durch die Krise offensichtlich wurde und die seine großen internen Defizite ans Licht gebracht hat – allen voran das demokratische Defizit (29). Dies gibt dem europäischen Integrationsprozess wieder ein Ziel, um den Europa-Gedanken am Leben zu halten. |
8.2 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass die gemeinsame Währung nur dann dauerhaft bestehen kann, wenn eine Konvergenz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Staaten des Euroraums erreicht wird. Dies macht ein wirtschaftliches wie auch ein politisches Engagement erforderlich. D.h., es ist eine politische Union erforderlich, die die Differenzen erträglich macht und erforderlichenfalls einen Teil des Reichtums von den starken in die schwachen Gebiete übertragen kann – mit einem transparenten und demokratischen Entscheidungsprozess und einer neuen Art der Solidarität zwischen den Staaten (30). |
8.3 |
Diese Krise lässt die alten Differenzen zwischen den Europäern wieder aufbrechen. Es kommt wieder rückwärtsgewandtes Verhalten auf, schon längst verschwunden geglaubte Gespenster werden wieder ausgegraben und Gemeinplätze gepflegt, als ob die Sparpolitik und die Schulden nur eine Ursache hätten und nicht vielmehr auf die Fehler der Regierungen auf „beiden Seiten“ zurückzuführen seien. So wie die Länder, die sich in Schwierigkeiten befinden, ihre eigene Verantwortung nicht auf die EU (oder Deutschland) abschieben dürfen, so dürfen die reicheren Länder nicht die erhebliche Vorteile übersehen, die ihnen der Euro aufgrund der bestehenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte z.T. auf Kosten der anderen verschafft. Wir brauchen also ein neues Vermögen in den Bereichen Politik, Kultur und Dialog zwischen den europäischen Völkern, was unzweifelhaft von gegenseitigem Vorteil ist, wie bereits schon Friedrich Hölderlin (31), durch die griechische Kultur inspiriert, feststellte. |
8.4 |
Es ist ein Qualitätssprung erforderlich, Integration ist nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch der Politik und der SOUVERÄNITÄT eines jeden Staates erforderlich. Viel wichtiger als die Diskussion über das zu realisierende europäische „Modell“ ist die Diskussion über die dafür notwendigen Instrumente: wirksame, demokratische und transparente Mittel der Entscheidung, zur Wahrnehmung des Gemeinwohls, für die Einigung, nicht die Teilung des europäischen Volkes. |
8.5 |
Aus diesen Gründen hält der EWSA die Frage für falsch, ob der Vertrag geändert werden soll oder nicht. Dies hängt offensichtlich davon ab, was für die Vollendung der WWU erforderlich ist. Ohnehin können die meisten Vorschläge des EWSA ohne eine Änderung des Vertrags realisiert werden (in puncto Wachstum, Schulden usw.), wohingegen für andere die verstärkte Zusammenarbeit möglicherweise ausreicht. Wichtig ist jedenfalls der Zweck: das Wohl der Wirtschaft, des Euros und der Bürgerinnen und Bürger der Union. Der Vertrag ist dafür nur das Mittel. Das muss den Bürgern so korrekt wie möglich erläutert werden, wobei sie an den Entscheidungen direkt und/oder über das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente zu beteiligen sind. |
8.6 |
Der EWSA ist davon überzeugt, dass der Euroraum über die zur Planung seiner Zukunft erforderlichen Instrumente verfügt: mehr politische Integration, weniger Dirigismus, eine soziale Marktwirtschaft, um Wachstum und Beschäftigung neue Impulse zu geben und um eine politische, wirtschaftliche und soziale Union zu schaffen. |
9. Integration oder Auflösung?
9.1 |
Ohne diesen weiteren Schritt könnte die Krise, so wie bisher mit ihr umgegangen wird, zur Auflösung des Euroraums und folglich der EU führen. Es kann nicht nur eine Politik der Sparzwänge und der Kürzungen, wie beim Schuldenabbau, betrieben werden, auch wenn sie angezeigt sind. In einem von Solidarität geprägten Rahmen müssen auch andere Maßnahmen ergriffen werden (wie z.B. die Belebung der Nachfrage in den Gläubigerländern). Den Bürgerinnen und Bürgern der betreffenden Länder muss klar gemacht werden, dass die Haushaltsüberschüsse der einen die Schulden der anderen sind, und dass die Angriffe auf den Euro nicht von der Höhe der Schulden abhängen, auch wenn diese gesenkt werden müssen (32). Andrerseits müssen die Bürger südlicher Mitgliedstaaten ihre Regierungen dazu anhalten, die Schulden zu konsolidieren und mit Haushaltsmitteln sorgfältiger umzugehen, Verschwendung und Steuerflucht zu unterbinden, Steuern zu senken und Wachstum, Beschäftigung, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit ihrer Systeme zu fördern. Und dies nicht nur durch vereinzelte Reformen, sondern im Rahmen größerer Solidarität und mit einer anderen Wirtschaftspolitik der EU und der EZB (33). |
9.2 |
Andernfalls wird kein Land seine Schulden abbauen und seinen Haushalt in Ordnung bringen können. Deshalb müssen die Sparzwänge gelockert und die Weichen der Wirtschaftspolitik neu gestellt werden. Ansonsten könnten die Risiken zunehmen: Hier mag ein Blick in die Geschichte hilfreich sein (34). Es gilt, der Integration eine neue Perspektive zu geben – einer positiven Integration, keiner negativen, schädlichen und erzwungenen Integration. |
9.3 |
Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass niemand in Europa heute seine Schäfchen im Trockenen hat und außer Gefahr ist, auch wenn eine außergewöhnliche Situation entstanden ist. Das auch durch den Euro begünstigte Wirtschaftswachstum einiger Länder und die Schwäche der EU-Institutionen haben Deutschland, das stärkste Land, dazu gebracht, in Europa eine zentrale Rolle zu spielen, die sich häufig im Gegensatz zu den peripheren Ländern – vor allem des Südens, aber nicht nur – befindet. „Dies weckt den Argwohn der anderen“ (Helmut Schmidt), insbesondere aufgrund der Art und Weise, wie diese Rolle wahrgenommen wird. Deshalb sind Schritte notwendig, die diese Wahrnehmung widerlegen können (35). |
9.4 |
Nach Auffassung des EWSA scheinen heute in Europa Egoismen und nationale Interessen vorherrschend zu sein, es besteht gleichsam eine Illusion der Verteidigung von Partikularinteressen. Heute geht es in erster Linie um die Wirtschaft. Die Werte, auf deren Grundlage Europa entstanden ist und auf denen es basiert, sind in den Hintergrund gerückt. Ans Licht kommt ein egoistisches Europa bar jeder Solidarität. Die Spannungen der letzten Zeit bergen die Gefahr einer gefährlichen „psychologischen Auflösung“ der EU, die Bürger und Regierungen gleichermaßen betreffen. Dagegen bedarf es eines Zuhörens ohne Anmaßung und des Vorlegens konkreter Vorschläge. |
9.5 |
Europa steht am Kreuzweg: Der EWSA fragt sich, wie es möglich sein kann, dass das Zögern und Zweifeln Europas, der größten Wirtschaft der Welt, Griechenland - die Wiege all seiner Grundprinzipien, aber wirtschaftlich gesehen nur sehr unbedeutend (36) – zugrunde gehen zu lassen droht. Den Bürgern und Unternehmen werden Opfer auferlegt, ohne diese durch ein wachstumsorientiertes Hilfsprogramm – der einzigen Möglichkeit zur Rückzahlung der Schulden – zu begleiten, und ohne einen Plan zur Abmilderung des schweren sozialen Elends eines Teils der Bevölkerung Griechenlands und Europas zu haben. Mit Verlaub, was für ein Europa ist das eigentlich? |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10.
(2) ABl. C 133 vom 9.5.2013, S. 44.
(3) ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10.
(4) ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 68, und ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 34.
(5) ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10.
(6) „Alles Gerede und Geschreibe über eine angebliche ‚Krise des Euro‘ ist leichtfertiges Geschwätz“, Helmut Schmidt.
(7) Wenngleich mit unterschiedlichen Raten (die durchschnittliche Wachstumsrate lag zwischen 2001 und 2006 bei 1,6 %, während sie in den drei Mitgliedstaaten der EU-15, die nicht dem Euro beigetreten waren, bei 2,3 % lag. Dies gilt auch für die Arbeitslosenrate, die in diesen Ländern um fast 3 % niedriger war.
(8) „Denn alle unsere Überschüsse sind in Wirklichkeit die Defizite der anderen. Die Forderungen, die wir an andere haben, sind deren Schulden“, Helmut Schmidt.
(9) ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 10, und ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10.
(10) „Der Euro könnte die politischen Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten der Währungsunion verschärfen und sogar die Voraussetzungen für das Aufbrechen neuer Konflikte, auch militärischer Natur, schaffen“, Martin Feldstein und Milton Friedman.
(11) Bain & Company, Global Private Equity Report 2012.
(12) Reuters (2012). Der staatliche Investitionsfonds Norwegens (610 Mrd. USD) wird sein Engagement in Europa zurückfahren (30. März 2012).
(13) http://www.upi.com/Business_News/2012/07/25/Chinas-sovereign-wealth-fund-reports-loss/UPI-38111343274421/#ixzz2AcHV3HNp
(14) ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 34.
(15) Artikel 219 AEUV.
(16) ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10.
(17) „Die Märkte arbeiten nicht für, sondern gegen die Menschen. Unsere Aufgabe ist es, den Märkten und der Finanzwelt den Geist der Solidarität der Sozialwirtschaft zu vermitteln“, Bundeskanzlerin Angela Merkel.
(18) ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10.
(19) Beschluss des Europäischen Rates vom 21.3.2003.
(20) Siehe Entschließung des Europäischen Rates von Amsterdam 1997, Ziffer 9, und die Schlussfolgerungen der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates von Luxemburg 1997, Ziffern 37-40.
(21) ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10.
(22) Siehe ebenda.
(23) Stuart Holland (1993). The European Imperative: Economic and Social Cohesion in the 1990s. (Der europäische Imperativ: wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt in den 1990er Jahren). Vorwort von Jacques Delors. Nottingham (UK), Spokesman Press.
(24) Gemäß Artikel 2 Absatz 2 der Satzung des Europäischen Investitionsfonds können zu „den Aktivitäten des Fonds (…) auch Mittelaufnahmeoperationen gehören“. Der Fonds hat prinzipiell bestätigt, dass er mit einem einfachen Beschluss der Generalversammlung und nach der Zustimmung zu einer Erhöhung des gezeichneten Kapitals Anleihen begeben könnte, wie dies unlängst bei der EIB der Fall war. Gleichwohl muss eine solche Entscheidung eine deutlichere Zustimmung bekommen, wenn die EU die Bedeutung der Emission von Anleihen sowohl zur Finanzierung eines von Investitionen im sozialen Bereich induzierten Aufschwungs als auch für die Inverkehrbringung der auf globaler Ebene erwirtschafteten Überschüsse anerkennen möchte. Im Grunde könnte dies durch den Europäischen Rat als „allgemeine Wirtschaftspolitik“ der Union zur Finanzierung des Aufschwungs erfolgen, anstatt ausschließlich durch den Rat „Wirtschaft und Finanzen“. Sollte es sich als notwendig erweisen, könnte diese Würdigung zu einer verstärkten Zusammenarbeit führen – wie unlängst beim Vorschlag bezüglich der Finanztransaktionssteuer –, die auch makroökonomische Bedeutung erlangen könnte.
(25) Philippe Aghion, Julian Boulanger und Elie Cohen, Rethinking Industrial Policy (Überdenken der Industriepolitik), Bruegel Policy Brief, April 2011.
(26) The Economist (2012), The Rise of State Capitalism: The Emerging World’s New Model. (Der Aufstieg des Staatskapitalismus: das neue Modell der Schwellenländer). Sonderbericht, 21.-27. Januar 2012.
(27) Blanchard, Blot, Creel u.a., Analysen für Observatoire Français des Conjonctures Économiques.
(28) In diesem Zusammenhang hält es der EWSA für unannehmbar, dass die Troika von Griechenland den Verkauf der Mehrheitsanteile des griechischen Staats an der nationalen Mineralölgesellschaft an ausländische Gesellschaften fordert, womit ein Gewinn von nur 50 Mrd. EUR erzielt werden kann. Nach Auffassung des Ausschusses halten die Bürgerinnen und Bürger Griechenlands dies zu Recht für eine Maßnahme, die nur für die Märkte, nicht aber für die Bürger von Vorteil ist. Deshalb schlägt der EWSA vor, dass der Europäische Rat die Kommission auffordert, die geforderte kurzfristige strukturelle Anpassung zu überdenken und die langfristig zu erwartenden außergewöhnlichen Einnahmen zu berücksichtigen.
(29) „Zum ersten Mal in der Geschichte der EU erleben wir einen Abbau der Demokratie“, Jürgen Habermas.
(30) „Kein Land darf Maßnahmen durchführen, die einem anderen Land des Euroraums schaden“, Mario Draghi.
(31) „Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander“, Friedensfeier, Friedrich Hölderlin (1770-1843).
(32) Dies wird durch das Beispiel Spaniens belegt, das (mit 68,5 % des BIP) einen geringeren Schuldenstand als Deutschland (mit 81,2 % des BIP) hat. Angaben von Eurostat für 2011.
(33) Im Spaak-Bericht von 1956 wurde anerkannt, dass die Integration von Wirtschaftssystemen mit unterschiedlichen Effizienzniveaus strukturelle, soziale und regionale Ungleichheiten verschärfen könnte und deshalb mittels gemeinsamer struktur-, sozial- und regionalpolitischer Maßnahmen ausgeglichen werden muss.
(34) Das Jahr 1933 als Folge der deflationistischen Politik von Reichskanzler Heinrich Brüning in der Weltwirtschaftskrise.
(35) „Wir brauchen kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland“, Helmut Kohl.
(36) 2 % des BIP der EU.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/18 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Grüne Wirtschaft — Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in Europa“ (Initiativstellungnahme)
2013/C 271/03
Berichterstatterin: Joana AGUDO I BATALLER
Mitberichterstatter: Pedro NARRO
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 15. November 2012, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
Grüne Wirtschaft – Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in Europa.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 26. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 23. Mai) mit 108 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss sieht in der Entwicklung der inklusiven grünen Wirtschaft die größte Herausforderung, der sich Europa in den kommenden Jahren stellen muss, um seine Stellung als globale Wirtschaftsmacht aufrechtzuerhalten. Auf der Rio+20-Konferenz plädierte die EU für eine grüne Wirtschaft als eine Form der nachhaltigen Entwicklung. Sie muss nun dementsprechend handeln. Hierfür ist ein Wirtschaftsmodell vonnöten, in dem öffentliche Investitionen vorrangig in grüne Forschung, Entwicklung und Innovation fließen und angemessene Anreize für diesbezügliche Privatinvestitionen definiert werden, um zum einen die Produktionstätigkeit anzukurbeln, um schneller aus der aktuellen Krise zu kommen, und zum anderen bei der Inangriffnahme dieser dritten industriellen Revolution eine führende Rolle im wirtschaftlichen und sozialen Bereich zu spielen. |
1.2 |
Angesichts der grundlegenden und notwendigen Änderungen der Produktions- und Verbrauchsmuster ist die Einbindung der Zivilgesellschaft in die Umstellung auf eine inklusive grüne Wirtschaft auf allen Ebenen, insbesondere auf sektorieller und territorialer (europäischer, nationaler und regionaler) Ebene nach Meinung des Ausschusses eine Grundvoraussetzung. Um Widerstände gegen diese Umstellung und ihre negativen Auswirkungen so weit wie möglich abzufedern, muss sie partizipativ gehandhabt werden. Durch Partizipation können wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte nachhaltig bewältigt werden. |
1.3 |
Der Ausschuss nimmt mit Sorge zur Kenntnis, dass die ökologischen steuerlichen Anreize in den letzten Jahren aufgrund der Sparpolitik mit ihren dramatischen Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung erheblich gekürzt wurden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat eingeräumt, dass die negativen realen Auswirkungen dieser Sparmaßnahmen auf die Produktionstätigkeit weitaus größer sind als bislang angenommen. |
1.4 |
Der Ausschuss betont, dass mit der Entwicklung der inklusiven grünen Wirtschaft die Möglichkeiten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in Europa steigen. Grüne Arbeitsplätze entstehen nicht nur in einigen neuen Sektoren, sondern auch durch die Ökologisierung der Produktionsverfahren und der Produkte in allen Sektoren. Für eine gerechte Umstellung auf eine grüne Wirtschaft sind aktive Beschäftigungsmaßnahmen zur Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze ebenso erforderlich wie Berufsbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für die Arbeitnehmer. Der Beschäftigung von Frauen und jungen Menschen in diesen Sektoren kommt eine Schlüsselfunktion für grünes Wachstum zu. |
1.5 |
Der Ausschuss weist darauf hin, dass es einer zwischen den Sozialpartnern abgestimmten Industriepolitik bedarf, um die Anstrengungen im Bereich technologische Innovation zu koordinieren und den Umbau der Produktionsinfrastruktur in vielen europäischen Sektoren anzustoßen, die von dem Aufbau einer CO2-armen und ressourcenschonenden Wirtschaft betroffen sind. Hierfür sind auch erhebliche Investitionen seitens der Unternehmen erforderlich. |
1.6 |
Nach Meinung des Ausschusses muss die EU die Ziele der Strategie für nachhaltige Entwicklung in all ihre Politiken integrieren, insbesondere in die Europa-2020-Strategie und ihre sieben Leitinitiativen. Die verschiedenen EU-Strategien müssen kohärent sein und die jeweils zuständigen Kommissionsmitglieder mit einer Stimme zu diesem Thema sprechen. So sollte die Europäische Kommission insbesondere die Halbzeitüberprüfung der Europa-2020-Strategie nutzen, um ihre Nachhaltigkeitsaspekte zu konsolidieren und sie mit der europäischen Strategie für nachhaltige Entwicklung zu verschmelzen. Es müssen Indikatoren zur Messung der Qualität des Wachstums festgelegt und angewendet werden, die seine Überwachung und Bewertung ermöglichen. |
1.7 |
Der Ausschuss unterstreicht die Rolle, die das Europäische Semester und der Jahreswachstumsbericht beim Monitoring der Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung spielen können und sollten. Er erachtet die Abschaffung umweltschädlicher Beihilfen und die länderspezifischen Empfehlungen für die Einführung von Umweltsteuern sowie die Empfehlungen zu Abfall- und Wasserbewirtschaftung und verbessertes Recycling als notwendig. In diesen Bereichen müssen die Mitgliedstaaten mehr Ehrgeiz an den Tag legen und weitreichendere Ziele verfolgen. |
1.8 |
Der Ausschuss bringt dahingehende Bedenken zum Ausdruck, dass der mehrjährige Finanzrahmen der EU für 2014-2020 einen grundlegenden Widerspruch enthält: der Löwenanteil der EU-Mittel wird nicht in diejenigen Wirtschaftssektoren investiert, die den höchsten CO2-Ausstoß (Wohnungsbau, Energie, Industrie und Verkehr) aufweisen, um ihre Umstellung auf eine grüne Wirtschaft zu erleichtern. Daher sind eine erhebliche Aufstockung der Mittel sowie ihre effiziente und wirksame Verwendung unerlässlich. |
1.9 |
Nach Ansicht des Ausschusses müssen insbesondere Fortschritte im Bereich Umweltsteuern erzielt werden, auch in Bezug auf steuerliche Anreize für Unternehmen, die Reinvestitionsfonds für Klimaschutzmaßnahmen einrichten, wobei die Verwaltung dieser Fonds in Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmern erfolgen muss. |
1.10 |
Betreffend die Handelspolitik der EU merkt der Ausschuss an, dass die Einführung von mit der CO2-Steuer vergleichbaren Abgaben für diejenigen Länder in Betracht gezogen werden sollte, die internationale Emissionsreduktionsverpflichtungen nicht akzeptieren, um die Gefahr von Verlagerungen zu bannen. |
2. Einleitung
2.1 |
Die OECD und das UNEP legten 2011 umfassende Berichte über die grüne Wirtschaft vor. Die ILO legte ein „Green Jobs“-Programm auf. Die grüne Wirtschaft im Rahmen von nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung war auch ein Hauptthema der Rio+20-Konferenz im Juni 2012. |
2.2 |
Auf EU-Ebene wurde 2006 die Europäische Strategie für nachhaltige Entwicklung überarbeitet. 2009 wurde das Energie- und Klimaschutzpaket geschnürt mit dem Ziel der Verringerung der Treibhausgasemissionen um 20 %, der Verbesserung der Energieeffizienz um 20 % und der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch um 20 % bis 2020 (1). Für 2025 und 2030 muss die EU eine umfassendere THG-Reduktion erreichen. 2011 nahm die Europäische Kommission die Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ (2), den „Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050“ (3), die „Biodiversitätsstrategie der EU für das Jahr 2020“ und den „Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa“ (4) an. |
2.3 |
Der Ausschuss hat stets das Konzept der Ökologisierung der Wirtschaft als Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung unterstützt und dabei betont, dass den Vorschlägen der Zivilgesellschaft für den Wandel hin zu einer inklusiven grünen Wirtschaft in der europäischen und nationalen Politik ein vorrangiger Stellenwert eingeräumt werden muss, wobei insbesondere eine enge Zusammenarbeit zwischen allen gesellschaftlichen Interessenträgern vonnöten ist. Daher hat er sich in mehreren Stellungnahmen mit diesen Aspekten und den aufeinanderfolgenden Vorschlägen der Europäischen Kommission befasst und darauf hingewiesen, dass die Ökologisierung der Wirtschaft und die Verbesserung der Governance an die Förderung von Nachhaltigkeit in Produktion, Beschäftigung und Verbrauch, eine Strategie für die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie das EU-Maßnahmenpaket für den Klimawandel gekoppelt sein müssen. |
3. Die grüne Wirtschaft
3.1 |
Die inklusive grüne Wirtschaft muss auf die Schaffung eines Gleichgewichts zwischen wirtschaftlichem Wohlstand, stärkerem sozialem Zusammenhalt und besserem Schutz und rationaler Nutzung der natürlichen Ressourcen abheben, die unser Wohlergehen und das künftiger Generationen sicherstellen. Ziel ist die Entmaterialisierung der Produktion, d.h. die Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Verbrauch natürlicher Ressourcen sowie von Umweltverschmutzung und Abfallerzeugung. |
3.2 |
Laut ILO tragen grüne Arbeitsplätze zur Verringerung der Umweltauswirkungen der Unternehmen und Wirtschaftssektoren auf ein nachhaltiges Niveau, zur Senkung des Verbrauchs an Energie, Rohstoffen und Wasser, zur Ökologisierung der Wirtschaft und zum Abbau der Treibhausgasemissionen bei. Das Konzept der grünen Arbeitsplätze ist relativ dynamisch, da der Verlauf der Trennlinie zwischen grünen und nicht grünen Arbeitsplätzen von der technologischen Innovation abhängt. Daher entstehen grüne Arbeitsplätze nicht nur in einigen neuen Sektoren, sondern auch durch die Ökologisierung der Produktionsverfahren und der Produkte in allen Sektoren. |
3.3 |
Die Entwicklung der grünen Wirtschaft wird von zwei grundlegenden Vektoren bestimmt, einem von den Klimaschutzmaßnahmen geleiteten Vektor und einem sich aus dem zunehmenden Wettbewerb der Schwellenländer um die immer geringeren und teureren Rohstoffe ergebenden Vektor. |
3.4 |
Die grüne Wirtschaft steht nicht nur für eine Austarierung zwischen neuen und traditionelleren Sektoren (die am technologischen Vektor hin zu einer CO2-armen Wirtschaft ansetzt), sondern auch für eine ökologische Modernisierung der Produktions- und Verbrauchsmuster, bei der die Ziele der Erhöhung des Mehrwerts der Unternehmen und der Verbesserung ihrer ökologischen Nachhaltigkeit – im Sinne von Materialersparnis, Energieeffizienz, Arbeitsorganisation sowie der Beziehung zwischen den Arbeitnehmern und ihrem Unternehmen – im Hinblick auf die Steigerung der Produktivität sämtlicher Faktoren integriert werden. |
3.5 |
In den letzten Jahren sind die Belastbarkeitsgrenzen der Erde klar zu Tage getreten, sowohl in Bezug auf das Volumen der für einen steigenden Bedarf verfügbaren natürlichen Ressourcen als auch die Absorptionskapazität unseres Planeten für Abfall und Umweltverschmutzung. |
3.6 |
Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit müssen ebenfalls berücksichtigt werden: das vermehrte Auftreten von extremen Wetterbedingungen, die Zunahme der Ozon- und Partikelkonzentration in der Atmosphäre und ihrer Toxizität angesichts höherer Temperaturen sowie die Wiederausbreitung bereits ausgerotteter Infektionskrankheiten auf dem europäischen Kontinent. |
3.7 |
Der Umbau der Energieerzeugungs- und -transportinfrastruktur in den wichtigsten Industrie- und den meisten Schwellenländern in den kommenden Jahren muss auf die Umstellung einer kohlenstoffintensiven Wirtschaft auf eine neue, CO2-arme Wirtschaft ausgerichtet sein, in der Energie überwiegend aus erneuerbaren und sauberen Energieträgern ohne Klimagas– oder Schadstoffausstoß erzeugt wird. |
3.8 |
Diese Umwälzung der Produktion, von einigen als dritte industrielle Revolution bezeichnet, wird nicht ohne Folgen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit insbesondere derjenigen Länder (wie die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten) mit einer Nettoimportabhängigkeit bei Energie und Rohstoffen sein. Daher haben viele OECD-Länder bereits seit 2009 ehrgeizige Konjunkturprogramme aufgelegt, in denen Investitionen in grüne Infrastruktur sowie grüne Forschung, Entwicklung und Innovation im Mittelpunkt stehen, um zum einen die Produktionstätigkeit anzukurbeln, um schneller aus der aktuellen Krise zu kommen, und zum anderen bei der Inangriffnahme der aktuellen Umstrukturierung der Industrieproduktion eine führende Rolle zu spielen. |
3.9 |
Die Mittel für diese Programme wurden jedoch in vielen EU-Mitgliedstaaten u.a. aufgrund der Sparmaßnahmen erheblich gekürzt – wie auch der EU-Haushalt. Der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat eingeräumt, dass die widersprüchlichen Auswirkungen dieser Sparpolitik auf die Produktionstätigkeit weitaus umfangreicher sind als bislang angenommen; laut einer in 28 Ländern durchgeführten Studie beträgt der Fiskalmultiplikator der seit 2008 andauernden Krise zwischen 0,8 und 1,7 (5). |
3.10 |
Diese Verlangsamung der Entwicklung der grünen Wirtschaft kann erhebliche Probleme für viele EU-Länder zeitigen, zumal das Technologiegefälle zwischen Industrie- und Schwellenländern gegenwärtig weitaus geringer und dynamischer ist. Es ist nicht gesichert, dass die EU insgesamt die Speerspitze der CO2-armen Industrieländer sein wird. Dies könnte langfristig starke Spannungen innerhalb der EU verursachen, da ihre Fähigkeit in Frage gestellt werden könnte, eine wirtschaftlich fortgeschrittenere und ökologisch nachhaltigere Gesellschaft mit stärkerem sozialem Zusammenhalt zu schaffen. Die EU ist derzeit allerdings in verschiedenen, eindeutig zukunftsfähigen Industriebranchen in Bezug auf Technologie und Produktion marktführend. |
3.11 |
Durch die Umstellung auf eine grüne Wirtschaft mit den notwendigen Investitionen und Anreizen steigen die Möglichkeiten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in Europa. Dabei dürfen jedoch keinesfalls die derzeitigen Produktionstätigkeiten, die die wirtschaftliche Grundlage der EU-Mitgliedstaaten bilden, vergessen werden. Auch zahlreiche der derzeit in äußerst umweltschädlichen Industriesektoren angesiedelten Arbeitsplätze werden zu grünen Arbeitsplätzen, sofern Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, zur Senkung des Rohstoffverbrauchs und zur Verringerung der Umweltverschmutzung ergriffen werden. Einige Beispiele: der Straßenverkehr mit den Unternehmen, die Elektro- und Hybridfahrzeuge entwickeln und bauen, sowie Fahrzeuge für den öffentlichen Verkehr; der öffentliche Hoch- und Tiefbau mit dem Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken, die erhebliche Energieeinsparungen im Vergleich zum Flug- und herkömmlichen Schienenverkehr für die Fahrgäste bieten; der Bausektor mit der energetischen Sanierung von Wohnbauten, die einen hohen Energieverbrauch aufweisen. Diese Umstellung muss im Rahmen des Auf- und Ausbaus des sozialen Dialogs und der sozialen Konzertierung sowie der Kollektivverhandlungen derart erfolgen, dass das Ergebnis im Sinne von Beschäftigung (qualitativ und quantitativ) und Gleichstellung (in Bezug auf Arbeitsbedingungen sowie Löhne und Gehälter) positiv ausfällt. Allerdings gibt es nur in acht EU-Mitgliedstaaten eine offizielle Definition für grüne Arbeitsplätze. Die Folge sind unterschiedliche Prognosen aufgrund vielfältiger Definitionen und Methodologien. |
4. Der Beitrag der Zivilgesellschaft zu einem gerechten Übergang zu einer grünen Wirtschaft, in der technologische Innovation der bestimmende Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist
4.1 |
Der Entwicklungsgrad der Produktionskräfte sowie die außerordentliche Sensibilisierung und der enorme Druck der Zivilgesellschaft in Sachen Nachhaltigkeit und Umwelt sind die völlig neuartigen Wesensmerkmale dieser dritten industriellen Revolution. In Europa ist der hohe Stellenwert von Umweltorganisationen, Verbraucherverbänden, Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und weiteren Akteuren der Zivilgesellschaft Garant dafür, dass mit den bevorstehenden Änderungen eine Wirtschaft geschaffen wird, die im Dienste einer besser steuerbaren, nachhaltigeren, sozialeren und umweltbewussteren Entwicklung steht. Dies war in den früheren industriellen Revolutionen undenkbar, in denen nur die Entscheidungen der einzelnen Unternehmen den Technologie- und Produktionswandel bestimmten. |
4.2 |
Die ILO hat in ihrem im Juni 2009 angenommenen Globalen Beschäftigungspakt (Global Jobs Pact) ausdrücklich festgehalten, dass „der soziale Dialog ein unverzichtbarer Mechanismus zur Konzeption von Politiken [ist], die den innerstaatlichen Prioritäten angepasst sind. Außerdem bietet er eine starke Grundlage, um Arbeitgeber und Arbeitnehmer für ein Engagement für das gemeinsame Handeln mit Regierungen zu gewinnen, das zur Überwindung der Krise und für eine nachhaltige Erholung notwendig ist.“ Es bedarf einer zwischen den Sozialpartnern abgestimmten Industriepolitik, um die Anstrengungen im Bereich technologische Innovation zu koordinieren und den Umbau der Produktionsinfrastruktur in vielen europäischen Sektoren anzustoßen, die von der Umstellung auf eine CO2-arme und ressourcenschonendere Wirtschaft betroffen sind. |
4.3 |
Die technologische Innovation ist integraler Bestandteil der grünen Wirtschaft. Daher sollten die Sektoren, Unternehmen und Technologien, die die Ökologisierung der Wirtschaft vorantreiben, eine höhere öffentliche und private finanzielle Unterstützung erhalten, da sie die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft stärken. Diesbezüglich hat die Deutsche Bank zur Orientierung privater Investitionen folgende Sektoren als vorrangig für den Klimaschutz eingestuft:
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4.4 |
Den Schwierigkeiten der europäischen KMU, ausreichende Finanzierungsmittel für die erforderlichen Investitionen in Öko-Innovationen zu erhalten, muss besonderes Augenmerk gewidmet werden. |
4.5 |
Damit die Innovation auch wirklich zum Wettbewerbsfaktor werden kann, müssen Praktiken zur Stärkung der Partizipation der Arbeitnehmer im Geschäftsmodell berücksichtigt werden. Es muss zur Kenntnis genommen werden, dass die Teilhabe der Arbeitnehmer an der Arbeitsorganisation und der Unternehmensplanung ganz klar ein innovationsfördernder Faktor ist, mit dem Produktionssteigerungen erzielt werden können. Hierfür müssen die Arbeitsbeziehungen und das System der Kollektivverhandlungen sowie ihr Bezug zum Unternehmensmanagement modernisiert werden. |
4.6 |
Die Partizipation der Arbeitnehmer in den Unternehmen ist eines der wichtigsten Elemente zur Förderung einer technologischen Führungsstellung Europas in vielen Sektoren und zur Sicherstellung seiner Exportkapazität. Sie darf nicht nur aus dem Blickwinkel der Verteilung des erwirtschafteten Wohlstands gesehen werden, da sie als solche ein grundlegender Faktor für die Schaffung dieses Wohlstands ist, was auch von den Unternehmen anerkannt wird (6). Die Innovationsschwierigkeiten sind großteils durch starre Organisationsstrukturen bedingt, in denen der Arbeitnehmer als „Werkzeug“ wahrgenommen wird. |
5. Grüne Wirtschaft in der EU-Politik
5.1 |
Auf der Rio+20-Konferenz plädierte die EU für eine inklusive grüne Wirtschaft, die Fortschritte auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung ermöglicht. Die Europäische Kommission will nun die nachhaltigen und inklusive Entwicklung einschl. der Ökologisierung der Wirtschaft in den Mittelpunkt ihrer Follow-up-Maßnahmen für Rio+20 stellen. Für die unverzichtbare Einbindung der Zivilgesellschaft in diesen Prozess müssen die Regierungen den sozialen Dialog aufbauen. |
5.2 |
Für die Umsetzung der Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ und des Fahrplans für ein ressourceneffizientes Europa richtete die Europäische Kommission 2012 eine europäische Plattform für Ressourceneffizienz, die European Resource Efficiency Platform (EREP), ein, die 2013 einen Halbzeitbericht und 2014 einen Schlussbericht vorlegen wird und Vorschläge für den Übergang zu einer grünen Wirtschaft in folgenden Bereichen erarbeitet: „Framework conditions for investment in RE“ (Rahmenbedingungen für Investitionen in die grüne Wirtschaft), „Setting objectives and measuring progress“ (Zielsetzung und Fortschrittsbewertung) – hier muss ein Set belastbarer Indikatoren über das BIP hinaus aufgestellt werden, an denen die Ergebnisse dieser Maßnahmen in den betroffenen Sektoren wie auch die Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt gemessen werden (Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Wiederverwertungsanteil, Energieeffizienz und Rohstoffnutzung, Anteil erneuerbarer Energieträger, Verringerung der Verschmutzung) – und „Circular economy/greening the economy“ (Kreislaufwirtschaft/Ökologisierung der Wirtschaft). |
5.3 |
Forschritte im Bereich Umweltsteuer und Abbau der hohen Beihilfen für fossile Energieträger in vielen EU-Ländern sind besonders wichtig, da die Preise vieler Produkte und Dienstleistungen die Gesamtproduktionskosten nicht korrekt wiedergeben und die Verschmutzungskosten nicht einrechnen. Freiwillige Maßnahmen für die Umweltkennzeichnung reichen nicht aus, schon gar nicht in einer Krise wie der aktuellen, in der für immer mehr Verbraucher der Preis eines Produkts und nicht seine Umweltqualität ausschlaggebend ist. Um eine Umweltsteuerpolitik in weiten Kreisen konsensfähig zu machen, müssen ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und ihre sozialen Folgen für die Bürger – die nunmehr mit dem Schlagwort „Energiearmut“ bezeichnet werden – berücksichtigt sowie zusätzliche Maßnahmen zu ihrer Abfederung getroffen werden (industrie- und handelspolitischer Art sowie zur Unterstützung der schwächsten sozialen Gruppen). Außerdem müssen steuerliche Anreize für eine Reinvestition der Unternehmensgewinne in Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen und weiterer umweltschädlicher Auswirkungen gegeben werden (über Reinvestitionsfonds für Klimaschutzmaßnahmen), wobei die Reinvestition dieser Mittel in den Unternehmen unter Mitsprache der Arbeitnehmer erfolgen muss. |
5.4 |
Die Europäische Kommission nahm ihren Vorschlag für ein 7. Umweltaktionsprogramm an, in dem der Beitrag der Umweltpolitik für den Übergang zu einer grünen Wirtschaft umrissen wird. Dieses Programm muss noch von EP und Rat angenommen werden. Der EWSA hat dazu mit einer gesonderten Stellungnahme beigetragen (7). Der mehrjährige Finanzrahmen der EU für 2014-2020 enthält indes einen grundlegenden Widerspruch: der Löwenanteil der EU-Mittel wird nicht in diejenigen Wirtschaftssektoren investiert, die den höchsten CO2-Ausstoß (Wohnungsbau, Energie, Industrie und Verkehr) aufweisen. |
5.5 |
Zur die Handelspolitik der EU ist anzumerken, dass aufgrund der Einführung der CO2-Steuer vergleichbare Abgaben für diejenigen Ländern festgelegt werden müssen, die internationale Emissionsreduktionsverpflichtungen nicht akzeptieren, um die Gefahr von Verlagerungen zu bannen. Eine CO2-Abgabe bedeutet eine Beeinträchtigung des freien Handels; dies wurde allerdings von der internationalen Staatengemeinschaft in anderen Fällen sehr wohl akzeptiert, beispielsweise im Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht, in dem die Möglichkeit vorgesehen ist, durch Handelsbeschränkungen seine Einhaltung durchzusetzen, da der freie Handel kein Selbstzweck ist, sondern zur nachhaltigen Schaffung von Wohlstand beiträgt. Es ist zweifelsohne wichtiger, eine klimawandelbedingte weltweite Katastrophe zu verhindern, als die globalen Märkte für emissionsintensive Produkte offen zu halten. |
Brüssel, den 23. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Für einen Überblick siehe COM(2011) 21 final, Anhang 1 und http://ec.europa.eu/clima/policies/package/index_en.htm
(2) COM(2011)21 final.
(3) http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0112:FIN:DE:PDF
(4) http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0571:FIN:DE:PDF
(5) IMF Working Paper WP/13/1: „Growth Forecast Errors and Fiscal Multipliers“, Olivier Blanchard und Daniel Leigh, Januar 2013.
(6) Siehe das EPOC-Projekt der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (EPOC = Employee Direct Participation in Organisational Change – direkte Arbeitnehmerbeteiligung im organisatorischen Wandel).
(7) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der EU für die Zeit bis 2020: Gut leben innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten“, ABl. C 161 vom 6. Juni 2013, S. 77.
III Vorbereitende Rechtsakte
EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS
490. Plenartagung am 22. und 23. Mai 2013
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/23 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission: „Ein Konzept für eine vertiefte und echte Wirtschafts- und Währungsunion — Auftakt für eine europäische Diskussion“
COM(2012) 777 final/2
2013/C 271/04
Berichterstatter: Carmelo CEDRONE
Die Kommission beschloss am 19. Februar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission „Ein Konzept für eine vertiefte und echte Wirtschafts- und Währungsunion – Auftakt für eine europäische Diskussion“
COM(2012) 777 final/2.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 24. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 149 gegen 12 Stimmen bei 25 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Vorschläge
1.1 |
Die Mitteilung der Kommission ist ein wichtiger Beitrag für den Start einer dringend erforderlichen Debatte über die EU und ein – im Vergleich zu den in der Vergangenheit im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) angewandten Methoden und Inhalten – großer Schritt nach vorne. Außerdem werden zum ersten Mal Hinweise zur internationalen Rolle und politischen Zukunft der Europäischen Union gegeben. Der EWSA begrüßt deshalb den Vorschlag, der eine historische Wende sein kann, aber unter der Voraussetzung, dass der Rat – nach nunmehr zwanzigjährigem Zuwarten – den erforderlichen Mut und Willen aufbringt, um die für das Erreichen der angegebenen Ziele notwendigen Inhalte anzunehmen, in Kraft zu setzen und sie rasch umzusetzen. |
1.2 |
Mit den 2011 und 2012 gefassten Beschlüssen hat der Europäische Rat eine wichtige und ausführliche Reform der europäischen Steuerung im Bereich der Überwachung der übermäßigen makroökonomischen Ungleichgewichte, der Stärkung der Haushaltsregeln und der Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Länder des Euroraums auf den Weg gebracht. Notwendige Instrumente zur Sicherstellung der Stabilität der WWU sind die jüngst von der EZB beschlossene, unkonventionelle Maßnahme, „an Bedingungen geknüpft, aber unbegrenzt“ Staatsanleihen von in Schwierigkeiten geratener Staaten aufzukaufen, die Einrichtung eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus, der eine strenge und unparteiische Aufsicht gewährleisten und die Verbindung zwischen Staaten und Banken auflösen soll, sowie die Regelungen zur Abwicklung von Banken. |
1.3 |
Der EWSA stimmt der in der Kommissionsmitteilung dargelegten und unlängst vom Präsidenten des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, bekräftigten Strategie („Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion“) zur Stärkung des Euroraums zu. Er ist indes der Ansicht, dass diese nicht ausreicht, damit die Mitgliedstaaten, die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen die WWU in vollem Umfang nutzen können, wie die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre belegt. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde dem Rat politische Verantwortung für die durch diesen Vertrag ins Leben gerufene WWU übertragen und diese dadurch stark eingeengt. Aus diesem Grund hat die Kommission nun ein Konzept für eine vertiefte und echte WWU vorgelegt. |
1.4 |
Um der WWU mehr Stabilität verleihen und den Euroländern Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum gewährleisten zu können, müssen sofort und gleichzeitig – und nicht erst mittel- oder langfristig – wirksamere Maßnahmen ergriffen werden, etwa ein Wachstumsplan und stärkere Mechanismen zur wirtschaftlichen Integration, die der Rat auf den Weg bringen muss. Es ist ein Mix makro- und mikroökonomischer Maßnahmen, beständiger Einsatz, ein Geist der Solidarität und des Vertrauens sowie das Gefühl der Zugehörigkeit unter den Mitgliedstaaten und zwischen diesen und der EU erforderlich. Dabei darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass das vordringliche Ziel der erörterten Maßnahmen das Wohl aller Menschen ist. |
1.5 |
Obgleich der EWSA die Mitteilung begrüßt, weist er darauf hin, dass auch im Falle einer vollständigen Umsetzung sich damit nur schwerlich greifbare Ergebnisse erzielen lassen, insbesondere in Bezug auf die Methode der Entscheidungsfindung, da es an einem konkreten Vorschlag für die politische Union mangelt, die dem Euro „ein Zuhause“ geben würde. Das Gleiche gilt für die Schulden, das Überwinden der asymmetrischen Schocks, das Wachstum, die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung (für die eine systematische Folgenabschätzung vorgesehen werden müsste). Dies alles sind Einschränkungen in der gegenwärtigen Lage. |
1.6 |
Der EWSA erinnert daran, dass er bekanntlich zu den meisten aktuellen Vorschlägen der Europäischen Kommission bereits Stellungnahmen erarbeitet und Lösungen vorgeschlagen hat, insbesondere zu den Grenzen der WWU und der EZB sowie zur Frage des Wachstums und der Staatsschulden (1). Die von der Kommission und dem Rat bis heute erzielten Fortschritte sind eine gute Ausgangslage für weitere Arbeiten in diesem Bereich. Der EWSA begrüßt deshalb, dass die Europäische Kommission entschlossen ist, Hinweise für das künftige Vorgehen bei diesen Themen zu formulieren. Er hofft, dass dies auch die Gelegenheit ist, um zügig konkrete Maßnahmen im Bereich Schulden und für Wachstum zu ergreifen. Dies wäre ein echter Qualitätssprung. |
1.7 |
Während die jüngsten, in der Mitteilung aufgeführten Beschlüsse der EU dem makroökonomischen Rahmen (wenn auch nur teilweise) gerecht werden, so erscheinen die Vorschläge auf Mikro-Ebene für das produzierende Gewerbe, das als einziges in der Lage ist, das Wachstum wiederanzukurbeln, hingegen als unzureichend. Mit dem Kommissionsdokument soll eine Debatte über die WWU angestoßen werden – ein Thema, das über Haushaltssanierung und makroökonomische Politik weit hinausgeht. Notwendig sind auch mikroökonomische Strategien wie z.B. ein echter „Industriepakt“. |
1.8 |
Außerdem würde der Vorschlag der Kommission auf mehr Zustimmung stoßen, wenn in den einzelnen Phasen, die für die Einführung der für eine stabilere und funktionsfähigere WWU notwendigen Maßnahmen festgelegt wurden, konkreter darauf verwiesen würde, dass politische EU-Maßnahmen im Einklang mit diesem Ziel verfolgt werden müssen. Dabei sind die Bereiche der durchzuführenden Aktionen und der erforderlichen Neuerungen festzulegen, um die europäischen Ausgaben rationaler und wirksamer zu gestalten. |
1.9 |
Die Kommission kann und muss die Umsetzung der zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Produktions- und Verwaltungssysteme unerlässlichen Reformen unterstützen, indem sie innovative Interventionsmethoden und -kriterien im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt, der Verwaltung der Strukturfonds und den wichtigsten gemeinschaftlichen Politikbereichen annimmt. Zudem sollte sie sich an den von der EZB eingeführten Innovationen ein Beispiel nehmen und – wie der EWSA bereits mehrmals betont hat – genauso bedeutsame Änderungen bei der Durchführung europäischer Maßnahmen vorschlagen, die in erster Linie die schwächsten Bereiche, Regionen und Sektoren der EU betreffen. |
1.10 |
Was die EZB anbelangt, so müssen ihre strukturellen Möglichkeiten für Wachstum und Beschäftigung und als letztinstanzlicher Kreditgeber voll und ganz ausgeschöpft werden. Ein Bekenntnis der Euroländer, in diese Richtung zu gehen, würde dazu beitragen, das Vertrauen in die EZB und den Euro zu festigen und spekulative Angriffe, insbesondere gegen die Länder mit größeren Haushaltsproblemen, abwehren. |
1.11 |
Es darf nicht sein, dass nur die EZB und die gemeinsame Währungspolitik mit der Stabilität des Euro betraut werden, während die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer fiskal- und haushaltspolitischen Maßnahmen vollkommen freie Hand haben. Der EWSA ist der Ansicht, dass die Fiskalunion im Hinblick auf einen einheitlichen Haushalt für den Euroraum nicht – wie in der Mitteilung vorgesehen – auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden darf, sondern dass sie gemeinsam mit der einheitlichen Währung und der einheitlichen Bankenaufsicht die zweite Säule darstellen muss, auf der kurz- und mittelfristig die Stabilität der WWU basiert, um auf diese Weise die Märkte von der Kohärenz des europäischen Projekts zu überzeugen. |
1.12 |
In Bezug auf die institutionellen Vorschläge unternimmt die Europäische Kommission erhebliche Anstrengungen. Der EWSA hält es für sinnvoll, die institutionelle Frage, der innovative Vorschläge der Kommission zugrunde liegen, darunter auch die politische Union, endlich auf die Tagesordnung zu setzen. Dies ist ein ganz neuer Vorschlag. Er ist jedoch der Auffassung, dass ein Großteil der übrigen Vorschläge über den aktuellen Rahmen nicht hinausgehen und einen sehr begrenzten Fortschritt darstellen. Sie sind deshalb keine Lösung, wenn der Rat nicht weiter gehen wird und sie lediglich als Anreiz zum Handeln auffasst. |
1.13 |
Sie könnten einen weiteren Zwischenschritt darstellen, aber aufgrund der bislang vorgebrachten und angenommenen Vorschläge ist der EWSA, der Teil dieses Prozesses sein sollte, der Ansicht, dass keine Zeit mehr für Zwischenetappen in bestimmten Bereichen bleibt. Vielmehr muss jetzt ein Qualitätssprung erfolgen, sowohl bezüglich der Inhalte der politischen Maßnahmen als auch beim Entscheidungsprozess für ihre Umsetzung. Dabei sollte auf Lippenbekenntnisse verzichtet werden, um danach nicht wieder doch nur in die alte Leier zu verfallen, dass „echte“ Maßnahmen, eine „echte“ WWU, eine „echte“ politische Union usw. notwendig sind. Einerseits ist jetzt ein entschlosseneres und zügigeres Handeln nötig, um die Rezession zu überwinden, die große Teile der EU erfasst hat. Andererseits müssen Lücken gefüllt werden, die seit längerer Zeit bestehen und die durch die internationale Finanzkrise schonungslos offengelegt wurden. |
1.14 |
Der EWSA fordert, dass der Rat unter Rückgriff auf die Vorschläge der Kommission mutiger und klarer handelt, auch mit Blick auf die Anerkennung der erzielten Vereinbarungen und seine Zuständigkeiten für die Vorlage anzunehmender und umzusetzender Vorschläge. Insbesondere ist – im Hinblick auf eine Vertragsänderung – die Ausweitung der Beschlussfassung mit Mehrheit auf alle Bereiche zu unterstützen, angefangen bei wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Fragen. |
1.15 |
Die Vorschläge des EWSA im Überblick |
1.15.1 |
Der EWSA ist daher der Auffassung, dass für die Schaffung einer echten WWU in unmittelbarer Zukunft (ohne Änderung des Vertrags) Folgendes erforderlich ist:
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1.15.2 |
Mittel- und/oder langfristig ist – ggf. mit Änderungen des Vertrags – Folgendes notwendig:
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2. Allgemeine Bemerkungen – Kritik
2.1 |
Der Ausschuss ist sich bewusst, dass es sich hier um eines der gegenwärtig kompliziertesten Themen handelt. Europa tritt in eine neue Phase engerer Integration ein, was einige mutige Schritte erforderlich macht. Der EWSA begrüßt nachdrücklich das Anstoßen einer Debatte über die Zukunft der WWU als einen ersten Schritt in diese Richtung und weist darauf hin, dass die makroökonomische Realität in der WWU ein Ergebnis mikroökonomischer Entscheidungen ist. Makroökonomische und mikroökonomische Maßnahmen sollten deshalb aufeinander abgestimmt und auf die gleichen übergreifenden Ziele ausgerichtet werden. |
2.2 |
Artikel 9 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ergänzt durch Artikel 151 und 153, bestimmen im Wesentlichen, dass die EU bei der Festlegung und Umsetzung ihrer Maßnahmen und Handlungen die Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und die Bekämpfung von Ausgrenzung berücksichtigen muss. Der Ausschuss stellt mit Überraschung fest, dass in der zu erörternden Mitteilung keiner dieser Parameter unter den Zielen einer „vertieften und echten Wirtschafts- und Währungsunion“ aufgeführt wird. Der EWSA fordert, diese Ziele explizit zu nennen und hält es für erforderlich, eine bessere Überwachung (Folgenabschätzungen) der Auswirkungen wirtschafts- und währungspolitischer Maßnahmen auf die soziale Lage und die Arbeitsmärkte zu gewährleisten. Er hält es für sinnvoll, Maßnahmen zur Beseitigung der negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen, die solche Maßnahmen nach sich ziehen könnten, zu erarbeiten. |
2.3 |
Keiner der von der Kommission vorgebrachten Vorschläge für eine stabilere und glaubwürdigere WWU kann (weder kurz- oder mittelfristig noch langfristig) in die Tat umgesetzt werden, wenn die Staaten, und insbesondere die am stärksten von der Wirtschafts- und Finanzkrise getroffenen Länder nicht wieder auf den Wachstumspfad gelangen, Lösungen für die Probleme der Beschäftigung, der vor allem unter Jugendlichen rasant steigenden Arbeitslosigkeit finden und die bestehenden Diskrepanzen zwischen den Mitgliedstaaten abbauen. Nichts wird allerdings erreicht werden, wenn der Rat und die Eurogruppe nicht die Empfehlungen der Kommission zur Förderung der notwendigen Reformen und zur Vollendung der WWU, was seit 20 Jahren erwartet wird, aufgreifen, und wenn die Mitgliedstaaten nicht alles daran setzen, sich in diese Richtung zu entwickeln und, was dafür notwendig ist, Teile ihrer Souveränität gemeinsam zu verwalten. |
2.4 |
Das größte Anliegen der Kommission besteht weiterhin darin, die Koordinierung der Wirtschaftspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten durch ein strukturiertes Paket an Maßnahmen und Instrumenten zur Stärkung der Konvergenz der haushaltspolitischen Maßnahmen und Aufsichtsmechanismen zu gewährleisten. Dies ist sinnvoll, um die Probleme der am höchsten verschuldeten Länder bei der Finanzierung ihrer Staatsschulden zu mildern und den strengen, von der Kommission vorgeschlagenen und jüngst von den Mitgliedstaaten angenommenen Plänen für einen niedrigeren und tragfähigeren Schuldenstand („Fiskalpakt“) nachzukommen. Um das Vertrauen der Bürger und der Märkte wiederzugewinnen, müssen jedoch die auf nationaler Ebene umgesetzten Maßnahmen in einen gemeinsamen, europäischen Ansatz eingefügt werden und konkrete und positive Auswirkungen für Bürger und Unternehmen haben. Deshalb ist eine stärkere Kohärenz zwischen den makroökonomischen und den auf nationaler Ebene durchzuführenden mikroökonomischen Maßnahmen (Jugend, Arbeitsmarkt, Sozialschutz usw.) erforderlich. |
2.5 |
Viele Euroländer verzeichnen nunmehr im fünften Jahr in Folge ein negatives Wachstum, und die Prognosen für die kommenden Jahre deuten auf eine äußerst verhaltene Verbesserung der volkswirtschaftlichen Eckdaten hin. Um glaubwürdig zu sein und Gegenstand einer umfassenden gemeinsamen Debatte über die Zukunft der WWU zu werden, an der sich nicht nur Experten, sondern die gesamte europäische Zivilgesellschaft beteiligt, müssen die Vorschläge der Kommission zur Stärkung der WWU durch weitere Beobachtungen und/oder Maßnahmen flankiert werden. |
2.6 |
Angesichts der gegenüber der EU eingegangenen Verpflichtungen sind die Euroländer gehalten, auch in den kommenden Jahren eine rigorose Haushaltspolitik zu führen. Diese könnte in erster Linie mittels Reformen zur strukturellen Rationalisierung der nationalen Haushalte – sowohl auf der Seite der Ausgaben als auch der Einnahmen der öffentlichen Hand – gewährleistet werden. Dabei sind die Verteilungsgerechtigkeit und die fiskalischen Multiplikatoreffekte angemessen zu berücksichtigen. Dies würde haushaltsneutrale Effizienzgewinne ermöglichen, ohne dass für das Wirtschaftswachstum und den sozialen Wohlstand wichtige Ausgabenbereiche wie das Gesundheitswesen, die Sozialschutzsysteme, Bildung, Forschung und Innovation sowie Infrastrukturen eingeschränkt werden müssten (2). |
2.7 |
Diese nationalen Maßnahmen müssen jedoch durch europäische Maßnahmen flankiert werden, die für das Wirtschaftswachstum, die Beschäftigung, die Wiederbelebung der Investitionen erforderlich sind. So sind z.B. folgende Schritte erforderlich: die Funktionsweise der nationalen Arbeitsmärkte muss verbessert werden, um sie auch mittels des makroökonomischen Dialogs im Euroraum zu integrieren (3); die teilweise Vergemeinschaftung der Staatsschulden zur Eindämmung der Spekulation; die Emission von europäischen Anleihen durch die EIB und den EIF zur Finanzierung von Wachstum und zum Anziehen globaler Sparüberschüsse (4); die Möglichkeit, vom nationalen Schuldenstand strukturelle Investitionen herauszurechnen, um einen tugendhaften Wachstumszyklus auszulösen; und schließlich mehr Aufmerksamkeit für die Industriepolitik seitens der nationalen Regierungen als auch der politischen Entscheidungsträger auf europäischer Ebene. |
2.8 |
Zwar liegt die Zuständigkeit für die Umsetzung dieser Maßnahmen bei den Regierungen der Mitgliedstaaten, doch muss die Kommission im Rahmen ihrer institutionellen Befugnisse und der von ihr verwalteten EU-Haushaltsmittel die Umsetzung der Maßnahmen sicherstellen und damit zur Eindämmung der nach wie vor bestehenden Ungleichgewichte und territorialen Unterschiede beitragen. |
2.9 |
Der EWSA vertritt außerdem die Ansicht, dass die eigentlichen wirtschaftlichen und politischen Grenzen, die den Euro von Anfang an kennzeichneten und die die Hauptursache der Krise sind, die den Euro und die EU getroffen hat, in der Untersuchung der Kommission zu den historischen Aspekten der WWU nicht aufgezeigt werden. Es ist ziemlich verwunderlich, dass in einer Analyse der WWU die Maastricht-Kriterien, die „Einzigartigkeit“ der Währungspolitik und die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Ländern nicht behandelt und bewertet werden. Abwegig erscheint ferner der Gedanke, dass einzig und allein die angehäuften Schulden, nicht aber die politische Schwäche der EU und der nationalen Regierungen für die Krise des Jahres 2008 verantwortlich sein sollen, zumal sich die Mitgliedstaaten seit Einführung der WWU systematisch geweigert haben, über eine Koordinierung der Fiskal- und Haushaltspolitik zu debattieren. |
2.10 |
Es ist dringend erforderlich, eine Wirtschaftsunion, d.h. eine Wirtschaftsregierung der EU ins Leben zu rufen (gemeinsam mit der Bankenunion oder noch vorher etc.), und die Mitteilung der Kommission schafft hierfür die Voraussetzungen. |
3. Besondere Bemerkungen zum Inhalt der Vorschläge: Stärken und Schwächen
3.1 |
Auf kurze Sicht werden sieben Vorschläge erwogen und beschrieben, von denen bereits einige bekannt sind, da sie auf etwas verweisen, was die EU unlängst bereits genehmigt hat – das Europäische Semester, die Rechtsvorschriften des „Sechserpakets“ und des „Zweierpakets“ sowie die der EZB übertragene Bankenaufsicht. Das alles sind wichtige Schritte, die gemäß den einschlägigen europäischen Rechtsvorschriften und den vom Rat genehmigten länderspezifischen Empfehlungen vollumfänglich ausgeführt werden müssen. Die in den Augen des EWSA interessantesten Kommissionsvorschläge lauten wie folgt: |
3.1.1 |
Im Anschluss an die Einführung eines einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) auch die Einführung eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus für den Bankensektor (SRM), um die Probleme der in Schwierigkeiten geratenen Banken zu lösen. Der innovativste Aspekt hierbei besteht darin, dass die Abwicklungskosten von den Anteilseignern und den Gläubigern getragen werden: „alle für den Umstrukturierungsprozess zusätzlich benötigten“ Mittel sollten vom Bankensektor aufgebracht und nicht aus Steuergeldern gezahlt werden (5). |
3.1.2 |
Der zweite Vorschlag betrifft die Einführung eines „Instruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit“, um die Durchführung von Strukturreformen in den Ländern des Euroraums zu unterstützen. Der Vorschlag (Anhang 1 der Mitteilung) enthält eine sehr detaillierte Beschreibung darüber, wie das Inkrafttreten und die Einhaltung der Vereinbarungen, durch die dieses Instrument umgesetzt wird, vonstatten gehen sollen. Unklar bleiben jedoch der Umfang der Beteiligung und die Höhe der finanziellen Unterstützung, von der die Mitgliedstaaten profitieren könnten – beides ausschlaggebende Faktoren, um die Nachhaltigkeit des Instruments zu gewährleisten –, wenn sich die Kommission auch vorbehält, einen detaillierteren Vorschlag über die Durchführungsmodalitäten zu machen (S. 25 der Mitteilung). Nach Ansicht des EWSA sollte dieses Instrument den Strukturreformen vorausgehen oder sie zumindest flankieren, um negative Auswirkungen zu vermeiden. Darüber hinaus unterstreicht der EWSA, dass das Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit nur dann greifen kann, wenn es schrittweise und in Abstimmung mit den auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen zur Anwendung kommt. |
3.1.3 |
Im Übrigen scheint der Vorschlag zum mehrjährigen Finanzrahmen als eine Bestrafung derjenigen, die den „Pakt zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission“ nicht einhalten, aufgefasst zu werden, nicht jedoch als Anreiz, die auf europäischer Ebene gefassten politischen Beschlüsse auch umzusetzen. Die strengen makroökonomischen Auflagen für die Mitgliedstaaten sollten von einem unter aktiver Teilnahme der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft erarbeiteten und insbesondere auf junge Menschen ausgerichteten Plan für mehr Wachstum und neue Beschäftigungsmöglichkeiten begleitet werden. |
3.1.4 |
Eine maßgeblichere Rolle der EU und des Euro bei der Führung der internationalen Währungsorgane und eine stärkere Vertretung des Euro im Ausland gehören zu den wichtigsten Aspekten, die von der Kommission, aber auch in zahlreichen EWSA-Stellungnahmen angesprochen werden, um der EU und der einheitlichen europäischen Währung bei der Steuerung der internationalen Währungspolitik mehr Gewicht zu verleihen und eine größere Entscheidungsbefugnis einzuräumen. Die Kommission jedoch geht vor dem Hintergrund der sicherlich nicht positiven Haltung der amerikanischen (aber auch der englischen) Regierung gegenüber einer stärkeren Gewichtung des Euro (und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust des Dollar) und der immer noch herrschenden Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedern des Euroraums beim Schutz ihrer spezifischen wirtschaftlichen und politischen Interessen in vielen vom IWF unterstützten Entwicklungsländern nicht auf die Probleme ein, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Euroraums durch diesen Vorschlag entstehen könnten. |
3.2 |
Auf mittlere Sicht sehen die Vorschläge vor allem die Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds, der zur Milderung des moralischen Risikos an strenge Auflagen geknüpft ist, und die Schaffung eines neuen Instruments zur Finanzierung der Staatsschulden in der Eurozone (Euro-Anleihen) vor. Diese Vorschläge werden bereits seit einiger Zeit von den wichtigsten Institutionen auf europäischer und nationaler Ebene diskutiert. Auch der EWSA hat mehrfach in seinen Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass Euroobligationen zur teilweisen Umlage der Schulden (Eurobonds) als zusätzliches Instrument erforderlich sind, um für die am höchsten verschuldeten Länder in der Eurozone die Finanzierung ihrer Staatsschulden zu erleichtern und die Kosten des Schuldendienstes zu senken (6). |
3.2.1 |
Daher hätte es der EWSA – auch wenn er die im Kommissionsdokument aufgegriffenen Vorzüge des Vorschlags des deutschen Sachverständigenrates für Wirtschaftsfragen anerkennt – vorgezogen, wenn die Kommission einen eigenen Vorschlag vorgelegt und/oder auf die Vorschläge, die bereits früher vom EWSA, von den EU-Wirtschaftsministern etc. gemacht wurden, Bezug genommen hätte. |
3.2.2 |
Dadurch, dass der Schuldentilgungsfonds im Mittelpunkt des Interesses steht, wird außer Acht gelassen, dass der Erfolg der Politik zum Abbau der Staatsverschuldung in diesem Zusammenhang zum großen Teil nicht nur von der Kürzung der Staatsausgaben, sondern vor allem auch vom Einkommenswachstum abhängt. Dies ist der Weg, der verfolgt werden muss, und zwar um einiges länger als nur mittelfristig, um das Schulden-BIP-Verhältnis wieder unter die im Vertrag von Maastricht geforderte Schwelle zu drücken. Der beste Vorschlag ist und bleibt wahrscheinlich der, Eurobonds einzuführen, wie es der EWSA bereits ausführlich dargelegt hat (7). Ganz offensichtlich jedoch ist das Problem nicht das technische Instrument, auf das zu seiner Lösung zurückgegriffen werden soll, sondern eher die Lösung selbst. |
3.2.3 |
Im Übrigen steht der Vorschlag insgesamt – was die Forderungen an die Mitgliedstaaten betrifft – mit dem Stabilitätspakt im Einklang, doch weist er keinerlei Neuerungen auf, um eine Wende im politischen Handeln herbeizuführen, das so wie bisher nicht mehr fortgeführt werden kann. |
3.3 |
Auf lange Sicht – der am wenigsten ausführliche Teil des Kommissionsdokuments – soll die WWU zu einer vollumfänglichen Banken-, Fiskal- und Wirtschaftsunion weiterentwickelt werden. Dabei handelt es sich sicherlich um Ziele, die auch der EWSA unterstützt, allerdings unter der Voraussetzung, dass die notwendigen Modalitäten für ihre Verwirklichung festgelegt werden. Der EWSA befürwortet eine vollständige Integration der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, vor allem im wirtschafts- und währungspolitischen Bereich, sowie einen aus Eigenmitteln finanzierten EU-Haushalt mit eigenen Steuerbefugnissen. |
3.3.1 |
Die institutionellen Aspekte werden von der Kommission in ihrer Mitteilung lediglich beschrieben, wobei angegeben wird, auf welcher Grundlage eine in ihren juristischen Strukturen und in der Steuerung der wichtigsten wirtschaftspolitischen Bereiche gestärkte Wirtschafts- und Währungsunion errichtet werden kann. Über die makro- und mikroökonomischen Voraussetzungen, die die Durchführbarkeit der Vorschläge auf lange Sicht gewährleisten müssen, wird indes kein Wort verloren. |
3.3.2 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass ein derartig ehrgeiziges Ziel nur dann erfolgreich verwirklicht werden kann, wenn es zu einer intensivierten, auf eine politische Union ausgerichteten Zusammenarbeit kommt. Diese Zusammenarbeit könnte einfacher gestaltet werden, wenn in einem internationalen makroökonomischen Umfeld die bislang nur teilweise eingeleiteten Reformen in Bezug auf die Regeln für die Funktionsweise der Kredit- und Finanzmärkte, die Mechanismen für die Makro- und Mikroaufsicht sowie die Verringerung der makroökonomischen Ungleichgewichte (ausgehend vom Defizit der USA und dem Überschuss Chinas), die die Finanzkrise noch verstärkt haben, vollendet werden. Ohne erhebliche Fortschritte in dieser Hinsicht werden sich neuerliche Wirtschafts- und Finanzkrisen nur schwerlich vermeiden lassen. |
4. Politische Union
4.1 Allgemeine Grundsätze
4.1.1 |
Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission zur Behebung des Demokratiedefizits in der EU sowie ihre Überlegungen, dass die Ursache für dieses Problem in erster Linie in der Übertragung von Hoheitsrechten begründet liegt. Es geht demnach darum, einen Prozess zur Schaffung einer politischen Union einzuleiten, in der durch einen transparenteren und demokratischeren Beschlussfassungsprozess einige der noch in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten liegenden Politikbereiche vereint und gemeinsam geführt werden, um mit einer Stimme sprechen zu können und eine europäische „Regierung“ der Eurozone ins Leben zu rufen – das zweite Standbein, das der WWU noch fehlt. |
4.1.2 |
Diesbezüglich weist der EWSA darauf hin,
|
4.1.3 |
Daher geht es nicht um die Frage, ob es schwierig ist, das EP einzubeziehen, sondern zunächst um die Schaffung eines gemeinsamen Beschlussfassungsprozesses zwischen den Mitgliedern der Eurozone – und dann erst um eine entsprechende Einbindung des Europäischen Parlaments. Es sollte nicht länger zulässig sein, dass jeder Mitgliedstaat seine unabhängige Wirtschafts- und Industriepolitik führt und dass durch die gemeinsame Währungspolitik die Volkswirtschaften der schwächeren Staaten benachteiligt werden, weil entsprechende Ausgleichsmechanismen fehlen. |
4.2 Optimierte Verantwortung
4.2.1 |
Der EWSA begrüßt, dass das EP wie auch die nationalen Parlamente in die Diskussion über die Vorschläge für mehr Wachstum einbezogen werden. Auf gleiche Weise sollte auch mit den Anpassungsprogrammen verfahren werden, ohne sich auf reine Informationsvermittlung zu beschränken. Wir befinden uns noch in der Versuchsphase, weit entfernt von dem, was bezüglich des Beschlussfassungsprozesses der EU erforderlich wäre. |
4.2.2 |
Innovativ dagegen muten die Vorschläge für die politischen Parteien an, die nicht nur europäisch reden, sondern konkret europäisch sein und entsprechend handeln sollten – als eine einheitliche europäische Struktur und nicht als Konglomerat zahlreicher nationaler Besonderheiten, wie es für das Vorgehen der Mitgliedstaaten und in anderen Vereinigungen (Gewerkschaften, Unternehmer etc.) symptomatisch ist. |
4.2.3 |
Schon mit Blick auf die Europawahlen 2014 wäre es angezeigt, dass nicht nur die Parteien, wie die Kommission es vorschlägt, sondern auch die anderen großen europäischen Organisationen (wie zum Beispiel die Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände etc.) sich zumindest in der Eurozone organisieren und nicht mit einem nationalen, sondern mit einem gemeinsamen, europäischen Ansatz auftreten. Das wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wenn diese Maßnahme auch nicht ausreichen würde, so wäre sie doch ein gutes Beispiel für alle. |
4.2.4 |
Anlässlich der Wahlen sollte dem Europäischen Parlament eine verfassungsgebende Gewalt übertragen werden, damit es (gemeinsam mit dem Rat) innerhalb einer bestimmten Frist darlegen kann, wie der Übergang zu einer politischen Union vonstatten gehen sollte, in der die Abstimmung mit Mehrheit auf alle Belange ausgedehnt und das Mitbestimmungsrecht des Europäischen Parlaments weiter gestärkt wird, auch im Bereich Wachstum und Beschäftigung. |
4.3 Fragen in Bezug auf eine Änderung des Vertrags
4.3.1 |
Der EWSA hält es für sinnvoll, die Wirtschaftspolitik und die Beschäftigungspolitik, die zwei Seiten ein und derselben Medaille bilden, zusammenzulegen, obgleich es sich um ein wirtschaftliches und nicht um ein juristisches Problem handelt. Es bedarf indes eines gemeinsamen Beschlussfassungsprozesses über die gesamte Wirtschaftspolitik in der EU, durch die die Europa-2020-Strategie, die Koordinierung der nationalen Haushalte, die Politik auf makro- und mikroökonomischem Gebiet, der Arbeitsmarkt der Eurozone etc. gebündelt wird, um das derzeit gültige Beschlussfassungssystem zu überwinden. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Einrichtung eines entsprechenden Ausschusses im Europäischen Parlament ausreicht, um eine Änderung der WWU herbeizuführen. |
4.3.2 |
Zudem ist schleierhaft, wie durch die Übertragung der Zuständigkeit für die Koordinierung der WWU auf den für Wirtschaftspolitik zuständigen Vizepräsidenten die aktuelle Lage verbessert werden kann, selbst wenn diese Koordinierung in Zusammenarbeit mit dem EP erfolgt. In diesem Zusammenhang kann die Außenpolitik Vorbildfunktion haben. Daher sollte das Kommissionsmitglied oder gegebenenfalls ein Minister mit echten Befugnissen ausgestattet werden. |
4.3.3 |
Eine so wichtige Frage kann nicht einfach durch formale juristisch-parlamentarische Kunstgriffe gelöst werden, bevor nicht ein Beschluss zur Übertragung von wirtschafts-, währungs- und beschäftigungspolitischen Hoheitsrechten von nationaler auf europäischer Ebene gefasst wird, wie es der EWSA wiederholt vorgeschlagen hat. Es sollte eine „Wirtschaftsregierung“ der Eurozone gebildet werden, gemeinsam geleitet von der mit Entscheidungsbefugnis und Mehrheitsstimmrecht ausgestatteten Eurogruppe und dem Europäischen Parlament. Die dafür erforderlichen Änderungen des Vertrags müssten unverzüglich durchgeführt werden – ebenso rasch wie seinerzeit der Fiskalpakt, die Fiskalunion etc. in Angriff genommen wurden. Auf diese Weise könnte ein Binnenmarkt für Wirtschafts- und Industriepolitik, für Wachstum und Beschäftigung entstehen, dem eine gemeinsame Vision zugrunde liegt und auf dem die Entscheidungen einmütig zwischen den Mitgliedstaaten getroffen werden – im Interesse aller Unionsbürger. |
4.4 Die Außenvertretung der Europäischen Union
4.4.1 |
Der EWSA begrüßt die Vorschläge für eine Außenvertretung der Eurozone. Dies ist vor dem Hintergrund der internationalen Auswirkungen der Krise und des Verhältnisses zwischen den Währungen ein zentraler Punkt der Mitteilung. Derzeit ist der Euro in der Tat wie ein Tontopf unter lauter eisernen Töpfen. Die Strategie der Kommission zur Verbesserung der Präsenz der Eurozone im IWF besteht darin, ihr in einem ersten Schritt einen Beobachterstatus zu gewähren und erst in einem zweiten Schritt einen gemeinsamen Sitz zu beantragen. Auf lange Sicht wird die Eurozone geschwächt, während sie doch innerhalb der verschiedenen Institutionen mit einer Stimme sprechen sollte, und zwar so rasch wie möglich, wie der EWSA wiederholt gefordert hat. Daher sind die Vorschläge der Kommission vielleicht realistisch, aber bescheiden und auf kurze und mittlere Sicht unzureichend. Auch hier hängt alles davon ab, was der Rat unternehmen wird. |
4.5 EZB
4.5.1 |
Der im Hinblick auf die EZB verfolgte Ansatz erscheint unzureichend. Außerdem kann der EWSA die Auffassung nicht teilen, dass der Vertrag „die Stärkung der demokratischen Rechenschaftspflicht der EZB“ widerspiegeln muss, zumal die EZB ein Organ ist, in dem anders als im Rat die Beschlüsse bereits mehrheitlich gefasst werden. Außerdem sind die Probleme und die Rolle der EZB anderer Art – hier kann nicht nur auf die Überwachungsfunktion verwiesen werden, wie es die Kommission in ihrer Mitteilung zu tun scheint. Hier geht es darum, ihr Mandat, das derzeit Inflationskontrolle und Preisstabilität umfasst, auch auf den Bereich Wachstum und Beschäftigung auszuweiten. |
4.5.2 |
Zu diesem Zweck muss auch sichergestellt werden, dass die Mechanismen zur Übertragung der EZB-Politik auf die Realwirtschaft korrekt funktionieren. Die ungewöhnlichen Interventionen, mit denen die EZB in letzter Zeit versuchte, diesen Mechanismen mehr Nachdruck zu verleihen, und die darin bestanden, dem Bankensystem Liquidität zur Verfügung zu stellen (die Programme CBPP und LTRO) oder Staatsanleihen am Sekundärmarkt anzukaufen (die Programme SMP und OMT), können als ein erster Schritt in die erhoffte Richtung angesehen werden, bedeuten aber nicht, dass die EZB die Funktion des letztinstanzlichen Kreditgebers ausübt, der ggf. auch eigenständig Entscheidungen treffen kann. Dies würde bekanntermaßen eine Änderung der Vertragstexte erfordern. |
4.5.3 |
Die Beschlussfassungsautonomie und die Interventionsinstrumente der EZB müssen im Hinblick auf ihre Rolle als letztinstanzlicher Kreditgeber gestärkt werden, nicht um die Verschuldung der Mitgliedstaaten oder der EU zu erhöhen, sondern um dem Euro mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen und die spekulativen Angriffe bezüglich Staatsschulden der am höchsten verschuldeten Staaten einzudämmen. Mit Blick auf die Auswirkungen der EZB-Interventionen bezüglich tragfähiger Staatsschulden erinnert der EWSA daran, dass allein schon die Ankündigung dieser Maßnahmen dazu beigetragen hat, die Spannungen sowohl auf dem Markt für Staatsschulden der Euroländer als auch auf den Finanz- und Kreditmärkten zu reduzieren. |
4.6 Gerichtshof
4.6.1 |
Der EWSA begrüßt die Stärkung der Rolle des Gerichtshofs, jedoch nicht auf dem Gebiet, das in der Mitteilung vorgeschlagen wird (Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten). Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die der Überzeugung sind, dass die wirtschaftlichen Probleme einschließlich der Verschuldung eher rechtstechnischer als politischer Art sind und im Zuge eines demokratischen und transparenten Beschlussfassungsprozesses der EU, deren Hoheitsrechte den Unionsbürgern gehören, gelöst werden müssen. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10.
(2) ABl. C 133 vom 9.5.2013, S. 44.
(3) Siehe ebenda.
(4) Siehe Fußnote 1.
(5) ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 68.
(6) Siehe Fußnote 1 und ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 60.
(7) Siehe ebenda.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/31 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Übermittlung von Angaben bei Geldtransfers
COM(2013) 44 final — 2013/0024 (COD)
und dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche einschließlich der Finanzierung des Terrorismus
COM(2013) 45 final — 2013/0025 (COD)
2013/C 271/05
Berichterstatter: Christophe ZEEB
Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 27./28. Februar 2013 bzw. am 12. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche einschließlich der Finanzierung des Terrorismus
COM(2013) 45 final – 2013/0025 (COD)
und
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Übermittlung von Angaben bei Geldtransfers
COM(2013) 44 final – 2013/0024 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 24. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 23. Mai) mit 145 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Vorschläge der Kommission zur Anpassung des EU-Rechtsrahmens an die veränderten internationalen Standards zur Vermeidung und Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Die Kriminellen, die das Finanzsystem und die Möglichkeiten missbrauchen, die der Binnenmarkt bietet, gefährden damit nicht weniger als die Grundlagen unserer Gesellschaft. Nach Ansicht des EWSA müssen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten wirksame Mittel an die Hand gegeben werden, um die Integrität und Transparenz des Systems der Geldtransfers zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund gehen die Vorschläge der Kommission sicherlich in die richtige Richtung. |
1.2 |
Der EWSA begrüßt die Präzisierung der Sorgfaltspflichten, die die meldepflichtigen Einheiten in Bezug auf die wirtschaftlich Berechtigten der Unternehmen einhalten müssen, um mehr Transparenz bezüglich der physischen Personen, die sich hinter juristischen Personen verbergen können, sowie bezüglich der politisch exponierten Personen zu erhalten, die aufgrund ihrer Funktion einem höheren Korruptionsrisiko ausgesetzt sein können. Der EWSA akzeptiert auch die Aufnahme der Anbieter von Glücksspieldiensten in die Liste der auskunftspflichtigen wirtschaftlich Berechtigten, da diese Branche zum Zwecke der Geldwäsche genutzt werden kann. |
1.3 |
Der EWSA begrüßt das Bestreben der Kommission, dass die EU bei der internationalen Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismus eine Vorreiterrolle übernimmt. Seiner Auffassung nach besteht eine Möglichkeit zu gewährleisten, dass ein neuer europäischer Regulierungsrahmen auch wirklich greift und die EU eine Vorreiterrolle bei der Bekämpfung von Geldwäsche übernehmen kann darin, dass alle Akteure zusammenarbeiten. Der EWSA begrüßt die an verschiedenen Stellen des Vorschlags eingefügten Klarstellungen, um die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf KMU sicherzustellen. Der EWSA hält es für sinnvoll, den kleinen Verpflichteten über zwischengeschaltete Stellen wie Berufskammern, Vereinigungen und Verbände die nötige technische und professionelle Unterstützung zukommen zu lassen, damit sie den aus dem Vorschlag resultierenden Verpflichtungen nachkommen können. |
1.4 |
Der EWSA ist sehr erfreut darüber, dass die Kommission sich des empfindlichen Gleichgewichts zwischen dem Schutz personenbezogener Daten und der Bekämpfung von Geldwäsche angenommen hat – zwei Aufgaben, die sich auf den ersten Blick kaum miteinander vereinbaren lassen. Das Ziel, Informationen, unter anderem auch persönliche Daten, über ein weites Spektrum Meldepflichtiger („die Verpflichteten“) zusammenzutragen und auszuwerten, dient ausschließlich dazu, kriminelle Machenschaften aufzudecken. Die Verpflichteten müssen folglich darauf achten, das Privatleben ihrer Kunden weitestgehend zu schützen, wobei die Unterstützung der nationalen Behörden bei der Kriminalitätsbekämpfung Priorität hat. |
1.5 |
Der EWSA begrüßt den Vorschlag, die Sanktionen für den Finanzsektor europaweit zu vereinheitlichen. Kriminalitätsverhütung muss eine größtmögliche Wirksamkeit entfalten und die Meldepflichtigen müssen abschreckenden Sanktionen unterliegen, die sich in ihrer Schwere nach der Höhe der Summen richten, die der Geldwäsche unterzogen wurden. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, die einheitliche und korrekte Anwendung der Verwaltungsmaßnahmen und Sanktionen sicherzustellen. |
2. Hintergrund
2.1 |
Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen stellen eine Bedrohung für die Sicherheit in der Welt und die Integrität des Finanzsystems dar. Die Arbeitsgruppe „Finanzielle Maßnahmen gegen Geldwäsche“(Financial Action Task Force, FATF) ist die Organisation, die auf internationaler Ebene für die Erarbeitung von Maßnahmen („Empfehlungen“) zur Verhütung und Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und (seit neuestem) Finanzierung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verantwortlich ist. |
2.2 |
Fast drei Jahre lang wurden die Empfehlungen der FATF überarbeitet, um die Präventivmaßnahmen zu verstärken und das Finanzsystem besser zu schützen, indem den Regierungen wirksamere Instrumente zur Ahndung schwerwiegender Verstöße an die Hand gegeben werden. Im Februar 2012 wurden die neuen Empfehlungen der FATF angenommen (1). |
2.3 |
Die durch die neuen Empfehlungen der FATF eingeführten wesentlichen Änderungen lauten wie folgt:
|
2.4 |
Die FATF wird ab 2014 eine neue Runde der gegenseitigen Evaluierung ihrer Mitglieder einläuten und dabei insbesondere die Auswirkungen der Umsetzung ihrer neuen Empfehlungen in den Mittelpunkt stellen. |
3. Vorschlag der Kommission
3.1 |
Die Vorschläge (a) der vierten Richtlinie zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung und (b) der zweiten Verordnung über die bei Geldtransfers zu übermittelnden Angaben sind Bestandteil der Überarbeitung des EU-Rechtsrahmens und zielen darauf ab, den geänderten Empfehlungen der FATF Rechnung zu tragen. |
3.2 |
Die wichtigsten Änderungen des EU-Rechtsrahmens durch diese Vorschläge lauten wie folgt:
|
3.3 |
Die vorgeschlagenen Änderungen basieren insbesondere auf der von einer unabhängigen Beratungsgesellschaft erstellten Studie (3) zur Anwendung der dritten Richtlinie über Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie auf den dazu im Laufe einer öffentlichen Konsultation bei der Kommission eingegangenen Stellungnahmen. |
3.4 |
Der Richtlinien- bzw. Verordnungsvorschlag soll die derzeit gültige Richtlinie bzw. Verordnung, die aufgehoben werden, ersetzen. |
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1 |
Der EWSA teilt die Ansicht, dass der bestehende EU-Rechtsrahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung an die auf internationaler Ebene vorgenommenen Änderungen angepasst werden muss. Der EWSA ist sich dessen bewusst, dass das Phänomen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung alle Wirtschaftsbereiche betrifft. Es ist insbesondere darauf zu achten, dass der Rechtsrahmen zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zu kriminellen Zwecken seine volle Wirkung entfalten kann. |
4.2 |
Der EWSA begrüßt das Bestreben der Kommission, dass die EU bei der internationalen Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismus eine Vorreiterrolle übernimmt. Er verweist auf seinen bereits in einer früheren Stellungnahme zum Ausdruck gebrachten Standpunkt, demzufolge er „die weitere Verschärfung der Vorschriften zur Verhütung der Geldwäsche und der Finanzierung des Terrorismus als ein Symbol dafür (begrüßt), dass die Europäische Union im privaten und öffentlichen Handeln für hohe Standards in Bezug auf Rechtschaffenheit und Verhalten eintritt. Der Richtlinienvorschlag ist nicht nur ein praktischer Schritt in Bezug auf die Abwicklung von Finanzangelegenheiten, er ist auch ein Mittel zur Stärkung der Europäischen Union“ (4). |
4.3 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass eine Herabsetzung der Schwellenwerte von 15 000 EUR auf 7 500 EUR, ab denen Personen, die gewerblich mit Gütern handeln, die in diesem Richtlinienvorschlag enthaltenen Verpflichtungen einhalten müssen, ein weiterer Schritt in die richtige Richtung zur Förderung bargeldloser Zahlungen darstellt. Der EWSA hat bereits in einer früheren Stellungnahme festgestellt (5), dass Bargeld als Schmiermittel der Schattenwirtschaft gilt und dass bargeldlose Zahlungen steuerlich und wirtschaftlich transparenter und zudem für die Gesamtgesellschaft billiger, bequem, sicher und innovativ sind. |
4.4 Unterstützung „kleiner Verpflichteten“
4.4.1 |
Der EWSA begrüßt, dass Immobilienmakler für Mietobjekte und Anbieter von Glücksspieldiensten den Verpflichtungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung unterworfen sind, obwohl sie durch die Empfehlungen der FATF nicht erfasst werden. |
4.4.2 |
Der EWSA begrüßt die an verschiedenen Stellen des Vorschlags eingefügten Klarstellungen, um die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf KMU zu gewährleisten. Um sicherzustellen, dass kleine Verpflichtete den in der vorgeschlagenen Richtlinie enthaltenen Vorschriften nachkommen können, empfiehlt der EWSA, auf nationaler Ebene zwischengeschaltete Stellen einzubinden, beispielsweise Berufskammern, Verbände oder Vertretungsorganisationen der „kleinen Verpflichteten“, und sie mit Beratungs-, Unterstützungs- und Vermittlungsaufgaben zu betrauen. Es ist von großer Bedeutung, dass die „kleinen Vermittler“ unterstützt werden, um zu verhindern, dass sie zur vorrangigen Zielgruppe der Geldwäscher werden. |
4.5 Identifizierungsanforderungen im digitalen Zeitalter
4.5.1 |
Der Pflicht zur Feststellung der Identität der Personen muss während ihrer physischen Anwesenheit nachgekommen werden. Andernfalls müssen die Verpflichteten aufgrund des Risikos von Transaktionen aus der Ferne die verstärken Sorgfaltspflichten anwenden. Der EWSA fragt sich, ob dieses Anforderungsniveau der gesellschaftlichen Entwicklung hin zur voll digitalisierten Welt gerecht wird. |
4.5.2 |
Der EWSA appelliert an die Kommission, Methoden zu erwägen, die die Vereinbarkeit der Pflicht zur Feststellung der Identität der Kunden mit der immer stärker verbreiteten elektronischen Zahlung und Kommunikation ermöglichen. |
4.6 Gleichgewicht zwischen dem Schutz personenbezogener Daten und der Bekämpfung der Geldwäsche
4.6.1 |
Der EWSA betont wie wichtig es ist, die Interessen im Zusammenhang mit dem Schutz personenbezogener Daten einerseits und dem Schutz der Integrität des Finanzsystems mittels der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung andererseits zu wahren. |
4.6.2 |
Sofern das Konzept der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung auf der Erhebung und Analyse von Informationen, einschließlich personenbezogener Daten über ein breites Spektrum von Verpflichteten basiert, ist der EWSA der Auffassung, dass die Vorschläge den an die Mitgliedstaaten und an die Verpflichteten gestellten Anforderungen weitgehend entsprechen, um zu einem besseren Gleichgewicht zwischen in zwei auf den ersten Blick kaum miteinander vereinbaren Aufgaben zu gelangen. |
4.6.3 |
Bezüglich Artikel 39 des Richtlinienvorschlags, Dokumente und Informationen nach einem Zeitraum von fünf bzw. zehn Jahren nach Beendigung der Geschäftsbeziehungen zu löschen, fordert der EWSA die Mitgliedstaaten auf sicherzustellen, dass ihre Gesetzgebungen Anforderungen in puncto Strafverfolgung, Konkurs oder Erbsachen Rechnung trägt. Hier sollte diese Verpflichtung nicht greifen, um zu verhindern, dass sie dem Gemeinwohl zuwiderläuft. |
4.6.4 |
Der EWSA schlägt vor, in der Richtlinie ausdrücklich die Verpflichtung vorzusehen, die Vertraulichkeit der Identität der Personen, die Verdachtsmeldungen machen, zu wahren, es sei denn, diese Personen sind damit einverstanden, dass ihre Identität preisgegeben wird, oder die Preisgabe erforderlich ist, um ein gerechtes Verfahren im Rahmen der Strafverfolgung zu gewährleisten. |
4.7 Die Legitimität der Maßnahmen der europäischen Aufsichtsbehörden stärken
4.7.1 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die europäischen Aufsichtsbehörden an der Risikoanalyse bezüglich Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung auf Unionsebene beteiligt sind und Leitlinien und Regulierungsstandards für die Mitgliedstaaten und Finanzinstitute aufstellen können. Der EWSA verweist auf die Bedeutung einer Konzertierung und Zusammenarbeit mit den europäischen Aufsichtsbehörden im Bereich der europäischen Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Gleichwohl stellt er fest, dass diese nur eine eingeschränkte Befugnis zur Vertretung und Regulierung für den Finanzsektor haben. Ein Großteil der Meldepflichtigen gehört indes nicht dem Finanzsektor an und ist deshalb auf europäischer Ebene nicht vertreten. Deshalb schlägt der EWSA vor, dass die Kommission auf europäischer Ebene verantwortlich ist für die Risikoanalyse und die Herausgabe von Leitlinien für die Verpflichteten, die nicht zum Finanzsektor gehören und die unter die Bestimmungen für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung fallen. |
4.7.2 |
Der EWSA ist davon überzeugt, dass harmonisierte Empfehlung und Auslegungsbestimmungen auf europäischer Ebene erforderlich sind, um eine einheitlichere Anwendung der Vorschriften für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in den Mitgliedstaaten sicherzustellen. |
4.8 Verwaltungssanktionen
4.8.1 |
In den Vorschlägen ist eine Liste von Verwaltungssanktionen vorgesehen, die an die Kommissionsmitteilung vom 8. Dezember 2010„Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor“ (zu der der EWSA eine Stellungnahme abgegeben hat (6)) anknüpfen und die sich auch in anderen jüngeren Vorschlägen der Kommission (7) widerspiegeln. |
4.8.2 |
Der EWSA begrüßt den Vorschlag, die Sanktionen für den Finanzsektor europaweit zu vereinheitlichen. Nach vorliegenden Erkenntnissen lässt sich die Kriminalität durch Repression nicht beseitigen. Daher ist es von großer Bedeutung, dass die Kriminalitätsverhütung eine größtmögliche Wirksamkeit entfaltet und den Meldepflichtigen, die nicht ihrer Verpflichtung zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung nachkommen, abschreckende Sanktionen auferlegt werden, die im Verhältnis zu der Höhe der Summen stehen, die der Geldwäsche unterzogen wurden. |
4.8.3 |
Der EWSA bezweifelt indes den rein „verwaltungstechnischen“ Charakter der geplanten Sanktionen und befürchtet, dass die Strenge der vorgeschlagenen Verwaltungssanktionen angesichts der Rangfolge der Rechtsnormen und der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen in Strafsachen in Frage gestellt werden könnten. Wenn die geplanten Verwaltungssanktionen abschreckenden Charakter haben sollen und das Ziel einer europäischen Harmonisierung verfolgt wird, so bleibt doch die Tatsache, dass die vorgesehenen strafrechtlichen Sanktionen für Geldwäsche von Land zu Land unterschiedlich sind. Der EWSA appelliert deshalb an die die Kommission und die Mitgliedstaaten, die kohärente und korrekte Anwendung der Verwaltungssanktionen für Verpflichtete, die gegen die Bestimmungen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verstoßen, sowie der strafrechtlichen Sanktionen beim Verstoß gegen das Geldwäscheverbot sicherzustellen. |
4.8.4 |
Der EWSA befürchtet, dass die Einheitlichkeit der Regelung der Verwaltungssanktionen angesichts von Artikel 6 Absatz 1 und 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention in Frage gestellt werden könnte. Es besteht die Gefahr, dass bestimmte Verwaltungssanktionen als „Strafen“ einzustufen sind, wie sie nur von einem unabhängigen Gericht nach einem gerechten Verfahren verhängt werden können. Diese Bedingungen werden von den zuständigen Verwaltungsbehörden nicht erfüllt. Der EWSA empfiehlt der Kommission, angemessene rechtliche Lösungen zu finden, um zu gewährleisten, dass die vorgeschlagenen Sanktionen in keiner Weise in Frage gestellt werden können. |
4.8.5 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass das Prinzip der Mindestregelung bei der Anwendung von Verwaltungsmaßnahmen und strafrechtlichen Sanktionen einen Ansatz darstellt, der die Maßnahme der EU insgesamt stärkt. |
5. Besondere Bemerkungen
5.1 |
Der EWSA empfiehlt, die Definition von Terrorismusfinanzierung in Artikel 1 Absatz 4 des Richtlinienvorschlags gemäß FATF-Empfehlung Nr. 5 um „jeden anderen Rechtsakt“ über die genannten Verstöße hinaus zu erweitern. |
5.2 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die dem Richtlinienvorschlag beigefügten Anhänge eine Liste mit Risikovariablen enthalten. Diese müssen von den Verpflichteten im Rahmen ihrer Sorgfaltspflichten bezüglich Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung berücksichtigt werden. Der EWSA ist jedenfalls der Auffassung, dass die in den Anhängen enthaltenen Listen nicht erschöpfend sind und dass Verpflichtete im Rahmen eines risikobasierten Ansatzes auch andere Faktoren berücksichtigen sollten, die eng mit den Mitgliedstaaten und den unterschiedlichen Umständen der von ihnen durchgeführten Transaktionen verbunden sind. |
5.3 |
Nach Auffassung des EWSA liegt der Schlüssel zur Lösung des Piraterieproblems in der Aufspürung und Unterbindung der beteiligten Finanzströme. In der EU sollte eine schwarze Liste der an der Wäsche von Piratengeldern beteiligten Finanzinstitute erstellt werden. Die Weltbank, Interpol und Europol können bei der Aufspürung von Lösegeldern helfen, die aufgespürt und beschlagnahmt werden sollten, sodass Piraterie kein attraktives Geschäft mehr ist (8). |
Brüssel, den 23. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) www.fatf-gafi.org
(2) Derzeit gilt ein Schwellenwert von 15 000 EUR.
(3) http://ec.europa.eu/internal_market/company/docs/financial-crime/20110124_study_amld_en.pdf
(4) ABl C 267 vom 27.10.2005, S. 30-35.
(5) ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 52.
(6) ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 108.
(7) COM(2011) 651 final, COM(2011) 656 final, COM(2011) 683 final.
(8) ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 15.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/36 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zu einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Finanztransaktionssteuer
COM(2013) 71 final — 2013/0045 (CNS)
2013/C 271/06
Berichterstatter: Stefano PALMIERI
Der Rat beschloss am 28. Februar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 113 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zu einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Finanztransaktionssteuer
COM(2013) 71 final — 2013/0045 (CNS).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 24. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 23. Mai) mit 94 gegen 38 Stimmen bei 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt in Übereinstimmung mit den vom Europäischen Parlament (1), dem Ausschuss der Regionen (2) sowie von ihm zuvor in verschiedenen Stellungnahmen zum Ausdruck gebrachten Standpunkten (3) den Vorschlag der Kommission, die erste regionale Finanztransaktionssteuer der Welt einzuführen. |
1.2 |
Der EWSA hätte zwar eine weltweite Finanztransaktionssteuer bevorzugt, ist aber der Ansicht, dass eine Anwendung auf regionaler Ebene (EU-11+) mittels Beteiligung von elf EU-Mitgliedstaaten (4) eine außerordentlich wichtige Gelegenheit ist, die zu einer künftig weltweiten Anwendung führen kann. |
1.3 |
Der EWSA betont die Bedeutung der Verstärkten Zusammenarbeit als Mittel, das es den Mitgliedstaaten in einigen, in den Verträgen vorgesehenen Bereichen (5) ermöglicht, eine möglichst umfassende Vereinbarung zu treffen und die Blockade aufgrund erforderlicher Einstimmigkeit, die häufig zum politischen und wirtschaftlichen Stillstand in der EU geführt hat, zu überwinden. |
1.4 |
Nach Auffassung des EWSA liegt eine der Stärken der vorgeschlagenen Finanztransaktionssteuer darin, dass es sich um eine Steuer mit einer breiten Besteuerungsgrundlage und zwei niedrigen Sätzen handelt, wodurch ihre negativen Verzerrungseffekte verringert werden. Er ist der Auffassung, dass die Einführung der Steuer im Gebiet der EU-11+ die Schaffung eines einheitlichen Finanzmarkts begünstigt und hält es deshalb für sinnvoll, die Steuer ab dem 1. Januar 2014 zu erheben. Jedwede stufenweise Einführung hält er für unangemessen. |
1.5 |
Der EWSA betont, dass es im Sinne einer maximalen Wirkung der Steuer für das Wirtschaftswachstum sinnvoll ist, den Steuerertrag zur Finanzierung eines nationalen und europäischen Investitionsprogramms einzusetzen, das Wirtschaft und Beschäftigung zeitnah ankurbeln kann. |
1.6 |
Der EWSA begrüßt insbesondere, dass die Kommission im neuen Vorschlag für die Finanztransaktionssteuer das „Ansässigkeitsprinzip“ oder „Territorialitätsprinzip“ (wie es in der ursprünglichen Fassung heißt) um das „Ausgabeprinzip“ ergänzt. Dies wurde vom Europäischen Parlament vorgeschlagen und vom EWSA in seiner diesbezüglichen Stellungnahme (6) unterstützt. Damit soll die Gefahr der Verlagerung in andere Steuergebiete beseitigt bzw. auf ein Mindestmaß reduziert werden. Der EWSA weist darauf hin, dass die kumulative Wirkung dieser Grundsätze zur Folge haben könnte, dass in bestimmten Fällen die Finanzinstitute der nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten ebenfalls der Steuer unterliegen. Deshalb hält es der EWSA für sinnvoll, diese Frage im Einklang mit den Vorschlägen des Europäischen Parlaments zu vertiefen und entsprechende Verhandlungen mit den Drittstaaten aufzunehmen, um die Erhebung der Finanztransaktionssteuer zu erleichtern. |
1.7 |
Der EWSA hält es im Einklang mit dem Europäischen Parlament für sinnvoll, das Ansässigkeitsprinzip und das Ausgabeprinzip um das „Eigentümerprinzip“ zu erweitern. Mit diesem Prinzip kann die Umgehung der Finanztransaktionssteuer tatsächlich riskant und teuer werden, und es würde eine bessere Anwendung der Steuer gewährleisten. |
1.8 |
Der EWSA begrüßt die von der Kommission eingefügten Änderungen, mit denen die Verwaltung der Steuer verbessert und Steuerumgehung und -hinterziehung unterbunden werden soll. Der EWSA begrüßt es, dass Primärmarkttransaktionen von Anteilen von Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) und alternative Investmentfonds (AIF) von der Steuer ausgenommen werden, um die Unternehmensfinanzierung nicht zu beeinträchtigen. |
1.9 |
Der EWSA beklagt, dass die Bewertung der mikro- und makroökonomischen Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer erst drei Jahre nach Inkrafttreten der betreffenden Vorschriften erfolgen soll. Er fordert, ständige Überwachungs- und Überprüfungstätigkeiten (jährliches Monitoring) seitens der Kommission durchzuführen. Dies ermöglicht eine unmittelbare Bewertung der Auswirkungen der Steuer, um ggf. erforderliche Korrekturen bei der Anwendung der Finanztransaktionssteuer rechtzeitig vornehmen zu können. |
1.10 |
Der EWSA hatte die Folgenabschätzung, die den ursprünglichen Finanztransaktionssteuer-Vorschlag begleitete, als unzureichend kritisiert. Er begrüßt, dass die Europäische Kommission nun diesen Mangel zum Teil behoben hat Der EWSA betont, dass die Kommission ihre derzeit verfügbaren Modelle für die quantitative Bewertung der Auswirkungen des Vorschlags verbessern und sie auf die Bewertung der Annahmen alternativer Maßnahmen abstimmen muss. Insbesondere werden die Kommissionsdienststellen dazu aufgefordert, wenn möglich Schätzungen vorzunehmen, die sich auf die tatsächlichen Merkmale der konkreten Vorschläge beziehen. |
1.11 |
Der EWSA bedauert, dass dem Eigenmittelsystem für den EU-Haushalt ein grundlegender Pfeiler fehlt, weil die Finanztransaktionssteuer nicht auf alle 27 Mitgliedstaaten angewandt wird. Dieses System sollte, wie ursprünglich in Artikel 201 des Vertrags von Rom vorgesehen, wieder die notwendige finanzielle Unabhängigkeit der EU gewährleisten. |
1.12 |
Der EWSA betont, dass die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten durch die erforderliche Koordinierung bei der Anwendung der Finanztransaktionssteuer die Gefahren der Steuerhinterziehung und -umgehung so gering wie möglich halten und die entsprechenden Verwaltungskosten senken müssen. |
1.13 |
Der EWSA betont zwar, dass die Auswirkungen der Steuer auf die Pensionsfonds und die Altersversorgungsberechtigten sorgfältig überwacht werden müssen, fordert aber nicht, diese von der Finanztransaktionssteuer auszunehmen. |
1.14 |
Der EWSA bekräftigt seine Verpflichtung, in seiner Funktion als beratende Einrichtung der Kommission, des Europäischen Parlaments und des Rates den Prozess der legislativen Umsetzung des Vorschlags der Kommission zur Einführung der Finanztransaktionssteuer kontinuierlich zu überwachen. |
2. Der Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Umsetzung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Finanztransaktionssteuer
2.1 |
Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Richtlinie (7) stützt sich auf den vorhergehenden Vorschlag vom September 2011 (8). Dieser Vorschlag wurde zwar im Rat nicht einstimmig angenommen, brachte indes elf EU-Mitgliedstaaten dazu, die Kommission am 28. September 2012 offiziell mit der Vorbereitung der Verstärkten Zusammenarbeit zur Anwendung einer Finanztransaktionssteuer zu beauftragen. |
2.2 |
Nachdem die Kommission die Machbarkeit dieses Antrags untersucht und festgestellt hatte, dass eine Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der Finanztransaktionssteuer keine negativen Auswirkungen - weder für den Binnenmarkt, noch für die Pflichten, Rechte und Befugnisse der nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten - haben würde, fasste sie im Oktober 2012 einen Beschluss über die Genehmigung, der dem Europäischen Parlament im Dezember 2012 übermittelt und vom Rat (Wirtschaft und Finanzen) im Januar 2013 gebilligt worden ist. |
2.3 |
Der Kommissionsvorschlag beruht im Wesentlichen auf dem ursprünglichen Vorschlag. Es wurden einige Veränderungen vorgenommen, um a) normative Klarheit zu schaffen, und b) die Vorschriften zur Bekämpfung von Missbrauch und Steuerumgehung, wie von den 11 Mitgliedstaaten gefordert, zu stärken. |
2.3.1 |
Die drei ursprünglichen Ziele wurden bestätigt und verstärkt: a) Stärkung des Binnenmarkts mittels Angleichung unterschiedlicher nationaler Ausrichtungen; b) Gewährleistung eines angemessenen Beitrags der Finanzinstitute zu den Einnahmen der öffentlichen Hand, wie er von anderen Wirtschaftsbranchen auch geleistet wird; c) Förderung der Investitionen des Finanzsystems in die Realwirtschaft. |
2.3.2 |
Wie im ursprünglichen Vorschlag sind eine breite Bemessungsgrundlage und niedrige Mindeststeuersätze vorgesehen: 0,1 % für Finanztransaktionen, bei denen es um Anteile, Anleihen, Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen, Geldmarktinstrumente, Wertpapierpensionsgeschäfte und Leihvereinbarungen geht; 0,01 % für Finanztransaktionen im Zusammenhang mit Derivatkontrakten. |
2.3.3 |
Um Behinderungen des normalen Geschäftsbetriebs in der Realwirtschaft zu vermeiden, sind folgende Transaktionen von der Steuer nicht betroffen: a) laufende Finanztätigkeiten der Bürger und Unternehmen wie Kredite, Zahlungen, Versicherungsgeschäfte, Einlagen usw.; b) alle traditionellen Investmentbankaktivitäten im Zusammenhang mit der Ansammlung von Kapital oder Finanztransaktionen im Rahmen von Umstrukturierungen; c) Tätigkeiten im Bereich der Refinanzierung, der Währungspolitik und der Verwaltung öffentlicher Schulden; d) Primärmarkttransaktionen bezüglich Anteile an OGAW und Alternativen Investmentfonds (AIF). Daher werden Transaktionen mit der Europäischen Zentralbank, mit den Zentralbanken, mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus und Transaktionen mit der EU von der Steuer ausgenommen. |
2.3.4 |
In dem Vorschlag wird das „Ansässigkeitsprinzip“ oder „Territorialitätsprinzip“ bestätigt, demzufolge eine Transaktion - unabhängig vom geografischen Ort, an dem die Transaktion durchgeführt wurde - der Steuer unterliegt, wenn das an der Transaktion beteiligte Finanzinstitut im Anwendungsbereich der Finanztransaktionssteuer ansässig ist bzw. im Auftrag einer dort ansässigen Einrichtung handelt. |
2.3.5 |
Um den Versuch der Verlagerung aus den Steuergebieten für die Finanztransaktionssteuer zu unterbinden, wurde zusätzlich das „Ausgabeprinzip“ aufgenommen - wie vom Europäischen Parlament gefordert und vom EWSA unterstützt. Nach diesem Prinzip unterliegt die Transaktion der Steuer, wenn das Finanzinstrument, das Gegenstand der entsprechenden Transaktion ist, in einem der elf teilnehmenden Mitgliedstaaten ausgegeben worden ist, auch wenn die Transaktionsparteien außerhalb des Anwendungsgebiets der Finanztransaktionssteuer oder des Gebiets, an dem die Transaktion stattfindet, ansässig sind. |
2.3.6 |
Die gleichzeitige Wirkung dieser beiden Prinzipien (das Ansässigkeitsprinzip und das Ausgabeprinzip) neutralisiert oder senkt zumindest erheblich das Risiko der Verlagerung aus dem Steuergebiet der Finanztransaktionssteuer zum Zweck der Steuerumgehung. Um die Steuer zu vermeiden, müsste ein Finanzinstitut auf seine im Finanztransaktionssteuergebiet ansässigen Kunden und den Handel mit allen in diesem Gebiet ausgegebenen Finanzinstrumenten verzichten. Es sei darauf hingewiesen, dass in diesem Gebiet immerhin zwei Drittel des BIP der Europäischen Union und 90 % des BIP des Euroraums erzeugt werden. Dadurch werden Strategien, die Interaktion mit diesem Markt zu vermeiden, hinfällig. Vielmehr ist die einheitliche Besteuerung der Finanzmärkte ein bedeutender Beitrag zur Verwirklichung des Binnenmarkts. |
2.3.7 |
Die durch den Vorschlag erzeugten Einnahmen dürften sich Berechnungen der Kommission zufolge auf 30 bis 35 Mrd. EUR jährlich belaufen. Dies entspricht etwa 60 % der ursprünglich veranschlagten Einnahmen unter der Annahme, dass die Steuer in allen Mitgliedstaaten der EU angewendet wird (ursprüngliche Schätzung: 57 Mrd. EUR). Die Einnahmen würden sich folgendermaßen aufschlüsseln lassen: 13 Mrd. EUR würden auf Transaktionen mit Anteilen und Wertpapieren und 21 Mrd. EUR auf den Derivatehandel entfallen. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Im Laufe der letzten Jahre haben mehrere EU-Mitgliedstaaten der Einführung unterschiedlicher Arten der Besteuerung von Finanztransaktionen zugestimmt und dadurch den Gefahren einer für den Binnenmarkt schädlichen Steuervielfalt Vorschub geleistet (enge Steuerbemessungsgrundlagen und verschiedene Formen der Steuerbefreiung). Die Einführung einer übergreifenden regionalen Finanztransaktionssteuer fördert die Schaffung eines wirklich einheitlichen Finanzmarkts ohne Wettbewerbsverzerrungen und uneffiziente Steuersysteme. |
3.1.1 |
Deshalb ist der EWSA der Auffassung, dass die Finanztransaktionssteuer gemäß den von der Kommission vorgesehenen Fristen in Kraft treten muss, und zwar am 1. Januar 2014. Formen einer stufenweisen Einführung sollten nicht vorgesehen werden, da diese aufgrund des bestehenden nationalen Rechts in den Mitgliedstaaten EU-11+ zu Verzögerungen und technischen Problemen führen könnten. |
3.2 |
Die Einführung der Finanztransaktionssteuer auf Ebene der 27 EU-Mitgliedstaaten wäre zwar sinnvoll, erwies sich allerdings als nicht machbar. Deshalb ist ihre Einführung im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit – ohne dabei negative Auswirkungen für die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten zu haben – der notwendige Weg, um eine künftige Anwendung auf europäischer und globaler Ebene sicherzustellen. |
3.3 |
Die Nichtanwendung der Steuer in einigen Mitgliedstaaten der EU kann mitunter zu einer Doppelbesteuerung in den nicht teilnehmenden Ländern führen. Dieses Problem betrifft nur einen kleinen Teil der Transaktionen, dem jedenfalls durch bilaterale Aufrechnungsvereinbarungen abgeholfen werden kann. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 |
Der EWSA unterstreicht, dass die ursprüngliche Schätzung der langfristigen (40-jährigen) makroökonomischen Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer auf die europäische Wirtschaft von den Dienststellen der Kommission erheblich geändert wurde. Ging man zunächst von einer negativen Auswirkung in der Größenordnung von – 1,76 % auf, so wird nun eine positive Wirkung von ca. + 1,0 % veranschlagt. |
4.1.1 |
Die dem ursprünglichen Vorschlag beigefügte Schätzung wurde geändert, da bei der Bewertung sowohl die Wirkung der tatsächlich vorgeschlagenen Steuersätze als auch die „mildernden“ Effekte berücksichtigt wurden. Dadurch konnte die negative Auswirkung auf das BIP von – 1,76 % auf – 0,53 % sinken (9). |
4.1.2 |
Anschließend hat die Kommission die Bewertung nochmals geändert, da die spezifischen Eigenschaften des Vorschlags nicht berücksichtigt worden waren und die Berechnung zudem auf unrealistischen Arbeitshypothesen basierte (z.B. auf der Annahme, dass alle neuen Investitionen der Unternehmen durch der Finanztransaktionssteuer unterliegende Finanzinstrumente finanziert würden). Mit dieser Korrektur wurde die konkrete langfristige Auswirkung auf das BIP weiter gesenkt und wurde nun auf – 0,28 % geschätzt. Im Rahmen dieser Untersuchung führte die Kommission eine weitere Folgenabschätzung durch, bei der auch die Wirkung im Zusammenhang mit der Verwendung der Einnahmen durch die Finanztransaktionssteuer sowohl als Ersatz für andere Formen der Besteuerung als auch als ein mögliches Instrument öffentlicher Investitionen berücksichtigt wurde. Bei dieser Bewertung, die von Einnahmen von 0,16 % des BIP ausging, ergab sich erstmals eine positive Auswirkung auf das BIP in der Größenordnung zwischen 0,2 % und 0,4 % (10). |
4.1.3 |
Diese letzte Annahme ist jedoch immer noch als zu restriktiv anzusehen, da im Bereich der Gesamteinnahmen die Komponente der Einnahmen aus den Steuern auf Derivate nicht berücksichtigt wurden, die indes im Kommissionsvorschlag enthalten ist. Damit würden die Gesamteinnahmen von 0,16 % auf 0,4 % des BIP steigen, mit daraus resultierenden positiven Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer auf das BIP in der Größenordnung von 1 % (11). |
4.2 |
Aus den von der Kommission durchgeführten Untersuchungen geht hervor, dass die Wirksamkeit der Finanztransaktionssteuer für die Wirtschaft der EU am höchsten ist, wenn die Steuereinnahmen sowohl auf europäischer wie auf einzelstaatlicher Ebene für die Finanzierung eines öffentlichen Investitionsprogramms verwendet werden, mit dem Impulse für das Wirtschaftswachstums und die Beschäftigung sichergestellt werden können. |
4.3 |
Der EWSA hat im Laufe der letzten fünf Jahre – die mit der Krise zusammenfallen – eine Reihe von Stellungnahmen vorgelegt, in denen er darauf hingewiesen hat, dass die makroökonomischen Maßnahmen auf europäischer Ebene neu austariert werden müssen, um wachstums- und beschäftigungsfreundliche Investitionen zu fördern (12). Würde die Empfehlung des EWSA befolgt, könnten die Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer mittels Finanzierung eines großen Investitionsprogramms auf nationaler und europäischer Ebene maximale Wirkung entfalten. |
4.4 |
Nach Auffassung des EWSA liegt eine der Stärken der vorgeschlagenen Finanztransaktionssteuer darin, dass es sich um eine Steuer mit einer breiten Besteuerungsgrundlage und zwei niedrigen Sätzen handelt. Dadurch können die negativen Effekte der Steuer gering gehalten werden, die bei kleinerer Besteuerungsgrundlage und höheren Sätzen zu starken Verzerrungen auf den Märkten führen könnte. Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass zum einen die Ausnahmen von der Besteuerungsgrundlage und die Befreiungen von Steuerpflichtigen weitestgehend einzuschränken sind. Zum anderen fordert er die elf teilnehmenden Mitgliedstaaten dazu auf, mittels Anwendung der vorgeschlagenen Steuersätze einen Prozess einzuleiten, der zur echten und konkreten Verwirklichung des Binnenmarkts führt. |
4.5 |
Der EWSA spricht sich für die Aufnahme des „Eigentümerprinzips“ aus. Dadurch wird eine Finanztransaktion, bei der die Finanztransaktionssteuer umgangen wird, rechtlich nicht durchsetzbar, und sie zieht keine Übertragung von Rechten an dem zugrunde liegenden Finanzinstrument nach sich. |
4.6 |
Der EWSA ist mit der Vorgehensweise einverstanden, Transaktionen im Zusammenhang mit Anteilen an OGAW und AIF von der Bemessungsgrundlage auszunehmen, da diese Instrumente unmittelbar mit der Finanzierung der Unternehmen verbunden sind, und da dadurch den Anforderungen der Richtlinie 2008/7/EG Folge geleistet wird. Es wird betont, dass sich die voraussichtlichen Mindereinnahmen aufgrund dieser Ausnahme auf ca. 4 Mrd. EUR belaufen. |
4.7 |
Der EWSA, dem durchaus bewusst ist, dass eventueller Druck auf die Zinssätze der öffentlichen Schulden unter Kontrolle gehalten werden muss, begrüßt den Vorschlag, die Ausnahme von der Steuer für auf dem Primärmarkt ausgegebene Staatsanleihen und die Besteuerung des Handels mit Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt beizubehalten. Er hält es für sinnvoll, diesbezügliche Transaktionen auf dem Sekundärmarkt nur dann von der Steuer auszunehmen, wenn sie von Instituten im Auftrag der staatlichen Behörden bei Vorgängen im Zusammenhang mit der Verwaltung der staatlichen Schulden durchgeführt werden. |
4.8 |
Bezüglich der Pensionsfonds hat der EWSA bereits kundgetan, dass die Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer auf die Pensionsfonds speziell überwacht werden müssen. Die Ausnahme von der Bemessungsgrundlage der Anteile an OGAW und AIF sowie die Ausnahme von Transaktionen mit Schuldtiteln der öffentlichen Hand auf dem Primärmarkt wirken sich angesichts der Portfoliostruktur von Pensionsfonds für diese sicherlich positiv aus. |
4.9 |
Der EWSA betont zwar, dass die Auswirkungen der Steuer auf die Pensionsfonds und die Altersversorgungsberechtigten sorgfältig überwacht werden müssen, fordert aber nicht, diese von der Finanztransaktionssteuer auszunehmen. |
4.10 |
Die Anwendung einer Finanztransaktionssteuer fördert langfristige Anlagestrategien für die Investitionen der Pensionsfonds, beeinträchtigt nicht die Liquidität des Systems und verringert destabilisierende Elemente wie den Hochfrequenzhandel bei Finanzgeschäften (13). |
4.11 |
Bei der Anwendung der neuen Steuer ist insbesondere auf die Verwaltungsmodalitäten zu achten, um die Gefahren der Steuerhinterziehung und -umgehung und die entsprechenden Verwaltungskosten für die Mitgliedstaaten und die Steuerpflichtigen so niedrig wie möglich zu halten. Deshalb sollten sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Kommission bei der Erarbeitung der entsprechenden Durchführungsbestimmungen für die Zahlungs- und Überprüfungsverfahren für die Steuer darauf achten, dass die Verwaltungskosten so gering wie möglich gehalten werden und ihre Entwicklung aufmerksam überprüft wird. Der EWSA fordert die Kommission auch auf, angesichts der Auswirkungen des Vorschlags Verfahren für die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Finanzinstituten der nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten und den Empfängermitgliedstaaten der Steuer vorzuschlagen. |
4.12 |
Der EWSA hatte die dem ursprünglichen Finanztransaktionssteuer-Vorschlag beiliegende Folgenabschätzung als unzureichend kritisiert. Er begrüßt nun die Tatsache, dass die Kommission diesen Mangel behoben hat und den sieben ursprünglichen Erläuterungen zur Folgenabschätzung (14) nun eine Folgenabschätzung zum aktuellen Vorschlag (15) beigelegt hat. Der EWSA unterstreicht gleichwohl, dass die analytischen Unterlagen noch unzureichend sind, sowohl in Bezug auf die Erläuterungen der gegenwärtigen Lage der Besteuerung der Finanzmärkte als auch bezüglich der Einnahmen in den verschiedenen Staaten, insbesondere den EU11+. Vor allem wäre es sinnvoll, die möglichen Auswirkungen auf die Sparer und die Altersversorgungsberechtigten gründlicher zu bewerten. Dabei sollte den verschiedenen Annahmen bezüglich der Abwälzung der Steuer Rechnung getragen werden. |
4.13 |
Der EWSA betont, dass die Kommission ihre derzeit verfügbaren Modelle für die quantitative Bewertung der Auswirkungen des Vorschlags verbessern und sie auf die Bewertung der Annahmen alternativer Maßnahmen abstimmen muss. Der EWSA fordert die Kommissionsdienststellen deshalb auf, wenn möglich Schätzungen vorzunehmen, die sich auf die tatsächlichen Merkmale der konkreten Vorschläge beziehen. |
Brüssel, den 23. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) 2010/2105(INI).
(2) ABl. C 113 vom 18.4.2012, S. 7-10.
(3) ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 81-89; ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 64-67; ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 75-80; ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 55-63.
(4) Belgien, Deutschland, Estland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Österreich, Portugal, Slowenien und Slowakei.
(5) Der Rückgriff auf die Verstärkte Zusammenarbeit wird in Artikel 20 EUV und Artikel 326 bis 334 AEUV geregelt.
(6) ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 55-63.
(7) COM(2013) 71 final.
(8) COM(2011) 594 final.
(9) SEC(2011) 1102 final, Volume 1, S. 52.
(10) Europäische Kommission, 2012, Technischer Anhang: Makroökonomische Auswirkungen.
(11) Bewertung auf der Grundlage der Untersuchung in: Europäische Kommission, 2012, Quarterly Report on the Euro Area, Vol. 11 Nr. 3 (2012).
(12) Um nur einige anzuführen: ABl C 133 vom 9.5.2013, S. 44, ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 60–71, ABl. C 181vom 21.6.2012, S. 45-51, ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 8-15, ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 10-16).
(13) Network for Sustainable Financial Markets (Netz für tragfähige Finanzmärkte), 2012; No Exemption – The Financial Transaction Tax and Pension Funds (Keine Ausnahme – Finanztransaktionssteuer und Pensionsfonds), DIW, Dezember 2012; Financial Transaction Tax Contributes to More Sustainability in Financial Markets (Finanztransaktionssteuer – Beitrag zu tragfähigeren Finanzmärkten), Discussion Papers 1198.
(14) Veröffentlicht am 4. Mai 2012 auf der entsprechenden Website.
(15) SWD(2013) 28 final.
ANHANG
zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Folgender abgelehnter Änderungsantrag erhielt mindestens ein Viertel der Stimmen (Artikel 54 Absatz 3 der Geschäftsordnung):
Neue Ziffer 4.7
Nach Ziffer 4.6 neue Ziffer einfügen:
Angesichts der ganz unterschiedlichen Ergebnisse, die sich bei den Analysen der Einführung einer FTS ergeben, empfiehlt der EWSA, sehr genau die Auswirkungen der Einführung dieser Steuer in denjenigen Ländern zu beobachten, die den Schritt bereits gemacht haben: Dabei gilt es zu berücksichtigen, welche Folgen eine verringerte Liquidität auf die Volatilität des Marktes mit Blick auf die Kosten spezifischer Produkte hat, die für Rückversicherungen oder aber für das Pensionssparen eingesetzt werden. Die Ausgewogenheit zwischen den tatsächlich erzielten Steuereinnahmen und den sich in Zeiten der Krise sowohl für die Unternehmen als auch für die Sparer verteuernden Finanzdienstleistungen sollte realistisch geprüft werden. Die Ergebnisse einer solchen Überprüfung sollten nach Ansicht des EWSA gründlich analysiert und weitere Schritte im Bedarfsfall rasch an die neuen Erkenntnisse angepasst werden.
Abstimmungsergebnis:
Ja-Stimmen |
: |
64 |
Nein-Stimmen |
: |
94 |
Simmenthaltungen |
: |
25 |
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/42 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum strafrechtlichen Schutz des Euro und anderer Währungen gegen Geldfälschung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2000/383/JI des Rates
COM(2013) 42 final — 2013/0023 (COD)
2013/C 271/07
Hauptberichterstatter: Edouard DE LAMAZE
Der Rat beschloss am 20. Februar 2013 und das Europäische Parlament am 12. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum strafrechtlichen Schutz des Euro und anderer Währungen gegen Geldfälschung und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2000/383/JI des Rates
COM(2013) 42 final - 2013/0023 (COD).
Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt am 19. März 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.
Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 23. Mai 2013), Edouard DE LAMAZE zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 130 gegen 1 Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) teilt die von der Europäischen Kommission genannten Argumente für den vorliegenden Vorschlag nicht. Eine Überarbeitung des Rahmenbeschlusses von 2000 hinsichtlich der Einführung einer Mindeststrafe innerhalb der EU – deren erwartete „abschreckende Wirkung“ der EWSA für diskussionswürdig hält – erscheint ihm nicht unbedingt gerechtfertigt, denn es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass die unterschiedlichen Strafen für Geldfälschung das Phänomen des „Forum-Shoppings“ (der Wahl des günstigsten Gerichtsstands) durch die Fälscher verstärkten. |
1.2 |
Der EWSA merkt an, dass mit dem Richtlinienvorschlag unter dem Deckmantel von Mindestvorschriften in Wirklichkeit ein sehr umfassendes Arsenal repressiver Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldfälschung eingeführt wird, was offenbar über das in Artikel 83 Absatz 1 AEUV erlaubte Maß hinausgeht, auch weil der Vorschlag sowohl die Zuständigkeit als auch das Verfahren berührt. |
1.3 |
Es stellt sich nicht nur die Frage, ob ein solch repressiver Ansatz notwendig ist, der per Definition die Grundrechte und -freiheiten einzuschränken droht; der Vorschlag lässt auch Zweifel an seiner Wirksamkeit aufkommen, da trotz der Festlegung einer Mindeststrafe die Auslegung betreffend die Strafe je nach Rechtstradition der Mitgliedstaaten und wegen des Ermessensspielraums der Gerichte stets unterschiedlich ausfallen wird. |
1.4 |
Allgemein kritisiert der EWSA, dass in dem Richtlinienvorschlag entgegen den Anforderungen in Artikel 82 Absatz 2 AEUV die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen nicht ausreichend berücksichtigt werden, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen der Bestimmungen auf die Rechte und Freiheiten des Einzelnen. |
1.5 |
Der EWSA vertritt als Institution die europäische Zivilgesellschaft und lenkt als solche die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass die Täter ursprünglich unbescholtene Bürger sein können, die unwissend Falschgeld entgegen genommen haben und sich dessen wieder entledigen müssen. Mit Verweis auf die Gefahr, dass unverhältnismäßige Maßnahmen auf diese Personen angewandt werden, die als Opfer ihrerseits sozusagen wider Willen zu „Kriminellen“ werden, ist der EWSA der Ansicht, dass die Absicht, die sich hinter der Tat verbirgt, unbedingt berücksichtigt werden muss; dies wird in den Erwägungsgründen des Richtlinienvorschlags nicht ausreichend hervorgehoben. |
1.6 |
Der EWSA sieht mit Sorge, dass der Richtlinienvorschlag in Bezug auf das Verfahren im Gegensatz zur Festlegung der Strafen keine Abstufung hinsichtlich der Mittel enthält, die die Ermittlungsbehörden je nach Schwere der Tat einsetzen. Er hält es außerdem für notwendig, in dem Richtlinienvorschlag zu präzisieren, dass die Untersuchungswerkzeuge, die im Bereich des organisierten Verbrechens angewandt werden, nur im Falle der schwerwiegendsten Straftaten zum Einsatz kommen. |
2. Inhalt des Vorschlags
2.1 |
Mit dem Richtlinienvorschlag soll der derzeitige Rahmen zur strafrechtlichen Bekämpfung der Geldfälschung – Fälschungen des Euro oder anderer Währungen – verstärkt werden. Im Sinne einer Ergänzung der sich auf das Hoheitsgebiet der EU beziehenden Bestimmungen des Genfer Abkommens von 1929 – laut dem Vorschlag müssen die Mitgliedstaaten Vertragspartner dieses Abkommens sein – ersetzt der Vorschlag den Rahmenbeschluss 2000/383/JI des Rates (der seinerseits durch den Rahmenbeschluss 2001/888/JI ergänzt wurde) und fügt ihm einige wichtige Bestimmungen hinzu. |
2.2 |
So soll das Phänomen der Wahl des günstigsten Gerichtsstands („Forum-Shopping“) bekämpft werden – laut der Folgenabschätzung eine Strategie der Verbrecherringe, die auf der Suche nach Mitgliedstaaten sind, in denen weniger strenge Strafen drohen. Hierzu wird auf der Grundlage von Artikel 83 Absatz 1 AEUV eine unionsweite Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsentzug für die Herstellung und Verbreitung von Falschgeld (ab einem Betrag von 10 000 EUR) eingeführt. Gleichzeitig wird die bereits für die Herstellung vorgesehene Höchststrafe von mindestens acht Jahren Freiheitsentzug auf die Verbreitung (ab einem Betrag von 5 000 EUR) ausgeweitet. |
2.3 |
Werden die Straftaten im Auftrag einer juristischen Person begangen, so können Sanktionen gegen sie verhängt werden, die von einem Ausschluss von Zuwendungen oder Hilfen der öffentlichen Hand bis hin zur Schließung der Einrichtung gehen können. |
2.4 |
In dem Vorschlag wird außerdem der derzeitige Rahmen für das Verfahrensrecht verschärft. Die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden können auf Ermittlungsinstrumente zurückgreifen, die zur Bekämpfung organisierter Straftaten oder sonstiger schwerer Straftaten verwendet werden. Die Justizbehörden werden u.a. dazu verpflichtet, sichergestelltes Falschgeld jeweils einer technischen Analyse unterziehen zu lassen, damit weitere im Umlauf befindliche Fälschungen aufgedeckt werden können. |
2.5 |
Der Vorschlag sieht schließlich vor, dass jeder Mitgliedstaat, dessen Währung der Euro ist, in Bezug auf außerhalb der EU verübte Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Euro stehen, universelle Gerichtsbarkeit ausübt, falls sich der Täter in seinem Hoheitsgebiet aufhält oder in seinem Hoheitsgebiet gefälschte Euro-Banknoten oder -Münzen aufgedeckt werden. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Der EWSA erkennt zwar an, dass die Fälschung des Euro mit immer komplexeren und ausgefeilteren Mitteln ein beunruhigendes Phänomen ist, das wirksam bekämpft werden muss, meldet jedoch ernste Bedenken bezüglich sowohl des Inhalts als auch der Grundidee dieser Initiative an. |
3.2 |
Mit Verweis auf den Mangel an wissenschaftlichen Daten – der in der Folgenabschätzung ersichtlich wird – tut sich der EWSA schwer, das Argument des „Forum Shopping“ als überzeugend anzusehen, das die Kommission ihrem Richtlinienvorschlag zugrunde legt. Es ist nicht sicher, dass die Unterschiede bei der Strenge der Strafverfolgung innerhalb der EU in irgendeiner Weise den Anstieg der Fälschungen erklären, noch dass sich die Fälscher bei der Wahl des Ortes für ihre Taten in erster Linie von der nationalen Gesetzgebung in Bereich der strafrechtlichen Ahndung leiten lassen. Um die Standorte von Falschgelddruckereien zu erklären, müssen andere, materielle und logistische Faktoren berücksichtigt werden. |
3.3 |
In Ermangelung einer genauen Analyse zur Untermauerung der Aussage, dass die Unterschiede bei der Strafverfolgung innerhalb der Union der Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- und Justizbehörden und der Wirksamkeit der Bekämpfung der Geldfälschung in Drittländern abträglich seien, stellt sich der EWSA die Frage, was mit diesem Richtlinienvorschlag eigentlich bezweckt wird. |
3.4 |
Der EWSA möchte außerdem unterstreichen, dass die solchermaßen begründeten Bestimmungen zur Schaffung eines besonders schweren Strafverfolgungssystems führen. So werden nicht nur alle Straftatbestände der Geldfälschung und Mindest- und Höchststrafen festgelegt; der Richtlinienvorschlag berührt hinsichtlich des Straftatbestands des Inumlaufbringens auch die Frage der Zuständigkeit und des Verfahrens. |
3.5 |
Der EWSA stellt insbesondere das Vorhandensein letztgenannter Bestimmungen bezüglich der Zuständigkeit und des Verfahrens in Frage, die über das hinausgehen, was in der Begründung angekündigt und was gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV zulässig ist, nämlich die Einführung von „Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen“. Diese Bestimmungen, die die Anwendung außergewöhnlicher Maßnahmen vorsehen, sind in sehr hohem Maße repressiv, da sie für die Fälschung des Euro zur Einführung eines Falles universeller Gerichtsbarkeit führen, bei dem per Definition von allgemeinen Lösungen abgewichen wird, sowie zur Anwendung von Ermittlungsinstrumenten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität. |
3.6 |
Letzterer Punkt ist aus der Sicht des EWSA am problematischsten. So wird keinerlei Unterschied gemacht bezüglich der Schwere der Straftaten, die in dem Richtlinienvorschlag festgelegt werden, um den Rückgriff auf Ermittlungsinstrumente zu rechtfertigen, die im Rahmen der organisierten Kriminalität angewandt werden. Nach Meinung des EWSA verstößt eine derartige Bestimmung unter Umständen in hohem Maße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und missachtet die Grundrechte (1). |
3.7 |
Zur Vermeidung von Auswüchsen möchte der EWSA den europäischen Gesetzgeber erneut darauf hinweisen, dass die Gesamtheit der Mitgliedstaaten mit ihren jeweiligen mehr oder weniger langen demokratischen Traditionen und ihrem Bewusstsein für die Achtung der Freiheiten des Einzelnen berücksichtigt werden muss. |
3.8 |
Im Allgemeinen erinnert der EWSA daran, dass die Schaffung eines europäischen Strafrechtsraums eine Stärkung der Verteidigungsrechte insbesondere im Rahmen von Eurojust und Europol erfordert, um dem in den Verträgen (Artikel 67 Absatz 1 und Artikel 83 Absatz 3 AEUV) verankerten Gebot zur Achtung der Grundrechte zu genügen. |
3.9 |
Der EWSA vertritt als Institution die europäische Zivilgesellschaft und lenkt als solche die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass die Täter ursprünglich unbescholtene Bürger sein können, die unwissend Falschgeld entgegen genommen haben und sich dessen wieder entledigen müssen. Mit Verweis auf die Gefahr, dass unverhältnismäßige Maßnahmen auf diese Personen angewandt werden, die als Opfer ihrerseits sozusagen wider Willen zu „Kriminellen“ werden, ist der EWSA der Ansicht, dass die Absicht, die sich hinter der Tat verbirgt, unbedingt berücksichtigt werden muss; dies wird in den Erwägungsgründen des Richtlinienvorschlags nicht ausreichend hervorgehoben. |
3.10 |
Der EWSA ist sich dessen bewusst, dass die Abstufung der in dem Vorschlag vorgesehenen Sanktionen je nach Höhe der beschlagnahmten Summe (insbesondere Artikel 5 Absatz 2) teilweise eine Berücksichtigung solcher Fälle zulässt. Trotzdem besteht durch diesen Richtlinienvorschlag nach wie vor das Risiko, das die Freiheiten des Einzelnen erheblich beeinträchtigt werden. Der Vorschlag berücksichtigt anscheinend nicht die unterschiedlichen Rechtstraditionen und -ordnungen innerhalb der EU, ebenso wenig wie die Besonderheiten der Ermittlungsverfahren, bei denen die Angeklagten – auch bei kleineren Delikten – von der Polizei eine beträchtlich lange Zeit festgehalten werden können, bevor sie dem Richter vorgeführt werden. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 |
Hinsichtlich der Bestimmung zur Festlegung einer Freiheitsstrafe im Mindestmaß von mindestens sechs Monaten (Artikel 5 Absatz 4 des Vorschlags), die die wichtigste Maßnahme des Vorschlags als Reaktion auf das Argument des „Forum Shoppings“ darstellt, bezweifelt der EWSA insofern deren Nutzen, als dass durch eine Richtlinie, die sich per Definition an den Gesetzgeber und nicht an den Richter richtet, nicht erwirkt werden kann, dass diese Strafe tatsächlich angeordnet wird. Der EWSA stellt mit Zufriedenheit fest, dass in der Begründung an die Grundsätze der notwendigen, dem Einzelfall angepassten Strafzumessung – ein vom Gerichtshof der Europäischen Union anerkannter Grundsatz – und der vollen Ermessensfreiheit des Richters erinnert wird. |
4.2 |
Der EWSA möchte des Weiteren hinzufügen, dass das Vorsehen einer Mindeststrafe – selbst wenn sie nicht zwingend ist – der Rechtstradition einiger Mitgliedstaaten widerspricht, die keine Mindeststrafen vorsehen, es sei denn, ihre Anordnung ist obligatorisch. |
4.3 |
Artikel 9 des Vorschlags sollte folgendermaßen geändert werden: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass den für die Untersuchung oder strafrechtliche Verfolgung besonders schwer wiegender Fälschungsdelikte im Sinne der Artikel 3 und 4 zuständigen Personen, Stellen oder Diensten wirksame Ermittlungsinstrumente, wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität oder anderen schweren Straftaten verwendet werden, zur Verfügung stehen“. |
Brüssel, den 23. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Dies galt u.a. für den Europäischen Haftbefehl (s. D. Rebut, Droit pénal international, Dalloz, coll. „Précis“, 2012, Nr. 516, S. 311).
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/45 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: „Auf dem Weg zu einer vertieften und echten Wirtschafts- und Währungsunion — Einführung eines Instruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit“
COM(2013) 165 final
und der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: „Auf dem Weg zu einer vertieften und echten Wirtschafts- und Währungsunion — Vorabkoordinierung größerer wirtschaftspolitischer Reformvorhaben“
COM(2013) 166 final
2013/C 271/08
Hauptberichterstatter: David CROUGHAN
Die Europäische Kommission beschloss am 14. Mai 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Auf dem Weg zu einer vertieften und echten Wirtschats- und Währungsunion – Einführung eines Instruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit
COM(2013) 165 final
und
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Auf dem Weg zu einer vertieften und echten Wirtschats- und Währungsunion – Vorabkoordinierung größerer wirtschaftspolitischer Reformvorhaben
COM(2013) 166 final.
Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt am 16. April 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.
Aufgrund der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) David CROUGHAN zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 152 gegen 8 Stimmen bei 12 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Ausschuss begrüßt mit gewissen Vorbehalten die beiden Kommissionsmitteilungen zum Thema Auf dem Weg zu einer vertieften und echten Wirtschafts- und Währungsunion, namentlich die Einführung eines Instruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit (1) und die Vorabkoordinierung größerer wirtschaftspolitischer Reformvorhaben (2). Sie sind die Fortführung der Debatte über zwei Fragen, die Gegenstand der Mitteilung Ein Konzept für eine vertiefte und echte Wirtschafts- und Währungsunion: Auftakt für eine europäische Diskussion (3) sind, in der es um die Vervollständigung des Steuerungsrahmens für die wirtschaftspolitische Koordinierung geht. |
1.2 |
Der Ausschuss bedauert, dass die Mitteilungen, die Gegenstand dieser Stellungnahme sind, kaum zusätzliche Details zu den bereits in der Mitteilung COM(2012) 777 umrissenen Konzepten enthalten, was eine Bewertung schwierig macht. |
1.3 |
Der Ausschuss ist darüber besorgt, dass die ohnehin bereits reichliche Palette der wirtschaftspolitischen Steuerungsinstrumente, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt, den Fiskalpakt, den Sechserpack, den Zweierpack, die Europa-2020-Strategie, das Europäische Semester, den Jahreswachstumsbericht, die Warnmechanismus-Berichte (WMB), die nationalen Reformprogramme (NRP), die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme (SKP), die länderspezifischen Empfehlungen, das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, das Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht usw. umfasst, nunmehr an Komplexität zunimmt, wobei der Zusatznutzen relativ gering ausfällt. |
1.4 |
Der Ausschuss räumt ein, dass die beiden vorgeschlagenen Maßnahmen für Mitgliedstaaten in Schwierigkeiten eine Hilfe sein könnten, befürchtet aber gleichzeitig, dass ihre Auswirkungen auf die Ankurbelung von Wachstum und die Wiederherstellung der Kapazitäten der bedürftigsten Gebiete behindert oder verzögert werden könnten, da es ein zentrales Anliegen ist, dass die ergriffenen Maßnahmen auch dem Euro-Währungsgebiet als Ganzem zugutekommen müssen. |
1.5 |
Der Ausschuss bezweifelt, dass die Mitgliedstaaten der Einführung eines neuen Instruments zur Finanzierung des Instruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit zustimmen werden, und ist sich im Unklaren über den Zusatznutzen dieses Instrument gegenüber den bestehenden Strukturfonds. |
1.6 |
Der Ausschuss fragt sich, welchen konkreten Beitrag die vorgeschlagene Vorabkoordinierung zum Europäischen Semester leisten und mit welchem zusätzlichen bürokratischen Aufwand sie einhergehen wird. |
1.7 |
Der Ausschuss ist besorgt, dass die Filter, die bei der Vorabkoordinierung zum Tragen kommen, die in einem Mitgliedstaat eingeleiteten Reformen beeinträchtigen könnten, da sie die relative Wettbewerbsfähigkeit in einem anderen Mitgliedstaat verändern. |
1.8 |
Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Übertragungseffekte über die Finanzmärkte in der Vorabkoordinierung fehl am Platz sind. Alle Anstrengungen sollten vielmehr auf die Schaffung einer Bankenunion gerichtet werden. |
1.9 |
Nach Ansicht des Ausschusses sind Vorschläge für eine Vertiefung der WWU für die Zukunft der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung. Deshalb will der Ausschuss die Debatte fortführen und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Entwicklung weiter fortgeschritten ist, Vorschläge unterbreiten. |
2. Einführung eines Instruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit
2.1 |
Hintergrund: In dieser Mitteilung schlägt die Kommission einvernehmliche vertragliche Vereinbarungen und Solidaritätsmechanismen für jene Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vor, die sich in Schwierigkeiten befinden und die Strukturreformen zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum brauchen, deren Ausbleiben wiederum einen negativen Übertragungseffekt auf andere Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets hätte. Es würde sich hierbei um ein spezielles Finanzhilfesystem handeln, das zunächst über den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und schließlich über einen neuen Fonds/Finanzinstrument auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens finanziert würde. Dies würde die finanziellen Kapazitäten stärken. |
2.2 |
Ohne konkrete Angaben zum vorgeschlagenen Umfang und ohne eine Bewertung der Akzeptanz eines solchen Fonds durch die Mitgliedstaaten ist es für den Ausschuss schwierig, ein Urteil über das vorgeschlagene Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit zu fällen. Der Vorschlag, dass der Fonds zunächst unter den MFR fallen würde, lässt auf einen geringen Umfang und minimale Wirkung schließen. |
2.3 |
Angesichts der überaus zähen Verhandlungen über den MFR 2014-2020 bezweifelt der Ausschuss, dass die Mitgliedstaaten dem Ziel der Einführung eines neuen Finanzinstruments zustimmen werden, mit dem ausgehend vom Bruttoinlandseinkommen die finanziellen Kapazitäten zur Finanzierung des Instruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden sollen. |
2.4 |
Der Ausschuss stimmt zu, dass ein beschleunigender Konvergenzmechanismus, aus dem beide Seiten Nutzen ziehen könnten, von Vorteil wäre, stellt jedoch in Frage, ob es wirklich erforderlich ist, ein neues Instrument einzuführen (das Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit), wo doch unklar ist, welchen Mehrwert dieses im Vergleich zu den bereits bestehenden Strukturfonds bringt (z.B. Kohäsionsfonds oder Europäischer Sozialfonds). |
2.5 |
Der vertragliche Charakter des vorgeschlagenen Instruments scheint sich vom vertraglichen Charakter, den die Zuweisung von Strukturfondsmitteln bereits aufweist, wenig zu unterscheiden. Erforderlich sind einige konkrete Beispiele für in Frage kommende Vorhaben mit Übertragungseffekten sowie dafür, wie sich diese Vorhaben von Vorhaben unterscheiden können, die bereits aus anderen Fonds finanziert werden. Der EWSA ist besorgt, dass unbefriedigende Ergebnisse bei ausgewählten Vorhaben im Rahmen des Instruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit weitere Auswirkungen auf die Finanzierung von Vorhaben haben könnten, die im Rahmen der nationalen Reformprogramme vereinbart wurden. Es ist wichtig, dass dieses vorgeschlagene Instrument einen greifbaren Mehrwert bringt und nicht lediglich in einer zusätzlichen Bürokratie-Ebene resultiert. |
2.6 |
Das Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit ist für den Euroraum gedacht, für dessen reibungsloses Funktionieren mehr wirtschaftliche Konvergenz erforderlich ist. Angesichts des wahrscheinlich geringen Umfangs des Fonds schlägt der Ausschuss vor, das Instrument speziell jenen Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vorzubehalten, die sich in Schwierigkeiten befinden, wobei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden sollte, Vorhaben mit besonders positiven grenzübergreifenden Auswirkungen zu unterstützen. Es sollte insbesondere jenen Ländern zugute kommen, deren wirtschaftliche Ungleichgewichte eine besondere Gefahr für das Funktionieren des Euroraums darstellen. Es ist unklar, warum Mitgliedstaaten mit einem Anpassungsprogramm von dieser Form der Unterstützung ausgeschlossen werden sollen, sind sie doch nachweislich am stärksten auf finanzielle Hilfe angewiesen. |
2.7 |
Wenn das Europäische Semester planmäßig verläuft und die länderspezifischen Empfehlungen Gegenstand nationaler Parlamentsdebatten werden, muss sichergestellt werden, dass eine nationale Regierung, die eine vertragliche Vereinbarung im Rahmen des vorgeschlagenen Instruments für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit unterzeichnet, diese entsprechend der gängigen Praxis des jeweiligen Mitgliedstaates und in Anlehnung an jedes andere Strukturfondsprogramm zuvor im Parlament erörtert. Die Kommission könnte eingeladen werden, an den Debatten teilzunehmen bzw. vor nationalen/lokalen Gremien zu sprechen. Auch die Zivilgesellschaft einschl. der Sozialpartner muss eingebunden werden, wie dies bereits bei anderen gemeinsamen Projekten der EU und der nationalen Regierungen der Fall ist. Für die Einbeziehung der Parlamente und der Zivilgesellschaft einschl. der Sozialpartner muss genügend Zeit eingeplant werden. |
3. Vorabkoordinierung größerer wirtschaftspolitischer Reformvorhaben
3.1 |
Hintergrund: In ihrer Mitteilung erklärt die Kommission, dass die Idee der Vorabkoordinierung größerer wirtschaftspolitischer Reformvorhaben mit dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion eingeführt wurde. Der aktuelle EU-Rahmen für die wirtschaftspolitische Überwachung umfasst ein Verfahren zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik, sieht aber keine strukturierte Voraberörterung und –koordinierung geplanter größerer wirtschaftspolitischer Reformen vor. Die Mitteilung ist ein Beitrag zur Diskussion, die die verschiedenen beteiligten Akteure, insbesondere das Europäische Parlament, die Mitgliedstaaten und die nationalen Parlamente über mögliche Wege der Umsetzung der Vorabkoordinierung führen. |
3.2 |
Nach Auffassung des Ausschusses ist jedwede spürbare Verbesserung der Koordinierung der Wirtschaftspolitik wünschenswert und im Euroraum ein Muss. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Ausschuss die Mitteilung und stellt fest, dass eine Koordinierung der politischen Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten von einer echten wirtschaftspolitischen Steuerung weit entfernt ist. Ein Problem bei der Bewertung der Vorschläge besteht darin, dass in der Mitteilung nicht präzise genug darauf eingegangen wird, was eine „größere wirtschaftspolitische Reform“ ausmacht. Es ist unklar, was als größer, was als kleiner gilt. Die aufgeführten zu erörternden Schlüsselreformen betreffen beinahe alle Aspekte des Binnenmarkts, darunter auch die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. |
3.3 |
Der Ausschuss wirft die Frage auf, inwieweit sich diese neue Initiative zur Koordinierung größerer wirtschaftlicher Reformen in ihrem Wesen von den in den nationalen Reformprogrammen (NRP) und den länderspezifischen Empfehlungen enthaltenen Elementen des Europäischen Semesters unterscheiden wird. Sie muss in dem bereits dicht gepackten Zeitplan des Europäischen Semesters einen greifbaren Zusatznutzen bringen. Mit Blick auf die Transparenz und Einfachheit wäre es zudem wichtig, von einer zusätzlichen Überwachungsebene usw. abzusehen. Nach Auffassung des Ausschusses muss dieser Prozess in das Europäische Semester und die nationalen Reformprogramme eingebettet werden, die wiederum gestärkt werden müssen. Eine Vorabkoordinierung wäre in diesem Zusammenhang möglicherweise ein konkreter gangbarer Weg. |
3.4 |
Der Ausschuss räumt ein, dass es im Rahmen dieses neuen Vorschlags von Vorteil wäre, wenn die Kommission und der Rat, nachdem mit einem Mitgliedstaat ein Einvernehmen über die betreffenden länderspezifischen Empfehlungen erzielt wurde, Änderungen an den Reformvorhaben des Mitgliedstaates anregen könnten, wenn bei einer Umsetzung dieser Vorhaben mit negativen Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Währungsunion oder auf andere Mitgliedstaaten zu rechnen ist. Zur Gewährleistung der demokratischen Legitimität werden im Rahmen des Verfahrens jedoch die nationalen Entscheidungsgewalten respektiert und wird die Entscheidung über das Reformvorhaben letztlich dem betreffenden Mitgliedstaat überlassen. Es muss die Möglichkeit – und genügend Zeit dafür – vorgesehen werden, die nationalen Parlamente und die Zivilgesellschaft einschl. der Sozialpartner an den Konsultationen zu beteiligen. Desgleichen muss sichergestellt werden, dass die letztendliche Entscheidung über die Durchführung der Reformen vom nationalen Parlament getroffen wird. Der Ausschuss hat Bedenken, dass diese der demokratischen Legitimität erwiesene Reverenz nur ein Lippenbekenntnis ist, da im Rahmen des Verfahrens bei einem übermäßigen Ungleichgewicht jederzeit Sanktionen verhängt werden können, wenn der Rat befindet, dass ein Mitgliedstaat der Empfehlung zur Durchführung einer Korrekturmaßnahme nicht nachgekommen ist. |
3.5 |
Ziel der Vorabkoordinierung ist es, die positiven Übertragungseffekte größerer wirtschaftspolitischer Reformvorhaben von einem Mitgliedstaaten auf den anderen zu maximieren und die negativen zu minimieren. Es werden drei Filter vorgeschlagen, die sich auf die drei wichtigsten Kanäle für Übertragungseffekte stützen. Sie geben dem Ausschuss einen gewissen Grund zur Sorge. |
3.6 |
Der erste Filter ist Handel und Wettbewerbsfähigkeit. Wenn ein Mitgliedstaat erfolgreiche Reformmaßnahmen zur Verbesserung seiner eigenen Wettbewerbsstellung durchführt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Verbesserung anderen Mitgliedstaaten zum Nachteil gereicht. In der Mitteilung muss ausführlich dargelegt werden, unter welchen Bedingungen die Kommission eingreifen würde, um einen Mitgliedstaat von der Durchführung derartiger Maßnahmen abzubringen. Und wäre dies nur ein unilateraler Ansatz? Würde die Kommission Empfehlungen an einen Mitgliedstaat richten, der in der Vergangenheit Maßnahmen zur Stärkung seiner Wettbewerbsfähigkeit ergriffen hatte, die nun zu erheblichen, für den Euroraum nachteiligen, Überschüssen führen? |
3.7 |
Der zweite Filter betrifft die Übertragungseffekte über die Finanzmärkte und ist nach Auffassung des Ausschusses fehl am Platz. Es wäre weitaus wirksamer, wenn alle verfügbaren Ressourcen in die planmäßige Einrichtung einer funktionsfähigen Bankenunion fließen würden. |
3.8 |
Der dritte Filter, die wirtschaftspolitischen Erwägungen und „Reformwiderstände im Inland“, bedarf einer Klärung. Das erwartete „voneinander Lernen“ und der „Austausch bewährter Praktiken“ sind zwar an sich sehr nützlich, könnten sich möglicherweise aber als ebenso ineffektiv erweisen wie die Lissabon-Agenda. |
3.9 |
Nach Auffassung des Ausschusses müssen für den Vorschlag, dass die unter die Vorabkoordinierung fallenden Reformen auch Bereiche umfassen sollen, für die die EU nicht zuständig ist, überzeugendere Argumente ins Feld geführt werden. Das zur Verteidigung angeführte Argument, dass die Entscheidung letztlich voll und ganz dem betreffenden Mitgliedstaat überlassen wird, ist vor dem Hintergrund der vorgenannten Verfahren bei einem übermäßigen Ungleichgewicht haltlos. |
3.10 |
Im Rahmen der Vorabkoordinierung sollte auch eine soziale Dimension zum Tragen kommen, die insbesondere auf die Auswirkungen der größeren wirtschaftspolitischen Reformen auf die Arbeitslosigkeit auszurichten ist. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) COM(2013) 165 final.
(2) COM(2013) 166 final.
(3) COM(2012) 777 final.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/48 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Ein umfassender europäischer Rahmen für das Online-Glücksspiel“
COM(2012) 596 final
2013/C 271/09
Berichterstatterin: Daniela RONDINELLI
Die Europäische Kommission beschloss am 19. Dezember 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein umfassender europäischer Rahmen für das Online-Glücksspiel
COM(2012) 596 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 122 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der EWSA bestätigt und bekräftigt die in seiner Stellungnahme (1) zum Grünbuch über Online-Glücksspiele im Binnenmarkt (2) bekundete Sichtweise und bedauert, dass die Kommission die darin enthaltenen Schlussfolgerungen nur teilweise berücksichtigt hat. Er unterstreicht insbesondere, dass die Bekämpfung des illegalen Glücksspiels, der größten Bedrohung hinsichtlich des Verbraucherschutzes, in der Mitteilung nicht als Priorität behandelt wird. |
1.2 |
Der EWSA fordert die Kommission auf, die Schaffung und den Schutz von Arbeitsplätzen in der Branche die Qualität dieser Arbeitsplätze sowie die möglichen Verluste von Arbeitsplätzen im Bereich der Nicht-Online-Glücksspiele zugunsten des Bereichs der Online-Glücksspiele als vorrangige Fragen zu betrachten, die in der Mitteilung beantwortet werden sollten |
1.3 |
Die Glücksspielbranche trägt zur Erhöhung der Steuereinnahmen der Mitgliedstaaten bei. Die Finanzierung gemeinnütziger Zwecke durch nationale Lotterien und Spielbanken gewährleistet die Unterstützung wohltätiger, sozialer und sportlicher Aktivitäten, die Förderung des Tourismus und den Schutz des kulturellen, künstlerischen und archäologischen Erbes. Der EWSA ist der Ansicht, dass das gesamte Handeln der EU im Bereich des Glücksspiels auf ein europäisches Sozialmodell ausgerichtet sein sollte, das die Bürger in die Lage versetzt, sich auf gesunde und ausgewogene Weise zu vergnügen. |
1.4 |
Der EWSA ist äußerst besorgt über die großen Risiken, die das Glücksspiel für die öffentliche Gesundheit mit sich bringt. In dieser Hinsicht bekräftigt er seine Forderung an die Kommission, Sucht- und Krankheitsphänomene im Zusammenhang mit dem Online-Glücksspiel im gesamten Unionsgebiet zu erforschen und zu überwachen, und empfiehlt den Mitgliedstaaten einen Teil der Steuereinnahmen für die Finanzierung von Sensibilisierungskampagnen, Präventivmaßnahmen und die therapeutische Behandlung von Spielsucht zu verwenden. |
1.5 |
Der EWSA begrüßt die Entscheidung der Kommission, die Verwaltungszusammenarbeit und den Austausch von Informationen, Erfahrungen und bewährten Methoden zwischen Mitgliedstaaten und Regulierungsbehörden zu verbessern. |
1.6 |
Der EWSA teilt die Ansicht der Kommission, dass jeder Mitgliedstaat über eine eigene Regulierungsbehörde verfügen sollte, die mit klaren Kompetenzen ausgestattet ist und eine enge Zusammenarbeit mit den entsprechenden Stellen der anderen Mitgliedstaaten gewährleistet. |
1.7 |
Der EWSA hält es für unabdingbar, ein Gleichgewicht zwischen dem hochtechnologischen und damit grenzüberschreitenden Charakter der Branche und den Risiken im Zusammenhang mit der öffentlichen und sozialen Ordnung, der Legalität, der Transparenz und der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger durch verbindlichere Initiativem als die von der Kommission vorgeschlagenen Empfehlungen anzustreben. |
1.8 |
Der EWSA stellt fest, dass ein branchenspezifischer EU-Rechtsakt über Online-Glücksspiele derzeit nicht in Erwägung gezogen werden kann. Er unterstützt zwar die Vorschläge der Kommission für Initiativen für eine effektive Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, ist aber der Ansicht, dass in einigen Bereichen mit geteilter Zuständigkeit wirksamere Rechtsinstrumente – vorzugsweise Richtlinien – eingesetzt werden sollten, um die Verbraucher und die am stärksten gefährdeten Gruppen zu schützen sowie gegen illegale Veranstalter und Geldwäsche vorzugehen. Auf diese Weise würde ein Mindestsockel von Verbraucherschutzstandards geschaffen. Die Mitgliedstaaten müssen weiterhin das Recht haben, falls sie dies wünschen, für ihren nationalen Markt höhere Verbraucherschutzstandards festzulegen oder bereits bestehende günstigere Standards anzuwenden (3). Der EWSA fordert deshalb die Kommission, das Europäische Parlament und den Rat auf, im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip in folgenden Bereichen tätig zu werden:
|
1.9 |
Der EWSA begrüßt, dass die Kommission seiner Forderung nachgekommen ist, den Geltungsbereich der Richtlinie zur Bekämpfung der Geldwäsche auf alle Formen des Glücksspiels auszuweiten (4). |
1.10 |
Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, die Möglichkeiten zu prüfen, die durch die Verordnung über die Nutzung des IMI (5) eröffnet werden, und hofft, dass dies dazu dienen wird, die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den nationalen Regulierungsbehörden und den Datenaustausch zwischen den zuständigen einzelstaatlichen und europäischen Stellen zu verbessern. |
1.11 |
Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, die Möglichkeit des Austauschs personenbezogener Daten zwischen den Mitgliedstaaten zu prüfen, denn der Austausch der von den Veranstaltern gespeicherten großen Datenmengen wird den Abgleich mit anderen Daten ermöglichen und so die Kontrollen durch die zuständigen Behörden erleichtern. |
1.12 |
Der EWSA hält es für wesentlich, dass die Mitgliedstaaten in Absprache mit den Regulierungsbehörden Sensibilisierungs- und Informationskampagnen für die Verbraucher auf den Weg bringen, um die Nachfrage auf legale Online-Glücksspiele zu lenken. Dies sollte durch Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Veranstalter ergänzt werden, wie etwa durch die Veröffentlichung von den Regulierungsbehörden erstellten Negativ- und/oder Positivlisten, die es den Verbrauchern ermöglichen, zugelassene und illegale Websites – anhand des auf der Startseite (Homepage) des Glücksspielveranstalters angebrachten Logos der nationalen Regulierungsbehörde – und illegale Websites besser zu erkennen. |
1.13 |
Im Interesse des Verbraucherschutzes fordert der EWSA, dass die für Online-Glücksspiele genutzten Computerprogramme eine gemeinsame EU-Mindestzertifizierung aufweisen sollten, die von externen Fachstellen anhand einheitlicher Parameter und Standards vergeben werden. Außerdem ersucht er die Kommission, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten einen europäischen Mindeststandard für Online-Glücksspielplattformen festzulegen, und ruft die Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Daten der Spieler zu schützen und nur die Bezahlverfahren zuzulassen, die die besten Garantien in puncto Sicherheit und Rückverfolgbarkeit von Transaktionen im Zusammenhang mit Online-Glücksspielen bieten. |
1.14 |
Der EWSA begrüßt nachdrücklich die Initiative der Kommission zur Einsetzung einer Sachverständigengruppe zum Online-Glücksspiel für den Austausch von Erfahrungen und bewährten Methoden im Bereich der Cyberkriminalität. Auch wenn sie sich noch im Anfangsstadium befindet, ist dieses Gremium ein nützliches Instrument für eine effiziente Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Der EWSA hofft, dass diese Gruppe über ihren jetzigen informellen Charakter hinaus zu einer Instanz mit klaren Befugnissen und Aufgaben ausgebaut wird. |
1.15 |
Der EWSA stimmt der Kommission zu, dass die Mitgliedstaaten eine angemessene Weiterbildung von Richtern zu Themen im Zusammenhang mit Betrug und Geldwäsche in Verbindung mit Glücksspielen fördern sollten. |
1.16 |
Der EWSA fordert die Kommission dazu auf, die Regelungen für die in der Mitteilung genannten Aktionsbereiche im Lichte der Entwicklungen in Bezug auf die Umsetzung der Regelungen seitens der Mitgliedstaaten, die von ihnen ergriffenen Maßnahmen und die auf einzelstaatlicher Ebene erreichten Ergebnisse zu aktualisieren und zu überarbeiten. |
1.17 |
Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, die Kommission damit zu beauftragen, den Entwurf eines internationalen Übereinkommens für den Schutz und die Förderung der Integrität des Sports aktiv zu unterstützen und sich an den diesbezüglichen Verhandlungen im Europarat zu beteiligen. |
2. Einleitung
2.1 |
In der Mitteilung geht es sowohl um die Notwendigkeit der Einhaltung der europäischen Rechtsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr als auch um den Schutz bestimmter Bevölkerungsgruppen. |
2.2 |
Der Einsatz von IT-Instrumenten mit unmittelbarem Netzzugang hat eine starke und rasche Zunahme der Online-Glücksspiele ermöglicht. 2011 lagen die Gesamteinnahmen aus Online-Glücksspielen in den 27 EU-Mitgliedstaaten bei 9,3 Mrd. EUR, was einem Anteil von 10,9 % am europäischen Glücksspielmarkt entspricht. Es wird angenommen, dass die Einnahmen bis zum Jahr 2015 auf 13 Mrd. EUR steigen. |
2.3 |
Über das Internet können europäische Bürger in ihrem Wohnsitzstaat die Dienstleistungen in Anspruch nehmen bzw. mit diesen konfrontiert werden, die von einem oder mehr Veranstaltern mit einer Lizenz in einem anderen Land – Mitgliedstaat oder Drittstaat – illegal angeboten werden. Diese Situation, die eine extraterritoriale und internationale Dimension aufweist, kann nicht von einem einzigen Staat angegangen werden, sondern erfordert einen integrierten Ansatz und eine stärkere Zusammenarbeit. Zum Schutz von Bürgern und Verbrauchern ist eine gemeinsame Definition des „illegalen Glückspiels“ von wesentlicher Bedeutung. Es ist zu betonen, dass das ungenehmigte Anbieten von Glücksspielen im Wohnsitzstaat eines Spielers oder das Anbieten von Glücksspielen ohne Besitz der erforderlichen nationalen Lizenz illegal ist: Dies gilt sowohl für die Veranstalter, die in der EU-Mitgliedstaat niedergelassen sind oder eine Lizenz haben, als auch für die Veranstalter aus Drittstaaten (6). Darüber hinaus ist ein Veranstalter illegal, wenn er vollkommen unkontrolliert und unreguliert ist. |
2.4 |
Bezüglich der Unterscheidung zwischen einem „ungenehmigten“ und „illegalen Veranstalter“ wird auf die Fußnote 15 in der Kommissionsmitteilung hingewiesen. |
2.5 |
Der EWSA begrüßt den Beschluss der Kommission, eine Sachverständigengruppe zum Glücksspiel einzusetzen für den Austausch von Erfahrungen und Methoden zwischen den Mitgliedstaaten, die Untersuchung von Problemen infolge des unrechtmäßigen und illegalen Einsatzes von Glücksspielen, die einschlägige und aktuelle Weiterbildung von Richtern, bessere Verbraucherinformation und die Ausweitung des legalen Angebots. |
2.6 |
Diese Maßnahmen sind ein erster nützlicher Schritt zu Bekämpfung der Veranstalter, die illegal handeln und damit Betrug, Verbrecher und Geldwäsche Vorschub leisten. |
3. Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments
3.1 |
In der Mitteilung werden die Vielfältigkeit der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften herausgestellt und Vorschläge für vorrangige Interventionen auf Mitgliedstaats- und Unionsebene sowie für Kooperationen zwischen den Mitgliedstaaten unterbreitet, einschließlich möglicher Maßnahmen und Empfehlungen, die nicht zuletzt die Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen der Mitgliedstaaten betreffen. |
3.2 |
Das vornehmliche Ziel besteht darin, die Einhaltung und Anwendung der europäischen Vorschriften im Rahmen des nationalen Rechts durch direkte Maßnahmen und Empfehlungen an die Mitgliedstaaten sicherzustellen. Zu diesem Zweck wird die Kommission
|
3.3 |
Die Kommission ist der Auffassung, dass es im Interesse der Mitgliedstaaten liegt, eine wirksame Politik zur Bekämpfung von Betrug und Geldwäsche und zum Schutz der Integrität des Sports vor Spiel-, Veranstaltungs- und Wettkampfabsprachen zu verfolgen, u.a. durch den Erfahrungsaustausch im Bereich der Cyberkriminalität. |
4. Bemerkungen
4.1 Vereinbarkeit der nationalen Regulierungsrahmen mit dem EU-Recht
4.1.1 |
Der EWSA unterstreicht zunächst seine große Besorgnis angesichts der Ausbreitung des Online-Glücksspiels und die exponentielle Zunahme des Glückspielangebots. Davon sind immer breitete Bevölkerungsschichten betroffen – mit entsprechenden gravierenden Folgen für das Familieneinkommen. Deshalb sollten die unterschiedlichen Formen der Werbung – vor allem im Fernsehen, im Internet oder auf/in öffentlichen Verkehrsmitteln – wirksam eingedämmt werden. |
4.1.2 |
Bei der Bereitstellung und Nutzung grenzüberschreitender Glücksspielangebote handelt es sich um eine wirtschaftliche Tätigkeit, die in den Geltungsbereich der im Binnenmarkt vorgesehenen Freizügigkeit fällt (Artikel 56 AEUV). Artikel 52 Absatz 1 AEUV erlaubt allerdings Beschränkungen des in Artikel 56 verankerten freien Dienstleistungsverkehrs aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit. |
4.1.3 |
Der EWSA weist darauf hin, dass es vornehmlich den Mitgliedstaaten obliegt, Glücksspiele auf ihrem Staatsgebiet zu regeln und zu regulieren. Glücksspiele sind für die Verbraucher potenziell sehr gefährlich und in gleichem Maße dazu angetan, zu kriminellen Zwecken verwendet zu werden, z.B. zur Geldwäsche, wenn sie nicht ordnungsgemäß reglementiert sind oder die Vorschriften nicht konsequent angewandt werden. Auch wenn Glücksspiele in den Geltungsbereich des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß Artikel 49 EG (7) fallen, schließen vor diesem Hintergrund die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtvorschriften derzeit die Möglichkeit eines EU-Rechtsakts für Online-Glücksspiele aus. Der EWSA unterstützt zwar die Vorschläge der Kommission für Initiativen für eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, ist aber der Ansicht, dass in einigen Bereichen (siehe Ziffer 1.8) effizientere Rechtsinstrumente – vorzugsweise Richtlinien – eingesetzt werden sollten, um die Verbraucher und die am stärksten gefährdeten Gruppen zu schützen sowie gegen illegale Veranstalter und Geldwäsche vorzugehen. |
4.1.4 |
Gemäß der umfangreichenständigen Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs können Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen gerechtfertigt sein (8). Die Mitgliedstaaten können aus Gründen des Schutzes von Zielen des öffentlichen Interesses in Zusammenhang mit Glücksspielen die grenzüberschreitende Erbringung aller oder bestimmter Arten von Online-Glücksspieldienstleistungen einschränken oder begrenzen (9). |
4.1.5 |
Glücksspieldienstleistungen sind nicht Gegenstand einheitlicher Regelungen in der EU, und die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften unterscheiden sich aufgrund der kulturellen, sozialen und historischen Merkmale der einzelnen Länder in erheblichem Maße voneinander. Einige Staaten verbieten Online-Glücksspiele, andere erlauben nur einige Spiele, wieder andere haben ein Monopolsystem, das ausschließlich von einem öffentlichen oder privaten Veranstalter betrieben wird. In Ermangelung aktueller Daten über die unterschiedliche Situation auf nationaler Ebene (10) fordert der EWSA die Kommission auf, eine Bestandsaufnahme (Kartierung) bezüglich der Mitgliedstaaten vorzunehmen. |
4.1.6 |
Wie der Gerichtshof in seiner Rechtssprechung klargestellt hat, können Mitgliedstaaten, die sich für die kontrollierte Liberalisierung der Branche entscheiden, nach behördlicher Genehmigung rechtmäßig ein Lizenzsystem einrichten, das auf objektiven, transparenten und hinsichtlich der Staatsangehörigkeit nicht diskriminierenden Kriterien beruht (11). |
4.1.7 |
Die Tatsache, dass es im Falle des Online-Glücksspiels eine unmittelbare Beziehung zwischen Verbrauchern und Veranstaltern gibt, erhöht das Risiko des Betrugs durch die Veranstalter zulasten der Verbraucher (12). Insofern ist die Verfügbarkeit eines illegalen und damit unkontrollierten Glückspielangebots eine ernste Bedrohung für die Verbraucher. Folglich ist die rigorose Umsetzung der Maßnahmen gegen illegale Veranstalter durch die Mitgliedstaaten die grundlegende Gewähr und das beste Instrument für den Schutz der Verbraucher. |
4.1.8 |
Es steht den Mitgliedstaaten frei, die Ziele ihrer Glücksspielpolitik und das Schutzniveau festzulegen. Die Beschränkungen, die sie auferlegen, müssen jedoch die in den Urteilen des EuGH definierten Bedingungen erfüllen sowie verhältnismäßig, nicht diskriminierend und Teil einer Politik sein, die systematisch und konsequent umgesetzt wird. |
4.1.9 |
Da die Rechtsvorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten variieren und ein EU-Rechtsakt im Bereich des Online-Glücksspiels zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich ist, sollten die Rechtsvorschriften harmonisiert und den Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung der geltenden Rechtsvorschriften geholfen werden, um eine größere Rechtssicherheit im Bereich des Schutzes von Verbrauchern, Minderjährigen und gefährdeten Gruppen, der Werbung und der Bekämpfung der Geldwäsche zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten sollten dazu angehalten werden, bewährte Methoden zur Bekämpfung illegaler Veranstalter auszutauschen. |
4.1.10 |
Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip muss die EU tätig werden, wenn ihr Handeln zu einer Verbesserung führt und hinsichtlich der Regelungssysteme der Mitgliedstaaten einen Mehrwert erbringt. Angesichts der Besonderheiten der Branche und der Veränderungen infolge der Internet-Nutzung ist der EWSA der Ansicht, dass die EU in Form einer dauerhaften Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Förderung bewährter Methoden zur Bekämpfung illegaler Veranstalter (die grenzüberschreitende Maßnahmen erforderlich macht) tätig werden sollte. |
4.2 Verwaltungszusammenarbeit und wirksame Durchsetzung der Rechtsvorschriften
4.2.1 |
Die EU muss die Kontrolle, die Verwaltungszusammenarbeit und die tatsächliche Durchsetzung der Rechtsvorschriften über Online-Glücksspiele verstärken, während die Mitgliedstaaten zusammenarbeiten müssen, um dieses Ziel zu erreichen. |
4.2.2 |
Es ist wichtig, dass die von den Veranstaltern erfassten personenbezogenen Daten zur Verfügung gestellt und ausgetauscht werden, um Kontrollen – unter Gewährleistung des Datenschutzes – zu begünstigen. Die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Staaten sollte durch den Austausch allgemeiner Informationen und die Verwendung bewährter Methoden angeregt werden, um so den Austausch von Kenntnissen und Erfahrungen zu fördern sowie eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens und Interesses zu schaffen. |
4.2.3 |
Die Zertifizierung von Online-Glücksspielplattformen dient der Überwachung des Glücksspielmarkts. Es ist wichtig, auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten hinzuwirken und in jedem Mitgliedstaat eine Regulierungsbehörde für Online-Glücksspiele mit genau abgesteckten Zuständigkeiten einzurichten, die eine enge Koordinierung auf EU-Ebene gewährleistet. |
4.2.4 |
Es bedarf einer Bewertung der Kohärenz der nationalen Maßnahmen mit den Rechtsvorschriften und Gerichtsurteilen der EU sowie der Transparenz und Diskriminierungsfreiheit der Regelungen für die Lizenzverteilung, Im Falle der Nichteinhaltung sollten Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden. |
4.2.5 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass die von den Mitgliedstaaten bisher ergriffenen präventiven und repressiven Maßnahmen zur Bekämpfung der Online-Glücksspiele, die von Veranstaltern ohne Lizenz – d.h. illegalen Veranstaltern – und ohne Genehmigung für Geschäftstätigkeiten in anderen Mitgliedstaaten angeboten werden, nicht ausreichen, um dem Phänomen Einhalt zu gebieten. Er empfiehlt daher, einen nationalen Regulierungsrahmen von Grundsätzen festzulegen, der die Legalität und Transparenz der Websites gewährleistet und folgendes vorsieht: die Ermittlung illegaler Websites und ihre Aufnahme in eine Negativliste; die Ermittlung von Websites, die entsprechend den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats genehmigt sind, und ihre Aufnahme in eine Positivliste; die Sperrung, Abschaltung, Beschlagnahmung oder Entfernung illegaler Websites (13); die Unterbrechung der Finanzströme von und zu diesen Websites; das Verbot der kommerziellen Kommunikation und der Werbung für illegale Glücksspiele. |
4.3 Verbraucher
4.3.1 |
Der EWSA bedauert, dass in der Mitteilung nicht auf seine Forderung an die Kommission und die Mitgliedstaaten eingegangen wird, einschneidende Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um wirksam gegen illegale Veranstalter vorzugehen, die die größte Bedrohung für die Verbraucher darstellen. Er wiederholt deshalb seine Forderung, schnellstmöglich effektive Maßnahmen zur Anwendung bewährter Methoden im Bereich der Prävention und Bekämpfung des illegalen Glücksspiels zu ergreifen. |
4.3.2 |
Die Kommission plant die Vorlage einer Empfehlung bezüglich des Verbraucherschutzes und der verantwortungsvollen Glücksspielwerbung im Jahr 2013 und nennt vier Bereiche, in denen gehandelt werden soll, um: Verbraucher von nicht regulierten und potenziell schädlichen Angeboten fernzuhalten, Minderjährige vor dem Zugang zu entsprechenden Websites zu schützen, andere gefährdete Gruppen zu schützen und der Entwicklung von Störungen in Zusammenhang mit Glücksspielen vorzubeugen. Der EWSA fordert die Kommission auf, nach einer in jedem Mitgliedstaat durchgeführten Beurteilung der für die Verbraucher gefährlichsten Glücksspieltypen in diese Empfehlung bewährte Methoden zur Prävention und Bekämpfung illegaler Glücksspiele aufzunehmen. |
4.3.3 |
Der EWSA begrüßt die Aufmerksamkeit, die in der Mitteilung dem Schutz der Verbraucher und besonders gefährdeten Personen im Zusammenhang mit Werbung und krankhaftem Spielverhalten geschenkt wird. In dieser Hinsicht unterstreicht er, dass Maßnahmen mit hohem Schutzniveau erforderlich sind, und stellt fest, dass die vorgesehenen Instrumente zu verhalten sind und deshalb durch verbindlichere ersetzt werden sollten. Tatsächlich ist das naturgemäß unkontrollierbare und gefährliche Anbieten illegaler Glücksspiele die größte Bedrohung für die Verbraucher. Daher ist es notwendig, dass in jedem Mitgliedstaat solide Maßnahmen gegen illegale Veranstalter ergriffen werden, die die nationalen Gesetze missachten, welche ja die vornehmlichste und beste Garantie für den Verbraucherschutz sind. |
4.3.4 |
Das Handeln der Kommission sollte hauptsächlich zum Ziel haben sicherzustellen, dass Mitgliedstaaten ihre Befugnisse und Aufgaben umfassend wahrnehmen, indem sie für alle Veranstalter, die eine Genehmigung zur Erbringung dieser Art von Dienstleistung haben, einen unionsweiten Rechtsrahmen festlegt, mit dem bezweckt wird, problematische Formen des Glücksspiels zu vermeiden, Altersgrenzen für den Zugang zu sämtlichen Glückspielen einzuführen sowie Glücksspiele auf Kredit – für die gefährlichsten Typen von Glücksspielen und Wetten (Online-Kasinos, spread betting [Differenzwetten], betting exchange) – und an Minderjährige und gefährdete Gruppen gerichtete Werbung zu verbieten. |
4.3.5 |
Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten dazu auf, auf ihrem Hoheitsgebiet wirksam und mit Nachdruck gegen illegale Glücksspielangebote vorzugehen. Die Mitgliedstaaten sollten Maßnahmen ergreifen wie etwa die Erstellung von Negativlisten, die Sperrung illegaler Websites, die Festlegung von Sicherheit und Rückverfolgbarkeit gewährleistenden Bezahlsystemen, die Blockierung von Finanzoperationen sowie das absolute Verbot illegaler Werbung. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass für die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Veranstalter vor allem ein gemeinsames Vorgehen erforderlich ist. |
4.3.6 |
In jedem Mitgliedstaat sollte eine Regulierungsbehörde eingerichtet werden, die über spezifische Befugnisse im Bereich der Überwachung und Gewährleistung der Umsetzung der europäischen und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über den Verbraucherschutz und die Bekämpfung des illegalen Glücksspiels verfügt. Das Bestehen nationaler Regulierungsbehörden ist eine Voraussetzung für eine wirksame Koordinierung und Zusammenarbeit auf Verwaltungsebene. Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass dies im Rahmen ihrer – entsprechend den nationalen Besonderheiten und Rechtsrahmen konzipierten – Regulierungssysteme machbar ist. Der EWSA ist der Auffassung, dass jeder Mitgliedstaat seine Regulierungsbehörde damit beauftragen sollte, Kriterien für die Erteilung von Lizenzen auf seinem eigenen Markt festzulegen. |
4.3.7 |
Die europäischen Verbraucher müssen befähigt werden, in jedem Mitgliedstaat zwischen illegalen und legalen Websites zu unterscheiden, auch damit sie Klagen einreichen können. Zu diesem Zweck sollte nach Auffassung des EWSA jeder Mitgliedstaat von allen genehmigten Online-Glücksspielveranstaltern verlangen, dass auf ihren Websites zwei Elemente deutlich und dauerhaft zu sehen sind: die Genehmigungsnummer und ein Gütezeichen, das von der nationalen Regulierungsbehörde vergeben wird und das anzeigt, dass der Veranstalter in diesem Mitgliedstaat eine Lizenz besitzt. |
4.3.8 |
Der EWSA fordert größtmögliche rechtliche Garantien zum Schutz von Minderjährigen, die geeignete Instrumente für Alterskontrollen vorsehen und eine wirksame Überwachung durch die Veranstalter sicherstellen. Eltern sollten über die Risiken der Internet-Nutzung und die Verwendung privater Filterprogramme aufgeklärt werden. Es bedarf angemessener Garantien zum Schutz gefährdeter Personen, die viel Zeit zu Hause verbringen: Rentner, Hausfrauen und Arbeitslose. |
4.3.9 |
Die derzeitige Krise veranlasst immer mehr Leute, Online-Glücksspiele zu spielen, in der Illusion, ihre finanziellen Schwierigkeiten mit leichten Gewinnen lösen zu können, was aber große Risiken für das seelische Gleichgewicht mit sich bringt, da es Sucht und obssessiv-zwanghaftem Verhalten auslösen kann. Um solchen Störungen entgegenzuwirken, empfiehlt der EWSA, einen Teil der Steuereinnahmen aus Glücksspielen für Sensibilisierungskampagnen und für Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung von krankhaftem Spielverhalten vorzusehen. |
4.3.10 |
Der Ausschuss begrüßt die Absicht der Kommission zur Vorlage einer Empfehlung – auch wenn er ein effektiveres und verbindlicheres Instrument bevorzugen würde – für die verantwortungsvolle Glücksspielwerbung in Ergänzung der Richtlinie über unlautere Handelspraktiken, um korrekte Verbraucherinformationen sicherzustellen. Der EWSA unterstreicht, dass das Handeln in diesem Bereich auch Maßnahmen gegen illegale Veranstalter einschließen sollte, z.B. das Verbot der Werbung von Veranstaltern, die ohne Lizenz der nationalen Regulierungsbehörde des Wohnsitzlands des Verbrauchers Dienstleistungen erbringen. |
4.3.11 |
Es muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Erfordernis eines kontrollierten Wachstums der genehmigten Glücksspiele – um Glücksspieldienstleistungen durch legale Kanäle für die Öffentlichkeit attraktiv zu machen – und der Notwendigkeit, die Glücksspielsucht weitmöglichst zurückzudrängen, gefunden werden. |
4.3.12 |
Werbung sollte verantwortungsvoller sein und stärker reguliert werden, vor allem um Minderjährige zu schützen, und zwar nicht nur weil sie für die Gesundheit (insbesondere die psychische) besonders gefährlich ist, sondern auch weil sie insofern realitätsverzerrend und irreführend ist, als sie die Öffentlichkeit glauben macht, dass das Spielen von Online-Glücksspielen „normal“ ist, und weil sie damit ein ungesundes Sozialverhalten begünstigt. |
4.3.13 |
Trotz des Projekts Alice Rap (14) stellt der EWSA fest, dass noch immer keine verlässlichen Daten über das Ausmaß und die Bandbreite der Störungen im Zusammenhang mit Glücksspielen zur Verfügung stehen. Er weist darauf hin, dass eine kontinuierliche und konstante Überwachung der einschlägigen Sucht- und Krankheitsphänomene erforderlich ist, um zufriedenstellende Daten zu erhalten, die es dem Gesetzgeber auf nationaler und EU-Ebene ermöglichen, effektive und gezielte Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung dieses Problems zu ergreifen. |
4.4 Vorbeugung gegen Betrug und Geldwäsche
4.4.1 |
Die Probleme bei der Ermittlung derjenigen, die Online-Glückspiele betreiben und die entweder große Verluste oder große Gewinne verbuchen und somit Geldwäscheaktivitäten kaschieren könnten, sollten durch die präventive Ermittlung von Personen und durch die Eröffnung spezifischer Glücksspielkonten für einzelne Spieler angegangen werden. |
4.4.2 |
Identitätsdiebstahl ist ein weitreichendes Problem, das nicht nur im Zusammenhang mit Online-Glücksspielen steht, sondern auch mit dem gesamten Datenverarbeitungs- und Datenaustauschsystem im Bereich Internet und Telematik. |
4.4.3 |
Zufallsgeneratoren (random number generators) müssen strengstens zertifiziert werden, damit sie dem Grundsatz der Nichtvorhersehbarkeit entsprechen und gleichzeitig die Gewissheit bieten, dass die verifizierte Veranstaltung die einzig mögliche ist und dass Manipulation ausgeschlossen ist. Das würde den Schutz der Spieler und die Einhaltung der von den Mitgliedstaaten festgelegten Standards in Bezug auf die Gewinnchancen ermöglichen. |
4.4.4 |
Um die Software für Online-Glücksspiele sicherer zu machen, schlägt der EWSA eine gemeinsame EU-Mindestzertifizierung vor, die von identische Parameter und Standards zugrunde legenden externen Fachstellen vergeben wird, um u.a. illegale Offshore-Glücksspiele zu ermitteln und zu verhindern. |
4.4.5 |
Eine Möglichkeit zum Schutz des Zugangs zu Glücksspielen ist die Ermittlung der IP-Adressen (Internet Protocol Addresses). Tatsächlich ist es technisch möglich, die Aktivität von Personen, die sich Zugang zu einem Glücksspielsystem eines Staats mittels IP-Systemen anderer Länder verschaffen, zu blockieren. |
4.4.6 |
Da Online-Glücksspiele für Probleme der Geldwäsche und des Betrugs anfällig sind, sollten die von den Veranstaltern gespeicherten großen Informations- und Datenmengen den Ordnungsbehörden zur Verfügung gestellt werden, damit sie mit anderen Daten abgeglichen und Kontrollen erleichtern können. |
4.5 Sport- und Wettkampfabsprachen
4.5.1 |
Bei Absprachen im Zusammenhang mit Sportwettkämpfen und -veranstaltungen handelt es sich um eine besondere Form des Betrugs, die den Interessen von Verbänden, Fans, Verbrauchern und legalen Glücksspielveranstaltern entgegensteht. |
4.5.2 |
Die Kommission stimmt dem Auffassung des EWSA zu, dass es notwendig ist, einen Rahmen zur Koordinierung der Anstrengungen aller Interessenträger festzulegen, um das Problem umfassend anzugehen und doppelten Mittelaufwand zu vermeiden. Sie unterstreicht die Notwendigkeit für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Wettanbietern, Sportorganisationen und den zuständigen Behörden, einschließlich der Glückspielregulierungsbehörden, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. |
4.5.3 |
Der EWSA wiederholt seinen Vorschlag, ein System einzurichten, das nicht auf die Sammlung von Erklärungen, in denen Zweifel an einer bestimmten Sportveranstaltung geäußert werden, beschränkt ist, sondern auch Präventiv-, Bildungs- und Zwangsmaßnahmen umfasst, um das Phänomen wirksam zu bekämpfen. |
4.5.4 |
Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, bis 2014 eine Empfehlung zu bewährten Methoden bei der Prävention und Bekämpfung von Spielabsprachen in Zusammenhang mit Wetten vorzulegen, auch wenn er das gewählte Rechtsinstrument für unzureichend hält. Spielabsprachen verstoßen gegen den Grundsatz der Fairness von Sportwettkämpfen und stellen in allen Mitgliedstaaten einen Straftatbestand dar. Dennoch haben in diesem Bereich die illegalen oder mutmaßlich illegalen Aktivitäten zugenommen. Um Spielabsprachen zu bekämpfen, muss mittels Instrumenten, Kompetenzen und Ressourcen der Mitgliedstaaten, die in Absprache untereinander und mit der EU eingesetzt werden, entschiedener vorgegangen werden. |
4.5.5 |
Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, dazu auf, Korruption im Sport, Spielabsprachen und die Manipulation von Sportergebnissen als Vergehen zu betrachten, die als solche strafbar sind, und ersucht die Kommission, sich mit den Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Definition dieser Straftatbestände zu einigen. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 85.
(2) COM(2011) 128 final.
(3) Vgl. ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 85 (Schlussfolgerungen: Ziffer 1.3 und 1.6).
(4) COM(2013) 45 final.
(5) Binnenmarkt-Informationssystem.
(6) Gemäß den Schlussfolgerungen des spanischen Ratsvorsitzes vom 11. Mai 2010 (9495/10) sind Online-Glücksspiele illegal, wenn sie ohne Lizenz oder unter Missachtung der Gesetze des betreffenden Landes angeboten werden, weshalb die Online-Glücksspielveranstalter die geltenden Gesetze der Mitgliedstaaten einhalten müssen, in denen sie ihre Geschäftstätigkeit ausüben.
(7) Urteil vom 19.7.2012 in der Rechtssache C-470/11, SIA Garkalns (unveröffentlicht), Ziffer 24, und vom 8.9.2010 in der Rechtssache C-316/07, von C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07, Stoß und andere.
(8) Urteil vom 19.7.2012 in der Rechtssache C-470/11, SIA Garkalns, Ziffer 39, und vom 8.9.2010 in der Rechtssache C-46/07, Carmen Media Group, Ziffer 55.
(9) Rechtssachen Liga Portuguesa de Futebol C-42/07 oder Anomar C-6/01.
(10) Studie des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung über Glücksspieldienstleistungen im EU-Binnenmarkt (2006): http://ec.europa.eu/internal_market/services/docs/gambling/study1_en.pdf
(11) Urteil vom 24.1.2013 in den verbundenen Rechtssachen C-186/11 und C-209/11, Stanleybet International LTD und andere, Ziffer 47.
(12) Urteil vom 8.9.2009 in der Rechtssache C-42/07, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und andere.
(13) COM(2010) 673 final vom 22. November 2010: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – EU-Strategie der inneren Sicherheit: Fünf Handlungsschwerpunkte für mehr Sicherheit in Europa.
(14) „Addiction and Lifestyles in Contemporary Europe, Reframing Addictions Project.“
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/55 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: „Ein neuer europäischer Ansatz zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen“
COM(2012) 742 final
und dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren
COM(2012) 744 final — 2012/0360 (COD)
2013/C 271/10
Berichterstatter: Pedro Augusto ALMEIDA FREIRE
Die Europäische Kommission beschloss am 12. Dezember 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Ein neuer europäischer Ansatz zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen
COM(2012) 742 final.
Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 15. Januar 2013 bzw. am 5. Februar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren
COM(2012) 744 final – 2012/0360 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 130 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Allgemeine Schlussfolgerungen
1.1.1 |
Europa steckt zurzeit in einer schweren Wirtschafts- und Sozialkrise, deren Auswirkungen in allen Schichten der Gesellschaft zu spüren sind. |
1.1.2 |
Zu den Maßnahmen, die die Europäische Union ergriffen hat, um einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden, gehört auch die Förderung des Fortbestands von Unternehmen. Firmenpleiten haben Auswirkungen, die weit über die negativen Folgen für die betroffenen Unternehmen hinausgehen – sie wirken sich auf die Wirtschaft des Mitgliedstaats insgesamt aus, insbesondere auf die Bürger in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler, Arbeitnehmer und Arbeitgeber. |
1.1.3 |
Der EWSA befürwortet die in der Kommissionsmitteilung festgesetzten Ziele, obwohl seines Erachtens die „zweite Chance“, von der dort die Rede ist, diejenigen Unternehmer erhalten sollten, die ihre Lehren aus dem Scheitern gezogen haben und in der Lage sind, auf Grundlage eines überdachten unternehmerischen Konzepts rasch wieder auf die Beine zu kommen. |
1.1.4 |
Er unterstützt ebenfalls den Verordnungsvorschlag, der jedoch seines Erachtens leider nicht ambitioniert genug ist. |
1.1.5 |
Es sind noch zahlreiche Überlegungen und konkrete Maßnahmen erforderlich, um die Rechte der Gläubiger zu schützen und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu finden, die Umstrukturierung der Unternehmen zu fördern, „Forum-Shopping“ zu verhindern sowie die Koordinierung der Insolvenzverfahren für Unternehmensgruppen zu verbessern. |
1.2 Empfehlungen zur Mitteilung
1.2.1 |
Der EWSA hält die Überlegungen zu einer grundlegenden Harmonisierung des Insolvenzrechts der Unternehmen für interessant, bedauert aber, dass damit nicht wirksam der Wirtschafts- und Sozialkrise begegnet wird, mit der die Unternehmen und Bürger in der EU konfrontiert sind. |
1.2.2 |
Er gibt dem Begriff „Fresh start“ gemäß dem grundlegenden Konzept des amerikanischen Insolvenzrechts den Vorzug gegenüber dem von der Kommission verwendeten Begriff „zweite Chance“. Er fordert die Kommission auf, eine Einführung dieses Begriffs in das europäische Insolvenzrecht zu erwägen. |
1.2.3 |
Der EWSA ist darüber hinaus der Ansicht, dass die Arbeitnehmer eines besseren Schutzes bedürfen und den Status bevorrechtigter Gläubiger erhalten sollten. |
1.2.4 |
Auch die Frage unangemessener Unterstützung von Unternehmen in Schwierigkeiten muss in die Überlegungen mit einbezogen werden. Der EWSA weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Verantwortung dafür nicht nur bei den Banken, sondern auch bei anderen liegen kann. Er fordert daher die Kommission auf, diese Parameter entsprechend zu berücksichtigen. |
1.2.5 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass eine Eingliederung des Insolvenzrechts in das Strafrecht nicht wünschenswert ist, weil dadurch die Justizialisierung der Insolvenzverfahren zunehmen und die Prüfung des jeweiligen Falls mehr Zeit in Anspruch nehmen würde. |
1.2.6 |
Die systematische Anrufung der Gerichte ist nach Ansicht des EWSA nicht der beste Lösungsweg. Er fordert die Kommission auf, über die Schaffung neuer Gremien nachzudenken, die beispielsweise an den Wirtschaftssektor gekoppelt sind und deren interdisziplinäre Zusammensetzung (Wirtschaftsfachleute, Finanzexperten, Juristen) gewährleisten soll, dass die Probleme der Unternehmen erfasst und ihnen rasch bei der Lösung ihrer finanziellen Schwierigkeiten geholfen wird. |
1.2.7 |
Schließlich fordert er die Kommission auf, die Vorschläge bezüglich der Vereinheitlichung des Status des Insolvenzverwalters zu prüfen, die in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. Oktober 2011 (1) enthalten sind. |
1.3 Empfehlungen zum Verordnungsvorschlag
1.3.1 |
Der EWSA unterstützt den Vorschlag für eine Verordnung, auch wenn er sich auf Verfahrensregeln beschränkt und nicht darauf ausgerichtet ist, die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über Unternehmensinsolvenzen zu harmonisieren. |
1.3.2 |
Er befürwortet, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die Verfahren für die öffentliche Bekanntmachung von Gerichtsentscheidungen in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren durch ein öffentlich zugängliches elektronisches Register zu verbessern. Des Weiteren begrüßt er die Vernetzung der nationalen Insolvenzregister. |
1.3.3 |
Er fordert jedoch die Kommission auf, dafür Sorge zu tragen, dass der Aufwand, die Kosten und die Fristen für die Übersetzung die Insolvenzverfahren nicht verlangsamen, denn diese können nur dann erfolgreich sein, wenn sie schnell durchgeführt werden. |
1.3.4 |
Der EWSA befürwortet die Einbeziehung der Privatinsolvenzverfahren in die Regelung, doch darf sich dies auf Privatschuldner nicht negativ auswirken. Dieser auf Unternehmen zugeschnittene Rechtsbereich, der den Anforderungen des Geschäftsverkehrs gerecht werden soll, bietet nämlich per definitionem weniger Schutz als das Verbraucherrecht. Der EWSA empfiehlt der Kommission, im Hinblick auf dieses Thema sehr wachsam zu sein. |
1.3.5 |
Schließlich fordert er die Kommission auf, darauf zu achten, dass bei der Anwendung der Befugnisübertragung zur Änderung der Anhänge der Verordnung auch Artikel 290 AEUV sowie die Rechtsprechung zum Begriff „wesentliche Maßnahmen“ berücksichtigt werden. |
2. Einleitung
2.1 Ziel des Insolvenzpakets
2.1.1 |
Mit den in diesem Legislativpaket vorgeschlagenen Initiativen reagiert die EU auf die Wirtschafts- und Sozialkrise, mit der die Unternehmen und die Bürger unionsweit konfrontiert sind. Ziel ist es, den Fortbestand der Unternehmen als Lösung zu favorisieren und Unternehmern, die von einer Insolvenz betroffen sind, eine zweite Chance zu geben. |
2.1.2 |
Die Vorgehensweise der Europäischen Kommission besteht nun darin, die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 (2) des Rates vom 29 Mai 2000 („Insolvenzverordnung“) im Wesentlichen in Bezug auf die Vorschriften des internationalen Privatrechts über grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu ändern und auf Grundlage ihrer Mitteilung „Ein neuer europäischer Ansatz zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen“ eine Konsultation einzuleiten. |
2.1.3 |
Der EWSA hat beschlossen, sich zu beiden Vorlagen in nur einer Stellungnahme zu äußern. |
2.2 Der Verordnungsvorschlag (3)
2.2.1 |
Die Kommission stellt fest, dass die Insolvenzverordnung vom 29. Mai 2000 veraltet ist, nennt deren fünf wichtigsten Defizite (4) und schlägt davon ausgehend eine inhaltliche Überarbeitung der Verordnung vor. |
2.3 Die Mitteilung
2.3.1 |
Die Kommission stellt zu Recht fest, dass ihr Verordnungsvorschlag vom 12. Dezember 2012 sich auf eine Aktualisierung der Insolvenzverordnung vom 29. Mai 2000 beschränkt und lediglich die offizielle Anerkennung und die Koordinierung der Vorschriften für nationale Insolvenzverfahren betrifft, ohne eine Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften für Unternehmensinsolvenzen vorzunehmen. |
2.3.2 |
Die Kommission will dieses Manko dadurch ausgleichen, dass sie Überlegungen zu einer grundlegenden Harmonisierung des Insolvenzrechts für Unternehmen vorschlägt, wobei diese nur auf grenzüberschreitende Insolvenzen abzielt. |
3. Allgemeine Bemerkungen zur Mitteilung
3.1 Was hinter dem neuen Ansatz steht
3.1.1 |
Ausgangspunkt ist die Notwendigkeit, den Unternehmern eine zweite Chance zu bieten und Arbeitsplätze zu sichern. |
3.1.2 |
Nach Ansicht des EWSA gehören Unternehmenspleiten (in gleicher Weise wie Unternehmensgründungen) zum normalen Wirtschaftskreislauf und zur Dynamik des Marktes. Es wäre daher falsch, sie als ein Übel anzusehen, das um jeden Preis verhindert werden muss. |
3.1.3 |
In diesem Sinne ist der EWSA der Ansicht, dass die von der Kommission angeführte „zweite Chance“ denjenigen Unternehmern eingeräumt werden sollte, die ihre Lehren aus dem Scheitern gezogen haben und in der Lage sind, auf Grundlage eines überdachten unternehmerischen Konzepts wieder auf die Beine zu kommen. |
3.1.4 |
Der Ausschuss betont zudem, dass Unternehmenspleiten interne Ursachen wie ein schlechtes Management, aber auch externe Gründe wie ein Übermaß an Vorschriften oder deren Unangemessenheit haben können. In diesem Zusammenhang hat auch der Staat eine gewisse Verantwortung für diese Pleiten, nämlich als Gesetzgeber, aber auch als öffentlicher Auftraggeber (5). |
3.1.5 |
Der Ausschuss gibt dem Begriff „Fresh start“ (Neustart) gemäß dem grundlegenden Konzept des amerikanischen Insolvenzrechts (6) den Vorzug gegenüber dem von der Kommission verwendeten Begriff „zweite Chance“. Dieser Neustart ist ein weitgehend kulturell und nicht juristisch besetzter Begriff und bedeutet, dass der Schuldner unter bestimmten Bedingungen von seiner persönlichen Haftung für seine Schulden befreit wird. Die Phase der gerichtlichen Insolvenzerklärung des Unternehmens wird damit vermieden, wobei der Schuldner ein neues Projekt angehen kann, ohne dass er als gescheiterter Unternehmer gekennzeichnet ist. |
3.1.6 |
Die Mitteilung legt dagegen den Schluss nahe, die zweite Chance bestehe in einer Fortführung der Geschäftstätigkeit. Nach Ansicht des Ausschusses wäre es kontraproduktiv, Unternehmen künstlich in der Wirtschaftsstruktur zu halten, indem ihnen eine zweite Chance eingeräumt wird, obgleich sich das gewählte Geschäftsmodell als wirtschaftlich nicht lebensfähig erwiesen hat. |
3.1.7 |
Dies würde sich nachteilig auf das Vertrauen der Gläubiger und Lieferanten auswirken und letztendlich dem gesunden Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern schaden. |
3.2 Der EWSA befürwortet den Ansatz des amerikanischen Insolvenzrechts und vertritt die Ansicht, dass ein Fresh start sogar noch vor der Befassung eines Gerichts erwogen werden sollte.
4. Besondere Bemerkungen zur Mitteilung
4.1 Für eine wirksame Harmonisierung
4.1.1 |
Die Uneinheitlichkeit der nationalen Rechtsvorschriften über Insolvenzen verursacht vor allem grenzüberschreitend tätigen Unternehmen Wettbewerbsnachteile, die die wirtschaftliche Erholung gefährden könnten. |
4.1.2 |
Sie verleitet zum forum shopping und zieht als Folge einer Schwächung des Binnenmarktes nach sich. |
4.1.3 |
Der EWSA schließt sich überdies den Empfehlungen des Parlaments (7) an, das eine Harmonisierung bestimmter Bereiche des Insolvenzrechts eingefordert hatte. |
4.1.4 |
Der Ausschuss fordert zudem die Kommission auf, auf der Grundlage von Artikel 50, Artikel 81 Absatz 2 oder Artikel 114 AEUV einen oder mehrere Gesetzgebungsvorschläge zur Schaffung eines echten europäischen Rahmens für Unternehmensinsolvenzen zu unterbreiten und sich nicht nur auf bloße Verfahrensvorschriften des internationalen Privatrechts zu beschränken. |
4.1.5 |
Insolvenzen haben nämlich Auswirkungen, die weit über die negativen Folgen für die betroffenen Unternehmen hinausgehen – sie wirken sich auf die Wirtschaft des Mitgliedstaats insgesamt aus, insbesondere auf die Bürger in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler, Arbeitnehmer und Arbeitgeber. |
4.2 Schutz der Gläubigerrechte
4.2.1 |
Die Gesamtinsolvenzverfahren dienten ursprünglich ausschließlich der Befriedigung der Gläubiger und dann allmählich immer mehr auch dem Zweck, das Überleben des Unternehmens und die Arbeitsplätze zu sichern und die Schulden zu begleichen. Erst seit kurzem tendieren die Gesetzesvorschriften in Europa dazu, die Probleme des Unternehmens schon im Vorfeld der Zahlungseinstellung zu verhindern. |
4.2.2 |
Die Eröffnung eines Gesamtverfahrens gegen den Schuldner ist für den Gläubiger ein gefürchtetes Ereignis, da er nicht weiß, ob ihm die geschuldeten Beträge zurückgezahlt werden. Die erste Frustration ergibt sich aus der Tatsache, dass die Eröffnung eines Gesamtverfahrens oft zur Folge hat, dass der Schuldner für vor dem Eröffnungsbeschluss entstandenen Verbindlichkeiten rechtlich nicht mehr verfolgt werden darf und laufende Verfahren gegen ihn ausgesetzt werden müssen. Jeder Gläubiger muss dann seine Forderungen innerhalb der gesetzlichen Frist anmelden (8). |
4.2.3 |
Die zweite Enttäuschung für den Gläubiger tritt ein, wenn es zu wenig Vermögensmasse gibt. In der Praxis wird den Gläubigern dann im Gesamtverfahren oft vorgeschlagen, sich entweder mit der sofortigen Zahlung eines Betrags unter Erlass eines nicht unwesentlichen Teils ihrer Forderungen zu begnügen oder die Rückzahlung der Schulden über einen längeren Zeitraum zu strecken. |
4.2.4 |
Im Idealfall will der Gläubiger daher jede Art von Insolvenz vermeiden, indem er z.B. bestimmte Transaktionen bei Geschäftsabschluss versichert, Bürgschaften Dritter (9) oder Pfandrechte bzw. Hypotheken auf die Vermögenswerte des Unternehmens (10) verlangt. |
4.3 Bessere Behandlung der Arbeitnehmer bei Insolvenzverfahren
4.3.1 |
Bei der Pleite eines Unternehmens stehen die Arbeitnehmer an vorderster Front. Ihre Löhne und Gehälter werden nicht immer vor dem Insolvenzantrag ausgezahlt und ihre finanzielle und persönliche Lage in dieser sorgenvollen Zeit ist schwierig. |
4.3.2 |
Die Eröffnung eines Gesamtverfahrens zieht häufig die Wahl eines Arbeitnehmervertreters nach sich, dessen Aufgabe es ist, die Informationen zu den Lohn- und Gehaltsforderungen zu kontrollieren. Neben den üblichen Gremien zur Vertretung der Arbeitnehmer innerhalb eines Unternehmens vermittelt er Informationen zwischen Belegschaft, Gericht und den Verfahrensbeteiligten. |
4.3.3 |
Die den Arbeitnehmern vor Eröffnung des Gesamtverfahrens geschuldeten Beträge müssen als Verbindlichkeiten des Unternehmens verbucht werden. Allerdings wird diese allgemein vorgesehene Maßnahme durch die unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften und Praktiken stark verwässert. Aufgrund der fehlenden Harmonisierung der Rangfolge der Gläubiger ist der Ausgang des Gesamtverfahrens für die Arbeitnehmer äußerst ungewiss. |
4.3.4 |
Nach Ansicht des EWSA müssten die Arbeitnehmer besser geschützt werden, indem ihnen der Status bevorrechtigter Gläubiger zuerkannt wird; der Ausschuss hält deshalb eine Harmonisierung ihres Schutzes für sinnvoll. |
4.4 Vermeidung unangemessener Förderung notleidender Unternehmen
4.4.1 |
Die Geschäftspraktiken einiger Finanzinstitute können dazu führen, dass Unternehmen gefördert werden, deren Lage aussichtslos ist. Dadurch entsteht ein Anschein der Zahlungsfähigkeit, was dem gesunden Wettbewerb auf dem Markt und dem Image des Bankensektors schadet. |
4.4.2 |
Der EWSA unterstreicht, dass die Haftung für missbräuchliche Förderung auch für andere Rechtspersonen als Banken, einschließlich des Staates, gelten kann. Einige einzelstaatliche Gerichte sind der Ansicht, dass bestimmte Zulieferer bzw. Kunden des Unternehmens ebenfalls haftbar gemacht werden können, wenn sie durch ihre Haltung die Tätigkeit eines Unternehmens, das sie in einer aussichtslosen Lage wissen, missbräuchlich fördern. |
4.4.3 |
Diesen Parametern sollte im Hinblick auf die Harmonisierung des Unternehmensinsolvenzrechts ebenfalls angemessen Rechnung getragen werden. |
4.5 Der Sonderfall der betrügerischen Insolvenz
4.5.1 |
Die Mehrzahl der Unternehmensinsolvenzen ist auf objektive Gründe ohne jegliches betrügerisches Verhalten der Geschäftsleitung zurückzuführen. |
4.5.2 |
Das Phänomen des Insolvenzbetrugs darf trotzdem nicht ignoriert werden. Die Kommission nimmt darauf in ihrer Mitteilung Bezug (11) und schlägt vor, zwischen redlichem und unredlichem Scheitern zu unterscheiden. Ihrer Ansicht nach könnte die vorsätzliche oder fahrlässige Nichteinhaltung gesetzlicher Bestimmungen durch einen Schuldner mit einer Geldbuße belegt oder sogar strafrechtlich verfolgt werden. Dadurch dürften die Verfahren zur Abwicklung von Fällen redlichen Scheiterns beschleunigt werden. |
4.5.3 |
Der EWSA ist überzeugt, dass die Angleichung der Entschuldungsfrist und eine angemessen kurze Dauer dieser Frist insbesondere im Interesse der Arbeitnehmer sinnvoll wären, hegt jedoch weiter Zweifel an der Unterscheidung der Liquidationsverfahren nach der Redlichkeit der Unternehmensleitung, da dies die Verfahren noch stärker justizialisieren, ihnen einen strafrechtlichen Charakter verleihen und die Untersuchungsfristen verlängern würde. |
4.5.4 |
Eine solche Eingliederung des Insolvenzrechts in das Strafrecht ist nicht wünschenswert. Nach Auffassung des EWSA muss die Beurteilung, ob die Insolvenz betrügerisch war, Gegenstand eines vom Insolvenzverfahren getrennten Verfahrens sein. |
5. Allgemeine Bemerkungen zum Verordnungsvorschlag
5.1 |
Der EWSA begrüßt die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Verordnung, der nun hybride Verfahren, Vorinsolvenzverfahren, Entschuldungsverfahren sowie Verfahren für Privatinsolvenzen einschließt. |
5.2 |
Außerdem begrüßt er die Klärung der Umstände, unter denen die Annahme, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist, widerlegt werden kann. |
5.3 |
Ebenfalls positiv ist die Verbesserung der verfahrensrechtlichen Regelung, die den Interventionsbereich des zuständigen Gerichts für Klagen präzisiert, die sich direkt aus dem Insolvenzverfahren ableiten oder in engem Zusammenhang damit stehen wie beispielsweise Insolvenzanfechtungsklagen. |
5.4 |
Auch die Tatsache, dass Sekundärinsolvenzverfahren nicht mehr unbedingt Liquidationsverfahren sein müssen und dass das Gericht ihre Eröffnung ablehnen kann, wenn sie zum Schutz der Interessen der einheimischen Gläubiger nicht erforderlich sind, gehört ebenso wie die Ausweitung der Kooperation im Rahmen des Haupt- und des Sekundärverfahrens zu den Verbesserungen der Verordnung. |
5.5 |
Als interessante Ideen begrüßt werden der Vorschlag, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, die Verfahren für die öffentliche Bekanntmachung von Gerichtsentscheidungen in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren durch ein öffentlich zugängliches elektronisches Register zu verbessern, sowie die Vernetzung der nationalen Insolvenzregister. |
5.6 |
Allerdings hat der EWSA Bedenken im Hinblick auf Aufwand, Kosten und Fristen für die Übersetzung und erinnert daran, dass Schnelligkeit für den Erfolg der Verfahren unabdingbar ist. |
5.7 |
Schließlich begrüßt der EWSA die Verpflichtung der Gerichte und Insolvenzverwalter bei Insolvenzverfahren, die die Mitglieder derselben Unternehmensgruppe betreffen, zusammenarbeiten, da die Verwalter so effizienter arbeiten können. |
6. Spezifische Bemerkungen zum Verordnungsvorschlag
6.1 |
Der EWSA wirft die Frage nach der Abstimmung mit der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 (12) auf, die die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte und die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union – die so genannte „Brüssel-I-Verordnung“ – ersetzen soll. Er fragt sich, ob in Erwägungsgrund 6 des Vorschlags für die „Insolvenzverordnung“ die Aufteilung der Zuständigkeiten gemäß dem Urteil in der Rechtssache Gourdain (13) klar genug dargelegt wird. Diese Rechtsprechung scheint eine restriktive Auslegung vorzugeben, da bestimmte unter die „Brüssel-I-Verordnung“ fallende Maßnahmen für das Insolvenzverfahren entscheidend sind. So ist beispielsweise die Frage, ob eine Eigentumsvorbehaltsklausel gilt oder nicht, entscheidend, um den Umfang des Vermögens des Schuldners zu bestimmen. Angesichts des erklärten Ziels, Unternehmen in Schwierigkeiten zu retten, ist dies wichtig, da die Wiederherstellung des Vermögens dabei der Schlüssel zum Erfolg ist. |
6.2 |
Bezüglich der Kooperation unter den Verwaltern hätte die Kommission eine Änderung von Artikel 31 im Sinne der verstärkten Schließung von Vereinbarungen zwischen den Verwaltern vorschlagen können. Ihr unterschiedlicher Status in den einzelnen Mitgliedstaaten behindert ihre berufliche Zusammenarbeit. |
6.3 |
Der Austausch zwischen Verwaltern und Gerichten sollte vorrangig die Bestandsaufnahme, die Insolvenzforderungen, die Erklärung und Prüfung der Forderungen sowie die kollektive und koordinierte Befriedigung der in den ausgehandelten Plänen aufgeführten Gläubiger betreffen. |
6.4 |
Der EWSA hebt außerdem hervor, dass die Kommission das Verfahren delegierter Rechtsakte für die Änderung der Anhänge der Verordnung anzuwenden beabsichtigt, obwohl es um wesentliche Maßnahmen wie das Kollektivverfahren oder die Liste der als Verwalter fungierenden Personen zu gehen scheint. |
7. Spezifische Bemerkungen zum materiellen Insolvenzrecht
7.1 |
Die Insolvenzkriterien müssen vereinheitlicht werden. In einigen Mitgliedstaaten ist das Insolvenzverfahren nur dann möglich, wenn der Schuldner nachweislich insolvent ist, während in anderen eine „in nächster Zukunft wahrscheinliche“ Insolvenz ein ausreichendes Kriterium ist. |
7.2 |
Derartige Unterschiede fördern das so genannte Forum Shopping und sollten daher abgeschafft werden. |
7.3 |
Der Imperativ der Rechtssicherheit erfordert auch eine Harmonisierung der Bestimmungen über die Anmeldung von Forderungen. |
8. Einbeziehung der zivilrechtlichen Überschuldungsverfahren
8.1 |
Der EWSA unterstützt den in diese Richtung zielenden Vorschlag der Kommission, einen neuen Erwägungsgrund 9 (14) einzufügen. |
8.2 |
Die Erwägungsgründe 9 und 10 „Insolvenzverordnung“ vom 29. Mai 2000 bieten sich hierfür an (15). |
8.3 |
Diese Einbeziehung sollte sich jedoch nicht nachteilig für private Schuldner auswirken. Ein auf die Unternehmen zugeschnittenes Recht, das den Anforderungen des Handels gerecht werden soll, bietet per se weniger Schutz als das Verbraucherrecht. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, diesbezüglich besonders wachsam zu sein. |
8.4 |
Er fordert die Kommission außerdem auf, über die Harmonisierung des Insolvenzrechts für Privatpersonen unter Berücksichtigung der Verbraucherinteressen nachzudenken. |
9. Harmonisierung des Status und der Zuständigkeiten der Verwalter
9.1 |
Die nationalen Unterschiede in Bezug auf den Status und die Zuständigkeiten der Verwalter behindern das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes, da sie grenzüberschreitende Insolvenzverfahren erschweren (16). |
9.2 |
Im Interesse der Unternehmen und der wirtschaftlichen Erholung muss rasch eine Harmonisierung allgemeiner Aspekte der Anforderungen an die Qualifikation und die Tätigkeit des Verwalters erfolgen. Der EWSA schließt sich auch den Empfehlungen des Parlaments (17) in Bezug auf folgende Überlegungen an:
|
9.3 |
Die Kommission sollte somit über Artikel 31 des Verordnungsvorschlags hinausgehen, der sich darauf beschränkt, die gegenwärtige Praxis festzuschreiben und die Kooperation zwischen den Verwaltern des Hauptinsolvenzverfahrens und den Verwaltern der Sekundärinsolvenzverfahren zu regeln. |
10. Ausbau der außergerichtlichen Regelungsverfahren für eine wirksame Unterstützung und Begleitung der Unternehmen
10.1 |
Durch die Stärkung der Verhandlungsverfahren könnten die Pläne für die Restrukturierung der Unternehmen schneller und wirksamer umgesetzt werden. |
10.2 |
Der durchschnittliche Zeitaufwand und die Erfolgsquote, die in der Europäischen Union im Allgemeinen zu beobachten sind, sprechen für ein solches Vorgehen. |
10.3 |
Der EWSA hält die systematische Anrufung des Richters im Übrigen nicht unbedingt für die beste Lösung. Er spricht sich daher dafür aus, über die Schaffung neuer Instanzen nachzudenken, die beispielsweise an den Wirtschaftssektor gekoppelt sind und durch ihre interdisziplinäre Zusammensetzung (Wirtschaftswissenschaftler, Finanzexperten, Juristen) besser in der Lage wären, den Unternehmen rasch bei der Lösung ihrer finanziellen Schwierigkeiten zu helfen. |
10.4 |
Dieses System existiert bereits in mehreren Ländern und könnte auch auf andere Mitgliedstaaten ausgeweitet werden. |
10.5 |
Außerdem wäre es sinnvoll, wenn die Kommission regelmäßig Statistiken über die gemäß der „Insolvenzverordnung“ abgewickelten Insolvenzfälle veröffentlichen würde, damit die Wirksamkeit des geschaffenen Systems bewertet werden kann. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 (2011/2006 (INI).
(2) ABl. L 160 vom 30.6.2000, S. 1 und ABl. C 75 vom 15.3.2000, S. 1.
(3) COM(2012) 744 final vom 12.12.2012.
— |
Zu kleiner Anwendungsbereich; |
— |
Fortbestehen des forum shopping (missbräuchliche Verlegung des Sitzes, um ein günstigeres Recht zur Anwendung zu bringen) infolge der uneinheitlichen Anwendung des Kriteriums „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners“; |
— |
fehlende Koordinierung zwischen Hauptinsolvenzverfahren und Sekundärinsolvenzverfahren; |
— |
unzureichende öffentliche Bekanntmachung von Insolvenzverfahren; |
— |
rechtliches Vakuum bezüglich der Insolvenz multinationaler Unternehmensgruppen. |
— |
Die Kommission stützt sich auf die 134 Beiträge, die im Rahmen der am 29. März 2012 eingeleiteten öffentlichen Konsultation eingegangen sind, auf die Schlussfolgerungen einer vergleichenden Rechtsstudie der Universitäten Heidelberg und Wien und auf eine Bewertung der Auswirkungen der verschiedenen Reformvorschläge und legt auf dieser Grundlage und zur Behebung der fünf genannten Defizite einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren vor. |
(5) Als Beispiel seien die Vorschriften über Sicherheit, Umwelt oder Zahlungsfristen genannt, die zwar legitime Absichten verfolgen, aber die Geschäftstätigkeit von Unternehmen erheblich beeinträchtigen können. Die von öffentlichen Auftraggebern im Beschaffungswesen praktizierten Zahlungsfristen tragen ebenfalls zu den Schwierigkeiten von Unternehmen bei.
(6) Thomas H. Jackson, The Fresh-Start Policy in Bankruptcy Law, 98 Harv. L. Rev. 1393 (1985); Charles Jordan Tabb, The Scope of the Fresh Start in Bankruptcy: Collateral Conversions and the Dischargeability Debate, 59 Geo. Wash. L. Rev. 56 (1990).
(7) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15.11.2011 (2011/2006 (INI).
(8) Anzumelden sind nicht nur fällig gewordene oder werdende Forderungen, die vor dem Eröffnungsbeschluss entstanden sind, sondern auch bestimmte Forderungen aus der Zeit danach, soweit diese Lieferungen und Leistungen aus der Zeit davor entsprechen oder wenn sie als für die Weiterführung des Verfahrens nicht notwendig eingestuft werden.
(9) Eine Bank oder ein Unternehmer.
(10) Geschäftseinrichtung, Firmenwert, Marken usw.
(11) COM(2012) 742 final, Punkt 3.1: Zweite Chance für redliche insolvente Unternehmer.
(12) Die Anwendung der Verordnung wurde auf den 10. Januar 2015 verschoben, vor allem um den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, ihre Verfahrensvorschriften aufgrund der Abschaffung des Exequatur-Verfahrens entsprechend anzupassen.
(13) EuGH-Entscheidung vom 22. Februar 1979 in der Rechtssache Gourdain gegen Nadler.
(14) Erwägungsgrund 9: „Diese Verordnung sollte für alle Insolvenzverfahren gelten, unabhängig davon, ob es sich beim Schuldner um eine natürliche oder juristische Person, einen Kaufmann oder eine Privatperson handelt“.
(15) Außerdem ist dies im Recht einiger Mitgliedstaaten bereits vorgesehen. In Belgien gilt das Verfahren für die kollektive Regelung der Schulden auch für Verbraucher (Gesetz vom 5. Juli 1988). In Deutschland wird bei den einschlägigen Verfahren nicht zwischen Gewerbetreibenden und Privatpersonen unterschieden (Gesetz vom 5. Oktober 1994).
(16) Der Verwalter kann ein Beamter sein oder eine staatlich zugelassene Privatperson, die von einem Richter bestellt, jedoch von den Gläubigern bezahlt wird.
(17) Bericht vom 17. Oktober 2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts (2011/2006(INI)).
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/61 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Schutz von Unternehmen vor irreführenden Vermarktungspraktiken und Gewährleistung der wirksamen Durchsetzung“ — Überarbeitung der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung
COM(2012) 702 final
2013/C 271/11
Berichterstatter: Jorge PEGADO LIZ
Die Kommission beschloss am 19. Februar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Schutz von Unternehmen vor irreführenden Vermarktungspraktiken und Gewährleistung der wirksamen Durchsetzung Überarbeitung der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung
COM(2012) 702 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 129 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung und deren Zielsetzungen, denen besondere Aufmerksamkeit gebührt und über die eingehende Überlegungen anzustellen sind. |
1.2 |
Der EWSA unterstützt die Kommission hinsichtlich der angestrebten strengeren Regulierung mit einem wirksamen Verbot und exemplarischen und abschreckenden Sanktionen für aggressive Vertriebspraktiken von Adressbuchfirmen. |
1.3 |
Angesichts der offensichtlichen Dringlichkeit einer unmittelbaren Positionierung zu dieser Frage sowie der erheblichen wirtschaftlichen Dimension und Auswirkungen dieser Praktiken in ganz Europa hält es der Ausschuss für richtig, dass die Kommission ohne Verzug eine zielgerichtete Legislativmaßnahme für diese Thematik auf der Grundlage einer entsprechenden Folgenabschätzung vorschlägt. |
1.4 |
Nach Ansicht des EWSA sollte zu diesem Zweck eine (gegebenenfalls durch delegierte Rechtsakte umzusetzende) Rahmenverordnung erlassen werden, um eine möglichst einheitliche und wirksame Durchsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. |
1.5 |
Aufgrund ihrer Natur sollte die geeignete Rechtsgrundlage nach Ansicht des EWSA nicht auf die Bestimmungen des Vertrages über die Vollendung des Binnenmarktes beschränkt werden, die natürlich dazugehören. Auch darf der Anwendungsbereich nicht auf den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr eingegrenzt werden. |
1.6 |
Der EWSA weist überdies darauf hin, dass dem transeuropäischen Charakter vieler dieser Praktiken Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, weshalb ein international abgestimmtes Handeln erforderlich ist. |
1.7 |
Dennoch lässt sich das Ziel einer einheitlichen und konsequenten Regelung zum Verbot irreführender Vertriebspraktiken nach Ansicht des Ausschusses am besten durch eine gemeinsame parallele Überarbeitung der beiden Richtlinien 2006/114/EG und 2005/29/EG sowohl für das B2B- als auch das B2C-Segment erreichen, wobei den Besonderheiten des jeweiligen Segments innerhalb eines gemeinsamen Rahmens Rechnung zu tragen ist. Die Kommission sollte die Arbeit daran schon bald aufnehmen. |
1.8 |
Der EWSA ersucht die Kommission, ergänzende Maßnahmen zur besseren Information und Verbreitung, zur besseren Zusammenarbeit zwischen den Behörden, öffentlich-privaten Plattformen und repräsentativen Organisationen der Interessenträger, für Schnellreaktionsmechanismen zur Abstellung solcher Praktiken und für Schadenersatz sowie insbesondere für die sofortige Einrichtung des seit mehr als 30 Jahren angekündigten und immer wieder aufgeschobenen europäischen Rechtsinstruments für Sammelklagen zu entwickeln und umzusetzen. |
1.9 |
Der Ausschuss erklärt sich bereit, mit seinen Mitgliedern zu den künftigen diesbezüglichen Arbeiten beizutragen, und kann dabei deren Erfahrung als besonders qualifizierte Vertreter der drei im Ausschuss vertretenen Interessengruppen der organisierten Zivilgesellschaft einbringen. |
2. Hintergrund und soziale und wirtschaftliche Aspekte des Vorschlags
2.1 |
Auf dem Gebiet des Geschäftsverkehrs zwischen Unternehmen gibt es Grundregeln, die unbedingt eingehalten werden müssen, damit der Wettbewerb nicht verzerrt wird und der Markt funktionieren kann. Werden diese nicht freiwillig eingehalten, müssen sie verbindlich erlassen und ihre Einhaltung durchgesetzt werden. |
2.2 |
Die Kommission entwirft in dieser Mitteilung eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung bestimmter irreführender Vermarktungspraktiken von Werbeunternehmen – insbesondere Praktiken von Adressbuchfirmen. |
2.3 |
Angestrebt wird ein besserer Schutz der Unternehmen, insbesondere der KMU, vor allem im Hinblick auf die Praxis, bei der Unternehmen – ohne dies zu wünschen oder darum gebeten zu haben – aufgefordert werden, scheinbar unentgeltlich Angaben zur Veröffentlichung in Firmenverzeichnissen zu liefern oder zu aktualisieren, um ihnen dann eine jährliche Gebühr in Rechnung zu stellen, die sie weder ausgehandelt noch vereinbart haben. |
2.4 |
Die Kommission hat angekündigt, dass sie nach einer entsprechenden öffentlichen Konsultation die Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung zu stärken beabsichtigt, indem Praktiken wie die Verschleierung des kommerziellen Zwecks einer Werbemitteilung ausdrücklich verboten werden, und zugleich die Durchsetzung der Vorschriften bei Praktiken mit grenzüberschreitendem Bezug verbessern will. |
2.5 |
In der Mitteilung werden ferner erwähnt:
|
2.6 |
Die Kommission geht davon aus, dass sich der durch derartige Praktiken verursachte finanzielle Schaden auf 1 000 bis 5 000 EUR pro Jahr und betroffenes Unternehmen beläuft. |
3. Bemerkungen zum Inhalt der Mitteilung
3.1 Inhaltliche Aspekte
3.1.1 |
Unter Verweis auf seine frühere diesbezügliche Stellungnahme erkennt der EWSA an, dass kommerzielle Mitteilungen im Allgemeinen und insbesondere die Werbung in all ihren Erscheinungsformen eine sehr wichtige gesellschaftliche und wirtschaftliche Rolle spielen, die von der International Advertising Association (IAA) zusammengefasst wurde, wobei insbesondere folgende Aspekte zu nennen sind: Verbreitung von Innovation, Anregung zu Kreativität und Unterhaltung, Wettbewerbsanreize und Erhöhung der Wahlmöglichkeit (1). |
3.1.1.1 |
Einige Werbeunternehmen setzen zwar rechtswidrige Praktiken bei der Bewerbung ihrer Produkte ein und versuchen so Kunden anzulocken, doch sollte die Kommission die Tatsache hervorheben, dass dies – obgleich sich zahlreiche Beschwerden über betrügerische Praktiken auf Unternehmen der Werbebranche beziehen – selbst im speziellen Fall der Adressbuchfirmen nicht bedeutet, dass es sich nicht um ein legitimes und für das Wirtschaftsleben der Unternehmen wichtiges Vorgehen handelt, das von den Firmen in Anspruch genommen wird, um ihre Tätigkeit zu bewerben. |
3.1.2 |
Der EWSA begrüßt den Zweck und den Zeitpunkt der Mitteilung, obgleich sie sich im Wesentlichen mit den Problemen im Zusammenhang mit der Kundenwerbung für Firmenverzeichnisse beschäftigt. |
3.1.3 |
Der Ausschuss stellt fest, dass die Kommission zu Recht den grenzüberschreitenden Charakter dieses Problems hervorhebt und nicht nur eine angemessene Regulierung, sondern auch deren wirksame Durchsetzung sowie die Beobachtung und Überwachung solcher Praktiken und die Verhängung von wirksamen Sanktionen sicherstellen will. |
3.1.4 |
Der EWSA bedauert, dass der Mitteilung keine angemessene Folgenabschätzung vorausging, die schlagkräftigere Argumente für die vorgeschlagenen Optionen hätte liefern können, deren Kosten und Nutzen nämlich weder genau genannt noch bewertet werden. |
3.1.4.1 |
Zudem kommt die von der Kommission in der Zusammenkunft mit den Interessenträgern am 1. März 2013 vorangekündigte Folgenabschätzung recht spät und ist, obgleich ihre Reichweite und ihr vollständiger Inhalt noch nicht bekannt sind, nicht aussagekräftig genug, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. |
3.1.5 |
Überdies hegt der Ausschuss nicht nur unter dem Gesichtspunkt der rein rechtlichen Aspekte, sondern auch im Hinblick auf einen wirksameren und effektiveren Schutz der Unternehmen Zweifel, dass das Kernanliegen der Kommission im Rahmen der angestrebten Überarbeitung der genannten Richtlinie richtig angegangen werden kann. |
3.1.5.1 |
Die hier untersuchten Praktiken beziehen sich nämlich auf kommerzielle Mitteilungen im weiteren Sinne, d.h. nicht auf Werbetätigkeiten, sondern auf aggressive und betrügerische Verkaufspraktiken, die in den viel weiter gefassten Kontext unlauterer oder missbräuchlicher Geschäftspraktiken und sogar des Strafrechts zu stellen sind. |
3.1.5.2 |
Jede Art der Mitteilung, bei der eine Absicht, bestimmte Güter oder Dienstleistungen zu bewerben, weder existiert noch abgeleitet werden kann, und sogar die Mitteilungen im Rahmen einer Geschäftsbeziehung, die nicht auf die Lieferung neuer Güter oder Dienstleistungen abstellen, fallen nämlich nicht unter den Begriff Werbung. |
3.1.5.3 |
Gemäß der Richtlinie 2005/29/EG gilt eine Geschäftspraxis dann als irreführend und unlauter, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich ihrer allgemeinen Präsentation, selbst mit an sich sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Demnach beschränkt sich die Definition für irreführende Vermarktungspraktiken nicht auf die Werbung für ein Produkt, sondern erstreckt sich potenziell auch auf Fälle, in denen kein Werbezweck zu erkennen ist, und auf Mitteilungen im Rahmen einer Geschäftsbeziehung. |
3.1.6 |
Zudem weist die Kommission in ihrem Grünbuch über Unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa (2) zu Recht auf die Gefahr von Konflikten und Überschneidungen zwischen den zahlreichen EU-Maßnahmen für die gleichen Zielgruppen und mit ähnlichen, nicht aufeinander abgestimmten Bestimmungen hin, was bei der Umsetzung von Rechtsakten durch die Mitgliedstaaten größere Verwirrung stiftet (3). |
3.1.7 |
Der EWSA bedauert, dass die Europäische Kommission bislang noch keine Debatte über die verschiedenen möglichen Optionen eingeleitet und auch noch keine öffentliche Konsultationen dazu durchgeführt hat, sondern vielmehr eine Option gewählt hat, die sich für die Unternehmen und insbesondere die KMU als weniger vorteilhaft erweisen könnte. Da sich die Kommission offenbar schon für eine Option entschieden hat, die sie wie angekündigt im Oktober einschlagen wird, scheint die Vorlage einer Folgenabschätzung mit fünf Optionen relativ sinnlos, wenn die Entscheidung von vornherein feststand. |
3.1.8 |
Angesichts der offenkundigen Dringlichkeit einer unmittelbaren Positionierung zu dieser Frage, die bereits in früheren Studien und Entschließungen des EP zum Ausdruck kam, und in Anbetracht der erheblichen wirtschaftlichen Dimension und Bedeutung dieser Praktiken in Europa (4), hält es der Ausschuss für richtig, dass die Kommission ohne Verzug eine zielgerichtete Legislativmaßnahme für diese Thematik auf der Grundlage einer entsprechenden Wirkungsanalyse auf den Weg bringt. Damit soll insbesondere den Fällen vorgebeugt werden, in denen Unternehmen fortgesetzt der Androhung rechtlicher Schritte im Ausland bei steigenden „Verwaltungsgebühren“ und fast schon als Drohung empfundenen permanenten Anrufen von Schuldeneintreibern ausgesetzt sind. |
3.1.8.1 |
Darüber hinaus sind nicht nur KMU, sondern auch Angehörige der freien Berufe, NGOs, Bibliotheken und private Bildungseinrichtungen und sogar einige Behörden Opfer dieser Praktiken geworden. Aus diesem Grund müssen sie gegebenenfalls in den Anwendungsbereich aufgenommen werden, indem der Begriff des Gewerbetreibenden auf all jene ausgeweitet wird, die potenziell Ziel dieser Praktiken sind und nicht durch andere Rechtsinstrumente geschützt werden. |
3.1.9 |
Nach Auffassung des EWSA wäre der kohärenteste Ansatz jedoch gewesen, das Konzept der unlauteren Geschäftspraktiken (in Form irreführender und aggressiver Praktiken) und die schwarze Liste im Anhang der Richtlinie 2005/29/EG auf alle Geschäftsbeziehungen zwischen Gewerbetreibenden auszudehnen. |
3.1.10 |
Die Ausweitung des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie hätte auch den positiven Effekt einer besseren Harmonisierung, wobei den Mitgliedstaaten keine neuen Gesetzesvorschriften oder Rechtsakte zur Umsetzung der Richtlinie erlassen, sondern zur korrekten Anwendung des EU-Rechts lediglich den Anwendungsbereich ihrer bereits existierenden nationalen Rechtsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken ausweiten müssten (5). |
3.1.11 |
Überdies wird die bloße Änderung der Richtlinie 2006/114/EG in der von der Kommission vorgeschlagenen unpräzisen Art und Weise nicht den Schutz für KMU in den in der Mitteilung genannten Fällen gewährleisten. Abgesehen von der Tatsache, dass diese Fälle aggressive und nicht irreführende Praktiken im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG sind, ergeben sie sich aus bereits zuvor bestehenden Geschäftsbeziehungen und können daher nicht in den für die Werbung geltenden Rahmen gestellt werden. |
3.1.12 |
Unbeschadet der Ausführungen in Punkt 3.1.8 vertritt der EWSA daher in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass die Kommission in der nahen Zukunft einen horizontalen Ansatz in Erwägung ziehen sollte, der für mehr Kohärenz zwischen den einzelnen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts, des geistigen Eigentums und des gewerblichen Rechtsschutzes sorgen und so bei allen Geschäftspraktiken einen einheitlichen Schutz gewährleisten würde, und zwar sowohl auf dem Einzelhandelsmarkt als auch allgemein in allen Vertragsbeziehungen zwischen Gewerbetreibenden gemäß der Entschließung des Europäischen Parlaments für „Mehr Effizienz und Fairness auf dem Einzelhandelsmarkt“. |
3.1.13 |
Der EWSA betont daher die Notwendigkeit einer besseren Koordinierung zwischen der GD JUST, der GD COMP, der GD MARKT und der GD ENTR im Hinblick auf die Maßnahmen, die in diesem Bereich und in Form künftiger politischer und legislativer Vorschläge im Rahmen der Prioritäten des Small Business Act zu ergreifen sind. |
3.1.14 |
Ungeachtet dessen und für den Fall, dass die Kommission sich für eine andere Option entscheidet, betont der EWSA, dass der Begriff der schädlichsten irreführenden Vermarktungspraktiken konkret definiert und inhaltlich präzisiert werden muss, damit klar wird, bei welchen Geschäftspraktiken ihrer Ansicht nach ein stärkerer Schutz notwendig ist als bei anderen. |
3.1.15 |
Der EWSA würde es zudem begrüßen, wenn die Kommission genauere Angaben zu den Fällen machte, die auf die „schwarze Liste“ gesetzt werden sollen. Er spricht sich uneingeschränkt ein solches Verzeichnis gänzlich untersagter Praktiken aus, das so präzise und so vollständig wie möglich sein sollte. Die Kommission kann sich bei der Aufstellung dieser Liste auf die Antworten auf ihren Fragebogen und die Äußerungen der Interessenträger in der Sitzung vom 1. März 2013 stützen, die ausreichend Material bieten (6). |
3.1.16 |
Der EWSA würde es in diesem Zusammenhang auch begrüßen, wenn die Kommission die Erarbeitung einer grauen Liste von Praktiken erwöge, die unter bestimmten konkreten Umständen, die fallweise von einem Gericht zu entscheiden wären, für rechtswidrig erklärt werden könnten. |
3.1.17 |
Weiterhin vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass es über bloße Listen hinaus notwendig ist, die Begriffe irreführende Werbung oder unzulässige vergleichende Werbung umfassender zu definieren und zu präzisieren, um diese Praktiken in einem weitgefassten Rechtsrahmen systematisch anzugehen und sicherzustellen, dass neue unlautere Praktiken von den überarbeiteten Rechtsvorschriften erfasst werden. |
3.1.18 |
Der Ausschuss ist unbeschadet der Ausführungen in Ziffer 3.1.8 der Ansicht, dass der rechtliche Rahmen der Richtlinie 2005/29/EG zu gegebener Zeit ausgeweitet werden muss, um insbesondere bestimmte Klein- und Kleinstunternehmen unter strengen, genau festgelegten Bedingungen Verbrauchern hinsichtlich ihres Schutzes gleichzustellen bzw. den Verbraucherschutz auf diese Unternehmen auszuweiten, sofern ihre Situation vergleichbar ist. Dies ist in den Rechtssystemen einiger Mitgliedstaaten bereits der Fall und eine berechtigte Forderung der repräsentativen Verbände und Organisationen dieser Unternehmen (7). |
3.1.19 |
Der EWSA vertritt nämlich die Ansicht, dass es sich um ein und dieselbe Sachlage handelt und es von großem Nutzen wäre, parallel zu der hier untersuchten Richtlinie 2006/114/EG auch die Richtlinie 2005/29/EG im Einklang mit der jüngsten Bewertung dieser Richtlinie (8) zu überarbeiten, da beide zusammenhängen und einander ergänzen (9). |
3.1.20 |
Die Art und Weise dieser Praktiken und des Vorgehens der rechtswidrig handelnden Unternehmen zeigt die Notwendigkeit eines kollektiven Rechtsinstruments in Form einer Sammelklage auf, mit der diesen Praktiken wirksam begegnet und den Gewerbetreibenden bei diesbezüglichen Rechtsstreitigkeiten ein besserer Schutz geboten werden kann, um die Praktiken einerseits abzustellen (10) und andererseits einen angemessenen Schadenersatz zu gewährleisten. |
3.2 Formale Aspekte
3.2.1 |
Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission bereits jetzt klarstellen, welche Rechtsgrundlage sie für die künftigen Legislativmaßnahmen heranzuziehen beabsichtigt und ob diese lediglich die Vollendung des Binnenmarktes oder auch andere Bereiche betreffen. |
3.2.2 |
Ebenso vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass eine Verordnung sich am besten als Rechtsinstrument für diesen Zweck eignet, da sie eine größere Rechtssicherheit und eine wirksamere Harmonisierung bietet. |
4. Analyse der Methodik
4.1 |
Im Hinblick auf den vorgeschlagenen Zeitrahmen begrüßt der EWSA die von der Kommission vorgeschlagenen Etappen und insbesondere die sofortige Einrichtung eines Ad-hoc-Netzes von Behörden zur verstärkten Durchsetzung der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung und zwecks Informationsaustauschs. |
4.2 |
Er befürwortet auch die Einrichtung eines Verfahrens der Zusammenarbeit bei der Durchsetzung der Rechtsvorschriften nach dem Vorbild des Verfahrens der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden. Damit eingeführt werden die Verpflichtung für Mitgliedstaaten zur gegenseitigen Unterstützung auf diesem Gebiet, Maßnahmen zur Ermittlung der zuständigen Durchsetzungsbehörden, unbeschadet der Möglichkeit, öffentlich-private Plattformen einzusetzen, wie das zum Beispiel in den Niederlanden der Fall ist, und der Ausweitung der Zusammenarbeit auf die repräsentativen Organisationen der Interessenträger. |
4.3 |
Der Ausschuss regt daher an, ähnlich wie beim Verbraucherschutz (11) und bei der Streitbeilegung ein europäisches Netz zur Unterstützung der KMU für die Beilegung grenzüberschreitender Rechtsstreitigkeiten einzurichten, um Gewerbetreibende, die Opfer betrügerischer Praktiken geworden sind, an die am besten geeigneten rechtlichen Mechanismen zu verweisen. |
4.4 |
Der Ausschuss ist zudem der Ansicht, dass Schulungs- und Informationsmaßnahmen sowie der Austausch bewährter Verfahren für alle Gewerbetreibenden eingeleitet werden sollten, um sie vor den einschlägigen Gefahren zu warnen. |
4.5 |
Überdies hält es der Ausschuss - auch in Anbetracht der Tatsache, dass die meisten betrügerischen Praktiken im digitalen Umfeld angesiedelt sind - für notwendig, einen stärkeren und angemesseneren Ansatz für den Schutz der KMU zu fördern, auch unter Berücksichtigung der Praktiken der Zwischenhändler im Internet und der Vertragsbeziehungen, die sich aus Online-Plattformen wie Ebay oder spezifischen Plattformen für den Geschäftsverkehr zwischen Gewerbetreibenden ergeben. |
4.6 |
Darüber hinaus wird die Kommission die internationale Dimension dieser Praktiken im Rahmen ihrer Vertretung bei der OECD berücksichtigen müssen (12). Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten mit der OECD über die Ausweitung ihrer Leitlinien für den Schutz der Verbraucher vor grenzüberschreitenden betrügerischen und irreführenden Handelspraktiken auch auf den B2B-Bereich diskutieren. Der EWSA schlägt vor, dass EUROPOL ein Forschungsprojekt über betrügerische Machenschaften in der Massenvermarktung in der EU auflegt; untersucht werden sollten der Umfang des finanziellen Schadens und die Zahl der Opfer, die Rolle der wichtigsten grenzüberschreitenden Akteure und die eventuelle Investition von Gewinnen in andere illegale Unternehmungen. |
4.7 |
Abschließend weist der Ausschuss auf die Notwendigkeit hin, dass die Kommission die für die praktische Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen unverzichtbare Mittelausstattung vorsieht. |
4.8 |
Im Hinblick auf künftige Arbeiten erklärt der Ausschuss ausdrücklich seine Bereitschaft, mit seinen Mitgliedern zu den diesbezüglichen Tätigkeiten beizutragen, und kann dabei deren Erfahrung als besonders qualifizierte Vertreter der drei im Ausschuss vertretenen Interessengruppen der organisierten Zivilgesellschaft einbringen. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 6.
(2) COM(2013) 37 final.
(3) Hier wird unter anderem auf die Probleme im Zusammenhang mit der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG verwiesen, die u.a. das Europäische Parlament eingeräumt hat (vgl. „Misleading practices of „directory companies“ in the context of current and future internal market legislation aimed at the protection of consumers and SMEs“ (IP/A/IMCO/ST/2010-058/LOT4/C1/SC6).
(4) Vgl. die vor der niederländischen Plattform FraudeHelpdesk.nl gelieferten Angaben.
(5) Darüber hinaus hatte das Europäische Parlament bereits in seiner Entschließung zu unlauteren Geschäftspraktiken und irreführender Werbung mit Besorgnis festgestellt, dass einige Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG die im Anhang zu dieser Richtlinie enthaltene schwarze Liste aufgeschnürt haben, was größere Verwirrung bei Verbrauchern und Unternehmen stiftete.
(6) Einige Beispiele werden im Folgenden genannt:
a) |
Praktiken im Rahmen von Online-Transaktionen, bei denen die Informationen über die Transaktion nicht für alle Beteiligten in der gleichen Weise zur Verfügung gestellt werden, was zur Diskriminierung bestimmter Beteiligter führt. |
b) |
Praktiken im Rahmen von Online-Auktionen und -Verkäufen (Ebay). Es hat sich herausgestellt, dass sich in diesen Fällen eine Anmeldung als Verbraucher manchmal auszahlt, da diesem mehr Garantien geboten werden. |
c) |
Praktiken im Zusammenhang mit der Präsentation vermeintlich zertifizierter Produkte, die über keinerlei Zertifizierung verfügen; |
d) |
Praktiken, bei denen Anbieter den Gewerbetreibenden ihre Zugehörigkeit zu einer öffentlichen Behörde vorspiegeln und sie zum Kauf einer bestimmten Dienstleistung oder eines bestimmten Produkts nötigen, weil diese der vermeintlichen Erfüllung bestimmter Steuer- oder Sicherheitsvorschriften dienen. |
e) |
Praktiken des grenzüberschreitenden Verkaufs von Waren, bei denen der Käufer erst hinterher informiert wird, dass der Kundendienst nur im Herkunftsland des Produkts garantiert werden kann. |
f) |
Praktiken, bei der vergleichende Internetseiten im Wesentlichen dazu verwendet werden, den Gewerbetreibenden zum Kauf eines bestimmten Produkts zu veranlassen, das als für sein Profil besonders geeignet dargestellt wird. In der Praxis geben einige dieser Vergleichstools (insbesondere in der Finanzbranche) keinerlei Informationen darüber an, um was für eine Internetseite es sich handelt und wie sie sich finanziert. |
g) |
Praktiken der Schleichwerbung im digitalen Kontext, bei denen insbesondere über Antworten, die Verbraucher/Gewerbetreibende (im Normalfall Mitarbeiter des Anbieters oder von diesem bezahlte Personen) in sozialen Netzwerken posten, um Gewerbetreibende zur Entscheidung für diesen Anbieter zu veranlassen. |
h) |
Praktiken unter Verwendung von veralteten oder sogar überhaupt nicht existenten Tests. |
i) |
Praktiken, die die stillschweigende Zustimmung des Gewerbetreibenden zum Erwerb eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Dienstleistung implizieren. |
(7) Diese Lösung entspricht der Option 5 in der derzeit erarbeiteten Folgenabschätzung.
(8) COM(2013) 138 final vom 14.3.2013.
(9) Als Beispiel für die Aufeinanderabstimmung der Richtlinien 2006/114/EG und 2005/29/EG sei Österreich angeführt, wo die beiden Richtlinien dadurch miteinander in Einklang gebracht wurden, dass während der Umsetzung in nationales Recht der Begriff Verbraucher durch Adressaten der Vermarktungspraktiken ersetzt wurde, wodurch klar gewährleistet werden konnte, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2005/29/EG auch für Geschäftsbeziehungen zwischen Gewerbetreibenden gelten (vgl. IP/A/IMCO/ST/2010-04, PE 440.288, bereits in Fußnote 3 zitiert).
(10) Aus diesem Grund sollte dieses künftige Rechtsinstrument unbedingt auf die Liste im Anhang I zur Richtlinie 2005/29/EG gesetzt werden.
(11) http://ec.europa.eu/consumers/ecc/contact_en.htm
(12) Die internationale Dimension wird von der International Mass-Marketing Fraud Working Group (IMMFWG) aufgezeigt, einem unabhängigen Netzwerk, in dem Durchsetzungs- und Regulierungsbehörden und Verbraucherschutzorganisationen aus sieben Ländern (Australien, Belgien, Kanada, den Niederlanden, Nigeria, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten) sowie Europol zusammengeschlossen sind. Es bemüht sich um die Erleichterung des internationalen Austauschs von Informationen und Erkenntnissen, die Koordinierung der grenzüberschreitenden Maßnahmen zur Ermittlung, Unterbindung und Vorbeugung von betrügerischen Machenschaften in der Massenvermarktung, die Schärfung des öffentlichen Bewusstseins sowie die Aufklärung der Öffentlichkeit über internationale Konzepte im Bereich von betrügerischen Machenschaften in der Massenvermarktung.
Vgl. „Mass-marketing fraud: a threat assessment“, IMMFWG, Juni 2010.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/66 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über den Zustand der Zollunion —
COM(2012) 791 final
2013/C 271/12
Berichterstatter: Jan SIMONS
Die Europäische Kommission beschloss am 21. Dezember 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über den Zustand der Zollunion
COM(2012) 791 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 139 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der EWSA kann der Mitteilung der Kommission im Wesentlichen zustimmen, da er für eine durchsetzungsstarke Zollunion ist, die einen grundlegenden Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit und zum Funktionieren des Binnenmarkts in der Europäischen Union leistet. |
1.2 |
Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, bei der Aufstellung eines Aktionsplans die in den vergangenen drei Jahren durchgeführten internen und externen Bewertungen der Funktionsweise der Zollunion umfassend zu berücksichtigen. |
1.3 |
Der Ausschuss misst der Durchführung einer gemeinsamen Zollpolitik, die auf einheitlichen, transparenten, effizienten und vereinfachten Verfahren basiert, zur Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der EU auf internationaler Ebene beiträgt und den Schutz des geistigen Eigentums sowie der Rechte und der Sicherheit der europäischen Unternehmen und Verbraucher gewährleisten kann, große Bedeutung bei – gleichzeitig sollte aber vermieden werden, dass die Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung der Zollvorschriften in ein Korsett gezwungen werden, so dass diese dem Umfang ihrer Handelsströme auch weiterhin Rechnung tragen können. |
1.4 |
Vor allem wegen des hohen Stellenwertes, den die Kommission in ihrer Mitteilung Handelserleichterungen zuweist, ist es wichtig, dass die Durchsetzungsmöglichkeiten der Zollbehörden auf die nationalen Handelsströme abgestimmt werden können, um insbesondere die Effizienz zu steigern, um die Wirtschaft bestmöglich fördern zu können; hilfreich für die Zukunft wären diesbezüglich eine Harmonisierung auf der Grundlage bewährter Verfahren sowie ein systemgestütztes Konzept für die Kontrollen. |
1.5 |
Der Ausschuss hätte sich gewünscht, dass in der Mitteilung näher auf konkrete kurz- und mittelfristige Maßnahmen eingegangen worden wäre. Konkrete Prioritäten werden nur für das Jahr 2013 dargelegt. Für die Jahre danach wird glücklicherweise bereits auf das Konzept verwiesen, das noch aufgestellt und 2014 veröffentlicht werden soll. |
1.6 |
Der Ausschuss macht insbesondere darauf aufmerksam, dass Finanzspritzen erforderlich sind, damit die Zollbehörden kosteneffizienter gegen Betrug und Kriminalität vorgehen können und auch um Verzögerungen in den Handelsströmen zu verringern. |
2. Einleitung
2.1 |
Der dritte Teil des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ein Bestandteil des Vertrags von Lissabon, „AEUV“ abgekürzt) über die internen Politiken und Maßnahmen der Union enthält zwei relativ kurze und sehr allgemein gehaltene Artikel (Artikel 26 und 27 AEUV) über den Binnenmarkt, der als Raum ohne Binnengrenzen definiert wird, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist. |
2.2 |
Dieses Thema tauchte erst 1986 mit der Einheitlichen Akte in den europäischen Verträgen auf (Artikel 8A des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, „EEG-Vertrag“ abgekürzt), in der eine Vollendung dieses Binnenmarkts bis 1. Januar 1993 in Aussicht gestellt wurde, zu der es jedoch bislang bedauerlicherweise noch nicht gekommen ist. |
2.3 |
Sehr viel schneller und anders lief es glücklicherweise mit dem erforderlichen Vorläufer und wesentlichen Element des Binnenmarkts, nämlich der Zollunion, die nach dem Vorbild der erfolgreichen Benelux-Zusammenarbeit bereits in den ersten EEG-Vertrag, die Römischen Verträge von 1958, aufgenommen wurde. |
2.4 |
Hierin wird in ca. 20 Artikeln sehr ausführlich und unter Angabe des Zeitpunkts vorgegeben, was zu tun ist, um letztlich innerhalb einer vorgeschriebenen Höchstdauer des Übergangszeitraums von 15 Jahren (Artikel 8 Absatz 5), „für den gesamten Warenaustausch“ ein „Verbot, zwischen den Mitgliedstaaten Ein- und Ausfuhrzölle und Abgaben gleicher Wirkung zu erheben“ aufzustellen sowie zur „Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs gegenüber dritten Ländern“ zu gelangen. |
2.5 |
Dies steht so nicht nur in den Römischen Verträgen (Artikel 9 EEG-Vertrag), sondern mehr als 50 Jahre später auch noch im Vertrag von Lissabon (Artikel 28 AEUV). Da dies alles jedoch schon vorher erreicht worden war – 1968 wurden die Zölle an den nationalen Grenzen abgeschafft; anschließend folgten verschiedene Zoll- und Ursprungsregeln, die 1992 in den Zollkodex der Gemeinschaft und den Gemeinsamen Zolltarif von 1987 einflossen –, reichen im Vertrag von Lissabon drei sehr kurze Artikel über die Zollunion aus (Artikel 30 bis 32 AEUV), anstelle der 20 detaillierten Artikel in den Römischen Verträgen. |
2.6 |
Neben diesen oben erwähnten Rechtsgrundlagen sorgen eine Reihe thematischer Rechtsinstrumente, unter anderem Rechtsvorschriften zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, zu Drogenausgangsstoffen, zu Kulturgütern, zur Überwachung von Barmitteln, zur Marktüberwachung sowie Rechtsvorschriften zum Schutz der Bürger und der Umwelt, für die Durchsetzung der Zollvorschriften in der EU. |
2.7 |
Die Zollunion fällt, wie in Artikel 3 AEUV festgelegt, in die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union, wie sie in Artikel 2 Absatz 1 AEUV beschrieben wird. Die Verantwortung für die Durchsetzung der Zollvorschriften liegt bei den Mitgliedstaaten. (z.E.: Der Binnenmarkt ist eine geteilte Zuständigkeit der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten, wie in Artikel 2 Absatz 2 AEUV beschrieben.) |
2.8 |
Der Mehrwert der Zollunion lässt sich u.a. aus folgenden Zahlen der Europäischen Kommission ablesen: 17 % des Welthandels im Wert von 3 300 Mrd. EUR pro Jahr werden über die EU-Zollbehörden abgewickelt. |
3. Mitteilung der Kommission
3.1 |
Die Kommission veröffentlichte am 21. Dezember 2012 ihre Mitteilung über den Zustand der Zollunion, weil sie zur Hälfte ihrer laufenden Amtszeit eine Bilanz ziehen möchte über den aktuellen Zustand, über das Erreichen der angepeilten Ziele und über die künftigen Herausforderungen. Als konkrete Ziele bei der Veröffentlichung der Mitteilung nennt die Kommission insbesondere:
|
3.2 |
Vor dem Hintergrund dieser Ziele sieht die Kommission die Mitteilung als Ausgangspunkt für die Erörterung von drei wichtigen Punkten:
|
3.3 |
Die Kommission fordert den Rat und das Europäische Parlament dazu auf,
|
3.4 |
Die Kommission stellt in ihrer Mitteilung die These auf, dass die Mitgliedstaaten aufgrund der zunehmenden Globalisierung allein nicht in der Lage wären, den hiermit einhergehenden Herausforderungen zu begegnen. Ihrer Ansicht nach erfordert die Globalisierung eine größere europäische Einheit und diese wiederum eine stärkere Integration. |
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1 |
Der Ausschuss begrüßt, dass die Kommission zur Hälfte ihrer laufenden Amtszeit diese Mitteilung über den Zustand der Zollunion vorlegt. Ferner unterstreicht er die große Bedeutung der Zollunion für die EU, insbesondere für das Wachstum, die Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherheit des Binnenmarkts. |
4.2 |
Der Ausschuss stellt fest, dass die Europäische Union vor externen und internen Herausforderungen steht, denen sie begegnen muss. |
4.2.1 |
Zu den externen Herausforderungen sind zu zählen: wachsende Handelsströme, neue und zunehmend komplexe Lieferketten sowie neuer wettbewerbsbezogener Druck, zunehmende Kriminalität (einschließlich Betrug) sowie terroristische Aktivitäten und Erwartungen von z.B. anderen Durchsetzungsorganen, für die der Zoll Aufgaben ausführt. |
4.2.2 |
Zu den internen Herausforderungen zählt der Ausschuss die Ineffizienz und mangelnde Effektivität aufgrund der unterschiedlichen Durchsetzung durch die 27 Mitgliedstaaten, weil z.B. jeder Mitgliedstaat sein eigenes IT-System entwickelt, weil mit unterschiedlichen Arbeitsmethoden vorgegangen wird und weil große Unterschiede bei der Ausbildung bestehen, was eine einheitliche Durchsetzung der europäischen Rechtsvorschriften durch die Mitgliedstaaten quasi unmöglich macht. Erschwerend hinzu kommt nun die Wirtschaftskrise. |
4.3 |
Der Ausschuss misst der Durchführung einer gemeinsamen Zollpolitik, die auf einheitlichen, transparenten, effizienten und vereinfachten Verfahren basiert, zur Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der EU auf internationaler Ebene beiträgt und den Schutz des geistigen Eigentums sowie der Rechte und der Sicherheit der europäischen Unternehmen und Verbraucher gewährleisten kann, große Bedeutung bei. |
4.4 |
Der Ausschuss hat dies in einer seiner jüngeren Stellungnahmen als Empfehlung vorgebracht (1) – aufgrund ihrer Bedeutung möchte er diese Empfehlung an dieser Stelle erneut bekräftigen. |
4.5 |
Der Ausschuss weist ebenso nachdrücklich darauf hin, dass vermieden werden muss, die Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung der Zollvorschriften in ein Korsett zu zwängen, damit diese auch weiterhin dem Umfang der entsprechenden Handelsströme Rechnung tragen können. Diesbezüglich unterstreicht der Ausschuss die vielfältigen Bemühungen der Mitgliedstaaten um eine Erleichterung des Handels: computergestützte Abwicklung der zollrechtlichen Förmlichkeiten, vereinfachte Verfahren, Bewilligung des Status eines ermächtigten Händlers. |
4.6 |
Eine diesbezügliche Harmonisierung sollte sich auf bewährte Verfahren stützen und nicht an einem europäischen Durchschnittsniveau orientieren. |
4.7 |
Daneben hielte es der Ausschuss im Sinne einer auch in finanzieller Hinsicht im Bereich der Einkünfte wirtschaftlichen und ergebnisorientierten Arbeitsweise und realer Fortschritte für wünschenswert, die Kontrollen weniger je Geschäftsvorgang, sondern eher gemäß einem auf einer Risikoanalyse basierenden, systemgestützten Konzept durchzuführen. |
4.8 |
Auch der Rat für Wettbewerbsfähigkeit unterstreicht in seinen Schlussfolgerungen vom 10./11. Dezember 2012 die Notwendigkeit, „die einheitliche Anwendung der Zollvorschriften und moderner und harmonisierter Konzepte für die Zollkontrollen weiter zu fördern und – gegebenenfalls und unter Berücksichtigung der Auswirkungen für die Beteiligten und die Mitgliedstaaten – flexible nationale Lösungen zuzulassen“ (2). |
4.9 |
Sowie ferner „die Zusammenarbeit mit anderen Agenturen auf nationaler und auf EU-Ebene in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Schutz und Umwelt sowie mit internationalen Partnern zu verbessern und dabei der Zuständigkeitsverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten in diesem Bereich Rechnung zu tragen“ (3). |
4.10 |
Der Ausschuss kann sich auch der Auffassung der Europäischen Kommission anschließen, dass die Zollunion nur dann weiterentwickelt werden kann, wenn ein Mechanismus für die Messung und Bewertung ihrer Leistung entwickelt wird. |
4.11 |
Der Ausschuss macht gleichwohl darauf aufmerksam, dass neben den strengen Zollverfahren weitere Hindernisse bestehen können, wie etwa eine unzureichende Infrastruktur an den Außengrenzen, die einer raschen Abwicklung im Wege stehen. Wenn hierbei Drittstaaten betroffen sind, sollte zunächst einmal gemeinsam nach Lösungen für diese Probleme gesucht werden. |
5. Besondere Bemerkungen
5.1 |
Der Ausschuss ist besorgt angesichts der zunehmenden Diskrepanz zwischen dem stetig wachsenden Arbeitsvolumen auf der einen und dem ebenso stetigen Abbau bei der Zahl der Zollmitarbeiter auf der anderen Seite. Trotz der Tatsache, dass viele Aufgaben automatisiert worden sind, steigt die Arbeitsbelastung für die Zollmitarbeiter an. Diese Problematik, bei der vor allem die Aus-, Fort- und Weiterbildung hineinspielen, müsste viel stärker beachtet werden. |
5.2 |
Als großes Ziel schwebt dem Ausschuss die Gründung einer europäischen Hochschule für das Zollwesen vor Augen, damit die Zollmitarbeiter aller Mitgliedstaaten den gleichen Ausbildungsstand erreichen. |
5.3 |
Die Sicherheit der Lieferkette und das Risikomanagement spielen nach Ansicht des Ausschusses eine wichtige Rolle für die Zollunion. Zu der vor kurzem veröffentlichten einschlägigen Mitteilung der Kommission (COM(2012) 793 final; INT/681, Berichterstatter: Antonello PEZZINI) wird der Ausschuss demnächst eine Stellungnahme vorlegen. |
5.4 |
Ebenso begrüßt der Ausschuss mögliche Vorschläge der Kommission, mit denen gegen die Probleme vorgegangen werden soll, die sich aus unterschiedlichen Vorgehensweisen bei Verstößen gegen das Zollrecht der EU und der Verhängung von Sanktionen ergeben haben, und sei es nur aufgrund des Grundsatzes der Gleichbehandlung. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bei Änderungen der nationalen Sanktionsregelungen im Rahmen des Zoll- und Strafrechts der Mitgliedstaaten aufgrund etwaiger Empfindlichkeiten mit Bedacht vorgegangen werden muss. |
5.5 |
Der Ausschuss empfiehlt als ersten Schritt einen auf die Arten von Verstößen ausgerichteten Ansatz, wie dies im Straßenverkehr (4) bereits der Fall ist. |
5.6 |
Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag der Kommission, einige Standardverfahren auszuarbeiten, die in zukünftige Rechtsvorschriften aufgenommen werden sollen, um dem Zoll die Durchsetzung von Rechtsvorschriften, die Verbote oder Beschränkungen für Ein- und Ausfuhren vorsehen, zu erleichtern. |
5.7 |
Hingegen hätte sich der Ausschuss gewünscht, dass die Kommission in ihrer Mitteilung konkreter auf die Folgen ihrer Vorschläge auf den Regelungs- und Verwaltungsaufwand eingeht. |
5.8 |
Eine bessere Ausübung der Aufgaben im Zollbereich ist von oberster Bedeutung. Daher sollten eine Zusammenarbeit zwischen den Zollbehörden aufgebaut, die Befugnisse der Zollmitarbeiter gestärkt und wahrhaft europäische Betrugsbekämpfungsstrategien aufgestellt werden. Es sind ferner Umstände denkbar, unter denen eine Verlagerung von Aufgaben und Tätigkeiten von den einzelnen Mitgliedstaaten auf gemeinschaftliche Einrichtungen – die nicht unbedingt an die Kommission gebunden sein müssen, sondern auch von den Mitgliedstaaten gemeinsam betrieben werden können – wünschenswert sein könnte, z.B. wenn diese ein großes Einsparpotenzial bietet und/oder um die Ausübung der Aufgaben des Zolls zu vereinfachen. |
5.9 |
Auch mehr Hintergrundinformationen in der Mitteilung wären hilfreich gewesen. Leider sind diese nicht vorhanden, was eine Bewertung der Mitteilung erschwert. Wie jedoch die Vertreter der Kommission ausdrücklich bekundeten, werden zu den künftigen Legislativvorschlägen glücklicherweise Folgenabschätzungen vorgelegt werden. |
5.10 |
Der Ausschuss teilt die Besorgnis der Kommission, dass bei der aktuellen Verwaltung der Zollunion und insbesondere bei den gemeinsamen Verfahren die Grenzen der Effektivität und Effizienz erreicht sind. Nach Auffassung des Ausschusses ist ein modernes und effizient funktionierendes Verwaltungssystem für die Zollbehörden erforderlich, damit diese weiter wirksam und wirtschaftlich arbeiten können. |
5.11 |
Zudem weist der Ausschuss darauf hin, dass die Zollbehörden auch in der aktuellen Wirtschaftskrise finanziell angemessen ausgestattet sein müssen, um z.B. ihre IT-Systeme zu modernisieren, damit wirksam gegen Betrug und Kriminalität vorgegangen werden kann. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 68.
(2) Schlussfolgerungen zum Fortschrittsbericht zur Strategie für die weitere Entwicklung der Zollunion, 3208. Tagung des Rates (Wettbewerbsfähigkeit) am 10./11. Dezember 2012 in Brüssel.
(3) Ebda.
(4) Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers und zur Aufhebung der Richtlinie 96/26/EG des Rates.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/70 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance — ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen“
COM(2012) 740 final
2013/C 271/13
Berichterstatter: Edouard DE LAMAZE
Die Kommission beschloss am 19. Februar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen
COM(2012) 740 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai 2013) mit 135 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der EWSA begrüßt die wichtigsten Leitlinien des vorliegenden Aktionsplans zur Corporate Governance. |
1.2 |
Der EWSA warnt vor den Gefahr, dass börsennotierten Unternehmen durch die Einhaltung der Regeln höhere Kosten erwachsen, und verweist darauf, dass Unternehmen unbedingt einen offenen Finanzmarkt benötigen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rechtsvorschriften und unverbindlichen Regelungen, d. h. Empfehlungen oder Verhaltenskodizes, wird davon abhängen, wie die verschiedenen vorgeschlagenen Initiativen im Einzelnen umgesetzt werden. |
1.3 |
Insbesondere im Zusammenhang mit der Transparenzpflicht der Unternehmen in Bezug auf ihre Vergütungspolitik, die eine Neuerung darstellt, erwartet der EWSA, dass die Kommission vernünftige Anforderungen festlegt, damit die Entwicklung der Unternehmen nicht durch eine Erhöhung der betrieblichen Aufwendungen gefährdet wird. Er weist darauf hin, dass auch die neuen Vorschriften so ausgelegt sein müssen, dass die Betriebsgeheimnisse gewahrt bleiben. |
1.4 |
In dem wichtigen Punkt einer möglichen Abstimmung der Aktionäre über die Vergütungspolitik ist der EWSA der Auffassung, dass das Streben nach Vereinheitlichung auf europäischer Ebene lediglich auf eine unverbindlichen Beschluss der Aktionäre hinauslaufen darf, da sonst die Grundlagen des Gesellschaftsrechts angetastet werden. |
1.5 |
Der EWSA fordert die Kommission auf, bei der angekündigten Folgenabschätzung die Angemessenheit jeder Initiative für den konkreten Fall der KMU gründlich zu prüfen. |
1.6 |
Der EWSA gibt zu bedenken, dass im Interesse eines effizienten Funktionierens der Unternehmen, insbesondere in Krisenzeiten, ergänzend zu den angekündigten Initiativen auf die Notwendigkeit der stärkeren Einbeziehung der Arbeitnehmer hätte hingewiesen werden müssen. |
1.7 |
Darüber hinaus fordert der EWSA eine bessere Schulung der Mitglieder der Geschäftsführung und weist darauf hin, dass der Austausch bewährter Verfahren in diesem Bereich gefördert werden sollte. |
1.8 |
Im Bereich des Gesellschaftsrechts hält es der EWSA für notwendig, die Prioritäten neu auf das Projekt der Europäischen Privatgesellschaft sowie auf Maßnahmen zur Vereinfachung der Sitzverlegung innerhalb der EU auszurichten. In beiden Fällen muss die Einbeziehung der Arbeitnehmer gesichert und gefördert werden, insbesondere auf der Grundlage der gezielten Konsultation der Sozialpartner, die in den Verträgen der EU vorgesehen ist. |
1.9 |
Der EWSA spricht sich gegen die Anerkennung des Begriffs „Gruppeninteresse“ aus, die letztlich den Grundsatz der Unabhängigkeit juristischer Personen, insbesondere aus Drittstaaten, innerhalb der Unternehmensgruppe unterminieren würde. Für besorgniserregend hält er auch eine Denkweise, nach der das Interesse der Gruppe über das der Tochtergesellschaft zu stellen ist, das ersterem geopfert werden könnte. |
2. Inhalt der Mitteilung
2.1 |
In Anknüpfung an ihre Mitteilung „Europa 2020“, in der sie die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen in Europa gefordert hat, schlägt die Kommission in dem vorliegenden Aktionsplan Initiativen zur Festigung des Corporate-Governance-Rahmens in der EU vor, wobei nach zwei Leitlinien vorgegangen werden soll:
|
2.2 |
Zugleich werden verschiedene Initiativen im Bereich des Gesellschaftsrechts angekündigt, die per definitionem über börsennotierte Unternehmen hinaus auch alle Aktiengesellschaften betreffen: Vereinfachung grenzübergreifender Geschäfte (grenzübergreifende Verschmelzungen und Spaltungen sowie gegebenenfalls Verlegung des Unternehmenssitzes), Prüfung der Folgemaßnahmen zum Vorschlag für das Statut der Europäischen Privatgesellschaft, Informationskampagne über die Statuten der Europäischen Aktiengesellschaft und der Europäischen Genossenschaft, gezielte Maßnahmen bezüglich Unternehmensgruppen (vor allem Anerkennung des Begriffs „Gruppeninteresse“), Kodifizierung des europäischen Gesellschaftsrechts. Sämtliche Initiativen werden Ex-ante-Folgenabschätzungen unterzogen und können dann entsprechend geändert werden. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 Generell begrüßt der EWSA die in dem vorliegenden Aktionsplan angekündigten Maßnahmen, der bezüglich der Corporate Governance mit einer (weiter unten dargelegten) Ausnahme eher auf eine Konsolidierung denn auf eine gründliche Überarbeitung des geltenden Rahmens abzielt.
3.2 Der Aktionsplan vermittelt den Eindruck, dass man bestrebt war, ein gewisses Gleichgewicht zwischen Rechtsvorschriften und unverbindlichen Regelungen, d.h. Empfehlungen oder Verhaltenskodizes, zu erzielen. Der EWSA stellt fest, dass sich jede zusätzliche Verpflichtung in Bezug auf die Transparenz und insbesondere die Vergütungspolitik auf die betrieblichen Aufwendungen der Unternehmen auswirkt.
3.3 Zwar soll mit dem Aktionsplan die Einbeziehung der Aktionäre verbessert werden, doch bedauert der EWSA, dass in Ergänzung dazu die Einbeziehung der Arbeitnehmer nicht gestärkt wird, auf deren Bedeutung er in seiner Stellungnahme zum Grünbuch von 2011 hingewiesen hatte (1). Der EWSA verweist darauf, dass die Beteiligung der Arbeitnehmer am Beschlussfassungsprozess im Unionsrecht als förderlich für die nachhaltige Entwicklung und die Leistung der Unternehmen anerkannt wird.
3.4 Über den vorliegenden Aktionsplan hinaus stellt er fest, dass der Begriff der Arbeitnehmerbeteiligung bezüglich seines Inhalts und seiner exakten Definition mit Blick auf die Grundlagen des Gesellschaftsrechts präzisiert werden sollte, die sich dadurch ändern könnten (2). Der EWSA befürwortet mit Blick auf die Vielzahl der Beteiligten ein Konzept, das auf der Höhe der Herausforderungen ist, die die Unternehmen bewältigen müssen, die eine langfristig angelegte Entwicklung sowie die Berücksichtigung der Belange ihrer Arbeitnehmer und ihrer Umwelt anstreben. Ein solches Konzept umfasst einen konstruktiven sozialen Dialog und ein Klima des Vertrauens auf der Grundlage eindeutiger Regeln zu Information, Konsultation und Mitbestimmung, wenn diese existieren. Der EWSA möchte deshalb dazu aufrufen, neue Wege zu beschreiten, zum Beispiel das Konzept des nachhaltigen Unternehmens (3) anzuwenden.
3.5 Anknüpfend an seine Stellungnahme zum Grünbuch von 2011 macht der EWSA ferner geltend, dass eine gute Corporate Governance auch von der Kompetenz der Mitglieder des Verwaltungsrates – insbesondere in rechtlichen und finanziellen Fragen – abhängt. Er betont, dass deren Schulung an die Art des Unternehmens angepasst werden muss, insbesondere an seine Größe, und spricht sich für jede Initiative zur Förderung des Austauschs bewährter Verfahren in diesem Bereich aus. Dieser Aspekt sollte seiner Auffassung nach Gegenstand einer künftigen Empfehlung der Kommission sein. Im Interesse von Transparenz und Rechtssicherheit, vor allem für KMU und deren Beschäftigte, sollte bei den Maßnahmen zur Ergänzung des europäischen Gesellschaftsrechts jede Art von régime shopping vermieden werden, bei dem die Registrierung neuer europäischer Unternehmen aus dem Nichts genehmigt wird oder Verwaltungssitz und Gesellschaftssitz getrennt sind.
3.6 Corporate Governance
3.6.1 |
Der EWSA hatte bereits Gelegenheit, darauf zu verweisen, dass der Zweck der Corporate Governance darin besteht, sicherzustellen, dass das Unternehmen Bestand hat und gedeiht (4), indem Vertrauen zwischen den verschiedenen Beteiligten (5) hergestellt wird. Wie das europäische Gesellschaftsrecht müssen auch Initiativen im Bereich der Corporate Governance dazu beitragen, die Tätigkeit und das Funktionieren von Unternehmen zu erleichtern und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu fördern. |
3.6.2 |
Mit Blick auf die rückläufige Zahl der Börsengänge und die steigende Zahl der Börsenabgänge erinnert der EWSA daran, dass die Unternehmen, insbesondere die KMU, unbedingt Zugang zum Finanzmarkt benötigen. Die Entwicklung vieler Unternehmen wird durch ihre aktuellen Finanzierungsschwierigkeiten erheblich gebremst. Damit ein offener Finanzmarkt bestehen bleibt, ist es nach Auffassung des EWSA von grundlegender Bedeutung, die ohnehin bereits sehr starken Zwänge im Zusammenhang mit der Corporate Governance für börsennotierte Unternehmen nicht noch zu verschärfen, insbesondere auch für KMU, um nicht noch mehr Unternehmen von einem Börsengang abzuhalten. Der EWSA weist zudem auf die Gefahr hin, dass sich die Ungleichheit im Wettbewerb zwischen börsennotierten und nicht notierten Unternehmen noch weiter verschärft, wenn letztere nicht den Transparenzanforderungen unterliegen, hingegen als erste von den Informationen profitieren, die die börsennotierten Unternehmen verbreiten. |
3.6.3 |
Der EWSA bedauert, dass das von der Kommission zum Ausdruck gebrachte Anliegen, die Besonderheiten von KMU, sowohl in Bezug auf die Größe als auch in Bezug auf die Aktionärsstruktur, zu berücksichtigen, nur sehr allgemein formuliert ist und nicht für jede der angekündigten Initiativen im Einzelnen spezifiziert wird. |
3.6.4 |
Der EWSA betont in diesem Zusammenhang, dass die europäische Definition des Begriffs KMU überarbeitet werden muss, um deren Besonderheiten besser berücksichtigen zu können. |
3.6.5 |
Anstelle eines normativen Ansatzes empfiehlt der EWSA ein Konzept, das sich weitestgehend darauf beschränkt, Grundsätze festzulegen und es dann den Mitgliedstaaten zu überlassen, diese bestmöglich an die nationalen Besonderheiten anzupassen. 2003 (6) betonte die Kommission bereits das bemerkenswerte Maß an Übereinstimmung zwischen den nationalen Corporate-Governance-Kodizes. Der EWSA begrüßt, dass sich die Kommission in den wesentlichen Punkten des vorliegenden Aktionsplans diesen Ansatz offenbar zueigen gemacht hat, insbesondere im Hinblick auf die Verbesserung der Qualität der von den Unternehmen beizubringenden Erklärungen bei Abweichung von den Corporate-Governance-Kodizes. |
3.6.6 |
In Bezug auf das allgemeine Ziel der Transparenz unterstützt der EWSA die Initiativen der Kommission zur Übernahme der in einigen Mitgliedstaaten geltenden Regeln in der gesamten EU, insbesondere zur Förderung der langfristigen Leistungsfähigkeit der Unternehmen. Die eigentliche Schwierigkeit besteht seiner Auffassung nach darin, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den legitimen Anforderungen an die Transparenz und der Notwendigkeit zu finden, das Wachstum der Unternehmen nicht durch administrativen Mehraufwand und die Offenbarung wettbewerbsrelevanter Informationen zu behindern. |
3.6.7 |
Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Anforderungen, die hinter der Formel „comply or explain“ (Befolge oder begründe) stehen, zu den Grundprinzipien der Corporate Governance gehören, und dass eine strengere Umsetzung dieses Konzepts nötig ist. Er begrüßt eine diesbezügliche Initiative der Kommission. |
3.6.8 |
Der EWSA nimmt die Bereitschaft der Kommission zur Kenntnis, die Rolle der Aktionäre zu stärken, damit ein zufriedenstellendes Machtverhältnis zwischen den unterschiedlichen Akteuren hergestellt wird. Ihm ist bewusst, dass mit den angekündigten Rechten, nach denen sich die Aktionäre stärker einbringen können, auch Pflichten einhergehen. |
3.6.9 |
Der EWSA misst der Initiative, nach der Unternehmen mehr über ihre Aktionäre erfahren sollen, besondere Bedeutung zu, da dies eine unabdingbare Voraussetzung für den Dialog zwischen Aktionären und Emittenten darstellt, er ist sich allerdings bewusst, dass dazu die Förderung dieses Dialogs erforderlich ist. Bei dem künftigen europäischen Instrument, das zu diesem Zweck geschaffen werden soll, sind die Unterschiede in den Rechtsvorschriften über den Schutz personenbezogener Daten zu berücksichtigen. |
3.6.10 |
Der EWSA unterstützt auch den Vorschlag, institutionelle Anleger zu verpflichten, ihre Abstimmungsstrategien und Strategien auf dem Gebiet des Engagements im Unternehmen offenzulegen, insbesondere ihren Investitionshorizont in den Gesellschaften, deren Wertpapiere sie halten. |
3.6.11 |
In dem wichtigen Punkt einer möglichen Abstimmung der Aktionäre über die Vergütungspolitik und den Vergütungsbericht ist der EWSA der Auffassung, dass das Streben nach Vereinheitlichung auf europäischer Ebene lediglich auf einen unverbindlichen Beschluss der Aktionäre hinauslaufen darf. |
3.7 Gesellschaftsrecht
3.7.1 |
Bei den verschiedenen angekündigten Initiativen würde der EWSA eine andere Rangfolge als die von der Kommission vorgeschlagene bevorzugen. |
3.7.2 |
Im Unterschied zur Kommission ist der EWSA der Auffassung, dass weiterhin Anstrengungen in Bezug auf das Projekt der Europäischen Privatgesellschaft unternommen werden sollten und dass versucht werden muss, eine möglichst einvernehmliche Lösung zu finden. |
3.7.3 |
Der EWSA hält es gleichfalls für vordringlich, die Verlegung des Unternehmenssitzes innerhalb der EU zu erleichtern. Auch die diesbezügliche Initiative, die seiner Auffassung nach ergriffen werden sollte, müsste die Beibehaltung geeigneter Bedingungen für die aktive Einbeziehung der Arbeitnehmer gewährleisten und fördern. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 Corporate Governance
4.1.1 |
Der EWSA stellt fest, dass die Unternehmen die Qualität der von ihnen beizubringenden Erklärungen bei Abweichung von den Corporate Governance-Kodizes verbessern müssen. Diese Erklärungen sind mitunter rein rhetorischer Natur, obwohl sie eigentlich eine ausführliche Begründung sowie gegebenenfalls die angewandte Alternativlösung enthalten müssten. |
4.1.2 |
Der EWSA begrüßt, dass die Kommission es den Mitgliedstaaten und den nationalen Kodizes überlässt, die Art und Weise zu präzisieren, wie die Erklärungen zu den Corporate-Governance-Methoden verbessert werden können. |
4.1.3 |
Wie er bereits betont hat (7), liegt eine gute Qualität der Erklärungen vor allem im Interesse der Unternehmen selbst, die im Übrigen vom Markt bestraft werden, wenn sie ungenügende Erklärungen liefern. |
4.1.4 |
Sollte die Kommission den Wunsch entwickeln, die Qualität der für die Märkte bereitgestellten Informationen über die Governance kontrollieren oder sogar zertifizieren, zu lassen, weist der EWSA darauf hin, dass er verbindliche Anforderungen in diesem Bereich nicht befürwortet. Er weist zudem auf die technischen Schwierigkeiten hin, auf die ein solches Vorhaben stoßen würde, das einheitliche, für alle Unternehmen geltende Kriterien auf EU-Ebene voraussetzt, wie sie z.B. in der Richtlinie über die Beaufsichtigung der Abschlussprüfung durch den Prüfungsausschuss festgelegt wurden. |
4.1.5 |
Die Maßnahme, die die Unternehmen vom Verwaltungsaufwand her am stärksten zusätzlich belasten könnte, betrifft die Anforderungen an die Transparenz bei der Vergütungspolitik und die Details zur individuellen Vergütung von Mitgliedern der Geschäftsführung, die gegenwärtig verschiedenen Empfehlungen und nationalen Governance-Kodizes unterliegt. Hier sieht die Kommission in ihrem Aktionsplan ein verbindliches Instrument auf EU-Ebene vor. Der EWSA könnte eine solche Maßnahme nur akzeptieren, wenn durch die konkrete Umsetzung die daraus entstehenden Befolgungskosten für die Unternehmen, die in einer im Voraus durchgeführten Folgenabschätzung einer strengen Bewertung unterzogen werden sollten, nicht erheblich erhöht werden. Der EWSA warnt auch vor der Gefahr, dass die Offenlegung von Kriterien bezüglich des variablen Teils der Vergütung der Mitglieder der Geschäftsführung das Betriebsgeheimnis gefährdet. Der EWSA betont, wie wichtig es ist, den Aktionären nicht nur eindeutige und erschöpfende Informationen über die Höhe der vereinbarten Beträge an sich vorzulegen, sondern auch über ihre Berechnung und die zu ihrer Festlegung angelegten Kriterien. |
4.1.6 |
Einer der nach Ansicht des EWSA problematischsten Punkte ist der Vorschlag, den Aktionären ein Recht auf Abstimmung über die Vergütungspolitik und den Vergütungsbericht einzuräumen. Der EWSA fordert besondere Wachsamkeit, was die konkrete Umsetzung dieses Vorschlags angeht. Der EWSA stellt fest, dass sich die Kommission eher vage zu dieser Frage äußert und keine Aussagen dazu trifft, ob diese Abstimmung eher empfehlenden Charakter haben oder verbindlich sein soll. |
4.1.7 |
Abgesehen von den rechtlichen und technischen Schwierigkeiten der Umsetzung würde eine verbindliche Abstimmung bedeuten, dass Befugnisse des Verwaltungsrates auf die Aktionäre übertragen werden. Der EWSA kann einen solchen Ansatz nicht befürworten, der das Gesellschaftsrecht grundlegend verändern würde, auch wenn jeder Mitgliedstaat seiner Ansicht nach die Möglichkeit haben muss, darüber zu entscheiden, ob diese Abstimmung eher empfehlenden Charakter haben oder verbindlich sein soll. |
4.1.8 |
Der EWSA hat in dieser Frage bereits für ein Zustimmungsvotum plädiert und erläutert, dass ein Beschluss zur Vergütungspolitik, der den Aktionären auf der Hauptversammlung vorgeschlagen wird, im Vorfeld vom gesamten Verwaltungsrat zu erörtern und zu genehmigen ist, wie es bereits in Deutschland gehandhabt wird (8). |
4.1.9 |
Mit Blick auf den variablen Teil der Vergütung der geschäftsführenden Direktoren verweist der EWSA darauf, dass sich die Billigung durch die Aktionäre auf der Hauptversammlung sowohl auf das System und die angewandten Regeln (im voraus festgelegte und quantifizierbare Leistungskriterien) als auch auf den Betrag an sich erstrecken muss, der in Anwendung dieser Regeln gezahlt wird (9). |
4.1.10 |
Der EWSA stellt fest, dass die Tätigkeit der Stimmrechtsberater strenger geregelt werden muss. Seiner Auffassung nach sollten diese insbesondere verpflichtet werden, ihre Abstimmungsstrategie offenzulegen (und ihre Empfehlungen zu begründen), ihre Berichtsentwürfe der Gesellschaft zu übermitteln, bevor sie sie den Investoren vorlegen (so dass die Gesellschaft ihre Bemerkungen übermitteln kann), Interessenkonflikte mitzuteilen, die ihre Tätigkeit beeinflussen könnten, insbesondere durch mögliche Verbindungen zur Gesellschaft und ihren Aktionären, und die Maßnahmen zu nennen, die sie zur Verhinderung solcher Konflikte ergreifen. |
4.2 Gesellschaftsrecht
4.2.1 |
Der EWSA hält es für wichtig, das Projekt der Europäischen Privatgesellschaft weiter voranzutreiben, wobei die konkrete Ausgestaltung im Einklang mit dem Vertrag und dem geltenden Gesellschaftsrecht stehen muss. Neben der Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften kann ein einheitliches Instrument wie die Europäische Privatgesellschaft seiner Auffassung nach einen nachhaltig positiven Einfluss auf die grenzübergreifende Tätigkeit der KMU haben. Die aktive Einbeziehung der Arbeitnehmer im Rahmen der Europäischen Privatgesellschaft nach denselben Regeln, wie sie für die Europäische Aktiengesellschaft und die Europäische Genossenschaft gelten, kann nach Auffassung des EWSA nicht in Frage gestellt werden, ohne das Projekt zu verwässern, und ist grundlegende Bedingung für die Einigung, die nach Ansicht des EWSA hierüber erzielt werden muss. |
4.2.2 |
Auch in Bezug auf die europäischen Regeln zur Vereinfachung der Sitzverlegung zwischen Mitgliedstaaten wünscht der EWSA mehr Entschlossenheit von Seiten der Kommission, die selbst einräumt, dass diesbezüglich echter Bedarf besteht. Der EWSA fordert eine entsprechende Initiative, die weiterhin die Bedingungen für die Einbeziehung der Arbeitnehmer garantiert und stärkt. Die Arbeitnehmer müssen gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2002/14/EG und der Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat über die geplante Verlegung unterrichtet und dazu konsultiert werden. |
4.2.3 |
Der EWSA hat jedoch erhebliche Bedenken gegen jede gemeinschaftliche Initiative, die auf die Anerkennung des Begriffs „Gruppeninteresse“ hinausläuft, was letztlich den Grundsatz der Unabhängigkeit juristischer Personen, insbesondere aus Drittstaaten, innerhalb der Unternehmensgruppe unterminieren würde. Trotz der vorsichtigen und gemäßigten Haltung der Kommission hält er eine Denkweise für besorgniserregend, nach der das Interesse der Gruppe über das der Tochtergesellschaft zu stellen ist, das ersterem geopfert werden könnte. Wenn die Kommission allerdings daran festhalten sollte, müsste zunächst eine EU-weit gemeinsame rechtsverbindliche Definition des Begriffs Unternehmensgruppe ausgearbeitet werden, was angesichts der ausgesprochen unterschiedlichen Konzepte in den Mitgliedstaaten eine heikle und schwierige Aufgabe wäre. |
4.2.4 |
Angesichts der Reichweite des Aktionsplans hält der EWSA die – ohnehin langwierige – Kodifizierung des Gesellschaftsrechts in der EU bis Ende des Jahres nicht für vorrangig. |
4.2.5 |
Der EWSA bezweifelt im Übrigen, dass eine solche Kodifizierung vollzogen werden könnte, ohne das geltende Recht zu ändern, zumal die Kommission beabsichtigt, Rechtslücken zu schließen und unbeabsichtigte Überschneidungen zu beseitigen. |
4.2.6 |
Der EWSA weist schließlich auf die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens hin, da die betreffenden Richtlinien, die verschiedene Optionen enthalten, zum größten Teil schon in nationales Recht umgesetzt worden sind. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 91.
(2) Das Gesellschaftsrecht basiert nämlich bislang allein auf die Beziehungen zwischen den Aktionären, dem Verwaltungsorgan und der Geschäftsführung.
(3) ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 35.
(4) ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 13.
(5) Unternehmensleitung, Arbeitnehmervertretung, Investoren, Gebietskörperschaften.
(6) Siehe Mitteilung der Kommission „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union - Aktionsplan“, COM(2003) 284 final.
(7) ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 91.
(8) ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 91.
(9) Gemäß den Darlegungen der Kommission in ihrer Empfehlung von 2004.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/75 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Aktionsplan Unternehmertum 2020: Den Unternehmergeist in Europa neu entfachen“
COM(2012) 795 final
2013/C 271/14
Berichterstatter: Gonçalo LOBO XAVIER
Mitberichterstatter: Ronny LANNOO
Die Europäische Kommission beschloss am 18. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Aktionsplan Unternehmertum 2020: Den Unternehmergeist in Europa neu entfachen
COM(2012) 795 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 23. Mai) mit 61 gegen 8 Stimmen bei 13 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Europa steht vor enormen Herausforderungen, und jeder Mitgliedstaat muss kritisch und überlegt seinen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten, die in der Wirtschafts- und Finanzkrise deutlich zutage getreten sind. Eines der größten Probleme – die Arbeitslosigkeit in jeglicher Form und unabhängig von den jeweils betroffenen gesellschaftlichen Gruppen – erfordert gemeinsame, konzertierte Anstrengungen der Mitgliedstaaten im Rahmen einer gemeinsamen Strategie, die dann je nach besonderen Merkmalen und Möglichkeiten der einzelnen Länder unterschiedlich umgesetzt wird. |
1.2 |
Vor diesem Hintergrund schlägt die Europäische Kommission den „Aktionsplan Unternehmertum 2020“ vor, um eine Unternehmer- und Innovationskultur fördern, die die Wiederankurbelung der Wirtschaft und die Schaffung eines echten „europäischen Unternehmergeistes“ ermöglicht, mit dem die Gesellschaft für die Verwirklichung von Zielen mobilisiert werden kann, die alle betreffen. |
1.3 |
In dieser Stellungnahme wird der besondere Nutzen der Aufstellung des „Aktionsplans Unternehmertum 2020“ untersucht, der ein konkreter Vorstoß zur Neuentfachung von Unternehmergeist und Unternehmertum als wahrhaft europäisches Instrument und Beitrag zur Überwindung der Krise ist. Der Schwerpunkt liegt auf Investitionen in kurz-, mittel- und langfristige spezifische Aktionen und strukturierte Maßnahmen, die wirksam genug sind, um durch die Stärkung und Förderung einer unternehmerischen Haltung als treibende Kraft für gesellschaftliches Engagement für Innovation und Wirtschaftswachstum eine Änderung der gegenwärtigen Situation herbeizuführen. Diese Unternehmenspolitik muss Anreize für die Gründung von Unternehmen jeglicher Art setzen. Gefördert werden müssen auch Selbstständige, Handwerker, freie Berufe, Familienbetriebe, Genossenschaften und soziale Unternehmen. |
1.4 |
Unternehmergeist darf nach Auffassung des EWSA von der Gesellschaft nicht als ein Allheilmittel betrachtet werden, sondern ist lediglich eine Hilfe, um einen Mentalitätswandel zu bewirken, der für das Entstehen einer Innovationskultur sowie das Streben nach Wissen und Geschäftsmöglichkeiten mit Blick auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum und soziales Wohlergehen bei sämtlichen Unternehmensformen notwendig ist. |
1.5 |
Der EWSA befürchtet, dass der vom Rat gebilligte mehrjährige Finanzrahmen die Umsetzung des „Aktionsplan Unternehmertum 2020“ deutlich schwächt und dieser eine reine Absichtserklärung ohne finanzielle Tragfähigkeit bleiben könnte. |
1.6 |
Der EWSA appelliert an das Europäische Parlament, die Notwendigkeit einer nachhaltigen Zuweisung umfangreicher Mittel für die Umsetzung des Plans zu berücksichtigen, und erinnert daran, dass die Strukturfonds in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen können. |
1.7 |
Der EWSA weist darauf hin, dass den verschiedenen „Akteuren“ vor Ort entsprechende Mittel für die Bekanntmachung und Verbreitung bewährter Verfahren im Bereich des Unternehmertums zur Verfügung gestellt werden müssen, unabhängig davon, aus welchem Sektor (öffentlich oder privat) oder welcher Branche sie kommen. |
1.8 |
Der EWSA empfiehlt der Kommission und den Mitgliedstaaten, den „Aktionsplan Unternehmertum 2020“ angesichts seiner Tragweite und seiner Bedeutung im europäischen Kontext in enger Zusammenarbeit mit den verschiedenen repräsentativen Organisationen der KMU umzusetzen. |
1.9 |
Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Maßnahmen zur Förderung des Unternehmertums mit den bildungspolitischen Maßnahmen unter Einbeziehung der Lehrer koordiniert werden müssen und das Konzept bereits von den ersten Schuljahren an auf dem Lehrplan stehen sollte. Der EWSA dringt außerdem auf die Koordinierung dieser Maßnahmen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene, um die reibungslose Anwendung der vorgeschlagenen Maßnahmen sicherzustellen. |
1.10 |
Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Kommission nach dem Vorbild ähnlicher Kampagnen eines der nächsten beiden Jahre zum „Europäischen Jahr des Unternehmertums“ erklären sollte, um gemeinsame Initiativen zu fördern und so das Konzept des „europäischen Unternehmertums“ zu stärken. Der im Kommissionsdokument vorgesehene „Tag des europäischen Unternehmertums“ wird durch diesen Vorschlag nicht in Frage gestellt. |
1.11 |
Der EWSA fordert die Kommission auf, einen vierten Aktionsschwerpunkt zur Verstärkung der Maßnahmen zur Begleitung, Beratung und Unterstützung der Unternehmen, insbesondere der Kleinstunternehmen, mithilfe der zwischengeschalteten Organisationen aufzunehmen. |
1.12 |
Der EWSA ersucht die Kommission, das Parlament und den Rat, auf der Grundlage der in verschiedenen Mitgliedstaaten gemachten Erfahrungen geeignete Systeme zu schaffen, um Senioren, die im Ruhestand selbstständig erwerbstätig werden wollen, zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit zu vereinfachen. |
2. Der Kommissionsvorschlag
2.1 |
Die drei Bereiche für sofortiges Handeln, die zur nachhaltigen Schaffung von Unternehmergeist und Unternehmertum in Europa beitragen sollen, sind nach Auffassung des EWSA angemessen, müssen jedoch durch spezifische Maßnahmen flankiert werden, die vor Ort mit „europäischer“ und dabei auf die globalen Märkte ausgerichteter Perspektive umgesetzt werden. Der EWSA weist die Kommission darauf hin, dass die finanzielle Tragfähigkeit dieser inhaltlich angemessenen Maßnahmen gewährleistet werden muss. Die Bereiche für sofortiges Handeln sind klar definiert:
Mit anderen Worten, es geht um die Schulung und Bildung der Menschen, die Schaffung unternehmensfreundlicher Bedingungen und die Weiterentwicklung des Konzepts auf der Grundlage der mittlerweile geschaffenen Bedingungen. Der Ausschuss betont nochmals, dass das Konzept klar entwickelt ist und ein gemeinsames Engagement sowie eine Klärung der nachhaltigen finanziellen Tragfähigkeit des Planes seitens der Mitgliedstaaten erfordert. |
3. Allgemeine Bemerkungen und Kommentare
3.1 |
Unternehmertum ist für sich genommen ein Konzept, das als ein Unterscheidungsmerkmal für entwickelte Gesellschaften definiert und anerkannt ist und die Leitkultur eindeutig kennzeichnen muss (1). |
3.2 |
Der Wandel in der Einstellung der europäischen Gesellschaft gegenüber dem Unternehmertum muss durch Verbreitung der bestehenden bewährten Verfahren und Erfolgsbeispiele in Verbindung mit entsprechenden Grundkenntnissen über die Unternehmenskultur vollzogen werden, wobei bei den zu tätigenden Investitionen vor allem das enorm reiche Humankapital in Europa genutzt werden muss. Der mehrjährige Finanzrahmen muss ausreichende Mittel vorsehen, um diese notwendige Bekanntmachung und Verbreitung der bestehenden bewährten Verfahren bei den Organisationen und Vertretern der KMU in den einzelnen Mitgliedstaaten zu ermöglichen. |
3.3 |
Im Hinblick auf den erforderlichen Mentalitätswandel gibt es wichtige Konzepte, die in dem Dokument nicht gebührend hervorgehoben werden. Dies gilt beispielsweise für das geistige Eigentum und das Urheberrecht; EWSA fordert die Kommission daher darauf, diese für die Verwirklichung der allgemeinen Ziele des Dokuments wesentlichen Konzepte (2) bei der Ausarbeitung der im Rahmen des Programms durchzuführenden Aktionen einzubeziehen. Der EWSA dringt auf ein entschlossenes Auftreten der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten in den für die Ordnung des Welthandels zuständigen Organisationen. |
3.4 |
Trotz der begrüßenswerten Absichten ist das Dokument recht lückenhaft hinsichtlich der Art der Durchführung und Überwachung der Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten gefördert werden müssen. Nach Auffassung des EWSA ist zu bedenken, dass viele dieser Maßnahmen nur dann Wirkung zeigen werden, wenn sich die Mitgliedstaaten aktiv an diesem Prozess des Umdenkens beteiligen, was angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage ohne finanzielle Unterstützung aus EU-Programmen schwer zu realisieren sein dürfte. Der EWSA unterstreicht überdies, dass der „Aktionsplan Unternehmertum 2020“ umso wirksamer umgesetzt werden kann, je stärker die verschiedenen Vertreter der KMU eingebunden werden, da dadurch die Beteiligung der Akteure gewährleistet wird, die für die anzupackenden Fragen und den notwendigen Mentalitätswandel maßgeblich sind. |
3.5 |
Der EWSA sieht mit Sorge, dass keine speziellen Haushaltsmittel für die Umsetzung der Maßnahmen des Aktionsplans vorgesehen sind, und hat daher Zweifel, ob der Plan ohne ein angemessenes Budget, das den gemachten Vorschlägen gerecht wird, Wirkung haben wird. Der EWSA weist darauf hin, dass die Strukturfonds dabei eine entscheidende Rolle spielen können. Er fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten deshalb auf, die Fonds im nächsten strategischen Rahmenplan der EU angemessen für die Förderung des Unternehmertums einzusetzen. Im Rahmen der Durchführung der Strukturfonds ist die Überwachung und Bewertung der Maßnahmen vorzusehen. |
3.6 |
Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Kommission nach dem Vorbild ähnlicher Kampagnen eines der nächsten beiden Jahre zum „Europäischen Jahr des Unternehmertums“ erklären sollte, um bedeutende gemeinsame Initiativen zu fördern und so das Konzept des „europäischen Unternehmertums“ zu stärken. |
3.7 |
Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Kommission um die Beseitigung bürokratischer Hemmnisse für die Gründung und Erweiterung von Unternehmen und ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, mit gemeinsamen Maßnahmen den europäischen Markt vor dem unlauteren Wettbewerb durch andere Länder und Regionen zu schützen. |
3.8 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten in ihren Programmen zur Förderung des Unternehmertums spezielle Maßnahmen zur sozialen Absicherung vorsehen müssen, um für Unternehmer einen vergleichbaren Schutz wie für Arbeitnehmer im Allgemeinen zu gewährleisten; dies wird zu mehr Sicherheit für diejenigen beitragen, die das „Risiko“ zur Triebfeder für den Erfolg ihrer Initiativen machen. |
3.9 |
Der EWSA plädiert für die Schaffung eines virtuellen Teams von „Botschaftern des Unternehmertums“, um durch reale Erfolgsbeispiele das Image des Unternehmers und „Machers“ zu verbessern und die Wahrnehmung durch die Gesellschaft in diesen Bereichen positiv zu verändern. Diese Teams sollen eingesetzt werden, um die unternehmerischen Werte zu verbreiten und gemeinsame Initiativen zu fördern. Die Kommission hat bereits einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen, indem sie alljährlich anlässlich der „Europäischen KMU-Woche“ die Broschüre „Secret of Success“ veröffentlicht, in der auch Botschafter des Unternehmertums aus den Mitgliedstaaten vorgestellt werden. Das Gleiche gilt für die Initiative „Start up Europe“ im Rahmen der Digitalen Agenda. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 Förderung von Unternehmertum und unternehmerischer Bildung
4.1.1 |
Der EWSA stimmt mit Nachdruck der Feststellung zu, dass Investitionen in die Förderung des Unternehmertums und die unternehmerische Bildung entscheidend sind, um die vorgeschlagenen Ziele für den notwendigen Kulturwandel in der Gesellschaft zu erreichen. Nach Auffassung des Ausschusses muss diese Förderung bereits ab den ersten Schuljahren erfolgen. Der EWSA macht indes darauf aufmerksam, dass das Konzept des Unternehmertums in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft und verschiedenen Phasen des Lebens der Bürger existiert. Das Unternehmertum muss daher im Sinne dieses übergreifenden Konzepts gefördert werden. Normalerweise bildet sich in der Zivilgesellschaft soziales Unternehmertum heraus, das für die Entwicklung des allgemeinen Konzepts des Unternehmertums von entscheidender Bedeutung ist. Der EWSA empfiehlt daher, dies anzuerkennen und zu unterstützen. |
4.1.2 |
In sämtlichen Mitgliedstaaten gibt es eine bemerkenswerte Reihe bewährter Verfahren, die verbreitet und im Einklang mit den besonderen Merkmalen und Erfordernissen der einzelnen Länder umgesetzt werden können und müssen. Die verschiedenen Initiativen angemessen zu propagieren und zu fördern, kann dazu beitragen, einen günstigen Rahmen für die Wahrnehmung der Bedeutung des Unternehmertums und der Unternehmerkultur zu schaffen. Im mehrjährigen Finanzrahmen müssen ausreichende Mittel für die Verbreitung dieser bewährten Verfahren durch die Behörden und die verschiedenen Vertreter der KMU bereitgestellt werden. |
4.1.3 |
Vom Konzept her begrüßt der EWSA die Erleichterung und Förderung bewährter Verfahren in diesen Bereichen, macht aber darauf aufmerksam, dass den besonderen Merkmalen der einzelnen Mitgliedstaaten stets dahingehend Rechnung getragen werden muss, dass diese Verfahren an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden. |
4.1.4 |
Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass die bereits bestehenden Möglichkeiten des Entreprise Europe Network (EEN) genutzt werden können, um den Aktionsplan voranzubringen und die Mitgliedstaaten über den Plan zu informieren. Zur Verstärkung dieser Bemühungen sollte die Zusammenarbeit des EEN mit den verschiedenen Organisationen ausgebaut werden, die sich für die Förderung des Unternehmertums engagieren, insbesondere den Verbänden der KMU. Dabei muss die unterschiedliche Dynamik des EEN in den einzelnen Ländern berücksichtigt werden. |
4.2 Förderung einer Unternehmerkultur
4.2.1 |
Der EWSA befürwortet die Maßnahmen zur Mobilisierung der Gesellschaft für das Unternehmertum mithilfe erfolgreicher Modelle und bewährter Beispiele. Gute Beispiele werden im Allgemeinen von der Gesellschaft nachgeahmt, was wirksam zur Herausbildung eines positiven Unternehmerbilds und von mehr Selbstvertrauen bei den unterschiedlichen Zielgruppen beiträgt. |
4.2.2 |
Es ist jedoch wie gesagt unbedingt notwendig, bei jungen Menschen schon frühzeitig den Unternehmergeist zu fördern. Es existiert eine Wechselbeziehung zwischen Ursache und Wirkung bei den Zielgruppen, durch die Unternehmergeist und Innovation gefördert werden. Junge Menschen reagieren positiv auf die Anreize zur Förderung einer Kultur und eines Umfelds, die darauf abzielen, in eigener Regie und Verantwortung „etwas zu schaffen“, und sind stolz auf ihre ureigensten Leistungen. Je früher sich junge Menschen in Projekte einbringen, bei denen sie Unternehmertum in der Praxis erlernen und sich als gute Beispiele für Unternehmergeist und die Zusammenarbeit zwischen Menschen mit gemeinsamen Zielen und Werten beweisen können, um so besser werden die Ergebnisse in der Zukunft ausfallen. Da den Lehrern aus diesem Grund bei Verhaltensänderungen eine entscheidende Rolle zukommt, spricht sich der EWSA für geeignete Initiativen zur Unterstützung der Lehrerschaft bei der Verbreitung und Förderung dieses Konzepts aus. Ein gutes Beispiel für ein Programm zur Mobilisierung für das Unternehmertum, bei dem die Lehrkräfte einbezogen werden, ist „F1 in Schools“ (3). Der EWSA macht außerdem auf die Schlussfolgerungen des Berichts „Entrepreneurship Education at School in Europe“ aufmerksam, der einen Überblick über die verschiedenen in Europa angewandten Strategien zur Förderung der unternehmerischen Bildung gibt (4). |
4.2.3 |
Der Ausschuss unterstreicht, dass es keine einheitliche Unternehmenskultur gibt, sondern diese je nach Größe, Art der Tätigkeit und Wirtschaftszweig variiert. Die Fördermaßnahmen müssen daher alle Arten von Unternehmen betreffen, ohne ein einzelnes Modell zu bevorzugen. Sie sollten sich auch an die Partner des Unternehmens richten, insbesondere Banken, Behörden und Medien, damit diese bei ihren Informationen und politischen Entscheidungen diese Kulturunterschiede berücksichtigen. |
4.2.4 |
Der EWSA empfiehlt den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten nachdrücklich, mit Blick auf die volle Erschließung und Verwirklichung des Binnenmarkts und des europäischen Sozialmodells die Vielfalt der Unternehmensformen zu schützen und zu erhalten. Alle Unternehmensformen spiegeln einen Aspekt der europäischen Geschichte wider, und jede einzelne von ihnen ist Träger unseres kollektiven Gedächtnisses und unserer unterschiedlichen Unternehmenskulturen (5). Auch um das europäische Unternehmertum voll auszuformen und zu fördern, müssen die Vielfalt und der Pluralismus der Unternehmensformen in einem europäischen Aktionsplan ausführlich dargelegt und aufgewertet werden. |
4.3 Förderung eines positiven Unternehmensumfelds
4.3.1 |
Den verschiedenen Gesellschaftsgruppen muss natürlich die Einsicht vermittelt werden, dass die Gründung von Unternehmen das Ergebnis der Anstrengungen einer Gemeinschaft ist, die den von Unternehmern und „Machern“ geschaffenen Mehrwert anerkennt, würdigt und anzunehmen bereit ist. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage ist es noch wichtiger, dass deren Rolle von allen konstruktiv wahrgenommen wird. |
4.3.2 |
Neben der angemessenen Förderung des Unternehmergeistes müssen auch wirklich nachhaltige und stabile Bedingungen – vor allem hinsichtlich der Rechtsvorschriften – für diejenigen geschaffen werden, die investieren und das Wagnis der Entwicklung einer neuen Geschäftsidee eingehen wollen. |
4.3.3 |
Der EWSA weist darauf hin, dass es sicherlich wichtig ist, die Gründung neuer Unternehmen und die Übertragung von Schließung oder Konkurs bedrohter Unternehmen zu erleichtern. Ebenso wichtig ist es aber auch, bestehende Unternehmen zu unterstützen. Zwischen der Gründung und der Schließung liegt der gesamte Lebenszyklus eines Unternehmens. Dies erfordert gezielte politische Maßnahmen, die eine bessere Rechtsetzung für die Schaffung von Arbeitsplätzen und nachhaltiges Wirtschaften, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit im Binnenmarkt und in der globalisierten Wirtschaft miteinander vereinen. |
4.3.4 |
D.h., die Mitgliedstaaten müssen einheitliche günstige Voraussetzungen schaffen, um unter Berücksichtigung der unterschiedlichsten Unternehmensstrukturen optimale Bedingungen für die Entwicklung von Unternehmen sowie unternehmerischen und sozialen Tätigkeiten zu erreichen. Auch in diesem Fall können Erfolgsbeispiele wie die unterschiedlichen Formen der kollektiven Beteiligung am Unternehmenskapital oder der Zusammenschluss zu Genossenschaften als Leitbild für die Veränderungen dienen, die von den Mitgliedstaaten gefördert werden müssen (6). |
4.3.5 |
Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Informationen über die Bedingungen für Unternehmensgründungen transparenter und zwischen den Mitgliedstaaten stärker vereinheitlicht werden müssen, damit Unternehmergeist durch gleiche Ausgangsbedingungen erleichtert wird. Außerdem muss der Zugang zu Unterstützungsdiensten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Unternehmensformen gewährleistet werden. |
4.3.6 |
Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Finanzierung eine europäische Frage ist, die von allen Mitgliedstaaten sehr sorgfältig behandelt werden muss. Die finanziellen Mittel sind begrenzt, worunter am meisten der kleine Unternehmer leidet, der ein bestimmtes Projekt in Angriff nehmen will. Daher ist es unverzichtbar, die für die Unterstützung derartiger Initiativen verfügbaren Finanzierungsinstrumentarien zu stärken; dazu gehören z.B. Kreditgarantiegemeinschaften oder Kreditlinien zu vergünstigten Bedingungen als wichtige Möglichkeiten für Kleinunternehmer, die auf den regulären Märkten keine Kredite bekommen (7). |
4.3.7 |
Der EWSA stimmt daher zu, dass die Unterstützungsinstrumente für innovative Projekte sowie solche Projekte, deren Risiko direkt proportional zum Grad der Innovation ist, verstärkt werden müssen. Angesichts dessen ist die Entscheidung, die finanzielle Unterstützung für Tests, Demonstrationsvorhaben und Pilotprojekte von neuen Technologien zu verstärken, aufgrund ihres gesellschaftlichen Multiplikatoreffekts richtig. |
4.3.8 |
In einer für die Unternehmen besonders komplizierten Zeit unterstützt der EWSA die Maßnahmen zur Vereinfachung von Unternehmensübertragungen, da diese Transaktionen als Chance für die Wiederbelebung von bestimmten Branchen und des Arbeitsmarktes anzusehen sind. |
4.3.9 |
Wichtig ist in diesem Bereich auch die Qualität der auf dem Binnenmarkt angewandten Rechtsvorschriften. Hier bleibt für die Mitgliedstaaten noch viel zu tun, doch die eingeleitete Entwicklung ist unumkehrbar. |
4.4 Dem Stigma des „Scheiterns“ eine Absage erteilen: Scheitern darf nicht Synonym für Endstation sein, sondern kann und sollte, wenn die richtigen Schlüsse gezogen werden, als Wachstumsphase begriffen werden.
4.4.1 |
Es ist viel von der amerikanischen bzw. angelsächsischen Kultur der zweiten Chance nach einem Scheitern die Rede. Der EWSA stimmt zu, dass die Gesellschaft als Ganzes die Unternehmer hinsichtlich ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber anfänglichen Misserfolgen in einem anderen Licht sehen muss. Er weist daher darauf hin, dass Mechanismen geschaffen werden müssen, damit jeder, der Unternehmergeist besitzt und wirklich etwas Neues schaffen will, an seinem Vorhaben festhalten kann. Das Scheitern des ersten Versuchs, etwas zu schaffen, kann und muss – insbesondere vom Finanzsystem – als Chance zur Verbesserung und zur Befähigung für neue unternehmerische Projekte begriffen werden und darf nicht als „Ende eines Weges“ angesehen werden. Der Ausschuss ist überdies der Ansicht, dass die übertriebene Propagierung einer bestimmten Kultur auch kontraproduktiv sein kann und gesunder Menschenverstand und Ausgewogenheit stets die Oberhand haben müssen. |
4.5 Verstärkte Unterstützung für KMU-Verbände und andere Vertretungsorganisationen
4.5.1 |
Der EWSA stimmt zu, dass die Unternehmensvorschriften für alle jene, die aktiv an der Gründung oder Weiterentwicklung eines Unternehmens mitwirken wollen, klar und einfach sein sollten. Der Ausschuss begrüßt die Anstrengungen der Kommission und der Mitgliedstaaten um Verringerung des Verwaltungsaufwands im Zusammenhang mit der Gründung und Modernisierung von Unternehmen. Die Gründung eines Industrie-, Dienstleistungs- oder Technologieunternehmens muss ein einfaches und schnelles Verfahren, aber auch ein ausreichend tragfähiges Projekt sein, um überhöhte Erwartungen und Missverständnisse für den Unternehmer wie für die Behörden zu vermeiden. |
4.5.2 |
Der EWSA begrüßt die Ankündigung der Kommission, eine Arbeitsgruppe zur Bewertung der besonderen Bedürfnisse der Unternehmer in freien Berufen im Zusammenhang mit Fragen wie Vereinfachung, Internationalisierung oder Zugang zu Finanzierungen einzurichten. Der EWSA erinnert zudem daran, dass das Subsidiaritätsprinzip und die spezielle Funktion, die die freien Berufe in vielen Mitgliedstaaten haben, berücksichtigt werden müssen, um die Ausarbeitung einer „Europäische Charta für die freien Berufe“ analog zur „Europäische Charta für Kleinunternehmen“ zu fördern. |
4.5.3 |
Der EWSA begrüßt, dass Maßnahmen zur Beratung und Betreuung von Unternehmen vorgesehen sind, macht jedoch darauf aufmerksam, dass Teams geschaffen werden müssen, die fachgebietsübergreifend agieren und den jeweiligen Markt und seine besonderen Merkmale gut kennen. Er weist daher darauf hin, dass der Erfahrungsschatz ehemaliger und erfahrener Unternehmer genutzt werden könnte, die zur Verfügung stehen, um neue Unternehmer mit ihrem Wissen zu unterstützen und dadurch einen nutzbringenden Dialog zwischen den Generationen zu ermöglichen. Der EWSA hält es deshalb für wichtig, bei derartigen Maßnahmen nicht allein auf Freiwilligentätigkeit zu setzen, sondern sie durch Anreize zu unterstützen, die den Mentoren und Unternehmern die Teilhabe an den Früchten der Wertschöpfung ermöglichen. Dies ist auch eine Form der Integration von Menschen, die noch etwas zur Gesellschaft beizutragen haben, jedoch nicht mehr oder nur teilweise auf dem Arbeitsmarkt aktiv sind. |
4.5.4 |
Die Vernetzung zwischen den KMU sollte gefördert werden, da dank der Größenvorteile (Aufteilung der Kosten im Zusammenhang mit Vermarktung, Beschaffung oder anderen gemeinsamen Diensten, Zusammenarbeit zwischen Unternehmen mit einander ergänzender Waren- oder Dienstleistungspalette, Möglichkeiten der Innovation und der Internationalisierung) die Tragfähigkeit der Unternehmen erheblich gestärkt wird. |
4.5.5 |
Neben den Bemühungen um Verwaltungsvereinfachung und Begleitung bei Neugründungen spielt nach Auffassung des EWSA die Beratung (Coaching und Mentoring) durch die Unternehmensverbände eine wichtige Rolle. Ohne diese Maßnahmen haben KMU, insbesondere Kleinstunternehmen, aus eigener Kraft weder Zugang zu den Finanzierungsmöglichkeiten und Fonds der EU noch die Fähigkeit zu Innovation, Ausbau ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Umsetzung der prioritären Maßnahmen der Europa-2020-Strategie, obwohl sie unmittelbar betroffen sind. Der EWSA bedauert, dass die Stärkung der Coaching-/Mentoring-Maßnahmen der Unternehmensverbände nicht im Plan enthalten ist. Er fordert, einen vierten Aktionsschwerpunkt zur Verstärkung dieser Maßnahmen mithilfe der zwischengeschalteten Organisationen aufzunehmen. Diese Maßnahmen müssen insbesondere auf Kleinstunternehmen ausgerichtet werden. |
4.6 Unterstützung bestimmter Gruppen
4.6.1 |
Der EWSA begrüßt die besonderen Bemühungen um Mobilisierung von Bevölkerungsgruppen, deren Beitrag zum gemeinsamen Erreichen dieser Ziele immer wichtiger wird. |
4.6.2 |
Der Ausschuss befürwortet die Maßnahmen zur Mobilisierung und Sensibilisierung der im Plan genannten Zielgruppen (Arbeitslose, Frauen, ältere Menschen, junge Leute, Menschen mit Behinderungen und Migranten) für Fragen des Unternehmertums, die Gründung eines Unternehmens und ihren Wert für die Gesellschaft. Die Förderung und Verbreitung bestehender bewährter Verfahren durch diese Gruppen kann einen umfassenderen Ansatz und die Umsetzung angemessener politischer Maßnahmen ermöglichen. Der EWSA unterstützt die Sicht, dass diese Bevölkerungsgruppen in der Lage sind, die Gesellschaft für diese Thematik zu mobilisieren, und spricht sich für Maßnahmen aus, um die Werte des Unternehmertums und der Innovation bei ihnen zu fördern, damit sie an der Bewältigung dieser Herausforderung für Europa mitwirken. |
4.6.3 |
Der EWSA lenkt die besondere Aufmerksamkeit der EU-Organe auf die zunehmende Tendenz bei Ruheständlern, eine selbstständige Erwerbstätigkeit wiederaufzunehmen bzw. neu aufzunehmen. Dieser Trend ist insbesondere auf die steigende Lebenserwartung zurückzuführen wie auch auf die Fortschritte im Gesundheitsbereich und die Notwendigkeit, die Einkünfte infolge der Auswirkungen der Krise auf die Renten aufzustocken. Der EWSA ersucht die Kommission, das Parlament und den Rat, auf der Grundlage der in verschiedenen Mitgliedstaaten gemachten Erfahrungen geeignete Systeme zu schaffen, um Senioren, die sich in dieser Richtung betätigen wollen, zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für ihre Tätigkeit zu vereinfachen. |
Brüssel, den 23. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 45.
(2) ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 28: „Die Rechte des geistigen Eigentums müssen auch weiterhin ihre traditionelle Rolle als Motor von Innovation und Wachstum spielen“.
(3) http://www.f1inschools.com
(4) http://eacea.ec.europa.eu/education/Eurydice/documents/thematic_reports/135EN.pdf
(5) ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 22.
(6) ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 24.
(7) ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 125 und ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 45.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/81 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherheit von Verbraucherprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 87/357/EWG des Rates und der Richtlinie 2001/95/EG
COM(2013) 78 final — 2013/0049 (COD)
2013/C 271/15
Hauptberichterstatter: Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER
Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 25. Februar bzw. am 12. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherheit von Verbraucherprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 87/357/EWG des Rates und der Richtlinie 2001/95/EG
COM(2013) 78 final – 2013/0049 (COD).
Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 12. Februar 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.
Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 120 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der EWSA teilt die Ansicht der Kommission, dass ein Rechtsrahmen geschaffen werden muss, mit dem ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleistet und die Sicherheit der Verbraucherprodukte zur Auflage gemacht wird. |
1.2 |
Der Ausschuss ist der Auffassung, dass eine Verordnung ein geeignetes Rechtsinstrument für die Konsolidierung der vorhandenen Rechtstexte ist, in deren Zuge sie an den neuen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten angepasst werden. Mit dieser Verordnung wird unter Aufstellung gemeinsamer Kriterien in allen EU-Mitgliedstaaten dasselbe Sicherheitsniveau festgelegt. |
1.3 |
Da nur über eine Verordnung gewährleistet werden kann, dass in allen Mitgliedstaaten dieselben Maßnahmen umgesetzt werden und derselbe Risikograd zugrunde gelegt wird, sollte sichergestellt werden, dass die gewählten Formulierungen keine unterschiedlichen Auslegungen zulassen. |
1.4 |
Angesichts der Bedeutung der Normung für die Gewährleistung der Produktsicherheit sollte nach dem Dafürhalten des EWSA die Kommission die Mitwirkung der Verbraucher bei dem Europäischen Komitee für Normung(CEN) und weiteren ähnlichen Gremien stärker fördern. |
1.5 |
Hinsichtlich der Vollendung des Binnenmarkts hält der Ausschuss den Vorschlag einerseits insofern für eine für die Verbraucher äußerst wichtige Schutzmaßnahme, als das Verletzungs- und Todesrisiko reduziert wird, wodurch das Vertrauen wiederhergestellt wird; andererseits erachtet er transparente und lautere Handelstransaktionen als erforderlich, damit diejenigen, die gefährliche Produkte herstellen oder verkaufen wollen, keinen unfairen Vorteil gegenüber den Konkurrenten haben, die die Kosten für sichere Produkte auf sich nehmen. |
2. Einleitung
2.1 |
Die Gewährleistung der Sicherheit der Verbraucher bedeutet, dass die ihnen zur Verfügung gestellten Waren und Dienstleistungen unter normalen und vorhersehbaren Nutzungsbedingungen kein Risiko für ihre Gesundheit darstellen oder – für den Fall, dass sie ein Risiko darstellen – mittels raschen und einfachen Verfahren vom Markt genommen werden können. Dies gehört bereits seit dem einschlägigen ersten Programm von 1975 (1) zu den vorrangigen Grundsätzen der EU-Politik im Bereich Verbraucherschutz. Durch die Entschließung des Rates vom 23. Juni 1986 (2) über den Schutz und die Förderung der Verbraucherinteressen wurde die so genannte „neue Konzeption“ auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung (3) angestoßen. |
2.2 |
Die erste Richtlinie in Bezug auf die allgemeine Produktsicherheit, die 1992 verabschiedet wurde (4), wurde durch die Richtlinie 2001/95/EG des Parlaments und des Rats vom 3. Dezember 2001 (5) ersetzt, die am 15. Januar 2002 in Kraft trat und bei der als Frist für ihre Umsetzung in nationales Recht durch die einzelnen Mitgliedstaaten der 15. Januar 2004 festgesetzt wurde. Damals äußerte sich der EWSA hierzu (6), wobei er den von der Kommission vorgeschlagenen Ansatz zwar befürwortete, aber Vorbehalte gegenüber bestimmten Aspekten anmeldete. |
2.3 |
Mit der Schaffung des Schnellwarnsystems für gefährliche Non-Food-Konsumgüter (RAPEX) wurde der Austausch von Informationen zwischen der Kommission und den Behörden der Mitgliedstaaten über die Maßnahmen eingeführt, die von den einzelstaatlichen Behörden und den Wirtschaftsakteuren in Bezug auf Produkte ergriffen wurden, die ein schweres Risiko für die Gesundheit und die Sicherheit der Verbraucher darstellen, um sogenannte „Notsituationen“ bewältigen zu können. Die Kommission verabschiedete 2004 (7) spezifische Leitlinien zur Gewährleistung eines reibungslosen Funktionierens von RAPEX. |
2.4 |
Zwar wurde die Richtlinie von den Mitgliedstaaten in das jeweilige nationale Recht umgesetzt, doch erfolgte dies nicht überall gemäß denselben Methoden, weshalb einige einzelstaatliche Rechtsvorschriften unter anderem folgende Unterschiede aufweisen:
|
3. Der Vorschlag der Kommission
3.1 |
Der vorliegende Vorschlag ist Bestandteil des „Produktsicherheits- und Marktüberwachungspakets“, das auch einen Vorschlag für eine einzige Marktüberwachungsverordnung und einen mehrjährigen Aktionsplan für den Zeitraum 2013-2015 enthält. |
3.2 |
Der Verordnungsvorschlag dient der Vervollständigung des in den vergangenen Jahren verabschiedeten Rechtsrahmens für die Sicherheit von Verbraucherprodukten und der Vermarktung von Produkten und betrifft aus einem Herstellungsprozess hervorgegangene Non-Food-Verbraucherprodukte, ausgenommen einige Produkte wie Antiquitäten. Es werden „sichere“ Verbraucherprodukte gefordert und den Wirtschaftsteilnehmern bestimmte Pflichten auferlegt und zugleich Bestimmungen über die Ausarbeitung von Normen zur Stützung des allgemeinen Sicherheitsgebots festgelegt. Als Rechtsgrundlage zieht die Kommission Artikel 114 AEUV heran, der zugleich Rechtsgrundlage für Maßnahmen in Bezug auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts ist, wobei die Union und die Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeiten ausüben. |
3.3 |
Für ihren Vorschlag wählt die Kommission anstelle einer Richtlinie das Rechtsinstrument einer Verordnung, um in allen EU-Mitgliedstaaten für dasselbe Sicherheitsniveau zu sorgen und die einschlägigen Rechtsvorschriften zu harmonisieren, indem sie unbeschadet der bereichsspezifischen Rechtsvorschriften eine Reihe gemeinsamer Kriterien aufstellt. Der Verordnungsvorschlag enthält klare und detaillierte Vorschriften, die in der ganzen Union einheitlich und gleichzeitig gelten werden. |
3.4 |
Die Kommission will ein hohes Gesundheitsschutz- und Sicherheitsniveau der Verbraucher halten und zugleich die Funktionsweise des Sicherheitssystems und dessen Wechselwirkung mit anderen Rechtsakten der EU rationalisieren und vereinfachen. |
3.5 |
Mit der Verordnung sollen die Richtlinien 87/357/EG und 2011/95/EG aufgehoben werden, deren Inhalt auf die beiden in Ausarbeitung befindlichen Verordnungen aufgeteilt wird. Hiermit werden die derzeit in der Produktsicherheitsrichtlinie enthaltenen Bestimmungen in Bezug auf die Marktüberwachung und das RAPEX-System in den Vorschlag für eine neue einzige Verordnung über die Marktüberwachung übernommen, mit der sämtliche einschlägigen Bestimmungen zu einem einzigen Instrument zusammengeführt werden und in der RAPEX die Funktion eines spezifischen Warnsystems für riskante Produkte zugeschrieben wird. |
3.6 |
Andererseits werden in der vorliegenden Verordnung die grundlegenden Pflichten der betroffenen, an der Lieferkette für Verbraucherprodukte beteiligten Wirtschaftsteilnehmer (Hersteller, Importeure und Händler) festgelegt, sofern sie nicht den entsprechenden Anforderungen der bereichsspezifischen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union unterliegen. Ihr Anwendungsbereich bleibt daher auf Situationen beschränk, die nicht oder nur teilweise durch bereichsspezifische Vorschriften geregelt sind. |
3.7 |
Als Ausgangspunkt dient der allgemeine Grundsatz, dass sämtliche Non-Food-Verbraucherprodukte, die in der EU vermarktet werden oder in den Handel kommen sollen, sicher sein müssen. Die ausführlicher erläuterten Pflichten der Wirtschaftsteilnehmer gelten nur für diejenigen, die nicht den entsprechenden Pflichten unterliegen, die in den für die Branche eines konkreten Produkts geltenden Harmonisierungsvorschriften festgelegt werden. |
3.8 |
Dank der Einführung einer klaren Verbindung zu den bereichsspezifischen Rechtsvorschriften und der Vereinfachung der Vorschriften/Normen wurde der Vorschlag vereinfacht. Die Verbraucherprodukte, die die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit von Personen erfüllen, gelten auch im Sinne der vorgeschlagenen Verordnung als sicher. |
3.9 |
Ferner wurde der Teil mit den Begriffsbestimmungen im Einklang mit dem neuen Rechtsrahmen für die Produktvermarktung aktualisiert. Darüber hinaus wurde das Verfahren zur Ermittlung bestehender europäischer Normen oder zur Erteilung von Aufträgen für die Erarbeitung europäischer Normen, die eine Sicherheitsvermutung bezüglich eines Produkts begründen könnten, deutlich vereinfacht und an den neuen umfassenden Rahmen für die europäische Normung angepasst. |
3.10 |
Die Pflichten der Wirtschaftsteilnehmer betreffen u.a. Fragen im Zusammenhang mit der Kennzeichnung und Identifizierung der Produkte, der Maßnahmen im Falle unsicherer Produkte und der Unterrichtung der zuständigen Behörden. |
3.10.1 |
In dem Vorschlag wird von den Wirtschaftsakteuren verlangt, dass sie in der Lage sein müssen, die Unternehmer zu nennen, von denen sie ein Produkt bezogen haben und an die sie es abgegeben haben. Die Kommission ist befugt, Wirtschaftsakteure durch entsprechende Maßnahmen zu verpflichten, ein elektronisches Rückverfolgungssystem einzurichten oder zu übernehmen. |
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1 Der EWSA befürwortet Rechtsvorschriften, die ein hohes Gesundheitsschutz- und Sicherheitsniveau für die Verbraucher – insbesondere im Hinblick auf Produkte – gewährleisten, und ist der Ansicht, dass der Vorschlag der Kommission hierzu beitragen kann; allerdings fordert er die Berücksichtigung der in dieser Stellungnahme vorgebrachten Bemerkungen, um den Vorschlag klarer zu formulieren.
4.2 Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass die ausführlichen Informationen in der Begründung des Vorschlags nicht in den nachfolgenden verfügenden Teil übernommen wurden. So wird in den Erwägungsgründen beispielsweise angesprochen, dass der neue Vorschlag für alle Verkaufsmethoden, auch für den Fernabsatz, gilt, im verfügenden Teil ist hiervon allerdings keine Rede. Daher wäre es angesichts des vorgeschlagenen Rechtsinstruments – das eine vorherige Vereinheitlichung der Kriterien voraussetzt, um eine einheitliche Auslegung in allen EU-Mitgliedstaaten zu gewährleisten – ratsam, in den verfügenden Teil der Verordnung zumindest einen knappen Verweis aufzunehmen.
4.2.1 Der Vorschlag einer Verordnung ist nach Meinung des Ausschusses angemessen und verhältnismäßig, denn nur durch eine Verordnung kann gewährleistet werden, dass in allen EU-Mitgliedstaaten die gleichen Maßnahmen umgesetzt und der gleiche Risikograd zugrunde gelegt wird. Es handelt sich um das geeignete Instrument, um die Richtlinien 87/357/EG und 2011/95/EG aufzuheben, vorausgesetzt, das durch die Sicherheitsanforderungen dieser beiden Richtlinien etablierte Schutzniveau bleibt gewahrt.
4.2.2 Die dadurch gewonnene Rechtssicherheit für Markt und Verbraucher und die Vereinfachung der Maßnahmen führen zu geringeren wirtschaftlichen Umsetzungskosten; und die Vorschriften sind in allen Mitgliedstaaten übereinstimmend auszulegen.
4.2.3 Es ist zu betonen, dass in dem Vorschlag der Geltungsbereich der Verordnung klar gegenüber bereichsspezifischen Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union abgegrenzt wird. In Artikel 1 sollte deshalb der „allgemeine“ und übergreifende Charakter der Verordnung gegenüber den bereichsspezifischen Sicherheitsvorschriften für Verbraucherprodukte hervorgehoben werden.
4.3 Wie die Richtlinie zielt auch die vorgeschlagene Verordnung darauf ab, dass Verbraucherprodukte „sicher“ sind. Sie legt fest, dass die Wirtschaftsakteure bestimmte Pflichten zu erfüllen haben und dass Normen im Hinblick auf das allgemeine Sicherheitsgebot ausgearbeitet werden. Allerdings wird nicht auf das Vorsorgeprinzip Bezug genommen, das doch der Produktsicherheit zugrunde gelegt und ausdrücklich in den verfügenden Teil der Verordnung aufgenommen werden muss.
4.4 Begriffsbestimmungen
4.4.1 |
Nach Meinung des Ausschusses müssen einige Begriffsbestimmungen überarbeitet werden, da sie aus Gründen der Terminologie, der Übersetzung oder der Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten zu Problemen bei der Anwendung der Verordnung führen können. |
4.4.2 |
Der Begriff „sicheres Produkt“ ist hinreichend definiert und beinhaltet die verschiedenen Aspekte, die die Bewertung der Sicherheit eines Produkts unter Berücksichtigung von Kriterien wie Haltbarkeit, Beschaffenheit, Zusammensetzung usw., über die die Verbraucher Bescheid wissen sollten. Jedoch sollte der Begriff „Produkt“ durch „aus einem Herstellungsprozess hervorgegangenes“ ergänzt werden. |
4.4.3 |
Die „normalen oder vernünftigerweise vorhersehbaren“ Verwendungsbedingungen lassen indes Interpretationsspielraum zu, zumal das Vernunftskriterium so ausgelegt werden könnte, dass jedes, auch ein unsicheres Produkt unter dem Vorbehalt einer angemessenen Verwendung in Verkehr gebracht werden kann. |
4.4.4 |
Der Begriff „normal“ sollte durch „üblich“ ersetzt oder ggf., angesichts der begrifflichen Unschärfe, mit der Produktzielgruppe verknüpft werden. Es wird deshalb empfohlen, anstatt dessen den Begriff „unsicheres Produkt“ zu verwenden, um so eine Übereinstimmung mit der Richtlinie über Produkthaftung (8) herbeizuführen. Diesbezüglich sollten die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten angepasst werden, obwohl der Produktbegriff in diesem Bereich weiter gefasst ist. |
4.4.5 |
Im Zusammenhang mit dem Begriff „Bevollmächtigter“ wird in der spanischen Fassung des Verordnungsvorschlags „mandato“ (in der deutschen Fassung dagegen „beauftragt“) verwendet, woraus sich Probleme im Zusammenhang mit in einigen Mitgliedstaaten eventuell vorab erforderlichen Vollmachtserteilungen ergeben könnten. Es wird vorgeschlagenen, statt dessen „encargado por escrito“ („schriftlich beauftragt“, die deutsche Fassung bleibt demnach unverändert) zu verwenden, so dass es den Mitgliedstaaten freisteht, die mit ihrer Rechtsordnung übereinstimmende Auftragsform festzulegen, und eventuelle künftige auftragsrechtliche Probleme vermieden werden. |
4.4.6 |
Der Begriff „ernstes Risiko“ sollte auf „Risiko, Notlage oder Gefahr“ ausgeweitet werden, was für die Verbraucher eingängiger ist; anders ausgedrückt sollte ein „ernstes Risiko“ das Erfordernis beinhalten, dass sofort reagiert wird und in dem Moment Maßnahmen ergriffen werden, in dem das Risiko bekannt wird. |
5. Besondere Bemerkungen
5.1 In dem Verordnungsvorschlag gilt das Augenmerk besonders der notwendigen Vereinheitlichung und Vereinfachung der Pflichten der Wirtschaftsakteure, was der Ausschuss angesichts der unklaren Lage für sowohl die Wirtschaftsakteure als auch die einzelstaatlichen Behörden nachdrücklich begrüßt.
5.2 In Artikel 4 sollte „nach Maßgabe dieser Verordnung“ hinzugefügt werden, da der Sicherheitsbegriff womöglich von anderen bereichsspezifischen Vorschriften abweicht.
5.3 In dem Vorschlag muss geklärt werden, inwieweit die Verordnung auch für Dienstleistungen gelten soll. Der Ausschuss hofft indes, dass die Kommission einen umfassenden Vorschlag über die Sicherheit von Dienstleistungen in der EU vorlegen wird.
5.4 Im Zusammenhang mit den „schutzbedürftigen Verbrauchern“ in Artikel 6 Buchstabe d wäre zu klären, ob sich die Schutzbedürftigkeit aus Eigenschaften der Verbraucher (Alter, Gesundheit usw.) oder aus Eigenschaften der Produkte (und deren unzureichender Kenntnis) ergibt. Im Interesse der Kohärenz des EU-Rechts sollten eigenständige Begriffe verwendet werden, deren Definition für das gesamte EU-Recht gilt, und nicht in jedem Legislativvorschlag Begriffe neu definiert werden.
5.5 In Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe h ist die Rede von der Sicherheit, die von den Verbrauchern vernünftigerweise erwartet werden kann. Der Begriff „vernünftigerweise“ sollte durch einen Hinweis auf Produktbeschaffenheit, -zusammensetzung und -verwendungszweck konkretisiert werden, um mehr Rechtssicherheit zu schaffen.
5.6 Nach Ansicht des Ausschusses haben die Verbraucher Anspruch auf klare und genaue Informationen über den Ursprung der Produkte, aus denen im Einklang mit den im Zollkodex festgelegten Bestimmungen über den Warenursprung auf jeden Fall ihre tatsächliche Herkunft erkennbar sein sollte, wie im Unionsrecht festgelegt.
5.7 Fern sollte im spanischen Wortlaut dieses Artikels „asegurarse“ (sich vergewissern) durch „asegurar“ (gewährleisten, in der deutschsprachigen Fassung bereits der Fall) ersetzt werden, damit die Hersteller und Einführer die Erfüllung der Verpflichtungen gewährleisten müssen.
5.8 Pflichten der Hersteller und anderen Akteure
5.8.1 |
Der Verordnungsvorschlag enthält relevante Bestimmungen für die Erstellung von Unterlagen seitens der Hersteller und die von ihnen zu treffenden Vorkehrungen für die Sicherheit der Verbraucher. |
5.8.2 |
Sie werden dazu verpflichtet, Stichproben von auf dem Markt bereitgestellten Produkten zu nehmen, Beschwerden nachzugehen, ein Verzeichnis der Beschwerden, der nicht konformen Produkte und der Produktrückrufe zu führen und die Händler über all diese Maßnahmen auf dem Laufenden zu halten. |
5.8.3 |
Allerdings wird nicht ausgeführt, wie diese Auflagen umgesetzt werden sollen – ob jeder Mitgliedstaat die verpflichtenden Maßnahmen nach eigenem Ermessen durchführen soll (bspw. hinsichtlich der Einrichtung eines spezifischen Verzeichnisses) oder, was sinnvoller wäre, ob diese Maßnahmen harmonisiert werden sollen, um über ein Frühwarnsystem zu verfügen, über das der Markt rechtzeitig informiert werden und noch vor Schadenseintritt Vorkehrungen treffen kann. |
5.9 Technische Unterlagen
5.9.1 |
Die Verpflichtung zur Information der Verbraucher darf sich ausschließlich auf Fragen in Verbindung mit der Beschaffenheit und dem Verwendungszweck der Produkte beziehen, nicht aber auf die eigentlichen technischen Unterlagen, die unter das Geschäftsgeheimnis fallende Daten und andere vertrauliche Herstellerinformationen enthalten können; zwar müssen die Behörden Zugang zu diesen Daten haben, doch bedarf es dazu gemeinsamer klarer Regeln, die in dem Vorschlag fehlen. |
5.9.2 |
Da die Hersteller dem Vorschlag zufolge offenbar die Haftung für die Schäden, die durch ein unsicheres Produkt verursacht werden können, übernehmen müssen, wäre es angezeigt, die Gültigkeit der technischen Unterlagen auf zehn Jahre festzulegen. In Artikel 8 Absatz 6 sollte im Interesse der Klarheit „Die Hersteller gewährleisten“ durch „Die Hersteller sind dafür verantwortlich“ ersetzt werden, was der ihnen auferlegten Verpflichtung besser entspricht. Entsprechendes sollte für die Einführer und ihre Verantwortung sowie ihre Verpflichtung, die technischen Unterlagen zehn Jahre aufzubewahren, gelten. Besagte Verpflichtung sollten auch die anderen Wirtschaftsakteure haben. |
5.9.3 |
In Artikel 8 Absatz 7 werden die Hersteller verpflichtet, eine zentrale Stelle anzugeben, an der der Hersteller kontaktiert werden kann. Damit die Verbraucher ihr Recht auf Information über ein bestimmtes Produkt ungehindert wahrnehmen können, sollte dafür gesorgt werden, dass den Verbrauchern bei Wahrnehmung dieser Möglichkeit keine hohen Kosten entstehen, die einer Abstrafung gleichkämen. |
5.10 Der Ausschuss fordert das höchstmögliche Schutzniveau in Verbindung mit Erzeugnissen, deren tatsächliche Beschaffenheit nicht erkennbar ist; vor allem bei Produkten, die wie Spielzeug aussehen, sollten die Vorschriften der Richtlinie über die Sicherheit von Spielzeug gelten, um Minderjährige möglichst gut zu schützen.
5.11 Der Ausschuss befürwortet die Rückverfolgbarkeit der Produkte entlang der Lieferkette, durch die die beteiligten Wirtschaftsakteure identifiziert und im Falle unsicherer Produkte wirksame Maßnahmen wie Rückruf- oder Rücknahmeaktionen ergriffen werden können.
5.12 Nach Meinung des Ausschusses wird das derzeit geltende Verfahren, demzufolge europäische Normen als Grundlage für die Vermutung der Konformität gelten, durch die vorgeschlagene Verordnung verbessert. Im Interesse der Rechtssicherheit sollten jedoch die Übergangsbestimmungen und die Vermutung der Konformität geklärt werden.
5.12.1 In Anbetracht der Bedeutung von Normungsarbeiten hält der Ausschuss es für erforderlich, dass die europäischen Normungsorganisationen über ausreichende Ressourcen verfügen, um ihre Produktivität zu steigern und ein hohes Qualitätsniveau sicherzustellen, und dass die Verbraucher wirksamer vertreten sind.
5.13 Es ist grundsätzlich sinnvoll, der Kommission die Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte übertragen, allerdings ist nicht nachvollziehbar, warum diese Befugnis auf unbestimmte Zeit übertragen werden soll. Delegierte Rechtsakte dürfen nicht essenzielle Frage berühren und müssen im Rahmen des ursprünglichen Rechtsakts bleiben. Sie sollten vor allem im Vorfeld der Inverkehrbringung gefährlicher Produkte erlassen werden. Deshalb ist der Erlass delegierter Rechtsakte im Sinn von Artikel 15 Absatz 3 Buchstabe a angemessen, im Sinn von Artikel 15 Absatz 3 Buchstabe b jedoch fraglich.
5.14 Im Zusammenhang mit Sanktionen plädiert der Ausschuss erneut dafür, die Einstufung der Verstöße und den Sanktionskatalog zu harmonisieren (9), denn schon allein die allgemeine Vorgabe, dass Sanktionen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen, kann zu Marktverzerrungen führen.
5.14.1 Schließlich erachtet der Ausschuss es als erforderlich, dass die Mitgliedstaaten bei den zuständigen Gerichten angemessene und wirksame Rechtsbehelfe einlegen können, um die Umsetzung der Verordnung im allgemeinen Interesse der Verbraucher zu gewährleisten.
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Entschließung des Rates vom 14.4.1975 betreffend ein Erstes Programm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher, ABl. C 92 vom 25.4.1975, S. 1.
(2) ABl. C 167 vom 5.7.1986, S. 1.
(3) Diese gründete auf der Entschließung des Rates vom 7.5.1985, ABl. C 136 vom 4.6.1985, S. 1.
(4) ABl. L 228 vom 11.8.1992, S. 24.
(5) ABl. L 11 vom 15.1.2002, S. 4.
(6) ABl. C 367 vom 20.12.2000, S. 34.
(7) Entscheidung 2004/418/EG der Kommission, ABl. L 151 vom 30.4.2004, S. 84.
(8) ABl. L 210 vom 7.8.1985, S. 29.
(9) Z.B. nach dem Vorbild der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009, ABl. L 300 vom 14.11.2009, S. 51.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/86 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Marktüberwachung von Produkten und zur Änderung der Richtlinien 89/686/EWG und 93/15/EWG des Rates sowie der Richtlinien 94/9/EG, 94/25/EG, 95/16/EG, 97/23/EG, 1999/5/EG, 2000/9/EG, 2000/14/EG, 2001/95/EG, 2004/108/EG, 2006/42/EG, 2006/95/EG, 2007/23/EG, 2008/57/EG, 2009/48/EG, 2009/105/EG, 2009/142/EG, 2011/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates der Verordnung (EU) Nr. 305/2011, der Verordnung (EG) Nr. 764/2008 und der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates
COM(2013) 75 final — 2013/0048 (COD)
2013/C 271/16
Hauptberichterstatter: Jacques LEMERCIER
Der Rat beschloss am 8. März 2013 und das Parlament am 12. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Marktüberwachung von Produkten und zur Änderung der Richtlinien 89/686/EWG und 93/15/EWG des Rates sowie der Richtlinien 94/9/EG, 94/25/EG, 95/16/EG, 97/23/EG, 1999/5/EG, 2000/9/EG, 2000/14/EG, 2001/95/EG, 2004/108/EG, 2006/42/EG, 2006/95/EG, 2007/23/EG, 2008/57/EG, 2009/48/EG, 2009/105/EG, 2009/142/EG, 2011/65/EU, der Verordnung (EU) Nr. 305/2011, der Verordnung (EG) Nr. 764/2008 und der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates
COM(2013) 75 final – 2013/0048 (COD).
Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 12. Februar 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.
Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) Jacques LEMERCIER zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 116 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Ausschuss begrüßt den Verordnungsvorschlag. Die derzeit für die Marktüberwachung und Kontrolle von Produkten geltenden Bestimmungen sind zu stark auf eine Vielzahl von Texten unterschiedlichen Inhalts verteilt, wodurch den Überwachungsbehörden und Herstellern wie auch den Verbraucherverbänden und Arbeitnehmerorganisationen die Arbeit unnötig erschwert wird. Der Ausschuss stellt befriedigt fest, dass die bisherigen vertikalen Rechtsvorschriften aufgehoben und in einer einzigen und wirksameren horizontalen Verordnung zusammengeführt werden sollen. |
1.2 |
Der Ausschuss ist mit der Wahl der Rechtsgrundlage einverstanden; er hält es jedoch für notwendig, auch auf Artikel 12 AEUV zu verweisen, dem zufolge den Erfordernissen des Verbraucherschutzes als Querschnittspolitik „bei der Festlegung und Durchführung der anderen Unionspolitiken und -maßnahmen Rechnung getragen“ wird. |
1.3 |
Als Rechtsinstrument wird eine Verordnung vorgeschlagen. Der Ausschuss hält dies für die geeignetste Lösung, um die Zusammenarbeit und den Austausch unter den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union zu fördern. Das von der Kommission vorgeschlagene Paket entspricht seiner Ansicht nach den im Vertrag verankerten Erfordernissen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Die Mitgliedstaaten bleiben in vollem Umfang für die Überwachung ihrer nationalen Märkte und die Kontrollen an den EU-Außengrenzen zuständig und müssen die entsprechende Finanzierung sicherstellen. |
1.4 |
Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die in der Union in Verkehr gebrachten Produkte die Anforderungen erfüllen müssen, die ein hohes Schutzniveau in Bezug auf öffentliche Interessen wie Gesundheit und Sicherheit im Allgemeinen, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Verbraucher- und Umweltschutz sowie öffentliche Sicherheit gewährleisten. |
1.5 |
Der Ausschuss vertritt den Standpunkt, dass die Wahrung von Herstellungs- und Betriebsgeheimnissen kein Hindernis für die Veröffentlichung von Warnmeldungen sein darf, wenn die Gesundheit und Sicherheit der Verwender durch einen der Bestandteile des betreffenden Produkts beeinträchtigt werden könnten. Die gängige Praxis beim RAPEX-System, dem öffentlichen Interesse Vorrang vor den privaten Interessen einzuräumen, muss von den Überwachungs- und Kontrollorganen beibehalten werden. |
1.6 |
Die Mitglieder und Beschäftigten der Überwachungsorgane und Zollbehörden müssen jede Gewähr für ihre Ehrenhaftigkeit und Unabhängigkeit bieten und bei der Ausübung ihrer Aufgaben gegen Druck und eventuelle Bestechungsversuche geschützt sein. Personen, die auf Mängel oder Risiken im Zusammenhang mit Produkten hinweisen, müssen geschützt werden, insbesondere gegen Strafverfolgung; ihre Identität sollte vertraulich behandelt werden. |
1.7 |
Der Ausschuss dringt darauf, in den Verordnungsvorschlag eine Rechtsgrundlage für eine europaweite Verletzungsdatenbank (IDB) aufzunehmen, die ergänzend zu RAPEX und ICSMS als dritter Pfeiler des Informationsaustauschsystems für die EU-Marktüberwachung betrachtet werden sollte. |
1.8 |
Der Ausschuss fordert überdies nachdrücklich, in den Kreis der Adressaten für die regelmäßigen Berichte aufgenommen zu werden, die die Kommission alle fünf Jahre erstellen wird, um die Durchführung der Verordnung zu überwachen. |
2. Einleitung: die Vorschläge der Kommission
2.1 |
Die besten Rechtsvorschriften für die Produktsicherheit und die Harmonisierung der Bestimmungen im Binnenmarkt reichen nicht aus, um die absolute Sicherheit von Konsumgütern für die Verbraucher und von für den gewerblichen Gebrauch bestimmten Produkten für die betroffenen Arbeitskräfte zu gewährleisten. |
2.2 |
Wie die jüngsten Skandale zeigen, ist Betrug zur Mehrung der Profite oder zur Verringerung der Produktionskosten in Europa immer noch an Tagesordnung; überdies entsprechen Importprodukte nicht unbedingt den EU-Normen und können in unlauteren Wettbewerb zu Produkten europäischen Ursprungs treten. |
2.3 |
Marktüberwachung und Produktkonformitätskontrolle sind von entscheidender Bedeutung und erfordern geeignete Dienste und qualifiziertes Personal (Zoll, technische Dienste, Inspektionen usw.) vor Ort in jedem einzelnen Mitgliedstaat. |
2.4 |
Mit der Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit („Richtlinie über Produktsicherheit“ oder abgekürzt RaPS), die bis 2004 umgesetzt werden sollte, dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Jahr 2010 wie auch mit den bereichsspezifischen Richtlinien und Beschlüssen zur Harmonisierung konnten spürbare Fortschritte erzielt werden. Die Marktüberwachungsbestimmungen sind jedoch gegenwärtig auf verschiedene, sich überschneidende Rechtsakte verteilt, was zu Verwirrung bezüglich der eigentlichen Überwachungsbestimmungen und den Pflichten der Wirtschaftsakteure führen und dadurch sowohl deren Aufgabe als auch die der Gesetzgeber und der nationalen Beamten erschweren kann. |
2.5 |
Die Kommission schlägt vor, den Rechtsrahmen für die Marktüberwachung zu präzisieren, indem alle betreffenden Bestimmungen in einem einzigen Rechtsinstrument zusammengeführt werden. Die neue Verordnung über die Marktüberwachung von Produkten soll einen mehrjährigen Aktionsplan zur Marktüberwachung für den Zeitraum 2013–2015 enthalten. |
2.6 |
Es handelt sich hierbei um eine wichtige Maßnahme im Rahmen der Europäischen Verbraucheragenda sowie der Binnenmarktakte I und II, was auch den Erfordernissen des neuen Rechtsrahmens entspricht. |
2.7 |
Es muss nach in allen Mitgliedstaaten gleichen Verfahren entschieden werden, ob die auf den Markt gebrachten Produkte einschließlich der aus Drittländern stammenden Produkte sicher sind und auf dem Binnenmarkt in Verkehr gebracht werden dürfen, bzw. ob eine Rücknahme oder ein Verbot erfolgen muss, weil sie unsicher oder nicht konform sind. |
2.8 |
Die Marktüberwachung und die Konformitätskontrollen sind jedoch nicht wirksam genug: Nicht konforme Produkte gelangen in großen Mengen auf den Markt, vor allem weil die Koordinierung zwischen den nationalen Überwachungsbehörden fehlt und weil es an der Qualität und Zuverlässigkeit der ausgetauschten Informationen hapert. |
2.9 |
Die EU muss daher tätig werden, um zum Schutz der Bürger eine bessere Koordinierung der Maßnahmen sowie eine wirksamere grenzübergreifende Marktüberwachung zu gewährleisten. Als Rechtsgrundlage für dieses Tätigwerden führt die Kommission Artikel 114 (reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts) sowie Artikel 168 Absatz 1 (Gesundheitsschutz) und Artikel 169 Absatz 1 (Verbraucherschutz) AEUV an. Außerdem müssen der geltende Rechtsrahmen vereinfacht und die bestehenden Unklarheiten beseitigt werden. |
2.10 |
Das RAPEX-Verfahren muss vereinfacht und die RaPS durch eine Verordnung über die Produktsicherheit ersetzt werden; außerdem müssen die derzeit über mehrere Texte auf unterschiedlicher Ebene verteilten Marktüberwachungsbestimmungen durch eine neue Marktüberwachungsverordnung ersetzt werden. |
2.11 |
Die Verbesserung der Koordinierung und der Wirksamkeit der Überwachungsmaßnahmen soll nicht nur im Zuge der regulären Bewertung der Rechtsvorschriften erfolgen, sondern auch über Eurobarometer-Umfragen zur Wahrnehmung der Verbraucher, die Informationssysteme GRAS-RAPEX und ICSMS sowie die Einführung von Indikatoren, die Peer Reviews ermöglichen. Die Verfahren für die Meldung durch die Mitgliedstaaten sollen rationalisiert werden, es soll nur noch ein einziges Meldesystem für sämtliche Produkte geben. |
2.12 |
Die Grenzkontrollen sollen verstärkt werden, und das Inverkehrbringen jedes risikoträchtigen Produkts soll bis zum Vorliegen einer genaueren Risikobestimmung durch die zuständige Überwachungsbehörde ausgesetzt werden. |
2.13 |
Das Meldesystem RAPEX für risikobehaftete Produkte soll hinsichtlich der Meldefristen und der Relevanz der Informationen über die Risiken des jeweils gemeldeten Produkts verbessert werden. |
2.14 |
Die Kommission kann für gefährliche Produkte geeignete, unmittelbar anwendbare beschränkende Maßnahmen beschließen, wenn sich die standardmäßigen Sofortmaßnahmen als unzureichend oder ungeeignet erweisen. |
2.15 |
Die Binnenmarktakte sieht einen mehrjährigen Aktionsplan zur Marktüberwachung vor. Dieser Plan soll sich auf diejenigen Bereiche erstrecken, in denen eine Koordinierung durch die Kommission einen wirklichen zusätzlichen Nutzen und spürbare Verbesserungen bringen würde. |
2.16 |
Der mehrjährige Aktionsplan, mit dem eine verstärkte Kommunikation und Zusammenarbeit gefördert werden soll, ist das Hauptinstrument für das Tätigwerden der EU in diesem Bereich. Durch geeignete IT-Anwendungen soll mithilfe von im System gespeicherten Umfragen und Studien der problemlose Zugriff auf Informationen und bewährte Verfahren ermöglicht werden. In diesem Rahmen sollen der Bedarf ermittelt und die entsprechenden Hilfsmittel für Fortbildung, technische Unterstützung und Beratung bereitgestellt werden. |
2.17 |
Die Kommission wird ein gemeinsames Konzept für die Überprüfung von Unterlagen und technische Kontrollen sowie Laborprüfungen ausarbeiten. Durch eine verstärkte Koordinierung der gemeinsamen Aktionen und Programme soll eine wirksamere Überwachung erreicht werden. |
2.18 |
Durch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen soll Synergie ermöglicht und Doppelarbeit vermieden werden. Die im Rahmen der Arbeit der nationalen Behörden erfassten Daten werden in der ICSMS-Datenbank gespeichert, die von der Kommission verwaltet wird; diese wird die für die Ausschöpfung des Potenzials dieser Datenbank notwendigen Mittel und Fortbildungsmaßnahmen bereitstellen. |
2.19 |
Alle betroffenen Parteien müssen regelmäßig und auf flexible Weise informiert und konsultiert werden. |
2.20 |
Ein von der Kommission gemäß der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 erstellter Bericht soll die Information der EU-Institutionen und der Interessenträger sowie die Bewertung der EU-finanzierten Maßnahmen zur Akkreditierung und Marktüberwachung ermöglichen. |
2.21 |
Die Mittel und Befugnisse der Zollbehörden und die Kontrollen eingeführter Produkte an den Außengrenzen der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums sollen verstärkt werden; hierfür müssen zusätzliche Ressourcen insbesondere für Fortbildung und technische Hilfsmittel zugewiesen werden. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Der Ausschuss begrüßt die angestrebte Verstärkung der Marktüberwachung und der Sicherheitskontrollen sowohl für aus der EU als auch aus Drittländern stammende Produkte. Da dadurch mehr Produktsicherheit gewährleistet wird, handelt es sich um eine Schlüsselmaßnahme der Binnenmarktakte, die dem neuen Ansatz entspricht. |
3.2 |
Der Ausschuss merkt allerdings an, dass die Verfahren für die Information und Konsultation der wirtschaftlichen und sozialen Akteure sehr vage bleiben. Es wäre besser, einen flexiblen und angemessenen Rahmen auf verschiedenen Ebenen festzulegen, um erschwerte oder starre Verwaltungsverfahren zu vermeiden. |
3.2.1 |
Die betroffenen Unternehmen erwarten eine Fülle rechtlicher und technischer Informationen, um über die Rechtssicherheit zu verfügen, die für ihre Investitionsentscheidungen im Zusammenhang mit der Herstellung und Vermarktung von Produkten unverzichtbar ist. Für die Produkte, die sie zur Kontrolle oder Konformitätsbewertung vorlegen, müssen sie Zugang zu den von den verschiedenen Überwachungs- und Kontrollorganen gesammelten Informationen haben. |
3.2.2 |
Die Verbraucher und Arbeitnehmer verlangen zu Recht Sicherheit bezüglich der Unbedenklichkeit der Produkte, die auf den Markt gelangen und die sie bei der Arbeit bzw. zum Verbrauch verwenden müssen. Sie haben Anspruch darauf, über die auf Ebene der Mitgliedstaaten, der EU oder der einzelnen Wirtschaftszweige ergriffenen Maßnahmen informiert zu werden, mit denen eine Gefährdung ihrer Gesundheit oder Sicherheit ausgeschlossen werden soll. |
3.2.3 |
Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass das Vertrauen in die Sicherheit der Produkte für das einwandfreie Funktionieren des Binnenmarktes und den freien Warenverkehr entscheidend ist, was sich wiederum positiv auf Wachstum und Beschäftigung auswirkt. |
3.3 |
Die Überwachung und die Kontrollen, insbesondere an den Außengrenzen der EU, fallen nach Ansicht des EWSA in erster Linie in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die Union ist dabei für die Koordinierung und die für ein wirksames gemeinschaftliches Handeln unverzichtbaren Maßnahmen sowie die Normierung der Produkte zuständig. Diese Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen haben Auswirkungen auf die Unternehmen und verursachen sowohl den Mitgliedstaaten als auch den Wirtschaftsakteuren erhebliche Befolgungskosten (Normierung, CE-Norm). Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, bei ihren Maßnahmen den auf den Unternehmen und insbesondere den KMU lastenden Verwaltungsaufwand gebührend zu berücksichtigen, um deren wirtschaftliche Lage in Zeiten der Krise und hoher Arbeitslosigkeit nicht noch weiter zu verschärfen. |
3.4 |
Der im Verordnungsvorschlag vorgesehene freie Verkehr von Nicht-Lebensmittel-Produkten erlaubt keine Nachlässigkeiten oder Unzulänglichkeiten, und zwar weder beim Rechtsrahmen noch bei der Zahl und der Qualität der Mittel und Kontrollen. Die Mitgliedstaaten und die Kommission müssen daher für die Schaffung der Überwachungs- und Kontrollinstrumente ausreichende Mittel bereitstellen, um deren volle Wirksamkeit zu gewährleisten. Trotz der derzeitigen Haushaltsengpässe muss nach Auffassung des Ausschusses angesichts der auf dem Spiel stehenden öffentlichen Interessen alles dafür getan werden, um die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher wie auch die Umwelt vor fehlerhaften und gefährlichen Produkten zu schützen. Das einwandfreie Funktionieren des Binnenmarktes ist für die wirtschaftliche Erholung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze unverzichtbar. |
3.4.1 |
Der Ausschuss ist diesbezüglich der Auffassung, dass das derzeitige Marktüberwachungs- und -kontrollsystem bedenkliche Lücken und Mängel aufweist. Die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen nationalen Organen, der Kommission und den betroffenen Parteien muss verstärkt werden. Es müssen regelmäßige Konsultationen organisiert werden. Verbraucher- und Arbeitnehmerorganisationen müssen das Recht haben, Warnhinweise für bestimmte Produkte zu geben, wobei ihnen Immunität zu gewähren ist. Die zuständigen Einrichtungen wie Überwachungsbehörden, technische Zertifizierungsstellen, Zollbehörden, und Betrugsbekämpfungsbehörden müssen zusammenarbeiten und die von ihnen gesammelten Informationen zur Verfügung stellen, um Doppelarbeit und Ressourcenverschwendung zu vermeiden und die Wirksamkeit der Kontrollen kontinuierlich zu verbessern. |
3.5 |
Die Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Systems für den raschen Informationsaustausch (RAPEX) hängt voll und ganz von der Schnelligkeit der Meldungsübermittlung und der Relevanz der technischen Informationen für die verdächtigen Produkte ab. Die Leitlinien für die Verwaltung von RAPEX müssen kontinuierlich aktualisiert und ausreichend klar gefasst werden, sodass keine Zweifel hinsichtlich der Art und des Umfangs der zu meldenden Informationen bestehen; im Rahmen dieser Leitlinien müssen geeignete Kriterien für die Feststellung ernster Risiken festgelegt und die als Konsequenz zu ergreifenden Maßnahmen – wie die vorläufige Aussetzung des Inverkehrbringens oder die Auflage technischer Änderungen, bis hin zum Verbot – klar definiert werden. |
3.6 |
Selbst mäßige oder wissenschaftlich nicht verifizierte Risiken sollten über RAPEX gemeldet werden, um entsprechende Durchführungsmaßnahmen wie ggf. die vorläufige Aussetzung des Inverkehrbringens in Anwendung des Vorsorgeprinzips oder andere geeignete Maßnahmen vorzusehen, z.B. zusätzliche Auflagen betreffend Verbraucherinformationen oder Warnhinweise für die Verwender, die über die normalen Auflagen für die Etikettierung der Produkte hinausgehen. |
3.7 |
Wenn die Kommission im Falle erkannter Risiken den Erlass von Durchführungsrechtsakten für ein Produkt oder eine Produktkategorie erwägt, um einheitliche Bedingungen für die Kontrollen dieser Produkte zu schaffen, sollten nach Ansicht des Ausschusses die Verbraucherverbände sowie die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen unterrichtet und ihre Standpunkte soweit wie möglich berücksichtigt werden. Diese Organisationen können für die rasche Verbreitung der von der Kommission ergriffenen Maßnahmen bei ihren Mitgliedern sorgen, was erheblich zum besseren Verständnis und zur zügigen Umsetzung dieser Maßnahmen beitragen wird. |
3.8 |
Bezüglich des mit der Verordnung neu eingesetzten Marktüberwachungsforums der Kommission und der Mitgliedstaaten merkt der Ausschuss an, dass die zivilgesellschaftlichen Organisationen zu den Treffen der eventuell von diesem Forum eingesetzten Unterorgane in beratender Funktion eingeladen werden sollte. Angesichts der aktiven Rolle dieser Organisationen gegenüber den Verbrauchern und den von ihnen vertretenen wirtschaftlichen und sozialen Kreisen ist der EWSA der Auffassung, dass ihre Stellungnahmen und Vorschläge trotz ihrer lediglich beratenden Funktion gebührend zur Kenntnis genommen und soweit wie möglich berücksichtigt werden sollten. |
3.9 |
Das Gleiche sollte auch dann gelten, wenn bei bestimmten Risiken die Überwachungsbehörden eines Mitgliedstaats Warnmeldungen in Bezug auf risikobehaftete Produkte und eventuelle Sicherheitsvorkehrungen veröffentlichen; sie sollten nicht nur mit den Wirtschaftsakteuren zur Vermeidung von Risiken bei bestimmten Produkten zusammenarbeiten, sondern auch mit den einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft, die ihren Sachverstand einbringen und ihre Informationskanäle zu ihren Mitgliedern nutzen können. |
3.10 |
Der Ausschuss ist überdies der Ansicht, dass der hier erörterte Vorschlag insgesamt den Erfordernissen des neuen Rechtsrahmens (dem neuen Ansatz) sowie den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entspricht. Er billigt auch die Rechtsgrundlage, die die zuständigen Generaldirektionen der Kommission für ihren Vorschlag heranziehen. Der Ausschuss verweist auch auf Artikel 12 AEUV, dem zufolge den Erfordernissen des Verbraucherschutzes „bei der Festlegung und Durchführung der anderen Unionspolitiken und –maßnahmen Rechnung getragen“ wird. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 |
Der Ausschuss hat Bedenken hinsichtlich der möglicherweise von Land zu Land unterschiedlichen Auslegung der Rechtsvorschriften; das Handeln der Union muss im Interesse der Rechtssicherheit der Marktteilnehmer und der Sicherheit der Verwender auf eine echte Vereinheitlichung der Auslegung und der Anwendung ausgerichtet sein. |
4.2 |
Auch die Anwendung der Bestimmungen über die Geheimhaltung bereitet ihm Sorge, da diese z.B. im Falle von Betriebsgeheimnissen eine bessere Information über gefährliche Produkte oder Produktbestandteile mit möglichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und Sicherheit und die Umweltqualität behindern könnten. Die öffentlichen Interessen stehen im Allgemeinen über den privaten Interessen, die durch ein allzu absolutes Verständnis des Geheimhaltungskonzepts über Gebühr geschützt würden. Der Informationsfluss zwischen den für das Überwachungs- und Kontrollsystem zuständigen Organen der Mitgliedstaaten und der Union muss unter allen Umständen gewährleistet werden. Jedoch ist darauf zu achten, dass die Vertraulichkeit gesetzlich geschützter personenbezogener Daten gewahrt wird und laufende Ermittlungen nicht beeinträchtigt werden. |
4.3 |
Wie in der vorgeschlagenen Verordnung gefordert, veröffentlichen die zuständigen Behörden Informationen über gefährliche Produkte und die mit diesen verbundenen Risiken, eventuelle Präventivmaßnahmen sowie die mit Blick auf die Marktteilnehmer gefassten Beschlüsse auf einer eigenen Website. Nach Auffassung des EWSA darf diese Veröffentlichung nicht durch ein überzogenes Verständnis von der Geheimhaltung in Bezug auf Betriebsgeheimnisse behindert werden, da die Gesundheit und Sicherheit der Verwender auf dem Spiel stehen; dies ist im Übrigen auch die gängige Praxis der Kommission bei der Verwaltung des RAPEX-Systems, die beibehalten werden muss. |
4.4 |
Der Ausschuss dringt hinsichtlich der Überwachungs- und Kontrollorgane auf Unabhängigkeit und Transparenz. Die Mitarbeiter dieser Organe müssen bei der Ausübung ihrer Aufgaben gegen jede Form der Einmischung und gegen Bestechungsversuche geschützt sein. Sie müssen unparteiisch sein; sie müssen jedwede Beschwerden der Verbraucher und Anwender bzw. ihrer Organisationen entgegennehmen und ggf. die entsprechenden Schritte veranlassen. Auch die Prüflaboratorien müssen völlig unabhängig arbeiten, ebenso wie die Stellen, die für die - für die Entscheidungsfindung der Unternehmen und der Verbraucher unverzichtbaren - gesetzlichen Kennzeichnung zuständig sind. |
4.5 |
Nach Auffassung des Ausschusses sollte der Verordnungsvorschlag auch Bestimmungen über eine europaweite Verletzungsdatenbank (IDB) enthalten, in der alle Arten von Verletzungen erfasst werden. Eine derartige Verletzungsdatenbank würde:
|
4.5.1 |
Der Ausschuss schlägt daher vor,
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Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/91 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Sozialinvestitionen für Wachstum und sozialen Zusammenhalt — einschließlich Durchführung des Europäischen Sozialfonds 2014-2020“
COM(2013) 83 final
2013/C 271/17
Berichterstatter: Oliver RÖPKE
Die Europäische Kommission beschloss am 18. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Sozialinvestitionen für Wachstum und sozialen Zusammenhalt – einschließlich Durchführung des Europäischen Sozialfonds 2014-2020
COM(2013) 83 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 23. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 160 gegen 3 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der EWSA begrüßt das Sozialinvestitionspaket der EU-Kommission und den damit verbundenen Paradigmenwechsel, der die stärkere Fokussierung auf Sozialinvestitionen nicht nur einseitig als Kostenfaktor sieht, sondern als Investitionen in die Zukunft und in Wachstum und Beschäftigung begreift, die einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Europa-2020-Ziele leisten und ein Kernelement des Europäischen Sozialmodells darstellen. |
1.2 |
Zielgerichtete soziale Investitionen bringen aber nicht nur sozialen und gesellschaftlichen Fortschritt und steigern gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit. Besonders in Zeiten einer nie gekannten, dramatischen Arbeitslosigkeit und zunehmender Armut kommt Investitionen in den Sozialstaat darüber hinaus eine zentrale Rolle für die Stärkung des sozialen Zusammenhalts, für die soziale Eingliederung sowie für die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Armut zu. |
1.3 |
Der Arbeitsmarkt ist der zentrale Schlüssel zur Bewältigung des demografischen Wandels und zur nachhaltigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Nach Auffassung des EWSA erhöhen starke und zielgerichtete Sozialinvestitionen die Beschäftigungschancen der Menschen nachhaltig. Das Sozialinvestitionspaket kann deshalb einen wichtigen Beitrag zu einem politischen Kurswechsel für mehr Wachstum und Beschäftigung leisten, wenn es in der Praxis konsequent umgesetzt wird. |
1.4 |
Der EWSA stimmt der EU-Kommission zu, dass die Ausgestaltung der Sozialpolitik vornehmlich in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt und jedes Land ein eigenes Gleichgewicht von Nachhaltigkeit und Angemessenheit seiner Sozialsysteme und der Organisation sozialer Dienstleistungen finden muss. Aufgrund der starken nationalen Unterschiede sollte die EU-Kommission eine zentrale Rolle beim Austausch bewährter und innovativer Ansätze zwischen den Mitgliedstaaten und allen relevanten Akteuren spielen. |
1.5 |
Der EWSA begrüßt, dass in der Mitteilung die wichtige Rolle der Sozialwirtschaft, der sozialen Unternehmen, der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner für die Umsetzung des Sozialinvestitionspakets ausdrücklich anerkannt wird. Der EWSA unterstützt in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Forderung nach einer grundlegenden Einbindung der Sozialpartner und der Akteure der organisierten Zivilgesellschaft auf Ebene der Mitgliedstaaten und in den Koordinierungsprozess des Europäischen Semesters. |
1.6 |
Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, einen Plan für die konkrete Umsetzung des Sozialinvestitionspaketes vorzulegen, die Mitgliedstaaten bei den notwendigen Maßnahmen zu unterstützen und den Austausch zwischen Ländern, den Sozialpartnern, sozialwirtschaftlichen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, der organisierten Zivilgesellschaft und Anbietern sozialer Dienstleistungen zu fördern. Diese Akteure verfügen über das notwendige Fachwissen in den Bereichen Sozialinvestitionen, soziale Innovation und Beschäftigungsförderung. |
1.7 |
Dennoch kritisiert der EWSA, dass die Frage der Finanzierung des Sozialinvestitionspakets in weiten Teilen unbeantwortet bleibt. Ohne eine Änderung der einseitigen Politik der Ausgabenkürzungen scheint eine erfolgreiche Umsetzung der Vorschläge nicht realistisch. Die bessere Nutzung der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) sowie eine möglichst hohe Effizienz und Treffsicherheit der Maßnahmen sind zwar zu begrüßen, werden aber keinesfalls ausreichen, um den angestrebten Kurswechsel herbeizuführen. |
1.8 |
Der EWSA bekräftigt deshalb seine Auffassung, dass die Erschließung neuer Einnahmequellen für die öffentlichen Haushalte unumgänglich ist. Hierbei sind Maßnahmen wie die Veränderung und Verbreiterung von Steuerbemessungsgrundlagen, die Schließung von Steueroasen, ein Ende des ruinösen Steuersenkungswettlaufs sowie der Kampf gegen Steuerhinterziehung ebenso zu nennen wie Beiträge der unterschiedlichen Arten von Vermögen. |
1.9 |
Insbesondere wiederholt der EWSA in diesem Zusammenhang nochmals ausdrücklich seine Forderung nach einem europäischen Konjunktur- und Investitionsprogramm in Höhe von 2 % des BIP. Damit könnte ein sozialer Investitionspakt finanziert werden, der den politischen Prioritätenwechsel in Richtung sozialer Investitionen und eine Stärkung und Modernisierung der Sozialpolitik in den Mitgliedstaaten trotz der angestrebten Haushaltskonsolidierung auch praktisch ermöglicht. Nur bei einer ausreichenden Finanzierung kann das Sozialinvestitionspaket erfolgreich in die Tat umgesetzt werden, andernfalls bleibt es bei bloßen Absichtserklärungen. |
1.10 |
Der EWSA fordert von der Europäischen Kommission, dass eine stärkere Fokussierung auf soziale Investitionen auch im Koordinierungsprozess des Europäischen Semesters seinen Niederschlag findet. Diese neue Schwerpunktsetzung muss in den länderspezifischen Empfehlungen sowie im kommenden Jahreswachstumsbericht (2014) explizit berücksichtigt werden. Die Europäische Kommission muss hierfür rasch konkrete Vorschläge vorlegen. Es muss klargestellt werden, dass verstärkte Sozialinvestitionen mit einer „differenzierten und wachstumsfreundlichen“ Haushaltskonsolidierung in Einklang stehen. |
2. Das Sozialinvestitionspaket für Wachstum und Zusammenhalt
2.1 |
Die Europa-2020-Strategie enthält als eines ihrer Ziele, bis 2020 mindestens 20 Mio. Bürgerinnen und Bürger aus der Armut herauszuführen. Die tief greifenden Konsequenzen der Krise und die Notwendigkeit, das Wachstum wiederherzustellen, haben zu einer Reihe von Initiativen der Kommission geführt, die auf den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen, reibungslose Beschäftigungsübergänge und eine Aktivierung im Allgemeinen abzielen (1). |
2.2 |
Die Kommission hat am 20. Februar 2013 ihr seit Langem erwartetes Sozialinvestitionspaket vorgelegt. Es besteht aus einer Mitteilung („Sozialinvestitionen für Wachstum und sozialen Zusammenhalt – einschließlich Durchführung des Europäischen Sozialfonds 2014-2020“), einer Empfehlung der Kommission („Investitionen in Kinder: Den Kreislauf der Benachteiligung durchbrechen“) und sieben begleitenden Arbeitspapieren der Kommissionsdienststellen. |
2.3 |
Das Paket stellt verbesserte Sozialinvestitionen in den Zusammenhang des Europäischen Semesters und strafft die Steuerung und Berichtspflichten der Union und der Mitgliedstaaten in dem Bemühen, die Ziele der Europa-2020-Strategie auf dem Gebiet der Sozial-, Beschäftigungs- und Bildungspolitik zu erreichen. |
2.4 |
Die Kommission stellt fest, dass im Zuge der seit 2008 andauernden Krise in Europa in vielen Mitgliedstaaten Armut und soziale Ausgrenzung sowie der Ausschluss vom Arbeitsmarkt für viele Bürgerinnen und Bürger der Union gestiegen sind und neue Höchststände erreicht wurden, insbesondere bei den gefährdetsten Gruppen. In ihrer Mitteilung legt die Kommission den Mitgliedstaaten daher nahe, mehr Gewicht auf soziale Investitionen zu legen und die Mittel effizienter einzusetzen. |
2.5 |
Der Kommission zufolge helfen Sozialinvestitionen Bürgern. Sie steigern ihre Fähigkeiten und Qualifikationen und fördern deren Teilhabe an der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt. Das führt zu mehr Wohlstand, kurbelt die Wirtschaft an und hilft der EU, gestärkt, geschlossener und wettbewerbsfähiger aus der Krise hervorzugehen. |
2.6 |
Die Sozialsysteme erfüllen demnach eine dreifache Funktion: soziale Investitionen für eine bessere Zukunft, Sozialschutz in widrigen Lebensphasen und nicht zuletzt eine Stabilisierung der Volkswirtschaften. |
2.7 |
Hierzu fordert die Kommission Maßnahmen, die sicherstellen, dass die Sozialschutzsysteme den Bedürfnissen der Menschen in kritischen Lebensabschnitten gerecht werden. Um dieses zu erreichen, fordert die Kommission vorbeugende Maßnahmen in der Form möglichst frühzeitiger Investitionen, anstatt im Nachhinein die Schäden zu beheben, was sich als kostenintensiver erweist. Investitionen in Kinder und junge Menschen sind daher wichtig. |
2.8 |
Dies wird in der Empfehlung der Kommission an die Mitgliedstaaten mit der Formulierung von Leitsätzen näher präzisiert. Vorbeugende Investitionen gegen Kinderarmut und soziale Ausgrenzung, die das Wohl des Kindes fördern sollen, können der Kommission zufolge durch eine ganze Palette unterschiedlicher Maßnahmen erreicht werden. |
2.9 |
Unter dem Stichwort „Mehr Effizienz in der Sozialpolitik“ fordert die Kommission in der Mitteilung einen wirksameren Einsatz von Finanzmitteln zur Gewährleistung einer angemessenen und nachhaltigen sozialen Sicherheit sowie für eine bessere, evidenzbasierte Sozialpolitik. Um dies zu erreichen, sollen die Mitgliedstaaten die Verwaltung von Leistungen und Diensten vereinfachen, Leistungen gezielter gewähren und gleichzeitig an Bedingungen knüpfen, wie z.B. an die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen. |
2.10 |
Die Mitgliedstaaten werden in der Mitteilung mehrfach aufgefordert, bei der Verbesserung der Sozialpolitik im Rahmen der Europa-2020-Strategie die Einbeziehung aller relevanten Stakeholder, vor allem der Sozialpartner und zivilgesellschaftlicher Organisationen, zu verstärken. |
3. Allgemeine Bemerkungen zum Sozialinvestitionspaket
3.1 |
Die Finanz- und Wirtschaftskrise mit ihren tief greifenden Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung und den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt beherrscht seit nunmehr fünf Jahren die politische Agenda der Europäischen Union. Während die Mitgliedstaaten anfangs mit einer antizyklischen, konjunkturstabilisierenden Wirtschaftspolitik reagierten, haben vor allem die Bankenrettungspakete zu einem erheblichen Anstieg der öffentlichen Verschuldung geführt. Der Versuch der Regierungen, im Konjunkturabschwung die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte einseitig durch eine Kürzung der Ausgaben zu erreichen, wird allgemein als gescheitert erachtet. Die Mitteilung der Kommission zu den Sozialinvestitionen bringt daher eine neue Perspektive für die Krisenbekämpfung mit sich, nämlich die, dass mit Sozialinvestitionen zwar kurzfristig Kosten, mittel- und längerfristig aber Wohlfahrtsgewinne für die Gesellschaft und höhere Einnahmen für die Staatshaushalte verbunden sind, die zudem die in der Zukunft liegenden gesellschaftlichen Kosten deutlich verringern. |
3.2 |
Der EWSA begrüßt daher ausdrücklich das Sozialinvestitionspaket der Kommission und den für die EU-Institutionen damit verbundenen Paradigmenwechsel einer vorausschauenden Agenda. Die Mitgliedstaaten werden nunmehr ausdrücklich ersucht, mehr Gewicht auf soziale Investitionen zu legen sowie die Sozialpolitik zu modernisieren und zu stärken und die verfügbaren Mittel effizienter einzusetzen. Die Sozialpolitik muss nachhaltiger werden. Damit scheint die Kommission Fehlentwicklungen der letzten Jahre zu korrigieren und soziale Investitionen nicht einseitig als Kostenfaktor zu sehen. Vielmehr steigern sie die Qualifikationen und Fähigkeiten der Bürger, erhöhen ihre Chancen in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt und damit den Wohlstand, wirken wachstumsfördernd und helfen der EU, gestärkt und wettbewerbsfähiger aus der Krise hervorzugehen. Das vorliegende Paket könnte damit eine der wichtigsten sozialpolitischen Initiativen der letzten Jahre darstellen, wenn es auch tatsächlich konsequent und ambitioniert umgesetzt wird. Dies erfordert eine nachhaltige Unterstützung seitens der Europäischen Kommission. |
3.3 |
Die Ausgestaltung der Sozialpolitiken liegt jedoch vornehmlich in den Händen der Mitgliedstaaten. Die Diversität der nationalen Bedingungen und Umstände erfordert, dass jeder Mitgliedstaat sein eigenes Gleichgewicht zwischen Nachhaltigkeit und Angemessenheit seines Sozialsystems findet, da es ein einheitliches Modell für alle nicht gibt. Die Kommission sollte eine Zusammenstellung der besten Praxisbeispiele erarbeiten, einschließlich der Förderung gemeinwohlorientierter Leistungsanbieter über öffentliche Auftragsvergabe und Wahlfreiheit bei sozialen Diensten, und die Mitgliedstaaten dazu ermuntern, ihre Sozialsysteme innovativ und effizient zu gestalten und dabei die Betonung auf Beschäftigung und Aktivierung legen, um das Armutsbekämpfungsziel der Europa-2020 Strategie zu erreichen. |
3.4 |
In Zeiten einer nie gekannten Arbeitslosigkeit und zunehmender Armut in der EU kommt dem Sozialstaat eine unverzichtbare Rolle zu, die bestehenden Herausforderungen zu bewältigen. Durch gezielte Investitionen in den Sozialschutz und den Sozialstaat können strukturelle Probleme gelöst und Arbeitsplätze geschaffen werden. Bestehende Potenziale können besser genutzt werden, indem eine möglichst umfassende, aktive Inklusions- und Teilhabestrategie für möglichst breite Teile der Bevölkerung verfolgt wird und indem die Empfehlungen zur aktiven Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen aus dem Jahr 2008 von allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden. |
3.5 |
Wurden bislang Sozialausgaben vorwiegend mit „Kosten“ verbunden und Kürzungen der Sozialbudgets gefordert, könnte die Mitteilung in gewisser Weise einen politischen Kurswechsel auf der Ebene der EU wie in einigen Mitgliedstaaten darstellen. Der EWSA hat schon bislang die Position vertreten, dass es einen enormen – auch sozialen – Investitionsbedarf gibt, der beschäftigungswirksam sein kann, Armut verhindert und der sozialen Ausgrenzung entgegenwirkt. Dafür müssen sowohl private als auch öffentliche Investitionen mobilisiert und Reformen durchgeführt werden (2). |
3.6 |
Der in der Kommissionsmitteilung verfolgte lebenszyklus- und bedürfnisorientierte Ansatz für Sozialinvestitionen, der sowohl zu einer Erhöhung der individuellen Lebensmöglichkeiten und des sozialen Zusammenhalts als auch zu einer besseren ökonomischen Entwicklung beitragen kann, wird vom EWSA ebenfalls als eine neue Sichtweise und neue Interventionslogik begrüßt. Eine Stärkung der Sozialinvestitionen hat insbesondere mittel- und langfristig positive Effekte. Jedoch sollten auch die kurzfristigen positiven Effekte keinesfalls unterschätzt werden. Investitionen in eine bessere, evidenzbasierte Sozialpolitik zeitigen erwiesenermaßen schnelle und positive Resultate in mancherlei Situationen (3). |
3.7 |
Soziale Investitionen haben neben den arbeitsmarktpolitischen Effekten aber auch eine zentrale Funktion für die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und die soziale Eingliederung sowie für die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Armut. Die tiefe Wirtschaftskrise in Europa hat die soziale Lage vieler Menschen dramatisch verschlechtert. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist ein Kurswechsel zu mehr Sozialinvestitionen unbedingt notwendig. |
3.8 |
In diesem Zusammenhang müsste die Europäische Kommission ihre Forderung nach einer „Konditionalität“ von Sozialleistungen näher erklären und eingrenzen. So kann es z.B. im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik sinnvoll sein, Unterstützungsleistungen an ein bestimmtes Ziel zu binden (z.B. Teilnahme an Schulungsmaßnahmen), doch darf dieses Prinzip keinesfalls generell für sozialpolitische Maßnahmen gelten (Beispiel: Kinderbetreuung). Sozialleistungen müssen als Rechte mit vorhersehbaren Kriterien gesehen werden, wobei Rechtssicherheit gewährleistet sein muss. |
3.9 |
Die mit der Mitteilung herausgegebene Empfehlung sowie die Arbeitsdokumente spiegeln die wichtigsten Bereiche wider, in denen die „neue Logik“ von Sozialinvestitionen angewendet werden soll. Die Kommission sollte nun den Dialog mit allen relevanten Akteuren darüber beginnen, wie die Logik von Sozialinvestitionen auf diese thematischen Schwerpunktsetzungen in der Praxis anzuwenden ist, und einen Plan zur Umsetzung ihrer Mitteilung vorlegen, der einen Handlungsleitfaden zur Unterstützung der Mitgliedstaaten enthalten sollte. |
3.10 |
Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission die wichtige Rolle, die die Sozialwirtschaft, die sozialen Unternehmen und die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung des Sozialinvestitionspakets spielen, ausdrücklich anerkennt (4). Neben der Bereitstellung von Erfahrung und zusätzlichen Ressourcen sind sie oft direkt an der Umsetzung der politischen Ziele in konkrete Handlungen beteiligt, z.B. durch die Erbringung von sozialen Diensten. Um diese Aufgaben zu unterstützen, müssen öffentliche Mittel und privates Kapital besser und einfacher zugänglich gemacht werden. Die Einbeziehung von thematischen Zielsetzungen zu sozialen Investitionen und von Investitionen als Förderlinien unter der EU-Kohäsionspolitik 2014-2020 sind begrüßenswerte Vorschläge. Sie sollten in den Verhandlungen berücksichtigt werden, die – unter Mitbeteiligung von Vertretern der Zivilgesellschaft – zwischen nationalen Behörden und der EU-Kommission über die Programme geführt werden. |
3.11 |
Ein wesentliches Element der Strategien im Bereich Sozialinvestitionen ist der Kommission zufolge die Innovation, denn die Sozialpolitik muss laufend an neue Herausforderungen angepasst werden. Privatunternehmen, die sich auf öffentliche Aufträge stützen können, spielen daher eine wichtige Rolle als Alternative und Ergänzung zum öffentlichen Sektor. |
3.12 |
Innovative Finanzierungsmöglichkeiten, etwa durch die Beteiligung des privaten Sektors oder durch Social Investment Bonds, sollen von den Mitgliedstaaten stärker genutzt werden und könnten angeblich zu Haushaltseinsparungen führen, so die Europäische Kommission (5). Allerdings werden Social Investment Bonds reichlich kontrovers diskutiert, und es bedarf einer Reihe weiterer Untersuchungen über ihre Folgewirkungen. Zudem sollten die potenziell betroffenen Bereiche, die sich für eine „innovative Finanzierung“ eignen, näher beschrieben werden. Der EWSA betont jedenfalls, dass diese Instrumente keinesfalls zu einer Kommerzialisierung der Sozialpolitik führen dürfen. Der Staat darf sich nicht aus seiner sozialpolitischen Verantwortung stehlen. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 |
In den kommenden Jahren ist – nicht zuletzt durch die Konsolidierungspakete in den einzelnen EU-Ländern – leider von einer Fortsetzung der wirtschaftlichen und sozialen Abwärtsspirale bzw. von einer verlangsamten wirtschaftlichen Dynamik auszugehen. Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum muss deshalb über eine stärkere (Binnen-)Nachfrage angekurbelt werden, z.B. durch eine bessere Arbeitsmarktintegration von Frauen. Auch das Wachstum der sozialen Dienstleistungen und der Sozialwirtschaft, die gerade in der Krise ihre Belastbarkeit bewiesen haben, spielt hier eine Schlüsselrolle. |
4.2 |
Dazu kann das soziale Investitionspaket einen wichtigen Beitrag liefern. So hat der Ausbau sozialer Dienstleistungen höhere Beschäftigungseffekte als jede andere Form des öffentlichen Mitteleinsatzes. Zudem sind Investitionen in soziale Dienstleistungen nötig, um die wachsende Nachfrage und den zunehmenden sozialen Bedarf zu decken. Die Beschäftigungsziele der Europa-2020-Strategie erfordern neben der Bekämpfung der (Jugend-)Arbeitslosigkeit und der besseren Erwerbsintegration der Älteren vor allem eine Erhöhung der Frauenbeschäftigung. |
4.3 |
Es ist wichtig anzuerkennen, dass die Unterstützung des Sozialinvestitionspakets für die nationalen Politikfelder der sozialen Eingliederung, des Gesundheitssystems und der sozialen Dienste auch leicht zugängliche, bezahlbare und qualitativ hochwertige Sozialleistungen für benachteiligte gesellschaftliche Gruppen umfassen sollte, wie z.B. für Menschen mit Behinderungen und die wachsende Zahl von Menschen, die in extremer Armut leben. Diese Sozialleistungen erhöhen ihre Chancen, ein Leben in Würde zu führen und Beschäftigung zu finden und zu behalten. |
4.4 |
Gerade das Beispiel der Kinderbetreuung zeigt, dass durch zielgerichtete Investitionen sozialer und gesellschaftlicher Fortschritt mit einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit verbunden werden kann. Verstärkte Investitionen in die Kinderbetreuung und in soziale Dienste i.w.S. (Altenbetreuung, Bildung, Pflege, Leistungen für Menschen mit Behinderungen, unterstütztes und betreutes Wohnen etc.) verbessern einerseits die „Standortqualität“, liefern gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen und der am weitesten vom Arbeitsmarkt entfernten Personen wie etwa Menschen mit Behinderungen und tragen mittel- und langfristig zur Entlastung der öffentlichen Budgets bei. Wie bereits von der Kommission anerkannt, ist es wichtig sicher zu stellen, dass diese Investitionen sich zielgerichtet auf die spezifischen Bedürfnisse einer Person richten statt auf eine Gruppe, um individuelle Unterstützung und bestmögliche Ergebnisse zu erzielen (6). Darüber hinaus ist der EWSA der Auffassung, dass Prävention aller möglichen Arten sozialer Probleme notwendig ist, unabhängig vom Lebensalter der Betroffenen. Prävention sollte daher ein allumfassender Ansatz der Sozialpolitik sein, der sich über die Gruppe der Kinder hinaus auf alle gesellschaftlichen Gruppen bezieht. |
4.5 |
Der Arbeitsmarkt ist der zentrale Schlüssel zur Bewältigung des demografischen Wandels und zur nachhaltigen Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Deshalb ist die Forderung der Kommission nach einer Verbesserung der Erwerbsbeteiligung, auch durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik und durch die Stärkung der sozialen Eingliederung, zu begrüßen. Wenn das vorhandene Beschäftigungspotenzial besser genutzt wird, kann das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern trotz des massiven Anstiegs der Zahl der Älteren weitgehend stabil gehalten werden (7). Allerdings bekräftigt der EWSA seine Auffassung, dass Sozialinvestitionen auch die gesellschaftlichen Gruppen betreffen müssen, für die der Bezug sozialer Leistungen nicht in ihrer Aktivierung für den Arbeitsmarkt mündet. |
4.6 |
Gleichzeitig können durch Sozialinvestitionen und eine verbesserte Sozialpolitik nicht nur wichtige beschäftigungspolitische Effekte erzielt werden. Eine konsequente Umsetzung der Politik der sozialen Inklusion in den Mitgliedstaaten und die konsequente Bekämpfung von Armut bringen für die gesamte Gesellschaft entscheidende Vorteile mit sich und fördern den sozialen Frieden und Zusammenhalt in der Gesellschaft. |
4.7 |
Der in der Mitteilung skizzierte Kurswechsel stellt auch einen wichtigen Beitrag für die nachhaltige Konsolidierung der öffentlichen Budgets dar. Die Förderung eines inklusiven Wachstums und eine deutliche Erhöhung der Beschäftigungsquoten bis zum Jahr 2020 können einen zusätzlichen Spielraum der Staatshaushalte der EU-27 im Ausmaß von bis zu 1 000 Mrd. EUR bedeuten (8). |
4.8 |
Für den in der Mitteilung skizzierten Prioritätenwechsel und dessen Integration in das Europäische Semester bleiben aber entscheidende Fragen offen. Der EWSA begrüßt ein verbessertes Monitoring, ist sich aber bewusst, dass die Ausrichtung des Jahreswachstumsberichts 2013 noch die Prioritäten des abgelaufenen Jahres enthält. Eine stärkere Fokussierung auf soziale Investitionen sollte nach Auffassung des EWSA in den länderspezifischen Empfehlungen für die zweite Jahreshälfte erfolgen. Im kommenden Jahreswachstumsbericht (2014) sollten dann soziale Investitionen explizit berücksichtigt und soziale Probleme in das kommende Europäische Semester integriert werden. Des Weiteren sollte im Laufe des Semesters ausdrücklich klargestellt werden, dass stärkere soziale Investitionen mit einer „differenzierten und wachstumsfreundlichen“ Haushaltskonsolidierung in Einklang stehen. |
4.9 |
Die Aussagen zur Finanzierung der Sozialinvestitionsoffensive und zur Änderung der Steuerstrukturen sind in der Mitteilung aber leider eher enttäuschend und fallen hinter das Beschäftigungspaket zurück, wo die Kommission neben der Entlastung des Faktors Arbeit auch die stärkere Besteuerung von Vermögen empfohlen hatte. Doch nur, wenn die Finanzierung sichergestellt wird, kann der durch das Sozialinvestitionspaket angekündigte Kurswechsel auch erfolgreich in die Tat umgesetzt werden. |
4.10 |
Dennoch bleibt die Frage der Finanzierung des Sozialinvestitionspakets in weiten Teilen unbeantwortet. Die bessere Nutzung der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF), insbesondere des ESF, können zwar wichtige Finanzierungsinstrumente sein, doch werden sie keinesfalls ausreichen, um den angestrebten politischen Kurswechsel durchzuführen. Vielmehr wiederholt der EWSA seine Forderung, dass neben der Steigerung der Effizienz und Treffsicherheit öffentlicher Ausgaben auch die Erschließung neuer Einnahmequellen für die öffentlichen Haushalte unumgänglich ist. Hierbei werden auch die möglichen Beiträge der unterschiedlichen Arten von Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen sein (9). Zur Verfügung stehende Ressourcen sollten gleichzeitig besser verwendet werden. |
4.11 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die Logik der Sozialinvestitionen auch dadurch erreicht wird, dass Politiken dort verändert und verbessert werden, wo sie sich als ineffizient erwiesen haben. Hier werden nicht primär zusätzliche Investitionen erforderlich. Der EWSA fordert die Kommission auf, über neue Sozialpolitiken zu informieren und aufzuklären, die besser für die Endverbraucher sind und deren Kostenrahmen vergleichbar oder geringer ausfällt. |
4.12 |
Der EWSA hat sich schon seit Längerem dafür ausgesprochen, dass nicht nur auf die Ausgabenseite geachtet werden sollte, sondern auch die öffentlichen Einnahmen verbessert werden müssen, z.B. durch eine Veränderung und Verbreiterung der Steuerbemessungsgrundlagen, durch die Erhebung einer Finanztransaktionssteuer, mittels Schließung von Steueroasen, durch die Beendigung des Steuersenkungswettlaufs sowie durch Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung (10). Gerade im Lichte des Sozialinvestitionspakets und der damit verbundenen Herausforderungen unterstreicht der EWSA diese Forderungen sowie die Notwendigkeit eines europäischen Konjunktur- und Investitionsprogramms in Höhe von 2 % des BIP nochmals ausdrücklich (11). Das vorliegende Paket bringt zwar richtige Weichenstellungen, aber es fehlen die Vorschläge für eine Art sozialen Investitionspakt, um es nicht bei Absichtserklärungen zu belassen, sondern die politische Neuausrichtung auch praktisch umzusetzen. |
4.13 |
Neben der Forderung nach einer stärkeren Einbindung der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft durch die Mitgliedstaaten, die der EWSA ausdrücklich unterstützt, sollte die Kommission rasch konkrete Vorschläge für die verstärkte und kontinuierliche Einbindung in den Koordinierungsprozess des Europäischen Semesters vorlegen. Dies betrifft auch und vor allem die stärkere Ausrichtung auf Sozialinvestitionen und aktive Inklusion. Diese Einbindung sollte grundlegend sein und einen effektiven Einfluss auf die Politikgestaltung ermöglichen. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Beschäftigungspaket, Jugendbeschäftigungspaket, EU-Initiative „Chancen für junge Menschen“, Neue Denkansätze für die Bildung.
(2) ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 65.
(3) „Housing First“, auch „rapid re-housing“ genannt, ist ein ursprünglich aus der US-amerikanischen Sozialpolitik hervorgegangener Ansatz für den Umgang mit Obdachlosigkeit, der als Alternative zum herkömmlichen System von Notunterkünften und vorübergehender Unterbringung seit einigen Jahren auch in Österreich, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Portugal und dem Vereinigten Königreich erfolgreich umgesetzt wird.
(4) COM(2013) 83 final, S. 5.
(5) COM(2013) 83 final, S. 6, 7.
(6) COM(2013) 83 final, S. 8.
(7) COM(2012) 55 final, Weißbuch der Kommission „Eine Agenda für angemessene, sichere und nachhaltige Pensionen und Renten“, S. 6.
(8) Vgl. EPC Issue Paper No. 72, November 2012: „1 000 billion Euros at stake: How boosting employment can address demographic change and public deficits“.
(9) Vgl. ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 94, Ziffer 4.3, sowie ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 70, Ziffer 3.4.2.
(10) Vgl. ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 23, Ziffer 6.1.3.1.
(11) Vgl. ABl. C 133 vom 9.5.2013, S. 77-80, Ziffer 3.2.4.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/97 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Einreise-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union —
COM(2013) 95 final — 2013/0057 (COD);
Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 in Bezug auf die Nutzung des Einreise-/Ausreisesystems (EES) und des Programms für registrierte Reisende (RTP) —
COM(2013) 96 final — 2013/0060 (COD);
Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Registrierungsprogramm für Reisende —
COM(2013) 97 final — 2013/0059 (COD)
2013/C 271/18
Hauptberichterstatter: Cristian PÎRVULESCU
Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 14. März und 16. April 2013 bzw. am 27. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Einreise-/Ausreisesystem (EES) zur Erfassung der Ein- und Ausreisedaten von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union
COM(2013) 95 final - 2013/0057 (COD)
Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 in Bezug auf die Nutzung des Einreise-/Ausreisesystems (EES) und des Programms für registrierte Reisende (RTP)
COM(2013) 96 final - 2013/0060 (COD)
Vorschlag für Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Registrierungsprogramm für Reisende
COM(2013) 97 final - 2013/0059 (COD).
Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft am 19. März 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.
Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai), Cristian PÎRVULESCU zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 125 gegen 4 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Einleitung
1.1 |
Der Legislativvorschlag ist Teil des Pakets „Nächste Generation der Grenzkontrollen“, das als strategische Initiative im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2012 enthalten ist. Laut Kommission wird mit diesem Paket auf zwei große und miteinander verbundene Herausforderungen reagiert: die effiziente Überwachung der Reiseströme und der Bewegungen von Drittstaatangehörigen über die Außengrenzen des Schengen-Raums als Ganzem und die Sicherstellung, dass die zunehmende Zahl der regelmäßig Reisenden, die ja die große Mehrheit aller Reisenden ausmachen, rasch und ohne Komplikationen einreisen kann. |
1.2 |
In ihrer Mitteilung mit dem Titel „Vorbereitung der nächsten Schritte für die Grenzverwaltung in der Europäischen Union“ vom 13. Februar 2008 schlug die Kommission die Schaffung eines Einreise-/Ausreisesystem (EES) vor. |
1.3 |
Der Vorschlag wurde in das Stockholmer Programm aufgenommen, auf das sich der Rat im Dezember 2009 einigte und in dem auf den potenziellen Nutzen eines Einreise-/Ausreisesystems für den wirksamen Datenaustausch unter den Mitgliedstaaten unter Beachtung der Datenschutzanforderungen hingewiesen wurde. |
1.4 |
In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 23./24. Juni 2011 wurde für eine Beschleunigung der Arbeiten zu „intelligenten Grenzen“ plädiert. Daraufhin nahm die Kommission am 25. Oktober 2011 eine neue Mitteilung zu den verschiedenen Optionen und den nächsten Schritten an. |
1.5 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss in einer Reihe von Stellungnahmen, die für die Umsetzung der beiden komplementären Systeme von Belang sind (1), den Mehrwert des Engagements und der Instrumente der EU zur Bewältigung der Herausforderungen einer zunehmenden grenzüberschreitenden Mobilität unterstrichen. Bei der Gewährleistung der Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten kommt der EU eine wesentliche Rolle und Verantwortung zu. Angesichts der jüngsten Herausforderungen in Bezug auf Mobilität und Migration hat sich der EWSA für die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Wirksamkeit eingesetzt. Ebenso hat er die zentrale Bedeutung der Gewährleistung der Grundrechte bei der Konzipierung und Umsetzung von Maßnahmen und Programmen hervorgehoben. |
2. Allgemeine Bemerkungen
2.1 |
Angesichts der erwarteten Zunahme der Mobilität über die EU-Außengrenzen hinweg muss beschleunigt auf die Schaffung verlässlicher und wirksamer Systeme zur Grenzverwaltung und -kontrolle hingearbeitet werden. |
2.2 |
Der EWSA begrüßt den Ansatz, der dem Paket „Intelligente Grenzen“ zugrunde liegt, mit dem ein Gleichgewicht zwischen der nötigen Förderung von Mobilität und dem in den letzten Jahren EU-weit anscheinend gewachsenen Sicherheitsbedürfnis hergestellt werden soll. |
2.3 |
Der EWSA erkennt den Mehrwert eines Engagements, einer Verwaltung und von Investitionen auf der Ebene der EU an und hofft, dass die Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen koordinieren werden, um eine erfolgreiche Umsetzung der vorgesehenen Programme sicherzustellen. |
2.4 |
Der EWSA möchte betonen, dass die Identität der Europäischen Union explizit und implizit mit Offenheit und Vernetzung nicht nur innerhalb ihrer Grenzen, sondern auch über die Grenzen hinweg in Zusammenhang gebracht wird. Die EU ist ein lebendiger kultureller, sozialer, politischer und wirtschaftlicher Raum, und grenzüberschreitende Mobilität leistet einen Beitrag, um die Bedeutung Europas in der Welt zu bewahren. Vor diesem Hintergrund sollten die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die neuen Systeme die Mobilität von Drittstaatsangehörigen und deren Bereitschaft zu Reisen in die EU nicht beeinträchtigen. |
2.5 |
Desgleichen sollte der öffentlichen Wahrnehmung der beiden Systeme und ihrer Funktionsweise viel Aufmerksamkeit gewidmet und Drittstaatsangehörige angemessen über die Bestimmungen informiert werden. Die EU und die Mitgliedstaaten sollten Kontakt zu den Behörden in Drittstaaten aufnehmen, um sicherzustellen, dass Reisewillige Zugang zu Informationen und Unterstützung insbesondere bezüglich ihrer Rechte haben. Angemessene Mittel für Kommunikation müssen Teil des Pakets sein. |
2.6 |
Der EWSA fordert alle relevanten Akteure und Institutionen auf, bei der Weiterentwicklung und Umsetzung der beiden Systeme die Grundrechte zu berücksichtigen. Trotz ihrer eher technischen Natur haben die beiden Systeme erhebliche Folgen für die Grundrechte und –freiheiten des Einzelnen bzw. aller Drittstaatsangehörigen, die in die EU einreisen. Der EWSA begrüßt, dass die Fragen des Schutzes personenbezogener Daten und der Privatsphäre berücksichtigt werden, und hofft, dass dem Schutz aller relevanten Grundrechte die nötige Aufmerksamkeit gewidmet und die Einhaltung sorgfältig überwacht wird. |
2.7 |
Der EWSA lenkt die Aufmerksamkeit auf die erheblichen Unterschiede bei den institutionellen Rahmen und Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, von denen einige ihre eigenen Versionen der beiden Systeme umsetzen. Eine Änderung in einer solchen Größenordnung, an der eine erhebliche Zahl von Organen und Personen beteiligt sind, stellt eine Herausforderung, wenn nicht gar ein Risiko dar. Die beteiligten Organe sollten darauf achten, dass die Umstellung die Reisenden in keiner Weise beeinträchtigt. |
2.8 |
Angesichts der bisherigen Erfahrungen möchte der EWSA auf das Problem der Kosten und ihrer Schätzung aufmerksam machen. Solche Systeme sind sehr kostenintensiv, weshalb sichergestellt werden muss, dass die entsprechenden Ausgaben verhältnismäßig und wirksam sind. Des Weiteren sollten die ersten Schätzungen so genau wie möglich sein. |
2.9 |
Der EWSA möchte zu weiteren Überlegungen hinsichtlich der Differenzierung der Reisenden anregen, die einen Schwerpunkt des Programms „Intelligente Grenzen“ bildet. Eine solche Differenzierung könnte in der Praxis fast einer Diskriminierung gleichkommen. Der Zugang zum Programm für registrierte Reisende (RTP) wird von Status, Einkommen, Sprachkenntnissen und Bildung abhängen. Diese Gefahr kann gemindert werden, wenn die zuständigen Behörden eine offene Haltung gegenüber den Arten akzeptabler Tätigkeiten und Zugehörigkeiten Reisewilliger einnehmen. |
2.10 |
Der EWSA nimmt den Mangel an relevanten und spezifischen Daten zur Mobilität zur Kenntnis. Neben dem Mangel an genauen Zahlen zu Reisenden, die nach der Einreise für einen Kurzaufenthalt auch nach Ablauf der zulässigen Aufenthaltsdauer in der EU bleiben („Overstayers“), fehlen qualitative Angaben, die für das Verständnis dieses Phänomens hilfreich sein könnten. Im Rahmen der Maßnahmen sollte man sich nicht nur auf die quantitativen Angaben verlassen, die gesammelt werden, wenn die Systeme einmal vorhanden sind. Es werden mehr Ressourcen benötigt, um den Nutzen und den Missbrauch des derzeitigen Systems zu untersuchen. |
2.11 |
Der EWSA ruft die EU und die Mitgliedstaaten dazu auf, sorgfältig auf die Ausbildung der Mitarbeiter zu achten, die bei ihrer Arbeit in unmittelbaren Kontakt mit den Reisenden treten, insbesondere Konsularbedienstete und Grenzbeamte. Diese sollten sehr gut ausgebildet und fähig sein, die Reisenden beim Durchlaufen von Verfahren zu begleiten, die technisch herausfordernd sind und psychisch belastend sein können. |
2.12 |
Der EWSA sieht zwar die Vorteile der Erhebung biometrischer Daten, verweist jedoch auf die Folgen, die das Abnehmen von Fingerabdrücken für regelmäßig und gelegentlich Reisende hat. Die psychologischen Auswirkungen lassen die Reisebereitschaft sinken und sind generell schädlich für die Beziehung des Einzelnen zum Gastgeberland. Außerdem wird das Abnehmen von Fingerabdrücken traditionell mit kriminellen Aktivitäten und mit Polizeiarbeit in Verbindung gebracht. Der EWSA plädiert für weitere Überlegungen bezüglich der Erhebung biometrischer Daten als Teil der beiden Programme und der Frage, wie die negativen Folgen begrenzt werden können. |
3. Besondere Bemerkungen
3.1 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass für die Wirksamkeit des Rechts auf Auskunft gesorgt werden sollte, insbesondere wo es um die Verwendung persönlicher Daten geht. Drittstaatsangehörige müssen über ihre Rechte informiert werden. In bestimmten Situationen können Sprachbarrieren dazu beitragen, die wirksame Wahrnehmung dieses Rechts zu behindern. Bestehenden und künftigen Datenbanken im Bereich Justiz und Inneres sollte standardmäßig der Ansatz der Nichtdiskriminierung zugrunde liegen, eng verbunden mit der Gewährleistung, dass Grundsätze des Datenschutzes (Recht auf Auskunft, wirksame Abhilfemaßnahmen und die individuelle Zustimmung zur Verarbeitung der Daten) gegenüber Drittstaatsangehörigen eingehalten werden, wobei besondere Aufmerksamkeit den Kategorien von Drittstaatsangehörigen gelten muss, die hinsichtlich der Datenerhebung schutzbedürftig sind. |
3.2 |
Der EWSA ist der Meinung, dass man sich ein genaueres Bild von den Datenbanken und Informationssystemen im Bereich Justiz und Inneres machen muss. Die Europäische Kommission sollte regelmäßig – möglichst jährlich – einen konsolidierten Monitoringbericht über die Aktivitäten aller Systeme vorlegen, mit denen im Bereich Justiz und Inneres Daten- und Informationsaustausch betrieben wird; hierin sollte angegeben werden, welche Art von Information zu welchem Zweck ausgetauscht wird. |
3.3 |
Die EU sollte die nationalen Regierungen dazu anhalten, die Organe angemessen auszustatten, denen die Zuständigkeit für die Überwachung und die Aufsicht über das Einreise-/Ausreisesystem übertragen werden soll. |
3.4 |
Der EWSA begrüßt die schrittweise Verschiebung bei dem Programm für registrierte Reisende (RTP) vom länderbasierten Ansatz hin zum personenbezogenen Ansatz. Er empfiehlt, dass ein Gespräch mit dem Antragsteller die Regel sein sollte, insbesondere in Situationen, in denen es einer weiteren Klärung bedarf. Der EWSA lenkt die Aufmerksamkeit auch auf die Logik, die hinter der Profilerstellung (automatisierte Entscheidungen) und der Datendurchsuchung in Bezug auf Datenbanken von Justiz und Inneres und Intelligente Grenzen steht, und hält die mögliche Nutzung von Kriterien wie Rasse, ethnische Zugehörigkeit oder andere sensible Bereiche als Grundlage für statistische „Dataveillance“ (den systematischen Einsatz von Personendatensystemen bei der Überwachung von Personen) für schwer vereinbar mit den Grundsätzen des Diskriminierungsverbots, dem Sekundärrecht und den Verpflichtungen, die aus den Grundrechten erwachsen. |
3.5 |
Der EWSA plädiert für eine weiter gefasste Definition von Vielreisenden, die jegliche kulturelle, wirtschaftliche und soziale Aktivität abdeckt. Er ruft die Mitgliedstaaten auf, die ganze Vielfalt des sozialen Lebens zu berücksichtigen. Eine Vorzugsbehandlung irgendeiner gesellschaftlich-beruflichen Kategorie sollte vermieden werden. |
3.6 |
Drittstaatsangehörige können bei einem Konsulat, gemeinsamen Antragsbearbeitungsstellen oder an jeder Außengrenzübergangsstelle einen Antrag auf Aufnahme in das RTP stellen. Dies ist für den Antragsteller hilfreich, stellt jedoch auch eine verwaltungstechnische Herausforderung dar. Alle beteiligten Mitarbeiter sollten über die Funktionsweise des Systems informiert und diesbezüglich gut ausgebildet werden. |
3.7 |
Nach Ansicht des EWSA könnte der Nachweis einer Kostenübernahme und/oder einer privaten Unterkunft ein Hindernis darstellen. Wird dieses Verfahren aufrechterhalten, so sollte hierfür wenigstens EU-weit ein Mindeststandard gelten. Auf diese Weise wird der Nachweis von den Mitgliedstaaten nicht zur Abschreckung eingesetzt. |
3.8 |
Grundsätzlich sollte das Ausstellen der Belege, die für das Ausfüllen des Antrags auf Aufnahme in das RTP benötigt werden, keine unnötigen und übermäßigen Kosten für den Antragsteller und die beteiligten Organisationen mit sich bringen. Die Kosten, die auf die einzelnen Antragsteller und die sie unterstützenden Organisationen zukommen, sollten im Rahmen der Zwischenbewertung berechnet werden. |
3.9 |
In Bezug auf den Zeitraum, innerhalb dessen die entsprechenden Behörden eine Entscheidung treffen müssen, empfiehlt der EWSA, eine Höchstdauer von 25 Tagen festzulegen, ruft die Behörden jedoch auf, ihre Entscheidung so schnell wie möglich zu treffen. |
3.10 |
Die Kriterien für die Ablehnung eines RTP-Antrags sollten präzisiert werden. Es ist nicht klar, auf welcher Grundlage das Niveau der Bedrohung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit bestimmt wird. Dies ebnet den Weg für willkürliche Entscheidungen. Diese Bewertung wird von Tausenden von Individuen vorgenommen, deren Hintergrund, Ausbildung und Informationsstand über den Reisenden, seine Aktivitäten und sein Heimatland sehr unterschiedlich ist. Außerdem ist es fragwürdig, die Gefahr für die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats als Grund für eine Ablehnung zu nennen. |
3.11 |
Sehr wichtig ist, dass abgelehnte Antragsteller (Antrag unzulässig/abgelehnt) einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einlegen können. Der EWSA ermutigt die Kommission und die Mitgliedstaaten, denjenigen, die ihr Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs wahrnehmen wollen, Unterstützung zu gewähren. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 37–40), ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 29–35), ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 80–88), ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 162–166), ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 74–80), ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 108–114).
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/101 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Änderung des Vorschlags COM(2011) 607 final/2 der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Sozialfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1081/2006 des Rates
COM(2013) 145 final — 2011/0268 (COD)
und dem Vorschlag für eine Änderung des Vorschlags COM(2012) 496 der Kommission über eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds, für die der Gemeinsame Strategische Rahmen gilt, sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates
COM(2013) 146 final — 2011/0276 (COD)
2013/C 271/19
Hauptberichterstatter: Mário SOARES
Der Rat beschloss am 25. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 164 und 177 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Änderung des Vorschlags COM(2011) 607 final/2 der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Sozialfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1081/2006 des Rates
COM(2013) 145 final – 2011/0268 (COD)
und
Vorschlag für eine Änderung des Vorschlags COM(2012) 496 der Kommission – Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds, für die der Gemeinsame Strategische Rahmen gilt, sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates
COM(2013) 146 final – 2011/0276 (COD).
Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft am 16. April 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.
Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der EWSA auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) Mário SOARES zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 135 gegen 3 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Ungeachtet seiner Vorbehalte gegenüber den Beträgen und der Art und Weise der Finanzierung der Initiativen für die Jugendbeschäftigung und die Jugendgarantie stimmt der EWSA mit der Kommission darin überein, dass die Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Sozialfonds und die Strukturfonds gemäß dem vorgelegten Vorschlag geändert werden müssen. |
1.2 |
Der EWSA unterstreicht, dass die politischen Maßnahmen, die nun beschlossen werden, zu Wachstum und zur Schaffung von hochwertigen und stabilen Arbeitsplätzen beitragen und den sozialen Zusammenhalt stärken müssen. |
1.3 |
Der EWSA bedauert, dass die Finanzierung der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen nicht durch die Aufstockung der EU-Haushaltsmittel zustande kommt, sondern durch eine Kürzung des Gesamtfinanzierungsrahmens für den Zusammenhalt, der ohnehin schon niedriger ist als der für den Zeitraum 2007-2013. |
1.4 |
Der EWSA ist davon überzeugt, dass der vorgesehene Betrag in Höhe von 6 Mrd. EUR angesichts der Größenordnung des Problems und der Dringlichkeit seiner Überwindung nicht ausreicht. |
1.5 |
Da die Krise noch nicht vorbei ist und noch nicht mit der Schaffung von Arbeitsplätzen begonnen wurde, schlägt der EWSA vor, die Festsetzung der für die Inanspruchnahme der zugewiesenen Mittel erforderlichen Jugendarbeitslosenquote flexibler zu handhaben, um die Entwicklung der Situation bei der Jugendarbeitslosigkeit bewerten zu können, oder aber diese Quote alternativ auf 20 % festzulegen. |
1.6 |
Der EWSA empfiehlt, die Altersgrenze für die Inanspruchnahme der Jugendgarantie auf 30 Jahre anzuheben, und zwar insbesondere in den Ländern mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit. |
1.7 |
Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten schließlich auf, bei den in dem Vorschlag für den mehrjährigen Finanzrahmen vorgesehenen finanziellen Verpflichtungen für die Förderung der Jugendbeschäftigung keine Einschnitte vorzunehmen und dem Vorschlag der Kommission zu folgen, zusätzliche Mittel für das Ziel der Beseitigung eines Problems einzusetzen, das die Zukunft einer ganzen Generation junger Europäer gefährdet. |
2. Wesentliche Elemente des Kommissionsvorschlags
2.1 |
Aufgrund des Ratsbeschlusses vom 28. Februar 2013 zur Einführung einer Jugendgarantie legt die Kommission zwei Vorschläge vor: einen Vorschlag für eine Änderung des Vorschlags COM(2011) 607 final/2 der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Sozialfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1081/2006 des Rates (COM(2013) 145 final), sowie einen zweiten Vorschlag für eine Änderung des Vorschlags COM(2012) 496 der Kommission – Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit gemeinsamen Bestimmungen über verschiedene Fonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates (COM(2013) 146 final). |
2.2 |
Mit diesen Vorschlägen soll die Finanzierung der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen im Rahmen der „Jugendgarantie“ bereitgestellt werden, mit der sichergestellt werden soll, dass allen jungen Menschen unter 25 Jahren binnen vier Monaten nach Verlust einer Arbeit oder dem Verlassen der Schule eine hochwertige Arbeitsstelle bzw. weiterführende Ausbildung oder ein hochwertiger Praktikums- bzw. Ausbildungsplatz angeboten wird. |
2.3 |
Die Finanzierung für den Zeitraum 2014-2020 beträgt insgesamt 6 Mrd. EUR, davon 3 Mrd. EUR als Investition aus dem Europäischen Sozialfonds und 3 Mrd. EUR als besondere Mittelzuweisung zugunsten der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen im Rahmen der Teilrubrik 1.b „Wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt“. |
2.4 |
Die vorgesehene Finanzierung ist für die NUTS-2-Regionen bestimmt, in denen die Jugendarbeitslosigkeit (15 bis 24 Jahre) im Jahr 2012 über 25 % lag. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Angesichts des dramatischen Ausmaßes der Jugendarbeitslosigkeit in verschiedenen Mitgliedstaaten ist die vom Rat am 28. Februar 2013 beschlossene Initiative zur Einführung einer Jugendgarantie voll und ganz gerechtfertigt; eine derartige Initiative war von den Sozialpartnern und den zivilgesellschaftlichen Organisationen mehrfach und in unterschiedlicher Form gefordert worden. |
3.2 |
Laut der Europäischen Kommission gibt es in der EU 7,5 Mio. NEETs (1), was 12,9 % der jungen Europäer zwischen 15 und 24 Jahren entspricht. Viele haben keinen Sekundarschulabschluss und haben die Schule vorzeitig abgebrochen; viele sind Einwanderer oder gehören den am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen an. Jedoch verschlechtert sich in einigen Ländern die Situation der Jugendlichen aus der Mittelschicht (neue Arme), die ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen haben und bei denen die Gefahr besteht, dass sie sie nicht fortsetzen werden. |
3.3 |
In früheren Stellungnahmen hat der EWSA die katastrophalen Jugendarbeitslosenquoten in der EU hervorgehoben und alle Interessenträger um sofortige, wirksame und endgültige Maßnahmen ersucht, um den Teufelskreis zu durchbrechen, der die Zukunft einer ganzen Generation gefährdet (2). Dies ist nicht nur ein konkretes Problem für die Betroffenen, sondern auch eine Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt in der EU, die auf lange Sicht das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit Europas in Frage stellen könnte. |
3.4 |
Der EWSA vertritt den Standpunkt, dass politische Maßnahmen, die nun beschlossen werden, geeignet sein müssen, um das Wachstum wieder anzukurbeln und hochwertige, stabile Arbeitsplätze mit den Garantien und mit dem Schutz zu schaffen, die in der Vergangenheit zum Aufbau des europäischen Sozialmodells und zum sozialen Zusammenhalt beigetragen haben. Zudem bekräftigt er die Wichtigkeit der umfassenden Beteiligung der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft an der Planung, Durchführung und Überwachung dieser Maßnahmen. |
3.5 |
Die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen im Rahmen der Jugendgarantie wird nur dann greifen, wenn ein entsprechender Anreiz im Bereich „Nachfrage des Arbeitsmarktes“ (d.h. Wirtschaftswachstum) vorhanden ist. Darüber hinaus bringen die Bildung, die berufsqualifizierenden Praktika sowie die Verbesserung der Kompetenzen von Millionen jungen Menschen mit geringen Aussichten auf Eingliederung in den Arbeitsmarkt an sich enorme Risiken mit sich. |
3.6 |
Der EWSA sieht mit Sorge, dass der Europäische Rat die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Europas im Wesentlichen als ein Problem der Haushaltskonsolidierung betrachtet, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, die Opportunitätskosten oder die negativen Folgen wie Massenjugendarbeitslosigkeit, Frustration und Hoffnungslosigkeit zu quantifizieren (3). |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 |
Da die von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen dem Zweck dienen, die derzeitige Verordnung über den Europäischen Sozialfonds und die allgemeinere Verordnung über die verschiedenen europäischen Fonds an den Beschluss des Europäischen Rates vom 7./8. Februar 2013 anzupassen, betreffen die folgenden Bemerkungen nicht die Vorschläge der Kommission, sondern die vom Rat festgelegten Grundvoraussetzungen. |
4.2 |
Vor dem Hintergrund der derzeitigen Krise bedauert der EWSA, dass in dem vom Rat vorgeschlagenen EU-Haushalt für den Zeitraum 2014-2020 weniger Mittel vorgesehen sind als für den vorangegangenen Zeitraum, was sich negativ auf die für die Bewältigung der derzeitigen Situation verfügbaren Mittel auswirkt. |
4.3 |
Aufgrund dieser Entscheidung werden die für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vorgesehenen Finanzmittel nicht durch eine Haushaltsaufstockung, sondern durch Kürzungen bei den für andere Rubriken bestimmten Mitteln bereitgestellt werden – 3 Mrd. EUR aus dem Europäischen Sozialfonds und 3 Mrd. EUR aus der Kohäsionspolitik. |
4.4 |
Desgleichen ist der zugewiesene Gesamtbetrag von 6 Mrd. EUR, der sich auf sieben Jahre verteilt, eindeutig unzureichend (4). |
4.5 |
Das Jahr 2012 für die Festlegung der Jugendarbeitslosenquote (25 %) heranzuziehen, ab der die nun zugewiesenen Mittel in Anspruch genommen werden können, trägt weder der Entwicklung der Krise noch der gegenwärtigen Rezession Rechnung; dabei werden möglicherweise dramatische Situationen vernachlässigt, die in dem betreffenden Zeitraum auftreten könnten. Nach Auffassung des EWSA muss daher mehr Flexibilität geschaffen werden, um die Entwicklung bei der Jugendarbeitslosigkeit bewerten zu können, oder aber der Prozentsatz muss präventiv auf 20 % abgesenkt werden. |
4.6 |
Der EWSA empfiehlt außerdem, die Altersgrenze für die Inanspruchnahme der Jugendgarantie auf 30 Jahre anzuheben, damit der Zugang auch jungen Menschen offensteht, die ihr Universitätsstudium später abschließen oder sich in einer Übergangsphase zwischen Ausbildung und Beschäftigung befinden. Besonders wichtig ist dies in den Ländern mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit. |
4.7 |
Der EWSA begrüßt die Entscheidung, die Mitgliedstaaten von der Ko-Finanzierung der besonderen Mittelzuweisung zugunsten der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen (3 Mrd. EUR) zu befreien und die für diese Initiative zugewiesenen Mittel von der Bildung einer leistungsgebundenen Reserve in Höhe von 5 % auszunehmen. |
4.8 |
Abschließend unterstreicht der EWSA, dass diese Initiative ungeachtet der vorstehenden Bemerkungen zu unterstützen ist; sie darf sich nicht auf die Funktion eines Instruments zur Bewältigung der aktuellen Krise beschränken, sondern muss zu einer Strukturmaßnahme einer aktiven Beschäftigungspolitik werden (5). |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) NEETs: Jugendliche, die weder eine Schule besuchen noch einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz haben und einen niedrigen Bildungs- und Ausbildungsstand aufweisen.
(2) Siehe insbesondere EWSA-Stellungnahme „Junge Menschen in Beschäftigung bringen“ – ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 67.
(3) Die Kosten der Nichteingliederung der jungen Menschen in den Arbeitsmarkt, die aufgrund zu hoher Sozialleistungen und entgangener Steuern entstehen, betragen mehr als 150 Mrd. EUR.
(4) Laut der ILO, die diese Initiative – wenn auch mit Vorsicht – begrüßt hat, wären Mittel in Höhe von ca. 21 Mrd. EUR erforderlich, um eine spürbare Veränderung dieser Situation erwarten zu können.
(5) Im Einklang mit der EWSA-Stellungnahme „Junge Menschen in Beschäftigung bringen“ (ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 67), muss die Beschäftigungsinitiative für junge Menschen mit dem Europäischen Semester verknüpft werden.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/104 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „CARS 2020: ein Aktionsplan für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Automobilindustrie in Europa“
COM(2012) 636 final
2013/C 271/20
Berichterstatter: Virgilio RANOCCHIARI
Ko-Berichterstatterin: Monika HRUŠECKÁ
Die Europäische Kommission beschloss am 8. November 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – CARS 2020: Ein Aktionsplan für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Automobilindustrie in Europa
COM(2012) 636 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 12. März 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 23. Mai) mit 147 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) würdigt das Engagement der Europäischen Kommission und insbesondere ihres Vizepräsidenten, EU-Industriekommissar Antonio TAJANI: Dieser hat zunächst die Lage der Automobilindustrie unter Hinzuziehung aller in der Hochrangigen Expertengruppe CARS 21 vertretenen Interessenträger geprüft und es aufgrund der Ergebnisse für notwendig erachtet, einen Aktionsplan aufzulegen, um die Schwierigkeiten der Branche zu bekämpfen und ihre wirtschaftliche Erholung zu fördern. |
1.2 |
Der in der Mitteilung CARS 2020 enthaltene Aktionsplan enthält Überlegungen und Empfehlungen, denen in mindestens drei der vier wichtigen Punkten voll und ganz zugestimmt werden kann: die Beteiligung an der Forschungsfinanzierung, eine intelligente Rechtsetzung ohne unnötige Kostenbelastung und eine weitere Internationalisierung der Branche. Bei dem vierten Punkt pflichtet der EWSA der Kommission in ihren Anregungen zum Sicheinstellen auf den Wandel bei, hat jedoch Vorbehalte hinsichtlich des Umstrukturierungsprozesses. |
1.3 |
Es handelt sich um eine ehrgeizige Strategie, bei der die Bekämpfung des Klimawandels mit der notwendigen Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit in Einklang gebracht werden soll – gefragt sind mit anderen Worten immer wettbewerbsfähigere und nachhaltigere Kraftfahrzeuge, die sich in einem immer aggressiveren externen und internen Wettbewerb behaupten können, wobei diese Umstellung sozial verträglich zu gestalten ist. |
1.4 |
Um dies zu erreichen, sind Maßnahmen im Rahmen einer gemeinsamen Wirtschafts- und Handelspolitik erforderlich, wobei sämtliche auf EU-Ebene verfügbaren Mittel genutzt werden sollten, um die empfohlenen Maßnahmen schnellstmöglich umzusetzen. Dabei müssen die Meinungsverschiedenheiten, die eine rasche und koordinierte Bekämpfung der Krise bislang verhindert haben, überwunden und ggf. bestimmte Leitvorgaben und selbst Entscheidungen überdacht werden, die der Verwirklichung des Aktionsplans und damit der angestrebten Erholung der Branche entgegenstehen können. |
1.5 |
Ein erstes Problem, das als symptomatisch für unsere Zeit bezeichnet werden könnte, ist die begrenzte Verfügbarkeit von Mitteln für die erforderlichen und erheblichen Investitionen sowohl der Automobilhersteller als auch ihrer Zulieferer vor allem in Forschung, Entwicklung und Innovation, um innerhalb der nächsten Jahre die von der Kommission angestrebten Ziele zu erreichen. Noch gravierender ist das Problem für die in der Lieferkette dieser Branche tätigen KMU und anderen verbundenen und oft abhängigen Unternehmen. |
1.6 |
Der EWSA teilt die Entscheidung der Kommission, die Gewährung von technologiespezifischen Anreizen zu vermeiden, d.h. von Anreizen, die einer einzigen Technologie unter Ausschluss aller anderen vorbehalten sind. Diese Entscheidung darf jedoch nicht bedeuten, dass Anreize, die kurz- bis mittelfristig greifen (z.B. Methan, LPG, die neuesten Generationen von energieeffizienten Motoren), mittel- bis langfristigen Entwicklungen (z.B. Fahrzeuge mit Elektro- und Wasserstoffantrieb) im Wege stehen. |
1.7 |
Bezüglich der CO2-Rechtsvorschriften ist der EWSA der Auffassung, dass der ökologische Gesamtfußabdruck von Fahrzeugen nur durch einen auf der Ökobilanz basierenden Ansatz verringert werden kann. |
1.8 |
In der Mitteilung wird zwar betont, dass die europäische Automobilindustrie einen erheblichen Umstrukturierungsprozess (mit möglichen Werksschließungen) durchmacht, der Auswirkungen auf die Beschäftigung haben kann, aber das wichtigste zugrundeliegende Problem – nämlich die strukturellen Überkapazitäten – wird weder analysiert noch detailliert dargelegt. Zwar liegen keine genauen Gesamtzahlen vor, aber die Branchenanalysten schätzen die vorhandenen Überkapazitäten auf 3 bis 5 Mio. Fahrzeuge. Der EWSA fordert die Kommission auf, rasch eine eingehendere Untersuchung auf den Weg bringen, um genauere Zahlen zu Beschäftigung und Überkapazitäten sowie zu den Kosten einer Nichtauslastung vorhandener Kapazitäten zu erhalten. |
1.9 |
Die Kommission scheint sich somit allzu sehr zurückzunehmen, wenn sie sich auf eine lediglich ergänzende Rolle zu den Unternehmen, Staaten und Regionen zurückzuziehen versucht, zumal angesichts der Tatsache, dass die Verwirklichung eines weiteren Ziels des Kommissionsdokuments – die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Märkten – in Gefahr geraten kann, wenn keine konsensfähige Lösung für das Problem gefunden wird. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass das Problem der Überkapazitäten nicht planlos in Angriff genommen werden kann, sondern dass Leitvorgaben für ein koordiniertes Vorgehen erforderlich sind. |
1.10 |
Der EWSA bedauert, dass dieser Aspekt des Problems, der von enormer sozialer Bedeutung ist, im Aktionsplan nicht angemessen berücksichtigt wird. Er fordert die Europäische Kommission daher auf, sich dieses Problems anzunehmen und zu diesem Zweck ihr Initiativrecht auf Ausarbeitung von Leitlinien und Zusammenstellung von Vorgehensweisen wahrzunehmen, die sich bereits in der Praxis bewährt haben, um Doppelgleisigkeiten zu vermeiden. Aufgrund der Dringlichkeit der Angelegenheit kann – und sollte – die Kommission die Koordinierung dieser umfangreichen Umstrukturierungsmaßnahme übernehmen und schließlich auch finanziell unterstützen, die sich wegen der gravierenden Folgen für die Beschäftigung in dieser Branche ohne angemessene Steuerung auf zahlreiche europäische Regionen destabilisierend auswirken könnte. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in jedweden Umstrukturierungsplan einzubinden. |
1.11 |
Damit dies gelingt und die Produktionsbasis der Automobilindustrie in Europa erhalten werden kann, muss außerdem auch ein offener und konstruktiver sozialer Dialog gefördert werden. Nur so kann ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den verschiedenen Komponenten des Aktionsplans gewährleistet und dafür gesorgt werden, dass die Menschen Vorrang haben – sowohl hinsichtlich der Umschulung von Arbeitnehmern als auch bei der Handhabung von Entlassungen, wenn der Verlust von Arbeitsplätzen unvermeidlich erscheint. Dies gilt auch für die Zulieferer, die mit den gleichen schwerwiegenden Problemen zu kämpfen haben. |
1.12 |
Kurzfristig müsste ein EU-Rahmen für soziale Überbrückungsmaßnahmen festgelegt werden, um Lehren aus der Krise von 2008/2009 zu ziehen und Verzerrungen des Arbeitsmarktes der EU zu vermeiden. Den Sozialpartnern kommt in dieser Übergangszeit eine zentrale Rolle zu. |
1.13 |
Zusammenfassend vertritt der EWSA den Standpunkt, dass die Europäische Union ihre Industriepolitik insgesamt und insbesondere für den verarbeitenden Sektor stärken muss. Die Europa-2020-Ziele lassen sich nicht ohne eine starke und wettbewerbsfähige Industrie erreichen, die die Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung der Union bildet. Gefragt ist eine proaktive Politik, die Innovation und Entwicklung unterstützt und aus den heutigen Problemen Chancen für die Zukunft macht. Die Automobilindustrie braucht eine Industriepolitik, die auf nachhaltiges Wachstum und nicht nur auf den Abbau von Produktionskapazitäten angelegt ist. Notwendig sind Kapitalanlagen und Investitionen in immer besser vorbereitete und qualifizierte Arbeitskräfte. Technologien, Prozesse, Design – alles muss zusammenspielen, damit die europäische Automobilindustrie wieder zum Weltmarktführer wird. Um sich im weltweiten Wettbewerb zu behaupten, muss auf Entwicklung und Innovation gesetzt werden. Eventuelle Werksschließungen reichen mit Sicherheit nicht aus, um das Problem zu lösen. |
2. Einleitung
2.1 |
Um den Aktionsplan, zu dem der EWSA Stellung nehmen soll, besser verstehen und einschätzen zu können, muss auf die vorausgegangenen Arbeiten und die im Zuge der ersten Auflage von CARS 21 gemachten Erfahrungen und Fortschritte eingegangen werden. |
2.2 |
In Januar 2005 setzte der damalige Vizepräsident der Kommission und EU-Industriekommissar Günter VERHEUGEN die hochrangige Gruppe CARS 21 ein, wobei das treffende Kürzel für Competitive Automotive Regulatory System for the 21st century (Ein wettbewerbsfähiges Kfz-Regelungssystem für das 21. Jahrhundert) steht. |
2.3 |
Das Ziel von CARS 21 bestand darin, eine EU-Politik und somit EU-Rechtsvorschriften zu definieren, die zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Branche beitragen können, die sich in einem immer härteren Wettbewerb auf dem Weltmarkt behaupten muss. Diese Initiative ist sicherlich angebracht angesichts der Bedeutung des Automobilsektors (1), der in Europa ca. 12 Mio. Beschäftigte (mit Produktionsstätten in 19 Mitgliedstaaten) zählt, jedes Jahr mehr als 28 Mrd. EUR in Forschung und Entwicklung investiert, eine positive Handelsbilanz von ca. 90 Mrd. EUR ausweist und über 430 Mrd. EUR zum Steueraufkommen der Mitgliedstaaten beiträgt, d.h. fast 4 % des BIP der EU. |
2.4 |
Zum Abschluss der Arbeiten der Expertengruppe CARS 21 im Dezember 2005 wurden in einem Dokument 18 Empfehlungen aufgelistet und Leitlinien festgelegt, an die sich die Kommission bei der Ausarbeitung ihrer Legislativvorschläge halten sollte. Durch eine geeignete Regulierungspolitik sollte für das verarbeitende Gewerbe ein günstiger und zuverlässiger Rahmen nach dem Grundsatz der „intelligenten Regulierung“ geschaffen werden, bei dem für jeden Vorschlag die Kosteneffizienz überprüft werden soll – und zwar unter eingehender Bewertung der Auswirkungen auf Industrie und Gesellschaft, unter Berücksichtigung der für jede geforderte technische Innovation notwendigen Mindestfristen sowie unter Festsetzung langfristiger Ziele, wobei stets alle einschlägigen Interessenträger zu beteiligen sind. |
2.5 |
In der Praxis wurden diese Empfehlungen von den Direktionen der Kommission und den anderen EU-Institutionen anschließend nicht immer koordiniert umgesetzt. Alles in allem waren die Hinweise der CARS-21-Expertengruppe jedoch nicht nur für die Industrie, sondern auch für die anderen Interessenträger der Branche sehr nützlich. |
2.6 |
Weil die Fahrzeuge immer sauberer und energieeffizienter werden müssen, noch dazu inmitten einer nie zuvor dagewesenen Krise des europäischen Marktes, hielt es im Jahr 2010 Antonio TAJANI, Vizepräsident und für Industrie zuständiges Mitglied der Europäischen Kommission, zu Recht für angebracht, eine Neuauflage von CARS 21 vorzuschlagen und aufgrund der früheren Erfahrungen einige Veränderungen daran vorzunehmen. |
2.7 |
Die vorhergehende Ausgabe wurde zwar begrüßt, aber auch wegen der Zusammensetzung der Gruppe kritisiert, da nach Auffassung bestimmter Kreise nicht alle Interessenträger einbezogen waren: Die Autobauer waren stark vertreten, aber insbesondere waren nicht alle EU-Kommissare beteiligt, die möglicherweise mit Legislativmaßnahmen für diese Branche zu tun haben könnten. |
2.8 |
Bei der Neuauflage hat man sich daher bemüht, alle in Frage kommenden öffentlichen und privaten Interessenträger einzubinden: acht Kommissionsmitglieder, neun Mitgliedstaaten, Vertreter weiterer Institutionen wie EWSA und Ausschuss der Regionen. Für den Privatsektor wurden neben den europäischen Autobauern auch die anderen, mit der Produktions- und Logistikkette in Zusammenhang stehenden Akteure beteiligt, wie z.B. Vertreter der Zulieferer, Werkstätten, Ölgesellschaften sowie Gewerkschaften, Umweltorganisationen und die für neue Antriebstechnologien eintretenden Verbände und Vereinigungen – alles in allem eine ca. vierzigköpfige hochrangige Expertengruppe, die von Sherpa und Sachverständigen unterstützt wurde. |
2.9 |
Die Arbeiten wurden mit einer ersten Sitzung der hochrangigen Gruppe im November 2010 aufgenommen und anschließend mit einer Reihe von Treffen fortgesetzt, die schließlich in den im Juni 2012 erörterten und genehmigten Schlussbericht mündeten. |
2.10 |
Es handelte sich um eine Initiative von höchster Wichtigkeit, und der Kommission – und insbesondere der für die Koordinierung der Arbeiten zuständigen GD Unternehmen – muss bescheinigt werden, dass sie es verstanden hat, mit Professionalität und Effizienz ein Dokument zu erarbeiten, das die allgemeine Zustimmung aller Beteiligten gefunden hat. |
2.11 |
Auf diese Arbeiten und dieses letztere Dokument bezieht sich laut Kommissionsvizepräsident Antonio TAJANI die Mitteilung zum Aktionsplan CARS 2020, zu dem der EWSA eine Stellungnahme abgeben soll. |
3. Die Mitteilung der Kommission: Aktionsplan CARS 2020
3.1 |
Der in der Mitteilung vorgelegte Aktionsplan ruht auf den folgenden vier Säulen:
|
3.2 |
Investitionen in fortgeschrittene Technologien und Finanzierung der Innovation Die Kommission wird
|
3.3 |
Stärkung des Binnenmarktes und Durchsetzung intelligenter Regulierungen Die Kommission wird
|
3.4 |
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Märkten Die Kommission wird
|
3.5 |
Vorwegnahme des Strukturwandels und Abfederung der sozialen Auswirkungen der Umstrukturierung der Produktionstätigkeit Die Kommission wird
|
4. Bemerkungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
4.1 |
Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission, die in ihrem Aktionsplan nicht nur viele der Empfehlungen von CARS 21 bekräftigt, sondern sich auch verpflichtet, den Dialog mit der CARS-21-Gruppe weiterzuführen, um die Umsetzung der Empfehlungen des Aktionsplans zu überwachen und eine regelmäßige Bestandsaufnahme und ggf. eine Aktualisierung vorzunehmen. |
Produktionskapazitäten in Europa
4.2 |
Bezüglich der Produktionskapazitäten macht der EWSA auf eine erhebliche Schwachstelle in der Mitteilung aufmerksam: Das Problem der Überkapazitäten bei der Produktion wird nicht mit der gebotenen Augenmerk behandelt, sondern ist einfach als Teil des allgemeineren Umstrukturierungsprozesses dargestellt. Hiermit wird auf das Ausmaß des Problems und die entsprechenden Fakten hingewiesen. |
4.3 |
Schätzungen von AlixPartners (5) besagen, dass in Europa im letzten Jahr rund 40 Automobilfabriken unterhalb der Rentabilitätsgrenze von 75 bis 80 % Kapazitätsauslastung betrieben wurden und rund 10 unterhalb von 40 % lagen – und dies vor dem Hintergrund, dass von 2007 bis 2012 der Absatz in Europa um 3,5 Mio. Fahrzeuge zurückgegangen ist und der Stand von 2007 wahrscheinlich nicht vor 2020 wieder erreicht werden kann. Dies entspricht einem Rückgang von 23 %, der bei den Nutzfahrzeugen 34,6 % erreichte. Noch kritischer ist die Lage in der Motorradbranche, wo der Einbruch bei den Neuzulassungen mit 46 % doppelt so hoch war wie bei den Pkw. |
4.4 |
Es muss aber auch hinzugefügt werden, dass bezüglich des Umfangs der Überkapazitäten die Meinungen der Branchenanalysten auseinandergehen und die Schätzungen je nach den zugrunde gelegten Kriterien zwischen 3 und 5 Mio. Fahrzeugen schwanken. Die Europäische Kommission muss sich nach Ansicht des EWSA trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten um eine eingehendere Untersuchung bemühen, die genauere Zahlen liefert. |
4.5 |
Überdies steht die Frage der Überkapazitäten auch am Anfang einer Kausalkette, die gravierende Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Automobilkette hat: Überkapazitäten – hohe Fixkosten – Preiskampf – sinkende Rentabilität und Verschlechterung der Finanzlage – Werksschließungen – Begrenzung der Investitionen generell und insbesondere in F&E – Gefahr einer Verringerung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit. Den Einfluss, den die Überkapazitäten auch auf die dritte Säule des Aktionsplans – Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Märkten – haben, sollte die Kommission daher keinesfalls unterschätzen. |
4.6 |
Natürlich ist bei diesem Thema keine vereinfachte Herangehensweise möglich, da sich die Situation für die einzelnen Länder und Autobauer unterschiedlich darstellt. Während 2012 die Kapazitätsauslastung in Europa im Durchschnitt um die 70 % lag, sind erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern zu beobachten: Vereinigtes Königreich und Deutschland ca. 80 %, Spanien 70 %, Frankreich 60 % und Italien knapp über 50 % (Quelle: Economist). Auf Ebene der Automobilhersteller hängen die Unterschiede von mehreren Faktoren ab, zu denen die Exporttätigkeit gehört: Am besten sind diejenigen aufgestellt, die in großem Umfang in außereuropäische Länder exportieren (wie beispielsweise BMW, Audi, Daimler), während sich andere, die stärker auf den heimischen Markt angewiesen sind, in einer schwierigen Lage befinden. |
4.7 |
Ein weiterer für die Unterschiede zwischen den Autobauern maßgeblicher Faktor ist das Marktsegment, in dem sie sich vorrangig engagieren. Eine Studie von Roland Berger (…) zeigt, dass der Auslastungsgrad vom Marksegment abhängig ist: Die auf die untere Preisklasse spezialisierten Hersteller und Marken (Dacia\Logan, Chery, Hyundai, Chevrolet) haben einen Auslastungsgrad von 77 %, während dieser bei den auf das mittlere Preissegment spezialisier-ten Anbietern mit breiter Modellpalette (PSA, Renault-Nissan, Toyota, Suzuki, Fiat, Opel, VW) bei 62 % und in der Luxusklasse (BMW, Mercedes, Audi, Lexus, Infiniti, DS) bei 83 % liegt. |
4.8 |
Das Thema Überkapazitäten kann daher nicht von einzelnen Automobilherstellern und einzelnen nationalen und regionalen Regierungen im Alleingang in Angriff genommen werden. Nach Auffassung des EWSA sind Leitvorgaben zur Koordinierung des Prozesses erforderlich, und diese Rolle kann die Kommission übernehmen. |
Investitionen in fortgeschrittene Technologien und Finanzierung der Innovation
4.9 |
In dem Plan werden keine über die bereits bereitgestellten hinausgehenden Mittel angekündigt. Das von Kommissionsvizepräsident Antonio TAJANI zum Abschluss von CARS 21 genannte Ziel, die Finanzmittel für umweltgerechte Kraftfahrzeuge im Rahmen des Programms Horizont 2020 von 1 auf 2 Mrd. EUR aufzustocken, wird in der Mitteilung nicht erwähnt. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge ist daher selbst die Möglichkeit neuer Interventionen der EIB lediglich ein Wunsch, der aus der jüngsten Erhöhung ihres Kapitals um 10 Mrd. EUR geboren wurde. |
4.10 |
Die gesamte Produktionskette der Automobilindustrie, die massiv in Forschung, Entwicklung und Innovation investieren muss, um den notwendigen Technologiesprung für immer umweltgerechtere Kraftfahrzeuge bis 2020 zu vollziehen, würde auch mehr EU-Mittel als Anreiz für eigene Investitionen benötigen, die dadurch erschwert werden, dass der europäische Markt in nächster Zukunft nicht aus der Rezession herausfinden dürfte. |
4.10.1 |
Positiv zu bewerten ist in diesem Zusammenhang der implizite Verweis auf die technologische Neutralität zwischen den verschiedenen Antriebsarten (Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren sowie mit Elektro-, Hybrid- und Brennstoffzellenantrieben), an der sich die EU bei der Unterstützung von Maßnahmen im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation orientieren muss, um das Ziel einer „im Hinblick auf die Verwirklichung der Klimaschutzziele notwendigen Bandbreite verschiedener Treibstoffe“ zu verfolgen. |
4.10.2 |
Besonders begrüßenswert mit Blick auf den vorgenannten Grundsatz der technologischen Neutralität ist das Engagement der Kommission für die Entwicklung von Infrastrukturen, die die Marktdurchdringung für alle alternativen Kraftstoffe ermöglichen, ohne irgendwelche a priori zu bevorzugen: Elektrizität, Wasserstoff, nachhaltige Biokraftstoffe, Methan (Erdgas und Biomethan) und Flüssiggas. Zu diesem Zweck hat die Kommission eine Strategie für alternative Kraftstoffe sowie einen Vorschlag für einen Rechtsakt über die hierfür notwendige Infrastruktur mit Angabe der Mindestinfrastruktur für Lade-/Betankungsstationen vorgelegt. In krassem Widerspruch zu der Erweiterung der für ihre Nutzung notwendigen Infrastruktur, die dem Aktionsplan zufolge gefördert werden soll, werden jedoch durch einen unlängst unterbreiteten Richtlinienvorschlag (zur Energiebesteuerung) neben Diesel auch alternative Kraftstoffe wie Methan und Biomethan benachteiligt und ihre Verbreitung auf dem Markt in Frage gestellt. |
4.10.3 |
Der Standpunkt der Kommission zur „technologischen Neutralität“ weist jedoch auch zwei kritische Punkte auf:
|
4.11 |
Kraftfahrzeuge tragen erheblich zur CO2–Belastung bei. Nach Auffassung des EWSA könnten die von Kraftfahrzeugen verursachten CO2-Emissionen durch die Zugrundelegung der Ökobilanz, die alle über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts von der Gewinnung des Rohstoffs bis zum Ende seiner Lebensdauer verursachten Emissionen berücksichtigt, gründlicher erfasst werden. |
4.12 |
Zwar wird das Engagement für die Verringerung der CO2-Emissionen bekräftigt, aber in der Mitteilung ist nirgends davon die Rede, dass die Kommission eine Überarbeitung der Richtlinie 1999/94/EG über die Kennzeichnung vorschlagen sollte, um die Angabe absoluter CO2-Werte für alle Kfz-Modelle verbindlich vorzuschreiben. Ein solcher Vorstoß wäre um so zweckmäßiger, als zum gegenwärtigen Zeitpunkt die neue Verordnung erörtert wird, der zufolge die neuen Grenzwerte für Pkw auf 95g/km festgelegt werden, wie dies der EWSA bereits in einer früheren Stellungnahme empfohlen hatte (6). |
4.13 |
Interessant ist auch die Ankündigung einer neuen Initiative für umweltgerechte Kraftfahrzeuge im Rahmen des Programms Horizont 2020 (als Nachfolgeprojekt für die öffentlich-private Partnerschaft EGCI), also mit der Beteiligung privater Geldgeber. |
4.14 |
Indes wird es nicht ausreichen, nur neue Technologien zu entwickeln, wenn nicht parallel für die entsprechende Fortbildung der Arbeitskräfte gesorgt wird. Denn neue Technologien bedeuten neue Qualifikationen und Kompetenzen der Arbeitnehmer. Diese sind in der Branche derzeit nicht verfügbar und müssen zum Teil sogar innerhalb des Bildungssystems entwickelt werden. Das erfordert einerseits nachhaltige Anstrengungen der in der Branche tätigen Arbeitgeber, um neue Programme für Lehrlingsausbildungen einzuführen, andererseits jedoch auch die Zusammenarbeit mit Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen sowie Forschungs- und Hochschuleinrichtungen, um neue Ausbildungsgänge anzubieten. |
Stärkung des Binnenmarktes und Durchsetzung intelligenter Regulierungen
4.15 |
Zu Recht wird die Verpflichtung bekräftigt, dass die Vorschriften für die Branche im Einklang mit dem Grundsatz der intelligenten Regulierung erlassen werden müssen, wobei Parameter wie z.B. die Kosteneffizienz, Übergangsfristen (7) und die Folgen für die Wettbewerbsstellung der Branche auf den globalen Märkten zugrunde gelegt werden müssen. |
4.16 |
Äußerst sinnvoll erscheint auch die Ausarbeitung von Leitlinien für finanzielle Anreize für saubere Fahrzeuge, die auf objektiven und allgemein verfügbaren Daten – wie z.B. CO2-Emissionen – beruhen müssen, um die Zersplitterung des Marktes aufgrund unkoordinierter Interventionen zu vermeiden. |
4.17 |
In Bezug auf die zeitliche Wirksamkeit muss die Einstellung der Verbraucher zu den neuen Technologien und insbesondere zur Elektromobilität berücksichtigt werden: Bislang waren die Ergebnisse dürftig und blieben auf jeden Fall hinter den Erwartungen zurück. Man muss sich daher fragen, ob es mit Blick auf die Erreichung der kurz- bis mittelfristigen Umweltziele nicht sinnvoller wäre, stärker in die Forschung für die neuesten Generationen von energieeffizienten Motoren zu investieren. |
4.18 |
Was somit den Elektroantrieb und seine künftige Entwicklung angeht, muss auch daran erinnert werden, dass die Schätzungen sehr stark schwanken und je nach berücksichtigten Parametern auch sehr stark voneinander abweichen. Bei einem Vergleich verschiedener Prognosen (8) gelangt man zu Multiplikationsfaktoren, die von 1 bis 10 reichen. |
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf globalen Märkten
4.19 |
Im Rahmen von CARS 21 wurde viel über Freihandelsabkommen diskutiert, nachdem aus der Industrie Kritik am Abkommen mit Südkorea laut geworden war (9). Auch wurde deutlich, dass die kumulativen Folgen dieser Abkommen unter dem Gesichtspunkt analysiert und die Industrie- und Handelspolitik der EU eng aufeinander abgestimmt werden müssen, um nichttarifäre Handelshemmnisse für europäische Exporte endgültig zu beseitigen. Der EWSA befürwortet daher die Entscheidung der Kommission, eine Untersuchung der bereits abgeschlossenen Freihandelsabkommen und solchen, die in naher Zukunft abgeschlossen werden sollen (wie z.B. mit Japan), durchzuführen, um ihre kumulierten Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der Automobilbranche zu bewerten. |
4.20 |
Der EWSA würdigt generell den Einsatz der Kommission für eine Handelspolitik, die auf die Sicherung einer starken und wettbewerbsfähigen Produktionsbasis der Automobilindustrie in Europa abzielt, wobei sie die verfügbaren Werkzeuge nutzt und weiter ausfeilt, von der Revision des UN/ECE-Übereinkommens bis hin zur Ausarbeitung einer neuen Regelung über internationale Typgenehmigungen für das vollständige Fahrzeug (IWVTA). |
4.20.1 |
Die Herausforderungen für die europäische Automobilindustrie stellen sich jedoch auch auf den heimischen Märkten, wo Veränderungen der Nachfrage und der Mentalität Auswirkungen auf ihre künftigen Erfolgschancen haben werden. Neben der Wettbewerbsfähigkeit auf den globalen Märkten muss auch dieser Aspekt berücksichtigt werden. |
Vorwegnahme des Strukturwandels und Abfederung sozialer Auswirkungen bei Umstrukturierungen (10) der Produktionstätigkeit
4.21 |
Zu einer Strategie für eine erfolgreiche und nachhaltige Automobilindustrie in Europa gehören nicht nur Investitionen in neue Technologien und Innovationen bei gleichzeitiger intelligenter Rechtsetzung und einem verbesserten Binnenmarkt, sondern insbesondere auch die feste Einbindung dieser Strategie in die allgemeine Industriepolitik der EU und die Gewähr, dass den Arbeitskräften dieselbe Bedeutung und Aufmerksamkeit zuteil wird wie allen anderen Aspekten. |
4.22 |
Um eine Produktionsbasis in Europa zu erhalten, müssen die Unternehmen in der Lage sein, ihre Produktionskapazitäten an neue Technologien und sich verändernde Märkte anzupassen, wofür qualifizierte, ständig weitergebildete Arbeitskräfte erforderlich sind. Deshalb ist es sinnvoll, 2013 einen Europäischen Qualifikationsrat für die Automobilindustrie unter Beteiligung aller interessierten Parteien einzurichten, der Empfehlungen – auch an die Adresse der Politikgestalter – zur Entwicklung der Qualifikationen in der Automobilindustrie und zum Bildungs- und Ausbildungsbedarf im Vorgriff auf die zu erwartenden Veränderungen ausspricht. Die ständige Weiterentwicklung der beruflichen Qualifikationen sichert die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitskräfte und ist das beste Konzept, das alle interessierten Parteien anstreben sollten; den KMU und ihren spezifischen Problemen in diesem Bereich sollte besondere Aufmerksamkeit zuteil werden. |
4.23 |
Bei antizipativen Maßnahmen zur Vermeidung negativer Auswirkungen der Umstrukturierungen auf die Beschäftigung sollte der soziale Dialog voll genutzt werden, und zwar insbesondere, um das Recht der Europäischen Betriebsräte auf Beteiligung und Anhörung bei Umstrukturierungen sowie ihre Möglichkeiten für eine aktive Mitwirkung an der Unterbreitung von Alternativvorschlägen zu sondieren. Durch eine angemessene Kommunikation zwischen Zulieferern und Endherstellern sollte im Extremfall von Fabrikschließungen einen Dominoeffekt auf die Wirtschaft der verschiedenen Automobilregionen vermieden werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schließung von Endmontagewerken Auswirkungen auf die vor- und nachgelagerte Logistikkette hat. Diesbezüglich sollte schnellmöglich der soziale Dialog mit allen Beteiligten intensiviert werden. |
4.24 |
Wie den Ziffern 4.2 – 4.8 zu entnehmen ist, scheint in der Mitteilung das Problem jedoch insofern ausgespart zu werden, als allgemein von „Umstrukturierung“ die Rede ist, ohne dass die Ursachen genannt werden: In dem betreffenden Teil des Dokuments wird nicht mehr auf das in Abschnitt 3 des Dokuments erwähnte „langfristige[n] Strukturproblem der Überkapazität“ eingegangen, das für die von einigen Autobauern angekündigten Werksschließungen verantwortlich ist. Nach Auffassung des EWSA müsste untersucht werden, inwieweit es sich bei den Überkapazitäten um ein vorübergehendes Ungleichgewicht bei den Produktionskapazitäten handelt, das vom historischen Hintergrund der geografischen Verteilung und der Nachfrage in Europa abhängig ist und das durch Faktoren wie die Kaufkraft der Verbraucher und die Produktpolitik sowie durch Sparhaushalte und andere Maßnahmen der staatlichen Politik beeinflusst wird. |
4.25 |
Der Aktionsplan setzt sich mit anderen Worten weder mit den Ursachen des Umstrukturierungsprozesses auseinander, noch bewertet er dessen Ausmaß. Es wird lediglich vorgeschlagen, Maßnahmen zur Abmilderung seiner sozialen Auswirkungen zur ergreifen, wobei der Industrie die Verantwortung für den Umstrukturierungsprozess überlassen wird, während die Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten und den lokalen Behörden nur eine ergänzende Rolle spielen soll. Dadurch wird nicht nur vermieden, dass die Kommission bei den Umstrukturierungsmaßnahmen eine Koordinierungsrolle bekommt. Sie vermeidet auch, Leitlinien vorzuschlagen, an die sich die Mitgliedstaaten bei ihren Interventionen halten müssen. |
4.26 |
Der EWSA ist daher der Auffassung, dass eine nur ergänzende Rolle der Kommission neben der der anderen Akteure angesichts der Dimension der ungenutzten Produktionskapazitäten nicht ausreicht. |
4.27 |
Zum Thema Umstrukturierung enthält die Mitteilung CARS 2020 auch interessante Anregungen, die vertieft werden sollten: In Abschnitt 4.4 der Mitteilung heißt es, die Kommission werde „die dienststellenübergreifende Taskforce zur Untersuchung und Weiterverfolgung der wichtigsten Schließungen oder deutlichen Verkleinerungen von Automobilfabriken wieder einsetzen. Die Taskforce war in der Vergangenheit in der Automobilindustrie aktiv und höchst effizient“ (womit auf die Fälle VW Forest und MG Rover angespielt wird). Der EWSA dringt darauf, die betreffenden Ergebnisse gezielt darauf hin zu untersuchen, wie sie als Vorbild für die gegenwärtige Situation dienen können. |
4.28 |
Der EWSA schlägt vor, Alternativen für Umstrukturierungen nach dem Vorbild von Lösungen zu sondieren, die sich in der Vergangenheit bewährt haben bzw. derzeit vorgeschlagen werden, z.B. für das Opel-Werk in Bochum. Zwischen Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern wurde eine breite Palette von Maßnahmen vereinbart, bei denen auch externe Interessenträger einbezogen werden, um mit Blick auf die für Ende 2016 geplante Werksschließung eine sozial verträgliche Lösung zu finden. |
4.29 |
Es ist jedoch notwendig, eine langfristige industriepolitische Perspektive für diese Branche zu entwickeln, die Vorrang vor jedweden kurzfristigen Entscheidungen über die Anpassung von Produktionskapazitäten haben muss. Reine Kapazitätsstilllegungen bewirken keine Verbesserung der Zukunftsfähigkeit der Branche insgesamt betrachtet und haben dramatische Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette. Es gilt vielmehr, auf einen Umbau der Branche und eine den Erwartungen der Verbraucher besser entsprechende Produktpolitik hinzuarbeiten, um die Branche fit für das 21. Jahrhundert zu machen. |
4.30 |
Andernfalls besteht bei derartigen lang anhaltenden Absatzflauten mit entsprechenden Gewinneinbußen die Gefahr, dass auf das mittlere Preissegment spezialisierte Massenhersteller die durch eine rückläufige Produktion verursachte Belastung abwälzen, indem sie Werke in Westeuropa schließen und die Produktion in ihre verbleibenden Werke verlagern, von denen die meisten erst vor kurzem in den neuen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten eröffnet wurden, um von den Vorteilen niedrigerer Löhne und weniger strenger arbeitsrechtlicher Auflagen zu profitieren. |
4.31 |
Löblich, aber angesichts der obigen Ausführungen nicht ausreichend ist schließlich sowohl die Absicht der Kommission, über die Einhaltung der EU-Rechtsvorschriften in Bezug auf staatliche Beihilfen und Binnenmarktvorschriften zu wachen, als auch die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, den EGF in Anspruch zu nehmen. |
Brüssel, den 23. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Der Begriff Automobilindustrie umfasst die gesamte Lieferkette: Fahrzeughersteller, Lieferanten, Verteilungs- und Nachsorge-Dienstleistungen. Die Produktpalette umfasst Personenkraftwagen, leichte und schwere Nutzfahrzeuge, Motorräder sowie generell motorbetriebene Zweirad-, Dreirad- und Vierradfahrzeuge.
(2) „Horizont 2020“, COM(2011) 808 final und COM(2011) 809 final vom 30.11.2011, ist ein Vorschlag für ein Rahmenprogramm zur Finanzierung von Forschung, Entwicklung und Innovation im Zeitraum 2014-2020 mit einer Mittelausstattung von insgesamt 80 Mrd. EUR.
(3) COM(2010) 389 final.
(4) Übereinkommen der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UN/ECE) von 1958 zur internationalen Harmonisierung der Regelungen für Kraftfahrzeuge.
(5) AlixPartners, Automotive Outlook 2012 – An Industry at the Crossroads, Jens-Ulrich Wiese, IFF - Prag, 21. September 2012.
(6) ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 109.
(7) Die Zeit, die die Industrie benötigt, um jede neue Auflage umzusetzen, die mit baulichen Veränderungen am Fahrzeug verbunden ist.
(8) Roland Berger „Rebound of the US suppliers industry“(Erholung der Kfz-Zulieferindustrie in den USA), Detroit, Oktober 2012.
(9) Im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten des Abkommens (1.7.2011 - 30.6.2012) importierte Korea 433 000 Fahrzeuge, was einen Anstieg von 46 % gegenüber den 12 vorhergehenden Monaten bedeutet (Quelle: EUROSTAT).
(10) Laut dem Grünbuch der Kommission „Umstrukturierung und Antizipierung von Veränderungen: Lehren aus den jüngsten Erfahrungen“ (COM (2012) 7 final) gehören Umstrukturierungen zum Alltag der Unternehmen, Arbeitnehmer, Behörden und anderen interessierten Parteien. Umstrukturierung kann die Verlagerung von Humanressourcen auf Tätigkeiten mit einer höheren Wertschöpfung bedeuten, aber auch Weiterbildung der Beschäftigten, vorübergehende Kurzarbeit, Wegbrechen von Teilen der Produktions- und Logistikkette oder Werksschließungen.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/111 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Saubere Energie für den Verkehr: eine europäische Strategie für alternative Kraftstoffe“
COM(2013) 17 final
und dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe
COM(2013) 18 final — 2013/12 (COD)
2013/C 271/21
Berichterstatter: Stefan BACK
Die Europäische Kommission beschloss am 24. Januar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Saubere Energie für den Verkehr: Eine europäische Strategie für alternative Kraftstoffe
COM(2013) 17 final.
Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 5. Februar 2013 bzw. am 8. Februar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 91 und 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe
COM(2013) 18 final – 2013/12 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 30. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 147 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Ausschuss begrüßt das Paket „Saubere Energie für den Verkehr“ (1), mit dem die Voraussetzungen für den Eintritt umweltfreundlicher, saubere Energiequellen nutzender Antriebstechnologien in den Massenmarkt geschaffen werden sollen. |
1.2 |
Der Ausschuss befürwortet den Ansatz, der auf Marktentwicklung und eine Mindestabdeckung mit Ladestationen/Tankstellen unter Anwendung einheitlicher Normen abhebt, um das Vertrauen der Verbraucher zu festigen und grenzüberschreitende Mobilität zu sichern. |
1.3 |
Er heißt ferner die Schwerpunktsetzung auf Verbraucherinformation und –vertrauen gut, damit der Massenmarkt als unabdingbare Voraussetzung für erschwingliche Fahrzeuge mit alternativen Antriebssystemen entwickelt werden kann. |
1.4 |
Der Ausschuss begrüßt den Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung, der von den neuen Marktchancen und der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie aufgrund der Entwicklung alternativer Kraftstoffe und der damit verbundenen Infrastruktur zu erwarten ist. |
1.5 |
Eine Strategie für saubere Brennstoffe sollte nicht auf verschiedene ausgereifte Produkte begrenzt sein, sondern auf langfristige Fragen in Verbindung mit anderen sauberen Energieträgern, auf die rasche und umfassende Entwicklung dieses Bereichs sowie auf die notwendige Förderung von Innovation und Markteinführung abheben. |
1.6 |
Der Ausschuss verweist auf seine Stellungnahme zum Thema „Indirekte Landnutzungsänderungen (ILUC)/Biokraftstoffe“ (TEN/502 - CES2363-2012), insbesondere die Ziffern 1.9 bis 1.12, in denen er deutlich macht, dass es sich um komplexe und langfristige Problemstellungen handelt, die fortwährend neu überprüft werden müssen. |
1.7 |
Deshalb ist er der Meinung, dass die in der Mitteilung formulierten langfristigen strategischen Ziele in dem Vorschlag besser berücksichtigt werden sollten. So sollten die nationalen Strategierahmen für saubere Kraftstoffe und die entsprechende Infrastruktur, die die Mitgliedstaaten gemäß dem Vorschlag festlegen sollen, sämtliche Energieträger, u.a. Biokraftstoffe, einbeziehen, die der Mitteilung zufolge relevant sind. |
1.8 |
Demnach sollte in dem Vorschlag ein unter wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten optimierter Kraftstoffmix auf EU-Ebene definiert werden, so dass durch eine Koordination der nationalen Politiken Entwicklung und Verbreitung gefördert werden könnten. In diesem Sinn sollten die Artikel 3, 8 und 10 sowie Anhang I überarbeitet werden. |
1.9 |
Der Ausschuss hält es für unwahrscheinlich, dass eine öffentliche Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge ohne öffentlichen Mitteleinsatz bereitgestellt werden kann, zumindest so lange, bis es so viele Elektrofahrzeuge gibt, dass die Investitionen über die Ladegebühren finanziert werden können. |
1.10 |
Der Ausschuss betont die Notwendigkeit, für eine reibungslose und tragbare Umstellung auf einen neuen Energiemix zu sorgen und zu berücksichtigen, dass auch die Umweltbilanz der fossilen Brennstoffe verbessert werden kann. |
1.11 |
Der Ausschuss warnt davor, dass die Entwicklung neuer und tragfähigerer technischer Lösungen für verschiedene Verkehrsträger und Nutzergruppen untergraben werden könnte. Als einschlägiges Beispiel für diese Gefahr wäre das klare Bekenntnis zu Flüssigerdgas (LNG) für die Schifffahrt zu nennen, obwohl neue und günstigere Alternativen in der Entwicklung sind. Auch entstehen neue maßgeschneiderte Antriebslösungen für bspw. LKW, Busse und Krafträder. |
2. Einleitung: Politischer Hintergrund und Aufmachung der Mitteilung und des Vorschlags
2.1 |
Mit den Leitinitiativen „Ressourcenschonendes Europa“ und „Innovationsunion“ zielt die Europa-2020-Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum darauf ab, Klimawandel und Energie- und Ressourcenknappheit zu bewältigen, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und durch einen effizienteren Ressourcen- und Energieeinsatz die Energiesicherheit zu erhöhen. In dem Weißbuch zum Verkehr 2011 wurde die Notwendigkeit betont, die Abhängigkeit des Verkehrssystems vom Öl zu durchbrechen, und das Ziel einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 60 % bis 2050 formuliert. Unter zehn Zielsetzungen für ein wettbewerbsorientiertes und ressourcenschonendes Verkehrssystem nennt das Weißbuch auch die Entwicklung und Einführung neuer und nachhaltiger Kraftstoffe und Antriebssysteme. In der Liste der Initiativen im Weißbuch werden diese Ziele in Initiative 24 „Technologiefahrplan“ und in Initiative 26 „Rechtsrahmen für innovativen Verkehr“ aufgegriffen. Auch die Mitteilung und der Richtlinienvorschlag knüpfen ganz oder teilweise daran an. |
2.2 |
Der Ausschuss hat die Kommission in einigen Stellungnahmen aufgefordert, die Initiative zu ergreifen, um alternative Kraftstoffe und die entsprechende Infrastruktur zu fördern. Dazu gehören insbesondere:
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2.3 |
Das von der Kommission vorgelegte Paket umfasst folgende Elemente:
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2.4 |
Die von der Mitteilung erfassten Kraftstoffe sind Erdgas einschließlich Biomethan (LNG, CNG, GTL), Elektrizität, Biokraftstoffe (flüssig) und Wasserstoff, die jeweils unterschiedliche Eigenschaften und Einsatzbereiche haben. In der Mitteilung wird eine Strategie für alle Verkehrsträger entworfen. Ziel der Strategie ist es, einen Langzeitrahmen als Orientierung für die technologische Entwicklung und Investitionen in die Verbreitung alternativer Kraftstoffe aufzustellen, um die Abhängigkeit vom Erdöl zu durchbrechen, die Energiesicherheit zu verbessern und die Emissionen zu senken. In vier Bereichen werden Maßnahmen geplant:
|
2.5 |
Der Vorschlag erstreckt sich auf die Infrastrukturen für alternative Kraftstoffe, die Festlegung einheitlicher technischer Spezifikationen und Verbraucherinformationen. Er sieht aber auch die Verpflichtung für die Mitgliedstaaten vor, einen nationalen Strategierahmen für die Marktentwicklung im Bereich der alternativen Kraftstoffe und der entsprechenden Infrastruktur festzulegen. Dieser beinhaltet Berichtspflichten, politische und Regelungsmaßnahmen zur Förderung des Aufbaus der Infrastruktur, Fördermaßnahmen, Forschung und Zielvorgaben sowie die Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten, um erstens eine die Mitgliedstaaten übergreifende Kompatibilität der Infrastrukturen zu gewährleisten und zweitens den Verkehr von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben über die gesamte EU hinweg zu ermöglichen. |
2.6 |
Mit der Mitteilung und dem Vorschlag veröffentlichte die Kommission auch ihre (englischsprachige) Arbeitsunterlage zu einer umfassenden LNG-Strategie für die Schifffahrt. In Zusammenarbeit mit der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) hat die Kommission vor, bis Ende 2014 Vorschriften, Normen und Leitlinien für die Bereitstellung, das Bunkern und die Verwendung von LNG für den Schifffahrtssektor vorzuschlagen. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Wie bereits ausgeführt, hat sich der Ausschuss bereits mehrfach mit der Notwendigkeit alternativer Kraftstoffe für den Verkehr und dem dringenden Erfordernis befasst, eine angemessene Infrastruktur für ein zuverlässiges System von Tank- bzw. Ladestationen bereitzustellen, das die grenzüberschreitende Mobilität unterstützt. Er hat auch betont, dass es vonnöten ist, durch weitere Maßnahmen die Markteinführung von Elektrofahrzeugen zu fördern und den Mitgliedstaaten mehr Autonomie bei der Umsetzung dieser Politik einzuräumen. Der Ausschuss begrüßt daher diese Initiative. |
3.2 |
Der Ausschuss heißt den in der Mitteilung erläuterten und in dem Vorschlag umgesetzten Ansatz gut, die Mitgliedstaaten dazu zu verpflichten, einen nationalen Strategierahmen für die Marktentwicklung im Bereich alternativer Kraftstoffe, die bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, anzunehmen, der der Kommission notifiziert und von ihr evaluiert werden muss. |
3.3 |
Der Ausschuss befürwortet insbesondere, dass die Markteinführung von mit alternativen Kraft- und Brennstoffen angetriebenen Fahrzeugen und Schiffen vor allem durch den Aufbau der Lade-/Betankungsinfrastruktur gefördert werden soll. Es scheint allgemein Einvernehmen darüber zu herrschen, dass diese Art Maßnahmen wichtig sind, um das Vertrauen der Verbraucher als wesentliche Voraussetzung für den Markterfolg zu stärken. |
3.4 |
Der Ausschuss begrüßt auch die Aufstellung technischer EU-weit geltender Normen für die Lade-/Betankungsinfrastruktur. Dies trägt entscheidend zum Vertrauen auf alternative Kraftstoffe als reelle Option im grenzüberschreitenden Verkehr bei. Der Ausschuss geht davon aus, dass die Kommission von der ihr laut Richtlinienvorschlag zu übertragenden Befugnis Gebrauch machen wird, delegierte Rechtsakte zu erlassen, um die Spezifikationen zu aktualisieren, damit sie immer mit den auf dem Weltmarkt geltenden Spezifikationen kompatibel sind. |
3.5 |
Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, einen nationalen Strategierahmen für alternative Kraftstoffe festzulegen. Artikel 3 Absatz 3 zufolge können die Mitgliedstaaten offenbar Kraftstoffe aus dieser Strategie ausklammern, und die Infrastrukturverpflichtungen in den Artikeln 4 bis 6 erstrecken sich nur auf die Strom-, Wasserstoff- und Erdgasversorgung. Dagegen bezieht sich die Verpflichtung zur Information der Verbraucher laut Artikel 7 auf alle auf dem Markt erhältlichen alternativen Kraftstoffe. Der Mitteilung ist ferner zu entnehmen, dass vor allem die sog. fortgeschrittenen Biokraftstoffe zumindest nach dem derzeitigen Stand der Dinge einen wichtigen Anteil des künftigen Energiemixes ausmachen werden, zumal der künftige Energiemix einen Mindestanteil von Biokraftstoffen enthalten soll. Deshalb sollten in Artikel 3 des Richtlinienvorschlags nach Meinung des Ausschusses die grundlegenden alternativen Kraftstoffe genannt werden, die in den nationalen Strategierahmen erfasst werden müssen. |
3.6 |
Artikel 3 zufolge sollen die Mitgliedstaaten eine Bewertung der durchgehenden grenzüberschreitenden Infrastrukturabdeckung für alternative Kraftstoffe vornehmen. Sie sollen ferner in Form von Konsultationen oder gemeinsamen Strategierahmen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie kohärent und koordiniert sind. Einziges Mittel zur Sicherstellung einer angemessenen Erfüllung dieser grundlegenden Verpflichtung scheinen die in Artikel 3 Absatz 5 und 6 festgelegten Notifizierungs- und Evaluierungsverfahren zu sein. Der Ausschuss fragt sich, ob das ausreicht und ob es nicht sinnvoll wäre, eine ständige Koordination nach dem Vorbild der Koordinatoren für bestimmte TEN-T-Projekte gemäß den TEN-T-Leitlinien vorzusehen. |
3.7 |
In der Mitteilung wird offenbar davon ausgegangen, dass der Aufbau der Infrastrukturen für alternative Kraftstoffe ohne öffentlichen Mitteleinsatz und ausschließlich über Instrumente wie Baugenehmigungen, Konzessionen, Regelungen für Vergabeverfahren, Zugangs- und Entgeltregelungen sowie nicht finanzielle Anreize finanziert werden kann. Nach Meinung des Ausschusses mag das im Fall nicht-öffentlicher Ladestationen für Elektrofahrzeuge zutreffen, nicht aber für öffentliche Ladestationen, bei denen allgemein davon ausgegangen wird, dass sie wirtschaftlich nicht selbsttragend sind und eine öffentliche Finanzierung zumindest in der Aufbauphase die einzige realistische Option ist. (Vgl. u.a. den für das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Juli 2012 erstellten Fortschrittsbericht der Nationalen Plattform Elektromobilität (Dritter Bericht), Kapitel 5.5.). |
3.8 |
In Anbetracht der Investitionskosten und der Marktunsicherheit geht der Ausschuss davon aus, dass allgemein und langfristig eine öffentliche Finanzierung der Lade-/Betankungsinfrastruktur für alternative Kraftstoffe erforderlich ist. Deshalb sollten die diesbezüglichen Einschätzungen in der Mitteilung überdacht werden. Diesem Finanzierungsbedarf ist in den nun veröffentlichten Leitlinien zu finanziellen Anreizen für saubere und energieeffiziente Fahrzeuge (SWD(2013) 27, nur EN) Rechnung getragen worden, und er sollte auch bei der Festlegung von Prioritäten für bspw. die Förderung von TEN-T-Vorhaben berücksichtigt werden. |
3.9 |
Der Ausschuss stellt ferner die in Anhang II genannte, bis 2020 zu errichtende Anzahl von Ladestationen für Elektrofahrzeuge je Mitgliedstaat in Frage. In Deutschland bspw. sollen 1 503 000 Ladestationen errichtet werden, davon 150 000 öffentlich zugänglich. In dem unter Ziffer 3.7 genannten Bericht über die Umsetzung des deutschen Elektromobilitätsprogramms wird von insgesamt knapp einer Million Ladestationen für ungefähr die gleiche Anzahl Fahrzeuge ausgegangen. 150 000 davon sollen öffentlich zugänglich sein, allerdings steht die Hälfte dieser öffentlichen Ladepunkte unter dem Vorbehalt der „Prognoseunsicherheit“. Der Ausschuss schlägt daher vor, dass die Zielvorgaben in Anhang II überprüft und ein einfaches Verfahren für ihre Änderung vorgesehen werden sollte. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 |
Der Ausschuss stellt das in Artikel 4 Absatz 4 aufgestellte Kosteneffizienzkriterium für landseitige Stromversorgungsanlagen in Frage. Es ist nicht klar, welchen Effizienzkriterien die Kosten genügen sollen. |
4.2 |
Der Ausschuss begrüßt die Auflage, dass alle öffentlich zugänglichen Ladestationen mit intelligenten Verbrauchserfassungssystemen ausgerüstet sein müssen. Dadurch wird die künftige Entwicklung von Funktionen wie der Auswahl von Ökostrom zum Betanken und der Einspeisung von Energie aus der Fahrzeugbatterie in das Stromnetz bei Spitzenlast erleichtert. Der Ausschuss fragt sich, ob diese Auflage nicht auch für private Ladepunkte in Betracht gezogen werden könnte. |
4.3 |
Der Ausschuss bezweifelt, dass die Bestimmungen in Artikel 4 Absatz 8 ausreichen, um Roaming mit Elektrofahrzeugen im grenzüberschreitenden Verkehr zu gewährleisten. Seines Erachtens sollte ernstlich überlegt werden, ob nicht eher durch eine entsprechende Verpflichtung der Mitgliedstaaten sichergestellt werden sollte, dass Roaming innerhalb der EU zu vertretbaren Kosten möglich ist. |
4.4 |
Mit Blick auf Artikel 6 Absatz 1 und 2 einerseits und Absatz 4 andererseits hält der Ausschuss die in Anhang III Punkt 3.1 des Vorschlags auf „bis 2014“ festgesetzte Frist für die Verabschiedung technischer Normen für LNG-Tankstellen für unzulänglich, da der 0,1 %-Grenzwert für den Schwefelgehalt von Schiffskraftstoffen in SOx-Emissions-Überwachungsgebieten (SECA) ab dem 1. Januar 2015 gilt. Damit ist die Zeit für die eigentlichen Arbeiten, von der Festlegung der Finanzierungsbedingungen ganz zu schweigen, außerordentlich knapp bemessen. Der Ausschuss schlägt deshalb vor, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Häfen, Reeder und Schiffsbetreiber noch rechtzeitig die Möglichkeit nutzen können, durch einen Umstieg auf LNG den 0,1 %-Grenzwert zu erfüllen, ohne Gefahr zu laufen, gegen Artikel 4 Absatz 1 der durch die Richtlinie 2012/33/EU geänderten Richtlinie 1999/32/EG zu verstoßen. |
4.5 |
Der Ausschuss plädiert für einen Verweis – evtl. in Artikel 3 – auf die Notwendigkeit, geeignete Lösungen für die Bereitstellung einer angemessenen Infrastruktur in dünn besiedelten Gebieten zu entwickeln, wo sich eine Finanzierung ohne öffentliche Unterstützung ohnehin und auch noch nach einer Anfangsphase besonders schwierig gestalten dürfte. |
4.6 |
Obwohl LNG sowohl aus fossilen Quellen gewonnen als auch regenerativ erzeugt werden kann, soll der Arbeitsunterlage (Punkt 1, letzter Absatz) zufolge fossiles LNG, wenn auch mit sehr guten Umweltwerten, für den Einsatz in der Schifffahrt verwendet werden. Der Ausschuss geht davon aus, dass auch die Nutzung anderer LNG-Sorten und anderer Antriebssysteme gefördert werden. Da LNG womöglich nur eine Übergangslösung ist, stellt sich die Frage, ob im Kommissionsvorschlag LNG nicht zu viel Bedeutung beigemessen wird. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Saubere Energie für den Verkehr: Eine europäische Strategie für alternative Kraftstoffe (die Mitteilung); Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (der Vorschlag); und Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen über Flüssigerdgas (LNG) in der Schifffahrt (die Arbeitsunterlage, nur EN).
(2) Stellungnahme des EWSA zu dem „Weißbuch: Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“, ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 146.
(3) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Hin zu einer starken Marktdurchdringung von Elektrofahrzeugen“, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 47.
(4) Stellungnahme des EWSA zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 1999/32/EG hinsichtlich des Schwefelgehalts von Schiffskraftstoffen, ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 70.
(5) Stellungnahme des EWSA zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Leitlinien der Union für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 130.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/116 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den barrierefreien Zugang zu Websites öffentlicher Stellen —
COM(2012) 721 final — 2012/0340 (COD)
2013/C 271/22
Berichterstatter: Ask Løvbjerg ABILDGAARD
Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 10. bzw. 18. Dezember 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 Absatz 1 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den barrierefreien Zugang zu Websites öffentlicher Stellen
COM(2012) 721 final — 2012/0340 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 30. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 148 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Allgemeine Bemerkungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission. Ihr ohne jeden Zweifel wichtiger Vorschlag ist aus dem Bestreben entstanden, durch die Schaffung eines Binnenmarkts für barrierefreien Webzugang sowohl den Bürgern als auch den Internet Service Providern gerecht zu werden. |
1.2 |
Der Ausschuss hegt jedoch ernstliche Vorbehalte, ob die vorgeschlagenen Mittel dem Ziel angemessen sind. Es bedarf eines starken Rechtsinstruments, um zu verhindern, dass krisenbedingte Haushaltskürzungen als Entschuldigung für mögliche Versäumnisse der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie vorgeschoben werden. |
1.3 |
Der Anwendungsbereich der Richtlinie wird auf bestimmte Arten von Websites öffentlicher Stellen beschränkt. Dadurch kann der Zugang zu wesentlichen Diensten, die auf nicht unter die Richtlinie fallenden Websites angeboten werden, eingeschränkt sein. |
1.4 |
Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf alle Websites öffentlicher Stellen hingegen würde sicherstellen, dass die erforderliche kritische Masse für die Schaffung eines europäischen Markts für barrierefreie Internetdienste erreicht würde, der im globalen Wettbewerb bestehen und Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit und ohne Behinderungen in Europa eröffnen könnte. |
1.5 |
Deshalb empfiehlt der Ausschuss nachdrücklich die schrittweise Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf alle Websites öffentlicher Stellen unter Berücksichtigung der Erfordernisse zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und der personenbezogenen Daten (1). Der Ausschuss empfiehlt der Kommission nachdrücklich, Bestimmungen vorzuschlagen, durch die die in der Richtlinie aufgestellten Verpflichtungen auch den EU-Institutionen auferlegt werden. |
1.6 |
Zur Erleichterung der Durchführung der Richtlinie empfiehlt der Ausschuss außerdem nachdrücklich verschiedene flankierende Maßnahmen wie Sensibilisierungskampagnen und Schulungsmaßnahmen im Bereich barrierefreier Webzugang, die Ernennung von für barrierefreien Webzugang zuständigen Koordinatoren in großen öffentlichen Stellen sowie Rückmeldungsmöglichkeiten für Bürger über die Barrierefreiheit der Websites öffentlicher Stellen. Die Sozialpartner müssen diesbezüglich eine proaktivere Rolle übernehmen. |
1.7 |
Die Europäische Kommission sollte sorgfältig die Auswirkungen der Richtlinie auf die Beschäftigung im öffentlichen und privaten Sektor prüfen, mit besonderem Augenmerk auf dem Nettobeschäftigungszuwachs, der Schaffung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze und dem Beschäftigungspotenzial für Menschen mit Behinderungen. |
1.8 |
Der Ausschuss fordert die europäischen Normungsorganisationen auf, die einschlägige europäische Norm, auf die in der vorgeschlagenen Richtlinie verwiesen wird, unverzüglich fertigzustellen, um eine reibungslose Durchführung der Richtlinie zu ermöglichen. Indes sollte die Durchführung der Richtlinie nicht aufgrund der noch anhängigen europäischen Norm verzögert werden, da die Kommission in ihrem Entwurf eine vollkommen angemessene Übergangsregelung vorschlägt. |
2. Hintergrund
2.1 |
Barrierefreiheit im Netz ist Gegenstand zahlreicher politischer Initiativen auf europäischer Ebene wie der Europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010-2020 (IKT-Zugänglichkeit), des eGovernment-Aktionsplans 2011-2015 (integrative und zugängliche elektronische Behördendienste) und der Digitalen Agenda für Europa (Vorschlag der Kommission zur Sicherstellung der vollständigen Barrierefreiheit von Websites des öffentlichen Sektors bis spätestens 2015). |
2.2 |
2006 bereits verpflichteten sich die EU-Mitgliedstaaten in der Erklärung von Riga zur Förderung und Sicherstellung der Zugänglichkeit aller öffentlichen Websites. Bis jetzt haben sie aber diese Verpflichtungen noch nicht zufriedenstellend erfüllt. Darin liegt ein wichtiger Grund für den Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission. |
2.3 |
Der Vorschlag für eine Richtlinie über den barrierefreien Zugang zu Websites öffentlicher Stellen hat zum Ziel, den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung ihrer Verpflichtungen zur Sicherstellung von Barrierefreiheit im Netz behilflich zu sein und damit insbesondere ihr Engagement im Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen für barrierefreie Websites öffentlicher Stellen zu unterstützen. Gemäß Artikel 9 des Übereinkommens haben die Mitgliedstaaten und die EU als solche geeignete Maßnahmen mit dem Ziel zu treffen, für Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang unter anderem zu Informations- und Kommunikationstechnologien, einschließlich des Internets, zu gewährleisten. |
2.4 |
Durch die fehlende Harmonisierung der nationalen Strategien für barrierefreien Webzugang entstehen Hindernisse im Binnenmarkt. Da weniger als 10 % aller Websites barrierefrei sind, birgt der europäische Markt für barrierefreien Webzugang ein erhebliches Wachstumspotenzial, dessen Ausschöpfung durch harmonisierte Vorgehensweisen und damit die Überwindung der derzeitigen Marktzersplitterung sowie die Wiederherstellung des Vertrauens in den Markt für barrierefreien Webzugang gefördert werden könnte. Bei der Sicherstellung des barrierefreien Webzugangs könnte der Binnenmarkt demnach wesentlich stärker als bisher in den Dienst der europäischen Bürger gestellt werden. Gleichzeitig könnten durch einschlägige Rechtsvorschriften die Entstehung eines echten Binnenmarkts für barrierefreien Webzugang gefördert und die Öffnung von einzelstaatlichen Märkten, auf denen Webentwickler aus anderen Mitgliedstaaten aufgrund der unsicheren Rechtslage nicht tätig sind, vorangetrieben werden. |
2.5 |
Schlussendlich würde eine EU-weit harmonisierte Strategie für Barrierefreiheit im Netz die Kosten für Webentwickler und folglich die Kosten der öffentlichen Stellen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, senken. |
2.6 |
Es muss darauf hingewiesen werden, dass öffentliche Stellen und viele andere bürgerrelevante Einrichtungen wichtige Informationen und Dienste über das Internet bereitstellen. Daher benötigen alle Bürger einschließlich der Menschen mit Behinderungen, mit funktionellen Störungen, Kinder, ältere Menschen wie auch alle anderen Personen Zugang zu den betreffenden Websites und ihren Funktionalitäten. Das betrifft sowohl die technischen Einstellungen (Textversion und Änderung der Schriftgröße und des Kontrasts, die Möglichkeit, mit verschiedenen Browsern sowie mit Hilfe von Programmen, die den Zugang erleichtern sollen, Websites zu besuchen) als auch Aspekte wie eine „einfache Sprache“. Die Zahl der Websites, auf denen elektronische Behördendienste angeboten werden, und der Websites des öffentlichen Sektors im Allgemeinen nimmt rapide zu. Der Zugang zu online bereitgestellten Informationen und Diensten wird künftig für die Wahrnehmung der grundlegenden Rechte der Bürger und auch für den Zugang zu Beschäftigung wichtig sein. |
2.7 |
Die vorgeschlagene Richtlinie ist auch im Zusammenhang mit der Förderung der digitalen Integration wichtig, denn der barrierefreie Webzugang soll dazu beitragen, die gesellschaftliche Teilhabe der Menschen mit Behinderungen und den Zugang aller Bürger zu Online-Diensten sicherzustellen. |
2.8 |
Barrierefreiheit ist nach dem Dafürhalten des Ausschusses ein essenzieller Bestandteil des Gleichheitsgrundsatzes. Für einen barrierefreien Zugang zu Websites müssen demnach folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
|
3. Der mit dem Richtlinienvorschlag verfolgte Ansatz
3.1 |
Ziel der Richtlinie ist es, durch Einführung harmonisierter Anforderungen eine Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für den barrierefreien Zugang zu Websites öffentlicher Stellen zu bewirken. |
3.2 |
Ferner werden darin die technischen Vorschriften festgelegt, gemäß denen die Mitgliedstaaten die barrierefreie Zugänglichkeit der Inhalte bestimmter Arten von Websites öffentlicher Stellen sicherzustellen haben. Über die betreffenden Websites öffentlicher Stellen werden Informationen und Dienstleistungen bereitgestellt, die von grundlegender Bedeutung für die wirtschaftliche und allgemeine gesellschaftliche Teilhabe der Bürger und ihren Zugang zum Arbeitsmarkt sowie die Ausübung der Rechte von EU-Bürgern sind. Die einschlägigen Websites wurden auf der Grundlage der eGovernment-Benchmarking-Arbeiten des Jahres 2001 (4) bestimmt und sind im Anhang zu der Richtlinie aufgelistet. |
4. Bemerkungen und Empfehlungen
4.1 Anwendungsbereich
4.1.1 |
In Artikel 1 wird der Anwendungsbereich der Richtlinie auf die im Anhang aufgelisteten Websites begrenzt, die auf der Grundlage der eGovernment-Benchmarking-Arbeiten des Jahres 2001 bestimmt wurden. Die ausgewählten Websites sind wichtig. Indes fehlen in der Liste zahlreiche Dienste, die die Voraussetzung für die wirtschaftliche und allgemeine gesellschaftliche Teilhabe der Bürger sind. |
4.1.2 |
Beispiele für nicht erfasste wesentliche öffentliche Dienste:
Diese Liste ist nicht erschöpfend. Websites öffentlicher Stellen für Informationen und Dienste in diesen wichtigen Bereichen werden vom Anwendungsbereich der Richtlinie nicht explizit erfasst. |
4.1.3 |
Die Kommission erwartet, dass die Richtlinie eine Kettenreaktion auslösen und sich auch auf nicht explizit unter die Richtlinie fallende Websites öffentlicher Stellen auswirken wird. |
4.1.4 |
Dabei geht sie von der Annahme aus, dass die öffentlichen Stellen nicht unter die Richtlinie fallende Websites zur gleichen Zeit wie die betroffenen Websites oder im Anschluss daran barrierefrei zugänglich machen, wenn der Prozess erst einmal in Gang gesetzt ist. Die Kettenreaktion könnte dadurch unterstützt werden, dass die öffentlichen Auftraggeber durch EU-Rechtsvorschriften verpflichtet werden, ihre technischen Spezifikationen auf europäische Normen für barrierefreien Webzugang zu stützen. Das hängt jedoch vom politischen Willen der EU-Entscheidungsträger sowie vom Willen und den Möglichkeiten der öffentlichen Auftraggeber ab, Barrierefreiheit im Netz durchzusetzen. |
4.1.5 |
Der Ausschuss befürchtet jedoch, dass die erhoffte Kettenreaktion eher Wunschdenken ist. Seiner Meinung nach hat sich das Modell in der Praxis noch nicht bewährt. Folglich begrüßt er die in der Richtlinie enthaltene Vorkehrung, dass die Mitgliedstaaten den Anwendungsbereich dieser Richtlinie auf andere als die im Anhang explizit genannten Websites öffentlicher Stellen ausweiten können. Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen hegt der Ausschuss jedoch Zweifel, ob dies ausreicht. |
4.1.6 |
Die Benchmarking-Studie „Measuring Progress of eAccessibility in Europe (2006-2008)“ zeigte einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Existenz einzelstaatlicher Rechtsvorschriften und dem Grad an Barrierefreiheit von Websites auf. Rechtsvorschriften sind also nachweislich wirksam. |
4.1.7 |
Der Ausschuss hegt Bedenken, dass die Europäische Kommission in einem sich rasch wandelnden Informations- und Kommunikationsumfeld einen Bruch zwischen dem Ansatz der Richtlinie und der realen Lage der Webentwickler, öffentlichen Stellen und Bürger herbeiführt, wenn sie den Anwendungsbereich der Richtlinie auf eine Benchmarking-Studie aus dem Jahr 2001 stützt. Die Mitgliedstaaten haben seither ihre Strategien für die Digitalisierung des öffentlichen Sektors überarbeitet und werden sie auch künftig weiter anpassen. |
4.1.8 |
Für Bürger, die auf barrierefreien Webzugang angewiesen sind, bedeutet dies, dass sie ernstlich Gefahr laufen, teilweise oder vollständig vom Zugang zu den Diensten und Informationen ausgeschlossen zu sein, die über Websites bereitgestellt werden, die nicht unter den relativ begrenzten Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Nach Meinung des Ausschusses stellt dies einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar (Artikel 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union). |
4.1.9 |
Für die öffentlichen Stellen bedeutet dies, dass für verschiedene Arten von Websites verschiedene verpflichtende Rechtsvorschriften gelten werden. Dadurch könnte die Umsetzung der Richtlinie komplizierter werden als nötig. Um dem abzuhelfen, empfiehlt der Ausschuss, dass in der Richtlinie zumindest explizit festgelegt wird, dass sie nicht nur für einen bestimmten Dienst als solchen, sondern auch für die jeweilige umgebende Webpräsenz gelten sollte. |
4.1.10 |
Ferner bedeutet dies für den öffentlichen Sektor als solchen, dass die Dienste, die für einen Teil der Bürger nicht zugänglich sind, für diese Bürger auf andere Weise bereitgestellt werden müssen, was zu einer Ungleichbehandlung bestimmter Bevölkerungsgruppen führt. Dadurch könnten erhöhte Kosten für praktische persönliche Hilfeleistungen für Menschen mit Behinderungen, Kosten für behindertengerechte Beförderungslösungen und Kosten für die Bereitstellung von Hilfeleistungen für beispielsweise ältere Menschen, die die betreffende Behörde persönlich aufsuchen, entstehen. |
4.1.11 |
Für Webentwickler bedeutet dies, dass sie eventuell auch weiterhin in einem fragmentierten, von unterschiedlichen Barrierefreiheitsanforderungen gekennzeichneten Markt tätig sein werden. Von der konsequenten Anwendung der Richtlinie könnten womöglich nur wenige Websites öffentlicher Stellen betroffen ein, und eine eventuelle (Nicht-)Ausweitung des Anwendungsbereichs bliebe den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen. |
4.1.12 |
Wenn das mit der Schaffung eines Binnenmarkts für barrierefreie Internetdienste verbundene Potenzial nicht umfassend ausgeschöpft würde, hätte dies auch zur Folge, dass die damit verbundene Schaffung von Arbeitsplätzen in diesem Bereich ausbleiben würde – eine vertane Gelegenheit also insbesondere hinsichtlich der Schaffung zahlreicher, speziell für Menschen mit Behinderungen geeigneter Arbeitsplätze. Notwendige Voraussetzung für einen global wettbewerbsfähigen europäischen Sektor barrierefreier Internetdienste und damit für die Beschäftigungsförderung in der EU ist ein klarer, umfassender Rechtsrahmen auf EU-Ebene. |
4.1.13 |
Deshalb empfiehlt der Ausschuss nachdrücklich, den Anwendungsbereich der Richtlinie zu überdenken. Seiner Meinung nach wäre es angemessen, den Anwendungsbereich auf alle Websites öffentlicher Stellen auszuweiten, die den Bürgern unmittelbar Dienste erbringen. Eine solche Ausweitung könnte mit längeren Fristen für die Umsetzung der Richtlinienanforderungen für Websites einhergehen, die Dienste für zahlenmäßig begrenzte Nutzergruppen erbringen, so dass die Durchführung der Richtlinie schrittweise erfolgen würde. |
4.1.14 |
Zumindest jedoch sollte die Liste der einschlägigen Websites öffentlicher Stellen, die auf der Grundlage der Benchmarking-Studie aus dem Jahr 2001 zusammengestellt wurde, aktualisiert und durch wichtige öffentliche Dienste ergänzt werden, die eine wesentliche Rolle in der Digitalisierungsstrategie der Mitgliedstaaten einnehmen. Eine zusätzliche Überlegung bei der Auswahl dieser weiteren wichtigen öffentlichen Dienste wäre ihr potenzieller Beitrag zum Aufbau eines Binnenmarkts für barrierefreie Webdienste. Ein Nachteil dieser Verfahrensweise wäre die Notwendigkeit, diese Liste kontinuierlich im Einklang mit den technologischen Entwicklungen und der Digitalisierung des öffentlichen Sektors in der EU zu aktualisieren. |
4.1.15 |
Der Ausschuss drängt darauf, dass die Richtlinie auch explizit speziell für mobile Geräte erstellte Versionen von Websites öffentlicher Stellen sowie Funktionen für die Erleichterung des mobilen Zugriffs im Allgemeinen abdeckt. Mobile Geräte setzen sich immer mehr als Benutzeragenten durch, und die Richtlinie sollte dem Rechnung tragen. Zwar beziehen sich die technischen Spezifikationen zu den Anforderungen für die Durchführung der Richtlinie auch auf mobile Geräte, doch wäre es ein wichtiges Signal für die künftige Relevanz der Richtlinie, diesen Aspekt zu verankern. |
4.1.16 |
Auch externe Links zu Funktionen auf fremden Webseiten, die nicht zu der betreffenden öffentlichen Stelle gehören, sollten von der Richtlinie erfasst werden. Dadurch könnte Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Zuständigkeit für den barrierefreien Zugang zu einem bestimmten Dienst vermieden werden. |
4.1.17 |
Die Kommission sollte ferner Bestimmungen vorzuschlagen, durch die die in der Richtlinie aufgestellten Verpflichtungen auch den EU-Institutionen einschließlich des Ausschusses selbst auferlegt werden. Der Ausschuss seinerseits ist bereit, eine proaktive Wegbereiterrolle zu übernehmen. |
4.2 Normen und Technologieneutralität
4.2.1 |
In der Richtlinie wird im Wege der Konformitätsvermutung davon ausgegangen, dass betroffene Websites, die harmonisierten Normen entsprechen, auch die Anforderungen für barrierefreien Webzugang erfüllen. Die Anwendung harmonisierter Normen ermöglicht die Aktualisierung der einschlägigen Normen ohne eine zwingende Änderung von EU- oder nationalen Rechtsvorschriften. |
4.2.2 |
Wie in einem Erwägungsgrund der Richtlinie festgestellt wird, ist davon auszugehen, dass die vom World Wide Web Consortium (W3C) entwickelten Kriterien und Anforderungen („Success Criteria and Conformance Requirements“) (Stufe AA) der Richtlinien für barrierefreie Webinhalte („Web Content Accessibility Guidelines“) in der Version 2.0 (WCAG 2.0) in die im Rahmen des Normungsauftrags M/376 auszuarbeitende europäische Norm und in der Folge in die harmonisierte Norm einfließen werden, die auf den Ergebnissen dieser Arbeiten basieren sollte. Diese technologieneutralen Spezifikationen bilden die Grundlage für die Anforderungen an einen barrierefreien Webzugang im Sinne der Richtlinie. |
4.2.3 |
Der Ausschuss begrüßt die von der Europäischen Kommission als Richtlinien-Referenz gewählten international anerkannten Spezifikationen für barrierefreien Webzugang und nimmt zur Kenntnis, dass die W3C-Richtlinien für barrierefreie Webinhalte (WCAG) 2.0 bis auf Weiteres der einschlägige Bezugsrahmen sind. Folglich sollte die Annahme und Durchführung der Richtlinie nicht durch den europäischen Normungsprozess aufgehalten werden. |
4.2.4 |
Der Ausschuss befürwortet die Entscheidung der Europäischen Kommission, harmonisierte Normen anzuwenden, die es ermöglichen, künftige Weiterentwicklungen der Spezifikationen für barrierefreien Webzugang infolge technologischer oder anderer Entwicklungen zu berücksichtigen, um das durch die Richtlinie angestrebte Barrierefreiheitsniveau sicherzustellen. |
4.2.5 |
Gleichzeitig muss der Zugang zu den relevanten Standards für alle wesentlichen Akteure offen und unentgeltlich sein. Die Verantwortung für die Umsetzung und Weiterentwicklung der Standards darf nicht allein Normungsgremien und Wirtschaftsakteuren überlassen bleiben. |
4.2.6 |
Eine Voraussetzung für die Förderung von Barrierefreiheit in dem sich rasch verändernden IKT-Umfeld ist Technologieneutralität. Dadurch wird kontinuierliche Innovation ermöglicht. Die im Rahmen der WCAG 2.0 vorgesehene Technologieneutralität trägt dazu bei, dass die Richtlinie auch künftig relevant sein wird. |
4.2.7 |
Außerdem erhöht die Zugrundelegung international anerkannter Spezifikationen die Wahrscheinlichkeit, dass international – also nicht nur in der EU – tätige Webentwickler mehr und mehr übereinstimmende und daher im Rahmen der verschiedenen Weblösungen einfacher umzusetzende Anforderungen für Barrierefreiheit im Netz erfüllen müssen. Dies ist eine wichtige Überlegung angesichts eines inhärent internationalen und globalen Markts. Unter dem Gesichtspunkt eines einheitlichen Zugangs und einheitlicher Möglichkeiten zur Teilhabe sind einheitliche Kriterien auch für die Nutzer wichtig, und Gleiches gilt in Bezug auf das Design und die Platzierung(en) der übrigen strukturellen Elemente, was wesentlich zu einer besseren Orientierung auf den Websites beitragen könnte. |
4.3 Bewusstseinsbildung und Schulung
4.3.1 |
In Artikel 6 werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, die zur Bewusstseinsbildung, zum Abschluss von Kooperationsvereinbarungen für barrierefreien Webzugang und zum Wachstum des Markts für barrierefreien Webzugang beitragen können. |
4.3.2 |
Der Ausschuss empfiehlt, die Mitgliedstaaten rechtlich dazu zu verpflichten, öffentliche Stellen, Webentwickler und andere Interessenträger für die Erfordernisse des barrierefreien Webzugangs zu sensibilisieren. Das Wissen um dieses Anliegen und seine Relevanz ist Voraussetzung für die wirksame Umsetzung der Richtlinie. |
4.3.3 |
Der Ausschuss rät, die Mitgliedstaaten darüber hinaus rechtlich dazu zu verpflichten, nach Konsultation der Sozialpartner Schulungsprogramme für die betroffenen Mitarbeiter der öffentlichen Stellen aufzulegen, um die praktische Umsetzung der Anforderungen für barrierefreien Webzugang zu erleichtern. Eine Koordinierung und Qualitätssicherung solcher Programme auf europäischer Ebene würde einen großen Mehrwert und bereits vorhandene bewährte Verfahren zur Geltung bringen. |
4.3.4 |
Der Ausschuss spricht sich deutlich dafür aus, dass die Sozialpartner umfassend in die Entwicklung und Durchführung der Schulungs- und Sensibilisierungsprogramme eingebunden werden. Sie könnten eine wichtige Rolle bei der Kommunikation der Überlegungen und Anliegen der für die Gewährleistung des barrierefreien Webzugangs verantwortlichen Mitarbeiter und Führungskräfte übernehmen. Zudem könnten sie darauf hinwirken, Barrierefreiheit im Netz auf die Agenda zu setzen. |
4.3.5 |
Sowohl die Sensibilisierung als auch die Ausbildung von Fachleuten wären notwendig, aber nicht ausreichend, um die von der Kommission angestrebten Übertragungseffekte zu bewirken. |
4.4 Überwachung
4.4.1 |
Die Zugänglichkeit einer Website sollte angesichts der regelmäßigen Aktualisierung der Webinhalte kontinuierlich überwacht werden. Gemäß Artikel 7 der vorgeschlagenen Richtlinie sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, die betroffenen Websites öffentlicher Stellen zu überwachen und dabei die Methode zugrunde zu legen, die von der Kommission nach dem in der Richtlinie vorgesehenen Verfahren festgelegt wird. Die Mitgliedstaaten erstatten jährlich über die Ergebnisse der Überwachung Bericht, u.a. auch zu einer etwaigen Erweiterung der Liste der betroffenen Arten von Websites sowie zu etwaigen zusätzlich ergriffenen Maßnahmen im Bereich der Barrierefreiheit öffentlicher Websites. Die Kommission sollte allerdings berücksichtigen, dass womöglich nicht alle Mitgliedstaaten in der Lage sein werden, der Richtlinie bis Ende 2015 nachzukommen und die Zugänglichkeit für alle Bürger zu gewährleisten. Der Ausschuss befürwortet die Ausarbeitung europäischer Normen; das Europäische Parlament wird darüber wachen, dass die delegierten Rechtsakte nicht aufgrund technischer Anforderungen zu nachteiligen politischen Auswirkungen für die Bürger führen. |
4.4.2 |
Der Ausschuss begrüßt, dass die Kommission eine kontinuierliche Überwachung der Barrierefreiheit von Websites öffentlicher Stellen als notwendig erachtet. |
4.4.3 |
Der Ausschuss empfiehlt, dass die Mitgliedstaaten die Ergebnisse dieser kontinuierlichen Überwachung sowie eventuelle darauf beruhende Schlussfolgerungen einschlägiger Behörden in zugänglichen Formaten veröffentlichen müssen. |
4.4.4 |
Der Ausschuss empfiehlt nachdrücklich, die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Mechanismen zu verpflichten, über die die Bürger und ihre Vertretungsorganisationen über die Barrierefreiheit oder eingeschränkte Zugänglichkeit der Websites öffentlicher Stellen berichten können. Die über solche Mechanismen zusammengetragenen Informationen könnten in den allgemeinen Überwachungsprozess einfließen. |
4.4.5 |
Die Europäische Kommission sollte in Erwägung ziehen, in großen öffentlichen Stellen die Ernennung von Koordinatoren verpflichtend vorzuschreiben, die für barrierefreien Webzugang zuständig sind und die Erfüllung der Richtlinien- und anderen verbundenen Anforderungen überwachen können. Die Erfahrung zeigt, dass Mitarbeiterengagement wichtig ist, um Barrierefreiheitsanforderungen durchzusetzen. |
4.5 Kohärenz der Vorschriften
4.5.1 |
In Anbetracht der vorgeschlagenen Verordnung über elektronische Identifizierungssysteme und des geplanten „European Accessibility Act“ (EAA) über die Barrierefreiheit in anderen Bereichen der Gesellschaft ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass öffentliche Stellen und Webentwickler gleichermaßen in verschiedenen Sektoren übereinstimmende Anforderungen vorfinden. Dies ist umso wesentlicher, als die Barrierefreiheit von IKT für Menschen mit Behinderungen in dem derzeit auf EU-Ebene erörterten Legislativpaket zum öffentlichen Auftragswesen ein Vergabekriterium für Beschaffungen im öffentlichen Sektor werden soll. |
4.5.2 |
Der Ausschuss plädiert deshalb nachdrücklich dafür, dass über eine eingehende rechtliche und technische Analyse für Kohärenz zwischen den Anforderungen dieser Richtlinie und anderer Legislativvorschläge, die Barrierefreiheit im Netz berühren, gesorgt wird. |
4.6 Innovation und neue Konzepte
4.6.1 |
Die Verfügbarkeit, Funktionalität und Nutzung von IKT-Lösungen ändern sich rasch. So werden bspw. immer mehr Dienste über Anwendungen für Smartphones und Tablet-Computer, auch durch öffentliche Stellen, angeboten. |
4.6.2 |
Der Ausschuss betont, dass Anwendungen für Smartphones und Tablet-Computer, die Funktionalität in Form von Diensten anbieten, die auf Websites öffentlicher Stellen bereitgestellt werden, ausdrücklich von der Richtlinie erfasst werden müssen, zumal diese Art Anwendungen bereits in der Kommunikation zwischen Bürgern und öffentlichen Stellen genutzt werden. |
4.6.3 |
Es besteht eine direkte Verbindung zwischen der Zugänglichkeit von Websites und dem Recht der Bürger auf freien Zugang zu Informationen und Teilhabe am politischen Leben. Hier könnte EU-weit für ein praktisches Vorbild gesorgt werden, wenn auf sämtlichen behördlichen Websites leicht zugängliche Bereiche geschaffen werden, über die eine Teilhabe möglich wird. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Artikel 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union; Stellungnahme des EWSA zum Thema „Angriffe auf Informationssysteme“, Berichterstatter Peter MORGAN, ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 130; Stellungnahme des EWSA zum Thema „Schutz kritischer Informationsinfrastrukturen“, Berichterstatter: Thomas McDONOGH, ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 98.
(2) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Überwindung der Breitbandkluft“, Berichterstatter Thomas McDONOGH, ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 222.
(3) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Verbesserung der digitalen Kompetenzen, Qualifikationen und Integration“; Berichterstatterin Laure BATUT, ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 9.; Stellungnahme des EWSA zum Thema „Offenes Internet und Netzneutralität in Europa“, Berichterstatter Jorge PEGADO LIZ, ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 139.; Stellungnahme des EWSA zum Thema „Zugang zu Breitbandverbindungen für alle: Überlegungen zum Umfang des Universaldienstes im Bereich der elektronischen Kommunikation“, Berichterstatter Raymond HENCKS, ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 8.
(4) http://ec.europa.eu/digital-agenda/en/news/egovernment-indicators-benchmarking-eeurope
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/122 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste 2012-2020 — innovative Gesundheitsfürsorge im 21. Jahrhundert“ —
COM(2012) 736 final
2013/C 271/23
Berichterstatterin: Isabel CAÑO AGUILAR
Die Europäische Kommission beschloss am 19. Februar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste 2012-2012 – innovative Gesundheitsfürsorge im 21. Jahrhundert
COM(2012) 736 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 30. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 154 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt den vorgeschlagenen Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste 2012-2020 mit Interesse zur Kenntnis. In der Mitteilung fehlt jedoch ein Kapitel über die sozialen Aspekte der Bereitstellung von Dienstleistungen und die stärkere Entwicklung der Sozial- und Gesundheitsfürsorge. |
1.2 |
Der EWSA erinnert daran, dass die Verantwortung für den Erfolg des neuen Plans grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten liegt, auch wenn die Kommission eine unerlässliche Hilfs- und Koordinierungsfunktion wahrnimmt. |
1.3 |
Der Mensch muss im Mittelpunkt der elektronischen Gesundheitsdienste stehen. Es gilt, die Gefahr der „Unpersönlichkeit“ und der mangelnden Beachtung psychologischer Faktoren zu vermeiden. |
1.4 |
Der EWSA bedauert insbesondere die abnehmende Zahl der Angehörigen der Gesundheitsberufe bei gleichzeitig steigenden Anforderungen an das Gesundheitssystem. |
1.5 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die Mitteilung nur bruchstückhafte Angaben dazu enthält, wie der neue Aktionsplan finanziert werden soll. Nötig ist eine allgemeine Übersicht darüber, welcher Beitrag jeweils vom öffentlichen Sektor, vom privaten Sektor und ggf. von den Patienten sowie den Steuerzahlern im Allgemeinen geleistet werden soll. |
1.6 |
Der EWSA betont die Notwendigkeit, die in der Mitteilung dargelegten Programme, Aktivitäten und Arbeitsgruppen umfassend zu koordinieren, um die Gefahr von Überschneidungen zu vermeiden. |
1.7 |
In Sachen Normung der notwendigen Funktionen der IT-Geräte muss die Notwendigkeit einer angemessenen Kontrolle durch die Behörden unterstrichen werden, um einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorzubeugen, wie er in bestimmten IKT-Bereichen vorkommt. |
1.8 |
Der EWSA begrüßt die Entscheidung, einen weiteren grundlegenden Aspekt der Interoperabilität anzusprechen, und zwar die wichtigen rechtlichen Fragen, die der Einführung eines Systems der grenzüberschreitenden Telemedizin entgegenstehen. |
1.9 |
Der EWSA hält den Vorschlag der Kommission, das unternehmerische Gefüge im Zusammenhang mit den elektronischen Gesundheitsdiensten insbesondere wegen der Unterstützung für die KMU weiterzuentwickeln, für angemessen, wenngleich der Mangel an Präzisierung und Quantifizierung eine genauere Bewertung behindert. |
1.10 |
Zur Fazilität „Connecting Europe“ weist der EWSA darauf hin, dass diese sich nicht darauf beschränken darf, „Systeme zu verbinden“, sondern es auch ermöglichen muss, dass die Bürger die Vorteile eines „verbundenen Europas“ kennen, verstehen und nutzen. |
1.11 |
Ziel des neuen Programms für elektronische Gesundheitsdienste muss es sein, einen gleichberechtigteren Zugang der Bürgerinnen und Bürger der EU zu den Gesundheitsdiensten zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang wird die allgemeine Durchsetzung der Breitbandnetze eine grundlegende Rolle spielen. Damit es bei den elektronischen Gesundheitsdiensten nicht zu denselben Ungleichheiten wie beim derzeitigen Zugang zu Gesundheitsdiensten kommt, sind umfassendere Maßnahmen und größere Investitionen als die im EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) vorgesehenen erforderlich. |
1.12 |
Verbesserung der digitalen Gesundheitskultur: a) der Patienten: Unter Berücksichtigung der Erfahrung mit dem Projekt „Sustains“ ist es sehr wichtig, den Menschen den Zugang zu ihren eigenen, derzeit in Gesundheitsinformationssystemen „vorgehaltenen“ Daten sowie deren Nutzung zu ermöglichen; b) der Angehörigen der Gesundheitsberufe: Die Vermittlung von Kenntnissen über digitale Gesundheitsdienste muss in die Ausbildungsgänge aufgenommen gefördert werden. |
2. Einleitung
2.1 |
Seit die EU den ersten Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste (2004) aufgestellt hat, sind zwar Fortschritte zu verzeichnen. Der Konfigurierung eines integrierten europäischen Systems stehen jedoch nach wie vor Hindernisse entgegen, die u.a. zurückzuführen sind auf
|
2.2 |
Die Vervielfachung nicht miteinander kompatibler Produkte in Europa ist die unvermeidbare Folge der Marktfragmentierung und des Fehlens an Normen für Kommunikation und Informationsaustausch bzw. deren Unkenntnis seitens der Großabnehmer. Infolgedessen können die IKT-Systeme von Ländern, Nachbarregionen oder sogar Gesundheitseinrichtungen häufig nicht miteinander verbunden werden. So gibt es z.B. Krankenhäuser, in deren Radiologie-Abteilung eine maßgeschneiderte Software benutzt wird, die mit den in anderen Abteilungen desselben Krankenhauses verwendeten Programmen nicht kommunizieren kann. |
2.3 |
In Einklang mit den Zielen der Europa-2020-Strategie und der Digitalen Agenda für Europa zielt der neue Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste darauf ab, diese Hindernisse anzugehen und zu beseitigen. Daneben enthält er eine Klarstellung des Politikfelds und eine Darlegung der mit den elektronischen Gesundheitsdiensten in Europa verbundenen Zielvorstellungen. |
2.4 |
Der weltweite Markt der elektronischen Gesundheitsdienste, der stark expandiert, kann 2016 27,3 Mrd. US-Dollar erreichen. Einige europäische Großkonzerne nehmen weltweite Spitzenpositionen ein, und insgesamt sind in dieser Branche schätzungsweise 5 000 Unternehmen tätig. |
3. Die Vorschläge der Kommission
3.1 |
Die Kommission zeigt die Herausforderungen auf, mit denen die europäischen Gesundheitssysteme konfrontiert sind. Zum einen können die öffentlichen Gesundheitsausgaben in den 27 EU-Mitgliedstaaten bis 2060 aufgrund der Bevölkerungsentwicklung und anderer Faktoren auf 8,5 % des BIP ansteigen, während gleichzeitig die aktive Bevölkerung ab- und die Zahl der über 65-Jährigen zunimmt. Eine weitere Herausforderung ist die Sicherung einer aktiven europäischen Teilnahme am weltweiten Markt der elektronischen Gesundheitsdienste. |
3.2 |
Ziele:
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3.3 |
Maßnahmen: Erleichterung der grenzüberschreitenden Interoperabilität (technische und semantische Elemente, Qualitätskennzeichnung, Zertifizierung), Verabschiedung eines Grünbuchs über Gesundheit, Verbesserung der Marktbedingungen für Unternehmen und Steigerung der digitalen Kompetenz der Bürger (Rahmenprogramm für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit und Programm Horizont 2020) u.a. |
4. Standpunkt des EWSA – Allgemeine Bemerkungen
4.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nimmt den vorgeschlagenen Aktionsplan für elektronische Gesundheitsdienste 2012-2020 mit Interesse zur Kenntnis. |
4.2 |
Der EWSA ist gleichwohl der Auffassung, dass der Plan ein Kapitel über die sozialen Aspekte der Bereitstellung von Dienstleistungen enthalten sollte. Konkret sind dies folgende: angemessene Bewältigung der digitalen Kluft, Verfügbarkeit der Technologie und Fähigkeit zu deren Anwendung, Analyse der sozialen Ungleichheiten im Gesundheitswesen, die möglicherweise zunehmen. Thematisiert werden sollte auch eine stärkere Entwicklung der Sozial- und Gesundheitsfürsorge, die mithilfe der IKT erheblich erleichtert werden könnte. |
4.3 |
Der EWSA erinnert daran, dass die Verantwortung für den Erfolg des Aktionsplans aufgrund der Verteilung von Zuständigkeiten grundsätzlich den Mitgliedstaaten obliegt, wobei zwischen diesen derzeit erhebliche Unterschiede bei der Einführung der elektronischen Gesundheitsdienste bestehen. Die Kommission nimmt eine hauptsächlich auf den Artikeln 114, 168, 173 und 179 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beruhende, unverzichtbare Hilfs- und Koordinierungsfunktion wahr. Im Rahmen des Netzes elektronischer Gesundheitsdienste muss eine umfassende Zusammenarbeit und aktive Beteiligung der Mitgliedstaaten und der Kommission gegeben sein (Richtlinie 2011/24/EU). |
4.4 |
Die elektronischen Gesundheitsdienste müssen das wechselseitige Vertrauen unter Patienten und Gesundheitsfachkräften fördern und dabei die Gefahr der „Unpersönlichkeit“ und der mangelnden Beachtung psychologischer Faktoren vermeiden. Der Mensch muss im Mittelpunkt der elektronischen Gesundheitsdienste stehen. Der EWSA stellt jedoch fest, dass für bestimmte, die Patientenrechte vertretende europäische Verbände, wie das Europäische Patientenforum (EPF), der Prozess mehr von der Technologie als von den Bedürfnissen der Patienten angetrieben wird. Dies ist ein besorgniserregender Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. |
4.5 |
Fehlendes Personal kann nicht durch Informatik ersetzt werden. Der EWSA bedauert insbesondere die abnehmende Zahl der Angehörigen der Gesundheitsberufe bei gleichzeitig steigenden Anforderungen an das Gesundheitssystem. Die IKT ist lediglich ein Instrument zur Unterstützung jener Frauen und Männer, die sich tagtäglich aufopferungsvoll dafür einsetzen, Gesundheitsdienstleistungen für die Patienten zu erbringen. Den Patienten wiederum soll sie den Umgang mit den Gesundheitsfachkräften erleichtern. |
4.6 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die Mitteilung nur bruchstückhafte Angaben dazu enthält, wie der neue Aktionsplan finanziert werden soll. Nötig ist eine allgemeine Übersicht darüber, welcher Beitrag jeweils vom öffentlichen Sektor, vom privaten Sektor und ggf. von den Patienten sowie den Steuerzahlern im Allgemeinen geleistet werden soll. |
4.7 |
Angesichts der in der Mitteilung der Kommission dargelegten Programme, Aktivitäten, Projekte und Arbeitsgruppen betont der EWSA die Notwendigkeit, diese umfassend zu koordinieren, um drohende Überschneidungen zu vermeiden. |
4.8 |
Der Erfolg des neuen Aktionsplans für elektronische Gesundheitsdienste hängt davon ab, ob bei den Erbringern von Gesundheitsdienstleistungen ein organisatorischer Wandel erfolgt. Die Verbesserung des Zugangs zu elektronischen Gesundheitsdiensten kann nicht nur der Verantwortung der obersten Verwaltungsbehörden oder der Bevölkerung als Endnutzer überlassen werden. Die Zwischenebene der Organisationen, die Gesundheitsdienstleistungen erbringen, muss sich um eine Anpassung ihrer Strukturen und ihres Personals an diese neuen Gesundheitsdienstmodelle bemühen. |
5. Besondere Bemerkungen
5.1 Interoperabilität
5.1.1
5.1.1.1 Der EWSA hält den Vorschlag der Kommission zur Interoperabilität generell für geeignet, weist jedoch darauf hin, dass es nicht ausreicht, die Möglichkeit des Daten- oder Dokumentaustauschs mittels gemeinsamer Protokolle einzuführen, da auch Probleme semantischer, organisatorischer und rechtlicher Art gelöst werden müssen.
5.1.1.2 Semantische Interoperabilität
Im Kommissionsvorschlag sollte die Beziehung der verschiedenen Programme, Aktivitäten oder Arbeitsgruppen – wie u.a. des 7. Rahmenprogramms und ISA – zu SNOMED CT (Systematized Nomenclature of Medicine – Clinical Terms) klargestellt werden; SNOMED ist die weltweit größte, genaueste und wichtigste mehrsprachige und kodifizierte Sammlung klinischer Terminologie, die von der International Health Terminology Standards Development Organisation (IHTSDO) verbreitet wird. Die IHTSDO ist eine gemeinnützige Organisation mit Mitgliedern aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, den USA, Australien usw.
5.1.1.3 Normung
Im Bereich der elektronischen Gesundheitsdienste gibt es zahlreiche Soft- und Hardwareanbieter. Es ist von grundlegender Bedeutung, den Prozess der Normung der notwendigen Funktionen im Rahmen der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 weiter voranzutreiben, um der Industrie und den Nutzern – insbesondere denen, die Kaufentscheidungen treffen können – interessante Rahmenbedingungen mit weniger Risiken, größerer Rendite bzw. mehr Nutzen ihrer Investition bieten zu können. Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit einer angemessenen Kontrolle durch die Behörden, um einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorzubeugen, wie er in bestimmten IKT-Bereichen vorkommt.
5.1.1.4 Organisation
Der EWSA hält die Entscheidung der Kommission, konkrete Maßnahmen zur Integration und Zusammenarbeit in der EU vorzulegen, für positiv. Das Pilotprojekt EPSOS (European Patients Smart Open Services) (1) wird die Erarbeitung der von der Kommission angekündigten konkreten Maßnahmen zur Integration der grenzüberschreitenden Prozesse für elektronische Gesundheitsdienste erleichtern.
5.1.1.5 Rechtliche Aspekte
5.1.1.5.1 Der EWSA begrüßt den Entschluss, die wichtigsten rechtlichen Fragen aufzugreifen, die der Einführung eines Systems der grenzüberschreitenden Telemedizin entgegenstehen (2). Da es sich um innovative Technologien handelt, sind die rechtlichen Lücken und Hindernisse weder auf weltweiter noch auf einzelstaatlicher Ebene gänzlich beseitigt worden.
5.1.1.5.2 Vergabe von Zulassungen und Genehmigungen für Gesundheitsfachkräfte und medizinische Einrichtungen
Gemäß der Richtlinie 2011/24/EU über Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung gelten die Rechtsvorschriften des Behandlungsmitgliedstaats (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) (3). Der EWSA schlägt vor, eine Überarbeitung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen zu erwägen, die keine grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen vorsieht.
5.1.1.5.3 Datenschutz
Gesundheitsinformationen sind vertraulich. Die Patienten wollen diese Informationen und den Zugriff auf sie zu ihrem Vorteil kontrollieren. Die Diskussion über das Recht der Patienten, Informationen aus ihrer eigenen Krankengeschichte zu blockieren, muss weltweit geführt werden, um zu gleichen Normen für alle Bürgerinnen und Bürger der EU zu gelangen. Der EWSA erinnert daran, dass mangelndes Vertrauen in die Sicherheit der Gesundheitsdaten die Patienten dazu veranlassen kann, wesentliche Informationen zu verheimlichen.
5.1.1.5.4 Der Schutz personenbezogener Daten ist ein im AEUV (Art. 16) und in der Grundrechtecharta (Art. 7 und 8) verankertes Grundrecht. In der Richtlinie 95/46/EG ist ein solcher Schutz bei der Verarbeitung und dem freien Verkehr der Daten vorgesehen (4). Der Spielraum, der den Mitgliedstaaten für deren Umsetzung eingeräumt wurde, hat jedoch zu großen Unterschieden im Schutzniveau geführt, was derzeit eines der größten Hindernisse für die grenzüberschreitende Telemedizin darstellt. Der EWSA bekräftigt daher erneut seine Unterstützung für den Vorschlag für eine allgemeine Datenschutzverordnung (5), wie er sie in seiner Stellungnahme vom 23. Mai 2012 geäußert hat (6).
5.1.1.5.5 Erstattung
Der Versicherungsmitgliedstaat (in dem die medizinische Leistung erbracht wird) muss ggf. sicherstellen, dass die Kosten der grenzüberschreitenden Gesundheitsdienstleistung erstattet werden (Richtlinie 2011/24/UE Artikel 7 Absatz 1). Nach Ansicht des EWSA müssen die Patienten klare Informationen über die Erstattungsbedingungen erhalten.
5.1.1.5.6 Haftung für Schäden, die durch Behandlungsfehler und fehlerhafte medizinische Geräte verursacht wurden
Dies ist u.a. auch deshalb eine komplexe Materie, weil viele verschiedene Akteure beteiligt sein können. Bei der grenzüberschreitenden Erbringung medizinischer Leistungen gilt ein allgemeiner Grundsatz, nämlich die Anwendung der Rechtsvorschriften des Behandlungsmitgliedstaats (Richtlinie 2011/24/EU Artikel 4 Absatz 1). Bei fehlerhaften Produkten gilt die Richtlinie 85/374/EWG, in der das Prinzip der verschuldensunabhängigen Haftung festgelegt ist. Nach Ansicht des EWSA müssen im Rahmen der bestehenden Rechtsgrundlage Einzelfälle gerichtlich gelöst werden.
5.1.1.5.7 Geltende Rechtsprechung und Gesetzgebung
Auch hierbei handelt es sich um eine komplizierte Frage, die entsprechend den geltenden internationalen Normen und Verträgen angegangen werden muss. Der EWSA schlägt vor, Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung wie Schieds- und Vermittlungsverfahren in Erwägung zu ziehen.
5.1.1.5.8 Recht auf Zugang
Patienten und Bürger haben einen umfangreicheren Zugang zu Gesundheitsinformationen und zu ihrer persönlichen Krankengeschichte. Einige Regionen haben ihr Dienstleistungsangebot erhöht und bieten für die gesamte Bevölkerung, ausgewählte Gruppen von Risikopatienten oder ganze Regionen 24-Stunden-Behandlungs- und Dienstleistungszentren an. Die Patienten können ihre Termine selbst ausmachen und entsprechenden Zugang zu den in ihrer Krankenakte enthaltenen Informationen erlangen. Sie werden so dazu angehalten, aktiv ihren Teil der Verantwortung an ihrer Gesundheitsfür- und -vorsorge zu übernehmen. Der EWSA hält eine Regelung des Rechts auf Zugang bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen für zweckmäßig.
5.1.1.5.9 Mobile Anwendungen für Gesundheitsfürsorge und Wohlergehen
Der EWSA begrüßt den Entschluss der Kommission, die mobilen Anwendungen für Gesundheitsfürsorge und Wohlergehen („Mobile E-Health“) in dem für 2014 vorgesehenen Grünbuch zu behandeln. Dieser besondere Bereich der elektronischen Gesundheitsdienste weitet sich derzeit aufgrund der Verbreitung tragbarer Geräte (Smartphones, Tablets usw.) und entsprechender Anwendungen (Apps) schnell aus. Aufgrund ihrer zunehmenden Verbreitung in der Bevölkerung werden Regeln für die technischen und rechtlichen Aspekte des Gebrauchs dieser Möglichkeiten notwendig.
5.2 Forschung, Entwicklung und Innovation
5.2.1 |
Der EWSA hält die von der Kommission vorgeschlagenen Forschungsbereiche für geeignet, um im Rahmen der Rubrik „Gesundheit, demografischer Wandel und Wohlergehen“ des Programms Horizont 2020 bezuschusst zu werden. |
5.2.2 |
Da die Höhe der Mittel, die die EU im Zeitraum 2014-2020 für die medizinische Forschung aufwenden wird, noch nicht festgelegt wurde, verweist der EWSA darauf, dass das amerikanische National Institute of Health jährlich 30,9 Mrd. US-Dollar für diese Zwecke investiert. |
5.2.3 |
In Erwartung der Vorschläge von Interessenvertretungen aus dem Gesundheitswesen wie der EPHA (European Public Health Alliance) schlägt der EWSA vor, in den Forschungsprogrammen u.a. folgende Aspekte zu berücksichtigen:
|
5.3 Der EWSA hält den Vorschlag der Kommission, das unternehmerische Gefüge im Zusammenhang mit den elektronischen Gesundheitsdiensten insbesondere wegen der Unterstützung für die KMU weiterzuentwickeln, für angemessen, wenngleich der Mangel an Präzisierung und Quantifizierung eine genauere Bewertung behindert.
5.4 Zur Fazilität „Connecting Europe“ 2014-2020 weist der EWSA im Nachgang zu den Ergebnissen des Pilotprojekts EPSOS und weiterer Vorhaben und Studien darauf hin, dass diese sich nicht darauf beschränken darf, „Systeme zu verbinden“: Sie muss es auch ermöglichen, dass die Menschen die Vorteile eines „verbundenen Europas“ kennen, verstehen und nutzen.
5.5 Zusammenhalt
5.5.1 |
Ziel des neuen Programms für elektronische Gesundheitsdienste muss es sein, einen gleichberechtigteren Zugang der Bürgerinnen und Bürger der EU zu den Gesundheitsdiensten zu gewährleisten. Wie der EWSA bereits ausgeführt hat, sind ein Zugang zum Breitbandnetz in allen Mitgliedstaaten und die volle Anschlussfähigkeit Grundvoraussetzungen für die Entwicklung der Telemedizin, weshalb die digitale Erschließung insbesondere der ländlichen Gebiete und der Regionen in äußerster Randlage vorangebracht werden muss (8). |
5.5.2 |
Kurz vor Ende des derzeitigen Programmplanungszeitraum des EFRE vertraut der EWSA darauf, dass im Zeitraum 2014-2020 die Vorschläge für eine umfassende Einführung von Technologien der neuesten Generation in der gesamten EU weiterentwickelt und vor allem mit angemessenen Haushaltsmitteln ausgestattet werden. Damit es bei den elektronischen Gesundheitsdiensten nicht zu denselben Ungleichheiten wie beim derzeitigen Zugang zu Gesundheitsdiensten kommt, sind umfassendere Maßnahmen und größere Investitionen als die im EFRE vorgesehenen erforderlich. |
5.6 Verbesserung der digitalen Gesundheitskultur
5.6.1 |
Diesbezüglich ist dem EWSA mit Blick auf die Patienten Folgendes sehr wichtig: Den Menschen muss der Zugang zu ihren eigenen, derzeit in Gesundheitsinformationssystemen „vorgehaltenen“ Daten sowie deren Nutzung ermöglicht werden. Zu erwähnen ist hier das Projekt „Sustains“, das derzeit in 13 europäischen Regionen läuft und mit dem der Zugang der Menschen zu ihren Gesundheitsdaten über „persönliche Gesundheitsakten“ und weiteren dazugehörigen Diensten im Internetumfeld erleichtert werden soll. |
5.6.2 |
Im Falle der Angehörigen der Gesundheitsberufe muss die Aufnahme der Vermittlung von Kenntnissen über digitale Gesundheitsdienste in deren Ausbildungsgänge unbedingt gefördert werden. |
5.7 Bewertung der Programme
5.7.1 |
Der EWSA meint, dass die – von der Kommission durchzuführende – Festlegung gemeinsamer Werte und Programme zur Bewertung der Vorzüge elektronischer Gesundheitsdienste einer der wichtigsten Aspekte ist, denn die Geschwindigkeit des technischen Wandels macht es häufig schwer, ihren tatsächlichen Nutzen festzustellen. Aus den durchgeführten Umfragen geht hervor, dass die Unterstützung der Bevölkerung und der Gesundheitsfachkräfte für elektronische Gesundheitsdienste unmittelbar mit der Überzeugung verknüpft ist, dass diese Dienste zu einer messbaren Verbesserung des Gesundheitssystems führen. |
5.7.2 |
Der EWSA weist außerdem darauf hin, dass die gute Kenntnis der Modelle und Technologien, die positive Auswirkungen haben, sowie ihre ausdrückliche Förderung für die IKT-gestützten Gesundheitsmodelle von grundlegender Bedeutung sind. Um diesen Nutzeffekt zu erzielen, bedarf es flexibler und dynamischer Bewertungsmethoden, wobei das Augenmerk mehr auf der Gesamtbewertung der erbrachten Dienstleistung und weniger auf der Technik als solcher liegen sollte. Auch eine Bewertung der Effizienz der Dienstleistung – im Zusammenhang mit ihren wirtschaftlichen Gesamtkosten und –nutzen – muss mit aufgenommen werden, wenngleich die Wirtschaftlichkeit natürlich nicht das einzige Kriterium zugunsten der Verwendung IKT-gestützter Gesundheitsversorgungsmodelle sein darf. |
5.7.3 |
Im Allgemeinen überwiegt bei den Behörden, der Industrie und den Interessenvertretungen der Eindruck, dass die elektronischen Gesundheitsdienste (die sehr unterschiedliche Anwendungen umfassen) Gesundheitsvorteile bringen können. Der EWSA teilt diese Auffassung, weist jedoch darauf hin, dass es auch die kritischen, auf tatsächlichen Erfahrungen beruhenden Stimmen zu berücksichtigen gilt, die Kosteneinsparungen anzweifeln und auf Probleme hinweisen, wie Informatikfehler, das „Klonen“ von Berichten, Betrugsmöglichkeiten, hohe Kosten usw. |
5.8 Förderung des politischen Dialogs und der internationalen Zusammenarbeit
Es liegt auf der Hand, dass der politische Dialog über elektronische Gesundheitsdienste, wie die Kommission vorschlägt, weltweit geführt werden muss, denn die Entwicklungsländer unternehmen auf diesem Gebiet ebenfalls große Anstrengungen. So wird der Weg bereitet für eine Nutzung der IKT im Sinne der Ziele der Vereinten Nationen und ihre Anwendung im Geiste der Solidarität.
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) EPSOS erstellt Empfehlungen, technische Spezifikationen, Systembeschreibungen, Organisationsmodelle, Informatikanwendungen und -instrumente usw., die darauf abzielen, die Interoperabilität auf multinationaler Ebene zu verbessern. Darüber hinaus sind in verschiedenen Regionen Pilotsysteme eingeführt worden.
(2) Siehe Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Anwendbarkeit des bestehenden EU-Rechtsrahmens auf Telemedizindienste, SWD(2012) 414 final.
(3) Siehe Richtlinie 2000/31/EG Artikel 3 Absätze 1 und 2, „Ursprungslandsprinzip“.
(4) Es gelten auch die Richtlinie 2002/58/EG über den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation und die Richtlinie 2011/24/EU.
(5) COM(2012) 11 final – 2012/0028 (COD).
(6) EWSA-Stellungnahme zum Thema „Der digitale Markt als Wachstumsmotor“, ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 90–97.
(7) Standpunkt der EPHA zu „Horizont 2020“ (Juni 2012) (http://ec.europa.eu/research/horizon2020/pdf/contributions/during-negotiations/european_organisations/european_public_health_alliance.pdf).
(8) ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 84.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/127 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Die Digitale Agenda für Europa — digitale Impulse für das Wachstum in Europa“
COM(2012) 784 final
2013/C 271/24
Berichterstatter: Thomas McDONOGH
Die Europäische Kommission beschloss am 18. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Die Digitale Agenda für Europa – digitale Impulse für das Wachstum in Europa
COM(2012) 784 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 30. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 156 Stimmen bei 7 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Ausschuss begrüßt, dass die Mitteilung der Kommission über die Bilanz der Digitalen Agenda auf Maßnahmen in Schlüsselbereichen abhebt, die für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung dringend benötigt werden. |
1.2 |
Die europäische Wirtschaft steckt in der Krise. Der Kommission zufolge kann das BIP in der EU-27 bestenfalls als stagnierend bezeichnet werden und wird im Euroraum 2013 um weitere 0,25 % schrumpfen. Die Arbeitslosenquote hat im Februar 2013 mit 10,9 % der Erwerbsbevölkerung in der EU-27, d.h. über 26 Mio. Menschen, ein neues Rekordhoch erreicht (1). Die höchsten Arbeitslosenquoten verzeichnen nach wie vor Griechenland und Spanien mit 26,4 % bzw. 26,3 %, während die Jugendarbeitslosenquote in der EU-27 bei 23,5 % liegt. Der Ausschuss stimmt der Kommission darin zu, dass „diese unakzeptabel hohen Arbeitslosenzahlen (…) eine Tragödie für Europa [sind] und sie zeigen, wie ernst die Krise ist, in der sich einige Staaten der Eurozone befinden. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen alle verfügbaren Mittel mobilisieren, um Jobs zu schaffen und zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum zurückkehren“ (2). |
1.3 |
Trotz der Rezession wächst die digitale Wirtschaft rasch und schafft Arbeitsplätze. Der IKT-Industrie zufolge werden im IKT-Sektor bis 2015 europaweit voraussichtlich 700 000 Fachkräfte fehlen. Diese Qualifikationslücke ist vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosenzahlen eine Schande. |
1.4 |
Europa ist auf die Umsetzung der Digitalen Agenda angewiesen, um die wirtschaftliche Erholung voranzutreiben und nachhaltiges, inklusives Wachstum zu erreichen, insbesondere in den wirtschaftlich am stärksten angeschlagenen Regionen der EU. Eine Bilanz der Umsetzungsstrategie ist angezeigt, um den Schwerpunkt auf die wichtigsten Maßnahmen für die Schaffung von Wachstum und Beschäftigung zu legen. |
1.5 |
Die grundlegende notwendige Infrastruktur für die digitale Agenda sind Breitbandnetze. Deshalb war der Ausschuss außerordentlich enttäuscht über den Beschluss des Rates vom Februar (3), die im Mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2014 bis 2020 vorgesehenen Mittel für digitale Infrastrukturen und Dienste im Rahmen der Durchführung der Fazilität „Connecting Europe“ von 9,2 Mrd. EUR auf nur 1 Mrd. EUR zu kürzen. Durch diese Kürzung würden die Fördermittel für den Breitbandausbau entfallen, was vor allem zu Lasten der ärmeren und benachteiligten Regionen der EU gehen und die digitale Kluft weiter verbreitern würde. |
1.6 |
In der Mitteilung werden sehr ehrgeizige Vorschläge unterbreitet, um die Hemmnisse für den digitalen Wandel in Europa zu beseitigen. Der Ausschuss erwartet, dass zu gegebener Zeit zu jeder der vorgeschlagenen Schlüsselinitiativen eine spezifische Mitteilung vorgelegt und es ihm dann möglich sein wird, sich ausführlich zu den einschlägigen Maßnahmen, ihren Auswirkungen und eventuellen Problemen zu äußern. |
1.7 |
In Anbetracht der knapp bemessenen Zeit und Ressourcen sollte eine Neuausrichtung der Strategie zur Umsetzung der Digitalen Agenda vor allem auf folgende Wachstumsförderungsmaßnahmen abheben:
|
1.8 |
Der Ausschuss stellt mit Zufriedenheit fest, dass viele Maßnahmen, die er in seiner Stellungnahme zum Thema „Der digitale Markt als Wachstumsmotor“ (4) und „Die Bürger erfolgreich in den Mittelpunkt eines inklusiven digitalen Binnenmarkts stellen: ein Aktionsplan“ (5) forderte, in der Mitteilung aufgegriffen worden sind, u.a. Breitbandausbau, Interoperabilität, Sicherheit im Internet, Netzneutralität und offenes Internet sowie die Harmonisierung der MwSt. |
1.9 |
Angesichts der Größenordnung des EU-weiten Hochgeschwindigkeits-Breitband-Ausbaus fordert der Ausschuss die Kommission auf, verschiedene Förderinstrumente für die Mobilisierung von Investitionen in Breitbandinfrastrukturen vorzuschlagen, insbesondere für die Fälle, in denen die marktüblichen Renditen für private Geldgeber nicht attraktiv genug sind. |
1.10 |
Durch innovative Lösungen, u.a. den verstärkten Einsatz von Drahtlos-Technologien, muss raschestmöglich der Breitbandausbau vorangetrieben und die wachsende digitale Spaltung zwischen Stadt und Land bekämpft werden. |
1.11 |
Die Kommission sollte Überlegungen dazu anstellen, wie der Zugang zum Hochgeschwindigkeits-Breitband als universelles Recht aller Bürger unabhängig von ihrem Aufenthaltsort verankert werden kann. |
1.12 |
Der Ausschuss betont die Notwendigkeit, IKT umfassend in die Bildungspolitik zu integrieren, so dass den Bürgern auf allen Bildungsebenen E-Kompetenz und eSkills vermittelt werden (6), und befürwortet die Entwicklung digitaler Intelligenz in allen Bereichen der Gesellschaft und Wirtschaft. Er hält es ferner für unerlässlich, die Gleichstellung der Geschlechter in der auf IKT bezogenen schulischen und beruflichen Bildung zu fördern. |
1.13 |
Besonderes Augenmerk muss der gezielten Schulung von Arbeitslosen in den Bereichen E-Kompetenz- und eSkills sowie der Fortbildung von Arbeitnehmern gelten, die die neuen Kompetenzen für die Beschäftigung in der digitalen Wirtschaft benötigen. |
1.14 |
Der Ausschuss fordert die Kommission auf, zu prüfen, wie Maßnahmen zur EU-weiten Förderung von eSkills und E-Kompetenz bei der Nutzung der öffentlichen IKT-Infrastruktur, bspw. Breitband und Computerressourcen in Schulen und Bibliotheken, ansetzen könnten. |
1.15 |
Das Vertrauen der Verbraucher ist grundlegende Voraussetzung für die Nachfrage nach innovativen digitalen Diensten. Dieses Vertrauen könnte durch schärfere Verbraucherschutz-Rechtsvorschriften gestärkt werden, bspw. durch die Anwendung von „Nichterfüllungs“-Regeln, wenn die den Verbrauchern gelieferte Breitband-Geschwindigkeit nicht dem entspricht, was die Provider zugesagt haben. |
1.16 |
Der Ausschuss fordert die Kommission erneut auf, Vorschläge für die Einführung eines Europäischen Vertrauenssiegels für Unternehmen zu machen. Wie der Ausschuss bereits in früheren Stellungnahmen (7) unterstrichen hat, könnte ein EU-weites Zertifizierungs- und Kennzeichnungssystem für Online-Unternehmen das Vertrauen der Verbraucher in den grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr stärken und den KMU dabei helfen, ihre grenzüberschreitende Online-Geschäftstätigkeit auszuweiten. |
1.17 |
Der Ausschuss verweist die Kommission auf seine Stellungnahme zum Thema „Offenes Internet und Netzneutralität in Europa“ (8) und fordert nachdrücklich, dass der Grundsatz der Netzneutralität baldmöglichst im EU-Recht verankert werden sollte. |
1.18 |
Der Ausschuss würde die Aufstellung einer Charta der digitalen Rechte für Bürger begrüßen, um den Verbraucherschutz zu stärken. |
1.19 |
Der Ausschuss fordert die Kommission erneut auf, die umfangreichen Synergien zu erschließen, die bei einer Verzahnung der GNSS-Programme mit der Digitalen Agenda entstehen würden. |
1.20 |
Da sich die digitale Gesellschaft weiterentwickelt und immer mehr sensible Dienstleistungen über das Internet erbracht werden, betont der Ausschuss, dass die Kommission die Unterstützung für Strategien zur Verbesserung der digitalen Inklusion in der Union nicht aus den Augen verlieren darf. Besondere Aufmerksamkeit muss auf die Einbeziehung der Bürger gerichtet werden, die durch Behinderungen oder eingeschränkte Lese-/Schreibfähigkeit, aufgrund ihres Alters, ihres Einkommens oder ihres Geschlechts benachteiligt sind. Der Ausschuss begrüßt die Ernennung der digitalen Beauftragten („Digital Champions“) in den Mitgliedstaaten und ist gespannt auf Berichte über die Wirksamkeit dieser Strategie. |
2. Wesentlicher Inhalt der Mitteilung der Kommission
2.1 |
Die digitale Wirtschaft wächst sieben Mal rascher als die übrige europäische Wirtschaft, und die Hälfte der gesamten Produktivitätssteigerungen geht auf Investitionen in die IKT zurück. Mehr als 4 Mio. Menschen in vielen Wirtschaftszweigen Europas haben einen IKT-Arbeitsplatz, und ihre Zahl nimmt trotz der Krise weiter um 3 % jährlich zu. Die IKT bilden die entscheidende transformative Technologie, die den strukturellen Wandel in Bereichen wie Energieversorgung, Gesundheitsfürsorge, Finanzdienstleitungen, Fertigungsindustrie, öffentliche Dienstleistungen sowie Bildung und Erziehung trägt; indes werden die entsprechenden Möglichkeiten durch den auf europäischer Ebene nur als Stückwerk bestehenden politischen Rahmen sowie durch strukturelle Hindernisse eingeschränkt. |
2.2 |
In der Mitteilung umreißt die Kommission ihre Pläne zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung in Europa durch die Ausrichtung der Digitalen Agenda auf Schlüsselgebiete:
Durch die Umsetzung all dieser Maßnahmen sollen wunschgemäß 3,8 Mio. Arbeitsplätze in der gesamten Wirtschaft entstehen;
|
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Es muss wesentlich mehr getan werden, um den mit der digitalen Agenda anvisierten Erfolgszyklus in Gang zu setzen, der Infrastruktur, Inhalte, Dienste, Märkte und Innovation umfasst und zu mehr Produktivität und Wachstum führt. Bis der digitale Binnenmarkt zur Wirklichkeit wird, ist es noch ein langer Weg, auf dem die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung von Infrastrukturen und der Reform der Rechtsetzung noch mit recht unterschiedlichem Tempo vorankommen. |
3.2 |
Die europäische Wirtschaft steckt in der Krise. Mehr als 26 Mio. Menschen in der EU-27, d.h. 10,9 % der Erwerbsbevölkerung, sind arbeitslos. Durch seine schlechte Wirtschaftslage fällt Europa im internationalen Vergleich hinter seine Konkurrenten zurück: In den USA belief sich die Arbeitslosenquote im Januar nur auf 7,7 %, der niedrigste Wert seit 4 Jahren, und in Japan auf 4,3 %. |
3.2.1 |
Die jüngsten, von Eurostat veröffentlichten Zahlen (14) verdeutlichen auch die erheblichen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten – so verzeichneten Österreich und Deutschland mit 4,8 % bzw. 5,4 % die niedrigsten Arbeitslosenquoten, während Griechenland und Spanien mit über 26 % die höchsten Quoten meldeten. |
3.2.2 |
Personen im Alter unter 25 Jahren sind besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen. In Griechenland (58,4 %) und Spanien (55,7 %) sind mehr als die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos. |
3.3 |
In der Digitalen Agenda werden ehrgeizige Ziele für die Breitbandversorgung sowie die Übertragungsgeschwindigkeit aufgestellt, und die Mitgliedstaaten sind gehalten, durch geeignete Maßnahmen und auch Rechtsvorschriften Investitionen in den Breitbandausbau zu fördern. Laut Kommission (15) fällt Europa jedoch beim Breitbandausbau im globalen Wettbewerb zurück. Investitionen in den Hochgeschwindigkeits-Breitband-Ausbau erfolgen in Teilen Asiens und in den USA rascher und ermöglichen eine wesentlich bessere Versorgung und höhere Datenübertragungsraten. Im Dezember 2011 war Südkorea mit 20,6 % Anschlüssen auf 100 Einwohner beim Glasfaser-Ausbau weltweit Spitzenreiter – in der EU nahm Schweden mit halb so vielen Anschlüssen (9,7 %) den ersten Platz ein. Japan lag beim Glasfaserausbau mit 17,2 % weltweit an zweiter Stelle. |
3.4 |
Alle Bürger sollten unabhängig von ihrem Platz in der Gesellschaft einen Anspruch auf digitale Inklusion haben. Besondere Anstrengungen müssen unternommen werden, um diejenigen Bürger einzubeziehen, die aufgrund von Behinderungen, ihres Einkommens, ihres Alters, eingeschränkter Lese-/Schreibfähigkeit oder ihres Geschlechts benachteiligt sind. |
3.5 |
Der Zugang zum Hochgeschwindigkeits-Breitband muss als universelles Recht der EU-Bürger verankert werden. Die Kommission warf im Jahr 2010 die Frage auf, ob der „Breitbandzugang für alle“ in die bestehende Universaldienstverpflichtung aufgenommen werden sollte (16). Im Interesse des Wohlergehens der Bürger, der Beschäftigung und der digitalen Integration bedarf diese Frage dringend einer Antwort. |
3.6 |
Die Regierungen sollten die digitale Teilhabe und Kompetenz aller sicherstellen. Jeder Bürger sollte Zugang zur lebensbegleitenden Vermittlung von eSkills für berufliche und/oder persönliche Anwendung und Bürgerbeteiligung haben. |
3.7 |
Die digitale Kluft wird vor dem Hintergrund des Hochgeschwindigkeitsbreitbands immer schwerwiegender, da die Bürger nicht nur, wie beim Ausschluss von der Breitbandgrundversorgung, keinen Zugang zu Informationen haben, sondern ihnen auch Online-Dienste wie eHealth, eEducation und eGovernment, die nur über Hochgeschwindigkeits-Breitband zugänglich sind, verwehrt bleiben. |
3.8 |
Aus dem Resümee („Scoreboard“) der Digitalen Agenda (17) und den jüngsten, von Eurostat veröffentlichten Statistiken (18) ist abzulesen, dass die digitale Kluft breiter wird und das Gefälle zwischen den Mitgliedstaaten erheblich ist. 2012 hatten 28 % der Haushalte in der EU27 keine Breitband-Internetverbindung. Dabei hatten mehr als 80 % der Haushalte in Deutschland, Finnland, Schweden und dem Vereinigten Königreich, aber weniger als 60 % der Haushalte in Bulgarien, Griechenland, Italien und Rumänien eine Breitband-Internetverbindung. 90 % der Haushalte ohne Breitband-Internetverbindung waren in ländlichen Gebieten angesiedelt. 35 Mio. Haushalte in ländlichen Gebieten warten noch immer auf eine Hochgeschwindigkeits-Internetverbindung, und wenn die Menschen, die außerhalb von Großstädten leben, diesbezüglich vernachlässigt werden, wird ihre wirtschaftliche und soziale Benachteiligung weiter zunehmen. |
3.9 |
E-Kompetenz und Internetgebrauch sind eng verknüpft mit Breitbandzugang, und während in Finnland und Schweden weniger als 10 % der Einwohner noch nie das Internet genutzt haben, steigt ihr Anteil in Bulgarien, Griechenland und Rumänien auf über 40 %. |
3.10 |
Mithilfe einer Reform der Planungsvorschriften, einer intelligenten Infrastrukturplanung, Investitionsanreizen und innovativen Technologien kann die Breitbandkluft überwunden werden. Indes müssen auch die Bürger Verantwortung übernehmen und den Hochgeschwindigkeits-Breitband-Ausbau erleichtern. |
3.11 |
Vertrauen und Partizipation sind unerlässlich für eine Erreichung der Zielsetzungen der Digitalen Agenda. Ohne Vertrauen gäbe es nur eine geringe Nachfrage nach zahlreichen wachstumsträchtigen innovativen Diensten wie dem elektronischen Handel oder Cloud Computing. Um das Vertrauen zu festigen, müssen die Rechtsvorschriften mit der technologischen und geschäftlichen Entwicklung des digitalen Binnenmarkts Schritt halten. Leider ist dies nicht der Fall, und in kritischen Fragen wie kollektiven Rechtsdurchsetzungsverfahren, zu denen der Ausschuss 2009 (19) eine Richtlinie forderte, tun Fortschritte bitter Not. |
3.12 |
Für den Erfolg der Digitalen Agenda ist eine umfassende Einbeziehung aller Teile der Zivilgesellschaft in die Entwicklung und Durchführung der Strategie und die Teilnahme ihrer Vertreter an den einschlägigen Beratungen wesentlich. Leider sind die Verbraucher und die Bürger im Allgemeinen häufig bei Diskussionen über kritische Fragen nicht ausreichend vertreten, und die Kommission muss sich mehr um eine gleichberechtigte Teilnahme von Vertretern der Zivilgesellschaft an sämtlichen Foren bemühen. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 |
Angesichts der Größenordnung des EU-weiten Hochgeschwindigkeits-Internet-Ausbaus fordert der Ausschuss die Kommission auf, verschiedene Förderinstrumente für die Mobilisierung von Investitionen in Europa notwendigen Breitbandinfrastrukturen vorzuschlagen, insbesondere dann, wenn die marktüblichen Renditen nicht attraktiv genug sind. |
4.2 |
Der Ausschuss begrüßt, dass es der Kommission ein Anliegen ist, die Kosten des Aufbaus breitbandiger Infrastrukturen zu senken; er lenkt die Aufmerksamkeit der Kommission auf den Multiplikatoreffekt, den diese sinkenden Kosten auf die Wirtschaft und die Lebensqualität haben, und fordert alle Interessenträger auf, nachdrücklich darauf hinzuarbeiten. |
4.3 |
Der Ausschuss fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, zur raschen Erreichung der Breitbandversorgungsziele auch das Programm für die Funkfrequenzpolitik (20) umfassend durchzuführen. |
4.4 |
Beim Hochgeschwindigkeitsbreitbandausbau muss sichergestellt werden, dass neue Betreiber über fairen Wettbewerb gleichberechtigten Zugang zu den Infrastrukturen haben, da sonst die Dienst-Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher beeinträchtigt werden. |
4.5 |
Der Ausschuss hält es für wichtig, dass EU-weit kohärente Kalkulationsmodelle für Hochgeschwindigkeits-Breitbandverbindungen entwickelt werden, die die nationalen Regulierungsbehörden nutzen können; damit könnte sichergestellt werden, dass die Kosten allgemein fair und anhand übereinstimmender Standards berechnet werden. |
4.6 |
Neue Arbeitsplätze in der digitalen Wirtschaft setzen voraus, dass die Arbeitnehmer über E-Kompetenz und häufig auch über spezifische eSkills verfügen. Bedauerlicherweise werden in Europa nicht genügend Fachkräfte ausgebildet, um den Bedarf der wachsenden IKT-Industrie zu decken. Während die Arbeitslosenquoten in der EU historische Höchststände erreichen, werden der IKT-Industrie zufolge im IKT-Sektor bis 2015 europaweit voraussichtlich 700 000 Fachkräfte fehlen. Es muss dringend alles Menschenmögliche getan werden, um diese Qualifikationslücke zu schließen. |
4.6.1 |
Im Rahmen der „Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten“ hat die Kommission sich vorgenommen, einen EU-weiten Ansatz und Instrumente zu entwickeln, „mit denen die Mitgliedstaaten bei der Integration von IKT- und digitalen Kompetenzen in die wichtigsten Strategien zu lebenslangem Lernen unterstützt werden sollen“. Europa ist darauf angewiesen, dass diese Initiative im Rahmen der Europa-2020-Strategie schleunigst zu Ergebnissen führt. |
4.6.2 |
Die hohe Jugendarbeitslosigkeit ist zum Teil auf die fehlende Abstimmung zwischen der Bildungspolitik und der Nachfrage nach Qualifikationen in Unternehmen zurückzuführen. Die Mitgliedstaaten sollten sich dringend dieses Problems annehmen und neue eSkills-Studienangebote einführen. Es ist ferner unerlässlich, die Gleichstellung der Geschlechter in der auf IKT bezogenen schulischen und beruflichen Bildung zu fördern. |
4.6.3 |
Auch bereits Erwerbstätige benötigen mit Blick auf Produktivitätssicherung und Flexibilisierung der Arbeit verstärkt E-Kompetenz. Arbeitnehmer ohne die erforderliche E-Kompetenz laufen Gefahr, unterbeschäftigt oder gar arbeitslos zu werden. Für die europäische Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit ist es daher wesentlich, dass die Unternehmen und ihre Beschäftigten zusammenarbeiten, um über Weiterbildungsprogramme E-Kompetenz und eSkills zu verbessern. |
4.6.4 |
Zur Bekämpfung der großen Arbeitslosigkeit in Europa sollten spezifische Programme zur Vermittlung von eSkills und E-Kompetenz entwickelt werden, um Arbeitslosen beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu helfen. |
4.6.5 |
Breitbandanschlüsse und Computerressourcen in Schulen, Bibliotheken und anderen öffentlichen Gebäuden könnten zur EU-weiten Förderung von eSkills und E-Kompetenz genutzt werden. |
4.7 |
In früheren Stellungnahmen hat der Ausschuss sich für die Online-Rechte der Verbraucher eingesetzt (21). Er begrüßt die Veröffentlichung des Kodex der EU-Online-Rechte (22) durch die Kommission, hält es jedoch für erforderlich, dass die EU eine Charta der digitalen Rechte aufstellt, um alle Nutzer eindeutig zu schützen. Dafür hat er sich auch jüngst in seiner Stellungnahme zum Thema „Die Bürger erfolgreich in den Mittelpunkt eines inklusiven digitalen Binnenmarkts stellen: ein Aktionsplan“ (23) stark gemacht. |
4.8 |
In ganz Europa beschweren sich die Verbraucher, dass die Datenübertragungsraten hinter den von ihren Providern vertraglich zugesicherten Übertragungsgeschwindigkeiten zurückbleiben. Diese „Nicht-Erfüllung“ und irreführende Werbung untergräbt das Vertrauen in den digitalen Markt. Zur Behebung des Problems sind strengere Rechtsvorschriften und Durchsetzungsbestimmungen erforderlich. |
4.9 |
Voraussetzung für die Vollendung des digitalen Binnenmarkts ist es, den Aktionsplan zum elektronischen Handel, das Grünbuch zu Karten-, Internet- und Mobiltelefonzahlungen und die Europäischen Verbraucheragenda voranzubringen. |
4.10 |
In einer früheren Stellungnahme hat der Ausschuss nachdrücklich die vorgeschlagene EU-Datenschutz-Grundverordnung befürwortet (24). Der Ausschuss hofft, dass die umfassende Reform des EU-Datenschutzrechts baldmöglichst offiziell angenommen wird. Allerdings sollten in der Debatte über die EU-Datenschutzregelungen ihre potenziellen Auswirkungen auf andere Bereiche berücksichtigt werden. Zu strenge Auflagen können die Möglichkeiten einengen, persönliche Daten zum gesellschaftlichen Wohl zu nutzen und die Ziele der digitalen Agenda zu erreichen (bspw. zur Überwachung von Patientendaten, um die Entwicklung einer bestimmten Krankheit zu prognostizieren; oder für intelligente Energiesteuerung). |
4.11 |
Der Ausschuss fordert die Kommission erneut auf, Vorschläge für die Einführung eines Europäischen Vertrauenssiegels für Unternehmen zu machen. Wie der Ausschuss bereits in früheren Stellungnahmen (25) unterstrichen hat, könnte ein EU-weites Zertifizierungs- und Kennzeichnungssystem für Online-Unternehmen den Verbrauchern beim Kauf von Waren und Dienstleistungen im Internet über die Landesgrenzen hinweg universellen Schutz ermöglichen und somit das Vertrauen der Verbraucher in den grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr stärken und den KMU dabei helfen, ihre grenzüberschreitende Online-Geschäftstätigkeit auszuweiten. |
4.12 |
Die Kommission sollte neben der europaweiten Interoperabilität nationaler eID-Systeme auch die Einführung eines freiwilligen eID-Systems für alle EU-Bürger in Betracht ziehen, um eine auf Unionsebene authentifizierte eID für eine begrenzte Anzahl von Transaktionen im elektronischen Handel bereitzustellen. |
4.13 |
Als Anreiz für die digitale Wirtschaft sollten die Mitgliedstaaten und die regionalen Gebietskörperschaften die Einrichtung kostenloser WiFi-Hotspots in öffentlichen Bereichen fördern. |
4.14 |
Der Ausschuss heißt zwar die Absicht der Kommission gut, eine Empfehlung zur Wahrung eines offenen Internets für die Verbraucher anzunehmen, indes fordert er nachdrücklich, dass auch der Grundsatz der Netzneutralität baldmöglichst im EU-Recht verankert werden sollte. Der Ausschuss verweist auf seine Stellungnahme zum Thema „Offenes Internet und Netzneutralität in Europa“ (26), in der er erläutert, dass der Grundsatz der Netzneutralität darauf abhebt, dass Internetprovider alle Quellen vergleichbarer Internetdaten gleich behandeln sollen und nicht aus kommerziellen Gründen Unterschiede machen dürfen. |
4.15 |
Die Nutzung von Cloud Computing erhöht die Notwendigkeit, die Bürger, ihre Daten und ihre Privatsphäre zu schützen, zumal wenn Daten europäischer Verbraucher und Unternehmen auf Servern außerhalb der EU oder von Nicht-EU-Hosting-Unternehmen vorgehalten werden. In seiner jüngsten Stellungnahme zur Cloud-Computing-Strategie (27) ermutigt der Ausschuss die Kommission, über die Stärkung eines Rechtsrahmens folgende Aspekte zu regeln:
Der Ausschuss warnt ferner, dass jedwede auf EU-Ebene angenommene Cloud-Computing-Handlungsrahmen zukunftssicher ausgelegt werden müssen, da die Entwicklung dieser Technologie bis auf Weiteres hochdynamisch und völlig unvorhersehbar verlaufen wird. |
4.16 |
Der Ausschuss nimmt die veröffentlichte europäische Cybersicherheitsstrategie zu Kenntnis und wird sich mit den vorgeschlagenen begleitenden Maßnahmen, u.a. dem Richtlinienvorschlag über Netz- und Informationssicherheit, auseinandersetzen. |
4.17 |
Durch gezielte Maßnahmen müssen die Interessen von Kindern und schutzbedürftigen Personen im Internet gesichert werden, vor allem mit Blick auf Datenschutz, Online-Betrug sowie skrupellose Marketing- und Werbemethoden, die gezielt wehrlose Nutzer ins Visier nehmen. Der Ausschuss verweist auf seine zahlreichen einschlägigen Stellungnahmen (28), insbesondere zu der europäischen Strategie für ein besseres Internet für Kinder (29) und zu einem Rechtsrahmen für an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung (30). |
4.18 |
In seiner Stellungnahme zur Digitalen Agenda für Europa wies der Ausschuss darauf hin, dass offene Standards den Wettbewerb erleichtern und KMU Wachstum und internationale Konkurrenzfähigkeit ermöglichen (31). Die Anregung und Förderung offener Standards für alle IKT-Produkte und -Dienstleistungen in Europa sollte deshalb ausdrücklich Bestandteil der Digitalen Agenda sein. |
4.19 |
Im IKT-Bereich sind amerikanische und asiatische Unternehmen führend. Europäische Bemühungen, über IKT-Innovationsförderung marktführende Mega-Unternehmen wie Google, Microsoft, Apple oder Samsung aufzubauen, sind denkbar fruchtlos geblieben. Der Ausschuss begrüßt die geplante neue industriepolitische Strategie für den Bereich der Mikro- und Nanoelektronik, um Europas Anziehungskraft für Investitionen in Konstruktion und Fertigung zu erhöhen und seinen weltweiten Marktanteil zu steigern. Allerdings muss in der EU-Politik eine Kehrtwende vollzogen werden, um sicherzustellen, dass die europäischen Unternehmen über das notwendige „Ökosystem“ verfügen, um auf dem Weltmarkt für IKT-Technologien und –Dienste führend zu werden. |
4.20 |
Die Kommission muss auch dafür sorgen, dass bewährte Managementverfahren auf diese Investitionen angewendet werden, d.h. die Investitionen sollten auf der Basis des zu erwartenden wirtschaftlichen und/oder gesellschaftlichen Nutzens getätigt werden, und sämtliche Investitionen sollten einer strengen Rechnungslegungspflicht unterliegen, um zu gewährleisten, dass die prognostizierten Nutzeffekte auch tatsächlich erzielt werden. |
4.21 |
Im Rahmen der Governance für die vorgeschlagenen FuEuI-Investitionen muss eine gute Koordinierung zwischen den einzelnen Programmen und Vorhaben sichergestellt werden, um ihren Nutzen zu maximieren und Verschwendungen infolge von Überschneidungen zu vermeiden. |
4.22 |
Nach Meinung des Ausschusses dürften die umfangreichen Investitionen in GNSS-Technologien und –Dienste auch zum Erfolg der Digitalen Agenda beitragen. Der Ausschuss fordert die Kommission erneut auf, die umfangreichen Synergien zu erschließen, die bei einer Verzahnung der GNSS-Programme mit der Formulierung und Umsetzung der Digitalen Agenda entstehen würden. Darauf hat er bereits in seiner Stellungnahme zur Digitalen Agenda für Europa (32) hingewiesen. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_explained/index.php/Unemployment_statistics
(2) http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/11280_de.htm
(3) http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/135379.pdf
(4) ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 1.
(5) CES273-2012_00_00_TRA_AC_DE.DOC.
(6) ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 9.
(7) ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58.
(8) ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 139.
(9) ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 69; ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 165.
(10) ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 116.
(11) ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 15 und ABl. C 24 vom 28.1.2012. S. 40.
(12) JOIN(2013) 1 final.
(13) ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 43; ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 138; ABl. C 24 vom 28.1.2012. S. 154.
(14) http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_explained/index.php/Unemployment_statistics
(15) SWD(2013) 73 final Part 1 (nur EN).
(16) COM(2008) 572 final.
(17) https://ec.europa.eu/digital-agenda/en/scoreboard
(18) http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/information_society/data/main_tables
(19) ABl. C 128 vom 18.5.2010. S. 97.
(20) ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 53.
(21) ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 1.
(22) https://ec.europa.eu/digital-agenda/de/coe-eu-online-rights
(23) CES273-2012_00_00_TRA_AC_DE.DOC.
(24) ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 90.
(25) ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58.
(26) ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 139.
(27) ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 59.
(28) ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58, ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 69 und ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 61.
(29) ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 68.
(30) ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 6.
(31) ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58.
(32) ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/133 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zur Gewährleistung einer hohen gemeinsamen Netz- und Informationssicherheit in der Union
COM(2013) 48 final — 2013/0027 (COD)
2013/C 271/25
Berichterstatter: Thomas McDONOGH
Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 21. Februar bzw. 15. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zur Gewährleistung einer hohen gemeinsamen Netz- und Informationssicherheit in der Union
COM(2013) 48 final – 2013/0027 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 30. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 163 Stimmen gegen 1 Stimme bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Ausschuss stellt fest, dass in der vorgeschlagenen Richtlinie, die in den übergeordneten Zusammenhang der jüngst veröffentlichten Cybersicherheitsstrategie einzureihen ist (1), ein umfassender Ansatz für Netz- und Informationssicherheit (NIS) entworfen wird, um ein sicheres Wachstum der digitalen Wirtschaft zu gewährleisten, während gleichzeitig die europäischen Werte Freiheit und Demokratie gefördert werden. |
1.2 |
Der Ausschuss begrüßt diesen Vorschlag für eine Richtlinie zur Gewährleistung einer hohen gemeinsamen Netz- und Informationssicherheit in der gesamten EU. Harmonisierung und Management von NIS auf europäischer Ebene ist wesentliche Voraussetzung für die Vollendung des digitalen Binnenmarkts und für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts insgesamt. Der Ausschuss teilt die Bedenken der Europäischen Kommission in Bezug auf die mögliche, enorme Schädigung der Wirtschaft und Beeinträchtigung des Wohlergehens der Unionsbürger bei NIS-Versagen. Allerdings erfüllt die vorgeschlagene Richtlinie nicht die Erwartungen, die der Ausschuss an starke Rechtsvorschriften in diesem kritischen Bereich stellt. |
1.3 |
Der Ausschuss ist ausgesprochen enttäuscht über den Mangel an Fortschritten in zahlreichen Mitgliedstaaten bei der Einführung einer wirksamen NIS auf nationaler Ebene. Er bedauert die damit verbundenen zunehmenden Risiken für die Bürger und negativen Auswirkungen auf die Vollendung des digitalen Binnenmarkts. Sämtliche Mitgliedstaaten sollten schleunigst ihren noch ausstehenden NIS-Verpflichtungen nachkommen. |
1.4 |
Durch diesen Mangel an Fortschritt tut sich eine neue digitale Kluft zwischen der Elite unter den Mitgliedstaaten, die über fortschrittlichste NIS verfügen, und den rückständigeren Mitgliedstaaten auf. Diese Kluft beeinträchtigt Vertrauen und Zusammenarbeit im NIS-Bereich auf EU-Ebene, und wenn nicht schleunigst etwas dagegen getan wird, wird das Kompetenzgefälle zwischen den Mitgliedstaaten aller Voraussicht nach zu Binnenmarktversagen führen. |
1.5 |
Wie in früheren Stellungnahmen (2) schon betont der Ausschuss erneut, dass zögerliche, freiwillige Maßnahmen seines Erachtens nicht zum Erfolg führen und strenge rechtliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten erforderlich sind, um Governance und Durchsetzung einer harmonisierten europäischen NIS zu ermöglichen. Leider wartet dieser Richtlinienvorschlag nicht mit den notwendigen klaren und entschiedenen Vorschriften auf. Um das erforderliche hohe gemeinsame NIS-Niveau zu erreichen, hält der Ausschuss eine Verordnung mit klar definierten zwingenden Auflagen für die Mitgliedstaaten für besser geeignet als eine Richtlinie. |
1.6 |
Ungeachtet der Absicht der Europäischen Kommission, mittels delegierter Rechtsakte einheitliche Voraussetzungen für die Umsetzung von Teilen dieser Richtlinie zu gewährleisten, mangelt es in dem Richtlinienvorschlag nach Ansicht des Ausschusses an Normen, klaren Definitionen und kategorischen Verpflichtungen, so dass den Mitgliedstaaten zu viel Spielraum bei der Auslegung und Umsetzung kritischer Elemente bleibt. Der Ausschuss plädiert für eine genauere Ausformulierung der Normen, Anforderungen und Verfahren, die für die Mitgliedstaaten, Behörden, Marktteilnehmer und Infrastrukturbetreiber für wichtige Internetdienste gelten sollen. |
1.7 |
Der Ausschuss würde die Schaffung einer NIS-Behörde auf EU-Ebene nach dem Vorbild der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) (3) befürworten, um für die Durchsetzung einer robusten NIS-Politik in der EU zu sorgen. Eine solche Behörde würde Standards aufstellen und alle Elemente der NIS in der ganzen EU überwachen, von der Zertifizierung sicherer Endgeräte und ihrer Nutzung über die Netzsicherheit bis hin zur Datensicherheit. |
1.8 |
Der Ausschuss ist sich deutlich der wachsenden Gefährdung von Cybersicherheit und Datenschutz bewusst, die von der zunehmenden Nutzung von Cloud Computing (4) in Europa ausgehen. Der Richtlinienvorschlag sollte explizit spezifische zusätzliche Sicherheitsanforderungen und Auflagen im Zusammenhang mit der Bereitstellung und Nutzung von Cloud-Diensten enthalten. |
1.9 |
Im Interesse einer echten Rechenschaftspflicht für NIS sollte in dem letztendlichen Rechtsakt klargestellt werden, dass Einrichtungen, die im Rahmen der vorgeschlagenen Richtlinie Verpflichtungen unterliegen, berechtigt wären, Software- und Hardware-Anbieter für Mängel ihrer Produkte oder Dienste haftbar zu machen, die unmittelbar zu NIS-Vorfällen beitragen. |
1.10 |
Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, der Verbesserung von NIS-Wissen und Cybersicherheitskompetenz der KMU besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Er weist die Kommission auf den Erfolg von „Hacker-Wettbewerben“ in den USA (5) und einigen Mitgliedstaaten (6) hin, durch die das Bewusstsein für Cybersicherheitsbelange gefördert und die nächste Generation von NIS-Spezialisten herangezogen werden kann. |
1.11 |
Da es für die Netz- und Informationssicherheit der gesamten EU wichtig ist, dass alle Mitgliedstaaten die Vorschriften einhalten, sollte die Kommission prüfen, welche Mittel im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens für NIS-Compliance genutzt werden könnten, um den Mitgliedstaaten zu helfen, die finanzielle Unterstützung benötigen. |
1.12 |
Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Innovation (FuDuI) im Bereich NIS-Technologien sollte im Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“ hohe Priorität zukommen, damit Europa mit der dynamischen Entwicklung von Cyber-Bedrohungen Schritt halten kann. |
1.13 |
Um für Klarheit darüber zu sorgen, welche Einrichtungen im Rahmen der vorgeschlagenen Richtlinie rechtliche Verantwortlichkeiten haben, plädiert der Ausschuss für eine Verpflichtung aller Mitgliedstaaten zur Veröffentlichung eines Online-Verzeichnisses all derjenigen Einrichtungen, für die die Risikomanagement- und Meldepflichten gemäß der Richtlinie gelten. Die damit einhergehende Transparenz und öffentliche Rechenschaftspflicht würde die Vertrauensbildung und die Einhaltung der Vorschriften unterstützen. |
1.14 |
Der Ausschuss verweist die Europäische Kommission auf seine zahlreichen früheren Stellungnahmen, in denen er sich zur Netz- und Informationssicherheit sowie zur Notwendigkeit einer sicheren Informationsgesellschaft und des Schutzes kritischer Informationsinfrastrukturen geäußert hat (7). |
2. Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags
2.1 |
Der Vorschlag für eine NIS-Richtlinie wurde in Verbindung mit der EU-Cybersicherheitsstrategie veröffentlicht, die zum Ziel hat, die Robustheit der Informationssysteme zu verstärken, die Cyberkriminalität zurückzudrängen, eine internationale Cybersicherheitspolitik für die EU und die Cyberverteidigung der EU zu fördern, die industriellen und technischen Ressourcen für die Cybersicherheit zu entwickeln und gleichzeitig die Grundrechte und die anderen Grundwerte der EU zu fördern. |
2.2 |
Bei der NIS geht es um die Erhöhung der Sicherheit des Internets und anderer Netze, Informationssysteme und darauf beruhender Dienste, die für das Funktionieren unserer Gesellschaften unverzichtbar sind. NIS ist wesentliche Voraussetzung für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts. |
2.3 |
Das bisherige, rein auf Freiwilligkeit beruhende NIS-Konzept der EU bietet keinen ausreichenden Schutz gegen NIS-Bedrohungen. Die bestehenden NIS-Kapazitäten reichen nicht aus, um mit den sich schnell verändernden Bedrohungen Schritt zu halten und in allen Mitgliedstaaten ein gleich hohes Schutzniveau zu gewährleisten. |
2.4 |
Es gibt große Unterschiede in Bezug auf die Kapazitäten und die Abwehrbereitschaft der einzelnen Mitgliedstaaten, was zu einem fragmentierten Vorgehen im NIS-Bereich in der EU führt. Da die Netze und Systeme miteinander verbunden sind, mindern die Mitgliedstaaten mit einem unzureichenden Schutzniveau die Gesamt-NIS in der EU. Diese Situation behindert auch die Schaffung von Vertrauen zwischen den Partnern als Voraussetzung für Zusammenarbeit und Informationsaustausch. In der Folge findet eine Zusammenarbeit nur zwischen jenen wenigen Mitgliedstaaten statt, die bereits über hohe Kapazitäten verfügen. |
2.5 |
Ziel der im Einklang mit Artikel 114 AEUV vorgeschlagenen Richtlinie ist es, die Vollendung und das reibungslose Funktionieren des digitalen Binnenmarkts zu fördern und dazu
|
2.6 |
In der vorgeschlagenen Richtlinie werden u.a. folgende rechtlichen Anforderungen vorgesehen:
|
2.7 |
Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie binnen 18 Monaten nach ihrer Annahme durch den Rat und das Europäische Parlament (voraussichtlich 2014) umsetzen. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Das Internet und die digitale Gesellschaft breiten sich immer mehr im Alltag aus. Je mehr wir jedoch auf das Internet angewiesen sind, desto mehr hängen unsere Freiheit, unser Wohlstand und unsere Lebensqualität von einer zuverlässigen Netz- und Informationssicherheit (NIS) ab: Eine unterbrochene Internet-Verbindung und eine im medizinischen Notfall unzugängliche elektronische Patientenakte kann ein Todesurteil sein. Die Sicherheit der kritischen Informationsinfrastrukturen ist aber zunehmenden Bedrohungen ausgesetzt und unser NIS-Niveau ist unzureichend. |
3.2 |
Europol-Direktor Rob Wainwright äußerte vergangenes Jahr seine große Besorgnis angesichts des großen unangebrachten Vertrauens in die Robustheit des Internet (8). Immer wieder wird über neue Cyberangriffe auf wesentliche Infrastrukturen berichtet, die von Kriminellen, Terroristen oder fremden Regierungen ausgehen. Cyber-Opfer melden Angriffe meist nicht, um Imageschäden zu vermeiden; indes haben in den vergangenen Wochen Angriffe auf die europäische Internetinfrastuktur (9) und Bankensysteme (10) stattgefunden, deren Ausmaß nicht vertuscht werden konnte. Einem Bericht (11) zufolge wurden in den Niederlanden im Jahr 2011 92 Mio. Cyberangriffe verzeichnet und in Deutschland 82 Mio. Schätzungen der britischen Regierung zufolge fanden im Vereinigten Königreich 2011 44 Mio. Cyberangriffe statt, die wirtschaftliche Kosten in Höhe von 30 Mrd. EUR verursachten (12). |
3.3 |
2007 befasste sich der Rat der EU mit der NIS-Problematik in Europa (13). Die seitherige Strategie (14) beruhte jedoch zumeist auf freiwilligen Maßnahmen der Mitgliedstaaten, von denen nur wenige auf wirksame Weise tätig wurden. Der Ausschuss stellt fest, dass viele Mitgliedstaaten bislang weder eine nationale Cybersicherheitsstrategie veröffentlicht noch nationale Notfallpläne für Cybervorfälle aufgestellt und zum Teil auch noch kein IT-Notfallteam (Computer Emergency Response Team, CERT) eingerichtet haben. Verschiedene Mitgliedstaaten haben auch noch nicht das Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität ratifiziert (15). |
3.4 |
Zehn Mitgliedstaaten mit einem sehr hohen NIS-Niveau haben die europäische EGC-Gruppe (European Governmental CERTs Group – EGC) gegründet, um wirksam zusammenzuarbeiten für den Fall, dass gemeinschaftlich auf IT-Sicherheitsvorfälle reagiert werden muss. Die EGC ist eine geschlossene Elite-Gruppe, von der die rückständigeren übrigen 17 Mitgliedstaaten sowie das neu gegründete CERT-EU (16) derzeit ausgeschlossen sind. Eine neue digitale Kluft zwischen den Mitgliedstaaten, die über fortschrittlichste NIS verfügen, und den übrigen Mitgliedstaaten tut sich auf. Wenn diese Kluft nicht geschlossen wird, wird das NIS-Gefälle den digitalen Binnenmarkt im Kern gefährden und die Vertrauensentwicklung, Harmonisierung und Interoperabilität hemmen. Ohne konsequente Maßnahmen dürfte die Schere zwischen den fortschrittlichsten und den rückständigeren Mitgliedstaaten immer weiter aufgehen und Binnenmarktversagen, das auf das Kompetenzgefälle zwischen den Mitgliedstaaten zurückzuführen ist, zunehmen. |
3.5 |
Voraussetzung für den Erfolg der Cybersicherheitsstrategie und die Wirksamkeit der vorgeschlagenen NIS-Richtlinie sind eine starke NIS-Industrie in Europa und genügend ausgebildete NIS-Fachkräfte. Der Ausschuss begrüßt, dass in dem Richtlinienvorschlag berücksichtigt wird, dass die Mitgliedstaaten in Ausbildungs-, Aufklärungs- und Schulungsprogramme für NIS investieren müssen. Dazu sollte jeder Mitgliedstaat gezielt auf die KMU zugeschnittene Informations-, Bildungs- und Fördermaßnahmen im Bereich Cybersicherheit vorsehen. Große Unternehmen können das erforderliche Wissen leicht beschaffen, KMU hingegen müssen hierbei unterstützt werden. |
3.6 |
Der Ausschuss freut sich auf die Zusammenarbeit mit der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) im Rahmen der Sensibilisierung für NIS anlässlich des Europäischen Monats der Cybersicherheit im Spätjahr 2013. Mit Blick auf das Ziel der Cybersicherheitsstrategie und der NIS-Richtlinie, eine Sicherheitskultur in Europa zu fördern, sowie auf eine Verbesserung der NIS-Kompetenzen verweist der Ausschuss die Kommission auf die „Hacker-Wettbewerbe“ für Teenager, die in einigen Mitgliedstaaten und in den USA so erfolgreich zur Sensibilisierung beigetragen haben. |
3.7 |
Der Ausschuss nimmt zufrieden zur Kenntnis, dass die Cybersicherheitsstrategie Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Innovation im Bereich NIS-Technologien vorsieht. |
3.8 |
Durch die Ausweitung von Cloud Computing entstehen viele neue Cybersicherheits-Bedrohungen. Beispielsweise können Cyberkriminelle nun zu geringen Kosten auf enorme Computerkapazitäten zugreifen, und Daten von Tausenden Unternehmen werden auf zentralen Servern gehostet, die gezielt attackiert werden können. Der Ausschuss hat höhere IT-Widerstandsfähigkeit bei Cloud Computing gefordert (17). |
3.9 |
Der Ausschuss hat sich bereits für die Einführung eines freiwilligen europäischen Systems für elektronische Identifizierung bei Online-Transaktionen in Ergänzung bestehender nationaler Systeme ausgesprochen. Dadurch würden ein höherer Schutz vor Betrug, größeres Vertrauen zwischen den Wirtschaftsakteuren, geringere Kosten der Dienstleistungserbringung und höherwertige Dienste sowie ein besserer Schutz der Bürger erreicht werden. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 |
Bedauerlicherweise ist der Kommissionsvorschlag für eine NIS-Richtlinie zu zögerlich und unscharf und baut zu stark auf Selbstregulierung der Mitgliedstaaten. Ein Mangel an Normen, klaren Definitionen und kategorischen Verpflichtungen, insbesondere in Kapitel IV der vorgeschlagenen Richtlinie, lässt den Mitgliedstaaten zu viel Spielraum bei der Auslegung und Umsetzung kritischer Elemente. Eine Verordnung mit klar definierten zwingenden Auflagen für die Mitgliedstaaten wäre wirksamer als eine Richtlinie. |
4.2 |
Laut Artikel 6 der vorgeschlagenen Richtlinie benennt jeder Mitgliedstaat eine „zuständige Behörde“, die die einheitliche Anwendung der Richtlinie in der Union überwacht und sicherstellt. Artikel 8 zufolge wird ein „Kooperationsnetz“ gebildet, das gemeinsam mit der Kommission europaweit und bis hin zur Ebene der Mitgliedstaaten für Führung, verantwortliches Handeln und nötigenfalls für Durchsetzung sorgen wird. Aufbauend auf diesem Governance-Rahmen sollte die EU die Einrichtung einer NIS-Behörde auf EU-Ebene nach dem Vorbild der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA), die Standards festlegt und für die Überwachung der Durchsetzung von Sicherheitsvorschriften für Luftfahrzeuge, Flughäfen und Flugverkehr sorgt, in Betracht ziehen. |
4.3 |
Diese NIS-Behörde auf EU-Ebene könnte sich auf die Arbeiten von ENISA (Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit), CEN (Europäisches Komitee für Normung), IT-Notfallteams (Computer Emergency Response Teams, CERTs), der European Governmental CERT Group (EGC) u.a. stützen. Eine solche Behörde würde Standards aufstellen und alle Elemente der NIS überwachen, von der Zertifizierung sicherer Endgeräte und ihrer Nutzung über die Netzsicherheit bis hin zur Datensicherheit. |
4.4 |
In Anbetracht der starken Verflechtungen zwischen den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der EU-Netz- und Informationssicherheit sowie der potenziell sehr hohen Kosten für alle Betroffenen bei NIS-Versagen plädiert der Ausschuss für die Festlegung expliziter und verhältnismäßiger harmonisierter Strafen und Sanktionen für Verstöße gegen die Bestimmungen der Richtlinie, die der europäischen Dimension der Verantwortung und dem potenziellen Schadensausmaß nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene angemessen sind. Artikel 17 des Richtlinienvorschlags, in dem es um Sanktionen geht, ist zu allgemein gehalten, lässt den Mitgliedstaaten zu viel Spielraum bei der Festlegung von Sanktionen und bietet keine ausreichenden Vorgaben für die Berücksichtigung grenzüberschreitender und europaweiter Auswirkungen. |
4.5 |
Regierungen und Anbieter grundlegender Dienste machen heutzutage Sicherheits- und Stabilitätsprobleme nur publik, wenn dies unausweichlich ist. Diese mangelnde Offenlegung erfolgter Angriffe untergräbt die Fähigkeit Europas, rasch und wirksam auf Bedrohungen zu reagieren und die allgemeine NIS durch gemeinsame Lernerfahrungen zu verbessern. Der Ausschuss befürwortet den Beschluss der Kommission, in der Richtlinie eine Meldepflicht für NIS-Vorfälle mit beträchtlichen Auswirkungen vorzuschreiben. Seines Erachtens würde eine auf Freiwilligkeit beruhende Meldungsregelung nicht funktionieren, da die Versuchung zu groß wäre, NIS-Versagen zu vertuschen, um Rufschädigung und Haftungsansprüche zu vermeiden. |
4.6 |
In Artikel 14 der vorgeschlagenen Richtlinie jedoch, in dem die Meldung von Sicherheitsvorfällen festgelegt wird, fehlt eine Definition von „Sicherheitsvorfälle[n] (…) die erhebliche Auswirkungen auf die Sicherheit (…) haben“, und den betreffenden Einrichtungen und den Mitgliedstaaten wird ein zu großer Ermessensspielraum hinsichtlich der Meldung von NIS-Vorfällen eingeräumt. Wirksame Rechtsvorschriften setzen eindeutige Anforderungen voraus. Da wesentliche Anforderungen in der Richtlinie zu unscharf formuliert werden, können die betroffenen Parteien auch nicht für Verstöße gegen die Richtlinie, wie in Artikel 17 vorgesehen, zur Verantwortung gezogen werden. |
4.7 |
Da NIS-Leistungen großteils vom privaten Sektor bereitgestellt werden, muss ein hohes Maß an Zuverlässigkeit und Zusammenarbeit aller für kritische Informationsinfrastrukturen und -dienste zuständigen Unternehmen gefördert werden. Die von der Europäischen Kommission 2009 auf den Weg gebrachte europäische öffentlich-private Partnerschaft für Robustheit (EP3R) ist zu befürworten und sollte unterstützt werden. Nach Meinung des Ausschusses muss diese Initiative jedoch durch eine rechtliche Verpflichtungen in der NIS-Richtlinie untermauert werden, um wichtige Interessenträger, die ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, zur Zusammenarbeit zu verpflichten. |
4.8 |
Jeder Mitgliedstaat sollte ein Online-Verzeichnis all derjenigen Einrichtungen veröffentlichen, die in seine Zuständigkeit fallen und für die die Sicherheitsanforderungen und Meldepflichten gemäß Artikel 14 der vorgeschlagenen Richtlinie gelten. Dies würde zum einen Klarheit darüber schaffen, wie die einzelnen Mitgliedstaaten die Begriffsbestimmungen in Artikel 3 auslegen, und zum anderen könnte durch die damit erreichte Transparenz bei den Bürgern ein Klima des Vertrauens geschaffen und eine Risikomanagementkultur gefördert werden. |
4.9 |
Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass Softwareentwickler und Hardwarehersteller keine Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft und deshalb von den Richtlinienanforderungen ausgenommen sind. In dem vorgeschlagenen Rechtsakt sollte klargestellt werden, dass Einrichtungen, die im Rahmen der Richtlinie Verpflichtungen unterliegen, die Software- und Hardware-Anbieter für Mängel ihrer Produkte oder Dienste, die unmittelbar zu NIS-Vorfällen beitragen, haftbar machen würden. |
4.10 |
Die Kommission veranschlagt die für den öffentlichen und privaten Sektor in Europa entstehenden Kosten für die Umsetzung der vorgeschlagenen NIS-Richtlinie auf ca. 2 Mrd. EUR jährlich; indes stellt der Ausschuss fest, dass es für einige Mitgliedstaaten aufgrund finanzieller Schwierigkeiten problematisch sein wird, die für die Einhaltung der Richtlinienvorschriften erforderlichen Investitionen zu tätigen. Es muss geprüft werden, inwieweit im Rahmen des mehrjährigen Finanzrahmens über verschiedene Instrumente, bspw. den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und womöglich den Fonds für die innere Sicherheit, Mittel für NIS-Compliance bereitgestellt werden könnten. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Cybersicherheitsstrategie der Europäischen Union – ein offener, sicherer und geschützter Cyberraum JOIN (2013) 1.
(2) EWSA-Stellungnahmen zu den Themen „Schutz kritischer Informationsinfrastrukturen“ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 98 und „Angriffe auf Informationssysteme“ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 130.
(3) Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) http://www.easa.europa.eu/language/de/home.php
(4) EWSA-Stellungnahmen zu den Themen „Cloud Computing in Europa“ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 40 und „Eine Cloud-Computing-Strategie für die EU“ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 59.
(5) http://www.nytimes.com/2013/03/25/technology/united-states-wants-to-attract-hackers-to-public-sector.html?pagewanted=all&_r=0
(6) http://www.bbc.co.uk/news/technology-17333601
(7) EWSA-Stellungnahme zum Thema „Eine Strategie für eine sichere Informationsgesellschaft“, ABl. C 97 vom 28.4.2007, S. 21.
EWSA-Stellungnahme zum Thema „Schutz kritischer Informationsinfrastrukturen“, ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 98.
EWSA-Stellungnahme zum Thema „Neue ENISA-Verordnung“, ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 58.
EWSA-Stellungnahme zum Thema „Datenschutz-Grundverordnung“, ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 90.
EWSA-Stellungnahme zum Thema „Angriffe auf Informationssysteme“, ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 130.
EWSA-Stellungnahme zum Thema „Elektronische Transaktionen im Binnenmarkt“, ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 73.
EWSA-Stellungnahme zum Thema „Eine Cloud-Computing-Strategie für die EU“, ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 59.
(8) http://forumblog.org/2012/05/what-if-the-internet-collapsed/
(9) http://www.nytimes.com/2013/03/27/technology/internet/online-dispute-becomes-internet-snarling-attack.html?pagewanted=all&_r=0
(10) http://www.dutchnews.nl/news/archives/2013/04/online_retailers_demand_banks.php
(11) http://www.securelist.com/en/analysis/204792216/Kaspersky_Security_Bulletin_Statistics_2011
(12) UK Cyber Security Strategy – Landscape Review: http://media.nao.org.uk/uploads/2013/03/Cyber-security-Full-report.pdf
(13) Entschließung des Rates 2007/C 68/01:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2007:068:0001:0004:DE:PDF
(14) COM(2006) 251 und COM(2009) 149.
(15) http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?CL=GER&CM=&NT=185&DF=&VL
(16) CERT-EU ist das ständige IT-Notfallteam (Computer Emergency Response Team, CERT-EU) für die EU-Institutionen, -Agenturen und –Einrichtungen.
(17) EWSA-Stellungnahmen zu den Themen „Cloud Computing in Europa“ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 40 und „Eine Cloud-Computing-Strategie für die EU“ABl. C 76 vom 14.3.2013, S. 59.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/138 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über fluorierte Treibhausgase
COM(2012) 643 final — 2012/0305 (COD)
2013/C 271/26
Berichterstatter: Mário SOARES
Der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament beschlossen am 21. November 2012 bzw. 19. November 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 192 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über fluorierte Treibhausgase
COM(2012) 643 final - 2012/0305 (COD).
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 26. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 23. Mai) mit 92 gegen 2 Stimmen bei 1 Enthaltung folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt ausdrücklich die Bemühungen der Europäischen Kommission, die Rechtvorschriften für fluorierte Treibhausgase zu stärken. |
1.2 |
Der Ausschuss betont, dass rasch ein globales Übereinkommen über fluorierte Treibhausgase erzielt werden muss, damit die gleichen Regeln für alle Wirtschaften gelten. |
1.3 |
In der aktuellen Wirtschafts- und Sozialkrise muss der Schutz der Arbeitsplätze Vorrang haben. Die Umstellung auf eine klima- und umweltschonende Wirtschaft muss auf einem starken sozialen Dialog fußen, um gemeinsam und demokratisch die anstehenden Änderungen zu bewältigen. Sozialer Dialog, Verhandlung und Partizipation sind Grundwerte und wesentliche Instrumente; sie sind Voraussetzung, damit die Förderung des sozialen Zusammenhalts und qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze, die Ankurbelung der Beschäftigung, die Steigerung der Innovation und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaften stattfinden und miteinander in Einklang gebracht werden können. |
1.4 |
Der Ausschuss fordert, die finanzielle Belastung und den Bürokratieaufwand in Verbindung mit der Umsetzung der verschiedenen Elemente dieser Verordnung zu verringern, insbesondere für KMU. |
1.5 |
Der Ausschuss weist darauf hin, dass der Energieverbrauch über den gesamten Lebenszyklus hinweg stärker berücksichtigt werden und in der Kosten-Nutzen-Analyse auf die etwaigen Nachteile der vorgeschlagenen alternativen Technologien eingegangen werden muss. |
1.6 |
Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten müssen Forschung und industrielle Innovation stärker unterstützen, insbesondere die Entwicklung von alternativen Technologien für fluorierte Treibhausgase. |
1.7 |
Die Mitgliedstaaten und die Unternehmen müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, um im Rahmen der Maßnahmen zur Verringerung der Verwendung und Erzeugung von fluorierten Treibhausgasen einen sozial gerechten Übergang sicherzustellen. |
1.8 |
Die Konzipierung von Schulungsprogrammen zur Vorbereitung der Arbeitnehmer auf die alternativen Technologien für fluorierte Treibhausgase könnte sich als notwendig erweisen; dabei muss jedoch der besonderen Situation von KMU Rechnung getragen werden. Die finanzielle Belastung und der Bürokratieaufwand für Ausbildung und Zertifizierung sollten in Grenzen gehalten werden. |
1.9 |
Schon vor der Verwendung fluorierter Treibhausgase sollten Maßnahmen ergriffen werden, um durch eine Erhöhung der Anforderungen für das Design von Einrichtungen, die diese Gase enthalten, Leckagen vorzubeugen. |
1.10 |
Die Mitgliedstaaten sollten Systeme für die getrennte Sammlung von fluorierte Substanzen enthaltenden Altgeräten gemäß den Grundsätzen der Richtlinie 2002/96/EG über Elektro- und Elektronik-Altgeräte entwickeln. |
1.11 |
Die Ausbildungsprogramme sollten auf sämtliche Unternehmen, die Tätigkeiten in Verbindung mit der Herstellung, Verbreitung und Installation von Geräten, die fluorierte Treibhausgase enthalten, ausführen, ausgerichtet sein und außerdem auf die alternativen Technologien ausgeweitet werden, um die Technologiewende zu fördern. |
1.12 |
Nach Ansicht des Ausschusses wäre es sinnvoller, eine Unterscheidung zwischen den Technologien zu treffen, um einen schrittweisen Ausstieg anstelle einer schrittweisen Verringerung anzustreben, sofern dies technisch machbar und wirtschaftlich realistisch ist. |
1.13 |
Die Beschränkungen, die den europäischen Erzeugern auferlegt werden, müssen auch für Importe in die EU gelten. |
1.14 |
Die Europäische Kommission ist insbesondere mit der Einführung des Quotensystems beauftragt; sie muss seine Kosten begrenzen und gleichzeitig seine Umweltintegrität sicherstellen. |
1.15 |
Die Europäische Kommission sollte für die Kontroll-, Prüf- und Einhaltungsverfahren in Verbindung mit dieser Verordnung zuständig sein. |
1.16 |
Der Ausschuss stimmt der Wahl der Rechtsgrundlage, namentlich Umweltschutz, zu, betont jedoch, dass die Integrität des Binnenmarktes durch die Umsetzung der Verordnung nicht beeinträchtigt werden darf. |
2. Einleitung
2.1 |
Der Ausschuss verabschiedete 2004 eine Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte fluorierte Treibhausgase“ (1) (nunmehr Verordnung Nr. 842/2006), in der er betonte, dass die Konzentration der Treibhausgase sich aufgrund der menschlichen Aktivität erhöht hat und dauerhafte und möglicherweise nachteilige Klimaveränderungen die Folge sein werden, wenn diese Entwicklung und die daraus resultierende Erderwärmung nicht aufgehalten oder rückgängig gemacht werden kann. Obwohl er das Ziel und den allgemeinen Ansatz der Europäischen Kommission befürwortete, so warf er doch einige Fragen in Verbindung mit dem Verordnungsvorschlag auf. Einige dieser kritischen Anmerkungen haben immer noch Geltung und werden in dieser Stellungnahme bekräftigt. |
2.2 |
Fluorierte Treibhausgase (F-Gase) sind stark klimawirksame, aufgrund menschlicher Aktivitäten entstehende Treibhausgase. Sie sind derzeit Gegenstand von zwei internationalen Übereinkommen, je nachdem, ob sie schädlich für die Ozonschicht sind oder nicht. In dem Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen (1987), das aus dem Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht hervorgegangen ist, sind Kontrollmaßnahmen für Produktion und Verbrauch ozonschichtschädigender Stoffe mit dem letztendlichen Ziel „Ausstieg“ vorgesehen. Dieses Protokoll wurde kontinuierlich weiterentwickelt, um seinen Anwendungsbereich auf neue Gase und neue Anwendungen auszuweiten. Emissionen von fluorierten Treibhausgasen, die keine Auswirkung auf die Ozonschicht haben, sind Gegenstand des Kyoto-Protokolls, um die Treibhausgasemissionen zu verringern. Die Koalition für Klima und saubere Luft (Climate and Clean Air Coalition - CCAC), die 2012 ins Leben gerufen wurde und kurzlebige Klimaschadstoffe bekämpft, hat auch die FKW-Emissionen auf ihre Agenda gesetzt. |
2.3 |
Schulter an Schulter mit weiteren Akteuren steht die EU an vorderster Front im Kampf gegen fluorierte Treibhausgase. 2009, 2010, 2011 und 2012 haben mehrere Unterzeichner des Montrealer Protokolls, u.a. auch die Vereinigten Staaten, Vorschläge vorgelegt, um die Erzeugung und den Verbrauch von Fluorkohlenwasserstoffen (FKW) weltweit zu beschränken; diese Initiativen wurden von 108 Ländern unterstützt. |
2.4 |
Dennoch konnten kaum Fortschritte erzielt werden, da u.a. China, Brasilien, Indien und die Golfstaaten die Erörterung dieser Frage im Rahmen des Montrealer Protokolls unter dem Vorbehalt ablehnen, dass die im Kyoto-Protokoll erfassten fluorierten Gase keinerlei Auswirkung auf die Ozonschicht haben. |
2.5 |
Die Europäische Union hat 2009 Ziele zur Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2020 und 2050 angenommen: bis 2020 müssen sie um 20 % gegenüber den Werten von 1990 gesenkt werden; sofern sich die anderen Industrieländer in einem globalen Übereinkommen zu vergleichbaren Emissionsreduzierungen verpflichten, werden 30 % anvisiert. |
2.6 |
Zur Verwirklichung dieser Ziele hat die EU ein Reihe innovativer Instrumente aufgelegt; die wichtigsten sind das Gemeinschaftssystem für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten EU-ETS (Richtlinie 2009/29/EG), die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Richtlinie 2009/28/EG), die Energieeffizienz-Richtlinie (Richtlinie 2012/27/EU) und die Entscheidung über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen (Entscheidung Nr. 406/2009/EG). Sie hat außerdem anerkannt, dass die Treibhausgasemissionen der Industrieländer bis 2050 um 80 bis 95 % gegenüber den Werten von 1990 reduziert werden müssen, um die Erderwärmung auf 2 °C zu begrenzen. |
2.7 |
In ihrem „Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050“ kommt die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass die kostengünstigsten Szenarien Emissionsminderungsziele gegenüber 1990 enthalten, und zwar von 25 % bis 2020, 40 % bis 2030 und 60 % bis 2040. |
2.8 |
Aufgrund ihrer potenziellen Wirkung auf die Erderwärmung sind fluorierte Treibhausgase im europäischen Klimaschutzrahmen erfasst. Die derzeitigen EU-Rechtsvorschriften über fluorierte Treibhausgase setzen sich hauptsächlich aus zwei Rechtsakten zusammen:
|
2.9 |
Der verstärkte Einsatz der EU für den Klimaschutz und die Umstellung auf eine CO2-arme Wirtschaft ist zu begrüßen, muss jedoch mit einem glaubwürdigen Sozialprogramm und den notwendigen Mitteln zur Unterstützung der Sektoren und Regionen flankiert werden, in denen aufgrund mangelnder Fortschritte der anderen großen Länder Arbeitsplätze verloren gehen. Angesichts des globalen wirtschaftlichen und energetischen Kontexts ist die Frage der Wettbewerbsfähigkeit eine äußerst heikle, insbesondere in den energieintensiven Exportsektoren. Die Anstrengungen zur Ökologisierung der europäischen Wirtschaft muss noch stärker auf Vorhaben zur Re-Industrialisierung ausgerichtet sein, die auf einer effizienten Ressourcennutzung, u.a. auch der Energie, und nachhaltigen und innovativen Technologien beruhen. |
3. Zusammenfassung und Begründung des Kommissionsvorschlags
3.1 Der Kommissionsvorschlag zielt darauf ab:
3.1.1 |
die Verordnung (EG) Nr. 842/2006 über bestimmte fluorierte Treibhausgase zu ersetzen, um einen kostenwirksameren Beitrag zum Erreichen der Klimaziele der EU sicherzustellen, indem die Abkehr von der Verwendung von F-Gasen mit starker Klimawirkung und die Zuwendung zu energieeffizienten und sicheren Alternativen gefördert und die Reduzierung und Entsorgung von Erzeugnissen und Einrichtungen, die F-Gase enthalten, verbessert werden; |
3.1.2 |
durch die Verbesserung der Vermarktungsmöglichkeiten für alternative Technologien und Gase mit geringer Klimawirkung nachhaltiges Wachstum zu fördern, Innovation anzuregen und für die Entwicklung grüner Technologien zu sorgen; |
3.1.3 |
die EU auf den Stand der jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf internationaler Ebene zu bringen, die im Vierten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) der UN, z.B. hinsichtlich der einbezogenen Stoffe und der Berechnung des Treibhauspotenzials (GWP), beschrieben sind; |
3.1.4 |
zur Einigung über ein internationales Abkommen über den allmählichen Ausstieg aus der Verwendung von teilfluorierten Kohlenwasserstoffen (HFKW), der bedeutendsten Gruppe der F-Gase, gemäß dem Montrealer Protokoll beizutragen; |
3.1.5 |
die Verordnung (EG) Nr. 842/2006 zu vereinfachen und eindeutiger zu machen, um den Verwaltungsaufwand im Einklang mit dem Engagement der Kommission für eine bessere Rechtsetzung zu verringern. |
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1 |
Der Ausschuss unterstützt ausdrücklich die Bemühungen der Europäischen Kommission, die Rechtsvorschriften für fluorierte Treibhausgase zu stärken; aufgrund ihres Treibhauspotenzials müssen weitere Anstrengungen zur Einschränkung ihrer Emissionen bei der Erzeugung und Verwendung in der EU unternommen werden. |
4.2 |
An der geltenden Verordnung ist inhaltlich nichts auszusetzen, ihre Umsetzung stieß jedoch auf zahlreiche Schwierigkeiten, die der Ausschuss großteils in seiner Stellungnahme aus dem Jahr 2004 ermittelt hat. Er fordert die Mitgliedstaaten auf, mehr für die Anwendung ihrer eigenen Entscheidungen zu tun. |
4.3 |
Der Ausschuss begrüßt die Initiativen der EU, verweist jedoch darauf, dass rasch ein globales Übereinkommen über fluorierte Treibhausgase erzielt werden muss, damit die gleichen Regeln für alle Wirtschaften gelten. |
4.4 |
Da es bereits technisch zuverlässige und wirtschaftlich rentable alternative Technologien gibt, kann die Stärkung der Rechtsvorschriften auf ein interessantes Kosten-Nutzen-Verhältnis gestützt werden, so dass ihre allgemeinen makroökonomischen Folgen äußerst begrenzt sind, einige bestimmte Sektoren ausgenommen. Die durch die Umsetzung der Verordnung entstehenden Kosten können einerseits durch Energieeffizienzgewinne und andererseits durch eine strategische Marktpositionierung innovativer Unternehmen wettgemacht werden. Obwohl die Kostenwirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen sorgfältig geprüft wurde, betont der Ausschuss, dass die mit der Umsetzung der Bestimmungen dieses Verordnungsvorschlags verbundenen Kosten so weit wie möglich begrenzt werden müssen. Darüber hinaus weist der Ausschuss darauf hin, dass der Energieverbrauch über den gesamten Lebenszyklus hinweg stärker berücksichtigt werden und in der Kosten-Nutzen-Analyse auf die etwaigen Nachteile der vorgeschlagenen alternativen Technologien eingegangen werden muss (Brennbarkeit, Explosionsgefahr, Toxizität und höhere Druckbereiche). Ferner könnte aufgrund der in einigen Sektoren wie dem Schienenverkehr vorgeschriebenen Sicherheitsniveaus die Verwendung alternativer Stoffe verhindert werden, auch wenn sie erfolgreich entwickelt werden konnten. Daher muss für diese Sektoren tatkräftig nach alternativen, ökologisch und wirtschaftlich brauchbaren Lösungen gesucht werden. |
4.5 |
Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten außerdem auf, Forschung und industrielle Innovation stärker zu unterstützen, insbesondere die Entwicklung von alternativen Technologien für fluorierte Treibhausgase. In der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ist die Innovationsförderung ein entscheidendes Element jedweder Re-Industrialisierungsstrategie. Gleichzeitig muss auch berücksichtigt werden, dass nicht gewährleistet ist, dass Substanzen bzw. Technologien zu vertretbaren Kosten entwickelt werden können, die grundlegende Aufgaben für das Funktionieren der Industriegesellschaften, beispielsweise Kühlung, übernehmen können. |
4.6 |
Der Ausschuss begrüßt, dass der Vorschlag einen Artikel zu Ausbildung und Zertifizierung enthält, mit dem die Wirksamkeit der Rechtsvorschriften gestärkt wird; er sollte außerdem Synergien mit den EU-Rechtsvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz fördern, da insbesondere auch die Risiken der alternativen Technologien aufgegriffen werden. Der Ausschuss hält jedoch fest, dass eine mangelnde angemessene Schulung der Arbeitnehmer oftmals ein großes Hindernis für die Umsetzung von Vorschriften ist. Sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Unternehmen müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, um die notwendigen Schulungsprogramme zur Vorbereitung der Arbeitnehmer auf die alternativen Technologien für fluorierte Treibhausgase zu konzipieren. Der besonderen Situation von KMU sollte ebenfalls Rechnung getragen werden; die finanzielle Belastung und der Bürokratieaufwand für Ausbildung und Zertifizierung sollten in Grenzen gehalten werden. |
4.7 |
Nach Meinung des Ausschusses müssen die in einigen Mitgliedstaaten entwickelten bewährten Verfahren zur Lösung der Problematik „fluorierte Treibhausgase“ als Vorbild herangezogen werden. |
5. Besondere Bemerkungen
5.1 |
Aufgrund der erheblichen Kosten für Reduzierungsmaßnahmen, d.h. Kontrollen auf Dichtheit, Leckage-Erkennung, Führung von Aufzeichnungen usw., für die Endnutzer, die oftmals KMU sind, ist der Ausschuss über die finanzielle Belastung besorgt, die die Bestimmungen für fluorierte Gase für diesen von der Wirtschaftskrise bereits arg gebeutelten Wirtschaftssektor bedeutet. Er betont, dass schon vor der Verwendung Maßnahmen ergriffen werden müssen, und fordert daher, durch eine Erhöhung der Anforderungen für das Design von Einrichtungen, die fluorierte Treibhausgase enthalten, Leckagen zu verhindern. |
5.2 |
Die in Artikel 7 Absatz 4 enthaltenen Verpflichtungen zur Rückgewinnung betreffen in einigen Fällen Haushaltsgeräte (Klimaanlagen, Wärmepumpen). Daher scheint es zweckdienlicher, die Mitgliedstaaten zur Entwicklung von Systemen für die getrennte Sammlung von fluorierte Substanzen enthaltenden Altgeräten gemäß den Grundsätzen der Richtlinie 2002/96/EG über Elektro- und Elektronik-Altgeräte anzuhalten. |
5.3 Ausbildung und Zertifizierung (Artikel 8)
5.3.1 |
Die Verpflichtung zur Aufstellung von Ausbildungsprogrammen ist auf Unternehmen beschränkt, die die in Artikel 8 Absatz 1 genannten Tätigkeiten für andere Parteien ausführen. Nach Meinung des Ausschusses sollten diese Ausbildungsprogramme auf sämtliche Unternehmen, die Tätigkeiten in Verbindung mit der Herstellung, Verbreitung und Installation von Geräten, die fluorierte Treibhausgase enthalten, ausführen, ausgerichtet sein. Er betont, dass sie außerdem auf die alternativen Technologien ausgeweitet werden müssen, um die Technologiewende zu fördern. |
5.3.2 |
Da diese Programme insbesondere Substanzen und Verfahren betreffen, die die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer gefährden können, sollten die Sozialpartner eng in die Aufstellung dieser Programme durch die Mitgliedstaaten eingebunden sein. Damit kann der Vorschlag in Einklang mit den Grundsätzen der EU-Rechtsvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gebracht werden. |
5.3.3 |
Da nicht sicher ist, wann dieser Verordnungsvorschlag endgültig angenommen wird, sollte das Datum, an dem die Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission ihre Ausbildungs- und Zertifizierungsprogramme mitteilen müssen, durch eine Fristsetzung in Verbindung mit dem Datum des Inkrafttretens der Verordnung ersetzt werden. |
5.4 Inverkehrbringen und Beschränkung der Verwendung
5.4.1 |
Ungeachtet der in Artikel 9, 11 und 12 vorgesehenen spezifischen Beschränkungen ist der allgemeine Ansatz des Verordnungsvorschlags eher auf eine schrittweise Verringerung (phasing down) bis 2030 als auf einen schrittweisen Ausstieg (phasing out) ausgerichtet. So ist in Artikel 13 eine Verringerung des Inverkehrbringens von teilfluorierten Kohlenwasserstoffen durch eine schrittweise Mengenbeschränkung vorgesehen, wobei nicht zwischen den verschiedenen von diesem Verordnungsvorschlag betroffenen Technologien unterschieden wird. |
5.4.2 |
Nach Ansicht des Ausschusses wäre es sinnvoller, eine Unterscheidung zwischen diesen Technologien zu treffen, um einen schrittweisen Ausstieg anstelle einer schrittweisen Verringerung zu bewerkstelligen, sofern dies technisch machbar und wirtschaftlich realistisch ist. Außerdem sollte langfristig ein Ziel für das Verbot von fluorierten Treibhausgasen festgelegt werden, das mit den Zielen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen in der EU bis 2050 und der Entwicklung von alternativen Technologien im Einklang steht. Für bestimmte Sektoren oder Untersektoren wie kommerzielle Kühlung oder große industrielle Kühlsysteme könnte ein Verbot für das Inverkehrbringen neuer Einrichtungen, die fluorierte Kohlenwasserstoffe enthalten, ab 2025 in Betracht gezogen werden. Nicht wieder auffüllbare Behälter (Spray- und Sprühdosen), die fluorierte Gase enthalten, sollten ebenfalls verboten werden, wobei es mögliche Ausnahmen für bestimmte unabkömmliche Verwendungszwecke (z.B. im medizinischen Bereich) geben könnte, für die bislang keine glaubwürdige Alternative besteht. |
5.4.3 |
Neben den offensichtlichen ökologischen Vorteilen des Verbots von stark klimawirksamen Technologien und trotz der damit verbundenen Kosten sind systematischere Bemühungen zur Ersetzung dieser Gase innovationsfördernd und ermöglichen es innovativen Unternehmen, einen Wettbewerbsvorteil auf den Märkten zu erzielen, die durch diese neuen Bestimmungen entstehen werden. |
5.5 |
In Bezug auf die Kennzeichnung ist festzuhalten, dass sie eine grundlegende Informationsquelle für die Arbeitnehmer, die die von diesem Verordnungsvorschlag betroffenen Einrichtungen bedienen, und die Endverbraucher über die Gefahren der genutzten Technologien ist. Für die Arbeitnehmer muss die technische Kennzeichnung ausführliche, klare und verbindliche Informationen enthalten, die für Installation, Wartung oder Außerbetriebnahme bei weitestmöglicher Begrenzung der Umweltrisiken erforderlich sind. |
5.6 |
Zur Maximierung ihrer Wirkung und aufgrund der technischen Komplexität dieses Themas sollten die Informationen für die breite Öffentlichkeit einfach und verständlich gehalten sein. Diesbezüglich sollten Synergien mit dem geltenden in der Richtlinie 2005/32/EG (Ökodesign-Richtlinie) verankerten System geschaffen werden, um dort, wo dies technisch möglich ist, ein harmonisiertes Ökokennzeichnungssystem auf europäischer Ebene zu bevorzugen. |
5.7 |
Die Beschränkungen, die den europäischen Erzeugern auferlegt werden, müssen auch für Importe in die EU gelten. Mit dem Verbot der Vorbefüllung von Einrichtungen können Einfuhren von fluorierten Treibhausgasen sowohl aus ökologischer als auch wirtschaftlicher Sicht effizient reguliert werden. Der Ausschuss wirft jedoch die Frage auf, ob die Befüllung in einer Industrieanlage kein besserer Garant für die Zuverlässigkeit ist, da sie mit Spezialausrüstung und von eigens für diese Aufgabe geschultem Personal vorgenommen wird. Er fordert daher, in der Verordnung ausdrücklich festzuhalten, dass das Verbot der Vorbefüllung nicht auf für den Export bestimmte Einrichtungen Anwendung findet. Außerdem fordert er die Ausarbeitung von Ausnahmeregelungen für das Verbot der Vorbefüllung von Einrichtungen, in denen eine derartige Vorbefüllung aus Gründen der Zuverlässigkeit, der Sicherheit und der Umweltleistung gerechtfertigt ist. |
5.8 |
Hersteller und Einführer von fluorierten Treibhausgasen müssen Quoten einhalten. Verbraucher und Einrichtungsbetreiber hingegen müssen keiner derartigen Verpflichtung nachkommen. Zur Verringerung des Verwaltungsaufwands wird als Grenzwert 1 metrische Tonne oder 1 000 Tonnen CO2-Äquivalent fluorierter Treibhausgase angelegt. Die ausgeführten Mengen werden nicht in die Quoten für die Inverkehrbringung eingerechnet. Die Zuweisung der Quoten beruht auf den Emissionen früherer Jahre. Eine Versteigerung ist als Alternative nicht vorgesehen, da zu wenige Akteure auf dem Markt tätig sind (es gibt einfach nicht genug Akteure für einen wirksamen Markt) und dieses Verfahren die Verwaltungskosten in die Höhe getrieben hätte. 5 % sind für „neue Marktakteure“ vorgesehen. Die Zuweisung der Quoten erfolgt auf der Grundlage der gemeldeten Mengen für 2008-2011. Die Verpflichtungen für Registrierung und Meldung müssen bewältigbar bleiben und dürfen keinen übermäßigen Verwaltungsaufwand für die Unternehmen, insbesondere die KMU, verursachen. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieses Quotensystems sollte ganz allgemein geprüft werden. |
5.9 |
Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, regelmäßig Berichte auf der Grundlage der gemäß Artikel 17 und 18 des Verordnungsvorschlags erfassten Daten vorzulegen. Diese Berichte sollten jedoch keinesfalls den vertraulichen Charakter der von den Unternehmen erhobenen Daten beeinträchtigen, die durch Rechte geistigen Eigentums geschützte industrielle Verfahren betreffen. Die Europäische Kommission sollte ebenfalls darauf achten, den mit der Datenerhebung in den Unternehmen und den Mitgliedstaaten verbundenen Bürokratieaufwand zu begrenzen. |
5.10 |
Mit Artikel 21 wird ein Ausschuss eingerichtet, der die Europäische Kommission bei der Ausübung ihres Rechts auf Erlass von delegierten Rechtsakten unterstützen soll. Alle betroffenen Interessenträger sollten in diesem Ausschuss vertreten sein, auch die Sozialpartner. |
5.11 |
Der Ausschuss bedauert, dass der Europäischen Kommission in Artikel 22 keine Zuständigkeit für die Kontroll-, Prüf- und Einhaltungsverfahren übertragen wird. Auch wenn Einhaltungsverfahren ein Vorrecht der Mitgliedstaaten sind, so wäre es zweckdienlich gewesen, dass die Europäische Kommission nach Vorbild der in Artikel 8 und 18 vorgesehenen Bestimmungen Mindestvorschriften erlassen kann. |
5.12 |
Der Ausschuss unterstützt die Absicht der Europäischen Kommission, die Verordnung auf Artikel 192 Absatz 1 AEUV als Rechtsgrundlage zu stützen, da mit dieser Verordnung vor allem ein hohes Umweltschutzniveau, insbesondere durch Klimaschutzmaßnahmen, gewährleistet werden soll. Er betont jedoch, dass die Integrität des Binnenmarktes durch die Umsetzung der Verordnung nicht beeinträchtigt werden darf. |
Brüssel, den 23. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/143 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für die Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates für das Kalenderjahr 2013
COM(2013) 159 final — 2013/0087 COD
2013/C 271/27
Hauptberichterstatterin: Dilyana SLAVOVA
Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 8. bzw. 16. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung des Anpassungssatzes für die Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 für das Kalenderjahr 2013
COM(2013) 159 final – 2013/0087 COD.
Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz am 16. April 2013 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.
Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) Dilyana SLAVOVA zur Hauptberichterstatterin und verabschiedete mit 124 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet die Festsetzung des Anpassungssatzes für 2013 im Rahmen des Mechanismus für die Haushaltsdisziplin gemäß Artikel 11 der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 (1). Er stellt jedoch fest, dass der auf dem vom Europäischen Rat am 8. Februar 2013 vereinbarten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) (2) beruhende Kommissionsvorschlag ohne die Zustimmung des Europäischen Parlaments nicht rechtsgültig ist. |
1.2 |
Nach Ansicht der EWSA könnten die Kommission und das Europäische Parliament die Möglichkeiten ausloten, die künftige Krisenreserve nicht aus GAP-Haushaltsmitteln zu bestreiten. Wenn die Reserve unter Kapitel 2 des MFR eingestellt werden soll, müsste dies durch zusätzliche Mittel abgedeckt werden. Das könnte darauf hinauslaufen, dass der Anpassungssatz für die Direktzahlungen niedriger ausfällt, als der von der Kommission vorgeschlagene Prozentsatz – was den Landwirten zugute käme. |
1.3 |
Der Ausschuss fordert den Rat, das Parlament und die Kommission nachdrücklich auf, alles daran zu setzen, zeitnah einen endgültigen Kompromiss zu erzielen und damit die erforderliche Rechtssicherheit zu schaffen, die nicht nur die Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, sondern alle Akteure in sämtlichen EU-Wirtschaftszweigen für ihre eigene Finanzplanung brauchen. |
2. Hintergrund der Stellungnahme
2.1 |
Damit die Mittelbeträge zur Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) mit dem MFR in Einklang stehen, wird die Höhe der Direktzahlungen im Wege eines Mechanismus für die Haushaltsdisziplin angepasst, wenn die Prognosen erkennen lassen, dass die jährlichen Teilobergrenzen für die marktbezogenen Ausgaben und Direktzahlungen gemäß Rubrik 2 des MFR überschritten werden. |
2.2 |
In der Regel erhalten Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe, die ihren Beihilfeantrag auf Direktzahlungen in einem bestimmten Kalenderjahr N einreichen, ihre Beihilfezahlung innerhalb einer festgelegten Zahlungsfrist, die in das Haushaltsjahr N+1 fällt. In Bezug auf das Kalenderjahr 2013 bedeutet dies, dass die Zahlungsfrist unter den MFR für die Jahre 2014-2020 fallen wird, der noch nicht angenommen wurde. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
In Anbetracht der Auswirkungen einer ungleichen Verteilung der Direktzahlungen zwischen kleinen und großen Begünstigten legt der EWSA großen Wert darauf, dass die auch in Zukunft nur Beträge über 5 000 EUR gekürzt werden. |
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. L 30 vom 31.1.2009, S. 16.
(2) EUCO 37/13.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/144 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Ein menschenwürdiges Leben für alle: Beseitigung der Armut und Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft für die Welt“
COM(2013) 92 final
2013/C 271/28
Berichterstatterin: Evelyne PICHENOT
Die Europäische Kommission beschloss am 18. März 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein menschenwürdiges Leben für alle: Beseitigung der Armut und Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft für die Welt
COM(2013) 92 final.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 25. April 2013 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 23. Mai) mit 103 Stimmen bei 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Verschmelzung der beiden parallelen Prozesse MDG und SDD in einem Post-2015-Handlungsrahmen
1.1.1 |
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte verfügt die Menschheit über Wissen, Ressourcen und Verfahren, um die Armut in der Welt bis 2030 zu beseitigen. Darin liegt eine unermessliche Hoffnung für über eine Milliarde Menschen, die nach wie vor in extremer Armut gefangen sind. Zum ersten Mal werden auch die Staaten vor dem Zeithorizont 2050 in die Pflicht genommen, das als begrenzt erkannte natürliche Kapital der Erde besser zu verwalten, zu schützen und mit den künftigen Generationen zu teilen. |
1.1.2 |
Im September 2013 beginnen im Rahmen der Vereinten Nationen Verhandlungen über universal gültige Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG), um langfristig Armutsbekämpfung, Nachhaltigkeit bei Produktion und Verbrauch und den Schutz der natürlichen Ressourcen miteinander zu vereinbaren. Dieser Prozess muss integrativ und konvergent angelegt sein, um eine Verschmelzung mit einer Anschlussvereinbarung nach dem Auslaufen der Millenniumsentwicklungsziele (MDG) nach 2015 zu ermöglichen. Die Vertreter der Zivilgesellschaft, internationale Institutionen und die UN-Mitgliedstaaten bringen sich bereits aktiv in die Vorbereitung und Begleitung dieses internationalen Verhandlungsprozesses ein. Seit Rio+20-Konferenz (1) nimmt der Ausschuss engagiert an der Debatte um die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Bewältigung dieser Herausforderungen Teil. Er wird die Entwicklung bis 2015 durch weitere Stellungnahmen (2) und Initiativen begleiten. |
1.1.3 |
Der Ausschuss heißt die Entscheidung der Kommission gut, die europäische Debatte über die notwendige Verschmelzung der MDG und SDD und die Selbstverantwortung der Staaten durch die Vorlage der Mitteilung Ein menschenwürdiges Leben für alle: Beseitigung der Armut und Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft für die Welt einzuleiten. Die MDG haben zwar anerkanntermaßen soziale Fortschritte ermöglicht, indes ist es noch zu früh, Umweltziele und auch für alle Länder annehmbare wirtschaftlicher Ziele zu formulieren. Nach Meinung des Ausschusses ist es wichtig, zunächst besser zu verstehen, wie die drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung ineinandergreifen, um dann gerechte, einfache und wirksame Lösungen zu entwickeln. |
1.2 Empfehlungen für einen konvergenten und inklusiven Prozess
1.2.1 |
Die Mitteilung der Kommission ist nach Ansicht des Ausschusses ein Markstein in der Debatte in den Institutionen und den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Erarbeitung eines gemeinsamen Standpunkts der EU für die UN-Generalversammlung. Der Ausschuss begrüßt die Zusammenarbeit der GD Umwelt und der GD DEVCO (3) und den Beitrag des Europäischen Auswärtigen Dienstes zum Thema Sicherheit als Ausdruck der notwendigen Kohärenz bei der Erarbeitung dieser Mitteilung, wobei eine stärkere Einbeziehung der handelspolitischen Aspekte durchaus wünschenswert gewesen wäre. Insbesondere bejaht der Ausschuss die enge Abstimmung im Europäischen Rat und appelliert an ihn, anlässlich der Tagung des Rats für Auswärtige Angelegenheiten im Mai/Juni 2013 ein einziges Dokument übergeordneter Schlussfolgerungen vorzulegen. |
1.2.2 |
Der Ausschuss betont, dass die Präferenz für einen einzigen übergeordneten Handlungsrahmen, dessen Ziele in jedem Mitgliedstaat umzusetzen sind, durch einen breiten Konsens innerhalb der EU getragen werden muss; erst dann kann er den Partnerländern in der internationalen Gemeinschaft vermittelt und insbesondere den ärmsten Ländern sowie den ca. 100 Ländern mit mittlerem Einkommen, darunter den Schwellenländern, die in den internationalen Verhandlungen nunmehr eine führende Rolle übernehmen, überzeugend als gleichberechtigte Partnerschaft angetragen werden. Angesichts der komplexen Verhandlungen sieht der Ausschuss den europäischen Standpunkt als Meilenstein in diesem diplomatischen Prozess, der die althergebrachte Unterscheidung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hinter sich lässt. |
1.2.3 |
Der Ausschuss appelliert an die EU, sich in internationalen Foren und über die Mitgliedstaaten im Rahmen der Vereinten Nationen für die Verknüpfung der MDG und SDG einzusetzen. Jedes Land muss unter Einbeziehung seiner Zivilgesellschaft eine inklusive nationale Entwicklungsstrategie aufstellen, die den jeweiligen Ausgangsbedingungen Rechnung trägt und somit die Erreichung gemeinsamer Nachhaltigkeitsziele ermöglicht. Damit müssen nach Ansicht des Ausschusses Verfahren zur Bewertung und Überwachung der Umsetzung der in einem globalen Register zu erfassenden nationalen Verpflichtungen und eine Verbesserung der statistischen Indikatoren über das BIP hinaus einhergehen. |
1.2.4 |
Die EU verfügt über Werte, Konsenserfahrung und weitere Vorteile, die es ihr, sofern der notwendige politische Wille vorhanden ist, ermöglichen sollten, konsequent den Kurswechsel hin zu mehr Nachhaltigkeit zu vollziehen und ihre internationalen Partner mitzuziehen. Wie die in dem umfangreichen Anhang der Mitteilung aufgelisteten geplanten Maßnahmen verdeutlichen, ist die Europäische Union nach wie vor richtungweisend in Sachen Umweltpolitik, Wahrung der Menschenrechte, Transferleistungen für territorialen Zusammenhalt oder Umverteilung für soziale Sicherheit. Mit dem Anhang wird ein Rahmen für die Überwachung der Einhaltung der mit Rio+20 eingegangenen Verpflichtungen auf europäischer und internationaler Ebene abgesteckt. |
1.2.5 |
Die SDD werden universal formuliert und müssen dann in europäischen Politiken und nationalen Reformprogrammen der Mitgliedstaaten aufgehen. Diese Sichtweise sollte in die Halbzeitbewertung der Strategie Europa 2020 im Einklang mit der Überwachung der Einhaltung der mit Rio+20 eingegangenen Verpflichtungen einfließen. Von der Ökologisierung des Europäischen Semesters sind neue Impulse zu erwarten (4). Nach Meinung des Ausschusses muss deshalb eine Verschmelzung der Strategie Europa 2020 und der Nachhaltigkeitsstrategie stattfinden und eine eng mit der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion verbundene soziale Union (5) angestrebt werden. |
1.2.6 |
Die neuen Nachhaltigkeitsziele zeichnen sich dadurch aus, dass sie universal und für alle Länder gültig sein und den planetarischen Grenzen Rechnung tragen sollen. In Anbetracht der Endlichkeit von Böden, Süßwasser, Wäldern und vielen anderen natürlichen Ressourcen weltweit müssen die SDG auch auf eine effizientere Nutzung und gerechtere Teilung dieser Ressourcen abheben. Desgleichen müssen am Grundsatz der Gerechtigkeit ausgerichtete Zielsetzungen für die Senkung der Klimagasemissionen und die Verringerung anderer Formen der Verschmutzung aufgestellt werden. Dadurch wiederum sollte die längst vereinbarte globale Zielvorstellung eines Wandels hin zu mehr Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch quantifiziert und in einen Zeitrahmen gefasst werden. Wenn diese Umstellung auf eine nachhaltigere Wirtschaft nicht weltweit vollzogen wird, kann es sich letztendlich für Entwicklungsländer als unmöglich erweisen, Entwicklungsziele nach Art der MDG zu erreichen, da gegenwärtig Fortschritte bei diversen traditionellen Entwicklungszielen immer wieder durch die weltweit wachsenden Probleme der Ressourcenerschöpfung, des Klimawandels und anderer Formen von Umweltverschmutzung untergraben werden. |
1.2.7 |
Die Probleme des Überkonsums, der Verschwendung und Erschöpfung der natürlichen Ressourcen sowie der Umweltverschmutzung gehen größtenteils auf das Konto der Industrie- und Schwellenländer. Sie sind also in besonderem Maße von den SDG betroffen, die auf mehr Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch abheben und in anspruchvolle und ehrgeizige Fortschrittsziele für die kommenden 15 Jahre gefasst werden sollten. Die Europäische Union, die sich auf diesem Gebiet stets aktiv engagiert hat, sollte vorpreschen und geeignete Nachhaltigkeitsziele für die entwickelte Welt aufstellen. |
1.3 Empfehlungen für einen partizipativen Prozess unter Mitwirkung der Zivilgesellschaften
1.3.1 |
Der Ausschuss hebt hervor, dass aus all den genannten Stellungnahmen ein Kernbestand an Empfehlungen abgeleitet werden kann, die sich auf die Rolle der Zivilgesellschaft im Rahmen einer verantwortungsvollen Regierungsführung, die Unterstützung der Umstellung auf ein neues Wirtschaftsmodell, den Schutz der ärmsten und schwächsten Gruppen, die Begleitung der Arbeitnehmer während des Wandels sowie die Berücksichtigung von Klimaschutzmaßnahmen und die Grenzen der Ressourcen des Planeten erstrecken. Das Zusammenspiel zwischen einer autonomen und starken Zivilgesellschaft und einem Rechtssystem, das ihre Unabhängigkeit gewährleistet, ist dem Ausschuss zufolge die Voraussetzung für Demokratisierung und einen Rechtsstaat und trägt zu der notwendigen Stabilität für Investitionen und nachhaltiges Wachstum (6) bei. |
1.3.2 |
Der Ausschuss fordert die Kommission und auch die Mitgliedstaaten auf, die Zivilgesellschaft während der gesamten Dauer des Prozesses, von der Entwicklung über die Durchführung bis zur Überprüfung, einzubeziehen, denn vor allem im SDG-Prozess wirkt die Zivilgesellschaft noch nicht ausreichend mit. 2013 und 2014 sollten hierzu nationale Debatten unter Einbeziehung aller Elemente der Zivilgesellschaft, u.a. im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialräte und/oder der Nachhaltigkeitsräte, sowie Debatten mit der europäischen Zivilgesellschaft und der Zivilgesellschaft der Partnerländer beitragen. Diese Tätigkeiten sind auch im Hinblick auf das Europäische Jahr der Entwicklungszusammenarbeit 2015 relevant, um eine gemeinsame Vision einer künftigen Welt zu erarbeiten und den Bürgern die Sinnhaftigkeit des europäischen auswärtigen Handelns zu vermitteln (7). In Bezug auf dieses Europäische Jahr der Entwicklung fordert der Ausschuss die Kommission auf, genügend Ressourcen zu mobilisieren, eine aktive Mitwirkung der Zivilgesellschaft sicherzustellen, vor allem bei bestehenden Initiativen anzusetzen, die von den Partnern dieses Europäischen Jahres getragen werden, und Grundsatzdebatten über die in dieser Stellungnahme erörterten Themen zu fördern. |
1.3.3 |
Die Zivilgesellschaften müssen sich gegenüber nationalen Entscheidungsträgern und internationalen Diplomaten für ein alternatives Wirtschaftsmodell einsetzen, bei dem das Niveau der Wirtschaftstätigkeiten von der menschlichen Entwicklung und dem Druck auf die Umwelt entkoppelt wird. Der Ausschuss empfiehlt, insbesondere während des Europäischen Jahres der Entwicklungszusammenarbeit 2015 Wissen und Lernerfahrungen mit den Zivilgesellschaften der Partnerländer und –regionen zu teilen; er verfügt diesbezüglich über umfangreiche Erfahrungen. |
1.3.4 |
Er fordert die Organisationen der Zivilgesellschaft auf, sich in die internationalen Konsultationen, Länderkonsultationen und thematischen Konsultationen einzubringen und sich mit ihren Ergebnissen zu befassen; diesbezüglich ist die aktuelle, von UNDP und UNEP eingeleitete thematische Konsultation über ökologische Nachhaltigkeit unter www.worldwewant2015.org/sustainability von Interesse. |
1.3.5 |
Der Ausschuss empfiehlt ferner, dass sich die Post-2015-Agenda systematischer auf Folgenabschätzungen, auf Überprüfungen insbesondere mithilfe der zivilgesellschaftlichen Organisationen stützt (bspw. bei den Themen Menschenrechte, Ökosysteme oder Arbeitsbedingungen). Auch der soziale Dialog, der für die Wahrung der Menschenrechte am Arbeitsplatz steht, ist ein wesentliches Instrument für die Durchführung, Überprüfung und Bewertung der MDG/SDG. |
1.3.6 |
Der Zivilgesellschaft kommt eine wichtige Rolle bei der Planung, Überprüfung und Bewertung zu. Die europäische Zivilgesellschaft muss sich die erforderlichen Informationen aneignen, um die innere Kohärenz der europäischen entwicklungspolitischen Maßnahmen überwachen zu können, die im Vertrag von Lissabon festgeschrieben ist. Der Ausschuss empfiehlt, die Zivilgesellschaft an der Auswahl der das BIP ergänzenden Indikatoren, an der Bekämpfung der Korruption, an Friedensverhandlungen sowie an der Ausarbeitung nationaler Strategiepläne zu beteiligen und praxisorientierte soziale Innovationen zu fördern. |
1.3.7 |
Um den europäischen Führungsanspruch bei der Umstellung auf ein anderes Wirtschaftsmodell zu festigen, empfiehlt der Ausschuss die Einrichtung eines Multistakeholder-Beratungsforums (8) zur Förderung von Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch in der EU. In jedem Bereich müssen die einzelnen Etappen eines vereinbarten Wandels abgesteckt werden, der durch Begleitmaßnahmen für die betroffenen Branchen, Unternehmen, Regionen und Arbeitnehmer abgefedert wird. |
1.3.8 |
Bei der Umsetzung dieser künftigen Agenda sollte dem Ausschuss zufolge ein Ansatz gewählt werden, der auf der Stärkung der Partnerschaften zwischen Akteuren, bspw. hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen und Männern, aufbaut. Zusammenarbeitsformate auf der Grundlage freiwilliger Vereinbarungen/Partnerschaften zwischen Akteuren über Ziele, die alle Ebenen in die Pflicht nehmen, könnten angeregt werden. Ein Beispiel wären in Zusammenarbeit von Akteuren des öffentlichen und privaten Bereichs und Verbänden entwickelte Initiativen zur gemeinsamen Verwirklichung spezifischer Ziele in einem städtischen oder regionalen Umfeld. Diese Art innovativer Verfahrensweisen ist unverzichtbar, um Armut in ihren verschiedenen Dimensionen zu erfassen. Solche vertraglichen Vereinbarungen könnten auch im Rahmen von Süd-Süd-Kooperationen mit finanzieller Unterstützung des Nordens getroffen werden. |
1.4 Empfehlungen zu den Perspektiven einer Post-2015-Agenda
1.4.1 |
Die Post-2015-Agenda steht für einen Paradigmenwechsel weg von Entwicklungshilfe und internationaler Zusammenarbeit. Sie muss als Prozess angelegt werden, der alle Länder in den Kurswechsel hin zu einer inklusiven, grünen und emissionsarmen Wirtschaft einbindet. Der Ausschuss stimmt der in der Mitteilung getroffenen Aussage zu: „Weitere Fortschritte hin zur Schaffung einer inklusiven grünen Wirtschaft durch Förderung nachhaltiger Verbrauchs- und Produktionsmuster und erhöhte Ressourceneffizienz, einschließlich insbesondere emissionsarmer Energiesysteme, sind daher unabdingbar.“ |
1.4.2 |
Kohärenz zwischen Finanz-, Wirtschafts- und Migrationspolitik: Neben wirtschaftlichen Erwägungen sind kohärente Maßnahmen in anderen Bereichen unverzichtbar, um den Wandel hin zu einer nachhaltigen Entwicklung zu bewerkstelligen: eine CO2-Steuer und weitere Klimaschutzanreize, die Förderung von befristeter oder zirkulärer Migration aus armen Ländern, strenge Kontrolle von Waffenausfuhren in Entwicklungsländer und eine Regulierung des Finanzsektors zur Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung. |
1.4.3 |
Nachhaltigkeitsziele bewegen sich im Spannungsfeld zwischen der individuellen und kollektiven Entwicklung einerseits und dem ökologischen Gleichgewicht andererseits. Um dieses Spannungsfeld aufzulösen und die drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung ins Gleichgewicht zu bringen, muss eine Weltinnenpolitik einer internationalen Gemeinschaft aus souveränen Staaten für die Erhaltung der globalen Allmende sorgen. Darin liegt die große Herausforderung der künftigen Agenda. |
1.4.4 |
Die globalen öffentlichen Güter als ein wesentlicher Themenschwerpunkt bei der Post-2015-Agendasetzung erfordern eine engere Abstimmung zwischen den internationalen Institutionen und globalen Politiken. Die EU muss dabei eine ihr gebührende Rolle einnehmen. Der Ausschuss hat in diversen Stellungnahmen Lösungen für die Berücksichtigung der globalen öffentlichen Güter skizziert, insbesondere Ernährungssicherheit (9), grundlegender Sozialschutz, multilaterale Handels– und Investitionsregulierung, Schutz des Klimas und der biologischen Vielfalt. |
1.4.5 |
Der Ausschuss bedauert, dass die Kommission in ihrer Mitteilung Ein menschenwürdiges Leben für alle nur am Rande auf diese Problematik eingeht, und fordert, in der für Mitte 2013 geplanten Mitteilung über ein integriertes EU-Konzept für die Finanzierung zu berücksichtigen, dass angemessene Finanzierungsquellen vorgesehen werden müssen. Ziel der öffentlichen Entwicklungshilfe muss weiterhin die Bekämpfung der Armut sein. Bei dem Konsultationsprozess über die europäische Finanztransaktionssteuer, die 2013 zunächst in 11 EU-Mitgliedstaaten eingeführt wird, sollten vor allem globale Aspekte zum Tragen kommen. |
1.4.6 |
In keinem Fall darf die Erwartung einer internationalen Vereinbarung über die Festlegung der globalen Nachhaltigkeitsziele als Vorwand dienen, die Finanzhilfe-Verpflichtungen der Industrieländer aufzuschieben oder zu verringern. Der Ausschuss befürchtet, dass die Entwicklungshilfe einbrechen könnte, wenn die MDG 2015 ohne Anschlussvereinbarung auslaufen. Um dem entgegenzuwirken, empfiehlt er, dass für überarbeitete MDG dann in jedem Fall ausreichende Finanzmittel vorgesehen werden (10). Der Ausschuss appelliert an die EU und die Mitgliedstaaten, trotz der angespannten Haushaltslage ihren Verpflichtungen nachzukommen und sich zu bemühen, in der nächsten Etappe im Schnitt 0,7% des BIP für Entwicklungshilfe aufzuwenden. |
1.4.7 |
Die MDG müssen überholt und unter Berücksichtigung der Ergebnisse und gemachten Erfahrungen an die neuen Problemstellungen des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Nach Meinung des EWSA sind von vornherein mindestens drei Themen hinzuzufügen, namentlich der Zugang zu Energie für alle (11), das Recht auf Nahrung und Wasser und ein grundlegender Sozialschutz (12). Zudem müssen die Schaffung menschenwürdiger Arbeit, die seit Anfang 2006 Teil der MDG ist, und die unabdingbare Notwendigkeit, die Agrarentwicklung in den Mittelpunkt der Armutsbekämpfung zu stellen, als Prioritäten bekräftigt werden. Zudem kann die Verschmelzung der beiden Agenden im Zuge dieser Überarbeitung in Angriff genommen werden, sozusagen als erste Etappe auf dem Weg zu einer künftigen übergeordneten Agenda. Freilich herrscht derzeit ein von Zweifeln geprägtes Spannungsfeld zwischen dem, was ideale Agendensetzungen wären, und dem, was in der Praxis erreichbar ist. |
1.4.8 |
Der Ausschuss schlägt vor, bei dieser Überarbeitung der MDG in einem spezifischen Entwicklungsansatz für die fragilen oder von Konflikten betroffenen Länder den Schwerpunkt vorrangig auf den Wiederaufbau von Institutionen zu legen, um zunächst im Rahmen einer verantwortungsvollen Regierungsführung für Sicherheit und bürgernahe Justiz zu sorgen. |
2. Lehren aus der Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele
2.1 |
Anhaltende Gültigkeit der Millenniums-Erklärung: Die Millenniums-Erklärung bewahrt ihren politischen und symbolischen Stellenwert als Pakt zwischen allen, reichen wie armen, Ländern, der sogar über 2015 hinausreicht. Sie muss Grundlage der künftigen Agenda bleiben, denn in ihr werden die großen Herausforderungen und die Grundwerte formuliert, die die internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert untermauern müssen: Frieden, Sicherheit, Abrüstung, Schutz unserer gemeinsamen Umwelt, Menschenrechte, Demokratie, verantwortungsvolle Regierungsführung, Schutz der Schwachen, besondere Berücksichtigung der Bedürfnisse Afrikas, Recht auf Entwicklung und Notwendigkeit der Schaffung der Voraussetzungen für Entwicklung. Gleichsam als Spiegel der Rio-Deklaration von 1992 hatte diese Erklärung bereits die verschiedenen Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung vernetzt. |
2.2 |
Die einfach und eingängig formulierten MDG haben trotz einer gemischten Bilanz zur Sensibilisierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit in den Industrieländern beigetragen. Nun bleibt abzuwarten, ob diese Unterstützung der Öffentlichkeit sich auch in einer Erhöhung der Entwicklungshilfe, einer wirksamen Korruptionsbekämpfung, einer Umorientierung hin zu den Ländern mit dem größten Entwicklungsrückstand oder einer Anpassung an fragile, von kriegerischen Auseinandersetzungen oder inneren Konflikten betroffene Länder niederschlägt. |
2.3 |
Regionale Unterschiede, Ungleichheiten und Armut: Im Zusammenhang mit dem Armutsindex hegt der Ausschuss Vorbehalte gegen die Bemessungsgrenze für extreme Armut – weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag – und die Verknüpfung mit nationalen Zahlen. Diese Bemessungsgrundlagen verdecken tiefgreifende Ungleichheiten innerhalb der nationalen Gesellschaften sowie regionale Unterschiede vor allem zu Lasten der ländlichen Bevölkerung, die in die Lage versetzt werden müsste, weiter auf dem Land zu leben, denn ländliche Entwicklung ist notwendig, um einen Teil des Bevölkerungswachstums der kommenden Jahrzehnte aufzufangen. Dagegen verschlimmert eine unkontrollierte Verstädterung die zunehmende städtische Armut weiter. Diesbezüglich sind verstärkt qualitative Analysen nötig. |
2.4 |
Die Gleichstellung der Geschlechter ist nach wie vor wesentliche Voraussetzung für jeglichen Wandel (13), nicht nur, weil sie die Lage der Frauen verbessert, sondern auch, weil die Benachteiligung der Frauen alle anderen Ungleichheiten bedingt und verschlimmert. Strategien zur Förderung der Gleichstellung bzw. die Rechte der Frauen sind Voraussetzung für gesellschaftlichen Wandel. Der Beitrag der Frauen zu Frieden, Entwicklung, wirtschaftlicher Tätigkeit und Sicherheit wird zum Gewinn für eine künftige Agenda. Diese Werte müssen von Männern wie auch Frauen anerkannt werden. |
2.5 |
Quantitative Ergebnisse und methodologische Instrumente: Der neue Fahrplan muss in relevante Ziele und Fortschrittsindikatoren münden. Die regelmäßig veröffentlichten MDG-Fortschrittsberichte haben erhebliche Fortschritte, aber auch Mängel zutage gebracht. Die Qualität der Bewertungen ist ein entscheidender Vorteil für diese Zielsteuerungsmethodik. Die künftige Agenda erfordert eine Verbesserung und Angleichung der nationalen Statistikinstrumente und insbesondere der Erhebung geschlechtsspezifischer Daten und Daten betreffend Menschen mit Behinderungen. Dazu ist es notwendig, das Personenstandswesen zu verbessern und qualitative Erhebungen insbesondere zum Bildungsstand durchzuführen. |
2.6 |
Über das BIP hinaus: Im Rahmen der Post-2015-Agenda sollte die Messung des Wohlergehens mit Nachhaltigkeitsindikatoren (14), d.h. einem begrenzten Set wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Indikatoren, anstelle des BIP oder eines einzigen aggregierten Indikators erfolgen. Das BIP mit anderen Indikatoren zu verknüpfen ist auf internationaler Ebene möglich; Vergleichbares wurde bereits bei der Definition der LDC mit der Heranziehung des Human Assets Index (der das Niveau der Entwicklung menschlicher Ressourcen misst) und des Economic Vulnerability Index (der die wirtschaftliche Anfälligkeit misst), beim Index für menschliche Entwicklung (HDI) und jüngst bei dem die Ungleichheit einbeziehenden Index für menschliche Entwicklung (IHDI) erreicht. Um die Kluft zwischen Wirtschaftspolitik, Wohlergehen und sozialem Fortschritt zu schließen, müssen Indikatoren herangezogen werden, die das BIP ergänzen. Fortschritt muss unter neuen Gesichtspunkten gemessen werden, indem in die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen eine soziale und ökologische Dimension integriert wird und zusammengesetzte Indikatoren verwendet sowie Kernindikatoren eingeführt werden. Um die politischen und finanziellen Optionen mit adäquaten Indikatoren zu verknüpfen, müssen noch Instrumente für die Messung von Wirksamkeit und Rechenschaftspflicht entwickelt werden. Die Messung von Wohlergehen und Fortschritt ist kein ausschließlich technisches Problem. Das Verständnis von Wohlergehen spiegelt die Präferenzen und Grundwerte einer Gesellschaft wider. Eine Möglichkeit, die Entwicklung dieser Indikatoren voranzubringen, wäre es, die Bürger und zivilgesellschaftlichen Organisationen an den wissenschaftlichen Arbeiten im Hinblick auf deren Definition und Zweckmäßigkeit zu beteiligen. |
2.7 |
Es ist Aufgabe der Behörden, der Regierungen und Gebietskörperschaften, für eine grundlegende soziale Absicherung gegen die großen Lebensrisiken, vor allem in den Bereichen Gesundheit und Behinderung, Altersversorgung und Arbeitslosigkeit zu sorgen. Die Organisationen der Zivilgesellschaft (Gewerkschaften, NGO, Stiftungen, Gegenseitigkeitsgesellschaften, Genossenschaften, KMU, Familien- und Verbraucherverbände) können vertragliche Vereinbarungen mit den Behörden abschließen, um bei der Planung, Überprüfung und Bereitstellung von Diensten eine ergänzende oder sogar entscheidende Rolle zu übernehmen sowie öffentliche finanzielle Unterstützung zu erhalten, insbesondere in Entwicklungsländern. |
3. Menschenrechte, Einbeziehung der Zivilgesellschaften, Demokratisierung und vertragliche Vereinbarungen/Partnerschaften zwischen Akteuren als zentrale Aspekte der Post-2015-Agenda
3.1 |
Demokratisierung und Menschenrechte, Fundament des Wandels hin zu inklusiven Gesellschafts- und nachhaltigen Wirtschaftsmodellen: Die kontinuierliche Unterstützung von Demokratisierungsbemühungen bereitet am sichersten den Weg zu transparenten Gesellschaften, die ihren Bürgern gegenüber Rechenschaft ablegen. In den offenen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts ist keine größere Veränderung denkbar ohne Partizipation, Eigenverantwortlichkeit, Unterstützung und Mitverantwortung der betroffenen Akteure. Mit Blick auf das Finanzierungsinstrument für die weltweite Förderung der Demokratie und der Menschenrechte und die Mitteilung über die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit begrüßt der Ausschuss, dass der Entwicklung einer unabhängigen Zivilgesellschaft (15) immer mehr Bedeutung eingeräumt und damit die Bekämpfung jedweder Korruption, die Rechenschaftspflicht gegenüber den Bürgern, die Einbeziehung der wirtschaftlichen Akteure in die Folgenabschätzungen und in die Überwachung von Handelsvereinbarungen, die Stärkung der Warnkapazitäten auf dem Gebiet des Schutzes der Frauenrechte und die Unterstützung von Umweltschützern gefördert wird. |
3.2 |
Transparenz und Rechenschaftspflicht der Partnerländer, Grundlagen der künftigen Agenda: Die MDG und die daraus resultierende Agenda zur Steigerung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (Grundsätze von Paris, Accra und Busan) haben dazu beigetragen, die gegenseitige Rechenschaftspflicht der Partnerländer zu verstärken und die Berücksichtigung der besonderen Voraussetzungen in fragilen Staaten zu fördern. Jedoch müssen in der künftigen Agenda die Mängel der Zusammenarbeit behoben und das Verhältnis zwischen Geberländern und Nehmerländern zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe werden. Insbesondere muss der Lage in Ländern Rechnung getragen werden, die aufgrund von internen Konflikten oder Kriegen oder Naturkatastrophen fragil sind, indem zunächst gezielt vorrangig der institutionelle Wiederaufbau sowie die Gewährleistung von Sicherheit und die Verbesserung von Polizei und Justiz angegangen werden. |
3.3 |
Eine Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften und Förderung einer breit angelegten Verständigung zwischen Akteuren und internationalen Netzwerken: Ein viele Interessenträger umfassender Ansatz bewegt die Entwicklungspartner des Nordens wie des Südens, sich vom traditionellen Diplomatiekonzept und den Vereinbarungen auf Regierungsebene zu lösen. Durch vertragliche Vereinbarungen oder formelle Partnerschaften zwischen verschiedenen Interessenträgern, in denen sie sich auf Ziele und Mittel verpflichten, kann eine stärkere Einbeziehung der Zivilgesellschaft erreicht werden. Dies setzt voraus, dass bereits bei der Aufstellung der Ziele, dann aber auch bei ihrer Umsetzung und Überwachung Initiativen von Städten und Kommunen (bspw. European Green Cities Network, Transition-Town-Bewegung), von zivilgesellschaftlichen Organisationen (Nichtregierungsdiplomatie wie der People's Summit in Rio), von Unternehmen aller Art (Initiativen für verantwortungsvolle Unternehmensführung bzw. zur Sozialwirtschaft), von internationalen Gewerkschaftsverbänden (Schlüsselakteure für das Ziel der Schaffung menschenwürdiger Arbeit) sowie von Hochschulen und Forschungszentren besser berücksichtigt werden. Der Ausschuss empfiehlt, in der künftigen Agenda die vertraglichen Vereinbarungen zwischen öffentlichen und privaten Partnern und Verbänden anzuerkennen und aufzuwerten und auch den zahlreichen, von den Bürgern ausgehenden internationalen Solidaritätsinitiativen Rechnung zu tragen. Eine Einbindung dieser Vielfalt an Akteuren auf Augenhöhe ist unverzichtbare Voraussetzung für eine wirksamere und inklusivere Governance, bei der die Stimme der Ärmsten zu Gehör kommt. |
3.4 |
Wie andere Beobachter auch plädiert der Ausschuss für entscheidende Verbesserungen in den Bereichen gute Regierungsführung und stabile demokratische Institutionen, um die Eigenverantwortlichkeit der Partnerländer für ihre nationale Entwicklungsstrategie zu erhöhen. Die MDG haben die Zivilgesellschaft in einigen Entwicklungsländern in die Lage versetzt, sich als Akteure zu etablieren und Anfragen zu Investitionsentscheidungen und öffentlichen Ausgaben an ihre Regierungen zu richten. Im Rahmen der verstärkt inklusiven künftigen Agenda müssen sie enger an der Erarbeitung der strategischen Dokumente zur Bekämpfung der Armut mitwirken, innovative Lösungen für bspw. menschenwürdige Arbeit oder Sozialschutz zur Debatte stellen und durch die dabei erworbene Sach- und Planungskompetenz zu einer verantwortungsvolleren Regierungsführung beitragen. Der Ausschuss empfiehlt, einen Teil der Handelsbeihilfen auf die Verbesserung der Kompetenzen der Sozialpartner und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Handelsfragen zu lenken, damit sie dazu beitragen können, Handelsfragen und Ernährungssicherheit in die nationale Entwicklungsstrategie einzubeziehen. |
4. Einen breiten Konsens über den Wandel hin zu einer nachhaltigen Entwicklung schmieden
4.1 |
Globale Governance und ökologische, soziale und wirtschaftliche Gemeingüter: Güter bzw. Leistungen wie Luft, Wasser, Meere, Ökosysteme, menschenwürdige Arbeit, soziale Absicherung, Ernährungssicherheit oder Handelsregeln usw. sind weltweite Anliegen und werden daher in der Mitteilung als „unentbehrliche Säulen des Lebens“ anerkannt und im Anhang aufgelistet. Diese globalen öffentlichen Güter (16) müssen im Rahmen einer Weltinnenpolitik zu den drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung in die Post-2015-Agenda aufgenommen werden. Sie erfordern einen abgestimmten globalen Rahmen und vor allem eine Unterstützung durch konventionelle internationale Verpflichtungen, Finanzierungen und nationale Maßnahmen, die wiederum in einer Vielfalt kollektiver und individueller lokaler Initiativen aufgehen. |
4.2 |
Vielfalt der am Wandel bis 2050 orientierten weltweiten Finanzierungen: Die Vereinten Nationen veranschlagen für die nachhaltige Bekämpfung der Armut und Umweltrisiken 800 Mrd. EUR jährlich, d.h. 1,5% des globalen BIP. Die öffentliche Entwicklungshilfe beläuft sich auf lediglich 10–15% des weltweiten Finanzierungsbedarfs. Es müssen also unbedingt andere nationale und internationale Ressourcen gefunden werden. Im Rahmen der anstehenden Mitteilung über ein integriertes EU-Konzept für die Finanzierung muss eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage internationaler Besteuerung stattfinden, um für Transparenz und Vorhersehbarkeit zu sorgen und die Erträge zu erschließen, die für die Beseitigung der Armut, den Schutz der Umwelt und die Verwaltung der globalen öffentlichen Güter benötigt werden. Innovative Finanzierungen und die Erträge aus der Finanztransaktionssteuer, die dem Grundgedanken einer solchen Politik entsprechen, sollten vorrangig für diese globalen Herausforderungen aufgewendet werden. Ferner sind die Mobilisierung einheimischer Steuerressourcen und die Nutzung der Geldtransfers von Migranten in ihre Heimatländer für produktive Tätigkeiten unerlässliche Voraussetzung für Fortschritte bei der Verwirklichung lokal bestimmter Ziele. |
4.3 |
Beschäftigungswachstum in einer inklusiven grünen Wirtschaft: Durch die gegenwärtige Konjunkturabschwächung und ihre verheerenden Auswirkungen auf die Beschäftigungslage und die Unternehmen steht die Erreichung der MDG bis 2015 auf dem Spiel. Die Krise könnte aber als Chance für eine Mobilisierung zugunsten einer grünen Wirtschaft begriffen werden, die ein Umschwenken hin zu einer nachhaltigen Entwicklung ermöglicht. Diesbezüglich gibt es mit dem Globalen Beschäftigungspakt der IAO ein neues Instrument für die Beschleunigung des Beschäftigungsaufschwungs durch Förderung der Nachfrage nach Arbeitskräften und der Kompetenzen der Arbeitnehmer, durch eine Stärkung der Systeme des sozialen Schutzes weltweit sowie durch eine Einbeziehung der informellen Wirtschaft über „Landesprogramme für menschenwürdige Arbeit“. |
4.4 |
Die globale Landwirtschaft ist von den internationalen Finanzinstitutionen während dieses Millenniumsprojekts flagrant vernachlässigt worden. Es ist dringend erforderlich, beschäftigungsfördernde Investitionen neu auszurichten und bäuerliche Familienbetriebe sowie ökologischen Landbau zu fördern. |
4.5 |
Rolle der Unternehmen im Hinblick auf einen Nachhaltigkeitsjahresbericht: Die Unternehmen sind im Rahmen der Vereinten Nationen durch die Initiative „Global Compact“ vertreten, die im Jahr 2000 gegründet wurde, um die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen in den Dienst der MDG zu stellen. Mittlerweile mehr als 8 700 Mitglieder aus über 130 Ländern haben sich freiwillig auf Grundsätze in den Bereichen Arbeitsrecht, Menschenrechte, Umwelt und Korruptionsbekämpfung verpflichtet. So kann zum Beispiel freiwilliges Nachhaltigkeitsmanagement auf Unternehmensebene eine große Rolle in den Untervergabeketten spielen. Der Ausschuss erachtet Öko-Design, umweltverträgliche Produktion, umweltschonendes Handeln, fairen Handel und Ressourceneffizienz als innovative Lösungen für die Verwirklichung von Nachhaltigkeitszielen (17). Er plädiert daher für die Umsetzung der in der Erklärung von Rio+20 enthaltenen Empfehlung, dass Unternehmen neben finanziellen auch Informationen zur Nachhaltigkeit in ihre jährliche Berichterstattung einbauen sollten. |
5. Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung: Stärkung der Rolle und Eigenverantwortung der privaten Akteure
5.1 |
Trotz der Versuchung zu Beginn der Krise, protektionistischen Tendenzen nachzugeben, hat das internationale System im Großen und Ganzen restriktive Handelspraktiken vermieden. Jedoch kommen die multilateralen Verhandlungen über Entwicklungsfragen nicht voran, da die Interessen der Entwicklungs- und der Industrieländern auseinanderklaffen. Vom Zuwachs des Handels profitieren in erster Linie die Schwellenländer, obwohl sich interne Ungleichheiten verstärken, außer in wenigen Ländern wie Brasilien, die durch eine Umverteilungspolitik die Armut bekämpfen. |
5.2 |
Dagegen hat die Öffnung des Handels in zahlreichen Entwicklungsländern, die an Agrarerzeugnissen und Rohstoffen reich sind, nicht die erhofften Ergebnisse gebracht, da es an Diversifizierung, Verarbeitung und Infrastrukturen mangelt. Der Ausschuss bedauert, dass der Abschluss der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten nur langsam vorankommt. Der den am wenigsten entwickelten Ländern (LDC) eingeräumte Präferenzzugang (18) zu den europäischen Märkten ist ebenso wenig erfolgreich wie die ihnen gewährten Handelsbeihilfen, die ein zunehmend wichtiges Instrument der multilateralen Zusammenarbeit sind. Der Ausschuss empfiehlt, bereits im Rahmen der WTO vereinbarte Handelserleichterungen zugunsten der LDC zu übernehmen und die allgemeine Marktöffnung der Schwellenländer für LDC zu fördern. |
5.3 |
Der Ausschuss empfiehlt der EU, die Grundsätze des Rechts auf Nahrung (19) zum festen Bestandteil ihrer handelspolitischen Maßnahmen zu machen und im Rahmen einer entsprechenden Konzertierung mit den anderen WTO-Mitgliedern dafür Sorge zu tragen, dass diese Grundsätze auch fester Bestandteil der multilateralen und bilateralen Handelsverhandlungen werden. Er befürwortet ferner unabhängig vom Abschluss der Doha-Welthandelsrunde eine Liberalisierung des Handels mit Umweltgütern und –dienstleistungen und eine Erleichterung des Transfers von „grünen“ Technologien im Rahmen der bilateralen Handelsabkommen (20). |
5.4 |
Die Wirtschaftsakteure und auch die Infrastrukturen müssen sich zur nachhaltigen Entwicklung bekennen. Diesbezüglich wirkt der Aufbau von Infrastrukturen (21) und Austauschnetzwerken als Zugkraft auf ausländische Investitionen und fördert die Entwicklung der KMU, den Aufbau Rohstoff verarbeitender Industriebetriebe und die Entwicklung des elektronischen Handels. |
Brüssel, den 23. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) EWSA-Konferenz „Nachhaltigkeit fördern, Verantwortung zeigen! Die europäische Zivilgesellschaft auf dem Weg zu Rio+20“ vom 7./8. Februar 2012.
(2) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Rio+20: Bilanz und Perspektiven“ (ergänzende Stellungnahme), ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 64.
(3) Entwicklung und Zusammenarbeit – EuropeAid.
(4) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Grüne Wirtschaft – Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in Europa (Siehe Seite 18 dieses Amtsblatts).
(5) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die soziale Dimension der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion“, (Siehe Seite 1 dieses Amtsblatts).
(6) Stellungnahme des EWSA zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Auf dem Weg zu einer umfassenden europäischen Auslandsinvestitionspolitik, Berichterstatter: Jonathan PEEL, ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 150.
(7) Die globale Kampagne „Beyond 2015“ wird von Entwicklungsvereinigungen getragen, fördert das Bewusstsein für den Post-2015-Prozess und sammelt Beiträge auf ihrer Website www.beyond2015.org
(8) Sondierungsstellungnahme des EWSA vom 26.4.2012 zum Thema „Förderung der Nachhaltigkeit in Produktion und Verbrauch in der EU“, Berichterstatterin: An LE NOUAIL MARLIÈRE, ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 6.
(9) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Handel und Ernährungssicherheit“, Berichterstatter: Mario CAMPLI, Mitberichterstatter: Jonathan PEEL, ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 1.
(10) Europäischer Entwicklungsbericht 2013: „Post 2015 – Global Action for an Inclusive and Sustainable Future“.
(11) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Anbindung von Energieinseln in der EU: Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit im EU-Energiebinnenmarkt“, Berichterstatter: Pierre-Jean COULON, ABl. C 44 vom 15.2.2013, S. 9.
(12) Stellungnahme des EWSA zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Sozialschutz in der Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union, Berichterstatter: José María ZUFIAUR NARVAIZA, ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 82.
(13) EU-Aktionsplan zur Gleichstellung der Geschlechter und Teilhabe von Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit (2010-2015).
(14) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Das BIP und mehr – die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Auswahl zusätzlicher Indikatoren“, Berichterstatter: Stefano PALMIERI, ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 14.
(15) Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Finanzierungsinstruments für die weltweite Förderung der Demokratie und der Menschenrechte“, Berichterstatter: Giuseppe Antonio Maria IULIANO, ABl. C 11 vom 15.1.2013, S. 81.
(16) Der Anhang der Mitteilung enthält eine Typologie der wichtigsten globalen öffentlichen Güter.
(17) CONCORD – „The private sector in development“, Dezember 2012.
(18) Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen“, Berichterstatter: Jonathan PEEL, ABl. C 43 vom 15.2.2012, S. 82.
(19) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Handel und Ernährungssicherheit“, Berichterstatter: Mario CAMPLI, Mitberichterstatter: Jonathan PEEL, ABl. C 255 vom 22.9.2010, S. 1.
(20) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Handel und Klimawandel“, Berichterstatterin: Evelyne PICHENOT, ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 15.
(21) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die EU-Afrika-Strategie“, Berichterstatter: Gérard DANTIN, ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 148.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/151 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Humanarzneimitteln und ihrer Aufnahme in die staatlichen Krankenversicherungssysteme
COM(2013) 168 final — 2012/0035 (COD)
2013/C 271/29
Der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 8. April bzw. am 16. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Humanarzneimitteln und ihrer Aufnahme in die staatlichen Krankenversicherungssysteme
COM(2013) 168 final — 2012/0035 (COD).
Da der Ausschuss sich bereits in seiner Stellungnahme CESE 1573/2012 vom 12. Juli 2012 (1) zu dem Inhalt des Vorschlags geäußert hat, beschloss er auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013, (Sitzung vom 22. Mai) mit 161 gegen 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen, von der Ausarbeitung einer neuen Stellungnahme zu dem Thema abzusehen und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) Stellungnahme des EWSA zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Humanarzneimitteln und ihrer Aufnahme in die staatlichen Krankenversicherungssysteme, ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 81.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/152 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 450/2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex) hinsichtlich ihres Geltungsbeginns
COM(2013) 193 final — 2013/0104 (COD)
2013/C 271/30
Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 15. April 2013 bzw. am 18. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 114 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 450/2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex) hinsichtlich ihres Geltungsbeginns
COM(2013) 193 final – 2013/0104 (COD).
Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme CESE 1297/2012 vom 23. Mai 2012 (1) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 161 gegen 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
(1) ABl. C 229 vom 31. Juli 2012, S. 68.
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/153 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Mitteilung von Investitionsvorhaben für Energieinfrastruktur in der Europäischen Union an die Kommission und zur Ersetzung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 617/2010 des Rates
COM(2013) 153 final
2013/C 271/31
Die Europäische Kommission, der Rat und das Europäische Parlament beschlossen am 20. März bzw. 15. und 16. April 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 194 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Mitteilung von Investitionsvorhaben für Energieinfrastruktur in der Europäischen Union an die Kommission und zur Ersetzung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 617/2010
COM(2013) 153 final.
Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 161 gegen 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE
19.9.2013 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 271/154 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Meeres- und Fischereifonds [zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 1198/2006 des Rates und (EG) Nr. 861/2006 des Rates sowie der Verordnung (EU) Nr. XXX/2011 des Rates über die integrierte Meerespolitik]
COM(2013) 245 final — 2011/0380 COD
und zu dem geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds, für die der Gemeinsame Strategische Rahmen gilt, sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates
COM(2013) 246 final — 2011/0276 COD
2013/C 271/32
Der Rat beschloss am 7. Mai 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 42, Artikel 43 Absatz 2, Artikel 91 Absatz 1, Artikel 100 Absatz 2, Artikel 173 Absatz 3, Artikel 175, Artikel 188, Artikel 192 Absatz 1, Artikel 194 Absatz 2 and Artikel 195 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:
Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Meeres- und Fischereifonds [zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 1198/2006 des Rates und (EG) Nr. 861/2006 des Rates sowie der Verordnung (EU) Nr. XXX/2011 des Rates über die integrierte Meerespolitik]
COM(2013) 245 final – 2011/0380 COD
und
Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds, für die der Gemeinsame Strategische Rahmen gilt, sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates
COM(2013) 246 final – 2011/0276 COD.
Da der Ausschuss dem Vorschlag, der den EMFF an die bestehenden Bestimmungen für die Kohäsionspolitik angleicht, inhaltlich zustimmt und keine Bemerkungen zu dieser Thematik vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 161 gegen 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.
Brüssel, den 22. Mai 2013
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Henri MALOSSE