ISSN 1725-2407

doi:10.3000/17252407.C_2009.182.ger

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 182

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

52. Jahrgang
4. August 2009


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

450. plenartagung am 14.-15. Januar 2009

2009/C 182/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die soziale und ökologische Dimension des Binnenmarkts

1

2009/C 182/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu den Energieaußenbeziehungen der EU

8

2009/C 182/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Europäisches Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR)

13

2009/C 182/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung

19

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

450. plenartagung am 14.-15. Januar 2009

2009/C 182/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer allgemeinen Sicherheit

24

2009/C 182/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Vorfahrt für KMU in Europa — Der Small Business Act für Europa

30

2009/C 182/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte

36

2009/C 182/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für eine Europäische Forschungsinfrastruktur (ERI)

40

2009/C 182/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pestizidausbringungsmaschinen zur Änderung der Richtlinie 2006/42/EG vom 17. Mai 2006

44

2009/C 182/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung)

46

2009/C 182/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 549/2004, (EG) Nr. 550/2004, (EG) Nr. 551/2004 und (EG) Nr. 552/2004 im Hinblick auf die Verbesserung der Leistung und Nachhaltigkeit des europäischen Luftverkehrssystems

50

2009/C 182/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 717/2007 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Gemeinschaft und der Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste

56

2009/C 182/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Lösungsansätze für die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Ölversorgung

60

2009/C 182/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine erneuerte Sozialagenda: Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts

65

2009/C 182/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu derMitteilung der Kommission an den Europäischen Rat Europäisches Konjunkturprogramm

71

2009/C 182/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten in Bezug auf die Verlängerung bestimmter Fristen

75

2009/C 182/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Bauteile und Merkmale von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern (kodifizierte Fassung)

76

2009/C 182/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (kodifizierte Fassung)

77

DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

450. plenartagung am 14.-15. Januar 2009

4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/1


450. PLENARTAGUNG AM 14.-15. JANUAR 2009

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die soziale und ökologische Dimension des Binnenmarkts“

(2009/C 182/01)

Berichterstatter: Herr ADAMCZYK

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2008 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die soziale und ökologische Dimension des Binnenmarkts“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Januar 2009 an. Berichterstatter war Herr ADAMCZYK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 94 gegen 29 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der Binnenmarkt ist kein Selbstzweck, er ist vielmehr ein Instrument, das zum wachsenden Wohl der EU-Bürger beiträgt, ihren Wohlstand erhöht, ihren Zugang zu Waren und Dienstleistungen sowie die Beschäftigungsqualität und -sicherheit verbessert und ihnen die Möglichkeit gibt, sich innerhalb der Europäischen Union frei zu bewegen und ihren Wohn-, Arbeits- und Studienort frei zu wählen.

1.2   Dieser Fortschritt hängt mit den größeren Chancen zusammen, die der Binnenmarkt sowohl den Unternehmen (dank der Ausweitung des Waren- und Dienstleistungsmarkts und der Investitionsfreiheit) als auch den Arbeitnehmern bietet (indem er ihnen bessere Möglichkeiten denn je gibt, Arbeit in einem EU-Mitgliedstaat ihrer Wahl zu suchen).

1.3   Wenn Europa langfristig wettbewerbsfähig bleiben will, dann muss ein nachhaltiges und langfristiges Wachstum im Binnenmarkt gewährleistet werden, bei dem auch Umweltaspekten Rechnung zu tragen ist. Bei neuen Standards, Regelungen, Produkten und Ideen muss diese große Herausforderung berücksichtigt werden, auch wenn dies möglicherweise zu unvermeidbaren Spannungen in gewissen Industriezweigen führen kann, insbesondere da das Ganze nur dann einen Sinn hat, wenn der Fortbestand der europäischen Wirtschaft nicht aufs Spiel gesetzt, d.h. wenn die kurzfristige Wettbewerbsfähigkeit nicht untergraben wird.

1.4   Das eigentliche Ziel ist, das Funktionieren des Binnenmarktes in einer sozialen Marktwirtschaft wesentlich zu verbessern, indem einheitliche Rahmenbedingungen für alle Beteiligten innerhalb desselben rechtlichen Rahmens gewährleistet werden. Für die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen und von mehr und besseren Arbeitsplätzen unter Wahrung der sozialen Dimension und der Umweltdimension im Binnenmarkt zur Stärkung des Wettbewerbs der EU ist dies von wesentlicher Bedeutung.

1.5   Bei ihrem Ansatz hinsichtlich der Weiterentwicklung des Binnenmarkts müssen die Institutionen der Europäischen Union die berechtigten Interessen der Wirtschaft ebenso berücksichtigen wie die Notwendigkeit der Wahrung der wesentlichen Sozialrechte, die sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch in internationale Arbeitsnormen und im einzelstaatlichen Recht verankert sind (z.B. das Recht auf Tarifverhandlungen).

1.6   Für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts ist die Beseitigung von Unsicherheiten in der Anwendung des Gemeinschaftsrechts unerlässlich. Ein eindeutiger und vorhersehbarer Rechtsrahmen ist Voraussetzung für die weitere Entwicklung und Stärkung des Binnenmarkts.

1.7   Genauer gesagt, scheint angesichts der umstrittenen jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich der rechtlichen Auslegung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern die Forderung nach einer Überarbeitung der Richtlinie bzw. nach einem zusätzlichen Abkommen zwischen den Sozialpartnern berechtigt.

1.8   In diesem Zusammenhang könnte das SOLVIT-Netz, das als Mittler zwischen den Institutionen und der Öffentlichkeit agiert, eine überaus wichtige Rolle übernehmen. Das Netz ist jedoch unterfinanziert, und es leidet unter Personalmangel. Zudem müssen seine Rolle und Aufgaben überprüft werden.

2.   Einleitung

2.1   Der Binnenmarkt als eine grundlegende Errungenschaft der europäischen Integration ist zwar noch nicht vollendet, hat aber den EU-Bürgern bereits zahlreiche Vorteile gebracht (1). Die schrittweise Öffnung der Märkte und der Abbau der Hindernisse haben allerdings auch zahlreiche Schwierigkeiten und Probleme nach sich gezogen, die bewältigt werden müssen, wenn die Weiterentwicklung des Binnenmarkts von der Öffentlichkeit unterstützt werden soll.

2.2   Man muss sich vor Augen halten, dass die Entwicklung des Binnenmarkts kein Ziel an sich, sondern vielmehr ein Instrument ist, das die Lebensqualität der EU-Bürger verbessern, ihren Wohlstand erhöhen, ihren Zugang zu Waren und Dienstleistungen sowie die Beschäftigungsqualität und -sicherheit verbessern und ihnen die Möglichkeit geben soll, sich innerhalb der Europäischen Union frei zu bewegen und ihren Wohn- und Arbeitsort frei zu wählen (2). Diese Vorteile für den Bürger hängen untrennbar mit der Erweiterung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Unternehmen zusammen, darunter die Vergrößerung des Waren- und Dienstleistungsabsatzmarkts oder die Investitionsfreiheit.

2.3   Der schrittweise Abbau der Hürden, die unmittelbar mit den vier Freiheiten zusammenhängen, verursacht in jenen Bereichen Probleme und Spannungen, in denen es zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten weiterhin (bisweilen große) Unterschiede gibt: Löhne und Gehälter, soziale Sicherung, Arbeitsrecht oder Befugnisse der Sozialpartner. Solche Spannungen lassen sich mithilfe zusätzlicher Regelungen beheben, was teilweise bereits geschieht. Derartige Regelungen zielen darauf ab,

die Rechtsunsicherheit zu beseitigen, die sich aus der Anwendung der Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten ergibt,

dem Sozialdumping und unlauteren Wettbewerb entgegenzuwirken,

die Verbraucherrechte zu schützen (3),

sicherzustellen, dass Produzenten und Lieferanten von Waren sowie Erbringer von Dienstleistungen einen effektiven Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben,

die Verfügbarkeit aller Waren und Dienstleistungen, insbesondere der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, durch Maßnahmen nach dem Konzept „Design for all“ zu sichern (4),

aktive Maßnahmen zu fördern, um die Gleichstellung von Frauen und Männern zu gewährleisten und sämtliche Formen der Diskriminierung zu bekämpfen.

2.4   Für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts ist die Beseitigung von Unsicherheiten bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts unabdingbar. Es ist inakzeptabel, dass in für die Sozialpartner ausschlaggebenden Angelegenheiten möglicherweise der Europäische Gerichtshof angerufen werden muss, dessen Urteile bisweilen auf mangelndes Verständnis stoßen bzw. zu Auseinandersetzungen führen.

2.5   In diesem Zusammenhang ist es begrüßenswert, dass die Kommission beschlossen hatte, die Sozialpartner und Mitgliedstaaten einzuladen, über die durch die jüngsten Urteile des Gerichtshofs aufgeworfenen Fragen zu diskutieren, und ein Forum veranstaltet hat, in dessen Mittelpunkt die Wahrung der sozialen Rechte angesichts der zunehmenden Arbeitsmobilität stand (5).

3.   Binnenmarkt — Vorteile und Herausforderungen

3.1   Die Liste der Vorteile, die sich aus den Grundsätzen des Binnenmarkts ergeben, ist lang. So bringt der Binnenmarkt Vorteile sowohl für die Unternehmen als auch für die Arbeitnehmer oder auch ganz einfach für die Bürger, die von den Ergebnissen des funktionierenden Binnenmarkts in verschiedenen Bereichen profitieren. Zu den Errungenschaften des Binnenmarkts zählen zweifellos der höhere Wohlstand aufgrund des Anstiegs des BIP, die Möglichkeit, in jeden beliebigen EU-Mitgliedstaat zu reisen, dort zu wohnen, zu arbeiten und zu studieren, ein weitaus umfassenderer Zugang zu hochwertigen und oftmals preisgünstigeren Waren und Dienstleistungen in Verbindung mit einem erweiterten Zugang für Produzenten, Handel treibende Unternehmen und Dienstleistungserbringer zum Binnenmarkt und, nicht zu vergessen, die Ausweitung der Verbraucherrechte auf die gesamte Europäische Union unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat die Ware bzw. Dienstleistung erworben wurde.

3.2   Die Einschränkung der Freizügigkeit in Form von „Übergangszeiten“, auf der einige Länder beharren, ist ungeachtet ihrer zeitlichen Begrenzung nach wie vor umstritten. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich in Ländern, in denen Übergangsregelungen gelten, der Schutz des eigenen Arbeitsmarktes als fragwürdiger erwiesen hat, als es diese Länder anfänglich angenommen hatten. Ferner ist die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte für die Länder, aus denen Arbeitnehmer auf der Suche nach Arbeit auswandern, zu einem echten Problem geworden.

3.3   Nach Auffassung des EWSA (6) ist jedoch die Arbeitsmarktintegration der beste Schutz vor sozialer Ausgrenzung. Die Kommission sollte mit den Sozialpartnern zusammenarbeiten, um das Potenzial der europäischen Arbeitnehmer in einem gesellschaftlichen Umfeld, das durch einen raschen Wandel gekennzeichnet ist, besser zu nutzen. Die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen ist ein Problem, das nach wie vor einer Lösung harrt (7).

3.4   Die Vorteile für die Unternehmen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Zugang zum riesigen Absatzmarkt mit knapp 500 Millionen Verbrauchern, Erleichterungen im grenzüberschreitenden Handel und bei der Gründung neuer Unternehmen, Verbreitung europäischer Normen und Etikettierungen, bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit und besserer Technologietransfer. Ein weiterer Vorteil ist ein leichter Zugang zu den Kapitalmärkten, obgleich die Funktionsweise der Finanzdienstleistungen nach wie vor verbesserungsbedürftig ist. All diese Errungenschaften des Binnenmarkts haben, unabhängig davon, ob sie nun unmittelbar die Bürger oder die Unternehmen betreffen, ihre gesellschaftlichen Auswirkungen, und sie bringen gewisse Herausforderungen mit sich.

3.5   Auch wenn die Einführung des Binnenmarkts offensichtlich zu einem bislang noch nie da gewesenen Wirtschaftswachstum beigetragen hat, das sich auch auf die soziale Situation der Bürger positiv auswirkt, so lässt sich darüber streiten, inwieweit das Ausmaß der Marktöffnung und der Regulierung in den einzelnen Bereichen wünschenswert und aus gesellschaftlicher Sicht akzeptabel ist. Sowohl die umstrittenen jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs (Viking (8), Laval (9), Rüffert (10), Kommission gegen Luxemburg (11)) als auch die vorhergehende Debatte über die Dienstleistungsrichtlinie und die Probleme im Zusammenhang mit der Öffnung der Arbeitsmärkte, dem Sozialdumping, dem unlauteren Wettbewerb oder den Auswirkungen des Binnenmarkts auf die Funktionsweise des europäischen Sozialmodells bedürfen sicherlich einer näheren Analyse oder gar einer Entscheidung bezüglich neuer Rechtsvorschriften oder der Koregulierung.

3.6   Eine Folge des Binnenmarkts waren Preissenkungen für viele Produkte, was sowohl aus Sicht der Verbraucher als auch im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft wünschenswert ist. Diese Senkung erfolgt jedoch oftmals auf Kosten der Arbeitnehmer, die infolge von Unternehmensumstrukturierungen oder Verlagerungen von Arbeitsplätzen entlassen werden. Aus gesellschaftlicher Sicht ist folglich die Vereinbarkeit der Interessen der Verbraucher (niedrige Preise) mit jenen der Arbeitnehmer (Arbeitsplatzsicherheit, Beschäftigungsstandards, Arbeitsbedingungen, Löhne und Gehälter) unabdingbar.

3.7   Das aus dem Binnenmarkt resultierende Wirtschaftswachstum hat auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beigetragen. Dies wäre an sich sehr positiv, wäre da nicht die Tatsache, dass es sich hierbei oftmals um gering bezahlte Arbeitsplätze handelt, um mit der Konkurrenz Schritt halten zu können.

3.8   In diesem Zusammenhang ist auch zu betonen, dass Europa seine hohe Wettbewerbsfähigkeit hauptsächlich durch Investitionen in neue Technologien, die berufliche Aus- und Weiterbildung, die Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen am Arbeitsplatz sowie durch die aktive Förderung des sozialen Dialogs und der Partnerschaft erreicht hat. Da jedoch Arbeitnehmer gleichzeitig auch Verbraucher sind, kann eine Senkung der Arbeitskosten mit dem Ziel der Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit zu reduzierter Kaufkraft und damit zu geringerem Konsum und weniger Wachstum führen.

3.9   Besondere Probleme bereitet die teilweise Öffnung des Arbeitsmarkts für Wirtschaftsmigranten. Einige Mitgliedstaaten haben es nicht geschafft, Wirtschaftsmigranten wirksam in ihre Tarifvereinbarungen einzuschließen, verwässerten infolge dessen die ortsüblichen Arbeitsnormen und/oder andere Regeln, Rechtsvorschriften oder Praktiken und leisteten so der Schattenwirtschaft Vorschub. Die Folgen sind ein schwierigeres Verhältnis zwischen den Sozialpartnern und eine Abschwächung des gesellschaftlichen Dialogs, was wiederum zu Sozialdumping und unlauterem Wettbewerb führt. Sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeberverbände sollten dagegen energisch vorgehen.

3.10   Einige Stakeholder halten gewisse Vorgehensweisen von Unternehmen, die entsandte Arbeitnehmer beschäftigen, für Sozialdumping und unlauteren Wettbewerb. Hinzu kommt, dass der Europäische Gerichtshof mit seinen Urteilen in den Rechtssachen Viking, Laval, Rüffert und Kommission gegen Luxemburg befunden hat, dass solche Praktiken rechtmäßig und mit der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern vereinbar sind. Dies war sehr umstritten, zumal die Urteile eindeutig im Widerspruch zu dem erklärten Ziel der Richtlinie standen. Die Förderung der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen setzt ein Klima fairen Wettbewerbs und die Gewährleistung der Achtung der Arbeitnehmerrechte voraus. Die Gewährleistung der Chancengleichheit, des fairen Wettbewerbs und der Achtung der Arbeitnehmerrechte wird offensichtlich neue Rechtsetzungsinitiativen und weitere Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern insbesondere in der Frage der entsandten Arbeitnehmer erfordern.

3.11   Der Ausschuss ist jedoch der Auffassung (12), dass vor der Erarbeitung neuer Regelungen dringend Maßnahmen ergriffen werden müssen, um eine angemessene Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG zu gewährleisten, insbesondere da ihre Ziele selbst zehn Jahre nach ihrem Erlass noch nicht in vollem Umfang verwirklicht worden sind.

3.12   Eine Frage für sich sind nach wie vor die Öffnung des Dienstleistungsmarktes und die Probleme im Zusammenhang mit den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die u.a. Gegenstand der unlängst verabschiedeten Dienstleistungsrichtlinie sind. Diese Richtlinie befindet sich derzeit in der Phase der Umsetzung, so dass mit der Bewertung noch abgewartet werden muss. Klar ist jedoch, dass die soziale Dimension der Grundversorgungsleistungen über die bloßen Fragen der Arbeitspolitik und des sozialen Dialogs weit hinausgeht und nicht zuletzt auch die Gewährleistung der Verfügbarkeit dieser Dienstleistungen für alle Bürger betrifft (13).

3.13   Vor dem Hintergrund der jüngsten Preisanstiege in Europa ist die Frage der Zugänglichkeit der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse eng mit der Frage der Erschwinglichkeit verknüpft, insbesondere im Bereich Energie. Allerdings darf das Problem der Energieversorgung nicht nur unter dem Aspekt der aktuellen und wahrscheinlich auch künftigen Preisanstiege betrachtet werden, vielmehr muss auch die ökologische Dimension des Energieverbrauchs berücksichtigt werden.

4.   Die Auswirkungen der jüngsten Rechtsprechung auf den Binnenmarkt

4.1   Soll der Binnenmarkt reibungslos funktionieren, so bedarf es dafür klarer Regeln. Seine Weiterentwicklung wird stark davon abhängen, inwieweit sich ein annehmbares Gleichgewicht zwischen seiner wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension innerhalb eines eindeutigen und vorhersehbaren Rechtsrahmens erzielen lässt.

Die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs waren in industriellen Kreisen in ganz Europa umstritten. Klare Lösungen für umstrittene Fragen sind von ausschlaggebender Bedeutung, damit das dringend benötigte gemeinsame Fundament als Voraussetzung für das Vertrauen der Bürger wiederhergestellt werden kann.

4.2.1   In der Rechtssache Viking drohte die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) und die Seemannsunion Finnlands mit Kollektivmaßnahmen als Reaktion auf die Pläne der Viking Line, ein finnisches Schiff auf Estland umzuflaggen und die Besatzung durch billigere Arbeitskräfte aus Estland zu ersetzen. Das Gericht befand, dass eine Streikandrohung, die darauf abzielt, den Arbeitgeber zum Abschluss eines Tarifvertrags zu veranlassen, in diesem Fall die Niederlassungsfreiheit einschränken kann.

4.2.2   In der Rechtssache Laval ging es um ein lettisches Unternehmen, das Arbeitnehmer nach Schweden entsandte, und zwar unter lettischen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die weit unter den zwischen den schwedischen Tarifpartnern ausgehandelten Bedingungen lagen. Als Reaktion darauf griffen die schwedischen Gewerkschaften zu einer kollektiven Maßnahme und boykottierten Lieferungen an die Baustelle in Vaxholm. Nach Auffassung des Gerichts ist es in Fällen, in denen die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern Anwendung findet, rechtswidrig, wenn Gewerkschaften im Wege von Kollektivmaßnahmen gegen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vorgehen, die über die in der Richtlinie festgelegten zwingenden Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz hinausgehen.

4.2.3   In der Rechtssache Rüffert ging es um ein deutsches Unternehmen, dem das Land Niedersachsen nach öffentlicher Ausschreibung einen Auftrag für Bauarbeiten an einer Justizvollzugsanstalt erteilte. Das deutsche Unternehmen übertrug die Arbeiten einem polnischen Nachunternehmen, das seinen Arbeitnehmern ein Entgelt von lediglich 47 % des am Ort der Leistung tarifvertraglich festgelegten Mindestsatzes zahlte. Aus diesem Grund widerrief das Land Niedersachsen den Vertrag, doch nach Befinden des EuGH stehen lokale Bestimmungen, wonach öffentliche Bauunternehmen die tarifvertraglichen Vereinbarungen einhalten müssen, der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern entgegen, es sei denn, die Vereinbarung wird für allgemein verbindlich erklärt.

4.2.4   In der Rechtssache Kommission gegen Luxemburg hat der EuGH der Klage der Europäischen Kommission stattgegeben und befunden, dass Luxemburg bei der Umsetzung der Entsenderichtlinie in Bezug auf die in diesem Land für inländische Unternehmen geltenden Anforderungen, u.a. hinsichtlich der Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten, automatischen Lohnindexierung und Einhaltung der Tarifverträge zu weit gegangen ist.

4.3   Die Urteile in den vorgenannten Rechtssachen lösten auch Bedenken hinsichtlich der Auslegung der EU-Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern durch den Europäischen Gerichtshof aus. Diese Fälle waren sehr umstritten, und viele Beteiligte sahen darin eine Förderung des Lohndumpings. In diesen Fällen umgingen ausländische Unternehmen die Tarifverträge und die in dem Land, in dem sie tätig waren, geltenden Bestimmungen, Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten, und zwar zu Ungunsten der Unternehmen vor Ort und auf Kosten der Arbeitnehmer.

4.4   Der Binnenmarkt muss die Grundlage für Rechtssicherheit, nicht Rechtsunsicherheit bilden. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, sich darauf zu verständigen, welche Prinzipien in Bezug auf den Wortlaut und die Auslegung des Rechts erneut geprüft werden müssen, und ein klares, gemeinsames Fundament zu finden.

5.   Mechanismen und Instrumente zur Förderung eines reibungslosen Binnenmarkts

5.1   Der Binnenmarkt wurde schrittweise durch eine Reihe von Mechanismen ergänzt, die sein Funktionieren verbessert haben. Diese Mechanismen könnten sich bei der Prüfung der Frage, wie die soziale und die ökologische Dimension im Rahmen des Binnenmarkts stärker zum Tragen kommen können, als nützlich erweisen.

5.2   Im Zusammenhang mit den jüngsten Erweiterungen wurden in den vergangenen Jahren wieder Debatten über die Harmonisierung und die gegenseitige Anerkennung aufgegriffen. Es besteht weitgehend Übereinstimmung darüber, dass die Harmonisierung auf das wirklich Notwendige ausgerichtet werden sollte und dass zu viel Harmonisierung in einer aus 27 Mitgliedstaaten bestehenden Europäischen Union unrealistisch ist. Andererseits wird die gegenseitige Anerkennung — obwohl sie eine der Säulen des Binnenmarkts ist — weitgehend außer Acht gelassen. Die Harmonisierung könnte für den Aufbau des europäischen Sozialmodells nützlich sein, wobei die soziale Dimension jedoch weiterhin größtenteils Zuständigkeit der 27 Mitgliedstaaten bleibt, und zwar in den meisten Fällen mit der vollen Unterstützung der Sozialpartner und im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip. Sie könnte jedoch im Umweltbereich einem guten Zweck dienen. So könnten im Einklang mit den ehrgeizigen Zielen, die die EU sich selbst gesteckt hat, Regelungen für Produkte und Verfahren festgelegt werden.

5.3   Das SOLVIT-Netz, das als Mittler zwischen den Institutionen und der Öffentlichkeit agiert, könnte in diesem Zusammenhang eine überaus wichtige Rolle übernehmen. Zu den Aufgaben des Netzes gehört die Unterrichtung und Beratung sowie die Prüfung binnenmarktbezogener Fragen, die für Unternehmen, Verbraucher, Arbeitnehmer u.a. in den Mitgliedstaaten von Belang sind. Es verfügt über riesige Datensammlungen und enormes Know-how. Insgesamt ist das Netz jedoch unterfinanziert, und es leidet unter Personalmangel. Zudem müssen seine Rolle und Aufgaben überprüft werden.

5.4   Die „neue Konzeption“ hat dazu geführt, dass sich die an der Rechtsetzung der EU beteiligten Organe zurückhalten und nur grundlegende Anforderungen festlegen und die technischen Aspekte an Normungsgremien delegieren. Auch wenn dies in Bezug auf die soziale Dimension kaum möglich ist, könnte es für den Umweltbereich eine außerordentliche Bedeutung haben — und hat sie bereits (Qualitätsnormen usw.; es wäre zweckmäßig, wenn die Kommission in einer Reihe wichtiger Bereiche eine Aktualisierung vornehmen würde).

5.5   Der Grundsatz des Herkunftslandes ist nach wie vor ein umstrittenes Thema, was sich auch an der Unzufriedenheit der Verbraucherorganisationen ablesen lässt. Diesem Grundsatz zufolge findet, wenn eine Handlung oder eine Dienstleistung in einem Land ausgeführt, jedoch in einem anderen in Anspruch genommen wird, das Recht desjenigen Landes Anwendung, in dem die Handlung bzw. Dienstleistung ausgeführt wurde. Zweck dieses Grundsatzes ist, den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr anzukurbeln und den grenzüberschreitenden Wettbewerb zu fördern. Der Grundsatz wurde jedoch in der Debatte über die Dienstleistungsrichtlinie verworfen, da er bedeuten würde, dass die Länder je nach Herkunftsland des Unternehmens bzw. der Einzelperson unterschiedliche Rechtsvorschriften anwenden müssten.

5.6   Das Lamfalussy-Verfahren ist ein gutes Beispiel dafür, wie gesamteuropäische Regulierungsfragen verbessert werden können, da im Rahmen dieses Verfahrens nationale Praktiken und Traditionen im Zusammenhang mit spezifischen Regulierungsfragen kohärenter ausgelegt und besser aufeinander abgestimmt wurden. Über das Beispiel der Finanzdienstleistungen hinaus ist das Lamfalussy-Verfahren auch ein Bezugspunkt für die Schaffung eines Systems, das Qualität und Einfachheit gewährleistet. Ob jedoch mit diesem Verfahren effizientere Rechtsetzungsmechanismen auch in anderen Bereichen, insbesondere im Umweltbereich eingeführt werden können, bleibt abzuwarten.

5.7   Bei der Monti-Klausel wird im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr darauf verwiesen, dass die Richtlinie nicht dahingehend interpretiert werden dürfe, dass sie in irgendeiner Weise die Wahrnehmung der EU-Grundrechte (einschließlich des Streikrechts) beeinträchtigt. Bei jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs wurde die Gültigkeit der Monti-Klausel in Frage gestellt, und es ist wichtig zu klären, wo ihre Grenzen liegen und weshalb.

6.   Ein besserer Rahmen für die Integration der ökologischen Dimension in den Binnenmarkt

6.1   Sowohl die Energie als auch der Umweltschutz gehören zu den wichtigsten Prioritäten der Regierungen und Bürger in Europa. Auch in absehbarer Zukunft wird dies der Fall sein. Leider gilt der Umweltschutz oftmals als eine Belastung für den Markt, als ein neues Paket negativer Bedingungen, die die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beeinträchtigen.

6.2   Einigkeit herrscht heute jedoch weitgehend darüber, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit Europas in Zukunft u.a. dann am besten gewährleisten lässt, wenn neue Ideen, Produkte und Normen entstehen, die den wichtigsten Herausforderungen Rechnung tragen, vor denen die heutige Gesellschaft steht, und somit ein Binnenmarkt geschaffen wird, bei dem die ökologische Dimension als wesentlicher Bestandteil dieses Ziels gebührend berücksichtigt wird. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass neue Regelungen in diesem Bereich unweigerlich zu Spannungen in einigen Industriezweigen führen könnten, insbesondere da auch die kurzfristige Wettbewerbsfähigkeit von herausragender Bedeutung ist.

6.3   Im Vertrag von Amsterdam wurde bekräftigt, dass die ökologische Dimension, die für die Förderung der nachhaltigen Entwicklung ausschlaggebend ist, in anderen politischen Bereichen Berücksichtigung finden muss. Die Europäische Kommission hat Möglichkeiten zur Verbesserung der Synergien zwischen dem Binnenmarkt und den Umweltfragen untersucht und dabei Bereiche wie das Beschaffungswesen, effektive Folgenabschätzungen, Normung, Rechnungslegung oder Wirtschaftsinstrumente wie die Umweltsteuer berücksichtigt. Ferner hat die Kommission auch Untersuchungen über neue Branchen und Aspekte durchgeführt, die möglicherweise einer Harmonisierung bedürfen.

6.4   Angesichts der zahlreichen Branchen und Praktiken, für die die Dimension der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes von Bedeutung ist, kann die Integration von Umweltfragen in den Binnenmarkt bisher nicht als eindeutig eingegrenztes Thema gelten. Sie betrifft wichtige Politikbereiche (z.B. Energie und Verkehr), während Fragen, die ursprünglich auf den freien Warenverkehr beschränkt waren, auf andere Bereiche ausgeweitet wurden. Deshalb, und weil dem Umweltschutz in der heutigen Politik eine große Bedeutung zugemessen wird, wäre es notwendig, im Hinblick auf diese spezifischen, verbesserungswürdigen Fragen mehr Fortschritte zu erzielen und zu ermitteln, welche Binnenmarktinstrumente sich für die Erreichung dieser Ziele am besten eignen.

7.   Schlussbemerkungen

7.1   Der Binnenmarkt ist ein noch nicht abgeschlossenes Projekt. Das eigentliche Ziel besteht darin, einen Binnenmarkt ohne Handelshemmnisse zu schaffen. Ein vollendeter Binnenmarkt bedeutet, dass alle Akteure den gleichen Zugang zu jedem nationalen Markt haben. Und der gleiche Zugang zu den Märkten aller Mitgliedstaaten bedeutet schließlich auch, dass Unternehmen, Arbeitnehmer und Dienstleistungserbringer unter denselben rechtlichen Rahmenbedingungen tätig sein können — auf diese Weise lassen sich nämlich einheitliche Voraussetzungen für alle sicherstellen und unlauterer Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union sowie jegliche Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt als Ganzem vermeiden.

7.2   Der Ausschuss hat bereits zum Ausdruck gebracht (14), dass der Erfolg des Binnenmarkts in der gemeinsamen Verantwortung der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten liegt, die sich stärker engagieren müssen. Auch die Rolle der Sozialpartner beim Aufbau und bei der Stärkung des Binnenmarkts sollte betont werden.

7.3   Die derzeitige Debatte über die Grenzen der europäischen Integration, darunter auch die unlängst geführte Debatte über die Dienstleistungsrichtlinie, zeigt, wie schwierig es ist, die Grundsätze des Binnenmarkts mit hohen sozialen Standards, Sozialschutz, funktionsfähigen und zugänglichen öffentlichen Dienstleistungen sowie einem fairen Wettbewerb zu vereinbaren. Die Antwort auf diese berechtigten Fragen sollte im Mittelpunkt der Überlegungen zum Binnenmarkt stehen. Bei der Beantwortung dieser Fragen müssen die europäischen Institutionen sowohl die berechtigten Interessen der Wirtschaft berücksichtigen als auch die Tatsache, dass wirtschaftliche Freiheiten so geregelt werden müssen, dass ihre Ausübung nicht die wesentlichen Sozialrechte beeinträchtigt, die im Gemeinschaftsrecht, in internationalen Arbeitsnormen und im einzelstaatlichen Recht verankert sind (darunter das Recht, Tarifverträge auszuhandeln, zu schließen und umzusetzen).

7.4   In ihrer vor kurzem vorgelegten Mitteilung zur erneuerten Sozialagenda (15) bekräftigt die Kommission, dass die EU für harmonische, von Zusammenhalt und Integration geprägte Gesellschaften steht, die in funktionierenden sozialen Marktwirtschaften angesiedelt sind und die die Grundrechte respektieren. Die Kommission erklärt darüber hinaus, dass sie dafür sorgen wird, dass keine Widersprüche zwischen den Grundfreiheiten des Vertrags und dem Schutz der Grundrechte auftreten.

7.5   Die Funktionsweise des Binnenmarkts vor dem Hintergrund der Bestimmungen des Vertrags von Lissabon muss noch bewertet werden. Aus der ersten Bewertung des Vertragstextes durch den EWSA geht hervor, dass der Binnenmarkt in seiner Grundstruktur zwar nicht verändert wird, dass er jedoch offensichtlich sozialer definiert wird.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  KOM(2007) 724 endg.

(2)  ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 25.

(3)  ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 14.

(4)  ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 14.

(5)  KOM(2008) 412 endg.

(6)  ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 15.

(7)  ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 100.

(8)  ABl. C 51 vom 23.2.2008, Rechtssache C-438/05.

(9)  ABl. C 51 vom 23.2.2008, Rechtssache C-341/05.

(10)  ABl. C 128 vom 24.5.2008, Rechtssache C-346/06.

(11)  ABl. C 209 vom 15.8.2008, Rechtssache C-319/06.

(12)  ABl. C 151 vom 17.6.2008, S. 45.

(13)  ABl. C 161 vom 13.7.2007, S. 80.

(14)  ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 15.

(15)  KOM(2008) 412 endg.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Textstelle der Fachgruppenstellungnahme wurde zugunsten eines im Plenum angenommenen Änderungsantrages abgelehnt, erhielt jedoch mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen:

1.4   Das eigentliche Ziel besteht darin, alle Hemmnisse für den Binnenmarkt zu beseitigen, mit anderen Worten einheitliche Rahmenbedingungen für alle Beteiligten sicherzustellen und zu gewährleisten, dass sie innerhalb desselben rechtlichen Rahmens tätig sind. Für die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen für alle und für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft ist dies von wesentlicher Bedeutung.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 79

Nein-Stimmen: 46

Stimmenthaltungen: 11

Folgender Änderungsantrag wurde in der Abstimmung abgelehnt, erhielt jedoch mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen:

Ziffer 4.3 Ersatzlos streichen:

Begründung

Es steht dem EWSA nicht zu, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs in Frage zu stellen. Dieser gefährliche Präzedenzfall würde dem Ansehen des Ausschusses schaden.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 44

Nein-Stimmen: 78

Stimmenthaltungen:14


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/8


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu den „Energieaußenbeziehungen der EU“

(2009/C 182/02)

Berichterstatterin: Frau SIRKEINEN

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 16./17. Januar 2008 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die Energieaußenbeziehungen der EU“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 11. Dezember 2008 an. Berichterstatterin war Frau SIRKEINEN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 181 gegen 4 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen: Für eine Energieaußenpolitik der EU

1.1   Energie steht seit langem im Mittelpunkt der internationalen Politik. Die anderen großen Akteure auf der weltpolitischen Bühne haben starke energiepolitische Interessen, sei es offen oder verdeckt. Energie wird in internationalen Spannungen oft auch als ein Hebel oder gar eine Waffe eingesetzt.

Aus Sicht des EWSA ist es höchste Zeit, dass die EU als weltweit stärkste Wirtschaftsgemeinschaft ihre Rolle auf der internationalen Energiebühne anmahnt.

1.2   Die Unionsbürger sorgen sich um die Sicherheit ihrer Energieversorgung und die hohen, Schwankungen unterworfenen Energiepreise, aber auch um die Klimaveränderung und allgemein um weltweite, nicht nachhaltige Entwicklungen. Nach Auffassung des EWSA braucht die EU eine klar definierte, umfassende Energieaußenpolitik im Einklang mit den Erwartungen der Unionsbürger und vor allem den Willen und die Entschlossenheit zu ihrer Umsetzung.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Energieaußenpolitik der EU auf zwei Pfeilern ruhen:

der Sicherung der Energieversorgung der EU und

einer aktiven, verantwortungsvollen Energie- und Klimapolitik.

1.3   Viele Elemente einer solchen Politik sind bereits vorhanden. Die Energiesicherheit wurde vom Europäischen Rat am 15./16. Oktober 2008 in seinen Schlussfolgerungen angesprochen, und weitere Vorschläge wurden von der Kommission am 13. November 2008 in ihrer "Zweiten Überprüfung der Energiestrategie" (1) vorgelegt. Der EWSA wird zu einem späteren Zeitpunkt eingehend dazu Stellung nehmen.

Nach Auffassung des EWSA braucht die EU eine durchdachte Strategie für die Energieaußenpolitik und einen praktischen Handlungsplan, in denen u.a. die in dieser Stellungnahme dargelegten Bemerkungen Berücksichtigung finden.

In Anbetracht der wechselseitigen Abhängigkeit der Energielieferanten und der Energienutzer voneinander dringt der EWSA insbesondere auf Gegenseitigkeit beim Netzzugang und in den Investitionsbedingungen, einschließlich des Zugangs zu Vorinvestitionen.

Mehrere Pipeline-Projekte zwischen Europa und dem kaukasischen Raum, Asien und Russland befinden sich in Entwicklung. Sie sind von größter Wichtigkeit, könnten sich aber mittelfristig als unzureichend für Europa erweisen.

1.4   Im Mittelpunkt der EU-Energiepolitik stand bisher die Schaffung eines Binnenmarktes für Energie, insbesondere für Elektrizität und Gas.

Der EWSA unterstützt die Sicht, dass eine wirksame Außenstrategie und ein erfolgreiches Auftreten nach außen nur auf einer klaren gemeinsamen innereuropäischen Politik und einem funktionierenden Energiebinnenmarkt basieren können.

Der Ausschuss unterstreicht, dass interne energiepolitische Maßnahmen entscheidend zur Verringerung der Außenabhängigkeit im Energiebereich und zur Erhöhung der Versorgungssicherheit beitragen können; dies gilt besonders für Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, einen diversifizierten Energiemix, ausreichende Investitionen in die Infrastruktur sowie für Krisenabwehrmaßnahmen, wie Frühwarnung, Informationsaustausch und Bevorratung/Substitution.

1.5   Europa hat sowohl die Verantwortung als auch das Potenzial, einen tiefgreifenden Wandel im Energieverbrauchsdenken herbeizuführen — die dritte industrielle Revolution.

Die EU sollte ihre Vorreiterrolle in der globalen Klimapolitik beibehalten und nach besten Kräften für die künftige Nachhaltigkeit der Entwicklungsländer im Energiebereich eintreten.

1.6   Bei der Bewältigung der kurz- und langfristigen energiepolitischen Herausforderungen sowohl in der EU selbst als auch weltweit werden neue, bessere Technologien eine entscheidende Rolle spielen.

Der EWSA betont, dass die EU, die Mitgliedstaaten und die Wirtschaft ausreichende Mittel für FuE und Innovation im Energiebereich aufwenden müssen, und dringt auf eine integrativere globale Zusammenarbeit in der energiebezogenen FuE.

1.7   Die Bestimmungen des Lissabon-Vertrags über die Energiepolitik und die Außenbeziehungen würden die Möglichkeiten der EU, geschlossen zu handeln und auf der internationalen energiepolitischen Bühne eine maßgeblichere Rolle zu spielen, eindeutig stärken.

Der EWSA ruft alle verantwortlichen Seiten auf, eine Lösung dafür zu finden, dass der Vertrag von Lissabon so bald wie möglich in Kraft treten kann.

Das wichtigste Gebot ist, dass die EU wirklich geschlossen handelt. Die Strategie muss daher auf einem klaren Verständnis der Rolle beruhen, die der EU, den Mitgliedstaaten und den Wirtschaftsakteuren jeweils zukommt.

1.8.1   Auf der auswärtigen, rein politischen Ebene liegen die Befugnisse bei den Mitgliedstaaten. Bei der Verwirklichung des Anspruchs, mit einer Stimme zu sprechen, war in jüngster Zeit insbesondere in den Beziehungen zu Russland eine positive Entwicklung zu verzeichnen.

Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten auf, in den Außenbeziehungen geschlossen zu handeln und dem Versuch, Energie in internationalen Spannungen als Waffe einzusetzen, entgegenzutreten.

1.8.2   Die EU hat eine gemeinsame Handelspolitik, die auf einheitlichen Grundsätzen beruht. Die Europäische Kommission ist auf der Grundlage eines ihr vom Rat erteilten Mandats für handelspolitische Verhandlungen zuständig.

Der EWSA empfiehlt, dass das jeweils für multilaterale Verhandlungen und für bilaterale Verhandlungen mit Ländern und Regionen erteilte Mandat ausreichend weit gesteckt, aber praktikabel ist, damit greifbare energiebezogene Ergebnisse erreicht werden können.

1.8.3   Kauf-, Infrastruktur- und andere Projektverträge werden von Unternehmen abgeschlossen und durchgeführt. Die Regierungen haben oft eine maßgebliche oder sogar entscheidende tragende Rolle in den Vertragsverhandlungen.

Der EWSA empfiehlt, dass im Rahmen solcher Vertragsverhandlungen die Regierungsvertreter der EU-Mitgliedstaaten als Vorbedingung für die Unterstützung eines Vertrags verlangen, dass das betreffende Drittland bestimmte Regeln, wie Gegenseitigkeit, Gleichbehandlung, Transparenz und Investitionsschutz, auf seine Märkte anwendet und die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte achtet, und er empfiehlt, dass sich der Rat auf einen Rahmen für solche Grundsätze verständigt, die für alle Verhandlungen über Energieverträge mit Drittstaaten gelten.

1.9   Ziel der Energieaußenpolitik muss es sein, den Bedürfnissen und Anliegen der Bürger in ihrem privaten und beruflichen Leben gerecht zu werden.

Der EWSA empfiehlt, die Sozialpartner ebenso wie Umweltverbände und andere Organisationen der Zivilgesellschaft zu hören und aktiv in die Festlegung der Energieaußenpolitik einzubinden. Dabei sollten ihre Fähigkeiten zur Unterstützung des internationalen Dialogs und internationaler Verhandlungen bestmöglich in Anspruch genommen werden.

1.10   Angesichts ihres Einflusses tragen die organisierte Zivilgesellschaft und die Wirtschafts- und Sozialräte ebenfalls Verantwortung für die Gestaltung der Energieaußenpolitik der EU.

Der EWSA empfiehlt, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft ihre nationale Regierung und die Regionalregierungen drängen, in diesen Fragen geschlossen auf der EU-Ebene aufzutreten. Die Solidarität der Europäer ist höher zu bewerten als der enge Blickwinkel lokaler oder nationaler Interessen, denn die Ziele der Energieversorgungssicherheit und die Wahrnehmung der internationalen Verantwortung können durch gemeinsames Handeln besser erreicht werden.

1.11   Dialog und Verhandlungen über internationale Energiebeziehungen laufen angesichts der geopolitischen Bedeutung und der beträchtlichen Komplexität des Themas über viele unterschiedliche Foren. Ein offener Dialog, in dem soweit wie möglich die verschiedenen Aspekte des Themas behandelt werden, käme einem umfassenderen Verständnis und einer stärkeren Einbindung der Interessenträger zugute.

Das Thema Energie sollte ein fester Punkt auf der Tagesordnung der Sitzungen des EWSA und der Diskussionsrunden mit seinen internationalen Partnern sein oder werden.

Der EWSA kann selbst einen Beitrag leisten, indem er regelmäßig auf einer breiten Grundlage Seminare zu den auswärtigen Aspekten der EU-Energiepolitik veranstaltet, zu denen insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen, auch aus Drittländern und -regionen, hinzugezogen werden. Die Anhörung, die die EWSA-Studiengruppe „Energieaußenbeziehungen“ am 1. Oktober 2008 in Brüssel veranstaltete, hat bereits erste Früchte getragen.

2.   Einleitung

2.1   Energie ist weltweit zu einem Top-Thema der Politik geworden. Ein Schlaglicht auf ihre Bedeutung werfen politische Unruhen und sogar militärische Auseinandersetzungen, die offensichtlich im Zusammenhang mit Energie stehen. Hintergrund sind die zunehmende Nachfrage vorwiegend in den Entwicklungsländern — im Gefolge der erfreulichen Erhöhung des Lebensstandards in diesen Ländern — und die absehbare Knappheit einiger fossiler Brennstoffe. Darüber hinaus ist die Öl- und Gasversorgung durch eine hohe Abhängigkeit von einer geringen Zahl von Erzeugerländern gekennzeichnet, und auf der Versorgungsseite wird eine zunehmende Konzentration in der Zukunft erwartet.

2.2   Die Turbulenzen in der Weltwirtschaft hängen mit den Energiepreisen zusammen. Vor kaum zwei Jahren setzte ein starker Anstieg des Öl- und dann des Gaspreises ein, was die Inflation anheizte und den Verbrauchern und der Gesellschaft insgesamt erhebliche Probleme beschert hat. Der Ölpreis ist gegenwärtig wieder drastisch gefallen, was wiederum Sorgen über eine Erzeugung in ausreichender Höhe und über die Sicherheit der Versorgung aufkommen lässt. Unbeschadet solcher Schwankungen dürften die Energiepreise tendenziell weiter steigen, zum einen aus Gründen des Marktgleichgewichts und insbesondere wegen der politischen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels. Die Schwächsten der Gesellschaft sind von Energiearmut bedroht.

2.3   Gegenwärtig importiert die EU 53 % ihres gesamten Primärenergiebedarfs. Die Importabhängigkeit beträgt bei Festbrennstoffen 40 %, bei Gas 56 % und bei Öl 82 % (Angaben für 2005). Das für 2007 aktualisierte Bezugsszenario der Kommission berechnet für 2030 eine Gesamtimportabhängigkeit von 67 %. Der vor kurzem vorgelegten „Zweiten Überprüfung der Energiestrategie“ zufolge werden die Nettoeinfuhren fossiler Brennstoffe auch 2020 noch ungefähr auf dem heutigen Niveau liegen, selbst wenn die Klima- und Energiepolitik der EU vollständig umgesetzt wird.

2.4   Die EU importiert mehr als 40 % ihres Gas- und ein Viertel ihres Ölbedarfs aus Russland, und insbesondere der Anteil von Gas wird zunehmen. Die nächstgrößeren Öllieferanten sind der Nahe Osten und Norwegen, während beim Gas der zweitwichtigste Lieferant Norwegen gefolgt von Algerien ist. Die Abhängigkeit ist eine gegenseitige, denn die Lieferantenländer sind von der Nachfrage der EU abhängig. Dies gilt ganz besonders für Russland, denn mehr als die Hälfte seiner Energieexporte gehen in die EU.

2.5   Das hohe Maß an Importabhängigkeit und die Dominanz bestimmter Lieferländer, die nicht alle das gleiche marktwirtschaftliche und politische Modell wie die EU haben, hat die Energiesicherheit zu einer vordringlichen Frage auf der Tagesordnung der EU gemacht. Unterstrichen wurde ihre Bedeutung noch durch Unterbrechungen der Lieferungen aus Russland und durch die jüngsten Kampfhandlungen in Georgien.

2.6   Energie ist unter dem Gesichtspunkt der Außenbeziehungen oder in sonstiger energiepolitischer Hinsicht kein homogener Sektor. Öl wird vorwiegend für den Verkehr gebraucht, und Ersatzstoffe zu finden, ist nicht einfach. Die EU ist in die globalen Ölmärkte eingebunden und hat daher wenig Handlungsspielraum. Andere Energiequellen und -technologien kommen in vielfältiger Form zum Einsatz und sind weitgehend untereinander austauschbar. Kohle und Uran werden auf einem offenen Weltmarkt gehandelt, während Gas wegen der raschen Zunahme der Nachfrage und der begrenzten Zahl von Lieferanten und deren Charakteristik besonderer Aufmerksamkeit bedarf.

2.7   Die EU hat in den vergangenen Jahren verschiedene Schritte unternommen, um ihre externe Energieversorgung zu sichern.

2.8   Der Europäische Rat hat die Kommission auf seiner Tagung am 15./16. Oktober 2008 ersucht, entsprechende Vorschläge oder Initiativen zur Frage der Energieversorgungssicherheit vorzulegen, und Leitlinien für sechs vorrangige Bereiche festgelegt. Die Kommission legte ihre Antwort darauf in ihrer „Zweiten Überprüfung der Energiestrategie“ dar. Der EWSA wird zu dieser Mitteilung und den zugehörigen Maßnahmenpaketen eine eigene, eingehende Stellungnahme erarbeiten.

3.   Interne Elemente der Energieaußenpolitik der EU

3.1   Viele in der EU und den Mitgliedstaaten ergriffene Maßnahmen können den Weg für eine geringere externe Energieabhängigkeit und eine höhere Energieversorgungssicherheit ebnen und dadurch die Verhandlungsposition der EU in ihren Energieaußenbeziehungen verbessern. Da diese Maßnahmen bereits eingehend in anderen EWSA-Stellungnahmen erörtert wurden, werden sie hier nur kurz angeschnitten.

3.2   Eine höhere Energieeffizienz ist die erste und vordringlichste Aufgabe, da sie sich auf die Entwicklung der Energienachfrage und damit auf die Außenabhängigkeit auswirkt.

3.3   Ein ausgewogener Energiemix und die Diversifizierung der Energiequellen, insbesondere hin zu emissionsarmen heimischen Energiequellen, wie Bio-, Wind- und Kernenergie, sollten gefördert werden.

3.4   In Bezug auf fossile Brennstoffe sollten KWK-Anlagen mit hohem Wirkungsgrad und Verfahren zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid angestrebt werden.

3.5   Im Gashandel sollte durch die umfangreichere Errichtung von Terminals für Flüssigerdgas (LNG) und sonstige Infrastruktur für mehr Wettbewerb gesorgt werden.

3.6   Ein gut funktionierender Energiebinnenmarkt trägt zur rationellen Nutzung der Ressourcen und zur Lösung möglicher lokaler oder regionaler Versorgungsschwierigkeiten bei. Ausreichende Infrastrukturinvestitionen sind ebenso notwendig wie ein offener Zugang zu den Netzen und sonstigen Infrastruktureinrichtungen. Eine wirkungsvolle Zusammenschaltung erfordert eine effektive Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden.

3.7   Zur Verhinderung einer Gefährdung der Energieversorgung sind spezielle Maßnahmen gefordert. Es bedarf einer echten Solidarität und eines Frühwarnmechanismus, um im Fall von Energiekrisen und Lieferstörungen gemeinsam handeln zu können. Der EWSA wird zu gegebener Zeit zu den neuesten einschlägigen Vorschlägen der Kommission Stellung nehmen.

3.8   Der Ausschuss bekundet seine besondere Unterstützung für wirkungsvolle Maßnahmen zum Anschluss isolierter Teile der EU, insbesondere der baltischen Staaten, an den gemeinsamen Energiemarkt und zur Gewährleistung einer ausreichenden, diversifizierten Energieversorgung.

4.   Allgemeine Bemerkungen des EWSA zu einer Energieaußenpolitik der EU

4.1   Für den EWSA muss die Energieaußenpolitik auf zwei Pfeilern ruhen:

der Sicherung der Energieversorgung der EU und

einer aktiven, verantwortungsvollen internationalen Energie- und Klimapolitik.

4.2   Entsprechende Maßnahmen brauchen eine kurz- und eine langfristige Ausrichtung. Kurzfristig, denn weil die großräumige Ersetzung von Energiequellen und Infrastruktur Zeit braucht, besteht die Notwendigkeit einer Erhöhung der Energieversorgung, während alle zur Verfügung stehenden kurzfristigen Maßnahmen zur Nachfrageverringerung ergriffen werden. Längerfristig, denn wenn Investitionen in Forschung und neue Technologien Frucht tragen, lässt sich die Energienachfrage noch weiter reduzieren, und vor allem können begrenzte oder aus anderen Gründen problematische Energiequellen durch Alternativen ersetzt werden.

4.3   Unterdessen geht der EWSA davon aus, dass Klimaschutzmaßnahmen das Geschehen im Energiebereich in zweierlei Weise stark beeinflussen werden: durch höhere Preise und eine geringere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.

4.4   Neue Technologien sind der beste Weg zur Verbesserung der Energienutzung und zur Ersetzung problematischer Energiequellen. Europa als ein Vorreiter in der Energie- und Klimapolitik sollte diese Gelegenheit nutzen, um durch die Entwicklung der notwendigen Technologien anderen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Um das zu erreichen, muss bereits heute in ausreichendem Maße in Forschung und technologische Entwicklung im Bereich Energie investiert werden.

5.   Sicherung der Energieversorgung der EU

5.1   Die EU hat auf bi- und multilateraler Ebene viel unternommen, um in der übrigen Welt und insbesondere bei ihren Energiepartnern für ihre Regeln und deren Umsetzung zu werben. Der Erfolg war bisher bescheiden. Ein entschiedeneres Vorgehen ist nötig.

5.2   Die Gegenseitigkeit der Investitionsbedingungen muss unbedingt gewahrt sein. Viele Energieerzeugerländer brauchen Auslandsinvestitionen für die Ausschöpfung ihrer Energiequellen und den Ausbau ihrer Infrastruktur, aber diese werden ausbleiben, solange es an Regeln mangelt oder die Regeln unklar sind oder nicht systematisch umgesetzt werden. Die Bestimmungen der Energiecharta sollten beibehalten werden, und ähnliche Ansätze sollten in künftige bilaterale Energieabkommen aufgenommen werden.

5.3   Das gleiche gilt für andere Regulierungsfragen, wie Gleichbehandlung, Vertragsfreiheit und Vertragseinhaltung und Zugang zur Transitinfrastruktur.

5.4   Die EU sollte die Rechte und Möglichkeiten europäischer Unternehmen, in die vorgelagerten Bereiche der Energiequellenerschließung und der Infrastruktur zu investieren, durchsetzen und verteidigen.

5.5   Während Europa Versorgungssicherheit braucht, weisen die Lieferländer, insbesondere Russland, darauf hin, dass sie Nachfragesicherheit brauchen, um die notwendigen Investitionen vorzunehmen. Große Infrastrukturvorhaben lassen sich oft nur mithilfe langfristiger Verträge realisieren. Um für ein besseres Kräftegleichgewicht zu sorgen, sollten solche Verträge in einen europäischen Rahmen eingebettet sein. Dies setzt einen Informationsaustausch unter den Mitgliedstaaten und eine enge Zusammenarbeit mit den Marktbeteiligten voraus.

5.6   Der „Vorrangige Verbundplan“ der EU umfasst mehrere große Verbundvorhaben, darunter auch eines für einen außereuropäischen Anschluss: die Nabucco-Pipeline, die Erdgas aus der Region um das Kaspische Meer nach Mitteleuropa bringen soll. Diese Projekte sind von größter Wichtigkeit, könnten sich aber mittelfristig als unzureichend für Europa erweisen.

5.7   Die Anbindung der EU an den Kaukasus und Mittelasien könnte neben dem Nabucco-Projekt mehrere neue Pipelines erforderlich machen. Die EU sollte Vorschläge für die Koordinierung regionaler Projekte, die eine signifikante Größe erreichen, und für die Mobilisierung öffentlicher und privater Investitionen vorlegen.

5.8   Der EWSA nimmt die sechs vorrangigen Infrastrukturmaßnahmen zur Kenntnis, die die Kommission in ihrer „Zweiten Überprüfung der Energiestrategie“ vorschlägt. Der Ausschuss wird dazu ebenso Stellung nehmen wie zu dem Grünbuch „Hin zu einem sicheren, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Energienetz“ (2).

5.9   Der Dialog mit der OPEC und dem Golf-Kooperationsrat muss vertieft werden, und die Übereinkommen mit Aserbaidschan und Kasachstan müssen in vollem Umfang umgesetzt werden. Die Beziehungen zu mittelasiatischen Erzeugerländern, wie Turkmenistan und Usbekistan, müssen intensiviert werden, um die Beförderung kaspischer Energieressourcen in die EU zu erleichtern.

5.10   Die Bedeutung Afrikas als Energielieferant hat erheblich zugenommen. Eine gut ausgebaute Partnerschaft mit Afrika muss umfassend sein und die nachhaltige Entwicklung der Volkswirtschaften afrikanischer Öl- und Gaserzeugerländer ausgewogen unterstützen.

5.11   Der Zusammenarbeit im Mittelmeerraum, die eine starke Dynamik erlebt, kommt unter verschiedenen energiepolitischen Gesichtspunkten — Erzeugung, Durchleitung und Verbrauch — eine wichtige Rolle zu.

5.12   Die Nördliche Dimension wird an Bedeutung zunehmen. Die Öl- und Gasvorkommen im Nordpolarmeer und die Zusammenarbeit im Norden sollten eine höhere Priorität in den Energieaußenbeziehungen der EU haben. Demgegenüber umfasst die Zusammenarbeit im Ostseeraum vorwiegend Energieverbraucher- und Transitländer, wo die Verbindung nach Russland von besonderer Bedeutung ist.

5.13   Mit Russland sollte ein stabiles, umfassendes Rahmenabkommen angestrebt werden, das auf den Grundsätzen Gleichheit, beiderseitiges Verständnis und Gegenseitigkeit beruht. Russland sollte die Durchleitung von Gas durch das russische Netz und Investitionen europäischer Firmen in den Ausbau russischer Netze und Energiequellen erlauben. Es ist an der russischen Seite, Bedenken über ihre Verlässlichkeit als Energielieferant auszuräumen, ebenso wie von ihren europäischen Partnern erwartet wird, ihre Verträge und Zusagen einzuhalten.

5.14   Die EU sollte außerdem die Zusammenarbeit mit anderen Energienutzern intensivieren, sei es im Rahmen der Internationalen Energie-Agentur oder darüber hinaus.

6.   Eine aktive, verantwortungsvolle internationale Energie- und Klimapolitik

6.1   Die Art des Energieverbrauchs, wie wir sie heute in Europa und in den Vereinigten Staaten von Amerika kennen, geht auf die Zeit der ersten industriellen Revolution zurück. In dem Bemühen, ihren Lebensstandard zu erhöhen, befinden sich viele Entwicklungsländer derzeit in der gleichen Phase, die Europa vor einigen Jahrzehnten durchlief. In diesen Ländern bedeutet das eine rasche Zunahme des Energieverbrauchs — das ist ihr Recht, und es ist für die globale Sicherheit und die friedliche Entwicklung notwendig. In unserer Zeit hat Europa sowohl die Verantwortung als auch das Potenzial, einen tiefgreifenden Wandel im Energieverbrauchsdenken herbeizuführen — die dritte industrielle Revolution.

6.2   Weltweit leben rund 2 Milliarden Menschen in Entwicklungsländern ohne elektrischen Strom und sind auf Holz, Dung und landwirtschaftliche Abfälle angewiesen. Als Folge davon gehört die Innenraum-Luftverschmutzung mittlerweile weltweit zu den zehn wichtigsten Ursachen eines frühzeitigen Todes. Diesen Menschen Zugang zu Stromnetzen und Kapazitäten zur Stromerzeugung zu geben, ist eine der größten weltumspannenden Aufgaben der Menschheit. Das bedeutet enorme Investitionen und eine massive Zunahme des globalen Energieverbrauchs. Diese Investitionen müssen aber getätigt werden, wenn man menschenwürdige Lebensbedingungen und die Möglichkeit eines höheren Lebensstandards für alle will.

6.3   Die EU hat zu Recht eine Vorreiterrolle in der Klimaschutzpolitik übernommen. Das übergeordnete Ziel sollte es hier sein, ein wirkungsvolles internationales Übereinkommen zu erreichen, an dem sich alle Länder beteiligen, denn sowohl die Auswirkungen der globalen Erwärmung als auch die Zunahme der Treibhausgasemissionen werden außerhalb Europas am stärksten sein. Die Kopenhagener Klimakonferenz im Dezember 2009 wird der entscheidende Meilenstein in den globalen Verhandlungen sein, und die EU sollte mit ganzer Kraft auf diese Konferenz hinarbeiten. Unilaterale Maßnahmen der EU wären jedoch eine nicht tragbare Belastung für die europäische Wirtschaft.

6.4   Die EU verfügt über die Instrumente zur Eindämmung des Klimawandels — eneuerbare Energieträger und andere Energiearten mit geringem Kohlendioxidausstoß sowie Energieeffizienztechnik — und entwickelt sie weiter. Derartige Technologien sollten weltweit effektiv zum Einsatz gelangen. Dies dürfte auch die Nachfrage nach europäischem Know-how und europäischen Produkten steigern — und neue Arbeitsplätze schaffen.

6.5   Der EWSA befürwortet nachdrücklich die Idee eines internationalen Energieeffizienzabkommens zwischen den großen Energieverbrauchsländern (USA, Kanada, Japan, Australien, Indien und China). Ein Schritt in diese Richtung ist das von den G8-Staaten im Juli 2008 in Japan vereinbarte Forum. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass diese Großverbraucher sich alle effektiv an dem Abkommen beteiligen und ihren angemessenen Teil dazu beitragen. Neben der Förderung von Energiesparmaßnahmen und der Entwicklung und Verbreitung entsprechender Technologien und erneuerbarer Energien sollte das Abkommen auch die Doppelbepreisung unterbinden, d.h. subventionierte Energiepreise für inländische Verbraucher, denn dies führt zu einer erheblichen Energieverschwendung.

6.6   Die EU sollte sich auch in den Entwicklungsländern tatkräftig für die Förderung der Energieeffizienz einsetzen. Sie sollte den Ansatz wählen, Investitionen in energieintensive Produktions- und Verbrauchsweisen zu vermeiden. Die entwicklungspolitischen Maßnahmen der EU sollten besser auf diesen Zweck zugeschnitten werden.

6.7   Im Instrumentarium der Energiezusammenarbeit mit den Entwicklungsländern sollte die Unterstützung der allgemeinen und beruflichen Bildung das Hauptwerkzeug sein.

6.8   Der EWSA betont, dass in der gesamten Zusammenarbeit, insbesondere mit den Entwicklungsländern, dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung dieser Länder, einschließlich der Entwicklung der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte, Rechnung zu tragen ist.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Mitteilung der Europäischen Kommission: „EU-Aktionsplan für Energieversorgungssicherheit und –solidarität: Zweite Überprüfung der Energiestrategie“ (SEK(2008) 2794, SEK(2008) 2795).

(2)  Grünbuch „Hin zu einem sicheren, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Energienetz“ (KOM(2008) 782 endg.).


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/13


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Europäisches Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR)“

(2009/C 182/03)

Berichterstatter: Herr IULIANO

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Juli 2008, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Europäisches Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR)“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 11. Dezember 2008 an. Berichterstatter war Herr IULIANO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 15. Januar) mit 115 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte

Der EWSA fordert, dass die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (1) in den politischen Maßnahmen der Europäischen Union einen größeren Stellenwert bekommen, und zwar durch Nutzung der ihr zur Verfügung stehenden geografischen und thematischen Instrumente, wie etwa das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR).

Mit Blick auf die unlängst erfolgte Genehmigung des fakultativen Protokolls zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen ersucht der EWSA die Europäische Union um einen Appell zur weltweiten Ratifizierung und Umsetzung des Paktes und des betreffenden Protokolls (siehe Anhang 1).

1.2   Sozialer Dialog und menschenwürdige Arbeit als Prioritäten des EIDHR

Unter Bekräftigung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte und als eine der für den Erhalt von Frieden und demokratischer Entwicklung in jedem Land unverzichtbaren Voraussetzungen betont der EWSA die Bedeutung des Arbeitsschutzes unter sämtlichen Gesichtspunkten (Arbeit als soziale Identität stiftendes Element und individuelle Bürgerrechte) (2). Er weist auf den Bezug zwischen Arbeitsschutz und allen damit einhergehenden Rechten nach Maßgabe der grundlegenden internationalen Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation hin (Recht auf Arbeit, Recht auf Zusammenschluss und Tarifverhandlungen, Nichtdiskriminierung in Beschäftigung und Beruf, Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit), in denen sie als grundlegende Menschenrechte anerkannt werden. Daher müssen die menschenwürdige Arbeit (nach ILO-Definition) und der soziale Dialog, als unverzichtbare Voraussetzung für die Durchsetzung und den Schutz der Arbeitsrechte, unter den Prioritäten der EIDHR eine angemessene Anerkennung finden.

1.3   Unterstützung der Sozialpartner

Die Sozialpartner (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen) sind die Hauptakteure des sozialen Dialogs und müssen daher auch als die zentralen Akteure und Ansprechpartner der Europäischen Union betrachtet werden. Die Sozialpartner müssen uneingeschränkt in den politischen Dialog eingebunden werden und direkte Unterstützung in Anspruch nehmen können.

1.4   Stärkung der Rolle der Zivilgesellschaft in den Konsultationsprozessen im Bereich der Menschenrechte

Der EWSA fordert allgemein, dass die Ziele der Förderung von Demokratie und Menschenrechten in der EU-Außenpolitik stets prioritär verfolgt werden und dass insbesondere die Programme und thematischen Instrumente vorrangig und soweit wie möglich an die organisierte Zivilgesellschaft adressiert werden.

Der EWSA fordert deshalb, einen institutionellen Reflexionsprozess über die Rolle der Zivilgesellschaft in der EU-Außenpolitik im Bereich der Menschenrechte und über die Möglichkeit ihrer unmittelbaren Beteiligung an der Konzeption und Umsetzung dieser Politik einzuleiten. Die Konsultation der organisierten Zivilgesellschaft sollte systematisch im Vorfeld der Erarbeitung jedweden Strategiepapiers — auch in Bezug auf einzelne Drittstaaten (CSP: Country Strategy Paper) — erfolgen.

1.5   Die Rolle des EWSA: Ausrichtung, Überwachung und Bewertung

Der EWSA möchte formell am internen Konsultationsprozess im Vorfeld der mehrjährigen und jährlichen strategischen Programmplanung für das EIDHR beteiligt werden, um die Ergebnisse der Arbeiten einfließen lassen zu können, die er mit seinen Partnern der Zivilgesellschaft in den Drittländern, zu denen er privilegierte Beziehungen unterhält, durchführt (Diskussionsforum mit Indien, Europa-Mittelmeer-Raum, AKP-Länder, etc.). Er ersucht ferner darum, zur Halbzeitbewertung und zu den Bilanzen des EIDHR konsultiert zu werden.

Der EWSA möchte bei diesem Prozess eine aktive Rolle spielen und seinen Erfahrungsschatz und seine eigenen Referenznetze (Wirtschafts- und Sozialpartner und Wirtschafts- und Sozialräte) entsprechend einbringen.

Der EWSA schlägt vor, den Einsatz von Ansprechpartnern („focal points“) für die Unterstützung der Menschenrechtsverteidiger in Erwägung zu ziehen, die es den Institutionen und den EU-Organen ermöglichen würden, in einem Netzwerk zu arbeiten, ohne ihren spezifischen Kompetenzbereich aufzugeben.

Der EWSA kann ferner im Bereich der Wahlnachbereitung für die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielen und so zur Konsolidierung der demokratischen Systeme beitragen.

Der EWSA schlägt vor, wie im Europäischen Parlament einen Begleitausschuss für das EIDHR einzurichten mit dem Auftrag, einerseits den dringlichen Konsultationsersuchen im Rahmen der für die Finanzinstrumente geschaffenen neuen Verfahren nachzukommen, und andererseits Folgemaßnahmen in Bezug auf die Programmplanung und Umsetzung des EIDHR sicherzustellen.

2.   Die Europäische Union und die Menschenrechte

2.1   Der Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten stellt eines der wesentlichen Ziele der Europäischen Union (EU) dar, und zwar innerhalb ihrer Grenzen ebenso wie in ihren Beziehungen zu Drittländern. In Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union (1999) heißt es: „Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam“. Dementsprechend wird in Artikel 7 desselben Vertrags ein Mechanismus zur Ahndung schwerer und anhaltender Verletzungen dieser Rechte durch die Mitgliedstaaten vorgesehen.

2.2   Artikel 11 des Vertrags betrifft die auswärtige Dimension der EU im Hinblick auf den Schutz der Menschenrechte. Der Vertrag von Nizza (Dezember 2000) dehnt das Ziel der Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch weiter aus, indem es auch für Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit und sämtliche andere Formen der Kooperation mit Drittländern gilt (Artikel 181 und 181 A VEG). Die auf dem Gipfel von Nizza im Jahr 2000 verkündete EU-Grundrechtecharta ist schließlich inner- und außerhalb der Union eine Referenz im Bereich Menschenrechte (3).

2.3   In den letzten Jahrzehnten hat der Schutz der Menschenrechte aufgrund des rasanten Globalisierungsprozesses für die EU zunehmend an Bedeutung gewonnen, vor allem mit Blick auf ihre Beziehungen zu den Entwicklungsländern. Die Kommission und der Rat haben mit Zustimmung des Europäischen Parlaments (4) schon vor langer Zeit den Bezug zwischen Entwicklung (Armutsbekämpfung) und Schutz der Menschenrechte hervorgehoben, da Letztgenannte die Voraussetzungen für eine reale und stabile sozioökonomische Entwicklung eines Landes schaffen und einen Beitrag zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele leisten.

2.4   „… (die Union) verfügt als wirtschaftlicher und politischer Akteur mit weltweiter diplomatischer Wirkungssphäre und mit einem umfangreichen Budget für die Auslandshilfe über Einfluss und Macht, die sie zugunsten der Demokratisierung und der Menschenrechte (in den Drittländern) einsetzen kann (5). Die Union übt diesen Einfluss derzeit im Zuge politischer Dialoge über die Menschenrechte mit den Ländern aus, zu denen sie Beziehungen unterhält. So z.B. strukturierte Dialoge, in denen es ausschließlich um Menschenrechte geht (China), oder auf regionaler und bilateraler Ebene im Rahmen von Partnerschafts- und Kooperationsabkommen und Assoziierungsvereinbarungen mit Entwicklungsländern, neuen EU-Nachbarstaaten und Kandidatenländern.

2.5   Eine Besonderheit ist die Menschenrechtsklausel, welche die EU in die bilateralen Abkommen mit Drittländern aufgenommen hat, in denen die Achtung der Menschenrechte und die Demokratie als wesentliche Bestandteile des Abkommens verankert sind. Diese Klausel befindet sich in allen bilateralen Abkommen, die die EU seit 1992 geschlossen hat, und gilt derzeit für über 100 Länder (6). Bei etwaigen Verstößen gegen einen wesentlichen Bestandteil können verschiedene Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen ergriffen werden, wie etwa die Aussetzung der Verträge auf politischer Ebene oder Änderungen in den Kooperationsprogrammen. Außerdem steht der EU ein weiteres Instrument zur Verfügung, nämlich die Klausel des sozialen Anreizes im Rahmen des Systems der Allgemeinen Zollpräferenzen (SPG und SPG+), das zusätzliche Präferenzen für die Länder vorsieht, die bestimmte Anforderungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erfüllen (7).

2.6   Gleichwohl ist die EU-Menschenrechtspolitik weiterhin voll von Lücken und Widersprüchlichkeiten. Das Europäische Parlament (EP) hat 2005 eine Entschließung (8) verabschiedet, in der darauf hingewiesen wird, dass viele Branchenabkommen der EU (in den Bereichen Textilwaren, Fischerei, Landwirtschaft etc.) noch keine „Menschenrechtsklausel“ enthalten. Darin wird allgemein die Ungenauigkeit der Formulierungen und Modalitäten in den geltenden Abkommen bedauert, die keine effektive Anwendung der Klauseln ermöglichen. Insbesondere wird auf die begrenzte Rolle des Parlaments bei der Verhandlung über die Abkommen (Überwachung und Aussetzung) hingewiesen, während Rat und Kommission größeren Entscheidungsspielraum hätten.

2.7   In den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) (9) mit den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP) ebenso wie in den Freihandelsabkommen mit dem Mittelmeerraum (ENP) scheint sich die EU verstärkt auf die Handelsaspekte zu konzentrieren. Die EU-Entwicklungshilfe würde daher Gefahr laufen, als Druckmittel gegenüber den Partnerländern im Süden angesehen zu werden und die Abkommen wären letztendlich der Entwicklung (und somit auch dem Schutz der Menschenrechte) in den Empfängerländern nicht mehr förderlich.

2.8   Der EWSA bekräftigt die Notwendigkeit einer kohärenten und komplementären EU-Politik zur Förderung der Menschenrechte und der Demokratisierung, die in den verschiedenen Bereichen der Außen-, Handels- und Entwicklungszusammenarbeitspolitik dasselbe Prioritätsniveau gewährleisten. Ein breiter angelegter Prozess zur Konsultation der Zivilgesellschaft scheint ferner erforderlich, um eine effektive Kohärenz sicherzustellen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen könnten nämlich in den verschiedenen Phasen, angefangen bei der Verhandlung über die Abkommen bis hin zur Begleitung und Durchführungskontrolle, einen brauchbaren Beitrag leisten.

3.   Einleitende Bemerkungen zum EIDHR-Instrument (Europäisches Instrument für Demokratie und Menschenrechte)

3.1   Das EIDHR ist ein Finanzierungsinstrument der EU für die Förderung der Menschenrechte und der Demokratie in Drittländern. In diesem Sinne ist das EIDHR als ein Instrument zu verstehen, das andere, weiter oben erwähnte Instrumente zur Durchsetzung politischer Maßnahmen im Bereich Demokratie und Menschenrechte ergänzt, wie z.B. politische Dialoge, diplomatische Demarchen, Handelsabkommen, geografische und thematische Kooperationsprogramme und -instrumente.

3.2   Dieses Instrument wurde im Rahmen der Finanziellen Vorausschau der EU 2007-2013 geschaffen, mit der ein langwieriger Prozess der Umstrukturierung der Finanzierungsprogramme für Außenhilfe der Union eingeleitet wurde. Dieser neuer Rahmen umfasst mittlerweile geografische Instrumente — IPA (Heranführungsinstrument, das die Kandidatenländer und potenziellen Kandidatenländer umfasst), ENPI (Nachbarschaftsinstrument für die Länder des Kaukasus, Mitteleuropas und des südlichen Mittelmeerraums), DCI (Instrument für die Entwicklungszusammenarbeit), ICI (für die Zusammenarbeit mit industrialisierten Ländern) — ebenso wie thematisch ausgerichtete Instrumente — EIDHR (Menschenrechte), IFS (Stabilitätsinstrument) und INSC (nukleare Sicherheit). Für den Einsatz der thematischen Instrumente ist die behördliche Zustimmung in den Drittländern nicht erforderlich.

3.3   Mit der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen EIDHR-Verordnung (10) wurde ein Instrument eingeführt, das mit eigenen Haushaltsmitteln ausgestattet ist. Es war nicht einfach, dieses Instrument aus der Taufe zu heben, da Menschenrechte und Demokratie in den ursprünglichen Vorschlägen als Themenbereiche des DCI-Instruments vorgesehen waren und somit an Autonomie gegenüber den anderen Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit eingebüßt hätten. Es ist dem Druck des Europäischen Parlaments und auch der Organisationen der Zivilgesellschaft zu verdanken, dass letzten Endes eine spezifische Verordnung für Menschenrechte und Demokratie heraus kam.

3.4   Dieses Instrument ersetzt die Europäische Initiative für Demokratie und Menschenrechte, die als Programm in den Jahren 2000 bis 2006 lief. Das neue Instrument soll die Schwachstellen beheben, die an der Europäischen Initiative kritisiert wurden; sie galt als zu starr in administrativer und finanzieller Hinsicht und als schlecht zugeschnitten auf die Zivilgesellschaft der Länder, in denen Demokratie und Menschenrechte einen schweren Stand haben.

3.5   Die Durchführung erfolgt in mehreren Phasen: (1) die mehrjährige strategische Programmplanung, in der unter Angabe der Prioritäten und der ungefähren Mittelausstattung der Hilfsrahmen der EU festgelegt wird. Das einschlägige Strategiepapier wird von der Generaldirektion Außenbeziehungen der Europäischen Kommission nach Anhörung anderer Stakeholder wie etwa Vertreter der Zivilgesellschaft erstellt. (2) Das Jahresaktionsprogramm hingegen basiert auf dem Strategiepapier und legt die Ziele, Aktionsfelder, Managementverfahren und das Finanzierungsvolumen im Einzelnen fest. Es wird von Europe Aid erstellt.

3.6   Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Europäische Parlament das legal scrutiny (rechtliche Prüfung) der von der Europäischen Kommission erstellten und von den Mitgliedstaaten angenommenen Strategiepapieren eingeführt hat. Die Bemerkungen des Parlaments müssen von der Europäischen Kommission bei der Umsetzung der Politiken berücksichtigt werden.

3.7   Das EIDHR verfolgt derzeit 5 Zielsetzungen (11):

Ziel 1: Stärkere Achtung der Menschenrechte in den Ländern und Regionen, in denen sie am meisten gefährdet sind

Ziel 2: Stärkung der aktiven Rolle der Zivilgesellschaft bei der Förderung der Demokratie und der demokratischen Reform, bei der Unterstützung einer friedlichen Beilegung von Konflikten zwischen Interessen verschiedener Gruppen und der Festigung der politischen Beteiligung von Bürgern und der politischen Vertretung

Ziel 3: Unterstützung der Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte und Demokratie, die unter den Geltungsbereich der gesamtpolitischen Leitlinien der EU fallen, wie z.B. in Bezug auf den Menschenrechtsdialog, die Menschenrechtsverteidiger, die Todesstrafe, Folter und „Kindersoldaten“

Ziel 4: Förderung und Stärkung des internationalen und regionalen Rahmens für den Schutz der Menschenrechte, der Justiz, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie

Ziel 5: Schaffung von Vertrauen in den demokratischen Wahlprozess, insbesondere durch Wahlbeobachtung

3.8   Das EIDHR hat als Instrument für die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte grundlegende Bedeutung. Und es ist vor allem für die Organisationen der Zivilgesellschaft ein wichtiges Instrument, die hier eine zentrale Plattform für eigene Initiativen finden.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Der EWSA bewertete das neue EIDHR-Instrument alles in Allem als positiv. Seine Bedeutung für die Unterstützung der weltweiten EU-Menschenrechtspolitik ist unumstritten. Erfreulich ist ferner die Aufstockung der für dieses Instrument zur Verfügung gestellten Finanzmittel. Der EWSA ist bereit, mit seiner spezifischen Erfahrung die Zivilgesellschaft in den Drittländern zu unterstützen, die weiterhin der Hauptadressat der im Rahmen dieses Instruments zur Verfügung stehenden Mittel sein muss. Schließlich erkennt der Ausschuss weitgehende Übereinstimmung zwischen den thematischen Schwerpunkten des Instruments und den strategischen Prioritäten der Fachgruppe Außenbeziehungen.

4.2   Gleichwohl möchte der EWSA auf zwei allgemeine Aspekte hinweisen und zwei Erfordernisse unterstreichen: 1) es sollte stärker hervorgehoben werden, wie wichtig es ist, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, insbesondere das internationale Arbeitsrecht, in der allgemeinen EIDHR-Struktur zu schützen (die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte können nämlich eine Ausgangsbasis sein, um später — vor allem in „schwierigen“ Ländern — die zivilen und politischen Rechte fördern zu können) und 2) sollte dem EWSA und der organisierten Zivilgesellschaft (OZG) eine aktivere Rolle in den verschiedenen Konsultationsprozessen mit den EU-Institutionen im Bereich der Menschenrechte eingeräumt werden (12).

4.3   Wie es in der EIDHR-Verordnung heißt, stellt „die Schaffung und dauerhafte Verankerung einer Menschenrechtskultur und bürgernahen Demokratie (…) im Grunde eine ständige Herausforderung dar“ und darf die uneingeschränkte Achtung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte nicht außer Acht lassen. Der Arbeitsschutz und der Schutz der Arbeitsrechte nach Maßgabe der ILO-Übereinkommen sind heute ein zentraler Aspekt für die Entwicklung der Drittländer. So sagt die Europäische Kommission selbst: „Die EU vertritt die Auffassung, dass die Wahrung von sozialen Rechten und Arbeitsnormen zu nachhaltiger und gerechter sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung führt“ und folglich „weitere wichtige Akteure die Sozialpartner (Unternehmen und Gewerkschaften) sind … Gewerkschaften sind in den Partnerländern häufig die Organisationen mit den größten Mitgliedszahlen und überwachen die Einhaltung der internationalen Arbeitsnormen (13).

4.4   Es wurde bereits oben erwähnt, wie die OZG stärker in die Verhandlungsprozesse für die Abkommen zwischen der EU und Drittländern einbezogen werden kann. Aber das alleine genügt nicht. Es wäre zweckmäßig, die OZG auch bei der Erarbeitung der strategischen Programmplanungen und der Jahresaktionsprogramme stärker in den Entscheidungsprozess einzubinden. Und so sind dann derzeit auch Konsultationen der Kommission mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen zum Thema Menschenrechte vorgesehen. Gleichwohl müsste diese Verfahrensweise transparenter sein und offiziell auf den Tagesordnungen der Institutionen stehen.

4.5   Insbesondere scheint die Konsultation mit den EU-Delegationen im Empfängerland grundlegend zu sein, wenn man eine effektive Bedürfnisausrichtung der Hilfsmaßnahmen gewährleisten möchte (14).

4.6   Der EWSA betont, dass eine systematische Konsultation der Zivilgesellschaft auch auf zwischenstaatlicher, regionaler und lokaler Ebene wichtig ist. Er ruft daher die Vertreter auf allen Ebenen auf, die Zivilgesellschaft in den politischen Beschlussfassungsprozess einzubeziehen, bevor Strategiepapiere angenommen oder strategische Beschlüsse gefasst werden. Da es in diesem Bereich kein Benchmarking gibt, schlägt der EWSA zur Stärkung des Konsultationsprozesses mit der Zivilgesellschaft vor, diese Konsultationen regelmäßig zu begleiten und zu bewerten und anhand der Ergebnisse Empfehlungen für bewährte Praktiken zu unterbreiten.

4.7   Zu diesem Zweck weist der EWSA auf die Notwendigkeit hin, einen echten politischen Dialog zwischen der OZG und den EU-Delegationen einzuleiten. Daher plädiert er dafür, dass alle EU-Delegationen stärker in die Umsetzung der Projekte eingebunden und mit entsprechendem Personal ausgestattet werden, wie etwa einen Beauftragten für die Zivilgesellschaft („Civil Society Officer“), den es schon in einigen Fällen gibt.

4.8   Der EWSA fordert, dass die menschlichen und finanziellen Ressourcen, die für das EIDHR zur Verfügung stehen, auf die Besonderheiten der mit der Zivilgesellschaft durchgeführten Projekte und auf die jeweiligen Sachzwänge (Zeit, Personal, Finanzrisiko) sowohl in den Delegationen der Kommission in den Drittstaaten als auch am Hauptsitz zugeschnitten sind (15). Dies macht — über die positiven Ergebnisse der Kommission hinaus — eine spezifische Auswahl und Ausbildung der menschlichen Ressourcen erforderlich.

4.9   Der EWSA fordert insbesondere, dass die Instrumente analysiert werden, die der Europäischen Union zur Förderung von „capacity building“-Initiativen zugunsten der betroffenen zivilgesellschaftlichen Organisationen und der kleinen unabhängigen und informellen Organisationen der Zivilgesellschaft effektiv zur Verfügung stehen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die letztgenannten Organisationen in Einzelfällen eine direkte Unterstützung (core funding) mit häufig begrenztem Volumen benötigen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Ziel 1:

Der EWSA begrüßt, dass das Recht auf Vereinigung und zur Bildung/Angehörigkeit einer Gewerkschaftsorganisation als vorrangige Handlungsgrundlage unter diesem Ziel aufgenommen wurde.

Gleichwohl wäre es wünschenswert, auch das Recht zu Kollektivverhandlungen ausdrücklich zu erwähnen, das das Vereinigungsrecht ergänzt und als solches in den ILO-Übereinkommen anerkannt ist.

Der EWSA betont nachdrücklich, von welch' zentraler Bedeutung diese Aspekte für viele Länder sind (16). In diesen Ländern werden den Menschen Grundfreiheiten wie freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit vorenthalten. Einige Mitglieder von Gewerkschaftsorganisationen bezahlen ihren Kampf für die Menschenrechte häufig mit ihrem Leben. In diesem Zusammenhang sind internationale Solidarität und Hilfe unverzichtbar, um die lokalen Organisationen unter Einbeziehung aller Sozialpartner — sofern dies überhaupt möglich ist — zu unterstützen (17).

Der EWSA unterstreicht gleichwohl die Bedeutung des Rechts auf freies Unternehmertum, das der wirtschaftlichen Entwicklung zugute kommt und dessen Ausübung in mehreren Ländern häufig behindert wird.

5.2   Ziel 2:

Bei diesem Ziel stehen die demokratischen Reformen, die Unterstützung des Interessenausgleichs der verschiedenen Gruppen und die Festigung der Mitwirkung und Vertretung im Mittelpunkt. Der EWSA weist darauf hin, dass unter den im Aktionsplan genannten Prioritäten der soziale Dialog fehlt.

Obwohl die Vereinigungsfreiheit erneut erwähnt wird, sollte der soziale Dialog ausdrücklich als vorrangig ausgewiesen werden, weil er ein vollwertiges Instrument der Teilnahme, Vertretung und auch des Interessenausgleichs, in diesem Fall zwischen den Sozialpartnern (Arbeitgeber und Arbeitnehmer), darstellt. Der soziale Dialog ist eine Form, bei der man sich über die Interessen der verschiedenen Seiten verständigt und anschließend eine Einigung erzielt. Dieser Prozess umfasst somit per se den Grundsatz der Gleichheit der Vertretung und bekräftigt die demokratischen Grundprinzipien. Der soziale Dialog stellt daher eine Nagelprobe für die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit dar, die, wie es in der EIDHR-Verordnung heißt, „Voraussetzungen für politischen Pluralismus und demokratische Verfahren“ sind.

Die Anwendung des sozialen Dialogs als Modell zur Konsensfindung zwischen den Sozialpartnern innerhalb der EU sollte auch in den Drittländern gefördert werden, wo die Schaffung demokratischer Strukturen ermöglicht und konsolidiert werden muss. Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammenhang, dass der soziale Dialog naturgemäß nicht nur ein Instrument zur Konfliktlösung, sondern auch zur Prävention ist.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Vereinigungsfreiheit und der soziale Dialog grundlegende Elemente für die Umsetzung der Politiken zur Förderung einer menschenwürdigen Arbeit sind, die sowohl die Kommission als auch der Rat unterstützen und seit 2006 aktiv betreiben (18). Auch das strategische Dokument zum EIDHR enthält einen ausdrücklichen Verweis auf die Förderung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen. Folglich ist es wünschenswert, dass aus diesen Überlegungen echte Zielsetzungen des Instruments zur Förderung der Menschenrechte werden können.

5.3   Ziel 3: Menschenrechtsverteidiger

Der EWSA plädiert dafür, dass denjenigen, die sich für die Achtung der Arbeitsrechte engagieren, mehr Aufmerksamkeit zuteil wird und beabsichtigt, die Unterstützung bedrohter Menschenrechtsverteidiger in Zusammenarbeit mit den Netzen der zivilgesellschaftlichen Organisationen auszubauen (19).

Der EWSA schlägt vor, den Einsatz von Ansprechpartnern („focal points“) für die Unterstützung der Menschenrechtsverteidiger in Erwägung zu ziehen, die es den Institutionen und den EU-Organen ermöglichen würden, in einem Netzwerk zu arbeiten, ohne ihren spezifischen Kompetenzbereich aufzugeben (einschließlich Europarat, der bereits dahingehende Vorstöße gemacht hat).

Schließlich wird vorgeschlagen, eine Zusammenarbeit mit dem Ausschuss der Regionen und seine unmittelbare Einbeziehung bei diesbezüglichen Initiativen zu fördern (siehe z.B. die Städte der Zuflucht (20)).

5.4   Die spezifische Rolle des EWSA

Der EWSA ersucht die Kommission, regelmäßig zum EIDHR konsultiert zu werden. Als beratendes Organ der EU-Institutionen, in dem die Sozialpartner und andere Organisationen der Zivilgesellschaft vertreten sind, die ihrerseits aktiv in Partnerschaft mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen in Drittländern arbeiten, kann der EWSA einen wertvollen Beitrag zur strategischen Programmplanung des Instruments ebenso wie zur Evaluierung leisten.

Der EWSA schlägt vor, wie im Europäischen Parlament einen Begleitausschuss für das EIDHR einzurichten mit dem Auftrag, einerseits den dringlichen Konsultationsersuchen im Rahmen der für die Finanzinstrumente geschaffenen neuen Verfahren nachzukommen, und andererseits Folgemaßnahmen in Bezug auf die Programmplanung und Umsetzung des EIDHR sicherzustellen.

Schließlich kann der EWSA eine unterstützende Funktion gegenüber der Zivilgesellschaft wahrnehmen, und zwar sowohl in „schwierigen“ Ländern, als auch im Rahmen der Wahlnachbereitung zur Festigung demokratischer Systeme und zur Schaffung demokratischer Institutionen (insbesondere solcher, die den Dialog zwischen den Sozialpartnern sicherstellen können).

Brüssel, den 15. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  In Artikel 6 bis 15 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte werden anerkannt: die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Ausübung aller Menschenrechte (die Vertragsstaaten verpflichten sich, dies sicherzustellen) — Artikel 3);

das Recht auf Arbeit;

das Recht auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen;

das Recht auf Bildung von und Beitritt zu Gewerkschaften;

das Recht auf soziale Sicherheit und das Recht auf Sozialversicherung;

das Recht auf größtmöglichen Schutz und Beistand für die Familie;

das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard;

das Recht auf höchstmögliche körperliche und geistige Gesundheit;

das Recht auf Bildung und

das Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben.

(2)  Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte über menschenwürdige Arbeit, der in den Artikeln 6, 7 und 8 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 aufgegriffen wird.

(3)  In diesem Zusammenhang ist die Europäische Sozialcharta aus dem Jahr 1961 die erste europaweite Rechtsquelle, in der die wirtschaftlichen und sozialen Rechte kodifiziert wurden. Die Charta trat 1965 in Kraft, wurde 1996 überarbeitet und ist seit 1999 in ihrer neuen Fassung gültig. Zu erwähnen ist in diesem Kontext auch die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer aus dem Jahr 1989.

(4)  Gemeinsame Erklärung des Rates und der Kommission zur Entwicklungspolitik der Gemeinschaft vom 10. November 2000, abrufbar unter: http://europa.eu.int/comm/development/lex/en/council20001110_en.htm; die Entwicklungspolitik der Europäischen Union „Der Europäische Konsens“, KOM(2005) 311 endg.

(5)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Die Rolle der Europäischen Union bei der Förderung der Menschenrechte und der Demokratisierung in Drittländern“ (KOM(2001) 252 endg.).

(6)  Mitteilung der Kommission zur Berücksichtigung der Wahrung der Grundsätze der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte in den Abkommen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern (KOM(1995) 216 endg.).

(7)  Verordnung (EG) Nr. 2820/1998 des Rates über ein Mehrjahresschema allgemeiner Zollpräferenzen für den Zeitraum 1. Juli 1999 bis 31. Dezember 2001, ABl. L 357 vom 30.12.1998, S. 1-112.

(8)  Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Menschenrechts- und Demokratieklausel in Abkommen der Europäischen Union 2005/2057 INI).

(9)  Auf der Grundlage der Cotonou-Abkommen (2000) wurden 2002 die Verhandlungen zum Abschluss dieser Abkommen aufgenommen. Sie sehen die Schaffung einer Freihandelszone zwischen der EU und den AKP-Staaten vor.

(10)  Verordnung (EG) Nr. 1889/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Einführung eines Finanzierungsinstruments für die weltweite Förderung der Demokratie und der Menschenrechte, ABl. L 386 vom 29.12.2006.

(11)  EIDHR-Strategiepapier 2007-2010, GD RELEX/B/1 JVK 70618, Webseite von Europe Aid.

(12)  Der EWSA weist darauf hin, dass die Konsultation mit der OZG nicht nur für das EIDHR-Instrument von Bedeutung ist, sondern auch für sämtliche Instrumente der EU-Außenhilfe (so sollte z.B. das thematische Programm „Asyl und Migration“ im Rahmen der DCI im Wesentlichen die Initiativen der Zivilgesellschaft zur Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von Migranten unterstützen, und auf diese Weise die Prioritäten berücksichtigen, die er in seinen im Juli 2008 verabschiedeten Stellungnahmen zur EU-Migrationspolitik festgelegt hat (siehe, „Migration und Entwicklung: Chancen und Herausforderungen“, Berichterstatter: Herr Sharma, ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 82).

(13)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Die Rolle der Europäischen Union bei der Förderung der Menschenrechte und der Demokratisierung in Drittländern“ KOM(2001) 252 endg.

(14)  So muss insbesondere die Kohärenz bei der Verteilung der Finanzmittel auf die verschiedenen Länder und Gebiete unter Berücksichtigung der objektiven Bedingungen und effektiven Bedürfnisse sichergestellt werden.

(15)  Derzeit fließen rund 10 % aller für Kooperationsprogramme verfügbaren Mittel in das EIDHR. Die verbleibenden Mittel werden im Rahmen bilateraler Abkommen und als „Haushaltssubvention“ zugunsten der Empfängerländer vergeben. Dementsprechend werden die wichtigsten Finanzmittel auf Regierungsebene übertragen, was zur Folge hat, dass sich das Delegationspersonal verstärkt den Programmen zuwenden sollte, die in finanzieller Hinsicht vorrangiger sind.

(16)  Siehe Webseite des UNHRC (United Nations Human Rights Council).

(17)  Siehe CESE „Die Vereinigungsfreiheit in den Mittelmeer-Partnerländern“, Berichterstatter: Herr Moreno, ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 77.

(18)  Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Menschenwürdige Arbeit für alle fördern“ (KOM(2006) 249 endg.).

(19)  Wie z.B. die Koordinierungs- und Reaktionsmechanismen bei Verletzung von Menschen- und Gewerkschaftsrechten des Human and Trade Union Rights Department des Internationalen Gewerkschaftsbundes ITUC.

(20)  Z.B. die Webseite: http://www.icorn.org/.


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/19


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“

KOM(2008) 426 endg. (Ergänzende Stellungnahme)

(2009/C 182/04)

Berichterstatter: Herr CROOK

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 23. Oktober 2008 gemäß Artikel 29 Buchstabe a) der Durchführungsbestimmungen zur Geschäftsordnung die Erarbeitung einer ergänzenden Stellungnahme zu dem

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“

KOM(2008) 426 endg. (ergänzende Stellungnahme zur Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. Dezember 2008 an. Berichterstatter war Herr CROOK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 183 gegen 7 Stimmen bei 18 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Entwurf der Richtlinie, der den Empfehlungen in seiner unlängst verabschiedeten Initiativstellungnahme zur Ausweitung der Antidiskriminierungsmaßnahmen über die Beschäftigung hinaus auf andere Bereiche (1) weitgehend folgt und zu EU-weit kohärenten Schutzstandards gegen Diskriminierung nach Artikel 13 EGV führen sollte.

1.2   Nach Ansicht des EWSA bietet die Richtlinie jedoch in bestimmten Bereichen weniger Schutz als die bereits bestehenden Richtlinien zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse und zur Geschlechtergleichstellung.

1.3   Das gilt für Artikel 2, der Ausnahmen vom Verbot der Diskriminierung zulässt, vor allem bei Finanzdienstleistungen. Der EWSA empfiehlt, dass für „Alter und Behinderung“ dieselben Anforderungen an Transparenz, Überprüfung und Überwachung gelten sollten wie bereits für das Geschlecht.

1.4   Der EWSA vertritt die Ansicht, dass in Artikel 3 zum Geltungsbereich der Richtlinie Einschränkungen gemacht und umfassende Ausnahmen zugelassen werden, die die Wirksamkeit der Richtlinie insgesamt untergraben werden.

1.5   Nach Auffassung des EWSA wird in Artikel 4 die Pflicht der Anbieter von Gütern und Dienstleistungen, Maßnahmen entsprechend den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen im Voraus vorzusehen und für angemessene Vorkehrungen zu sorgen, zu stark eingeschränkt.

1.6   Der EWSA gibt zu bedenken, dass sich die gemäß Artikel 12 einzurichtenden Stellen für die Gleichbehandlung — im Gegensatz zu den im Rahmen der Richtlinien zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse und zur Geschlechtergleichstellung bezeichneten Stellen — nicht auf den Beschäftigungsbereich erstrecken würden, und empfiehlt daher einen diesbezüglichen neuen Erwägungsgrund.

1.7   Der EWSA bedauert, dass das Problem der Mehrfachdiskriminierung nicht ausreichend in der Richtlinie berücksichtigt wird, und fordert die Kommission auf, eine Empfehlung zu dieser Frage vorzulegen.

2.   Allgemeiner Überblick

2.1   In seiner jüngsten Initiativstellungnahme analysierte der EWSA die derzeitigen Antidiskriminierungsgesetze der EU und der Mitgliedstaaten und gelangte zu dem Schluss, „dass es jetzt neuer EU-Rechtsakte bedarf, die über den Beschäftigungsbereich hinaus die Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters und der sexuellen Orientierung untersagen“.

2.2   Nachdem er sich eingehend mit dem Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung befasst und festgestellt hat, dass einige der von ihm vorgebrachten Bedenken nicht vollständig berücksichtigt wurden, hat der EWSA beschlossen, eine ergänzende Stellungnahme zu dem Richtlinienentwurf zu erarbeiten.

2.3   Der EWSA begrüßt es, dass in vielen Bestimmungen des Richtlinienvorschlags die bereits in anderen Richtlinien nach Artikel 13 enthaltenen Bestimmungen aufgegriffen wurden, wie etwa die Definition der Begriffe unmittelbare und mittelbare Diskriminierung sowie Belästigung, Bestimmungen zur Umsetzung und zu den Rechtsbehelfen, einschließlich Umkehr der Beweislast, Schutz gegen Viktimisierung sowie Sanktionen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Wie bei der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse (2) umfasst der Geltungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie den Sozialschutz mit Gesundheitsdiensten, sozialen Vergünstigungen, allgemeiner Bildung und Zugang zu Gütern und Dienstleistungen einschließlich Wohnraum (allerdings — wie an anderer Stelle noch dargelegt wird — mit Einschränkungen und Ausnahmen, die den vollen Geltungsbereich möglicherweise reduzieren).

2.4   Nachstehend befasst sich der EWSA vorrangig mit den Bestimmungen, die seiner Ansicht nach direkt oder indirekt einen geringeren Schutz vor Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung bieten könnten als die anderen Richtlinien nach Artikel 13 betreffend die Diskriminierung aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechts.

3.   Anmerkungen zu einzelnen Artikeln

3.1   Artikel 2

In Artikel 2 wird der Begriff der Diskriminierung geklärt, wobei die Absätze 1 und 4 dieses Artikels die gleichen Definitionen wesentlicher Begriffe enthalten wie die anderen Richtlinien nach Artikel 13. Artikel 2 Absatz 5 macht die Verweigerung angemessener Vorkehrungen gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) zu einer Form verbotener Diskriminierung.

3.1.1.1   Um eine korrekte Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht zu gewährleisten, empfiehlt der EWSA mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Coleman gegen Attridge Law (in dem bestätigt wurde, dass das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung in Richtlinie 2000/78/EG auch für eine Person gilt, die mit einem behinderten Menschen verwandt ist (3)), in der Richtlinie klarzustellen, dass eine Diskriminierung aus den in der Richtlinie genannten Gründen eine Diskriminierung aufgrund einer Beziehung zu Menschen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, einem bestimmten Alter oder einer bestimmten sexuellen Ausrichtung mit einschließt.

Nach Artikel 2 Absatz 6 können die Mitgliedstaaten festlegen, dass Ungleichbehandlung aufgrund des Alters keine Diskriminierung darstellt, „sofern sie … durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind“.

3.1.2.1   Der EWSA hatte empfohlen (4), dass eine Vorzugsbehandlung auch für Personen mit Behinderungen möglich sein sollte, sofern dies nachweislich gerechtfertigt ist. Das sollte zusätzlich zu den Maßnahmen gelten, die einen effektiven Zugang gemäß Artikel 4 gewährleisten.

3.1.2.2   Es sollte darauf hingewiesen werden, dass ein Ziel für diesen Zweck nur dann als „rechtmäßig“ gelten kann, wenn es mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung im Einklang steht, wie beispielsweise die Unterstützung der betreffenden Gruppe bei der gleichberechtigten Teilnahme am öffentlichen Leben.

Nach Artikel 2 Absatz 7 können die Mitgliedstaaten „verhältnismäßige Ungleichbehandlungen“ durch die Erbringer von Finanzdienstleistungen zulassen, „wenn … die Berücksichtigung des Alters oder einer Behinderung ein zentraler Faktor bei der auf relevanten und exakten versicherungsmathematischen oder statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ist“.

3.1.3.1   Der EWSA befürchtet, dass durch diese umfassende Ausnahme die gut dokumentierte Benachteiligung von jungen und älteren Menschen sowie von Menschen mit Behinderungen in Bezug auf Bank- und zahlreiche Versicherungsprodukte aufrechterhalten wird.

3.1.3.2   Das steht in deutlichem Gegensatz zu der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (5), der zufolge die Mitgliedstaaten beschließen können, Unterschiede bei den Versicherungsprämien und -leistungen für Frauen und Männer zuzulassen, sofern dies durch genaue versicherungsmathematische Daten gestützt wird, deren Erhebung, Veröffentlichung und regelmäßige Aktualisierung die Mitgliedstaaten sicherstellen. Die Mitgliedstaaten haben ihre Entscheidung nach fünf Jahren zu überprüfen.

3.1.3.3   Der EWSA erkennt an, dass bei einigen Tätigkeiten die Risiken für Menschen bestimmter Altersgruppen oder für Menschen mit bestimmten Behinderungen durchaus größer sein können; Artikel 2 Absatz 7 bietet jedoch einen zu breiten Raum für unterschiedliche Prämien, ohne dass von den Versicherungsgesellschaften eine Offenlegung der versicherungsmathematischen Daten gefordert wird. Potenzielle Kunden können nicht wissen, ob unterschiedliche Prämien gerechtfertigt sind, und den Wettbewerbern fehlt der Anreiz, fairere Preise anzubieten.

3.1.3.4   Selbst wenn unterschiedliche Prämien vertretbar sind, ist die Offenlegung versicherungsmathematischer oder statistischer Daten für die Gewährleistung der nach Artikel 2 Absatz 7 geforderten Verhältnismäßigkeit unerlässlich.

3.1.3.5   Der EWSA empfiehlt, dass für „Alter und Behinderung“ dieselben Anforderungen an Transparenz, Überprüfung und Überwachung durch die Mitgliedstaaten gelten sollten wie beim „Geschlecht“. Der Richtlinienvorschlag sollte den Mitgliedstaaten die Zulassung von Unterschieden bei der Behandlung nur dann gestatten, wenn sie den Anbietern von Finanzdienstleistungen vorschreiben, aktuelle versicherungsmathematische und statistische Daten zu veröffentlichen, die für die betreffende „Risikotätigkeit“ — wie beispielsweise Führen eines Kraftfahrzeugs, Reisen, Hypothekentilgung — und für die betreffende Altersgruppe oder Behinderung relevant sind. Zur Feststellung etwaiger Risikoveränderungen sollten diese Daten regelmäßig überprüft werden, und von den Mitgliedstaaten sollte nach einer bestimmten Zeit gefordert werden, dass sie die Nachweise für unterschiedliche Behandlungen überprüfen und eine schrittweise Risikoteilung sowie eine Angleichung der Prämien in Betracht ziehen.

3.2   Artikel 3

Artikel 3 legt den Geltungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie fest, das heißt die Tätigkeitsbereiche, in denen das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung Anwendung findet.

3.2.1.1   Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass der in Artikel 3 Absatz 1 Buchstaben a) bis d) festgelegte Geltungsbereich entsprechend seiner Empfehlung dem Geltungsbereich der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse (6) entspricht (7).

3.2.1.2   Nachdem in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d) das Diskriminierungsverbot für „den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum“ festgelegt wurde, heißt es im Richtlinienentwurf weiter: „Buchstabe d gilt für Einzelne nur insoweit, als sie ihre berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausüben“.

3.2.1.3   Diese Ausnahme, die sich auch im Erwägungsgrund 16 wiederfindet, ist in der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse nicht enthalten. Der EWSA befürchtet, dass ohne eine Definition von „beruflich oder gewerblich“ der Mangel an Klarheit die Wirkung der Richtlinie abschwächen wird. Wenn der Zweck, wie die Kommission behauptet (8), im Ausschluss privater Transaktionen besteht, so kann dies nach Meinung des EWSA davon abgeleitet werden, dass nur Güter und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, erfasst sind. In Erwägungsgrund 17 heißt es weiter: „Durch das Diskriminierungsverbot dürfen andere Grundrechte und Grundfreiheiten nicht beeinträchtigt werden, einschließlich des Schutzes des Privat- und Familienlebens und der in diesem Kontext stattfindenden Transaktionen“.

Nach Artikel 3 Absatz 2 gilt das Verbot der Diskriminierung aus einem der vier Gründe nicht für einzelstaatliche Gesetze über den Ehe- oder Familienstand einschließlich der reproduktiven Rechte.

3.2.2.1   Der EWSA erkennt an, dass Ehe- oder Familienstand und die reproduktiven Rechte in den Bereich der Rechtsetzungsbefugnis der Mitgliedstaaten fallen, akzeptiert jedoch nicht, dass im Rahmen dieser Befugnis ein EU-weiter Rechtsschutz gegen Diskriminierung gänzlich negiert wird.

3.2.2.2   Ehestand. In Bezug auf die nationalen Zuständigkeiten für die Regelung von Ehestandsfragen hat der Gerichtshof kürzlich folgendermaßen entschieden: „Gewiss fallen der Familienstand und davon abhängige Leistungen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, und das Gemeinschaftsrecht lässt diese Zuständigkeit unberührt. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht zu beachten haben, insbesondere die Bestimmungen in Bezug auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung“ (9).

3.2.2.3   Familienstand. Der Begriff des Familienstandes ist nicht definiert und folglich zu unscharf, um als Grundlage für den Schutzausschluss herangezogen zu werden.

3.2.2.4   Reproduktive Rechte. Der EWSA erachtet den Zugang zu reproduktionsmedizinischen Leistungen als integralen Bestandteil des Gesundheitswesens, in dem es sowohl nach Gemeinschaftsrecht als auch nach einzelstaatlichem Recht keine Diskriminierung, aus welchem Grunde auch immer, geben sollte. In Bezug auf reproduktionsmedizinische Leistungen ist jedoch nachweislich eine Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Ausrichtung, einer Behinderung und des Alters vorhanden. Und da es Frauen sind, die diese Leistungen benötigen und in Anspruch nehmen, könnte die Ausklammerung dieses Bereichs beim Schutz gegen Diskriminierung eine Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts wie auch einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung darstellen.

3.2.2.5   Daher sollte nach Ansicht des EWSA Artikel 3 Absatz 2 insgesamt überprüft werden, und in der endgültigen Formulierung sollte eindeutig festgelegt werden, dass einzelstaatliche Rechtsvorschriften zum Ehe- und Familienstand bzw. zu reproduktiven Rechten ohne Diskriminierung wegen der in der Richtlinie aufgeführten Gründe umzusetzen sind.

3.2.2.6   Nach Artikel 3 Absatz 3 ist ein Verbot der Diskriminierung im Bildungswesen direkt gekoppelt an die „Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte, die Aktivitäten und die Gestaltung ihres Bildungssystems einschließlich der Sonderpädagogik“.

3.2.2.7   Der EWSA befürchtet, dass durch diese Ausnahme, die nicht in der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse enthalten ist und über Artikel 149 — die im Vertrag enthaltene spezifische Festlegung zum Bildungswesen (10) — hinausgeht, die Einflussnahme der Richtlinie auf die Beseitigung von Diskriminierung und Belästigung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zu stark eingeschränkt werden könnte.

3.2.2.8   Der EWSA merkt an, dass Artikel 150 EGV nahezu gleichlautend mit Artikel 149 feststellt, dass die Mitgliedstaaten die Verantwortung für den Inhalt und die Gestaltung der beruflichen Bildung tragen. Diese ist jedoch bisher ohne Einschränkungen in den Geltungsbereich der EU-Antidiskriminierungsgesetze gefallen (11).

3.2.2.9   Die Tatsache, dass es EU-weit im Bildungsbereich nachweislich Fälle von Diskriminierung aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung oder der sexuellen Ausrichtung gibt, war einer der Hauptgründe für die Erarbeitung der vorgeschlagenen Richtlinie. Das Verbot der Diskriminierung und die Durchsetzung der Gleichbehandlung im Bildungssektor sind nach Ansicht des EWSA für die Entwicklung demokratischer und toleranter Gesellschaften, für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung und für die Sicherung des sozialen Zusammenhalts von solch grundlegender Bedeutung, dass eine einschlägige Gesetzgebung auf Gemeinschaftsebene erforderlich ist, die mit den in Artikel 5 EGV festgelegten Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit im Einklang steht.

3.2.2.10   Besonders im Bereich der Sonderpädagogik ist beim Schutz gegen Diskriminierung ein hohes Niveau vorzusehen, um unabhängig von der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung eine faire und korrekte Behandlung aller Kinder zu sichern. Die Konzepte der Mitgliedstaaten für gesonderte oder integrierte Bildung würden dadurch nicht beeinträchtigt, jedoch wäre deren diskriminierungsfreie Anwendung sichergestellt. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Rechtssache D. H. und andere gegen Tschechische Republik macht deutlich, wie gerade bei Entscheidungen darüber, wer eine sonderpädagogische Bildung erhält, althergebrachte Formen der Diskriminierung im Bildungsbereich aufrechterhalten werden können (12).

3.2.2.11   Der EWSA hält im Bildungswesen einen durchgängigen Schutz gegen Diskriminierung für besonders erforderlich, da sich in diesem Bereich Diskriminierungen aus Gründen der Rasse und der ethnischen Herkunft sowie aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung häufig überschneiden. Wenn in der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse eine Einschränkung, wie sie in Artikel 3 Absatz 3 vorgesehen ist, nicht erforderlich war, ist nicht klar, warum sie in diesem Richtlinienentwurf enthalten sein muss.

3.2.2.12   Unabhängig davon, inwieweit die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für den Bildungsbereich begrenzt sind, sollte es in der Richtlinie ausdrücklich heißen, dass alle betreffenden Maßnahmen ohne Diskriminierung umzusetzen sind.

3.2.2.13   Der zweite Satz in Artikel 3 Absatz 3 gestattet beim Zugang zu Bildungseinrichtungen eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion oder Weltanschauung. Nach Ansicht des EWSA sollte durch die Richtlinie sichergestellt werden, dass diese Einrichtungen nicht aus einem anderen Grunde diskriminieren können.

3.3   Artikel 4

Artikel 4 betrifft die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen.

3.3.1.1   Im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (13) wird, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aufgezählt, wer zu den „Menschen mit Behinderungen“ zu zählen ist. Die Mitgliedstaaten sollten diesen Kriterien bei der Erarbeitung nationaler Rechtsvorschriften zum Schutz und zur Förderung der Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen Rechnung tragen. Eine entsprechende Handlungsempfehlung sollte in die vorgeschlagene Richtlinie aufgenommen werden.

3.3.1.2   Der EWSA begrüßt in Artikel 4 den zweigleisigen Ansatz zum Abbau von Beschränkungen beim Zugang zu Sozialschutz, sozialen Vergünstigungen, Gesundheitsdiensten und Bildung sowie beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum und Transport, was mit der Empfehlung des EWSA in Einklang steht (14). Das beinhaltet die Pflicht, Maßnahmen entsprechend den Zugangsbedürfnissen von Menschen mit Behinderungen im Voraus vorzusehen (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a)), sowie die Forderung nach angemessenen Vorkehrungen, um im konkreten Fall einen diskriminierungsfreien Zugang zu gewährleisten (Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b)). Nach Artikel 2 Absatz 5 stellt die Nichteinhaltung von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) eine Form verbotener Diskriminierung dar. Der EWSA empfiehlt, dass der Begriff „effektiver diskriminierungsfreier Zugang“ in dieser Richtlinie geklärt wird.

3.3.1.3   Der EWSA ist besorgt über die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) enthaltenen drei Einschränkungen der Verpflichtung, im Voraus entsprechende Maßnahmen vorzusehen, nämlich dass Maßnahmen für spezielle Zugangsbedingungen

a)

keine unverhältnismäßige Belastung bedeuten sollten,

b)

keine grundlegende Veränderung des Sozialschutzes, der sozialen Vergünstigungen, der Gesundheitsdienste, der Bildung oder der betreffenden Güter und Dienstleistungen zur Pflicht machen sollten oder

c)

nicht die Bereitstellung von entsprechenden Alternativen erfordern.

3.3.1.4   Die Einschränkungen unter b) und c) sind sehr ungenau und dürften die Beibehaltung ungerechtfertigter diskriminierender Praktiken zur Folge haben. So könnte beispielsweise ein Erbringer von Gesundheitsleistungen, der diese nur für nicht behinderte Personen anbietet, unter Berufung auf Buchstabe b) Forderungen nach Änderung seiner Leistungen zurückweisen. Oder eine kommunale Behörde, die einen Omnibusdienst zum örtlichen Krankenhaus anbietet, bei dem jedoch keine Rollstühle befördert werden, könnte unter Hinweis auf Buchstabe c) Forderungen nach einer alternativen Transportart ablehnen. Nach Ansicht des EWSA wäre es ausreichend zu fordern, dass die antizipierenden Maßnahmen angemessen sind — was jedoch derzeit in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) nicht der Fall ist -, und die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) enthaltene Verpflichtung einzig und allein an die Bedingung zu koppeln, dass diese Maßnahmen keine unverhältnismäßige Belastung darstellen.

3.3.1.5   Artikel 4 Absatz 2 würde spezifische Faktoren rechtsverbindlich machen, die bei der Bewertung der Frage, ob Maßnahmen zur Einhaltung der Bestimmungen in Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben a) und b) „eine unverhältnismäßige Belastung bedeuten“, zu berücksichtigen sind. In Erwägungsgrund 19 werden die Größe, die Ressourcen und die Art der Organisation als Parameter genannt, die bei der Bewertung der Frage, ob die Belastung unverhältnismäßig ist, herangezogen werden sollten. In der Richtlinie 2000/78/EG wurden im Erwägungsgrund 21 ähnliche Kriterien genannt. Artikel 4 Absatz 2 führt zwei weitere Faktoren an, nämlich den „Lebenszyklus der Güter und Dienstleistungen“ und „die möglichen Vorteile eines verbesserten Zugangs für Menschen mit Behinderungen“. Der EWSA ist der Ansicht, dass diese zusätzlichen Elemente unnötig sind, da beide Bestandteil einer jeden Verhältnismäßigkeitsbewertung sein sollten und die Anbieter in den Bereichen Sozialschutz, soziale Vergünstigungen, Gesundheitsdienste, Bildung, Güter und Dienstleistungen sowie Wohnraum und Transport davon abhalten könnten, die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Sicherung eines effektiven Zugangs für Menschen mit Behinderungen anzuerkennen.

3.3.1.6   Artikel 15 Absatz 2 gestattet es den Mitgliedstaaten festzulegen, dass der Verpflichtung, effektiven Zugang zu gewährleisten, bis spätestens vier Jahre nach der Annahme nachzukommen ist. Obwohl der EWSA natürlich hofft, dass alle Mitgliedstaaten möglichst rasch Maßnahmen zur Sicherung eines guten Zugangs für Menschen mit Behinderungen ergreifen, spricht er sich nicht dagegen aus, dass den Mitgliedstaaten — nur für diesen begrenzten Zeitraum — Aufschub bei der Anwendung der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a) festgelegten Verpflichtung zur vorausschauenden Festlegung von Maßnahmen gewährt werden sollte. In der Richtlinie ist jedoch klar zum Ausdruck zu bringen, dass für die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b) vorgesehene Verpflichtung, im konkreten Fall für angemessene Vorkehrungen zu sorgen, nach Ablauf der Umsetzungsfrist kein weiterer Aufschub gestattet wird.

3.4   Artikel 12

3.4.1   Der EWSA begrüßt die an die Mitgliedstaaten gestellte Forderung, eine oder mehrere Stellen zu bezeichnen, deren Aufgabe darin besteht, die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu fördern. Deren Zuständigkeiten sollten ähnlich gelagert sein wie diejenigen, die in der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse und in der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen für derartige Stellen festgelegt sind. Außerdem begrüßt der EWSA die klare Feststellung in der Präambel (15), dass sich diese Stellen an den Pariser Grundsätzen der Vereinten Nationen orientieren sollten, bei denen es insbesondere um die Gewährleistung der Unabhängigkeit der nationalen Menschenrechtseinrichtungen geht. Wie der EWSA bereits bemerkte, sollten diese Stellen regelmäßig die Ergebnisse von Antidiskriminierungsmaßnahmen bewerten (16). Von diesen Stellen ist zu erwarten, dass sie regelmäßig einen inhaltlichen Dialog mit Organisationen führen, die Menschen vertreten, welche von Diskriminierung aus allen in dem Richtlinienvorschlag enthaltenen Gründen bedroht sind.

3.4.2   Der Vorschlag in Artikel 12 lässt jedoch eine Lücke offen, da es weiterhin keine Forderung an die Mitgliedstaaten geben wird, eine oder mehrere Stellen zu bezeichnen, die die Gleichbehandlung ungeachtet der genannten Aspekte in Beschäftigung und Beruf fördern, da in der Beschäftigungsrahmenrichtlinie (2000/78/EG) keine entsprechende Gleichstellungsstelle gefordert wird. Die im Rahmen der Richtlinie zur Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse eingerichteten Stellen müssen sich mit der Gleichbehandlung ungeachtet der Rasse oder der ethnischen Herkunft sowohl inner- als auch außerhalb der Arbeitswelt befassen, und die Stellen, die im Rahmen der Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie die (neugefasste) Gleichbehandlungsrichtlinie (2006/54/EG) geschaffen wurden, sollten für die Geschlechtergleichstellung inner- und außerhalb der Beschäftigung zuständig sein.

3.4.3   Der EWSA empfiehlt daher die Aufnahme eines zusätzlichen Erwägungsgrundes in die Präambel der vorgeschlagenen Richtlinie, in dem die Mitgliedstaaten angehalten werden, die nach Artikel 12 bezeichneten Stellen mit gleichwertigen Kompetenzen zur Durchsetzung der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung im Geltungsbereich der Beschäftigungsrahmenrichtlinie auszustatten.

4.   Mehrfachdiskriminierung

4.1   In seiner jüngsten Initiativstellungnahme verwies der EWSA darauf, dass es nachgewiesenermaßen häufig zu Mehrfachdiskriminierungen kommt, das heißt zur Diskriminierung aus mehr als einem der in Artikel 13 genannten Gründe. Der EWSA hatte daher empfohlen, in einer neuen Richtlinie zu bekräftigen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung den Schutz vor Mehrfachdiskriminierung einschließt, damit diesem Umstand in der Gesetzgebung der EU und der Mitgliedstaaten Rechnung getragen wird.

4.2   In dem Richtlinienvorschlag wird anerkannt (17), dass Frauen oftmals Opfer von Mehrfachdiskriminierung sind; es wird jedoch nicht auf andere Gründe der Mehrfachdiskriminierung eingegangen. Der EWSA hält zwei Wege für möglich, um Fortschritte bei der umfassenden Anerkennung von Mehrfachdiskriminierungen zu erzielen:

a)

die Aufnahme eines zusätzlichen Erwägungsgrundes in die vorgeschlagene Richtlinie, dem zufolge die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen sollen, dass Gerichtsverfahren bestehen, in denen Fälle von Mehrfachdiskriminierung behandelt werden können. Dabei ist insbesondere festzulegen, dass es den Klägern im Rahmen der nationalen Gerichtsverfahren möglich sein muss, alle Aspekte einer Mehrfachdiskriminierungsklage in einer einzigen Rechtssache vorzubringen;

b)

eine Empfehlung der Kommission, in der auf die notwendige Berücksichtigung von Mehrfachdiskriminierung bei der Erarbeitung und Durchsetzung nationaler Rechtsvorschriften hingewiesen wird, und die von den nationalen Gerichten berücksichtigt werden müsste, auch wenn sie für die Mitgliedstaaten nicht bindend ist.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Ausweitung der Antidiskriminierungsmaßnahmen über die Beschäftigung hinaus auf andere Bereiche und Zweckmäßigkeit einer einzigen umfassenden Antidiskriminierungsrichtlinie“, Berichterstatter: Herr Crook (ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 102).

(2)  Richtlinie 2000/43/EG des Rates, Artikel 3.

(3)  [2008] EuGH C-303/06 vom 17. Juli 2008, in diesem Fall eines nicht behinderten Elterteils, der Hauptbetreuer eines behinderten Kindes ist.

(4)  Fußnote 1, Ziffer 8.10.5.

(5)  Richtlinie 2004/113/EG des Rates, Artikel 5.

(6)  Richtlinie 2000/43/EG des Rates, Artikel 3.

(7)  Fußnote 1, Ziffer 8.6.

(8)  Kapitel 5 „Detaillierte Erläuterung der einzelnen Bestimmungen“ in KOM(2008) 426 endg.

(9)  Maruko gegen Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen, C-267/06, 1. April 2008, Randnr. 59.

(10)  In Artikel 149 Absatz 1 EGV heißt es: „Die Gemeinschaft trägt zur Entwicklung einer qualitativ hochstehenden Bildung dadurch bei, dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt.“

(11)  Beispielsweise Richtlinie 2000/43/EG des Rates, Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b), oder Richtlinie 2000/78/EG des Rates, Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b).

(12)  Urteil der Großen Kammer vom 13.11.2007 (Nr. 57325/00).

(13)  Artikel 1.

(14)  Siehe Fußnote 1, Punkt 8.10.2.

(15)  Erwägungsgrund 28.

(16)  Fußnote 1, Ziffer 8.10.8.

(17)  Erwägungsgrund 13.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

450. plenartagung am 14.-15. Januar 2009

4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/24


450. PLENARTAGUNG AM 14.-15. JANUAR 2009

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer allgemeinen Sicherheit“

KOM(2008) 316 endg. — 2008/0100 (COD)

(2009/C 182/05)

Berichterstatter: Herr RANOCCHIARI

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 9. Juni 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer allgemeinen Sicherheit“

KOM(2008) 316 endg. — 2008/0100 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Januar 2009 an. Berichterstatter war Herr RANOCCHIARI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 173 gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der EWSA war schon immer für Initiativen zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften aufgeschlossen, insbesondere wenn diese so heikle Themen wie Sicherheit und Umweltschutz berührten Er begrüßt daher den Vorstoß der Kommission, die mit ihrem Verordnungsvorschlag zur Regelung der Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Reifen Ergebnisse in diesen drei wichtigen Punkten anstrebt.

1.2   Die von der Kommission gewählte Option, mehr als 150 derzeit geltende Richtlinien aufzuheben und durch die vorgeschlagene Verordnung zu ersetzen, erscheint auf den ersten Blick sehr interessant und ist der gewünschten Vereinfachung sicherlich zuträglich. Bei dieser Option besteht jedoch — wenn nicht mit der gebührenden Umsicht und Präzision vorgegangen wird — die Gefahr, dass neue Verfahren hinzukommen, die nicht unbedingt mit den bestehenden Verfahren kohärent sind, wodurch noch mehr Probleme und Belastungen auf die betreffenden Branchen und Verwaltungen der Mitgliedstaaten zukommen.

1.3   Der EWSA fragt sich insbesondere, wie dieser Vorschlag nicht nur mit der neuen Richtlinie zur Schaffung eines Rahmen für die europäische Typgenehmigung (2007/46/EG) zu kombinieren ist, sondern auch mit den UN/ECE-Regelungen, die sich derzeit in Ausarbeitung befinden und von denen im weiteren Text der Stellungnahme noch ausführlicher die Rede sein wird.

1.4   Der EWSA ist der Auffassung, dass die Vereinfachung der Typgenehmigung und des Verfahrenswegs, die die Kommission durch die Einführung harmonisierter Vorschriften erreichen will, dadurch herbeigeführt werden kann, dass die bestehenden und künftigen UN/ECE-Regelungen schrittweise und im Zuge der notwendigen Anpassung der Vorschriften an den technischen Fortschritt in Anhang IV der Richtlinie 2007/46/EG aufgenommen werden.

1.5   In Bezug auf die „modernen Sicherheitssysteme“ ist der EWSA angesichts der Tatsache, dass nicht für alle Systeme in gleichem Maße angemessene technische Spezifikationen vorliegen, der Meinung, dass diese besser in Einzelvorschlägen behandelt werden sollten, und zwar gemäß dem neuesten Stand der Technik in den technischen Gruppen der UN/ECE in Genf.

1.6   Was schließlich die Vorschriften für die Reifen angeht, hält der EWSA die von der Industrie vorgeschlagene Lösung für akzeptabel, nach der unter Berücksichtigung der zeitlichen Vorgaben des Kommissionsvorschlags dieser dahingehend vereinfacht wird, dass die Umsetzung in zwei Zyklen statt der vorgesehenen fünf erfolgt.

1.7   Angesichts der hier angeführten Bedenken hatte der EWSA die Initiative des Europäischen Parlaments begrüßt, das zusätzlich zu der im Auftrag der Europäischen durchgeführten Studie hierzu eine weitere Studie wünschte; die Ergebnisse dieser zweiten Studie haben jedoch nicht die erwartete Klarheit geschaffen.

1.8   Da für einige der vorgeschlagenen Lösungen keine angemessenen Kosten-Nutzen-Rechnungen vorliegen, befürchtet der EWSA, dass die sich für die Industrie und somit für die Verbraucher ergebenden spürbar höheren Kosten letztendlich die Erneuerung des Fahrzeugbestands in der EU bremsen werden, die bereits die Auswirkungen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise zu spüren bekommt.

1.9   Und schließlich empfiehlt der EWSA schon jetzt den mit den Typgenehmigungsprüfungen befassten Behörden der Mitgliedstaaten, besonders streng auf die Sicherheitsanforderungen an die Fahrzeuge und vor allem an die Reifen zu achten, die nach der Verabschiedung der hier erörterten Verordnung nach Europa importiert werden.

2.   Einführung

2.1   Obwohl in diesem Bereich in den letzten zehn Jahren deutliche Verbesserungen erzielt wurden, stehen die Fahrzeugsicherheit und der Umweltschutz zu Recht auch weiterhin im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der gesamten europäischen Union. Nach wie vor Anlass zur Sorge geben insbesondere die noch bescheidenen Ergebnisse bei der Verringerung der verkehrsbedingten Umweltverschmutzung, insbesondere den CO2-Emissionen, sowie die Zahl der Opfer von Verkehrsunfällen. In den 27 Mitgliedstaaten sterben immer noch jedes Jahr mehr als 44 000 Menschen bei Verkehrsunfällen, weitere 1,7 Millionen werden verletzt (1).

2.2   Das Gemeinschaftsrecht im Bereich der Typgenehmigung legt bekanntlich genaue Bestimmungen für die Konstruktion der Fahrzeuge fest, die zum einen ein größtmögliches Maß an Sicherheit für die Fahrzeuginsassen und sämtliche Verkehrsteilnehmer und zum andern den Umweltschutz gewährleisten sollen. Im Bereich der Typgenehmigung existieren derzeit ca. 60 Basisrichtlinien, 50 Richtlinien über die Sicherheit sowie rund ein Dutzend über Umweltaspekte, zu denen ungefähr weitere hundert Änderungsrichtlinien hinzukommen.

2.3   Aufgrund der ständigen Forschung und Entwicklung in der Automobilbranche ist es heute möglich, den beiden vorgenannten Erfordernissen stärker und besser gerecht zu werden, indem für neu konzipierte Fahrzeuge und zumindest teilweise auch für bereits zugelassene Fahrzeuge neue Technologien eingeführt werden, durch die die Unfallgefahr und die Umweltverschmutzung verringert werden können.

2.4   Gemäß den Empfehlungen der hochrangigen Gruppe CARS 21 (2) werden auch diese wichtigen Probleme mit einem integrierten Ansatz zur Verwirklichung der Ziele in Angriff genommen, die — wie Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission, bei der Vorlage des Vorschlags für diese Regelung unterstrichen hat — den Bürgern, der Umwelt und der Industrie zugute kommen. Um die Sicherheits- und Umweltschutzziele der EU verwirklichen zu können, müssen die verschiedenen Verordnungen über die Konstruktion von Neufahrzeugen weiter aktualisiert werden. Andererseits muss gleichzeitig auch der auf der Branche lastende Verwaltungsaufwand verringert werden, indem die geltenden Rechtsvorschriften soweit wie möglich vereinfacht werden. In dem bereits zitierten CARS-21-Dokument wird empfohlen, zu diesem Zweck auch die UN/ECE-Regelungen (3) — soweit vorhanden — zu verwenden.

3.   Der Vorschlag der Kommission

Dem Verordnungsvorschlag zufolge sollen die geltenden Rechtsvorschriften über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen in dreierlei Hinsicht geändert werden: Vereinfachung, moderne Sicherheitssysteme und Reifen.

Der Verordnungsvorschlag sieht im Einzelnen folgendes vor:

3.1.1   Die Änderung der geltenden Vorschriften für die Typgenehmigung hinsichtlich der Sicherheit von Kraftfahrzeugen und Bauteilen

Die Kommission möchte mehr als 150 derzeit geltende Richtlinien aufheben und durch eine einzige Verordnung des Rates und des Parlaments ersetzen, die unmittelbar in der gesamten EU gilt.

3.1.2   Die Einführung folgender Sicherheitsanforderungen

Ab 2012 obligatorische Ausrüstung mit einer elektronischen Stabilitätskontrolle für die neuen Serien von Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen; bis 2014 sind sämtliche Neufahrzeuge damit auszustatten. Diese Systeme, die auf die Brems- und Traktionssysteme einwirken, sollen dem Fahrer dabei helfen, in kritischen Situationen (z.B. aufgrund schlechter Straßenverhältnisse oder zu hoher Geschwindigkeit in Kurven) die Kontrolle über das Fahrzeug zu behalten.

Ab 2013 sollen vorausschauende Notbremssysteme für große Fahrzeuge zwingend vorgeschrieben werden; bei diesen Systemen werden Sensoren benutzt, um den Fahrer zu warnen, wenn er zu dicht auf das vorausfahrende Fahrzeug auffährt, und in bestimmten Situationen wird die Notbremse betätigt, um einen Zusammenstoß zu verhindern oder abzumildern. Sämtliche Neufahrzeuge sind bis 2015 damit auszustatten.

Ab 2013 obligatorische Ausrüstung mit Spurverlassens-Warnsystemen (Lane Departure Warning — LDWS) für große Fahrzeuge, die den Fahrer warnen, wenn das Fahrzeug ungewollt die Fahrspur zu verlassen droht, insbesondere aufgrund von Unaufmerksamkeit des Fahrers. Sämtliche Neufahrzeuge sind bis 2015 damit auszustatten (4).

3.1.3   Neue Anforderungen für die Reifen (5):

Ab 2012 werden rollwiderstandsarme Reifen vorgeschrieben, bei denen der Kraftstoffverbrauch gesenkt wird, indem die vor allem durch die Verformung des Rades, des Reifens oder der Straße bedingte Reibung beim Abrollen des Reifens verringert wird.

Ab 2012 werden Reifendrucküberwachungssysteme für Personenkraftwagen vorgeschrieben, die den Fahrer warnen, wenn der Reifendruck deutlich unter dem optimalen Wert liegt.

Absenkung des Geräuschpegels: gemäß Anhang I des Verordnungsvorschlags.

Nasshaftung: gemäß Anhang I des Verordnungsvorschlags.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, harmonisierte Vorschriften für den Bau von Kraftfahrzeugen zu erlassen, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und zugleich ein hohes Maß an Sicherheit und Umweltschutz zu gewährleisten.

4.2   Der hier behandelte Verordnungsvorschlag könnte nach Auffassung des EWSA ein ideales Instrument sein, um einerseits die aktive und passive Sicherheit zu verbessern und die Zahl der Verkehrsunfälle zu verringern und andererseits Systeme einzuführen, durch die der CO2-Ausstoß verringert werden kann; Voraussetzung hierfür ist allerdings eine genaue Prüfung der aufzuhebenden Richtlinien sowie der Folgen dieser Aufhebung.

4.3   Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass mit der gewählten Option eine größtmögliche Vereinfachung insbesondere zugunsten der einzelstaatlichen Behörden und der Industrie angestrebt wird, vertritt allerdings den Standpunkt, dass sich die Vereinfachung der Rechtsvorschriften nicht darauf beschränken darf, die derzeit geltenden Verfahren in einer Art Sicherheits-Rahmenrichtlinie zusammenzufassen. Außerdem müssen nach Ansicht des Ausschusses die Auswirkungen der neuen Richtlinie zur Schaffung eines Rahmen für die europäische Typgenehmigung (2007/46/EG) berücksichtigt werden (6), und dafür Sorge getragen werden, dass Kohärenz gewährleistet ist und der Aufwand für die Verwaltungen und die Hersteller durch die Überschneidung von Verfahren nicht erhöht, anstatt verringert wird.

4.4   Der EWSA stimmt dem von der Kommission angeführten Grundsatz zu, dass bei der Aufstellung des Zeitplans für die Einführung neuer spezifischer Vorschriften für die Typgenehmigung von Fahrzeugen die technische Umsetzbarkeit dieser Vorschriften berücksichtigt werden sollte. Solche Vorschriften sollten in der Regel zunächst nur für neue Fahrzeugtypen gelten. Für die Anpassung vorhandener Fahrzeugtypen an neue Vorschriften sollte eine Übergangsfrist vorgesehen werden.

4.5   In Bezug auf die Vorschriften für die Reifen darf nicht vergessen werden, dass der Reifen die einzige Verbindung zwischen dem Fahrzeug und der Straße darstellt und seine Sicherheitseigenschaften vor allen anderen Zielsetzungen Vorrang haben müssen. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass:

unbedingt sichergestellt werden muss, dass die vorgesehene Verbesserung der Umweltleistung nicht zu einer Absenkung der ebenso wichtigen Anforderungen an die Sicherheit der Fahrzeugnutzer und Bürger führt;

ein integrierter Ansatz verfolgt werden muss, damit nicht die Gesamtleistung (Rollwiderstand, Nasshaftung usw.) der Reifen mit Blick allein auf die — wenn auch wichtige — Verringerung des Rollgeräuschs herabgesetzt wird.

4.6   Der EWSA meldet daher Zweifel an der Effizienz der im Auftrag der Kommission erstellten Folgenabschätzung an und hatte die Entscheidung des EP begrüßt, eine weitere, unabhängige Studie erstellen zu lassen. Der Ausschuss ist nämlich der Ansicht, dass die in der Folgenabschätzung verwendeten Daten zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt haben können.

Leider ist festzustellen, dass die vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebene und Ende November 2008 veröffentlichte Studie (7) nicht den Erwartungen entspricht und die Bedenken des EWSA nicht ausräumen konnte, weder in Bezug auf die administrativen und technischen Aspekte noch was eine genauere Kosten-Nutzen-Bewertung des Kommissionsvorschlags angeht.

4.7.1   In der betreffenden Studie werden ausschließlich die Reifen und die Reifendrucküberwachungssysteme — wobei im Hinblick auf die Reifendrucküberwachung eine fragwürdige Präferenz für das kostspieligere „direkte“ System gegenüber dem „indirekten“ System vertreten wird, auf das im weiteren Text noch näher eingegangen werden soll — behandelt, jedoch nichts zu den modernen Sicherheitssystemen oder zu den Auswirkungen der vorgeschlagenen Vereinfachung ausgesagt.

4.8   In Anbetracht dieser Sachlage hat der EWSA den Eindruck, dass die höheren Kosten, die im Falle der Anwendung der Verordnung in der vorgeschlagenen Weise für die Industrie und somit für die Verbraucher abzusehen sind, nicht durch einen ausreichend erwiesenen Nutzen aufgewogen werden; dies birgt die offenkundige Gefahr, dass letztendlich die Erneuerung des Fahrzeugbestands (das Durchschnittsalter liegt über acht Jahren) in der EU weiter verlangsamt wird, die bereits die Auswirkungen der derzeitigen Wirtschaftskrise zu spüren bekommt.

4.9   Um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu gewährleisten, die Spitzenleistungen im Bereich Sicherheit vorzuweisen hat, muss nach Ansicht des EWSA eine Verordnung geschaffen werden, die insgesamt nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung zugunsten außereuropäischer Autobauer führt, bei denen nicht nur der Preis, sondern häufig auch das Sicherheitsniveau insgesamt sicherlich niedriger ist. Es muss daher kontrolliert werden, ob importierte Fahrzeuge und insbesondere Reifen sämtliche in der Verordnung festgelegten Anforderungen erfüllen.

4.10   Nach Auffassung des EWSA müssen auch die Auswirkungen der Verordnung auf die gesamte Reifenindustrie angemessen bewertet werden. Einer ersten Analyse zufolge könnte die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der kleinen und mittleren Vertriebsunternehmen gefährdet sein. Die Lagerüberbestände, die im Falle eines Inkrafttretens der Bestimmungen zu den von der Kommission vorgeschlagenen Zeitpunkten absehbar sind, könnten die Vertriebskette in Schwierigkeiten bringen. Der Abbau der womöglich gewaltigen Lagerbestände dürfte für die Mehrheit der Unternehmen dieser Branche nicht zu bewältigen sein, da es sich zumeist um kleine Unternehmen handelt, die nicht auf dem Weltmarkt operieren können.

4.11   Obgleich diese Thematik keinen Bereich betrifft, der in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt, teilt der EWSA den Standpunkt der Kommission, die zu Recht um eine Vermeidung von Handelshemmnissen auf dem Binnenmarkt bemüht ist und im Bewusstsein, dass es sich bei der Luftverschmutzung um ein grenzüberschreitendes Problem handelt, die Auffassung vertritt, dass die Ziele des Vorschlags durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten allein nicht in ausreichendem Maße erreicht werden können und auf europäischer Ebene abgestimmte verbindliche Maßnahmen erfordern.

4.12   Der EWSA kann den Vorschlag, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, Sanktionen bei Verstößen gegen diese Verordnung festzulegen, und dass diese Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein sollten, natürlich nur begrüßen.

4.13   Der EWSA begrüßt ferner das gewählte Rechtsinstrument einer Verordnung, mit der sichere Durchführungsfristen und -methoden in allen Mitgliedstaaten gewährleistet werden, was bei einer überaus technischen Vorschrift besonders wichtig ist. Da auch in diesem Fall das Mehrstufen-Konzept (split-level approach) gewählt wurde, können zum einen die geplanten grundlegenden Bestimmungen im Mitentscheidungsverfahren in dieser Verordnung festgelegt werden, während die eher technischen Aspekte in einer zweiten Verordnung nach dem Ausschussverfahren geregelt werden.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Der EWSA befürwortet zwar jede Initiative zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften, macht jedoch wie bereits oben erwähnt starke Vorbehalte gegen die Art und Weise geltend, in der dieses Ziel erreicht werden soll. Seiner Auffassung muss eine echte Vereinfachung stattfinden, d.h. die neue Verordnung darf nicht einfach eine Zusammenfassung der früheren Regelungen sein, und auf jeden Fall muss ein zusätzlicher Aufwand für die Zertifizierungsstellen vermieden werden.

Allerdings ist der EWSA insbesondere der Auffassung, dass die Vereinfachung der Typgenehmigung und des Verfahrenswegs, die die Kommission durch die Einführung harmonisierter Vorschriften erreichen will, dadurch herbeigeführt werden muss, dass die bestehenden und künftigen UN/ECE–Regelungen schrittweise (insbesondere wenn die betreffenden Bestimmungen strenger sind und eine gewisse Vorlaufzeit (8) für die Anpassung des Produkts erfordern) und im Zuge der notwendigen Anpassung der Vorschriften an den technischen Fortschritt in Anhang IV der Richtlinie 2007/46/EG (9) aufgenommen werden.

5.2.1   Diese Vorgehensweise ist in der Option (c) der „Folgenabschätzung“ dieser Verordnung („Alle geltenden Richtlinien durch die vorgeschlagene Verordnung ersetzen“) nicht vorgesehen, jedoch in Option (b) („… jede Richtlinie prüfen, die zur Änderung ansteht und entscheiden, ob es angebracht ist, sie zu ersetzen“). Die Entscheidung für Option (c) der Folgenabschätzung erscheint überdies als nicht hinreichend begründet („weil sie die schnellste Möglichkeit zur Vereinfachung des derzeitigen Systems darstellt und mit den CARS-21-Empfehlungen übereinstimmt“) und trägt anderen grundlegenden Aussagen des CARS-21-Berichts — wie z.B. dass es ratsam und notwendig ist, den Akteuren der Industrie, auf die die Bestimmungen zur Anwendung kommen, eine angemessene Vorlaufzeit zu gewähren — nicht gebührend Rechnung.

5.2.2   Bei der Entscheidung für die Option c) würde die gegenwärtige Verordnung in den Fällen greifen, in denen keine gleichwertige UN/ECE-Regelung besteht oder Einbauvorschriften vorgesehen werden müssen, die in der UN/ECE-Regelung nicht enthalten sind, wie z.B. für Reifen.

5.3   Alternativ hält der EWSA einen Kompromiss dahingehend für möglich, zur tatsächlich wirksamen Umsetzung der Verordnung einen Termin für das Inkrafttreten festzulegen, um die bisher durch die vorgeschlagene Verordnung verursachten Probleme auszuräumen und zu vermeiden, dass es durch die Übernahme von UN/ECE-Regelungen zu Abweichungen bei den Vorschriften (oder Anwendungsfristen) kommt, die in den aufzuhebenden Richtlinien vorgesehen sind.

5.4   Was die administrativen Aspekte angeht, hält es der Ausschuss nach Prüfung der in Anhang IV aufgeführten Richtlinien daher für angebracht und ratsam, unabhängig vom Inkrafttreten der Verordnung oder von Teilen der Verordnung dafür zu sorgen, dass Kohärenz zwischen der Verordnung und den in den zu ersetzenden Richtlinien vorgesehenen Anwendungsfristen gegeben ist und die in den als Ersatz eingeführten UN/ECE-Regelungen vorgesehenen „Übergangsbestimmungen“ berücksichtigt werden.

5.5   Außerdem ist der Ausschuss in Bezug auf die „modernen Sicherheitssysteme“ der Auffassung, dass diese nicht in einer „horizontalen“ Verordnung, sondern in Einzelvorschlägen für Neufassungen und/oder Änderungen der UN/ECE-Regelungen behandelt werden sollten, die in den entsprechenden technischen Gruppen der ECE in Genf (GRB, GRRF, GRSP (10)) vorgelegt und erörtert werden sollten, auf deren Ebene korrekte technische Bewertungen der vorgeschlagenen Sicherheitssysteme vorgenommen werden können. In ähnlicher Weise sollte in den von der Kommission aufgezeigten Fällen vorgegangen werden, in denen in den UN/ECE-Regelungen bestimmte in den EU-Richtlinien enthaltene Vorschriften fehlen.

Hinsichtlich der modernen Straßenverkehrssicherheitssysteme vertritt der Ausschuss im Einzelnen folgende Standpunkte:

5.6.1   Die elektronische Stabilitätskontrolle war in Genf Gegenstand einer Anpassung der Regelungen und ist für die Fahrzeugklassen M2, N2, M3, N3 (11) bereits komplett geplant. Nach Auffassung des EWSA müssen die zeitlichen Angaben der Tabelle 12.4.1 gelten, die für die UN/ECE-Regelung Nr. 13 (12) vereinbart wurden und eine schrittweise Einführung von Juli 2009 bis Juli 2016 in Abhängigkeit vom Fahrzeugtyp vorsehen.

Vorausschauendes Notbremssystem: Die Industrie kann obligatorische Systeme nur dann entwickeln, wenn ihr klar definierte technische Spezifikationen vorliegen, die es — den verfügbaren Informationen zufolge — für dieses System nicht gibt. Es können keine Fristen für die Einführung eines technisch nicht definierten Systems festgelegt werden; der Einführung muss eine angemessene Folgenabschätzung mit einer genauen Kosten-Nutzen-Rechnung vorausgehen.

5.6.2.1   Die Definition eines vorausschauenden Notbremssystems in Artikel 3 des Vorschlags ist sehr weit gefasst, so dass darunter auch Systeme fallen können, die noch nicht zuverlässig genug sind. Aufgrund unausgereifter Technik können diese selbst zu einem Sicherheitsrisiko werden. Es muss eine angemessene Untersuchungs- und Entwicklungsphase sowie eine ausreichend lange Vorlaufzeit vorgesehen werden.

5.6.3   Der Anwendungsbereich der Bestimmungen über das vorausschauende Notbremssystem betrifft die Fahrzeugklassen M2, M3, N2 und N3. Vielfach gibt es bei den leichten Nutzfahrzeugen der Klasse N1 auch Versionen, die zu höheren Fahrzeugklassen (N2, M2 und M3) gehören, weshalb eine Diversifizierung für schwerere Versionen mit relativ geringem Volumen notwendig ist. Nach Auffassung des EWSA sollte sich die Vorschrift, vorausschauende Notbremssysteme einzubauen, auf schwere Nutzfahrzeuge oder zumindest auf Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 7,5 beschränken, und es sollte geprüft werden, ob bestimmte Fahrzeuge ausgenommen werden müssen, wie z.B. Stadtbusse, Fahrzeuge der Müllabfuhr und andere öffentlich genutzte Fahrzeuge, die mit geringer Geschwindigkeit fahren.

5.6.4   Spurverlassens-Warnsystem. Der Ausschuss vertritt den Standpunkt, dass hier die gleichen Überlegungen wie für das vorausschauende Notbremssystem anzuführen sind:

Notwendigkeit technischer Spezifikationen, die von der UN/ECE in Genf zu definieren sind;

technische Differenzierung für die verschiedenen Fahrzeugklassen;

Kosten-Nutzen-Rechnung und Prüfung der Notwendigkeit, bestimmte Fahrzeugklassen auszunehmen.

5.7   Alles in allem ist der EWSA in Bezug auf die vorausschauenden Notbremssysteme und die Spurverlassens-Warnsysteme, die bislang nur für schwere Fahrzeuge zu verwenden sind, der Ansicht, dass ihre Einführung verfrüht wäre. Es empfiehlt sich noch eine Forschungs- und Testphase, um den tatsächlichen Nutzen derartiger Systeme bewerten zu können. Dadurch könnten auch aussagekräftige Informationen mit Blick auf eine künftige Verwendung dieser Systeme für leichte Fahrzeuge verfügbar gemacht werden.

5.8   Reifendrucküberwachungssystem: Da die technischen Anforderungen an dieses System derzeit in der informellen Arbeitsgruppe GRRF (13) erörtert werden, ersucht der EWSA die Kommission, die Schlussfolgerungen aus diesen Beratungen (in denen auch die bereits bestehenden Vorschriften in Drittländern berücksichtigt werden sollten) abzuwarten, bevor sie in dieser Frage Entscheidungen trifft. Um die Kosten der Kraftfahrzeuge nicht weiter in die Höhe zu treiben, wäre es wünschenswert, eine Messempfindlichkeit vorzusehen, die in Anbetracht seiner vielfältigen positiven Aspekte auch die Verwendung des indirekten Systems ermöglicht, und zwar zumal desjenigen Systems, das auch im Falle eines Austauschs der Reifen funktioniert. Das „direkte“ System erfordert einen Sensor für jeden einzelnen Reifen, weshalb bei einem Wechsel der Reifen auch die Sensoren ausgewechselt bzw. entnommen und wieder eingebaut werden müssen, was kostspielig und aufgrund des hohen Beschädigungsrisikos für die von außen nicht sichtbaren Sensoren nicht leicht ist.

5.9   Bezüglich der technischen Vorschriften für die Reifen weist der EWSA auf folgendes hin:

Rollgeräusch: Die für die Dämpfung des Rollgeräuschs vorgeschlagenen Pegel könnten eine Verringerung der Sicherheit für die Fahrzeuge und somit auch für die Verbraucher mit sich bringen, wohingegen durch eine Verringerung der Geschwindigkeit in überlasteten Gebieten und/oder die Erneuerung des Straßenbelags eine 3 bis 4 mal höhere Geräuschdämpfung erreicht werden könnte. Überdies wäre beispielsweise in der Reifenklasse C3 eine Verringerung um 3dB nur schwer zu erreichen, ohne die Reifenhaftung zu verringern. C3-Reifen bzw. Traktionsreifen müssen eine „aggressive“ Lauffläche haben, um eine gute Haftung auf rutschigem Untergrund zu gewährleisten.

Rollwiderstand: Die Umsetzungsfristen für die Reifenklassen C1 und C2 sollten geändert werden, während angesichts der besonderen Typologie der C3-Reifen neue Untersuchungen erforderlich sind und gegebenenfalls die Einführung verschoben werden muss, bis eine weitere Folgenabschätzung vorliegt.

Nasshaftung: der Vorschlag der Kommission, verbindliche Vorschriften auf der Grundlage der UN/ECE-Regelung Nr. 117 (14) einzuführen, sollte in der vorgeschlagenen Form angenommen werden.

5.10   Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass der Verordnungsvorschlag Änderungen alle zwei Jahre vorschreibt, was nicht mit den von der Industrie benötigten Vorlaufzeiten übereinstimmt. Dies geht ganz sicher nicht in Richtung einer „besseren Rechtsetzung“. Daher befürwortet der EWSA die von der Industrie vorgeschlagene Lösung, nach der unter Berücksichtigung der zeitlichen Vorgaben des Vorschlags dieser dahingehend vereinfacht werden soll, dass die Umsetzung in zwei Zyklen (2012-2016 und 2016-2020) statt der derzeit veranschlagten fünf erfolgt. Dies wird es ermöglichen, die Typgenehmigungsverfahren wie auch die Logistik und eine eventuelle Lagerhaltung effizienter abzuwickeln.

5.11   Ein weiterer Aspekt, der geklärt werden muss, ist die Behandlung runderneuerter Reifen. Die Definition für diesen Reifentyp (UN/ECE-Regelung Nr. 109) bezieht sich auf die Produktionsstätte und nicht auf den Reifen selbst. Das Problem liegt auf der Hand, den Reifen-„Typ“ in Übereinstimmung mit den neuen Vorschriften z.B. für den Geräuschpegel in einer Fabrik zu bestimmen, in der Reifen der unterschiedlichsten Typen runderneuert werden. In Anbetracht der extrem großen Schwierigkeiten und der enormen Kosten, die den Unternehmen — zumeist KMU — dadurch entstehen würden, sollte dieser Bereich nach Ansicht des EWSA von der Verordnung ausgenommen werden, allerdings unter dem Vorbehalt, dass sämtliche vorgesehenen Sicherheitsanforderungen erfüllt werden.

5.12   Und schließlich fordert der EWSA die Kommission auf, zu prüfen, ob es nicht zweckmäßig wäre, das Herstellungsdatum als Referenz für die Anforderungen an die Reifen zu verwenden, da das Herstellungsdatum aufgrund der geltenden Vorschrift, dass dieses Datum auf sämtlichen auf den EU-Markt gebrachten Reifen anzubringen ist, von den Wiederverkäufern, Verbrauchern und nationalen Behörden leicht festgestellt werden kann. Dieses Datum und nicht das Datum der Markteinführung oder des Verkaufs sollte als Nachweis dafür maßgeblich sein, dass die Reifen die neuen Anforderungen erfüllen.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Quelle: CARE (Community Road Accident Database) — die gemeinschaftliche Datenbank über Straßenverkehrsunfälle, in der die betreffenden Daten aus den Mitgliedstaaten erfasst und verarbeitet werden.

(2)  Ein wettbewerbsfähiges Kfz-Regelungssystem für das 21. Jahrhundert (KOM(2007) 22 endg. vom 7.2.2007).

(3)  Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa, Genf. Sie fördert die Zusammenarbeit und Integration zwischen den 56 Mitgliedstaaten durch die Entwicklung von gemeinsamen Normen und Vorschriften, auch im Bereich der Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen.

(4)  Rekapitulation der Fristen für die verbindliche Einführung der Sicherheitsanforderungen:

Elektronische Stabilitätskontrolle: 29.10.2012 neue Typgenehmigung, 29.10.2014 Neuzulassung;

Vorausschauende Notbremssysteme: 29.10.2013 neue Typgenehmigung, 29.10.2015 Neuzulassung;

Spurverlassens-Warnsysteme: 29.10.2013 neue Typgenehmigung, 29.10.2015 Neuzulassung.

(5)  Um einen klareren Überblick zu vermitteln, sind nachstehend die von der Kommission vorgesehenen Fristen im Zusammenhang mit den Anforderungen an die Reifen zusammengestellt:

2012 neue Typgenehmigung nur für Reifen der Klasse C1, die die Anforderungen an die Nasshaftung erfüllen, und für Reifen der Klassen C1/C2/C3, die die Anforderungen an den Rollwiderstand Stufe 1 und das Rollgeräusch erfüllen;

2014 Neuzulassung nur Reifen der Klasse C1, die die Anforderungen an die Nasshaftung erfüllen, und Reifen der Klassen C1/C2, die die Anforderungen an den Rollwiderstand Stufe 1 erfüllen;

2016 neue Typgenehmigung für alle neuen Reifentypen C1/C2/C3, die die Anforderungen an den Rollwiderstand Stufe 2 erfüllen; nur C1/C2/C3-Reifen, die die Anforderungen an das Rollgeräusch erfüllen, können zugelassen und auf den EU-Markt gebracht werden;

2018 können in der EU nur C1/C2-Reifen zugelassen werden, die die Anforderungen an den Rollwiderstand Stufe 2 erfüllen;

2020 in der UE können nur C3-Reifen zugelassen werden, die die Anforderungen an den Rollwiderstand Stufe 2 erfüllen.

(6)  Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge.

(7)  Type approval requirements for the general safety of motor vehicles (IP/A/IMCO/ST/2008-18).

(8)  Die Zeit, die die Industrie benötigt, um jede neue Auflage umzusetzen, die mit baulichen Veränderungen am Produkt verbunden ist.

(9)  Richtlinie 2007/46/EG — Anhang IV: Aufstellung der für die EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge anzuwendenden Vorschriften.

(10)  Technische Gruppen der UN/ECE in Genf: Bremsen und Fahrwerk (GRRF); Geräuschpegel (GRB); Beleuchtungs- und Lichtsignaleinrichtungen (GRE); Allgemeine Sicherheitsbestimmungen (GRSG); Abgas und Energie (GRPE); Passive Sicherheit (GRSP).

(11)  Fahrzeuge der Klasse N sind Fahrzeuge mit mindestens vier Rädern, die für die Güterbeförderung bestimmt sind. Sie sind nach ihrer Höchstmasse in die drei Klassen N1, N2 und N3 unterteilt: N1< 3 500 kg; N2< 12 000 kg; N3> 12 000 kg. Die Klasse N1 ist darüber hinaus in drei Gruppen unterteilt, die als NI, NII und NIII bezeichnet werden und sich ebenfalls nach der Masse bestimmen. Fahrzeuge der Klasse M sind Fahrzeuge mit mindestens vier Rädern, die für die Personenbeförderung bestimmt sind. Sie sind nach der Anzahl der Sitzplätze und nach ihrer Höchstmasse in drei Klassen (M1, M2, M3) unterteilt: M1< 9 Sitzplätze; M2> 9 Sitzplätze und < 5 000 kg; M3> 9 Sitzplätze und > 5 000 kg. Fahrzeuge der Klasse O sind Fahrzeuge mit Anhängern.

(12)  UN/ECE-Regelung Nr. 13 über die Bremssysteme für schwere Nutzfahrzeuge.

(13)  GRRF: Arbeitsgruppe Bremsen und Fahrwerk.

(14)  UN/ECE-Regelung Nr. 117 betreffend die Rollgeräuschemissionen von Reifen.


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/30


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Vorfahrt für KMU in Europa — Der „Small Business Act“ für Europa

KOM(2008) 394 endg.

(2009/C 182/06)

Berichterstatter: Herr MALOSSE

Mitberichterstatter: Herr CAPPELLINI

Die Europäische Kommission beschloss am 25. Juni 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Vorfahrt für KMU in Europa — Der „Small Business Act“ für Europa

KOM(2008) 394 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Januar 2009 an. Berichterstatter war Herr MALOSSE, Mitberichterstatter Herr CAPPELLINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 112 gegen 10 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1   Der EWSA hat sich bereits in seinen Stellungnahmen INT/390 und INT/394 (1) für einen ehrgeizigen europäischen „Small Business Act“ (SBA) ausgesprochen, der dem Wachstums- und Beschäftigungspotenzial gerecht wird, das die 23 Millionen bereits bestehenden kleinen und mittleren Unternehmen sowie all diejenigen, die noch gegründet werden könnten, für die Europäische Union bedeuten.

1.2   Trotz der diesbezüglichen Absichtsbekundungen und begrüßenswerten Vorhaben (vor allem Europäische Privatgesellschaft, Zahlungsfristen usw.) wird die Initiative der Europäischen Kommission nach Auffassung des EWSA, insbesondere vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise, dieser Herausforderung nicht gerecht.

1.3   Der EWSA schlägt daher einen ehrgeizigen SBA für Europa vor, der insbesondere folgendes umfasst:

ein verbindliches Rechtsinstrument für die Anwendung des Prinzips „Vorfahrt für KMU“, um durch ein Höchstmaß an Rechtsverbindlichkeit eine effektive und konkrete Umsetzung der diesbezüglichen Governance-Grundsätze sowohl auf Gemeinschaftsebene als auch in den Mitgliedstaaten und Regionen sicherzustellen;

einen Fahrplan mit genauen Fristen und angemessenen Mitteln für die Umsetzung konkreter und weitreichender Bestimmungen des SBA;

klare Verpflichtungen bezüglich der Verringerung des Verwaltungsaufwands und insbesondere das Prinzip der einzigen Anlaufstelle für alle administrativen Formalitäten;

eine Reorganisierung der Kommissionsdienststellen, so dass für die KMU ein echter Ansprechpartner und geeignete Instrumente zur Unterstützung der „Europäisierung“ der Unternehmen zur Verfügung stehen;

europäische Instrumente mit Hebelwirkung, um die Kapitalisierung und Vernetzung sowie die Investitionstätigkeit und das lebenslange Lernen in kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern;

ein kohärenter politischer Rahmen für alle Gemeinschaftspolitiken, damit kleine und mittlere Unternehmen als die Regel und nicht als Ausnahme betrachtet werden;

eine spezifische Ausgestaltung der Zielsetzungen des europäischen SBA auf nationaler Ebene, auch in legislativer Hinsicht;

die Wiederaufnahme der Praxis der ständigen Konsultation der Verbände und der Sozialpartner.

2.   Einleitung

2.1   Der französische EU-Ratsvorsitz hat die Europäische Union aufgefordert, sich mit dem Thema eines europäischen SBA zu befassen, und hat dabei auf das Beispiel des in den USA geltenden Gesetzes zur Unterstützung von KMU verwiesen. Die Idee eines solchen SBA wurde im Übrigen bereits vom EWSA (2) und vom Europäischen Parlament angesprochen.

2.2   Zur Erinnerung: das erwähnte amerikanische Gesetz beinhaltet die Einrichtung einer Behörde, die damit beauftragt ist, die amerikanischen KMU zu unterstützen und Maßnahmen zur Gründung und zur Entwicklung von Kleinunternehmen insbesondere durch Angehörige ethnischer Minderheiten, durch Frauen oder junge Menschen zu ergreifen. Der amerikanische „Small Business Act“ umfasst außerdem Maßnahmen, die dazu dienen sollen, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge durch die amerikanische Bundesregierung und ihre einzelnen Regierungsstellen verstärkt amerikanische KMU berücksichtigt werden.

2.3   Während die Europäische Union ebenso wie die ganze Welt eine schwere Finanz- und Wirtschaftskrise durchmacht, sind die Unternehmen und insbesondere die KMU die empfindlichsten und zugleich in puncto Beschäftigung und Konjunkturbelebung die wichtigsten Rädchen im Getriebe. Aus diesem Grund könnte der europäische SBA, wenn er mit sehr viel mehr Ehrgeiz überarbeitet würde, ein grundlegendes Instrument für eine neue langfristige Strategie der EU zur Förderung von Investitionen, Wachstum und Beschäftigung werden.

2.4   Der EWSA hat sich in der jüngsten Zeit bei zwei Gelegenheiten zu diesem Thema geäußert:

in einer auf Ersuchen des slowenischen Ratsvorsitzes ausgearbeiteten Sondierungsstellungnahme zum Thema „Die verschiedenen politischen Maßnahmen, die — neben einer angemessenen Finanzierung — Wachstum und Entwicklung von KMU fördern können“ wurden Vorschläge für einen wirksamen europäischen SBA gemacht, der nicht nur eine bloße politische Willenserklärung sein darf (3);

in einer auf Ersuchen des französischen Ratsvorsitzes ausgearbeiteten Sondierungsstellungnahme zum Thema „Internationale Beschaffungsmärkte“ wurde explizit auf die laufenden Verhandlungen im Rahmen der Überprüfung des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement, GPA) der Welthandelsorganisation (WTO) Bezug genommen und insbesondere die Festlegung eines ehrgeizigen Fahrplans für die Verwirklichung des europäischen SBA (4) vorgeschlagen.

2.5   Obgleich der Ausschuss einige in diesem Small Business Act enthaltene positive Initiativen begrüßt, bedauert er die von der Kommission gewählte Form einer einfachen Mitteilung, die keinerlei Verpflichtungen bezüglich der Fristen oder der Mittel und auch keine Vorschläge zur Gewährleistung der effektiven Anwendung des Prinzips „Vorfahrt für KMU“ enthält.

2.6   Er bemängelt außerdem, dass das Prinzip „Vorfahrt für KMU“ nicht Gegenstand einer spezifischen Gesetzgebungsmaßnahme ist, um seine systematische Berücksichtigung im Legislativverfahren sowie seine Anwendung sicherzustellen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Rechtsverbindlichkeit von besonderer Bedeutung ist, da es um die Umsetzung der Governance-Grundsätze zugunsten der kleinen Unternehmen geht. Die konkrete Anwendung dieses Grundsatzes und seine Ausgestaltung auf jeder Stufe der Ausarbeitung der Rechtsetzung sowie der gemeinschaftlichen, nationalen und territorialen Politiken sollten daher in einem entsprechenden Rechtstext oder durch ein geeignetes Instrument verankert werden.

2.7   Der EWSA bedauert sehr, dass sein obengenannter Vorschlag für einen verbindlichen „Fahrplan“ in Bezug auf das Arbeitsprogramm und die Prioritäten nicht berücksichtigt wurde; diese müssen nicht den Legislativverfahren unterworfen werden, da sie bereits Teil der bestehenden Programme sind oder im Rahmen von deren Halbzeitüberprüfung dazu werden können. Desgleichen befindet sich ein Großteil der vorgeschlagenen konkreten Maßnahmen bereits in Ausarbeitung bzw. ist schon seit längerem angekündigt. Richtungsweisende und nützliche Vorschläge wie insbesondere das Statut der europäischen Privatgesellschaft oder auch die Gruppenfreistellung für staatliche Beihilfen sind für diese Situation recht symptomatisch.

2.8   Beim SBA muss klar unterschieden werden zwischen den kleinen Familien- oder Handwerksbetrieben mit einem lokalen Absatzmarkt (die die große Mehrheit der KMU ausmachen und zumeist kein Wachstum anstreben, um die Kontrolle über das Unternehmen zu bewahren) einerseits und den mittleren oder kleinen Unternehmen mit einem großen Entwicklungspotenzial andererseits, die als „Vorläufer“ bezeichnet werden können. Besondere Aufmerksamkeit sollte diesbezüglich den kleinen und mittleren Unternehmen strukturschwacher Regionen — insbesondere Insel- und Bergregionen sowie dünn besiedelten Gebieten — geschenkt werden.

2.9   In diesem Zusammenhang wurde der EWSA um Stellungnahme zu der Kommissionsmitteilung ersucht. Der Ausschuss hat im Sinne einer optimalen Vorbereitung seiner Antwort am 7. Oktober 2008 in Paris in Zusammenarbeit mit der ständigen Versammlung der französischen Handwerkskammern eine Anhörung veranstaltet.

3.   Vorschlag Nr. 1 des EWSA: ein verbindliches Rechtsinstrument zur Anwendung des Prinzips „Vorfahr für KMU“

3.1   Der europäische SBA darf nicht einfach nur ein weiteres politisches Lippenbekenntnis sein, sondern muss sich in einer Legislativmaßnahme niederschlagen, die seine Anwendung verbindlich macht.

Was das Prinzip „Vorfahrt für KMU“ angeht, bekräftigt der EWSA seine schon früher vertretene Position (Stellungnahme INT/390) und fordert eine verbindliche Regelung, deren Form (Verhaltenskodex, interinstitutionelle Vereinbarung, Beschluss des Rates) noch festzulegen ist, jedoch das Europäische Parlament, die Kommission und den Rat in die Pflicht nimmt. Die Option einer interinstitutionellen Vereinbarung auf derselben Rechtsgrundlage wie die Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ von 2003 ist eine interessante Möglichkeit, die der EWSA neben weiteren Optionen untersuchen könnte. Ganz konkret sollte dieser verbindliche Rechtsakt Folgendes sicherstellen:

3.2.1   Die Rechtstexte auf sämtlichen Ebenen müssen so gestaltet werden, dass sie den spezifischen Gegebenheiten und besonderen Bedürfnissen der verschiedenen KMU-Kategorien Rechnung tragen; allen neuen europäischen Rechtsvorschriften muss eine vorherige Konsultation der Verbände — einschließlich der Sozialpartner und der Organisationen der Sozialwirtschaft — mit einer Antwortfrist von mindestens 12 Wochen (statt der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen 8 Wochen) vorausgehen.

3.2.2   Rechtsvorschriften für Unternehmen dürfen nicht allzu häufig geändert werden (höchstens alle sechs Jahre). Auch sollte vorgeschlagen werden, dass alle neuen Rechtsvorschriften mit bindender Wirkung zeitgleich am 1. Januar des jeweiligen Jahres in Kraft treten, wohingegen jegliche Rechtsvorschrift, die zu Entlastungen oder Vereinfachungen führt, sofort und zu jedem Zeitpunkt in Kraft treten können sollte.

3.2.3   Bei den Rechtsvorschriften auf allen Ebenen müssen vier Grundprinzipien eingehalten werden:

eine systematische Abschätzung der Folgen für die KMU muss für alle neuen Rechtsvorschriften obligatorisch vorgeschrieben sein; kein Rechtstext sollte verabschiedet werden können, ohne dass eine Abschätzung der Folgen für die verschiedenen Kategorien von Unternehmen in der betreffenden Branche durchgeführt wurde;

der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist systematisch für die verschiedenen Arten von Unternehmen anzuwenden:

das Prinzip der einzigen Anlaufstelle hat für alle den Unternehmen auferlegten Formalitäten zu gelten;

das Schutz- oder Vorbeugeprinzip ist als Absicherung gegen zusätzliche zwingende Rechtsvorschriften anzuwenden.

3.2.4   Auf der Grundlage der Zielvorgabe, die durch gemeinschaftliche Rechtsvorschriften bedingten Verwaltungslasten bis 2012 um 25 % zu verringern, ist eine quantifizierte Verpflichtung zur Verringerung des Verwaltungsaufwandes im Binnenmarkt festzulegen.

4.   Vorschlag Nr. 2 des EWSA: ein genauer Fahrplan mit den Fristen, den Mitteln und gegebenenfalls der Finanzierung für die Umsetzung

4.1   Der EWSA empfiehlt einen genauen Fahrplan, der Prioritäten, konkrete Maßnahmen, Fristen für die Umsetzung, die Durchführungsmittel und gegebenenfalls die Finanzierung umfasst. Es sollte sichergestellt werden, dass alle vorgeschlagenen Maßnahmen bis 2013 umgesetzt und geeignete Maßnahmen zur Begleitung und Bewertung vorgesehen werden.

4.2   Was den operationellen Teil in Form eines Katalogs von 92 Maßnahmen angeht, unterstützt der EWSA zwar diese Maßnahmen, die seiner Meinung nach sowohl auf Gemeinschaftsebene als auch in den Mitgliedstaaten rasch umgesetzt werden müssen, unterstreicht jedoch, dass er diese als die Umsetzung bzw. Fortsetzung bereits eingeleiteter oder beschlossener Maßnahmen betrachtet, wie z.B. die vier Legislativmaßnahmen. Diese Maßnahmen tragen den Erwartungen und Bedürfnissen der verschiedenen KMU-Kategorien nicht ausreichend Rechnung, und der EWSA fordert einen ehrgeizigeren Plan, der der tatsächlichen Rolle der kleinen Unternehmen und der Weltwirtschaftslage gerecht wird. Er schlägt daher der Kommission, dem Rat und dem Parlament vor, ein wirkliches europäisches Projekt zugunsten der KMU und der Kleinstunternehmen aufzulegen, das nicht nur auf die Unterstützung der Unternehmen mit hohen Wachstumsraten, sondern auch des lokalen Wirtschaftsgefüges, der sozialwirtschaftlichen Unternehmen und der traditionellen Gewerbe ausgerichtet ist und auf einer besseren Governance — die einen verbesserten Dialog zwischen den staatlichen Stellen, den Wirtschafts- und Sozialpartnern und den Verbände der verschiedenen Kategorien von KMU ermöglicht — sowie der effektiven Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten dieser KMU-Kategorien basiert.

4.3   Von den auf gemeinschaftlicher Ebene vorgeschlagenen Maßnahmen befürwortet der EWSA insbesondere:

den Entwurf einer Verordnung zur Festlegung eines Statuts der Europäischen Privatgesellschaft  (5), eine Maßnahme, die der EWSA bereits 2001 in einer Initiativstellungnahme vorgeschlagen hatte, um europaweit agierende Unternehmen zu schaffen, die in der Lage sind, von den Wachstumschancen des Binnenmarkts zu profitieren, und um auf diese Weise die Formalitäten und Kosten im Zusammenhang mit der Gründung von Niederlassungen in verschiedenen Mitgliedstaaten zu verringern. Der EWSA fordert, dass dieser Entwurf so bald wie möglich angenommen wird, wobei eine Formel zu finden ist, durch die Wettbewerbsverzerrungen oder eine wie auch immer geartete Schwächung der sozialen Rechte vermieden werden.

den Entwurf einer geänderten Richtlinie über die Zahlungsfristen  (6), durch den die Vorgaben und Strafen für die Verwaltungen im Falle einer Zahlung nach Ablauf von 30 Tagen verschärft werden.

4.4   Der EWSA schlägt vor, diese durch ehrgeizige und konkrete Maßnahmen zu ergänzen, insbesondere:

Pilotmaßnahmen für eine höhere Energieeffizienz für die KMU des Bausektors, aufgrund der Bedeutung der KMU in diesem Sektor (die 80 % der Unternehmen ausmachen) und ihres potenziell bedeutenden Beitrags zum Ziel der Verringerung des CO2-Ausstoßes (40 % der Emissionen gehen auf den Wohnsektor zurück);

an die Bedürfnisse der verschiedenen Branchen und Tätigkeitsgebiete angepasste Instrumente sowie progressive, in Etappen gegliederte Umweltmanagementverfahren für die kleinen Unternehmen, um sicherzustellen, dass diese nicht infolge von Umwelt- und Energiezielen vom Markt ausgeschlossen werden;

konkrete Maßnahmen der EU zur „Europäisierung“ der Unternehmen in Form von Annäherungs- und Zusammenarbeitsprogrammen (vgl. die früheren Programme EUROPARTENARIAT und INTERPRISE, die nach dem Jahr 2000 zu Unrecht von der Europäischen Kommission eingestellt wurden);

stärkere Beteiligung der Unternehmen an europäischen Bildungs- und Berufsbildungsprogrammen, insbesondere in Form eines neuen Programms zur Verbesserung der Kontakte zwischen Unternehmen und Bildungseinrichtungen; Der EWSA bekräftigt im Übrigen seine Forderung, die Programme zur Förderung der Mobilität von Lehrlingen und eine berufliche Erstausbildung durchlaufenden Jugendlichen zu verstärken;

Erleichterung und Förderung der Übertragung von Unternehmen; der EWSA unterstreicht, dass die Übertragung/Übernahme von Unternehmen, insbesondere von kleinen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen in städtischen wie auch ländlichen Gebieten, deren sich abzeichnendes Verschwinden erhebliche negative Auswirkungen hätte, eine große Herausforderung ist. Er befürwortet insbesondere Maßnahmen zur Vermittlung von Unternehmen an neue Eigentümer, steuerliche Anreize, Kapitalisierungsanreize sowie öffentlich-private Partnerschaften;

konsequenterer Ausbau des „Enterprise Europe Network“, so dass dieses ein echtes europäisches Informations- und Kooperationsnetzwerk wird.

4.5   Angesichts der weltweiten Rezession spricht sich der EWSA insbesondere für die Verstärkung der Finanzmechanismen mittels EIB und Europäischem Investmentfonds aus, um den Zugang zu kurzfristigen Finanzierungsmöglichkeiten zu erleichtern und Unternehmen in Schwierigkeiten zu unterstützen, solange das noch sinnvoll ist. Diesbezüglich sollten die derzeitigen Initiativen und die im Rahmen des europäischen SBA vorgesehenen Initiativen aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage erheblich ausgeweitet werden. Vor allem müsste Schluss sein mit unbedeutenden Pilotprojekten, und es müsste wirklich darauf hingearbeitet werden, die Netzwerke für eine unternehmensnahe Finanzierung (Risikokapital, „Business Angels“, Bürgschaften auf Gegenseitigkeit) leichter zugänglich zu machen und zu stärken und die Einrichtung von Fonds für europäische und grenzüberschreitende Projekte zu fördern.

4.6   Der EWSA fordert außerdem, wie in einer vorherigen Stellungnahme (CESE 390/2008) bereits zum Ausdruck gebracht, dass der europäische SBA neue Initiativen vorsehen sollte, die den Forderungen der verschiedenen Organisationen (die in zahlreichen auf Gemeinschaftsebene organisierten Konferenzen vorgebracht wurden) wie auch denen des EWSA und des Europäischen Parlaments entsprechen:

Berücksichtigung der KMU als Querschnittsthema in allen Gemeinschaftspolitiken: der EWSA betont, dass bei der Erarbeitung der Rechtsvorhaben jenseits aller politischen Rhetorik immer noch viel zu häufig vom Modell des Großunternehmens als Regelfall ausgegangen wird;

Weiterverfolgen der Politik der Verwaltungsvereinfachung, wobei aber insbesondere auf eine perfekte Koordinierung zwischen den zwischengeschalteten Organisationen der betroffenen Sektoren zu achten ist; die Kommission muss auf eine stärkere Zusammenarbeit mit diesen Organisationen und dem EWSA achten, um zu vermeiden, dass das angestrebte Ziel durch diese Vereinfachung konterkariert wird. Der EWSA meldet nochmals Zweifel an, ob die systematische Ausnahme von Kleinunternehmen bei der Anwendung bestimmter legislativer Maßnahmen sinnvoll und effektiv ist; er bevorzugt vielmehr den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Umsetzung der Rechtsvorschriften;

Unterstützung der Begleitung und Beratung durch die Verbände: Der Ausschuss misst den Fragen der Governance — insbesondere der Frage der Konsultation und der Folgemaßnahmen — große Bedeutung bei. Der Ausschuss bedauert, dass die Europäische Kommission den Verbänden keine größere Bedeutung beimisst, sind sie doch von ausschlaggebendem Gewicht für den Dialog mit Millionen von Unternehmen sowie deren Führungskräften und Arbeitnehmern. Der EWSA bekräftigt, dass diese Organisationen, die bei der Informationsübermittlung und der Hilfe für die Unternehmen — insbesondere die Kleinunternehmen — eine unersetzliche Rolle spielen, für den Erfolg der Gemeinschaftsmaßnahmen von zentraler Bedeutung sind;

Umsetzung einer umfassenden und kohärenten Innovationspolitik zur Unterstützung nicht nur der bereits als innovativ bekannten Unternehmen, sondern auch der laufenden Innovation, der Innovation im Bereich der Vermarktung und der Niedrig- bis Mitteltechnologie sowie der nichttechnologischen Innovation, insbesondere in Kleinunternehmen;

Breiterer Zugang zu den Gemeinschaftsprogrammen mittels Reduzierung der rechtlichen, finanziellen und verwaltungstechnischen Auflagen, die KMU abschrecken, sowie durch die Förderung von Gruppenprojekten auf Vorschlag der Verbände. Der EWSA ruft die Kommission erneut auf, sich mit den repräsentativen KMU-Verbänden auf die Vereinfachung des Zugangs zu den Programmen und auf konkrete neue Bedingungen für die Erarbeitung von und die Teilnahme an den Programmen auf den verschiedenen territorialen Ebenen zu verständigen. Bezüglich des Zugangs von KMU zu europäischen Finanzmitteln sind die Inanspruchnahmeverfahren so weit wie möglich zu vereinfachen. In diesem Zusammenhang könnte es ein erster Schritt sein, die verschiedenen Gemeinschaftsprogramme (Strukturfonds, Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP), 7. FTE-Rahmenprogramm usw.) analog zu strukturieren, da sich die Verfahren bekanntlich alle unterscheiden. Ebenso würde eine Klärung der in den Hintergrunddokumenten verwandten Fachsprache der Mehrheit der KMU eine leichtere Nutzung der verschiedenen, in den Programmen vorgeschlagenen Instrumente erlauben. Schließlich erweist sich ein konzertiertes Vorgehen für die Vereinfachung der Verfahren zwischen den europäischen Institutionen und den einzelstaatlichen Behörden als notwendig: die verwaltungstechnischen Hürden sind tatsächlich immer noch zu hoch für Unternehmen, deren eigentliches Betätigungsfeld nicht im Bereich von Verwaltungsverfahren liegt.

4.7   In Sachen öffentliches Auftragswesen sollte jeder Mitgliedstaat eine Struktur für die individuelle Unterstützung von KMU einrichten, die den Zugang zu öffentlichen Beschaffungsmärkten sowohl auf einzelstaatlicher als auch auf europäischer Ebene suchen. Dank dieser Unterstützung könnten KMU über die für eine Bewerbung notwendigen Schritte informiert und die in öffentlichen Ausschreibungen verwendete Terminologie erläutert werden. (KMU werden auch aufgrund der unverständlichen Terminologie nicht erreicht.)

5.   Vorschlag Nr. 3 des EWSA: Besondere Vorschläge für die Gemeinschaftsebene

5.1   Der EWSA schlägt im Sinne eines wirkungsvollen europäischen SBA eine gut sichtbare und ehrgeizige Gemeinschaftspolitik vor, an der es bislang mangelt. Der Ausschuss empfiehlt insbesondere,

einem Mitglied der Europäischen Kommission die volle Verantwortung für die Durchführung des europäischen SBA zu übertragen;

eine Reorganisation der Dienststellen der Kommission durchzuführen, damit die kleinen und mittleren Unternehmen wie zu Zeiten der Task Force KMU ebenfalls über einen bekannten und erreichbaren politischen Ansprechpartner auf europäischer Ebene verfügen, der nur für die KMU da ist und ihre Interessen bei den europäischen Institutionen, insbesondere im Rahmen des Entscheidungsfindungsprozesses, wahrnimmt;

die Einsetzung eines „Europäischen SBA-Ausschusses“ als Verwaltungsausschuss unter Hinzuziehung von Vertretern aus den Mitgliedstaaten und von Delegierten der betroffenen europäischen Verbände einschließlich der Sozialpartner. Der EWSA fordert, dass dieser Ausschuss mit umfassenden Befugnissen zur Kontrolle der Umsetzung des SBA, zur Überwachung des Aktionsplans und zur Koordinierung mit den durch die Mitgliedstaaten umzusetzenden Plänen ausgestattet wird. Der EWSA fordert in diesem Sinne anlässlich der Durchführung des SBA auch

die Einsetzung eines KMU-Beauftragten in jeder Generaldirektion der Europäischen Kommission, der dafür Sorge zu tragen hat, dass die Rechtsakte und Programme, die in die Zuständigkeit der jeweiligen Generaldirektion fallen, die Prioritäten und Erwartungen der KMU und der Kleinstunternehmen angemessen berücksichtigen;

das für die praktische Gewährung von „Vorfahrt für KMU“ erforderliche unternehmerische Umfeld sowohl auf der gesellschaftlichen als auch auf der institutionellen Ebene zu schaffen. Denn dafür Sorge zu tragen, dass die „ausgegebenen Vorschriften die Mehrheit derer berücksichtigt, bei denen sie Anwendung finden“ — im gegebenen Falle die KMU —, setzt eine gewisse Kenntnis dieses Bereichs voraus. Aus diesem Grunde sollte die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten dazu anhalten, ihrem Beispiel in diesem Bereich zu folgen — und zwar gemäß dem Programm der Kommission „Enterprise Experience Program“, das zahlreichen EU-Beamten ermöglicht, sich mit der Welt der KMU vertraut zu machen. Eine solche Maßnahme sollte die verschiedenen Mitgliedstaaten inspirieren — vor allem jene, die bisher nicht nach einer vergleichbaren Vorgehensweise verfahren.

6.   Vorschlag Nr. 4 des EWSA: Spezifische Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene

6.1   Was die Bereiche in einzelstaatlicher Zuständigkeit betrifft, empfiehlt der EWSA, dass jeder Mitgliedstaat

ein nationales Gesetz annimmt, um den Grundsatz „Vorfahrt für die KMU“ verbindlich vorzuschreiben;

einen „Nationalen Plan für den Small Business Act“ in direkter Partnerschaft mit den betroffenen Akteuren aus Wirtschaft und Gesellschaft erarbeitet; jedes Jahr sollte ein gesonderter, vom Bericht über die Nationalen Reformpläne verschiedener Bericht über die Umsetzung jedes einzelnen nationalen Plans vorgelegt werden. In einer jährlichen Konferenz könnten bewährte Verfahren und erfolgreiche Beispiele hervorgehoben werden. Die unmittelbare Beteiligung der betroffenen europäischen Organisationen und des EWSA würde diese Veranstaltungen aufwerten.

gemeinsame Aktionen in folgenden Bereichen unterstützt: Maßnahmen im Bereich der Unternehmensübertragungen (rechtliche und steuerliche Fragen); Konkursrecht, um den Unternehmen und Unternehmern stets eine zweite Chance zu gewähren; sowie Entwicklung zentraler Anlaufstellen und die Anwendung des Prinzips einer einzigen Anlaufstelle für die Erledigung von Formalitäten;

einen KMU-Beauftragten einsetzt, der zum einen die Aufgabe hat, die Anwendung des SBA im Mitgliedstaat zu steuern, und zum andern darauf achten soll, dass die nationalen Vorschriften zur Durchführung der Gemeinschaftsbestimmungen den Grundprinzipien der „Vorfahrt für KMU“ entsprechen.

6.2   Bezüglich der in die Zuständigkeit der Einzelstaaten fallenden Bereiche empfiehlt der EWSA, dass die Mitgliedstaaten sich besser abstimmen und gemeinsame Maßnahmen, gegebenenfalls im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit anstreben, um beispielsweise gemeinsam in folgenden Bereichen aktiv zu werden: Unternehmensübertragungen(rechtliche und steuerliche Fragen); Konkursrecht, damit die Unternehmen und Unternehmer stets eine zweite Chance bekommen.

6.3   Auf nationaler und grenzüberschreitender Ebene fordert der EWSA die Entwicklung und Zusammenarbeit zentraler Anlaufstellen in der gesamten EU. Die Mitgliedstatten sollten aufgefordert werden, die Interoperabilität der nationalen Anlaufstellen für die Erledigung von Formalitäten weiterzuentwickeln und materielle wie virtuelle Schranken abzubauen. Bezüglich des letzten Punktes wurden Maßnahmen im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinie oder auch der Verordnung zur Verbesserung des Funktionierens des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ergriffen. Insgesamt müsste die Einrichtung dieser zentralen Anlaufstellen von einer Kommunikationsstrategie für KMU flankiert werden, damit KMU über das Vorhandensein solcher Dienststellen ab dem Zeitpunkt ihrer Schaffung und während ihrer gesamten Lebensdauer informiert werden.

7.   Vorschlag Nr. 5 des EWSA: Kohärenz, Teilhabe und Evaluation

7.1   Angesichts der großen internationalen Herausforderungen, der gegenwärtigen konjunkturellen Lage sowie des Ziels der Revision des Lissabon-Prozesses ist der EWSA der Auffassung, dass der SBA folgenden Anforderungen gerecht werden sollte:

Konzeption strukturierender Maßnahmen zur Gewährleistung der Rechte des geistigen Eigentums, die insbesondere folgende Bereiche betreffen: das Gemeinschaftspatent, die zuständige Gerichtsbarkeit für Patentfragen auf Unionsebene, aber auch die Einsetzung einer europäischen Beobachtungsstelle für Nachahmungen und Produkt- und Dienstleistungspiraterie (erstmals vom EWSA im Jahr 2001 gefordert);

Bevorzugung eines integrierten Ansatzes für die Politik der KMU-Förderung, die die Gesamtheit der sektorspezifischen Maßnahmen auf gemeinschaftlicher, nationaler und regionaler Ebene umfasst;

Ermöglichung der Entwicklung von Governance, Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen den Behörden, den Gebietskörperschaften, den Wirtschafts- und Sozialpartnern und den Vertretern der Verbände der verschiedenen Kategorien von KMU auf allen Ebenen in der gesamten EU;

Unterstützung für die Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit aller Unternehmen, auch der Unternehmen, die vorwiegend auf lokalen Märkten aktiv sind; bei den Fördermaßnahmen im Rahmen des SBA sollte eindeutig unterschieden werden zwischen den Unternehmen, die vorwiegend auf lokalen Märkten aktiv sind und die die übergroße Mehrheit der KMU ausmachen zum einen, und den Unternehmen mit hohem technologischem oder grenzüberschreitendem Entwicklungspotenzial zum anderen. Erstere bedürfen vor allem eines günstigen Umfelds für ihre Tätigkeiten, wohingegen letztere der Mittel bedürfen, ihr Wachstum zu beschleunigen und sich zu europäisieren bzw. zu internationalisieren. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass die zahlreichen, vorwiegend auf lokalen Märkten aktiven Untenehmen die Möglichkeit erhalten können, sich auf erweiterten Märkten zu entwickeln oder im Rahmen von Kooperationen oder Clustern zu agieren, um die für die Tätigkeit auf dem europäischen oder weltweiten Markt erforderliche Mindestgröße zu erhalten.

7.2   Der EWSA ist der Auffassung, dass der Erfolg des SBA für Europa nicht nur vom politischen Willen der Behörden auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene, sich für die KMU und insbesondere für die Kleinstunternehmen einzusetzen, sondern zu einem sehr großen Teil auf den Initiativen der repräsentativen Verbände abhängt. Er fordert die betroffenen Behörden auf, alle erdenklichen Maßnahmen zur Förderung der Aktionen dieser Verbände zu ergreifen und sie an den Überlegungen zum Post-Lissabon-Prozess der EU zu beteiligen.

7.3   Der EWSA bekräftigt seine Forderung, in diesem Zusammenhang eine jährliche Bewertung der Umsetzung des europäischen SBA durchzuführen — sowohl mit Blick auf das Aktionsprogramm und die Anwendung des Grundsatzes „Vorfahrt für KMU in Europa“, als auch auf die Gesamtheit aller Maßnahmen für KMU auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten. Außerdem ist jährlich über die erzielten Fortschritte — einschließlich der Abstimmung mit den Verbänden — Bericht zu erstatten. Dieser Bericht muss Gegenstand einer entsprechenden Initiative im Rahmen der Umsetzung der Lissabon-Strategie sein, Empfehlungen der Kommission an die Mitgliedstaaten und die Regionen nach sich ziehen, eine Anpassung oder Überarbeitung des europäischen SBA ermöglichen und dem Europäischen Parlament, dem Ausschuss der Regionen und dem EWSA vorgelegt werden.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Sondierungsstellungnahme des EWSA „Die verschiedenen politischen Maßnahmen, die — neben einer angemessenen Finanzierung — Wachstum und Entwicklung von KMU fördern können“ (ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 7) und Sondierungsstellungnahme des EWSA zum Thema „Internationale Beschaffungsmärkte“ (ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 32).

(2)  Siehe die Arbeiten des EWSA im Rahmen der Stellungnahme CESE (Berichterstatterin: Frau Faes — ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 8).

(3)  Sondierungsstellungnahme des EWSA zum Thema „Die verschiedenen politischen Maßnahmen, die — neben einer angemessenen Finanzierung — Wachstum und Entwicklung von KMU fördern können“ (ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 7).

(4)  Sondierungsstellungnahme des EWSA zum Thema „Internationale Beschaffungsmärkte“ (ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 32).

(5)  KOM(2008) 394 endg.

(6)  Richtlinie 2000/35/EG, ABl. L 200 vom 8.8.2000, S. 35). Stellungnahme des EWSA: ABl. C 407 vom 28.12.1998, S. 50.


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/36


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte“

KOM(2008) 464 endg. — 2008/0157 (COD)

(2009/C 182/07)

Berichterstatter: Herr GKOFAS

Der Rat beschloss am 4. September 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 47 Absatz 2 sowie den Artikeln 55 und 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte“

KOM(2008) 464 endg. — 2008/0157 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Januar 2009 an. Berichterstatter war Herr GKOFAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 115 gegen 3 Stimmen bei 15 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert, eine gemeinschaftsweit einheitliche Regelung zum Schutz und zur Harmonisierung von Musikkompositionen einzuführen, die aus Beiträgen verschiedener Urheber bestehen, um Schwierigkeiten bei der grenzüberschreitenden Verteilung der Lizenzeinnahmen zu vermeiden.

1.2   Der EWSA fordert ebenfalls, dass die Schaffung einer Musikkomposition mit Text als Einzelarbeit mit einer Schutzdauer betrachtet wird, die 70 Jahre nach dem Tod des letzten ihrer Urheber erlischt.

1.3   In den Mitgliedstaaten sind häufig viele Verwertungsgesellschaften tätig, die sich je nach dem Gegenstand des Urheberrechts unterscheiden, was zur Folge hat, dass die Nutzer diesen Gesellschaften unterliegen und mehreren von ihnen gegenüber gebührenpflichtig sind, und zwar selbst für eine Arbeit, die der Nutzer als umfassende, vollständige, auf einem Tonträger gespeicherte Einzelarbeit erworben hat. Es sollte vorgesehen und eindeutig festgelegt werden, dass das erstellte Werk ein umfassendes, nicht teilbares Einzelprodukt ist und als solches behandelt wird.

1.4   Für den Einzug, aber auch den Schutz der Lizenzeinnahmen der Anspruchsberechtigten sollte eine einheitliche Stelle zur Verwaltung der Urheberrechte eingerichtet werden, die als einzige für den Einzug und die anschließende Bereitstellung der Summen an die etwaigen anderen — bereits bestehenden oder neu gegründeten — Stellen zur Vertretung der Anspruchsberechtigten zuständig ist, so dass der Nutzer nur mit einer einzigen Stelle verhandeln und Verträge abschließen muss und nicht mit mehreren.

1.5   Der EWSA empfiehlt, die Schutzdauer für Aufzeichnungen und Darbietungen von 50 auf 85 Jahre zu verlängern. Zur Verstärkung der Bemühungen zum Schutz unbekannter Interpreten, die bei Tonaufnahmen zumeist gegen eine „angemessene Vergütung“ oder eine Pauschalzahlung ihre Urheberrechte abtreten, sollte eine entsprechende Regelung eingeführt werden, wonach die Plattenfirmen mindestens 20 % des Zusatzeinkommens aus dem Verkauf der Tonträger als Rückstellung einsetzen, die sie während der verlängerten Schutzfrist nutzen wollen.

1.6   Der EWSA empfiehlt, dass ein Fonds für Interpreten, insbesondere die weniger bekannten, gebildet wird, da es den „großen Namen“ immer gelingt, mit den Plattenfirmen über ihre Anteile am Verkauf von Tonträgern zu einigen.

1.7   Der EWSA vertritt die Auffassung, dass zwischen den Interpreten, die vertreten werden, und den Mitgliedern der Verwertungsgesellschaft ein schriftlicher Vertrag bestehen sollte, um die Rechtmäßigkeit der Verwaltung und des Einzugs der Lizenzgebühren zu gewährleisten. Ohne einen solchen schriftlich niedergelegten und datierten Vertrag mit jedem einzelnen Anspruchsberechtigten sind diese Gesellschaften nicht berechtigt, im Namen des Begünstigten, mit dem sie einen Vertrag abgeschlossen haben, gleich welche Beträge einzuziehen.

1.8   Um die korrekte Zuweisung der Gelder zu gewährleisten, sollten diese Gesellschaften keinen Erwerbszweck verfolgen, und ihre Belege über den Einzug und die Zuweisung der Lizenzeinnahmen sollten umfassend transparent sein.

1.9   Der EWSA befürchtet jedoch, dass diese Einkünfte aus sekundären Einkommensquellen eine übermäßige Belastung für die Zahlungspflichtigen darstellen. Konkret muss der Begriff der öffentlichen Sendung und Wiedergabe in Hörfunk und Fernsehen auf Gemeinschaftsebene geklärt und anschließend in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt werden, und zwar im Sinne der angemessenen Wiedergabe und Wiederausstrahlung vorbezahlter öffentlicher Sendungen durch private Mittel.

1.10   Der EWSA ist der Meinung, dass die Vergütung für beide Parteien — Anspruchsberechtigte und Zahlungspflichtige — angemessen sein muss. Dem Mangel an Klarheit bezüglich der angemessenen Vergütung für die Übertragung des Vermietrechts der Interpreten muss abgeholfen werden. Es ist nicht hinnehmbar, dass es diesbezüglich keine gemeinschaftsweit einheitliche Regelung gibt und den Gesetzgebern in den einzelnen Mitgliedstaaten freie Hand gelassen wird, die diese Zuständigkeit ihrerseits den Verwertungsgesellschaften übertragen, welche oftmals nicht angemessene Vergütungen verlangen, die häufig keinerlei Kontrolle unterliegen.

1.11   Der EWSA ist der Ansicht, dass klar und eindeutig festgelegt werden muss, dass es sich bei der öffentlichen Nutzung um die gewerbliche Nutzung eines Werkes im Rahmen einer Geschäftstätigkeit handelt, die diese Nutzung (eines Werkes mit Ton und/oder Bild) erfordert oder rechtfertigt.

1.12   Es sollte besonders erwähnt werden, ob die Wiedergabe bzw. Übertragung des Werkes über eine Vorrichtung oder auf direktem Wege — über optische Scheiben, Magnetwellen (Empfänger) — erfolgt, in welchem Fall die Verantwortung für die öffentliche Übertragung (und der Auswahl) nicht beim Nutzer, sondern beim Ausstrahler liegt; da der Verwerter des Werkes nicht der Nutzer ist, greift folglich auch der Begriff der öffentlichen Darbietung nicht.

1.13   Die Verwendung der Medien kann nicht als dem Wesen nach öffentliche Darbietung erachtet werden, wenn diese von Orten wie Restaurants, Cafés, Bussen, Taxis usw. aus erfolgt, und muss infolgedessen von der Zahlung von Lizenzeinnahmen für die Interpreten ausgenommen werden. Die Lizenzeinnahmen aus Tonträgern wurden bereits von den Personen entrichtet, die das Recht erworben haben, sie mithilfe kabelgebundener oder kabelloser Geräte wiederzugeben. Das Anhören von Tonträgern mittels Hörfunk muss als private Nutzung durch die Bürger erachtet werden — sei es bei ihnen zu Hause, an ihrem Arbeitsplatz, im Bus oder im Restaurant -, und da sich eine Person nicht an zwei Orten gleichzeitig aufhalten kann, wurde die Gebühr von den Sendern entrichtet, die die tatsächlichen Nutzer sind.

1.14   Berufszweige, in deren Produktionsprozesse Ton und/oder Bild keine Rolle spielen, sollten ausgenommen werden. Branchen, in denen die Übertragung von Musik und/oder Bildern bei der Ausführung der Geschäftstätigkeit lediglich eine untergeordnete Rolle spielt, sollten einen geringeren Betrag entrichten, die selbstverständlich erst nach Verhandlungen zwischen den Vertretern der Verwertungsgesellschaften der Nutzer und der einheitlichen Stelle zur Verwaltung der Urheberrechte festgelegt worden ist.

1.15   Um zu gewährleisten, dass die Verwertungsgesellschaften die Interpreten ausbezahlen, hält es der EWSA ferner für notwendig, einen zusätzlichen Fonds als Garantiefonds einzurichten, falls sich die Gesellschaft in Schwierigkeiten befindet. In die Verträge zwischen Interpreten und Tonträgerherstellern müssen die „Use it or lose it“-Klausel sowie das Prinzip des „kompletten Neustarts“ für Verträge in der Fristverlängerung über die ersten 50 Jahre hinaus aufgenommen werden.

1.16   Der EWSA ist insbesondere besorgt darüber, dass gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften insgesamt auf den Schutz der Urheberrechte und verwandter Schutzrechte abzielen, ohne die entsprechenden Rechte der Nutzer und Endverbraucher zu berücksichtigen. Obgleich darauf hingewiesen wird, dass das kreative, künstlerische und unternehmerische Schaffen in hohem Maße Tätigkeiten der freien Berufe sind und als solche erleichtert und geschützt werden sollten; wird dieser Ansatz nicht in Bezug auf die Nutzer verfolgt. Aus diesem Grund ist es erforderlich, die Diskrepanzen zwischen den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu beseitigen und dort, wo eine strafrechtliche Ahnung der Nichtzahlung von Lizenzeinnahmen praktiziert wird, diese durch Verwaltungsbußgelder zu ersetzen.

1.17   Der EWSA stimmt der Änderung von Artikel 3 Absatz 1 zu, allerdings mit der Einführung einer Schutzfrist von 85 Jahren. In Artikel 3 Absatz 2 zweiter und dritter Satz schlägt der EWSA ebenfalls eine Dauer von 85 Jahren vor. Der EWSA ist damit einverstanden, dass in Artikel 10 zurecht Absatz 5 betreffend den rückwirkenden Charakter der Richtlinie eingeführt wird.

1.18   Der EWSA fordert die Kommission auf, die Bemerkungen und Vorschläge zu berücksichtigen, damit die bestehenden Rechtsvorschriften verbessert werden, und ruft die Mitgliedstaaten auf, den Bestimmungen nachzukommen und die erforderlichen rechtlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sie in einzelstaatliches Recht umzusetzen.

2.   Einleitung

2.1   Das geltende System der 50-jährigen Schutzfrist geht auf die Richtlinie 2006/116/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte zurück.

2.2   Darüber hinaus betrifft dies — wie in der Begründung des Vorschlags dargelegt — nicht nur die bekannten Künstler, sondern insbesondere auch jene, die ihre Exklusivrechte gegen eine Pauschalzahlung an die Tonträgerhersteller abgetreten haben. Ihre einzige angemessene Vergütung für die öffentliche Sendung ihrer Tonträger würde dann natürlich wegfallen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Ziel dieser Stellungnahme ist es, bestimmte Artikel der Richtlinie 2006/116 zur Regelung der Schutzdauer für Darbietungen und Tonträger zu ändern und zusätzliche Maßnahmen zur Gewährleistung dieses Ziels sowie auch bestimmte Themen herauszustellen, die dazu beitragen, das Anliegen dieser Stellungnahme, d.h. die Abschwächung der sozialen Unterschiede zwischen Tonträgerherstellern, bekannten Interpreten und Studiomusikern, wirksamer zu erreichen.

3.2   Der EWSA bringt seine tiefe Besorgnis über den Schutz der Urheberrechte und verwandter Schutzrechte von Interpreten zum Ausdruck, insbesondere in Bezug auf Tonträger, und empfiehlt, ihren Forderungen mit einem Mindestbeitrag zu ihren Gunsten im Rahmen der erweiterten Schutzfrist zu entsprechen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Der Grundgedanke der Kommissionsvorlage ist im Wesentlichen auf die Verlängerung der Schutzfrist für die Urheberrechte von Interpreten fokussiert.

4.2   Der EWSA ist der Ansicht, dass diese Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten unverzichtbar ist, um Schwierigkeiten bei der grenzüberschreitenden Verteilung der Lizenzeinnahmen in verschiedenen Mitgliedstaaten zu vermeiden.

4.3   Der EWSA ist zudem der Meinung, dass die Schaffung einer Musikkomposition mit Text als Einzelarbeit betrachtet werden muss, deren Schutzdauer 70 Jahre nach dem Tod des letzten ihrer Urheber erlischt, da eine längere Schutzfrist für die Urheberrechte einer verkürzten Frist, die zahlreiche Probleme bereiten würde, vorzuziehen ist.

4.4   Dementsprechend empfiehlt der EWSA, die Schutzdauer für Aufzeichnungen von Darbietungen von 50 auf 85 Jahre zu verlängern.

4.5   Zur Verstärkung der Bemühungen zum Schutz unbekannter Interpreten, die ihr Urheberrecht zumeist gegen eine „angemessene Vergütung“ oder eine Pauschalzahlung abtreten, sollte eine entsprechende Regelung eingeführt werden, wonach die Plattenfirmen mindestens 20 % des Zusatzeinkommens aus dem Verkauf der Tonträger in die Reserve einsetzen, die sie während der verlängerten Schutzfrist nutzen wollen.

4.6   Zur Verwirklichung des vorgenannten Ziels ist der EWSA der Ansicht, dass ein Fonds für Interpreten, insbesondere die weniger bekannten, gebildet werden sollte.

4.7   Die Verwaltung und Einziehung der Vergütungen sollte von Verwertungsgesellschaften durchgeführt werden, die diese so genannten sekundären Vergütungsansprüche verwalten. Es sollten jedoch bestimmte Sicherheitsvorkehrungen bezüglich der Funktionsweise und der Zusammensetzung dieser Stellen getroffen werden.

4.8   Nach Ansicht des EWSA sollte prinzipiell ein schriftlicher Vertrag zwischen den Interpreten, die vertreten werden, und den Mitgliedern der Verwertungsgesellschaft bestehen, um die Rechtmäßigkeit der Verwaltung und des Einzugs der Lizenzeinnahmen zu gewährleisten.

4.9   Diese Gesellschaften sollten keinen Erwerbszweck verfolgen, und ihre Belege über den Einzug und die Zuweisung der Lizenzeinnahmen sollten umfassend transparent sein. Der EWSA ist der Meinung, dass diese Gesellschaften, die nach Maßgabe der Regelungen und Gesetze der einzelnen Mitgliedstaaten eingesetzt werden müssen, nur in zwei Kategorien fallen dürfen, je nachdem, ob sie die Urheber oder die Interpreten vertreten. Nach dem Dafürhalten des EWSA würde die Existenz einer größeren Zahl solcher Gesellschaften, die verschiedene Gruppen vertreten, Verwirrung stiften und Transparenz und Kontrolle sicherlich erschweren.

4.10   Interpreten haben jedoch auch Einnahmen aus anderen Quellen. Die Verwertungsgesellschaften wurden in erster Linie mit dem Ziel eingesetzt, die sekundären Vergütungsansprüche zu verwalten; dabei handelt es sich im Wesentlichen um drei Spielarten: a) die angemessene Vergütung für die öffentliche Sendung und Wiedergabe, b) Abgaben für Privatkopien und c) die angemessene Vergütung für die Übertragung des Vermietrechts der Interpreten. Diese Mittel werden mit Verlängerung der Schutzfrist von 50 auf 85 Jahre natürlich ansteigen.

4.11   Der EWSA befürchtet jedoch, dass diese Einkünfte aus sekundären Einkommensquellen eine übermäßige Belastung für die Zahlungspflichtigen darstellen, was von der Verlängerung der Schutzdauer natürlich ganz und gar unabhängig ist. Konkret muss der Begriff der öffentlichen Sendung und Wiedergabe in Hörfunk und Fernsehen auf Gemeinschaftsebene geklärt und anschließend in die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt werden, und zwar im Sinne der angemessenen Wiedergabe und Wiederausstrahlung vorbezahlter öffentlicher Sendungen durch private Mittel.

4.12   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Zahlung der angemessenen Vergütung für die Wiederausstrahlung einer bereits geschützten Darbietung, insbesondere dann, wenn diese Ausstrahlung nicht zu Erwerbszwecken erfolgt, überzogen ist und Raubkopien (Musikpiraterie) in die Hand spielt.

4.13   Zudem ist der EWSA besorgt über die Art und Weise, wie die aus den anderen beiden Einkommensquellen der Interpreten stammenden Einkünfte verwaltet werden. Es handelt sich hierbei um einen wichtigen Aspekt, der alle zur Zahlung von Urheberrechten verpflichteten Akteure betrifft. Wie kann ohne einen vorherigen schriftlichen Vertrag zwischen dem Anspruchsberechtigten dieses Zusatzeinkommens und demjenigen, der als sein Vertreter in der Verwertungsgesellschaft fungiert, gewährleistet werden, dass der Zahlungspflichtige der Zahlung der Zusatzeinkünfte auch wirklich nachkommt?

4.14   Ferner muss auch der Mangel an Klarheit bezüglich der angemessenen Vergütung für die Übertragung des Vermietrechts der Interpreten beseitigt werden. Der EWSA ist der Meinung, dass die Vergütung für beide Parteien — Anspruchsberechtigte und Zahlungspflichtige — angemessen sein muss. Im Übrigen muss diese angemessene Vergütung bspw. etwa alle fünf Jahre im Verhandlungswege zwischen beiden Parteien neu festgelegt werden.

4.15   Der EWSA ist überzeugt, dass es auf diese Weise und durch die gleichzeitige Regelung der speziellen Gebühren für Privatkopien — insbesondere für Leute aus der Unterhaltungsbranche, die diese Kopien zu anderen als rein privaten Zwecken verwenden — möglich sein wird, während der gesamten verlängerten Schutzdauer einen stabilen Zufluss von Einkünften aus sekundären Vergütungsansprüchen zu gewährleisten, die Musikpiraterie zu bekämpfen und die legalen Verkäufe von Tonträgern über das Internet zu erhöhen.

4.16   Um zu gewährleisten, dass die Verwertungsgesellschaften den Interpreten die Einnahmen zukommen lassen, hält es der EWSA ferner für notwendig, einen zusätzlichen Fonds als Garantiefonds einzurichten, aus dem die betreffenden Beträge ausgezahlt werden können, falls sich die Gesellschaft in Schwierigkeiten befindet.

4.17   Der EWSA ist ferner der Ansicht, dass, um die Ziele dieser Stellungnahme erreichen zu können, in der vorliegenden Richtlinie auch bestimmte flankierende Maßnahmen enthalten sein müssen. Konkret müssen in die Verträge zwischen Interpreten und Tonträgerherstellern die „Use it or lose it“-Klausel sowie das Prinzip des „kompletten Neustarts“ für Verträge in der Fristverlängerung über die ersten 50 Jahre hinaus aufgenommen werden. Ist nach Verlängerung der Schutzdauer ein Jahr verstrichen, erlöschen sowohl die Rechte am Tonträger als auch an der Aufzeichnung der Darbietung.

4.18   Nach Ansicht des EWSA sollte es die Priorität sein, Interpreten davor zu schützen, dass ihre Darbietungen auf Tonträgern „verwaisen“, weil der Tonträgerhersteller es unterlässt, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Er hält es für erforderlich, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, die die Plattenfirmen daran hindern, das Werk von Interpreten „wegzuwerfen“, wie bspw. Maßnahmen administrativer Art oder in Form von Geldbußen oder Sanktionen.

4.19   Nach Überzeugung des EWSA sollte aufgrund der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten ein umfangreiches Volksliedgut besitzen, für diese Art von Liedern, aber auch für andere ähnliche Lieder, die als „verwaist“ gelten, eine spezielle Reglung eingeführt werden, damit auch sie den Weg in die Öffentlichkeit finden.

4.20   Der EWSA stimmt dem in Artikel 10 enthaltenen Hinweis auf den rückwirkenden Charakter der Rechtsvorschrift für alle geltenden Verträge zu.

4.21   Der EWSA stimmt auch den Ziffern 3 und 6 von Artikel 10 zu.

4.22   Der EWSA ist auch mit dem Recht auf eine zusätzliche, jährlich zu zahlende Vergütung für die verlängerte Schutzdauer in Übertragungs- oder Abtretungsverträgen von Interpreten einverstanden.

4.23   Der EWSA geht damit konform, dass ca. 20 % der Einnahmen, die der Tonträgerhersteller während des Jahres, das dem Jahr, für das diese Vergütung ausgezahlt wird, vorausgeht, ein angemessener Betrag für die zusätzliche Vergütung ist.

4.24   Der EWSA ist nicht mit dem Vorschlag einverstanden, dass die Mitgliedstaaten die Zahlung der zusätzlichen jährlichen Vergütung von den Verwertungsgesellschaften vornehmen lassen können.

4.25   Der EWSA hält es für erforderlich, dass zwischen jedem einzelnen Interpreten und den Vertretern der Gesellschaft ein schriftlicher Vertrag geschlossen wird. Dieser Vertrag muss dem Einzug der Lizenzeinnahmen der Vertreter im Namen des Interpreten zwingend vorausgehen. Die Gesellschaften müssen jedes Jahr vor einer anderen einheitlichen Stelle aus Interpreten und Plattenfirmen Rechenschaft über die Verwaltung der Einnahmen ablegen, die aus den zusätzlichen Vergütungen während der erweiterten Schutzfrist stammen.

4.26   Der EWSA ist mit der Übergangsmaßnahme in Artikel 10 einverstanden. Ebenso stimmt er der Übergangsmaßnahme betreffend die Nutzung des Tonträgers durch den Interpreten zu.

4.27   Der EWSA hält daher eine einheitliche Regelung für erforderlich, der zufolge bestimmte Tonträgerhersteller, bspw. jene, deren Jahreseinkommen 2 Millionen Euro nicht übersteigt, von der Regel zur Bildung einer Reserve von 20 % ausgenommen sind. Natürlich wird eine jährliche Überprüfung erforderlich sein, um festzustellen, welche Tonträgerhersteller in diese Kategorie fallen.

4.28   Der EWSA ist besorgt darüber, dass es durch die Verabschiedung dieser Richtlinie ohne eine vorherige einheitliche Regelung in Bezug auf die Art der Zahlungen, die Kontrolle der Zahlungen, Belege, den eventuellen Konkurs von Gesellschaften, Fälle, in denen die Anspruchsberechtigten versterben oder auf ihre Lizenzeinnahmen verzichten, Vereinbarungen zwischen den Anspruchsberechtigten und den Verwertungsgesellschaften, Kontrolle der Verwertungsgesellschaften und viele andere Rechtsfragen insbesondere im Bereich der Verwaltung und Zahlung der 20 % zusätzlichen Einkünfte bei ihrer Umsetzung zu größeren Schwierigkeiten kommen wird, ohne dass das Problem der Angleichung der Bedingungen für bekannte und unbekannte Interpreten wirklich gelöst würde.

4.29   Die Lösung des Problems der Angleichung liegt nicht nur in der Verlängerung der Schutzdauer, sondern auch in vernünftigen Verträgen, die die „Use it or lose it“-Klausel enthalten. Nach Auffassung des EWSA müssen parallel zu der Verabschiedung des Vorschlags zur Änderung der Richtlinie Rechtsvorschriften erlassen werden, die verhindern helfen, dass Werke 50 Jahre lang „verwaisen“. Vor der Umsetzung der geänderten Richtlinie in einzelstaatliches Recht müssen unbedingt zusätzliche Bestimmungen erlassen werden, in erster Linie bezüglich der Modalitäten der Auszahlung der Lizenzeinnahmen an die Anspruchsberechtigten.

4.30   Der EWSA ist der Auffassung, dass zur Vermeidung von Verallgemeinerungen und Auslegungsunterschieden der Begriff „Veröffentlichung eines Tonträgers“ hinreichend geklärt werden muss. Auch die Frage der gleichzeitigen öffentlichen Wiedergabe eines Tonträgers von zwei verschiedenen Interpreten und insbesondere von Studiomusikern, die ihre Rechte nicht an die betreffende Plattenfirma abgetreten haben (Medienübertragung, Proben von Liedern für Wettbewerbe oder Übertragung von Liedern über das Internet) bedarf der Klärung.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/40


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für eine Europäische Forschungsinfrastruktur (ERI)“

KOM(2008) 467 endg. — 2008/0148 (CNS)

(2009/C 182/08)

Berichterstatter: Herr STANTIČ

Der Europäische Rat beschloss am 5. September 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 172 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates über den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für eine Europäische Forschungsinfrastruktur (ERI)“

KOM(2008) 467 endg. — 2008/0148 (CNS).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Januar 2009 an. Berichterstatter war Herr STANTIČ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 15. Januar) mit 149 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Erstklassige Forschungsinfrastrukturen gehören zu den entscheidenden Stützpfeilern einer Weiterentwicklung des Europäischen Forschungsraums.

1.2   Die Einrichtung und der Betrieb wettbewerbsfähiger europäischer Forschungsinfrastrukturen von Weltklasse übersteigen in der Regel die Möglichkeiten aber auch das Nutzungspotenzial einzelner EU-Mitgliedstaaten. Aus diesem Grund schafft gemeinsames Vorgehen gerade in diesem Bereich einen besonders hohen europäischen Mehrwert. Die von solchen Infrastrukturen ausgehende Anziehungskraft führt zu stärkerer Vernetzung und Zusammenarbeit innerhalb des Europäischen Forschungsraums und wirkt noch bestehender Zersplitterung entgegen.

1.3   Der EWSA unterstützt daher den Fahrplan zur Einrichtung von 44 europaweiten groß angelegten Forschungsinfrastrukturen in den nächsten 10 bis 20 Jahren, wie er vom Europäischen Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) vorgeschlagen wurde.

1.4   Es ist kaum anzunehmen, dass die verschiedenen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine geeignete Rechtsgrundlage für die Einrichtung von Forschungsinfrastrukturen mit gesamteuropäischer Bedeutung bieten können. Der Ausschuss unterstützt daher den Vorschlag für eine Verordnung über den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für eine Europäische Forschungsinfrastruktur (ERI), durch die die Umsetzung der in der Liste des ESFRI aufgeführten Maßnahmen vereinfacht und beschleunigt werden kann.

1.5   Die Einrichtung neuer Forschungsinfrastrukturen könnte den europäischen Forschungsraum deutlich attraktiver machen und dem Braindrain aus Europa entgegenwirken. Andererseits wird eine Konzentrierung der Hauptinfrastrukturen allein auf die entwickelten Mitgliedstaaten zumindest kurzfristig Forscher aus allen Teilen der EU anziehen. Langfristig sollten diese für einige Länder möglicherweise negativen Auswirkungen durch eine angemessene geografische Verteilung der Forschungsinfrastrukturen und einen möglichst ungehinderten Zugang zu diesen ausgeglichen werden können.

1.6   Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, sich der Initiative des ESFRI und der Kommission anzuschließen und baldmöglichst ihre nationalen „Fahrpläne“ für die Entwicklung und Modernisierung der Forschungsinfrastrukturen auszuarbeiten.

1.7   Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag, die Europäischen Forschungsinfrastrukturen von der Mehrwert- und der Verbrauchsteuer auszunehmen, da ihnen dies eine gewisse Anziehungskraft und einen Wettbewerbsvorteil gegenüber vergleichbaren Projekten in anderen Teilen der Welt verschafft.

1.8   Der Ausschuss schlägt vor, dass sich die Gemeinschaft durch eine Aufstockung der Mittel des 8. FuE-Rahmenprogramms aktiver an der Kofinanzierung der Europäischen Forschungsinfrastrukturen beteiligt. Durch eine Beteiligung könnte die Gemeinschaft stärker Einfluss nehmen und eine geografisch breitere Verteilung und einen besseren Zugang für einen möglichst großen Kreis europäischer Wissenschaftler sicherstellen.

1.9   Der Ausschuss empfiehlt, der Entwicklung neuer Forschungs- und Innovationspotenziale in der europäischen Kohäsionspolitik und in ihren Finanzinstrumenten, den Strukturfonds, eine höhere Priorität einzuräumen. Außerdem fordert er die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, weitere Maßnahmen und Instrumente zu entwickeln, die Anreize für mehr privatwirtschaftliche Investitionen in Forschungsinfrastrukturen schaffen.

1.10   Der Ausschuss möchte besonders auf das Problem der nach Abschluss der Anfangsinvestition anfallenden Betriebs- und Wartungskosten für die Forschungsinfrastrukturen hinweisen. Diese Kosten können jährlich bis 20 % der Investitionshöhe betragen und das Prinzip des freien Zugangs für Forscher aus Ländern, die nicht Mitglied des ERI sind, in Frage stellen. Außerdem wäre es angebracht, eine Kofinanzierung auch dieser Betriebskosten aus europäischen Mitteln im 8. FuE-Rahmenprogramm einzuplanen.

2.   Einführung

2.1   Die Einrichtung eines Europäischen Forschungsraums (EFR) ist bereits seit dem Jahre 2000 (1) das Leitziel aller Gemeinschaftsmaßnahmen im Bereich Forschung und Entwicklung. Die Mitgliedstaaten haben in den darauf folgenden Jahren zahlreiche Maßnahmen in diesem Bereich eingeleitet, dennoch stehen dem Erreichen des letztendlichen Ziels, nämlich der Einführung der „fünften Grundfreiheit“ in Europa — freier Verkehr von Wissen -, nach wie vor eine Reihe einzelstaatlicher und institutioneller Hindernisse entgegen. Ein entscheidendes Problem in Europa bleibt im Bereich Wissenschaft und Forschung die Zersplitterung, durch die Europa gehindert wird, das gesamte Forschungspotenzial auszuschöpfen.

2.2   Es besteht kein Zweifel daran, dass eine hervorragende Forschungsinfrastruktur eines der Schlüsselelemente für eine weitere Entwicklung des EFR (2) ist, weil sie:

Spitzenleistungen in der Wissenschaft fördert;

global wettbewerbsfähige Grundlagenforschung und angewandte Forschung ermöglicht;

die besten Forscher anzieht;

die Innovation in der Industrie sowie den Wissenstransfer fördert;

zur europäischen Integration beiträgt;

einen höheren Mehrwert für Europa bringt.

2.3   Eines der Merkmale der europäischen Forschungsinfrastrukturen ist, dass die Höhe der Investitionssummen und Betriebskosten sowie die Fähigkeit, ihre Kapazitäten voll auszuschöpfen, die Möglichkeiten eines einzelnen Mitgliedstaates übersteigen. Europäische Exzellenzzentren erreichen häufig nicht die kritische Masse. Einigen mangelt es an der entsprechenden Vernetzung und Zusammenarbeit. Trotz dieser Mängel ist es Europa in der Vergangenheit gelungen, einige gesamteuropäische Projekte von weltweiter Bedeutung umzusetzen, wie beispielsweise CERN, ITER, EMBO, ESA, ESRF (3) u.a.

2.4   Der in dieser Stellungnahme zu behandelnde Vorschlag für eine Verordnung KOM(2008) 467 endg. gehört zu einer von fünf 2008 vorgelegten Kommissionsinitiativen, durch die die Einrichtung des Europäischen Forschungsraums (EFR) bedeutend beschleunigt werden soll (4).

2.5   Diese Initiative soll die öffentlichen und privaten Investitionen in die Forschung fördern und entspricht somit den Zielsetzungen der Agenda von Lissabon, deren Zielsetzung von 3 % des PIB bis 2010 allerdings noch in weiter Ferne liegt (gegenwärtig liegt der Durchschnitt bei 1,7-1,8 % des PIB). Durch den Vorschlag wird der notwendigen Konsolidierung der europäischen Forschungsinfrastruktur eine Grundlage gegeben, die den Europäischen Forschungsraum stärken und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen fördern wird.

3.   Hintergrund

3.1   Um die zahlreichen Herausforderungen in Bezug auf die Forschungsinfrastrukturen erfolgreicher angehen zu können, hat der Europäische Rat bereits im Jahr 2002 das Europäische Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) (5) eingerichtet. Diesem wurde das Mandat erteilt, einen Fahrplan für die Entwicklung und Konsolidierung der nächsten Generation groß angelegter Infrastrukturen von gesamteuropäischer Bedeutung zu entwerfen.

3.2   Das ESFRI hat auf Grundlage eingehender Beratungen (mit etwa 1 000 hochkarätigen Sachverständigen) und in Zusammenarbeit mit der Kommission 35 gesamteuropäische Projekte ausgearbeitet (6), durch die der Bedarf an groß angelegten europäischen Infrastrukturen für die nächsten 10 bis 20 Jahre gedeckt werden soll (7).

3.3   Der „Fahrplan“ enthält neue bedeutende Forschungsinfrastrukturen von unterschiedlicher Dimension und Wertigkeit, die eine große Fülle von Forschungsbereichen abdecken: von Sozial- und Naturwissenschaften über elektronische Systeme zur Archivierung wissenschaftlicher Arbeiten bis hin zu Datenbanken (8). Für die Gesamtheit der Projekte sind Mittel in Höhe von über 20 Mrd. EUR vorgesehen.

3.4   Als Faktoren, die die Einrichtung gesamteuropäischer Forschungsinfrastrukturen von Weltrang behindern könnten, nannte das ESFRI unter anderem die finanziellen und organisatorischen Einschränkungen. Es geht um den fehlenden europäischen Rechtsrahmen, der einen unkomplizierten und effizienten Aufbau internationaler Partnerschaften ermöglichen würde. Gegenwärtig müssen Partner, die bei der Entwicklung gemeinsamer Forschungsinfrastrukturen zusammenarbeiten wollen, sich zuerst darüber einigen, auf welcher einzelstaatlichen rechtlichen Grundlage dies geschehen soll (9) (oder auf der Grundlage internationaler Vereinbarungen), woraus zusätzliche verwaltungstechnische Probleme entstehen.

3.5   Das ESFRI hat daher die Notwendigkeit erkannt, einen spezifischen gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für den Aufbau einer europäischen Forschungsinfrastruktur (ERI) zu entwickeln, an der sich mehrere Mitgliedstaaten beteiligen können.

3.6   Begriffsbestimmung von ERI: Einrichtungen, Ressourcen und damit verbundene Dienstleistungen, die von Wissenschaftlern für Spitzenforschung genutzt werden. Dies beinhaltet wissenschaftliche Ausrüstung, wissensbasierte Quellen (wissenschaftliche Sammlungen, Archive, strukturierte wissenschaftliche Daten), EDV-gestützte Infrastrukturen und Kommunikationstechnologien sowie jedwedes andere besondere Mittel, das benötigt wird, um ein Spitzenniveau in der Forschung zu erreichen. Derartige Forschungsinfrastrukturen können „an einem Ort“ oder „verteilt“ (als organisiertes Netz von Quellen) angesiedelt werden.

4.   Vorschlag der Kommission

4.1   Ausgehend von der Schlussfolgerung, dass der gegenwärtige, auf dem jeweiligen nationalen Recht gründende Rechtsrahmen den Anforderungen für neue gesamteuropäische Infrastrukturen nicht genügt, und auf Initiative der Mitgliedstaaten hat die Kommission gemäß Artikel 171 EG-Vertrag den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über den Rechtsrahmen für die ERI erarbeitet.

4.2   Mit dem vorgeschlagenen Rechtsakt soll den an dem gemeinschaftlichen Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung beteiligten Mitgliedstaaten vor allem die Möglichkeit gegeben werden, gemeinsam Forschungskapazitäten von gesamteuropäischem Interesse aufzubauen und zu betreiben.

4.3   Eine ERI ist eine juristische Person mit Rechtspersönlichkeit, deren Grundlage die Mitgliedschaft (von mindestens drei Mitgliedstaaten, Drittstaaten oder zwischenstaatlichen Organisationen) ist und die in allen Mitgliedstaaten uneingeschränkte Rechts- und Geschäftsfähigkeit besitzt. In der Verordnung wird der Rahmen mit den nforderungen und Verfahren für die Gründung einer ERI festgelegt.

4.4   Eine ERI hat im Sinne der Richtlinien über die Mehrwertsteuer, Verbrauchsteuern und Vergabe öffentlicher Aufträge den Status einer internationalen Organisation. Sie ist somit von der Mehrwertsteuer und von Verbrauchsteuern befreit, und ihre Vergabeverfahren fallen nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge (10).

4.5   ERI können in Übereinstimmung mit der Verordnung des Rates (11) mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds aus kohäsionspolitischen Finanzinstrumenten mitfinanziert werden.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Ansicht, dass das vorgeschlagene neue Rechtsinstrument, durch das bestehende Rechtsinstrumente ergänzt werden, das Verfahren für Entscheidungen über neue gesamteuropäische Infrastrukturen erleichtern und fördern und so die Schaffung des EFR und das Erreichen der Ziele von Lissabon beschleunigen wird.

5.2   Der Ausschuss begrüßt das klare und entschiedene Bekenntnis der Kommission und der Mitgliedstaaten zur Harmonisierung der weiteren Entwicklung der Europäischen Forschungsinfrastruktur. Nur so wird es möglich sein, den von ESFRI vorgeschlagenen strategischen Fahrplan umzusetzen.

5.3   Die Entwicklung neuer Forschungsinfrastrukturen von Weltniveau kann bedeutend zur allgemeinen Anziehungskraft des Europäischen Forschungsraums beitragen. Diesen Infrastrukturen kommt eine herausragende Rolle zu, wenn es darum geht, die 400 000 hochbegabten jungen Forschungskräfte zu unterstützen und zu motivieren, die Europa braucht, um die angestrebten drei Prozent des BIP für Investitionen in FuE zu erreichen. Außerdem kann eine erstklassige Forschungsinfrastruktur begabte und gut ausgebildete Forscher aus der ganzen Welt anziehen.

5.4   Auf Grund der außergewöhnlich hohen Anforderungen der vorgeschlagenen Forschungsinfrastrukturprojekte (12) sind die Möglichkeiten für kleinere oder weniger entwickelte Staaten, an bedeutenden Forschungsinfrastrukturen beteiligt zu werden oder diese zu beherbergen, realistisch gesehen ziemlich gering. Es ist zu erwarten, dass die Infrastrukturen von großem Umfang in Zukunft vor allem in den hoch entwickelten Ländern angesiedelt werden, was den Braindrain innerhalb der EU kurzfristig beschleunigen könnte. Langfristig sollte sich dieser Unterschied verringern, da 28 der 44 Projekte auf der Liste des ESFRI auf einer dezentral angesiedelten Infrastruktur aufbauen. Eine solche Infrastruktur erstreckt sich wie ein Netz über ganz Europa und vereinfacht so die Teilnahme kleiner und weniger entwickelter Länder. Um dies tatsächlich zu erreichen, fordert der EWSA für die Forscher einen umfassenden Zugang zu dieser Infrastruktur. Es ist außerdem dafür Sorge zu tragen, dass Wissenschaftler, Techniker und Verwaltungspersonal zwischen den einzelnen Standorten dieser Forschungsstrukturen weitgehend mobil sind.

5.5   Etwa 15 % der Forscher an europäischen Forschungseinrichtungen nutzen die Forschungsinfrastruktur in Zusammenarbeit mit der Industrie. Die Entwicklung neuer Forschungsinfrastrukturen kann eine neue Nachfrage und zahlreiche Nebeneffekte sowie zusätzliche Anreize für den Transfer von Wissen und Technik in die Industrie bewirken. Genau so kann auch ein Ziel von Barcelona schneller erreicht werden: die Erhöhung der privaten Investitionen in Forschung und Entwicklung auf 2 % des BIP.

5.6   In dem von der Kommission am 26. November 2008 zur Abfederung der Wirtschafts- und Finanzkrise eingeleiteten Europäischen Konjunkturprogramm wird der Bereich FuE ausdrücklich erwähnt. Zu den im Konjunkturprogramm aufgeführten langfristigen Maßnahmen gehören so genannte „intelligente“ Investitionen. Sowohl die Mitgliedstaaten als auch der private Sektor werden aufgefordert, mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren. Der EWSA hebt die positiven Rückwirkungen von Investitionen in die Forschungsinfrastruktur hervor. Es handelt sich dabei um ein Marktpotenzial in Höhe von über 10 Mrd. EUR; viele Arbeitsplätze in Unternehmen, die Infrastrukturprojekte durchführen, können so geschützt werden. Dies könnte als guter Hebel für den beschleunigten Übergang zur Wissensgesellschaft dienen.

5.7   Der Europäische Fahrplan für Forschungsinfrastrukturen ist eine hervorragende Grundlage für die Erstellung nationaler Fahrpläne. Der Ausschuss stellt fest, dass einige Mitgliedstaaten diese Initiativen nicht ernst genug genommen haben. Er fordert diese Mitgliedstaaten daher auf, Versäumtes möglichst bald nachzuholen und sich den Initiativen des ESFRI und der Kommission anzuschließen.

5.8   Die Hauptlast einer künftigen Finanzierung der Forschungsinfrastrukturen wird weiterhin aus den Mitteln der Mitgliedstaaten bestritten. Es ist daher wichtig diese Mittel auf einander abzustimmen. Nur so können die kritische Masse, die Wirksamkeit der Investitionen sowie eine angemessene Spezialisierung und wissenschaftliche Exzellenz der Infrastrukturen garantiert werden.

5.9   Trotz einer Aufstockung der Finanzmittel für die Forschungsinfrastruktur im 7. Rahmenprogramm und der im Rahmen der Kohäsionspolitik gegebenen Möglichkeiten sind die im EU-Haushalt ausgewiesenen Mittel zur Umsetzung der ehrgeizigen Pläne bei Weitem nicht ausreichend. Der EWSA stellt in diesem Zusammenhang fest, dass es zur Finanzierung der Forschungsinfrastruktur stärkerer Synergien zwischen dem 7. Rahmenprogramm und den Strukturfonds bedarf. Außerdem fordert er die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, weitere politische Instrumente zu entwickeln, um mehr privatwirtschaftliche Investitionen in Forschungsinfrastrukturen zu erreichen. Ein stärkeres Engagement der EIB und anderer Finanzinstitutionen wäre ebenfalls willkommen (beispielsweise über die „Fazilität für Finanzierungen auf Risikoteilungsbasis“).

5.10   Der Ausschuss empfiehlt, in der europäischen Kohäsionspolitik und in ihren Finanzinstrumenten, den Strukturfonds, der Entwicklung neuer Forschungs- und Innovationspotenziale eine höhere Priorität einzuräumen. Er ruft die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, bereits jetzt die Strukturfonds stärker dafür zu nutzen, ihre Forschungskapazitäten zu modernisieren und auszudehnen. Insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten bleiben Mittel aus europäischen Fonds häufig ungenutzt, weil die Regierungen keine entsprechende Kofinanzierung bereitstellen oder die Verbesserung der Forschungskapazitäten nicht in ausreichendem Maße als Priorität auffassen. Darum verlassen viele Wissenschaftler auf der Suche nach Forschungsmöglichkeiten ihr Heimatland. Fortschritte in diesem Bereich sind daher dringend erforderlich, wenn das Problem des Braindrain innerhalb der EU gelöst werden soll.

6.   Besondere Bemerkungen

6.1   Der Ausschuss unterstützt die Befreiung der ERI von der Mehrwertsteuer, da dies ihre Anziehungskraft in besonderem Maße fördern kann. Es würde den ERI zudem einen Wettbewerbsvorteil gegenüber vergleichbaren Projekten in anderen Teilen der Welt verschaffen. Der Ausschuss unterstützt daher den Vorschlag, den ERI (im Rahmen der Vorschriften über staatliche Beihilfen) weitestgehende Steuererleichterungen zu gewähren. Viele der existierenden Forschungsinfrastrukturen, die die Kriterien einer „internationalen Organisation“ nach der betreffenden Richtlinie erfüllen, kommen bereits jetzt in den Genuss einer Befreiung von Mehrwert- und Verbrauchsteuern. Doch macht das gegenwärtige Verfahren langwierige und schwierige Verhandlungen notwendig, die den Ausbau verzögern und zu schwerwiegender rechtlicher sowie finanzieller Unsicherheit führen. Eine automatische Steuerbefreiung der ERI, wie dies in der Richtlinie vorgesehen ist, würde beim Ausbau und Betrieb der Forschungsinfrastrukturen in Europa große Hindernisse beseitigen.

6.2   Der Ausschuss empfiehlt, die Möglichkeit zu prüfen, die Gemeinschaft aktiver in die Kofinanzierung der ERI einzubinden. Indem sie durch gezielte Zuschüsse Einfluss gewinnt, könnte die Gemeinschaft eine ausgewogenere geografische Verteilung der ERI und einen besseren Zugang für Staaten gewährleisten, die nicht unmittelbar Mitglieder der ERI sind. Zur Verwirklichung dieser Initiative müssten zusätzliche Mittel im 8. FuE-Rahmenprogramm bereitgestellt werden.

Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass es keinen Grund gibt, warum Europa im Falle der Forschungsinfrastrukturen nicht den gleichen Ansatz verfolgen sollte, den sie auch bei anderen europäischen Infrastrukturnetzen (z.B. Straßen, Eisenbahnen, Stromleitungen, Gasfernleitungen usw.) in Form einer Kofinanzierung anwendet.

Der Ausschuss möchte außerdem auf das Problem der nach den Anfangsinvestitionen anfallenden Betriebs- und Wartungskosten hinweisen, die nach einigen Schätzungen jährlich bei bis zu 20 % des Investitionswertes liegen könnten. Diese Kosten werden in Investitionsanalysen häufig vernachlässigt und können später den reibungslosen, langfristigen Betrieb der Forschungsinfrastruktur erheblich gefährden. Der Ausschuss empfiehlt daher, für das 8. FuE-Rahmenprogramm die Möglichkeit einer Kofinanzierung des Betriebs von Forschungsinfrastrukturen mit EU-Mitteln einzuplanen.

6.3.1   In Zusammenhang mit den Betriebskosten empfiehlt der Ausschuss, zu den „begrenzten ökonomischen Tätigkeiten“ der ERI (Artikel 2 der Richtlinie) auch spezielle Nutzungsgebühren für die Mitnutzung der Infrastruktur zu zählen, die in einem vernünftigen und angemessenen Rahmen festzulegen sind.

6.4   Der Ausschuss misst dem freien Zugang zu allen ERI für einen möglichst weiten Kreis europäischer Forscher und Wissenschaftler große Bedeutung bei. Es wäre nicht gerecht, wenn der Zugang auf Staaten beschränkt bliebe, die Mitglieder einer ERI oder einfach nur zahlungsfähig sind. Der unter Ziffer 6.2 vorgebrachte Vorschlag einer Beteiligung der Gemeinschaft am Eigentum würde auch den freien Zugang erleichtern und so zu einer besseren Integration des Europäischen Forschungsraums beitragen.

6.5   Bei der Entwicklung und Nutzung einer Spitzeninfrastruktur ist allerdings auch auf den Schutz des geistigen Eigentums zu achten. Mögliche Probleme müssen verantwortungsvoll und rechtzeitig gelöst werden.

Brüssel, den 15. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Im Jahre 2000 verabschiedete die Europäische Kommission ihre erste Mitteilung in diesem Bereich zum Thema „Hin zu einem europäischen Forschungsraum“.

(2)  Beschlüsse des Europäischen Rats „Wettbewerbsfähigkeit“ (Binnenmarkt, Industrie und Forschung) am 29./30. Mai 2008.

(3)  CERN: Europäische Organisation für Kernforschung, ITER: Internationaler thermonuklearer Versuchsreaktor, EMBO: Europäische Molekularbiologie-Organisation, ESA: Europäische Weltraumorganisation, ESFR: Europäische Synchrotronstrahlungsanlage (European Synchrotron Radiation Facility).

(4)  Die anderen Initiativen bzw. Politiken sind: Gemeinsame Planung der Forschungsprogramme, eine europäische Partnerschaft für Forscher, Management des geistigen Eigentums und eine breite Öffnung des Europäischen Forschungsraums für die Welt.

(5)  ESFRI: Europäisches Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen (http://cordis.europa.eu/esfri/home.html).

(6)  Europäischer Fahrplan für Forschungsinfrastrukturen, Bericht 2006, http://cordis.europa.eu/esfri/roadmap.htm. Der Fahrplan wurde 2008 vervollständigt (vor allem mit Projekten aus den Bereichen Umwelt, biologische und medizinische Wissenschaften) und umfasst gegenwärtig insgesamt 44 Projekte.

(7)  Europäischer Fahrplan für Forschungsinfrastrukturen, Bericht 2006 (http://cordis.europa.eu/esfri/roadmap.html).

(8)  Die Infrastrukturprojekte umfassen sieben verschiedene Wissenschaftsbereiche: Sozial- und Geisteswissenschaften, Umweltwissenschaften, Energie, Biomedizin und Biowissenschaften, Materialwissenschaften, Astronomie — Astrophysik — Atom- und Teilchenphysik, Informatik und Datenverarbeitung.

(9)  Beispielsweise die französische „Societé civile“, die deutsche GmbH, die britische (limited liability company) Ltd. oder die niederländische „Stichting“ (Stiftung).

(10)  Richtlinie des Rates 2006/112/EG vom 28.11.2006, Art. 151 Abs. 1 Buchstabe b, Richtlinie des Rates 92/12/EWG vom 25.2.1992, Art. 23 Abs. 1 und Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2004/18/EG vom 31.3.2004, Art. 15 Buchstabe c.

(11)  Verordnung des Rates EG Nr. 1083/2006 vom 11.7.2006.

(12)  Der Finanzmittelbedarf der einzelnen ERI liegt durchschnittlich zwischen 500 Mio. und 1 Mrd. EUR.


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pestizidausbringungsmaschinen zur Änderung der Richtlinie 2006/42/EG vom 17. Mai 2006“

KOM(2008) 535 endg. — 2008/0172 (COD)

(2009/C 182/09)

Alleinberichterstatter: Herr JÍROVEC

Der Europäische Rat beschloss am 24. September 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Pestizidausbringungsmaschinen zur Änderung der Richtlinie 2006/42/EG vom 17. Mai 2006“

KOM(2008) 535 endg. — 2008/0172 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Januar 2009 an. Berichterstatter war Herr JÍROVEC.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar (Sitzung vom 14. Januar) mit 192 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist mit dem von der Kommission vorgelegten Dokument vollkommen einverstanden.

1.2   Der EWSA begrüßt die vorgeschlagenen Veränderungen, die eine Verbesserung des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit sowie eine stärker auf die Umwelt ausgerichtete Nutzung von Pestizidausbringungsmaschinen im gesamten Unionsgebiet bzw. im gesamten EWR bedeuten.

1.3   Die Vorbehalte beziehen sich auf die unklaren Aspekte im Hinblick auf die Folgen für die Beschäftigung in den Mitgliedstaaten, die die Bestimmungen der Richtlinie noch nicht in nationales Recht umgesetzt haben.

2.   Einleitung

2.1   Das Europäische Parlament und der Rat erkennen in ihrem Beschluss über das Sechste Umweltaktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft an, dass die Auswirkungen von Pestiziden auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt weiter reduziert werden müssen.

2.2   Die Europäische Kommission hat eine thematische Strategie angenommen und den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Aktionsrahmen zur Behandlung der wichtigsten rechtlichen Durchführungsaspekte (nachstehend: Rahmenrichtlinie) vorgelegt. Die thematische Strategie umfasst fünf Hauptziele:

die Minimierung der mit der Verwendung von Pestiziden verbundenen Risiken für Gesundheit und Umwelt;

die Verbesserung der Kontrolle der Verwendung und des Vertriebs von Pestiziden;

das Ersetzen der gefährlichsten Pestizide durch sicherere Alternativen;

die Förderung von Anbaumethoden mit geringem Pestizideinsatz oder vollständigem Verzicht darauf;

die Einführung eines transparenten Systems der Berichterstattung und Überwachung der Fortschritte.

2.3   Durch den Vorschlag für eine Rahmenrichtlinie werden die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem ersten Ziel der thematischen Strategie verpflichtet, ein System der regelmäßigen Wartung und Kontrolle in Gebrauch befindlicher Geräte einzurichten.

3.   Allgemeiner Kontext

3.1   Mit dem Vorschlag soll sichergestellt werden, dass neue Pestizidausbringungsmaschinen die Umwelt nicht unnötig belasten. Zu diesem Zweck werden zusätzliche grundlegende Umweltschutzanforderungen eingeführt, die neue Pestizidausbringungsmaschinen erfüllen müssen, bevor sie in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht und/oder in Betrieb genommen werden.

3.2   Die Harmonisierung der Anforderungen ist eine Voraussetzung dafür, dass ein hoher Schutzstandard sichergestellt und der freie Verkehr dieser Produkte in der Gemeinschaft gewährleistet werden kann.

3.3   Mit Wirkung vom 29. Dezember 2009 wird die Richtlinie 98/37/EG durch diese Richtlinie aufgehoben.

3.4   Der Vorschlag entspricht uneingeschränkt den Zielen des sechsten Umweltaktionsprogramms der Europäischen Gemeinschaft, der Strategie der Europäischen Union für nachhaltige Entwicklung, der Lissabon-Strategie und der thematischen Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden.

3.5   Der Vorschlag steht in Einklang mit der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung.

3.6   Der Vorschlag knüpft an die Mitteilung der Europäischen Kommission „Hin zu einer thematischen Strategie für eine nachhaltige Nutzung von Pestiziden“ vom Juli 2002 an, zu der der EWSA eine befürwortende Stellungnahme abgegeben hat.

3.7   Der Vorschlag ist eine Reaktion auf die Folgenabschätzung im Rahmen der abschließenden Konsultation, durch die bestätigt wurde, dass es notwendig ist, Umweltschutzanforderungen festzulegen, die neue Pestizidausbringungsmaschinen erfüllen müssen, damit sie in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden können.

3.8   In der Abschätzung der Folgen der Richtlinie wird näher auf die Kontrolle und Zertifizierung eingegangen, wobei für neue Ausbringungsgeräte die Einführung eines obligatorischen Zertifizierungssystems auf Gemeinschaftsebene vorgeschlagen wird.

3.9   Ein externer Berater (BiPRO) hat die möglichen Auswirkungen analysiert und erwartet, dass eine Harmonisierung die Umweltschutznormen für neue Maschinen verschärfen wird. Die Kostensteigerung wird ungleich verteilt sein, da einige Hersteller die Regelungen und Zertifizierungssysteme bereits jetzt beachten. Eine Harmonisierung hat jedoch den Vorteil, dass sie einen fairen Wettbewerb auf dem Binnenmarkt gewährleistet.

4.   Rechtliche Aspekte

4.1   Mit diesem Vorschlag werden neue Umweltschutzanforderungen eingeführt. Die zusätzlichen grundlegenden Anforderungen sind rechtsverbindlich und sollen sicherstellen, dass die Mittel die Umwelt nicht unnötig belasten.

4.2   Dieser Vorschlag für eine Änderung der Maschinenrichtlinie ist auf Artikel 95 EG-Vertrag gestützt, in dem die Grundsätze für die Verwirklichung des Binnenmarktes niedergelegt sind. Mit der Richtlinie wird der freie Verkehr von Maschinen geregelt, die in ihren Anwendungsbereich fallen.

4.3   Das Subsidiaritätsprinzip wird insofern angewandt, als der Vorschlag nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt.

4.4   Einige Mitgliedstaaten haben bereits rechtsverbindliche Umweltschutzanforderungen und Konformitätsbewertungsverfahren für Pestizidausbringungsmaschinen eingeführt. Andere haben Regelungsentwürfe angekündigt. Überließe man die Festlegung von Umweltschutzanforderungen einem freiwilligen Zertifizierungssystem, so würden voneinander abweichende nationale Vorschriften und Verfahren noch zunehmen. Dies würde der Industrie unnötige Kosten verursachen und den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft behindern.

4.5   Eine Harmonisierung der Umweltschutzanforderungen ist die einzige Möglichkeit, das angestrebte Umweltschutzziel zu erreichen und gleichzeitig gemeinschaftsweit das gleiche Schutzniveau, einen fairen Wettbewerb zwischen den Herstellern und den freien Warenverkehr im Binnenmarkt sicherzustellen.

4.6   Der Vorschlag wird dem Subsidiaritätsprinzip somit gerecht.

4.7   Dieser Vorschlag geht nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus und entspricht damit dem in Artikel 5 EG-Vertrag genannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

4.8   Mit der Richtlinie wird dafür gesorgt, dass die Verwaltungslasten für die Hersteller von Pestizidausbringungsmaschinen so gering wie möglich gehalten werden.

4.9   Die Anwendung dieser Richtlinie steht in Einklang mit der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung.

4.10   Der Vorschlag hat keine Auswirkungen auf den Gemeinschaftshaushalt.

4.11   Die Mitgliedstaaten übermitteln den Wortlaut der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, mit denen sie diese Richtlinie umgesetzt haben, sowie eine Entsprechungstabelle.

4.12   Der vorgeschlagene Rechtsakt berührt auch den Europäischen Wirtschaftsraum, und daher sollte sein Anwendungsbereich auf den EWR ausgedehnt werden.

5.   Erläuterungen

5.1   Die Umweltschutzanforderungen beschränken sich auf Pestizidausbringungsmaschinen sowie auf die Umweltrisiken, für die die in Anhang I der Richtlinie vorgeschlagenen neuen grundlegenden Anforderungen gelten.

5.2   Durch den Vorschlag wird die neue Definition der „wesentlichen Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen“ ergänzt, wodurch es keiner Änderung der zahlreichen Verweise der Richtlinie auf die wesentlichen Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen mehr bedarf.

5.3   Das Umweltschutzziel ist außerdem Gegenstand der Änderungen der Artikel 4 Absatz 1, Artikel 9 Absatz 3 und von Artikel 11 Absatz 1.

5.4   Die Hersteller von Pestizidausbringungsmaschinen werden dazu verpflichtet, die Gefahr von Schäden für die Umwelt abzuschätzen.

5.5   In der Richtlinie werden die „Pestizidausbringungsmaschinen“, auf die sie sich bezieht, definiert.

5.6   In der Richtlinie werden die wesentlichen Anforderungen zur Sicherstellung einer möglichst geringen Umweltbelastung festgelegt.

5.7   Die grundlegenden Anforderungen des Vorschlags werden durch technische Spezifikationen harmonisierter Normen für die verschiedenen Kategorien von Pestizidausbringungsmaschinen konkretisiert. Die Kommission erteilt den entsprechenden europäischen Normungsorganisationen den Auftrag dazu.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung)“

KOM(2007) 844 endg. — 2007/0286 (COD)

(2009/C 182/10)

Berichterstatter: Herr BUFFETAUT

Der Rat beschloss am 25. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 Absatz 1 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung)“

KOM(2007) 844 endg. — 2007/0286 (COD).

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 30. Oktober 2008 an. Berichterstatter war Herr BUFFETAUT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 152 gegen 2 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1   Der Richtlinienvorschlag, mit dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss befasst wurde, wird als Neufassung der geltenden Richtlinie dargestellt. Es handelt sich allerdings um mehr als nur eine schlichte Überarbeitung oder „Bereinigung“ der geltenden Richtlinie. Die Europäische Kommission betont, dass mit dieser Neufassung dem Grundsatz der Vereinfachung im Rahmen der Initiative „Bessere Rechtsetzung“ Rechnung getragen wird; diese Sichtweise wird jedoch nicht von allen geteilt. Hauptziele dieses Vorschlags sind

in ökologischer Hinsicht: effizienter Umweltschutz durch ein integriertes Konzept unter Berücksichtigung aller Umweltfaktoren;

in wirtschaftlicher Hinsicht: Harmonisierung der Verfahren und Vorgehensweisen zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen.

2.   Die Ziele der Europäischen Kommission

2.1   Die Europäische Kommission anerkennt die in den letzten Jahrzehnten erzielten Fortschritte bei der Verringerung des Schadstoffausstoßes, erachtet diese jedoch als unzureichend und möchte die Bekämpfung der Schadstoffemissionen stärker voranbringen.

2.2   Die IVU-Richtlinie findet auf rund 52 000 Anlagen in der Europäischen Union Anwendung; doch trotz aller Fortschritte überschreiten die Schadstoffemissionen nach wie vor deutlich die in der thematischen Strategie zur Luftreinhaltung genannten Ziele.

2.3   Industriell verursachte Verschmutzung trägt erheblich zu negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt bei. Ca. 83 % der Schwefeldioxidemissionen, 34 % der Stickoxidemissionen, 25 % der Dioxinemissionen und 23 % der Quecksilberemissionen stammen aus Industrieanlagen (1). Diese Emissionen gelangen jedoch nicht nur in die Luft, sondern führen auch zur Ausbreitung von Schadstoffen in Gewässern und Böden. Diese Industrietätigkeiten stehen auch für hohen Verbrauch an Rohstoffen, Wasser und Energie und tragen zur Abfallerzeugung bei. Das integrierte Konzept (IVU) über die Vergabe von Genehmigungen durch die zuständigen nationalen Behörden, die die Schadstoffabgabe der betroffenen Unternehmen regeln, ist daher ein guter Weg, um die Verringerung der Umweltbelastung anzugehen.

2.4   Nach Ansicht der Europäischen Kommission muss im Mittelpunkt dieses Konzepts die Anwendung der besten verfügbaren Techniken (BVT) stehen, d.h., dass grundsätzlich die Techniken eingesetzt werden, die für den Umweltschutz in einem bestimmten Bereich am wirksamsten sind, sofern sie kommerziell verfügbar und rentabel sind.

2.5   Zur Förderung dieses Konzepts führt die Europäische Kommission mit den Mitgliedstaaten und den Interessengruppen einen Informationsaustausch über die besten verfügbaren Techniken, um Merkblätter zu erstellen, aus denen hervorgeht, was auf EU-Ebene für jeden Industriezweig als beste verfügbare Technik (BVT) gilt (die so genannten BVT-Merkblätter). Da das IPPC-Büro in Sevilla angesiedelt ist, wird dieser Austausch auch als „Sevilla-Prozess“ bezeichnet.

2.6   Einige (und zwar nur einige) Industriezweige fallen auch unter sektorbezogene Richtlinien, in denen die Betriebsauflagen und die technischen Mindestanforderungen ebenso verankert sind wie insbesondere die Emissionsgrenzwerte für bestimmte Schadstoffe. Sie finden unbeschadet der Umsetzung der IVU-Richtlinie Anwendung.

2.7   Auf der Grundlage verschiedener Studien und Untersuchungen kam die Europäische Kommission zu der Auffassung, dass die geltenden Rechtsvorschriften gestärkt werden müssen, um besser gegen Industrieemissionen vorzugehen. Sie kam ebenfalls zu dem Schluss, dass der geltende Rechtsrahmen Lücken aufweist, die zu einer unzufriedenstellenden Anwendung der Richtlinie und Schwierigkeiten bei deren Überprüfung führen.

2.8   Die Europäische Kommission schlägt daher vor, sieben Einzelrichtlinien zu überarbeiten und in einer einzigen Richtlinie (und zwar der Richtlinie über Industrieemissionen) zusammenzufassen, wobei sie im Grunde Folgendes anstrebt:

Stärkung des Konzepts der „besten verfügbaren Techniken“;

Überprüfung der Emissionsgrenzwerte für Großfeuerungsanlagen;

Einsetzung eines Ausschusses zur Anpassung nicht wesentlicher technischer Vorschriften an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt oder zur Festlegung der Art und Form der Berichterstattung durch die Mitgliedstaaten;

Einführung von Bestimmungen über Inspektionen;

Förderung der Innovation sowie der Verbreitung von Zukunftstechniken;

Vereinfachung und Klärung bestimmter Vorschriften über die Genehmigung;

Ausdehnung und Klärung des Geltungsbereichs der Richtlinie;

Förderung der Berücksichtigung von Zukunftstechniken.

3.   Allgemeine Überlegungen

3.1   Die Richtlinie beruht auf drei Grundsätzen:

integriertes Konzept für die Auswirkungen der Industrietätigkeiten;

Einsatz der besten verfügbaren Techniken;

Möglichkeit der Berücksichtigung der Bedingungen vor Ort bei der Festlegung der Genehmigungsauflagen.

Diese finden die Zustimmung der betroffenen Unternehmen und entsprechen dem allgemeinen und kontinuierlichen Bestreben, die Umweltleistung von Industrieanlagen zu verbessern.

3.2   Es gibt zugegebenermaßen gewisse Unterschiede bei der Umsetzung der Richtlinie aus dem Jahr 1996 in den einzelnen Mitgliedstaaten, doch ist festzuhalten, dass die Umsetzung erst vor relativ kurzer Zeit abgeschlossen wurde (Oktober 2007 für bestehende Anlagen) und es an dem nötigen Abstand fehlt, um eine Gesamtbewertung dieser Umsetzung vornehmen zu können. Allerdings zeigen die Bewertungen spezifischer Genehmigungen und ganz allgemein der Praktiken in den Mitgliedstaaten laut der Europäischen Kommission zahlreiche Probleme bei der Umsetzung der Richtlinie auf, die insbesondere auf unklare Bestimmungen der geltenden Richtlinie zurückzuführen sind. Die Europäische Kommission ist ferner der Ansicht, dass aus den vorgenommenen Konsultationen und Prognosen hervorgeht, dass keine Verbesserung dieser Lage ohne Gesetzesänderung möglich ist. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass die Umsetzung eines Rechtsaktes den Mitgliedstaaten und die Einhaltung der Genehmigungsauflagen den Betreibern der jeweiligen Anlagen obliegt.

3.3   Die BVT-Merkblätter wurden zwar schon 2001 angenommen und seitdem verbreitet, doch hat ihre Übersetzung in die EU-Amtssprachen sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Die Studien über die Umsetzung haben jedoch gezeigt, dass nicht alle nationalen Behörden ihren Aufgaben vollständig nachgekommen sind, ohne dass man jedoch die diesbezügliche Verantwortung im Falle einer späten oder unvollständigen Umsetzung ausschließlich auf die betroffenen Industriezweige abwälzen kann, wenn diese Genehmigungsauflagen nicht im Einklang mit den BVT-Merkblättern stehen. Daher wären in Bezug auf die allgemeine Umsetzung der BVT-Merkblätter in der gesamten EU mehr Erfahrungswerte zu begrüßen, da es sehr unterschiedliche Ansätze für ihre Anwendung gibt.

3.4   All dies mag zwar die aufgezeigten Probleme erklären, doch wäre zu überlegen, ob eine tiefgreifende Neufassung der Richtlinie nicht verfrüht ist. Einige Mitgliedstaaten haben nämlich die Betriebsgenehmigungen für bestehende Anlagen spät oder manchmal sogar erst nach Ablauf der in der Richtlinie vorgeschriebenen Fristen erteilt.

3.5   Angesichts der Daten der Mitgliedstaaten über prognostizierte Emissionen, die Anlass zur Vermutung geben, dass die Umsetzung der BVT-Merkblätter, insbesondere für Großfeuerungsanlagen, die Verwirklichung der Ziele der thematischen Strategie zur Luftreinhaltung nicht ermöglichen wird, sind jedoch Bedenken gerechtfertigt.

3.6   Jedenfalls muss eine derartigen Neufassung gemäß den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates „von den Grundsätzen der Transparenz, der Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz sowie der Fairness und Solidarität bei der Verteilung der Anstrengungen zwischen den Mitgliedstaaten“ geleitet sein.

4.   Besonders problematische Punkte

4.1   Zweck der BVT-Merkblätter

4.1.1   Bislang dienten die BVT-Merkblätter zweierlei Zweck:

als Bezugspunkte für die Definition dessen, was bei der Ausarbeitung der Genehmigungen als beste verfügbare Techniken angesehen wird: Die BVT-Merkblätter werden als Bezugs- und Informationsquelle für die verschiedenen Optionen hinsichtlich der besten verfügbaren Techniken herangezogen, die für die unterschiedlichen anlagenspezifischen Gegebenheiten in Frage kommen. Sie sind das Ergebnis eines Ansatzes, bei dem verschiedene Stakeholder in die Definition der besten verfügbaren Techniken einbezogen wurden, die auf unterschiedliche Arten von Prozessen zugeschneidert wurden und aus denen die zuständige Behörde die am besten geeignete Norm auswählt;

als Informationsaustauschsmedium, da für ihre Ausarbeitung ein Austausch über die Leistungen und Entwicklungen der Techniken in der EU erfolgt.

Die Auswahl der besten verfügbaren Techniken erfolgte auf der Grundlage, dass dieser technische Maßstab zu Kosten erreicht werden kann, die die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie nicht gefährden, was auch in der Definition der besten verfügbaren Techniken implizit enthalten ist, die „in einem Maßstab entwickelt sind, der unter Berücksichtigung des Kosten/Nutzen-Verhältnisses die Anwendung unter in dem betreffenden industriellen Sektor wirtschaftlich und technisch vertretbaren Verhältnissen ermöglicht, […] sofern sie zu vertretbaren Bedingungen für den Betreiber zugänglich sind“ (Artikel 2 Absatz 11 der IVVU-Richtlinie 96/61/EG, Artikel 3 Absatz 9 der Neufassung). Ansonsten stand die beste verfügbare Technik wie bei Zukunftstechniken, die nicht als beste verfügbare Technik anerkannt wurden, sowohl für eine bewährte Vorgehensweise als auch für das modernste Herstellungsverfahren und bot einen Datenfundus über die Leistungen der verschiedenen in dem jeweiligem Industriezweig zum Einsatz kommenden Techniken und Betriebsverfahren.

4.1.2   Man muss der aktuellen Logik treu bleiben: Die BVT sind Techniken, die es in einem fallbezogenen Ansatz ermöglichen, den Anforderungen der Rechtsvorschriften zu entsprechen und u.a. die Industrieemissionen zu kontrollieren und so unter Berücksichtigung der Kosten und Nutzen der Anwendung dieser Techniken den Schutz der Umwelt zu gewährleisten. Die Rechtsvorschriften müssen auch weiterhin im gleichen Moment für alle Mitgliedstaaten in Kraft treten, um einem allgemeinen Wirrwarr vorzubeugen, das durch unterschiedliche Fristen für die Überarbeitung der Genehmigungen oder der sektorspezifischen BVT-Merkblätter oder einen mehr oder weniger konservativen Ansatz des betroffenen Industriezweigs ausgelöst würde. Die BVT müssen auch zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen beitragen.

4.1.3   Im Zuge der Überarbeitung muss die Rolle der BVT-Merkblätter geklärt werden. Diese Merkblätter dienen nicht der Festlegung von Emissionsgrenzwerten, sondern als Referenz und als Instrument für den Fortschritt, indem sie u.a. die Einhaltung der an anderer Stelle festgelegten Emissionsgrenzwerte und Umweltqualitätsnormen (Wasser, Luft und Boden) ermöglichen. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass in dem Handbuch und den Leitlinien zu den BVT-Merkblättern aus dem Jahr 2005 festgehalten ist, dass in den BVT-Merkblättern keine Techniken oder Emissionsgrenzwerte vorgeschrieben werden. Die Festlegung der Emissionsgrenzwerte erfolgt in der EU-Wirtschafts- und -Umweltpolitik. Diese Referenzdokumente dürfen die je nach Bedingungen vor Ort und technischen Gegebenheiten erforderliche Flexibilität nicht beeinträchtigen.

4.2   Der Sevilla-Prozess

4.2.1   Der Sevilla-Prozess steht allen offen und beruht auf Konsultationen, womit er zumindest im weitesten Sinne demokratisch ist. Die drei „klassischen“ Interessengruppen, d.h. Regierungen, Techniker und NGO, nehmen daran teil bzw. können daran teilnehmen. Der Prozess ist jedoch „vertikal“ angelegt, und es findet nur selten ein Austausch zwischen den Industriezweigen statt. Die Verfasser der BVT-Merkblätter wechseln; nur selten werden (seitens der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission) die gleichen Personen entsendet, die die aufeinander folgenden Fassungen dieser Merkblätter bzw. die Merkblätter für die verschiedenen Industriezweige ausarbeiten. Im Umgang mit bestimmten „folgenschweren“ Schadstoffe (NOx, CO, CO2 usw.) bzw. allgemeinen Schadstoffen (z.B. SOx, Metalle und Staubpartikel) und in Bezug auf die eingesetzten Techniken, die dem Informationsaustauschforum (Information Exchange Forum — IEF) übermittelt werden sollten, geht im Rahmen des Prozesses Substanz und Sachwissen verloren. Der Sevilla-Prozess ist jedoch sinnvoll, da regelmäßig die Bilanz der Leistungen der Industriezweige gezogen wird. Wenn die Mitgliedstaaten ein bisschen mehr Interesse an den Tag legten, könnten sie durchaus Nutzen aus diesem Prozess ziehen, um seine Funktionsweise zu verbessern, da sie die bei den von ihnen durchgeführten Inspektionen ermittelten Daten einfließen lassen könnten.

4.3   Die Überarbeitung der Genehmigungen

4.3.1   Auf eine Anlage können gleichzeitig mehrere BVT-Merkblätter Anwendung finden. Daher muss sichergestellt werden, dass die regelmäßigen Überarbeitungen der BVT-Merkblätter und der Rhythmus der Überprüfung der Genehmigungen, die zu Änderungen der Vorschriften führen können, dem Zyklus der Rentabilisierung der Anlagen entsprechen. Auch in diesem Falle ist einzig und allein eine rechtliche Regelung bzw. Planung der Situation angemessen. Je genauer die Herausforderungen vorab festgelegt werden, desto besser können Zukunftstechniken berücksichtigt werden. Auf gleiche Weise wäre auch eine beste verfügbare Technik umso besser geeignet, je anpassungsfähiger sie angelegt ist. Es wäre jedoch unrealistisch, bei jeder Überarbeitung der BVT-Merkblätter eine Investitionsänderung zu erwarten. Es ist daher Aufgabe des europäischen Gesetzgebers, einen kohärenten Zeitplan auf der Grundlage der ermittelten Leistungen und technischen Fortschritte festzulegen. Diese Aufgabe kann nicht auf den Sevilla-Prozess übertragen werden.

4.4   Begriff der „Zukunftstechnik“

In dem neuen Vorschlag wird der Begriff der „Zukunftstechnik“ eingeführt. Eine „Zukunftstechnik“ muss in der industriellen Praxis getestet werden, denn so manche Technik war im Labor und sogar in Pilotprojekten vielversprechend, ehe sie sich dann für die normale Nutzung als unzureichend herausgestellt hat. Die Aufnahme dieses Begriffs in den Vorschlag muss als Mittel zur Innovationsförderung im Hinblick auf die Erprobung neuer Techniken verstanden werden und nicht als Vorbote für die Festlegung neuer Referenzen.

4.5   Integriertes Konzept

In dem neuen Vorschlag wird der Grundsatz der Anpassung an die Bedingungen vor Ort und die spezifischen Betriebsauflagen beibehalten und auf Ausnahmen gesetzt. Auch wenn es den zuständigen Behörden einen gewissen Spielraum zur Berücksichtigung besonderer Bedingungen lässt, ist dieses System schwerfälliger als das bestehende. Die Festlegung der besten verfügbaren Techniken muss nach einer transparenten und echten Debatte zwischen den lokalen und nationalen Behörden und den betroffenen Industriezweigen erfolgen.

4.6   Eingliederung der sektorbezogenen Richtlinien

Diese Eingliederung darf keinesfalls zu einem besonders schwerfälligen und komplexen Gesetzesvorschlag führen, da dies dem Ziel der Vereinfachung zuwiderliefe. Die Eingliederung der sektorbezogenen Richtlinien in den Richtlinienvorschlag ist sehr unterschiedlich, insbesondere in Bezug auf die Emissionsgrenzwerte, da diese den Leistungswerten der besten verfügbaren Techniken angenähert werden sollen. Klarheit und Kohärenz für die Mitgliedstaaten ebenso wie die betroffenen Betreiber müssen ein grundlegendes Ziel dieser Eingliederung bleiben, die auch zum Abbau unnötiger Verwaltungslasten dienen sollte.

4.7   Komitologieverfahren, Informationsaustauschforum (IEF) und IPPC-Büro in Sevilla

In dem Richtlinienvorschlag wird ein stärkerer Rückgriff auf das Komitologieverfahren insbesondere für die Festlegung der Ausnahmekriterien in Bezug auf die BVT-Merkblätter empfohlen. Welche Aufgabe käme dann den Beteiligten zu? Welche Aufgaben würden dem Informationsaustauschforum und dem IPPC-Büro in Sevilla übertragen? Es steht zu befürchten, dass die europäische Industrie in Zukunft immer weniger bereit sein wird, dem IPPC-Büro in Sevilla einschlägige Informationen über die besten verfügbaren Techniken zu übermitteln, obwohl diese Zusammenarbeit bislang einhellig als europäisches Erfolgsmodell angesehen wird. Das Komitologieverfahren ist außerdem ein relativ undurchsichtiges Verfahren, das vom Europäischen Parlament nicht besonders gern gesehen wird. Dieses Verfahren sollte daher lediglich für die Änderung nachgeordneter Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen.

4.8   Bodenschutz

In dem neuen Vorschlag ist die Sanierung des Standortes in den Zustand vor Inbetriebnahme der Anlage verpflichtend vorgeschrieben. Aufgrund der immensen Vielfalt der Bodenbeschaffenheit in Europa sollte das Subsidiaritätsprinzip zum Greifen kommen und den nationalen Behörden mehr Spielraum eingeräumt werden. Die beste Option wäre somit die Sanierung des Standortes im Hinblick auf seine genehmigte künftige Nutzung.

4.9   Veröffentlichung der Berichte

Gemäß dem Vorschlag müssen die Behörden zwei Monate nach der Inspektion ihren Bericht veröffentlichen. Diese Frist ist zu knapp bemessen, da dem betroffenen Unternehmen ausreichend Zeit eingeräumt werden müsste, seine Anmerkungen vorzubringen und einen Aktionsplan festzulegen, die dann ebenfalls veröffentlicht werden müssen.

4.10   Inkrafttreten der Richtlinie

Die Richtlinie soll im Januar 2016 in Kraft treten; diese Frist scheint angesichts der Erfahrung mit der Umsetzung der geltenden IVU-Richtlinie zu knapp bemessen. Außerdem werden gegenwärtig einige Richtlinienvorschläge ausgearbeitet, die erst 2020 in Kraft treten sollen (Überarbeitung der Richtlinie über nationale Emissionshöchstmengen, Umsetzung des Energie- und Klimapakets). Darüber hinaus wird derzeit auch das Göteborg-Protokoll von der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen in Genf überarbeitet, dessen neue Ziele 2020 in Kraft treten sollen.

Es wäre daher kohärenter, dass der Richtlinienvorschlag mit anderen Umweltvorschriften abgestimmt und das Jahr 2020 anstelle von 2016 für sein Inkrafttreten vorgeschlagen wird.

5.   Schlussfolgerungen

5.1   Ist die IVU-Richtlinie nicht zufriedenstellend umgesetzt worden, wäre es doch sinnvoll, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und den beteiligten Akteuren alles daran zu setzen, die Qualität der Umsetzung der geltenden Richtlinie rasch zu verbessern, damit diese als konkrete Grundlage für ihre Neufassung dienen kann, die in der Kommissionsmitteilung und im Aktionsplan 2008-2010 für die Anwendung der Vorschriften für Industrieemissionen vorgesehen ist. Bei der Überarbeitung der Richtlinie sollten folgende Ziele verfolgt werden: Umwelteffizienz und Wirtschaftlichkeit, Transparenz, Abstimmung mit den betroffenen Akteuren, Kosteneffizienz und Wahrung der Grundsätze von Verhältnismäßigkeit und Solidarität bei der Verteilung der Anstrengungen zwischen den Mitgliedstaaten.

5.2   Das Gemeinschaftsnetz für die Anwendung und Durchsetzung des gemeinschaftlichen Umweltrechts (IMPEL) könnte eine effizientere Anwendung der geltenden Richtlinie fördern; die Übersetzung der BVT-Merkblätter in alle EU-Amtssprachen könnte zum besseren Verständnis dieser Merkblätter und infolgedessen zu ihrer Anwendung in allen Mitgliedstaaten beitragen. In Zusammenarbeit mit dem IPPC-Büro in Sevilla sollte sichergestellt werden, dass keine unterschiedlichen Standpunkte in die BVT-Merkblätter aufgenommen werden, die der Kohärenz und der Zweckdienlichkeit dieser Merkblätter auf europäischer Ebene abträglich wären.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  SEK(2007) 1679.


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/50


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 549/2004, (EG) Nr. 550/2004, (EG) Nr. 551/2004 und (EG) Nr. 552/2004 im Hinblick auf die Verbesserung der Leistung und Nachhaltigkeit des europäischen Luftverkehrssystems“

KOM(2008) 388 endg. — 2008/0127 (COD)

und dem

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 in Bezug auf Flugplätze, Flugverkehrsmanagement und Flugsicherungsdienste sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2006/23/EG“

KOM(2008) 390 endg. — 2008/0128 (COD)

(2009/C 182/11)

Berichterstatter: Herr KRAWCZYK

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 4. September bzw. 18. Juli 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 549/2004, (EG) Nr. 550/2004, (EG) Nr. 551/2004 und (EG) Nr. 552/2004 im Hinblick auf die Verbesserung der Leistung und Nachhaltigkeit des europäischen Luftverkehrssystems“

KOM(2008) 388 endg. — 2008/0127 (COD)

und

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 in Bezug auf Flugplätze, Flugverkehrsmanagement und Flugsicherungsdienste sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2006/23/EG“

KOM(2008) 390 endg. — 2008/0128 (COD).

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. November 2008 an. Berichterstatter war Herr KRAWCZYK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 15. Januar) mit 131 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Die umgehende und umfassende Errichtung des einheitlichen europäischen Luftraums auf der Grundlage des Kommissionsvorschlags ist ein aus strategischer Sicht sehr wichtiger Schritt zur Stärkung der europäischen Integration und des Binnenmarktes. Außerdem werden sozialer Zusammenhalt und soziale Mobilität in Europa gefördert.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Kommissionsvorschlag als wichtige Maßnahme zur tatsächlichen Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums. In dem Maßnahmenpaket „Einheitlicher europäischer Luftraum II“ werden viele Schwachstellen angegangen, die im Zuge der Durchführung des ersten Pakets aus dem Jahr 2004 ermittelt wurden.

1.2.1   Die Umsetzung dieses neuen Maßnahmenpakets darf daher keinesfalls verzögert werden. Der Ausschuss fordert den Gemeinschaftsgesetzgeber auf, vor März 2009 zu einer endgültigen Einigung zu kommen. Zur Verwirklichung der Ziele des einheitlichen europäischen Luftraums darf der Gemeinschaftsgesetzgeber (Rat und Europäisches Parlament) den Kommissionsvorschlag in diesem Punkt keinesfalls aufweichen.

1.3   Mit dem Anstieg des Flugverkehrsvolumens müssen in erster Linie auch die Sicherheitsvorschriften verbessert werden.

1.4   Der Ausschuss unterstützt insbesondere

die Vorschläge zur Leistungsüberwachung und zur Festlegung verbindlicher Leistungsziele, da die Leistung anhand vier grundlegender Kriterien bewertet wird, und zwar Sicherheit, Kapazität, Umweltverträglichkeit und Kosteneffizienz;

die Ausdehnung des Zuständigkeitsbereichs der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) durch die Einbeziehung der Sicherheitsaspekte von Flugplätzen, des Flugverkehrsmanagements (ATM) und der Flugsicherungsdienste (ANS);

die Anerkennung der Bedeutung des Faktors „Mensch“ in der Flugverkehrssicherheit;

umfassendere Anstrengungen zur Stärkung der Kompetenzen der mit der Gewährleistung der Flugverkehrssicherheit beauftragten Mitarbeiter und Anwendung einer „Just Culture“;

eine Umformulierung des im Maßnahmenpaket „Einheitlicher europäischer Luftraum II“ gestrichenen Artikels 5 der Verordnung über die Erbringung von Flugsicherungsdiensten, um eine Ausweitung des Schemas auf alle Mitarbeiter der Sicherheitskette und in erster Linie auf die Flugsicherungs-Techniker (ATSEP) zu ermöglichen;

die Festsetzung einer Frist, und zwar 2012, für die Einrichtung funktionaler Luftraumblöcke;

eine weitere Verbesserung von SESAR und seiner Finanzierung;

eine Stärkung der Netzmanagementfunktionen des europäischen ATM;

die Reform von Eurocontrol;

die Anerkennung, dass Flughafenkapazitäten begrenzt sind;

eine Änderung von Artikel 18 a; der Ausschuss begrüßt durchaus die Durchführung einer Studie, sofern diese nicht ausdrücklich dazu dient, ATM-Nebendienste für den Wettbewerb zu öffnen.

1.5   Eine Optimierung des europäischen Flugverkehrsmanagements (ATM) durch die Umsetzung des Maßnahmenpakets „Einheitlicher europäischer Luftraum II“ wird erheblich zur Minderung des CO2-Ausstoßes seitens der Luftfahrtindustrie beitragen. Durch kürzere Strecken können die CO2-Emissionen jährlich um 5 Mio. Tonnen verringert werden. Durch mehr Effizienz im Flugverkehrsmanagement und Flugplatzbetrieb könnte der CO2-Ausstoß um durchschnittlich bis zu 12 % pro Flug, d.h. um 16 Mio. Tonnen jährlich gesenkt werden.

1.6   Auch wenn dieses neue Maßnahmenpaket von den verschiedenen Interessenträgern ganz allgemein unterstützt wird, sind nach Ansicht des Ausschusses doch unbedingt weitere Konsultationen über die Durchführungsbestimmungen erforderlich. So sollte es auf allen Ebenen der Umsetzung des Maßnahmenpakets (d.h. auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene) und zwischen allen Sozial- und/oder Wirtschaftspartnern bzw. -akteuren Konsultationen geben.

1.7   Die Umsetzung des Maßnahmenpakets „Einheitlicher europäischer Luftraum II“ bringt u.a. folgende Vorteile für die Bürger und Verbraucher:

höhere Sicherheit;

kürzere Flugdauer;

effizientere Dienste/Leistungen einschl. höherer Zuverlässigkeit und besserer Vorhersehbarkeit des Flugplans, wodurch weniger Anschlussflüge versäumt werden;

niedrigere Flugpreise aufgrund geringerer Kosten für die Luftfahrtunternehmen;

kleinerer individueller CO2-Fußabdruck.

2.   Einleitung

2.1   Die Annahme der Verordnung (EG) Nr. 549/2004 zur Festlegung des Rahmens für die Schaffung des einheitlichen europäischen Luftraums (1), der Verordnung (EG) Nr. 550/2004 über die Erbringung von Flugsicherungsdiensten im einheitlichen europäischen Luftraum (2), der Verordnung (EG) Nr. 551/2004 über die Ordnung und Nutzung des Luftraums im einheitlichen europäischen Luftraum (3) und der Verordnung (EG) Nr. 552/2004 über die Interoperabilität des europäischen Flugverkehrsmanagementnetzes (4) (das erste Paket von Rechtsvorschriften zum einheitlichen europäischen Luftraum) durch das Europäische Parlament und den Rat hat eine solide Rechtsgrundlage für ein nahtloses und interoperables Flugverkehrsmanagementsystem (ATM-System) auf europäischer Ebene geschaffen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich in seiner im Jahr 2002 verabschiedeten Stellungnahme zum „Aktionsprogramm/einheitlicher europäischer Luftraum“ (TEN/080) und zur „Verwirklichung des einheitlichen europäischen Luftraums“ (TEN/098) mit den ursprünglichen Verordnungen befasst.

2.2   Der massive Anstieg der Nachfrage im Luftverkehr bedeutet eine enorme Belastung der Infrastrukturkapazitäten: Täglich werden 28 000 Flüge mit 4 700 gewerblichen Luftfahrzeugen durchgeführt. Dadurch stoßen die Flughäfen wie auch das Luftverkehrsmanagement an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Die EU-Erweiterung in Verbindung mit einer aktiven Nachbarschaftspolitik hat eine Ausdehnung des europäischen Luftverkehrsmarkts auf 37 Länder mit mehr als 500 Mio. Bürger mit sich gebracht (5).

2.3   Die Aufsplitterung des Luftverkehrsmanagements beeinträchtigt die optimale Kapazitätennutzung und bedeutet eine unnötige finanzielle Belastung von rund 1 Mrd. EUR für die Luftfahrtindustrie (durchschnittlich legen Luftfahrzeuge 49 km mehr als erforderlich zurück). Ein derartig ineffizienter Luftverkehr schlug sich 2007 in 468 Mio. unnötigen Flugkilometern nieder, was wiederum zu Zusatzkosten von 2,4 Mrd. EUR für die Luftfahrtindustrie führte. Insgesamt gab es 2007 luftverkehrsmanagementbedingt eine Gesamtverspätung von 21,5 Mio. Minuten im Luftverkehr oder anders gesagt: Die Luftfahrtunternehmen und in der Folge ihre Kunden mussten Zusatzkosten in Höhe von 1,3 Mrd. EUR in Kauf nehmen.

2.4   Als Reaktion auf den nachdrücklichen Wunsch der Branche, der Mitgliedstaaten und anderer Interessenträger, den Rechtsrahmen für den Luftverkehr in Europa zu vereinfachen und seine Wirksamkeit zu erhöhen, legte die hochrangige Gruppe für den künftigen Rechtsrahmen des europäischen Luftverkehrs im Juli 2007 einen Bericht mit einer Reihe von Empfehlungen vor, wie Leistung sowie Management und Aufsicht des europäischen Luftverkehrssystems zu verbessern sind. In diesem Bericht und in Berichten der Eurocontrol-Kommission für Leistungsüberprüfung wurde bestätigt, dass das europäische Flugverkehrsmanagementnetz (EATMN) im Hinblick auf die Effizienz, Sicherheit und ökologische Nachhaltigkeit des gesamten Luftverkehrsnetzes ausgelegt und umgesetzt werden sollte.

2.5   Im Dezember 2007 übermittelte die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) der Kommission eine Stellungnahme in Bezug auf Flugplätze. Ihre Stellungnahme zum Flugverkehrsmanagement und zu Flugsicherungsdiensten folgte im April 2008, in der für die Vollendung des 2002 eingeleiteten Prozesses durch Einbeziehung der Sicherheitsaspekte von Flugplätzen sowie des Flugverkehrsmanagements (ATM) und der Flugsicherungsdienste (ANS) in die der EASA übertragenen Aufgaben plädiert wird.

2.6   Das Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission „Einheitlicher europäischer Luftraum II: Kurs auf einen nachhaltigeren und leistungsfähigeren Luftverkehr“ (KOM(2008) 388 endg., KOM(2008) 389 endg. und KOM(2008) 390 endg.) wurde am 25. Juni 2008 veröffentlicht.

3.   Vorschlag der Europäischen Kommission (Einheitlicher europäischer Luftraum II)

3.1   Zur Vollendung des einheitlichen europäischen Luftraums müssen zusätzliche Rechtsvorschriften auf Gemeinschaftsebene zur Verbesserung der Leistung des europäischen Luftverkehrssystems in Schlüsselbereichen wie Sicherheit, Kapazität, Flug- und Kosteneffizienz sowie Umweltverträglichkeit unter Beachtung der vorrangigen Sicherheitsziele angenommen werden.

Der Einheitliche europäische Luftraum II beruht auf vier Pfeilern:

Erster Pfeiler: Ein Leistungsregulierungssystem

a)

Verbesserung der Leistung des ATM-Systems durch die Einrichtung eines unabhängigen Leistungsüberprüfungsgremiums, das die Leistung des Systems überwacht und bewertet sowie Indikatoren für die verschiedenen Leistungsbereiche entwickelt und EU-weite Ziele vorschlägt (z.B. in Bezug auf Verspätungen, Kostensenkung, Streckenkürzungen). Die Europäische Kommission genehmigt die Leistungsziele und gibt sie an die Mitgliedstaaten weiter. Diese Ziele sind verbindlich;

b)

Erleichterung der Integration der Diensteerbringung durch die Förderung der Festlegung funktionaler Luftraumblöcke seitens der Europäischen Kommission durch die Verankerung verbindlicher Umsetzungsfristen (spätestens 2012), die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf den unteren Luftraum bis zum Flughafen und den Beseitigung rechtlicher und institutioneller Hindernisse in den Mitgliedstaaten;

c)

Stärkung der Netzmanagementfunktion durch zahlreiche Aufgaben, die von verschiedenen Akteuren wahrgenommen werden, u.a. Auslegung des europäischen Streckennetzes, Management knapper Ressourcen, Verkehrsflussregelung, Verwaltung der Einführung von SESAR-Technologien und Beschaffung europaweiter Infrastrukturelemente.

Zweiter Pfeiler: Ein einheitlicher Sicherheitsrahmen

Der Zuständigkeitsbereich der EASA ist seit 2002 stetig gewachsen und umfasst nunmehr auch Bereiche wie Lufttüchtigkeit und Betrieb von Luftfahrzeugen sowie Zulassung der Flugbesatzung. In Fortführung dieses Ansatzes schlägt die Europäische Kommission vor, die Zuständigkeiten der EASA auf die verbleibenden für die Sicherheit maßgebenden Bereiche, nämlich Flugplätze, Flugverkehrsmanagement (ATM) und Flugsicherungsdienste (ANS), auszuweiten.

Dritter Pfeiler: SESAR — technologischer und operationeller Aspekt des einheitlichen europäischen Luftraums

Europa muss den Ausbau seines ATM-Systems beschleunigen, um mit den Herausforderungen Schritt zu halten und neue Techniken sowohl luftfahrzeug- als auch bodenseitig synchron einführen zu können. Mit dem europäischen Flugverkehrsmanagementsystem der neuen Generation SESAR soll das Sicherheitsniveau um den Faktor zehn angehoben und eine Verdreifachung des Verkehrs zur Hälfte der heutigen Kosten je Flug bewältigt werden. In seiner Stellungnahme zum „Gemeinsamen Unternehmen SESAR“ aus dem Jahr 2006 (TEN/232) hat der Ausschuss die Einrichtung von SESAR ausdrücklich begrüßt.

Vierter Pfeiler: Verwaltung der Kapazität am Boden

Dazu zählen die bessere Nutzung der vorhandenen Infrastruktur, verbesserte Infrastrukturplanung, Förderung der Intermodalität und Verbesserung der Flughafenanbindung sowie Einrichtung einer gemeinschaftlichen Beobachtungsstelle zur Flughafenkapazität.

4.   Besondere Bemerkungen

Der Ausschuss unterstützt ausdrücklich das Leistungssystem für Flugsicherungsdienste (siehe Art. 11 des Verordnungsvorschlags im Hinblick auf die Verbesserung der Leistung und Nachhaltigkeit des europäischen Luftverkehrssystems).

4.1.1   Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich den vorgeschlagenen Leistungsrahmen (siehe Art. 11 des Verordnungsvorschlags im Hinblick auf die Verbesserung der Leistung und Nachhaltigkeit des europäischen Luftverkehrssystems) und die Einrichtung eines derartigen Leistungssystems zur Leistungssteigerung. Zur Verwirklichung der Ziele des einheitlichen europäischen Luftraums darf der Gemeinschaftsgesetzgeber (Rat und Europäisches Parlament) den Kommissionsvorschlag in diesem Punkt nicht aufweichen.

4.1.2   Der Ausschuss befürwortet den Vorschlag für ein System zur Leistungsverbesserung (siehe Art. 11 des Verordnungsvorschlags), da die Leistung anhand grundlegender Kriterien bewertet wird, und zwar — in Reihenfolge ihrer Wichtigkeit — Sicherheit, Kapazität, Umweltverträglichkeit und Kosteneffizienz.

4.1.3   Die nationalen bzw. regionalen Ziele müssen mit den Netz-Zielen im Einklang stehen. Daher müssen die nationalen bzw. regionalen Leistungspläne von der Europäischen Kommission genehmigt werden. Hierfür ist auch ein effizientes und wirksames Konsultationsverfahren auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene erforderlich, damit die Ziele der einzelnen Flugsicherungsdienste miteinander vereinbar sind und die Ziele des einheitlichen Europäischen Luftraumes ergänzen.

4.1.4   Nach Meinung des Ausschusses sollte das Hauptaugenmerk anfangs auf Sicherheit, Flugeffizienz (Umwelt), Kosteneffizienz und Kapazitäten (Verspätungen) gelegt werden, ehe in der Folge weitere Bereiche in Betracht gezogen werden. Bei der Festlegung der Ziele muss ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen grundlegenden Leistungsbereichen gefunden werden, das die Vielfalt der Unternehmungen in Europa widerspiegelt.

4.1.5   Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass Sicherheitsziele erst dann festgelegt und erreicht werden können, wenn auch alle europäische Länder über Störungsmeldungs- und Sicherheitsmanagementsysteme verfügen. Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsordnungen in Europa sind die derzeit ermittelten Daten unvollständig. Zur Gewährleistung offener und umfassender Sicherheitsinformationen müssen in allen Mitgliedstaaten eine angemessene Berichterstattungskultur („Just Culture“) zur Anwendung kommen.

4.1.6   Ein wirklich unabhängiges und mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattetes Leistungsüberprüfungsgremium muss die Systemleistung überwachen und bewerten und der Europäischen Kommission direkt Bericht erstatten. Ferner müssen Bestimmungen für ein Beschwerdeverfahren festgelegt werden.

4.1.7   Der Ausschuss betont, dass dieses Leistungsüberprüfungsgremium und die nationalen Aufsichtsbehörden (in Bezug auf Leitung, Sitz und Mitarbeiter) unabhängig sein müssen, vor allem auch von den Einrichtungen, deren Leistung bewertet wird. Diese Unabhängigkeit ist eine Grundvoraussetzung für die Glaubwürdigkeit des Überprüfungsverfahrens.

4.2   Sicherheit/EASA

4.2.1   Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich die Ausdehnung des Zuständigkeitsbereichs der EASA auf ATM-Systeme und die Sicherheit von Flugplätzen, um einen integrierten Ansatz für die Sicherheit in Europa zu gewährleisten. Der Gemeinschaftsgesetzgeber darf diese Neuerung nicht verzögern. Dies ist insbesondere für die erfolgreiche Durchführung des SESAR-Masterplans von grundlegender Bedeutung, für den eine Zusammenfassung der bord- und bodenseitigen Systeme erforderlich ist.

4.2.2   Die Sicherheitsvorschriften der EASA müssen auf einer Regulierungsfolgenabschätzung beruhen; die EU-Institutionen müssen für die Bereitstellung öffentlicher Mittel in angemessener Höhe Sorge tragen, um sicherzustellen, dass die EASA sich das erforderliche Sachwissen für diese Zusatzaufgaben aneignen kann.

4.2.3   Der Ausschuss fordert die EU-Mitgliedstaaten auf, einen Fahrplan aufzustellen, um die Tätigkeiten von Eurocontrol im Bereich Sicherheitsvorschriften (Ausschuss für Sicherheitsvorschriften (SRC) und Referat für Sicherheitsvorschriften (SRU)) abzuwickeln und an die EASA zu übertragen. Eurocontrol wird während dieses Übergangs auf die EASA ein wichtige Rolle spielen, sobald die EASA jedoch über den erforderlichen Sachverstand verfügt, gibt es keinerlei Grund mehr, diese Ressourcen für Eurocontrol bereitzustellen. Daher sollte eine Frist für die Abwicklung aller Tätigkeiten von Eurocontrol im Bereich Sicherheitsvorschriften (SRC/SRU) festgelegt werden. Der Ausschuss verweist diesbezüglich auf das Erfolgsmodell der Arbeitsgemeinschaft europäischer Luftfahrtbehörden (JAA) (der Bericht der Arbeitsgruppe FUJA („Future of the JAA“) wurde von allen Generaldirektoren für Zivilluftfahrt der Europäischen Zivilluftfahrtkonferenz ECAC befürwortet), das auf die Tätigkeiten von Eurocontrol im Bereich Sicherheitsvorschriften (SRC/SRU) angewendet werden könnte.

4.2.4   Nach Meinung des Ausschusses sollte im Mittelpunkt dieses Pakets neben der Einrichtung von Störungsmeldungs- und Sicherheitsmanagementsystemen die Herbeiführung einer angemessenen Berichterstattungskultur („Just Culture“) stehen. Die einheitliche Umsetzung der „Just Culture“ wurde von der hochrangigen Gruppe gefordert und ist eine Voraussetzung für die Verfügbarkeit von Sicherheitsstatistiken. Auf diese Weise kann der vorgeschlagene Leistungsmechanismus zuverlässig die Fortschritte im Sicherheitsbereich überwachen und Sicherheitsziele festlegen.

4.2.5   Der Ausschuss fordert den Rat und das Europäische Parlament auf, den im Maßnahmenpaket „Einheitlicher europäischer Luftraum II“ gestrichenen Artikel 5 der Verordnung über die Erbringung von Flugsicherungsdiensten umzuformulieren, um eine Ausweitung des Schemas auf alle Mitarbeiter der Sicherheitskette und in erster Linie auf die Flugsicherungs-Techniker (ATSEP) zu ermöglichen.

4.3   „Just Culture“, Faktor „Mensch“ und Mitarbeiterkompetenzen

4.3.1   Der Ausschuss bedauert, dass die Legislativvorschläge keinen fünften Pfeiler in Bezug auf eine „Just Culture“, den Faktor „Mensch“ und die Mitarbeiterkompetenzen enthalten. Flugverkehrsmanagement (ATM) und Flugsicherungsdienste (ANS) werden noch lange stark vom Faktor „Mensch“ abhängen. Dieser Faktor ist daher eng an die Gewährleistung und Verbesserung der Flugverkehrssicherheit gekoppelt, weshalb den Kompetenzen der damit beauftragten Mitarbeiter besonderes Augenmerk gewidmet werden muss

4.4   Funktionale Luftraumblöcke

4.4.1   Der Ausschuss unterstützt die Verankerung einer verbindlichen Frist für alle Mitgliedstaaten, bis spätestens Ende 2012 funktionale Luftraumblöcke festzulegen, die den spezifischen Leistungszielen entsprechen, da das erste Maßnahmenpaket für den einheitlichen europäischen Luftraum keine derartige Frist enthielt und somit keinerlei funktionale Luftraumblöcke eingerichtet wurden.

4.4.2   In diesem Zusammenhang müssen die Verkehrs- und Verteidigungsministerien durch eine verbesserte Koordinierung auf zivil-militärischer sowie auf militärisch-militärischer Ebene im ATM-System und die Konsolidierung der ATM-Infrastruktur und -dienste das Potenzial von funktionalen Luftraumblöcken ausschöpfen.

Der Ausschuss begrüßt die weitergefasste Definition von funktionalen Luftblöcken und den Fahrplan für ihre Festlegung. Seiner Meinung nach müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die in den Mitgliedstaaten bestehenden Hürden für die Verwirklichung der funktionalen Luftraumblöcke abzubauen, u.a. Fragen wie Hoheitsgewalt, Haftung und volle Einbeziehung der militärischen Aspekte. Dennoch sollte ein „Bottom-up“-Ansatz als einer der Grundsätze der Umsetzung von funktionalen Luftblöcken gefördert werden.

4.4.3.1   Vor diesem Hintergrund zeigt sich der Ausschuss enttäuscht, dass die Europäische Kommission die Empfehlungen der hochrangigen Gruppe für die Einrichtung eines Luftfahrtsystemkoordinators zur Förderung der Entwicklung von funktionalen Luftraumblöcken nicht aufgegriffen hat.

4.4.4   Der Ausschuss betont, dass die Zahl der Diensteanbieter im europäischen ATM-System erheblich verringert werden muss, um die Kosteneffizienzziele zu erreichen. Die Zahl der Bezirkskontrollstellen (ACC) in Europa muss den operativen Erfordernissen angepasst werden, und zwar unabhängig von Staatsgrenzen, um einen kosteneffizienten einheitlichen europäischen Luftraum zu schaffen. Der Ausschuss betont, dass ein Mechanismus zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Diensteanbietern entwickelt werden muss, um die Leistungsziele zu erreichen.

4.4.5   Mit den technologischen Verbesserungen und der Verringerung der Zahl der Diensteanbieter und Bezirkskontrollstellen ist eine Leistungssteigerung des ATM-Systems zu erwarten. Technologische Entwicklungen (z.B. Telearbeit) und die Tatsache, dass die Luftfahrt in Europa eine Wachstumsindustrie ist, werden die Auswirkungen dieser Maßnahmen, einschl. der sozialen Folgen, großteils abfedern.

4.4.6   Gemäß der Verordnung für den einheitlichen europäischen Luftraum müssen Flugsicherungsdienste Notfallpläne für alle von ihnen erbrachten Dienstleistungen für den Fall einer erheblichen Beeinträchtigung oder Unterbrechung der Erbringung dieser Dienstleistungen erstellen. Gegenwärtig sind die Flugsicherungsdienste ein Parallelmechanismus zur Infrastruktur der derzeitigen Bezirkskontrollstellen. Der Ausschuss unterstreicht, dass die Flugsicherungsdienste ihr Augenmerk auf effizientere und kostengünstigere Lösungen lenken sollten, indem zuerst Alternativlösungen im Rahmen der bestehenden Infrastruktur in den Mitgliedstaaten (andere Bezirksstellen oder militärische Einrichtungen) in Betracht gezogen und Bestimmungen zur Entwicklung funktionaler Luftraumblöcke für derartige Notfälle vorweggenommen werden.

4.4.7   Der Ausschuss unterstreicht die Bedeutung des sozialen Dialogs auf Ebene der EU und der funktionalen Luftblöcke zur Abwicklung dieses Übergangs.

4.5   Streckennavigationsgebühren und gemeinsame Vorhaben/SESAR

4.5.1   Der Ausschuss ist sich der Schwierigkeiten bei der Finanzierung neuer Technologien und Anreizprogramme durchaus bewusst. Das Fehlen angemessener Finanzierungsmechanismen gefährdet die Umsetzung des ersten Durchführungsmaßnahmenpakets für SESAR und somit seine weiteren Entwicklungsphasen. Der Ausschuss betont daher, dass die EU-Institutionen zur Förderung der Verwirklichung von SESAR Überbrückungsfinanzierungsmöglichkeiten bereitstellen müssen. Nur so kann der Übergang auf das neue SESAR-System finanziert werden. Der Ausschuss hat dieses Vorhaben von Beginn an ausdrücklich befürwortet.

4.5.2   Der Ausschuss spricht sich gegen die Einführung von Gebühren zur Vorfinanzierung gemeinsamer Vorhaben aus, wie dies in Artikel 15 der Diensterbringungsverordnung festgehalten ist, in dem an dem Konzept von Streckennavigationsgebühren zur Finanzierung gemeinsamer Vorhaben festgehalten wird, „mit denen bestimmte Kategorien von Luftraumnutzern und/oder Flugsicherungsorganisationen unterstützt werden sollen, um so die kollektive (Flugverkehrs)Infrastruktur […] zu verbessern.“

4.5.3   Der Ausschuss befürwortet die neuen Betriebskonzepte, die als Ergebnis der SESAR-Definitionsphase als technische/operationelle Ergänzung des einheitlichen europäischen Luftraums im SESAR-ATM-Masterplan enthalten sind, weist jedoch darauf hin, dass noch viel mehr Anstrengungen in der nächsten SESAR-Phase und im Rahmen des Gemeinsamen Unternehmens SESAR erforderlich sein werden. Der Ausschuss begrüßt daher den Ratsbeschluss zur Einleitung der SESAR-Entwicklungsphase. Er unterstreicht ferner, dass es für diese nächste SESAR-Phase von grundlegender Bedeutung ist, weiterhin die Nutzer in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen und rasch Vorteile für sie zu erzielen.

4.5.4   Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, Quersubventionierung zwischen Streckendiensten und Nahverkehrsbereichsdiensten zu verbieten. Er bringt jedoch seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass die Europäische Kommission Quersubventionen zwischen Flugsicherungsdiensten nicht vollständig für unzulässig erklärt hat. Quersubventionen führen in der Regel zu Wettbewerbsverzerrungen. Daher ist das Problem auch nicht auf Quersubventionen zwischen Streckendiensten und Nahverkehrsbereichsdiensten beschränkt, sondern betrifft auch Quersubventionen zwischen jedem dieser Dienste sowie insbesondere zwischen Nahverkehrsbereichsdiensten in verschiedenen Flughäfen.

4.6   Luftraumregulierung und Netzmanagementfunktion

4.6.1   Der Ausschuss plädiert für ein starkes Netzmanagement und eine umfassende Netzkonzipierung auf europäischer Ebene, insbesondere in Bezug auf die Auslegung des Streckennetzes, die Koordinierung und die Zuweisung knapper Ressourcen (Funkfrequenzen und Radar-Transponder-Codes) sowie anderer Netzfunktionen, die im ATM-Masterplan festgelegt sind. Er betont außerdem, dass der Grundsatz einer klaren Trennung zwischen Dienstleistungserbringung und Regulierungstätigkeit auch für Netzmanagementfunktionen gelten muss. Die Dienstleistungserbringungsfunktionen sollten von den Unternehmen verwaltet werden.

4.6.2   Diese Aufgaben müssen auf europäischer Ebene unabhängig von spezifischen Interessen einzelner Flugsicherungsdienste-Anbieter ausgeübt werden. Das Fehlen eines gesamteuropäischen Ansatzes hat zu einer suboptimalen Streckennutzung geführt, die wiederum einen unnötigen Kraftstoffverbrauch und vermeidbare Umweltbelastung mit sich bringt.

4.6.3   Der Ausschuss hinterfragt die Notwendigkeit von Durchführungsvorschriften, die auch die Übereinstimmung von Flugdurchführungsplänen und Flughafenzeitnischen sowie die durchaus notwendige Koordinierung mit benachbarten Regionen regeln. Verfolgt die Europäische Kommission damit das Ziel, dem Missbrauch der geltenden Vorschriften für Flughafenzeitnischen einen Riegel vorzuschieben — eine Idee, die vom Ausschuss begrüßt wird, dann könnte dies im bestehenden Rechtsrahmen geregelt werden.

4.7   Reform von Eurocontrol

4.7.1   Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Reform von Eurocontrol im Einklang mit dem Wortlaut der Kommissionsmitteilung erfolgen muss (d.h. „Durch die interne Reform der Organisation sollten die Führungs- und Aufsichtsstrukturen am einheitlichen europäischen Luftraum ausgerichtet werden, um i) die Anforderungen an Netzaufgaben erfüllen zu können und ii) die stärkere Einbeziehung der Branche im Sinne der gemeinsamen Verkehrspolitik zu gewährleisten.“).

4.7.2   Der Ausschuss ist der Ansicht, dass Eurocontrol auch weiterhin sein Sachwissen in die EU einbringen könnte, doch müssen seine Rolle und Finanzierung transparenter gestaltet werden. Insbesondere die im Auftrag der Mitgliedstaaten wahrgenommenen Aufgaben sollten aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. So sollte vor allem die Finanzierung langfristiger Forschungsvorhaben (2020+) vollständig aus öffentlichen Mitteln anstelle Streckennavigationsgebühren erfolgen.

4.7.3   Nach Meinung des Ausschusses sollte Eurocontrol bei der Dienstleistungserbringung wo immer möglich (z.B. Versuchszentrum, IANS) im Wettbewerb zu anderen Dienstleistern stehen, die gemäß Marktgrundsätzen geführt und nicht aus dem allgemeinen Eurocontrol-Haushalt bzw. Streckennavigationsgebühren subventioniert werden.

4.8   Mangelnde Flughafenkapazitäten könnten anerkanntermaßen die Verwirklichung künftiger Leistungsziele gefährden. Der Ausschuss befürwortet, dass den Flughafenkapazitäten und ihrer Einbindung als einer der vier Pfeiler des Maßnahmenpakets „Einheitlicher europäischer Luftraum II“ sowie insbesondere der Notwendigkeit, die Flughafenkapazitäten mit den ATM-Kapazitäten in Einklang zu bringen, große Aufmerksamkeit gewidmet wird.

4.9   ATM-Nebendienste

4.9.1   Es gilt, höchst professionelle ATM-Nebendienste bereitzustellen, doch dürfen ihre Kosten heutzutage keinesfalls unterschätzt werden. So belaufen sich die jährlichen Kosten für Strecken-Flugwetterdienste auf nicht weniger als rund 300 Mio. EUR.

4.9.2   Der Ausschuss fordert eine Änderung von Artikel 18a, der letztlich eine Umstrukturierung der Luftfahrtindustrie und eine Marktöffnung für bestimmte Dienste bedeutet. Er begrüßt durchaus die Durchführung einer Studie, sofern diese nicht ausdrücklich dazu dient, ATM-Nebendienste für den Wettbewerb zu öffnen. Der Ausschuss betont, dass dieser Bereich des Flugverkehrsmanagements in erster Linie dazu dient, die Flugverkehrssicherheit zu gewährleisten.

Die betroffenen Interessenträger haben den dringenden Handlungsbedarf erkannt, wodurch ein Umfeld geschaffen wird, das der Durchführung dieser Veränderungen zuträglich ist.

4.10.1   Die Europäische Kommission sollte kurz nach Annahme des Maßnahmenpakets „Einheitlicher Europäischer Luftraum II“ einen Fahrplan der weiteren Schritte vorlegen.

4.10.2   Das Projekt-Managementteam sollte sich aus Managementexperten zusammensetzen, die Erfahrung mit derartigen Veränderungen haben. Bei diesem Maßnahmenpaket geht es auch darum, ein Umdenken und eine Änderung des Verhaltens zu erreichen. Ist seine Umsetzung erfolgreich, können nachhaltige Luftverkehrslösungen für die kommenden Generationen geschaffen werden.

Brüssel, den 15. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  ABl. L 96 vom 31.3.2004, S. 1.

(2)  ABl. L 96 vom 31.3.2004, S. 10.

(3)  ABl. L 96 vom 31.3.2004, S. 20.

(4)  ABl. L 96 vom 31.3.2004, S. 26.

(5)  Mehrere Nachbarstaaten haben sich dem gemeinsamen europäischen Luftraum angeschlossen, um Impulse für Wachstum und Beschäftigung zu erhalten.


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/56


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 717/2007 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Gemeinschaft und der Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste“

KOM(2008) 580 endg. — 2008/0187 (COD)

(2009/C 182/12)

Hauptberichterstatter: Herr HENCKS

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 6. November 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 717/2007 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Gemeinschaft und der Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste“

(KOM(2008) 580 endg. — 2008/0187 (COD)).

Am 21. Oktober 2008 beauftragte das Ausschusspräsidium die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft mit der Vorbereitung der einschlägigen Arbeiten.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 15. Januar), Herrn HENCKS zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 132 Ja-Stimmen bei 1 Gegenstimme folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Das erklärte Ziel der Verordnung (EG) Nr. 717/2007, dass die Nutzer von Mobilfunk-Roamingdiensten keine überzogenen Preise bezahlen müssen, wenn sie Anrufe tätigen oder empfangen, wurde allgemein erreicht; 400 Millionen Verbraucher kommen nunmehr in den Genuss eines Eurotarifs.

1.2   Laut der Europäischen Kommission lässt die Preisentwicklung bei gemeinschaftsweiten Sprachroamingdiensten seit dem Inkrafttreten dieser Verordnung jedoch nicht den Schluss zu, dass sich ohne Regulierungsmaßnahmen auf der Endkunden- oder Großkundenebene ab Juni 2010 wahrscheinlich ein dauerhafter Wettbewerb einstellen würde; die Variationsbreite der Preise auf Großkunden- und Endkundenebene unterhalb der in der Verordnung festgesetzten Obergrenzen reicht für einen gesunden Wettbewerb nicht aus.

1.3   Um zu gewährleisten, dass den Verbrauchern auch weiterhin für ihre abgehenden oder ankommenden regulierten Roaminganrufe kein überhöhter Preis berechnet wird, schlägt die Europäische Kommission in erster Linie vor,

die Geltungsdauer der Verordnung (EG) Nr. 717/2007 bis 30. Juni 2013 zu verlängern;

in diesem Verlängerungszeitraum die Preisobergrenzen für Anrufe pro Minute um 0,03  EUR pro Jahr zu senken;

Preisobergrenzen für SMS-Roamingnachrichten (auf Groß- und Endkundenebene) sowie für Datenroamingdienste (auf Großkundenebene) festzulegen.

1.4   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die neuerliche Senkung der Preisobergrenzen für Roaminganrufe und erachtet diese als verhältnismäßig und angemessen.

1.5   Er befürwortet gleichfalls die Einführung eines maximalen SMS-Eurotarifs auf der Endkundenebene und die Einführung einer Preisobergrenze auf der Großkundenebene.

1.6   In Bezug auf die Datenroamingdienste bedauert der Ausschuss, dass der Vorschlag zur Verringerung der Preise ausschließlich für Datenroamingdienste auf der Großkundenebene gilt, obwohl doch auch die Preise auf der Endkundenebene angesichts des Fehlens eines ausreichend hohen Konkurrenzdrucks überzogen sind.

1.7   Der Ausschuss ist der Ansicht, dass das Informationsrecht der Verbraucher unbedingt gestärkt werden muss, um ihren Schutz und die Preistransparenz zu verbessern.

2.   Hintergrund

2.1   Der Europäische Rat vom 23./24. März 2006 zog den Schluss, dass eine gezielte, wirksame und integrierte Politik hinsichtlich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene erforderlich ist, damit die Ziele Wirtschaftswachstum und Produktivität der überarbeiteten Lissabon-Strategie erreicht werden, und hat diesbezüglich auf die Bedeutung hingewiesen, die die Senkung der Roaminggebühren für den Wettbewerb hat.

2.2   Die Europäische Kommission hat sich bereits wiederholt mit den überhöhten Endkundentarifen in öffentlichen Mobiltelefonnetzen bei der Verwendung des Mobiltelefons auf Reisen innerhalb der Gemeinschaft (Roaminggebühren) beschäftigt, die sich aus hohen Großkundenentgelten der ausländischen Netzbetreiber ergeben, in vielen Fällen aber auch aus hohen Endkundenaufschlägen des Heimatanbieters des Kunden.

2.3   Der Rechtsrahmen für elektronische Kommunikation aus dem Jahr 2002 hat den nationalen Regulierungsbehörden keine ausreichenden Instrumente an die Hand gegeben, um wirkungsvolle Maßnahmen zur Bekämpfung überhöhter Roaminggebühren in der EU zu treffen.

2.4   Vor diesem Hintergrund hat die EU auf der Grundlage von Artikel 95 EGV mit einer Verordnung (1) in den Markt eingegriffen, um für den Zeitraum 1. September 2007 bis 30. September 2010

ein durchschnittliches Höchstentgelt pro Minute auf der Großkundenebene und

einen „Eurotarif“ als Höchstentgelt auf Endkundenebene

festzulegen, die die Mobilfunkbetreiber für die Erbringung von Auslandsroamingdiensten für abgehende und ankommende Sprachtelefonanrufe innerhalb der Gemeinschaft berechnen dürfen.

2.5   In seiner Stellungnahme (2) billigte der Ausschuss seinerzeit diesen Ansatz, erachtete das Handeln der EU für notwendig und angemessen und befand, dass es außerdem für einen hohen Verbraucherschutz sorgt, wobei insbesondere das Informationsrecht der Verbraucher durch Maßnahmen für mehr Transparenz und der Schutz ihrer wirtschaftlichen Interessen verbessert wird und für die Erbringung von Roamingdiensten für Sprachanrufe zwischen den Mitgliedstaaten sowohl auf Endkunden- als auch auf Großkundenebene Preisobergrenzen vorgeschrieben werden.

2.6   Das Europäische Parlament begrüßte in seiner Entschließung, dass dieses gemeinsame Vorgehen für einen begrenzten Zeitraum festgelegt werden sollte, forderte allerdings, dass diese Verordnung anhand einer von der Europäischen Kommission vor dem 3. Dezember 2008 durchzuführenden Überprüfung erweitert oder geändert werden kann. Die Europäische Kommission sollte zudem die Auswirkungen dieser Verordnung auf die kleineren Mobiltelefonanbieter in der Gemeinschaft und deren Stellung am Markt für gemeinschaftsweites Roaming untersuchen.

2.7   Da neben den Sprachtelefondiensten neue Mobilkommunikationsdienste immer mehr Bedeutung erlangen, forderte das Europäische Parlament die Europäische Kommission auf, die Entwicklungen des Marktes für Roaming im Bereich der Datenkommunikation im gemeinschaftsweiten Roaming einschließlich Diensten für Kurznachrichten (SMS) und multimediale Nachrichten (MMS) zu überwachen.

3.   Der Kommissionsvorschlag

3.1   Der Kommissionsvorschlag, der Gegenstand dieser Stellungnahme ist, beruht auf einer Mitteilung (3) über die Überprüfung des Funktionierens der Verordnung (EG) Nr. 717/2007 sowie zwei Arbeitsdokumenten der Kommissionsdienststellen (4).

3.2   Gemäß diesen Dokumenten reicht die Variationsbreite der Preise für Roaminganrufe auf Großkunden- und Endkundenebene unterhalb der in der Verordnung festgesetzten Obergrenzen nicht für einen gesunden Wettbewerb aus.

3.3   Von den Gesamteinnahmen des Roamingmarktes entfallen 12,3 % auf SMS-Roaming und 8,6 % auf Datenroaming. Die Preise für SMS-Roaming haben sich im letzten Jahr trotz des politischen Drucks auf die Betreiber, die Preise zu senken, um eine Regulierung zu vermeiden, ganz allgemein wenig bewegt.

3.4   Da mit der Verordnung (EG) Nr. 717/2007 kein gesunder Wettbewerb erreicht werden konnte und eine Wiederbelebung des Wettbewerbs durch eine Erhöhung der Zahl an Alternativanbietern angesichts der begrenzten Frequenzverfügbarkeit unmöglich ist, sah sich die Europäische Kommission zu folgenden Vorschlägen gezwungen:

die Geltungsdauer der derzeitigen Verordnung über das Jahr 2010 hinaus um weitere drei Jahre zu verlängern;

für den Verlängerungszeitraum neue Obergrenzen für die Entgelte für Sprachroamingdienste festzulegen, die Mobilfunknetzbetreiber erheben dürfen;

die Verpflichtung zur sekundengenauen Abrechnung einzuführen;

den Termin für die Senkung der Höchstpreise für regulierte Roaminganrufe vom 30. August auf den 1. Juli 2009 vorzuverlegen;

den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 717/2007 auf innergemeinschaftliche SMS-Roamingdienste auszudehnen;

eine Preisobergrenze für Datenroamingdienste auf der Großkundenebene festzusetzen sowie Maßnahmen zur Schaffung von Transparenz und Schutzmechanismen einzuführen;

die Preistransparenz zu fördern.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   In seiner Stellungnahme zur Verordnung (EG) Nr. 717/2007 begrüßte der Ausschuss ausdrücklich das Ziel der Europäischen Kommission, eine bis zu 70 %ige Senkung der Roaminggebühren mit Einsparungen für die Verbraucher in Höhe von 5 Mrd. EUR herbeizuführen.

4.2   Durch den Vorschlag der Europäischen Kommission, die nachstehend angeführten Preisobergrenzen erneut zu senken, würde dieses Ziel in Bezug auf eingehende Anrufe überschritten werden (-76 %) und in Bezug auf ausgehende Anrufe eine Preissenkung von 55,8 % bedeuten.

EUR/Min. ohne MwSt

Großkundenentgelt

Unterschied in %

Einzelkundenentgelt MOC  (5)

Unterschied in %

Einzelkundenentgelt MTC  (6)

Unterschied in %

durchschnittlicher Preis vor 1.9.2007

 

 

0,7692

 

0,417

 

 

 

 

 

 

 

 

Verordnung (EG) Nr. 717/2007

 

 

 

 

 

 

Höchstpreis 1.9.2007-31.8.2008

0,30

 

0,49

 

0,24

 

Höchstpreis 1.9.2008-30.6.2009 (7)

0,28

6,67

0,46

6,12

0,22

8,33

Höchstpreis 1.7.2009 (7)-30.6.2010

0,26

7,14

0,43

6,52

0,19

13,64

 

 

 

 

 

 

 

Verordnungsvorschlag KOM(2008) 580 endg.

 

 

 

 

 

 

Höchstpreis 1.7.2010-30.6.2011

0,23

11,54

0,40

6,98

0,16

15,79

Höchstpreis 1.7.2011-30.6.2012

0,20

13,04

0,37

7,50

0,13

18,75

Höchstpreis 1.7.2012-30.6.2013

0,17

15,00

0,34

8,11

0,10

23,75

 

 

 

 

 

 

 

Gesamtsenkung

 

 

0,4292

55,79

0,317

76,01

4.3   Der Ausschuss befürwortet diese neuen Maßnahmen und begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, die er als notwendig und angemessen erachtet, da diese auch das Informationsrecht der Verbraucher stärkt, um ihren Schutz und die Preistransparenz zu verbessern.

4.4   Der Ausschuss stellt zufrieden fest, dass gemäß den Informationen der Europäischen Kommission die mit der Verordnung (EG) Nr. 717/2007 eingeführten Tarifermäßigungen weder Beschäftigungseinbußen noch eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Branche nach sich gezogen haben.

4.5   In ihren Analysedokumenten unterscheidet die Europäische Kommission die Zahlungsmodalitäten für Sprach- und SMS-Dienste nach „prepaid“ und „postpaid“. Diese Unterscheidung wird jedoch in der von ihr festgelegten bzw. vorgeschlagenen Tarifstruktur nicht berücksichtigt, obwohl die Betreiber in diesen beiden Kategorien einen sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Mehrwert erzielen.

4.6   Nach Meinung des Ausschuss wird der Forderung des Europäischen Parlaments, die Auswirkungen dieser Verordnung auf die kleineren Mobiltelefonanbieter in der Gemeinschaft und deren Stellung am Markt für gemeinschaftsweites Roaming zu untersuchen, nur andeutungsweise Rechnung getragen.

4.7   In seiner Stellungnahme zur Verordnung (EG) Nr. 717/2007 äußerte der Ausschuss die Hoffnung, dass es mit der Anwendung der Verordnung nicht zu einer Anpassung der nationalen Mobilfunkgebühren kommen würde, in deren Zuge gewisse Betreiber unter Berufung auf bestimmte Umstände versuchen könnten, ihre Kosten durch Erhöhung der Einnahmen aus anderen Dienstleistungen zu decken.

4.8   Seit Einführung der ersten administrierten Höchstpreise hat die Europäische Kommission ihren eigenen Aussagen nach keine Erhöhung der nationalen Mobilfunkgebühren festgestellt, die speziell auf die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 717/2007 hätte zurückgeführt werden können. Einige Betreiber haben jedoch ihre Auslandsroamingentgelte aus bzw. in Drittstaaten, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Kommission bzw. der nationalen Regulierungsbehörden fallen, deutlich erhöht.

4.9   In Bezug auf die Abrechnung der Gesprächsdauer sind die in der Verordnung festgelegten Endkundenentgelte zwar als Preis pro Minute zu verstehen, doch bestand die von der Europäischen Kommission bevorzugte Lösung darin, den Betreibern die Abrechnung eines Entgelts für den Verbindungsaufbau, das maximal den ersten 30 Sekunden eines abgehenden Roaminganrufs entspricht, zu erlauben; danach sollte sekundengenau abgerechnet werden.

4.10   Viele Betreiber haben jedoch ihre alten Methoden beibehalten oder sogar ihre Tarifstruktur geändert, um ihre Abrechnungsintervalle auf bis zu 60 Sekunden zu verlängern. So ist festzustellen, dass die in Rechnung gestellte Gesprächsdauer für abgehende Anrufe die effektive Gesprächsdauer um durchschnittlich 24 % übersteigt.

4.11   Mit dem neuen Kommissionsvorschlag wird die sekundengenaue Abrechnung für die Abwicklung abgehender und ankommender regulierter Roaminganrufe mit Wirkung vom 1. Juli 2009 vorgeschrieben, allerdings kann ein Mindestabrechnungsintervall von bis zu 30 Sekunden zugrunde gelegt werden, das mit dem Argument gerechtfertigt wird, dass jedes auch noch so kurze Gespräch umfangreiche technische Leistungen in Anspruch nimmt.

4.12   Diese Abweichung von der allgemeinen sekundengenauen Abrechnungsvorschrift gilt jedoch ausschließlich für abgehende Anrufe, obwohl auch für eingehende Anrufe erhebliche technische Leistungen beansprucht werden.

4.13   In dem Kommissionsvorschlag wird der Termin für die Senkung der Höchstpreise für regulierte Roaminganrufe auf Großkunden- und Endkundenebene vom 30. August auf den 1. Juli 2009 vorverlegt, damit die Nutzer bereits in dem Zeitraum in den Genuss der neuen Tarife kommen, in dem die größte Nachfrage nach solchen Diensten besteht. Dies setzt auch voraus, dass diese Verordnung so schnell wie möglich in Kraft tritt.

4.14   Mit dieser Verordnung wird vom 1. Juli 2009 bis 30. Juni 2013 ein maximaler SMS-Eurotarif in Höhe von 0,11  EUR sowie ein Höchstentgelt für die Großkundenebene von 0,04  EUR eingeführt.

4.15   Für Datenroamingdienste ist in dem Kommissionsvorschlag zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei Regulierung des Endkundenentgelts vorgesehen, allerdings wird eine Preisobergrenze für Großkundenentgelte von 1 EUR/MB ab 1. Juli 2009 festgesetzt. Die Europäische Kommission hält jedoch in den Erwägungsgründen des Verordnungsvorschlags fest, dass das hohe Niveau der Endkundenentgelte für Datenroamingdienste und der unzureichende Wettbewerb auf diesem Markt Anlass zur Besorgnis gibt, zumal ihr zufolge auch die Preistransparenz zu wünschen übrig lässt.

4.16   Vor diesem Hintergrund bezweifelt der Ausschuss ernstlich, dass alternative Zugänge zu Datendiensten wie der öffentliche drahtlose Internetzugang für den erforderlichen Konkurrenzdruck sorgen können. Seiner Meinung nach wäre ein unmittelbares Tätigwerden der Europäischen Kommission auch in Bezug auf die Preise auf diesem Markt zweckdienlicher gewesen.

4.17   In dem Vorschlag ist außerdem die Einführung eines Mechanismus vorgesehen, mit dem der Datenroamingdienst bei Erreichen eines vom Kunden frei festgelegten Höchstbetrags unterbrochen wird sowie eine automatische Warnmeldung bei Annäherung an diesen Höchstbetrag versendet wird.

4.18   Ein derartiges Vorgehen ist zwar durchaus sinnvoll, bringt aber erhebliche technische Probleme und die Gefahr mit sich, dass der Kunde „blockiert“ wird, sofern er nicht die Möglichkeit hat, diesen von ihm selbst festgesetzten Höchstbetrag einfach zu umgehen. Darüber hinaus entspricht ein solcher Mechanismus kaum dem Wunsch nach Transparenz und kostenorientierten Tarifen. Der Ausschuss bedauert, dass diese Fragen in der dazugehörigen Folgenabschätzung nicht untersucht wurden.

4.19   Mit dem Vorschlag der Europäischen Kommission soll auch die Preistransparenz gefördert werden, indem die für Mobilfunkbetreiber geltende Verpflichtung, ihren Roamingkunden bei der Einreise in einen anderen Mitgliedstaat individuelle Tarifinformationen zur Verfügung zu stellen, auf SMS-Roamingnachricht und Datenroamingdienste erweitert wird.

4.20   Der Ausschuss begrüßt diese Maßnahme, sofern Mehrfachversendungen dieser Informationen bei jeder Grenzüberquerung vermieden werden; des Weiteren müssen diese Preisinformationen klar, verständlich und mit Alternativangeboten vergleichbar sein

Brüssel, den 15. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Verordnung (EG) Nr. 717/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2007 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 2002/21/EG.

(2)  Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste“, Berichterstatter: Herr Hernández Bataller, ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 42.

(3)  KOM(2008) 579 endg.

(4)  SEK(2008) 2489 und SEK(2008) 2490 (nur auf EN verfügbar).

(5)  MOC = mobile originating call/abgehender Anruf.

(6)  MTC = mobile terminal call/eingehender Anruf.

(7)  Die Europäische Kommission schlägt vor, den Termin vom 30. August auf den 1. Juli 2009 vorzuverlegen.


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/60


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Lösungsansätze für die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Ölversorgung“

(2009/C 182/13)

Hauptberichterstatter: Herr OSBORN

Das Europäische Parlament beschloss am 21. November 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

„Lösungsansätze für die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Ölversorgung“.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft am 12. November 2008 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) Herrn OSBORN zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 140 gegen 6 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1   Zwei Faktoren sind für die Entwicklung der Ölindustrie in den nächsten Jahrzehnten ausschlaggebend:

Die Beschleunigung des Klimawandels, die vor allem auf die zunehmenden CO2-Emissionen aufgrund der Verbrennung fossiler Energieträger zurückzuführen ist,

die Endlichkeit der weltweiten Vorräte und die immer größeren technischen und politischen Schwierigkeiten, die einem sicheren und einfachen Zugang zu den noch vorhandenen Vorräten im Wege stehen.

1.2   Durch die Wechselwirkung dieser beiden Faktoren gerät die Welt immer mehr in eine Schieflage — die steigenden Kohlenstoffemissionen beschleunigen den Klimawandel, während gleichzeitig durch den wachsenden Ölverbrauch der Zeitpunkt immer näher rückt, an dem nachschubbedingte Versorgungsengpässe das Wirtschaftsgeschehen stören.

1.3   Einen Ausweg aus der Klimakrise kann es nur geben, wenn es der Weltwirtschaft gelingt, eine rasche Umstellung ihrer derzeit übermäßig von fossilen Brennstoffen abhängigen Energiegrundlage zu bewerkstelligen. Die weltweite Erdölnachfrage darf in ein paar Jahren nicht mehr weiter ansteigen und muss dann bis Mitte des Jahrhunderts stetig auf ein wesentlich niedrigeres Niveau gesenkt werden. Für Europa mit seiner großen Abhängigkeit von Erdöleinfuhren ist dies ein ganz besonders dringliches Problem.

1.4   Neue Erdölquellen werden immer seltener entdeckt und sind häufig mit politischen und ökologischen Problemen behaftet. Für die Welt im Ganzen (und Europa im Besonderen) wäre es vorteilhaft und sicherer, wenn die Abhängigkeit vom Erdöl verringert werden könnte.

1.5   Der europäische Erdölbedarf sollte bis 2050 um mindestens 50 %, wahrscheinlich aber noch viel stärker reduziert werden.

1.6   Die notwendige Umstellung kann der Markt allein nicht aus eigener Kraft schaffen.

1.7   Finanzpolitische Maßnahmen zur Erhöhung des Preises von Erdöl (1) (und anderen fossilen Brennstoffen) im Vergleich zu anderen Energieträgern durch Kohlenstoff- oder Ölsteuern oder handelbare Kohlenstoffzertifikate sind wichtig und sollten weiter ausgebaut werden. Es sind aber noch weitere sektorspezifische Maßnahmen erforderlich.

1.8   Im Emissionshandelssystem der Europäischen Union sollte zunächst ein Mindestpreis für Kohlenstoff festgelegt werden, um für eine größere Marktsicherheit zu sorgen. Dieser Mindestpreis ist dann über die kommenden dreißig Jahre schrittweise zu erhöhen, um auf sämtliche Akteure einen wachsenden, vom Markt ausgehenden Druck auszuüben, ihre Energieversorgung zu diversifizieren und von fossilen Energieträgern abzukoppeln.

1.9   Im Verkehrsbereich sind folgende wesentliche Veränderungen nötig:

Planung von Städten und anderen Siedlungstypen mit dem Ziel, Fahrtstrecken und -zeiten wo immer möglich zu verkürzen;

fortwährende Verbesserung der Energie- und Kohlenstoffeffizienz von Flugzeugen, Schiffen, Zügen und Straßenfahrzeugen;

Bevorzugung von

Schienenverkehr gegenüber Luftverkehr;

öffentlichen Verkehrsmitteln gegenüber Individualverkehr;

Elektrofahrzeugen oder wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen gegenüber Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor;

Radfahren und Zu-Fuß-Gehen wo immer möglich.

1.10   In Privathaushalten und in anderen Gebäuden werden für Heizung, Kühlung und Kochen genutztes Erdöl und andere fossile Brennstoffe schrittweise durch „grünen“ Strom ersetzt werden müssen.

1.11   Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern muss so rasch wie möglich ausgebaut werden. Allerdings wird nicht zu vermeiden sein, dass fossile Brennstoffe noch jahrelang die Hauptgrundlage für die Stromerzeugung bleiben werden, und deshalb ist es wesentlich, die die Entwicklung und Einführung der Kohlenstoffabscheidungstechnologie (CO2-Abscheidung und –Lagerung — CCS) massiv voranzutreiben. Die Stromerzeugung aus Erdöl sollte zwar zurückgehen, doch wo Öl und Kohle genutzt werden, sollte auch die CCS-Technologie eingesetzt werden.

1.12   Eine neue Kernkraftwerksgeneration kann in einigen Ländern den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft erleichtern. Investitionen in diesen Bereich dürfen aber nicht dazu führen, dass die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger vernachlässigt wird.

1.13   Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben schon frühzeitig eine Führungsrolle übernommen und in all diesen Bereichen die richtigen politischen Akzente gesetzt, doch ist noch weitreichenderes und rascheres Handeln erforderlich. Sie müssen auch andere Industrieländer zu vergleichbaren Verpflichtungen bewegen und umfangreiche finanzielle Mittel für die Förderung entsprechender Anstrengungen in Entwicklungsländern aufwenden.

1.14   Die Zivilgesellschaft muss viel ausführlicher und systematischer eingebunden werden, um das Bewusstsein für die erforderlichen Veränderungen und deren Akzeptanz zu fördern, insbesondere im Zusammenhang mit den notwendigen Änderungen der Lebens- und Verhaltensweisen.

1.15   Die weltweite Ölindustrie steht vor zwei Herausforderungen:

Unterstützung der weltweiten Anpassungsmaßnahmen im Hinblick auf eine stetige Verringerung der Erdölabhängigkeit;

Nutzung ihres enormen Fach- und Sachwissens und ihrer Finanzkraft, um bei der Entwicklung der neuen, nichtfossilen Energietechnologien eine Vorreiterrolle zu übernehmen (bzw. andere dabei zu unterstützen).

2.   Kohlendioxid-Emissionen und Klimawandel

2.1   Die Gefahr eines zerstörerischen, durch die zunehmenden Treibhausgasemissionen angetriebenen Klimawandels ist eine der größten globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

2.2   Wenn die Erderwärmung auf höchstens 2 °C gegenüber vorindustrieller Zeit begrenzt werden soll, dann müssen die CO2-Emissionen dem Weltklimarat zufolge in den nächsten 5-10 Jahren stabilisiert und bis 2050 um 50-85 % im Vergleich zum Jahr 2000 gesenkt werden.

2.3   Dies wird weltweit einen radikalen Wandel der gegenwärtigen Verbrauchs- und Produktionsmuster erfordern — im Maßstab einer neuen industriellen Revolution. Die Senkung der durch die Erdölverbrennung verursachten Emissionen ist ein notwendiger Teilaspekt der Reduzierung der Kohlenstoff-Gesamtemissionen. Es wäre hilfreich, einvernehmlich einen Kurvenverlauf oder Referenzwert für den schrittweisen Rückgang der weltweiten Erdölnachfrage in den nächsten 40 Jahren festzulegen und davon ausgehend einen europaspezifischen Kurvenverlauf zu bestimmen. Der europäische Erdölverbrauch muss bis 2050 um mindestens 50 %, wahrscheinlich aber erheblich mehr gesenkt werden.

2.4   Derzeit steigt die weltweite Ölverbrauchskurve jedes Jahr weiter an, was mittlerweile vor allem auf die rasche Ausweitung der Nachfrage in den Schwellenländern zurückzuführen ist. Die Nachfrage in Europa stabilisiert sich zwar allmählich, hat aber den erforderlichen Wendepunkt noch nicht erreicht.

2.5   Die im Energiepaket der Europäischen Union vorgesehenen Maßnahmen sind ein Anfang, doch wird die Europäische Kommission nach Ansicht des Ausschusses in Anbetracht des erforderlichen Verbrauchsrückgangs in Kürze ein zweites Paket vorlegen müssen.

2.6   Auf Europa entfallen weniger als 20 % der globalen Erdölnachfrage. Es wird also ebenso wichtig sein, die anderen Industrieländer und die Schwellenländer im Rahmen der derzeitigen Klimaschutzverhandlungen zu vergleichbaren Verpflichtungen im Hinblick auf die Nachfragesenkung zu bewegen.

3.   Ölvorräte

3.1   Die weltweiten Ölvorräte sind begrenzt. Zwar werden immer wieder neue Vorkommen entdeckt, doch sind diese meist kleiner, schwerer zu erschließen und häufig in politisch instabilen oder feindselig gesinnten Ländern gelegen. Ihre Erschließung kann mit höheren Kosten verbunden sein.

3.2   Einige der neuen Ölquellen liegen in ökologisch sensiblen Gebieten wie der Arktis. Andere wie kanadischer Teersand sind schwierig zu erschließen und allein durch die Extraktion werden höhere CO2-Emissionen verursacht. Es wäre wünschenswert, diese Art Ölquellen möglichst nicht zu nutzen oder ihre Nutzung zumindest solange aufzuschieben, bis bessere Umwelt- und Kohlenstoffabscheidungstechnologien verfügbar sind.

3.3   Europa hat ganz spezifische Ölversorgungsprobleme. Ölquellen in Europa gehen allmählich zur Neige und so wächst seine Abhängigkeit von Öleinfuhren, die mittlerweile über 80 % seines Ölverbrauchs ausmachen, weiter.

3.4   In Zukunft könnte die europäische Lage problematischer werden. Öllieferungen könnten sich schwieriger gestalten oder sehr viel teurer werden. Auch die Instabilität der Versorgung und die Volatilität der Preise könnten zunehmen.

3.5   Dieses potenzielle angebotsseitige Problem unterstreicht die Bedeutung rascher Fortschritte in Europa hin zur Verringerung unserer Ölabhängigkeit. Je schneller es uns gelingt, den Verbrauch insgesamt einzuschränken und uns auf andere, leichter verfügbare Energieträger umzustellen, desto größer wird unsere Unabhängigkeit und Sicherheit sein und desto eher können wir andere dazu bewegen, ihren Teil zur Verringerung der Nachfrage im Interesse des Klimaschutzes beizutragen.

4.   Weg vom Öl durch Diversifizierung

4.1   Erdöl wird vor allem im Verkehrsbereich verwendet, aber auch in hohem Maße als Brennstoff für Heizen und Kochen in Privathaushalten, für Gebäudeheizung und -kühlung, für die Stromerzeugung und als Grundstoff in der petrochemischen Industrie. In all diesen Bereichen muss die Abhängigkeit vom Öl so rasch wie möglich verringert bzw. beseitigt werden.

4.2   Im Verkehrsbereich sind dreierlei Veränderungen nötig

Planung von Städten und anderen Siedlungstypen mit dem Ziel, Fahrtstrecken und -zeiten wo immer möglich zu verkürzen;

fortwährende Verbesserung der Energie- und Kohlenstoffeffizienz von Flugzeugen, Schiffen, Zügen und Straßenfahrzeugen

Bevorzugung von

Schienenverkehr gegenüber Luftverkehr;

öffentlichen Verkehrsmitteln gegenüber Individualverkehr;

Elektrofahrzeugen oder wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen gegenüber Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor;

Radfahren und Zu-Fuß-Gehen wo immer möglich.

4.3   Im Luftverkehr wird Erdöl voraussichtlich noch die nächsten 20 bis 30 Jahre unabdinglich sein. Allerdings sollten die Bemühungen um Effizienzoptimierung nicht abreißen, und wo möglich sollte dem Ausbau von Hochgeschwindigkeits-Schienenverkehrsnetzen der Vorzug vor Luftverkehrsverbindungen gegeben werden. Eine weitere Expansion des Luftverkehrs und der Ausbau von Flughäfen sollte nicht gefördert werden.

4.4   In der Schifffahrt sollte ständig an Effizienzverbesserungen gearbeitet werden, und innovative Ideen wie zusätzlicher Windkraftantrieb zur Reduzierung des Treibstoffverbrauchs sollten aktiv gefördert werden.

4.5   Erdölverbrauch in Privathaushalten

Die unmittelbare Verbrennung von fossilen Brennstoffen in Öfen, Heizkesseln oder Kochherden muss schrittweise beendet und durch Strom (zunehmende Versorgung durch lokale Erzeugung aus erneuerbaren Energieträgern parallel zum Versorgungsnetz) oder nachhaltig produziertes Holz als haushaltsübliche Energiegrundlage ersetzt werden. Für diese Umstellung muss ein Zeitplan aufgestellt werden.

4.6   Erdöl in Industrie und Gewerbe

Eine entsprechende Umstellung ist in der Industrie und in der gewerblichen Wirtschaft in Bezug auf Heiztechnik und andere Erdöl-Verwendungszwecke erforderlich. Die einzelnen Sektoren müssen daraufhin überprüft werden, inwieweit die Industrieverfahren, in denen Erdöl als Grundstoff eingesetzt wird, CCS-tauglich sind oder durch Verfahren ersetzt werden können, in denen nichtfossile Grundstoffe verwendet werden.

4.7   Stromerzeugung

Die Stromerzeugung aus allen Arten von erneuerbaren Energieträgern muss raschestmöglich ausgebaut werden. Die Ziele, die Europa sich gesetzt hat, sind ein Schritt in die richtige Richtung, doch muss mehr dafür getan werden, die verschiedenen Technologien zu erschwinglichen Preisen auf den Markt zu bringen.

4.8   Kohle (und in geringerem Maße andere fossile Brennstoffe) wird noch mehrere Jahrzehnte lang ein wichtiger Brennstoff für die Stromerzeugung sein. Deshalb sollte die Entwicklung der CCS-Technologie vorangetrieben werden. Die Kohlenstoffabscheidung und -lagerung sollte dann auch für alle noch verbleibenden Ölkraftwerke verpflichtend sein.

4.9   Eine neue Kernkraftwerksgeneration kann eventuell die Umstellung erleichtern. Mit der Kernkraft sind jedoch ganz spezifische Nachhaltigkeitsprobleme verbunden, und deshalb muss sichergestellt werden, dass der umfassende Ausbau der erneuerbaren Energieträger und die Verbesserung der Energieeffizienz als vorrangige Umstellungsziele nicht finanziell und politisch zugunsten der Kernkraft vernachlässigt werden.

4.10   Um alle Betroffenen bei der Planung dieser Änderungen zu unterstützen, sollten Marschrouten für die Einsparungen in jedem Öl verbrauchenden Sektor aufgezeigt und ein wahrscheinlicher Zeitplan für diesen Wandel auf globaler und auf regionaler Ebene aufgestellt werden.

5.   Was muss getan werden? Maßnahmen zur Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und zur Diversifizierung der Energieversorgung

5.1   Viele der Maßnahmen, die erforderlich sind, um den Wandel voranzubringen, sind bereits wohlbekannt. Das in dem jüngsten Energiepaket der Europäischen Kommission vorgesehene Maßnahmenbündel deckt schon viele relevante Aspekte ab und dürfte sich gut als Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen eignen. In der ganzen Welt und auch in Europa muss das Maßnahmenspektrum erweitert und müssen die Maßnahmen energischer und dringend angegangen werden.

5.2   Finanzpolitische Maßnahmen für eine korrekte Bepreisung von Kohlenstoffemissionen

Die durch Kohlendioxidemissionen verursachten Kosten sollten auf die fossilen Brennstoffe umgelegt werden. Dazu müssen Kohlendioxidemissionen verursachende Erzeugnisse (wie Benzin) besteuert und/oder ein Emissionshandelssystem eingeführt werden.

5.3   Das Emissionshandelssystem der EU muss konsequent ausgebaut und angewendet werden, um ein deutliches, dauerhaftes Marktsignal zugunsten der Senkung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und der Diversifizierung der Energieträger zu geben. Abweichungen müssen geregelt und Ausnahmen eingeschränkt werden. Vor allem aber muss das System auf alle übrigen Industrieländer und, sobald machbar, auch auf die Schwellenländer ausgedehnt werden. Dies sollte im Rahmen der Internationalen Klimaschutzverhandlungen als prioritäres Ziel verfolgt werden.

5.4   Es könnte sich als sinnvoll erweisen, im Rahmen des Systems einen Mindestpreis für Kohlenstoff festzulegen, um für Marktsicherheit zu sorgen. Dieser Mindestpreis könnte dann über die kommenden dreißig Jahre schrittweise erhöht werden, um auf sämtliche Akteure einen wachsenden, vom Markt ausgehenden Druck auszuüben, ihre Energieversorgung zu diversifizieren und von fossilen Energieträgern abzukoppeln.

5.5   Regulierungsmaßnahmen

Finanzpolitische Maßnahmen allein reichen nicht aus, um den notwendigen Wandel weg vom Öl zu vollziehen. Die Nachfrage ist nicht elastisch genug, und der Preis von Ölerzeugnissen kann aufgrund politischer Zwänge nicht allzu schnell in die Höhe getrieben werden. Über umfangreiche Regulierungsmaßnahmen müssen Standards verbessert und ineffiziente Verfahren und Erzeugnisse abgeschafft werden. Ferner muss die Erforschung, Entwicklung und Einführung der notwendigen neuen Technologien gefördert werden.

5.6   Ein umfassendes Programm zur Verbesserung der Energieeffizienzstandards aller Energie verbrauchenden Produkte und Dienstleistungen tut dringend Not. In Europa herrscht nach wie vor Handlungsbedarf sowohl bei der Festlegung als auch bei der Durchsetzung der Standards. Beispielsweise ist die Energieeffizienz der Gebäudeheiz- und -kühlsysteme immer noch weitgehend außerordentlich niedrig und muss durch ein energisches Aktionsprogramm schleunigst verbessert werden.

5.7   Standards zur Herabsetzung der Kohlenstoffemissionen von Kraftfahrzeugen sind besonders wichtig. Der EWSA begrüßt die neuen Grenzwerte, drängt jedoch auf die frühzeitige Festlegung noch strengerer Standards für die Zukunft, um der Kfz-Industrie einen festen Planungsrahmen vorzugeben. Als nächstes muss nun dringend ein ebenso anspruchsvolles Programm für die schrittweise Senkung der Emissionen von Lieferwagen und Schwerlastfahrzeugen aufgestellt werden. Auch hier müssen europäische Maßnahmen durch vergleichbare Anstrengungen in anderen Weltregionen ergänzt werden.

5.8   Forschung, Entwicklung und finanzielle Unterstützung

Einige der benötigten neuen Technologien befinden sich noch in der Entwicklungsphase und erfordern bis zu ihrer Markteinführung und Verbreitung umfangreiche öffentliche Unterstützung und Förderung. Darunter fallen die CCS-Technik, die Weiterentwicklung erneuerbarer Energieträger, die erneuerbaren Energieträger der dritten und vierten Generation, Elektrofahrzeuge oder wasserstoffbetriebene Fahrzeuge und die jeweils notwendige Infrastruktur, die allesamt auf eine umfangreiche öffentliche Förderung angewiesen sind, wenn sie möglichst bald erfolgreich eingeführt und verbreitet werden sollen.

5.9   Im Schienenverkehrssektor sind große Investitionen erforderlich, um die Elektrifizierung des Schienenverkehrsnetzes voranzutreiben und die Schiene gegenüber dem Luftverkehr zum bevorzugten Verkehrsträger für kürzere Reisestrecken in Europa und in anderen Teilen der Welt zu machen.

5.10   Einbindung der Zivilgesellschaft

Es muss viel nachdrücklicher dafür gesorgt werden, dass die Öffentlichkeit, die Unternehmen, die Gewerkschaften und die sonstigen Organisationen der Zivilgesellschaft partnerschaftlich in die gemeinsamen Anstrengungen eingebunden werden.

Die Bürger müssen durch Anreize dazu ermutigt werden, ihren Teil beizutragen und beispielsweise die Effizienz ihrer Häuser/Wohnungen und Autos zu verbessern, umweltfreundlichere Energieträger für Beleuchtung und Heizung zu nutzen, energieeffizientere Erzeugnisse und Dienstleistungen zu kaufen und ihren CO2-Fußabdruck im Alltagsverkehr und auf Reisen zu verringern. Nach Ansicht des Ausschusses ist ein wachsender Teil der Bevölkerung und der zivilgesellschaftlichen Organisationen bereit zu handeln, doch wäre eine starke und wirksame politische Führung vonnöten, um ihnen in Verbindung mit geeigneten Anreizen klar zu vermitteln, was von ihnen erwartet wird.

Viele lokale und regionale Behörden haben bereits politische Weitsicht und mutige Initiativkraft bewiesen. Sie müssen durch Anreize ermutigt werden, diesen Weg weiter zu beschreiten.

Auch Unternehmen müssen durch entsprechende Anreize zu weiteren Fortschritten angehalten und dazu gedrängt werden, die Energieeffizienz ihrer Tätigkeiten fortwährend zu verbessern und kohlenstoffarme Energiequellen zu verwenden. Durch eine systematische und strenge Regulierung sollte die Energieleistung aller Arten von Produkten und Dienstleistungen vorangebracht werden.

Den Gewerkschaften kommt ebenfalls eine wichtige Rolle zu. Viele ihrer Mitglieder engagieren sich für die Verbesserung der Energieeffizienz und die Verbreitung praktischer Informationen, und ihr potenzieller Beitrag muss gewürdigt und gefördert werden. Unter der Voraussetzung einer guten Organisation dürften die neuen Produktionsverfahren ein ebenso hohes Beschäftigungspotenzial aufweisen wie die herkömmlichen, kohlenstoffintensiven Verfahren und außerdem gute Arbeitsbedingungen bieten.

5.11   All diese Maßnahmen müssen in Europa angenommen und energisch umgesetzt werden, um die Nachfrage nach fossilen Energieträgern im Allgemeinen und Erdöl im Besonderen einzudämmen. Andere Industrieländer und zunehmend auch Schwellen- und Entwicklungsländer müssen von der Notwendigkeit entsprechender Maßnahmen überzeugt werden.

5.12   Die Schwellen- und Entwicklungsländer können ihrerseits Innovatoren und Wegbereiter der kohlenstoffarmen Wirtschaft werden und sollten hierin aktiv unterstützt werden. Durch handelspolitische Maßnahmen sollten niemals und nirgendwo die älteren, weniger kohlenstoffeffizienten Industrien geschützt werden.

6.   Anpassung innerhalb der Erdöl- und Erdgasindustrie

6.1   Solange die Weltwirtschaft vom Öl abhängt, muss die Ölindustrie sie natürlich mit Öl versorgen. Weiterhin auf ein „business as usual“-Szenario zu setzen, wäre allerdings seitens der Ölindustrie ein verfehlter Ansatz. Auf zahlreichen Gebieten kann und sollte die weltweite Ölindustrie bei dem Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft behilflich sein:

Anerkennung der notwendigen Umstellung der Weltwirtschaft auf einen kontinuierlich sinkenden Erdölverbrauch in den kommenden Jahrzehnten und entsprechende Anpassung ihrer Überlegungen, Planungen und Reaktionen.

Kontinuierliche Verbesserung der Kohlenstoffeffizienz der Tätigkeiten der Ölindustrie selbst.

Ersetzung fossiler Brennstoffe durch Biomasse oder andere kohlenstoffneutrale Grundstoffe in Erdölerzeugnissen, wo dies eine machbare und nachhaltige Lösung ist.

Nutzung des enormen Potenzials an Sach- und Fachwissen und der Finanzkraft der Ölindustrie zur Unterstützung anderer Aspekte des notwendigen Wandels und der raschestmöglichen Entwicklung und Einführung der Kohlenstoffabscheidungs- und –einlagerungstechnologie.

Enge Zusammenarbeit mit der Kfz-Industrie, um die Umstellung auf kohlenstoffarme oder -freie Fahrzeuge zu beschleunigen.

6.2   Die Europäische Union, ihre Mitgliedstaaten und andere Regierungen sollten einen intensiven Dialog mit der weltweiten Ölindustrie pflegen, um auf allen Seiten Einsicht in die Notwendigkeit zu fördern, dass ein absteigender Kurvenverlauf des Ölverbrauchs erreicht werden muss, und um die Industrie durch geeignete Anreize zur Anpassung in diesen fünf Bereichen zu ermutigen (oder erforderlichenfalls zu zwingen).

6.3   Der EWSA würde es begrüßen, wenn die Ölindustrie verstärkt in die Erleichterung des Wandels hin zu einer weniger ölabhängigen Zukunft investieren würde und weniger in die Erschließung marginaler Ölquellen, zumal wenn damit erhebliche Umweltschäden verbunden sind.

6.4   Nach Ansicht des EWSA könnte die Entwicklung von Biokraftstoffen (und insbesondere Biomasse) unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien nur begrenzt sinnvoll sein. Die Pyrolyse von Biomasse zu Bio-Kohle (oder Holzkohle), die durch Bodeneintrag landwirtschaftliche Böden verbessern und zu Kohlenstoffsenken machen kann, scheint vielversprechend zu sein. Im Verkehrsbereich zeichnen sich Elektro- und Wasserstoffantrieb als aussichtsreichere langfristige Lösung ab. In fortwährenden intensiven Diskussionen mit den einschlägigen Branchen sollten die günstigsten Marschrouten für diese Umstellungen erarbeitet werden.

6.5   Der hohe Ölpreis ist für die Industrie schon ein wirkungsvoller finanzieller Anreiz, die Effizienz von Extraktion und Raffination zu steigern und die Transportkosten so weit wie möglich zu senken. Die Neufassung der Richtlinie über die Qualität von Kraftstoffen wirkt diesbezüglich als weiterer Anreiz und könnte auch der Einführung von Biokraftstoffen förderlich sein.

6.6   Die schon jetzt erheblichen staatlichen Einnahmen aus den Steuern auf Ölerzeugnisse können mit der zunehmenden Versteigerung von Kohlenstoffzertifikaten weiter steigen. Ein Teil dieser Einnahmen sollte in die Entwicklung der notwendigen neuen Energietechnologien fließen. Um die Ölindustrie dazu zu bewegen, eine größere Rolle bei der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft zu übernehmen, könnten Anreize wie Steuererleichterungen oder steuerliche Abschreibungen für die erforderlichen Investitionen geboten werden.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Der EWSA setzt sich mit der Ölpreisproblematik ausführlicher in seiner Stellungnahme zu der Mitteilung der Europäischen Kommission zum Thema „Maßnahmen gegen die steigenden Ölpreise“ auseinander.


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/65


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine erneuerte Sozialagenda: Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts“

KOM(2008) 412 endg.

(2009/C 182/14)

Berichterstatterin: Frau REGNER

Mitberichterstatter: Herr PEZZINI

Die Europäische Kommission beschloss am 2. Juli 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine erneuerte Sozialagenda: Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts“

KOM(2008) 412 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. Dezember 2008 an. Berichterstatter war Frau REGNER, Mitberichterstatter war Herr PEZZINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 162 gegen 21 Stimmen bei 25 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der EWSA begrüßt die Mitteilung der Kommission zu einer erneuerten Sozialagenda und erachtet dies im Zusammenhang mit den anderen aktuellen sozialen Initiativen als einen richtigen Schritt hin zur Modernisierung des europäischen Wohlfahrtstaates, bei dem es darum geht, die Menschen in die Lage zu versetzen, ihr gesamtes Potenzial zu entfalten und der Europäischen Union ein sozialeres Gesicht zu geben.

1.2   Angesichts der gewaltigen weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ist es umso wichtiger, dass die Europäische Union sich für ein starkes soziales und wettbewerbsfähiges Europa einsetzt. Der EWSA spricht sich daher — über eine erneuerte Sozialagenda hinaus — nachdrücklich für ein echtes sozialpolitisches Aktionsprogramm aus.

1.3   Die Mitteilung der Kommission konzentriert sich vorwiegend darauf, auf neue Gegebenheiten zu reagieren. Insbesondere geht es um die Anpassung der Sozialpolitik an den Wandel in den Gesellschaften, aber vor allem an den Wandel in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Europa benötigt dringend moderne arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und starke, nachhaltige und beschäftigungsfreundliche Sozialsysteme.

1.4   Der EWSA stellt die Zurückhaltung der Kommission gegenüber der Weiterentwicklung arbeitsrechtlicher Mindeststandards fest. Diese waren in der Vergangenheit das Rückgrat der europäischen Sozialpolitik und der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und sollten dort, wo sie notwendig und sinnvoll sind, auch in Zukunft ein Teil jeglicher Sozialagenda sein.

1.5   Der EWSA hält fest, dass der soziale Dialog nach wie vor eine der wichtigsten Säulen des europäischen Sozialmodells ist: auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Die Sozialpartner nehmen eine Schlüsselrolle bei allen Fragen des sozialen Wandels ein und sollen daher bei der Ausarbeitung, Umsetzung und Überprüfung aller Maßnahmen der erneuerten Sozialagenda einbezogen werden. Der zivilgesellschaftliche Dialog wird in Zukunft eine weitere tragende Säule sein.

1.6   Die Offene Methode der Koordinierung sollte insbesondere durch den weiteren Einsatz quantitativer und qualitativer Vorgaben gestärkt werden. Der EWSA empfiehlt dabei die stärkere Einbeziehung des Europäischen Parlaments und eine verpflichtende Berücksichtigung sozialer Zielsetzungen bzw. von Leitlinien im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe.

1.7   Der EWSA hält die Unterstützung der Mitgliedstaaten durch die Union — in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern — bei der Anwendung, Angleichung und Überwachung der gemeinsamen Flexicurity-Grundsätze für notwendig. Der EWSA fordert deshalb eine engere Verknüpfung zwischen der Flexicurity Debatte und dem Ausbau des Sozialen Dialogs auf allen Ebenen sowie den Tarifverhandlungen auf den jeweiligen Ebenen.

1.8   Die gemeinschaftlichen Aktionen zur Förderung der Gleichstellung, zur Unterstützung der Menschen mit Behinderungen, zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und zur Förderung aktiver Eingliederung sollten nach Auffassung des Ausschusses um verstärkte aktive politische Maßnahmen ergänzt werden, die auch auf die Beschäftigung älterer Menschen sowie auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen und Arbeitslose ausgerichtet sind. Auch die Bekämpfung der Armut muss eine Priorität sein.

1.9   Der EWSA hält es für notwendig, auf die aktuellen EuGH-Urteile im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern und gewerkschaftlichen Maßnahmen angemessen zu reagieren. Das von der Kommission anberaumte Diskussionsforum ist ein erster Schritt. Insbesondere sollten verschiedene Alternativen aufgezeigt werden, wie das Spannungsverhältnis zwischen den Binnenmarktfreiheiten einerseits und den Grundrechten andererseits gelöst werden kann. Falls notwendig und angebracht, sollten geeignete und konkrete Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer so schnell wie möglich getroffen werden, die klarstellen, dass weder wirtschaftliche Freiheiten noch Wettbewerbsregeln Vorrang vor sozialen Grundrechten haben.

1.10   In Anbetracht der Befürchtungen in weiten Teilen der europäischen Bevölkerung, dass der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung in 20 Jahren für viele nicht mehr gewährleistet sei (1), sollten entsprechende, klare und transparente Ziele entwickelt und mit einem geeigneten Monitoring und Öffentlichkeitsarbeit verfolgt werden.

1.11   Neben neuen Chancen und der Steigerung von Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit hat Migration auch Schattenseiten. Die Kommission sollte sich in Zukunft auch mit diesen negativen Aspekten auseinandersetzen und Maßnahmen zu deren Vermeidung erarbeiten.

1.12   So wie die Kommission misst auch der EWSA der Anwendung und Durchsetzung geltender Rechtsvorschriften hohe Bedeutung bei. Bloße Appelle an die Mitgliedstaaten reichen hierbei — und insbesondere bei der Entsenderichtlinie — nicht aus. In diesem Zusammenhang muss insbesondere auch der Schaffung wirksamer Maßnahmen beim Vollzug grenzüberschreitender Sachverhalte ein erhöhter Stellenwert eingeräumt werden. Der Ausschuss begrüßt weiters den Aufruf der Kommission an alle Mitgliedstaaten, ein Beispiel zu geben, indem sie die von der Internationalen Arbeitsorganisation IAO als aktuell klassifizierten IAO-Übereinkommen ratifizieren und umsetzen.

2.   Der Vorschlag der Kommission

2.1   Die Europäische Kommission hat am 2. Juli 2008 eine Mitteilung über eine erneuerte Sozialagenda vorgelegt (2). Darin stellt sie fest, dass eine neue soziale Wirklichkeit neue Antworten erfordert. Das Tempo des Wandels sei hoch. Die Politik müsse Schritt halten und innovativ und flexibel auf die Herausforderungen der Globalisierung, des technologischen Fortschritts und der demografischen Entwicklung reagieren.

2.2   Die Kommission führt aus, das potenzielle Aktionsgebiet sei sehr groß, so dass es nahe liege, Prioritäten zu setzen. Deshalb sei die Agenda auf mehrere Schlüsselbereiche ausgerichtet, in denen Maßnahmen der EU einen klaren Mehrwert ergeben und in denen den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit voll Rechnung getragen werden kann.

Kinder und Jugendliche — das Europa von morgen

In Menschen investieren, mehr und bessere Arbeitsplätze schaffen, neue Kenntnisse und Fertigkeiten entwickeln;

Mobilität;

Länger und gesünder leben;

Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung;

Diskriminierungsbekämpfung;

Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität auf globaler Ebene.

2.3   Maßnahmen in allen diesen Bereichen tragen zur Erreichung der drei Ziele der Agenda — Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität — bei.

2.4   Laut Kommission habe die Bestandsaufnahme der sozialen Wirklichkeit bestätigt, dass Bürger und Stakeholder von der EU erwarten, dass sie einen europäischen Mehrwert für die soziale Entwicklung erbringt.

2.5   Die Kommission beabsichtigt, weiterhin die Instrumente des EG-Vertrags (Rechtsvorschriften, Sozialer Dialog, Gemeinschaftsmethode, offene Methode der Koordinierung, Vergabe von EU-Finanzmitteln, Einbindung der Zivilgesellschaft) zu nutzen und — mithilfe eines umfassenden Ansatzes und einer „intelligenteren“ Mischung politischer Instrumente — auch Synergien zwischen diesen Instrumenten auszuschöpfen. In diesem Zusammenhang spiele auch die Koordinierung und Überwachung der Wirtschafts- und Haushaltspolitik eine wichtige Rolle.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Die Kommission hält in der erneuerten Sozialagenda fest, dass die Politik der EU schon derzeit eine starke soziale Dimension und eine positive soziale Wirkung hat. Übereinstimmend ist der EWSA jedenfalls der Ansicht, dass die EU eine starke soziale Dimension und eine positive soziale Wirkung haben soll, insbesondere zur Zeit einer Finanzkrise im sprichwörtlichen „globalen Dorf“. Diese Finanzkrise zieht eine wirtschaftliche Krise nach sich und in den europäischen Mitgliedstaaten zeichnet sich eine Rezession ab. Dies wiederum bedeutet Schwierigkeiten für Unternehmen und schwere Zeiten für Arbeitnehmer und für die Gesellschaft insgesamt. Trotz des Umstandes, dass Sozialpolitik großteils in der Verantwortung der Regierungen der Mitgliedstaaten liegt, begrüßt der Ausschuss die Initiativen, die seitens der Kommission 2007 mit der Bestandsaufnahme der sozialen Wirklichkeit und nunmehr mit der Vorlage der erneuerten Sozialagenda gesetzt wurden und glaubt, dass eine gemeinsame Strategie helfen wird, Ängste über die zukünftige Wohlstandsentwicklung abzuschwächen. Es sollte aber eine noch weitaus stärkere soziale Botschaft an die Bürger Europas gerichtet werden.

3.2   Grundsätzlich positiv beurteilt wird auch, dass sich die Agenda nicht bloß auf die klassischen Gebiete der Sozialpolitik beschränkt, sondern auch andere Bereiche wie Bildung, Gesundheit und interkulturellen Dialog abdeckt.

3.3   Aktuell reicht aber ein „traditioneller“ — wenn auch erneuerter und auf andere Bereiche ausgeweiteter — gemeinschaftlicher Ansatz nach Auffassung des Ausschusses nicht aus. Die Frage der grundlegenden makroökonomischen Politikausrichtung darf nicht ausgeklammert werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wichtige Weichenstellungen weiterhin ohne eine spürbare soziale Dimension bleiben.

3.4   Der Ausschuss vertritt den Standpunkt, dass die soziale Dimension Europas unter anderem in einem echten sozialen Aktionsprogramm ihren Ausdruck finden sollte. Eine bloße erneuerte soziale Agenda reicht nicht. Das Aktionsprogramm sollte sich auf die positive Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und nicht auf eine konkurrierende Nivellierung der sozialen Rechte, des Sozialschutzes und der Arbeitsbedingungen „nach unten“ stützen (3). Es muss sich auf diejenigen Aspekte konzentrieren, die Ergebnisse bringen in Bezug auf Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, Stärkung der sozialen Sicherungssysteme unter Berücksichtigung ihrer Nachhaltigkeit und einer beschäftigungsfreundlichen Wirkung, erhöhte Wettbewerbsfähigkeit, bessere Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und Arbeitnehmern sowie mehr und bessere Arbeitsplätze.

3.5   Eine aktive Inangriffnahme sozialer Zielsetzungen ist gefordert. Eine reaktive Position in dem Sinne, dass es die Aufgabe der Sozialpolitik sei, auf Veränderungen zu reagieren und die Menschen an neue Anforderungen der Wirtschaft anzupassen, greift zu kurz. Der Mensch und die Investition in Menschen müssen im Mittelpunkt stehen, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen muss das Ziel sein, und klare, effektive und verbindliche Instrumente müssen das Rückgrat einer europäischen Sozialpolitik bilden.

3.6   Gerade in Anbetracht der aktuellen Krise darf nämlich nicht übersehen werden, dass es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für das Wohlergehen der Individuen gibt. Dies beinhaltet insbesondere faire Einkommensverteilung, ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten in wettbewerbsfähigen Betrieben, soziale Absicherung gegen Risiken wie Krankheit, Invalidität, Arbeitslosigkeit, Alter, Unterstützung von Familien, Bildungschancen für alle, Absicherung gegen Armut sowie hochwertige und erschwingliche Dienstleistungen von allgemeinen Interesse.

3.7   Wirtschaftliche Dynamik und sozialer Fortschritt sind keine Gegensätze, sondern unterstützen einander. Eine soziale Marktwirtschaft verbindet Wettbewerbsfähigkeit mit sozialer Gerechtigkeit. Es ist wichtig, die Bereiche Soziales, Wirtschaft und Umwelt einander gleichzustellen.

4.   Ziele und Prioritäten

4.1   Der EWSA hält die Unterstützung der Mitgliedstaaten durch die Union — in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern — bei der Anwendung, Angleichung und Überwachung der gemeinsamen Flexicurity-Grundsätze für sinnvoll und notwendig. Vorrangig sollte es dabei darum gehen, die Menschen zu unterstützen und deren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Soziale Gesichtspunkte müssen besondere Berücksichtigung finden. Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten bestrebt sein, die Diskussion über mögliche Reformen, mit einer Stärkung und Modernisierung der Arbeitsbeziehungen auf allen Ebenen zu verbinden. Der EWSA fordert deshalb eine engere Verknüpfung zwischen der Flexicurity-Debatte und dem Ausbau des Sozialen Dialogs auf allen Ebenen sowie den Tarifverhandlungen auf den jeweiligen Ebenen. Das Konzept der Flexicurity sollte für eine ausgewogene Förderung sowohl der Flexibilität als auch der Sicherheit sorgen. Das Flexicurity-Konzept steht nicht für eine einseitige und ungerechtfertigte Beschneidung der Arbeitnehmerrechte, die vom EWSA abgelehnt wird (4).

4.2   Vor allem junge arbeitsuchende Menschen sind beim Zugang zur Beschäftigung mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Die „Generation Praktikum“ findet oft atypische Arbeitsformen vor, die in einigen Fällen zu prekären Arbeitsverhältnissen führen können (5). Maßnahmen zur aktiven Eingliederung und Unterstützung des lebenslangen Lernens sind ausdrücklich zu begrüßen. Hochwertige Arbeitsplätze und sichere Jobs hängen stark mit einer guten und breiten Ausbildung zusammen. Die Europäische Union und insbesondere die Mitgliedstaaten müssen aber darüber hinaus einen Policy-Mix entwickeln, um die Fertigkeiten und Qualifikationen einerseits und die Anforderungen der Unternehmen andererseits besser aufeinander abzustimmen. Es sollte eine höhere „Employability“ von Absolventen sichergestellt werden und es sollten die Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessert werden, um hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen. Weiters müssen Maßnahmen ergriffen werden, um prekäre Arbeitsverhältnisse zu vermeiden. Am Vorabend der Evaluierung des Europäischen Paktes für die Jugend (2005) wäre es nützlich, endlich Schritte zu setzen.

4.3   Sinnvoll wäre auch eine Gemeinschaftsinitiative zur Förderung hochwertiger Arbeitsplätze für Jugendliche. Diese sollte darauf abzielen, mit aktiver Unterstützung der Sozialpartner die Qualität und die Leistungen der Absolventen mit Hilfe einer neuen Anlaufstelle im Rahmen des Programms JASMINE-Mikrokredite (6) zu würdigen.

4.4   Der EWSA hält die Förderung unternehmerischen Handelns, die Vermittlung von unternehmerischer Kompetenz und die Unterstützung der finanziellen Bildung in der EU für wichtig. Unternehmertum im weitesten Sinne — das eine innovative und kreative Einstellung stimulieren und fördern kann — ist ein wesentliches Instrument der Lissabon-Agenda, mit dessen Hilfe das Wachstum gesteigert, bessere Arbeitsplätze geschaffen, der soziale Zusammenhalt hergestellt und soziale Ausgrenzung bekämpft werden können (7).

4.5   Im Rahmen der Beschäftigungsstrategie und der Offenen Methode der Koordinierung sollten viel ehrgeizigere effektivere und besser messbare Ziele mit mehr Vollzugsbefugnissen der Europäischen Kommission aufgestellt werden. Es ist wieder eine Konzentration auf quantitative europäische Ziele erforderlich, insbesondere in den Bereichen Aktivierung, Bildung und lebenslanges Lernen, Beschäftigung von Jugendlichen, Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung und Gleichbehandlung von Männern und Frauen (8).

4.6   Bei der Unterstützung des lebenslangen Lernens sollte das bildungspolitische Paradoxon — also der Umstand, dass Minderqualifizierte bei der Weiterbildung benachteiligt werden — besondere Beachtung finden.

4.7   Bekämpfung der Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit, Förderung der Gleichstellung von Mann und Frau und einer höheren Frauenerwerbsquote, Stärkung des Gemeinschaftsprogramms für Beschäftigung und soziale Solidarität — Progress 2007-2013 (9) — insbesondere zwecks Steigerung der Kapazitäten der wichtigsten Netzwerke der Union zur Förderung und Unterstützung der Gemeinschaftspolitiken und zwecks Einführung fortschrittlicher Instrumente zur Prüfung der Bedürfnisse und der Perspektiven (Foresight) mit partizipativen Verfahren nach dem „Bottom-up“-Ansatz.

4.8   Die Rahmenbedingungen für den Sozialen Dialog müssen verbessert werden. In diesem Zusammenhang stellt der Ausschuss fest, dass ein optionaler Rahmen für transnationale Kollektivvertragsverhandlungen als Teil der sozialpolitischen Agenda 2005 (10) noch nicht geschaffen wurde.

4.9   Der EWSA teilt die Ansicht der Kommission, dass eine rasche positive Einigung über die Richtlinienvorschläge zur Arbeitszeit (11) und zur Leiharbeit (12) von großer Bedeutung ist. Insofern begrüßt der EWSA die Annahme der Leiharbeits-Richtlinie im Rat.

4.10   Mehrere jüngere Urteile des Europäischen Gerichtshof (Rechtssachen Laval (13), Viking (14) und Rüffert (15)) haben das Spannungsverhältnis zwischen den Binnenmarktrechten einerseits und den Grundrechten — insbesondere den Gewerkschaftsrechten — andererseits auf brisante Art und Weise aufgezeigt und grundlegende Fragen aufgeworfen. Daraus ergibt sich ein entsprechender Handlungsbedarf. Das von der Kommission anberaumte Diskussionsforum ist ein erster Schritt. Nun sollte die Kommission die Auswirkungen des Binnenmarkts auf die Arbeitnehmerrechte und die Tarifverhandlungen einer eingehenden Prüfung unterziehen. Falls notwendig und angebracht, sollten geeignete und konkrete Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer so schnell wie möglich getroffen werden, die klarstellen, dass weder wirtschaftliche Freiheiten noch Wettbewerbsregeln Vorrang vor sozialen Grundrechten haben.

4.11   Die Mobilität der Menschen bietet vielfältige Chancen und trägt zur Steigerung des Wirtschaftswachstums und der Wettbewerbsfähigkeit bei. Neben diesen positiven Aspekten hält es der Ausschuss aber auch für notwendig, dass die negativen Seiten der Mobilität insbesondere im Zusammenhang mit größeren Migrationswellen beleuchtet werden. Damit sind insbesondere soziale Auswirkungen, wie die soziale und familiäre Situation der Migranten und ihrer Familienangehörigen, Sozialdumping vor allem im Zusammenhang mit illegaler Beschäftigung, die Wohnverhältnisse der Migranten sowie mögliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gemeint. Weiters sollten auch die mittel- und langfristigen Auswirkungen auf das Bildungssystem im Herkunftsland und des „Brain Drain (16) beleuchtet werden. Die Ergebnisse sollten dann die Basis für Maßnahmen zur Hintanhaltung derartiger Auswirkungen bilden.

4.12   Der EWSA begrüßt es, wenn die Kommission darauf hin wirken will, dass sich qualitativ hochwertige, leicht zugängliche und tragfähige soziale Dienstleistungen entwickeln. Er spricht sich klar dafür aus, dass das allgemeine Interesse an diesen Dienstleistungen Vorrang vor den Binnenmarkt- und Wettbewerbsvorschriften behalten muss. Notwendig ist jedenfalls eine Klärung der einschlägigen Begriffe und Regelungen. Der Ausschuss schlägt daher eine mehrgleisige, progressive Konzeption vor, in der sektorielle und thematische Ansatzpunkte miteinander verbunden werden. Dies sollte zur Verabschiedung von Rechtsakten da, wo sie nötig sind, und/oder zur Anpassung dieser Grundsätze und Bedingungen an die verschiedenen betroffenen Branchen führen (horizontaler Ansatz mit sektorspezifischer Ausrichtung) (17).

4.13   In Anbetracht der Befürchtungen in weiten Teilen der europäischen Bevölkerung, dass der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung in 20 Jahren für viele nicht mehr gewährleistet sei (18), sollten entsprechende, klare und transparente Ziele entwickelt und mit einem geeigneten Monitoring und Öffentlichkeitsarbeit verfolgt werden.

4.14   Gerade im Zusammenhang mit dem Vergaberecht von einem „ausgeprägten sozialen Reflex“ (19) zu sprechen, ist in Anbetracht des EuGH Urteils in der Rechtssache Rüffert kühn. Auch darf nicht übersehen werden, dass die europäischen Vergaberichtlinien vorwiegend und die Realität der öffentlichen Auftragsvergaben fast ausschließlich auf wirtschaftliche Aspekte ausgerichtet sind. Um soziale Gesichtspunkte entsprechend berücksichtigen zu können, benötigen die öffentlichen Auftraggeber klare und verbindliche Rahmenbedingungen. Ein soziales Gesicht würden öffentliche Auftragsvergaben darüber hinaus bekommen, wenn die Berücksichtigung bestimmter sozialer Gesichtspunkte nicht bloß ermöglicht, sondern darüber hinaus verbindlich vorgeschrieben wird. Der EWSA erachtet es daher als sinnvoll, dass seitens der Kommission konkrete Überlegungen in diese Richtung angestellt werden. So könnten hier etwa soziale Vorgaben auf Grund von europäischen Leitlinien herangezogen werden, um auf diesem Wege das Potential der Offenen Methode der Koordinierung stärker auszuschöpfen.

4.15   Der EWSA hat bereits in der Stellungnahme zur Arbeitszeit-Richtlinie (20) bedauert, dass die Europäische Union eine Chance verspiele, sollte sie nicht die Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf mit berücksichtigen. Der EWSA begrüßt daher ausdrücklich die Ergebnisse der Konsultation der Kommission mit den Sozialpartnern zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf und die mittlerweile veröffentlichten Vorschläge zu besseren Bedingungen beim Mutterschutzurlaub (21) und zu mehr Rechten für selbstständig erwerbstätige Frauen (22). Der Ausschuss begrüßt auch, dass die Europäischen Sozialpartner eine Revision der Richtlinie über Elternurlaub in Angriff nehmen.

4.16   Die gemeinschaftlichen Aktionen zur Förderung der Gleichstellung, zur Unterstützung der Menschen mit Behinderungen, zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und Förderung aktiver Eingliederung sollten nach Auffassung des Ausschusses um verstärkte aktive politische Maßnahmen ergänzt werden, die auch auf die Beschäftigung älterer Menschen sowie auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen und Arbeitslose ausgerichtet sind. Auch die Bekämpfung der Armut muss eine Priorität sein. Dabei sollten Frauen und Alleinerziehende besondere Beachtung finden. Gleichzeitig ist auch eine Stärkung der politischen Maßnahmen für eine ausgewogene Integration von Zuwanderern erstrebenswert. Der EWSA kann über die Arbeitsmarktbeobachtungsstelle aktiv zu diesen Analysen beitragen.

5.   Instrumente

5.1   Die EU hat in den letzten Jahrzehnten rechtliche Mindeststandards in den Bereichen der Gleichstellung der Geschlechter und Nichtdiskriminierung sowie in einigen Bereichen der Arbeitsbedingungen sowie der kollektiven Wahrnehmung der Rechte der Arbeitnehmer geschaffen. Diese Rechtsvorschriften sind ein ganz wesentlicher Teil der europäischen Sozialpolitik. Obwohl einige Schritte vorwärts gemacht wurden besteht noch viel Raum für weitere Verbesserungen.

5.2   Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die gesamte Palette der sozialpolitischen Instrumente (Rechtsvorschriften, Methode der offenen Koordinierung, autonome Sozialpartnervereinbarungen), genützt wird und das für das jeweilige Thema adäquateste Instrument zum Einsatz kommt. Faktum ist, dass manche Bereiche auf europäischer Ebene noch gar nicht behandelt wurden, wie etwa die Entgeltfortzahlung bei Krankheit, die Definition der Arbeitnehmereigenschaft oder der Versetzungsschutz. Andere Bereiche sind nur teilweise abgedeckt, wie etwa die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Kündigungsschutz.

5.3   Wichtig ist zweifellos die wirksame Umsetzung in nationales Recht, die Anwendung und die Durchsetzung der geltenden Rechtsvorschriften. Insofern geht der EWSA mit der Kommission konform. Es ist auch wichtig, dass bei der Umsetzung der Mindeststandards diese als Sprungbrett für die tatsächliche Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen betrachtet werden und nicht als Endpunkt der Entwicklung. Eine gute Umsetzung benötigt wirksame und geeignete Instrumente und Unterstützung vor allem bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Letzteres zeigte sich insbesondere bei der Umsetzung und Anwendung der Entsenderichtlinie (23). Nicht ein bloßer Appell zur Zusammenarbeit, sondern nur europaweit verbindliche Rahmenbedingungen werden hier reichen. In diesem Zusammenhang muss insbesondere auch der Schaffung wirksamer Maßnahmen beim Vollzug grenzüberschreitender Sachverhalte erhöhter Stellenwert eingeräumt werden.

5.4   Der intersektorale, sektorale und grenzübergreifende soziale Dialog ist nach wie vor eine der tragenden Säulen des Sozialmodells in den Mitgliedstaaten und auf der EU-Ebene. Arbeitgeber und Gewerkschaften spielen bei der Bewältigung der sozialpolitischen Herausforderungen eine Schlüsselrolle, da sie im Hinblick auf den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt die treibenden Kräfte sind (24).

5.5   Der zivilgesellschaftliche Dialog, der vom sozialen Dialog deutlich zu unterscheiden ist, wird in der Zukunft eine weitere tragende Säule sein. Die Einbindung aller Bürgerinnen und Bürger und ihrer Organisationen auf sämtlichen Ebenen in den Aufbau eines sozialen Europas wird eine echte Herausforderung darstellen (25).

5.6   Der EWSA teilt die Ansicht der Kommission, dass das Potential der offenen Methode der Koordinierung (OKM) ausgebaut werden soll und dabei sowohl quantitative als auch qualitative Zielvorgaben zum Einsatz kommen sollen. Der EWSA bekräftigt, dass die offene Methode der Koordinierung „stärker vor Ort“ stattfinden und dadurch den partizipativen Bottom-Up-Ansatz widerspiegeln und die erforderliche Koordinierung zwischen den Partnern und den politischen Maßnahmen sicherstellen sollte (26). Es wird aber weiters empfohlen, das Europäische Parlament stärker in die OKM einzubeziehen. Dadurch könnte die demokratische Legitimation der OKM erhöht werden.

5.7   Die Entwicklung von Zielvorgaben für das Wohl der Bürger, die über den üblichen Indikator BIP pro Kopf hinausgehen, wird begrüßt und kann dazu beitragen die vorwiegend ökonomische Betrachtungsweise der Leistungen von Volkswirtschaften zu relativieren (27).

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Siehe „Expectations of European citizens regarding the social reality in 20 years’ time“, Analytic Report, Mai 2008, Punkt 2.9.; Flash Eurobarometer Series #227.

(2)  KOM(2008) 412 endg.; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Eine erneuerte Sozialagenda: Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts“.

(3)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU“, Berichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 27 vom 3.2.2009), Ziffer 4.1, S. 99.

(4)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Flexicurity — Tarifverhandlungen und Sozialer Dialog“, Berichterstatter: Herr JANSON (ABl. C 256 vom 27.10.2007; Ziffer 1.4, S. 108).

(5)  Siehe dazu das vorgeschlagene Maßnahmenbündel des EWSA, jungen Menschen Zukunftsperspektiven abseits prekärer Beschäftigung zu geben. In: Initiativstellungnahme „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen“ vom 12.7.2007, Berichterstatter: Herr GREIF; Kapitel 5: Effektive Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit (ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 93).

(6)  Siehe Stellungnahme CESE zum Thema „Kleinstkredite“, Berichterstatter: Herr PEZZINI ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 23.

(7)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Unternehmergeist und Lissabon Agenda“, Berichterstatterin: Frau SHARMA; Mitberichterstatter Herr OLSSON (ABl. C 44 vom 16.2.2008; Ziffer 1.1, S. 84)

(8)  Siehe Stellungnahme CESE zum Thema „Beschäftigungspolitische Leitlinien“ Berichterstatter: Herr GREIF (ABl. C 162 vom 25.6.2008, Ziffer 2.1, p. 92).

(9)  Beschluss Nr. 1672/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 2006 über ein Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität — Progress (ABl. L 315 vom 15.11.2006).

(10)  Mitteilung der Kommission, „Sozialpolitische Agenda“ vom 9.2.2005, KOM(2005) 33 endg.

(11)  Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung; KOM(2005) 246 endg.

(12)  Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern; KOM(2002) 701 endg.

(13)  EuGH Rechtssache C-341/05: Laval un Partneri Ltd/Svenska Byggnadsarbetareförbundet (schwedische Bauarbeitergewerkschaft).

(14)  EuGH Rechtssache C-438/05: International Transport Workers' Federation u.a../. Viking Line ABP u.a.

(15)  EuGH Rechtssache C-346/06: Rechtsanwalt Dr. Dirk Rüffert als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Objekt und Bauregie GmbH & Co. KG gegen Land Niedersachsen.

(16)  Emigration besonders ausgebildeter oder talentierter Menschen aus einem Land.

(17)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts“, Berichterstatter Herr CASSIDY, Mitberichterstatter Herr HENCKS und Herr CAPPELLINI, Ziffern 1.13 und 1.15 (ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 15).

(18)  Siehe „Expectations of European citizens regarding the social reality in 20 years’ time“, Analytic Report, Mai 2008, Punkt 2.9.; Flash Eurobarometer Series #227; Survey conducted by The Gallup Organization Hungary upon the request of Directorate-General Employment.

(19)  KOM(2008) 412 endg., Pkt. 5.6.

(20)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung“, Berichterstatterin: Frau ENGELEN-KEFER (ABl. C 267 vom 27.10.2005, S. 16).

(21)  Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 92/85/EWG vom 3. Oktober 2008, KOM(2008) 600/4.

(22)  Vorschlag für eine Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, und zur Aufhebung der Richtlinie 86/613/EWG, 2008, KOM(2008) 636 endg.

(23)  Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen;(ABl. Nr. L 018 vom 21.1.1997).

(24)  Siehe EWSA-Stellungnahme vom 9.7.2008 zum Thema „Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU“, Berichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 99), Ziffer 5.6.

(25)  Siehe EWSA-Stellungnahme vom 9.7.2008 zum Thema „Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU“, Berichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 99), Ziffer 5.7.

(26)  Siehe EWSA-Stellungnahme vom 9.7.2008 zum Thema „Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU“, Berichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 99), Ziffer 7.9.3.

(27)  Siehe EWSA-Stellungnahme vom 9.7.2008 zum Thema „Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU“, Berichterstatter: Herr OLSSON (ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 99), Ziffer 7.9.2.


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/71


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu derMitteilung der Kommission an den Europäischen Rat „Europäisches Konjunkturprogramm“

KOM(2008) 800 endg.

(2009/C 182/15)

Hauptberichterstatter: Herr DELAPINA

Die Europäische Kommission beschloss am 26. November 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Europäisches Konjunkturprogramm“

KOM(2008) 800 endg.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt am 2. Dezember 2008 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 15. Januar 2009) Herrn DELAPINA zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 179 gegen 1 Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerung

1.1   Mit dem globalen Programm zur Stabilisierung des Finanzsektors in all seinen verschiedenen nationalen Ausprägungen hat die internationale Staatengemeinschaft ein deutliches Zeichen gesetzt: Die Wirtschaftspolitik hat sichtbare Verantwortung für die globale wirtschaftliche Stabilität übernommen. Mit dem Europäischen Konjunkturprogramm hat nun auch die Europäische Union klar ihre Bereitschaft bekundet, der Krise entschlossen mit allen verfügbaren Mitteln entgegenzuwirken.

1.2   Der psychologische Effekt des Konjunkturprogramms ist ebenso hoch einzuschätzen wie der Effekt der eingesetzten Geldbeträge. Denn diese Signale der Wirtschaftspolitik sollten eine massive Stabilisierung des Vertrauens der Konsumenten und Investoren bewirken. Allerdings müssen rasch Handlungen aller Stakeholder — insbesondere Europäische Kommission und Mitgliedstaaten — folgen, damit sich nicht die pessimistischen Erwartungen verfestigen.

1.3   Die Schritte zur Belebung der Realwirtschaft werden die gewünschte Wirkung nur dann erfüllen können, wenn die volle Funktionsfähigkeit des Finanzsektors wiederhergestellt ist. Dazu bedarf es neben den diversen Rettungspaketen einer vertrauensbildenden Neuordnung und Neuregulierung der Finanzmärkte auf allen Ebenen.

1.4   Die europäische Wirtschaftspolitik hat die Notwendigkeit erkannt, ihre bislang angebotsseitige Orientierung um eine aktive antizyklische makroökonomische Politik zu ergänzen. Weiters begrüßt der EWSA auch das Bekenntnis zu einem besseren Schutz für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft und zu einer wirksameren Koordinierung der Wirtschaftspolitik. Allerdings erscheint die Dimension des EU-Konjunkturprogramms im Vergleich zu in anderen Weltregionen geschnürten Paketen relativ gering.

1.5   Der Ausschuss erachtet es als unerlässlich, dass Programme für öffentliche Investitionen und finanzielle Anreize, die auf die Konjunkturunterstützung abzielen, auch zum Übergang zu einer in der Zukunft erforderlichen kohlenstoffarmen Wirtschaft beitragen. Er fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihre Konjunkturpläne und –programme entsprechend anzulegen.

2.   Von der Subprime-Krise zur globalen Rezession

2.1   Die Ursachen der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise sind vielfältig. Die G-20 Staats- und Regierungschefs nannten in ihrer Erklärung vom Gipfel am 15. November folgende: Geld- und Wechselkurspolitiken, die zu exzessiver Liquidität führten, fehlende oder unzureichende Regulierung bestimmter Bereiche oder Akteure, die Jagd nach unrealistisch hohen Renditen bei unzureichender Bewertung oder Kenntnis der Risken durch Marktakteure sowie durch Aufsichts- und Regulierungsinstanzen, exzessive Hebeleffekte, unzureichende Koordinierung makroökonomischer Politiken sowie unzureichende Strukturreformen. Dadurch entstanden Fehlentwicklungen, welche die Notwendigkeit für eine Revision der Spielregeln für Akteure, Produkte und Märkte deutlich machten.

2.2   In den USA ist Mitte 2007 ein Pyramidenspiel mit Immobilienkrediten zusammengebrochen, als die Immobilienpreise nicht mehr weiter stiegen. In einem überhitzten Immobilienmarkt mit unrealistisch optimistischen Erwartungen wurden Kreditnehmern mit schlechter Bonität Kredite gewährt, die von den Banken ausgelagert und weiterverkauft wurden. Neue hochspekulative und intransparente Finanzprodukte entstanden, die sich jeder Überwachung oder Regulierung entzogen. Das Ausmaß des Risikos war dabei vielen Beteiligten nicht bewusst.

2.3   Das Platzen der Immobilien-Blase in den USA aber auch in einigen EU-Staaten führte in der Folge zu einer Krise von Hedge-Fonds, Investment- und Kommerzbanken sowie Versicherungen. Durch die Verbriefung der Risken wurde die globale Finanzwelt in Form von Schockwellen tief erschüttert. Unsicherheit und Misstrauen unter den Finanzinstitutionen führten auch bei an sich gesunden Finanzinstituten zu einer Blockade der gegenseitigen Kreditvergabe und zu einer Austrocknung des Interbankenmarktes.

2.4   Über vielfältige Transmissionskanäle fand die Finanzmarktkrise schließlich auch in der Realwirtschaft ihren Niederschlag. Dazu zählen unter anderem die Kreditklemme, gestiegene Finanzierungskosten, die negativen Vermögenseffekte aus dem Aktienkursverfall, Einbrüche von Exportmärkten, Vertrauenseffekte sowie Wertberichtigungen und Ausfallsrisiko in Bilanzen. Mittlerweile steht fest, dass sich zu Jahresbeginn 2009 die gesamte OECD in einer Rezession befindet, deren Länge und Tiefe auch von Experten derzeit nicht mit Sicherheit beurteilt werden können.

3.   Die dringendsten Herausforderungen

3.1   In einem ersten Schritt galt es, die Kettenreaktion auf den Finanzmärkten zu stoppen. Die Zentralbanken, insbesondere die EZB, versorgten die Märkte mit Liquidität, um deren weiteres Funktionieren sicherzustellen. Auf nationaler und internationaler Ebene wurden zahlreiche Rettungspakete geschnürt, welche Maßnahmen wie Kapitalzuschüsse und –beteiligungen bis hin zur Verstaatlichung angeschlagener Finanzinstitute, öffentliche Garantien, verbesserte Einlagensicherung für Sparguthaben etc. enthielten. Zu einem gewissen Grad halfen diese Maßnahmen den Banken, ihren normalen Geschäftsgang fortzusetzen.

3.2   Der zweite wichtige Schritt besteht darin, die Realwirtschaft zu stärken. Das Vertrauen von Konsumenten und Investoren muss wieder hergestellt werden. Dazu bedarf es Maßnahmen zur Belebung der Binnennachfrage und zur Stabilisierung auf den Arbeitsmärkten. Insbesondere die unteren Einkommensgruppen müssen gestärkt werden, da diese von den Auswirkungen der Krise besonders betroffen sind, aber auch, weil diese über die höchste inlandswirksame Konsumquote verfügen.

3.3   Daneben müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche die Auswirkungen auf den Unternehmenssektor abfedern. Diesem fällt als Produzent, Investor, Exporteur und mit seinen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten eine Schlüsselrolle für die Wiederbelebung der Wirtschaft zu, und er trägt entscheidend zur Schaffung von Arbeitsplätzen und damit der Schaffung von Binnennachfrage bei. Neben den zyklischen Aspekten dürfen allerdings Fragen der Nachhaltigkeit und strukturelle Aspekte nicht vernachlässigt werden.

3.4   Weiters gilt es, einen Umbau der internationalen Finanzarchitektur und eine wirkungsvollere Regulierung der Finanzmärkte vorzunehmen. Auch die Vorschriften für Aufsichtsbehörden und deren Koordinierung, für Ratingagenturen sowie für Bilanzierung und Rechnungslegung müssen in einer Weise geändert werden, welche geeignet sind, Krisen wie die gegenwärtige zu verhindern.

4.   Die Rolle der europäischen Wirtschaftspolitik

4.1   Auch wenn die Krise ursprünglich eine rein US-amerikanische war, so wurde die europäische Wirtschaft durch die globale Vernetzung mitgerissen. Der Euro hat sich dabei als Stabilitätsanker bewährt. Ohne gemeinsame Währung wären die Auswirkungen auf die nationalen Wirtschaften weit gravierender ausgefallen. Eine internationale Krise bedarf auch internationaler Antworten. Für die europäische Wirtschaftspolitik besteht enormer Handlungsbedarf. Die in Abschnitt 3 beschriebenen Herausforderungen erfordern ein rasches, entschlossenes, massives, zielgerichtetes und koordiniertes proaktives Handeln, wobei viele Maßnahmen temporären Charakter haben.

4.2   Dabei ist es notwendig, aus der Vergangenheit zu lernen. Als zu Beginn des Jahrzehnts nach dem Platzen der IT-Blase und den Terroranschlägen in den USA alle wesentlichen Weltregionen einen kräftigen Konjunktureinbruch verzeichneten, verzichtete die europäische Wirtschaftspolitik als einzige auf eine aktive Konjunkturbelebung durch die Haushalts- und Geldpolitik unter Einbindung der Nachfrageseite. Dies trug dazu bei, dass die Krise erst nach vier Jahren überwunden werden konnte und dass weite Teile Europas bis heute an einer Schwäche der Binnennachfrage leiden, was die Verwundbarkeit durch internationale Nachfrageausfälle drastisch verstärkt hat.

4.3   Die Ernsthaftigkeit der gegenwärtigen Krise wurde von den entscheidenden wirtschaftspolitischen Instanzen zu spät erkannt. Noch bis September äußerten sich die Wirtschafts- und Finanzminister des ECOFIN skeptisch gegenüber einem Konjunkturprogramm. Obwohl die Wirtschaft der Eurozone bereits im zweiten Quartal 2008 schrumpfte, erhöhte die EZB im Sommer nochmals die Leitzinsen. Auch die Uneinigkeit der Regierungschefs bei ihrem Gipfel zur Finanzkrise in Paris ließ die Hoffnung auf ein rasches gemeinsames Vorgehen schrumpfen. Und die unkoordinierten nationalen Schritte zur Verbesserung der Einlagensicherung für Sparguthaben erweckten nicht den Eindruck eines geschlossenen Handelns in der Europäischen Union. Daraus wird klar, dass purer Aktionismus nicht hilfreich ist. Vielmehr ist eine bessere Koordinierung von Programmen sowie der Maßnahmenpakete, vor allem auf nationaler Ebene, gefordert.

5.   Das Europäische Konjunkturprogramm der Europäischen Kommission

5.1   Umso erfreulicher ist es, dass die Europäische Kommission nun klar und deutlich ihren Willen und ihre Bereitschaft zu einem entschlossenen und koordinierten Handeln bekundet hat. Mit ihrer Strategie zur Bewältigung der Finanzkrise sollen die Probleme der Wirtschaft im weiteren Sinne angegangen und Europa eine Schlüsselrolle bei der weltweiten Reaktion auf die Finanzkrise eingeräumt werden. Weiters wurde die Kommission von den Staats- und Regierungschefs ersucht, für ihre Dezember-Tagung Diskussionsvorschläge für ein koordiniertes Vorgehen zu erarbeiten. Diese wurden Ende November in Form eines „Europäischen Konjunkturprogramms“ vorgelegt, welches rechtzeitig, befristet, zielgerichtet und koordiniert sein soll. In der Folge verabschiedete der Europäische Rat am 11./12. Dezember 2008 in Brüssel ein entsprechendes Programm.

5.2   Konkret wird ein Budgetimpuls von 1,5 % des BIP der EU vorgeschlagen, also 200 Mrd. EUR für die Jahre 2009/2010. 170 Mrd. sollen von den Mitgliedstaaten kommen, 30 Mrd. werden aus dem EU-Haushalt und von der EIB bereitgestellt.

5.3   Neben der Verstärkung der Aktivitäten der EIB, insbesondere in Bezug auf KMU, wird durch die Vereinfachung und Beschleunigung von Verfahren eine vorgezogene Bereitstellung von Mitteln aus Struktur- und Kohäsionsfonds sowie der Fonds für ländliche Entwicklung angestrebt. Der europäische Sozialfonds soll Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung, insbesondere zugunsten der schwächsten Bevölkerungsgruppen finanzieren, und die Wirksamkeit des Europäischen Globalisierungsfonds soll verbessert werden. Ebenso sind erleichternde Bedingungen für Staatsbeihilfen und Maßnahmen zur Beschleunigung öffentlicher Ausschreibungen vorgesehen.

5.4   Die Maßnahmen der Mitgliedstaaten sollen im Rahmen der erhöhten Flexibilität des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspaktes zusätzlich zur Wirkung der automatischen Stabilisatoren über Staatsausgaben und/oder Steuersenkungen die Nachfrage stimulieren, wofür der Kommissionsvorschlag einige konkrete Beispiele anführt. Dazu zählen etwa zeitweilig erhöhte Transferzahlungen an Arbeitslose oder Haushalte mit niedrigen Einkommen, öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Ausbildung, Unterstützung für KMU (etwa Darlehen oder Risikobeteiligung), Maßnahmen gegen den Klimawandel, eine Senkung von Steuern und Sozialabgaben für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie eine vorübergehende Senkung des MwSt-Normalsatzes. Die Befristung von Maßnahmen soll dazu dienen, dass das Konjunkturpaket nicht mittel- und längerfristig die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen untergräbt.

5.5   Die Maßnahmen der Mitgliedstaaten sollen koordiniert erfolgen, da die Ausgangslage und Spielräume der einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind. Sie sollen zeitlich begrenzt sein, da anschließend wieder die mittelfristigen Haushaltsziele zu beachten sind. Unterstützt sollten diese Maßnahmen durch Strukturreformen werden, welche für ein besseres Funktionieren der Märkte und eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit sorgen.

5.6   Eine enge Abstimmung des Konjunkturprogramms mit den Schwerpunktbereichen der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung (Menschen, Wirtschaft, Infrastruktur und Energie, Forschung und Innovation) soll angestrebt werden. Die Europäische Kommission hat ein Maßnahmenpaket zur Umsetzung des Europäischen Konjunkturprogramms und zur Stärkung der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung verabschiedet. Die Annahme der Länderkapitel, in denen die Fortschritte der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie beurteilt werden, erfolgt im Neuen Jahr (1). Das Konjunkturprogramm präsentiert dazu eine breite Palette von Maßnahmen, und jede Regierung ist aufgefordert, sich daraus die angemessenen herauszupicken.

5.7   Eine weitere wichtige Stoßrichtung des Konjunkturprogramms geht in Richtung „grüne“ Wirtschaft, d.h. intelligente Produkte für eine kohlenstoffarme Wirtschaft. Dazu zählen Investitionen in Energieeffizienz, Umwelt und Klimaschutz. Auch die Maßnahmen zur Unterstützung besonders von der Krise betroffener Branchen wie Automobil- und Bausektor sollen mit Umwelt- und Energiesparzielen gekoppelt sein.

5.8   Nicht zuletzt betont das Programm die Notwendigkeit einer weltweit abgestimmten Vorgangsweise unter Einschluss der Schwellenländer, um zum Wirtschaftswachstum zurückzukehren.

6.   Eine erste Einschätzung des EWSA

6.1   Qualitative Bewertung

6.1.1   Das Kommissionsdokument identifiziert in angemessener Form die anstehenden Herausforderungen, Handlungsanfordernisse und Notwendigkeiten. Europa muss rasch, selbstbewusst, gezielt und ehrgeizig handeln. Europa muss sich dabei seiner Bedeutung bewusst sein und sein volles Gewicht in die internationale Waagschale werden.

6.1.2   Vertrauen und Nachfrage müssen gestärkt werden, um die Abwärtsspirale zu stoppen. Insbesondere die negativen Auswirkungen der Krise auf den Arbeitsmarkt und auf die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft müssen mit Vehemenz bekämpft werden. Das bisherige makroökonomische Policy-mix bot keine geeigneten Antworten auf die anstehenden Probleme, da es die Bedeutung der Binnennachfrage im Wirtschaftskreislauf vernachlässigte. Die Kommission greift nun spät aber doch die seit Jahren vom EWSA eingeforderte aktive, nachfragestärkende Rolle der Haushalts- und der Geldpolitik auf, welche gleichrangig neben den angebotsseitigen Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit stehen müssen. Die Kommission und die Mitgliedstaaten haben endlich erkannt, dass die Haushaltspolitik expansive Maßnahmen setzen muss, da die Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen in der gegenwärtigen Situation äußerst begrenzt ist.

6.1.3   Interessant erscheint in diesem Zusammenhang der Hinweis der Kommission auf die stärkere Flexibilität des Stabilitäts- und Wachstumspaktes seit dessen Reform im Jahr 2005. Diese müsse in der derzeitigen Situation genutzt werden, was bedeutet, dass unter den derzeitigen außergewöhnlichen Umständen des gleichzeitigen Auftretens von Finanzkrise und Rezession auch ein vorübergehendes Überschreiten der 3-Prozent-Defizitgrenze als sinnvoll erachtet wird.

6.1.4   Der EWSA begrüßt, dass die Kommission die positive Rolle hervorhebt, welche die EZB bei der Unterstützung der Realwirtschaft zu spielen hat. Die Kommission verweist dabei auf den wesentlichen Beitrag, den die EZB zur Stabilisierung der Märkte durch die Vergabe von Krediten an Banken sowie ihren Beitrag zur Liquidität geleistet hat sowie auf den Spielraum für Zinssenkungen.

6.1.5   Es ist evident, dass nach Bewältigung der Krise im nächsten Aufschwung wieder mittelfristige Ziele der Haushaltspolitik beachtet werden müssen, um nicht die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu gefährden. Dabei wird darauf zu achten sein, dass es nicht erneut zur Mehrbelastung des Faktors Arbeit oder zu unzumutbaren Leistungseinschränkungen auf der Ausgabenseite kommt. Deshalb wären bereits jetzt Konzepte anzudenken, die zum Beispiel neue Einnahmenquellen erschließen. Darüber hinaus sollte unter anderem berücksichtigt werden, dass eine Rückführung von in der Krise gestiegenen Staatsquoten kein Ziel per se darstellt. Bei einer alternden Bevölkerung und hohen sozialen Standards wie im europäischen Sozialmodell ist ein höheres Niveau von Staatsquoten nicht notwendigerweise ein Übel. Schließlich weisen auch diejenigen Staaten, die allgemein wegen ihrer gelungenen Flexicurity-Strategie gelobt werden, überdurchschnittliche Staatsquoten auf.

6.1.6   Es ist unumgänglich, dass die nationalen Maßnahmen nicht nur durch europäische ergänzt werden, sondern auch, dass sie koordiniert erfolgen. Damit sollen positive grenzüberschreitende Spillover-Effekte erzielt und das Trittbrettfahrer-Problem vermieden werden. Staaten, die das Konjunkturprogramm nicht mittragen, können die Wirkung der Maßnahmen dämpfen. Und diejenigen Länder, die aktiv die Konjunktur stabilisieren, werden zu Defizitsündern abgestempelt. Aus der Gesamtsicht betrachtet liegt somit eine besondere Verantwortung auf denjenigen Mitgliedstaaten, die durch ihre Größe die Gesamtentwicklung maßgeblich beeinflussen und die über relativ große budgetäre Spielräume verfügen.

6.1.7   Positiv zu vermerken ist auch, dass bei der Ankurbelung des Wachstums Ziele bezüglich Umwelt, Klimawandel und Energie ebenso wenig vernachlässigt werden wie die Sicht über die Grenzen der hoch entwickelten Industrieländer hinaus. In globaler Sicht ist auch der Einsatz gegen ungerechtfertigte protektionistische Maßnahmen von Bedeutung.

6.2   Quantitative Bewertung

6.2.1   Der EWSA möchte in der vorliegenden Stellungnahme den Schwerpunkt auf die generelle makroökonomische Einschätzung legen. Er wird seine Arbeiten aber fortsetzen und die Vorschläge und Beschlüsse in einer weiteren Stellungnahme im Detail prüfen und beurteilen. Dabei werden notwendige Änderungen im Beihilfenrecht ebenso noch zu diskutieren sein wie Regeländerungen für den Globalisierungsfonds. Einige der Maßnahmen aus dem reichhaltigen von der Kommission angebotenen „Werkzeugkasten“ werden kritisch zu hinterfragen sein. Dazu zählt etwa die nicht unumstrittene Absenkung von Sozialabgaben und der Mehrwertsteuer auf arbeitsintensive Dienstleistungen. Auch die Frage der Wettbewerbsverträglichkeit der Subventions- und Programmgewährung sollte dabei geprüft werden.

6.2.2   Da das Konjunkturbelebungspaket von Strukturreformen begleitet werden soll, ist darauf zu achten, dass letztere nicht dem Ziel der Nachfragebelebung zuwiderlaufen. Strukturreformen müssen vielmehr so konzipiert werden, dass sie sozial verträglich sind und dass Wachstum und Beschäftigung angekurbelt werden.

6.2.3   Kritisch anzumerken ist jedenfalls, dass das Volumen von 200 Mrd. EUR für zwei Jahre weitaus größer erscheint als es tatsächlich ist. „Frisches Geld“ ist deutlich weniger dabei. Denn bei den Mitteln aus dem EU-Haushalt und der Europäischen Investitionsbank handelt es sich zum Teil nur um das Vorziehen ohnedies vorgesehener Zahlungen. Und bei den nationalen Mitteln handelt es sich vielfach nicht um neue, zusätzliche Initiativen, sondern um eine Auflistung von Maßnahmen, die auch ohne Konjunkturprogramm der EU von den nationalen Regierungen bereits geplant oder sogar verabschiedet waren.

7.   Neuordnung der Finanzmärkte

7.1   Zwei schwere Krisen in kurzer Abfolge sind Grund genug für eine Neuregulierung der Finanzmärkte, also des Handels, der Produkte, der Teilnehmer, der Überwachung, der Ratingagenturen etc., und zwar in der EU und insbesondere auf globaler Ebene. Dies ist notwendig, um möglichst rasch das Vertrauen in die Finanzinstitute, der Institute untereinander und das der Investoren und Konsumenten wiederherzustellen. Eine Reform der Finanzmärkte und die rasche Wiedererlangung ihrer Funktionsfähigkeit ist eine zentrale Bedingung dafür, dass diese ihre Aufgabe der Unterstützung der Realwirtschaft wieder erfüllen können und damit für einen Erfolg der Maßnahmen zur Konjunkturbelebung.

7.2   Europa vollzog viele aus den USA stammende Entwicklungen unkritisch nach, von der Einführung sogenannter Finanzinnovationen über die Finanzierung von Rentensystemen bis hin zu Rechnungslegungsvorschriften — mit bekannt schlechten Ergebnissen. Zukünftig muss daher europäischen Sichtweisen, Stärken, Erfahrungen und Traditionen wieder mehr Bedeutung beigemessen werden, wozu auch Besonderheiten wie die genossenschaftliche Organisationsform zählen. Dabei muss verstärkt die durch die Erweiterungen angewachsene „Kritische Masse“ der Eurozone genutzt werden. Der G-20-Gipfel in Washington lieferte positive Anzeichen dafür, die dort erzielten Ergebnisse müssen nun in Hinblick auf den kommenden G-20-Gipfel am 2. April 2009 in London weiterentwickelt werden.

7.3   Die notwendige Neuordnung und Neuregulierung der Finanzmärkte wird im Konjunkturprogramm der Kommission nicht angesprochen. Der EWSA hofft, dass dies nur darauf zurückzuführen ist, dass die Kommission eine Initiative „Überwachung der EU-Finanzmärkte“ plant, die im Juli 2009 verabschiedet werden soll. Bei der Neugestaltung der Rahmenbedingungen werden auch diejenigen wissenschaftlichen Untersuchungen zu prüfen sein, welche darauf hinweisen, dass auf spekulativen Märkten — nicht zuletzt aufgrund computermodellbasierter Handelssysteme und -entscheidungen wesentlicher großer Marktteilnehmer — das Überschießen in beide Richtungen als Herdenverhalten systematisch produziert wird. Der EWSA behält sich vor, seine diesbezüglichen Forderungen und Vorschläge zu einem späteren Zeitpunkt nachzureichen und verweist in diesem Zusammenhang auch auf die von ihm am 22. und 23. Januar 2009 in Brüssel veranstaltete Konferenz „Rien ne va plus — Möglichkeiten des Wiederaufbaus der europäischen sozialen Marktwirtschaft nach dem Niedergang des ‚Kasinokapitalismus‘“.

Brüssel, den 15. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  Vgl. die Pressemitteilung „Kommissionsbeschlüsse zur Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“ (IP/08/1987) für Details zum Maßnahmenpaket.


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/75


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten in Bezug auf die Verlängerung bestimmter Fristen“

KOM(2008) 618 endg. — 2008/0188 (COD)

(2009/C 182/16)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 5. Dezember 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten in Bezug auf die Verlängerung bestimmter Fristen“

KOM(2008) 618 endg. — 2008/0188 (COD).

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 192 Ja-Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/76


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Bauteile und Merkmale von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2008) 690 endg. — 2008/0213 (COD)

(2009/C 182/17)

Der Rat beschloss am 8. Dezember 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Bauteile und Merkmale von land- oder forstwirtschaftlichen Zugmaschinen auf Rädern“

(kodifizierte Fassung)

KOM(2008) 690 endg. — 2008/0213 (COD).

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 186 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 7 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


4.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 182/77


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (kodifizierte Fassung)“

KOM(2008) 691 endg. — 2008/0206 (CNS)

(2009/C 182/18)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 19. November 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 94 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (kodifizierte Fassung)“

KOM(2008) 691 endg. — 2008/0206 (CNS).

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 450. Plenartagung am 14./15. Januar 2009 (Sitzung vom 14. Januar) mit 180 gegen 2 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 14. Januar 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI