ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 27

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

52. Jahrgang
3. Februar 2009


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III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

446. Plenartagung vom 9./10. Juli 2008

2009/C 027/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen mit Wasserstoffantrieb und zur Änderung der Richtlinie 2007/46/EGKOM(2007) 593 endg. — 2007/0214 (COD)

1

2009/C 027/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die verschiedenen politischen Maßnahmen, die — neben einer angemessenen Finanzierung — Wachstum und Entwicklung von KMU fördern können

7

2009/C 027/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission: Agenda für einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen TourismusKOM(2007) 621 endg.

12

2009/C 027/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Weißbuch über die Integration der EU-HypothekarkreditmärkteKOM(2007) 807 endg.

18

2009/C 027/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Entwicklung des Baugewerbes in Europa

22

2009/C 027/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Entwicklung des europäischen Unternehmensdienstleistungssektors

26

2009/C 027/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über kosmetische Mittel (Neufassung)KOM(2008) 49 endg. — 2008/0035 (COD)

34

2009/C 027/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/82/EG und der Richtlinie 2001/83/EG in Bezug auf Änderungen der Bedingungen für Zulassungen von ArzneimittelnKOM(2008) 123 endg. — 2008/0045 (COD)

39

2009/C 027/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über einfache Druckbehälter (kodifizierte Fassung) KOM(2008) 202 endg. — 2008/0076 (COD)

41

2009/C 027/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten SchienennetzesKOM(2007) 608 endg.

41

2009/C 027/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission — Mitteilung über eine europäische HafenpolitikKOM(2007) 616 endg.

45

2009/C 027/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Straßenverkehr — Arbeitszeit selbstständiger Kraftfahrer

49

2009/C 027/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Europäischer Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) Der Weg zu einer kohlenstoffemissionsarmen ZukunftKOM(2007) 723 endg.

53

2009/C 027/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Beziehungen zwischen dem Klimawandel und der Landwirtschaft in Europa

59

2009/C 027/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Verbesserung und Ausweitung des EU-Systems für den Handel mit TreibhausgasemissionszertifikatenKOM(2008) 16 endg. — 2008/0013 (COD)

66

2009/C 027/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen mit Blick auf die Erfüllung der Verpflichtungen der Gemeinschaft zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020KOM(2008) 17 endg. — 2008/0014 (COD)

71

2009/C 027/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die geologische Speicherung von Kohlendioxid und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/60/EG, 2001/80/EG, 2004/35/EG, 2006/12/EG und der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006KOM(2008) 18 endg. — 2008/0015 (COD)

75

2009/C 027/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren im Hinblick auf Artikel 6 Absatz 2 über das Inverkehrbringen von Batterien oder AkkumulatorenKOM(2008) 211 — 2008/0081 (COD)

81

2009/C 027/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Abbau nichtenergetischer Bodenschätze in Europa

82

2009/C 027/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Integration von Minderheiten — Roma

88

2009/C 027/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Elemente für die Struktur, die Organisation und die Funktionsweise einer Plattform für eine bessere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Förderung europäischer Maßnahmen zur Integration von Drittstaatsangehörigen

95

2009/C 027/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU

99

2009/C 027/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten BeschäftigungKOM(2007) 637 endg. — 2007/0228 (CNS)

108

2009/C 027/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ein einheitliches Antragsverfahren für eine kombinierte Erlaubnis für Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt und zur Arbeit im Gebiet eines Mitgliedstaates und über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhaltenKOM(2007) 638 endg. — 2007/0229 (CNS)

114

2009/C 027/25

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr der Kreativität und Innovation (2009)KOM(2008) 159 endg. — 2008/0064 (COD)

119

2009/C 027/26

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Eine bessere Integration in den Binnenmarkt als Schlüsselfaktor für Kohäsion und Wachstum auf den Inseln

123

2009/C 027/27

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Ursachen für den Unterschied zwischen gefühlter und realer Inflation

129

2009/C 027/28

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Rolle der Zivilgesellschaft im Rahmen der EU-Programme für Heranführungshilfe in der Republik Albanien

140

2009/C 027/29

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Schwarzmeerraum

144

2009/C 027/30

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Wie können nationale und europäische Aspekte der Kommunikation über Europa in Einklang gebracht werden?

152

DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

446. Plenartagung vom 9./10. Juli 2008

3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen mit Wasserstoffantrieb und zur Änderung der Richtlinie 2007/46/EG“

KOM(2007) 593 endg. — 2007/0214 (COD)

(2009/C 27/01)

Der Rat beschloss am 14. November 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen mit Wasserstoffantrieb und zur Änderung der Richtlinie 2007/46/EG“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr IOZIA.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 117 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt den Inhalt des Verordnungsvorschlags KOM(2007) 593 endg. und begrüßt den Erlass harmonisierter Vorschriften über die Typgenehmigung von Kfz mit Wasserstoffantrieb auf Gemeinschaftsebene. Er befürwortet die Wahl eines einzigen europaweiten und in allen Mitgliedstaaten geltenden Verfahrens, da dies einfacher und weniger aufwendig ist als eine getrennte Genehmigung in allen 27 Mitgliedstaaten, die zudem ganz offensichtlich zu Wettbewerbsverzerrungen und einer Zersplitterung des Binnenmarktes führen würde.

1.2

Die Bedeutung dieser Maßnahme liegt auf der Hand: Trotz einer voraussichtlich erheblichen Zunahme bei der Vermarktung von Kfz mit Wasserstoffantrieb gibt es für solche Fahrzeuge weder auf europäischer noch auf einzelstaatlicher Ebene eine Typgenehmigung. Die in einzelnen Mitgliedstaaten angenommenen vorläufigen Regelungen weichen stark voneinander ab.

1.3

Der EWSA erachtet eine rasche Annahme der Verordnung für notwendig, da sie einen sicheren Bezugsrahmen für die in der Branche tätigen Unternehmen bietet und deshalb die erheblichen Investitionen, die für die technologische Entwicklung im Rahmen der Nutzung von Wasserstoff notwendig sind, fördern kann. Der EWSA hat in jüngsten Stellungnahmen zu diesem Themenbereich bereits die strategische Entscheidung für eine solche Nutzung begrüßt und dargelegt, dass Wasserstoff trotz der heute noch vorhandenen Einschränkungen die Herausforderung der Zukunft darstellt.

1.4

Der Erlass dieser Gemeinschaftsvorschriften zur Harmonisierung ist für die Gewährleistung der Nutzersicherheit wichtig. Angesichts der voraussichtlich zunehmenden Verbreitung solcher Fahrzeuge — gemäß Schätzungen der Kommission dürfte die Verbreitung wasserstoffbetriebener Kfz bis zum Jahr 2020 die Zielmarke von 1 Mio. erreichen — ist die Stärkung des Vertrauens der Nutzer eine unabdingbare Voraussetzung für diese Entwicklung.

1.5

Ein wichtiges Beispiel, das die Gültigkeit und die konkrete Erreichbarkeit dieses Ziels verdeutlicht, ist die ständig steigende Zahl von Taxis mit Hybridantrieb in New York. Eine sinnvolle Kommunalpolitik ermöglicht dort, Umweltbewusstsein und -schutz mit Marktlogik zu verbinden. Dadurch wird auch belegt, dass sich hinter Versuchen, künstliche Hindernisse für die Entwicklung dieser Technologie zu schaffen, häufig die Verteidigung angestammter Interessen verbirgt.

1.6

Diese Zielmarke muss auch deshalb erreicht werden, weil nur mittels entschlossener Maßnahmen zur Ersetzung fossiler Brennstoffe ein Ziel verwirklicht werden kann, das mit den Gemeinschaftspolitiken für nachhaltige Entwicklung und zur Bekämpfung des Klimawandels im Einklang steht. Dieses Ziel kann durch die zunehmende Nutzung von Wasserstoff, von Biokraftstoffen der zweiten Generation und anderer erneuerbarer Kraftstoffe erreicht werden.

1.7

Ein konkretes Engagement im Bereich der technologischen Forschung ist ein grundlegender Beitrag für eine solche langfristige Strategie. Der EWSA fordert deshalb die Durchführung von gezielten Programmen für die Forschung unmittelbar nach der zügigen Annahme der Verordnung gemäß dem Vorschlag KOM(2007) 571 endg. der die Realisierung einer gemeinsamen Technologieinitiative mittels Schaffung eines gemeinsamen Unternehmens „Brennstoffzellen und Wasserstoff“ (1) vorsieht. Der Ausschuss unterstützt und fordert neue Forschungsprogramme, die auf die Erkundung neuer Wege für die Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff ausgerichtet sind, und schließt sich den Forderungen der Unternehmen und der Forschungseinrichtungen im Bereich der Wasserstofftechnologie an, dass der Rat und das Parlament das Verfahren für die Annahme der erforderlichen Vorschläge beschleunigen sollten.

1.8

Der EWSA fordert die Kommission auf, sich bereits jetzt mit dem Problem Dichte des Verteilernetzes zu befassen, da die Verfügbarkeit sicherer und effizienter Technologien für die Speicherung und die ausreichende Versorgung eine unabdingbare Grundlage für die Verbreitung von mit Gasgemischen betriebenen Kfz darstellt.

1.9

In einer ersten Phase sollte mit solchen Maßnahmen die Verbreitung von Flüssiggas (LPG) und Methan im gesamten Unionsgebiet gefördert werden, die einen unmittelbaren und realistischen Ansatzpunkt für eine — wenn auch nur teilweise — Abkehr von fossilen Brennstoffen darstellen, in vielen Mitgliedstaaten jedoch nur unzureichend verbreitet sind bzw. überhaupt nicht als Kraftstoff angeboten werden. Dieser ersten Phase der Suche nach neuen und immer sichereren und wirkungsvolleren Technologien im Bereich der Speicherung und der Verteilung soll dann in nächster Zukunft der Übergang zu einer Zwischenphase der Verteilung von Gemischen aus Gas und Wasserstoff folgen, bis schließlich die endgültige Phase der Verteilung von Wasserstoff erreicht wird.

1.10

Nach Auffassung des EWSA ist es von grundlegender Bedeutung, sich konkret mit der Frage zu befassen, wie das Vertrauen der künftigen Nutzer gewonnen und die in Bezug auf die Nutzung von Wasserstoff noch bestehenden Zweifel ausgeräumt werden können. Es müssen folglich detaillierte Informationsprogramme mit einer eindeutigen und untermauerten Aussage aufgelegt werden, die bekräftigen, dass diese Technologie bereits heute den aktuellen Sicherheitsstandards konventioneller Fahrzeuge entspricht.

1.11

Der EWSA ist mit dem vorgeschlagenen Rechtsinstrument der Verordnung einverstanden, da aufgrund der gleichzeitigen Anwendung der Vorschriften in allen Mitgliedstaaten gleiche Bedingungen für alle Hersteller der Branche gewährleistet werden.

1.12

Der Ausschuss begrüßt ferner den Vorschlag, die Erarbeitung und Umsetzung der grundlegenden Vorschriften im Komitologieverfahren durchzuführen und begrüßt es, dass ein Übergangszeitraum für die Anwendung sämtlicher Vorschriften vorgesehen wird, da die Anwendung für die Unternehmen der Branche mit einer gewissen Komplexität verbunden ist.

1.13

Der EWSA unterstützt die Teilnahme Europas in der Global Coordination Group (GCG) für die Festlegung weltweiter Standards für die Typgenehmigung (GTR — Global Technological Regulation) und misst dieser Beteiligung große Bedeutung zu. Er unterstreicht aber auch, dass das Bemühen um ein solches Übereinkommen das laufende Legislativverfahren nicht behindern darf. Die Position Europas in allen internationalen Gremien wird durch die Verfügbarkeit eigener Rechtsinstrumente sowie durch Erfahrungen bei der Anwendung von Gemeinschaftsbestimmungen gestärkt. Dadurch wird auch verhindert, dass weltweite Regelungen für den Bereich wasserstoffbetriebener Kfz aufgestellt werden, die sich nur auf eine einzige heute zur Verfügung stehende Erfahrung eines Landes (Japan) stützt.

1.14

Die europäischen Erfahrungen auf der Grundlage einer Gemeinschaftsregelung und die wichtigen Ergebnisse, die aufgrund eines starken und konstanten Engagements auf dem Gebiet der technologischen Forschung erzielt werden, können wesentlich zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der bereits heute in der Automobilbranche tätigen Unternehmen beitragen, zumal die neuen Technologien und Kraftstoffe künftig erhebliche Marktanteile haben könnten.

1.15

All dies macht nach Auffassung des Ausschusses mutige und rasche Entscheidungen erforderlich, die mit einer langfristigen strategischen Perspektive einhergehen und von einem Szenarium ausgehen, in dem Wasserstoff zu gegebener Zeit eine wichtige und ausschlaggebende Rolle spielen wird.

1.16

Der EWSA fordert die Kommission auf, den Vorschlag der Kennzeichnung von Wasserstoffautos zu überdenken, die als eine Art Brandmarkung aufgefasst werden könnte, indem diese Fahrzeuge als „gefährlich“ eingestuft werden, obwohl ihnen in Sicherheitsprüfungen Ergebnisse attestiert werden, die mit denen von Fahrzeugen, die mit anderen Kraftstoffen angetrieben werden, übereinstimmen. Anstelle einer solchen Kennzeichnung hält es der EWSA für sinnvoller, bei allen Fahrzeugen die Kraftstoffart zu kennzeichnen, was ihre eindeutige Identifizierung ermöglicht.

1.17

Der EWSA empfiehlt der Kommission, angesichts eines fehlenden Verteilernetzes auch kleine Reformeranlagen für die Eigenproduktion von Wasserstoff aus Methan (z.B. Home energy station o.ä.) zuzulassen, um die Verbreitung von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen zu erleichtern. Dies könnte ein allererster konkreter Schritt zur Befriedigung der neuen Nachfrage nach Wasserstoff sein. Dabei wird aber nach wie vor am Ziel festgehalten, Wasserstoff aus erneuerbaren Energieträgern wie Biogas, Photolyse oder Elektrolyse unter Einsatz von Strom, der aus erneuerbaren Energieträgern gewonnen wurde, herzustellen.

2.   Einleitung

2.1

Der Verordnungsvorschlag (KOM(2007) 593 endg.) geht von der Feststellung aus, dass es in Europa keine Vorschriften über die Typgenehmigung von Kfz mit Wasserstoffantrieb gibt, wenngleich von erheblichen Zuwächsen bei der Vermarktung von mit dieser Technologie ausgerüsteten Fahrzeugen ausgegangen wird.

2.2

In den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten existieren ebenfalls keine Vorschriften im Bereich dieses Verordnungsvorschlags.

Die geltenden Rechtsvorschriften in Bezug auf den gesamten Bereich der Typgenehmigung enthalten keinerlei allgemeine Vorschriften für wasserstoffbetriebene Kfz, auch aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften im Vergleich zu Kfz, die mit herkömmlichen Kraftstoffen betrieben werden.

2.3

Einige Mitgliedstaaten haben provisorische Bestimmungen angenommen, die sich erheblich voneinander unterscheiden. Ein Fortdauern dieser Situation führt zwangsläufig zu unterschiedlichen Genehmigungsverfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zu einer Zersplitterung des Binnenmarkts und einer Wettbewerbsverzerrung. Die konkrete Möglichkeit, dass diese Technologie in entscheidendem Maße zum Umweltschutz beiträgt, würde schwinden.

2.4

Mit diesem Verordnungsvorschlag soll also das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts gewährleistet und verhindert werden, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten nach unterschiedlichen Regelungen genehmigte Fahrzeuge am Straßenverkehr teilnehmen können, was zu Ungleichgewichten zwischen den Herstellern und zu möglichen Handelshemmnissen im EU-Binnenhandel führen könnte.

2.5

Dies würde die Entwicklung der Technologien zur Nutzung von Wasserstoff in Europa behindern. Vielmehr müssen jedoch konkrete Maßnahmen und Entwicklungen im Rahmen dieser Technologie beschleunigt vorangetrieben werden, die eine der wichtigsten Alternativen zur Nutzung fossiler Energieträger darstellt. Diese decken heute noch 98 % des Energiebedarfs des öffentlichen und privaten Verkehrs und machen 50 % der Primärenergieträger aus. Ohne entschlossene Diversifizierungsmaßnahmen wird dieser Anteil bis auf 73 % steigen.

2.6

Diese Verordnung stellt — zusammen mit den wichtigen Forschungsprogrammen des 7. Rahmenprogramms in diesem Bereich — einen wichtigen Schritt zur Angleichung des Sicherheitsniveaus bei der Nutzung von Wasserstoff an das konventioneller Technologien dar. Ferner kann sie zum Konsens der potenziellen Nutzer beitragen.

2.7

Das Erlassen harmonisierter Gemeinschaftsvorschriften für die Typgenehmigung wasserstoffbetriebener Kfz ist zweifelsohne ein entscheidender Schritt zur Gewinnung des erforderlichen Konsenses der Nutzer. Die Entstehung einer positiven, durch Vertrauen gekennzeichneten Haltung gegenüber der Wasserstoffnutzung ist unerlässlich für eine rasche Vermarktung von Fahrzeugen, die mit alternativen Kraftstoffen betrieben werden und die sich durch extrem niedrige Treibhausgasemissionen auszeichnen, was für einen wirksamen und konkreten Umweltschutz unerlässlich ist.

3.   Der Kommissionsvorschlag

3.1

Mit der vorgeschlagenen Verordnung über Kraftfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb sollen in der gesamten EU gültige Vorschriften für die Typgenehmigung solcher Fahrzeuge erlassen werden.

3.2

Die vorgeschlagene Verordnung sieht eine Änderung der Rahmenrichtlinie 2007/46/EG vor. Mit ihr sollen wasserstoffbetriebene Fahrzeuge der Klassen M1, M2, M3 und N1, N2, N3 (2) voll und ganz in das EG-Typgenehmigungssystem aufgenommen und wasserstoffbetriebene Fahrzeuge in allen Richtlinien und Verordnungen im Bereich von Genehmigungen berücksichtigt werden.

3.3

Die Rechtsgrundlage der vorgeschlagenen Verordnung ist Artikel 95 des EG-Vertrags.

Das Subsidiaritätsprinzip wird voll und ganz gewahrt, da die auf Gemeinschaftsebene ermittelten politischen Ziele nicht auf einzelstaatlicher Ebene erreicht werden können und mit diesem Verfahren der Entstehung von Handelshemmnissen vorgebeugt wird.

Der Vorschlag wahrt außerdem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da er nicht über die Ziele eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts und eines hohen Sicherheits- und Umweltschutzniveaus hinausgeht.

3.4

Die Kommission schlägt die Wahl der Verordnung als Rechtsinstrument vor, weil es aus Gründen der gleichzeitigen Einhaltung der im Vorschlag enthaltenen Vorschriften angezeigt erscheint, nicht die Umsetzung in nationales Recht der einzelnen Mitgliedstaaten abwarten zu müssen. Dies würde zu unterschiedlichen Fristen bei der Anpassung der Genehmigungsvorschriften sowie mitunter zu maßgeblichen Änderungen im Rahmen der Umsetzungsgesetze führen.

3.5

Dieser Vorschlag wurde in einem umfassenden Konsultationsprozess, an dem alle interessierten Kreise beteiligt waren, überprüft. Im Rahmen der Arbeitsgruppe „Wasserstoff“ waren an dieser Bewertung nationale Behörden, Fahrzeughersteller, Teilehersteller und Branchenverbände beteiligt.

3.6

Folgende vier Optionen wurden geprüft:

Keine Maßnahme, d.h. Beibehalten der gegenwärtigen Rechtssituation;

Erlass von Rechtsvorschriften durch die Mitgliedstaaten;

Gemeinschaftsrechtliche Regelung;

Selbstregulierung.

3.7

Anschließend wurde ein Berater ernannt, der die Antworten mit Blick auf Sicherheit, Technologie und die mit den verschiedenen Optionen verbundenen Kosten auswertete. Die Ergebnisse wurden den wichtigsten Unternehmen der Automobilindustrie, die an der Wasserstofftechnik arbeiten, zur Bewertung vorgelegt.

3.8

Aus diesem umfassenden Konsultationsverfahren ging eindeutig hervor, dass eine gemeinschaftsrechtliche Regelung für ein Typgenehmigungssystem für alle wasserstoffbetriebenen Kraftfahrzeuge die beste Lösung ist.

3.9

Um diese Entscheidung zu untermauern hat die Kommission eine Studie (3) vorgelegt, mit der belegt wird, dass die Einführung eines gleichwohl rigorosen gemeinschaftlichen Typgenehmigungssystems die einfachste Lösung und im Vergleich zu 27 unterschiedlichen Genehmigungsverfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten auch weitaus preiswerter ist.

3.10

Die Bewertungen des Beraters wurden folglich der Kommission übermittelt, die auf der Grundlage der Arbeit des Beraters den betreffenden Legislativvorschlag erarbeitet hat, der sich derzeit auf dem Weg durch die Institutionen befindet.

3.11

Nach Auffassung der Kommission kann diese Verordnung die erforderliche Sicherheit der Nutzer von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen garantieren und entscheidend zum Umweltschutz beitragen.

3.12

Abschließend wird festgelegt, dass 36 Monate nach dem Inkrafttreten der besagten Verordnung die Prüfung der Wasserstoffsysteme, alle Wasserstoff führenden Bauteile und die entsprechenden Materialien den Bestimmungen dieser Verordnung voll und ganz entsprechen müssen.

4.   Die Anhörung

4.1

Im Zuge der Anhörung, an der Vertreter der Kommission, der Wissenschaft, der mit der Entwicklung von Wasserstoffautos beschäftigten Automobilhersteller, der europäischen Verbände, der Verbraucher und der Hersteller von Brennstoffzellen beteiligt waren, wurden wichtige Beiträge und Informationen zu den jüngsten technologischen Entwicklungen vorgebracht.

4.2

Betont wurde die Bedeutung von Informationskampagnen für die breite Öffentlichkeit und von Initiativen, wie sie z. B. seit einigen Jahren in Rom stattfinden (H2 Roma), die den Dialog zwischen Herstellern und Bürgern fördern, die technologische Entwicklung erläutern und ein Klima des Vertrauens in eine Technologie schaffen, die von dem meisten Menschen noch als gefährlich empfunden wird. Die Teilnehmer haben der Rolle des EWSA, der als kultureller Mittler fungieren könnte, großes Interesse gezollt.

4.3

Hersteller und Verbraucher haben betont, dass man sich auf die Sicherheit der Fahrzeuge und der Infrastrukturen für die Speicherung und Verteilung, aber auch auf die Verfügbarkeit von Wasserstoff verlassen können muss. Die Forschung muss fortgeführt und weiterhin unterstützt werden. Begrüßt wurden die jüngsten Initiativen der EU zur Förderung von Brennstoffzellen im Rahmen des Beschlusses über die Finanzierung einer gemeinsamen Technologieinitiative.

4.4

In Tests wurde ermittelt, dass wasserstoffbetriebene Kfz bereits heute über eine Reichweite von bis zu 600 km verfügen. Weitere Tests sind in Vorbereitung.

4.5

In der Anhörung wurde deutlich, dass das Wasserstoffauto heute schon technologische Realität ist. Es fehlen aber die notwendigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für seine Vermarktung. Dank der Verordnung über die Typgenehmigung wird ein erstes Hindernis überwunden.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1

Der EWSA begrüßt den Inhalt dieses Verordnungsvorschlags sowie den Erlass harmonisierter Vorschriften im Bereich der Typgenehmigung wasserstoffbetriebener Kfz, da dieses Verfahren einen Fortschritt im Vergleich zur gegenwärtigen Situation darstellt. Das Fehlen jedweder rechtlicher Anhaltspunkte führt unweigerlich zu offensichtlichen Wettbewerbsverzerrungen und zu einer Zersplitterung des Binnenmarkts. Die Verordnung muss unbedingt rasch angenommen werden, auch aus offensichtlichen Gründen der Sicherheit und des Umweltschutzes.

5.2

Nach Auffassung des EWSA führt das Fehlen eines sicheren Bezugsrahmens unweigerlich dazu, dass die notwendigen bedeutenden Investitionen ausbleiben, die für eine Entwicklung der Technologien zur Nutzung von Wasserstoff als Energieträger für das Automobil der Zukunft erforderlich sind.

5.3

Die betreffende Verordnung steht im Einklang mit den Gemeinschaftspolitiken für eine nachhaltige Entwicklung und zur Bekämpfung des Klimawandels, die mit Blick auf die allgemeinen Ziele der Lissabon-Strategie die Grundlage der Gemeinschaftsinitiativen und einen unverzichtbaren diesbezüglichen Beitrag darstellen.

5.4

Der EWSA ist fest davon überzeugt, dass ohne eine rasche und umfangreiche Entwicklung wasserstoffbetriebener Fahrzeuge und ohne den sukzessiven Ersatz von fossilen Treibstoffen die ökologischen Vorteile ziemlich begrenzt bleiben und jedenfalls quantitativ nicht ins Gewicht fallen würden. Der Ausschuss betont hingegen, dass die ökologische Nachhaltigkeit gefördert und die entschlossene Bekämpfung des Klimawandels vorangetrieben werden muss. Dies kann potenziell mittels Nutzung von Wasserstoff, Biokraftstoffen der zweiten Generation und anderen Kraftstoffen aus erneuerbaren Energiequellen erreicht werden.

5.5

Nach Auffassung des EWSA bietet die Nutzung von Wasserstoff und das Engagement in die Forschung im Bereich Brennstoffzellen und Wasserstoff eine bestechende Möglichkeit zur Umkehr der gegenwärtigen Entwicklung. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die Energienachfrage in erster Linie durch fossile Energieträger befriedigt wird, die heute 85-90 % des weltweiten Energieangebots ausmachen. Bei jeder Abschätzung künftiger Entwicklungen muss in Bezug auf fossile Brennstoffe von einem Verknappungsszenarium und konstant steigenden Preisen ausgegangen werden.

5.6

In einer vom EWSA verabschiedeten Stellungnahme (4) wird die Kommissionsinitiative KOM(2007) 571 endg. voll und ganz unterstützt, mit der die Bereitstellung von 470 Mio. EUR für eine gemeinsame Technologieinitiative entschieden wurde. Mittels „Einrichtung des gemeinsamen Unternehmens Brennstoffzellen und Wasserstoff“ und einer umfassenden Forschungsinitiative können die Kommission, die Mitgliedstaaten und die Industrie ihre Ressourcen vernetzen und für Programme in strategischen Sektoren für die Diversifizierung und das zukünftige Energieangebot einsetzen.

5.7

In einer weiteren Stellungnahme — zum „Energiemix im Verkehrsbereich“ (5) — hält es der EWSA „für unerlässlich, die für die Forschung im Bereich der Herstellung und Verwendung von Wasserstoff (…) bereitgestellten Mittel deutlich zu erhöhen“ und „schließt sich den an den Rat und das Parlament gerichteten Forderungen der Unternehmen und Forschungszentren, die sich mit der Entwicklung der Nutzung von Wasserstoff beschäftigen, nach einer beschleunigten Verabschiedung des Vorschlags an“.

5.8

Brennstoffzellen sind Energieumwandler, die eine spürbare Senkung der Emissionen von Treibhausgasen und anderen Schadstoffen ermöglichen. Bezüglich der Behandlung von Biomasse hat der EWSA in der vorstehend genannten Stellungnahme aufmerksam die im Bereich der Katalysatoren für Brennstoffzellen erzielten Fortschritte untersucht, die eine vielversprechende Technologie für die Lieferung sauberer Energie für Kfz darstellt.

5.9

Der EWSA bekräftigt, dass die Nutzung von Wasserstoff bei der sukzessiven Ersetzung fossiler Brennstoffe ein notwendiger und wünschenswerter Übergang darstellt und unterstreicht, dass das Inverkehrbringen wasserstoffbetriebener Kraftfahrzeuge ausschließlich mittels kräftiger Investitionen in alle diesbezüglichen Forschungsbereiche erreicht werden kann. Aus diesem Grund begrüßt und unterstützt der EWSA die Forschungsprogramme zur Konsolidierung dieser Strategie.

5.10

Der EWSA ist der Auffassung, dass das gleichwohl wichtige Problem der erheblichen Kosten dieses Prozesses die Entwicklung dieser Technologie nicht behindern darf und verfolgt jedes Programm zur Erforschung neuer Wege für die umweltverträgliche Erzeugung von Wasserstoff mit großem Interesse. Denn derzeit wird Wasserstoff zu über 90 % aus Methan hergestellt, einem wichtigen, aber begrenzt verfügbaren Energieträger.

5.11

Der EWSA unterstreicht, dass bei der Bewertung der Kosten im Zusammenhang mit jedem technologischen Fortschritt die enormen erforderlichen Ressourcen nicht nur auf den — wenngleich quantitativ bedeutsamen — Bereich privater Kfz bezogen werden dürfen, sondern dass im Rahmen einer langfristigen strategischen Perspektive auch der künftige Nutzen berücksichtigt werden muss, der aus einer weitergehenden Nutzung von Wasserstoff resultieren kann. Dieser künftige Einsatzbereich reicht vom öffentlichen und privaten Verkehr über den Güterverkehr und dem Zug- und Seeverkehr bis hin zu einem möglichen Einsatz von Wasserstoff in Elektrizitätswerken, wenngleich dies ein längerfristiges Ziel ist.

5.12

Der EWSA ist zutiefst davon überzeugt, dass — sollten diese wichtigen Forschungsprogramme entsprechend ausgebaut werden und die notwendige politische und wirtschaftliche Unterstützung aller interessierter Kreise erhalten — der Verkehr von teilweise oder ganz mit Wasserstoff angetriebenen Fahrzeugen relativ rasch Wirklichkeit werden kann.

5.13

Ein konkretes Beispiel für eine solche positive Entwicklung ist die ständig steigende Zahl von Taxis mit Hybridantrieb in New York. Eine sinnvolle Kommunalpolitik ermöglicht dort, Umweltbewusstsein und -schutz mit der Logik des Marktes zu verbinden. Dadurch wird auch belegt, dass Versuche, künstliche Hindernisse bei der Entwicklung dieser Technologie zu schaffen, häufig nur auf die Verteidigung angestammter Interessen zurückzuführen sind.

5.14

Der EWSA hat in all seinen Stellungnahmen zu dieser Thematik die Entscheidung für die Nutzung von Wasserstoff begrüßt, die trotz der gegenwärtig bekannten Einschränkungen die Herausforderung der Zukunft darstellt. Er verfolgt mit Interesse alle jüngsten Vorhaben für Initiativen, die mittels Einsatz alternativer Technologien für die Erzeugung und Versorgung den Weg für den Einsatz von Wasserstoff beim Antrieb von Kfz ebnen.

5.15

Der EWSA fordert in dieser Entwicklungsperspektive die Kommission nochmals auf, das Problem der Dichte des Verteilernetzes für alternative Brennstoffe auf dem Territorium der Union zu berücksichtigen, angefangen beim Ausbau des Verteilernetzes für komprimiertes Erdgas, das in einigen EU-Mitgliedstaaten nur schwach und in anderen überhaupt nicht vertreten ist — von einigen positiven Ausnahmen wie Polen abgesehen.

5.16

Der Bereich der Lagerung und der Verteilung bietet ein konkretes Beispiel für die gezielte Ausrichtung der Forschung in diesem Sektor. Die Notwendigkeit innovativer Technologien im Bereich der Verteilung gasförmiger Treibstoffe ist für die Verbreitung neuer Kfz von grundlegender und ausschlaggebender Bedeutung, sowohl für die Übergangszeit eventueller Gasmischungen, als auch für das Endziel des Wasserstoffantriebs.

5.17

In diesem Bereich muss die Verfügbarkeit immer wirkungsvollerer und sicherer Verteilungssysteme vorgesehen werden, die auf den in den beiden derzeit in Europa bestehenden Anlagen (in Mantua/Italien und München/Deutschland) gesammelten Erfahrungen aufbauen. Die Forschung muss auf technologisch immer fortschrittlichere Systeme ausgerichtet werden, die hohe Standards in puncto Sicherheit und Umweltschutz anstreben.

5.18

Aus diesem Grunde ist der EWSA der Auffassung, dass das Erreichen hoher Sicherheits- und Effizienzstandards bei der Lagerung und Verteilung gasförmiger Kraftstoffe in der gegenwärtigen Phase von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dies verlangt ein umfangreiches Programm zur Verbreitung von LPG- und Methan-Anlagen im gesamten Unionsgebiet als unmittelbares und realistisches Ziel im Zuge der Abkehr von den fossilen Brennstoffen in einer Übergangsphase, bis dann schließlich die Verteilung von Wasserstoff realisiert wird. Die für die Lagerung und Verteilung von Gas und Wasserstoff notwendigen Technologien ähneln sich stark, weshalb die Entwicklung ersterer der Entwicklung der Wasserstoff-Technologie nur zuträglich sein kann.

5.19

Der EWSA ist sich der Tatsache bewusst, dass der Einsatz von Wasserstoff noch Kostenprobleme und Sicherheitsfragen aufwirft, die mit in der Vergangenheit gehegten Bedenken verbunden sind. Diese müssen heute auf der Grundlage eingehender und in verschiedenen Staaten durchgeführter Untersuchungen vollständig überwunden werden, indem die Nutzung der Wasserstofftechnologie an die Sicherheitsstandards konventioneller Technologien angeglichen wird. Wird dieses Ziel erreicht, kann — mit Unterstützung umfangreicher und spezifischer Informationsprogramme — das Vertrauen der künftigen Nutzer gewonnen werden, was für den endgültigen Durchbruch bei der Nutzung dieser Technologie unabdingbar ist.

5.20

Der EWSA erachtet es mithin für unerlässlich, die Wasserstoffstrategie durch ein umfangreiches Informationsprogramm zu flankieren, das sich mit dem gegenwärtigen Misstrauen der künftigen Verbraucher — die Wasserstoff als ein mit hohen Risiken behaftetes Produkt betrachten — befasst und dieses ausräumt.

5.21

Dieses sehr detaillierte Informationsprogramm muss eine eindeutige Botschaft vermitteln: Bereits heute hat die Nutzung von Wasserstoff die hohen Sicherheitsstandards konventionell betriebener Fahrzeuge erreicht, auch im Hinblick auf eventuelle Unfälle. Dies ist ein entscheidender Faktor für die Glaubhaftigkeit der Kommissionsprognose, der zufolge bis 2020 auf den Straßen der EU mindestens 1 Mio. Wasserstoffautos unterwegs sein werden (S. 34 Folgenabschätzung).

5.22

Diese Verordnung für den Erlass harmonisierter Vorschriften auf Gemeinschaftsebene für die Typgenehmigung wasserstoffbetriebener Fahrzeuge ist ein erster Schritt zur Erlangung und Wahrung eines solchen Konsenses. Diese Verordnung ist deshalb zu unterstützen, auch aus der grundlegenden Überlegung, dass die Nutzung von Wasserstoff einen entscheidenden Beitrag zum Umweltschutz darstellt, da bei dieser Antriebsart bekanntlich weder Treibhausgase noch kohlenstoffhaltige Schadstoffe freigesetzt werden.

5.23

Der EWSA begrüßt das vorgeschlagene Rechtsinstrument der Verordnung, da aufgrund der unmittelbaren Anwendung der Vorschriften in allen Mitgliedstaaten gleiche Bedingungen für die Hersteller der Branche gewährleistet werden.

5.24

Der Ausschuss begrüßt ferner den Vorschlag, die Erarbeitung und Umsetzung der grundlegenden Vorschriften im Komitologieverfahren durchzuführen und begrüßt es, dass ein Übergangszeitraum vorgesehen wird, der für die Hersteller notwendig ist und der der Komplexität dieser Technologie Rechnung trägt, die lange Zeiten für ihre Anwendung erfordert.

5.25

Der EWSA unterstützt die Teilnahme Europas zusammen mit Japan und den USA in der GCG, die eine weltweite Vorgehensweise für die Typgenehmigung von wasserstoffbetriebenen Kraftfahrzeugen erarbeiten will, und misst ihr große Bedeutung zu.

5.26

Gleichwohl darf das Bemühen um ein solches Übereinkommen das gemeinschaftliche Legislativverfahren nicht behindern, da der Abschluss eines weltweiten Übereinkommens mehr Zeit erfordert als die betreffende Verordnung der EU. Vielmehr wird die Position der EU in diesem Gremium gestärkt, wenn sie selbst über ein spezifisches Rechtsinstrument und über eigene Erfahrungen im Bereich der Anwendung verfügt. Außerdem wird dadurch verhindert, dass diese Verordnung durch die einzige heute weltweit verfügbare Erfahrung — Japans — geprägt wird.

5.27

Eine starke Rolle Europas in den internationalen Entscheidungsgremien ist auch ein wesentlicher Faktor für die Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der großen europäischen Automobilhersteller auf europäischer Ebene, die nicht den Kontakt zu Entwicklungsprozessen auf einem Markt verlieren dürfen, auf dem eine starke, zeitnahe und durch hohen technologischen Entwicklungsstand gekennzeichnete Präsenz für die Gewinnung hoher künftiger Marktanteile von zentraler Bedeutung ist.

5.28

Die Frage der Typgenehmigung stellt zwar nur einen Aspekt des gesamten Bereichs dar, ist aber ein entscheidender Schritt für die Verfügbarkeit alternativer Kraftstoffe, die Engpässe in puncto fossile Brennstoffe für Europa mildern können und mit großen ökologischen Vorteilen einhergehen. Außerdem ist Europa dann für die Zeit einer sukzessiven Erschöpfung dieser Ressource gewappnet, die mit Sicherheit eintreten wird, auch wenn wir den genauen Zeitpunkt noch nicht kennen.

5.29

Dies alles erfordert mutige Entscheidungen und eine weitsichtige strategische Vision, die über die Gegenwart hinausgeht und von einem künftigen Szenarium ausgeht, in dem die Nutzung von Wasserstoff eine zentrale Rolle spielen wird.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 19.

(2)  

Klasse M1: Für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit höchstens acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz.

Klasse M2: Für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz und einer zulässigen Gesamtmasse bis zu 5 Tonnen.

Klasse M3: Für die Personenbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz und einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 5 Tonnen.

Klasse N1: Für die Güterbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse bis zu 3,5 Tonnen.

Klasse N2: Für die Güterbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 Tonnen bis zu 12 Tonnen.

Klasse N3: Für die Güterbeförderung ausgelegte und gebaute Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 12 Tonnen.

(3)  Erarbeitet von TRL Limited, dem technisch-wissenschaftlichen Berater der Kommission.

(4)  ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 19.

(5)  CESE 1104/2007 (TEN/297), Ziffer 1.4. Noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die verschiedenen politischen Maßnahmen, die — neben einer angemessenen Finanzierung — Wachstum und Entwicklung von KMU fördern können“

(2009/C 27/02)

Am 20. September 2007 hat der slowenische Wirtschaftsminister Andrej VIZJAK im Namen des künftigen slowenischen Ratsvorsitzes den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss ersucht, eine Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die verschiedenen politischen Maßnahmen, die — neben einer angemessenen Finanzierung — Wachstum und Entwicklung von KMU fördern können“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr CAPPELLINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 122 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die von ihm mehrfach geforderte spezielle Regelung für kleine Unternehmen in Europa („Small Business Act“) die Gelegenheit zur Neubelebung der Europäischen Charta für Kleinunternehmen sowie eine gute Chance zur Erschließung des Potenzials von Kleinunternehmen bietet, jedoch auch ein Test für den tatsächlichen politischen Willen der Institutionen und der Mitgliedstaaten ist, den Mittelstand und insbesondere Kleinstunternehmen gezielt und dauerhaft zu unterstützen.

1.2

Diese Förderung darf sich nicht auf wirtschaftliche Krisenzeiten beschränken, in denen die Politik den Reiz des Mittelstandes und der Kleinstunternehmen wiederentdeckt, um Beschäftigungsdefizite aufzufangen und die Arbeitslosenstatistik abzubauen, sondern muss zu einer durchdachten und langfristigen Politik zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen werden.

1.3

Der EWSA empfiehlt folgende 10 Schwerpunktmaßnahmen zur Förderung und Wiederankurbelung der KMU-Entwicklung durch Schaffung eines tatsächlich mittelstandsfreundlichen Umfelds und durch einen wirksamen europäischen Small Business Act , der nicht nur eine bloße politische Willenserklärung sein darf:

guter Kenntnisstand über den europäischen Mittelstand in seinen einzelnen Kategorien und über die diesbezüglichen Entwicklungen und Bedürfnisse auf horizontaler und sektorspezifischer Ebene vor dem Hintergrund des Binnenmarktes in seiner internen, externen und grenzüberschreitenden Dimension, was konkret in Form von jährlich vorgelegten Berichten erfolgen könnte;

Berücksichtigung der KMU-Dimension in allen Bereichen der Gemeinschaftspolitik und im Rechtsetzungsprozess;

Fortsetzung der Strategie zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren auf allen Ebenen und Einführung einer neuen Form der Konsultation mit den verschiedenen KMU-Kategorien und ihren repräsentativen Verbänden;

Berücksichtigung der Gegebenheiten und Bedürfnisse der verschiedenen KMU-Kategorien in der Rechtsetzung auf allen Ebenen und Anwendung des Prinzips „Think small first“;

Berücksichtigung der folgenden vier Grundprinzipien in den Rechtsvorschriften: 1. wirksame Folgenabschätzungen, 2. Verhältnismäßigkeit, 3. „only once“-Prinzip und 4. Schutzprinzip, insbesondere durch Ausweitung der Befugnisse des KMU-Beauftragten und Einsetzung eines KMU-Ombudsmanns für den Binnenmarkt;

Förderung der Begleitmaßnahmen und Beratung durch repräsentative KMU-Verbände;

Wiederaufnahme der Programme im Bereich Unternehmenszusammenarbeit, Austausch zwischen Unternehmensverbänden und Vernetzung der Dienste zur Wirtschaftsförderung;

Umsetzung einer umfassenden und dauerhaften Innovationspolitik für Kleinstunternehmen;

Vereinfachung und Förderung des Zugangs von KMU zu Gemeinschaftsprogrammen;

Maßnahmen zur Förderung der Übertragung/Übernahme von Unternehmen.

1.4

Der EWSA fordert, dass der europäische Small Business Act auf allen Ebenen als verbindliches Rechtsinstrument umgesetzt wird.

1.5

Der Ausschuss fordert außerdem, dass der europäische Small Business Act den sozialen Dialog zwischen den Sozialpartnern im Bereich der KMU fördert, damit ein möglichst optimales Arbeitsumfeld geschaffen wird, das der Kreativität und Innovation sowie den Arbeitsbedingungen zuträglich ist, wobei insbesondere auf die Verbesserung der Sicherheit und der Analyse der Risiken am Arbeitsplatz zu achten ist.

2.   Inhalt der Sondierungsstellungnahme

2.1

Die Bedeutung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) für die Wirtschaft in der Europäischen Union wird von allen anerkannt: sie gelten europaweit als Schlüsselelement für Wachstum und Beschäftigung und für die Bewältigung der neuen Herausforderungen der Globalisierung. Bei der Bewertung der Ergebnisse der Mittelstandsförderung im Zeitraum 2005-2007 wurden bedeutende Fortschritte sowohl auf Gemeinschaftsebene als auch in den Mitgliedstaaten festgestellt, die auf die Anwendung des Prinzips Think Small First (zuerst an die KMU-Dimension denken) zurückgeführt werden können.

2.2

Die Europäische Kommission hat betont, dass es darum geht, das Wachstums- und Arbeitsplatzpotenzial der KMU zu erschließen und ihre Innovationskapazität in vollem Umfang zu nutzen. Dieses Ziel wurde in dem am 11. Dezember 2007 angenommenen Bericht über die erneuerte Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung formuliert. In diesem Zusammenhang wurde der Vorschlag für einen europäischen „Small Business Act“ unterbreitet. Diese rechtliche Regelung soll vor allem dazu dienen, die Prinzipien und konkrete Maßnahmen für die Verbesserung des Umfeldes für die europäischen KMU unter Berücksichtigung ihrer Vielfalt zu definieren. Der Europäische Rat vom Dezember 2007 hat diese Initiative begrüßt, und die Kommission beabsichtigt, bis Juni 2008 einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten.

2.3

In diesem Zusammenhang sei an die Stellungnahmen mit KMU-Bezug erinnert, die der EWSA unlängst verabschiedet hat bzw. derzeit erarbeitet, wie z.B.:

„Entwicklung des europäischen Unternehmensdienstleistungssektors“ (INT/412 — Berichterstatter: Herr CALLEJA) (in Erarbeitung)

„Forschungs- und Entwicklungsprogramme für KMU“ (INT/379 — Berichterstatter: Herr CAPPELLINI)

„Halbzeitbewertung der KMU-Politik“ (INT/392 — Berichterstatter: Herr BURNS) (in Erarbeitung)

„Internationale Beschaffungsmärkte“ (INT/394 — Berichterstatter: Herr MALOSSE)

„Kleinstkredite“ (INT/423 — Berichterstatter: Herr PEZZINI) (in Erarbeitung).

2.4

Der slowenische Ratsvorsitz hat den EWSA um Vorschläge politischer Art zur Förderung des Wachstums von KMU gebeten. Es geht für den EWSA daher nicht darum, eine neue Liste von spezifischen Einzelmaßnahmen für das individuelle Wachstum von KMU aufzustellen, sondern darum, einen stärker strukturierten politischen Rahmen für die Mittelstandsförderung vorzuschlagen und hier Neuerungen einzuführen.

2.5

Der slowenische Ratsvorsitzes hat insbesondere zwei Prioritäten herausgestellt:

a)

Die KMU müssen in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer Unterschiede hinsichtlich Größe, Gewerbe, Branche und Herstellungsverfahren in die Lage versetzt werden, die großen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen: industrieller Wandel, Klimawandel, demografische Veränderung, die sozialen Grundfragen, die Umstrukturierung der Märkte im Zuge der Globalisierung, Wandel in Vertrieb, Normung und Zertifizierung von Produkten und Dienstleistungen.

b)

Sie müssen stärker in die Politikgestaltung, die operativen Prioritäten und die Entscheidungen über Rechtsvorschriften auf allen Ebenen, die für ihre Geschäftstätigkeit relevant sind, einbezogen werden.

2.6

Im Übrigen hat der slowenische Ratsvorsitz im Hinblick auf die Ausarbeitung des europäischen Small Business Act den EWSA um Stellungnahme ersucht.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA hat in seinen früheren Stellungnahmen die umfassenden Fortschritte auf dem Gebiet der KMU-Förderung gewürdigt, insbesondere die Verbesserungen beim Zugang zur Finanzierung und bei der Vereinfachung der Verwaltungsverfahren. Er nimmt mit Zufriedenheit zur Kenntnis, dass sich die Positionen der Gemeinschaftsinstitutionen bezüglich der Förderung von Kleinunternehmen sehr stark bewegt haben, und hofft, dass dies nicht nur auf die derzeitige schwierige wirtschaftliche und soziale Lage zurückzuführen ist. Trotz dieser unbestreitbaren Fortschritte sind die in den letzten Jahren ergriffenen Maßnahmen jedoch weiterhin von zahlreichen Unzulänglichkeiten geprägt.

3.2

Nach Ansicht des EWSA hat insbesondere die Europäische Charta für Kleinunternehmen ihre strategischen Zielsetzungen verfehlt, da sie rechtlich nicht verbindlich ist und in den meisten Fällen eine bloße politische Erklärung geblieben ist. Es gilt, die Umsetzung dieser Charta in den Mitgliedstaaten und auf regionaler Ebene zu verbessern und den jährlichen Evaluierungen und Empfehlungen an die Mitgliedstaaten wieder Nachdruck zu verleihen.

3.3

Im Übrigen wurde häufig festgestellt, dass die Abstimmung mit den verschiedenen Kategorien von KMU noch stark verbessert werden kann. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass eine neue Kultur des Dialogs auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene nötig ist, um die Konzertierung zwischen den Institutionen und den Organisationen, welche die verschiedenen KMU-Kreise vertreten, zu verbessern und zu institutionalisieren.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Schaffung neuer günstiger Rahmenbedingungen für die Entwicklung aller KMU

Angesichts dieser Situation und der großen Herausforderungen, vor denen die KMU in Zukunft stehen werden, aber auch mit dem Ziel, die auf dem Frühjahrsgipfel 2008 beschlossene erneuerte Lissabon-Strategie mit Leben zu erfüllen und die Initiativen der Kommission zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der KMU zu unterstützen, befürwortet der EWSA nachhaltig die Initiative des Ratsvorsitzes für eine neue Politik gegenüber den KMU, für die der europäische Small Business Act das Fundament bilden könnte.

4.2   Ein europäisches Projekt für KMU und Kleinstunternehmen

Der EWSA empfiehlt den EU-Organen, die Schwerpunkte nicht mehr nur auf stark wachsende Unternehmen, die internationale Positionierung und die verschiedenen Exzellenzprinzipien zu setzen, da dadurch Millionen kleinerer Unternehmen aus der Förderung durch Gemeinschaftsmaßnahmen herausfallen, Unternehmen, die Werte, Innovationen, Arbeitsplätze und Stabilität für die Regionen schaffen. Er fordert die Institutionen, Organe und Behörden auf allen Ebenen auf, eine Erneuerung ihrer KMU-Förderung vorzunehmen und dazu ein veritables europäisches Projekt ins Leben zu rufen, in das alle wirtschaftlichen Kräfte der mittleren, kleinen und kleinsten Unternehmen einbezogen werden und dessen Ziel es ist, jenes Mehr an Wachstum und Beschäftigung beizusteuern, das die EU braucht. Dieses europäische Vorhaben sollte auch den Dialog mit den wirtschaftlichen und sozialen Partnern sowie den repräsentativen Verbänden der verschiedenen KMU-Kategorien über die großen gemeinsamen Herausforderungen, vor denen die KMU in Zukunft stehen werden (Klimawandel, demografische Veränderung und Einwanderung, Umwelt, Energie usw.), ermöglichen und fördern. Dieses Vorhaben sollte sich auf die Unternehmen mit hohen Wachstumsraten, zugleich und vor allem aber auf das lokale Wirtschaftsgefüge und die so genannten traditionellen Gewerbe stützen und eine EU-Politik zur Förderung von Unternehmen menschlicher Größe ermöglichen, damit das Wachstum in den Mitgliedstaaten auch durch das lokale Wirtschaftsgefüge getragen wird. Dabei sollte man sich auf fünf Schwerpunkte konzentrieren:

4.2.1

Die Realitäten der unterschiedlichen Kategorien von KMU kennen und bekannt machen. Jeder Bereich der Gemeinschaftspolitik muss auf klaren Daten fußen, die ein genaues Bild vermitteln. Unter den Begriff KMU fallen unterschiedlichste Kategorien und Formen von Unternehmen (Einzelunternehmen und Gesellschaften, Firmen ohne und mit bis zu 250 Beschäftigten, Handwerksbetriebe, Handelsgewerbe, sozialwirtschaftliche Unternehmen und freie Berufe), die in verschiedenen Sektoren und Branchen tätig sind, die sich ihrerseits durch unterschiedlichste Gegebenheiten und Bedürfnisse auszeichnen. Zu den einzelnen KMU-Kategorien gibt es häufig nur lückenhafte oder überhaupt keine Informationen. Die Untersuchungen der früheren europäischen Beobachtungsstelle für die KMU lieferten seinerzeit häufig wesentliche Daten. Der EWSA begrüßt daher die Wiederbelebung dieser Beobachtungsstelle durch die Generaldirektion Unternehmen und fordert in diesem Zusammenhang:

die Einleitung eines umfangreichen Programms für wirtschaftliche — auch sektorspezifische — Studien über die Lage und die Bedürfnisse der einzelnen KMU-Kategorien (auch auf die nationale und regionale Ebene bezogen) und statistische Erhebungen in Abstimmung mit den entsprechenden Verbänden;

die Förderung und Entwicklung der Studien- und Forschungsaktivitäten von Unternehmensverbänden auf europäischer, nationaler und territorialer Ebene in Abstimmung mit den Forschungseinrichtungen, Universitäten und Mitgliedstaaten.

4.2.2

Berücksichtigung der KMU-Dimensionen in allen Bereichen der Gemeinschaftspolitik: Der EWSA konnte feststellen, dass — von politischen Absichtserklärungen zugunsten kleiner Unternehmen abgesehen — die Gesetzgeber auf allen Ebenen aus Unkenntnis der Realitäten oder um der Einfachheit willen stets stark dazu neigen, das Modell des Großunternehmens als Regelfall anzusetzen und das so genannte Bonsaiprinzip anzuwenden, wonach alles, was für Großunternehmen gut ist, auch kleinen Unternehmen nützt. Dieser theoretische Ansatz eines einzigen wirtschaftlichen Modells widerspricht der Vielfalt der Gesellschaftsformen und Unternehmenskulturen und führt in der Praxis dazu, dass 90 % der europäischen Unternehmen sich von der Gemeinschaftspolitik nicht verstanden und nicht beachtet fühlen. Der EWSA macht die Gemeinschaftsinstitutionen und die Mitgliedstaaten insbesondere darauf aufmerksam, dass Klein- und Kleinstunternehmen eine wesentliche Stärke für Wirtschaft und Beschäftigung in der EU darstellen. Sie laufen aber Gefahr, zu Schwachstellen zu werden, und zwar nicht weil sie dies selbst verschuldet hätten, sondern aufgrund ihrer unzureichenden Beachtung durch die öffentliche Hand auf allen Ebenen. Nach seinem Dafürhalten sollte der europäische Small Business Act die Gelegenheit sein, endlich in der Praxis tätig zu werden. Der Ausschuss erwartet, dass die Bedürfnisse und Besonderheiten der einzelnen KMU-Kategorien in allen Bereichen der Politik, der Programme und der Verhandlungen und auch im Rahmen des sozialen Dialogs und der internationalen Beziehungen Berücksichtigung finden, und zwar sowohl auf Gemeinschaftsebene als auch in den Mitgliedstaaten und ihren Regionen.

4.2.3

Fortsetzung der Politik zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren: Der EWSA bestärkt die Kommission in ihren vermehrten Bemühungen um die Vereinfachung des Gemeinschaftsrechts, fordert jedoch insbesondere die Gemeinschaftsinstitutionen wie auch die Mitgliedstaaten zu einer wirksamen Politik der Vereinfachung mit fünf Schwerpunkten auf:

tatsächliche Umsetzung des Konzepts „zuerst an die KMU-Dimension denken“;

Vereinfachung, ohne die Unternehmen aus der Pflicht zu nehmen: Der EWSA zweifelt daran, dass systematische Ausnahmeregelungen und Befreiungen für kleine Unternehmen gerechtfertigt und wirksam sind, und bevorzugt mehr Verhältnismäßigkeit bei der Umsetzung sowie eine direkte Abstimmung mit den Verbänden der betroffenen KMU;

systematische Einbindung der Organisationen, die die einzelnen KMU-Kategorien vertreten, in den Rechtsetzungsprozess in der EU, den Mitgliedstaaten und den Regionen sowie in den sozialen Dialog auf den verschiedenen Ebenen und eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem EWSA und dem Ausschuss der Regionen;

regelmäßige Anwendung des Prinzips „Only once“ auf allen Ebenen und in allen Instanzen;

Erstellung von Leitfäden und Erläuterungen für erlassene Rechtsvorschriften, um deren Verständlichkeit und Umsetzung in nationales Recht zu erleichtern.

4.2.4

Unterstützung der Begleitmaßnahmen und Beratung durch die repräsentativen Verbände: Die repräsentativen Verbände der einzelnen KMU-Kategorien sind ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der Gemeinschaftsmaßnahmen, indem sie allen Mittelstandsfirmen, die besondere Fachkenntnisse benötigen, welche nicht im Rahmen des neuen EEN-Netzes (Enterprise Europe Network) erbracht werden können, entsprechende fachliche Beratung und Unterstützung bieten. Diese Verbände spielen eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung von Informationen und Unterstützung für die Unternehmen und ermöglichen insbesondere die Anpassung von Rechtsvorschriften an die besondere Gegebenheiten und Umstände der einzelnen Unternehmen und ihre Überführung auf die mikroökonomische Ebene und die dem Kleinstunternehmen am nächsten stehende lokale Ebene. Der EWSA hält es daher für sehr wichtig, dass die Behörden aller Ebenen die Tätigkeit dieser Verbände zielgerichtet fördern und unterstützen und in den KMU-relevanten Gemeinschaftsprogrammen ausdrücklich Maßnahmen zur Förderung dieser Verbände vorgesehen werden. Außerdem fordert er die Kommission, die Mitgliedstaaten und die Regionen auf, die diesbezüglichen Punkte der Schlusserklärung der vierten Europäischen Konferenz für Handwerk und Kleinunternehmen in Stuttgart umzusetzen.

4.2.5

Wiederaufnahme der Programme im Bereich Unternehmenszusammenarbeit und Austausch zwischen Unternehmensverbänden: Der EWSA fordert die Kommission auf, die Programme zur interregionalen Unternehmenszusammenarbeit wieder aufzunehmen, da sich diese in der Vergangenheit bewährt haben. Außerdem müssen die Aktionen der repräsentativen Verbände unterstützt bzw. Gremien für die Förderung dieser Zusammenarbeit eingerichtet werden.

4.3   Verabschiedung eines wirksamen europäischen Small Business Act

4.3.1

In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die befürwortende Haltung des Rates und der Kommission im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Small Business Act, zumal er den Erlass einer solchen rechtlichen Regelung bereits mehrfach nachdrücklich gefordert hat (1). Nach Auffassung des Ausschusses sollte diese rechtliche Regelung folgenden Erfordernissen genügen:

4.3.1.1

Sie sollte auf die Schaffung eines optimalen Umfeldes für KMU und Kleinstunternehmen auf allen Ebenen abzielen und konkrete Antworten auf die verschiedenen Herausforderungen geben, vor denen die KMU im Laufe ihres Lebenszyklus stehen, was insbesondere für die Übertragung und Übernahme solcher Unternehmen gilt; in diesem Zusammenhang darf der europäische Small Business Act nicht zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer von KMU führen, sondern die Maßnahmen müssten vielmehr eine bessere Berücksichtigung ihrer Lage erlauben.

4.3.1.2

Die rechtliche Regelung muss einen tatsächlichen zusätzlichen Nutzen bringen und darf sich nicht auf eine bloße Zusammenstellung bestehender Programme oder die einfache Koordinierung der bereits laufenden Maßnahmen beschränken.

4.3.1.3

Sie darf nicht eine bloße Absichtserklärung bleiben, wie das leider bei der Europäischen Charta für Kleinunternehmen der Fall war, und muss über eine reine politische Verpflichtung der Gemeinschaftsinstitutionen und Mitgliedstaaten hinausgehen; die KMU und Kleinstunternehmen in Europa haben etwas Besseres verdient. Nach Ansicht des EWSA sollte der Wille der EU zu einer besseren Förderung von KMU und Kleinstunternehmen darin zum Ausdruck kommen, dass dem europäischen Small Business Act Rechtsverbindlichkeit gegeben wird.

4.3.1.4

Die gesamte rechtliche Regelung sollte verbindlich sein, auf allen Ebenen der Beschlussfassung (EU, Mitgliedstaaten und Regionen) zwingend angewendet werden und sich an die Behörden aller Ebenen richten, wobei ihre Umsetzung den Mitgliedstaaten überlassen werden sollte (2).

4.3.1.5

Sie muss auf alle Bereiche der Gemeinschaftspolitik Anwendung finden und dazu die KMU in sämtliche Politikfelder einbinden und einen gesamtheitlichen Ansatz entwickeln, bei dem sämtliche Aspekte der politischen Maßnahmen und die Folgen neuer Vorschriften für die einzelnen KMU-Kategorien angemessen berücksichtigt werden.

4.3.2

Nach Dafürhalten des EWSA sollte diese rechtliche Regelung folgende fünf Schwerpunktmaßnahmen beinhalten, um sicherzustellen, dass die Entwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen KMU-Kategorien nicht durch Rechtsvorschriften eingeschränkt werden:

4.3.2.1

Die Rechtsvorschriften aller Ebenen müssen so gestaltet werden, dass sie den besonderen Gegebenheiten und Bedürfnissen der verschiedenen KMU-Kategorien Rechnung tragen. Dazu sollte eine Grundregel eingeführt werden und auf allen Entscheidungsebenen Anwendung finden, wonach bei der Ausarbeitung der Vorschläge für Rechtsvorschriften die Bedürfnisse und Erwartungen der KMU und insbesondere der Kleinstunternehmen — unter besonderer Berücksichtung der Selbstständigen, die über die Hälfte aller europäischer Unternehmen ausmachen — bekannt sein müssen und das Prinzip „Think small first“ angewendet wird. Das bedingt vor allem die regelmäßige Konsultation der KMU-Verbände sowie — in gewissem Maße — die Beteiligung von Experten dieser Verbände an allen auf regionaler, nationaler oder europäischer Ebene bestehenden beratenden Gremien, die sich mit KMU-relevanten Problemen beschäftigen, wie der Rat (Wettbewerbsfähigkeit) auf seiner Tagung am 13.3.2006 gefordert hat.

In diesem Sinne regt der EWSA die Einsetzung eines KMU-Beauftragten in jeder Generaldirektion der Europäischen Kommission an, der dafür Sorge trägt, dass die Rechtsakte und Programme, die in die Zuständigkeit der jeweiligen Generaldirektion fallen, ausreichend die Prioritäten und Erwartungen der KMU und der Kleinstunternehmen berücksichtigen.

4.3.2.2

Es muss sichergestellt werden, dass die Rechtsvorschriften bestimmten Grundprinzipien entsprechen. Nach Ansicht des EWSA hängt die Wirksamkeit der Rechtsvorschriften der einzelnen Ebenen sowie die der Rahmen- oder Einzelprogramme bzw. -maßnahmen zur KMU-Förderung von vier Grundprinzipien ab, die in den europäischen Small Business Act aufgenommen werden und auf allen Ebenen (EU, Mitgliedstaaten und Regionen) regelmäßig Anwendung finden sollten:

systematische Abschätzung der Folgen für KMU : Es sollte kein Rechtsakt erlassen werden können, für den nicht zuvor eine systematische Folgenabschätzung für die einzelnen Unternehmenskategorien des betroffenen Sektors erfolgt ist, wobei die unmittelbaren und mittelbaren wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen, wie beispielsweise Verwaltungsaufwand oder auferlegte Kosten für die Informationsbeschaffung oder Investitionen, bewertet werden müssen; gleiches gilt für die Vorteile, welche die KMU aus dem Rechtsakt ziehen können;

der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit : KMU sollten keine für sie unnütze Rechtsvorschriften auferlegt werden und die Vorschriften müssen sich auf das unbedingt erforderliche Maß beschränken; die Bestimmungen für die Umsetzung der Rechtsvorschriften müssen den unterschiedlichen Realitäten der betroffenen Unternehmen und ihrer Fähigkeit zur Anwendung entsprechen;

only once “-Prinzip : Aufgabe von KMU ist die produktive Tätigkeit und nicht Verwaltungstätigkeiten; den Unternehmen dürfen daher nicht mehrmals Erklärungen und Verwaltungsverfahren zu ein und derselben Sache abverlangt werden; es obliegt den zuständigen Behörden und Ämtern, diese Informationen untereinander auszutauschen. Das „only once“-Prinzip könnte in Form einer einzigen Anlaufstelle nach dem Grundsatz „ein Unternehmer — ein Ansprechpartner“ umgesetzt werden, wobei die repräsentativen Verbände, die diese Aufgabe bereits auf nationaler Ebene wahrnehmen, zur Unterstützung herangezogen werden könnten;

Schutzprinzip : Rechtsvorschriften dürfen nicht erlassen werden, wenn sie der Entwicklung der KMU entgegenstehen oder deren Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Es muss möglich sein, Vorschläge für neue Rechtsvorschriften zu blockieren, wenn diese nicht vollständig einer Folgenabschätzung unterzogen wurden oder aus der Folgenabschätzung hervorgeht, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen im Widerspruch zur sozioökonomischen Entwicklung der KMU stehen.

Der EWSA betont zudem, dass die volle Transparenz der Verwaltungsverfahren hergestellt und gewährleistet werden muss, wobei den KMU Zugang zu allen sie betreffenden Verwaltungsdaten sowie erforderlichenfalls das Recht der Berichtigung zu gewähren ist.

4.3.2.3

Umsetzung einer umfassenden und dauerhaften Innovationspolitik: Der EWSA fordert die Kommission, die Mitgliedstaaten und die Gebietskörperschaften auf, sich nicht auf die Innovationsförderung im Hochtechnologiebereich zu beschränken und zielgerichteter konkrete Fördermaßnahmen in die jeweiligen Programme aufzunehmen, mit denen die Innovation in Unternehmen mit niedrigem bis mittlerem Technologieniveau und die nichttechnologische Innovation in KMU und vor allem in Kleinstunternehmen gefördert wird.

Das neue Beratungsnetz EBN allein wird nie in der Lage sein, alle Unternehmen mit Innovationspotenzial wirksam zu erfassen. Der EWSA fordert daher, dass der europäische Small Business Act folgende Schwerpunkte beinhaltet:

Ermutigung der Sozialpartner der KMU zum Dialog mit dem Ziel der Schaffung eines für Kreativität und Innovation günstigen Umfelds;

Förderung der Einsetzung von möglichst unternehmensnahen Beratern bei den repräsentativen Verbänden der KMU, Klein- und Kleinstunternehmen sowie maßgeschneiderte Schulungsmaßnahmen für Unternehmer und Beschäftigte mit dem Ziel einer besseren Innovation unter Nutzung der neuen Marktchancen im sich wandelnden Wirtschaftsumfeld;

Schaffung von Finanzinstrumenten, die an die Gegebenheiten von Kleinstunternehmen angepasst sind, wobei darauf zu achten ist, dass auch Maßnahmen für Arbeitnehmer gefördert werden;

Aufforderung an die Mitgliedstaaten und die Regionen, zusammen mit den KMU-Verbänden eine Kampagne zur Ermittlung des Bedarfs an technologischen und nichttechnologischen Innovationen in KMU und vor allem Kleinstunternehmen durchzuführen.

4.3.2.4

Breiterer Zugang zu den Gemeinschaftsprogrammen: Der EWSA vertritt die Auffassung, dass kleineren Unternehmen wegen der komplexen Verwaltungsverfahren und unterschiedlichen Voraussetzungen und Auflagen immer häufiger die Teilnahme an Gemeinschaftsprogrammen erschwert wird bzw. ganz verwehrt bleibt. Das führt zu der absurden Situation, dass sich die KMU-Verbände immer weniger für diese Programme interessieren. Die derzeitigen rechtlichen Zwänge lassen z.B. innovative Aktionen oder die Unterstützung von experimentellen Pilotprojekten nicht zu, wodurch die EU auf zahllose Neuerungsvorschläge gleichsam verzichtet. Nach Ansicht des EWSA sollten die Grundsätze und Bestimmungen für diese Verfahren überprüft werden. Die notwendigen Änderungen können aufgrund ihres Umfangs in der vorliegenden Stellungnahme nicht im Einzelnen dargelegt werden. Der EWSA ruft die Kommission auf, sich im Rahmen des europäischen Small Business Act mit den repräsentativen KMU-Verbänden auf konkrete neue Bedingungen für die Aufstellung und Teilnahme an den Programmen der einzelnen territorialen Ebenen zu verständigen.

In diesem Zusammenhang sollte es möglich gemacht werden, dass der Zugang von KMU zum öffentlichen Beschaffungswesen insbesondere in den am stärksten benachteiligten Regionen mit Strukturfondsmitteln gefördert wird (3).

4.3.2.5

Leichtere Übertragung bzw. Übernahme von Unternehmen und Schaffung von entsprechenden Anreizen: Der EWSA unterstreicht insbesondere die Bedeutung der Übertragung bzw. Übernahme von Kleinunternehmen in den produktiven Sektoren und im Dienstleistungssektor, in städtischen wie in ländlichen Gebieten: ihr Verschwinden von der Bildfläche zeichnet sich ab, ist aber nicht unausweichlich und würde den Fortbestand von Gewerbe und Beschäftigung in diesen Gebieten erheblich gefährden. Deshalb sollten Mechanismen zur Vermittlung von Käufern und Verkäufern gefördert sowie finanzielle oder steuerliche Anreize geschaffen werden. Überdies sollten die Unternehmer bestärkt werden, im Hinblick auf die Werterhaltung ihrer Aktiva für eine bessere Kapitaldeckung zu sorgen.

Angesichts der besonderen Lage von Unternehmern in bestimmten, z.B. ländlichen Gebieten sollten dort innovative Ansätze, wie beispielsweise öffentlich-private Partnerschaften, entwickelt werden.

4.4   Der europäische Small Business Act sollte im Kern ein verbindliches Rechtsinstrument sein.

4.4.1

Damit diese rechtliche Regelung auch tatsächlich greift, sollten die Maßnahmen nach Ansicht des EWSA vom Rat und vom Europäischen Parlament in Form eines für die europäischen, nationalen und regionalen Beschlussfassungsebenen verbindlichen Rechtsaktes erlassen werden.

4.4.2

Der EWSA fordert, dass in diesem Zusammenhang eine jährliche Bewertung der Umsetzung des europäischen Small Business Act und der Gesamtheit aller Maßnahmen für KMU auf Gemeinschaftsebene erfolgt und dass jährlich über die erzielten Fortschritte Bericht erstattet wird. Dieser Jahresbericht könnte Gegenstand eines gesonderten Kapitels im Rahmen der Umsetzung der Lissabon-Strategie sein.

4.4.3

Auf der Grundlage dieser Berichte sollte die Kommission für die Mitgliedstaaten wie für die Regionen Empfehlungen für die Umsetzung formulieren, zu denen der Ausschuss Stellung zu nehmen gedenkt.

4.4.4

Der Ausschuss fordert, dass diese jährlichen Überprüfungen ggf. zu einer Anpassung und Überarbeitung des europäischen Small Business Act und der Maßnahmen für KMU führen.

4.4.5

Überdies empfiehlt er der Kommission und dem Rat nachdrücklich, die repräsentativen Verbände der einzelnen KMU-Kategorien sehr eng in die Gestaltung dieser rechtlichen Regelung und in ihre Umsetzung einzubeziehen.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Unternehmenspotenzial — insbesondere von KMU (Lissabon-Strategie)“ (ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 8).

(2)  Siehe Stellungnahme zum Thema „Internationale Beschaffungsmärkte“ (ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 32). Darin spricht sich der EWSA gegen „die Einführung eines KMU-Quotensystems in der EU nach dem Vorbild des Small Business Act in den USA aus“.

(3)  Siehe EWSA-Stellungnahme CESE 979/2008 zum Thema „Internationale Beschaffungsmärkte“ (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/12


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission: Agenda für einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Tourismus“

KOM(2007) 621 endg.

(2009/C 27/03)

Die Europäische Kommission beschloss am 19. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission: Agenda für einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Tourismus“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 13. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr MENDOZA CASTRO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 10. Juli) mit 108 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt und billigt die Mitteilung der Kommission„Agenda für einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Tourismus“ und unterstützt die Kommission in dem Bestreben, mit dieser Agenda ihre Tourismusstrategie und -politik für die nächsten Jahre in klarer Form festzuschreiben und deren praktische und tägliche Umsetzung sicherzustellen. Die Kommission hat diese neue Politik bereits in ihrer Mitteilung „Eine neue EU-Tourismuspolitik: Wege zu mehr Partnerschaft“ formuliert.

1.2

Der EWSA würdigt das Bemühen der Kommission, die zahlreichen wichtigen Texte, Stellungnahmen und Diskussionen zu diesem Thema in einem Dokument zu bündeln. Dieses Dokument wird dem Auftrag gerecht, der Öffentlichkeit die Ergebnisse der Gruppe „Nachhaltigkeit im Tourismus“, der Arbeit der Experten, die den Bericht erstellt haben, und der zuvor durchgeführten öffentlichen Anhörung verständlich zu vermitteln.

1.3

Angemessen erscheinen sowohl die Heranziehung der überarbeiteten Lissabon-Strategie als Grundlage für diese neue Politik als auch die allgemeinen Ziele der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit und die besonderen Ziele des wirtschaftlichen Wohlstands, der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Zusammenhalts sowie des Schutzes von Umwelt und Kultur.

1.4

Fundiert sind auch die in der Kommissionsmitteilung genannten Herausforderungen und die Vorschläge, wie diese bewältigt werden können. Als methodische Vorgehensweise wird die Einbeziehung aller Interessengruppen in verschiedene Formen von Partnerschaft und „wettbewerbsfähiger Partnerschaft“ vorgeschlagen; diese Mitwirkung bildet den Grundpfeiler der neuen Tourismuspolitik und der Agenda für ihre Umsetzung. Die Bedeutung der in der Kommissionsmitteilung genannten Herausforderungen liegt auf der Hand. Ein künftiges Kernelement der Agenda muss die fortlaufende Untersuchung der Auswirkungen der Treibhausgase sein.

1.5

Angemessen erscheint zudem die Verpflichtung der Kommission, diese neue Politik im Zuge des Dialogs, der Zusammenarbeit, der Durchführung von Fördermaßnahmen und der Koordinierung zwischen den Interessengruppen umzusetzen. Die „Agenda für einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Tourismus“ ist die Entwicklung von konkreten Methoden und Vorschlägen für Handlungsinstrumente für die einzelnen europäischen Tourismusakteure. Allerdings könnte und sollte die Kommission durch ihre Generaldirektion Unternehmen eine aktivere Rolle spielen; sie muss bei der Einleitung zahlreicher Initiativen auf europäischer Ebene wie Sozialtourismus, „Tourismus für alle“ und Tourismusausbildung vorangehen. Insbesondere sollten die Kommission sowie die übrigen Institutionen größere Anstrengungen unternehmen, um kleine, mittlere und Kleinstunternehmen in die Politik für die Nachhaltigkeit im Tourismus sowie die Agenda für die Umsetzung und Verwirklichung dieser Politik einzubeziehen. Der Ausschuss begrüßt das von der Kommission eingeleitete Projekt „Herausragende europäische Reiseziele“ als vorbildliche und beispielhafte Initiative.

1.6

Der EWSA bekräftigt seine Empfehlung, das Europäische Tourismusforum zu fördern und verstärkt Überlegungen und Untersuchungen über die Einsetzung eines Europäischen Tourismusrates sowie die Schaffung einer Europäischen Agentur für Tourismus anzustellen. Diese beiden Gremien könnten vielleicht ein Forum bieten, in dem die Tourismusbehörden und die verschiedenen Akteure der Tourismusindustrie zusammenkommen, um besser und umfassender über den nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Tourismus zu informieren, die Einhaltung der Politik und der Agenda des europäischen Tourismus zu überwachen und vor allem zu versuchen, Trends im Tourismussektor zu ermitteln und erforderliche Maßnahmen zu erarbeiten. Der Klimawandel, seine Folgen für den Tourismus und die entsprechenden Maßnahmen könnten vorrangige Aufgabenbereiche dieser beiden Gremien sein.

1.7

Der EWSA begrüßt die von der Kommission formulierte Absicht, die Nutzung der bestehenden Finanzierungsinstrumente zu optimieren. Seiner Auffassung nach bietet der Sozialtourismus bereits Raum für grenzüberschreitende Erfahrungen in Form von Pilotprojekten. Beispiele für solche Initiativen sind der Sozialtourismus und der „Tourismus für alle“, der Ausbau der Humanressourcen, die Produktentwicklung und die Marktdurchdringung. Der EWSA ist der Ansicht, dass diese Bereiche bereits ausreichend Raum für grenzüberschreitende Pilotprojekte bieten.

1.8

Der EWSA begrüßt den Abschluss der Arbeiten an der „Agenda 21 für den Tourismus“. Deren Ergebnisse, die sich in der Kommissionsmitteilung „Agenda für einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen europäischen Tourismus“ wiederfinden, komplettieren und konkretisieren die allgemeine Politik der Nachhaltigkeit im europäischen Tourismus. Das von der Kommission zu diesem Zweck angefertigte Themenpapier ist Grundlage und Ergänzung der Kommissionsmitteilung, weshalb beide Dokumente als Einheit betrachtet werden sollten.

1.9

Im Bereich der Statistik begrüßt der EWSA den von der Kommission veröffentlichen und seinerzeit vom EWSA geforderten Aufruf zur Interessenbekundung für die Einrichtung eines Netzes von Beobachtungsstellen für den Tourismus, mit denen nicht nur die Daten des Sektors ermittelt, sondern auch strategisch und zukunftsweisend geplant und künftige Maßnahmen vorausschauend erarbeitet werden können.

1.10

Der EWSA ist bereit, auch weiterhin und im Rahmen der in der Kommissionsmitteilung formulierten Leitlinien Beiträge zum Bereich Tourismus zu leisten, und ruft die übrigen EU-Institutionen sowie die Mitgliedstaaten, lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die Akteure in der Tourismusbranche, Unternehmen, Gewerkschaften und alle Bürgerinnen und Bürger auf, gemeinsam den Tourismus als universelles Recht und als für die Zukunft Europas strategisch wichtigen Wirtschaftszweig zu betrachten und zu unterstützen. Ebenso müssen alle Akteure und Verbraucher Eigenverantwortung für die Gestaltung eines nachhaltigeren und wettbewerbsfähigeren Tourismus übernehmen.

1.11

In der Kommissionsmitteilung werden zwar soziale Faktoren und Elemente, die den Tourismus prägen, berücksichtigt, nach Ansicht des EWSA fehlt jedoch der Verweis auf Form und Inhalt der Unionsbürgerschaft. Tatsächlich könnte der Tourismus noch einen weitaus größeren Beitrag zum Zusammenhalt kultureller und sozialer Gruppen im Rahmen der Unionsbürgerschaft leisten, die wir alle fördern und weiterentwickeln sollten. Die Vielfalt und Verschiedenartigkeit von Kulturen, Sprachen sowie des natürlichen und kulturellen Erbes in den einzelnen Ländern Europas stellt einen großen Reichtum dar und kann und muss zum gegenseitigen Kennenlernen und Anerkennen unserer Rechte als Unionsbürger genutzt werden. Ein anderer Aspekt, dem in den Diskussionen und Dokumenten zum Thema Tourismus auf europäischer Ebene gebührende Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, ist die Kultur, denn zwischen Tourismus und Kultur können sich Synergieeffekte ergeben, wie der Ausschuss bereits in einer früheren Stellungnahme feststellte.

1.12

Bei der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Tourismus sollten die besonderen Merkmale der Reiseziele Beachtung finden. Der EWSA empfiehlt, den Besonderheiten jener Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, die in hohem Maße vom Tourismus abhängen. Die Erfordernisse der verschiedenen Regionen sollten bei der Erarbeitung von Maßnahmen und Vorschlägen im Bereich Tourismus gebührend berücksichtigt werden. Es wird empfohlen, dass die Kommission in ihren Folgeabschätzungen unverhältnismäßig große Auswirkungen auf bestimmte Regionen und Sektoren berücksichtigen sollte, z.B. mögliche Auswirkungen für Reiseziele wie Inseln, die über keine anderen Verkehrsträger verfügen und deshalb weitgehend bzw. fast ausschließlich vom Luftverkehr abhängig sind.

1.13

Der EWSA ist der Auffassung, dass die in der Kommissionsmitteilung beschriebenen Prinzipien und Werte — Nachhaltigkeit, sozialer Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit, Partnerschaft, Rentabilität, Sicherheit, Beschäftigungsqualität usw. — zusammengenommen praktisch ein Europäisches Tourismusmodell bilden, nicht in Form eines Pakets von Rechtsvorschriften, sondern im Ergebnis der umfassenden Anwendung dieser Prinzipien und Werte in der ganzen EU.

1.14

Der EWSA fordert die Kommission dazu auf, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um die Entwicklung europaweiter Nachweise von Kenntnissen und Kompetenzen auf diesem Gebiet voranzutreiben und so mehr und bessere Arbeitsplätze in diesem Sektor zu schaffen. Gefördert werden sollte insbesondere der Europass als einfache und in ganz Europa leicht verständliche Präsentation der individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten und Fertigkeiten von Arbeitnehmern, die eine Stelle oder Berufschancen im europäischen Ausland (EU, EFTA/EWR und Kandidatenländer) suchen.

2.   Mitteilung der Kommission

Zum besseren Verständnis dessen, was die Kommission allen Akteuren und europäischen Institutionen vermitteln möchte, werden die Kernpunkte der Mitteilung kurz zusammengefasst.

2.1   Einleitung zur Mitteilung

2.1.1

Die schwierige Aufgabe, zwischen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit ein Gleichgewicht herzustellen. Im ersten Abschnitt der Einleitung der Kommissionsmitteilung wird zunächst die zentrale und strategische Rolle des Tourismus in der europäischen Wirtschaft anerkannt, was nicht nur mit quantitativen Daten untermauert, sondern auch damit begründet wird, dass diese Branche Arbeitsplätze schaffen und auf diese Weise zum Ziel der erneuerten Lissabon-Strategie beitragen kann. Erwähnenswert ist hier die Wachstumsprognose von über 3 %, die zweifellos einen soliden Beitrag zu den Beschäftigungszielen leistet, aber in bestimmten Fällen und langfristig auch das Risiko birgt, dass die von der Nachhaltigkeit gesetzten Grenzen überschritten werden.

2.1.2

Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeitzwei Bedingungen, die miteinander vereinbar sind. In ihrer Mitteilung stellt die Kommission eindeutig fest, dass die Wettbewerbsfähigkeit von der Nachhaltigkeit und von der Qualität des subjektiven Erlebnisses abhängt. Auch nimmt sie ausdrücklich Bezug auf die Zwänge, die der Klimawandel der Tourismusindustrie auferlegt. Die soziale Verantwortung der Unternehmen kann einen entscheidenden Beitrag leisten, wenn Maßnahmen ergriffen werden, die auf die Anpassung an den Klimawandel und dessen Bekämpfung abzielen und gleichzeitig die Innovation und den Wert der Tourismusprodukte für eine Welt mitgroßen globalen Herausforderungen fördern.

2.2

Inhalt der Agenda. In ihrer Mitteilung schlägt die Kommission die Schaffung eines neuen Gleichgewichts zwischen der Zufriedenheit der Touristen, der Umwelt und der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Reisezielen vor. Zur Verwirklichung dieses Ziels müssen alle beteiligten Akteure beitragen.

2.2.1

Ziele und Herausforderungen. In der Kommissionsmitteilung werden als Handlungsleitlinien für sämtliche Akteure drei grundlegende Ziele der Agenda formuliert: wirtschaftlicher Wohlstand, sozialer Ausgleich und Zusammenhalt sowie Schutz der Umwelt.

Es werden auch große Aufgaben genannt, die bewältigt werden müssen, um diese Ziele zu erreichen:

Nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen und kulturellen Ressourcen

Reduzierung des Ressourcenverbrauchs und der Umweltverschmutzung

Gestaltung des Wandels zum Wohl der Bürger

Verringerung der Saisonabhängigkeit der Nachfrage

Bekämpfung der tourismusbedingten Auswirkungen des Verkehrs auf die Umwelt

Erleichterung der Teilnahme aller am Tourismuserlebnis

Qualitative Aufwertung der Arbeitsplätze im Tourismus

Gewährleistung der Sicherheit für Touristen und für die lokalen Gemeinschaften

Dieser Aufgabenkatalog ist nicht erschöpfend und abgeschlossen. Vielmehr muss in Zusammenarbeit der Akteure der Tourismusbranche eine regelmäßige Aktualisierung, neue Schwerpunktsetzung und Weiterentwicklung des Katalogs vorgenommen werden.

2.2.2

Handlungsrahmen. In ihrer Mitteilung erklärt die Kommission, dass kohärente Maßnahmen zum Erreichen der Ziele und zur Bewältigung der Herausforderungen die Zusammenarbeit und das verantwortungsvolle Management von Reisezielen, Unternehmen und Touristen erfordern. Sie beschreibt auch die Bedingungen für die Verwirklichung dieser Kohärenz.

2.2.3

Grundsätze. In der Mitteilung werden insgesamt neun Grundsätze festgelegt, die eingehalten werden müssen, um einen nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Tourismus zu erreichen. Darunter sind drei hervorzuheben:

Beachtung der Kapazitätsgrenzen, die für Gebiete, Einrichtungen und Touristenströme festgelegt werden können

Entwicklung im geeigneten Tempo und Rhythmus, je nach jeweils verfügbaren natürlichen, kulturellen und sozialen Ressourcen

langfristige Planung als unabdingbare Voraussetzung für das Gleichgewicht zwischen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit.

2.3

Gemeinsam in die Zukunft. In diesem Abschnitt unterstreicht die Kommission, dass alle Akteure des Sektors ihre Anstrengungen bündeln und auf freiwilliger Basis kontinuierlich zusammenarbeiten sollten. Das vorgeschlagene Modell beruht auf der Beachtung des Subsidiaritätsprinzips, wobei die Maßnahmen vorzugsweise auf Ebene der Reiseziele ergriffen, aber gleichzeitig auf nationaler und europäischer Ebene unterstützt werden sollten. In der Mitteilung wird deshalb sowohl die Rolle der verschiedenen Interessengruppen des Sektors als auch die der Kommission im Lichte des Vertrags herausgestellt.

2.3.1

Rolle der Interessengruppen. Entsprechend den Schlussfolgerungen der Gruppe „Nachhaltigkeit im Tourismus“ werden in der Mitteilung umfangreiche Zuständigkeiten und spezifische Aufgaben für die drei Handlungsbereiche Reiseziele, Unternehmen und Touristen festgelegt. Besonders betont wird, dass Kleinstunternehmen die Notwendigkeit des Gleichgewichts zwischen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit vermittelt werden muss.

2.3.2

Rolle der Europäischen Kommission. Die Kommission erkennt ihre im Vertrag verankerte Verantwortung zum Handeln an und verpflichtet sich, im Rahmen der Agenda und darüber hinaus verschiedene Initiativen auf Gemeinschaftsebene zu ergreifen und zu fördern. Davon verdienen vier Aktionsbereiche besondere Aufmerksamkeit:

Motivierung der Akteure zum Aufbau und Austausch von Wissen, stets mit dem Ziel des Gleichgewichts zwischen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit. Das Europäische Tourismusforum ist ein gutes Beispiel für den Austausch von Ideen und Erfahrungen.

Förderung herausragender Reiseziele als Beispiele für bewährte Verfahren und Förderung der Vernetzung der Reiseziele, die sich für Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit einsetzen.

Mobilisierung der EU-Finanzinstrumente: Die Kommission verpflichtet sich, Informationen über den besseren Einsatz dieser Finanzierungsinstrumente im Tourismussektor zu verbreiten.

Herausstellung der Aspekte Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit in den politischen Maßnahmen der Kommission und ihre Anwendung auf eine Vielzahl von Regionen mit sehr unterschiedlichen Anliegen und Erfordernissen, d.h. Küsten-, Berg-, ländliche und städtische Gebiete.

2.4   Schlussfolgerungen der Mitteilung

Die Kommission formuliert zum Abschluss die Aufforderung, dass alle öffentlichen und privaten Akteure bei der Annahme und praktischen Umsetzung der Agenda umfassend zusammenarbeiten sollten. Einmal mehr empfehlt sie die Zusammenarbeit auf allen Ebenen als Voraussetzung für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, die langfristig einen attraktiven und nachhaltigen europäischen Tourismus gewährleistet. Die Kommission nennt das Jahr 2011 als Zeitpunkt für eine Bewertung des Aktionsplans, den diese Agenda darstellt. Das Ziel, das die Kommission mit der Vorlage ihrer Mitteilung verfolgt, wird somit deutlich.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Tourismus und seine strategische Bedeutung für die europäische Wirtschaft wurden von allen EU-Institutionen in offiziellen wie informellen Erklärungen anerkannt, in denen die Rolle des Sektors gefördert und unter allen Akteuren bekannt gemacht wird und die damit dem Sektor wichtige Impulse verleihen. Das hat nicht nur mit der wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus im engeren Sinne zu tun, sondern auch mit seiner sozialen Relevanz für den Aufbau eines Europas der Bürger. Dieser Impuls ist zwar durchaus anzuerkennen, doch muss noch viel getan werden, damit der Tourismus jetzt und in der Zukunft einen zentralen Platz in der europäischen Politik einnimmt.

3.2

Es ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass im neuen Lissabon-Vertrag die Bedeutung des Tourismus für Europa anerkannt wird und der EU mehr Möglichkeiten als bisher eingeräumt werden, zur Entwicklung des Sektors beizutragen. Gemäß diesem Vertrag hat die EU die Zuständigkeit und die Aufgabe, die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu unterstützen, koordinieren oder ergänzen, und verfolgt die Ziele, ein günstiges Umfeld für die Entwicklung von Unternehmen zu schaffen und den Austausch bewährter Methoden zu fördern.

3.3

Die Rolle des Tourismus wurde bereits von mehreren EU-Institutionen untersucht:

Das Europäische Parlament hat eine Reihe von Entschließungen zu unterschiedlichsten Formen des Tourismus und zu seinen Auswirkungen auf Beschäftigung und Wirtschaft verabschiedet, z.B. die Entschließung „Tourismus und Entwicklung“ und die „Entschließung des Europäischen Parlaments zu den neuen Perspektiven und neuen Herausforderungen für einen nachhaltigen europäischen Fremdenverkehr“.

Der Rat der Europäischen Union hat sich mit dem Tourismus mehrfach in Schlussfolgerungen und Aktionsplänen auseinandergesetzt, im Wesentlichen um zu betonen, dass Tourismus nachhaltig und wettbewerbsfähig sein und Arbeitsplätze schaffen muss. Besonders erwähnenswert sind die Schlussfolgerungen des Rates vom 7. Juli 2006 zur Mitteilung der Kommission zur neuen Tourismuspolitik in der EU: Darin begrüßt der Rat diese Politik und fordert die Kommission auf, eine aktive Rolle bei der Koordinierung der verschiedenen Maßnahmen zu spielen.

Die Europäische Kommission hat mehrere Mitteilungen veröffentlicht (insbesondere die Mitteilung vom März 2006 über die neue Tourismuspolitik in der EU), Europäische Tourismusforen eingerichtet, gefördert und organisiert, Konferenzen zu verschiedenen Themen veranstaltet (z.B. zum Sozialtourismus und zur Agenda 21 für den Tourismus) und viele andere Aktionen durchgeführt (z.B. das Pilotprojekt „EDEN“ [European Destinations of Excellence/Herausragende europäische Reiseziele] zur Anerkennung und Förderung bewährter Methoden in den EU-Mitgliedstaaten und Kandidatenländern).

Der Ausschuss der Regionen hat u.a. Stellungnahmen zu den Kommissionsmitteilungen „Zusammenarbeit für die Zukunft des Tourismus in Europa“ und „Grundlinien zur Nachhaltigkeit des europäischen Tourismus“ verabschiedet.

Dem Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist das Thema Tourismus schon immer ein besonderes Anliegen, wie die mindestens 11 seit 1999 dazu verabschiedeten Stellungnahmen, seine aktive Teilnahme an den von der Kommission veranstalteten Europäischen Tourismusforen und seine Beteiligung an bzw. Unterstützung für die zahlreichen Veranstaltungen zu unterschiedlichen Tourismusaspekten zeigen. Besonders nennenswert ist die Zusammenarbeit zwischen dem EWSA und anderen Institutionen im Rahmen von gemeinsamen Initiativen im Bereich Tourismus.

3.4

Diese Stellungnahme des EWSA dient dazu, die Beiträge der Kommissionsmitteilung zur Tourismuspolitik und die darin enthaltenen Vorschläge zur Umsetzung dieser Politik zu bewerten und Anregungen zu geben, die zwar nicht die Mitteilung selbst bereichern können, aber doch die Debatte darüber.

3.5

In ähnlicher Weise, wie das bereits in der Stellungnahme INT/317 zur Kommissionsmitteilung über die neue Tourismuspolitik geschah, möchte der Ausschuss auch in dieser Stellungnahme Folgendes erklären bzw. bekräftigen:

Der Tourismus ist ein Recht aller Unionsbürger nach Maßgabe des Globalen Ethischen Kodex für den Tourismus, das Pflichten in Bezug auf bewährte Praktiken mit sich bringt.

Dieses Recht schafft Reichtum und direkte und indirekte Wertschöpfung, insbesondere für kleinste, kleine und mittlere Unternehmen, die für Europa einen strategisch wichtigen und erwiesenermaßen stabilen Industriezweig darstellen.

Die Qualität der Dienstleistungen der Marktteilnehmer und die Verantwortung der Nutzer gegenüber den Gemeinden vor Ort sind Werte, die wir als Grundlage für ihren Fortbestand erhalten müssen.

Der Tourismus hat positive wirtschaftliche, soziale, kulturelle und ökologische Auswirkungen auf lokaler und regionaler Ebene sowie in städtischen Gebieten bzw. sollte diese haben; in diesem Sinne ist er ein Instrument zur Kenntnis anderer Kulturen, Lebensarten und Verhaltensweisen und der interregionalen Zusammenarbeit.

Der Tourismus ist ein dynamischer Sektor, der gegenwärtig und zukünftig viele Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet und die Fähigkeit besitzt, hochwertige und stabile Arbeitsplätze mit Rechten zu schaffen.

Der Tourismus ist nicht frei von Problemen, wie etwa das der Massenphänomene und der Saisonabhängigkeit, die den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit zur Folge haben.

Der Ausschuss ist überzeugt von der Notwendigkeit einer zielgerichteten und ehrgeizigen europäischen Agenda 21 für den Tourismus.

Das europäische Tourismusmodell ist eine innereuropäische Notwendigkeit und kann weltweit als Bezugsgröße fungieren, wenn es nicht auf mehr Vorschriften basiert, sondern auf Werten wie Qualität, Nachhaltigkeit, Zugänglichkeit u.a., die freiwillig an den Reisezielen und von allen Wirtschaftsteilnehmern eingehalten werden.

Das europäische Tourismusmodell basiert auf einer Vielfalt an Reisezielen, Tourismuskonzepten und Gestaltungsformen, die es bereichern.

Das vom Ausschuss befürwortete europäische Tourismusmodell ist ein wirksames Mittel für Frieden und Völkerverständigung.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

In ihrer Mitteilung schlägt die Kommission klar und deutlich die Herstellung des notwendigen Gleichgewichts zwischen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit und Methoden für die praktische Umsetzung dieses Ziel vor. Sie hat zweifellos große Anstrengungen unternommen, um all diese Aspekte in einer vergleichsweise kurzen Mitteilung zusammenzufassen. Dazu war auch die Analyse zahlreicher Dokumente, Stellungnahmen und Diskussionen erforderlich. Das Ziel, die Öffentlichkeit präzise über den grundlegenden Standpunkt der Kommission zur Zukunft des Sektors und zu den in dieser komplexen Branche erforderlichen Maßnahmen zu informieren, wurde erreicht.

4.2

Die in der Mitteilung enthaltenen Argumente für die Agenda erscheinen insofern fundiert, als sie der wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus und seiner Fähigkeit, Arbeitsplätze für junge Menschen zu schaffen, aber auch dem notwendigen Gleichgewicht zwischen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit, die langfristig voneinander profitieren, Rechnung tragen. Um diese Aspekte miteinander in Einklang zu bringen und das Gleichgewicht zwischen ihnen zu bewahren, sind Folgenabschätzungen wie die die Bewertung des ökologischen Fußabdrucks der verschiedenen gewerblichen Tätigkeiten in diesem Bereich und in den einzelnen Regionen oder der Belastungsgrenzen und Aufnahmekapazitäten erforderlich. Die allgemeine Erkenntnis, dass Umfang und Entwicklungsgeschwindigkeit des Tourismus begrenzt sind, ist grundlegend für das Gleichgewicht zwischen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit.

4.3

Vielleicht wäre es nützlich gewesen, wenn die Kommission in ihrer Mitteilung den neuen Lissabon-Vertrag etwas genauer untersucht hätte, um festzustellen, welche Grundlagen sich darin für die Agenda finden und welche Fortschritte er für die Umsetzung der neuen europäischen Tourismuspolitik bringt. Es darf nicht vergessen werden, dass die Mitgliedstaaten und die Regionen mehrfach erklärt haben, dass sie einerseits ihre Zuständigkeiten für den Tourismussektor behalten wollen, die EU aber auch als Impulsgeberin und Koordinatorin in bestimmten Bereichen von gemeinsamen Interesse tätig werden soll, um die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Tourismussektors zu verbessern. Beispielsweise ist die Einrichtung und Verwaltung eines Internetportals zur Werbung für Europa als Urlaubsdestination bereits ein wertvolles und nützliches Instrument, um alle EU-Mitgliedstaaten als abwechslungsreiche und hervorragende Reiseziele zu präsentieren.

4.4

Die in der Mitteilung formulierten Herausforderungen und Ziele sind sicherlich die wichtigsten, vor denen der Tourismus in den nächsten Jahrzehnten steht. Zweifellos sind die zentralen Herausforderungen der Nachhaltigkeit und der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit so umfassend, dass sie andere wichtige Aufgaben beinhalten, die ebenfalls in der Agenda genannt werden, z.B. Verbesserung der Qualität, Maßnahmen gegen die Saisonabhängigkeit oder professionellere Fachkräfte im Tourismusgewerbe.

4.5

In ihrer Mitteilung fordert die Kommission wiederholt zur Zusammenarbeit auf, denn im Einklang mit der neuen Tourismuspolitik soll die verstärkte Kooperation ein zentrales und kennzeichnendes Element sein. Hervorzuheben ist insbesondere die Rolle der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände, die in die Kooperationsverfahren einbezogen und an allen Diskussionen und Foren sowie an der Umsetzung der allgemeinen Maßnahmen zur Verbesserung des Sektors beteiligt werden müssen. Ähnlich sinnvoll wäre die Stärkung der etablierten Netze von Reisezielen — Städten oder Regionen — unter dem gemeinsamen Ziel der besseren Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit. Der EWSA begrüßt die Förderung der „herausragenden europäischen Reiseziele“ und ist der Ansicht, dass ein solches Konzept auch korrekte Beschäftigungsverhältnisse sozialen Bedingungen sowie die Einbeziehung der Gewerkschaften und der Unternehmerverbände am ausgewählten Reiseziel beinhalten muss, um so die Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Urlaubsziele zu verbessern.

Auch die Verbraucherverbände können im Rahmen ihrer Zuständigkeiten hier eine wichtige Rolle spielen.

4.6

Die Kommission verpflichtet sich, diese neue Politik im Zuge der Zusammenarbeit, der Durchführung von Fördermaßnahmen und der Koordinierung zwischen den Interessengruppen umzusetzen. In der Agenda wird unmissverständlich gefordert, dass sämtliche Akteure des Sektors mehr Eigenverantwortung übernehmen. Nach Auffassung des EWSA spielt die Generaldirektion Unternehmen eine sehr wichtige Rolle bei dieser Aufgabe der Koordinierung aller europäischer Politikbereiche, die den Tourismus direkt oder indirekt betreffen und für die unterschiedlichen Typen von Reisezielen mit ihren jeweiligen Besonderheiten von Bedeutung sind.

4.7

Der EWSA ist auch der Auffassung, dass die Kommission die Umsetzung europäischer Initiativen — einschließlich des grenzüberschreitenden Sozialtourismus in Europa — stärker vorantreiben sollte. An dieser Stelle empfiehlt der EWSA und bekräftigt damit seine bereits mehrfach formulierten Vorschläge, das Europäische Tourismusforum zu fördern und zu unterstützen sowie verstärkt Überlegungen über die Einrichtung eines Europäischen Tourismusrats und einer Europäischen Tourismusagentur anzustellen bzw. die Bedingungen dafür zu prüfen; diese Gremien könnten die Strategien und Maßnahmen im europäischen Tourismussektor bekannt machen und beobachten. Der Kommission wird zudem empfohlen, Forschungsmaßnahmen zur Schaffung technologischer Plattformen im Tourismussektor zu fördern, mit denen sich das Tourismus-Marketing verbessern lässt, insbesondere angesichts der Möglichkeiten zur Förderung des Tourismus innerhalb Europas sowie zur Anziehung von Fremdenverkehrsgästen aus anderen Ländern (China, Indien, Russland).

4.8

Der EWSA ist der Auffassung, dass in der Mitteilung sowohl aus Sicht der Verbraucher als auch der Sicht der Unternehmen und Interessenträger nicht hinreichend auf die Rolle der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im neuen Rahmen für den Tourismussektor eingegangen wird. FuE-Maßnahmen im Tourismusbereich, die den Einsatz dieser Technologien fördern, müssen in den nächsten Jahren Priorität haben. Sicherlich werden diese Maßnahmen zu einem besseren Management von Reisezielen, Unternehmen und Touristen und damit zum angestrebten Gleichgewicht führen.

4.9

Die erklärte Absicht der Kommission, konkrete Maßnahmen zu ergreifen und vor allem die verfügbaren europäischen Finanzinstrumente besser zu nutzen, ist sicherlich von Bedeutung; es fehlt aber ein Vorschlag für ein spezifisches Programm zur Bewältigung der — in der Mitteilung zutreffend dargestellten — großen Herausforderungen im Tourismussektor. Es muss sichergestellt werden, dass alle Mittel, die direkt oder indirekt für den Tourismussektor bestimmt sind, wirkungsvoll und zielgerichtet eingesetzt werden.

4.10

Bei der Beurteilung dieser Mitteilung gilt es zu berücksichtigen, dass der Bericht der Gruppe „Nachhaltigkeit im Tourismus“ in erheblichem Maße zur Erarbeitung der Agenda beigetragen hat, vor allem was die Festlegung der Rolle der einzelnen Akteure des Sektors betrifft. Die monatelange Arbeit namhafter Experten ist zweifellos ergebnisreich gewesen und hat komplementäre und konkrete Antworten auf einer Reihe von Fragen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit geliefert.

4.11

Die Rolle, die die Kommission für die Statistik im Tourismussektor vorsieht, wird in der Mitteilung nicht eindeutig dargelegt. Touristikstatistiken müssen die Umsetzung der Agenda begleiten und vor allem verstärkt den Faktoren Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung gelten.

4.12

In der Mitteilung wird ausdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Tourismusstrategien für Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit mit den übrigen Bereichen der Politik der Kommission und der gesamten EU zu verknüpfen, um die Erreichung der in der Agenda festgelegten Ziele zu gewährleisten.

4.13

Wie bereits in der als Erklärung von Kattowitz bezeichneten Stellungnahme, der Stellungnahme zum Thema „Tourismus und Kultur: zwei Kräfte im Dienste des Wachstums“, der Stellungnahme zum Thema „Eine neue EU-Tourismuspolitik“ und anderen Dokumenten des EWSA festgestellt wurde, wären auch Kommunikationskampagnen zur Bewusstseinsbildung und Mobilisierung aller europäischen Bürger, insbesondere aber der jungen Menschen, notwendig.

4.14

Der EWSA hält es für entscheidend, dass sowohl die reguläre als auch die berufliche Bildung den Erfordernissen von Unternehmen Rechnung trägt und die Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmern verbessert. Die Zertifizierung und Anerkennung theoretischer und praktischer Kenntnisse auf europäischer Ebene sollte dazu beitragen, mehr Arbeitsplätze und bessere Arbeitsbedingungen im Tourismussektor zu schaffen.

4.15

Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit im Tourismus muss den Besonderheiten der einzelnen Reiseziele Rechnung getragen werden. Der Ausschuss empfiehlt, dass bei der Ausarbeitung von Maßnahmen und Vorschlägen die besonderen Umstände der weitgehend vom Tourismus abhängigen Mitgliedstaaten berücksichtigt werden und auch die Bedürfnisse der verschiedenen Regionen Berücksichtigung finden. Gleichzeitig sollte beachtet werden, dass sich Fernreisen aufgrund der dadurch bedingten Einflüsse und Emissionen besonders stark auf den Klimawandel auswirken können. In Zukunft werden die Vorzüge näher gelegener Reiseziele, die mit geringerem CO2-Ausstoß erreicht werden können, stärker hervorgehoben werden müssen.

Brüssel, den 10. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Der nachstehende Wortlaut von Ziffer 4.15 der Stellungnahme der Fachgruppe, auf den mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurde durch den vom Plenum angenommenen Änderungsantrag abgeändert:

„4.15

Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit im Tourismus muss den Besonderheiten der einzelnen Reiseziele Rechnung getragen werden. Der Ausschuss empfiehlt, dass bei der Ausarbeitung von Maßnahmen und Vorschlägen die besonderen Umstände der weitgehend vom Tourismus abhängigen Mitgliedstaaten berücksichtigt werden und auch die Bedürfnisse der verschiedenen Regionen Berücksichtigung finden.“

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen (für die Hinzufügung eines neuen Satzes): 48 Nein-Stimmen: 43 Stimmenthaltungen: 16


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/18


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Weißbuch über die Integration der EU-Hypothekarkreditmärkte“

KOM(2007) 807 endg.

(2009/C 27/04)

Die Europäische Kommission beschloss am 18. Dezember 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Weißbuch über die Integration der EU-Hypothekarkreditmärkte“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr GRASSO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 123 Ja-Stimmen gegen 1 Stimme bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Bewertungen und Empfehlungen

1.1

Die Kommission ersucht den Ausschuss erneut um Stellungnahme zur Frage der Integration der Hypothekarkreditmärkte für den Kauf von Wohn- und sonstigen Immobilien. Dabei handelt es sich um das „Weißbuch über die Integration der EU-Hypothekarkreditmärkte“.

1.2

Im Allgemeinen ist ein Weißbuch das Ergebnis einer weitgehend abgeschlossenen und strukturierten politischen Bewertung der weiteren Vorgehensweise. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Kommission muss vielmehr noch viele offene Fragen überprüfen, wie z.B. die der gemeinschaftlichen Investitionsfonds, der Kreditgeber, der Produktkopplung usw. Insgesamt werden 14 Aspekte berücksichtigt.

1.3

Das Weißbuch steht folglich nicht für einen abgeschlossenen Prozess, sondern dieser bleibt vielmehr aufgrund seiner tatsächlichen und belegten Komplexität offen. Wieso also den Ausschuss erneut um Stellungnahme bitten, wenn das Weißbuch gegenüber dem Grünbuch, zu dem sich der EWSA bereits geäußert hat, nichts Neues bietet?

1.4

Es handelt sich um ein Problem, das seit vielen Jahren immer wieder erneut in den Verhandlungen zur Sprache kommt, ohne dass es der Kommission gelingt, eine Lösung zu finden und ohne je eine wirkliche Entscheidung zu fällen, die die Beseitigung u.a. kultureller, rechtlicher und verwaltungstechnischer Hindernisse erforderlich macht. Tatsächlich sind sie es, die nach Auffassung des EWSA letztlich die Ziele der Kommission behindern.

1.5

Die Stellungnahme des EWSA zum Grünbuch (1) wurde im Dezember 2005 vom Plenum mit nur einer Enthaltung verabschiedet und ist immer noch voll und ganz zutreffend.

1.6

Das Weißbuch gibt eine Situation wider, die auch heute noch durch die erhöhte Zersplitterung des Sektors gekennzeichnet ist. Dies ist auf kulturelle, rechtliche und ethisch-soziale Besonderheiten zurückzuführen, die den Erwerb einer Immobilie, insbesondere zu Wohnzwecken, in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Union kennzeichnen.

1.7

Der EWSA hegt zwar in Bezug auf die konkreten Möglichkeiten einer Integration und Harmonisierung des Hypothekarkreditmarkts in der EU, der durch Besonderheiten und erheblich unterschiedliche Charakteristika gekennzeichnet ist, seine Zweifel (Stellungnahme BURANI vom 15. Dezember 2005) (2). Gleichwohl begrüßt er im Großen und Ganzen den Versuch der Kommission, „Regeln“ aufzustellen, sei es in Form einfacher Verhaltensrichtlinien (d.h. „bewährter Verfahren“), sei es in Form zwingender Vorschriften.

1.8

Die Maßnahme könnte jedoch als überzogen bewertet werden, falls die ebenfalls positiven Möglichkeiten, die bereits heute die Selbstregulierung des Hypothekarkreditmarkts bieten, in Frage gestellt werden sollten.

1.9

Der EWSA empfiehlt der Kommission, zwischenzeitlich die Überprüfung derjenigen Bereiche zu vertiefen, die keine übermäßigen Schwierigkeiten bereiten, sofern dies lohnend erscheint (z.B. Kreditregister, Zwangsvollstreckung, Verbreitung von Finanzkompetenz usw.).

1.10

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Maßnahmen der Kommission zu stark auf einen möglichen kurzfristigen Nutzen ausgerichtet sind, der aus der eventuellen Einführung neuer Bestimmungen resultiert, die auf einer etwas partiellen Auffassung des Hypothekarkreditmarkts basieren. Bei einem auf kurzfristige Erfolge ausgerichteten Ansatz wird nur auf die Reduzierung der Finanzierungskosten durch Hypothekarkredite abgezielt, ohne jedoch auf die tatsächlichen Vorteile zu achten, die die Unionsbürger aus dem gegenwärtigen Angebot an Finanzierungsprodukten und deren Innovationen ziehen könnten.

1.11

Der EWSA ist (wie bereits in der Stellungnahme von Herrn BURANI zum Ausdruck gebracht) der Auffassung, dass das von der Kommission vorgeschlagene Schema der ständigen Entwicklung des Marktes nur in geringem Maße Rechnung trägt. Er ist deshalb besorgt über die langfristigen Folgen für die schwächsten Vertragspartner, d.h. die schutzbedürftigeren Verbraucher.

1.12

Der EWSA begrüßt, dass zwischen den gegenwärtigen Bestimmungen für Hypothekarkredite eine Verbindung zur Notwendigkeit des Verbraucherschutzes gezogen werden soll. Das sind begrüßenswerte Absichten, die es zu unterstützen gilt, wenn sie auf eine erhöhte Finanzkompetenz in Bereich der Hypothekarkredite abzielen. Der Wille der Kommission, Maßnahmen zur Stärkung der Transparenzregeln im Sinne eines optimalen Verbraucherschutzes zu ergreifen, verdient Zustimmung.

1.13

Gleichzeitig scheint es jedoch auch schwierig und ungewiss, um jeden Preis allgemeine Bestimmungen zur Bewertung des Risikoprofils einer Person, die einen Kredit beantragt, zu erlassen.

1.14

Nach Auffassung des EWSA muss zum einen der Verbraucher in der Phase der Aushandlung des Hypothekarkreditvertrags geschützt werden, zum anderen muss sich der Kreditnehmer seiner Verantwortung gegenüber dem Kreditgeber bewusst sein.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

2.1

Am 18. Dezember 2007 wurde das als „Folgenabschätzung“ bezeichnete Begleitdokument zum Weißbuch über die Integration der EU-Hypothekarkreditmärkte {SEC(2007) 1683} verabschiedet. Zu dem Dokument gehören drei Anlagen zu folgenden Aspekten: a) die Eigenschaften der EU Hypothekarkreditmärkte; b) Verfahren oder Prozesse und c) Folgenabschätzung für einzelne Problemfelder.

2.2

Wenngleich das Dokument SEK(2007) 1684 eine hervorragende Zusammenfassung der Folgenabschätzung enthält, sollen trotzdem einige wichtige Punkte dieses Dokuments, zu dem der EWSA um Stellungnahme ersucht wurde, kurz erwähnt werden:

Es enthält die Bestandsaufnahme einer durch ein hohes Maß an Zersplitterung gekennzeichneten Situation, die auf die in kultureller, rechtlicher und vor allem ethischer und sozialer Hinsicht unterschiedliche Bedeutung zurückzuführen ist, die dem Kauf einer Wohnimmobilie in den verschiedenen Staaten der EU zukommt;

es werden alle sensiblen Bereiche dieser Thematik beleuchtet, auch in wirtschaftlich-finanzieller Hinsicht, da der Hypothekarkreditmarkt für die verschiedenen Volkswirtschaften der EU-Mitgliedstaaten von großer Bedeutung ist; ebenso wird auf den Beitrag eingegangen, den Investitionen im Bereich der Hypothekarkredite für die Rentabilität des Bankensektors erbringen;

es wird betont, dass in der gegenwärtigen stark uneinheitlichen Lage auch auf die „Vorlage einer neuen Rechtsvorschrift“ zur verstärkten Marktintegration zurückgegriffen werden könnte.

2.3

In dem Kommissionsdokument werden folglich die bereits im vorausgegangenen Grünbuch über Hypothekarkredite untersuchten Fragen wieder aufgegriffen. Angesichts der Tatsache, dass sich das neue Dokument mit der Integration der Hypothekarkreditmärkte und den entsprechenden, bereits genannten Folgenabschätzungen befasst, war dies nicht anders zu erwarten.

2.4

Der EWSA hat bereits — am 15. Dezember 2005 — zum Grünbuch Stellung genommen, Berichterstatter war Herr BURANI. Dieses Dokument entspricht voll und ganz dem Standpunkt des EWSA in dieser Frage. Die vorliegende Stellungnahme möchte sich mit zwei Punkten befassen, die von der Kommission hinzugefügt wurden:

Er möchte zu den von der Kommission beabsichtigten Schritten Stellung nehmen, die diese angesichts der Folgenabschätzungen, die sich aus dem Weißbuch ergeben, vorschlägt (3);

Die Aufforderung der Kommission, Vorschläge einzureichen, im Zusammenhang mit ihrer Feststellung, dass ein umfangreiches Programm zur Beobachtung und Bewertung erst nach der Einreichung detaillierter Vorschläge entwickelt werden kann (4).

3.   Bemerkungen des EWSA zum Weißbuch

3.1

Das Weißbuch wirft ein breites Spektrum von zu lösenden Problemen auf, zu denen der EWSA Stellung nehmen soll. Dabei handelt es sich um elf thematische Bereiche:

1)

Wahl des erforderlichen Produkts;

2)

Vorzeitige Rückzahlung;

3)

Produktkopplung;

4)

Kreditregister;

5)

Immobilienbewertung;

6)

Zwangsversteigerungsverfahren;

7)

Nationale Grundbücher;

8)

Anwendbares Recht;

9)

Zinsbeschränkungen und Vorschriften gegen Zinswucher;

10)

Refinanzierung des Hypothekarkredits;

11)

Nichtbanken und Finanzdienstleister.

3.2   Bemerkungen zu den einzelnen Punkten der Folgenabschätzung

3.2.1

Vorvertragliche Informationen : Zur Beseitigung von Informationsdefiziten in der Phase vor Vertragsabschluss hält es der EWSA für notwendig, spezifische Informationen und spezifisches Wissen im Bereich der Hypothekarkredite auszutauschen und zu verbreiten. Diesbezügliche Kosten dürfen nicht auf die Bürger umgelegt werden.

3.2.1.1

Ein besseres Informationsangebot und die Verbreitung von Finanzkompetenz sind für eine wirkungsvolle Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses bei Risikosituationen unabdingbar. Das beste Mittel zur Vorbeugung gegen eventuelle übermäßige Risiken ist es, beiden Vertragsparteien bewusst zu machen, welchen Risiken sie tatsächlich ausgesetzt sind.

3.2.1.2

Der EWSA betont nachdrücklich, dass in den Regelungen und Vorschriften die Modalitäten des Informationsaustauschs und eventuelle Sanktionen bei Nichteinhaltung berücksichtigt werden müssen. Gleichwohl ist der Ausschuss der Auffassung, dass die Auferlegung von Verpflichtungen für nur eine Vertragspartei ohne weitere Bedingungen nur dazu führen würde, dass die Belastung auf die andere Partei abgewälzt wird.

3.2.2

Verhaltenskodizes : Nach Auffassung des EWSA sollten Anreize für den freiwilligen Beitritt zum Verhaltenskodex geschaffen werden.

3.2.2.1

Dies würde es den Kreditnehmern ermöglichen, sich eventueller Risiken und der Möglichkeit günstigerer Finanzierungsbedingungen besser gewahr zu werden.

3.2.2.2

Als diesbezügliches Instrument wird empfohlen, von den Kreditnehmern zu verlangen, einen Standardfragebogen auszufüllen. Darin sollen die eigenen Fähigkeiten zur mittel- bis langfristigen Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen bewertet werden.

3.2.3

Kostensatz : Der EWSA hält es für sinnvoll, dass die Kreditgeber dazu verpflichtet werden, die Gesamtkosten des Vorgangs — aufgeschlüsselt nach den einzelnen Bestandteilen, auch dem Steueranteil — anzugeben.

3.2.4

Beratung : Der EWSA ist der Auffassung, dass Beratungsdienste im direkten Umfeld der Hypothekarfinanzierung mittels unabhängiger Preisbildungsmechanismen aufgewertet werden sollten, die gleichwohl in der Berechnung der Gesamtkosten des Vorgangs aufzuführen sind.

3.2.5   Vorzeitige Rückzahlung

3.2.5.1

Anwendbarkeit : Bezüglich vorzeitiger Rückzahlung ist zu unterscheiden zwischen: a) der vorzeitigen Rückzahlung mit vollständigem oder teilweisem Erlöschen der Hypothekarschuld; b) den Fall der Rückzahlung aufgrund der Möglichkeit, bei anderen Kreditinstituten günstigere Bedingungen auszuhandeln.

Im ersten Falle hält es der EWSA für wichtig, immer die Rückzahlung — auch teilweise (Sondertilgung) — zuzulassen;

Im zweiten Falle sollte dies mit dem Übergang des Finanzierungsvertrags auf ein anderes Kreditinstitut einhergehen.

3.2.5.2

Entschädigung : In Bezug auf die Vorfälligkeitsentschädigung wird betont, dass diese gemäß der mathematischen Formeln berechnet werden müssen, die verpflichtend in den vertraglichen Vereinbarungen aufzuführen sind. Eine Entschädigung darf vom Kunden nur im Falle freiwilliger Tilgung des Kredits verlangt werden. Im Falle der Vertragsabtretung müsste die Entschädigung von dem in den Vertrag eintretenden Kreditinstitut übernommen werden.

3.2.6

Produktkopplung : Der Verkauf miteinander gekoppelter Produkte ist nur dann rechtsmäßig, wenn der tatsächliche Nutzen der Kopplung nachgewiesen werden kann. Der EWSA hält es für möglich, dieses Problem dadurch zu lösen, dass der Kreditgeber verpflichtet wird, das Kosten-Nutzen-Verhältnis genau aufzuschlüsseln und dem Kreditnehmer für seine Entscheidung bezüglich der Annahme des Vorschlags ausreichend Zeit zu lassen, eventuell über den Vertragsabschluss hinaus.

3.2.7

Kreditregister : Der EWSA teilt die Auffassung, dass ein europäisches Kreditregister erforderlich ist, dessen Zugang durch spezifische Bestimmungen zum Datenschutz geregelt sein muss. Er ist der Auffassung, dass die Einrichtung eines europäischen Kreditregisters ein wichtiges Element zur Förderung des europäischen Wettbewerbs unter den verschiedenen Hypothekarkreditgebern darstellt. Auf jedem Fall müssen der grenzübergreifende Zugang zu den Kreditregistern der einzelnen Mitgliedstaaten erleichtert und die Auskunftsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden.

3.2.8

Immobilienbewertung : Man muss von der Voraussetzung ausgehen, dass die Immobilienbewertung weitaus komplexer ist als eine allgemeine finanzielle Bewertung. Die Besonderheiten vom Immobilien (insbesondere die Unveränderbarkeit des Standorts) bedingt ihren Nutzen. Des Weiteren wird ihre Bewertung durch lagebedingte externe Faktoren beeinflusst, wie z.B.:

die Beschaffenheit der Umgebung;

die Verkehrsanbindung;

die Bevölkerungsdichte usw.

Es ist folglich völlig utopisch, alle Bestimmungsfaktoren für die Bewertung einer Immobilie in einer spezifischen Formel zusammenfassen zu wollen.

3.2.8.1

Kriterien der Immobilienbewertung : Angesichts des sehr komplexen Vorgangs einer Immobilienbewertung aus oben genannten Gründen scheint es abwegig, eine für alle Fälle anwendbare spezifische Formel zu suchen. Vielmehr wird vorgeschlagen, so genannte bewährte Verfahren auf lokaler Ebene zu entwickeln und der Verpflichtung mehr Geltung zu verschaffen, die Bewertung durch Akteure durchzuführen, die über einen von den Berufsfachverbänden bestätigten Nachweis fachlicher Qualifizierung verfügen und die auch die Verantwortung für die „Fairness“ einer entsprechenden Bewertung übernehmen.

3.2.8.2

Bewertung der Immobilienrisiken : Der EWSA ist außerdem der Auffassung, dass neben der Immobilienbewertung die Volatilität des entsprechenden Wertes überprüft werden sollte, um die Sicherheit, die die Immobilie darstellt, besser einschätzen zu können. Diesbezüglich wird empfohlen, bereits von den Akteuren des Finanzmarktes verwendete Instrumente einzusetzen, die im Wesentlichen auch in andere Gemeinschaftsvorschriften eingegangen sind, wie z.B. Risikopotenzial-(„Value-at-Risk“)-Methoden (5).

3.2.9

Vollstreckung in Immobilien : Lässt sich die Hypothekarfinanzierung in einen Kredit für die Immobilie und eine persönliche Forderung gegen den Schuldner auftrennen, dann müsste auch zwischen dem wirtschaftlichen Nutznießer der Immobilie und dem offiziell haftenden Schuldner unterschieden werden.

3.2.10

Anwendbares Recht : Der EWSA ist der Ansicht, dass die Möglichkeit einer einträglichen Arbitrage zwischen den unterschiedlichen zivil- und steuerrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten einen ansonsten nicht realisierbaren Integrationsschub des Marktes gestattet.

3.2.10.1

Folglich wird in erster Linie die Beibehaltung der unterschiedlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten begrüßt. Die Vertragspartner haben so die Möglichkeit, diejenigen Vorschriften auszuwählen, die zu einer Senkung der Gesamtkosten der Finanzierung beitragen können, wie dies bereits im Übereinkommen von Rom (6) vorgesehen ist.

3.2.11

Wucherzins : Der EWSA bekräftigt seinen bereits zu diesem Thema geäußerten Standpunkt, insbesondere in Bezug auf die große Schwierigkeit, eine exakte Grenze für Wucherzins mittels der Bestimmungen für Verbraucherkredite festzulegen. Gleichwohl wird unterstrichen, dass Information die beste Verteidigung gegen Wucher darstellt. Der EWSA schlägt folglich vor, in großem Maßstab Kommunikationsinstrumente für die Bandbreite der Risikozuschläge aufzubauen, die für die verschiedenen Risikoklassen von Kreditnehmern angewandt werden.

3.2.12

Refinanzierung von Hypothekarkrediten : Der ESWS ist der Auffassung, dass der im Weißbuch genannte Ansatz zu einfach umgangen werden kann. Danach wird bei den Vorschriften über die Refinanzierung auf der Grundlage der subjektiven Natur der Intermediäre zwischen Banken und Nichtbanken unterschieden.

3.2.12.1

Nichtbanken und Finanzdienstleister : Die Hypothekarfinanzierung muss immer durch ein reglementiertes und kontrolliertes Finanzinstitut erfolgen. Die Verkaufsförderung und Unterstützung durch Intermediäre (z.B. Beratungsunternehmen) ist erlaubt, sofern sie von qualifizierten, wenngleich nicht unbedingt im Kreditwesen tätigen Einrichtungen erbracht wird.

4.   Aufzugreifende Vorschläge des EWSA

4.1

Die jüngste Krise der sog. Subprime-Kredite in den USA hat verdeutlicht, dass die Volatilität der Immobilienpreise, zusammen mit Praktiken der oberflächlichen Bewertung des Kundenrisikos mit Blick auf ausbleibende Ratenzahlungen, die angesichts des Werts der als Sicherheit dienenden Immobilien unangemessen hoch sind, zu Finanzkrisen führen kann, die sogar das ganze System ins Wanken bringen können. Deshalb müssen bei jedweder Maßnahme auf Gemeinschaftsebene sowohl die im vorstehenden Kapitel erläuterten Punkte wie auch diese Erfahrung berücksichtigt werden.

4.2

Die im Weißbuch empfohlene eventuelle Einführung eines 28. Regulierungsmechanismus für Hypothekarkredite neben den bereits in den EU-Mitgliedstaaten bestehenden Regelungen könnte eine stärkere Integration des Binnenmarkts für Hypothekarkredite erlauben und die Wahlmöglichkeiten der Vertragspartner vergrößern, ohne jedoch die Voraussetzungen für eine Instabilität des Finanzmarktes zu schaffen, wie sie in der Krise der Subprime-Kredite deutlich wurden.

4.3

Mitunter wird der Kauf einer Immobilie — vor allem zu Wohnzwecken — durch (subjektive) emotionelle Faktoren beeinflusst, die mit einer korrekten, rationalen und objektiven Bewertung der Immobilie nichts zu tun haben. Jede Maßnahme der Kommission zur Regulierung des Hypothekarkreditmarktes muss, um wirkungsvoll zu sein, vom (objektiven wie subjektiven) Bezugskontext ausgehen.

4.4

Es wäre interessant, einen Vorschlag zur Annahme eines alternativen Interpretationsmodells für den Hypothekarkredit zu formulieren, den der EWSA vertiefen könnte. Danach würde jeder Finanzierungsvorgang in ein aus zwei passiven Komponenten bestehendes Portfolio eingeteilt:

Die erste Komponente besteht aus einer (durch Vermögenswerte besicherten) Finanzierung, deren Wert durch den Marktpreis und der möglichen Volatilität des Immobilienwerts bestimmt wird;

Die zweite besteht aus einer zweckorientierten und personenbezogenen Finanzierung, deren Wert aufgrund der wirtschaftlich-finanziellen Leistungsfähigkeit und Zukunftsaussichten des Vertragsnehmers ermittelt wird.

4.5

Die Annahme eines aus zwei Komponenten bestehenden Hypothekenkreditsystems („twin-mortgage“) könnte einige Vorteile bieten, die es zu vertiefen und überprüfen gilt, wie z.B.:

vereinfachte Risikobewertung im Zusammenhang mit dem rationalen Teil des Vorgangs (durch Vermögenswerte besicherte Finanzierung) im Vergleich zur Finanzierung, die sich aus der Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers (zweckbestimmte persönliche Finanzierung) ergibt;

Die Möglichkeit transparenter Preise in Bezug auf die verschiedenen Risikosituationen, die die beiden Bestandteile der Finanzierung charakterisieren (objektive Finanzierung der Immobilie und subjektive personenbezogene Finanzierung);

Die Verringerung negativer Auswirkungen auf das Finanzsystem im Falle ausbleibender Zahlungen seitens einer übermäßig hohen Zahl von Personen, die Finanzierungen erhalten haben, im Unterschied zu den unlängst vom Finanzmarkt zu tragenden Folgen (sogenannte Subprime-Kreditkrise).

4.6

Der EWSA hofft, dass die Kommission diesen Prozess möglichst bald abschließt, mehr Entschlossenheit an den Tag legt und die Voraussetzungen dafür schafft, dass eine Trennung der institutionellen Aspekte die Grundlage für ein eventuelles 28. Regime bilden kann.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 65 vom 17.3.2006, S. 113, Berichterstatter: Herr BURANI.

(2)  Siehe ebenda.

(3)  Siehe Bericht über die Folgenabschätzung SEC(2007) 1683: Erklärung über den Haftungsausschluss sowie S. 5 (liegt nur auf EN vor).

(4)  Siehe ebenda, Ziffer 8.

(5)  Vgl. Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente, angenommen am 21. April 2004 und in Kraft getreten am 30. April 2004, veröffentlicht im ABl.

(6)  Vgl. KOM(2005) 650 endg. vom 15. Dezember 2005.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Entwicklung des Baugewerbes in Europa“

(2009/C 27/05)

Am 6. Dezember 2007 ersuchten Margot WALLSTRÖM, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und zuständig für institutionelle Beziehungen und Kommunikationsstrategie, und Günter VERHEUGEN, Vizepräsident der Europäischen Kommission und zuständig für Unternehmen und Industrie, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema

„Entwicklung des Baugewerbes in Europa“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 13. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr HUVELIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 10. Juli) mit 57 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerung

1.1

Anders als manche glauben, wird die Zukunft der Bauindustrie weniger von den zugewiesenen staatlichen Mitteln abhängen (auch wenn eine größere Planungskontinuität sicherlich von Nutzen wäre), als vielmehr von dem Vermögen der zuständigen Organe, den für alle geltenden Rechtsrahmen weiterzuentwickeln, damit beim Wettbewerb die größtmögliche Transparenz gewährleistet und das Potenzial und Know-How der Unternehmen jeder Größe bestmöglich genutzt werden kann.

1.2

In diesem Zusammenhang enthält diese Stellungnahme im Wesentlichen folgende Empfehlungen:

möglichst baldige Schaffung (im Verordnungswege) einheitlicher Bedingungen bei Ausschreibungen, wobei insbesondere den Auftraggebern aus dem öffentlichen Sektor eine möglichst breite und klare Palette an die Hand gegeben werden muss, aus der sie als Verantwortliche entsprechend ihren Bedürfnissen das geeignete Vertragsinstrument wählen können;

Schaffung von rechtlichen Möglichkeiten, die es den Unternehmen der Bauwirtschaft ermöglichen würden, zur Bewältigung der Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung einen größeren Beitrag zu leisten: Wenn das Gesamtkostenkonzept eingeführt, die Möglichkeit öffentlich-privater Partnerschaften jeder Größe geschaffen und eine Finanzierung gewährleistet wird, die auf der erwarteten Leistung basiert, können kleine und große Unternehmen sich schon heute dieser Herausforderung stellen und sie bewältigen;

Bemühungen um ein besseres Image der Baubranche, um das Interesse der Schüler zu wecken und dem Mangel an entsprechenden Berufswünschen abzuhelfen;

besondere Anstrengungen in Bezug auf die Ausbildung für Berufe, die einen sehr wichtigen Prozentsatz der nicht verlagerbaren Beschäftigung in Europa ausmachen;

Förderung einer nachhaltigen Bautätigkeit in der EU;

Erhaltung eines gesunden wirtschaftlichen Umfelds und von Beschäftigungsbedingungen, die die Bedürfnisse der Menschen in den Ländern respektieren, in denen sie arbeiten;

Förderung der europäischen Konkurrenzfähigkeit.

1.3

Nur so wird sich die Bauwirtschaft auf die außereuropäischen Konkurrenten vorbereiten können, mit denen in naher Zukunft zu rechnen ist.

2.   Einführung (Hintergrund)

2.1

Im Rahmen der Umsetzung der Lissabon-Agenda ersuchten die Kommissionsmitglieder Margot WALLSTRÖM und Günter VERHEUGEN den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss in einem Schreiben vom 6. Dezember 2007 um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme, in der geprüft werden sollte, ob die verschiedenen Rechtsvorschriften [für den Bau- und Unternehmensdienstleistungssektor] ein kohärentes Regelwerk bilden und ob sie angesichts des aktuellen und in Zukunft zu erwartenden Wandels noch zeitgemäß sind. Schließlich soll geprüft werden, welches Ausmaß ein Prozess der Vereinfachung, Straffung und Modernisierung der Rechtsvorschriften in diesen Bereichen haben muss. Der Klarheit halber sei darauf hingewiesen, dass diese Überprüfung nicht nur die Vorschriften für die genannten Bereiche betreffen, sondern auf alle Bestimmungen ausgedehnt werden sollte, die sich auf die Entwicklung in diesen Sektoren auswirken (Arbeitsschutz, Umweltschutz usw.), und dass die rechtmäßigen Interessen der Sektoren bei der Analyse berücksichtigt werden müssen.

2.2

Folglich müssen alle in dem Ersuchen angesprochenen Punkte genau und systematisch unter die Lupe genommen werden, da der zu untersuchende Bereich sehr umfangreich ist und die Kommission in der Vergangenheit schon mehrere Gesamtstudien von externen Beraterfirmen hat durchführen lassen.

2.3

In dieser Stellungnahme soll aber nur auf die von der Kommission aufgeführten Aspekte eingegangen werden, d.h. auf solche Änderungen und Vereinfachungen der für das Baugewerbe geltenden Rechtsvorschriften, die im Rahmen einer strategisch ausgerichteten, objektiven Betrachtung des Sektors Verbesserungen herbeiführen können, aus denen sich bessere Voraussetzungen für das Funktionieren und die Entwicklung des Sektors ergeben.

2.4

Diese Stellungnahme enthält daher im Folgenden einige nützliche Informationen über den Bausektor, so dass die zum Baugewerbe gehörenden Berufe mit den ihnen eigenen Zwängen in einen Kontext eingebettet werden.

3.   Stellung des Baugewerbes in der europäischen Wirtschaft — einige Zahlen

3.1

Kennzahlen zum Baugewerbe (2,7 Mio. Unternehmen, EU-27, Jahr 2006)

 

2006

Anteil der Bruttowertschöpfung des Baugewerbes am BIP

10,5 %

Anteil des Arbeitnehmerentgelts im Baugewerbe an seiner Bruttowertschöpfung

54,5 %

Anteil der Bruttoanlageinvestitionen des Baugewerbes an den Bruttoanlageinvestitionen insgesamt

50,5 %

Anteil der Gesamtbeschäftigung im Baugewerbe an der Gesamtbeschäftigung in allen Wirtschaftszweigen (1)

7,2 %

3.2   Einige Informationen

3.2.1

Die Tätigkeiten des Baugewerbes sind nicht verlagerbar und daher von wesentlicher Bedeutung für das künftige Wirtschaftswachstum und die Industriestruktur in Europa.

3.2.2

Unter Berücksichtigung der Produktionsstruktur des Baugewerbes und der Tatsache, dass dieser Sektor über geographische Fixpunkte im gesamten Staatsgebiet jedes Mitgliedstaates verfügen muss, die tief im Leben des jeweiligen Ortes verwurzelt sind, spielt er auch eine soziale und gesellschaftliche Rolle, die nicht vergessen werden darf und gefördert werden muss.

3.2.3

Das Baugewerbe muss bei allen Maßnahmen im Zusammenhang mit der nachhaltigen Entwicklung eine wichtige Rolle spielen, und zwar

als unverzichtbarer Akteur für Investitionen in diesem Bereich (Wohnungsbau und Hochbau im Allgemeinen, Verkehr, Energieerzeugung usw.);

durch die Anpassung seiner Leistungsmodalitäten (auch im Baustoffsektor) an die Notwendigkeiten und Anforderungen der nachhaltigen Entwicklung.

3.2.4

Die allgemeine Darstellung dieses Sektors wäre unvollständig, wenn nicht darauf hingewiesen würde, dass das Baugewerbe trotz der erheblichen Anstrengungen, die der Berufsstand seit über 30 Jahren unternimmt, immer noch ein teilweise negatives Image hat. Diese Feststellung spielt bei den Überlegungen in dieser Stellungnahme eine Rolle, denn sie steht im Zusammenhang mit:

dem Tenor der in manchen Ländern geltenden Vorschriften über die Bedingungen für die Auftragsvergabe und den Umgang mit Schwarzarbeit;

der unbestreitbaren Schwierigkeit, Jugendliche für eine Beschäftigung (unmittelbare Attraktivität) und Ausbildung im Baugewerbe (Misstrauen des allgemeinen Bildungssystems) zu gewinnen.

3.2.5

Aufgrund der spezifischen Merkmale der Bauberufe — die sich sowohl aus den Anforderungen der Kunden als auch aus verschiedenen technischen Daten ergeben — ist das Baugewerbe ein „parzellierter“ Markt, auf dem auch in Zukunft Handwerker sowie kleine, mittlere und große Unternehmen nebeneinander tätig sein werden.

In diesem Zusammenhang muss der Begriff des „Großunternehmens“, das ausschließlich „Großprojekte“ realisiert, durch die Feststellung relativiert werden, dass die auf dem gesamteuropäischen Markt durchgeführten Projekte mit einem Volumen von über 20 Mio. EUR derzeit nur 2 bis 5 % des weltweiten Baumarktes ausmachen.

3.2.6

Bei den großen europäischen Unternehmensgruppen, die oftmals auch auf internationalen Märkten präsent sind, handelt es sich in der Regel um „Konsortien“ aus kleinen und mittleren Strukturen, die insbesondere auf der lokalen Ebene angesiedelt und in demselben Wettbewerbsumfeld wie die unabhängigen KMU vor Ort tätig sind.

3.2.7

Die großen europäischen Akteure dieses Sektors unterscheiden sich in ihrer Entwicklung in der Regel von dem so genannten „amerikanischen“ Modell, da sie mit den entsprechenden Instrumenten ihr eigenes Know-How weiterentwickeln und dauerhaft verankern und dabei das Recht einfordern, ihre Intelligenz einzusetzen und sich an der Projektgestaltung zu beteiligen.

3.2.8

Dank dieses Ansatzes haben die europäischen Unternehmen sich auf den weltweiten Märkten einen Platz erobert. Ihr Modell, das auf dem Ineinandergreifen von Projektgestaltung und -ausführung beruht, ist nicht unbedingt nur großen Unternehmen vorbehalten, sondern kann und muss in Unternehmen jeder Größe zum Einsatz kommen.

4.   Einige Grundprinzipien

4.1

Neben der angestrebten Vereinfachung der Rechtsvorschriften muss das Ziel dieser von der Europäischen Kommission angeforderten Sondierungsstellungnahme darin bestehen, Wege aufzuzeigen, die folgendes ermöglichen:

eine echte Transparenz und Chancengleichheit bei Ausschreibungen,

den Übergang von einer tief verwurzelten Kultur des Misstrauens hin zu einer Kultur des Vertrauens und der Partnerschaft,

die Verbindung des wirtschaftlich günstigsten Angebots (Bestbieterprinzip) und des Gesamtkostenangebots während der gesamten Bauleistung,

den Schutz des geistigen Eigentums,

die Benennung von Mindestarbeitsbedingungen im Rahmen der Auftragsvergabe sowie Kontrolle und Sanktionen von Verstößen,

die Verringerung des Verwaltungsaufwands durch Beschränkung der Rechtsvorschriften und Verfahren auf ein Mindestmaß, wobei die Sicherheitsaspekte und die wesentlichen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien beizubehalten sind.

4.2

Die Berücksichtigung dieser verschiedenen Elemente in den Rechtsakten dürfte — abgesehen von den schwankenden Auftragsvolumen, auf die in dieser Stellungnahme nicht eingegangen wird — eine normale Entwicklung der in der Bauwirtschaft tätigen Akteure ermöglichen und somit die Wahrung einer kohärenten Sozialpolitik (Beschäftigung, Sicherheit, Entlohnung) gewährleisten und dazu beitragen, dass die Bauberufe in den Augen der Beteiligten (Jugendliche, Eltern, Lehrer usw.) attraktiver werden.

5.   Wichtigste Vorschläge

5.1

Der Ausschuss schlägt vor, dass die zuständigen Behörden ihre Anstrengungen auf die folgenden Schlüsselaspekte konzentrieren:

Vereinheitlichung und Vereinfachung der Verfahren zur Auftragsvergabe, um in einem Zug die Transparenz und die Optimierung der Instrumente und der Kompetenzen zu gewährleisten,

Förderung von Innovation, insbesondere durch die Lösung des Problems des geistigen Eigentums an Ideen und Varianten,

Ausbildungsmaßnahmen für die Arbeitnehmer, und zwar sowohl in Bezug auf die Erstausbildung als auch auf die Fortbildung während des gesamten Berufslebens,

Beitrag zur Verbesserung des Images dieser Branche, die Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Menschen bietet;

soziale Bestimmungen zur Regelung der Beschäftigungsbedingungen und zur Festlegung vorbildlicher Arbeitsschutzverfahren,

nachhaltige Entwicklung im weiteren Sinne; sie ist ein Bereich, in dem die im Baugewerbe tätigen Unternehmen eine wichtige Rolle spielen und neue Verantwortung übernehmen müssen.

5.2   Vereinheitlichung und Vereinfachung der Verfahren zur Auftragsvergabe

5.2.1

Die Maßnahmen könnten in folgende Richtung gehen:

Umwandlung der geltenden Richtlinien über das öffentliche Auftragswesen in Verordnungen. Dadurch würde eine tatsächliche Vereinheitlichung der Verfahren auf europäischer Ebene erzielt und einheitliche Wettbewerbsbedingungen würden gewährleistet;

systematischerer Vorzug des Bestbieters vor dem Billigstbieter;

Schaffung eines für die öffentlichen Auftraggeber stringenteren Rahmens für den wettbewerblichen Dialog, um diesen zu einem Verfahren zu machen, das wirklich die besten Ergebnisse bringt, ohne die Ideen und das geistige Eigentum systematisch zu plündern;

Förderung einer Verflechtung von Projektgestaltung und -ausführung, sodass schon ab der Entwurfsphase das Know-How der Unternehmen und das Talent der Projektgestalter miteinander verknüpft wird;

verstärkter Einsatz von Globalverträgen (Bau- und Instandhaltungsleistungen aus einer Hand oder ÖPP), um den Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung gerecht werden und eine adäquate Reaktion auf die Dumpingversuche bestimmter Länder auf dem europäischen Markt vorzubereiten und organisieren zu können;

Durchführung einer echten Harmonisierung der Vorschriften und der Techniken, um die von den Mitgliedstaaten aufgebauten technischen Hemmnisse zu überwinden und die Marktbedingungen in Europa zu vereinheitlichen;

Berücksichtigung der Bedürfnisse von Klein- und Mittelunternehmen, um deren wirtschaftliches Überleben und damit den Erhalt der von ihnen geschaffenen Arbeitsplätze zu sichern und eine übermäßige Zweiteilung der Branche zu verhindern.

In diesem Zusammenhang sollte deutlich hervorgehoben werden, dass es bei der Forderung nach bestimmten Änderungen in den Rechtsvorschriften nicht darum geht, vorgefertigte Lösungen durchzusetzen, sondern vielmehr darum, den Auftraggebern einen kompletten „Werkzeugkasten“ an die Hand zu geben, aus dem sie entsprechend den eigenen Anforderungen das geeignete „Werkzeug“ herausgreifen können.

5.2.2

All diese Änderungen und Anpassungen dürften zur Förderung von Transparenz und Chancengleichheit zwischen privaten, öffentlichen und halböffentlichen Strukturen beitragen und eindeutig klarstellen, dass jedweder wirtschaftlichen Leistungserbringung eine Ausschreibung und ein formeller Vertrag vorausgehen müssen.

5.3   Innovation und geistiges Eigentum

5.3.1

Der Bausektor zeichnet sich dadurch aus, dass seine Leistungen stets in Form von „Prototypen“ erbracht werden. Deshalb sollten im Rahmen der europäischen Rechtsvorschriften das geistige Eigentum geschützt und die spezifischen Eigenschaften der zu schützenden Ideen berücksichtigt werden: Sie entstehen im Wesentlichen infolge eines speziellen Ausschreibungsverfahrens und kommen nicht unbedingt erneut systematisch zum Einsatz. Im Rahmen spezifischer Rechtsvorschriften auf europäischer Ebene sollten die im Verlauf von Ausschreibungsverfahren entstehenden technischen Ideen geschützt und Rechte für die Teilnehmer festgelegt werden.

5.4   Ausbildung

5.4.1

In den meisten Mitgliedstaaten stellen die Fachverbände der Bauwirtschaft die ziemlich weit verbreitete Tatsache fest, dass die nationalen Bildungssysteme auf allen Ausbildungsebenen den Bedürfnissen des Baugewerbes insgesamt nur sehr unzureichend gerecht werden. Wenn also die Verknüpfungen zwischen den Bauberufen und den nationalen Bildungssystemen verbessert werden sollen, dann müssen hierfür auch auf europäischer Ebene entsprechende Impulse gegeben werden, so z.B.:

Förderung einer Rechtsetzung über die Berufsbildung im Bereich Hoch- und Tiefbau in Europa (Anerkennungen und Gleichwertigkeiten von Berufsbildungsabschlüssen auf allen Ausbildungsstufen);

Beitrag zur Aufwertung der Humanressourcen durch die Förderung der Fortbildung. Als Sektor, der nicht frei von Spannungen ist, hat die Baubranche bei jungen Menschen keinen guten Ruf und steht bei der Berufswahl hinten an. Der Sektor braucht kompetente Arbeitskräfte, denn die Fachberufe stellen mittlerweile hohe bis sehr hohe Ansprüche an die Qualifikation und erfordern solide Grundkenntnisse. Diese müssen dann von den Unternehmen durch Maßnahmen der Fortbildung und Qualifizierung zu weiterführenden Berufen ausgebaut werden;

allgemeine Ausdehnung eines Systems vom Typ „Erasmus“ auf die Berufsbildungsgänge im europäischen Hoch- und Tiefbau für verschiedene Ausbildungsstufen unter Nutzung der Erfahrungen, die im sehr kleinen Maßstab bereits gemacht wurden (Maßnahmen mit Unterstützung des ESF in den drei Gewerben Maler, Steinmetz und Altbausanierung);

Entwicklung europäischer Berufsakademien für den Hoch- und Tiefbau und Anerkennung eines „europäischen Gesellenbriefs“;

Schaffung von Bildungseinrichtungen für das Projektmanagement in Europa, damit die öffentlichen und privaten Unternehmenskunden die Verträge und die Handlungsweisen der Unternehmen besser kennenlernen;

Entwicklung europäischer überbetrieblicher Weiterbildungseinrichtungen;

Förderung europäischer Qualifikationen (z.B. Sprachen).

5.5   Soziale Bestimmungen und Arbeitsschutz

5.5.1

Die derzeitigen Bestimmungen haben sich auf die Arbeitsweise in der Bauwirtschaft sehr positiv und nachdrücklich ausgewirkt. Dennoch sollten auf folgende Aspekte Wert gelegt werden:

Förderung des Austauschs bewährter Vorgehensweisen im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz;

Bekämpfung der Schwarzarbeit durch die Schaffung europäischer Instrumente (Konsultation und Abgleich von Datenbanken, Ausweise und Identifikationssysteme für die Arbeitnehmer), Sanktionen und eine angepasste Besteuerung (z.B. ermäßigte MwSt-Sätze);

Erleichterung der Umsetzung der REACH-Verordnung;

verbesserte Arbeitnehmermobilität ohne Sozialdumping (Akzeptierung der in den Mitgliedstaaten bereits eingeführten Entsendeformalitäten) und Möglichkeit der Rückkehr der europäischen Arbeitnehmer in ihr Herkunftsland;

Möglichkeit zur Vollstreckung von Bußgeldern in allen EU-Mitgliedstaaten;

Grundlage für jede Form der Arbeitnehmermobilität muss die Akzeptanz der Bedingungen des Staates sein, in dem gearbeitet wird.

5.6   Nachhaltige Entwicklung

5.6.1

Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels und der Globalisierung kommt den Unternehmen des Baufachs, wie oben schon dargelegt, eine erhebliche Rolle zu. Die Akteure des Bausektors sind heute bereit, die Verantwortung für diese Rolle zu übernehmen, soweit ihnen die rechtlichen Bestimmungen und die zur Verfügung stehenden Anreize die Möglichkeit geben, auf dem europäischen Markt einen Mehrwert zu erbringen und ihr fachspezifisches Know-How in den anderen Teilen der Welt zu verbreiten, und soweit kein Zweifel daran besteht, dass enorme Anstrengungen notwendig sind, damit die Auswirkungen der ergriffenen Maßnahmen für alle sichtbar werden.

5.6.2

Zu diesem Zweck erscheinen folgende Maßnahmen angezeigt:

Aufnahme eines Gesamtkostenansatzes (über die gesamte Laufzeit einer Investition hinweg) in die Gemeinschaftsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Die Festlegung könnte im Wege eines Bezugsrahmens „nachhaltige Entwicklung“ bzw. eines Bestbieterkonzepts erfolgen. Auf diese Weise könnten die Auftraggeber bei ihren Entscheidungen der Dimension der „nachhaltigen Entwicklung“ in vollem Umfang Rechnung tragen;

Förderung der öffentlich-privaten Partnerschaften, die aufgrund ihres Prinzips der Zusammenführung von Planung, Ausführung und Instandhaltung das beste Instrument zur Verbesserung des Gesamtkostenansatzes sein könnten;

Umverteilung gewisser Finanzhilfen, indem der Schwerpunkt (in allen Mitgliedstaaten) auf das Großprojekt der Renovierung zur Erhöhung der Energieeffizienz gelegt wird;

Förderung umfassender Grundsanierungsprojekte für öffentliche Bauwerke und Gebäude

Förderung der Entwicklung und öffentlichen Aufwertung von umweltfreundlichen Stadtvierteln (Schaffung eines gemeinschaftlichen Siegels, finanzielle Anreize usw.).

5.6.3

Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, sich in der gesamten Kette „Planung-Ausführung-Instandhaltung“ einzubringen, dann können die Bauunternehmen sowohl im Bau- als auch im Verkehrssektor insbesondere bei der Gewährleistung der Finanzierung der erforderlichen Vorhaben einen entscheidenden Beitrag leisten, da sie in der Lage sind, durch künftige Energieeinsparungen die Gesamtkosten in den Griff zu bekommen und die Investitionen zu finanzieren.

5.7   Die in der Bauwirtschaft tätigen KMU

5.7.1

Das Problem der im Bausektor tätigen kleinen und mittleren Unternehmen besteht nicht im Zugang zu diesem oder jenem Markt, wie dies in anderen Sektoren der Fall sein könnte (vgl. Ziffer 3.2.5).

5.7.2

Vor diesem Hintergrund halten die Fachverbände die „Quoten“-Argumentation, die von einigen angestrebt und von den europäischen Behörden verworfen wird, zu Recht für unangebracht, zumal die von den jeweiligen Seiten genannten Zahlen in allen Mitgliedstaaten in der Praxis weitaus höher ausfallen.

5.7.3

Folglich muss das Problem der KMU über die im „Small Business Act“ behandelten Fragen hinaus wie folgt geregelt werden:

mit intelligenten Lösungen im Hinblick auf die Übertragung von Unternehmen;

mit Lösungen im Hinblick auf die Beihilfen oder die gegenseitige Zurverfügungstellung von Dienstleistungen oder Finanzmitteln, um dadurch die Chancengleichheit zu gewährleisten, ohne den Wettbewerb zu verzerren, insbesondere beim Zugang von KMU zu komplexen Vorhaben (ÖPP und nachhaltige Entwicklung);

mit Lösungen für einen leichteren Zugang von KMU zu Normung und Normen.

Brüssel, den 10. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Der Anteil der Beschäftigung im Baugewerbe an der industriellen Beschäftigung beträgt 30,4 %. Quelle: Eurostat und FIEC.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/26


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Entwicklung des europäischen Unternehmensdienstleistungssektors“

(2009/C 27/06)

Am 6. Dezember 2007 ersuchten Margot WALLSTRÖM, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, zuständig für institutionelle Beziehungen und Kommunikationsstrategie, sowie Günter VERHEUGEN, Vizepräsident der Europäischen Kommission, zuständig für Unternehmen und Industrie, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

„Entwicklung des europäischen Unternehmensdienstleistungssektors“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr CALLEJA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 135 gegen 2 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Margot WALLSTRÖM, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, zuständig für institutionelle Beziehungen und Kommunikationsstrategie, sowie Günter VERHEUGEN, Vizepräsident der Europäischen Kommission, zuständig für Unternehmen und Industrie, ersuchten den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Nachgang zu einer früheren Stellungnahme (1), in der die Wechselwirkungen zwischen Dienstleistungen und Industrie untersucht worden waren, um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme mit einer weiterführenden Analyse des Themas Unternehmensdienstleistungen.

1.1.1

Im Rahmen einer solchen Analyse ist zu berücksichtigen, dass die Europäische Kommission der Lissabon-Agenda im Hinblick auf die Wahrung und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie durch eine im Einklang mit der europäischen Strategie für nachhaltige Entwicklung stehende Steuerung des Wandels sowie im sozialen Bereich durch die Förderung eines stärkeren Auftretens der repräsentativen Sozialpartner bei Verhandlungen auf der geeigneten Ebene große Bedeutung beimisst.

1.1.2

Die Umsetzung der vorstehend beschriebenen Ziele muss Hand in Hand gehen mit der Vereinfachung des Regelungsumfelds für die Industrie, einer der Hauptprioritäten der Industriepolitik der Europäischen Kommission.

1.1.3

Die Industriepolitik zeichnet sich außerdem durch einen integrierten Ansatz aus, in dessen Rahmen den Bedürfnissen der einzelnen Wirtschaftszweige Rechnung getragen wird.

2.   Zusammenfassung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen

2.1   Anerkennung der Bedeutung des Dienstleistungssektors für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Auffassung, dass es dringend einer Verlagerung und Ausweitung des Schwerpunkts hin zu den Dienstleistungen bedarf, die nicht mehr nur als reine „Anhängsel“ der Fertigungsindustrie betrachtet werden dürfen. Die Gesellschaft durchläuft einen tiefgreifenden Wandel, und die Dienstleistungen stehen im Mittelpunkt dieser Veränderungen. Die Europäische Kommission muss diese Entwicklung daher anerkennen und ihr mehr Beachtung schenken.

2.2   Zuweisung von Prioritäten für die Maßnahmen

Angesichts der großen Bandbreite an Maßnahmen, die in den mit den Unternehmensdienstleistungen im Zusammenhang stehenden Politikbereichen ergriffen werden können, ist es von entscheidender Bedeutung, den einzelnen Maßnahmen Prioritäten zuzuweisen. Dringend notwendig sind Fortschritte bei der Umsetzung der zehn Hauptziele, die im Rahmen des Vorschlags für ein Lissabon-Programm der Gemeinschaft für den Zeitraum 2008-2010 festgelegt wurden. Dies wirkt sich direkt bzw. indirekt auf die künftige Entwicklung im Dienstleistungsbereich aus. Nach Auffassung des EWSA sollten die Prioritäten wie folgt festgelegt werden:

Maßnahmen im Bereich der Unternehmensdienstleistungspolitik und Einsetzung einer Hochrangigen Gruppe — Der Ausschuss empfiehlt die Einsetzung einer Hochrangigen Gruppe zum Thema Unternehmensdienstleistungen. Diese könnte eine vertiefte Analyse des Sektors sowie eine Bestandsaufnahme der bestehenden Maßnahmen durchführen, um die wirksamsten und erfolgreichsten Maßnahmen mit Auswirkungen auf die Unternehmensdienstleistungen herauszuarbeiten und konkrete Maßnahmen zur Beseitigung der schwerwiegendsten Unzulänglichkeiten und Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse vorzuschlagen. Dabei sollte den erheblichen Unterschieden zwischen den einzelnen Teilsektoren im Bereich der Unternehmensdienstleistungen besonderes Augenmerk gewidmet und untersucht werden, welche Teilsektoren ins Zentrum der politischen Maßnahmen gestellt und auf welcher Ebene (regionale, nationale bzw. europäische Ebene) diese durchgeführt werden sollten.

Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Bereich der Unternehmensdienstleistungen — Aus sozialpolitischer Sicht muss auf sektoraler Ebene eingehend geprüft werden, welche Probleme sich im Zusammenhang mit den neuen Beschäftigungsformen ergeben, die im Rahmen der Interaktionen zwischen dem Unternehmensdienstleistungssektor und der Fertigungsindustrie entstehen. Dabei sind sowohl die Bereiche Bildung, Weiterbildung und lebenslanges Lernen als auch die Beschäftigungsbedingungen für Arbeitnehmer einschließlich der von Auslagerungsprozessen Betroffenen zu berücksichtigen. Zur Erreichung dieses Ziels sollte der soziale Dialog auf Sektorebene gefördert werden. In diesem Zusammenhang sollte eine Agenda festgelegt werden, um die Veränderungen im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Beschäftigungsmöglichkeiten zu untersuchen, die sich aufgrund des Strukturwandels im Unternehmensdienstleistungssektor ergeben.

Unternehmensdienstleistungen im Zusammenhang mit innovationspolitischen Maßnahmen — FuE und Innovationsprogramme sowie Maßnahmen zur Förderung innovativer Dienstleistungen sollten nachdrücklich unterstützt werden. Bereichen wie der organisatorischen Innovation, den wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen und dem Innovationsmanagement ist mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Entwicklung von Standards für Unternehmensdienstleistungen — Unternehmen sollten dazu ermuntert werden, nach eingehender Konsultation mit den Nutzern von Unternehmensdienstleistungen durch Selbstregulierung zur Entwicklung von Standards beizutragen. Die Unterstützung durch den Europäischen Normungsausschuss CEN und seine Partner (offene Plattform) ist wichtig, um die Ergebnisse erfolgreicher Innovation vor allem mittels einer raschen informellen Konsensbildung zu verbreiten.

Förderung der „Dienstleistungswissenschaft“ als neue Disziplin in der allgemeinen und beruflichen Bildung.

Der Binnenmarkt und die Vorschriften, die Unternehmensdienstleistungen betreffen — Der EWSA hat ein Verzeichnis der Gebiete zusammengestellt, auf denen eine Vereinfachung, Klärung und Verringerung der regulatorischen Belastungen erfolgen muss, ohne die bestehenden Verpflichtungen für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und die Arbeitnehmervertretung einzuschränken. Unter anderem wird darauf verwiesen, dass bislang keine Abschätzung der Folgen der Dienstleistungsrichtlinie auf Unternehmensdienstleistungen durchgeführt wurde und es zur Bewältigung dieser Aufgabe großer Anstrengungen bedarf, insbesondere nach erfolgter Umsetzung der Richtlinie in nationale Rechtsvorschriften. Dabei sollten auch weitere mögliche Maßnahmen für einen freieren Handel und einen freieren Wettbewerb im erweiterten EU-Binnenmarkt ermittelt werden.

Weitere Verbesserungen im Bereich der statistischen Erfassung von Daten zu Unternehmensdienstleistungen — Von Seiten der Mitgliedstaaten ist eine stärkere Zusammenarbeit erforderlich, um bessere Statistiken über Unternehmensdienstleistungen und insbesondere genauere Informationen über ihre Leistung und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft der Mitgliedstaaten zu erhalten. Derartige Statistiken sind für die Regierungen ein wichtiges Hilfsmittel, um dem Sektor die nötige Unterstützung zur Entwicklung seines Potenzials zukommen zu lassen. Auch die jüngsten Änderungen in Kapitel 74 der Europäischen Klassifikation der Wirtschaftszweige NACE reichen nicht aus, um die nötigen Details für aussagekräftige Daten über Unternehmensdienstleistungen zu erhalten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Hintergrund — In der im September 2006 verabschiedeten Initiativstellungnahme des EWSA (CCMI/035) wurde vorgeschlagen, den Unternehmensdienstleistungen größere Aufmerksamkeit zu schenken, da sie zur Leistungsfähigkeit der europäischen verarbeitenden Industrie beitragen. In dieser Stellungnahme wurden die Wechselwirkungen zwischen Dienstleistungen und Industrie sowie ihre Folgen für die sozialen und wirtschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Beschäftigung, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit herausgestellt. Dies wurde als Ausgangspunkt genommen, um die vorliegende Anschlussstellungnahme zu erarbeiten und eine eingehendere Untersuchung der Unternehmensdienstleistungen durchzuführen. Zu Beginn sollte eine Definition der Unternehmensdienstleistungen gegeben werden: Dabei handelt es sich um eine Reihe von Dienstleistungen, die durch ihren Einsatz als Produktionsmittel die Qualität und Effizienz von Produktionsaktivitäten beeinflussen, indem sie die unternehmensinternen Dienstleistungsfunktionen ergänzen oder ersetzen (Rubalcaba und Kox, 2007). Diese Definition weist einige Übereinstimmungen mit NACE rev. 1 (Schlüssel 72-74), der neuen Version der NACE (Schlüssel 69-74, 77-78, 80-82) sowie der Aufstellung der verschiedenen Dienstleistungskategorien auf. So lassen sich Unternehmensdienstleistungen in zwei Hauptkategorien unterteilen:

wissensintensive Unternehmensdienstleistungen (z.B. Dienstleistungen in den Bereichen EDV und Informationstechnologie, Managementberatung, Buchhaltungs-, Steuer- und Rechtsberatung, Marketing und Meinungsforschung, Technik und Ingenieurswesen sowie Personalwesen, -schulungen und -einstellung);

betriebsbezogene Unternehmensdienstleistungen (z.B. Dienstleistungen in den Bereichen Sicherheit, Reinigung, Verwaltung, Buchhaltung, Zeitarbeit, Call Center, Übersetzung und Verdolmetschung).

Ziel dieser Stellungnahme ist es, um mehr Anerkennung für diese Branche zu werben und ihr eine ungehinderte Entwicklung zu ermöglichen sowie die europäische Wirtschaft in ihren Bemühungen zu unterstützen, auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger zu werden.

3.2

Die Bedeutung der Dienstleistungen und der Unternehmensdienstleistungen — Die Bedeutung der Dienstleistungen für die Bürger, Fachkräfte, Unternehmen, Regionen und Staaten nimmt beständig zu. Dienstleistungen dominieren heute zu einem großen Teil das neue Angebot und die neue Nachfrage in den sozialen und wirtschaftlichen Systemen. Obwohl Dienstleistungen in den meisten Bereichen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens präsent sind, wird ein großer Teil dieser Tätigkeit in den Statistiken nicht erfasst. Die traditionelle Einteilung nach Produktionssektoren, selbst wenn sie unvollständig ist und die ausgeprägten Wechselbeziehungen zwischen den Branchen nicht offenlegt, ermöglicht es, die Bedeutung der wichtigsten Wirtschaftsaktivitäten einzuschätzen. Die Bedeutung der Dienstleistungen als wirtschaftlichem Sektor steigt in Europa weiter an: Ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung ist mit 70 % geringer als in den USA (80 %) und größer als in Japan (67 %). In Europa wie in den USA und Japan kann der Teilsektor der Unternehmensdienstleistungen auf eine sehr dynamische Entwicklung zurückblicken, die zu einem entsprechenden Anstieg des Anteils an der Gesamtbeschäftigung führte. Der Anteil von Unternehmen mit Hauptgeschäftsbereich Unternehmensdienstleistungen beläuft sich auf 10-12 % der Gesamtbeschäftigten und des Mehrwerts. Berücksichtigt man auch jene Unternehmen, für die Unternehmensdienstleistungen nur ein Nebengeschäftsbereich sind, liegt der Beschäftigtenanteil noch deutlich höher. Die führenden europäischen Länder auf dem Gebiet der Unternehmensdienstleistungen waren 2004 die Benelux-Staaten, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Deutschland. Im Zeitraum 1995-2004 konnten Länder wie Ungarn, Polen, Österreich, Lettland, Malta u.a. ihren Unternehmensdienstleistdungssektor beträchtlich ausbauen. Dies lässt auf eine gewisse Konvergenz zwischen einigen EU-Staaten schließen. Untersucht wurde in diesen Ländern nur die Beschäftigung in Unternehmen, die in der Hauptsache Unternehmensdienstleistungen anbieten. Die meisten davon sind KMU.

3.3

Bewertung der Entwicklung — Der Ausschuss hat die Situation im Lichte der Entwicklung seit der Verabschiedung der letzten Stellungnahme zu diesem Thema (CCMI/035) im September 2006 erneut geprüft und dabei zu seiner Zufriedenheit festgestellt, dass die Kommission der Bedeutung von Unternehmensdienstleistungen für die Fertigungsindustrie bei ihren Entscheidungen nunmehr stärker Rechnung trägt.

Im Anschluss an die vorstehend genannte EWSA-Stellungnahme hat die Kommission eine Mitteilung zu der „Halbzeitbewertung der Industriepolitik: Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“ (2) vorgelegt, in der Maßnahmen vorgeschlagen werden, um die Dienstleistungssektoren sowie ihre Wettbewerbsfähigkeit zu prüfen und ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu analysieren. Nötigenfalls sollten die Entwicklungen in den einzelnen Sektoren eingehender untersucht werden. Auf diese Weise sollen alle Hindernisse für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ermittelt und mögliche Fälle von Marktversagen beseitigt werden, was Maßnahmen zur Bewältigung besonderer Probleme in bestimmten Industrie- und/oder Dienstleistungssektoren rechtfertigen könnte. Die Europäische Kommission wird diese vertiefte Untersuchung dieses Jahr durchführen und die Ergebnisse bis Ende des Jahres vorlegen.

Die Kommissionsdienststellen haben im Juli 2007 das Arbeitsdokument „Towards a European strategy in support of innovation in services: Challenges and key issues for future actions“ (3) (Erarbeitung einer europäischen Strategie zur Förderung von Innovation im Dienstleistungsbereich: Herausforderungen und Schlüsselfragen für künftige Maßnahmen) vorgelegt; im Februar 2008 wurde die Europäische Plattform für Unternehmensdienstleistungen geschaffen; und schließlich wird die Kommission (voraussichtlich Ende 2008) eine Mitteilung zum Thema Innovation im Dienstleistungsbereich vorlegen. Alles in allem könnte damit ein wichtiger Schritt in Richtung einer adäquaten Berücksichtigung von Dienstleistungen im Rahmen der innovationspolitischen Maßnahmen der EU getan werden.

Die Verabschiedung der bis spätestens 28. Dezember 2009 umzusetzenden „Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt“ (4) wird sich unter der Voraussetzung, dass die Bestimmungen der Richtlinie in das nationale Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt werden und sichergestellt wird, dass das Arbeitsrecht und die Tarifverträge desjenigen Landes gelten, in dem die Dienstleistungen erbracht werden, als ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem echten Binnenmarkt für Dienstleistungen erweisen. Sowohl die Unternehmen, als auch die Verbraucher werden in vollem Umfang in den Genuss der Vorteile kommen, die diese Richtlinie bietet. Sie sollte auch der Funktionsfähigkeit des Marktes für Unternehmensdienstleistungen zugute kommen, indem Handel und Investitionen zwischen EU-Mitgliedstaaten vereinfacht und neue Möglichkeiten für Fertigungsunternehmen eröffnet werden, mehr, bessere oder billigere Dienstleistungen zu wählen. Die neuen Wettbewerbsvorteile bei der Inanspruchnahme von Unternehmensdienstleistungen sollten zu mehr Beschäftigung, gesteigerter Produktivität und einer höheren Wirtschaftsleistung führen.

3.4

Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmensdienstleistungen — Neben den laufenden groß angelegten EU-Initiativen zur Förderung von Unternehmensdienstleistungen im Rahmen der Industrie- und Innovationspolitik sowie den potenziellen Wechselwirkungen der Binnenmarktrichtlinie tragen folgende weitere Maßnahmen der Kommission indirekt zu einer stärkeren Anerkennung der Bedeutung der Unternehmensdienstleistungen für die Fertigungsindustrie bei:

Eurostat hat eine überarbeitete NACE-Klassifikation eingeführt, mit deren Hilfe mehr Daten zu Dienstleistungen erfasst werden sollen.

Das Enterprise Europe Network wurde ins Leben gerufen, das auf die Förderung der unternehmerischen Initiative und des Wachstums von Unternehmen in der EU abzielt, wobei den Unternehmern aufgrund des Zusammenschlusses der Euro-Infozentren und der Verbindungsbüros für Forschung und Technologie über 500 Anlaufstellen zur Verfügung stehen (5). Dieses Netz soll eine Hilfestellung für die KMU und damit für die überwiegende Mehrheit der Anbieter von Unternehmensdienstleistungen sein.

Die Europäische Kommission hat seit 2005 Vorschläge für Vereinfachungen und eine Verringerung der Verwaltungslasten vorgelegt. Die jüngsten Vorschläge aus dem Jahr 2008 (6) betreffen Schnellmaßnahmen zur Verringerung der Verwaltungslasten. Das sind gute Nachrichten für die KMU, die aufgrund ihrer geringen Größe unverhältnismäßig unter den beträchtlichen Verwaltungslasten zu leiden haben.

Die Mitteilung der Kommission „Gemeinsame Grundsätze für den Flexicurity-Ansatz herausarbeiten: Mehr und bessere Arbeitsplätze durch Flexibilität und Sicherheit“ (7) wurde erörtert, und im Rahmen des sozialen Dialogs der Sozialpartner konnten Fortschritte erzielt werden. Dies sollte den Weg für eine unionsweite Umsetzung dieses Konzepts ebnen, wobei je nach den unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten entsprechende Anpassungen erforderlich sind. Im dynamischen Unternehmensdienstleistungssektor kann ein von den Sozialpartnern ausgehandelter Flexicurity-Ansatz eine nützliche Rolle spielen, wenn gleichzeitig bessere und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze gefördert werden. Will die EU wirksam auf den Globalisierungsdruck reagieren, sollten die Sozialpartner einbezogen werden.

Die Kommission hat die Mitteilung „Für einen stärkeren Beitrag der Normung zur Innovation in Europa“ (8) vorgelegt. Neben weiteren Impulsen wird damit eine raschere Mitwirkung der Industrie und anderer Akteure an der Entwicklung, Umsetzung und Anwendung von Normen gefördert, die sich im Sinne einer nachhaltigen Industriepolitik förderlich auf die Innovation auswirken.

3.5

Haupterfordernisse des Unternehmensdienstleistungssektors — Trotz der verstärkten Maßnahmen, die gegenwärtig im Zusammenhang mit Dienstleistungen ergriffen werden, bleiben entscheidende Lücken bestehen und wichtige Erfordernisse unberücksichtigt. Das Rahmenkonzept der Gemeinschaftspolitik ist in seiner gegenwärtigen Form hauptsächlich auf die Fertigungsindustrie ausgerichtet, obwohl Dienstleistungen bei weitem den größten Anteil an der Gesamtwirtschaft ausmachen, die wichtigste Rolle für die Gesellschaft spielen und in sämtlichen Bereichen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens einen Beitrag zum Wachstum leisten.

3.5.1

Bei den meisten sektorübergreifenden und sektorspezifischen Initiativen, die im Rahmen der EU-Industriepolitik sowohl auf der Ebene der Mitgliedstaaten als auch der EU durchgeführt werden, liegt der Schwerpunkt auf der Fertigungsindustrie, wobei über die wesentliche Unterstützungsfunktion hinweggesehen wird, die den Unternehmensdienstleistungen in diesem Zusammenhang zukommt. Es muss daher dringend für eine ausgewogene EU-Politik gesorgt werden, bei der die Bedeutung der Unternehmensdienstleistungen für die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Fertigungsindustrie im Einzelnen sowie für die Gesamtwirtschaft nicht unterbewertet wird. Sektorübergreifende Maßnahmen müssen unabhängig von den Wirtschaftsbereichen, auf die sie abzielen, wirklich Querschnittscharakter haben und auf die Bedürfnisse der Unternehmen und Arbeitnehmer in der neuen Dienstleistungswirtschaft abgestimmt sein, in der Industrie- und Dienstleistungssektor untrennbar miteinander verwoben sind, wodurch sich als unmittelbares Ergebnis der Synergien zwischen diesen beiden Bereichen neue Möglichkeiten für die europäische Wirtschaft auf dem Weltmarkt ergeben. Zahlreiche Initiativen der EU-Politik, die Bestandteil der Industriepolitik sind, müssen auf den Dienstleistungssektor abgestimmt und angewandt werden. Hierbei reicht die Palette von einem voll funktionsfähigen Binnenmarkt für Dienstleistungen, dem internationalen Handel und Bestimmungen zu staatlichen Beihilfen bis hin zu arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Maßnahmen, Bildungs- und Regionalpolitik, FuE, Innovation, Normung, Unternehmertum, Verbesserung der Statistiken und der Informationspolitik usw., wobei gegebenenfalls die besonderen Erfordernisse des Dienstleistungssektors zu berücksichtigen sind. Dies sollte nicht in dem Sinne verstanden werden, dass alle Maßnahmen in vertikalem Sinne speziell auf den Dienstleistungssektor ausgerichtet werden sollten. Vielmehr ist damit gemeint, dass die Auswirkungen all dieser Maßnahmen auf den Dienstleistungssektor überprüft werden sollten, um erforderlichenfalls besondere Maßnahmen zu ergreifen.

3.5.2

Handlungsbedarf besteht insbesondere in folgenden Bereichen:

Industriepolitik — Nach der jüngsten Einbeziehung von Unternehmensdienstleistungen in die Industriepolitik und der laufenden Überprüfung sollte nun den besonderen Bedingungen mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, unter denen sich die Nutzung von Dienstleistungen positiv auf die industrielle Leistungsfähigkeit auswirkt, so z.B. die Rolle der Dienstleistungen für die Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität der Industrie aus wirtschaftlicher Perspektive. Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, muss Europa in Innovation, Wissen, Produktgestaltung, Logistik, Marketing und andere Unternehmensdienstleistungen — kurz in die gesamte globale Wertschöpfungskette — investieren.

Beschäftigungs- und Bildungspolitik — Der Dienstleistungssektor schafft die meisten Arbeitsplätze, woran sich auch in Zukunft nichts ändern wird. (So sollten die politischen Entscheidungsträger nicht außer Acht lassen, dass 20 % der Zwischenprodukte der Fertigungsindustrie auf den Dienstleistungssektor zurückgehen.) Daher müssen sich die Mitgliedstaaten aufgrund der potenziellen Auswirkungen der weltweiten Beschaffung und der Auslagerung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor (bis zu 30 % laut einer Studie der OECD aus dem Jahr 2006) um eine Förderung der einschlägigen Fertigkeiten und Qualifikationen bemühen, mit denen ihre Industrie in die Lage versetzt wird, dem globalen Wettbewerb standzuhalten.

Innovations- und Produktivitätspolitik — Die Innovationsförderung im Dienstleistungsbereich ist von wesentlicher Bedeutung, um die industrielle Wettbewerbsfähigkeit anhand von Qualitätsfaktoren zu stärken. Innovationen im Dienstleistungsbereich wirken sich entscheidend und positiv auf Qualität, Beschäftigung und Interaktionen mit den Kunden aus. Darüber hinaus bietet der Unternehmensdienstleistungssektor hochwertige Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen und einem wissensintensiven Umfeld, wobei die Arbeitnehmer einen Beitrag zur Ermöglichung und zum Erfolg von Dienstleistungsinnovation leisten. Die Unternehmen können so ihre Wettbewerbsposition verbessern, und Arbeitnehmern eröffnen sich neue berufliche Möglichkeiten. Die positiven Auswirkungen von Innovationen im Dienstleistungsbereich sollten dazu genutzt werden, die stagnierenden Wachstumsraten im Bereich der Unternehmensdienstleistungen auszugleichen. In den meisten Ländern sind immer noch geringe Produktivitätswachstumsraten zu verzeichnen, auch wenn der Beitrag von Unternehmensdienstleistungen zu Produktivitätsgewinnen insgesamt aufgrund von Problemen bei der statistischen Messung unterschätzt wird.

Binnenmarkt — Es gilt, einen europäischen Markt für Dienstleistungen zu schaffen, um die EU in die Lage zu versetzen, eine entscheidende Rolle im Globalisierungsprozess zu spielen, indem alle Faktoren, die einen Einfluss auf die Märkte und die Wettbewerbsfähigkeit ausüben, berücksichtigt werden. Es bedarf besonderer Folgemaßnahmen zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie in den Mitgliedstaaten und in Bezug auf die Auswirkungen von Unternehmensdienstleistungen.

Regionalpolitik — In vielen Regionen sind die Unternehmensdienstleistungen wenig ausgeprägt, da sich diese im Allgemeinen eher in großen Ballungsräumen und Regionen mit hohem Einkommensniveau konzentrieren. Auf regionaler Ebene ist es wichtig, sowohl die Nachfrage nach Unternehmensdienstleistungen als auch deren Angebot zu fördern und anzuregen und die Vorteile bestehender Netzwerke zu nutzen, mit denen Synergien zwischen unterschiedlichen lokalen Akteuren verstärkt werden können.

Weitere Politikbereiche im Zusammenhang mit Unternehmensdienstleistungen — Zwei Bereiche sind im Zusammenhang mit Unternehmensdienstleistungen relevant: überwiegend stark regulierte Politikfelder (Binnenmarkt, Wettbewerb, bessere Rechtsetzung, öffentliches Auftragswesen) und überwiegend weniger stark regulierte Politikfelder (Innovation, Befähigung, Qualität und Beschäftigung, Normen, Unternehmen und KMU, Regionalpolitik, Wissen und Statistik). Besonderes Augenmerk sollte der Rolle von Normen, der neuen Disziplin der Dienstleistungswissenschaft und der Statistik gelten.

3.6

Wechselwirkungen zwischen Unternehmensdienstleistungen und zielgerichteten Maßnahmen — Die Erfahrung hat gezeigt, welche Wechselwirkungen sich zwischen ersten umfassenden Maßnahmen ergeben könnten und inwiefern diese zu einer wirkungsvollen Weiterentwicklung der Unternehmensdienstleistungen beitragen könnten, um künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Synergieeffekte und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Politikfeldern und Maßnahmen sollten berücksichtigt werden.

3.7

Bei der Konzipierung besonderer Maßnahmen der EU-Politik zur Förderung von Unternehmensdienstleistungen ist eine wirtschaftliche Argumentation vonnöten. Dies wurde jüngst von Kox und Rubalcaba verdeutlicht (siehe Business Services in European Economic Growth, 2007. Zur Bekräftigung ihrer Argumente verwiesen sie in erster Linie auf Marktversagen und systemische Mängel wie Informationsasymmetrie und externe Effekte.

3.8

Lissabon-Agenda 2008-2010 — Die Politikbereiche mit Relevanz für Unternehmensdienstleistungen könnten hinsichtlich der Vorschläge für ein Lissabon-Programm der Gemeinschaft 2008-2010 (KOM(2007) 804 endg.) einen wertvollen Beitrag leisten. Die meisten der bis 2010 zu verwirklichenden 10 Hauptziele haben direkte oder indirekte Auswirkungen auf die Dienstleistungen:

3.8.1

Die Kommission wird bis Mitte 2008 eine erneuerte Sozialagenda vorschlagen und einen Beitrag zur Bekämpfung des Qualifikationsdefizits leisten. Bei den meisten besonders arbeitsintensiven Unternehmensdienstleistungen sind erhebliche Defizite und Bedarfslagen zu erkennen. In seiner Stellungnahme zum Thema „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)“ (9) stellte der Ausschuss fest, dass die ambitionierten Beschäftigungsziele von Lissabon nur bedingt erreicht wurden und die in den letzten Jahren zu beobachtenden Beschäftigungszuwächse insbesondere bei Frauen in hohem Maß aus einem Plus an Teilzeitarbeitsplätzen resultieren. Bei älteren Arbeitnehmern herrscht weiterhin ein eklatanter Mangel an adäquaten Arbeitsplätzen vor und insbesondere bei Jugendlichen ist eine starke Zunahme atypischer (nicht dem Standard entsprechender) Beschäftigungsformen festzustellen, die teilweise rechtlich und sozial nicht ausreichend abgesichert sind. In der EWSA-Stellungnahme wird dafür plädiert, dass im Zusammenhang mit dem Flexicurity-Konzept auf ein hohes Maß an sozialer Sicherheit, eine aktive Arbeitsmarktpolitik und auf Bildung sowie Aus- und Weiterbildung geachtet wird.

3.8.2

Die Kommission hat im ersten Halbjahr 2008 Vorschläge für eine gemeinsame Zuwanderungspolitik unterbreitet. Dies könnte sich auf die Zuwanderung hochqualifizierter Arbeitnehmer auf Gebieten wie beispielsweise wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen sowie weniger qualifizierter Arbeitnehmer für Tätigkeiten wie etwa Reinigungs- oder Sicherheitsdienste auswirken.

3.8.3

Die Gemeinschaft wird eine Regelung für kleine Unternehmen, einen „Small Business Act“, einführen, mit deren Hilfe das Wachstumspotenzial der KMU während ihres gesamten Lebenszyklus erschlossen werden kann. Im Unternehmensdienstleistungssektor gibt es die meisten Unternehmensneugründungen und -abwicklungen, sodass besondere Aufmerksamkeit in Bezug auf neue KMU angezeigt erscheint. In seiner Stellungnahme zum Thema „Unternehmenspotenzial — insbesondere von KMU (Lissabon-Strategie)“ (10) fordert der EWSA anlässlich der nächsten Revision der integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung für den Zeitraum 2008-2010 die Festlegung gezielterer und strafferer integrierter Leitlinien für die KMU. Letztere werden auch von der Verringerung der EU-Verwaltungslast bis 2012 um 25 % profitieren.

3.8.4

Die Gemeinschaft wird den Binnenmarkt stärken und den Wettbewerb im Dienstleistungsbereich fördern. In der bereits erwähnten EWSA-Stellungnahme INT/324 wird beklagt, dass der Binnenmarkt unvollendet ist, und die schleppende Umsetzung von Richtlinien durch die Mitgliedstaaten, der Verwaltungsaufwand und die fehlende Mobilität der Arbeitnehmer bemängelt. Für KMU sind dies enorme Hindernisse.

3.8.5

Die Gemeinschaft arbeitet darauf hin, die fünfte Grundfreiheit (freier Verkehr von Wissen) umzusetzen und einen echten europäischen Forschungsraum zu schaffen. Im Rahmen dieser Lissabon-Priorität dürften wissensintensive Unternehmensdienstleistungen von Bedeutung sein.

3.8.6

Die Gemeinschaft wird die Rahmenbedingungen für die Innovation verbessern. Der EWSA hat zudem eine Stellungnahme zum Thema „Investitionen in Wissen und Innovation“ (11) erarbeitet. Die Kernaussage ist hier, dass Europa seinen Vorsprung in Forschung, technologischer Entwicklung und Innovation wahren muss und es einer stärkeren Förderung aus dem EU-Haushalt, einer Verbesserung der Bildungseinrichtungen und einer allgemeinen Anhebung der Standards bedarf. Es muss ferner für ein gesellschaftliches Klima gesorgt werden, das gegenüber Fortschritt und Innovation aufgeschlossen ist; die erforderlichen Rahmenbedingungen sind zu schaffen und die entsprechenden richtungweisenden Entscheidungen müssen getroffen werden, sodass seitens der Wirtschaft genügend Vertrauen und Optimismus für Investitionen in neue Unternehmungen in Europa aufgebaut wird. Dazu gehört auch, die elementare Bedeutung der Grundlagenforschung noch bewusster zu machen und bei denjenigen, die innovations- und risikobereit sind, Unternehmergeist zu wecken. Auch muss ein gewisses Maß an Fehlschlägen und Verlusten hingenommen werden, die mit Risiken unweigerlich einhergehen. Der EWSA untersuchte ferner die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für ein innovationsfreudiges Unternehmertum und einen innovationsfreundlichen Markt.

3.8.7

Die Gemeinschaft wird eine Industriepolitik fördern, die auf eine nachhaltigere Produktion und einen nachhaltigeren Verbrauch ausgerichtet ist. Die Rolle der ökologischen Unternehmensdienstleistungen in der Industriepolitik könnte unter dieser Priorität angesiedelt werden.

3.8.8

Die Gemeinschaft wird bilateral mit den Haupthandelspartnern verhandeln, um neue Möglichkeiten für den internationalen Handel und Investitionen auszuloten und eine gemeinsame Plattform für rechtliche Bestimmungen und Standards zu bilden.

4.   Prioritäten für die Maßnahmen zur Förderung der Unternehmensdienstleistungen

Diese Notwendigkeit ergibt sich aufgrund des breiten Spektrums an Politikfeldern, die den Bereich Unternehmensdienstleistungen berühren. Nach Auffassung des EWSA sollten folgende Prioritäten gesetzt werden:

4.1

Priorität 1: Die Europäische Kommission sollte im Rahmen der Unternehmens- und Industriepolitik eine Hochrangige Gruppe für Unternehmensdienstleistungen einsetzen, um sicherzustellen, dass bei Maßnahmen auch die Wechselwirkungen mit dem industriellen und gesamtwirtschaftlichen Umfeld, in das der Dienstleistungssektor eingebettet ist, berücksichtigt werden. Die Hochrangige Gruppe könnte insbesondere die nachstehend beschriebenen Zielsetzungen verfolgen:

gründliche Analyse der Bedürfnisse im Bereich der Unternehmensdienstleistungen einschließlich der Bedürfnisse der einzelnen, sehr unterschiedlichen Teilsektoren;

Überprüfung der derzeitigen Politik in Bezug auf die Unternehmensdienstleistungen sowie Erarbeitung konkreter politischer Maßnahmen auf den geeigneten Ebenen (regionale, nationale, europäische Ebene);

Empfehlung strategischer Zielsetzungen für die WTO-Verhandlungen über Dienstleistungen (GATS) unter besonderer Berücksichtigung von Maßnahmen, die erforderlich sind, um den KMU den Export von Dienstleistungen zu ermöglichen;

Ermittlung und Zusammenschluss der politischen Akteure in Bereichen, in denen sie nur begrenzt und fragmentarisch vertreten werden;

Einrichtung einer Europäischen Beobachtungsstelle für Unternehmensdienstleistungen, die die Ergebnisse der durch die EU-Politik getroffenen Maßnahmen überprüft und bewährte Verfahrensweisen verbreitet. Der Beobachtungsstelle sollten Mitglieder des EWSA, Vertreter von Gewerkschaften und Unternehmensverbänden sowie Experten für Unternehmensdienstleistungen angehören.

4.2

Priorität 2: Es sollte ein spezifisch diesem Sektor der Unternehmensdienstleistungen gewidmeter sozialer Dialog angeregt werden, in dessen Rahmen folgende Fragen erörtert und Empfehlungen zu folgenden Bereichen abgegeben werden könnten:

neue Beschäftigungsmöglichkeiten;

lebenslanges Lernen;

Outsourcing und Offshoring;

Ermittlung von Qualifikationsdefiziten;

Teilzeitarbeit und Telearbeit;

Flexicurity im Bereich Unternehmensdienstleistungen (dieses Thema wurde vom EWSA bereits in allgemeiner Form in einer jüngeren Stellungnahme behandelt — SOC/283);

Personalmangel in wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen und die Bedeutung der Immigration;

Mobilität.

In der Tat wird die Durchführbarkeit und Wirksamkeit eines solchen sektorbezogenen Sozialdialoges (u.a. Anerkennung von Vereinbarungen, organisatorische Unterstützung) hier allerdings von der Festlegung und Anerkennung der repräsentativen europäischen Verbände auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite abhängen.

4.3

Priorität 3: FuE und Innovation im Dienstleistungsbereich:

Analyse der Möglichkeiten für Innovationen im Bereich der Unternehmensdienstleistungen und Untersuchung der Auswirkungen dieser Innovationen auf die Produktivität und das wirtschaftliche und soziale Wachstum;

Rolle der wissensintensiven Unternehmensdienstleistungen für die Entwicklung innovativer Dienstleistungen;

Verhältnis zwischen der IKT-Entwicklung und den Innovationen im Dienstleistungsbereich;

Untersuchung der Programme für FuE und Innovation, um die Stellung der Unternehmensdienstleistungen zu bewerten;

Anwendung der Methoden des Lean Manufacturing im Dienstleistungsbereich;

Funktion der Innovation bei Dienstleistungen und weiterer möglicher politischer Maßnahmen für wissensintensive Dienstleistungen auf regionaler Ebene. Nutzung der Innovationspolitik für die Förderung von Angebot und Nachfrage im Bereich der Unternehmensdienstleistungen.

4.4

Priorität 4: Erarbeitung von Normen — Die Erarbeitung von Normen im Dienstleistungsbereich kommt nur schleppend voran. Sie kommen meist auf Nachfrage zustande. Die Anbieter von Unternehmensdienstleistungen haben mit Strukturproblemen zu kämpfen. In den meisten Fällen handelt es sich um kleine Unternehmen, die nicht zu repräsentativen Organisationen gehören, weder in ihrem eigenen Land, noch auf europäischer Ebene, wo diese Unternehmenskategorie in den europäischen Organisationen kaum vertreten ist. Die einzige Möglichkeit, eine Verbesserung der Situation herbeizuführen, besteht darin, die Nutzer zu mobilisieren und sie dazu aufzufordern, ihren Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen. Der Markt für Unternehmensdienstleistungen wird von klaren Normen auf diesem Gebiet enorm profitieren. Die Entwicklung von Normen kann nützlich sein, um:

Vorschriften zu ergänzen oder sogar zu ersetzen;

die Qualität zu verbessern und dem Wettbewerb Impulse zu verleihen;

in einem Markt mit fehlender Transparenz zum Nutzen des Anbieters und des Nutzers Informationsasymmetrie zu vermeiden;

die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wenn ein Nutzer sich verschiedenen Angeboten gegenübersieht und eine Entscheidung treffen muss;

die Ergebnisse der Programme für FuE und Innovation einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, also Innovationen zu nutzen, um die Qualität der Dienstleistungen zu verbessern;

die Zahl der Rechtsstreitigkeiten zu verringern, indem die Rechte und Pflichten der Dienstleistungsanbieter und der Nutzer und der in diesem Sektor Beschäftigten klar herausgestellt werden;

soziale Konflikte zu vermeiden, indem die einschlägigen arbeitsrechtlichen Bestimmungen von den Dienstleistungserbringern und Nutzern eingehalten und gegebenenfalls Tarifverhandlungen auf der geeigneten Ebene geführt werden;

Skalenerträge für kleine Unternehmen, die ähnliche Dienstleistungen in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten anbieten, zu ermöglichen und so die Hindernisse für eine Marktintegration aus dem Weg zu räumen;

einen soliden Exportsektor aufzubauen sowie Hilfestellung bei öffentlichen Ausschreibungen und bei der Vergabe von Unteraufträgen für Dienstleistungen zu bieten.

4.5

Priorität 5: Weitere Verbesserungen im Bereich der statistischen Erfassung von Daten zu Unternehmensdienstleistungen. Politische Maßnahmen hängen von der Untersuchung der aktuellen Trends ab, die nur durch klare und aussagekräftige Statistiken ermittelt werden können. Der offensichtliche Mangel an zufriedenstellenden Produktivitätszuwächsen im Vergleich zu den USA könnte zum Teil auf unzuverlässige Statistiken zurückzuführen sein, die auf Methoden beruhen, die bei der Messung der Leistungsfähigkeit in der Fertigungsindustrie Anwendung finden. Genauere Statistiken über Unternehmensdienstleistungen erfordern nicht nur eine Entscheidung von Eurostat, sondern auch die Mitarbeit der einzelstaatlichen Regierungen, die ihre Methoden zur statistischen Erfassung ändern müssen. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei der Funktion der Unternehmensdienstleistungen innerhalb anderer Industrie- oder Dienstleistungssektoren geschenkt werden.

4.6

Priorität 6: Dienstleistungswissenschaft

Die Dienstleistungswissenschaft (auch „Service Science, Management and Engineering“, SSME) ist eine neue, sich entwickelnde Fachrichtung, in der verschiedene fragmentarische Ansätze für die Dienstleistungen behandelt werden, so u.a. Dienstleistungswirtschaft, Dienstleistungsmanagement, Dienstleistungsmarketing und Dienstleistungs-Engineering. Dienstleistungsforscher und Unternehmen sind sich darüber einig, dass alle diese Bereiche gefördert und besser aufeinander abgestimmt werden müssen. Innerhalb der Dienstleistungswissenschaft ist das Dienstleistungs-Engineering ein gutes Beispiel. Es hat sich zu einer eigenen technischen Fachrichtung entwickelt, in der die systematische Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungsprodukten unter Verwendung geeigneter Modelle, Methoden und Werkzeuge behandelt wird. Zwar umfasst das Dienstleistungs-Engineering auch Bereiche des Dienstleistungsmanagements, doch ist sein Hauptschwerpunkt die Entwicklung von neuen Dienstleistungsprodukten. Gleichzeitig befasst sich das Dienstleistungs-Engineering auch mit der Gestaltung von Entwicklungssystemen, d.h. mit den dienstleistungsbezogenen Fragen des allgemeinen FuE- und Innovationsmanagements. Integrierte Ansätze für die parallele technische Planung von materiellen Gütern, Software und Dienstleistungen werden eine gewohnte Erscheinung.

Die Grundlagenforschung zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, Methoden und Instrumente wird dem Dienstleistungs-Engineering zu einem Aufschwung verhelfen. Und schließlich wird die zunehmende Harmonisierung der Dienstleistungsstandards die Spezialisierung und effiziente Entwicklung von neuen Dienstleistungen fördern (12).

Dienstleistungs-Engineering ist einer der wenigen Bereiche im Dienstleistungssektor, der grundlegend durch die europäische Forschung geprägt wurde. Eine engere Verflechtung mit internationalen Netzen und der gezielte Aufbau einer eigenen Fachwelt für Dienstleistungs-Engineering sind unerlässlich, um künftig in diesem Bereich eine Führungsrolle zu behalten (13).

4.7

Priorität 7: Binnenmarkt und Regelungen im Bereich der Unternehmensdienstleistungen

Verringerung und Vereinfachung der regulatorischen Belastungen — Es gibt verschiedene restriktive Faktoren, mit denen die Anbieter von Unternehmensdienstleistungen zu kämpfen haben und die ihre Bemühungen, die Produktivität zu steigern und ihre Dienste auch in anderen Mitgliedstaaten anzubieten, zunichte machen. Dazu gehören Probleme im Zusammenhang mit der Arbeitskräftemobilität und der Anerkennung von Berufsqualifikationen. Der Umfang und die Komplexität der Regulierungen hat in den letzten Jahren ständig zugenommen, so dass kleine Dienstleistungsanbieter unter dieser Belastung immer mehr zu leiden haben. Die wichtigsten Punkte, die Aufmerksamkeit verlangen, sind:

Gründung und Übertragung von Unternehmen — Die Zeit und die Mittel, die für die Neugründung oder die Übertragung eines Unternehmens erforderlich sind, stehen KMU nicht zur Verfügung.

Hindernisse für den Export von Dienstleistungen — Kleine und mittlere Unternehmen, die ihre Dienstleistungen exportieren wollen, müssen einen erheblichen Aufwand und hohe Kosten für die Ermittlung der für ihr Unternehmen relevanten Bestimmungen sowie für Beratungen in Kauf nehmen. Um unnötige Hindernisse für europäische Dienstleister auf den Außenmärkten für Unternehmensdienstleistungen zu beseitigen, muss diese Frage auch in den internationalen Handelsverhandlungen erörtert werden. Die von der Europäischen Kommission erstellte Datenbank über den Marktzugang kann ein wichtiges Hilfsmittel für die Erkennung derartiger Hindernisse sein.

Hindernisse für die multidisziplinäre Zusammenarbeit — Einige der bestehenden Hindernisse für den Zugang von freiberuflichen Dienstleistungsanbietern können möglicherweise mit dem Inkrafttreten der Dienstleistungsrichtlinie beseitigt werden.

Unzureichende Umsetzung des EU-Rechts sowie Unterschiede in der einzelstaatlichen Gesetzgebung. Selbst wenn Rechtsvorschriften dem Binnenmarkt nicht direkt entgegenstehen, so wirken sich die großen Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten doch nachteilig auf die Marktintegration aus.

Öffentliches Auftragswesen und Bestimmungen bezüglich des Wettbewerbs zwischen privaten und staatlichen Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Hindernisse für das grenzübergreifende Anbieten von Dienstleistungen — Berufsverbände legen in ihren Bestimmungen eine defensive Haltung bezüglich der Zulassung von Dienstleistungsanbietern aus anderen Mitgliedstaaten an den Tag.

Entsendung hochqualifizierter Arbeitskräfte — Es treten Schwierigkeiten bei der Entsendung von Arbeitskräften in andere Mitgliedstaaten auf, selbst wenn es sich um hochqualifizierte Arbeitskräfte handelt. In seiner Stellungnahme zur Entsendung von Arbeitskräften (14) schlägt der EWSA diesbezüglich eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten vor.

Anerkennung von Berufsabschlüssen — Die Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2005/36/EG vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, durch die fünfzehn einschlägige Richtlinien ersetzt wurden, ist am 20. Oktober 2007 abgelaufen. Durch diese Richtlinie sollte ein echtes umfassend modernisiertes Gemeinschaftssystem entstehen, in dem der EU-Markt für Unternehmensdienstleistungen durch flexiblere und automatische Anerkennung von Qualifikationen gefördert wird. Mittlerweile bietet eine Initiative der Europäischen Kommission zu einem Binnenmarktinformationssystem (BIS) einen praktischen Ansatz für Behörden und Arbeitgeber in den Mitgliedstaaten, um in einer zentralen Datenbank die (auf regionaler und nationaler Ebene) zuständige Behörde zu ermitteln, die befugt ist, Befähigungs- und Qualifizierungsnachweise auszustellen und die Authentizität derartiger Nachweise zu prüfen.

Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie — Eine sektorspezifische Analyse würde Unternehmensdienstleister in die Lage versetzen, das neue Regelungsumfeld möglichst optimal zu nutzen, vor allem um während und nach der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie die noch verbleibenden Hindernisse zu ermitteln. So werden in einer Untersuchung von 2010 an die Fortschritte bei der Umsetzung bewertet, wobei die Art und Weise, wie diese Fortschritte erzielt werden, aufmerksam verfolgt wird. Besonderes Augenmerk sollte dabei den Auswirkungen auf die Unternehmensdienstleistungen als Wirtschaftsform gelten. Das Binnenmarktinformationssystem kann nützliche Informationen für Anschlussmaßnahmen und für die weitere Verringerung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten liefern.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 4 (CCMI/035).

(2)  KOM(2007) 374 endg. vom 4. Juli 2007.

(3)  SEK(2007) 1059 vom 27. Juli 2007. Anm. d. Ü.: Dieses Dokument liegt nur in englischer Fassung vor.

(4)  Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006.

(5)  Siehe Pressemitteilung IP/08/192 vom 7. Februar 2008.

(6)  Memo/08/125 vom 10. März 2008.

(7)  KOM(2007) 359 endg.

(8)  KOM(2008) 133 endg. vom 11. März 2008.

(9)  ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 93 (SOC/251).

(10)  ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 8 (INT/324).

(11)  ABl. C 256 vom 27.10.2007, S. 17 (INT/325).

(12)  „Service engineering — methodical development of new service products“ von Hans-Jörg Bullinger, Klaus-Peter Fähnrich und Thomas Meiren.

(13)  Thomas Meiren, Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation, Stuttgart.

(14)  Siehe CESE 995/2008 vom 29. Mai 2008 (SOC/282). ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 95.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgender Text der Fachgruppenstellungnahme wurde gemäß einem vom Plenum angenommenen Änderungsantrag geändert, erhielt jedoch mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen:

Ziffer 2.2 — zweiter Aufzählungspunkt:

„—

Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Bereich der Unternehmensdienstleistungen — Aus sozialpolitischer Sicht muss auf sektoraler Ebene eingehend geprüft werden, welche Probleme sich im Zusammenhang mit den neuen Beschäftigungsformen ergeben, die im Rahmen der Interaktionen zwischen dem Unternehmensdienstleistungssektor und der Fertigungsindustrie entstehen. Dabei sind sowohl die Bereiche Bildung, Weiterbildung und lebenslanges Lernen als auch die Beschäftigungsbedingungen für Arbeitnehmer einschließlich der von Auslagerungsprozessen Betroffenen zu berücksichtigen. Zur Erreichung dieses Ziels sollte die Agenda für den sozialen Dialog ausgeweitet werden, um die Veränderungen im Bereich der Arbeitsbedingungen und der Beschäftigungsmöglichkeiten zu untersuchen, die sich aufgrund des Strukturwandels im Bereich der Unternehmensdienstleistungen ergeben.“

Abstimmungsergebnis:

87 Stimmen für den Änderungsantrag, 35 Gegenstimmen und 13 Stimmenthaltungen.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über kosmetische Mittel (Neufassung)“

KOM(2008) 49 endg. — 2008/0035 (COD)

(2009/C 27/07)

Der Rat beschloss am 13. Mai 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über kosmetische Mittel (Neufassung)“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr KRAWCZYK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 126 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die Absichten und Zielsetzungen des Verordnungsentwurfs ebenso wie die Neufassung der Richtlinie 76/768/EWG als Verordnung.

1.2

Der Ausschuss weist darauf hin, dass voraussichtlich insbesondere die KMU erhebliche Finanzmittel aufbringen werden müssen, um den neuen Anforderungen im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der guten Herstellungspraxis, die Sicherheitsbewertung und die Erstellung der Produktinformationsdatei gerecht zu werden, ganz zu schweigen von sämtlichen erforderlichen Tests.

1.3

Er ist der Auffassung, dass es ratsam wäre, die negativen finanziellen Auswirkungen auf KMU so gering wie möglich zu halten, indem z.B. präzisiert wird, dass die Produktinformationsdatei und die Sicherheitsbewertung nur für erstmalig in Verkehr gebrachte kosmetische Mittel entsprechend den neuen Anforderungen erstellt werden müssen.

1.3.1

Er befürwortet die 36-monatige Frist für das Inkrafttreten der Verordnung. Für die Anpassung der Produktinformationen und der Sicherheitsbewertungen bereits zugelassener kosmetischer Mittel schlägt er aber einen weiteren Übergangszeitraum von 24 Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung vor.

1.4

Der Ausschuss begrüßt die Einführung einer differenzierten Regelung auf der Grundlage der Sicherheitsbewertung von als krebserregend/erbgutverändernd/fortpflanzungsschädigend („k/e/f“) eingestuften Stoffen. Das Verbot der Verwendung derartiger Stoffe sollte beibehalten werden.

2.   Vorbemerkungen

2.1

Mit der Richtlinie 76/768/EWG sollen vor allem der Gesundheitsschutz der Verbraucher sichergestellt und die Rechtsvorschriften für kosmetische Mittel auf dem Binnenmarkt vereinheitlicht werden. Aus der Analyse der gegenwärtigen Marktsituation ergibt sich, dass die Änderungen der Richtlinie 76/768/EWG und deren uneinheitliche Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten zu zahlreichen rechtlichen Unklarheiten und Diskrepanzen geführt haben. Dies verursachte sowohl den zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten als auch den Unternehmen einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand sowie unnötige Zusatzkosten, ohne zur Sicherheit kosmetischer Mittel beizutragen.

2.2

Die Vereinfachung der Richtlinie 76/768/EWG des Rates vom 27. Juli 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel („Kosmetikrichtlinie“) wurde in der Mitteilung der Europäischen Kommission „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds“, in der Kommissionsmitteilung zu der Jährlichen Strategieplanung für 2007 sowie im Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2007 angekündigt. Die Kommission hat eine Vereinfachung der Kosmetikrichtlinie in Form einer Neufassung vorgeschlagen, d.h. mittels eines Rechtsetzungsweges, durch den ein Legislativtext einschließlich der daran vorgenommenen Änderungen sowie mit substanziellen Verbesserungen kodifiziert werden kann.

2.3

Die Kommission hat auf der Grundlage der Ergebnisse der 2006 durchgeführten Konsultation der Öffentlichkeit und einer Reihe eigener Studien noch vor der Erarbeitung des Vorschlags für eine Verordnung (Neufassung) (1) eine ausführliche Folgenabschätzung vorgenommen.

2.4

Die EU-Kosmetikbranche wird von KMU dominiert. 97 Prozent aller Kosmetikfirmen in der EU sind KMU, und 80 Prozent davon haben weniger als 19 Beschäftigte. Etwa zwei Drittel aller direkt Beschäftigten der EU-Kosmetikbranche arbeiten in KMU.

2.5

Die europäische Kosmetikindustrie beschäftigt ca. 150 000 Arbeitnehmer. Seit 1999 wurden in dieser Branche stetig neue Arbeitsplätze geschaffen (Zuwachs von 1,2 % pro Jahr).

2.6

Abgesehen von der Beschäftigung in der Kosmetikbranche selbst, kommt diesem Industriezweig auch eine wichtige indirekte Rolle für die Beschäftigung in den Bereichen Einzelhandel, Vertrieb und Transport zu. Schätzungsweise 350 000 Arbeitsplätze hängen indirekt von der Kosmetikindustrie ab.

2.7

Aus diesem Grund sollten die Interessen und die Standpunkte der EU-Kosmetikbranche bei der Bewertung der Auswirkungen des vorliegenden Vorschlags berücksichtigt werden.

2.8

Die innergemeinschaftlichen Ausfuhren kosmetischer Mittel sind seit 1999 stetig gestiegen, und zwar um durchschnittlich 5 Prozent jährlich, was das Volumen betrifft, und um 6,5 Prozent jährlich, was den Wert anbelangt.

2.9

Die Kosmetikbranche ist ein internationaler Industriezweig, in dem die europäischen Unternehmen sehr gut aufgestellt sind. Aufgrund der starken Internationalisierung kommt der Kosmetikindustrie im Hinblick auf die Nettoexporte besondere Bedeutung in der EU zu. 2005 beliefen sich die Ausfuhren kosmetischer Mittel aus der EU auf 16 Mrd. EUR, die Importe auf 4,4 Mrd. EUR.

2.10

Die Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten gestaltet sich unterschiedlich. Polen ist ein Beispiel dafür, dass die Branche überwiegend aus unabhängigen Firmen besteht — im konkreten Fall sind dies über 400 Unternehmen, davon der Großteil KMU. Der polnische Markt für Kosmetika, der 2006 um 8,2 Prozent und 2007 um 7,2 Prozent gewachsen ist und nach wie vor ein großes Wachstumspotenzial aufweist, ist ein gutes Beispiel für ein stetes Wachstum, das in den fünf größten Volkswirtschaften der EU (Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien) nicht mehr zu finden ist.

3.   Einleitung

Die Kosmetikrichtlinie ist ein überaus detaillierter Rechtsakt mit präskriptivem Charakter. Seit 1976 wurde sie 56 Mal geändert, was zu rechtlichen Unklarheiten und Widersprüchen sowie zu einem Fehlen jeglicher Legaldefinitionen geführt hat.

3.1

Mit der vorgeschlagenen Neufassung der Richtlinie 76/678/EWG des Rates werden folgende Hauptziele verfolgt:

Beseitigung rechtlicher Unklarheiten und Widersprüche, die infolge der hohen Zahl von Änderungen entstanden sind;

Vermeidung von Abweichungen bei der nationalen Umsetzung, die nicht die Produktsicherheit, sondern den Regelungsaufwand und die Verwaltungskosten erhöhen;

Vereinfachung und Vereinheitlichung bestimmter Verwaltungsverfahren, z.B. Meldung, Meldesystem zur Erfassung der unerwünschten Wirkungen kosmetischer Mittel („Cosmetovigilance“) und Verwaltungszusammenarbeit bei der Marktaufsicht;

Gewährleistung der Sicherheit der in der EU zugelassenen kosmetischen Mittel, vor allem angesichts der Innovationen in diesem Bereich;

Beibehaltung der Regelungen für Tierversuche, die im Rahmen der siebten Änderung im Jahr 2003 in die Kosmetikrichtlinie aufgenommen wurden;

Festlegung eindeutiger Mindestanforderungen für die Sicherheitsbewertung kosmetischer Mittel;

Einführung der Möglichkeit, Stoffe der K/e/f-Kategorien 1 und 2 in Ausnahmefällen auf der Grundlage des tatsächlichen Risikos zu bewerten.

Der Vorschlag für eine Verordnung enthält folgende Hauptelemente:

3.2

Die Kommission will den Geltungsbereich der Richtlinie 76/768/EWG beibehalten, und auch die Definition des Begriffs „kosmetisches Mittel“ bleibt unverändert. Im Zuge der von der Kommission durchgeführten Konsultation der Öffentlichkeit hat sich herausgestellt, dass die meisten Interessenträger eine Neufassung der Richtlinie 76/768/EWG als Verordnung befürworten.

3.3

Es wird eine Reihe neuer Legaldefinitionen, etwa für die Begriffe „Hersteller“, „Bereitstellung auf dem Markt“, „Inverkehrbringen“, „Einführer“, „harmonisierte Norm“, „Spuren“, „Konservierungsstoffe“, „Farbstoffe“, „UV-Filter“, „unerwünschte Wirkung“, „ernste unerwünschte Wirkung“, „Rücknahme“ und „Rückruf“, vorgeschlagen. Es wird jedoch keine Definition des zentralen Begriffs „kosmetisches Mittel“ vorgeschlagen.

3.4

Es wird das Konzept einer in der Gemeinschaft ansässigen verantwortlichen Person eingeführt. Darüber hinaus wird festgelegt, wer die Verantwortung für kosmetische Mittel trägt, die aus Nicht-EU-Staaten zum Verbraucher gelangen, z.B. per Internet-Bestellung.

3.5

Es werden Elemente der „Neuen Konzeption“ eingeführt: Im Hinblick auf die gute Herstellungspraxis, Probenahme und Analyse sowie Behauptungen über kosmetische Mittel wird auf die harmonisierten Normen in Rechtsvorschriften verwiesen.

3.6

Es werden Mindestanforderungen für die Sicherheitsbewertung und die Produktinformationsdatei (Produktdossier) festgelegt. In Anhang I des Verordnungsvorschlags wird ein Sicherheitsdatenblatt für kosmetische Mittel vorgeschlagen. Die Sicherheitsbewertung kosmetischer Mittel erfolgt auf der Grundlage des toxikologischen Profils ihrer jeweiligen Bestandteile.

3.7

Es wird eine differenzierte Regelung auf der Grundlage einer Bewertung des Risikos (und nicht der Gefahr) von als krebserregend/erbgutverändernd/fortpflanzungsschädigend („k/e/f“) eingestuften Stoffen vorgeschlagen, die die bisherige, auf einer Gefahrenbewertung basierende Regelung ersetzen soll. Allgemein wird das Verbot von Stoffen der K/e/f-Kategorien 1 und 2 beibehalten. Aufgrund der Neuen Konzeption ist aber die Verwendung von Stoffen der K/e/f-Kategorien 1 und 2 unter strengen Auflagen gestattet, sofern der Gebrauch dieser Stoffe in Kosmetika für sicher befunden worden ist.

3.8

Das generelle Verbot von Tierversuchen für kosmetische Fertigerzeugnisse sowie die Zeitpläne mit Fristen für das Verbot des Inverkehrbringens von kosmetischen Mitteln, deren Bestandteile oder Kombinationen von Bestandteilen mit Tierversuchen getestet wurden, werden beibehalten.

3.9

Es wird eine einheitliche Vorgehensweise für die Verwaltung der Daten über unerwünschte Wirkungen und ernste unerwünschte Wirkungen festgelegt. Diese Daten sind nunmehr in den Sicherheitsbericht für das jeweilige kosmetische Mittel aufzunehmen und werden öffentlich zugänglich gemacht. Darüber hinaus sind die Unternehmen gehalten, die zuständigen Behörden von sich aus über ernste unerwünschte Wirkungen zu informieren.

3.10

Es wird eine vereinfachte, zentralisierte und elektronische Meldung bei einer zentralen Meldestelle vorgeschlagen. Bislang musste die Meldung vor dem Inverkehrbringen eines kosmetischen Mittels in jedem Mitgliedstaat einzeln erfolgen. Diese verlangten jeweils unterschiedliche Informationen. Darüber hinaus ist derzeit in einer Reihe von Mitgliedstaaten eine gesonderte Meldung bei den Giftnotrufzentralen erforderlich.

3.11

Die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden in den einzelnen Mitgliedstaaten und die Anwendung der Grundsätze der guten Verwaltungspraxis werden forciert.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss unterstützt die Absichten und Zielsetzungen des vorliegenden Verordnungsvorschlags, d.h. die Vereinfachung und Vereinheitlichung bestimmter Verwaltungsverfahren unter gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Niveaus an Verbrauchersicherheit. Die vorgeschlagene Verordnung kann zweifellos als transparent bezeichnet werden. Die darin enthaltenen Rechtsbestimmungen tragen zur Klärung bestimmter, bislang strittiger rechtlicher Fragen bei, die zu Abweichungen in der Auslegung und Umsetzung der Bestimmungen geführt hatten.

4.2

Durch die Neufassung der Richtlinie 76/768/EWG als Verordnung wird die einheitliche Umsetzung der Rechtsbestimmungen sichergestellt, was den freien Warenverkehr auf dem Binnenmarkt fördert und die Verwaltungsverfahren auf den Märkten der EU vereinfacht.

4.3

Durch die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren können zwar bestimmte Kosten (z.B. für die Meldung kosmetischer Mittel und die Meldung bei den Giftnotrufzentralen) gesenkt werden, dennoch ist davon auszugehen, dass KMU zur Erfüllung der neuen Anforderungen in Bezug auf die Daten für die Produktinformationsdatei sowie im Hinblick auf die Einhaltung der harmonisierten Norm für gute Herstellungspraxis (EN ISO 22716) erhebliche Ausgaben tätigen werden müssen. In diesem Zusammenhang sollte nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass in den derzeit geltenden Rechtsvorschriften weniger ausführliche toxikologische Informationen gefordert werden als in dem Verordnungsvorschlag.

4.4

Es ist zu erwarten, dass die Höhe der zusätzlichen Kosten, die zur Erfüllung der im Verordnungsvorschlag gestellten Anforderungen aufgebracht werden müssen, stark von der Größe des Unternehmens abhängen wird. Die Kosten für die Erstellung der Produktinformationen und die Sicherheitsbewertung werden in erster Linie von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu tragen sein, die bisher nur rudimentäre Daten nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften zusammengestellt haben.

Was große internationale Konzerne anbelangt, ist aufgrund der langjährigen Erfahrung, des Sachverstands, der Humanressourcen, der technischen Infrastruktur und des Zugangs zum Know-how Dritter, über die diese Unternehmen verfügen, nicht von einem erheblichen Kostenanstieg auszugehen. Für große Unternehmen, die ihre Erzeugnisse auf einer Reihe von EU-Märkten herstellen, wird die EU-weit zentralisierte Meldestelle definitiv zu einer Vereinfachung der bisherigen Verwaltungsverfahren und somit teilweise zu einer Senkung der im Zusammenhang mit der Meldepflicht erwachsenden Kosten führen. Außerdem haben international tätige Unternehmen bereits Meldesysteme für ihre Rahmenformulierungen (Produktformeln) eingeführt.

4.5

Für KMU ist ein deutlicher Anstieg der Kosten für die Umsetzung der Grundsätze der guten Herstellungspraxis, die Sicherheitsbewertung und die Erstellung der Produktinformationen zu erwarten, ganz zu schweigen von sämtlichen erforderlichen Tests.

Alleine die Ausgaben der KMU für Forschung, Produktdossier und Sicherheitsbewertung könnten für jede neue, erstmalig in Verkehr gebrachte Produktformulierung um bis zu 100 Prozent steigen. Dies wird zu einem erheblichen Anstieg der Produktionskosten von KMU führen, was sich wiederum auf die Einzelhandelspreise der Produkte auswirken und damit auch die Interessen der Verbraucher betreffen wird.

Dabei ist zu bedenken, dass KMU ihre Produktserien in einer deutlich geringeren Stückzahl herstellen als große internationale Konzerne, die große Mengen absetzen. Insofern sind die Stückkosten für Forschung, Produktdossier und Sicherheitsbewertung für KMU sehr viel höher.

Die von der Kommission durchgeführte Folgenabschätzung ist daher möglicherweise für jene Mitgliedstaaten, in denen es viele KMU gibt, wie etwa Spanien, Italien, Polen und Bulgarien, nicht aussagekräftig.

4.6

Es erscheint ratsam, die negativen finanziellen Auswirkungen auf KMU so gering wie möglich zu halten, indem z. B. präzisiert wird, dass die Produktinformationsdatei und die Sicherheitsbewertung nur für erstmalig in Verkehr gebrachte kosmetische Mittel entsprechend den neuen Anforderungen erstellt werden müssen. Im Falle bereits zugelassener kosmetischer Mittel sollte der Übergangszeitraum für die Aktualisierung der Produktinformationsdateien und der Sicherheitsbewertungen verlängert werden.

4.6.1

Der Ausschuss befürwortet die 36-monatige Frist für das Inkrafttreten der Verordnung. Für die Anpassung der Produktinformationen und der Sicherheitsbewertungen bereits zugelassener kosmetischer Mittel schlägt der Ausschuss aber einen weiteren Übergangszeitraum von 24 Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung vor.

4.7

Der Ausschuss begrüßt die Einführung von Legaldefinitionen. Dies wird die Auslegung der Bestimmungen der Verordnung erleichtern und zur Beseitigung der rechtlichen Unklarheiten und Widersprüche beitragen. Es wird jedoch keine neue Definition des Begriffs „kosmetisches Mittel“ vorgeschlagen. Die Kosmetikindustrie ist überaus innovativ, und jedes Jahr werden neue Wirkstoffe und Produktkategorien auf den Markt gebracht. Dies kann zu Schwierigkeiten bei der Produktzuordnung (kosmetisches bzw. pharmazeutisches Mittel usw.) und Problemen mit Produkten führen, die sich nicht eindeutig in eine Kategorie einordnen lassen. Aus diesem Grund müssen Aufklärungs- und Informationskampagnen durchgeführt und die Marktaufsicht in diesem Bereich verstärkt werden.

4.8

Er befürwortet die Einführung des Konzepts einer verantwortlichen Person. Die Möglichkeit, eine verantwortliche Person zu benennen, wobei dies außer dem Hersteller auch ein anderes Unternehmen sein kann, ist nützlich und entspricht den marktüblichen Vorgehensweisen, wie Produktionsauslagerung und Verwendung von Handelsmarken. Mit den Bestimmungen bezüglich der verantwortlichen Person wird darüber hinaus festgelegt, wer die Verantwortung für kosmetische Mittel trägt, die aus Nicht-EU-Staaten zum Verbraucher gelangen, z.B. per Internet-Bestellung.

4.9

Nach Ansicht des Ausschusses müssen noch weitere Begriffe definiert werden, damit die Rechtssicherheit gewährleistet wird, was im Falle einer Verordnung besonders wichtig ist. Dies trifft insbesondere auf die Begriffe „Parfüm“ und „Wirkstoff“ zu.

4.10

Er begrüßt ferner die Einführung einer elektronischen Meldung für kosmetische Mittel und Rahmenformulierungen bei den Giftnotrufzentralen. Dies wird zweifellos zu einer Vereinheitlichung der Verwaltungsverfahren auf dem Binnenmarkt führen.

4.11

Des Weiteren befürwortet er die Anwendung von Elementen der „Neuen Konzeption“ auf die Rechtsvorschriften für kosmetische Mittel. Die Anwendung der harmonisierten Normen, die von den Herstellern und den zuständigen Behörden auf freiwilliger Basis eingehalten werden können, ermöglicht eine Vereinheitlichung der Vorgehensweisen. Die harmonisierten Normen sind gute Beispiele für Selbstregulierungsmechanismen, die einerseits nützlich sind und andererseits gut von der Kosmetikindustrie angenommen werden. Der Ausschuss hat jedoch Vorbehalte gegen eine unkritische Anwendung von Elementen der „Neuen Konzeption“. Verbraucher- und Sicherheitsanliegen müssen durch entsprechende Rechtsvorschriften geregelt werden.

4.12

Er begrüßt den Verweis auf die harmonisierten Normen im Zusammenhang mit Behauptungen über kosmetische Mittel. Die harmonisierten Normen sollten sich aber auf die Vorgehensweisen zur wirksamen Bewertung der Richtigkeit der Behauptungen, nicht aber auf die Behauptungen selbst beziehen. Die behauptete Wirkung sollte mittels verlässlicher und reproduzierbarer Methoden gemessen werden. Darüber hinaus sollte bei den harmonisierten Normen der wissenschaftliche und technische Fortschritt sowie die Weitläufigkeit des Bereichs berücksichtigt werden.

4.13

Ferner begrüßt der Ausschuss die Einführung einer differenzierten Regelung auf der Grundlage der Sicherheitsbewertung von Stoffen, die im Sinne von Artikel 12 Absatz 2 der Richtlinie 67/548/EWG als krebserregend/erbgutverändernd/fortpflanzungsschädigend („k/e/f“) eingestuft wurden. Das Verbot der Verwendung derartiger Substanzen sollte generell beibehalten werden. Nach der derzeit geltenden Regelung werden Stoffe aber aufgrund der Gefahr (ihren immanenten Eigenschaften) eingestuft, ohne die Expositionsmenge und -wege zu berücksichtigen. Dies könnte bei einer Umstufung in die K/e/f-Kategorien 1 bzw. 2 automatisch zu einem Verbot von Ethanol (d.h. Alkohol) führen, obwohl dessen Verwendung in kosmetischen Mitteln keine Gefahren birgt. Im Verordnungsvorschlag ist vorgesehen, dass Stoffe der K/e/f-Kategorien 1 bzw. 2 nur dann als Bestandteile kosmetischer Mittel verwendet werden dürfen, wenn gleichzeitig drei Voraussetzungen erfüllt sind (Artikel 12 Absatz 2). Eine dieser Voraussetzungen ist jedoch, dass der Stoff zur Verwendung in Lebens- und Nahrungsmitteln zugelassen sein muss. Es ist aber sehr gut möglich, dass ein in die K/e/f-Kategorien 1 bzw. 2 eingestufter Stoff, dessen Verwendung in kosmetischen Mitteln als sicher gilt, nicht zur Verwendung in Lebens- und Nahrungsmitteln zugelassen ist (z.B. Formaldehyd, Borsäure usw.). Nach den Bestimmungen des vorliegenden Verordnungsvorschlags ist die Verwendung eines solchen Stoffes in der Kosmetikindustrie ausgeschlossen.

4.14

Der Ausschuss erkennt die Notwendigkeit von Übergangsfristen für die Anpassung des Produktdossiers und der Sicherheitsbewertung bereits zugelassener kosmetischer Mittel (Artikel 34) an. Im Verordnungsvorschlag wird aber nicht angegeben, ob die Übergangsfrist nur für erstmalig in Verkehr gebrachte oder auch für bereits zugelassene kosmetische Mittel gilt. Die Festlegung einer einheitlichen Übergangsfrist (von 36 Monaten) für sämtliche Produkte, also auch für bereits zugelassene kosmetische Mittel, könnte dazu führen, dass rechtmäßig in Verkehr gebrachte Produkte in Ermangelung einer aktualisierten Produktkennzeichnung bzw. einer angepassten Produktinformationsdatei vom Markt genommen werden müssen. Der Ausschuss befürwortet die 36-monatige Frist für das Inkrafttreten der Verordnung. Für die Anpassung der Produktinformationen und der Sicherheitsbewertungen bereits zugelassener kosmetischer Mittel schlägt der Ausschuss aber einen weiteren Übergangszeitraum von 24 Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung vor.

In dem Arbeitsdokument SEK(2008) 117, der Folgenabschätzung, erläutert die Kommission, sämtliche verfügbaren statistischen Daten wiesen darauf hin, dass die Zahl der unerwünschten Wirkungen kosmetischer Mittel überaus gering sei. Darüber hinaus sei es — etwa im Gegensatz zur Lebensmittelindustrie — in der Kosmetikbranche seit dem Inkrafttreten der Kosmetikrichtlinie zu keiner ernstzunehmenden Gefahrensituation gekommen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass gewisse Bestimmungen des Verordnungsvorschlags der Kommission möglicherweise nur schwer zu erfüllen sind. Insbesondere trifft dies auf die Bestimmungen zum Umfang der Informationen für die Produktinformationsdateien und die Sicherheitsbewertungen (Artikel 7 sowie Anhang II) zu.

5.2

In Artikel 7 muss festgelegt werden, dass die Bewertung der Unbedenklichkeit des Produkts von einem unabhängigen, d. h. nicht mit dem Unternehmen verbundenen Dritten vorgenommen wird.

5.3

Der Begriff „nichtklinische Sicherheitsstudien“ in Artikel 7 Absatz 3 ist unklar. Die verfügbaren Informationen lassen auf eine unterschiedliche Auslegung dieses Begriffs in den einzelnen Mitgliedstaaten schließen. Gemäß der Interpretation durch die zuständigen Behörden Polens bezeichnet der Begriff „klinische Studie“ eine Studie zu einem medizinischen Erzeugnis. Die zur Bewertung kosmetischer Mittel angewandten Forschungsstudien mit Freiwilligen (dermatologische Tests, Verträglichkeitsprüfung, instrumentelle Analysen) können demnach nicht als klinische Studien verstanden werden. Ebenso wenig können sie aber als nichtklinische Sicherheitsstudien im Sinne von Artikel 7 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags gelten. Nach Maßgabe von Richtlinie 2004/10/EG sind die Grundsätze der guten Laborpraxis nicht auf Studien an Menschen anzuwenden.

5.4

Darüber hinaus führt die Bestimmung, wonach sämtliche toxikologischen Tests und Analysen für die Sicherheitsbewertung entsprechend den Grundsätzen der guten Laborpraxis durchzuführen sind, dazu, dass ein Großteil der in den toxikologischen Datenbanken und wissenschaftlichen Publikationen enthaltenen Daten, die eigentlich wertvolle Informationsquellen sind, nicht genutzt werden kann. Selbst in jüngeren wissenschaftlichen Publikationen sind nur sehr selten Erklärungen der Labore, die die Tests durchgeführt haben, hinsichtlich der Einhaltung (bzw. Nichteinhaltung) der Grundsätze der guten Laborpraxis zu finden.

5.5

Die Einhaltung der Bestimmungen in Anhang I Absätze 2 und 4 bezüglich der Bewertung der Reinheit und der Stabilität des Verpackungsmaterials, der Wechselwirkung zwischen Stoffen und der Auswirkungen der Stabilität eines kosmetischen Mittels auf dessen Sicherheit sowie bezüglich der Angabe, wie lange das Mittel nach dem Öffnen sicher ist, könnte Schwierigkeiten bereiten, da es dafür keine allgemein verfügbare und anerkannte Methode gibt, z.B. eine internationale oder europäische Norm, und auch keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen dazu vorliegen. Diese Daten sind daher nicht unmittelbar erschließbar.

5.5.1

Der Ausschuss befürwortet die in Anhang I (Sicherheitsbewertung kosmetischer Mittel) festgelegten Minimalanforderungen hinsichtlich der Daten und Tests, die bei der Erstellung einer Produktdatei gesammelt bzw. durchgeführt werden müssen. Dies wird die Qualität der Produktdatei verbessern, die Marktaufsicht erleichtern und somit zu mehr Verbrauchersicherheit beitragen.

5.6

Der zur Berechnung der Sicherheitsmarge für die Exposition (engl.: MoS — margin of safety) notwendige „NOAEL-Wert“ (engl.: No Observed Adverse Effect Level — Dosis, bei der keine schädliche Wirkung erkennbar ist) ist für zahlreiche Stoffe nicht verfügbar. Die Verpflichtung zur Bestimmung des NOAEL-Werts wird zum Einsatz von Tierversuchen führen, was dem von der EU verfolgten Ansatz der Bevorzugung alternativer Verfahren zuwiderläuft. Außerdem stellt dies einen Verstoß gegen die Bestimmungen in Artikel 14 (Tierversuche) dar.

5.6.1

In der neuen Regelung sollte daher präzise festgelegt werden, welche Tests von den Herstellern an Stoffen zur Verwendung in kosmetischen Mitteln durchzuführen sind, um mögliche Gesundheitsgefahren für die Verbraucher festzustellen.

5.7

Der Ausschuss ist nicht damit einverstanden, dass die Liste der Bestandteile nur auf der Verpackung aufgeführt werden soll (Artikel 15 Buchstabe g)); sie sollte vielmehr auf dem Produkt selbst (d.h. dem Behältnis) angebracht sein, sofern dies irgend möglich ist.

5.8

Nach Ansicht des Ausschusses müssen kosmetische Mittel spezielle Gebrauchshinweise insbesondere für Kinder enthalten, wobei deutlich und an sichtbarer Stelle das Mindestalter anzugeben sowie der Hinweis „Nicht in Reichweite von Kindern aufbewahren“ anzubringen ist.

5.9

Der Ausschuss vertritt ferner die Auffassung, dass in der Verordnung klar festgelegt werden sollte, dass beim Verkauf kosmetischer Mittel im Fernabsatz genau die gleichen Informationen, die aus den Etiketten und Verpackungen der zum Verkauf in Geschäftsräumen bestimmten Produkte hervorgehen müssen, klar und deutlich aus den Angeboten der im Versandgeschäft tätigen Unternehmen ersichtlich sein müssen.

5.10

Der Ausschuss befürwortet die Forcierung im Hinblick auf die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden und die Anwendung der Grundsätze der guten Verwaltungspraxis.

5.11

Ferner befürwortet er die Straffung der bisherigen Anhänge mit den Aufstellungen der verbotenen und eingeschränkt in kosmetischen Mitteln verwendbaren Stoffe durch die Hinzufügung der CAS- und EINECS-Nummern sowie der INCI-Bezeichnungen und die Erstellung eines elektronischen Verzeichnisses der Bestandteile kosmetischer Mittel.

5.12

Die Streichung des früheren Anhangs I der Richtlinie 76/768/EWG scheint angemessen. Die Einteilung in Kategorien in der bisherigen Liste war eher willkürlich, wobei es zu zahlreichen Wiederholungen kam, etwa bei „Schminkgrundlagen“ und „Schmink- und Abschminkmitteln“. Außerdem ist die bisherige Liste bereits obsolet — zwischenzeitlich sind neue Produktarten auf dem Markt, z.B. Anti-Cellulitis-Pflaster oder mit Wirkstoffen getränkte Abschminktücher.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2008) 49 endg. — 2008/0025 (COD).


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/39


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/82/EG und der Richtlinie 2001/83/EG in Bezug auf Änderungen der Bedingungen für Zulassungen von Arzneimitteln“

KOM(2008) 123 endg. — 2008/0045 (COD)

(2009/C 27/08)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 3. April 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/82/EG und der Richtlinie 2001/83/EG in Bezug auf Änderungen der Bedingungen für Zulassungen von Arzneimitteln“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 11. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr CEDRONE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 127 Ja-Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA befürwortet den Richtlinienvorschlag KOM(2008) 123 endg. zur Änderung der Richtlinien 2001/82/EG und 2001/83/EG, weil damit gewährleistet wird, dass alle Arzneimittel unabhängig vom Verfahren ihrer Zulassung zum Inverkehrbringen harmonisierten Vorschriften unterliegen.

1.2

Durch die Anwendung der gleichen Kriterien für alle Arzneimittel kann neben den Kriterien der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit ein hohes Maß an Schutz der öffentlichen Gesundheit und das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes garantiert werden; zugleich entfällt unnötiger Verwaltungs- und Kostenaufwand für die Unternehmen.

1.3

Der EWSA hat stets die Bemühungen der Kommission um mehr Arzneimittelsicherheit unterstützt und wird dies auch weiterhin tun, da es sich dabei um ein Element von grundlegender Bedeutung für den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier handelt.

1.4

Der EWSA stimmt daher unbeschadet der Bedeutung der künftigen, von der Kommission anzunehmenden Rechtsvorschrift dem Ziel zu, die Kommission dazu zu ermächtigen, den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 1084/2003 auf die Änderungen auszudehnen, die nach der erteilten Zulassung erfolgen — und zwar unabhängig von dem eingesetzten Zulassungsverfahren —, und so mögliche Behinderungen des freien Warenverkehrs von Arzneimitteln zu verhindern.

1.5

An dieser Stelle möchte der EWSA erneut und nachdrücklich seine Überzeugung bekräftigen, dass auch in den Sektoren, in denen die Vollendung des Binnenmarktes noch nicht oder nur teilweise erreicht wurde, zügiger auf dieses Ziel hingearbeitet werden muss.

2.   Hintergrund

2.1

Die Europäische Kommission legte im November 2001 zwei spezifische Rechtsakte zur umfassenden Reform der Arzneimittelvorschriften vor, nämlich die Richtlinie 2001/82/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel und die Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (1).

2.2

Diese Rechtsvorschriften sind die Fortsetzung der tiefgreifenden Reform, die 1993 mit der Schaffung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMEA) gemäß Verordnung 2309/93 und der Einführung eines neuen Verfahrens zur Genehmigung und Überwachung von Arzneimitteln (2) eingeleitet wurde.

2.3

In dieser Verordnung waren nach Maßgabe des Prinzips des freien Warenverkehrs zwei Verfahren zur Zulassung sämtlicher Arzneimittel vorgesehen, die seit dem 1.1.1995 gelten:

a)

ein „zentrales“ Verfahren der Zulassung durch die EMEA für das gesamte Gemeinschaftsgebiet, das für Arzneimittel aus der Biotechnologie zwingend vorgeschrieben und für neu entwickelte Arzneimittel fakultativ ist;

b)

ein nationales, sog. „dezentrales“ Verfahren, das beibehalten wird und wonach Zulassungen durch einzelstaatliche Behörden weiter möglich sind. Dieses Verfahren ermöglicht zudem die Anwendung spezifischer Vorschriften der „gegenseitigen Anerkennung“, wonach in einem Mitgliedstaat zugelassene Arzneimittel auch in anderen Mitgliedstaaten in Verkehr gebracht werden können.

2.4

Diese Zulassungsverfahren für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln sollten eine ordnungsgemäße Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses sicherstellen und strenge Kriterien für Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit festlegen, um den Schutz der Gesundheit der Unionsbürger und der Tiergesundheit zu gewährleisten.

2.5

In den Richtlinien 2001/82/EG und 2001/83/EG wurden die entsprechenden Garantien, die unbedingt erforderlich sind, durch konkrete Bestimmungen über die Pharmakovigilanz verankert, um durch häufigere Kontrollen und strengere und konkretere Kriterien hinsichtlich der Informationspflichten über unerwünschte Nebenwirkungen ein hohes Maß an Schutz der öffentlichen Gesundheit zu erreichen.

2.6

Die Kommission hat im Zuge ihrer regelmäßigen Kontrollen der Funktionsweise des Zulassungssystems für Arzneimittel Probleme hinsichtlich von Zulassungsänderungen festgestellt, die nach der Erteilung von Zulassungen auf nationaler Ebene eintreten. Diese Fälle machen über 80 % aller Arzneimittelzulassungen aus.

2.7

Diese nach Erteilung der nationalen Zulassung vorgenommenen Änderungen erfolgen gemäß den Verordnungen (EG) 1084/2003 und 1085/2003, betreffen jedoch ausschließlich Aspekte wie das Herstellungsverfahren, die Verpackung oder die Anschrift des Herstellers, nicht jedoch wesentliche Aspekte wie beispielsweise die Einführung einer neuen Indikation oder Änderungen in der Verabreichungsmethode.

2.8

Daraus ergibt sich, dass die Verfahren im Anschluss an die ursprüngliche Zulassung in einigen Fällen in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind, weshalb für ein und dasselbe Produkt ggf. unterschiedliche Vorschriften und Einstufungen gelten. Damit wird ggf. kein einheitliches Gesundheitsschutzniveau gewährleistet, weil die therapeutische Einstufung oder die Verwendung für ein und dasselbe Arzneimittel unterschiedlich sind, was zudem eine — mitunter künstliche — Behinderung des freien Warenverkehrs mit Arzneimitteln in der EU darstellen kann.

3.   Der Vorschlag der Kommission

3.1

Zur Vermeidung unterschiedlicher Bedingungen für ein und dasselbe Arzneimittel hat die Kommission beschlossen, einen Rechtsakt zur Änderung der Richtlinien 2001/82/EG und 2001/83/EG vorzuschlagen, wonach der Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1084/2003, die derzeit nur für die nach dem zentralen Verfahren zugelassenen Arzneimittel gilt, auf alle Arzneimittel unabhängig von dem Verfahren, nach dem sie zugelassen worden sind, auszudehnen.

3.2

Dieser Vorschlag gehört zu den Vereinfachungsvorschlägen, die in Anhang 2 des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Kommission für 2008 aufgeführt sind. Er umfasst lediglich einen Rechtsakt zur Anpassung einer Reihe von Artikeln der Richtlinien 2001/82/EG und 2001/83/EG im Hinblick auf Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1084/2003, die nunmehr für alle Arzneimittel gelten sollen.

3.3

Die Fortsetzung des gegenwärtigen Zustands würde für die Unternehmen, die ein Arzneimittel in mehreren Mitgliedsländern auf den Markt bringen wollen, einen unnötigen Verwaltungs- und Kostenaufwand bedeuten. Diese Unternehmen stehen in den einzelnen Mitgliedstaaten regelmäßig vor unterschiedlichen Vorschriften und voneinander abweichenden Verwaltungsauflagen, was zudem eine künstliche Behinderung des freien Warenverkehrs darstellen kann.

3.4

Der Vorschlag ist rein rechtlicher Art und beinhaltet die Änderung der Rechtsgrundlage der Verordnung (EG) Nr. 1084/2003, wobei die Kommission dazu ermächtigt wird, den Anwendungsbereich jener Verordnung zu ändern und so eine wirksame Harmonisierung der Zulassungsvorschriften sicherzustellen.

3.5

Die Kommission betont, dass zu diesem Änderungsrechtsakt alle interessierten Kreise ausführlich konsultiert wurden und dass das ausgewählte Verfahren der Änderung bestehender Rechtsakte am besten geeignet ist, um das Ziel harmonisierter Vorschriften über Arzneimittel nach ihrem Inverkehrbringen im Einklang mit einem hohen Maß an Schutz der öffentlichen Gesundheit und rechtlicher Kohärenz zu erreichen.

3.6

Der Vorschlag zur Änderung einer Reihe von Artikeln ist auf Artikel 95 des EG-Vertrags gestützt, der die Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens vorsieht, und steht zudem mit den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit im Einklang.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA befürwortet den Vorschlag zur Änderung der Richtlinien 2001/82/EG und 2001/83/EG, weil diese Änderungen die Harmonisierung der Vorschriften für die Zulassung aller Arzneimittel, ein nach wie vor hohes Maß an Schutz der öffentlichen Gesundheit und das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes gewährleisten, und zugleich ein unnötiger Verwaltungs- und Kostenaufwand für die Unternehmen wegfällt.

4.2

Im Einklang mit früheren diesbezüglichen Stellungnahmen unterstützt der EWSA die Kommission in ihren Bemühungen, die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen, und fordert sie sogar dazu auf, da es sich dabei um ein Element von grundlegender Bedeutung für den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier handelt.

4.3

Der Vorschlag steht im Einklang mit dem Ziel, durch eine einfache Änderung von Rechtsakten eine Harmonisierung der Vorschriften für alle Arzneimittel zu erreichen, auch wenn diese nach verschiedenen Verfahren zugelassen wurden, wodurch zugleich weitere mögliche Hindernisse für den freien Warenverkehr mit Arzneimitteln beseitigt werden.

4.4

Der EWSA begrüßt die Änderung der Rechtsgrundlage und verbleibt in Erwartung des Legislativvorschlags, der sich in Bearbeitung befindet und der für die Zukunft des Arzneimittelsektors als noch wichtiger erachtet wird.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. L 311 vom 28.11.2001.

(2)  ABl. L 214 vom 24.8.1993.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/41


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über einfache Druckbehälter“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2008) 202 endg. — 2008/0076 (COD)

(2009/C 27/09)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 26. Mai 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über einfache Druckbehälter“ (kodifizierte Fassung).

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 142 Ja-Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/41


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes“

KOM(2007) 608 endg.

(2009/C 27/10)

Die Europäische Kommission beschloss am 18. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr BUFFETAUT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 10. Juli) mit 111 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss stimmt der Analyse der Europäischen Kommission in Bezug auf die Situation des Schienengüterverkehrs in der Europäischen Union zu und erachtet die Vorschläge der Europäischen Kommission als zweckdienlich, auch wenn sie angesichts der anstehenden Herausforderung nicht weit genug gehen.

1.2

Seiner Meinung nach bedarf es für eine Verbesserung der Situation:

eines echten Logistik-Dienstleistungsangebots anstelle einer schlichten Beförderungsleistung;

einer Kostensenkung, um wettbewerbsfähigere Tarife bieten zu können;

einer höheren Zuverlässigkeit der Dienste;

hinreichend kurzer Beförderungszeiten „von Tür zu Tür“;

eines flexiblen Angebots und einer erhöhten Reaktionsfähigkeit bei Störungen.

1.3   Ein echtes Logistik-Dienstleistungsangebot

Der Grundgedanke ist, von Natur aus eher komplexe Aspekte im Schienengüterverkehr für den Kunden einfach zu gestalten. Hierfür bedarf es einer echten Kundenbetreuung, klarer und zuverlässiger Informationen, der Ausweitung des Angebots individueller Güterwägen sowie der Bereitstellung von Diensten „von Tür zu Tür“ einschl. Be- und Entladung.

1.4   Kostensenkung

1.4.1

Zur Kostensenkung müssen die Anstrengungen in den Bereichen Interoperabilität und technische Harmonisierung in Europa fortgeführt werden. Geschichtlich bedingt verfügt jedes Netz über seine eigenen Regeln sowie seine eigenen Regulierungs- und Sicherheitsmechanismen. Es muss dafür gesorgt werden, dass all diese Systeme immer stärker ineinandergreifen. Die ehestmögliche Umsetzung des Europäischen Eisenbahnverkehrsmanagementsystems ERTMS muss vorrangiges Ziel sein.

1.4.2

Im Zuge der geeigneten Investitionen müssten im Rahmen des Möglichen auch die Merkmale der Schieneninfrastruktur in Bezug auf Lichtraumprofil, Zuglänge, Auf- und Abfahrtsrampen sowie Achslasten schrittweise geändert werden, um sie den Anforderungen des Güterverkehrs anzupassen, wie dies beispielsweise bereits in den Vereinigten Staaten geschehen ist.

1.4.3

Mit einer echten Wettbewerbssteigerung und einer Marktöffnung wären die Anbieter zu mehr Effizienz und Produktivität gezwungen. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage der Ausbildung des fahrenden Personals. Die neuen Marktteilnehmer könnten ein Unterangebot an qualifizierten Arbeitskräften vorfinden. Es muss daher dafür Sorge getragen werden, dass angemessene Schulungsmaßnahmen angeboten werden, um dieser Nachfrage nachzukommen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze für hochqualifizierte Arbeitnehmer zu ermöglichen.

1.4.4

Die Kostenaufteilung der Infrastrukturbetreiber auf die verschiedenen Unternehmen sollte überarbeitet werden. Außerdem sollten die externen Kosten besser auf die unterschiedlichen, miteinander in Wettbewerb stehenden Verkehrsträger zugeschieden werden, um die Voraussetzungen für einen freien und unverfälschten Wettbewerb zu schaffen.

1.4.5

Initiativen wie die Betuwe-Linie, das New Opera- oder das FERRMED-Projekt sollten untersucht und gefördert werden, um daraus Lehren zur Sammlung von Erfahrungen und Ermittlung bewährter Verfahren zu ziehen.

1.5   Höhere Zuverlässigkeit der Dienste

1.5.1

Es sollten verbindliche Vertragsvorschriften für die Entschädigung der Kunden im Falle mangelhafter Dienstleistungen festgelegt werden. Dies wäre ein Anreiz zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität.

1.5.2

Qualität und Zuverlässigkeit sollten im Mittelpunkt jedes einzelnen Elements stehen, das für die Erbringung einer Dienstleistung erforderlich ist — vom rollenden Material bis hin zu den Signalanlagen, von den Gleisen bis hin zu den Informationssystemen.

1.5.3

Für eine höhere Zuverlässigkeit der Dienste ist auch eine sinnvolle Trassenzuweisung für den Güterverkehr erforderlich, z.B. durch die Festlegung von Regeln für den Vorrang des Güterverkehrs, insbesondere im Falle von Konfliktverkehr auf diesen Trassen, unter Wahrung der Interessen sämtlicher Nutzer. So konnte man u. a. mit den Zeitfenstern und Fahrzeiten jonglieren.

1.6   Hinreichend kurze Beförderungszeiten „von Tür zu Tür“

1.6.1

Einer der Hauptkritikpunkte am Schienengüterverkehr ist ganz allgemein die Beförderungslänge und -dauer. Um diesen Aspekten beizukommen sollte für Güterverkehrstrassen nur eine begrenzte Zahl an Zwischenstopps (bzw. gar keine) vorgesehen werden. Diese Trassen sollten außerdem so angelegt sein, dass es so gut wie keinen Konfliktverkehr mit anderen Zügen gibt. Ferner sollte dem Güterverkehr in Bezug auf den Streckenbetrieb im Falle von Konfliktverkehr so oft wie möglich Vorrang eingeräumt werden. Des Weiteren sollte die Entwicklung von Nacht-Hochgeschwindigkeits-Güterzügen vorangebracht werden.

1.6.2

Darüber hinaus sollten auch Investitionen in die Anpassung der Infrastruktur an höhere Geschwindigkeiten getätigt werden; dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Erhöhung der Geschwindigkeit auf einer Strecke an eine Verringerung der zulässigen Achslast gekoppelt ist. Will man der geringen Geschwindigkeit des derzeitigen Schienengüterverkehrs beikommen, ist eine konstante Fahrgeschwindigkeit das wichtigste Element. Eine konstante mittlere Geschwindigkeit ist daher sinnvoller als ein ständiges Beschleunigen und Abbremsen, das zu einer Anhäufung von Verspätungen führt.

1.7   Flexibilität

1.7.1

Die traditionellen Grundsätze und Arten der Verkehrssteuerung, denen zufolge auf theoretischen, vorab festgelegten Trassen systematisch dem Fahrgastverkehr Vorrang eingeräumt wird, haben unerwünschte, aber durchaus reelle Folgen: So schlägt sich für einen Güterzug eine kleine Verspätung bei der Abfahrt (z.B. rund zehn Minuten) letztlich fast immer in einer großen Verspätung bei der Ankunft (von mehreren Stunden oder gar einem ganzen Tag) nieder.

1.7.2

Aufgrund der mittel- bis langfristigen technologischen Entwicklungen wird eine flüssigere Gestaltung des Schienengüterverkehrs in Echtzeit möglich sein, ohne sich dabei einzig und allein auf eine theoretische, vorab festgelegte Trasse zu verlassen. Das Konzept des „Fahrens im Bremswegabstand“, Bestandteil der dritten und letzten ERTMS-Ebene, ermöglicht die Nutzung der gleichen Infrastruktur durch mehrere Züge sowie eine bessere Reaktionsfähigkeit bei Störfällen. Zu diesem Zweck müssen alle Mitgliedstaaten in das ERTMS investieren, um so rasch wie möglich die Interoperabilität und den durchgehenden Betrieb der einzelnen nationalen Netze sicherzustellen.

1.7.3

Ferner bedarf es nach wie vor an Investitionen in die Infrastrukturkapazitäten an Engpässen sowie für Be- und Entladungsplattformen zur Gewährleistung der Interoperabilität der Verkehrssysteme.

1.7.4

Die Frage der Umschlag-, Be- und Entladungsbahnhöfe ist ebenfalls von großer Bedeutung, doch kommen in diesem Zusammenhang auch unweigerlich die Sekundarnetze zur Anbindung in alle Himmelsrichtungen ins Spiel. Um wirklich wettbewerbsfähig zu sein, muss die Fracht im Schienengüterverkehr so nah wie möglich zum Kunden gebracht werden können.

1.8   Ein eigenes Schienengüterverkehrsnetz

1.8.1

Auch wenn die Forderung nach einem eigenen transeuropäischen Schienengüterverkehrsnetz heute noch durchaus realitätsfern scheint, so wäre ein eigenes Netz doch das beste Mittel zur Förderung des Schienengüterverkehrs, da es diesen zuverlässiger und pünktlicher, kostengünstiger und weniger zeitintensiv gestalten würde. Die Option der vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Trassen hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt immerhin den Vorteil, realistisch zu sein; so lange es keine großen transkontinentalen Güterverkehrsnetze gibt, kann die Eingliederung einer immer größeren Zahl an dem Güterverkehr vorbehaltenen Trassen in die vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Korridore zur Anbindung besonders aktiver Wirtschaftszentren in Betracht gezogen werden. Ein erfolgreiches Beispiel hierfür ist die Betuwe-Linie zur Anbindung des Rotterdamer Hafens an Deutschland. Die Mitgliedstaaten müssen sich ausdrücklich der Durchführung dieser Maßnahmen und der Umsetzung der Rechtsvorschriften verschreiben, um die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene zu steigern.

2.   Bestandsaufnahme

2.1   Eine besorgniserregende Sachlage

2.1.1

Der Gesamtgüterverkehr hat zwar zwischen 1995 und 2005 einen Zuwachs von 2,8 % verzeichnet, der Marktanteil des Schienengüterverkehrs ist jedoch kontinuierlich zurückgegangen und stagniert seit 2005 bei rund 10 %, dem niedrigsten Niveau seit 1945.

2.1.2

Nach Ansicht der Europäischen Kommission sind die Gründe für dieses schlechte Abschneiden des Schienengüterverkehrs mangelnde Zuverlässigkeit, unzureichende Kapazitäten, defizitäres Informationsmanagement, überlange Beförderungsdauer und fehlende Flexibilität. Trotz all dieser Schwierigkeiten könnten sich bei der derzeitigen Wirtschaftslage, die von einer Zunahme des Handelsverkehrs, überlasteten Straßen, einer Hausse der Kraftstoffpreise und einem immer größeren Umweltbewusstsein gekennzeichnet ist, durchaus neue Chancen eröffnen.

2.1.3

Die Europäische Union hat sich in der Vergangenheit für den Ausbau des Schienenverkehrs durch die Festlegung von drei politischen Schwerpunkten eingesetzt:

Öffnung des Schienengüterverkehrsmarkts einhergehend mit einer Umstrukturierung der traditionellen Betreiber;

Verwirklichung der technischen Interoperabilität und Erarbeitung gemeinsamer Sicherheitsbestimmungen;

Definition eines zum transeuropäischen Verkehrsnetz (TEN-V) gehörenden Schienennetzes.

2.1.4

Allerdings sind die Ergebnisse insbesondere in Bezug auf den grenzüberschreitenden Verkehr noch unzureichend.

2.2   Eine anpassungsfähige gemeinsame Verkehrspolitik

2.2.1

Mit dem Weißbuch „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft“ wurde eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene angestrebt; es enthielt bereits den Vorschlag zur „Schaffung multimodaler Korridore mit Vorrang für den Güterverkehr“. Bekanntermaßen wurde bei der Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch 2006 eine realistischere Sichtweise an den Tag gelegt: So wurden die Ziele für die Verlagerung von der Straße auf die Schiene weniger hoch angesetzt und das Konzept der Ko-Modalität entwickelt. Es wurde allerdings auch die Notwendigkeit bekräftigt, ein vorrangig für den Güterverkehr bestimmtes Schienennetz aufzubauen.

2.2.2

Diese Idee wird in der Kommissionsmitteilung aufgegriffen und durch die Festlegung von drei Zielen weiterentwickelt: Verkürzung der Beförderungsdauer, Erhöhung der Güterbeförderungszuverlässigkeit und Ausbau der Kapazitäten für einen Verkehr in einem ausgehend von den bestehenden transeuropäischen Netzen geschaffenen Netz.

3.   Die Vorschläge der Europäischen Kommission

3.1

Die Europäische Kommission verweist auf die bereits eingeleiteten Initiativen zur Förderung, Verbesserung und Unterstützung des Schienengüterverkehrs: Förderung der Interoperabilität und des Informationsmanagements (Europtirails), Bau von TEN-V-Infrastrukturen (z.B. Betuwe-Strecke) und Errichtung von Korridorverwaltungen. Diese Initiativen haben sich jedoch allesamt als unzureichend erwiesen.

3.2

Pro forma werden drei Optionen vorgeschlagen: Beibehaltung des Ist-Zustands, neue Maßnahmen für den Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes oder Erstellung eines speziellen Programms zur Errichtung eines gesonderten Güterverkehrsnetzes.

3.3

Gemäß dem Grundsatz der Philosophie der Antike „in medio stat virtus“ hat die Europäische Kommission den goldenen Mittelweg gewählt und die erste und die dritte Option verworfen, weil sie diese als zu ehrgeizig bzw. zu unrealistisch erachtet.

3.4   Die vorgeschlagenen Maßnahmen

3.4.1

Für den Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten europäischen Schienennetzes plant die Europäische Kommission die Errichtung länderübergreifender Korridore. Es gilt, Korridore festzulegen, die über eine angemessene Infrastruktur verfügen, und gleichzeitig ein effizientes Management- und Betriebssystem zu schaffen. Allerdings ist für die Umsetzung dieses Konzepts die Unterstützung seitens der Mitgliedstaaten als Infrastrukturbetreiber erforderlich.

3.4.2

Die Europäische Kommission sieht hierfür eine Reihe von Legislativvorschlägen im Rahmen der für 2008 geplanten Neufassung des ersten Eisenbahnpakets sowie Anreiz- und Finanzierungsmaßnahmen vor, wobei die Finanzierung über die bestehenden Programme erfolgen soll.

3.4.3

Die Europäische Kommission will eine rechtliche Definition für die Korridore für den Güterverkehr vorschlagen, die Mitgliedstaaten und Infrastrukturbetreiber zur Errichtung länderübergreifender Güterverkehrskorridore auffordern und nach Finanzierungsmöglichkeiten für diese Strukturen, allerdings im Rahmen der bestehenden Programme, suchen.

3.4.4

Der Schienengüterverkehr wird vor allem in zwei Punkten kritisiert: Dienstleistungsqualität und Kundeninformation. Daher schlägt die Europäische Kommission die Formulierung einer echten Politik der Qualität und Transparenz und in der Folge die Annahme von Rechtsvorschriften hinsichtlich der Veröffentlichung von Qualitätsindikatoren vor. Sie beabsichtigt ferner die Veröffentlichung eines Berichts über die von den Eisenbahnunternehmen zur Verbesserung ihrer Schienenverkehrsdienste ergriffenen Maßnahmen.

3.4.5

Einige Streckenabschnitte, namentlich in den zentralen Gebieten der Europäischen Union, befinden sich derzeit an ihrer Belastungsgrenze. Diese Situation könnte sich in den kommenden Jahren noch verschlimmern. Es sind daher Investitionen in die Infrastrukturkapazitäten erforderlich, und zwar in Bezug auf Zuglänge, Lichtraumprofil, Achslasten und Höchstgeschwindigkeit. Diese Investitionen müssen zielgerichtet und koordiniert sein. Die Europäische Kommission schlägt die Erarbeitung von Investitionsprogrammen durch die Korridorverwaltungen vor, doch stellt sich auch diesbezüglich die Frage der Finanzierung, die erneut im Rahmen der laufenden Programme erfolgen soll.

3.4.6

Für einen störungsfreien und effizienten Schienengüterverkehr muss die Frage der Trassenzuweisung für den Güterverkehr aufgegriffen werden. Derzeit entscheidet jeder Infrastrukturbetreiber individuell und nach den in seinem Mitgliedstaat geltenden Bestimmungen über die Trassenzuweisung. Zur Bereitstellung zuverlässiger und leistungsfähiger Trassen wäre daher eine Vereinheitlichung der Bestimmungen für deren Zuweisung sinnvoll.

3.4.7

Die Europäische Kommission schlägt hierfür Rechtsvorschriften für die grenzübergreifende Trassenzuweisung und den Vorrang des Güterverkehrs, insbesondere bei Netzstörungen, vor.

3.4.8

Für den Schienengüterverkehr sind jedoch auch Terminals und Rangierbahnhöfe erforderlich; in den letzten Jahren ging der Trend aufgrund der hohen Nachfrage nach Bauland jedoch eher dahin, die Zahl der Bahnhöfe und Terminals in städtischen Gebieten zu verringern.

3.4.9

Aus den Kommissionsvorschlägen geht klar hervor, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen nur dann greifen können, wenn die Mitgliedstaaten und die Akteure des Schienenverkehrs Initiativen ergreifen und sich engagieren.

3.5   Allgemeine Bemerkungen

3.5.1

Das Bild, dass die Europäische Kommission von der Situation des Schienengüterverkehr zeichnet, muss nicht weiter kommentiert werden, bestätigt es doch nur die bereits bekannten Defizite dieses Sektors. Um hier Abhilfe zu schaffen, müssen sich die verschiedenen öffentlichen Behörden und Wirtschaftsakteure mobilisieren und nicht nur politischen Willen und wirtschaftliche Dynamik an den Tag legen, sondern sich auch finanziell engagieren.

3.5.2

Und genau das ist der springende Punkt. Die Europäische Kommission schlägt eine Reihe von Legislativmaßnahmen vor, ohne jedoch neue Mittel zur Verfügung zu stellen. Es ist sicherlich sinnvoll, Regelwerke zu schaffen, doch reichen diese allein nicht aus. Für die Verwirklichung dieses Plans müssen auch die erforderlichen Mittel im Rahmen der bestehenden Programme gefunden werden. Dies impliziert heikle Entscheidungen. Und das daraus resultierende Spiel der kommunizierenden Gefäße wird nicht einfach zu handhaben sein.

3.5.3

Für den Erfolg dieses Planes müssen sich allerdings auch die Mitgliedstaaten und die Betreiber nachdrücklich einbringen, doch verfügen die Mitgliedstaaten oftmals nicht über die erforderlichen Mittel und können auch andere Prioritäten im Schienenverkehr verfolgen; und auch die Betreiber stehen nicht immer wirtschaftlich gut da, obwohl sie von der Trennung von — mit hohen Wartungskosten verbundenem — Netz und Betrieb profitiert haben.

3.6   Besondere Bemerkungen

3.6.1

Der Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes ist die Grundvoraussetzung für den Ausbau des Güterverkehrs, doch wurde dieser bislang immer zugunsten des Personenverkehrs vernachlässigt. Es handelt sich somit um eine Art „Kulturevolution“, für die zweifelsohne verbindliche, von den Mitgliedstaaten akzeptierte Ziele festgelegt und spezifische Mittel bereitgestellt werden müssen, wohl wissend, dass in der breiten Öffentlichkeit der Vorrang der Personenzüge als Besitzstand angesehen wird, der nicht einfach in Frage gestellt werden darf. Es geht somit eher um eine optimale Verwaltung der Netze und die Ausweisung von Schienengüterverkehrsnetzen, ohne jedoch die Qualität und die Pünktlichkeit der Personenzüge einzuschränken. Bei der Schaffung länderübergreifender Korridore sollten die Spurbreiten und das vorhandene rollende Material der Eisenbahnunternehmen der neuen und alten EU-Mitgliedstaaten, die Güterverkehrsströme von Beitrittskandidaten und Drittländern sowie die russische Enklave Kaliningrad berücksichtigt werden.

3.6.2

Information und Transparenz sind sicherlich wichtige Aspekte, doch legen die Kunden ihrer Entscheidung für oder wider den Schienenverkehr in erster Linie folgende Kriterien zugrunde: Kosten, Zuverlässigkeit, Beförderungsdauer, Zugang zu den Terminals sowie Be- und Entladungsbedingungen. Dreh- und Angelpunkt ist somit die Dienstleistungsqualität, die einerseits von den Mechanismen für das Management des Schienenverkehrs und andererseits von der Durchführung erheblicher Investitionen abhängt, wohl wissend, dass in der breiten Öffentlichkeit der Vorrang der Personenzüge als Besitzstand angesehen wird, der nicht einfach in Frage gestellt werden darf. Es geht somit eher um eine optimale Verwaltung der Netze und die Ausweisung von Schienengüterverkehrsnetzen.

3.6.3

In Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs wird allgemein anerkannt, dass dieser Verkehr auf eine bestimmte Art von Fracht, und zwar Schwerfracht, sowie große Gütermengen beschränkt ist. Daher sollte eine breitere Diversifizierung der Kunden in Betracht gezogen werden, die insbesondere durch den Einsatz von Containern möglich ist. Vor dem Hintergrund der steigenden Kraftstoffpreise und des wachsenden Bewusstseins für eine nachhaltige Entwicklung könnte so wiederum eine Marktöffnung erzielt und die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden.

3.6.4

In Bezug auf die Finanzierung lässt die Kommissionsmitteilung viele Fragen offen, ist doch keinerlei spezifische Finanzierung vorgesehen. Außerdem beruht die vorgeschlagene Lösung auf Entscheidungen über eine Umverteilung der im Rahmen der bestehenden Programme zur Verfügung stehenden Mittel.

Brüssel, den 10. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission — Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik“

KOM(2007) 616 endg.

(2009/C 27/11)

Die Europäische Kommission beschloss am 18. Oktober 2007 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission — Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 8. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr SIMONS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 122 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet die neue Mitteilung der Europäischen Kommission zur Hafenpolitik, in der in erster Linie Maßnahmen unverbindlicher Natur („soft law“) vorgeschlagen werden. Der Ausschuss begrüßt ferner, dass das Hauptaugenmerk auf die Schaffung eines stabilen Investitionsklimas, die nachhaltige Entwicklung von Häfen, ein gutes soziales Umfeld in Häfen und die kohärente Anwendung der Vertragsbestimmungen gerichtet wird.

1.2

Die europäische „Hafenszene“ wird immer mannigfaltiger, und zwar sowohl in Bezug auf die Zahl der beteiligten Häfen als auch den Umfang der Hafenfunktionen und -dienste. Der Ausschuss empfiehlt, diese marktbestimmte Entwicklung mittels der europäischen Hafenpolitik zu fördern, indem sichergestellt wird, dass alle europäischen Häfen ihr Potenzial nachhaltig ausschöpfen können.

1.3

Der Ausschuss befürwortet die Initiative der Europäischen Kommission zum Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes und fordert die Mitgliedstaaten auf, der Verwirklichung wichtiger grenzüberschreitender Infrastrukturvorhaben zur Anbindung der Häfen Vorrang einzuräumen; dies darf jedoch nicht zu Lasten des Personenschienenverkehrs gehen.

1.4

Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission zur Ausarbeitung einschlägiger Leitlinien, um die Unklarheiten bei der Anwendung der EU-Umweltvorschriften auf die Hafenentwicklung zu beseitigen, und empfiehlt, diese vor Ende 2008 zu veröffentlichen.

1.5

Die Europäische Kommission sollte verstärkt Maßnahmen zur Vereinfachung der Verwaltungsformalitäten in Häfen ergreifen. Der Ausschuss begrüßt daher die Absicht der Europäischen Kommission, 2008 einen Europäischen Seeverkehrsraum ohne Grenzen vorzuschlagen. Die Europäische Kommission und insbesondere die Mitgliedstaaten sollten die Modernisierung der Zollformalitäten stärker vorantreiben und diesem Aspekt eine höhere politische Priorität einräumen.

1.6

Der Ausschuss stimmt der Aussage der Europäischen Kommission zu, dass die Formulierung von Leitlinien für staatliche Beihilfen und eine transparente Buchhaltung zur Schaffung einer gleichen Ausgangslage für alle Häfen beitragen können. Die in der Kommissionsmitteilung enthaltenen Leitlinien zur Nutzung von Handelskonzessionen, zu technisch-nautischen Diensten und „Arbeitnehmer-Pools“ sind ganz allgemein als hilfreich und klar einzustufen. Die Europäische Kommission sollte weitere Initiativen ergreifen, um einen lauteren Wettbewerb zwischen den Häfen in der EU und in benachbarten Drittländern sicherzustellen.

1.7

Der Ausschuss begrüßt das Ziel der Europäischen Kommission, die Zusammenarbeit zwischen Städten und ihren Häfen zu fördern und zu verbessern. Er fordert die Europäische Kommission insbesondere auf, eine gesonderte Studie über die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Häfen vorzunehmen.

1.8

Der Ausschuss stimmt dem Beschluss der Europäischen Kommission, die europäischen Sozialpartner zur Förderung eines sektoralen sozialen Dialogs in Häfen anzuregen, zu.

2.   Einleitung

2.1

In den letzten zehn Jahren hat sich der Ausschuss aktiv in die Debatte über eine gemeinsame europäische Hafenpolitik eingebracht. Angesichts der Schlüsselrolle von Seehäfen für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie den Wohlstand und den Zusammenhalt der Europäischen Union bringt eine derartige Gemeinschaftspolitik einen erheblichen zusätzlichen Nutzen.

2.2

Der Ausschuss hat eine Stellungnahme zum Grünbuch über Seehäfen und Seeverkehrsinfrastruktur (KOM(1997) 678 endg.) (1) sowie zu zwei Legislativvorschlägen der Europäischen Kommission über den Zugang zum Markt für Hafendienste (2) erarbeitet. Am 26. April 2007 hat der Ausschuss außerdem eine Initiativstellungnahme zum Thema „Eine gemeinsame EU-Hafenpolitik“  (3) verabschiedet, in deren Mittelpunkt angesichts der sehr kontroversen Debatte über die Hafendienstrichtlinie die Fragen der europäischen Hafenpolitik standen, in denen die Betroffenen im Hafensektor zu einem Konsens gelangen konnten.

3.   Die Mitteilung der Europäischen Kommission über eine Europäische Hafenpolitik

3.1

Am 18. Oktober 2007 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Mitteilung über eine europäische Hafenpolitik. Sie ist das Ergebnis eines einjährigen Konsultationsverfahrens mit den Interessenträgern, in dessen Rahmen zwei Konferenzen und sechs thematische Workshops abgehalten wurden. Die Mitteilung reiht sich in die übergeordnete meerespolitische Strategie der Europäischen Kommission ein und ist Teil ihrer neuen Güterverkehrsagenda.

3.2

Mit der neuen europäischen Hafenpolitik soll ein leistungsfähiges Hafensystem in der EU geschaffen werden, das den künftigen Herausforderungen beim Transportbedarf in der EU gewachsen ist, zu denen nach Ansicht der Europäischen Kommission die Nachfrage für internationale Transportdienste, die Technologie-Entwicklung, Emissionen und Klimawandel, der Dialog zwischen Häfen, Städten und Akteuren sowie die Einhaltung der Transparenz- und Wettbewerbsvorschriften und des EU-Rechts ganz allgemein zählen.

3.3

Die in dieser Mitteilung enthaltenen Vorschläge setzen sich im Wesentlichen aus einer Auslegung der Vertragsbestimmungen und einem Aktionsplan mit weiteren Maßnahmen zusammen, die großteils unverbindlicher Natur („soft law“) sind.

3.4

Diese Maßnahmen betreffen:

Leistungsfähigkeit der Häfen und Anbindung an das Hinterland;

umweltfreundlichen Kapazitätsausbau;

Modernisierung;

gleiche Ausgangsbedingungen für alle — klare Verhältnisse für Investoren, Betreiber und Nutzer;

Aufnahme eines strukturierten Dialogs zwischen Häfen und Städten;

Arbeitsplätze in den Häfen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss befürwortet die Kommissionsmitteilung, da in dieser Vorlage die strategische Bedeutung der Seehäfen für den Außen- wie auch den Binnenhandel der EU und ihr Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigung anerkannt werden.

4.2

Der Ausschuss begrüßt insbesondere, dass die Europäische Kommission keine Interventionsmaßnahmen vorschlägt, sondern — im Rahmen der Vertragsbestimmungen — auf die Schaffung eines stabilen Investitionsklimas, die nachhaltige Entwicklung von Häfen, ein gutes soziales Umfeld in Häfen abhebt.

4.3

Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass sich die Europäische Kommission für unverbindliches Recht („soft law“) als Alternative sowohl zur Rechtsetzung als auch zu einer fallbezogenen Vorgehensweise entschieden hat.

4.4

Der Ausschuss möchte dennoch einige besonderen Bemerkungen und Empfehlungen zu den verschiedenen Kapiteln der Kommissionsmitteilung vortragen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Der wirtschaftliche Kontext und die Herausforderungen für das europäische Hafensystem

5.1.1

Der Ausschuss nimmt die Schlussfolgerung der Europäischen Kommission zur Kenntnis, dass sich der Umschlag von Containerfracht derzeit auf einige wenige Häfen in Nordwesteuropa konzentriert. Allerdings sollte dabei auch der Trend anerkannt werden, dass sich immer mehr Häfen am europäischen Containermarkt beteiligen und der Containerfrachtverkehr nicht mehr nur in einigen wenigen Häfen abgewickelt wird. Der stärkste Zuwachs in Bezug auf Containerhäfen wurde 2006 großteils in Häfen kleiner und mittlerer Größe an verschiedenen europäischen Küsten verzeichnet. Weit voneinander entfernt liegende Häfen stehen daher in immer stärkerem Wettbewerb miteinander (4). Diese Marktentwicklung kann von der europäischen Hafenpolitik gefördert werden, indem sichergestellt wird, dass alle europäischen Häfen ihr Potenzial nachhaltig ausschöpfen können.

5.1.2

Zusätzlich zu der Liste der von der Europäischen Kommission ermittelten Herausforderungen hebt der Ausschuss zwei weitere Herausforderungen hervor, und zwar Globalisierung und Konsolidierung, die den europäischen Hafen- und Seeverkehrssektor kennzeichnen. Dieses Phänomen ist insbesondere im Containermarkt spürbar, tritt jedoch auch in anderen Märkten wie in der Ro-Ro-Branche sowie im Schütt- und Massengutverkehr zu Tage. Europäische Seehäfen arbeiten mit internationalen Großreedereien. Außerdem haben sich große Terminalbetreiber herausgebildet, die Dienstleistungen in verschiedenen europäischen Häfen anbieten. Die Hafenbehörden müssen daher sowohl diese internationalen Unternehmen zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen anhalten als auch die Übereinstimmung mit den Entwicklungszielen ihres Hafens im Einklang mit den einschlägigen EU-Politiken gewährleisten.

5.2   Leistungsfähigkeit der Häfen und Anbindung an das Hinterland

5.2.1

Der Ausschuss stimmt mit der Europäischen Kommission überein, dass eine Optimierung der Nutzung der bestehenden Hafeninfrastruktur und Zugangswege als erste Option erachtet werden sollte, um dem steigenden Bedarf an Hafenkapazitäten gerecht zu werden. Der Ausschuss befürwortet außerdem, dass vor der Konzipierung jedweder neuer Infrastruktur eine gründliche gesellschaftliche Kosten/Nutzen-Analyse erfolgen muss, wobei wirtschaftliche, soziale und ökologische Überlegungen — das heißt die Eckpfeiler der Lissabon-Strategie der EU — berücksichtigt werden sollten.

5.2.2

Wie bereits erwähnt geht die Marktentwicklung bereits in Richtung eines vielfältigeren europäischen Hafensystems. Es sollte der „Bottom-up“-Grundsatz gefördert werden, dergestalt dass Projektvorschläge von der Hafenbehörde nach Möglichkeit in Zusammenarbeit mit den regionalen oder nationalen Behörden ausgewählt werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die EU auch weiterhin Ziele festlegen und Leitlinien vorgeben sollte.

5.2.3

Die Europäische Kommission kann jedoch die Halbzeitbewertung der TEN-V 2010 nutzen, um die nach wie vor bestehenden Engpässe in Bezug auf die Anbindung der Häfen an das Hinterland abzubauen. Dies sollte allerdings auf der Grundlage objektiver Kriterien geschehen.

5.2.4

Der Ausschuss wiederholt des Weiteren seine Aufforderung an die Europäische Kommission, ihre Bemühungen, die verbleibenden Engpässe in Bezug auf die Anbindung an das Hinterland abzubauen, im Rahmen ihrer allgemeinen verkehrspolitischen Instrumente zu intensivieren, und zwar insbesondere in der Binnenschifffahrt und im Schienengüterverkehr. Insbesondere die Schiene ist nach wie vor das Nadelöhr, das der optimalen Leistungsfähigkeit der Häfen und ihrer Einbindung in Logistikketten im Wege steht. Der Ausschuss befürwortet diesbezüglich außerdem die Initiative der Europäischen Kommission für den Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes und fordert die Mitgliedstaaten auf, der Verwirklichung wichtiger grenzüberschreitender Infrastrukturvorhaben zur Anbindung der Häfen Vorrang einzuräumen; dies darf jedoch nicht zu Lasten des Personenschienenverkehrs gehen.

5.3   Umweltfreundlicher Kapazitätsausbau

5.3.1

Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich die Initiative der Europäischen Kommission zur Veröffentlichung von Leitlinien für die Anwendung der EU-Umweltvorschriften auf die Hafenentwicklung. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Beseitigung einiger Unklarheiten im geltenden EU-Recht, beispielsweise in Bezug auf die Vogelschutz- und die Habitat-Richtlinie oder die Wasser-Rahmenrichtlinie. Angesichts der Dringlichkeit empfiehlt der Ausschuss, diese Leitlinien vor Ende 2008 vorzulegen.

5.3.2

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission ferner auf, zusätzliche Maßnahmen zur Stärkung des rechtlichen Status von Hafenentwicklungsprojekten in Betracht zu ziehen und bestehende Rechtsvorschriften zu vereinfachen; die detaillierten Vorschläge sind der einschlägigen Initiativstellungnahme des Ausschusses (5) zu entnehmen.

5.3.3

Der Ausschuss hält fest, dass kontaminierte Sedimente einer angemessen Behandlung unterzogen werden müssen. Er empfiehlt ferner, in anstehenden Legislativvorschlägen, die Auswirkungen auf die Bewirtschaftung von Gewässern und Sedimenten haben werden wie die Abfallrahmenrichtlinie und die „Tochterrichtlinie“ der Wasser-Rahmenrichtlinie (6), anzuerkennen, dass nicht kontaminierte Sedimente nicht als Abfall einzustufen und somit nicht wie kontaminierte Sedimente zu behandeln sind, da Ausbaggerungstätigkeiten von nicht kontaminierten Sedimenten keineswegs zur Einführung neuer Schadstoffe in Gewässer führen.

5.3.4

Der Ausschuss stimmt den Kommissionsvorschlägen für die Bereitstellung von Hafenauffangeinrichtungen für Schiffsabfall und die Senkung des Schadstoffausstoßes zu. In Bezug auf die Nutzung von wirtschaftlichen Anreizen empfiehlt der Ausschuss, diese am besten dem Ermessen der jeweiligen Hafenbehörden anheim zu stellen, da derartige Maßnahmen die Finanzstruktur der Häfen beeinträchtigen würden, die in Europa stark unterschiedlich ist.

5.4   Modernisierung

5.4.1

Der Ausschuss begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, 2008 einen Legislativvorschlag für die Errichtung eines Europäischen Seeverkehrsraums ohne Grenzen vorzulegen, und verweist auf die besonderen Bemerkungen, die er bereits in mehreren früheren Ausschussstellungnahmen vorgebracht hat (7).

5.4.2

Der Ausschuss wiederholt seine Forderung, dass die EU weitere Fortschritte bei der Modernisierung des Zollwesens erzielen und sicherstellen sollte, dass ihre Maßnahmen in den Bereichen Zollwesen, Seeverkehrssicherheit, Gefahrenabwehr, Gesundheit und Umweltqualität angemessen koordiniert und auf einander abgestimmt sind bzw. den Häfen nicht übergebührlich Zuständigkeiten übertragen werden, die den Regierungen obliegen.

5.4.3

Der Ausschuss unterstützt die Einrichtung einer einzigen Anlaufstelle („One-Stop-Shop“) sowie die Verbreitung von eMaritime-, eCustoms- und eFreight-Initiativen. Allerdings vertritt er gleichzeitig die Auffassung, dass IKT-gestützte Lösungen kosteneffizienter wären, auch für Häfen kleiner und mittlerer Größe.

5.4.4

In Bezug auf die Verbesserung der Leistungsfähigkeit befürwortet der Ausschuss den Kommissionsvorschlag, bis Ende 2009 eine Reihe allgemeiner europäischer Indikatoren zu entwickeln, sofern diese in kommerzieller Hinsicht sensible Daten berücksichtigen. Ausgehend von den für den Luftverkehr, die Küstenschifffahrt und den kombinierten Transport auf der Schiene bestehenden Indikatoren sollten derartige Indikatoren auch entsprechend für hafenspezifische Aspekte entwickelt werden, beispielsweise die Leistungsfähigkeit von Hafenanlagen, die Zusammenarbeit zwischen Häfen und die Bündelung von Hinterlandtätigkeiten.

5.5   Gleiche Ausgangsbedingungen für alle — klare Verhältnisse für Investoren, Betreiber und Nutzer

5.5.1

Der Ausschuss unterstützt den Standpunkt der Europäischen Kommission bezüglich der Rolle der Hafenbehörden und die Vielfalt der Hafenverwaltungssysteme in Europa. Er begrüßt insbesondere die Anerkennung seitens der Europäischen Kommission, dass die Hafenbehörden ihre wichtigen Aufgaben besser erfüllen können, wenn sie über ein ausreichendes Maß an Autonomie, insbesondere im finanziellen Bereich, verfügen.

5.5.2

Der Ausschuss befürwortet die Ankündigung der Europäischen Kommission, 2008 Leitlinien für staatliche Beihilfen zu verabschieden. In diesem Zusammenhang verweist der Ausschuss auf die wesentlichen Grundsätze der Verwendung öffentlicher Gelder in Häfen, die er in seiner einschlägigen Initiativstellungnahme vom 26. April 2007 dargelegt hat.

5.5.3

Der Ausschuss begrüßt ferner, dass die Europäische Kommission seine Empfehlungen zur Ausdehnung der Transparenzvorschriften der Richtlinie 2006/111/EG auf alle Handelshäfen unabhängig von ihrem Jahresumsatz aufgegriffen hat.

5.5.4

In seiner einschlägigen Initiativstellungnahme hat der Ausschuss die Ausarbeitung von Leitlinien zur Nutzung von Auswahlverfahren wie Ausschreibungen und anderer akzeptabler Instrumente empfohlen, die Bedingungen für die Konzessionsvergabe und Landmietkäufe sowie zur Klarstellung des Rechtsstatus der Hafendienste, die als öffentlicher Dienst gelten und beispielsweise der Hafensicherheit insgesamt dienen.

5.5.5

Die Europäische Kommission ist dieser Empfehlung nachgekommen und hat in ihrer Mitteilung Leitlinien zur Nutzung von Handelskonzessionen und zu technisch-nautischen Diensten vorgesehen. Nach Meinung des Ausschusses ist die Auslegung der Vertragsbestimmungen und der Rechtssprechung durch die Europäische Kommission in beiden Bereichen ganz allgemein hilfreich und klar. Der Ausschuss betont aber, dass eine Gemeinsamkeit technisch-nautischer Dienste darin besteht, dass sie die Navigationssicherheit betreffen, was ihre Einstufung als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse rechtfertigen dürfte.

5.5.6

Mit einer intelligenten Konzessionspolitik sollte der Wettbewerb innerhalb eines Hafens sowie die optimale Leistung und das Engagement der Terminalbetreiber sichergestellt. Die Europäische Kommission sollte ihre Leitlinien über Konzessionen regelmäßig überprüfen, um sicherzustellen, dass sie den oben genannten Zielen wirklich entsprechen und genügend gemeinsame Elemente enthalten, um gleiche Ausgangsbedingungen für alle Hafenbehörden zu schaffen. Dieser letzte Punkt ist vor allem angesichts der oben angesprochenen laufenden Konsolidierung im Ladungsumschlagsmarkt von besonderer Bedeutung.

5.5.7

Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Verbreitung bewährter Verfahren im Hinblick auf die Transparenz bei den Hafengebühren zu unterstützen. Der Ausschuss ist fest davon überzeugt, dass Hafengebühren auf lokaler Ebene von den Häfen festgelegt werden sollten, um den Anforderungen der Hafennutzer und den Gesamtinteressen des Hafens optimal zu entsprechen.

5.5.8

Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass die Europäische Kommission seine Empfehlung aufgegriffen hat, Fällen von unlauterem Wettbewerb seitens Häfen in benachbarten Drittländern nachzugehen. Im Rahmen ihrer Beitritts- und Außenpolitik sollte die Europäische Kommission auch verstärkt Maßnahmen ergreifen, um politisch begründete Wettbewerbsverzerrungen wie das türkische Embargo gegen unter zypriotischer Flagge fahrende Schiffe und Schiffe, die aus zypriotischen Häfen auslaufen, den Ägäis-Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei sowie die Grenzkontrollprobleme zwischen den baltischen Staaten und Russland anzugehen.

5.6   Einrichtung eines strukturierten Dialogs zwischen Häfen und Städten

5.6.1

Der Ausschuss begrüßt das Ziel der Europäischen Kommission, die Zusammenarbeit zwischen Städten und ihren Häfen zu fördern und zu verbessern. Die Eingliederung der Häfen in die Städte und ihren Alltag im Verbund mit einem starken Bewusstsein und Interesse der Bürger für die Hafentätigkeiten und sogar einem gewissen Gefühl des Stolzes für „ihren“ Hafen sind für die nachhaltige Hafenentwicklung unerlässlich. Der Ausschuss befürwortet insbesondere Synergien mit den Bereichen Tourismus, Freizeit, kulturelles Erbe und Kultur ganz allgemein.

5.6.2

Der Ausschuss betont, dass es an zuverlässigen Daten über die direkte und indirekte Beschäftigung in europäischen Häfen und den von ihnen geschaffenen Mehrwert mangelt. Seiner Meinung nach entsprechen die in der Kommissionsmitteilung angeführten Beschäftigungsstatistiken bei weitem nicht der aktuellen Situation. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission daher auf, eine gesonderte Studie zu dieser Frage durchzuführen.

5.6.3

Der Ausschuss unterstützt das Vorhaben der Europäischen Kommission, die Auswirkungen von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr für die Zugänglichkeit von Häfen zu bewerten und Leitlinien im Hinblick darauf festzulegen, wie diese beiden Aspekte miteinander in Einklang gebracht werden können.

5.7   Arbeitsplätze in den Häfen

5.7.1

Der Ausschuss hat die Bedeutung der Förderung guter und sicherer Arbeitsbedingungen sowie eines korrekten Arbeitsumfeld und konstruktiver Arbeitsbeziehungen in Häfen betont. Er stellt mit Zufriedenheit fest, dass die Europäische Kommission dieser Frage in ihrer Mitteilung große Aufmerksamkeit schenkt.

5.7.2

Der Ausschuss bekräftigt seinen Standpunkt, dass der effiziente Hafenbetrieb sowohl von der Zuverlässigkeit als auch der Sicherheit abhängt — Elemente, die trotz des technologischen Fortschritts in großem Maße immer noch vom „Faktor Mensch“ bestimmt werden. Dies erklärt den Bedarf an qualifizierten und gut ausgebildeten Arbeitskräften in den Häfen, und zwar sowohl an Land als auch an Bord. Der Ausschuss hat die Empfehlung ausgesprochen, dass die Sozialpartner bei der Schaffung und Wahrung dieser Grundvoraussetzungen eine wichtige Rolle übernehmen und in ihrem Bemühen auf europäischer Ebene von der Europäischen Kommission durch die Förderung des sozialen Dialogs unterstützt werden sollten.

5.7.3

Der Ausschuss zeigt sich daher erfreut, dass die Europäische Kommission beschlossen hat, die europäischen Sozialpartner zur Einsetzung eines europäischen Ausschusses für den sektoralen sozialen Dialog in Häfen im Sinne des Beschlusses 98/500/EG der Kommission zu ermuntern.

5.7.4

Der Ausschuss befürwortet die Absicht der Europäischen Kommission, Rahmenbestimmungen für die Ausbildung von Hafenarbeitern festzulegen, die von allen Interessenträgern anerkannt werden können, schlägt jedoch zunächst einen Vergleich der verschiedenen bestehenden Systeme für die Berufsqualifikationen von Hafenarbeitern vor. Dies könnte sinnvollerweise im Rahmen des europäischen sozialen Dialogs geschehen.

5.7.5

Der Ausschuss stimmt der Europäischen Kommission zu, dass die Durchführung der Vorschriften über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in den Häfen der EU wie auch der IAO genau überprüft und die Statistiken über Arbeitsunfälle verbessert werden müssen. Er fordert jedoch, dass in den einschlägigen Foren Initiativen auf allen Ebenen ergriffen werden, um eine weitere Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes zu gewährleisten.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 407 vom 28.12.1998.

(2)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Marktzugang für Hafendienste“ (KOM(2001) 35 endg.), ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 122, und Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zum Markt für Hafendienste“(KOM(2004) 654 endg.), ABl. C 294 vom 25.11.2005, S. 25.

(3)  ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 57.

(4)  Über einen langen Zeitraum gesehen ist der durchschnittliche Anteil europäischer Häfen in der Größenordnung von Hamburg oder Le Havre am Containermarkt von 61 % im Jahr 1975 auf 48 % im Jahr 2003 gesunken, wohingegen der Marktanteil von Häfen in der Größenordnung der Mittelmeerhäfen sich von 18 % im Jahr 1975 auf 36 % im Jahr 2003 verdoppelt hat. Außerdem ist die Hafenkonzentration für die Containerschifffahrt in Europa (gemessen anhand des Gini-Koeffizienten) seit 1990 konstant zurückgegangen — ein Zeichen dafür, dass es mittlerweile weitaus mehr Zugangspunkte zum europäischen Markt gibt. Die Containerumschlagshäfen, die 2006 den (relativ) stärksten Zuwachs verzeichnen konnten, waren großteils Häfen kleiner und mittlerer Größe in verschiedenen europäischen Regionen wie Amsterdam, Sines, Rauma, Constanța, Kotka, Tallinn, Bremerhaven, Zeebrugge und Danzig (Quelle: Institute of Transport and Maritime Management Antwerp (ITMMA)/Universität von Antwerpen). Dies steht beispielsweise in starkem Widerspruch zu den Vereinigten Staaten, in denen die Hafenkonzentration im gleichen Zeitraum enorm zugenommen hat (Quelle: Notteboom, T. (2007), „Market report on the European seaport industry“; dieser Marktbericht stützt sich auf die von Eurostat und den einzelnen Häfen bereitgestellten Daten).

(5)  Siehe Ziffer 4 der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine gemeinsame EU-Hafenpolitik“, ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 57.

(6)  Siehe Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Abfälle (KOM(2005) 667 endg.) und Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik und zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG (KOM(2006) 397 endg.).

(7)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie den Ausschuss der RegionenDie künftige Meerespolitik der Europäischen Union: eine europäische Vision für Ozeane und Meere“ (KOM(2006) 275 endg.), ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 50.

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine gemeinsame EU-Hafenpolitik“ (Initiativstellungnahme), ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 57.

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Hochgeschwindigkeitsseewege und ihre Einbindung in die Logistikkette“ (Sondierungsstellungnahme), ABl. C 151 vom 17.6.2008, S. 20.

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Halbzeitüberprüfung des Programms zur Förderung des Kurzstreckenseeverkehrs (KOM(2003) 155 endg.)“ (KOM(2006) 380 endg.), ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 68.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/49


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Straßenverkehr — Arbeitszeit selbstständiger Kraftfahrer“

(2009/C 27/12)

Das Präsidium des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses beschloss am 20. November 2007 gemäß Artikel 29 A der Durchführungsbestimmungen zu seiner Geschäftsordnung, eine ergänzende Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Straßenverkehr — Arbeitszeit selbstständiger Kraftfahrer“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr CHAGAS (1), der durch Herrn CURTIS ersetzt wurde.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 121 gegen 14 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass alle selbstständigen Kraftfahrer (ab dem 23. März 2009) in den Geltungsbereich der Richtlinie 2002/15/EG einbezogen werden sollten, wie es in Artikel 2 der Richtlinie vorgesehen ist.

1.2

Diese Einbeziehung setzt voraus, dass die Richtlinie und insbesondere die Definition des Begriffs „selbstständiger Kraftfahrer“ durch die Mitgliedstaaten ordnungsgemäß umgesetzt werden.

1.3

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass diese Einbeziehung nötig ist, um die Straßenverkehrssicherheit zu fördern, zu einem fairen Wettbewerb beizutragen und die Arbeitsbedingungen der angestellten und selbstständigen Arbeitnehmer — und insbesondere deren körperliche und geistige Gesundheit — zu verbessern, wobei die Arbeitszeit die in Artikel 3 Buchstabe a Absatz 2 der Richtlinie definierten allgemeinen administrativen Tätigkeiten nicht umfasst.

1.4

Für den Ausschuss besteht die Voraussetzung für einen europäischen Kraftverkehrsbinnenmarkt in der Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs, der wiederum durch eine effiziente und uneingeschränkte Anwendung der Sozialvorschriften in diesem Bereich erreicht wird. Eine Unterscheidung zwischen angestellten und selbstständigen Arbeitnehmern bei der Umsetzung der Rechtsvorschriften zur Arbeitszeit trägt jedoch zum unlauteren Wettbewerb bei. Aus diesem Grund kann der Ausschuss die Option nicht akzeptieren, ausschließlich „scheinselbstständige“ Kraftfahrer in den Geltungsbereich der Richtlinie einzubeziehen.

1.5

Um den möglichen Schwierigkeiten bei der Verwirklichung dieser Einbeziehung in die Richtlinie zu begegnen, empfiehlt der Ausschuss eine Mitverantwortung der einzelnen Akteure in der Transportkette, wie es bei der Verordnung über die Lenk- und Ruhezeiten der Fall ist.

1.6

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Förderung der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zwischen den einzelstaatlichen Verwaltungen eine Grundvoraussetzung für die effiziente Umsetzung der Richtlinie ist.

1.7

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass bei der Einbeziehung der selbstständigen Kraftfahrer in den Geltungsbereich der Richtlinie berücksichtigt werden muss, diese nicht mit überflüssigen Verwaltungsaufgaben zu überfrachten.

2.   Einleitung

2.1

Der EWSA hat sich mit der europäischen Straßenverkehrssicherheitspolitik bereits intensiv auseinandergesetzt und in diesem Bereich gründliche Fachkenntnisse erworben. In seiner jüngsten Initiativstellungnahme zum Thema „Die europäische Straßenverkehrssicherheitspolitik und die Berufskraftfahrer — sichere Rastplätze“ (TEN/290) (2) hat sich der Ausschuss mit der wichtigen Frage der Rastplätze für Berufskraftfahrer als Teil der Politik für die Straßeninfrastruktur befasst. Ein weiteres wichtiges Thema, das die Stellungnahme zu den sicheren Rastplätzen ergänzen würde, ist jedoch die Thematik der Arbeitszeit selbstständiger Kraftfahrer im Straßenverkehr. Denn auf europäischer Ebene wurden die verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitsrelevanten Aspekte noch nicht angemessen behandelt. Ein weiteres Motiv für diese ergänzende Stellungnahme ist der Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Auswirkungen des Ausschlusses selbstständiger Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben (KOM(2007) 266 endg.).

2.2

In der Richtlinie 2002/15/EG sind die Mindestanforderungen für die Regelung der Arbeitszeit festgelegt, um Sicherheit und Gesundheitsschutz von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben, und die Straßenverkehrssicherheit zu verbessern sowie die Wettbewerbsbedingungen anzugleichen. Die Richtlinie trat am 23. März 2002 in Kraft und die Mitgliedstaaten verfügten über eine dreijährige Frist für die Umsetzung der Vorschriften für angestellte Kraftfahrer, die am 23. März 2005 auslief. Die Richtlinie wird gemäß ihrem Artikel 2 Absatz 1 ab dem 23. März 2009 auch auf selbstständige Kraftfahrer angewandt, nachdem die Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament einen Bericht und auf der Grundlage dieses Berichts einen entsprechenden Legislativvorschlag vorgelegt hat.

2.3

Als Bestandteil der endgültigen Einigung, die das Europäische Parlament und der Rat im Vermittlungsverfahren zu dieser Richtlinie getroffen haben, wurde beschlossen, dass die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat spätestens zwei Jahre vor diesem Termin, d.h. am 23. März 2007, einen Bericht über die Untersuchung der Auswirkungen des Ausschlusses selbstständiger Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie auf Straßenverkehrssicherheit, Wettbewerbsbedingungen, Berufsstruktur und soziale Aspekte vorlegen soll. In diesem Bericht sollen die Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Struktur des Transportgewerbes und der Arbeitsbedingungen von Berufskraftfahrern berücksichtigt werden.

2.4

Auf der Grundlage des Berichts soll die Kommission einen Vorschlag unterbreiten, in dem entweder a) die Bedingungen für die Einbeziehung selbstständiger Kraftfahrer, die ausschließlich im innerstaatlichen Straßentransport tätig sind und auf die besondere Umstände zutreffen, festgelegt werden oder b) der Ausschluss selbstständiger Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie vorgesehen ist.

2.5

Gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie hat die Kommission darüber hinaus den Auftrag, die Auswirkungen der in der Richtlinie enthaltenen Vorschriften zur Nachtarbeit zu bewerten und hierüber bis zum 23. März 2007 im Rahmen des zweijährlichen Berichts, den sie über die Durchführung der Richtlinie vorlegen muss, zu berichten.

3.   Der Bericht der Kommission

3.1

Laut der Kommission liefert ihr Bericht einen Überblick über den aktuellen Stand der Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten, untersucht die potentiellen Auswirkungen des Ausschlusses selbstständiger Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie und bewertet die Auswirkungen der in der Richtlinie enthaltenen Vorschriften zur Nachtarbeit.

3.2

Die erste Schlussfolgerung ist, dass die meisten Mitgliedstaaten es nicht geschafft haben, die Richtlinie in dem vorgesehenen Zeitraum von drei Jahren umzusetzen. Deshalb sieht sich die Kommission außer Stande, ihren ersten zweijährlichen Bericht zu veröffentlichen, der bereits im März 2007 hätte vorgelegt werden müssen.

3.3

Was die Auswirkungen des Ausschlusses selbstständiger Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie betrifft, erinnert die Kommission an die Gründe, aus denen sie ihre Einbeziehung vorgeschlagen hat: in der Verordnung über die Lenk- und Ruhezeiten wird nicht nach Fahrerkategorien unterschieden; Vermeidung einer potentiellen Fragmentierung, indem die Kraftfahrer dazu ermutigt werden, „(Schein-) Selbstständige“ zu werden; Gewährleistung, dass die Ziele fairer Wettbewerb, größere Straßenverkehrssicherheit und bessere Arbeitsbedingungen dem gesamten Sektor zugute kommen.

3.4

Auf Grundlage der Schlussfolgerungen eines von externen Beratern erarbeiteten Berichts räumt die Kommission ein, dass das Problem der Müdigkeit und ihrer Auswirkungen auf die Straßenverkehrssicherheit einen Kraftfahrer unabhängig davon betreffen kann, ob er selbstständig oder angestellt ist. Darüber hinaus wird in dem Bericht ebenfalls bestätigt, dass selbstständige Kraftfahrer länger als Fahrpersonal arbeiten und dass beide Gruppen mehr als Arbeitnehmer in anderen Bereichen arbeiten.

3.5

In dem externen Bericht erklären die Berater, dass „eine Verkürzung der Arbeitszeit […] zweifellos dazu beitragen [könnte], Müdigkeit zu verringern“ und kommen zu dem Schluss, dass „dadurch der Stress erhöht werden [könnte], denn selbstständige Kraftfahrer würden versuchen, mehr Arbeit in weniger Zeit zu erledigen, um rentabel zu bleiben, was wiederum eine Verstärkung der Müdigkeit und Unfälle zur Folge haben könnte“. Die Kommission scheint diese Ansicht zu teilen.

3.6

In Bezug auf die Wettbewerbsbedingungen folgt die Kommission den Schlussfolgerungen des Berichts, denen zufolge der Ausschluss der selbstständigen Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie eine Fortsetzung der derzeitigen Tendenz zur Fragmentierung begünstigen würde, was keine signifikante Auswirkung auf den Wettbewerb in diesem Sektor haben dürfte. Demgegenüber wird eine Einbeziehung der selbstständigen Kraftfahrer in den Geltungsbereich der Richtlinie einen Anstieg der Kostenbelastung und eine Verkürzung der Arbeitszeit mit sich bringen und damit den Wettbewerbsvorteil der Selbstständigen im Güterverkehr deutlich schmälern. Somit gibt die Kommission offensichtlich der Option den Vorrang, lediglich die „Scheinselbstständigen“ in den Geltungsbereich der Richtlinie aufzunehmen.

3.7

Die Kommission ist des Weiteren der Ansicht, dass es „aus wirtschaftlichen Gründen […] daher vielleicht vorzuziehen [wäre], selbstständige Kraftfahrer weiterhin von der Richtlinie auszunehmen. Dagegen sind die möglichen sozialen Auswirkungen eines Ausschlusses oder einer Einbeziehung dieser Fahrer weniger augenfällig. Durch einen Ausschluss von der Richtlinie werden Gesundheits- und Sicherheitsprobleme möglicherweise nicht behoben. Auf der anderen Seite kann eine Einbeziehung der selbstständigen Kraftfahrer für diese zusätzlichen Stress, mehr Verwaltungsarbeit und ein geringeres Einkommen bedeuten“.

3.8

Abschließend erklärt die Kommission, dass eine Einbeziehung dagegen den emotionalen Stress selbstständiger Kraftfahrer verstärken, ihre finanziellen Schwierigkeiten vergrößern sowie schwierig durchzusetzen und damit ineffizient sein könnte.

3.9

In Bezug auf die Folgenabschätzung der Bestimmungen der Richtlinie zur Nachtarbeit erklärt die Kommission abschließend, dass der Aspekt der Durchsetzung der Vorschriften noch näher untersucht werden sollte.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss nimmt die Erläuterung des Berichts der Kommission über die Auswirkungen des Ausschlusses selbstständiger Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben, zur Kenntnis.

4.2

Der Ausschluss selbstständiger Kraftfahrer vom Geltungsbereich der Richtlinie hat laut mehrfacher Bekundung aus Sozialpartnerkreisen zu einer Wettbewerbsverzerrung im Straßenverkehrssektor geführt, weshalb der Ausschuss vor kurzem in seiner Stellungnahme zur „Halbzeitbilanz zum Verkehrsweißbuch 2001“ (TEN/257, Berichterstatter: Herr Barbadillo López) (3) folgende Forderung erhoben hat:

„Bei den Sozialvorschriften im Straßenverkehr muss die Gleichbehandlung aller Beschäftigten gewährleistet werden, ganz gleich, ob sie Arbeitnehmer oder Selbstständige sind. Daher muss die Richtlinie 2002/15/EG vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben, auch unmittelbar noch vor Ablauf des vorgesehenen Übergangszeitraums für Selbstständige Anwendung finden, sollen doch mit dieser Richtlinie die Straßenverkehrssicherheit erhöht, Wettbewerbsverzerrungen vermieden und bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden“ (Ziffer 4.3.1.2).

4.3

In diesem Zusammenhang äußert der Ausschuss ernsthafte Zweifel an den Schlussfolgerungen bezüglich der Straßenverkehrssicherheit, der Wettbewerbsbedingungen und der sozialen Aspekte, die in die Ergebnisse der Studie aufgenommen wurden.

4.4

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die selbstständigen Kraftfahrer in den Geltungsbereich der Richtlinie 2002/15/EG einbezogen werden müssen, wenn die Sicherheit im Straßenverkehr gefördert, zu einem fairen Wettbewerb beigetragen und die Arbeitsbedingungen der angestellten und selbstständigen Arbeitnehmer — und insbesondere deren körperliche und geistige Gesundheit — verbessert werden sollen.

4.5

Überlange Arbeitszeiten sind eine Hauptursache von Übermüdung und damit Einschlafen am Steuer und stehen somit im Widerspruch zur Straßenverkehrssicherheit. Faire Wettbewerbsbedingungen ergeben sich, wenn die großen Unternehmen sämtliche Aspekte im Zusammenhang mit Vertrieb und Transport von Waren regeln, den Sub-Unternehmen Preise zahlen, die mit den in dem Sektor geltenden Sozialvorschriften sowohl für angestellte als auch für selbstständige Arbeitnehmer in Einklang stehen.

4.6

Es ist nicht gesagt, dass der Ausschluss der selbstständigen Kraftfahrer von der Richtlinie 2002/15/EG nicht sogar mehr Stress verursacht, da die Selbstständigen von ihren Auftraggebern unter Druck gesetzt werden, um ihre Preise zu senken. Sie müssen länger arbeiten, um sich ein Einkommen gleicher Höhe zu sichern, und das zu Lasten der Straßenverkehrssicherheit, ihrer Gesundheit und des ohne prekären Gleichgewichts zwischen Berufs- und Familienleben.

4.7

Für den Ausschuss setzt die Einbeziehung der Selbstständigen in den Geltungsbereich der Richtlinie 2002/15/EG jedoch voraus, dass diese Richtlinie — und insbesondere die Definition des Begriffs „selbstständiger Kraftfahrer“ — ordnungsgemäß umgesetzt wird.

4.8

Die Kommission muss als Hüterin des EG-Vertrags über eine ordnungsgemäße Umsetzung der Begriffsbestimmung „selbstständiger Kraftfahrer“ gemäß Artikel 3 Buchstabe e) der Richtlinie (4) durch die Mitgliedstaaten wachen. Eine ordnungsgemäße Umsetzung ist die wichtigste Bedingung, die es zu erfüllen gilt, wenn ein Mitgliedstaat das Phänomen der „Scheinselbstständigen“ angehen möchte.

4.9

Darüber hinaus muss diese Einbeziehung mit einer Änderung der Richtlinie einhergehen, die die Mitverantwortung der verschiedenen Akteure in der Transportkette betrifft. Artikel 10 Absatz 4 der Verordnung über die Lenk- und Ruhezeiten (5) besagt, dass „Unternehmen, Verlader, Spediteure, Reiseveranstalter, Hauptauftragnehmer, Unterauftragnehmer und Fahrervermittlungsagenturen [sicherstellen], dass die vertraglich vereinbarten Beförderungszeitpläne nicht gegen diese Verordnung verstoßen“. Diese Mitverantwortung muss auf die Durchsetzung der Rechtsvorschriften zur Arbeitszeit ausgeweitet werden. Dies würde es ermöglichen, für angestellte und selbstständige Kraftfahrer Bedingungsgleichheit zu schaffen; denn wenn letztere als Unterauftragnehmer tätig sind, stehen sie unter dem Druck, ihre Preise zu senken, indem sie ihre Arbeitszeiten verlängern. Auf diese Weise kann eine Situation unlauteren Wettbewerbs zum Nachteil der angestellten Arbeitnehmer verhindert werden.

4.10

Die Schlussfolgerungen der Studie im Hinblick auf den zusätzlichen Stress, den die Einbeziehung der selbstständigen Kraftfahrer in die Richtlinie bedeuten würde, erscheinen dem Ausschuss wenig stichhaltig. Die Definition der Arbeitszeit, die die Berater verwendet haben, ist nicht eindeutig. Wenn die selbstständigen Kraftfahrer die Verwaltung ihrer gesamten Transporttätigkeiten in der gleichen Arbeitszeit durchführen müssen, wie die angestellten Kraftfahrer, die derartige Tätigkeiten nicht zu tun brauchen, entsteht in der Tat zusätzlicher Stress. Wenn sie jedoch in der gleichen Arbeitszeit die gleichen Tätigkeiten ausführen wie angestellte Arbeitnehmer, ist es unverständlich, warum der selbstständige Kraftfahrer mehr Stress ausgesetzt sein sollte als der angestellte Arbeitnehmer. Die Arbeitszeit umfasst die in Artikel 3 Buchstabe a Absatz 2 der Richtlinie definierten allgemeinen administrativen Tätigkeiten nicht.

4.11

Wenn eine Verkürzung der Arbeitszeit zwar zur Reduzierung der Müdigkeit beiträgt, dafür aber mehr Stress hervorruft, kommen die selbstständigen Arbeitnehmer vom Regen in die Traufe. Für den Ausschuss hat die Straßenverkehrssicherheit Vorrang, und die Übermüdung infolge langer Arbeitszeiten, einschließlich der Lenkzeiten, kann zu Verkehrsunfällen führen, ganz gleich, ob es sich um einen angestellten oder selbstständigen Arbeitnehmer handelt.

4.12

In der Studie — genau wie in der Kommissionsvorlage — bleibt völlig unerwähnt, dass der Stress der Kraftfahrer fortbestehen oder zunehmen kann, selbst wenn diese von der Richtlinie ausgenommen werden, da die Auftraggeber diese Gelegenheit nutzen werden, um Druck auf die Kraftfahrer auszuüben, damit diese die Preise noch weiter senken.

4.13

Die Kommission hebt hervor, dass der Rat sich völlig gegen eine Einführung selbst eines Minimums an systematischen Kontrollen der Arbeitszeitvorschriften sperrt. Wie auch die Kommission, bedauert der Ausschuss dies, sieht aber deswegen keinen Grund, um die Richtlinie nicht auf die selbstständigen Kraftfahrer auszuweiten. Die Tatsache, dass es schwierig ist, die Arbeitszeit selbstständiger Kraftfahrer zu überprüfen, bedeutet nicht, dass diese nicht unter die Richtlinie fallen sollten. Aus diesem Grund kann die Mitverantwortung der Akteure der Transportkette bei der Umsetzung der Richtlinie ein interessanter Aspekt sein. Wenn sich herausstellt, dass aufgrund der zwischen den einzelnen Akteuren der Transportkette abgeschlossenen Verträge eine durchschnittliche Dauer von 48 Stunden nicht eingehalten werden kann, gibt es einen Mechanismus, der den selbstständigen Kraftfahrer vor einer übermäßigen Lenk- und Arbeitszeit bewahrt.

4.14

Für den Ausschuss besteht die Voraussetzung für einen europäischen Kraftverkehrsbinnenmarkt in der Herbeiführung eines fairen Wettbewerbs, der wiederum insbesondere eine effiziente und uneingeschränkte Anwendung der Sozialvorschriften in diesem Bereich bedingt. Eine Unterscheidung zwischen angestellten und selbstständigen Arbeitsnehmern bei der Umsetzung der Rechtsvorschriften zur Arbeitszeit trägt jedoch zum unlauteren Wettbewerb bei. Aus diesem Grund kann sich der Ausschuss nicht mit der Option anfreunden, ausschließlich „scheinselbstständige“ Kraftfahrer in den Geltungsbereich der Richtlinie einzubeziehen.

4.15

Des Weiteren möchte der Ausschuss erwähnen, dass mehrere Staaten, die über sehr unterschiedliche Marktstrukturen im Bereich der Verkehrsbetreiber verfügen, wie Estland (nur wenig Selbstständige) und die Slowakei (70 % Selbstständige), dafür plädiert haben, die Selbstständigen in die Richtlinie 2002/15/EG aufzunehmen. Wenn dies bereits heute der Fall ist, versteht der Ausschuss nicht, aus welchen Gründen die Kommission die Selbstständigen um jeden Preis aus wirtschaftlichen Gründen aus dem Geltungsbereich der Richtlinie 2002/15/EG herauslassen möchte.

4.16

Zu Recht versteht die Kommission unter dem Begriff „soziale Aspekte“ nicht nur die Gesundheit, die Sicherheit und die Arbeitsbedingungen der angestellten und selbstständigen Arbeitnehmer, sondern auch deren Entlohnung und das Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben.

4.17

Laut der Kommission bietet der Ausschluss aus der Richtlinie den Selbstständigen die Möglichkeit, ihre Arbeit besser zu verwalten und höhere Einkünfte zu erzielen, wobei sie jedoch mehr Zeit und Energie investieren müssen, um sie rentabel zu gestalten.

4.18

Der Ausschuss erinnert daran, dass die Definition der Arbeitszeit für selbstständige Arbeitnehmer nicht eindeutig ist und/oder voraussetzt, dass allgemeine administrative Tätigkeiten nicht zur Arbeitszeit gezählt werden. Im letzteren Fall leuchtet dem Ausschuss nicht ein, warum die höheren Einkünfte der Selbstständigen auf ihre Nichteinbeziehung in die Arbeitszeitrichtlinie zurückzuführen sein sollen.

4.19

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Förderung der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zwischen den einzelnen nationalen Regierungen eine Grundvoraussetzung für die effiziente Umsetzung der Richtlinie ist.

4.20

Des Weiteren ist er der Ansicht, dass bei der Einbeziehung der selbstständigen Kraftfahrer in den Geltungsbereich der Richtlinie berücksichtigt werden muss, diese nicht mit zu vielen überflüssigen Verwaltungsaufgaben zu überfrachten.

4.21

Die Kommission möchte im Anschluss an diese Studie noch eine eingehendere Folgenabschätzung vor der Erarbeitung des Legislativvorschlags vornehmen; in dieser Folgenabschätzung sollten neue Aspekte, wie die neue Verordnung über die Lenk- und Ruhezeiten, berücksichtigt werden. Darüber hinaus hat die Kommission die Absicht, echte Selbstständige auch in Zukunft vom Geltungsbereich der sektorbezogenen Arbeitszeitvorschriften auszunehmen. Der Ausschuss ist von dem Mehrwert einer weiteren Folgenabschätzung nicht überzeugt.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Mitglied aus dem Ausschuss ausgeschieden.

(2)  ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 88-90.

(3)  ABl. C 161 vom 13.7.2007, S. 89.

(4)  Artikel 3 Buchstabe e) „Selbstständiger Kraftfahrer“: alle Personen, deren berufliche Tätigkeit hauptsächlich darin besteht, mit Gemeinschaftslizenz oder einer anderen berufsspezifischen Beförderungsermächtigung gewerblich im Sinne des Gemeinschaftsrechts, Fahrgäste oder Waren im Straßenverkehr zu befördern, die befugt sind, auf eigene Rechnung zu arbeiten, und die nicht durch einen Arbeitsvertrag oder ein anderes arbeitsrechtliches Abhängigkeitsverhältnis an einen Arbeitgeber gebunden sind, die über den erforderlichen freien Gestaltungsspielraum für die Ausübung der betreffenden Tätigkeit verfügen, deren Einkünfte direkt von den erzielten Gewinnen abhängen und die die Freiheit haben, als Einzelne oder durch eine Zusammenarbeit zwischen selbstständigen Kraftfahrern Geschäftsbeziehungen zu mehreren Kunden zu unterhalten.

Für die Zwecke dieser Richtlinie unterliegen Fahrer, die diese Kriterien nicht erfüllen, den gleichen Verpflichtungen, und genießen die gleichen Rechte, wie sie diese Richtlinie für Fahrpersonal vorsieht.

(5)  Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/53


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Europäischer Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) ‚Der Weg zu einer kohlenstoffemissionsarmen Zukunft‘“

KOM(2007) 723 endg.

(2009/C 27/13)

Die Europäische Kommission beschloss am 22. November 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Europäischer Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) ‚Der Weg zu einer kohlenstoffemissionsarmen Zukunft‘“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr ZBOŘIL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 127 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Europäischen Kommission sowie die ergänzenden Arbeitsdokumente und stimmt der Analyse sowie der Beschreibung der gegenwärtigen Lage der Energietechnologie zu. Ohne eine wohl durchdachte Strategie für die Entwicklung der Energietechnologie haben Überlegungen zur Eindämmung des Klimawandels kaum einen Sinn. Daher befürwortet der Ausschuss die Durchführung des SET-Plans.

1.2

In dieser Mitteilung wird der wesentliche Aspekt der Energiepolitik ausdrücklich gestärkt, namentlich die Energieversorgungssicherheit, und zwar sowohl in materieller Hinsicht als auch im Hinblick auf die sozialen und ökologischen Auswirkungen. Energieversorgungssicherheit bedeutet nicht nur den physischen Zugang zu den Energiequellen an sich, sondern auch den Zugang zu diesen zu gesellschaftlich akzeptierten Preisen.

1.3

Die Europäische Kommission räumt der Entwicklung der Energietechnologie in ihrer Mitteilung zu Recht oberste Priorität im Rahmen der Anstrengungen ein, die zur Eindämmung des Klimawandels unternommen werden. Sie folgt damit den Schlussfolgerungen der Vertragsstaatenkonferenz der VN-Klimarahmenkonvention im Dezember 2007 in Bali (1).

1.4

Die Europäische Kommission betont in ihrer Mitteilung zu Recht den Faktor Zeit, der für die Durchführung der vorgeschlagenen Strategie (SET-Plan) von grundlegender Bedeutung ist, will die EU ihre im März 2007 eingegangene Verpflichtung der Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2020 auch wirklich erreichen.

1.5

Für eine raschere Entwicklung und die Durchsetzung der neuen Energietechnologien in der Praxis sind zusätzliche zielgerichtete und wirksame Mechanismen in der EU erforderlich, mit denen das Potenzial der öffentlichen Hand, der Industrie, der Hochschulen und der Forschungseinrichtungen ausgeschöpft wird und Synergieeffekte zwischen diesen erzielt werden. Auch auf internationaler Ebene muss enger zusammengearbeitet und eine Aufsplitterung der Forschungsarbeiten vermieden werden.

1.6

Der Ausschuss befürwortet ausdrücklich den Ansatz der Europäischen Kommission, die in ihrer Mitteilung die Mobilisierung nicht nur der finanziellen, sondern auch und in erster Linie der personellen Ressourcen fordert, und zwar auf allen vier Ebenen: in der Privatwirtschaft, auf der Ebene der Mitgliedstaaten, der EU und weltweit. Er betont, dass eine angemessene allseitige Förderung des naturwissenschaftlichen und technischen Bildungsangebots eine unerlässliche Grundvoraussetzung für die Mobilisierung der erforderlichen Humanressourcen ist.

1.7

In dem Strategieplan sollten neben Prioritäten auf EU-Ebene auch spezifische Prioritäten für die einzelnen Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren geografischen Möglichkeiten und ihrem Sachverstand, eine ausreichende Mittelausstattung (im Rahmen des EU-Haushalts wie auch des Haushalts der Mitgliedstaaten), die optimale Nutzung der F&E-Kapazitäten, die Einbindung der Privatwirtschaft mit ausreichenden Anreizen über vom Energiemarkt ausgehende Impulse sowie weitere rechtliche und steuerliche Maßnahmen vorgesehen werden.

1.8

Im Hinblick auf die Anstrengungen zur Eindämmung des Klimawandels wäre es nach Ansicht des Ausschusses keinesfalls sinnvoll, das wichtigste Instrument, d.h. die Strategie für die Entwicklung und Umsetzung der Energietechnologie, anderen Aspekten unterzuordnen, die allerdings objektiv gesehen für diese Entwicklung den erforderlichen Rahmen für die Förderung und Schaffung von Anreizen bieten müssen (u.a. das Emissionshandelssystem (ETS) der EU, die Förderung der Nutzung erneuerbarer Energieträger, das dritte Energiepaket). Eine echte Verringerung der Treibhausgasemissionen kann allein durch einen konkreten technologischen Wandel hin zur Konzipierung effektiverer Techniken sowohl für die Erzeugung als auch den Verbrauch aller Formen von Energie erzielt werden.

1.9

In der in höchstem Maße zutreffenden und den Tatsachen entsprechenden Analyse der gegenwärtigen — äußerst unbefriedigenden — Lage wird das Augenmerk richtigerweise auf die organisatorischen und verwaltungstechnischen Schwierigkeiten gerichtet, die neben den wissenschaftlich-technischen Problemen von der Gemeinschaft angegangen werden müssen.

1.10

Auf Gemeinschaftsebene sollten die Aufmerksamkeit und eine angemessene Förderung auf Technologien zur Nutzung erneuerbarerer Energieträger, umweltfreundliche Technologien zur Wärmeproduktion und brandneue Infrastrukturoptionen für Energieübertragung und -speicherung ausgerichtet werden. Einige erneuerbare Energieträger sind jedoch nach wie vor mit hohen wirtschaftlichen Kosten verbunden — und dies wird auch noch lange so bleiben. Energieeffiziente Technologien für den Endverbrauch, „saubere“ Technologien auf der Grundlage fossiler Brennstoffe und die Nutzung der Atomenergie mittels Kernspaltung und -fusion sowie die sichere Endlagerung nuklearer Abfälle werden hingegen bedauerlicherweise ausgeklammert. Der Ausschuss verweist auf die Abhängigkeit zahlreicher Mitgliedstaaten von fossilen Brennstoffen sowie von der Atomenergie, die auch in Zukunft fortbestehen wird, und fordert, dass dieser Tatsache Rechnung getragen wird.

1.11

Der Ausschuss fordert die umfassende Einbindung des Privatsektors. Die EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen hierfür die geeigneten Bedingungen schaffen: sie müssen einerseits die Grundsätze, die Prioritäten und die Ziele der Energiepolitik festlegen und andererseits die Instrumente für deren Verwirklichung bereitstellen.

1.12

Dreh- und Angelpunkt ist die Festlegung von Marktregeln für das Energiewesen, unter denen sämtliche Externalitäten einschl. der gesellschaftlichen Kosten bei der Festsetzung des Energiepreises aller Energieträger angemessen berücksichtigt werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten werden außerdem die entsprechenden rechtlichen und steuerlichen Bedingungen schaffen müssen, um stärkere Synergien zwischen den in Energieforschung investierten öffentlichen und privaten Finanzmitteln zu erzielen.

1.13

Als Ausgangspunkt für die Bewertung der Nutzbarkeit der erneuerbaren Energieträger in den einzelnen Mitgliedstaaten und ihre Aufnahme in die Programme zur Entwicklung der Energietechnologie sollten die geografischen Bedingungen vor Ort und der physische Zugang zu den Energiequellen herangezogen werden.

1.14

Der Aufschwung moderner Energietechnologien für die Endnutzer muss der nachhaltigen Entwicklung zu Gute kommen. Die strategische Koordinierung der Energieforschung und -entwicklung, in deren Rahmen Prioritäten (in Bezug auf Inhalt und Umsetzungsfristen) für die EU wie auch die Mitgliedstaaten sowie die erforderlichen Funktionsmechanismen wie Steuerungs-, Kontroll- und Informationsflusssysteme festgelegt werden, kann einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele leisten.

1.15

Zur Stärkung der Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit im Bereich erneuerbare Energieträger über die EU hinaus sollten vor dem Abschluss jedweder neuer Übereinkommen erst einmal die bestehenden Einrichtungen, Verträge und Übereinkommen optimal genutzt werden, insbesondere diejenigen, die sich in der Vergangenheit als zweckdienlich erwiesen haben.

1.16

Der SET-Plan ist eine grundlegende strategische Orientierungshilfe für die europäische Wirtschaft zur Entwicklung und Anwendung von Technologien, deren Einsatz für die Eindämmung des Klimawandels durch die Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2020 und in der Folge bis 2050 unumgänglich ist.

2.   Einleitung

2.1

Am 22. November 2007 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Vorschlag für einen europäischen Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) „Der Weg zu einer kohlenstoffemissionsarmen Zukunft“ (KOM(2007) 723 endg.) zusammen mit den Arbeitsdokumenten der Kommissionsdienststellen SEK(2007) 1508 „Full impact assessment“, SEK(2007) 1509 „Zusammenfassung der Folgenabschätzung“, SEK(2007) 1510 „Technology Map“ und SEK(2007) 1511 „Capacities Map“. In diesen Dokumenten werden die Ausgangslagen und die verfügbaren Instrumente zusammengefasst, die für die Verwirklichung der Ziele des SET-Plans mobilisiert werden müssen, und dringend eine engere und stärker koordinierte Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit auf allen Ebenen gefordert (2).

2.2

Es werden strategische Orientierungshilfen in einem wesentlichen, um nicht so sagen dem grundlegendsten Maßnahmenbereich zur Eindämmung des Klimawandels gegeben: Die Treibhausgasemissionen müssen für die EU insgesamt bis 2020 um 20 % bzw. sogar um 30 % gesenkt werden, sollte sich die internationale Gemeinschaft der Initiative der EU auf weltweiter Ebene anschließen. Diese grundlegenden Ziele zur Bekämpfung des Klimawandels und der wesentliche politische Inhalt einer Energiepolitik für Europa wurden vom Europäischen Rat am 9. März 2007 festgelegt.

2.3

Es bedarf erheblicher Fortschritte in der Energietechnologie, um die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf einem annehmbaren Niveau zu stabilisieren. Die Frage, ob technologische Innovationen notwendig sind, stellt sich nicht: Sie sind schlicht unerlässlich. Die Frage ist jedoch, inwieweit die Politik direkt auf die Förderung derartiger Innovationen ausgerichtet sein sollte (3)? Es ist äußerst gefährlich, sich mit „bereits verfügbarer Technologie“ zufrieden geben zu wollen; der sorgfältig konzipierte und durchgeführte SET-Plan ist der richtige grundlegende Ansatz, um die erforderlichen Verringerungsziele zu erreichen.

3.   Wesentlicher Inhalt der Kommissionsdokumente

3.1

Europa muss jetzt gemeinsam handeln, um eine sichere Versorgung mit wettbewerbsfähiger und nachhaltiger Energie bereitstellen zu können. Die Nutzbarmachung der Technologie ist von entscheidender Bedeutung, um die vom Europäischen Rat am 9. März 2007 formulierten Ziele der Energiepolitik für Europa erreichen zu können. Dazu müssen die Kosten sauberer Energie gesenkt und den Unternehmen der EU im schnell wachsenden Sektor der kohlenstoffemissionsarmen Technologien die Übernahme einer Vorreiterrolle ermöglicht werden. Wenn das ehrgeizigere Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 60-80 % zu senken, erreicht werden soll, müssen längerfristig durch bahnbrechende Errungenschaften der Forschung neue Technologiegenerationen entwickelt werden.

3.2

Die aktuellen Tendenzen und deren Projektionen in die Zukunft zeigen, dass die EU derzeit nicht auf dem Kurs zur Verwirklichung ihrer energiepolitischen Ziele ist. Die leichte Verfügbarkeit von Ressourcen hat nicht nur die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen gefestigt, sondern auch das Interesse an Innovation und Investitionen in neue Energietechnologien gedämpft. Die öffentlichen und privatwirtschaftlichen Budgets für die Forschung im Energiebereich sind seit ihren Höchstständen in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts erheblich zurückgegangen. Dies hat dazu geführt, dass die Investitionen in Kapazitäten und Infrastrukturen immer weiter hinter dem notwendigen Maß zurückblieben. Würden die Regierungen der Mitgliedstaaten heute ebenso intensiv wie in den achtziger Jahren investieren, beliefen sich die öffentlichen Gesamtausgaben für die Entwicklung von Energietechnologien ungefähr auf das Vierfache des derzeitigen Investitionsaufwands von ungefähr 2,5 Mrd. EUR jährlich.

3.3

Daneben wird die Markteinführung neuer Energietechnologien durch den Rohstoffcharakter von Energie zusätzlich gebremst. Rechtliche und administrative Hürden vervollständigen diese innovationsfeindlichen Rahmenbedingungen. Deshalb sind staatliche Maßnahmen zur Unterstützung der Innovation im Energiebereich sowohl notwendig als auch gerechtfertigt.

3.4

Die wichtigsten globalen Akteure, die USA und Japan, aber auch aufstrebende Volkswirtschaften wie China, Indien und Brasilien, stehen vor den gleichen Herausforderungen und intensivieren im Gegensatz zu Europa ihre Anstrengungen. Die Marktdimension und die Investitions- und Forschungskapazitäten dieser Länder übersteigen jene der meisten Mitgliedstaaten bei Weitem. Erschwerend kommen noch die Zersplitterung, die zahlreichen nicht abgestimmten Forschungsstrategien und die subkritischen Kapazitäten hinzu, die weiterhin kennzeichnend für die Forschungsbasis der EU sind. Wenn Europa in dem schneller werdenden globalen Wettlauf zur Eroberung von Märkten für kohlenstoffemissionsarme Technologien jedoch zurückfällt, läuft es Gefahr, zur Verwirklichung seiner Ziele auf importierte Technologien angewiesen zu sein; den Unternehmen der EU würden dann enorme Geschäftsmöglichkeiten entgehen.

3.5

Der Übergang zu einer kohlenstoffemissionsarmen Wirtschaft wird Jahrzehnte dauern und jeden Wirtschaftszweig berühren. Verzug kann Europa sich jedoch nicht leisten. Die Entscheidungen der nächsten 10-15 Jahre werden tief greifende Auswirkungen auf die Energieversorgungssicherheit, den Klimawandel, das Wachstum und die Beschäftigung in Europa haben.

3.6

Am dringendsten wird in Europa zunächst eine deutliche Effizienzverbesserung bei der Energieumwandlung, -versorgung und -endnutzung benötigt. Im Verkehr, im Bauwesen und in der Industrie müssen die bestehenden technologischen Möglichkeiten in Geschäftsmöglichkeiten umgesetzt werden. Das Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologie und der organisatorischen Innovation muss voll erschlossen und politische und marktwirtschaftliche Instrumente müssen umfassend genutzt werden (4), um die Nachfrage zu steuern und die Entwicklung neuer Märkte zu fördern.

3.7

Die Europäische Kommission argumentiert in ihren Dokumenten, viele Technologien, die einen Beitrag zur Verwirklichung der für 2020 gesetzten Ziele leisten werden, seien heute bereits verfügbar oder befänden sich in der abschließenden Phase der Entwicklung. Auch bei optimistischer Einschätzung gilt jedoch nach wie vor, dass der Zeitfaktor für die praktische Nutzung dieser Technologien von großer Bedeutung ist, und dass kohlenstoffemissionsarme Technologien allgemein weiterhin teuer sind, und dass ihrer Markteinführung Hemmnisse entgegenstehen. Daher wird ein zweigliedriges Konzept benötigt: einerseits verstärkte Forschung zur Kostensenkung und Leistungssteigerung, andererseits gezielte Unterstützungsmaßnahmen zur Schaffung von Geschäftsmöglichkeiten, Stimulierung der Marktentwicklung und Beseitigung derjenigen Hemmnisse für Innovation und die Markteinführung energieeffizienter kohlenstoffemissionsarmer Technologien, die nicht technischer Art sind.

Um die für das Jahr 2050 formulierte Zielvorstellung einer kohlenstofffreien Technologie zu verwirklichen, muss mit bahnbrechenden Neuerungen eine neue Technologiegeneration entwickelt werden. Auch wenn einige der betreffenden Techniken bis 2020 kaum ins Gewicht fallen werden, ist es von wesentlicher Bedeutung, dass schon heute die Anstrengungen intensiviert werden, um einen möglichst frühzeitigen Einsatz zu gewährleisten.

3.8

Durch die in den letzten Jahren geleistete Vorarbeit wurde die Grundlage für weitere Maßnahmen der EU geschaffen: (i) Schaffung europäischer Technologieplattformen, (ii) Aufbau des Systems der Netze des Europäischen Forschungsraums (ERA-Net) zur gemeinsamen Forschungsplanung der Mitgliedstaaten und (iii) Zusammenarbeit der Forschungszentren in bestimmten Bereichen dank Exzellenznetzen. Mit dem SET-Plan werden die in Europa unternommenen Forschungsanstrengungen gebündelt, verstärkt und aufeinander abgestimmt, um so die Innovation in der kohlenstoffemissionsarmen europäischen Spitzentechnologie zu beschleunigen. Der SET-Plan soll folgende Ergebnisse erbringen: (i) eine neue gemeinsame strategische Planung, (ii) größere Effizienz in der Praxis, (iii) Aufstockung der Ressourcen und (iv) ein neues, mehr ganzheitliches Konzept für die internationale Zusammenarbeit.

3.9

Die neue Methode der Arbeit auf Gemeinschaftsebene erfordert integrative, dynamische und flexible Instrumente zur Lenkung dieses Prozesses sowie zur Festlegung von Prioritäten und zum Vorschlagen von Maßnahmen — also ein gemeinsames Konzept für die strategische Planung. Die Akteure müssen damit beginnen, ihre Kommunikation und Entscheidungsfindung besser zu strukturieren und auf das angestrebte Ziel auszurichten, und ihre Maßnahmen gemeinsam mit der Gemeinschaft in einem kooperativen Rahmen konzipieren und realisieren. Die Kommission wird 2008 eine Lenkungsgruppe für strategische Energietechnologien einsetzen, die die Durchführung des SET-Plans zur besseren Abstimmung der einzelstaatlichen, europäischen und internationalen Anstrengungen steuern wird. Die Europäische Kommission wird in der ersten Hälfte des Jahres 2009 einen europäischen Gipfel für Energietechnologie veranstalten.

3.10

Eine wirksame strategische Planung in der Lenkungsgruppe setzt die regelmäßige Verfügbarkeit zuverlässiger Informationen voraus. Die Europäische Kommission wird ein frei zugängliches Informations- und Wissensmanagementsystem einrichten, dessen Bestandteile „Technologiekartierung“ und „Kapazitätskartierung“ durch die gemeinsame Forschungsstelle der Kommission (5) sein werden.

3.11

Zur Beschleunigung der Entwicklung und des Markteinführungsprozesses werden stärker zielgerichtete und wirkungsvollere Mechanismen benötigt, die eine Hebelwirkung auf das Potenzial von Maßnahmen öffentlicher Stellen, der europäischen Industrie und der Forschungsgemeinschaft entfalten können. Diese Mechanismen werden in Form (i) der europäischen Industrie-Initiativen, (ii) des europäischen Energieforschungsbündnis und (iii) der transeuropäischen Energienetze und Systeme der Zukunft konkretisiert.

3.12

Die Schaffung von Anreizen für eine stärkere Ausrichtung und Koordinierung unterschiedlicher Finanzierungssysteme und -quellen wird dazu beitragen, Investitionen zu optimieren und Kapazitäten aufzubauen; ferner kann so die Kontinuität der Finanzierung von Technologien in verschiedenen Entwicklungsphasen gewährleistet werden. Europa muss zwei Herausforderungen begegnen: Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel für Forschung und Forschungsinfrastruktur, Demonstration im industriellen Maßstab und Projekte zur Umsetzung von Technologie in marktfähige Produkte sowie Aus- und Fortbildung, um die personellen Ressourcen in der Menge und Qualität bereitzustellen, die zur umfassenden Nutzung der durch die europäische Energiepolitik im technologischen Bereich eröffneten Möglichkeiten notwendig sind.

3.13

Die Europäische Kommission beabsichtigt, Ende 2008 eine Mitteilung zur Finanzierung kohlenstoffemissionsarmer Technologien vorzulegen. Die eigenen Maßnahmen der Mitgliedstaaten zum Ausbau der personellen Basis sollten stärker koordiniert werden, um Synergien zu maximieren und die Mobilität in dieser Branche zu verbessern.

3.14

Die im SET-Plan vorgeschlagenen Maßnahmen sollten einer Strategie für eine stärkere internationale Zusammenarbeit den Weg ebnen. Daneben muss im Interesse einer zielgerichteten und festen Partnerschaft gewährleistet werden, dass die EU in internationalen Foren bei Bedarf einen einheitlichen Standpunkt einnimmt.

3.15

Derzeit basiert die Innovation im Bereich der Energietechnologie auf einzelstaatlichen Programmen und Anreizen, wobei nationale Mittel zum Erreichen nationaler Ziele eingesetzt werden. Dies ist das Modell einer von billiger Energie und schrankenlosen Kohlenstoffemissionen geprägten Vergangenheit. Um den drastischen Wandel im Energiewesen vollziehen zu können, der im 21. Jahrhundert notwendig sein wird, bedarf es einer neuen Politik.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Europäischen Kommission und die ergänzenden Arbeitsdokumente und stimmt der Analyse sowie der Beschreibung der gegenwärtigen Lage der Energietechnologie zu. Eine Antwort auf die Gefahren des weltweiten Klimawandels zu finden und zugleich den immer höheren Energiebedarf in den Industrie- bzw. die immer stärkere Nachfrage in den Entwicklungsländern zu decken, ist eine grundlegende Herausforderung auf internationaler Ebene. Ohne eine wohl durchdachte Strategie für die Entwicklung und die Nutzung einer rentableren und saubereren Energietechnologie haben Überlegungen zur Eindämmung des Klimawandels kaum einen Sinn.

4.2

In dieser Mitteilung wird der wesentliche Aspekt der Energiepolitik ausdrücklich gestärkt, namentlich die Energieversorgungssicherheit, und zwar in materieller Hinsicht wie auch im Hinblick auf die sozialen und ökologischen Auswirkungen. Energieversorgungssicherheit bedeutet nicht nur den physischen Zugang zu den Energiequellen an sich, sondern auch den Zugang zu diesen zu gesellschaftlich akzeptierten Preisen.

4.3

Die Europäische Kommission räumt der Entwicklung der Energietechnologie in ihrer Mitteilung zu recht oberste Priorität im Rahmen der Anstrengungen ein, die zur Eindämmung des Klimawandels unternommen werden. Sie folgt damit den Schlussfolgerungen der Vertragsstaatenkonferenz der VN-Klimarahmenkonvention im Dezember 2007 in Bali (6). Die EU sollte die derzeitige und künftige internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich zu einer ihrer Prioritäten machen, eröffnet diese doch große Chancen für die europäische Wirtschaft bei der Verbreitung der erforderlichen Technologien.

4.4

Die Europäische Kommission betont in ihrer Mitteilung zu Recht den Faktor Zeit, der für die Durchführung der vorgeschlagenen Strategie (SET-Plan) von grundlegender Bedeutung ist, will die EU die im März 2007 eingegangene Verpflichtung der Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2020 auch wirklich erreichen. Werden die Verwaltungsverfahren und die abschließende Analyse der grundlegenden strategischen Ausrichtungen der technologischen Entwicklung (auch im Hinblick auf die grundlegenden strategischen Ausrichtungen von Forschung und Entwicklung in den Vereinigten Staaten und Japan) nicht beschleunigt, wird es kaum möglich sein, die erforderlichen Kräfte und Mittel für den erfolgreichen Abschluss der ersten Etappe bis 2020 — geschweige denn für die zweite Etappe bis 2050 — aufzubringen.

4.5

Für eine raschere Entwicklung und die Durchsetzung der neuen Energietechnologien in der Praxis sind zusätzliche zielgerichtete und wirksame Mechanismen in der EU erforderlich, mit denen das Potenzial der öffentlichen Hand, der Industrie und der Forschungseinrichtungen ausgeschöpft wird und Synergieeffekte zwischen diesen geschaffen werden können. Europa verfügt über ausgezeichnete Forschungseinrichtungen im Energiebereich in den einzelnen Mitgliedstaaten wie auch über hervorragende Forscherteams an den Hochschulen und in spezialisierten Forschungszentren. Doch arbeiten diese bedauerlicherweise nicht in koordinierter Art und Weise. Die bislang für die Förderung ihrer Zusammenarbeit eingeführten Instrumente haben sich als ungenügend erwiesen. Die optimale Ausschöpfung dieses Potenzials ist für den Erfolg des vorgeschlagenen Strategieplans maßgeblich. Auch auf internationaler Ebene muss enger zusammengearbeitet werden.

4.6

Der Ausschuss befürwortet ausdrücklich den Ansatz der Europäischen Kommission, die in ihrer Mitteilung die Mobilisierung nicht nur der finanziellen, sondern auch und in erster Linie der personellen Ressourcen fordert, und zwar auf allen vier Ebenen: in der Privatwirtschaft, auf der Ebene der Mitgliedstaaten, der EU und weltweit. Die Mobilisierung der Finanzmittel wird jedoch erschwert durch die Frage der Prioritäten und die Länge der Entwicklungen. Mit dem vorgeschlagenen SET-Plan müssen ein Umdenken und eine Beschleunigung des Beschlussverfahrens erreicht werden. Die Mobilisierung der Humanressourcen muss stets auf lange Sicht erfolgen. Sie ist zwar Teil der Lissabon-Strategie, erfolgt jedoch zur Verwirklichung der vorgeschlagenen Strategie bislang nicht in ausreichendem Maße und entsprechend schnell. Eine angemessene, allseitige Förderung des naturwissenschaftlichen und technischen Bildungsangebots ist eine Grundvoraussetzung für die Mobilisierung der erforderlichen Humanressourcen.

4.7

Der Ausschuss betont, dass Einigkeit nicht nur über die Konzepte, Prioritäten und Ziele der Energiepolitik, sondern auch über den Strategieplan für die Energietechnologie herrschen muss.

4.8

Im Hinblick auf die Anstrengungen zur Eindämmung des Klimawandels wäre es nach Ansicht des Ausschusses keinesfalls sinnvoll, das wichtigste Instrument, d.h. die Strategie für die Entwicklung und Umsetzung der Energietechnologie, anderen Aspekten und Instrumenten unterzuordnen, die allerdings objektiv gesehen für diese Entwicklung einen wichtigen Förderrahmen bieten müssen (u.a. das Emissionshandelssystem (ETS) der EU, die Förderung der Nutzung erneuerbarer Energieträger, das dritte Energiepaket). Eine echte Verringerung der Treibhausgasemissionen kann allein durch einen konkreten technologischen Wandel hin zur Konzipierung effektiverer Techniken sowohl für die Energieerzeugung als auch den -verbrauch aller Formen von Energie erzielt werden. Für die Finanzierung der technologischen Entwicklung könnten beispielsweise die Gewinne aus der Versteigerung von Emissionsrechten im Rahmen des Emissionshandelsschemas der EU herangezogen werden, sofern der Vorschlag zur Einführung dieses Verfahrens angenommen wird. Diese Finanzierungsquelle kann allerdings allein nicht ausreichen, zumal sie erst ab 2013 zur Verfügung stehen würde.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

In der in höchstem Maße zutreffenden und den Tatsachen entsprechenden Analyse der gegenwärtigen — äußerst unbefriedigenden — Lage wird das Augenmerk richtigerweise auf die organisatorischen und verwaltungstechnischen Schwierigkeiten gerichtet, die neben den wissenschaftlich-technischen Problemen von der Gemeinschaft angenommen werden müssen.

5.2

In den Dokumenten der EU über die Herausforderungen der Energietechnologie wird davon ausgegangen, dass es nicht nur eine oder lediglich wenige Energietechnologien gibt, die den Fortschritt im Energiebereich wesentlich voranbringen und so zur Verwirklichung der einschlägigen Ziele beitragen können. Ganz im Gegenteil, sie sind sehr zahlreich. Will man wirklich Fortschritte erzielen, müssen daher alle Technologien berücksichtigt werden. Sie müssen jedoch zuerst eingehend analysiert werden, ehe auch nur irgendeine, vielleicht auch nur in geringem Maße Erfolg versprechende Entwicklungssausrichtung ausgeschlossen werden kann. Allerdings müssen die Optionen mit den geringsten Erfolgschancen so schnell wie möglich herausgefiltert werden, um eine unnütze Mittelvergeudung zu vermeiden. Jedem einzelnen Mitgliedstaat und gegebenenfalls sogar jeder Region sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Prioritäten in dem vorgegebenen strategischen Rahmen gemäß ihres Fachwissens, ihrer Zuständigkeiten für die Realisierung und ihrer Erfahrungen selbst festzulegen.

5.3

Auf Gemeinschaftsebene sollten in Dokumenten zu diesem Thema die Aufmerksamkeit auf Technologien zur Nutzung erneuerbarerer Energieträger, umweltfreundliche Technologien zur Wärmeproduktion (d.h. auch die Nutzung von Wärme zur Stromerzeugung) und brandneue Infrastrukturoptionen für Energieübertragung und -speicherung ausgerichtet werden. Der Ausschuss befürwortet eine derartige Prioritätensetzung. „Saubere“ Technologien auf der Grundlage fossiler Brennstoffe, die auch längerfristig gesehen die wichtigste Primärenergiequelle sein werden, dürfen allerdings nicht ausgeklammert werden — ebenso wenig wie die Nutzung der Atomenergie mittels Kernspaltung und -fusion sowie die sichere Endlagerung nuklearer Abfälle. Sie müssen auch in Zukunft integraler Bestandteil von Forschung und Entwicklung in der EU sein.

5.4

Der Ausschuss teilt die Meinung, dass der Energiemarkt den Akteuren der Energiepolitik, Regierungen und Privatinvestoren, derzeit keine klaren Informationen in Bezug auf die Dringlichkeit der Nutzung neuer Energietechnologien bietet, da sämtliche Externalitäten einschl. der gesellschaftlichen Kosten nicht hinreichend in die Preise der verschiedenen Energieträger und Kraftstoffe aufgenommen werden. Dies ist ferner auch der Grund, warum auf EU-Ebene bisher noch keine Einigung in Bezug auf gemeinsame Prioritäten für die Energieforschung und -entwicklung sowie die Bereitstellung der erforderlichen Finanzmittel und der sonstigen für die Förderung dieser Prioritäten notwendigen Instrumente erzielt wurde.

5.5

In dem Strategieplan sollten nach Ansicht des Ausschusses neben Prioritäten auf EU-Ebene auch gesonderte, koordinierte und kurzfristig festgelegte Prioritäten für die einzelnen Mitgliedstaaten, eine ausreichende Mittelausstattung in den öffentlichen Haushalten, die optimale Nutzung der F&E-Kapazitäten, die Einbindung der Privatwirtschaft mit ausreichenden Anreizen über vom Energiemarkt ausgehende Impulse sowie weitere rechtliche und steuerliche Maßnahmen vorgesehen werden. Die Einbindung der Privatwirtschaft, und zwar in großem Maße, ist unabdingbar. Die EU und die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen hierfür die geeigneten Bedingungen schaffen: sie müssen einerseits die Grundsätze, die Prioritäten und die Ziele der Energiepolitik festlegen und andererseits die praktischen Instrumente für deren Verwirklichung bereitstellen.

5.6

Dreh- und Angelpunkt ist die Festlegung von Marktregeln für das Energiewesen, unter denen sämtliche Externalitäten einschl. der gesellschaftlichen Kosten bei der Festsetzung des Energiepreises angemessen berücksichtigt werden, damit der Markt den Privatinvestoren und den privaten Betreibern rechtzeitig signalisieren kann, dass ein Technologiewandel erforderlich ist, um den Energiemix zu diversifizieren und eine möglichst optimale Nutzung der verschiedenen Energieträger sicherzustellen. Die EU und die Mitgliedstaaten werden außerdem die entsprechenden rechtlichen und steuerlichen Bedingungen schaffen müssen, um stärkere Synergien zwischen in die Energieforschung investierten öffentlichen und privaten Finanzmitteln zu erzielen und freiwillige Ansätze zu fördern, die ebenfalls zu einer besseren Nutzung der Energieträger führen.

5.7

Mitgliedstaaten, in denen günstige natürliche Gegebenheiten herrschen, können sicher ihre Hoffnung in schnellere Fortschritte bei einer stärkeren Nutzung erneuerbarer Energieträger setzen; es gibt allerdings auch Mitgliedstaaten, in denen die natürlichen Gegebenheiten für einige erneuerbare Energieträger nicht gegeben sind oder keine rentable Nutzung erlauben. Als Ausgangspunkt für die Bewertung der Nutzbarkeit der erneuerbaren Energieträger in den einzelnen Mitgliedstaaten und ihre Aufnahme in die Programme zur Entwicklung der Energietechnologie sollten die geografischen Bedingungen vor Ort und der physische Zugang zu den Energiequellen gelten.

5.8

Die im Kommissionsvorschlag für den SET-Plan angeführten Prioritäten gehen nach Ansicht des Ausschuss nicht weit genug, insbesondere in Bezug auf die erneuerbaren Energieträger. Diese sind von wesentlicher Bedeutung, und zwar nicht nur für die Energieversorgungssicherheit, sondern auch für die Verringerung der Abhängigkeit der Mitgliedstaaten von Energieimporten und für die nachhaltige Entwicklung. Einige erneuerbare Energieträger sind jedoch nach wie vor mit hohen wirtschaftlichen Kosten verbunden — und dies wird auch noch lange so bleiben. Gleichzeitig ist die Integration des Energiemarktes nicht nur eine politische und organisatorische Frage. Es müssen auch entsprechende Forschungs- und Entwicklungsprogramme, beispielsweise für intelligente Netze, aufgelegt werden.

5.9

Nach Auffassung des Ausschusses muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass zahlreiche Mitgliedstaaten von fossilen Brennstoffen und der Atomenergie abhängig sind, und dass dies auch in absehbarer Zukunft so sein wird. Dies gilt auch für Drittstaaten, mit denen die EU Anstrengungen in Erforschung und Entwicklung von Energietechnologien koordinieren sollte. Daher spricht sich der Ausschuss dafür aus, dass die Prioritäten der EU nicht zu stark auf die Technologie zur Nutzung der erneuerbaren Energieträger ausgerichtet sein sollte, sondern in gleichem Maße auch auf energieeffiziente Energien für den Endverbrauch und „saubere“ Technologien auf der Grundlage fossiler Brennstoffe (einschl. CCS-Technologien zur CO2-Abscheidung und -Speicherung). Obwohl in der EU für die Nuklearforschung und -entwicklung ein eigener Fahrplan und eine spezifische Koordinierung verfolgt werden, müssen doch die Zweckdienlichkeit von Forschung und Entwicklung der Atomenergie mittels Kernspaltung, und zu einem späteren Zeitpunkt auch mittels Kernfusion sowie die Lebensdauer und die Sicherheit von Atomkraftwerken hervorgehoben werden, die ein großes Potenzial für die Energieversorgungssicherheit und die Verringerung der Treibhausgasemissionen in der EU eröffnen.

5.10

Die Energieeinsparungsbemühungen bei der Umwandlung und beim Endverbrauch können selbstverständlich erheblich zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Auch der Aufschwung moderner Energietechnologien muss der nachhaltigen Entwicklung zu Gute kommen. Auf EU-Ebene kann die Nutzung der verfügbaren Finanz- und Humanressourcen in diesem sehr weitläufigen Bereich noch verbessert werden, und zwar mittels einer angemessen konzipierten und durchgesetzten strategischen Koordinierung der Energieforschung und -entwicklung. Im Rahmen dieser Koordinierung müssen Prioritäten (in Bezug auf Inhalt und Umsetzungsfristen) für die EU wie auch für die Mitgliedstaaten und die erforderlichen Funktionsmechanismen wie Steuerungs-, Kontroll- und Informationsflusssysteme festgelegt werden. Diesbezüglich ist eine effektive Harmonisierung der Verfahren und Anlagen von grundlegender Bedeutung.

5.11

Zur Stärkung der Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit im Bereich erneuerbare Energieträger über die EU hinaus sollten vor dem Abschluss jedweder neuer Übereinkommen erst einmal die bestehenden Einrichtungen, Verträge und Übereinkommen optimal genutzt werden, insbesondere diejenigen, die sich in der Vergangenheit als zweckdienlich erwiesen haben.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Beschluss der 13. Vertragsstaatenkonferenz der VN-Klimarahmenkonvention in Bali — Aktionsplan (COP 13).

(2)  Der Ausschuss hat mehrere grundsätzliche Stellungnahmen zu dieser Frage ausgearbeitet, so die Stellungnahme zum Thema „Forschungsbedarf im Hinblick auf eine sichere und nachhaltige Energieversorgung“ (ABl. C 241 vom 7.10.2002, S. 13) und weitere Stellungnahmen, die immer noch aktuell sind.

(3)  Siehe Roger Pielke Jr et al.: „Dangerous assumptions“, Nature, Band 452, S. 531/532, 3. April 2008.

(4)  Siehe KOM(2007) 140 endg. vom 28. März 2007, Grünbuch „Marktwirtschaftliche Instrumente für umweltpolitische und damit verbundene politische Ziele“.

(5)  Siehe Arbeitsdokumente der Kommissionsdienststellen SEK(2007) 1510 „Technology Map“ und SEK(2007) 1511 „Capacities Map“.

(6)  Beschluss der 13. Vertragsstaatenkonferenz der VN-Klimarahmenkonvention in Bali — Aktionsplan (COP 13).


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/59


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Beziehungen zwischen dem Klimawandel und der Landwirtschaft in Europa“

(2009/C 27/14)

Der französische Ratsvorsitz ersuchte mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um die Ausarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema:

„Die Beziehungen zwischen dem Klimawandel und der Landwirtschaft in Europa“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 4. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr RIBBE, Mitberichterstatter war Herr WILMS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 94 gegen 30 Stimmen bei 13 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Ausschusses

1.1

Die französische Präsidentschaft bat mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 den EWSA, eine Sondierungsstellungnahme zum Thema „Die Beziehung zwischen Klimawandel und Landwirtschaft auf europäischer Ebene“ zu erarbeiten. Dabei wurde der Ausschuss explizit gebeten, auch auf die Biokraftstoffproblematik einzugehen.

1.2

Der EWSA zeigt sich im höchsten Maße besorgt über die negativen Auswirkungen, die vom Klimawandel auf die europäische Landwirtschaft und somit auch auf die Wirtschaftskraft vieler ländlicher Räume ausgehen werden. Dabei dürften in Südeuropa die massivsten Auswirkungen eintreten, besonders aufgrund der zu erwartenden längeren Dürreperiode bis hin zu Wassermangel. Diese können bis zum völligen Zusammenbruch landwirtschaftlicher Aktivitäten reichen. Aber auch in den anderen Regionen Europas werden die Landwirte durch die Klimaänderungen z.B. in Form von zeitlich stark veränderten Niederschlagsereignissen, mit schwerwiegenden Problemen zu kämpfen haben. Hinzu kommen eventuell Probleme mit neuen bzw. verstärkt auftretenden Pflanzenkrankheiten bzw. Schädlingsbefällen.

1.3

Die Politik ist deshalb aufgerufen, schnell zu handeln und die Klimaschutzpolitik in alle anderen Politikbereiche zu integrieren.

1.4

Die Landwirtschaft ist nicht nur Opfer des Klimawandels, sondern trägt auch zur Emission von Treibhausgasen bei; schwerpunktmäßig handelt es sich hierbei nicht um CO2-Emissionen, sondern um Methan und Lachgas, die durch Landnutzungsänderungen und die eigentliche landwirtschaftliche Produktion verursacht werden. Der EWSA fordert die Kommission auf, genauer zu analysieren, wie sich die unterschiedlichen landwirtschaftlichen Nutzungsformen in ihrer Klimarelevanz unterscheiden, um daraus politische Handlungsoptionen, z.B. im Rahmen der Förderpolitik, abzuleiten. In diesem Zusammenhang begrüßt er die Ankündigung der Kommission, den Klimaschutz zukünftig stärker in die gemeinsame Agrarpolitik zu integrieren.

1.5

Die Landwirtschaft kann wichtige Beiträge zum Klimaschutz leisten, u.a. indem sie darauf achtet, dass sie die in den Böden noch vorhandenen Kohlenstoffspeicher nicht nur erhält, sondern über einen gezielten Humusaufbau sogar erhöht, indem sie ihren Energieinput reduziert, und indem sie aus natur- und umweltverträglicher Produktion Biomasse für Energiezwecke bereit stellt.

1.6

Die sich derzeit abzeichnende künftige EU-Biokraftstoffstrategie, die nach Angaben der Kommission auch zu einem erheblichen Umfang den Import von landwirtschaftlichen Rohstoffen einschließt, erscheint dem EWSA als ungeeignet, um auf wirtschaftlich effektive Weise gleichzeitig Klimaschutzziele zu verwirklichen und innerhalb der Landwirtschaft neue Arbeitsplätze zu schaffen sowie zusätzliche Einkommen zu generieren. Vielmehr sollte anstelle dieser Biokraftstoffstrategie eine wohl überlegte neue Biomassenstrategie entworfen werden, die nicht auf Importe setzt, sondern versucht, wesentlich stärker als bisher landwirtschaftliche Nebenprodukte/Abfälle in nutzbare Energie umzuwandeln, und den Landwirten eine aktive Rolle in neu zu organisierenden dezentralen Energiekreisläufen einräumt.

2.   Hauptelemente und Hintergrund der Stellungnahme

2.1

Die Landwirtschaft ist der Wirtschaftsbereich, der wohl am intensivsten von den natürlichen Gegebenheiten (und somit auch von den Klimabedingungen) abhängig ist, der diese nutzt, verändert bzw. gestaltet.

2.2

Ihr Prinzip besteht in einer systematischen Nutzung der Sonnenenergie über die Photosyntheseleistung der Pflanzen, um so menschlich nutzbare Energie in Form von Nahrungs- bzw. Futtermitteln zu gewinnen. Auch wurde die durch die Photosynthese gebundene Energie von jeher als Wärmequelle genutzt (z. B. Biomasse in Form von Holz).

2.3

Die gegebenen klimatischen Bedingungen, die in Europa bislang weitgehend gut für die Landwirtschaft waren, sind ein entscheidender Faktor für die sehr unterschiedlich strukturierte und sehr vielfältige Landwirtschaft. Dies bedeutet auch, dass eine Veränderung der Bedingungen Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die damit verbundenen ökologischen, ökonomischen und sozialen regionalen Strukturen haben muss.

3.   Generelle Anmerkungen

Die Landwirtschaft als Opfer des Klimawandels

3.1

Die Klimaveränderungen, besonders der zu erwartende Temperaturanstieg, mehr noch aber die veränderten Niederschlagsmengen, werden die Landwirtschaft in bestimmten Regionen Europas in einem verheerenden Ausmaß treffen. Speziell in Südeuropa werden lang anhaltende Trockenheiten bis hin zu Dürren und daraus resultierend mögliche Wüstenbildungen die landwirtschaftliche Produktion möglicherweise unmöglich machen. Ferner können Flächenbrände landwirtschaftliche Flächen massiv tangieren (1). Der Wirtschaft in diesen Regionen drohen massive Einbrüche. Sämtlichen wissenschaftlichen Studien zufolge wird der Klimawandel Auswirkungen auf Schädlinge und Krankheiten haben, die den Ertrag der für die Ernährung wichtigsten Anbausorten beträchtlich reduzieren werden. Die Veränderungen im Lebenszyklus der Krankheitserreger werden zu Folgendem führen:

einer veränderten geografischen Ausbreitung der Erreger,

einer veränderten Häufigkeit und einem veränderten Schweregrad der Krankheiten,

einer veränderten Strategie zur Krankheitsbekämpfung.

3.2

Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf die diversen Veröffentlichungen und Initiativen der Kommission zu diesem Thema, u.a. auf die Mitteilung „Antworten auf die Herausforderung Wasserknappheit und Dürre in der Europäischen Union (2)“ und die darin entworfenen Konzepte und Pläne, auf das Grünbuch „Anpassung an den Klimawandel“, aber auch darauf, dass die Kommission die Notwendigkeit, sinnvolle Landnutzungsstrategien zu entwickeln, unterstrichen hat. In mehreren Ländern sind außerdem entsprechende Arbeiten im Gange.

3.3

Es übersteigt vermutlich die Vorstellungskraft der meisten Mitbürger wie auch der politischen Entscheidungsträger, was es bedeuten wird, wenn z.B. in Südeuropa die landwirtschaftliche Nutzung großflächig aufgegeben werden muss, weil nicht mehr ausreichend Wasser zur Verfügung stehen wird und es zu extremen Hitzeperioden kommt. Dies wird aufgrund von Veränderungen in der Landnutzung auch negative Folgen für die Beschäftigung in den betroffenen Regionen haben.

3.4

Insofern plädiert der EWSA an alle Entscheidungsträger, alles zu unternehmen, um die negativen Auswirkungen auf die Landwirtschaft durch ein umfassendes und tief greifendes Klimaschutzprogramm so gering wie möglich zu halten. Darüber hinaus sind unbedingt Vorkehrungen zur Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel zu treffen. Die Landwirtschaft muss sich wirkungsvoll und rasch auf die Umwälzungen und Veränderungen einstellen, die sich im Klima vollziehen werden, denn vom Erfolg oder Misserfolg dieser Maßnahmen hängt ihr Fortbestand ab.

3.4.1

Nach den neuesten Berichten der OECD und der FAO müssen Forschung und Innovation Schlüsselfaktoren bei der Bekämpfung des Klimawandels sein. Als eine der Anpassungsmaßnahmen sollte die Förderung neuer, besser an den Klimawandel angepasster Pflanzenarten und -sorten erwogen werden. Den Fortschritten bei der Verbesserung des Pflanzen- und Tiermaterials kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu.

Der Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel

3.5

Der EWSA hält es für geboten, nicht nur über die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft zu diskutieren, sondern auch den Beitrag der Landwirtschaft am Klimawandel im Auge zu haben und Schritte zur Reduktion der klimaschädigenden Wirkung der Landwirtschaft einzuleiten. Ebenso sind die verschiedenen Beiträge zu berücksichtigen, die die Landwirtschaft zur Bekämpfung des Klimawandels leisten kann.

3.6

Der Ausschuss begrüßt daher, dass die Kommission in ihrer Mitteilung zum „Gesundheits-Check der Agrar-Politik“ (3) die Klimapolitik als eine von 4 neuen „Herausforderungen“ für die GAP bezeichnet hat.

3.7

Die nach IPCC-Definition direkt der Landwirtschaft zugeordneten Emissionen liegen bei 10-12 %. Der gesamte Beitrag der Landwirtschaft an den globalen Treibhausgasemissionen wird auf 8,5- 16,5 Milliarden Tonnen CO2e (4) geschätzt, das entspricht einem Gesamtanteil von 17-32 % (5).

3.8

Für Europa wird der Anteil der Landwirtschaft an den Treibhausgasemissionen deutlich geringer eingeschätzt als global. Die Kommission nennt, basierend auf der vom IPCC verwendeten Berechnungsmethode, einen Wert von 9 %. Seit 1990 konnte die Landwirtschaft in der EU 27 die Emissionen um 20 %, in der EU 15 um 11 % reduzieren (6). Allerdings erfasst die IPCC-Berechnungsmethode weder die Emissionen, die aus Landnutzungsänderungen resultieren, noch den Energieaufwand für die Herstellung von Düngern und Pflanzenbehandlungsmitteln oder den von Traktoren benötigten Treibstoff. So kommt es, dass z.B. die Kommission den Anteil der Landwirtschaft an den Emissionen in Deutschland mit 6 % beziffert, die Bundesregierung hingegen einen Wert von 11 bis 15 % nennt, weil sie alle von der Landwirtschaft verursachten Emissionen in ihre Abschätzung einbezieht.

Die unterschiedliche Bedeutung von Treibhausgasen in der Landwirtschaft

3.9

Die Landwirtschaft trägt nur zu einem geringen Teil zum Nettoausstoß von CO2 bei. Das liegt primär daran, dass Pflanzen zunächst CO2 aufnehmen und in organische Masse umbauen. Nach Verwendung der Biomasse der zunächst gebundene Kohlenstoff wieder als CO2 freigesetzt. Es gibt also einen weitgehend geschlossenen Kohlenstoffkreislauf.

3.10

Laut dem Vierten Sachstandsbericht des IPCC (7) sind es vornehmlich die Methan- und Lachgasemissionen, die klimapolitisch im Bereich der Landwirtschaft betrachtet werden müssen. Die Landwirtschaft ist für etwa 40 % der gesamten CH4- und N2O-Emissionen in Europa verantwortlich, und diese sind besonders klimarelevant: Das Treibhauspotenzial von Lachgas ist ca. 296-mal, das von Methan rund 23-mal so groß wie das von CO2.

3.11

Es sind im Kern vier Sachverhalte, die innerhalb der Landwirtschaft von besonderer Klimarelevanz sind:

a)

die Umwandlung von Wäldern, Mooren, feuchten Flächen oder Grünland in Ackerland,

b)

die Treibhausgase, die von landwirtschaftlich genutzten Böden und Nutztieren abgegeben werden,

c)

der Energieaufwand im und auf dem landwirtschaftlichen Betrieb und in den vor- und nachgelagerten Bereichen, u.a. in Form von Treib- und Brennstoffen, Mineraldüngern und Pestiziden und sonstigen Prozessenergien (8) sowie

d)

die Produktion von Biomasse für Energiezwecke.

3.12

Global gesehen ist die Umwandlung von bislang nicht landwirtschaftlich genutzten Flächen zur landwirtschaftlichen Nutzung von herausragender Bedeutung. Sie rangiert weit vor den Treibhausgasen, die von der Produktion ausgehen, und vor dem Energieeinsatz in der Landwirtschaft. Jede Umwandlung in Ackerfläche hat die Freisetzung von Treibhausgasen zur Folge, denn Ackerland hat — abgesehen von Wüsten und Halbwüsten sowie bebauter Flächen — im Durchschnitt den geringsten Anteil an Kohlenstoff (9) im Boden gebunden.

3.13

Die Debatte um die Abholzung der Regenwälder im Amazonas oder in Indonesien ist deshalb von fundamentaler Bedeutung. Der EWSA weist darauf hin, dass die dortigen massiven Abholzungen durchaus etwas mit Europa und der europäischen Landwirtschaft zu tun haben (10).

Veränderung der Landnutzung/Kohlenstoffspeicher

3.14

Ein großes Problem ist, dass nach wie vor in Europa täglich große Flächen versiegelt werden und daher für die landwirtschaftliche Produktion und als Kohlenstoffspeicher verloren gehen. Der EWSA bedauert, dass die geplante Bodenschutzrichtlinie, die hier einen wichtigen Beitrag leisten könnte, bislang nicht verabschiedet wurde.

3.15

Es gibt sechs große Kohlenstoffspeicher (11), die klimapolitisch zu betrachten sind. Die Landwirtschaft betrifft primär die oberirdische Biomasse und die Böden. Da das landwirtschaftliche Prinzip darin besteht, die produzierte Biomasse jährlich zu ernten, schafft die Landwirtschaft keine relevanten neuen oberirdischen C-Speicher in Form von Biomasse.

3.16

Die Umwandlung von Wäldern, Mooren und Grünland zu Ackerland führt zu einer Freisetzung von im Boden gebundenen Kohlenstoff. Für die Landwirtschaft in Europa gilt deshalb, dass jene Flächen, die noch über hohe Kohlenstoffvorräte verfügen, erhalten werden müssen. Dazu müssen durch geeignete Förderinstrumente Anreize geschaffen werden, damit entsprechende Bewirtschaftungsmethoden angewendet werden.

3.17

Moore und Wälder müssten nach den heutigen Erkenntnissen allein aus Klimaschutzgründen unmittelbar unter ein Umwandlungsverbot gestellt werden.

3.18

In Europa hat sich in den letzten Jahrzehnten ein massiver Umbruch von Grünland in Ackerland vollzogen, der trotz verschiedener Auflagen (12) noch nicht gestoppt ist, sondern vielmehr in einigen Regionen vor dem Hintergrund der zunehmenden Nutzung von Agro-Energie wieder an Fahrt gewinnt.

3.19

Der Grund für den verstärkten Umbruch von Grünland in Ackerflächen liegt in der Tatsache, dass die Landwirte auf Ackerflächen eindeutig höhere Deckungsbeiträge erzielen. Die Beweidung von Flächen ist arbeitsaufweniger, und die auf Hochleistung getrimmten Rinder erreichen die „gewünschten“ Leistungen mit einfachem Gras nicht mehr. Sie sind auf „Hochleistungsfutter“ angewiesen, das sich allerdings nur mit einem wesentlich höheren Energieinput herstellen lässt.

3.20

Der EWSA wird genau beobachten, wie die Umwelt- und Agrarpolitik z.B. im Rahmen der Legislativvorschläge zum Gesundheits-Check der Agrarpolitik mit diesem Umstand umgehen wird. Er fordert dazu auf, eine intensive Debatte darüber zu führen, wie naturschutzverträgliche und klimaschonende Landnutzungsformen für die Landwirte wieder wirtschaftlich attraktiv werden können.

Treibhausgase aus der landwirtschaftlichen Produktion

3.20.1

Im Einsatz von Stickstoffdüngern, sowohl synthetischer als auch organischer Art, liegt die Hauptquelle von Lachgas. Immer wenn größere Stickstoffgaben ausgebracht werden, besteht die Gefahr, dass diese nicht schnell genug oder nicht vollständig von den Pflanzen aufgenommen werden können, und Lachgas in die Umwelt entweicht. Bislang war umweltpolitisch der Blick vornehmlich auf die Belastung der Oberflächengewässer und des Grundwassers gerichtet, nun kommt mit der Klimafrage ein neues Argument für eine kritischere Betrachtung der Nährstoffkreisläufe in die Diskussion.

3.20.2

Der Klimaforscher Prof. Crutzen hat die Lachgasemissionen in der Produktionskette von Raps hin zu Biodiesel untersucht (13) und kommt zu dem Ergebnis, dass die Klimawirkung von Rapsmethylester just aufgrund hoher Lachgasemissionen, die aus der mineralischen Düngung resultieren, unter bestimmten Bedingungen sogar schädlicher sein kann als die von Diesel aus Erdöl.

3.20.3

Eine weitere, quantitativ aber weniger bedeutsame Quelle von Lachgasemissionen liegt beim Abbau von organischer Masse im Boden, besonders im Ackerbau.

3.20.4

Das aus der Landwirtschaft entweichende Methan stammt in Europa primär von Wiederkäuern, speziell Rindern. Dem EWSA ist bewusst, dass die Methanbelastung durch Wiederkäuer eine weltweite wachsende Bedeutung besitzt (14) und dass die Problematik mit zunehmenden Tierbeständen weltweit wachsen wird. In Europa haben zwar die Rinderbestände in den letzten Jahren abgenommen (15), allerdings ist Europa Nettoimporteur in diesem Bereich.

3.21

Fleischkonsum insgesamt besitzt Klimarelevanz. Etwa 10 pflanzliche Kalorien werden benötigt, um eine Kalorie tierischen Ursprungs herzustellen. Wächst der Fleischkonsum, müssen mehr Futtermittel angebaut werden, was den Einsatz von Energie erfordert und den Ertragsdruck auf landwirtschaftliche Flächen erhöht. Europa mit seinem vergleichsweise hohen Fleischkonsum importiert einen hohen Anteil seiner Futtermittel, deren Anbau (siehe z.B. Soja im Amazonas-Becken) oft extreme Probleme verursacht. Daher spricht sich der EWSA auch für die Erarbeitung und Umsetzung einer europäischen Eiweißstrategie aus.

3.22

Nicht nur die produzierte Fleischmenge, sondern auch die Art der Tierhaltung ist von Bedeutung. Fleisch und Milch können beispielsweise mit einer energieextensiven Weidewirtschaft gewonnen werden, bei der die Kühe während der Vegetationsperiode das Grünland nutzen, dessen Bedeutung für den Klimaschutz bisher unterschätzt wurde. Fleisch und Milch kann aber auch von Betrieben stammen, die mit hohem Energieinput arbeiten, auf Grünland verzichten und ihre Tiere vornehmlich mit Maissilage oder anderen energiereichem Ackerfutterpflanzen füttern.

Energieeinsatz in der Landwirtschaft

3.23

Der Vorteil der Landwirtschaft, dass sie nämlich Sonnenenergie direkt in nutzbare Pflanzenenergie umsetzt, wird umso geringer, je mehr Energie aus fossilen Energieträgern in den Produktionsprozess hineingesteckt bzw. je weniger die pflanzlichen Produkte direkt vom Menschen genutzt werden, sondern über „Veredlung“ in tierische Produkte umgewandelt werden.

3.24

Während beispielsweise ökologisch wirtschaftende Betriebe auf den Einsatz von industriell hergestellten wasserlöslichen Mineraldüngern und Pflanzenbehandlungsmitteln verzichten, verschlechtert deren Nutzung die Energie- und Klimabilanz der konventionellen Landwirtschaft.

3.24.1

Einige Vergleichsstudien zum Stoff- und Energiehaushalt in der Landwirtschaft, aber auch zur Kohlenstoffspeicherung, machen deutlich, dass die ökologische Landwirtschaft durchschnittlich einen geringeren Energie- und Stickstoffinput benötigt als die konventionelle Landwirtschaft. Selbst wenn man einbezieht, dass die konventionelle Landwirtschaft durchschnittlich höhere Erträge erzielt, weist die ökologische Landwirtschaft ein geringeres Treibhauspotenzial auf (16). Deshalb sieht beispielsweise die Bundesregierung in Deutschland in der Förderung des ökologischen Landbaus eine Unterstützung für mehr Klimaschutz (17).

3.24.2

Andere Studien kommen teilweise zu anderen Ergebnissen.

3.25

Daher fordert der EWSA die Kommission auch vor dem Hintergrund der zum Teil noch dünnen und widersprüchlichen Datenlage auf, genau zu analysieren, wie sich die unterschiedlichen landwirtschaftlichen und nichtlandwirtschaftlichen Nutzungsformen in ihrer Klimarelevanz unterscheiden, um daraus dann politische Handlungsoptionen, z.B. im Rahmen der Förderpolitik, abzuleiten.

Der Beitrag der Landwirtschaft zur Lösung der Probleme des Klimawandels

3.26

Die Landwirtschaft kann folglich vielfältige Beiträge leisten, um weniger Treibhausgase zu emittieren, als dies heute der Fall ist. Hierzu gehört u.a. der Verzicht auf die Umwandlung von Wald-, Moor-, Feucht- und Grünlandflächen in Ackerland sowie die Reduktion der Lachgas- und Methanemissionen durch eine schonende Bodenbearbeitung und möglichst dauerhafte Bodenbedeckung (Zwischenfruchtanbau), mehrgliedrige Fruchtfolgen (z.B. um Schädlingsprobleme zu minimieren), angepasste Düngergaben etc.

3.27

Der Energieinput wurde lange Zeit kaum als Problem gesehen, zumal Energie sehr billig zur Verfügung stand. Der EWSA sieht eine große Notwendigkeit, zukünftig besonders energieeffizienten Bewirtschaftungsformen mehr Aufmerksamkeit zu widmen und stärker zu fördern. Dazu können der ökologische Landbau und sog. Low-input-Produktionen (wie z.B. die extensive Weidehaltung) einen Beitrag leisten.

3.28

Vielversprechende Ergebnisse haben Versuche im sog. „Mischkulturanbau“ ergeben. Dabei werden beispielsweise Getreidesorten auf ein und demselben Acker zusammen mit Leguminosen und Ölpflanzen angebaut, was zu stark verminderten Düngegaben und Pestizidaufwand führt, gleichzeitig aber auch die Biodiversität erhöht und den Humusaufbau fördert.

3.29

Entscheidende Bedeutung für den Klimaschutz hat die Humuswirtschaft. Besonders auf den Ackerflächen muss zukünftig stärker darauf geachtet werden, einen möglichst stabilen und hohen Humusgehalt zu erreichen, was vielfach eine Änderung in den Fruchtfolgen bedingt. Der EWSA bittet die Kommission, gemeinsam mit den Forschungseinrichtungen der Mitgliedstaaten vorhandene Untersuchungen auszuwerten und ggf. weitere anzustellen, um hier nach den bestmöglichen Verfahren zu suchen und diese zu unterstützen.

3.30

Dabei sollte auch ein Augenmerk auf die Frage gelegt werden, welche Bedeutung der traditionellen Festmistwirtschaft beigemessen werden sollte. Ferner muss geklärt werden, ob die sog. Ganzpflanzenverwertung, wie sie im Rahmen der 2. Generation von Biokraftstoffen geplant ist, den Zielen des Humusaufbaus nicht eventuell abträglich ist.

4.   Bioenergie/Biokraftstoffe aus der Landwirtschaft

4.1

Die französische Präsidentschaft hat den EWSA gebeten, im Rahmen dieser Stellungnahme auch das Thema „Biokraftstoffe“ aufzugreifen. Er kommt diesem Wunsch natürlich gern nach, verweist aber auch auf seine Stellungnahmen (18) zu diesem Thema, in denen er ausführlich seine kritische Haltung zur derzeit erkennbaren Biokraftstoffstrategie begründet.

4.2

Aufgrund des hohen CO2-Ausstoßes von Kohle, Öl und Erdgas, beginnt man zu recht darüber nachzudenken, verstärkt direkt pflanzliche Energien zu nutzen. Der EWSA hat sich mehrfach im Kern positiv zur Nutzung von Bioenergien geäußert, möchte aber noch einmal auf Grundprinzipen hinweisen, die er für erforderlich hält.

4.2.1

Der EWSA betont, dass das Recht auf angemessene Ernährung ausdrücklich als wichtiger Aspekt der Menschenrechte anerkannt ist. Die Produktion von Grundnahrungsmitteln muss Vorrang vor der Energieproduktion haben.

4.2.2

Wichtig ist außerdem, dass für den Energiepflanzenanbau keine Flächen in Anspruch genommen werden, die aktuell entweder hohe Kohlenstoffspeicher darstellen bzw. für die Biodiversität von zentraler Bedeutung sind. Der EWSA begrüßt, dass die Kommission die Notwendigkeit erkannt hat, dass der Energiepflanzenanbau Nachhaltigkeitskriterien unterliegen muss. Auf die Frage, ob die im Entwurf der Richtlinie „Erneuerbare Energien“ enthaltenen Nachhaltigkeitskriterien ausreichend sind, oder ob sie als unzureichend bewertet werden müssen, wird der EWSA ausführlich in seiner Stellungnahme zu dem Richtlinienentwurf eingehen. Die EWSA spricht sich dafür aus, dass generell für alle Treibstoffe, egal welchen Ursprungs, aber auch für Futtermittel entsprechende Nachhaltigkeitskriterien gelten sollten.

4.2.3

Schon in der Verwertung von landwirtschaftlichen Abfallprodukten und beispielsweise von Biomasse aus der Landschaftspflege liegen in Europa hohe energetische Potenziale, die derzeit nur bedingt erschlossen werden, weil sich ein spezieller (energieintensiver) Energiepflanzenanbau ökonomisch mehr rechnet. Hier wurden bisher förderpolitisch falsche Signale gesetzt.

4.2.4

Bei der Nutzung von Bioenergie ist auf höchste Effizienz zu achten. Es macht keinen Sinn, z.B. mit Mais aus einem energieintensiven Anbau Biogas zu erzeugen, wenn die bei der Stromgewinnung anfallende Abwärme keinen Absatz findet. Denn so wird rund 2/3 der eigentlich gewonnenen Energie gleich wieder vernichtet.

4.2.5

Heute werden Energiepflanzen häufig zunächst mit hohem Energieinput produziert und die dann gewonnnen Pflanzen bzw. Öle in einem weiteren industriellen Prozess energieaufwendig weiterverarbeitet. Dies führt zu schlechten oder gar negativen Nettoenergie- und Klimabilanzen vieler Biokraftstoffe.

4.2.6

Deshalb zweifelt das Joint Research Center (JRC) der Kommission in seiner Studie „Biofuels in the European Context“ daran, dass das Ziel der Kommission, über einen 10 %-ige Beimischung von Biokraftstoffen die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, überhaupt erreicht wird. Andere Studien (19) kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

4.2.7

Die Studie des JRC stellt eine zentrale Überlegung an, die nach Ansicht des EWSA zum Politikprinzip erhoben werden muss. Gewonnene Biomasse sollte dort eingesetzt werden, wo sie den größten Nutzen hat. Das Stichwort lautet: Effizienz (20). Wieso sollen die Molekularstrukturen der Pflanzen mit hohem Energieaufwand weiter industriell verändert werden, wenn sie sich auch direkt zur energetischen Nutzung eignen? Das JRC führt aus, dass in stationären Heiz- bzw. Elektrizitätswerken in der EU ähnlich viel Öl verbraucht wird wie in Diesel-Fahrzeugen. Würde man Energiepflanzen dort einsetzen, würde man mit 1 MJ Biomasse rund 0,95 MJ fossiles Öl ersetzen können; 1 MJ Biomasse ersetzt aber nur rund 0,35 bis 0,45 MJ Rohöl, wenn es im Verkehrssektor eingesetzt wird.

4.2.8

Die Treibhausgasemissionen aus dem Verkehrssektor können indessen durch den Einsatz von Fahrzeugen mit Elektromotor verringert werden, die mit Strom betrieben werden, der durch die Verbrennung von Biomasse erzeugt wird.

4.3

In seiner Stellungnahme zum „Energiemix im Verkehrssektor“ (21) führt der EWSA aus, dass der Verbrennungsmotor im Verkehrssektor durch Elektroantriebe abgelöst werden wird. Es macht keinen Sinn, derart ineffizient mit der Pflanzenenergie umzugehen, wie es sich im Bereich der Biokraftstoffe abzeichnet.

4.4

In einer Vergleichsstudie der empa (22) wurde Folgendes errechnet: Damit ein VW-Golf 10 000 km zurücklegen kann, benötigt man eine Rapsfläche von 2 062 m2 für Biodiesel. Solarzellen würden hingegen die für 10 000 km nötige Energie auf einer Fläche von 37 m2 ernten — rund ein Sechzigstel der Fläche des Rapsfeldes.

4.5

Auch die Sinnhaftigkeit der „Veredlung“ von Pflanzenölen zwecks Einsatz in Verbrennungsmotoren muss hinterfragt werden: Wieso passt man die Motoren nicht den pflanzlichen Molekularstrukturen an? Mittlerweile sind Motoren, beispielsweise für Traktoren und LKW entwickelt worden, die mit reinem Pflanzenöl betrieben werden und die alle von der EU gesetzten und geplanten Abgasgrenzwerte erfüllen. Derartige Innovationen sollten intensiver unterstützt werden.

4.6

Die für solche Motoren benötigten Öle können in Mischkulturen angebaut, regional verarbeitet und dezentral verwendet werden. Das heißt: Bauern könnten in umweltverträglichen und klimaschonenden „low-input-Verfahren“ nicht nur ihre eigene Antriebsenergie herstellen, sondern auch neue regionale Energiekreisläufe in Gang setzen. Energieintensive industrielle Weiterverarbeitungsprozesse werden überflüssig!

4.7

Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass Europa keine reine Biokraftstoff-, sondern eine besser durchdachte europäische Biomassenstrategie benötigt, die weit mehr klimaschonend und arbeitsplatzschaffend sein kann als die sich derzeit abzeichnende Biokraftstoffstrategie, die erheblich auf dem Import von Energiepflanzen beruhen würde.

5.   Arbeitsplätze durch eine klimaschonende Landwirtschaft und Landwirtschaftspolitik

5.1

Der Klimawandel bedroht zwar einerseits die Landwirtschaft in Teilen Europas, er kann aber andererseits eine Chance für die Landwirtschaft und die europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeuten, wenn die Landwirtschaft ihre Rolle bei der Neuausrichtung der Klimapolitik ernst nimmt und vorantreibt.

5.2

Die Landwirtschaft ist nach wie vor ein wichtiger Arbeitgeber in der EU. Die Kommission ist in einer Mitteilung ausführlich auf die Beschäftigungsentwicklung im ländlichen Raum eingegangen (23). Sie hebt darin hervor, dass trotz des insgesamt eher geringen Anteils der landwirtschaftlichen Arbeit der Sektor in ländlichen Regionen von großer Bedeutung ist. Sie erwartet bis zum Jahr 2014 einen Rückgang der Beschäftigung (als Vollzeitäquivalent) in der Landwirtschaft von derzeit 10 Millionen um 4-6 Millionen Beschäftigte.

5.3

Mittlerweile wird allerdings für viele europäische Länder ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften prognostiziert, speziell solcher Kräfte, die in Unternehmen führende Funktionen einnehmen oder komplizierte Technik bedienen können. Die mangelnde Attraktivität vorhandener Arbeitsplätze verstärkt zudem den Fachkräftemangel. Auf diese Entwicklung hat der Ausschuss bereits ausdrücklich hingewiesen und deutlich gemacht, dass eine qualitative Diskussion der Arbeit geführt werden muss (24).

Arbeitsplatzpotenzial Bioenergie

5.4

Das Potenzial umweltverträglich produzierbarer Biomasse für energetische Zwecke in Europa wurde 2006 in einer Studie der Europäischen Umweltagentur untersucht. Unter Hinzunahme von Biomasse aus Abfällen (z.B. Hausmüll) und aus der Wald- und Forstwirtschaft könnten so im Jahr 2030 15-16 % des prognostizierten Primärenergiebedarfs für die EU-25 produziert werden. Dadurch könnten in den ländlichen Räumen 500 000 bis 600 000 Arbeitsplätze gesichert oder sogar geschaffen werden.

5.5

Ob und wie viel neue Arbeitsplätze durch die Herstellung von Bioenergien geschaffen werden, hängt entscheidend von der Wahl der Strategie ab. Der wissenschaftliche Beirat des bundesdeutschen Landwirtschaftsministeriums erwartet die größten Arbeitsplatz- und Klimaschutzeffekte, wenn die „Erzeugung von Bioenergie in wärmegeführten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen bzw. Heizanlagen auf Basis von Holzhackschnitzeln sowie auf Basis von Biogas aus Gülle und Reststoffen“ in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn hingegen die Förderung der Bioenergie zu einer Verdrängung der Tierproduktion führt oder wenn — wie erkennbar ist — bei Biokraftstoffen auf Importe gesetzt wird, sind die Beschäftigungssalden in den ländlichen Räumen negativ.

5.6

Dass sich die Erzeugung bestimmter Formen von Bioenergie ökonomisch, ökologisch und sozial auch für die Landwirtschaft und den regionalen Arbeitsmarkt lohnen kann, zeigen Beispiele gelungener Umstellung auf geschlossene Bioenergiekreisläufe (die Gemeinden Mureck und Güssing (beide in Österreich) oder Jühnde (Deutschland) mit einem Versorgungsgrad mit erneuerbaren Energien von bis zu 170 %). Zu dieser eindrucksvollen ökologischen Bilanz gesellt sich ein positiver Effekt für den lokalen Arbeitsmarkt (Handwerk), wobei die Arbeitsplätze der Rohstoff liefernden Landwirte noch nicht einmal mitgerechnet sind (25).

5.7

Da zu erwarten ist, dass sich die Einkommens- und Wohlstandsunterschiede zwischen den urbanen Zentren und den ländlichen Räumen weiter vergrößern werden, ist den ländlichen Räumen beschäftigungspolitisch ein besonders Augenmerk zu schenken. Die nachhaltige Produktion von Energiepflanzen und deren Umwandlung in Energie kann Arbeitsplätze auf dem Land sichern und schaffen, wenn die Wertschöpfung in der jeweiligen Region verbleibt.

Qualität der landwirtschaftlichen Beschäftigung sichern

5.8

Das Ziel des Klimaschutzes kann nur mit qualifizierten Arbeitskräften erreicht werden. Dazu müssen die Unternehmen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den entsprechenden Rahmen zur Fortbildung bieten.

Soziale Standards festlegen und absichern

5.9

Nach allgemeiner Auffassung wird die Nachfrage nach importierter Biomasse aus Entwicklungs- und Schwellenländern weiter zunehmen. Dabei dürfen etwaige Kostenvorteile nicht durch Vernichtung der ökologischen und sozialen Lebensgrundlagen in den Erzeugerländern erkauft werden. Bei der Produktion von Bioenergie sind deshalb die Kernarbeits- und Arbeitsschutznormen der ILO zu respektieren (26).

Partizipation von Arbeitnehmern und Gewerkschaften

5.10

Die strukturellen Veränderungen in der Landwirtschaft werden maßgeblichen Einfluss auf die Qualität der Arbeitsplätze und die Einkommen haben. Deshalb müssen die Beschäftigten und die Gewerkschaften in diese Veränderungsprozesse einbezogen werden. Da die Mitbestimmungsmodelle in Europa stark differieren, müssen die Beteiligungsanliegen der Beschäftigten in der Landwirtschaft in den vorhandenen europäischen und nationalen Strukturen stärker wahrgenommen werden. Dies muss besonders im Hinblick darauf geschehen, dass durch diese Formen der Kommunikation und des Ideenaustauschs Arbeitsplätze gesichert und erhalten werden können.

5.11

Der seit 1999 bestehende Ausschuss für den Europäischen Sozialen Dialog in der Landwirtschaft ist als repräsentatives sozialpartnerschaftliches Gremium in Fragen der Beschäftigung und der zukünftigen Entwicklung der neuen Aufgaben der Landwirtschaft ein qualifiziertes Experten- und Beratungsgremium. Der EWSA empfiehlt der Kommission, dessen Funktion auch im Hinblick auf die Klimapolitik zu stärken. Auf nationaler Ebene sollten die Sozialpartner in den Begleitausschüssen zur Entwicklung des Ländlichen Raumes als Experten in klimarelevanten Fragen in der Landwirtschaft gestärkt werden.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  S. Brände in Griechenland in 2007, die beispielsweise Olivenplantagen vernichtet haben.

(2)  KOM(2007) 414 vom 18.7.2007, EWSA-Stellungnahme vom 29. Mai 2008 (ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 67).

(3)  KOM(2007) 722 endg.

(4)  CO2e = Kohlenstoffäquivalent.

(5)  Cool Farming: Climate impacts of agriculture and mitigation potential, Greenpeace-Studie, Dezember 2007.

(6)  Quelle: Europäische Umweltagentur, EEA Report 5/2007.

(7)  IPCC WG III Chapter 8 (2007), Agriculture.

(8)  Bis hin zur Futtermittelproblematik.

(9)  Böden sind nach den Meeren der zweitgrößte Speicher von Kohlenstoff. Einige Zahlen hierzu (wobei dem EWSA bewusst ist, dass es teilweise größere Abweichungen gibt): Ackerböden enthalten rund 60 t Kohlenstoff pro Hektar, Grünland oder Waldböden doppelt so viel (beim Wald muss zusätzlich die in den Bäumen gespeicherte Kohlenstoffmenge bewertet werden), in einem Hektar Moor sind bis zu 1 600 t Kohlenstoff gespeichert.

(10)  Stichwort: Sojaproduktion als Futtermittel für europäische Nutztierhalter, Palm- bzw. Jatrophaölherstellung zu Energiezwecken („Bio“-Kraftstoffe).

(11)  Öl-, Kohle- und Gasvorräte, die oberirdische Biomasse, das in Böden gespeicherte C, sowie die Ozeane.

(12)  Siehe beispielsweise „Cross Compliance Kriterien“.

(13)  N2O release from agro-biofuel production negates global warming reduction by replacing fossil fuels, in: Atmos. Chem. Phys. Discuss., 7, 11191-11205, 2007.

(14)  Ca. 3,3 Mrd. t CO2e/Jahr.

(15)  Rinderbestand weltweit: 1 297 Mio Tiere (1990), 1 339 Mio. Tiere (2004), EU (25): 111,2 Mio. Tiere (1990), 86,4 Mio. Tiere (2004), China: 79,5 Mio. Tiere (1990), 106,5 Mio. Tiere (2004).

(16)  S. u.a. Schwerpunktheft „Klimaschutz und Öko-Landbau“ in: Ökologie & Landbau, Heft 1/2008.

(17)  Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen zum Thema „Landwirtschaft und Klimaschutz“, Drucksache 16/5346, Ziffer 13.

(18)  ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 34, sowie Stellungnahme TEN/338 zum Richtlinienvorschlag „Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen“, KOM(2008) 19 endg., in Bearbeitung.

(19)  Z.B. der wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums in Deutschland.

(20)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S.72.

(21)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S.52.

(22)  Empa ist eine Forschungsinstitution für Materialwissenschaften und Technologie. Sie ist Teil der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH).

(23)  KOM(2006) 857 endg., „Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten: Schließen der Beschäftigungslücke“.

(24)  ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 25.

(25)  Mehr dazu unter www.seeg.at

(26)  www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/ilo_kernarbeitsnormen.htm


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/66


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Verbesserung und Ausweitung des EU-Systems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten“

KOM(2008) 16 endg. — 2008/0013 (COD)

(2009/C 27/15)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 13. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Verbesserung und Ausweitung des EU-Systems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 4. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr Adams.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 124 gegen 2 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Wert des Systems EU-Systems für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten (EHS) wird sich an seinen Auswirkungen auf die europäischen Treibhausgasemissionen und an seiner Bedeutsamkeit und Beispielwirkung dafür messen lassen müssen, globale Maßnahmen anzustoßen bzw. sich zu einem umfassenden, globalen System weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang vertritt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss Folgendes:

Versteigerungen eines größeren Anteils der Emissionsrechte werden begrüßt, da sie im Einklang mit dem Verursacherprinzip stehen, Mitnahmegewinne verhindern, Anreize setzen und zur Bildung von Kapital beitragen, das in CO2-arme Anlagen und Produkte investiert werden kann; sie sind somit innovationsfördernd.

Maßnahmen zum Schutz einzelner energieintensiver Sektoren und Teilsektoren, die stark dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, sollten in Erwägung gezogen werden, wenn es kein wirksames internationales Abkommen über den Klimawandel gibt, das weltweit allen einschlägigen Industrien die Verpflichtung zur Reduktion von klimaschädlichen Emissionen auferlegt, um Verlagerungseffekte zu vermeiden. Das EU-EHS darf die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der EU nicht gefährden.

Um unnötige Unsicherheiten zu vermeiden, sollte die Verordnung über die Versteigerungen unverzüglich ausgearbeitet und angenommen werden.

Die Kommission sollte Vorschläge unterbreiten, auf welchem Weg die EU ihre Selbstverpflichtung, im Falle der Erzielung eines internationalen Abkommens die CO2-Reduzierung von 20 % auf 30 % zu steigern, erfüllen will.

Angesichts des im Entstehen begriffenen „Cap and Trade“-Ansatzes (Emissionsrechtehandel) in den USA und anderen OECD-Staaten sollte dringend auf die Bildung einer gemeinsamen Plattform hingewirkt werden.

Falls die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) nicht rasch wirkungsvolle Vorschläge unterbreitet, sollte der Seeverkehr in das EHS einbezogen werden.

1.2

Durch das EHS sollte eine kohlenstoffarme Wirtschaft, der Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel wirksam gefördert werden.

Eine kostenfreie Ausgabe von Zertifikaten sollte vorbehaltlich der Erfüllung strenger Bewertungskriterien und leistungsbezogener Ziele erfolgen.

Wenigstens 50 % der Erlöse aus der Versteigerung von Zertifikaten sollte für Maßnahmen gemäß Artikel 10 Absatz 3 Buchstaben a-f aufgewendet werden.

Potenzielle Negativanreize, die den Beitrag und das Wachstum der Kraft-Wärme-Kopplung und effizienter Fernwärmesysteme beeinträchtigen könnten, sollten eliminiert werden.

Auf forstwirtschaftliche Aspekte, wie Wälder als Kohlenstoffsenken, Entwaldung und Landnutzung muss in der Kommissionsvorlage mehr Gewicht gelegt werden.

1.3

Im Rahmen des EHS sollte auf einen geringen Verwaltungsaufwand sowie auf Klarheit und Transparenz geachtet werden.

Diejenigen Maßnahmen des Vorschlags, die derzeit im Rahmen des Komitologieverfahrens bearbeitet werden, bedürfen dringend der Aufmerksamkeit und Klärung.

Die Kommission sollte erwägen, die Grenze für die Ausnahme kleiner Anlagen von 10 000 auf 25 000 Tonnen anzuheben, vorausgesetzt, entsprechende Ausgleichsmaßnahmen werden ergriffen.

1.4

Das EHS sollte gemeinschaftsintern für einen fairen Ausgleich sorgen und gleichzeitig dem dringenden Bedürfnis der Schwellenländer und der weniger entwickelten Länder Rechnung tragen, ein nachhaltiges Wachstum zu erzielen und die Armut zu bekämpfen.

Es muss ein Lastenausgleich zwischen den Branchen erwogen werden, die in das EHS einbezogen sind, und denjenigen, die nicht von dem System erfasst werden.

Die Auswirkungen einer eingeschränkten Anwendung des Mechanismus der gemeinsamen Umsetzung (JI) oder der Gutschriften im Rahmen des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) in Ermangelung eines internationalen Abkommens sollten geprüft werden.

Es muss eine Lösung für die potenziellen Probleme einiger osteuropäischer Mitgliedstaaten gefunden werden, deren wichtigster Stromversorger Russland und nicht die EU ist.

2.   Einleitung

2.1

Das EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS) wurde durch die Richtlinie 2003/87/EG im Oktober 2003 geschaffen. Es zielt darauf ab, die Faktoren, die zum Klimawandel beitragen, unter Kontrolle zu bringen, vor allem die auf menschliche Aktivitäten zurückzuführenden Emissionen von Treibhausgasen (THG), die durch wirtschaftliche Anreize gesenkt werden sollen. Das System umfasst die Deckelung und den Handel („Cap and Trade“), wobei die Menge eines Schadstoffes (hauptsächlich CO2), die emittiert werden darf, begrenzt („gedeckelt“) werden soll. Das europäische Emissionshandelssystem ist das wichtigste Instrument der EU zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen, dem der Vorzug vor einer direkten Kohlendioxidbesteuerung oder einer unmittelbaren Regulierung gegeben wurde.

3.   Allgemeine Grundsätze

3.1

Gegenwärtig gilt das europäische Emissionshandelssystem für mehr als 10 000 Anlagen in der Energiewirtschaft und in der Industrie, die zusammen für 40 % des Treibhausgasaufkommens in der EU verantwortlich sind. Anlagen werden vorab Emissionsberechtigungen zugeteilt und sie müssen eine bestimmte Anzahl von Zertifikaten (oder Gutschriften) vorlegen, die ihnen das Recht zur Emission einer bestimmten Menge THG entsprechend ihrer tatsächlichen Emissionen gibt. Die Gesamtmenge der Zertifikate und Gutschriften darf die erlaubte Höchstmenge (cap) nicht übersteigen, so dass die Gesamtemissionen auf dieses Niveau begrenzt werden. Unternehmen, deren THG-Emissionen ihre Emissionsrechte übersteigen, müssen Zertifikate von Unternehmen, die weniger emittieren, kaufen oder Zertifikate auf Versteigerungen erwerben.

3.2

Die Übertragung von Zertifikaten ist der Handel. Demnach zahlt jeder Emittent, der diesem System angeschlossen ist, für seine Emissionen, während diejenigen Anlagen, die die Emissionen stärker als erforderlich gesenkt haben, belohnt werden. Theoretischer Ausgangspunkt ist folglich, dass diejenigen, die ihre Emissionen leicht und kostengünstig senken können, dies auch tun werden, woraus sich eine Emissionsminderung zu dem gesellschaftlich niedrigstmöglichen Preis ergibt. Im EHS verbrieft ein „Zertifikat“ das Recht auf die Emission einer Tonne Kohlendioxid über einen bestimmten Zeitraum hinweg — andere Treibhausgase werden in Kohlendioxidäquivalente umgerechnet.

3.3

Die Mitgliedstaaten dürfen ferner die Nutzung von Gutschriften aus Emissionsminderungsprojekten in Drittländern in gleicher Weise wie Zertifikate erlauben. Solche Projekte müssen im Rahmen des im Kyoto-Protokoll vorgesehenen Mechanismus der gemeinsamen Umsetzung (JI) oder des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) anerkannt sein.

4.   Emissionshandelszeiträume

4.1   Erster EHS-Handelszeitraum 1. Januar 2005-31. Dezember 2007

4.1.1

In der ersten Phase, der „Lernphase“, wurde die Infrastruktur für den Emissionshandel aufgebaut, deren Effektivität jedoch aufgrund der großzügigen Zuteilung von Zertifikaten durch die Mitgliedstaaten sehr begrenzt blieb (für die erste und die zweite Phase haben die Mitgliedstaaten nationale Zuteilungspläne, sog. NAP, ausgearbeitet, in denen die Gesamthöhe der Emissionen und die Zahl der Zertifikate pro Anlage festgelegt wird). Im ersten Handelszeitraum kam es zu einer großen Fluktuation des Zertifikat-Handelspreises einschließlich eines Verfalls des CO2-Preises am Ende der ersten Handelsperiode.

4.1.2

Das EHS war Gegenstand vieler kritischer Kommentare. Bemängelt wurden die Erstzuteilungsmethoden und die Verwendung der Versteigerungserlöse, die zulässige Höchstmenge, Probleme hinsichtlich Gerechtigkeit, Komplexität, Überwachung und Durchsetzung, die Gefahr von Unternehmensverlagerungen durch Hauptverschmutzer in Ländern, in denen es keine Regulierung gibt, der Wert, die Glaubwürdigkeit und die Verlässlichkeit der JI-/CDM-Gutschriften und künftige Nachteile durch zwangsläufig höhere Produktionskosten. Es wurde klar, dass diese Fragen bei einer Überarbeitung des EHS behandelt werden müssen, damit das System in den Augen sowohl der Unternehmen als auch der NRO an Glaubwürdigkeit gewinnt.

4.2   Zweiter EHS-Handelszeitraum 1. Januar 2008-31. Dezember 2012

4.2.1

Diese Phase gilt für alle 27 Mitgliedstaaten und fällt mit dem ersten Verpflichtungszeitraum des Kyoto-Protokolls und dem Erfordernis der Senkung der Treibhausgasemissionen zusammen. Bislang befindet sich der Handelspreis der Zertifikate in einem stabilen Aufwärtstrend auf einem Niveau, das einen starken Anreiz für Reduktionsmaßnahmen bietet. Der aktuelle Handelspreis (Mai 2008) liegt bei ca. 25 EUR pro Tonne. Für diesen Zeitraum hat die Kommission eine systematische Bewertung der von den Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Obergrenzen auf Grundlage von verifizierten Emissionen vorgenommen und in der Folge konnten die Emissionen aus EHS-Sektoren im Schnitt um 6,5 % unter dem Niveau von 2005 gedeckelt werden. Im zweiten Handelszeitraum gab es wenig Spielraum für eine Umstellung des Systems oder Änderungen daran, wenngleich sich die Emittenten weiterhin aktiv darauf einstellen und sich anpassen. Die Verifizierung der Daten schreitet voran und es werden zunehmend Erfahrungen mit dem Handel gesammelt, was im Großen und Ganzen als eine Bestätigung für den Grundgedanken des Konzepts zu werten ist.

4.3   Dritter EHS-Handelszeitraum 2013-2020

4.3.1

Die Kommission schlägt nun bedeutende Änderungen am EHS vor, die während dieser Phase in Kraft treten sollen. Genau das ist der Zweck der Änderung der Richtlinie 2003/87/EG.

5.   Zusammenfassung der vorgeschlagenen Änderungsrichtlinie

5.1

Zwar entstand durch das EU-EHS der weltgrößte einheitliche Kohlenstoffmarkt (1), jedoch war die übermäßige Anfangszuteilung (kostenfreier) Zertifikate im Rahmen der NAP ein Manko des Systems, das im eindeutigen Widerspruch zu der EU-weiten effizienten Emissionsreduzierung in den EHS-Sektoren stand. Angesichts fester Verpflichtungen zur Treibhausgasreduzierung gilt ein überarbeitetes EHS als ein wesentliches Instrument für die Setzung langfristiger CO2-Preissignale, die Anreize für Investitionen in die Kohlendioxidreduzierung und die Umwandlung Europas in eine treibhausgasarme Wirtschaftszone schaffen.

5.2

In folgender Hinsicht soll nachgebessert werden:

Einführung einer EU-weiten Höchstmenge an erlaubten Gesamtemissionen anstelle von 27 nationalen Obergrenzen, d.h. es wird keine NAP mehr geben;

starke Anhebung des Anteils zu versteigernder Zertifikate und Harmonisierung der Regeln für die freie Zuteilung, um kohlenstoffeffiziente Technologien zu fördern;

Festsetzung eines Teils der Versteigerungsrechte nach Pro-Kopf-Einkommen;

einheitlichere Fassung wichtiger Definitionen und verbesserte rechtliche und technische Klarheit;

Aufnahme neuer Wirtschaftszweige (Petrochemie, Ammoniak und Aluminium) und neuer Treibhausgase (Stickoxide und Perfluorkohlenstoffe) und Erweiterung der Erfassung um 6 %;

kleinere Anlagen sollen vom EHS ausgenommen werden dürfen, sofern Ausgleichsmaßnahmen durchgeführt werden;

Festsetzung von Regeln für Gutschriften aus JI-/CDM-Projekten.

5.3

Ab 2013 werden jährlich weniger Zertifikate zugeteilt (2), womit im Vergleich zu 2005 eine 21 %ige Treibhausgasreduktion im Bereich des EU-EHS bis 2020 bewerkstelligt werden soll. Diese Senkungsdynamik wird im vierten Handelszeitraum (2021-2028) unvermindert fortgesetzt. Gleichzeitig wird der Anteil zu versteigernder Zertifikate erhöht, beginnend mit 60 % im Jahr 2013. Der Stromsektor soll keine kostenfreien Zuteilungen erhalten; vorschlagsgemäß soll er ab 2013 alle Zertifikate ersteigern oder auf dem Sekundärmarkt erwerben; in anderen Sektoren wird die kostenfreie Zuteilung bis 2020 schrittweise abgeschafft. Ausgenommen davon sind Wirtschaftszweige, bei denen starke Verlagerungseffekte („carbon leakage“) in Länder ohne vergleichbare Emissionsbeschränkungen zu befürchten sind, wodurch es zu einem weltweiten Ansteigen der Emissionen kommen könnte. Solche Sektoren können bis zu 100 % mit kostenfreien Zertifikaten bedacht werden. Die Entscheidung darüber soll 2011 fallen. Die Mitgliedstaaten werden die Auktionen durchführen, und sie sollen ermutigt (aber nicht verpflichtet) werden, Einnahmen in klimafreundliche Maßnahmen zu investieren.

5.4

Sichergestellt wird, dass JI-/CDM-Gutschriften (von Drittstaaten), die jetzt von Wirtschaftsbeteiligten in der EU gekauft werden können, bis 2020 verwendet werden können. Die Gesamtzahl, die in diesem Zeitraum genutzt werden kann, entspricht der Gesamtmenge für den zweiten Handelszeitraum, d.h. 1,4 Milliarden Zertifikaten, was einem Drittel der Gesamtreduktionsbemühungen gleichkommt. Intensiviert die EU ihre Reduktionsbemühungen im Rahmen eines internationalen Klimapakts, können 50 % der zusätzlichen Bemühungen über JI-/CDM-Zertifikate erreicht werden.

5.5

Obwohl Gutschriften aus der Flächennutzung („Kohlenstoffsenken“, wie z.B. Wälder) nicht zugelassen sein werden, könnten inländische Gutschriften aus Emissionsminderungsvorhaben, die nicht vom EHS abgedeckt werden, zugelassen werden, vorausgesetzt, dass hierfür unkomplizierte Bestimmungen gefunden werden können.

5.6

Es ist vorgesehen, das EU-EHS mit anderen Handelssystemen zu verbinden, um so den Aufbau eines weltweiten Systems zu fördern.

5.7

Abhängig vom Abschluss eines internationalen Abkommens wird die Zahl der EHS-Zertifikate im Einklang mit diesem Abkommen reduziert, die Einsatzmöglichkeiten der CDM hingegen erweitert.

5.8

Es wird eine 5 %-Regelung für die Zuteilung von Zertifikaten für neue Anlagen getroffen, die dem System nach 2013 beitreten. Wahrscheinlich werden die Flugzeugemissionen gegen Ende des zweiten Handelszeitraums in das EHS einbezogen, was jedoch Gegenstand eines gesonderten Vorschlags ist (3).

5.9

Bestimmungen über die Einbeziehung des Seeverkehrs in das EHS sind nicht vorgesehen.

6.   Allgemeine Bemerkungen

6.1

Bei dem EU-EHS handelt es sich weder um einen Papiertiger noch um eine „grüne“ Steuer. Es vereint den marktwirtschaftlichen und den ordnungspolitischen Ansatz und eine Richtungsvorgabe, die im Wege des politischen Prozesses erarbeitet und justiert wird. Das einzelne Unternehmen kann selbst entscheiden, ob und wie es seine Emissionen senkt, und es dürfte den kosteneffizientesten Weg zur Erfüllung der Emissionsbestimmungen wählen. Die Hauptfunktion des EHS besteht somit darin, Anreize zu setzen, wodurch die Kosten für das Erreichen eines Emissionsminderungsziels gesenkt werden. Der EWSA begrüßt und unterstützt diesen Ansatz.

6.2

Für das Ziel der Emissionsreduzierung — die Stabilisierung des Treibhausgasanteils in der Atmosphäre auf einen Wert von 450-550 ppm bis zum Jahre 2050 — muss schätzungsweise 1 % des globalen BIP aufgewendet werden. Unterbleiben wirkungsvolle Maßnahmen, könnte das globale BIP um 20 % sinken (4). Allerdings stellt sich vor dem Hintergrund immer neuer Erkenntnisse und Forschungen (5) zu dem immer rasanteren Anstieg der THG-Emissionen und der sinkenden Absorptionskapazität unseres Planeten die Frage, ob diese Reduktionsziele wirklich ausreichen.

6.3

Mit dem EHS wird effektiv eine definitive Führungsposition bei einem Unterfangen angestrebt, das zu einem globalen Anliegen werden muss. Dieser Prozess ist globaler Natur, denn die Atmosphäre ist Teil des Gemeinguts der Weltgemeinschaft. Daher dürfen bei einer Beurteilung des Systems dessen Wechselwirkungen mit und Folgen für globale Emissionsverursacher nicht ausgeklammert werden.

6.4

Der Entwurf eines US-Regelwerks, das wahrscheinlich unter der nächsten Regierung in Kraft treten wird, basiert auf einem ähnlich strukturierten System mit Deckelung und Handel („Cap and Trade“). Ein mögliches gemeinsames Vorhaben der Vereinigten Staaten und der EU wäre ein ganz wesentlicher Schritt hin zu einem globalen System. Gleiches gilt für Verknüpfungen mit anderen vorgeschlagenen Systemen in den OECD-Ländern.

6.5

Der Ausschuss beobachtet daher mit besonderer Aufmerksamkeit, inwieweit mit dem EHS ein fair verteilter und nachhaltiger Einfluss auf die globale Treibhausgasemissionssenkung erzielt wird. Ist aus ihm erkennbar, dass die europäischen Initiativen sowohl glaubhaft als auch effizient sind? In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Ziel der EU — die 20 %ige Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber dem Niveau von 1990 (das dem EHS und den Vorschlägen zur Lastenteilung zugrunde liegt) — unter der Reduktionsspanne von 25 bis 40 % für Industrieländer liegt, die die EU im Dezember 2007 auf der Weltklimakonferenz auf Bali befürwortet hatte. Die Kommission geht von den Zielen aus, die auf der Frühjahrstagung des Europäischen Rats 2007 vereinbart wurden. Diskutiert wird aber nicht, ob dieses Reduktionsniveau auch ehrgeizig genug ist, um die globale Zielsetzung zu erreichen, oder ob dies lediglich die größtmögliche Reduktion ist, die angesichts der Balance kurzfristiger politischer und ökonomisch motivierter Interessen der Mitgliedstaaten als akzeptierbar gelten kann. Der EWSA gelangt zu dem Schluss, dass die sich mehrenden Erkenntnisse über den Klimawandel die Neuausrichtung der Ziele erforderlich machen, damit stärkere Senkungen der THG-Emissionen erzielt werden können.

6.6

Der EWSA befürwortet, dass die Zertifikate zunehmend versteigert werden sollen. Versteigerungen stehen im Einklang mit dem Verursacherprinzip, verhindern Mitnahmegewinne, setzen Anreize und tragen zur Bildung von Kapital bei, das in CO2-emissionsarme Anlagen und Produkte investiert werden kann; sie sind somit innovationsfördernd.

6.7

Derzeit gibt es für die europäischen Unternehmen im Allgemeinen viele offenen Fragen. Die Hauptsorge gilt dabei den Wettbewerbsnachteilen, die den Unternehmen durch ein überarbeitetes EHS entstehen könnten, und zwar insbesondere gegenüber den Schwellenländern außerhalb der EU. Diese Länder argumentieren nicht ganz ohne Berechtigung, dass zwei Jahrhunderte westlicher Industrialisierung mit den damit verbundenen THG-Emissionen zu berücksichtigen seien und man die Bestrebungen dieser Länder, ihre Bevölkerung aus der Armut zu befreien, würdigen müsse. Ein globales Abkommen zur Lösung dieser Fragen muss unbedingt auf einer breiten Unterstützung und einem Verständnis dieser Faktoren auf Seiten der Verbraucher und der Wirtschaft in den OECD-Ländern aufbauen.

7.   Besondere Bemerkungen

7.1

Wenn das EHS der EU ein globaler Standard für den Kohlenstoffhandel werden soll, kommt es sehr darauf an, dass dieses System so robust und effizient wie möglich ist. Der Ausschuss empfiehlt daher Folgendes:

7.1.1

Kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten für einzelne große, energieintensive Sektoren und Teilsektoren, die stark dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, sollten nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn es kein wirksames internationales Abkommen über den Klimawandel gibt, das weltweit allen einschlägigen Industrien die Verpflichtung zur Reduktion klimaschädlicher Emissionen auferlegt. Das EU-EHS darf die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie nicht gefährden.

7.1.2

Soweit dies möglich ist, sollte früher entschieden werden, welche Branchen angesichts der Gefahr von Verlagerungseffekten kostenfreie Zuteilungen erhalten. Diese Branchen werden bis Juni 2010 feststehen, allerdings sollte ein Beschluss früher gefasst werden, und zwar schon im Zusammenhang mit der Richtlinie, damit die Unsicherheit für die Investoren vermieden wird, da sie langfristig planen müssen.

7.1.3

Obwohl Versteigerungen das Hauptzuteilungsverfahren für Zertifikate sein sollten, gibt es fast keine Anhaltspunkte dafür, wie diese Versteigerungen zu organisieren sind. Der Verweis auf eine Verordnung, die die Versteigerungen frühestens ab 31. Dezember 2010 regelt, birgt eine zusätzliche Unsicherheit für alle Teilnehmer am EU-EHS, müssen doch im Energiebereich massive Investitionen getätigt werden.

7.1.4

Es muss ein Lastenausgleich zwischen den Branchen erwogen werden, die in das EHS einbezogen sind, und denjenigen, die nicht von dem System erfasst werden. Der Ausschuss stellt in Frage, ob die Verteilung der Reduzierungsverpflichtungen zwischen den unter das EHS fallenden Branchen (-21 % im Vergleich zu 2005) und den übrigen Branchen (-10 % im Vergleich zu 2005) gerechtfertigt ist. Forschungen (6) belegen, dass in einigen, nicht vom EHS erfassten Branchen, und hier insbesondere in den beiden größten, Baugewerbe und Verkehr, ein Potenzial vorhanden ist, die Emissionen kostenneutral oder sogar mit Gewinn zu senken. Außerdem sind dies Branchen, in denen die Gefahr von Verlagerungseffekten klein oder nicht vorhanden ist. Das Baugewerbe hat zudem ein großes beschäftigungspolitisches Potenzial in der EU.

7.1.5

Bei der Einbeziehung des Flugverkehrs in das System sollten sämtliche Zertifikate versteigert werden (7).

7.1.6

In Anbetracht der steigenden Treibhausgasemissionen durch den Schiffsverkehr (die mit weltweit 1,12 Milliarden Tonnen doppelt so hoch sind wie die Emissionen des Flugverkehrs (8)) sollte die Kommission Maßnahmen erwägen, um den Schiffsverkehr in das EHS einzubeziehen, falls die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) nicht rasch wirkungsvolle Vorschläge unterbreitet.

7.1.7

Die Einnahmen aus der Versteigerung der Zertifikate — nach gegenwärtigen Schätzungen 50 Mrd. EUR jährlich bis 2020 — sollten weitaus umfassender für die Finanzierung von Klimaschutz-, Emissionsminderungs- und Anpassungsmaßnahmen aufgewendet werden, wobei die besondere Aufmerksamkeit schutzbedürftigen und weniger entwickelten Ländern sowie Forschung und Entwicklung zu gelten hat. Die im Richtlinienvorschlag (Artikel 10 Absatz 3) vorgesehene Zweckbindung in Höhe von 20 % ist nicht ausreichend; damit wird eine Chance verpasst, einen starken Anreiz für die Schaffung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu schaffen. Der EWSA empfiehlt hier eine Anhebung auf mindestens 50 % der Einnahmen. Beachtet und unterstützt werden sollte auch der Beitrag der Forstwirtschaft, der Aufforstung und der Prävention der Entwaldung in und außerhalb der EU, wo der Kohlenstoffsenkeneffekt nachgewiesen werden konnte.

7.1.8

Bei denjenigen Maßnahmen des Vorschlags, für die derzeit das Komitologieverfahren gilt, wäre eine größere Klarheit und Transparenz wünschenswert.

7.1.9

Die Kommission sollte erwägen, die Grenze für die Ausnahme kleiner Anlagen von 10 000 auf 25 000 Tonnen anzuheben, vorausgesetzt, entsprechende Ausgleichsmaßnahmen werden ergriffen.

7.1.10

In dem Vorschlag sollte klarer herausgearbeitet werden, auf welchem Weg die EU ihrer Selbstverpflichtung im Falle des Zustandekommens eines internationalen Abkommens, die CO2-Reduzierung von 20 % auf 30 % zu steigern, erfüllen will.

7.1.11

Damit negative Auswirkungen auf das Wachstum und den Beitrag von Systemen der Kraft-Wärme-Kopplung vermieden werden, werden die Mitgliedstaaten dringend gebeten, ihre Einspeisetarife zu prüfen.

7.1.12

Was die Frage der Fernheizwerke betrifft, so sollte durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden, dass Negativanreize nicht bewährte Verfahren untergraben.

7.1.13

Es muss eine Lösung für die potenziellen Probleme einiger osteuropäischer Mitgliedstaaten gefunden werden, deren wichtigster Stromversorger Russland und nicht die EU ist.

7.1.14

Der gegenwärtige Vorschlag, die Möglichkeit zur Verwendung von JI-/CDM-Gutschriften im Falle des Zustandekommens eines internationalen Abkommens einzuschränken, sollte geprüft werden, besonders im Lichte der negativen Auswirkungen auf den sich entwickelnden internationalen Kapitalmarkt für die Finanzierung solcher Programme.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Weltbank, State and Trends of the Carbon Market, Mai 2007.

(2)  Von 1 974 Millionen Tonnen CO2 auf 1 720 Millionen Tonnen.

(3)  Siehe Stellungnahme des EWSA (veröffentlicht im ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 47).

(4)  Stern-Bericht 2006.

(5)  Die Mauna-Loa-Warte auf Hawaii gibt an, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bereits 387 ppm erreicht hat, die höchste Konzentration der vergangenen 650 000 Jahre.

(6)  Vattenfall/McKinsey, The Climate Map

http://www.vattenfall.com/www/ccc/ccc/Gemeinsame_Inhalte/DOCUMENT/567263vattenfall/P0271636.pdf.

(7)  In Übereinstimmung mit der früheren Empfehlung des Ausschusses (siehe ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 47).

(8)  IMO-Bericht, Februar 2008.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/71


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen mit Blick auf die Erfüllung der Verpflichtungen der Gemeinschaft zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020“

KOM(2008) 17 endg. — 2008/0014 (COD)

(2009/C 27/16)

Der Rat beschloss am 11. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen mit Blick auf die Erfüllung der Verpflichtungen der Gemeinschaft zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 4. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr MORKIS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 116 gegen 2 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Bemerkungen und Empfehlungen des EWSA

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, den Mitgliedstaaten eine Verteilung der Lasten bei der Bekämpfung des Klimawandels vorzuschlagen, wenn es um die Erfüllung der gemeinschaftlichen Verpflichtung geht, von 2013 bis 2020 die Treibhausgasemissionen aus nicht unter die Richtlinie 2003/87/EG (nicht unter das EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS)) fallenden Quellen zu reduzieren.

1.2

Der Ausschuss erkennt die führende Rolle der EU bei den internationalen Verhandlungen zu den Umwelt- und Klimaschutzverpflichtungen an und befürwortet diese. Durch die Verpflichtungen, die sie eingegangen ist, geht die EU mit gutem Beispiel voran und versucht, andere Länder anspornen und zu vergleichbaren Maßnahmen bewegen.

1.3

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Entscheidung und der Erfüllung der von den Ländern eingegangenen Verpflichtungen eine sehr wichtige Rolle zukommt. Die Mitgliedstaaten sollten gesellschaftliche Initiativen, die zur Verringerung der Treibhausgasemissionen beitragen, mehr fördern und Konzepte zur Unterstützung solcher Initiativen schaffen:

Die Zivilgesellschaft könnte generell eine wichtige Rolle bei der Durchführung der Entscheidung spielen. Deshalb müssen die Anforderungen der Entscheidung und die Mittel für deren Durchführung in jedem Mitgliedstaat besser bekannt gemacht werden.

Außerdem ist größeres Gewicht auf Aufklärungskampagnen zu legen, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und ihr Verständnis der Notwendigkeit zu fördern, dass Anstrengungen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen unternommen werden müssen.

Darüber hinaus ist die Ausbildung von Fachleuten und die allgemeine Aufklärung der Öffentlichkeit im Bereich Energiesparen, Umweltschutz und Klimawandel dringend erforderlich.

1.4

Der Ausschuss vertritt die Meinung, dass Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen so durchgeführt werden sollten, dass sie langfristig die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas sichern und sogar steigern. Die Entwicklung erneuerbarer Energieträger sowie energieeffizienter Produkte und Produktionsverfahren wird weltweit immer mehr gefragt sein, und Europa erwachsen Wettbewerbsvorteile aus seiner weltweit führenden Stellung in vielen dieser Bereiche. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen die diesbezügliche Forschung und Entwicklung unterstützen.

1.5

In Artikel 3 Absatz 3 des Entscheidungsentwurfs ist vorgesehen, dass Mitgliedstaaten vom nachfolgenden Jahr eine Menge an Treibhausgasemissionen vorweg in Anspruch nehmen können, die 2 % ihrer Obergrenze entspricht, oder bei Nichtausschöpfung der in Absatz 2 des Entscheidungsentwurfs festgelegten Menge diese für das nachfolgende Jahr anrechnen lassen dürfen. Die Anrechnungsmöglichkeit von 1 Jahr bietet keine ausreichende Flexibilität, wenn große Projekte umgesetzt und gute Ergebnisse erzielt werden sollen. Dies ist besonders für kleine Mitgliedstaaten von Bedeutung, die umfangreiche Projekte zur THG-Verringerung umsetzen.

Die Kommission schlägt vor, dass jeder Mitgliedstaat einen Plan zum Erreichen seiner nationalen Ziele erarbeiten sollte. Die durchschnittlichen jährlichen THG-Emissionen im Zeitraum 2013-2020 sollten aber nicht den Durchschnitt der Jahresemissionen von 2005 bis 2020 überschreiten. Nach Ansicht des Ausschusses wird es wichtig sein, dass die Umsetzung dieser Pläne regelmäßig auf nationaler und europäischer Ebene überwacht wird, damit Abweichungen sofort erkannt und Korrekturmaßnahmen ergriffen werden können.

1.6

Zur Steigerung der allgemeinen wirtschaftlichen Effizienz bei der Umsetzung der gemeinschaftlichen Gesamtverpflichtung und in der Absicht, die gemeinsamen Ziele mit dem geringsten Kostenaufwand zu erreichen, sollte nach Ansicht des Ausschusses in der Entscheidung vorgesehen werden, dass jeder Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, auf der Grundlage bilateraler zwischenstaatlicher Vereinbarungen einen Teil seiner THG-Emissionsrechte auf einen anderen Mitgliedstaat zu übertragen.

1.7

Der Ausschuss ist der Meinung, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen gerichteten Maßnahmen innerhalb der EU und der Solidarität bei der Einleitung von Maßnahmen zur Emissionsreduktion in Entwicklungsländern gefunden werden muss, indem in den Projekten zur gemeinsamen Umsetzung des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung flexible Instrumente eingesetzt werden. Auf flexible Instrumente sollte aber nur zurückgegriffen werden, wenn sie die weltweiten Treibhausemissionen tatsächlich reduzieren und nicht etwa zur Verlagerung von THG-Emissionen aus EU-Ländern in Drittstaaten (Leakage-Effekt) führen.

1.8

Der Ausschuss stimmt den eingegangenen Verpflichtungen und der Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten zu und vertritt die Ansicht, dass die Öffentlichkeit besser über die Prinzipien der Lastenverteilung unterrichtet werden muss. Bei der Lastenverteilung müssen für jedes Land gesondert die Gegebenheiten und der mit der Emissionsreduktion verbundene Kostenaufwand sowie die Auswirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklung des Landes bewertet werden. Die Entscheidung zur Lastenverteilung sollte im Verhältnis zum BIP eines jeden Landes gleiche relative Kosten der Emissionsreduktion festlegen.

1.9

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, ein Compliance-System einzurichten, in dessen Rahmen z.B. Geldbußen gegen Mitgliedstaaten bei Überschreiten der festgelegten Emissionsmengen vorgesehen werden.

2.   Einführung: Das Kommissionsdokument

2.1

Die Europäische Kommission präsentierte am 23. Januar 2008 ein Vorschlagspaket zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Förderung der erneuerbaren Energien.

2.2

Der Vorschlag der Kommission soll der Umsetzung der auf der Tagung des Europäischen Rates am 8./9. März 2007 erzielten Übereinkunft dienen, mit der die Europäische Union die Verpflichtung eingeht, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 % gegenüber 1990 zu reduzieren und außerdem bis 2020 20 % ihrer Energie aus erneuerbaren Energieträgern zu gewinnen.

2.3

Die Gesamtanstrengungen der Reduktion der Treibhausgasemissionen werden auf die unter das EU-Emissionshandelssystem fallenden und die nicht darunter fallenden Sektoren aufgeteilt. Die Kommission schlägt folgenden Ansatz vor: eine Reduzierung der Emissionen in den EU-EHS-Sektoren bis 2020 um 21 % im Vergleich zu 2005; eine Reduzierung um rund 10 % im Vergleich zu 2005 in den Sektoren, die nicht im EU-EHS erfasst sind. Zusammen genommen werden diese Reduktionen zu einer Verringerung um 14 % gegenüber 2005 führen, was einer Verringerung um 20 % gegenüber dem Stand von 1990 entspricht.

2.4

Der Rat stellte noch ehrgeizigere Ziele in Aussicht, sofern ein globales und umfassendes Übereinkommen für die Zeit nach 2012 unterzeichnet wird und sich andere Industrieländer zu vergleichbaren Emissionsreduktionen und die wirtschaftlich weiter fortgeschrittenen Entwicklungsländer zu einem ihren jeweiligen Verantwortlichkeiten und Möglichkeiten angemessenen Beitrag verpflichten. Unter diesen Voraussetzungen müsste die Gemeinschaft anstreben, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 30 % zu reduzieren.

2.5

In dem Vorschlag für eine Entscheidung wird nun festgelegt, welchen Beitrag die Mitgliedstaaten leisten müssen, damit die Gemeinschaft ihre Verpflichtung erfüllen kann, die THG-Emissionen aus nicht unter die Richtlinie 2003/87/EG (nicht unter das EU-Emissionshandelssystem) fallenden Quellen von 2013 bis 2020 zu verringern.

2.6

Der Vorschlag für eine Entscheidung enthält die Regeln, nach denen festgelegt wird, welchen Beitrag die Mitgliedstaaten zur Erfüllung der Verpflichtung der Gemeinschaft, die Treibhausgasemissionen von 2013 bis 2020 zu verringern, leisten müssen.

2.7

Die Kommission vertritt zudem die Ansicht, dass bei den Anstrengungen zur Reduktion der THG-Emissionen die Lasten unter den Mitgliedstaaten verteilt und dabei die wirtschaftlichen Unterschiede und das Pro-Kopf-BIP des jeweiligen Mitgliedstaats berücksichtigt werden sollten. Deshalb sollten Mitgliedstaaten, die derzeit ein relativ niedriges Pro-Kopf-BIP erwirtschaften und künftig mit einem hohen BIP-Wachstum rechnen können, im Jahr 2020 mehr Treibhausgase emittieren dürfen als 2005.

2.8

Unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Differenzierung empfiehlt die Kommission die Festlegung bestimmter Obergrenzen für die einzelnen Länder, wobei von keinem Mitgliedstaat verlangt werden sollte, dass er seine Treibhausgase bis 2020 um mehr als 20 % gegenüber 2005 senkt, und keinem Mitgliedstaat gestattet werden sollte, seine Treibhausgasemissionen bis 2020 um mehr als 20 % gegenüber 2005 ansteigen zu lassen.

2.9

Die Kommission sieht vor, dass jeder Mitgliedstaat bis 2020 seine Treibhausgasemissionen aus nicht unter die Richtlinie 2003/87/EG fallenden Quellen gegenüber seinen Emissionen im Jahr 2005 um den Prozentsatz, der im Anhang dieser Entscheidung für den jeweiligen Mitgliedstaat festgesetzt ist, begrenzt.

2.10

Nach Auffassung der Kommission müssen die Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2013-2020 jedes Jahr reduziert werden. Es ist aber auch eine gewisse Flexibilität vorgesehen: Jedem Mitgliedstaat ist gestattet, vom nachfolgenden Jahr eine Menge vorweg in Anspruch zu nehmen, die 2 % seiner Obergrenze für Treibhausgasemissionen entspricht. Außerdem darf ein Mitgliedstaat, dessen Emissionen niedriger sind als die Obergrenze, die über das verlangte Maß hinausgehenden Emissionsreduktionen für das nachfolgende Jahr anrechnen lassen.

2.11

Jeder Mitgliedstaat soll diese Treibhausgasemissionen jedes Jahr linear begrenzen, um sicherzustellen, dass diese Emissionen 2020 nicht die für ihn im Anhang der Entscheidung festgelegte Obergrenze überschreiten.

2.12

Um den Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen mehr Flexibilität zu gewähren sowie die nachhaltige Entwicklung in Drittländern (besonders in Entwicklungsländern) zu fördern und Investoren Sicherheit zu bieten, schlägt die Kommission die Möglichkeit vor, dass die Mitgliedstaaten auch weiterhin CDM-Gutschriften verwenden können, damit es auch nach 2012 einen Markt für diese Gutschriften gibt.

2.13

Damit gewährleistet ist, dass es einen solchen Markt gibt und dass die THG-Emissionen in der EU weiter verringert und die Ziele der Gemeinschaft in den Bereichen erneuerbare Energieträger, Energiesicherheit, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit verwirklicht werden, wird vorgeschlagen, den Anteil, bis zu dem die Mitgliedstaaten pro Jahr Gutschriften aus THG-Reduktionsprojekten in Drittländern verwenden dürfen, bis zum Abschluss eines internationalen Klimaschutzübereinkommens auf 3 % der Emissionen jedes Mitgliedstaats aus nicht unter das Emissionshandelssystem fallenden Quellen im Jahr 2005 zu begrenzen. Diese Höchstmenge entspricht ungefähr einem Drittel der Reduktionsanstrengungen eines Mitgliedstaats im Jahr 2020. Jeder Mitgliedstaat sollte die Möglichkeit haben, den Teil dieser Menge, den er nicht ausgeschöpft hat, auf einen anderen Mitgliedstaat zu übertragen.

2.14

Die Kommission ist der Auffassung, dass nach Abschluss eines internationalen Klimaschutzübereinkommens die Mitgliedstaaten nur durch ein gemeinsames Konzept geregelte Reduktionsgutschriften aus Ländern annehmen sollten, die das Übereinkommen ratifiziert haben.

2.15

Außerdem ist die Kommission der Ansicht, dass nach Abschluss eines internationalen Klimaschutzübereinkommens durch die Gemeinschaft die Emissionsobergrenzen der Mitgliedstaaten entsprechend der in dem Übereinkommen enthaltenen neuen Verpflichtungen der Gemeinschaft zur Verringerung der THG-Emissionen angepasst werden sollten.

2.16

Es ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten in den Jahresberichten gemäß Artikel 3 der Entscheidung Nr. 280/2004/EG ihre jährlichen Emissionen, die sich aus der Anwendung von Artikel 3 ergeben, melden und über die Verwendung von Gutschriften gemäß Artikel 4 berichten. Außerdem sollen die Mitgliedstaaten den neuesten Stand ihrer voraussichtlichen Fortschritte bis spätestens 1. Juli 2016 übermitteln.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Die Initiative der Europäischen Kommission, den Mitgliedstaaten eine Verteilung der Lasten bei der Bekämpfung des Klimawandels vorzuschlagen, wenn es um die Erfüllung der gemeinschaftlichen Verpflichtung geht, von 2013 bis 2020 die Treibhausgasemissionen aus nicht unter die Richtlinie 2003/87/EG (nicht unter das EU-Emissionshandelssystem) fallenden Quellen zu reduzieren, ist ein wichtiges Bindeglied in einer Kette von Entscheidungen bezüglich der Bekämpfung des Klimawandels.

3.2

Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass diese Entscheidung zur Bewältigung der gemeinschaftlichen Aufgaben im Bereich Umweltschutz und Klimawandel beitragen wird. Die Gemeinschaftspolitik in diesem Bereich muss eine deutliche Verringerung der Treibhausgasemissionen gewährleisten, indem an die Mitgliedstaaten verbindliche Anforderungen gestellt werden, deren Erfüllung streng kontrolliert wird.

3.3

Gleichzeitig möchte der Ausschuss darauf aufmerksam machen, dass die Wirksamkeit der Entscheidung bezüglich der Lastenverteilung bei der Reduktion der Treibhausgasemissionen wesentlich von den beiden anderen Teilen des Energie- und Klimawandel-Pakets abhängt, d.h. der Richtlinie über erneuerbare Energieträger sowie der EU-EHS-Richtlinie. Dies bedeutet, dass diese unmittelbar synergetisch zusammenwirken müssen; Änderungen eines Teils werden Auswirkungen auf die jeweils anderen Teile haben.

3.4

Sofern ein internationales Übereinkommen erzielt wird, sollen die Verpflichtungen der Gemeinschaft angepasst werden. Große Hoffnungen werden in die Verhandlungen gesetzt, die im Dezember 2007 auf Bali (Indonesien) begonnen haben, und die für weltweite Maßnahmen bis 2020 von entscheidender Bedeutung sein können. Es wäre sehr hilfreich, wenn diese Verhandlungen zu einem Abschluss gebracht würden und 2009 während des Klimagipfels in Kopenhagen ein Klimaschutzübereinkommen erzielt würde. Davor wird noch ein Klimagipfel in Poznan in Polen stattfinden, von dem man sich einen Vorstoß erwartet.

3.5

Es ist zu begrüßen, dass die EU bei diesen Verhandlungen die führende Rolle spielt. Durch die Verpflichtungen, die sie eingegangen ist, geht die EU mit gutem Beispiel voran und versucht, andere Länder anzuspornen und zu vergleichbaren Maßnahmen zu bewegen. Verständlicherweise werden Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien die Emissionen nicht verringern, sie können aber deren Anstieg im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum reduzieren. Der EWSA bestärkt die Kommission, alle Anstrengungen für den Abschluss eines internationalen Übereinkommens (Post-Kyoto-Abkommens) zu unternehmen, mit dem sich die Industrieländer zu einer 30 %igen Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber dem Stand von 1990 verpflichten. Dies wäre im Einklang mit dem 4. Sachstandsbericht des Weltklimarats, demzufolge eine 25-40 %ige Emissionsreduktion bis 2020 gegenüber 1990 erforderlich ist, um die globale Erwärmung auf höchstens 2oC über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Wenn dieses internationale Übereinkommen erzielt werden kann, so wird es natürlich erforderlich sein, diesen und die anderen Vorschläge des Energie- und Klimawandel-Pakets der Kommission im Hinblick auf das ehrgeizigere Ziel zu überarbeiten. Deshalb sollten alle Betroffenen vorausschauend davon ausgehen, dass die im Moment für das Jahr 2020 vorgeschlagenen Ziele nur der erste Schritt sind und zu gegebener Zeit strengere Zielsetzungen erforderlich sein werden, möglicherweise schon 2020, sicher aber in den darauffolgenden Jahren.

3.6

Der Ausschuss vertritt die Meinung, dass Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen so durchgeführt werden sollten, dass sie langfristig die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas sichern und sogar steigern. Die Entwicklung erneuerbarer Energieträger sowie energieeffizienter Produkte und Produktionsverfahren wird weltweit immer mehr gefragt sein, und Europa erwachsen Wettbewerbsvorteile aus seiner weltweit führenden Stellung in vielen dieser Bereiche. Die EU und die Mitgliedstaaten müssen die diesbezügliche Forschung und Entwicklung unterstützen, ansonsten wird es schwierig, die Ziele zu erreichen. Außerdem ist die Ausbildung von Fachleuten und die allgemeine Aufklärung der Öffentlichkeit im Bereich Energiesparen, Umweltschutz und Klimawandel dringend erforderlich.

3.7

Der Zivilgesellschaft kommt bei der Umsetzung der Entscheidung und der Erfüllung der von den Ländern eingegangenen Verpflichtungen eine sehr wichtige Rolle zu. Die Mitgliedstaaten sollten gesellschaftliche Initiativen, die zur Verringerung der Treibhausgasemissionen beitragen, mehr fördern und Konzepte zur Unterstützung solcher Initiativen schaffen:

Die Zivilgesellschaft könnte generell eine wichtige Rolle bei der Durchführung der Entscheidung spielen. Deshalb müssen die Anforderungen der Entscheidung und die Mittel für deren Durchführung in jedem Mitgliedstaat besser bekannt gemacht werden.

Außerdem ist größeres Gewicht auf Aufklärungskampagnen zu legen, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und ihr Verständnis der Notwendigkeit zu fördern, dass Anstrengungen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen unternommen werden müssen.

Darüber hinaus ist die Ausbildung von Fachleuten und die allgemeine Aufklärung der Öffentlichkeit im Bereich Energiesparen, Umweltschutz und Klimawandel dringend erforderlich.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss ist der Meinung, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen gerichteten Maßnahmen innerhalb der EU und der Solidarität bei der Einleitung von Maßnahmen zur Emissionsreduktion in Entwicklungsländern gefunden werden muss, indem in den Projekten zur gemeinsamen Umsetzung des Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung flexible Instrumente eingesetzt werden. Auf flexible Instrumente sollte aber nur zurückgegriffen werden, wenn sie die weltweiten Treibhausemissionen tatsächlich reduzieren, und nicht etwa zur Verlagerung THG-Emissionen aus EU-Ländern in Drittstaaten (Leakage-Effekt) führen.

4.2

Die Kommission schlägt die Möglichkeit vor, dass die Mitgliedstaaten auch weiterhin CDM-Gutschriften verwenden können, damit es auch nach 2012 einen Markt für diese Gutschriften gibt. Der Ausschuss hat Bedenken hinsichtlich der Qualität der zertifizierten Emissionsreduktionen (CER), die im Rahmen der CDM-Gutschriften ausgegeben werden, und schlägt Folgendes vor: Wenn die investierenden Staaten (im Rahmen von Projekten, die vor 2013 beginnen) weiterhin CER einsetzen können sollen, sollten die erstellten Referenzfälle überprüft und verifiziert werden, um festzustellen, ob ein Projekt noch als zusätzlich gelten kann. Bei neuen CDM-Projekten, die als Beitrag der Mitgliedstaaten zur Lastenverteilung bei der Reduzierung der Treibhausgasemissionen geplant sind, sollten nur diejenigen Projekte berücksichtigt werden, die sich auf die besten verfügbaren Techniken (BAT) stützen.

4.3

Die Kommission verweist lediglich auf das allgemeine Prinzip, dass Länder mit hohem Pro-Kopf-BIP strengere Reduktionsverpflichtungen und Länder mit niedrigem Pro-Kopf-BIP weniger strenge Reduktionsverpflichtungen eingehen sollen, allerdings ist es durchaus möglich, dass verschiedene Länder, selbst wenn sie ein gleiches relatives Pro-Kopf-BIP erwirtschaften, für das Erreichen gleicher Ergebnisse bei der Emissionsverringerung unterschiedliche Bemühungen aufbringen müssen. Bei der Lastenverteilung müssen für jedes Land gesondert die Gegebenheiten und der mit der Emissionsreduktion verbundene Kostenaufwand sowie die Auswirkung auf die Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklung des Landes bewertet werden. Die Entscheidung zur Lastenverteilung sollte im Verhältnis zum BIP eines jeden Landes gleiche relative Kosten der Emissionsreduktion festlegen.

4.4

Der Ausschuss verweist auf einen deutlichen Widerspruch im Wortlaut der Entscheidung. Die Kommission schlägt 2005 als Referenzjahr für die Bewertung der Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen vor, und das Jahr 2020 gilt als Ende des Zeitraums. In Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 heißt es, dass jeder Mitgliedstaat diese Treibhausgasemissionen jedes Jahr linear begrenzt. Gleichzeitig ist in Unterabsatz 1 desselben Absatzes vorgesehen, dass jeder Mitgliedstaat dafür sorgt, dass seine gesamten Treibhausgasemissionen im Jahr 2013 aus nicht unter die Richtlinie 2003/87/EG fallenden Quellen den Durchschnitt seiner gemäß dieser Richtlinie und der Entscheidung Nr. 280/2004/EG gemeldeten und überprüften Treibhausgasemissionen aus solchen Quellen in den Jahren 2008, 2009 und 2010 nicht überschreiten. Demnach dienen zur Bewertung der Situation im Jahr 2013 die Jahre 2008, 2009 und 2010 als Referenzjahre.

4.5

In Artikel 3 Absatz 3 des Entscheidungsentwurfs ist vorgesehen, dass Mitgliedstaaten vom nachfolgenden Jahr eine Menge vorweg in Anspruch nehmen können, die 2 % ihrer Obergrenze für Treibhausgasemissionen entspricht, oder bei Nichtausschöpfung der in Absatz 2 des Entscheidungsentwurfs festgelegten Menge diese für das nachfolgende Jahr anrechnen lassen dürfen. Die Anrechnungsmöglichkeit von 1 Jahr bietet keine ausreichende Flexibilität, wenn große Projekte umgesetzt und gute Ergebnisse erzielt werden sollen. Dies ist besonders für kleine Mitgliedstaaten von Bedeutung, die umfangreiche Projekte zur THG-Verringerung umsetzen.

Die Kommission schlägt vor, dass jeder Mitgliedstaat einen Plan zum Erreichen seiner nationalen Ziele erarbeiten sollte. Die durchschnittlichen jährlichen THG-Emissionen im Zeitraum 2013-2020 sollten aber nicht den Durchschnitt der Jahresemissionen von 2005 bis 2020 überschreiten. Nach Ansicht des Ausschusses wird es wichtig sein, dass die Umsetzung dieser Pläne regelmäßig auf nationaler und europäischer Ebene überwacht wird, damit Abweichungen sofort erkannt und Korrekturmaßnahmen ergriffen werden können.

4.6

Zur Steigerung der allgemeinen wirtschaftlichen Effizienz bei der Umsetzung der gemeinschaftlichen Gesamtverpflichtung und in der Absicht, die gemeinsamen Ziele mit dem geringsten Kostenaufwand zu erreichen, sollte nach Ansicht des Ausschusses in der Entscheidung vorgesehen werden, dass jeder Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, auf der Grundlage bilateraler zwischenstaatlicher Vereinbarungen einen Teil seiner THG-Emissionsrechte auf einen anderen Mitgliedstaat zu übertragen.

4.7

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, ein Compliance-System einzurichten, in dessen Rahmen z.B. Geldbußen gegen Mitgliedstaaten bei Überschreiten der festgelegten Emissionsmengen vorgesehen werden.

4.8

Auch ist die Bestimmung in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c) bezüglich der ausgewogenen geografischen Verteilung von Projekten nicht konkret genug, was die Anwendung von Maßnahmen für den Erwerb der Gutschriften anbelangt

4.9

Zur Durchführung der Entscheidung sollte die Kommission den Mitgliedstaaten Handlungsleitlinien, Instrumente und andere Mittel an die Hand geben. Ein erster angemessener Schritt wäre die Herausgabe eines Leitfadens mit Erfolgsbeispielen aus der EU.

4.10

Zur Erreichung des Ziels der Entscheidung empfiehlt der Ausschuss, dass die Mitgliedstaaten die Struktur- und Kohäsionsfonds für Projekte nutzen, in deren Rahmen keine Treibhausgase erzeugt oder sogar die Treibhausgasemissionen verringert werden.

4.11

Da in dem nächsten Zuteilungszeitraum 2013 bis 2020 für unter das EHS fallende Anlagen eine Versteigerung der Emissionshandelszertifikate vorgesehen ist, werden auf diese Art Mittel gewonnen, die für die Reduktion von Treibhausgasemissionen in nicht unter das EU-Emissionshandelssystem fallenden Sektoren benötigt werden. Ein Teil der Einnahmen sollte direkt den Branchen zugute kommen, die Anstrengungen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen unternehmen. Der Rest sollte in einen Solidaritätsfonds für Entwicklungsländer fließen und Projekten zur Anpassung an den Klimawandel in diesen Ländern vorbehalten werden.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/75


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die geologische Speicherung von Kohlendioxid und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/60/EG, 2001/80/EG, 2004/35/EG, 2006/12/EG und der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006“

KOM(2008) 18 endg. — 2008/0015 (COD)

(2009/C 27/17)

Der Rat beschloss am 8. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die geologische Speicherung von Kohlendioxid und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates sowie der Richtlinien 2000/60/EG, 2001/80/EG, 2004/35/EG, 2006/12/EG und der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 4. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr WOLF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 138 Ja-Stimmen gegen 1 Nein-Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Inhalt:

1.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

2.

Einleitung

3.

Vorschlag der Kommission

4.

Allgemeine Bemerkungen

5.

Besondere Bemerkungen

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1

Die Abscheidung und langfristige Speicherung des bei der Nutzung (Verbrennung) fossiler Energieträger entstehenden Kohlendioxids (CO2) — CCS — wäre ein sehr wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz. Daher sind eine beschleunigte Entwicklung dieses Verfahrens und sein möglichst frühzeitiger Einsatz anzustreben.

1.2

Die von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie wird vom Ausschuss als notwendige Voraussetzung für Entwicklung und Anwendung von CCS begrüßt und inhaltlich weitgehend unterstützt.

1.3

In der Richtlinie werden die wesentlichen Gesichtspunkte angesprochen und dazu Regelungen vorgeschlagen. Dies betrifft insbesondere die Fragen der Sicherheit für Mensch und Umwelt, sowie die damit verbundenen Verantwortlichkeiten. Dadurch unterstützt die Richtlinie auch die Akzeptanz seitens der Bürger und trägt ihrem Sicherheitsbedürfnis Rechnung.

1.4

Die Entwicklung der gesamten Wertschöpfungskette von CCS, mit Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2, steckt in einer frühen, teilweise noch exploratorischen Phase. Dem müssen die Regelungen der Richtlinie Rechnung tragen und sind daher an einigen Punkten noch anzupassen.

1.5

Auch um eine zügige Umsetzung erster Projekte zu ermöglichen, sollten einige Punkte der Richtlinie so modifiziert werden, dass sie sowohl für die jeweiligen nationalen Behörden als auch für die investitionsbereiten Unternehmen besser handhabbar sind und letzteren Planungssicherheit sowie Anreize zum Handeln bieten. Dies betrifft z.B. die Klärung von Haftungsfragen sowie Art und Umfang finanzieller Sicherheitsleistungen.

2.   Einleitung

2.1

Als Folge der den Klimaschutz und die Energie-Versorgungssicherheit betreffenden Ratsbeschlüsse vom März 2007 hat die Kommission — in Form separater Dokumente — ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen, um die in den Ratsbeschlüssen formulierten Ziele zu erreichen. Der Schwerpunkt der Maßnahmen betrifft Energieeffizienz, den Ausbau erneuerbarer Energieträger sowie die Entwicklung und Anwendung dementsprechender innovativer Technologien. Hierzu hat der Ausschuss jeweils spezifische Stellungnahmen erarbeitet (1).

2.2

In diesem Rahmen spielen auch jene Verfahren eine wichtige Rolle, mit denen die Emission von Treibhausgasen, die bei der Nutzung fossiler Energieträger entstehen, nachhaltig reduziert werden soll. Darum geht es in der vorliegenden Stellungnahme. Sie betrifft den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die geologische Speicherung von Kohlendioxid (CO2).

2.3

Die vorliegende Stellungnahme wird ergänzt durch eine der gleichen Technik gewidmete Stellungnahme des Ausschusses zur Mitteilung der Kommission (2)„Supporting Early Demonstration of Sustainable Power Generation from Fossil Fuels“.

3.   Vorschlag der Kommission

3.1

Ausgehend von (i) der Tatsache, dass die auf internationaler Ebene steigende Nachfrage nach Energieträgern voraussichtlich überwiegend aus fossilen Kraftstoffen gedeckt werden wird, und (ii) von dem Ziel, bis zum Jahr 2050 die CO2-Emissionen weltweit um 50 % und in den Industriestaaten um 60 bis 80 % zu verringern, hält es die Kommission für erforderlich, dass sämtliche Möglichkeiten der Emissionsminderung ausgeschöpft werden. Dabei kommt der Abscheidung und Speicherung von CO2 — abgekürzt CCS (3) — eine maßgebliche Bedeutung zu.

3.2

Der Aufforderung des Europäischen Rats vom März 2007 folgend, ist der vorgelegte Vorschlag der Kommission ein Element in Richtung des Ziels, den erforderlichen technischen, wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Rahmen zu schaffen, um CCS umweltverträglich zur Einsatzreife zu bringen. Dabei geht es hier vor allem um den ordnungspolitischen Rahmen, und zwar auf der Rechtsgrundlage von Artikel 175 Absatz 1 EG-Vertrag. Mit diesem Vorschlag sollen zudem Rechts- und Verwaltungsvorschriften für EU- oder einzelstaatliche Behörden vereinfacht werden.

3.3

Bereits bestehende Vorschriften, wie die Richtlinien 96/61/EG, 85/337/EWG, 2004/35/EG und 2003/87/EG werden dabei berücksichtigt bzw. angepasst.

3.4

Zum konkreten Inhalt des Kommissionsvorschlags:

3.4.1

Kapitel 1 betrifft Gegenstand, Zweck und Geltungsbereich. Zudem werden Begriffsbestimmungen vorgenommen.

3.4.2

Kapitel 2 befasst sich mit der Auswahl von Speicherstätten und mit Explorationsgenehmigungen. Die Mitgliedstaaten sollen bestimmen, welche Gebiete für die Speicherung zur Verfügung gestellt werden und welche Regeln für die Erteilung von Explorationsgenehmigungen gelten.

3.4.3

In Kapitel 3 geht es um Speichergenehmigungen und deren Bedingungen sowie für die Befugnisse der EU-Kommission dabei. Wichtig ist die Umweltverträglichkeitsprüfung, einschließlich Folgenabschätzung und Anhörung der Öffentlichkeit.

3.4.4

Kapitel 4 befasst sich mit dem Betrieb, der Schließung und den Nachsorgepflichten, einschließlich der Kriterien für die Annahme von CO2, den Überwachungs- und Berichterstattungspflichten, Inspektionen, Maßnahmen im Falle von Unregelmäßigkeiten und/oder Leckagen, der Schließung und den Nachsorgepflichten sowie Bereitstellung finanzieller Sicherheiten.

3.4.5

Kapitel 5 befasst sich mit dem Zugang zu Transport- und Speichernetzen.

3.4.6

Kapitel 6 enthält allgemeine Vorschriften über die zuständige Behörde, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Sanktionen, die Berichterstattung gegenüber der EU-Kommission, Änderungen und die maßgeblichen Ausschussverfahren.

3.4.7

In Kapitel 7 sind die erforderlichen Änderungen anderer Rechtsakte enthalten, einschließlich der notwendigen Anpassungen des Wasser- und des Abfallsrechts. Ebenso werden ergänzende Voraussetzungen für die Genehmigungen neuer Kraftwerke definiert.

3.4.8

In Anhang I sind ausführliche Kriterien für die Standortcharakterisierung und Risikobewertung festgelegt. Anhang II enthält ausführliche Kriterien für die Überwachung. Die EU-Kommission kann die Anhänge ändern, dabei steht dem EU-Parlament ein Mitbestimmungsrecht zu.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss hat mehrfach darauf hingewiesen (4), dass erschwingliche Energie das Lebens-Elixier moderner sozialer Volkswirtschaften und Voraussetzung aller Grundversorgungen ist. Von besonderer Bedeutung ist dabei die verstärkte Entwicklung neuartiger Technologien (5).

4.2

Die hierzu von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie wird daher vom Ausschuss als eine wichtige Voraussetzung für Entwicklung und Anwendung eines diesem Ziel dienenden Verfahrens — CCS — begrüßt und inhaltlich weitgehend unterstützt.

4.3

Der Ausschuss hat diesbezüglich darauf hingewiesen (6), dass die fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas gegenwärtig das Rückgrat (7) sowohl der europäischen als auch der globalen Energieversorgung bilden und ihre Bedeutung womöglich auch in den nächsten Jahrzehnten nicht verlieren werden.

4.4

Dies steht nicht im Widerspruch zum erklärten Ziel, den Anteil erneuerbarer Energieträger drastisch zu steigern. Denn selbst angesichts des in der EU (8) bis 2020 angestrebten Anteils erneuerbarer Energien von mindestens 20 % wird noch über viele Jahrzehnte ein erheblicher Bedarf nach Energie aus anderen Quellen bestehen, um die restlichen 80 %, bzw. bis 2050 immer noch etwa 50 %, des Verbrauchs sicher zu stellen.

4.5

Unter den erneuerbaren Energieträgern kann für die Stromerzeugung bisher nur Wasserkraft und Biomasse (9) nachfragegesteuert eingesetzt werden, während Wind- und Solarenergie eine eingeschränkte, nämlich wetterabhängige Verfügbarkeit aufweisen. Gleichwohl sind deren Entwicklung und Anwendung mit großer Anstrengung weiter zu treiben, zudem sind dafür adäquate und preisgünstige Speichermöglichkeiten zu entwickeln. Dies ist jedoch Thema separater Stellungnahmen des Ausschusses.

4.6

Daraus folgt, dass für eine sichere Grundlastversorgung — in Ergänzung zur und/oder als Ersatz (10) der Kernenergie — weiterhin fossil gefeuerte Kraftwerke in erheblichem Umfang eingesetzt werden müssen. Zum Ausgleich schwankender Windeinspeisungen wird darüber hinaus ein wachsender Anteil an hinreichend schnell regelbaren Kraftwerken benötigt, um genügend — positive wie negative — Reserveleistung zur Verfügung zu stellen.

4.7

Für die Bereitstellung von Spitzen- und Reserveleistung kommen vor allem Gaskraftwerke und Pumpspeicher-Wasserkraftwerke in Betracht. Das Ausbaupotenzial von Wasserkraftwerken mit Pumpspeicherung ist jedoch begrenzt, weil die dafür geeigneten Landschaftsgegebenheiten bereits weitgehend genutzt werden.

4.8

Für die Grund- und Mittellastversorgung werden neben Kernkraftwerken vor allem Kohlekraftwerke eingesetzt. Soweit Mitgliedstaaten auf den eigenständigen Einsatz von Kernenergie verzichten, hat bei diesen der Einsatz von Kohle für die Stromerzeugung noch zusätzliche Bedeutung.

4.9

Dabei gilt es, auch beim Einsatz von Kohle möglichst wenig CO2 zu emittieren. Dazu werden zwei Entwicklungslinien von unterschiedlicher technischer Reife und unterschiedlichen Auswirkungen verfolgt: einerseits Kraftwerke mit noch weiter gesteigerter Effizienz, andererseits Kraftwerke mit CCS (11), bei denen sogar der weitaus größte Teil des entstandenen CO2 nicht mehr in die Atmosphäre gelangt, dafür aber unvermeidlich ein spürbarer Effizienzverlust in Kauf genommen werden muss, um den zusätzlichen Energiebedarf für CCS zu decken. Darüber hinaus sind auch Verfahren weiter zu entwickeln, um das bei industriellen Produktionsprozessen entstehende CO2 abzuscheiden.

4.10

Die Entwicklung von CCS, mit Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2, steckt noch in einer frühen, teilweise zunächst noch exploratorischen Phase. Demgegenüber geht die Steigerung der Wirkungsgrade konventioneller Kraftwerkstechnik zwar sukzessive voran, doch werden dabei auch allmählich die Grenzen des physikalisch Machbaren erreicht. In Anbetracht des dringenden Ersatzbedarfes an Kraftwerkskapazitäten in der nächsten Dekade empfiehlt der Ausschuss ein pragmatisches Vorgehen, bei dem beide Technologien nebeneinander weiterentwickelt werden. Während die Entwicklung höherer Wirkungsgrade weitgehend marktgetrieben stattfinden kann, benötigen die CCS-Technologien — Kraftwerke ebenso wie Infrastrukturen — in der Demonstrations- und Markteinführungsphase zusätzliche Unterstützung.

4.11

Die CCS-Technologie wird in mehreren Entwicklungspfaden verfolgt: als integrierte Kraftwerkstechnologie, bei der das CO2 — beim Kohlevergasungsverfahren — vor dem Verbrennungsprozess abgeschieden wird, oder beim Oxyfuelverfahren, bei dem das CO2 durch den Prozess angereichert und anschließend abgetrennt wird; oder das als „Post-combustion“-Technologie bekannt Verfahren, bei der das CO2 aus dem Rauchgas nach der Verbrennung ausgewaschen wird (CO2-Wäsche). Letztere Methode ist bei entsprechender Weiterentwicklung geeignet, bereits heute entstehende und hocheffiziente neue Kraftwerke nachzurüsten, sofern diese dementsprechend („Capture Ready“) ausgelegt werden. Diesen Technologiepfaden ist gemeinsam, dass das abgeschiedene CO2 vom Standort des Kraftwerks einem geeigneten Speicherort zugeführt werden muss.

4.12

Die Speicherung des CO2 kann nur in hierfür geeigneten, sicheren geologischen Formationen stattfinden. Hierfür kommen nach gegenwärtigem Stand der Forschung vornehmlich tiefe saline Aquifere und ausgeförderte Öl- und Gaslagerstätten in Frage, während aufgelassene Kohlebergwerke weniger geeignet erscheinen. Wichtig ist, dass zur Vermeidung von Leckagen ein weitgehend ungestörtes Deckgebirge (möglichst wenig Verbindungskanäle zur Oberfläche) vorhanden ist.

4.13

Bei einer nach den vorgeschlagenen Regeln der Richtlinie durchgeführten Auswahl des Speicherstandortes und bei professioneller Durchführung sind die Gefahren, die von der Speicherung ausgehen, als sehr gering einzustufen. So ist bei geeigneter Speicherformation ein plötzlicher „Ausbruch“ großer Mengen von CO2 nahezu unmöglich (12). Ebenso ist eine Gefährdung durch induzierte Erdstöße weitgehend auszuschließen, weil der maximale Einspeicherdruck so zu wählen ist, dass das Speicher- und Deckgebirge nicht bricht (13), da es für die bezweckte Speicherung erhalten werden soll.

4.14

Für die gesellschaftliche und politische Akzeptanz ist die Frage einer sicheren und langfristigen Speicherung von CO2 von entscheidender Bedeutung.

4.15

Der Ausschuss hält es daher für sehr wichtig, dass die Bürger sowohl seitens der Kommission, als insbesondere auch seitens der Mitgliedstaaten und der potentiellen Betreiber vollständig über alle Aspekte dieser neuen Technik informiert und in einem transparenten Dialogprozess in die jeweiligen Entscheidungsfindungen eingebunden werden. Hierfür sollten geeignete Verfahrensschritte entwickelt werden.

4.16

Am Ende dieses Kapitels möchte der Ausschuss noch eine weitere Vorsorge-Maßnahme anregen. Sie betrifft die Möglichkeit eines aufkommenden Bedarfs an CO2 in fernerer Zukunft, sei es für derzeit nicht vorhersehbaren Gebrauch als chemische Grundsubstanz, sei es als Regelgröße im Rahmen der „natürlichen“ Langzeit Klimazyklen (14). Darum empfiehlt der Ausschuss als zusätzliche Vorsorge-Maßnahme für Nachhaltigkeit, die Speicherung von CO2 sicher durchzuführen, aber die Möglichkeit einer zumindest teilweisen Wiedergewinnung im Rahmen des Stilllegungsplanes in Betracht zu ziehen oder eine Dokumentation über potenzielle Wiedergewinnungs-Möglichkeiten aus den spezifischen Speicherkomplexen vorzusehen. Vorrang muss selbstverständlich größtmögliche Sicherheit und Dichtigkeit des Speichers haben.

4.17

Der Ausschuss begrüßt insgesamt den vorgelegten Richtlinien-Vorschlag der Kommission und nimmt zu einigen seiner Einzelheiten im nächsten Kapitel Stellung.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der Richtlinienentwurf enthält die wesentlichen notwendigen Regelungen, um den Betreibern von CCS-Anlagen den erforderlichen Rechtsrahmen bereitzustellen, wobei allerdings an wenigen Stellen über das dafür Notwendige hinausgegangen wird.

5.2

An einigen Punkten besteht allerdings noch Klärungsbedarf, um die Umsetzbarkeit zu ermöglichen und Rechtssicherheit zu gewährleisten.

5.3

Gemäß dem Vorschlag der Kommission soll das abgeschiedene und gespeicherte CO2 im Rahmen des Emissionshandels als „nicht emittiert“ behandelt werden, und dementsprechend müssen hierfür keine CO2-Zertifikate vorgehalten werden (Erwägungsgrund 23 mit Verweis auf die Richtlinie 2003/87/EC). Hieraus ergibt sich ein nützlicher — wenn auch in der Demonstrationsphase noch unzureichender — marktbasierter Anreiz zu Investitionen in CCS-Anlagen.

5.3.1

Darum begrüßt der Ausschuss die vorgeschlagene Einbindung in den Emissionshandel; denn ein marktbasierter Ansatz ist einer CCS-Pflicht eindeutig vorzuziehen, zumal im gegenwärtigen Entwicklungsstadium der CCS-Technologie eine solche CCS-Pflicht deutlich verfrüht wäre.

5.3.2

Richtig ist es hingegen, neue Kraftwerke auf die Vorhaltung von genügend Platz für Anlagen zur Abscheidung und Kompression von CO2 zu verpflichten (Artikel 32, Anpassung von Artikel 9 a) in Direktive 2001/80/EG). Allerdings sollten auch diese grundsätzlich kostensteigernden Maßnahmen mit entsprechenden marktwirtschaftlichen Anreizen (15) (z. B. begünstigten CO2-Zertifikaten, Verwendung eines Teils der Auktionserlöse aus dem ETS-System für CCS) verknüpft werden.

5.4

Um zu vermeiden, dass die Speichermöglichkeiten unnötig eingeschränkt werden, sollte sich das in Artikel 2, Absatz 3 des Kommissionsvorschlags formulierte Verbot nicht auf die „Speicherung in geologischen Formationen“, sondern auf „Speicherstätten“ beziehen. Denn geologische Formationen gemäß Definition in Artikel 3, Absatz 4 können sich leicht über das in Artikel 2, Absatz 1 definierte Gebiet hinaus erstrecken, während die Ausdehnung einer Speicherstätte demgegenüber deutlich geringer ist. Zusätzliche Speicheroptionen würden sich durch eine Öffnungsklausel ergeben, die verlässliche vertragliche Vereinbarungen mit Staaten außerhalb der EU vorsieht.

5.5

Die Definition einer „Speicherstätte“ gemäß Artikel 3 Absatz 3, sollte sich lediglich auf jenen „Teil“ der „besonderen geologischen Formation“ beziehen, „der für die geologische Speicherung von CO2 genutzt wird“. (Eine geologische Formation kann eine Ausdehnung — in Oberflächenprojektion betrachtet — bis zu Millionen km2 haben, als „Speicherstätte“ kann daher nur ein Teil hiervon bezeichnet werden.) Denn es ist durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass es in einer geologischen Formation mehrere Speicherstätten geben kann und wohl auch wird.

5.6

Gemäß Kommissionsvorschlag Artikel 4, Absatz 1 verbleibt das Recht zur Ausweisung von geeigneten Speicherstätten auf nationaler Ebene. Dabei sollte klargestellt werden, dass die für die Speicherung von CO2 grundsätzlich geeigneten Gebiete auch tatsächlich von den Mitgliedstaaten ausgewiesen werden, sofern dem nicht wichtige Gründe entgegenstehen.

5.7

Der Ausschuss begrüßt, dass im vorgeschlagenen Regelwerk ein Höchstmaß an Sicherheit gefordert wird. Dies ist sowohl für den für den Schutz von Mensch, Umwelt und Klima (16) erforderlich, als auch um die Integrität des Emissionshandels sicher zu stellen.

5.7.1

Der Einsatz geeigneter, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechender Überwachungssysteme muss dies gewährleisten. Dies ist bei Erteilung der entsprechenden Genehmigungen seitens der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen (17).

5.7.2

Die Überwachungssysteme erfordern und müssen auch sicherstellen, dass die Vorgänge im Speicher selbst bestmöglich verstanden und modelliert werden. (Messungen an oder nahe der Erdoberfläche allein sind dazu nicht hinreichend aussagefähig.) Darum sollten die verwendeten Modelle möglichst mit zwei unabhängigen Simulations- bzw. Modellierungs-Systemen erfasst bzw. zertifiziert werden.

5.7.3

Als Definition von Leckage sollte festgelegt werden: „Austritt von CO2 aus dem Speicherkomplex, der durch Überwachungs-Systeme nach dem jeweils besten Stand der Technik belegbar ist“. Denn weder gibt es eine absolute (also 100 %ige) Dichtigkeit, noch wäre sie wegen der natürlichen CO2-Freisetzung des Bodens nachzuweisen. Zudem ist sie weder aus sicherheitstechnischen Gründen noch wegen des Klimaschutzes (18) erforderlich. Diese Definition mit einer Orientierung am jeweils besten Stand der Technik hätte zur Folge, dass der Stand der Überwachungs-Systeme — auch durch die Entwicklung von CCS weiter vorangetrieben — stetig verfeinert wird und so dynamisch zu weiter wachsender Sicherheit beiträgt.

5.7.4

Sofern bei späterem Routinebetrieb beabsichtigt werden sollte, zulässige Leckage-Grenzwerte zu definieren, könnte jene Maßzahl gewählt werden, bei der keinerlei sicherheits- und auch klimarelevanten Effekte auftreten und somit auch keine Auswirkung auf Emissionszertifikate gegeben wäre, also z.B. eine Leckage von 0,1 %/100a.

5.8

Die von der Kommission in Artikel 5, Absatz 3 vorgeschlagene Dauer von Explorationsgenehmigungen ist zu kurz bemessen. Erfahrungen zeigen, dass selbst bei optimalem Verlauf mindestens vier Jahre benötigt werden, um das Arbeitsprogramm der Exploration umzusetzen. Keinesfalls darf es geschehen, dass eine Exploration nur deswegen abgebrochen werden muss, weil die vorgeschriebene Frist einschließlich Verlängerung abgelaufen ist, selbst wenn nur noch wenige Daten fehlen. Daher sollte hierfür eine flexible Regelung vorgesehen werden, welche die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt, aber zugleich vom Betreiber ein zielgerichtetes Vorgehen beim Explorationsprogramm fordert, um eine Blockade von potenziellen Speicherstätten durch verzögerte Explorationen zu verhindern.

5.9

Die Exploration einer potenziellen Speicherstätte erfordert Know-how, qualifiziertes Personal, Zeit und Geld, während der Erfolg keineswegs gewiss ist. Daher würde ein entscheidender Anreiz zur Exploration wegfallen, wenn dieses Engagement für Unternehmen nicht mit einem Vorgriff bei der Speichernutzung verbunden wäre. Die von der Kommission in Artikel 5, Absatz 4 vorgeschlagenen Regelung sollte daher durch ein erstes Zugriffsrecht auf den Speicher ergänzt werden, z.B. mit einem Satz (wie er sich bereits in Diskussion befand): „Nach Ablauf des Gültigkeitszeitraums wird die Explorationsgenehmigung entweder in eine Speichergenehmigung umgewandelt oder aber sie verfällt für den gesamten Speicherkomplex.“

5.10

Es ist richtig, dass ein Korrekturmaßnahmenplan zu erstellen ist. Allerdings sollte dieser Korrekturmaßnahmenplan (Artikel 9, Absatz 6 und Artikel 16, Absatz 1) entsprechend der zu ändernden Definition von Leckage (unter Artikel 3, Absatz 5) greifen.

5.11

Die von der Kommission vorgeschlagenen Artikel 6 bis 9 regeln den Antrag auf Speichergenehmigungen sowie die Voraussetzungen und den Inhalt von Speichergenehmigungen. Daraus wird deutlich, dass in einer geologischen Formation mehrere Betreiber tätig sein können.

5.11.1

Das Prinzip eines diskriminierungsfreien Zugangs wird vom Ausschuss grundsätzlich begrüßt. Hinsichtlich Haftung bei Leckagen und Verantwortungsübergang auf den Staat können sich jedoch schwierige Abgrenzungsfragen ergeben.

5.11.2

Aus diesem Grund sollte die Regel gelten, dass in einem Speicherkomplex nur ein Speicherbetreiber eine Genehmigung erhalten kann. Damit wäre eine klare Verantwortungszuordnung sichergestellt. Ein diskriminierungsfreier Zugang zum Speicher wäre gleichwohl durch Artikel 20 gewährleistet.

5.12

Gemäß dem Vorschlag der Kommission hat eine nationale Behörde vor abschließender Erteilung ihrer Genehmigung (Artikel 10 und Artikel 18) die Kommission zu unterrichten und dann deren Stellungnahme bis zu sechs lang Monate abzuwarten. Diese Stellungsnahme der Kommission sei dann bei der Genehmigung zu berücksichtigen oder ggf. bei Abweichung hiervon der Kommission gegenüber zu begründen.

5.12.1

Die vorgeschlagene Regelung würde zu zeitlichen Verzögerungen und zu erhöhtem administrativen Aufwand führen. Zudem entspricht sie nicht dem Subsidiaritätsprinzip.

5.12.2

Daher empfiehlt der Ausschuss, diese Regelungen der Richtlinie so zu modifizieren, dass zwar einerseits eine ausreichende Einheitlichkeit in den Vorgehensweisen der Mitgliedstaaten gewährleistet ist, dass aber andererseits keine vermeidbaren Verzögerungen entstehen und das Subsidiaritätsprinzip ausreichend respektiert wird. Eine Möglichkeit dafür wäre, den Genehmigungsvorgang auf eine Unterrichtungspflicht der nationalen Behörden gegenüber der Kommission zu beschränken. Im Falle von Verstößen stünde der Kommission das bewährte Instrument eines Vertragsverletzungs-Verfahrens gemäß Artikel 226 EGV zur Verfügung. Der Text von Artikel 10 könnte daher lauten: „Die zuständige nationale Behörde teilt der Kommission die Genehmigungsentscheidung über die Speicherung zur Überprüfung mit.“

5.13

Nach Meinung des Ausschusses benötigen die nationalen Behörden wirksame Instrumente und auch regelmäßige Kontrollen, um die Sicherheit der Speicher jederzeit zu gewährleisten. Seitens des Ausschusses wird allerdings bezweifelt, ob dazu auch die von der Kommission vorgeschlagene zusätzliche Überprüfung der Speichergenehmigung in fünfjährigem Abstand beiträgt. Denn sie brächte keinen zusätzlichen Sicherheitsgewinn, wohl aber zusätzlichen administrativen Aufwand für alle Beteiligten.

5.14

In Artikel 18 des Kommissionsvorschlags werden hohe Anforderungen bei der Übertragung der Verantwortung für den Speicher auf den jeweiligen Mitgliedstaat gestellt. Dies ist richtig und wird vom Ausschuss begrüßt.

5.14.1

In Artikel 18, Absatz 1 wird jedoch gefordert, dass alle verfügbaren Fakten darauf hinweisen, dass das gespeicherte CO2 für unabsehbare Zeit „vollständig“ zurückgehalten wird. Eine absolute Dichtigkeit kann es jedoch nicht geben und sollte dementsprechend nicht gefordert werden. Darum verweist der Ausschuss auf seine Aussagen in den Ziffern 5.7.3 und 5.7.4.

5.14.2

Um hier keine unüberwindliche Hürde für die Übertragung zu schaffen, sollte die Passage lauten: „… dass für absehbare (19) Zeit Leckagen nicht zu erwarten sind.“ (Hierbei wird die in Ziffer 5.7.3 angesprochene Definition unterstellt).

5.15

Gemäß Kommissionsvorschlag ist es erforderlich, dass die Unternehmen bei Erschließung von Speichern und Aufnahme des Speicherbetriebes eine finanzielle Sicherheit abgeben (Artikel 19). Dem stimmt der Ausschuss zu, wobei er begrüßt, dass die Form dieser Sicherheit den Mitgliedsstaaten überlassen bleibt.

5.15.1

Der Ausschuss hält es jedoch für nicht angemessen, diese Sicherheit bereits vor Antragstellung in voller Höhe zu leisten. Vielmehr sollte sich diese finanzielle Sicherheitsleistung grundsätzlich an der jeweiligen Sicherungsnotwendigkeit entsprechend des Projektfortschrittes orientieren. Andernfalls reduziert sich der bislang ohnedies unzureichende finanzielle Anreiz für Unternehmen, in diese neue Technik zu investieren.

5.15.2

Im Fall einer klimarelevanten Leckage ist der Nachkauf von Emissionszertifikaten erforderlich. Eine solche Leckage ist nach den umfangreichen Untersuchungen zur Erlangung der Speichergenehmigung nicht zu erwarten. Darum sollte für diesen Fall der Nachweis eines angemessenen und auch bei Insolvenz des Speicherbetreibers realisierbaren Anlagevermögens eine ausreichende finanzielle Sicherheit darstellen. Darüber hinausgehende Erfordernisse würden die Investitionsfähigkeit des Unternehmens angesichts der geringen Eintrittswahrscheinlichkeit unangemessen belasten.

5.16

Die zur Charakterisierung und Bewertung von Speicherstätten gemäß Anhang I verlangten Arbeiten berühren teilweise noch den Bereich Forschung und Entwicklung. Im Sinne einer praktikablen Handhabung sollte darum auch hier der „Stand der Technik“ als Referenz für die Erstellung der Antragsunterlagen gelten.

5.17

In Anhang 1 und beim „Risk-Assessment“ potentieller Speicherstätten sollte der Biosphären-Begriff präzisiert werden. Unter der Biosphäre, die nicht negativ beeinflusst werden darf, sollte nicht nur die Biosphäre an der Erdoberfläche berücksichtigt werden, sondern auch die Biosphäre bis in den Bereich der Trinkwasserleiter (Süßwasseraquifere).

5.18

Außerdem sollte die Zusammensetzung und die Arbeitsweise der Expertengruppe geklärt werden, welche für die laufende Überarbeitung des Anhangs zuständig ist.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  CESE 1201/2008, CESE 1202/2008, CEse 1203/2008 vom 9.7.2008, noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.

(2)  KOM(2008) 13 endg.

(3)  CCS: Carbon Capture and Storage (Kohlenstoff — gemeint ist Kohlendioxid — Abscheidung und Speicherung). In TEN/340 — CESE 562/2008 wird vorgeschlagen, stattdessen die Abkürzung CCTS zu verwenden: Carbon Capture, Transport and Storage (… Transport und Speicherung). In der vorliegenden Stellungnahme wird weiterhin CCS benützt.

(4)  Z.B. ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 72.

(5)  Siehe CESE 1199/2008 vom 9.7.2008, noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.

(6)  Z.B. CESE 6437/2005 sowie neuerdings CESE 1246/2007. Noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.

(7)  Der Einsatz von CCS ist zunächst vorwiegend für die Elektrizitätserzeugung aus fossilen Energieträgern geplant. In der EU werden derzeit ca. 30 % der elektrischen Energie durch Kernenergie erzeugt, bei welcher praktisch kein CO2 emittiert wird.

(8)  Ratsbeschluss vom März 2007.

(9)  Biomasse hat (nur) dann einen positiven Einfluss auf die CO2-Emissionsbilanz, wenn der energetische Aufwand für Erzeugungs-, Transport- und Verarbeitungsprozesse die erzielte Energie-Ausbeute nicht übersteigt. Sofern ein Biomassekraftwerk mit CCS ausgestattet wird, besteht nach Artikel 24 a) der ETS-Richtlinie die Möglichkeit, das Kraftwerk entsprechend zu fördern.

(10)  Nämlich in jenen Mitgliedstaaten, welche beschlossen haben, Kernenergie nicht oder nicht mehr zu erzeugen.

(11)  Siehe dazu auch CESE 1246/2007. Noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.

(12)  Denn nur dann bestünden auch Risiken für die dort in unmittelbarer Nachbarschaft lebenden Menschen: anders als CO ist CO2 nicht toxisch; eine CO2-Konzentration in der Atemluft ist erst bei Konzentrationen oberhalb ca. 8 % lebensgefährlich (der derzeitige mittlere CO2 Anteil in der Luft liegt bei ca. 380 ppm (ppm: parts per million).

(13)  Im Gegensatz zur Nutzung der Geothermie.

(14)  Aus den Eisbohrkernen wurden Aussagen zum globalen Klimaverlauf der vergangenen 600 000 Jahre gewonnen. Daraus geht hervor, dass sich in der Vergangenheit Warm- und Eiszeiten in periodischem Abstand von typisch 100 000 Jahren in einem sägezahn-ähnlichen Zeitverlauf der Temperatur — und, damit korreliert, auch der CO2-Konzentration in der Atmosphäre — abgewechselt haben. Da wir uns schon seit längerem in einer Warmzeit befinden, also auf dem oberen Teil der Sägezahnkurve, während das Ende der letzten Warmzeit schon über 100 000 Jahre zurückliegt, wäre demzufolge in absehbarer Zukunft auch wieder eine allmähliche Absenkung der globalen Temperatur und CO2-Konzentration denkbar, falls die gegenwärtige anthropogene Emission von Treibhausgasen statt dessen nicht genau das Gegenteil bewirken würde.

(15)  Siehe dazu die generellen Empfehlungen von Punkt 3.3 in ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 72.

(16)  Häufig auch gefordert für „Gesundheit, Sicherheit und Umwelt“ (Englisch „Health, Security, Environment“ HSE).

(17)  Siehe dazu auch Artikel 13 (2) des Richtlinienvorschlags und Anhang II dort.

(18)  Andernfalls sind Emissionszertifikate nachzuweisen: ETS Handel.

(19)  Der Ausschuss weist hier darauf hin, dass der im Kommissionsvorschlag gebrauchte Begriff ‚unabsehbar‘ offensichtlich irreführend und widersprüchlich ist.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/81


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren im Hinblick auf Artikel 6 Absatz 2 über das Inverkehrbringen von Batterien oder Akkumulatoren“

KOM(2008) 211 — 2008/0081 (COD)

(2009/C 27/18)

Der Rat beschloss am 22. Mai 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 Absatz 1 und Artikel 251 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren im Hinblick auf Artikel 6 Absatz 2 über das Inverkehrbringen von Batterien oder Akkumulatoren“.

Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme CESE 655/2004 vom 28. April 2004 (1) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 138 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

 

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren“, ABl. C 117 vom 30.4.2004.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/82


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Abbau nichtenergetischer Bodenschätze in Europa“

(2009/C 27/19)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2008, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Abbau nichtenergetischer Bodenschätze in Europa“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 24. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr FORNEA, Mitberichterstatter Herr POP.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 135 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die wichtigsten Aspekte für die künftige Rohstoffversorgungssicherheit in Europa sind die einheimische europäische und die internationale Versorgung, die Entwicklung von Kapazitäten und die effiziente Ressourcennutzung.

Im Rahmen eines integrierten Ansatzes sollten in der Politik für die einheimische europäische Rohstoffversorgung auch industrie-, umwelt- und raumordnungspolitische Aspekte berücksichtigt werden. Diesbezügliche bewährte Verfahren sollten auf andere mögliche Bereiche übertragen werden. Der Zugang zu einheimischen Ressourcen in den Mitgliedstaaten sollte gefördert werden, namentlich durch die Schaffung des notwendigen Gleichgewichts zwischen Umwelt- und Industriepolitik sowie durch harmonisierte Anreizmaßnahmen für Entwicklung und Umweltschutz beim Ausbau bestehender sowie bei der Erschließung neuer Abbaustätten, sofern diese wirtschaftlich sinnvoll, sozial verträglich und zweckdienlich sowie ökologisch nachhaltig sind.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten die Folgen der Globalisierung auf die internationale Rohstoffversorgung in allen Bereichen, in denen die Rohstoffeinfuhren aus Drittländern überwiegen, sorgfältig bewerten. Die Einhaltung europäischer Umwelt- und Sozialstandards sollte bei Investitionsmaßnahmen und Standortverlagerungen als Kriterium herangezogen werden. Die europäischen Nutzer sollten einen gesicherten Rohstoffzugang vorfinden; die strategische Abhängigkeit der EU sollte verringert werden.

Die Entwicklung von Kapazitäten in der europäischen nichtenergetischen mineralgewinnenden Industrie steht vor zahlreichen Herausforderungen, u.a. der Notwendigkeit, den Verwaltungsaufwand abzubauen, ihr Image zu verbessern, qualifizierte Arbeitskräfte auszubilden, Managementtechniken zu konzipieren und ein ausreichendes Aus- und Weiterbildungsangebot bereitzustellen.

Die Erhöhung der Effizienz der Abbauverfahren hängt von den Fortschritten in anderen Industriezweigen, die im Bergbau und in weiteren Bereichen tätig sind, ab und erfordert die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten.

1.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, folgende Empfehlungen zu berücksichtigen (siehe Ziffer 3.2 für detaillierte Empfehlungen):

Bessere Rechtsetzung durch eine Verbesserung des Rechtsrahmens und des Genehmigungssystems; Austausch bewährter Verfahren für die Raumplanung; Abbau von Verwaltungshürden für die Erteilung von Genehmigungen; Erleichterung der Exploration; Förderung einer nachhaltigen Entwicklung durch den Ausbau bestehender Abbaustätten und die Sicherung der Rohstoffvorkommen (1);

Verbesserung der Vereinbarkeit von Abbau und Umweltschutz durch die Ausweitung bewährter Verfahren in Natura 2000-Gebieten und in ihrer näheren Umgebung; Förderung des Grundsatzes der Versorgungsnähe für den Transport zur Verringerung der Umweltbelastung und der Kosten sowie zur Verbesserung des Ressourcenzugangs (2);

Stärkung des einschlägigen Sachwissens auf EU-Ebene durch Schaffung eines europäischen geologischen Amtes und eines europäischen Mineralrohstoff-Informationssystems auf der Grundlage der Kapazitäten der nationalen geologischen Dienste.

2.   Bestandsaufnahme

2.1

Bodenschätze sind für die Entwicklung und somit für die Lebensqualität der Bürger und die Schaffung nachhaltiger Gemeinschaften von grundlegender Bedeutung. Nichtenergetische Bodenschätze (3) sind Grundstoffe unseres Alltags: So enthält ein Haus bis zu 150 Tonnen Mineralrohstoffe in Form von Zement, Ton, Gips, Kalziumkarbonat, Verbundmaterialien, Glas, Farbe, Keramik und Fliesen sowie großen Mengen an Metall und ein Fahrzeug bis zu 150 Kilogramm in Form von Kautschuk, Kunststoffen und Glas sowie mehr als einer Tonne Metall; Farben und Papier werden zu 50 % aus Mineralrohstoffen hergestellt, Glas und Keramik bis zu 100 %  (4). Durch die Bewirtschaftung der Bodenschätze wird sichergestellt, dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen sowie die Auswirkungen von Abbau und Verarbeitung auf die Menschen und die Umwelt auf integrierte Weise gehandhabt werden, d.h. unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus eines Bergwerks bzw. Steinbruchs im Bewirtschaftungsplan von der Erschließung bis zur Stilllegung und Nachsorge. Angesichts der Globalisierung und des gesteigerten Wettbewerbs auf den Rohstoffmärkten nimmt die strategische Bedeutung des Bergbaus immer weiter zu. Europa ist einer der weltweiten Marktführer in der Abbautechnologie, doch sollte diese Position im Hinblick auf künftige Entwicklungen konsolidiert werden.

2.2

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind 70 % der europäischen Verarbeitungsindustrie von Mineralrohstoffen abhängig; gleichzeitig durchläuft die Bergbauindustrie in der EU-27 tiefgreifende Umwälzungen, und der Weltmarktpreis für Metalle steigt unaufhörlich. In Anbetracht dieser Entwicklung sollte die europäische Industriepolitik im Kontext des freien Spiels der Marktkräfte vor allem auf die Versorgungssicherheit abstellen.

2.3

Die europäische nichtenergetische Bergbauindustrie beschäftigt 295 000 Arbeitnehmer in rund 18 300 Unternehmen (vielfach KMU) mit einem Umsatz von 45,9 Mio. EUR  (5). Über ihre Mitgliederverbände setzt sie sich für ökologische Verantwortung und nachhaltige Entwicklung ein und hat sich ferner der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen (CSR) verschrieben.

2.4

Viele Europäer sind sich der Bedeutung der Bergbauindustrie überhaupt nicht bewusst, doch das nachhaltige Wachstum Europas wird in Zukunft stark von vor Ort abgebauten Bodenschätzen abhängen. Gleichzeitig birgt die starke Rohstoffnachfrage von Ländern wie China und Indien eine echte Gefahr für die Versorgungssicherheit der EU (6). Global gesehen entfällt auf diese Regionen der Löwenanteil an Rohstoffen und Finanzressourcen; dies zieht weltweit industrielle Umstrukturierungen und Verlagerungen nach sich.

2.5

Die europäische Energiepolitik und die integrierte Bergbaupolitik sind grundlegende strategische Faktoren, um die Globalisierung und den Klimawandel anzugehen — eine Tatsache, die schon zu Beginn des europäischen Einigungswerkes anerkannt wurde (7). Die Mitgliedstaaten unterstützen die Anstrengungen der EU, den Einsatz erneuerbarer Energieträger und die effiziente Energienutzung zu fördern. Diese Ziele können jedoch nur erreicht werden, wenn die europäische Industrie einen sicheren Zugang zu nichtenergetischen Bodenschätzen vorfindet, insbesondere Metallen und Industriemineralen für Basis- und Hochtechnologien, die für eine „grüne Wirtschaft“ unabdingbar sind. Neue Verhaltensmuster, Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger haben neue Technologien und eine verstärkte F&E-Tätigkeit mit sich gebracht. Technische Geräte enthalten große Mengen an Metall, großteils seltene Metalle und Edelmetalle, die in Europa kaum vorkommen (8).

2.6

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, 2008 eine Mitteilung über den verbesserten nachhaltigen Zugang zu Rohstoffen vorzulegen. In dieser Mitteilung sollten machbare, realistische und zweckdienliche Maßnahmen vorgeschlagen werden, um der Industrie einen verbesserten nachhaltigen Zugang zu den Ressourcen zu ermöglichen. Dies ist angesichts folgender Probleme in Bezug auf die Versorgung besonders wichtig:

Mangel an abbaufähigen Lagerstätten aufgrund unzureichender oder kurzfristiger Flächennutzungsplanung bzw. aufgrund fehlender geologischer Kenntnisse;

hoher Verwaltungsaufwand und hohe Kosten zur Erlangung von Abbaugenehmigungen aufgrund zusätzlicher Rechtsvorschriften und zeitraubender Vorstudien;

Schwierigkeiten bei der Erlangung von Abbaugenehmigungen sowohl für die Erschließung neuer als auch die Ausweitung bestehender Abbaustätten.

2.7

Der Ausschuss begrüßt die Beiträge der Kommissionssachverständigen in dem Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen „Analysis of the competitiveness of the non-energy extractive industry in the EU“  (9) und betont, dass die EU ihren Bedarf an metallischen Mineralen durch einheimischen Abbau trotz der Erweiterungsrunden kaum decken kann.

2.7.1

Die Versorgungssicherheit der europäischen Wirtschaft kann mittels weiterer umfangreicher Investitionen in den Bergbau in den neuen Mitgliedstaaten, die ein entsprechendes geologisches Profil aufweisen, durch die Nutzung und Verbesserung der bestehenden EU-Fördermechanismen erhöht werden.

2.7.2

In den osteuropäischen Ländern, in denen aufgrund der geologischen Struktur schon immer Bergbau betrieben wurde, liegen wichtige Rohstoffvorkommen. Allerdings war dieser Industriezweig in diesen EU-Mitgliedstaaten staatlich subventioniert, weshalb die gegenwärtige Lage dem echten Potenzial des nichtenergetischen Bergbaus nicht gerecht wird. Unter diesem Gesichtspunkt muss privates Kapital in die dortigen Bergbauunternehmen investiert werden, um die Finanzmittel zu ersetzen, die bislang weitgehend von der öffentlichen Hand bereitgestellt wurden.

2.7.3

Um die Versorgung der europäischen Wirtschaft mit Rohstoffen sicherzustellen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, müssen die ungleichen Ausgangsbedingungen in Bezug auf eine nachhaltige Versorgung mit Bodenschätzen und einen nachhaltigen Zugang zu diesen wettgemacht werden. Die damit verbundenen Probleme müssen auf hoher Ebene in einem umfassenden Ansatz angegangen werden, der zahlreiche Politikbereiche wie Handel, Entwicklung, Energie, Infrastruktur und Verkehr, Unternehmen und Verbraucherschutz mit einbezieht.

2.7.4

Die mineralgewinnende Industrie und eine Reihe anderer Industriezweige wie Technologie- und Maschinenbauunternehmen, Forschungseinrichtungen, Consulting-Firmen sowie Finanz- und Umweltdiensten greifen eng ineinander (10). Daher schaffen mineralgewinnende Unternehmen durchschnittlich viermal mehr indirekte als direkte Arbeitsplätze in der Region, in der sie angesiedelt sind. Das regionale Wachstumspotenzial ist insbesondere in Gebieten, in denen die sonstigen Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Entwicklung beschränkt sind, beträchtlich.

2.7.5

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, die in Mitgliedstaaten bestehenden bewährten Verfahren und Modellbeispiele zu untersuchen, um diese auf EU-Ebene weiterzuentwickeln und zu fördern. Dabei sind nicht nur fachliche Aspekte in Bezug auf die Technologie, sondern auch die Erfahrungen der Mitgliedstaaten bei der Durchführung geologischer Studien und im Berg- und Tagbau zu berücksichtigen (11).

Auf internationaler Ebene wurde das so genannte „Resource Endowment Project“ (12) auf den Weg gebracht, das Orientierungshilfen und Fallstudien bereitstellt, wie Bodenschätze am besten für die Wirtschaftentwicklung eingesetzt werden können. Eine derartige Fallstudie könnte auch in der EU erstellt werden.

3.   Hauptpunkte und -empfehlungen für die künftige Rohstoffversorgung

3.1   Einheimische europäische Versorgung

3.1.1

Der begrenzte Ressourcenzugang, der hohe Verwaltungsaufwand und die steigenden Kosten für die Abbaugenehmigungsverfahren führen zur geringeren Investitionen in die nichtenergetische Bergbauindustrie in der EU, auch in Gebieten mit hoher Nachfrage. In einer europäischen Rohstoffversorgungspolitik müssen der Industrie- und Umwelt- sowie der Raumordnungspolitik Rechnung getragen werden, um eine bessere Koordinierung zwischen den nationalen Planungs- und den EU-Behörden sicherzustellen.

3.1.2

Einige Initiativen zur Lagerstättensicherung von Gebietskörperschaften in den Mitgliedstaaten können als Beispiele herangezogen werden, wie die Nachfrage von Gesellschaft und Wirtschaft mit den Auswirkungen von Abbau und Verarbeitung für die Menschen und die Umwelt vereinbart werden kann.

3.2

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, folgende Empfehlungen in ihre geplante Mitteilung einfließen zu lassen:

3.2.1

Verbesserung des Rechtsrahmens und Genehmigungssystems („Bessere Rechtsetzung“) durch:

die Verbesserung der Lagerstättensicherung durch den Austausch bewährter Verfahren im Rahmen der Gruppe Rohstoffversorgung der Europäischen Union (13), und zwar insbesondere im Hinblick auf einerseits die Einbindung geologischer Dienste sowie die Nutzung deren Fach- und Sachwissens über Lagerstätten und andererseits die Konsultation von Betreibern, die bereits in denjenigen Gebieten ansässig sind, in denen neue Infrastruktur- und Naturschutzvorhaben geplant sind;

die Einrichtung eines Systems von zentralen Anlaufstellen („one-stop-shop“) für alle Interessenträger für die Erteilung von Genehmigungen, die auch wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte beurteilen können, um die Flächennutzungsplanung und die Genehmigungsverfahren zu verbessern. Die Entwicklung eines derartigen Systems fällt in die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten;

die Erleichterung der Exploration durch die Förderung von Erkundungsmaßnahmen in Europa mittels besserer nationaler Rechtsvorschriften durch:

die Schaffung von Anreizen für Explorationsunternehmen für die durchzuführenden Erkundungsarbeiten;

die Verbesserung der Rechtssicherheit hinsichtlich der Besitzverhältnisse von Erkundungsgebieten, um das Vertrauen der Investoren zu gewinnen;

die Verkürzung der für den Erwerb eines Erkundungsgebiets erforderlichen Zeit;

die Lancierung von Werbekampagnen, um die Einrichtung von Expolorationsunternehmen zu fördern und Unternehmen aus Drittstaaten dafür zu gewinnen, Erkundungen in der EU durchzuführen (14);

die Erleichterung von Exploration und Abbau durch eine Überprüfung der geltenden Rechtsvorschriften und deren bessere Umsetzung durch effizientere Verfahren und Fristen;

die Sicherstellung einer kohärenten Umsetzung der Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Vereinbarkeit zwischen Umweltschutzzielen und dem Abbau von Bodenschätzen;

die Bewertung der Nachhaltigkeit der Ausweitung bestehender Abbaustätten im Vergleich zur Neuerschließung von Lagerstätten an anderen Standorten, um der Nachfrage, aber auch wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen Rechnung zu tragen;

die Vereinfachung der geltenden Rechtsvorschriften und den Abbau unnötiger Verwaltungshürden wie mehrfache Meldeerfordernisse;

die Rohstoffsicherung, indem Rohstoffen in den verschiedenen EU-Politikbereichen (Wettbewerb, Entwicklung, Umwelt, Forschung, Industrie, Regionalentwicklung) ein höherer Stellenwert eingeräumt wird, damit nachgewiesene Lagerstätten nicht durch Entwicklungen in anderen Bereichen unnötigerweise unbrauchbar gemacht werden. Dies könnte erreicht werden durch:

die Gewährleistung, dass jeder EU-Mitgliedstaaten über eine eigene Versorgungspolitik verfügt, die regelmäßig in einem auf Englisch abgefassten Bericht ausführlich veröffentlicht wird;

die Ermittlung des derzeitigen und künftigen Rohstoffpotenzials der EU und die regelmäßige Aktualisierung dieser Daten, die einfach zugänglich sein müssen;

die Ermittlung der Bodenschätze, die für die EU von strategischer Bedeutung sind, und die Koordinierung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten für ihre Versorgung.

3.2.2

Verbesserung der Vereinbarkeit von Abbau und Umweltschutz durch

den Aufbau eines GIS (15)-basierten Informationssystems über Standort, Art und Umfang von On- und Off-shore-Bodenschätzen in der EU, um das Rohstoffpotenzial besser in die Raumordnungspolitik einfließen lassen zu können, u.a. für die Auswahl und die Ausweisung von Schutzgebieten;

die Ermittlung von Fallstudien bewährter Verfahren für die Durchführung von Artikel 6 der Natura 2000-Richtlinie;

die Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit von ökologischen und sozialen Folgenabschätzungen durch die Ausarbeitung zweckdienlicherer und klarerer Durchführungsleitlinien für die Mitgliedstaaten, um

einen abgestimmten Ansatz in der gesamten EU sicherzustellen;

die Fristen für die Durchführung dieser Folgenabschätzungen wie auch die Reaktionszeit der Behörden zu verkürzen und so für mehr Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für Investoren zu sorgen.

die Förderung der Nutzung bewährter Abbauverfahren, um den Rückgang im Bereich der Biodiversität zu bekämpfen;

die Förderung des Grundsatzes der Versorgungsnähe innerhalb der EU wo immer möglich, um die Transportwege zu verkürzen und die damit verbundene Schadstoff- und Lärmbelastung zu verringern;

die Anbindung von abgelegenen Gebieten, indem in der Infrastrukturplanung der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten auch der Zugang zu Rohstofflagerstätten berücksichtigt und gegebenenfalls en umweltfreundlicherer Schüttguttransport wie Schienenverkehr, Binnenschifffahrt und Seeverkehr vorgesehen wird;

Meereszuschlagstoffe;

den Abbau der herkömmlichen Reaktion der Bürger „Aber nicht bei uns!“ durch ein Forschungsprogramm zur Verringerung von Belastungen und zur Verbesserung der Akzeptanz bei den Bürgern.

3.2.3

Stärkung der Rohstoff-Sachkompetenz auf EU-Ebene durch

die Bereitstellung umfassenderer Daten über die Ressourcen für die politischen Entscheidungsträger (u.a. Erzeugung, Arbeitnehmer, Umsatz, für den Abbau bzw. nach der Stilllegung der Abbaustätte für andere Zwecke genutzte Landflächen), damit diese ihre Entscheidungen auf der Grundlage der besten zur Verfügung stehenden Daten treffen können;

die stärkere Beachtung der wachsenden Bedeutung von Metallen, Industriemineralen und Aggregaten auf politischer und legislativer Ebene sowohl in der EU als auch in den einzelnen Mitgliedstaaten;

die Sicherstellung, dass geologische Daten in der Raumordnungspolitik berücksichtigt werden, sowie als vorrangiges Ziel die Bereitstellung von Informationen über Vorkommen für Flächennutzungsdatenbanken und ernsthafte Überlegungen zur Einrichtung eines europäischen geologischen Amtes auf der Grundlage der bestehenden nationalen und regionalen geologischen Dienste und deren Kapazitäten. Dieses Amt könnte folgende Aufgaben wahrnehmen:

Ermittlung von strategischen Ressourcen und Formulierung von Empfehlungen an die Mitgliedstaaten als wichtige Prioritäten für die Flächennutzung;

Eingliederung des europäischen Konzepts für den Zugang zu Bodenschätzen in das Europäisches Raumentwicklungskonzept EUREK (16) (dieser Politikrahmen befindet sich seit 1999 im „Dornröschenschlaf“) sowie dessen Verknüpfung mit der Lagerstättensicherung der Mitgliedstaaten;

Analyse der Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen auf die Versorgung und Aspekte der Eigenversorgung;

Verbesserung des Sachwissens über die Verteilung und Qualität von Bodenschätzen in der EU und ihre strategische Bedeutung sowie Bewertung des Potenzials gemäß der Initiative für Globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung GMES (Global Monitoring for Environment and Security).

den Aufbau einer gesamteuropäischen geologischen Datenbank beruhend auf dem INSPIRE-Grundsatz (17) und der Bewertung des Potenzials für verborgene metallische und mineralische Vorkommen in den wichtigsten Erz- bzw. mineralischen Abbaugebieten;

die Nutzung von Informationen und Diensten von Erdbeobachtungs-Initiativen wie der auf dem Gipfel von Göteborg 2001 lancierten Gemeinschaftsinitiative GMES in Verbindung mit der europäischen Strategie für Nachhaltigkeit. Einer der Landbeobachtungskerndienste (Land Monitoring Core Services — LMCS) im Rahmen der GMES wird ab 2008 flächendeckende digitale Vektorenkarten für die tatsächliche Flächenutzung/Bodendeckung in Europa (38 Länder einschl. der Türkei) mit schrittweise erhöhter Genauigkeit erstellen (Mindestkartografieeinheit von 1 ha ausgehend von der aktuellen Bodendeckung im CORINE-Projekt (CLC) mit 25 ha). Bei einem weiteren LMCS-Dienst werden Städte und andere neuralgische Punkte mit noch höherer Genauigkeit (0,25 ha) ausgewählt, und der Inhalt ist der Bewirtschaftung von intensiv genutzten Gebieten bzw. sich stark veränderten Gebieten angepasst;

sowie Erwerb von umfangreicheren Kenntnissen über das Potenzial an Mineralen in tieferliegenden Teilen der wichtigsten Erzabbaugebiete in Europa: Auch wenn die geologischen Daten und das einschlägige Wissen über die ersten 100 Meter unter der Erdoberfläche für fast ganz Europa als sehr gut einzustufen sind, so sind sie über die tieferliegenden Schichten dieser Gebiete jedoch nach wie vor begrenzt, auch wenn diese Erdschichten wahrscheinlich diejenigen Bodenschätze enthalten, die Europa zur Bewältigung seiner künftigen Anforderungen benötigt. Die Nutzung von tiefliegenden Lagerstätten bringt zahlreiche Vorteile mit sich: geringe Auswirkungen an der Oberfläche und somit größere Akzeptanz seitens der Bevölkerung sowie begrenzte Umweltfolgen;

die Entwicklung einer globalen Komponente zur Stärkung der EU-Außenpolitik; dies wurde bereits auf den Weg gebracht. Derartige Informationen ermöglichen

die Erfassung einer ausreichenden, räumlich repräsentativen Datenmenge, die Prognosen zulässt;

die Ermittlung und Quantifizierung von Gebieten mit Tagebau- oder Bergbauinfrastruktur;

die Ermittlung von möglichen Konflikt- (z. B. Naturschutzgebiete) bzw. Ausgleichsgebieten;

die Überwachung der Folgen für Trinkwasser und Umwelt;

die Überwachung der Renaturierung nach Schließung der Mine;

Sofortmaßnahmen bei Unfällen.

4.   Internationale Versorgung

4.1

Die Auswirkungen der Globalisierung auf die Nachfrage nach und das Angebot an Bodenschätzen ist weder von der EU noch von ihren Mitgliedstaaten umfassend bewertet worden (18). Der Ausschuss räumt ein, dass es zahlreiche Gründe für Rohstoffeinfuhren aus Drittländern in die EU gibt; allerdings könnte die Tatsache, dass bei der Erzeugung dieser Importgüter womöglich keine den europäischen vergleichbaren Umwelt- und Sozialstandards eingehalten werden, nicht nur zu einer Einbuße an Wettbewerbsfähigkeit für die EU-Wirtschaft, sondern auch zu einer Verlagerung von ökologischen und sozialen Problemen führen.

4.2

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, folgende Empfehlungen in ihre geplante Mitteilung einfließen zu lassen:

Ermittlung strategischer Ressourcen und Formulierung entsprechender Lagerstättensicherungsempfehlungen an die Mitgliedstaaten als wichtige Prioritäten ihrer Raumordnungspolitik;

Schaffung der Bedingungen für die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Bergbauindustrie durch die bestmögliche Nutzung der Forschungs- und Innovationserfolge und die Förderung von Investitionen;

Ermittlung und Erfassung von Rohstoffeinfuhr- und -ausfuhrflüssen und Bewertung der langfristigen politischen und wirtschaftlichen Verlässlichkeit;

Auflage neuer Programme durch europäische Fonds für eine stärkere Nachhaltigkeit von Abbau, Transport und Nutzung von Bodenschätzen in Regionen mit hohem Rohstoffpotenzial;

Gewährleistung der nachhaltigen Erzeugung von Importen seitens der Europäischen Kommission, der OECD und des Forums für nachhaltige Rohstoffe des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP);

Förderung von EU-Investitionen in Drittländern, insbesondere in Lateinamerika, Afrika, Russland und Zentralasien (19);

Förderung der Umsetzung von EU-Standards in den Ursprungsländern durch Kooperationsabkommen;

Verbesserung des Zugangs und der langfristigen Stabilität der Versorgung bei der Konzipierung der EU-Außenpolitik; dieser Aspekt sollte auch in hochrangigen bilateralen Sitzungen und Treffen seitens der EU-Vertreter aufgegriffen werden.

5.   Entwicklung von Kapazitäten

5.1

Die europäische nichtenergetische mineralgewinnende Industrie steht vor einer Reihe von Herausforderungen in Bezug auf die Entwicklung von Kapazitäten, d.h. den Ausbau der bestehenden sowie den Aufbau neuer Kapazitäten. Ein wichtiger Aspekt ist die Verbesserung des Images dieses Industriezweiges. Es geht jedoch nicht nur darum, Maßnahmen zu setzen, um neue und insbesondere junge Menschen für eine Berufslaufbahn in dieser Industrie zu gewinnen, sondern auch die bereits darin tätigen Arbeitskräfte zu halten und ihnen bessere Möglichkeiten an die Hand zu geben, sich der Modernisierung des Sektors zu stellen.

5.2

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, folgende Empfehlungen in ihre geplante Mitteilung einfließen zu lassen:

Konzipierung eines auf EU- oder nationaler Ebene geförderten Weiterbildungsprogramms für Arbeitnehmer, die bereits über eine einschlägige Qualifikation verfügen, aber weitere Fortbildungsmaßnahmen benötigen, sowie einer effizienten Politik des lebenslangen Lernens;

Lancierung von spezifischen EU-Programmen zur bestmöglichen Nutzung des vorhandenen Potenzials an qualifizierten Arbeitskräften auf europäischer Ebene für zukünftige Arbeitsplatzangebote und Investitionen in potenzielle globale Abbaugebiete als einer der wichtigsten Faktoren (Technologie, Know-how, Sachkompetenz) für den Zugang zu wichtigen Rohstoffvorkommen weltweit;

Investitionen in Hochschulen und Bildungsprogramme zur Steigerung der allgemeinen Kapazität in diesem Bereich durch die Überarbeitung der staatlichen Förderung der Bergbau- und der mineralverarbeitenden Industrie sowie geologieverwandter Studiengänge, um eine höhere Zahl an Studierenden für diese und die einschlägige Forschung zu gewinnen;

Unterstützung seitens der politischen Entscheidungsträger für den Aufbau von Clustern und Technologieparks in Bergbauregionen, da die Bergbauindustrie mit zahlreichen anderen Industriezweigen und Dienstleistungssektoren verknüpft ist und für jeden neuen Arbeitsplatz im Bergbau vier weitere Arbeitsplätze in anderen Sparten geschaffen werden;

Sensibilisierung der Bürger für die Bedeutung von Bodenschätzen und die Nachhaltigkeit der Wirtschaft durch Schulungen, Workshops, Debatten, Konferenzen; es sollte ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt werden, z.B. durch die Förderung von Konzepten wie Öko-Bergbau, Wirtschaftsgeologie, umsichtige Nutzung von Bodenschätzen in Schulen und Hochschulen;

Förderung und Untersuchung von Fragen der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz als Grundvoraussetzung für die Nachhaltigkeit der Rohstoffindustrie;

Im Mittelpunkt müssen die Vermeidung von Berufsrisiken und präventive Gesundheitsschutzmaßnahmen stehen.

6.   Effiziente Ressourcennutzung

6.1

Die Einbindung weiterer Sektoren, die am Abbau von Bodenschätzen beteiligt sind, ist für eine effiziente Ressourcennutzung von grundlegender Bedeutung. Eine funktionierende Bergbauindustrie in Europa ist auch ein Impulsgeber für das Entstehen international renommierter europäischer Technologie- und Dienstleistungsunternehmen.

6.2

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, folgende Empfehlungen in ihre geplante Mitteilung einfließen zu lassen:

umfassende Unterstützung seitens der Europäischen Kommission für die europäische Technologieplattform für nachhaltige Gewinnung mineralischer Rohstoffe (ETP SMR) (20), die vor Kurzem offiziell anerkannt wurde;

Förderung der Beteilung der Industrie an europäischen und nationalen F&E-Programmen, die in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission für einen immer nachhaltigeren Abbau durchgeführt werden, und einem Programm für die Nutzung von Rohstoffen durch technologische Verbesserungen;

Einbeziehung von Maschinenbauunternehmen in ein derartiges Programm, um weitere Verringerungen in folgenden Bereichen zu erzielen:

Lärm (bei gleichzeitiger Verbesserung der Sicherheit);

Staub in Zusammenarbeit mit Filterherstellern;

CO2-Ausstoß und Energieverbrauch, auch in Zusammenarbeit mit Energieunternehmen;

Vibrationen am Arbeitsplatz;

Wassernutzung in der gesamten Industrie.

Verbesserung von Management und Akzeptanz durch:

Recycling;

Mineralverarbeitung zur Effizienzsteigerung (d.h. mit weniger mehr erzeugen);

Nutzung von Mineralen zur Einsparungen von Edelmetallen und seltenen Bodenschätzen;

gegebenenfalls Nutzung alternativer Rohstoffe einschl. sekundärer Rohstoffe und Abfallstoffe;

Förderung des wirtschaftlichen Engagements für die Lebenszyklusverlängerung.

Förderung ökologischer Synergien, z.B. Herstellung vor Ort zur Vermeidung von Transportproblemen;

Förderung einer Bestandsaufnahme der Frachtkostenstrukturen (Schienenverkehr, Binnenschifffahrt, Seeverkehr) und ihrer Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Kontext (nach dem Vorbild des Energiesektors) seitens der Generaldirektionen der Europäischen Kommission;

Förderung von Studien zur Biodiversität in Bergbau- und Steinbruchgebieten;

Förderung des Einsatzes von sekundären Rohstoffen im Einklang mit einer nachhaltigen Entwicklung.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe Ziffer 3.2.1 für detaillierte Empfehlungen.

(2)  Siehe Ziffer 3.2.2 für detaillierte Empfehlungen.

(3)  Gemäß SEK(2007) 771 (nur auf EN verfügbar) werden nicht energetische Minerale als metallische Minerale (Kupfer, Eisen, Silber usw.), industrielle Minerale (Salz, Feldspat, Kaolin usw.) und Bauminerale eingestuft. Gemäß der Pressemitteilung der Europäischen Kommission Nr. IP/07/767 kann Europa im Fall der metallischen Minerale seinen Bedarf nur sehr begrenzt aus dem heimischen Abbau decken. Zur Veranschaulichung: 2004 wurden 177 Mio. t metallischer Minerale in einem Gesamtwert von 10,4 Mrd. EUR in die EU importiert, wohingegen die EU-eigene Produktion nur etwa 30 Mio. t ausmachte.

(4)  Quelle: Euromines.

(5)  Quelle: Eurostat.

(6)  „China's commodity hunger. Implications for Africa and Latin America“ — Deutsche Bank Research.

(7)  Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der 1951 unterzeichnet wurde.

(8)  Vgl. Vierter Bericht der Hochrangigen Gruppe für Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt vom 27. November 2007 und G8-Gipfel vom 6. bis 8. Juni 2007 in Heiligendamm. Die Hochrangige Gruppe für Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt ist eine Plattform, die die notwendigen politischen Impulse für eine kohärente Strategie zur Erleichterung des Zugangs zu Rohstoffen gibt.

(9)  SEK(2007) 771 (nur auf EN verfügbar).

(10)  So sind im modernen Bergbau Finanzdienste für die Entwicklung einer Mine von äußerst großer Bedeutung. Die Finanzdienste richten sich je nach dem Entwicklungsstadium: Erkundung, Machbarkeit, Erschließung, Betrieb, Schließung.

(11)  Siehe bestehende Fallstudien in Finnland, Schweden, dem Vereinigten Königreich und anderen europäischen Ländern.

(12)  Diese Initiative wurde 2004 vom International Council on Mining and Metals (ICMM) initiiert. um bewährte Verfahren für Investitionen in den Bergbau und die Metallindustrie auf nationaler/regionaler und Unternehmensebene in den Entwicklungsländern zu ermitteln.

(13)  Die Gruppe Rohstoffversorgung ist eine Gruppe, in der die Interessenträger einschl. Industrie, Umwelt-NGO, Gewerkschaften, die Mitgliedstaaten und die Europäischen Kommission vertreten sind.

(14)  Im 18. Jahresbericht der Metals Economic Group „Corporate Exploration Strategies“ ist festgehalten, dass die hohen Rohstoffpreise dazu geführt haben, dass 2007 weltweit insgesamt 10,5 Mio. USD in die Erkundung von Nichteisenlagerstätten investiert wurden. Folgende zehn Länder stellen die meisten Mittel für Erkundungen bereit: Kanada 19 %, Australien12 %, USA 7 %, Russland 6 %, Mexiko 6 %, Peru 5 %, Chile 4 %, Südafrika 4 %, China 3 %, Brasilien 3 %.

(15)  Geographisches Informationssystem.

(16)  Auf dem informellen Ratstreffen der für Raumordnung zuständigen Minister der EU-Mitgliedstaaten am 10./11. Mai 1999 in Potsdam wurde festgelegt, dass es das Anliegen der Raumentwicklungspolitik ist, auf eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Territoriums der Union hinzuwirken, um den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Erhaltung und das Management der natürlichen Lebensgrundlagen und des kulturellen Erbes sowie eine ausgeglichenere Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Raumes zu verwirklichen.

(17)  Richtlinie 2007/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung einer Geodateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaft (INSPIRE).

(18)  Auf internationaler Eben hat die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Teil Zwei ihres Weltinvestitionsberichts 2007 eine Bewertung dieser Frage vorgenommen.

(19)  Gemäß „Raw Materials Data“, Stockholm, Januar 2008, betrug die Gesamtinvestitionssumme für den Bergbau Ende 2007 308 Mio. USD. Dies bedeutet einen Anstieg von 50 % gegenüber dem Jahr 2006, in dem bereits ein Anstieg von 20 % gegenüber 2005 verzeichnet wurde.

(20)  Siehe http://www.etpsmr.org/.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/88


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Integration von Minderheiten — Roma“

(2009/C 27/20)

Die Europäische Kommission beschloss am 27. Oktober 2006 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Integration von Minderheiten — Roma“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. Juni 2008 an. Berichterstatterin war Frau SIGMUND, Mitberichterstatterin Frau SHARMA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 130 gegen 4 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Empfehlungen:

Der notwendige radikale Wandel der Beziehungen zwischen Minderheiten (1), insbesondere den Roma, und der Mehrheitsbevölkerung — einschließlich ihrer Integration und damit einer Änderung ihrer sozioökonomischen Situation — ist ein langwieriger Prozess, der ein zweigleisiges Vorgehen erfordert:

a)

Kurzfristig müssen die Probleme angegangen werden, die ein sofortiges Handeln erforderlich machen, z.B. in Form des Erlasses von Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten zur Durchsetzung und effektiven Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien, die die Rechte der Bürger gewährleisten.

b)

Auf Ebene der Mitgliedstaaten und/oder der regionalen und lokalen Ebene muss ein langwieriger, mehrere Jahrzehnte dauernder Prozess in Gang gebracht werden, z.B. die Verbesserung der Schulbildung von Roma-Kindern und -Jugendlichen oder die Förderung der Roma-Sprache und -Kultur.

Lösungen finden sich somit nicht nur auf EU-Ebene, sondern vor allem auf Ebene der Mitgliedstaaten sowie auf regionaler und lokaler Ebene, wobei Kooperationen und Partnerschaften ausgebaut werden müssen.

Für die Integration von Minderheiten, insbesondere der Roma, ist Folgendes notwendig:

1.

eine rechtliche Handlungsgrundlage, die sich auf den, gemeinschaftlichen Besitzstand und die relevanten Bereiche der offenen Methode der Koordinierung stützt (Bildung, Beschäftigung, Sozialschutz und soziale Inklusion);

2.

eine kohärente und langfristige politische Rahmenstrategie der Kommission;

3.

eine strukturierte, transparente und nachhaltige Zusammenarbeit aller Akteure der organisierten Zivilgesellschaft sowie die Förderung des Kapazitätenaufbaus für Nichtregierungsorganisationen;

4.

die aktive, auf Verantwortung basierende Beteiligung von Roma-Vertretern am Prozess;

5.

eine zuverlässige institutionalisierte Plattform für die pragmatische Umsetzung konkreter Schritte;

6.

Programme für positive Maßnahmen in den Bereichen Schul- und Berufsbildung und Beschäftigung (einschließlich der Selbstständigkeit).

Darüber hinaus regt der Ausschuss die Einrichtung eines Jean-Monnet-Lehrstuhls für Roma-Sprache (Rromani bzw. Rromanes) und -Kultur an.

Die vorgeschlagenen Ziele können durch einen „Top-down-Ansatz“ nicht erreicht werden. Nur wenn es gelingt, die Roma-Gemeinschaft — vor allem die Männer mit Führungsfunktion — zu überzeugen, sind positive Entwicklungen möglich. Dazu sind aber Investitionen in die Bildung der Roma notwendig. In diesem Zusammenhang können die europäischen Strukturfonds eingesetzt werden.

1.   Einleitung

1.1

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2006 hat die Vizepräsidentin der Kommission und für interinstitutionelle Angelegenheiten zuständige Kommissarin, Margot WALLSTRÖM, anlässlich des „Europäischen Jahres der Chancengleichheit für alle 2007“ den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um eine Sondierungsstellungnahme zu der Frage ersucht, wie konzertierte Anstrengungen gefördert werden können, um die Wirkung und Effizienz aller einschlägigen Instrumente zur Bekämpfung der Diskriminierung und zur Integration von Minderheiten, insbesondere der Roma, zu maximieren.

1.2

Da sich der Ausschuss bereits in mehreren Stellungnahmen (2) mit der Diskriminierung von Minderheiten in verschiedenen Lebensbereichen befasst hat, verweist er zunächst auf die dort gemachten Feststellungen und deren Relevanz auch für die Roma und konzentriert sich in der vorliegenden Stellungnahme auf die besondere Situation der Roma in allen Lebensbereichen. Der Ausschuss hofft, mit seinen Vorschlägen zu einem mainstreaming beizutragen und betont die Wichtigkeit einer kohärenten Rahmenstrategie zur Heranführung der Roma an das europäische Integrationswerk.

2.   Die Roma in Europa

2.1

Die Roma und ihre Geschichte: Da die Entstehungsgeschichte einer Minderheit entsprechende Auswirkungen auf ihre soziale und politische Identität sowie auf das damit verbundene Konfliktpotenzial hat, ist das Wissen um die eigene Geschichte sowohl für die Minderheit als auch für die Mehrheit von grundlegender Bedeutung.

Seit mehr als sieben Jahrhunderten leben Roma in Europa. Die Präsenz von verschiedenen Roma-Gruppen in fast allen europäischen Ländern seit dem Ende des 15. Jahrhunderts ist ebenso dokumentiert wie die Maßnahmen der Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung. In einigen Ländern waren Roma Opfer von Sklaverei. Im 20. Jahrhundert waren die Roma einer besonders grausamen, öffentlich verordneten Form der Verfolgung ausgesetzt: Die Zahl der Roma, die während des Nationalsozialismus Opfer von rassischer Verfolgung und Völkermord wurden, wird allgemein auf über eine halbe Million geschätzt.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Geschichte der Roma in Europa geprägt ist von historischer Verfolgung und anhaltender Diskriminierung, was auch eine immer wieder erkennbare allgemeine Traumatisierung vieler Roma verständlich erscheinen lässt.

So müssen alle Anstrengungen unternommen werden, den Roma zu helfen, aus ihrer Opferrolle herauszutreten, damit sie tatsächlich von — mit mehr oder weniger Argwohn betrachteten — „Objekten“ zu „Subjekten“, zu Akteuren werden, die bereit und imstande sind, eine aktive und verantwortungsvolle Rolle in der Gesellschaft, insbesondere in den sie betreffenden Politikbereichen, zu übernehmen.

2.2

Die Roma und ihre Demografie: Aussagekräftige demografische Daten über Roma existieren mangels verlässlicher Statistiken nicht. So schwanken die Schätzungen über die Anzahl der in Europa lebenden Roma zwischen 10 und 12 Millionen Menschen (davon 7-9 Millionen in der EU). Von diesen leben schätzungsweise rund 60 % in äußerster Armut und am Rande der Gesellschaft (3). Die Muster und das Ausmaß der Ausgrenzung sind in allen Mitgliedstaaten ähnlich; allerdings gibt es historisch und soziopolitisch begründete Unterschiede.

Die demografische Entwicklung der Roma entspricht nicht dem Trend der Mehrheitsbevölkerung: Der Anteil der Roma an der europäischen Gesamtbevölkerung, der trotz einer hohen Kindersterblichkeit und einer niedrigen Lebenserwartung auf lange Sicht steigt, stellt eine große Herausforderung für alle Bereiche der Sozial- und Bildungspolitik dar. Wenn es nicht gelingt, das Niveau der Schulbildung und der beruflichen Kompetenzen von Roma deutlich zu verbessern, wird es in den Mitgliedstaaten eine wachsende Zahl schlecht ausgebildeter und gering qualifizierter Personen geben, die die Wirtschaftsentwicklung bremsen und die Sozialsysteme auslaugen. Gefragt sind demnach bildungs- und beschäftigungspolitische Maßnahmen und Strategien, die die Traditionen und sozioökonomischen Bedingungen des Lebens der Roma berücksichtigen. Nur mit Bildungsangeboten, die von ihnen auch angenommen werden, und entsprechender Ausbildung werden die Roma jenen aktiven Beitrag zu der Gesellschaft, der sie angehören, leisten können, der von ihnen zu Recht erwartet wird.

2.2.1

Die Roma und ihre Sprache: Rromani (bzw. Romanes) ist eine indoeuropäische Sprache und wird in zahlreichen Varianten in den verschiedenen Roma-Gemeinschaften in Europa gesprochen. Zwar gibt es Varianten und Dialekte des Rromani, doch ermöglicht ein großer gemeinsamer Wortschatz die Verständigung zwischen den meisten Roma in Europa. In vielen Gemeinschaften wird Rromani sogar als Muttersprache gesprochen. Ausnahme sind jene Länder, in denen die Sprache teilweise verloren ging, weil sie — wie z.B. in Spanien — verboten war. Die Anerkennung der Bedeutung des Rromani, seine Standardisierung und Lehre sind für den sozialen Zusammenhalt innerhalb und außerhalb der Minderheit von größter Bedeutung. Außer in Paris (Institut des langues et des civilisations orientales) gibt es auch an der Fakultät für Fremdsprachen der Universität Bukarest ein Lektorat für diese Sprache. Darüber hinaus werden an der Karls-Universität in Prag Arbeiten zu einem lokalen Roma-Dialekt durchgeführt; und an der Eötvös-Universität in Budapest existiert eine Initiative für einen Sprachkurs im Rahmen der Europäischen Charta für Minderheiten- und Regionalsprachen. Die Universität Manchester verfügt ebenfalls über einen einschlägigen Forschungsschwerpunkt.

Gemeinsame Sprache schafft gemeinsame Identitätsstiftung. Deshalb ist die Förderung ihrer Sprache für die soziale Anerkennung und kulturelle Identität der Roma von grundlegender Bedeutung.

Daher regt der Ausschuss die Einichtung eines Jean-Monnet-Lehrstuhls für Rromani und Roma-Kultur an.

2.3   Die Roma als Bestandteil europäischer Kultur

Im Lauf der Jahrhunderte haben die Roma ihren Beitrag zur Vielfalt der europäischen Kultur geleistet, was anhand von zahlreichen Beispielen, z.B. in der Musik oder in der bildenden Kunst, dokumentiert werden kann. 2008 als Jahr des interkulturellen Dialogs bietet gute Voraussetzungen, diese Vernetzung aufzuzeigen und zu intensivieren.

3.   Die Roma und ihre beiden Lebenskreise

3.1

Roma: Lebenskreis der Diskriminierung: Gesellschaftliche und institutionelle Diskriminierung, zu der auch der Antiziganismus („Zigeunerfeindlichkeit“) zählt, ist heute ein alltägliches Phänomen, über das in den Medien häufig berichtet wird. Im Rahmen des Gemeinschaftsrechts ist diese Situation inakzeptabel: Roma sind Bürger eines erweiterten Europas, für die der ratifizierte Vertrag (insbesondere Artikel 13) bestimmte Rechte vorsieht; werden diese nicht gewährt, stellt dies den Tatbestand der (mitunter sogar institutionellen) Diskriminierung dar.

3.1.1

Vor und nach der Geburt: Die den Sozialsystemen inhärente Diskriminierung führt zu vielen armen, unterernährten Roma-Mädchen ohne Schulbildung, die unterernährte Mütter werden, die wiederum untergewichtige Kinder zur Welt bringen. In Minderheitengemeinschaften findet gemeinhin keine Schwangerschaftsvorsorge statt, was zur Folge hat, dass Mutter und Kind Mangelerscheinungen aufweisen. Entbindungsleistungen und Gesundheitsleistungen wie aufsuchende Hebammendienste und aufsuchende Gesundheitshilfe stehen nicht in genügendem Maße zur Verfügung, während der Zugang zu Krankenhäusern von verkehrstechnischen und finanziellen Möglichkeiten abhängt. In der Folge werden die Babys nicht amtlich gemeldet und in den ersten Lebensjahren nicht geimpft. Um diesen negativen Tendenzen im Gesundheitsbereich entgegenzuwirken, reicht es nicht aus, die Roma einfach in die bestehenden Gesundheitssysteme aufzunehmen. Vielmehr sind kultursensible Sofortmaßnahmen erforderlich, z.B. Informationen zur Gesundheitsaufklärung und Familienplanung, Durchimpfungen oder Tuberkulosekontrollen für ganze Gemeinschaften. Diese Maßnahmen sollten durch die aktive Beteiligung von (entsprechend geschulten) Roma-Frauen und Roma-Gesundheitsmediatoren sowie durch mobile Gesundheitsdienste und für die Roma zugängliche und verständliche Informationen unterstützt werden. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass für jedes Roma-Baby ein Eintrag im Geburtsregister und eine Geburtsurkunde existieren.

3.1.2

Die frühkindliche Entwicklung ist für eine erfolgreiche Schullaufbahn und eine gelungene Integration wesentlich, denn die ersten Jahre sind für das gesamte Leben prägend. Mutter-Kind-Programme und Spielgruppen sind für Mütter ebenso wichtig wie Elternbildungsprogramme. Sie bieten aber auch einen in jeder Hinsicht integrierten Ansatz, bei dem die Bedürfnisse der Familien berücksichtigt werden. Das aus Großbritannien stammende, inzwischen in viele EU-Mitgliedstaaten übernommene „Sure Start“-Programm, das auch die Ganztagsbetreuung umfasst, ist ein gutes Beispiel für die Möglichkeit der Integration von Müttern und Kleinkindern. In fast allen EU-Mitgliedstaaten mangelt es an hochwertigen, den Barcelona-Zielen entsprechenden Ganztagseinrichtungen, zu denen Roma-Kinder im Übrigen vielfach nicht zugelassen werden.

3.1.3

Schulalter (6. bis 14. Lebensjahr): Absentismus von Roma-Kindern, fehlende Registrierung und mangelnde Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder (insbesondere Mädchen) zur Schule zu schicken, Segregation und mangelhafter Unterricht sind zusätzliche Faktoren, auf die in zahlreichen Berichten hingewiesen wird (4). Instrumente zur Förderung des Schulbesuchs und die Abschaffung der Segregation sind wichtig, um den Teufelskreis der unzureichenden Bildung von Roma-Generationen zu durchbrechen. CCT (Conditional Trash Transfer) ist ein System, das in einigen Ländern eingeführt wurde, um den Schulbesuch zu fördern, womit die Pflicht einhergehen sollte, die Anmeldung eines Kindes nachzuweisen und seine Geburtsurkunde vorzulegen. Es kann davon ausgegangen werden, dass Kinder zur Schule gehen, wenn sie integriert sind und ihnen alle Dienstleistungen und Bildungsmethoden zur Verfügung stehen, die notwendig sind, um die Anforderungen erfüllen zu können (z.B. hinsichtlich der Sprachkenntnisse oder der Einhaltung von Terminen). Kostenlose Mahlzeiten (einkommensabhängig) und Unterrichtsbücher für alle Grundschüler sollten wieder eingeführt werden. Die Regierungen sollten dies in Erwägung ziehen, um Bildung als langfristige Priorität zu verankern.

Segregation in der Bildung ist zunächst die Folge geografischer Segregation der Siedlungsgebiete von Roma und der Mehrheitsbevölkerung. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass Nicht-Roma ihre Kinder oft aus Schulen nehmen, wenn der Prozentanteil von Roma-Kindern in einer Klasse zu hoch wird, was zur Bildung von segregativen Schulen oder Klassen für Roma-Kinder führt. Aus verschiedenen Gründen haben diese Schulen nicht das entsprechende Niveau, was in weiterer Folge das Abgleiten durchaus leistungsfähiger Roma-Kinder in Sonderschulen und damit in der Regel ihren Ausschluss von der Möglichkeit zu höherer Bildung zur Folge hat.

Ein besonderes Problem ist die Einweisung von Roma-Kindern in Sonderschulen für Kinder mit geistigen Behinderungen. Dies geschieht häufig aufgrund diskriminierender Schul-Eingangstests, aber zum Teil auch aufgrund falscher Anreize (kostenloser Transport oder Schulspeisung). Die Praxis der ungerechtfertigten Einweisung in Sonderschulen ist ein eklatanter Verstoß gegen die Grundrechte und muss mit allen juristischen und administrativen Mitteln unterbunden werden.

Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang bleiben, dass Armut ein Grund für Schulabstinenz ist, da die Eltern entweder die mit einem Schulbesuch verbundenen Kosten nicht tragen können bzw. wollen oder ihre Kinder als Arbeitskräfte einsetzen, um zum Familienunterhalt beizutragen oder sich um ihre jüngeren Geschwister zu kümmern. Die letztgenannte Problematik betrifft vor allem Mädchen.

3.1.4   Erwachsenenalter

3.1.4.1

Die Wohnsituation ist durch schlechte Lebensbedingungen und anhaltende Segregation gekennzeichnet. Die Bewohner von Notunterkünften mit schlechter Grundausstattung bzw. in marodem Erhaltungszustand, mit mangelhafter Strom-, Gas- und Wasserversorgung und mit unzureichender hygienischer Versorgung an verschmutzten Standorten, haben keine Eigentumsrechte und können keinen festen Wohnsitz angeben, wenn sie Sozialleistungen beantragen oder sich um eine Arbeitsstelle bewerben beziehungsweise Leistungen in den Bereichen Bildung, Beschäftigung und Gesundheit beanspruchen. Viele dieser Probleme resultieren aus gesellschaftlicher Diskriminierung und Antiziganismus. Es ist darauf hinzuweisen, dass die nomadische Lebensweise der Roma eher die Folge als die Ursache ihrer Ausgrenzung ist. Auch wenn die große Mehrheit der Roma nun sesshaft ist, wird trotzdem die Wahl einer nomadischen Existenz oftmals angeführt, um ihre Ausgrenzung zu erklären.

3.1.4.2

Bildung ist eine der grundlegendsten Investitionen in die Zukunft; der hohe Anteil von Analphabetentum und das niedrige allgemeine Bildungsniveau der Roma provozieren düstere Zukunftsprognosen. Die Mitgliedstaaten müssen dafür Sorge tragen, dass die Roma in ihren Bildungssystemen nicht diskriminiert werden. Zudem sollten sie Programme für Erwachsene in den Bereichen „Lesen, Schreiben, Rechnen“ und „lebenslanges Lernen“ einführen.

Für Roma ist es über die Maßen schwierig, eine höhere Schulbildung und eine gute Berufsausbildung zu erhalten. Neben den Bestrebungen, sie in das reguläre Bildungs- und Ausbildungssystem zu integrieren, sollten die Mitgliedstaaten auch Modelle zur Anerkennung informell erworbener Fähigkeiten nutzen und bei der Anerkennung außerhalb des Landes erworbener Qualifikationen erheblich großzügiger vorgehen.

Die von der Kommission eingeführte integrative Spracherziehungspolitik, die u.a. darauf abzielt, das Erlernen von Minderheitensprachen zu fördern, sollte auch zum Nutzen der Roma eingesetzt werden.

3.1.4.3

Die wirtschaftliche Integration erfordert von Angehörigen von Minderheiten die Überwindung einer Reihe von Hindernissen, die sich häufig gegenseitig verstärken (5). Diese Personen sind auch aufgrund fehlender oder niedriger Schul- bzw. Lehrabschlüsse — oder aufgrund mangelnder oder nicht anerkannter Qualifikationen — automatisch benachteiligt; sind sie mit Antiziganismus konfrontiert, so verdoppeln sich diese Hürden. Aus Dutzenden belegter Fälle geht hervor, dass die Arbeitslosigkeit unter Roma vielfach auf Rassendiskriminierung zurückzuführen ist. Es gibt praktisch keinen Zugang zu Maßnahmen des lebensbegleitenden Lernens für Angehörige von Minderheitengemeinschaften.

Roma sind im Durchschnitt sehr befähigt unternehmerisch zu denken und zu handeln; es sind daher Mittel und Wege zu finden, sie aus der Schattenwirtschaft herauszuführen und ihnen die Teilnahme an einem geregelten Wirtschaftsleben zu ermöglichen, z.B. durch Mikrokredite und Mechanismen zur Gründung und Förderung von Unternehmen, um die Herausforderungen zu bewältigen und die Hürden zu überwinden.

Roma-Haushalte sind vielfach finanziell in hohem Maße von Sozialleistungen und anderen staatlichen Leistungen (z.B. Renten- oder Kindergeldzahlungen) abhängig, während die Teilnahme an der formellen Wirtschaft vergleichsweise begrenzt ist. Dadurch wird die Beteiligung von Roma an den Sozialschutzsystemen asymmetrisch (d.h. als Gruppe erhalten sie mehr als sie einzahlen). Diese Asymmetrie ist ein wichtiger Grund für soziale Spannungen und Vorurteile und letztendlich Ausgrenzung.

So könnten — entsprechend dem Grundsatz „positive Leistungen für positive Anstrengungen“ — zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, um Anreize für offizielle Erwerbstätigkeit zu bieten. Andernfalls bleibt ein wichtiger systemischer Faktor für rassistische Ausgrenzung bestehen. In Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Organisationen könnten Programme zur (Wieder)-Eingliederung in den Arbeitsmarkt aufgelegt werden.

Die Diskriminierung am Arbeitsplatz und im Rahmen einer Bewerbung ist hinreichend dokumentiert. Dagegen muss mit rechtlichen Mitteln vorgegangen werden. Gleichzeitig müssen die Roma aber auch Zugang zur Berufsbildung erhalten, um fachliche Qualifikationen erwerben zu können. Dies ist erforderlich, um einen umfassenden kulturellen Wandel zu bewirken.

3.1.4.4

Gesundheit: Der niedere Lebensstandard (mangelndes Einkommen) und die schlechten Lebensbedingungen (Verschmutzung, unzureichende hygienische Versorgung, kein sauberes Wasser) ziehen hohe Gesundheitsrisiken nach sich. Der Zugang zu Gesundheitsdiensten in Roma-Siedlungen ist eingeschränkt, insbesondere weil die meisten Betroffenen nach der Geburt nicht amtlich angemeldet wurden und deshalb im Gesundheitssystem nicht erfasst sind. Roma erhalten oftmals nur Zugang zu einer separaten Abteilung innerhalb eines öffentlichen Gesundheitsdiensts: Das ist diskriminierend. Alle europäischen Bürger haben ein Grundrecht auf den Zugang zu hochwertigen Gesundheitsdiensten.

3.1.4.5

Roma-Frauen haben in der Regel einen niedrigen Status in der Familienhierarchie, schlechte oder gar keine Schulbildung und entsprechend schlechte Berufsmöglichkeiten; sie heiraten oft in jungem Alter und erleben häufige Schwangerschaften. Auch häusliche Gewalt ist ein nicht zu unterschätzendes Thema mit hoher Dunkelziffer. Dazu kommen heute — was besonders besorgniserregend ist — noch Prostitution und Menschenhandel.

Es ist eine — wenngleich für Nicht-Roma nicht immer augenfällige — Tatsache, dass Roma-Frauen diejenigen sind, die innerhalb der Gemeinschaft für Veränderungen wie Kapazitätenaufbau und kulturellen Wandel sorgen und der Bildung ihrer Kinder (insbesondere der Mädchen) besondere Bedeutung beimessen. Werden die Mütter in die Elternvereine eingebunden und übernehmen dort Verantwortung, wirkt sich dies im Hinblick auf den Schulbesuch der Kinder überaus positiv aus.

3.1.4.6

Gesellschaftliche Diskriminierung und Antiziganismus in Form von Klischees und Vorurteilen gegenüber Minderheiten, insbesondere von Roma, sind tief verwurzelt und zeugen von generationsübergreifenden Wissenslücken und kulturellen Unterschieden. Die stereotype Auffassung, dass diese Gemeinschaften gesellschaftlich minderwertig sind, ist weit verbreitet und führt zu weiterer Isolation, Armut, Gewalt und schließlich Ausgrenzung.

3.2   Roma — Lebenskreis der Integration

3.2.1

Integration ist keine Einbahnstraße, sondern ein Prozess, der in zwei Richtungen verläuft und Anstrengungen sowohl von den Minderheiten als auch der Mehrheit verlangt. Aus Angst, im Wege der Integration, ihre Grundsätze, Traditionen und ihre Identität aufgeben zu müssen, haben viele Roma große Vorbehalte gegen integrative Maßnahmen. Gleichzeitig ist es für Nicht-Roma aufgrund der tief verwurzelten, generationenübergreifenden Diskriminierung schwer, ihre Vorurteile abzulegen und der Roma-Kultur positiv gegenüber zu treten.

3.2.2

Andererseits geben jene 40 % der Roma, die nicht in Armut, sondern in — wenn auch manchmal nur bescheidenem — Wohlstand leben (und auch nicht zu den sichtbarsten Gruppen der Roma gehören), Zeugnis von der grundsätzlichen Fähigkeit der Roma, sich in die Gesellschaft, in der sie leben, zu integrieren, ohne dafür ihre Identität als Roma aufzugeben.

3.2.3

Ein guter Weg voran sind die umfassenden Dokumentationen von Roma-Organisationen, um die Sichtbarkeit zu erhöhen, die aktive Teilnahme an der Gesellschaft zu stärken und die Bewusstseinsbildung zu fördern (6). Es kann jedoch noch mehr getan werden. Es könnte z.B. in Roma-Gemeinschaften investiert werden, die bereit sind, als Gegenleistung Engagement zu zeigen, sich einzubringen und Eigenverantwortung zu übernehmen. Kleinstkredite, die üblicherweise zur Förderung des Unternehmergeistes benutzt werden, könnten als Finanzierungshilfe für den Aufbau von Infrastruktur oder Bildungsmethoden eingesetzt werden. Die finanzielle Unterstützung könnte in Kleinbeträgen als Gegenleistung für die Erfüllung von Verpflichtungen gewährt werden, z.B. für den Schulbesuch der Kinder oder regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen (7).

3.2.4

Die gleichberechtigte Teilhabe von Minderheiten an der Gesellschaft setzt effektive, langfristige und maßgeschneiderte Maßnahmen voraus. Diese sollten zielgerichtet sein, aber nicht andere Gruppen ausschließen. Sie bedürfen des Willens seitens der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft, gleichzeitig das Prinzip der Nichtdiskriminierung durchzusetzen, effektiv die Chancengleichheit zu fördern und Vielfalt zu managen. Hier könnten die europäischen Strukturfonds eingesetzt werden, um entsprechende Programme zu finanzieren.

Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um die sowohl bei Roma als auch bei Nicht-Roma bestehenden Vorbehalte und Vorurteile abzubauen, indem nicht nur die notwendigen pragmatischen Schritte gesetzt werden, sondern auch — mit Hilfe von Führungspersönlichkeiten und Mittlern auf beiden Seiten — gemeinsame Zukunftsstrategien entwickelt werden. Vorbildern aus den Roma-Gemeinschaften kommt dabei eine besondere Rolle zu.

4.   Die Roma und Europa

4.1   Die Europäische Kommission:

4.1.1

Die Kommission bemüht sich seit langem, zur Lösung des Integrationsproblems beizutragen. Durch die Einrichtung einer dienstübergreifenden Gruppe für Roma-Fragen vor einigen Jahren konnte der Informationsfluss zwischen den einzelnen Kommissionsdienststellen verbessert und ein gewisses Maß an Koordinierung zwischen den zahlreichen Tätigkeitsbereichen erzielt werden.

4.1.2

Die im Januar 2006 von der Kommission eingesetzte hochrangige Expertenberatungsgruppe für die Integration ethnischer Minderheiten legte im Dezember 2007 ihren mitunter kritischen Bericht (8) vor, der Empfehlungen „für Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Roma hinsichtlich Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge und Versorgung mit Wohnraum“ enthält. Die Expertengruppe machte dazu in ihrem Bericht deutlich, dass nur ein entsprechender policy-mix, verbunden mit einem pragmatischen Ansatz, nachhaltige Lösungen bieten kann.

4.1.3

Auch die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte befasst sich eingehend mit dem Thema (9); in diesem Zusammenhang sei auch auf die umfassenden Untersuchungen, Berichte und Veranstaltungen ihrer Vorgängereinrichtung, der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, hingewiesen.

4.2   Das Europäische Parlament

4.2.1

Das Europäische Parlament setzt sich bereits seit langem nachdrücklich und fraktionsübergreifend für Minderheitenfragen, die Eingliederung der Roma und die Bekämpfung ihrer Diskriminierung ein. So wurden bereits zahlreiche Berichte und Entschließungen zu diesem Thema angenommen, zuletzt am 31. Januar 2008 (10).

4.3   Der Rat

4.3.1

Zuletzt hat sich der Europäische Rat vom 14. Dezember 2007 im Rahmen seiner Befassung mit dem Europäischen Jahr der Chancengleichheit mit dem Thema befasst (11).

4.4   Der Europarat und die OSZE

Beide Organisationen haben bereits in zahlreichen Bereichen zur Verbesserung der Situation beigetragen und führen ihre Arbeiten durch speziell auf die Roma ausgerichtete Maßnahmen weiter. Von besonderer Bedeutung für den Schutz von Minderheiten (und damit der Roma) sind das „Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten“ und die „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ des Europarates. Die „Dosta!“-Kampagne ist ein besonders positives Beispiel für die Sensibilisierung der Mehrheitsbevölkerung für Vorurteile und negative Klischees.

4.5

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einer Reihe von bahnbrechenden Entscheidungen wesentliche Basiselemente für die Umsetzung der Rechte der Roma geschaffen (12).

4.6

Die Vereinten Nationen (UN) beschäftigen sich seit Jahren (insbesondere im Rahmen von UNDP, UNICEF und UNESCO) mit der Förderung der Eingliederung der Roma.

4.7   Die organisierte Zivilgesellschaft

4.7.1

Das Open Society Institute (OSI) ist mit Unterstützung der Weltbank (WB) Initiator des „Jahrzehnts der Roma-Integration 2005-2015“  (13).

4.7.2

Die jüngst gegründete EU Roma Policy Coalition (ERPC)  (14) fühlt sich dem Prinzip der Einbeziehung durch Teilhabe verpflichtet und beabsichtigt, die Teilnahme der Roma an allen relevanten Prozessen zu fördern.

4.7.3

Das Europäische Forum der Roma und Fahrenden (ERTF)  (15) verdient besondere Erwähnung: Es wurde auf Initiative der finnischen Präsidentin Tarja HALONEN eingerichtet und hat aufgrund eines Partnerschaftsabkommens mit dem Europarat in diesem einen privilegierten Status mit der Möglichkeit der aktiven Teilnahme an dessen Arbeiten.

4.7.4

Da von den vorrangigen Bereichen der Roma-Integration insbesondere die Beschäftigung in ihren Wirkungsbereich fällt, haben auch die Sozialpartner eine wichtige Rolle in diesem Aktionsfeld. Die Erfahrungen des EGB, aber auch der nationalen Gewerkschaftsverbände sowie der europäischen und nationalen Arbeitgeberorganisationen, können wesentliche Elemente des einzuleitenden Prozesses sein.

5.   Schlussfolgerungen

5.1

Die Feststellung, dass die Ergebnisse aller bisherigen Bemühungen um die Einbeziehung der Roma und die Durchsetzung ihrer Rechte nicht zufriedenstellend sind, zieht sich wie ein roter Faden durch alle Arbeitsergebnisse.

5.2

Für die notwendigen Maßnahmen sind sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten zuständig. Unter Artikel 13 des Amsterdamer Vertrags wurden im Jahr 2000 Nichtdiskriminierungsrichtlinien verabschiedet, die einen wichtigen Impuls und einen institutionellen Rahmen für die Bekämpfung der Diskriminierung der Roma darstellen. Die Kommission sollte untersuchen, wie das Gemeinschaftsrecht ausgeweitet werden kann, um der Situation der Roma Rechnung zu tragen, z.B. durch eine Anti-Segregations-Richtlinie. Darüber hinaus sollte die Integration der Roma eine Priorität im Rahmen des Einsatzes der Strukturfonds sein.

5.3

In den Fällen, in denen die Mitgliedstaaten für die Probleme der Roma zuständig sind, bietet die in den 90-er Jahren entwickelte offene Methode der Koordinierung (OMK) einen möglichen effizienten Lösungsansatz (16). Der Ausschuss schlägt daher vor, auch im Bereich der Minderheitenfragen, insbesondere der Integration der Roma, auf der OMK aufzubauen. Als ein erster Schritt wird vorgeschlagen, die Lage der Roma in den verschiedenen bereits bestehenden Prozessen der OMK (insbesondere Beschäftigung, soziale Eingliederung und Bildung) zu berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten können die OMK und ihre Instrumente gemeinsam nutzen, um Modelle für bewährte Verfahren zu ermitteln und gleichzeitig globale Modelle oder lokale, basisorientierte Projekte zu untersuchen. Damit diese Projekte erfolgreich und nachhaltig sind, müssen sie sektorübergreifend sein und auf Aktionsplänen beruhen, an denen alle Interessenträger, insbesondere die Roma-Organisation, beteiligt sind und die Verpflichtungen, Maßnahmen, Bewertungen sowie Reaktions- und Verbreitungsmechanismen vorsehen, die — auch durch die Strukturfonds — angemessen unterstützt werden. Der Ausschuss ist überzeugt, dass die OMK bestens geeignet ist, viele legistische, soziale aber auch traditionsbedingt emotionale Probleme der Minderheitenfrage, speziell aber die Anliegen der Roma, ergebnisorientiert zu lösen.

5.4

Für den Erfolg der Aktivitäten wird maßgebend sein, ob es gelingt, ein funktionierendes Netzwerk der Zusammenarbeit aller Akteure einzurichten. Der Ausschuss hat seinen Mehrwert als Brücke zur organisierten Zivilgesellschaft schon mehrfach unter Beweis gestellt (17) und wird zur Lösung der Frage der Integration von Minderheiten, insbesondere der Roma, durch institutionalisierte und damit nachhaltige Zusammenarbeit beitragen.

5.5

Die von der Kommission für September geplante hochrangige Konferenz über die Integration von Roma böte einen geeigneten Rahmen, von der Kommission erarbeitete Vorschläge zur Verbesserung der Effizienz der EU- und nationalen Politiken öffentlich zu diskutieren und erste konkrete Schritte im bereits erwähnten Prozess einzuleiten.

Der Ausschuss könnte bei dieser Gelegenheit seine als Follow-up dieser Stellungnahme geplanten konkreten Maßnahmen vorstellen. Auch Kooperationsformen mit Medien sollten angedacht werden, die langfristige Ziele verfolgen und sich nicht nur auf die Berichterstattung über aktuelle Zwischenfälle beschränken.

6.   Schlussbemerkungen

6.1

Der Ausschuss hat seine Arbeiten zunächst zum „Jahr der Chancengleichheit“ aufgenommen, sie dann aber — in Abstimmung mit der Kommission — in den Kontext des „Jahres des interkulturellen Dialogs“ gestellt.

Kultur in dem vom Ausschuss verstandenen Sinn als alle Lebensbereiche umfassender Prozess, als Bekenntnis zu gemeinsamen Werten, als gemeinsame „Lebensart“, ist ein unverzichtbarer Verständigungsfaktor im Bemühen um bessere Integration in allen Bereichen, weil sie Rationalität mit Emotionalität verbindet und damit einen ganzheitlichen Lösungsansatz für zu bewältigende Probleme bietet. Diese soziale Dimension der Kultur trägt dazu bei, dass der interkulturelle Dialog ein Instrument des Friedens und des Ausgleichs sowohl im Innenbereich als auch nach außen ist. Auf Minderheiten, im Speziellen aber auf Roma bezogen, bedeutet das, dass der interkulturelle Dialog das am besten geeignete Mittel ist, um die in Jahrhunderten gewachsenen Stereotype an Misstrauen, Vorbehalten, Verständnislosigkeit allmählich abzubauen, um, gestützt auf eine solide Rechtsgrundlage, gemeinsam in einer von gegenseitiger Achtung getragenen Atmosphäre eine für beide Seiten akzeptable Form der Integration zu finden.

6.2

Der Ausschuss gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass noch im „Jahr des interkulturellen Dialogs“ erste konkrete Schritte zur Umsetzung seiner Vorschläge unternommen werden, gefolgt von weiteren Schritten im „Europäischen Jahr zur Förderung der Beziehungen zwischen Kreativität, Kultur und Bildung 2009“ sowie auch im „Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010“.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  EMPFEHLUNG 1201 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (1993), Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten: Der Ausdruck „nationale Minderheit“ bezieht sich auf eine Gruppe von Personen in einem Staat, die: im Hoheitsgebiet dieses Staates ansässig ist; langjährige, feste und dauerhafte Verbindungen zu diesem Staat aufrechterhält; besondere ethnische, kulturelle, religiöse oder sprachliche Merkmale aufweist; ausreichend repräsentativ ist, obwohl ihre Zahl geringer ist als die der übrigen Bevölkerung dieses Staates oder einer Region dieses Staates; von dem Wunsch beseelt ist, die für ihre gemeinsame Identität charakteristischen Merkmale, insbesondere ihre Kultur, ihre Traditionen, ihre Religion oder ihre Sprache, gemeinsam zu erhalten.

Englischer Text:

http://assembly.coe.int/Main.asp?link=/Documents/AdoptedText/ta93/EREC1201.htm;

Deutscher Text in:

http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P6-TA-2005-0228+0+DOC+XML+V0//DE.

(2)  Stellungnahme des EWSA vom 13. September 2006 zum Thema „Einwanderung, Eingliederung und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 318 vom 23.12.2006; Stellungnahme des EWSA vom 10. Dezember 2003 zum Thema „Einwanderung, Integration und Beschäftigung“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 80 vom 30.3.2004; Stellungnahme des EWSA vom 5. Juni 2000 zum Thema „Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen“ (Berichterstatter: Herr SHARMA), ABl. C 204 vom 18.7.2000; Stellungnahme des EWSA vom 10. Dezember 2003 zum Thema „Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ (Berichterstatter: Herr SHARMA: ABl. C 80 vom 30.3.2004).

(3)  Nachstehend werden einige der wichtigsten Texte zu diesem Thema aufgeführt. Sie sind auf Internetseiten zu finden, die zahlreiche weitere Referenzen und Links sowie Beispiele für bewährte Verfahren umfassen und z.T. in verschiedenen Sprachfassungen zur Verfügung stehen:

 

„Zur Lage der Roma in einem erweiterten Europa“, Bericht der Europäischen Kommission, 2004,

(http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/pdf/pubst/roma04_de.pdf).

 

„Avoiding the Dependency Trap“, UNDP, 2003

(http://roma.undp.sk/).

 

„Final Report on the Human Rights Situation of Roma, Sinti and Travellers in Europe“, Europarat, 2006, von Alvaro Gil Robles, Menschenrechtskommissar

(http://www.coe.int/t/dg3/romatravellers/documentation/default_en.asp).

 

„Action Plan on Improving the Situation of Roma and Sinti Within the OSCE Area“

(www.osce.org/odihr/).

 

„Analysis of the Anti-Segregation Policies in the Countries Participating in the Decade of Roma Inclusion“

(www.romadecade.org).

(4)  40 % der Roma-Kinder gehen nicht zur Schule (im Vergleich zu 0,5 % der Kinder der Mehrheitsbevölkerung). Ferner brechen 38 % der Roma-Kinder die Schule ab (im Vergleich zu 4 % der Mehrheit). Mädchen sind noch stärker benachteiligt: nur jedes dritte Mädchen schließt die Grundschule ab (im Vergleich von 19 zu 20 Mädchen der Mehrheit).

Lediglich 8 % der Roma-Kinder erlangen einen Sekundarschulabschluss (im Vergleich zu 64 % der Mehrheitsbevölkerung) und weniger als 0,5 % der Roma nehmen ein Hochschulstudium auf (Zahlen über Hochschulabschlüsse liegen nicht vor) (Quelle: UNDP)

(5)  Die Hochrangige Expertengruppe zur sozialen Integration ethnischer Minderheiten und deren vollständiger Beteiligung am Arbeitsmarkt hat im Dezember 2007 ihren Bericht „Ethnic Minorities in the Labour Market“ vorgelegt. Dieser listet die wichtigsten Hindernisse beim Zugang zum Arbeitsmarkt auf

(http://ec.europa.eu/employment_social/fundamental_rights/pdf/hlg/etmin_en.pdf).

(6)  Beispiele: http://www.soros.org/initiatives/roma, http://www.romeurope.org/?page_id=14, http://www.romnews.com/community/index.php, http://www.enar-eu.org/, http://www.unionromani.org/union_in.htm, http://www.romanicriss.org/, http://www.erionet.org/, http://www.grtleeds.co.uk/index.html, http://www.etudestsiganes.asso.fr/, http://www.fnasat.asso.fr/, http://romove.radio.cz/en/, http://www.spolu.nl/index.html.

(7)  Nobelpreis 2006 für Muhammad Yunus. Grameen-Bank-Modell von Bangladesh könnte auf die Roma-Gemeinschaften übertragen werden.

(8)  „Trotz vieler auf die Roma ausgerichteter Programme und Initiativen schreitet der Wandel nur langsam voran, und die Ergebnisse sind vor allem aufgrund struktureller Probleme schlechter ausgefallen als erwartet. Es muss unterstrichen werden, dass, obwohl die durchgängige Berücksichtigung des Aspekts der Gleichstellung ein strategisches Ziel der EU und ihrer Mitgliedstaaten sein sollte, spezifische und zielgerichtete Maßnahmen für die Eingliederung der Roma notwendig sind.“ (siehe Fußnote 6)

(9)  Anm. d. Übers.: Original nur Englisch. „Roma and Travellers in Public Education“, EUMC/FRA, 2006,

(http://fra.europa.eu/fra/material/pub/ROMA/roma_report.pdf).

(10)  Vom Europäischen Parlaments am 31.1.2008 angenommener Entschließungsantrag zu einer europäischen Strategie für die Roma, Punkt 6: „… fordert die Kommission nachdrücklich auf, im Hinblick auf eine kohärente EU-Politik eine europäische Rahmenstrategie für die Eingliederung der Roma und zur finanziellen Unterstützung dieser Strategie einen umfassenden Aktionsplan der Gemeinschaft auszuarbeiten“.

(http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P6-TA-2008-0035+0+DOC+XML+V0//DE),

(11)  Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Ziffer 50. In diesem Zusammenhang ersucht der Europäische Rat, der sich der sehr spezifischen Lage der Roma in der gesamten Union bewusst ist, die Mitgliedstaaten und die Union, alle Mittel zu nutzen, die zu einer besseren Eingliederung der Roma führen. Zu diesem Zweck ersucht er die Kommission, die bestehenden Maßnahmen und Instrumente zu prüfen und dem Rat vor Ende Juni 2008 über die erzielten Fortschritte Bericht zu erstatten.

(http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/97683.pdf).

(12)  (http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/search.asp?sessionid=7828574&skin=hudoc-en).

(13)  Das Konzept der „Decade for Inclusion of Roma 2005-2015“ wurde im Juni 2003 auf der Konferenz „Roma in an expanding Europe — Challenges for the Future“ unter aktiver Mitwirkung der Kommission angenommen. Die teilnehmenden Länder (Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Mazedonien, Montenegro) haben Aktionspläne mit ihren Vorschlägen zur Erreichung der vier vorrangigen Ziele — Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohnungswesen — verabschiedet. Auf dieser Konferenz wurde auch ein Fonds für Roma-Bildung eingerichtet.

(http://www.romadecade.org/) (http://romaeducationfund.hu/).

(14)  Mitglieder: Amnesty International (AI), European Roma Rights Center (ERRC), European Roma Information Office (ERIO), European Network against Racism (ENAR), Open Society Institute (OSI), Spolu International Foundation (SPOLU), Minority Rights Group International (MRGI), European Roma Grassroots Organisation (ERGO)

(http://www.romadecade.org/portal/downloads/News/Towards%20an%20EU%20Roma%20Policy%20ERPC%20-%20Final.pdf).

(15)  European Forum of Roma and Travellers

(http://www.ertf.org/en/index.html).

(16)  Der Europäische Rat von Lissabon verordnete die OMK im Lissabon-Prozess für die Bereiche Beschäftigung, Sozialschutz, Erziehung und Bildung, Unternehmenspolitik, Innovationspolitik und Forschung sowie strukturelle Wirtschaftsreform: Der Europäische Rat von Göteborg erweiterte den Anwendungsbereich auf Einwanderung und Asyl. Mittlerweile wird die OMK auch im Bereich Jugend angewandt. Die Europäische Kommission schlug in ihrer Mitteilung über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung (KOM(2007) 242) die Einrichtung der OMK für den Kulturbereich vor. Dabei hielt sie ausdrücklich fest, dass das Europäische Parlament, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und der Ausschuss der Regionen in den Prozess einbezogen werden sollten.

(17)  Siehe: Beratende Kommission für den Industriellen Wandel (CCMI), Unterausschuss „Lissabon-Strategie“, Kontaktgruppe „EWSA — Europäische organisierte Zivilgesellschaft“.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/95


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Elemente für die Struktur, die Organisation und die Funktionsweise einer Plattform für eine bessere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Förderung europäischer Maßnahmen zur Integration von Drittstaatsangehörigen“

(2009/C 27/21)

In einem Schreiben vom 24. Juli 2007 ersuchten die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Margot Wallström, und der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Franco Frattini, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft um Stellungnahme zu folgendem Thema:

„Elemente für die Struktur, die Organisation und die Funktionsweise einer Plattform für eine bessere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Förderung europäischer Maßnahmen zur Integration von Drittstaatsangehörigen“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr PARIZA CASTAÑOS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 136 gegen 4 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1.   Einführung

1.1

Im Namen der Europäischen Kommission ersuchten Vizepräsidentin Margot Wallström und Vizepräsident Franco Frattini den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema „Elemente für die Struktur, die Organisation und die Funktionsweise einer Plattform für eine bessere Einbindung der Zivilgesellschaft in die Förderung europäischer Maßnahmen zur Integration von Drittstaatsangehörigen“.

1.2

In den letzten Jahren hat der EWSA verschiedene Stellungnahmen (1) erarbeitet, damit die Integration zu einem wesentlichen Aspekt der europäischen Einwanderungs- und Asylpolitik wird, und zusammen mit der Kommission, dem Parlament und dem Rat aktiv zur Förderung dieser Politik beigetragen.

1.3

Der EWSA regte an, die Organisationen der Zivilgesellschaft in die Erarbeitung der Stellungnahmen einzubinden, da sie in seinen Augen zentrale Akteure der Integrationspolitik sind. Bereits 2002 luden der EWSA und die Europäische Kommission die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft der Mitgliedstaaten zu einer wichtigen Konferenz ein (2), die einem gemeinsamen Konzept für eine europäische Integrationspolitik erste Impulse verlieh. In den Schlussfolgerungen wurden die Erarbeitung eines gemeinschaftlichen Integrationsprogramms und die Schaffung eines Fonds zur Finanzierung der Ziele vorgeschlagen.

2.   Europäischer Rahmen für die Integration von Drittstaatsangehörigen

2.1

In seiner Stellungnahme zum Thema „Einwanderung, Eingliederung und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“ vom 21. März 2002 (3) unterstrich der EWSA die Notwendigkeit, innerhalb eines EU-Rahmenprogramms klare und wirksame Integrationsmaßnahmen auszuarbeiten. Auch wenn die Konzeption eines gemeinsamen Rahmens für die Integration von Einwanderern nicht ganz unproblematisch war, wird die Europäische Union (EU) nach Verabschiedung des Vertrags von Lissabon über die besten politischen und rechtlichen Instrumente verfügen, die für seine Umsetzung erforderlich sind.

2.2

Im Haager Programm (4) zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der EU heißt es, dass die Integration von Drittstaatsangehörigen eine der zentralen politischen Strategien zur Stärkung der Freiheit der EU im Zeitraum 2005-2009 ist (5).

2.3

Der Europäische Rat hat auf die Notwendigkeit verwiesen, die Koordinierung zwischen den Integrationspolitiken der Mitgliedstaaten und den EU-Initiativen zu fördern, und zwar im Zuge der gemeinsamen Grundprinzipien (GGP), die einen gemeinsamen Rahmen für die Integration von Einwanderern darstellen und vom Rat Justiz und Inneres am 19. November 2004 angenommen wurden (6). Dies hat auch die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung „Das Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf Jahre“ (7) bekräftigt, in der auf die Notwendigkeit hingewiesen wurde, aufbauend auf den vom Europäischen Rat angenommenen gemeinsamen Grundprinzipien einen europäischen Rahmen für die Integration zu schaffen, der die Achtung der Werte und Grundrechte der EU gewährleistet und die Nichtdiskriminierung fördert.

2.4

Die GGP bieten einen kohärenten Ansatz für das europäische Konzept der Integration von Drittstaatsangehörigen auf der Grundlage des Ziels „staatsbürgerliche Eingliederung“; dieses beruht — wie vom EWSA vorgeschlagen (8)„auf der schrittweisen Gleichstellung der Einwanderer mit den übrigen Bürgern (unter Beachtung der Grundsätze der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung), sowohl was ihre Rechte und Pflichten als auch ihren Zugang zu Waren, Dienstleistungen und Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung betrifft“. Die GGP sind zweiseitig ausgerichtet, da Integration die Anpassung und gegenseitige Verantwortung zwischen den Zuwanderern und der Bevölkerung des Aufnahmelandes beinhaltet.

2.5

In ihrer Mitteilung vom 1. September 2005 zum Thema „Eine gemeinsame Integrationsagenda — Ein Rahmen für die Integration von Drittstaatsangehörigen in die Europäische Union“ (9) schlug die Europäische Kommission konkrete Maßnahmen vor, mit denen die GGP auf nationaler und EU-Ebene in der Praxis durchschlagender umgesetzt werden können. Die Kommission hat ferner erkannt, dass alle Interessengruppen eingebunden werden müssen, wenn die Integration gelingen und ein umfassender und kohärenter Ansatz innerhalb der EU in die Praxis umgesetzt werden soll.

2.6

Daher schlug sie in Zusammenarbeit mit dem Netz von nationalen Kontaktstellen — neben anderen Initiativen — die Einrichtung einer Website, die Erstellung von Handbüchern, Jahresberichten über Migration und Integration sowie die Einrichtung eines Europäischen Integrationsforums vor.

2.7

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Juni 2007 heißt es: „Der Europäische Rat begrüßt ferner die Bemühungen, die unternommen wurden, um die kontinuierliche und vertiefte Zusammenarbeit auf EU-Ebene und zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Integration und des interkulturellen Dialogs zu verbessern. Der Europäische Rat begrüßt insbesondere die Schlussfolgerungen des Rates vom 12. Juni 2007 zur Stärkung der Integrationspolitik in der Europäischen Union durch Förderung von Einheit in der Vielfalt. Er hebt hervor, dass es weiterer Initiativen bedarf, um den Erfahrungsaustausch über die Integrationspolitik(en) der Mitgliedstaaten zu erleichtern“  (10).

2.8

Der EWSA befürwortet einen ganzheitlichen Ansatz, wie dieser unlängst vom Europäischen Rat formuliert wurde, da die Integration und der interkulturelle Dialog grundlegende Elemente der EU-Einwanderungspolitik sein müssen.

2.9

In den Schlussfolgerungen des Rates Justiz und Inneres vom 12./13. Juni 2007 (11)wurde anerkannt, dass zwischen Einwanderung und Integration eine komplementäre Verknüpfung besteht. Entsprechend den Empfehlungen, die auf dem informellen Treffen der für Integrationsfragen zuständigen Minister am 10./11. Mai 2007 in Potsdam ausgesprochen wurden, an dem auch der EWSA teilnahm, hob der Rat die Notwendigkeit hervor, auf politischer Ebene zu prüfen, welche Möglichkeiten für weitere Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Integrationsrahmens und der Integrationspolitik der Mitgliedstaaten bestehen.

2.10

Den Organisationen der Zivilgesellschaft und den Sozialpartnern kommt bei der Gewährleistung von Kohärenz und Effizienz der sozialen Integration von Einwanderern, der Festlegung von Maßnahmen und ihrer Bewertung in der EU eine Schlüsselrolle zu. In seiner Stellungnahme zum Thema „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“ vom 13. September 2006 (12) erachtete der EWSA die aktive Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und den Sozialpartnern als ein wesentliches Element für die Förderung europäischer Integrationsmaßnahmen. So verwies der EWSA insbesondere auf die wichtigen Aufgaben und die Rolle, die die Sozialpartner, Menschenrechtsorganisationen, Migrantenorganisationen, Kultur- und Sportvereine, Religionsgemeinschaften, Bürgerinitiativen, Bildungsverbände, Schulen und Hochschulen, Medien und andere Akteure bei der Integration auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene spielen, und machte darauf aufmerksam, dass ihre Entwicklung, Stärkung und Anerkennung auf europäischer Ebene im Zuge der Erneuerung des EU-Rahmens für die Integration von Einwanderern gefördert werden muss.

2.11

Die Umsetzung von Maßnahmen und Programmen zur Aufnahme und Integration von Einwanderern muss unter weitgehender Beteiligung und direkter Einbindung der sozialen Organisationen und der Migrantenverbände erfolgen. Dies wurde auch im Dritten Jahresbericht über Migration und Integration bestätigt, den die Europäische Kommission am 11. September 2007 veröffentlichte (13). In diesem Bericht wird auf die geplante Veranstaltung eines Europäischen Integrationsforums Bezug genommen, auf dem im Bereich der Integration auf EU-Ebene tätige Akteure Erfahrungen austauschen und Empfehlungen ausarbeiten würden (14).

2.12

Andererseits würden die Förderung von Integrationsmaßnahmen und der Erfahrungsaustausch erheblich von der Verabschiedung eines soliden und ehrgeizigen Finanzrahmens profitieren. So erleichtert der Europäische Fonds für die Integration von Drittstaatsangehörigen (15) im Rahmen des Programms „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme 2007-2013“ die Konzeption einzelstaatlicher Maßnahmen im Rahmen der GGP und die Neuauflage einer EU-Politik zur Integration von Einwanderern.

2.13

Die Festlegung einer gemeinsamen EU-Politik für die Integration von Einwanderern ist auch in dem am 18. Oktober 2007 in Lissabon verabschiedeten Vertrag von Lissabon offiziell als ein für die Union zentraler Politikbereich anerkannt worden. Die Europäische Union wird kraft des neuen Titels V des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erstmals mit einer Rechtsgrundlage ausgestattet (Artikel 63a Absatz 4, neuer Artikel 79 Absatz 4), um gemeinsame Legislativmaßnahmen zur Förderung und Unterstützung des Handels der Mitgliedstaaten im Bereich der Integration von Drittstaatsangehörigen zu entwickeln (16).

3.   Vorschlag des EWSA zur Einsetzung des Europäischen Integrationsforums

3.1

Nach Ansicht des EWSA muss die Kohärenz der politischen Maßnahmen der EU verbessert werden, sobald verschiedene Instrumente — die gemeinsame Integrationsagenda, der Europäische Fonds für die Integration von Drittstaatsangehörigen, die Nationalen Kontaktstellen für die Integration, das Integrationshandbuch, der Jahresbericht über Migration und Integration, die Integrationswebsite usw. — erst einmal operationell geworden sind. Der EWSA hält es für zweckmäßig, die Diskussion über die Methode der offenen Koordinierung erneut zu eröffnen. Die Europäische Kommission muss dem Rat die Anwendung der Methode der offenen Koordinierung im Bereich der Integration vorschlagen, die der Rat vor einigen Jahren abgelehnt hat.

3.2

Zur Steigerung der Kohärenz dieser Politik und ihrer Instrumente muss eine Plattform für die Beteiligung der Zivilgesellschaft eingerichtet werden. Daher ist der EWSA erfreut und fühlt sich geehrt, dass die Europäische Kommission ihn um Erarbeitung dieser Sondierungsstellungnahme ersucht.

3.3

Mit Blick auf weitere, bereits bestehende Plattformen (für andere Politikbereiche der EU) und die einzelstaatlichen Erfahrungen schlägt der EWSA vor, die europäische Plattform als Europäisches Integrationsforum (European Integration Forum) zu bezeichnen, wie sie auch von der Kommission genannt wird (17).

3.4

Nach Ansicht des EWSA sollte das Forum schrittweise eingerichtet werden. Die erste Sitzung sollte im Herbst 2008 stattfinden, um den Arbeitsplan aufzustellen und die Struktur des Forums zu vervollständigen.

3.5   Aufgaben des Europäischen Integrationsforums

3.5.1

Der EWSA hat in einer Reihe von Stellungnahmen (18) darauf hingewiesen, dass ein umfassendes Integrationskonzept erforderlich ist und daher alle Akteure einbezogen werden müssen, vor allem die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft.

3.5.2

In der Kommissionsmitteilung über das gemeinsame Integrationsprogramm (19) heißt es, Hauptaufgaben des Forums wären vornehmlich „Konsultation, Erfahrungsaustausch und Ausarbeitung von Empfehlungen, die auf der Integrations-Website veröffentlicht würden“.

3.5.3

Der EWSA stimmt dem zu und ist der Ansicht, dass dieser Auftrag durch die Erstellung von Berichten über die Integrationspolitik wahrgenommen werden könnte, die auch Leitlinien umfassen können.

3.5.4

Kommission, Parlament und Rat könnten das Forum zu europäischen Integrationsmaßnahmen konsultieren.

3.5.5

Das Forum könnte Initiativberichte für die EU-Institutionen ausarbeiten, um die Integration von Drittstaatsangehörigen zu verbessern.

3.5.6

Der Austausch von Sachkenntnis und bewährten Verfahren sollte eine wichtige Aufgabe des Forums sein, die es in Zusammenarbeit mit dem Netz der Nationalen Kontaktstellen wahrnimmt.

3.5.7

Das Forum könnte an den Konferenzen des Integrationshandbuchs und den Sitzungen der Nationalen Kontaktstellen mitwirken.

3.5.8

Die Aktivitäten des Forums sowie die Berichte und Schlussfolgerungen würden sowohl auf der Website des EWSA als auch auf den Internetseiten der Kommission zur Integrationsthematik veröffentlicht, durch die sich die EU-Bürger und die Drittstaatsangehörigen beteiligen könnten (virtuelles Forum).

3.6   Mitglieder des Forums

3.6.1

Das Forum würde aus höchstens 100 Mitgliedern bestehen und zweimal im Jahr zusammentreten.

3.6.2

Die Kommission vertritt die Ansicht, dass das Forum „eine Reihe von im Integrationsbereich auf EU-Ebene tätigen Beteiligten zusammenführen und dadurch einen Mehrwert schaffen würde. In den Blick genommen würden beispielsweise EU-Dachorganisationen mit Mitgliedern in mehreren Mitgliedstaaten“  (20). Der EWSA schließt sich der Auffassung der Kommission an, dass eine der Prioritäten die Integration am Arbeitsplatz unter Bedingungen der Gleichbehandlung ist und an dem Forum daher auch die Sozialpartner teilnehmen sollten.

3.6.3

Wesentlich ist, dass das Forum mit einem europäischen Ansatz auf der Grundlage der nationalen Erfahrungen und Vorgehensweisen arbeitet. Deshalb schlägt der EWSA vor, dass an dem Forum sowohl Vertreter von auf EU-Ebene als auch auf einzelstaatlicher Ebene tätigen Organisationen teilnehmen.

3.6.4

Ein Drittel der Teilnehmer des Forums werden diese im Integrationsbereich auf EU-Ebene tätigen Organisationen einschließlich der Sozialpartner vertreten.

3.6.5

Die übrigen Teilnehmer werden aus beratenden Gremien der Mitgliedstaaten kommen (zwischen einem und vier Vertretern). Somit müssen am Europäischen Forum die in den Mitgliedstaaten bestehenden Foren, Plattformen, Räte oder vergleichbare Einrichtungen teilnehmen, insbesondere dann, wenn Migrantenorganisationen beteiligt sind. In Mitgliedstaaten, die nicht über entsprechende Einrichtungen verfügen, könnten die Wirtschafts- und Sozialräte (oder vergleichbare Einrichtungen) teilnehmen.

3.6.6

Der EWSA hält es für wesentlich, die Teilnahme von Migrantenorganisationen am Europäischen Integrationsforum zu erleichtern, von denen die meisten nur auf nationaler Ebene zusammengeschlossen sind und nicht über europaweite Netze verfügen. Deshalb sollten die Foren, Plattformen, Räte oder WSR der Mitgliedstaaten die Vertreter der repräsentativsten Migrantenorganisationen ernennen.

3.7

Bei der Ernennung der Teilnehmer müssen die Organisationen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern berücksichtigen.

3.7.1

Das Forum könnte Beobachter und Sachverständige zur Teilnahme an seinen Sitzungen einladen, insbesondere die spezialisierten europäischen Agenturen, Wissenschaftler und Forscher sowie die europäischen Netze lokaler Gebietskörperschaften.

3.7.2

Um eine breitere Teilnahme zu fördern, muss das Europäische Integrationsforum in einem Netz mit den Organisationen der Zivilgesellschaft (lokale, regionale, nationale und europäische Organisationen) zusammenarbeiten.

3.7.3

In Einklang mit Ziffer 3.7 wird der EWSA an den Sitzungen des Forums teilnehmen; des Weiteren könnten auch Vertreter der Kommission, des Parlaments und des Ausschusses der Regionen teilnehmen.

3.8   Verpflichtung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

3.8.1

Der EWSA wird sich aktiv für die Aktivitäten des Forums engagieren und zu diesem Zweck in der Fachgruppe SOC eine 15-köpfige ständige Studiengruppe „Integration“ einrichten. Das Forum würde über diese ständige Studiengruppe mit dem EWSA an der Ausarbeitung der Stellungnahmen arbeiten.

3.8.2

Die Mitglieder der ständigen Studiengruppe werden an den Vollversammlungen des Forums teilnehmen.

3.8.3

Unter Berücksichtigung der neuen Rechtsgrundlage des Vertrags von Lissabon wird der EWSA neue Stellungnahmen erarbeiten, die Vorschläge und politische Empfehlungen zur Förderung und Unterstützung des Handelns der Mitgliedstaaten im Integrationsbereich enthalten.

3.9   Struktur des Forums

3.9.1

Der EWSA schlägt eine sehr schlanke Struktur für das Forum vor:

eine/n Vorsitzende/n, der/die vom EWSA in Absprache mit der Kommission ernannt wird;

drei stellvertretende Vorsitzende, die vom Forum ernannt werden;

der Vorsitzende und die stellvertretenden Vorsitzenden bilden den Vorstand des Forums, der mindestens viermal im Jahr zusammentritt;

ein kleines Sekretariat bestehend aus zwei Bediensteten des EWSA;

das Forum tritt im Gebäude des EWSA zusammen, wo es auch seinen Sitz hat;

die Vollverstammlung des Forums findet zwei Mal im Jahr auf Einladung des Vorsitzenden statt;

für die Erarbeitung der Berichte können kleine Studiengruppen eingesetzt werden.

3.10   Arbeitsplan des Forums

3.10.1

Die gemeinsamen Grundprinzipien bestimmten den Fahrplan für die Aktivitäten des Forums und folglich seinen Arbeitsplan.

3.10.2

Ausgearbeitet wird der Arbeitsplan vom Vorstand des Forums unter Berücksichtigung des Arbeitsplans der EU-Institutionen und der Organisationen der Zivilgesellschaft.

3.10.3

Die Ziele und Programme des Europäischen Integrationsfonds sowie die übrigen im Rahmen der europäischen Integrationspolitik vorgesehenen Instrumente können innerhalb des Forums bewertet werden.

3.11   Satzung

3.11.1

Der EWSA schlägt vor, dass die Europäische Kommission die Satzung auf Vorschlag des EWSA genehmigt.

3.11.2

Der EWSA schlägt zudem vor, dass die Europäische Kommission die Teilnehmer des Forums benennt.

3.12   Finanzrahmen

3.12.1

Das Forum wird durch Mittel der EU-Institutionen finanziert.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 21.3.2002 zum Thema „Einwanderung, Eingliederung und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 125 vom 27.5.2002).

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 10./11.12.2003 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Einwanderung, Integration und Beschäftigung“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 80 vom 30.3.2004).

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 13./14.9.2006 zum Thema „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 318 vom 23.12.2006).

(2)  Konferenz zum Thema „Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Integration“ am 9./10. September 2002 in Brüssel.

(3)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 21.3.2002 zum Thema „Einwanderung, Eingliederung und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 125 vom 27.5.2002).

(4)  Europäischer Rat, „Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union“ (ABl. C 53 vom 3.3.2005, S. 1).

(5)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 15.12.2005 zu der der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Das Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf Jahre — Die Partnerschaft zur Erneuerung Europas im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 65 vom 17.3.2006).

(6)  Rat der Europäischen Union, 2618. Tagung des Rates Justiz und Inneres, Brüssel, 19. November 2004, 14615/04.

(7)  Mitteilung der Kommission — Das Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf Jahre — Die Partnerschaft zur Erneuerung Europas im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, KOM(2005) 184 endg., Brüssel, 10.5.2005.

(8)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 21.3.2002 zum Thema „Einwanderung, Eingliederung und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 125 vom 27.5.2002).

(9)  Mitteilung der Kommission — Eine gemeinsame Integrationsagenda — Ein Rahmen für die Integration von Drittstaatsangehörigen in die Europäische Union, KOM(2005) 389 endg., Brüssel, 1.9.2005.

(10)  http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/94935.pdf, Ziffer 20.

(11)  Rat der Europäischen Union, 2807. Tagung des Rates Justiz und Inneres, Brüssel, 12./13. Juni 2007, 10267/07.

(12)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 13./14.9.2006 zum Thema „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 318 vom 23.12.2006).

(13)  Mitteilung der Kommission — Dritter Jahresbericht über Migration und Integration, KOM(2007) 512 endg., Brüssel, 11.9.2007.

(14)  Siehe Ziffer 3.1 der Mitteilung KOM(2007) 512 endg.

(15)  http://ec.europa.eu/justice_home/funding/integration/funding_integration_en.htm (auf Englisch).

(16)  Artikel 63a Absatz 4: „Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Maßnahmen festlegen, mit denen die Bemühungen der Mitgliedstaaten um die Integration der sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhaltenden Drittstaatsangehörigen gefördert und unterstützt werden.“

(17)  KOM(2005) 389 endg.

(18)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 21.3.2002 zum Thema „Einwanderung, Eingliederung und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 125 vom 27.5.2002) und Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 13./14.9.2006 zum Thema „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 318 vom 32.12.2006).

(19)  KOM(2005) 389 endg.

(20)  KOM(2005) 389 endg.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/99


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU“

(2009/C 27/22)

Am 25. Oktober 2007 ersuchte der künftige französische EU-Ratsvorsitz den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Stellungnahme zum Thema:

„Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr OLSSON.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 133 gegen 2 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Zum Zeitpunkt der Verabschiedung dieser Stellungnahme sind aufgrund des Referendums zum Vertrag von Lissabon am 12. Juni 2008 der Sachstand und Zukunft dieses Vertrags unklar. In der Stellungnahme wird eingehend auf den Vertrag von Lissabon und seine sozialpolitische Dimension und sein sozialpolitisches Potenzial Bezug genommen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass ein ehrgeiziges und partizipatorisches neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU nach wie vor wichtig ist und umso mehr gebraucht wird.

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU ist erforderlich, damit die soziale Entwicklung in der EU Wirtschafts- und Marktentwicklung Schritt halten kann. Es ist zweckmäßig im Lichte des neuen Vertrags von Lissabon, der neue Möglichkeiten, neue Verantwortungsbereiche und neue Ziele festlegt, um ein partizipativeres und dynamischeres soziales Europa zu schaffen. Das neue Aktionsprogramm sollte die sozialpolitischen Ziele und Bestrebungen der EU weit über das Jahr 2010 hinaus spürbar und praktisch fördern und einen umfassenden Fahrplan für politische Maßnahmen bilden.

1.2

Der soziale Dialog ist nach wie vor eine der wichtigsten Säulen und muss gestärkt werden. Im Rahmen des Aktionsprogramms sollte eine stärkere Verbindung zu den Bürgern und der organisierten Zivilgesellschaft hergestellt werden, um partizipative Verfahren nach dem „Bottom-up“-Ansatz, darunter auch den zivilen Dialog, und somit eine Interaktion bei den EU-Initiativen zu ermöglichen.

1.3

Das Aktionsprogramm sollte besonders auf folgende politische Bereiche ausgerichtet sein: Lebensqualität, soziale Grundrechte, Befähigung der Bürger, soziale Solidarität, Beschäftigung und gute Arbeitsplätze, gesellschaftlicher Unternehmergeist, Bewältigung des Wandels, Förderung der wichtigsten sozialen Standards im Rahmen der Außenbeziehungen der EU und insbesondere im Bereich des Handels. Dabei sollten alle verfügbaren Instrumente verwendet werden. Die gemeinschaftliche Methode kommt zwar weiterhin zum Einsatz, muss jedoch durch andere „neue Methoden“ ergänzt werden. Im derzeitigen Haushaltsplan könnten Finanzmittel umgeschichtet und für die Förderung des Programms bestimmt werden. Bei der Haushaltsreform nach 2013 muss der Schwerpunkt auf den sozialen Zusammenhalt gelegt werden.

2.   Einleitung — Hintergrund

2.1

Der künftige französische EU-Ratsvorsitz hat den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss mit der Idee eines neuen sozialpolitischen Aktionsprogramms der EU befasst.

2.2

Diese Befassung kann als ein Follow-up zur früheren Stellungnahme des Ausschusses zum Zustand der europäischen Gesellschaft gesehen werden. Darin wurde folgendes vorgeschlagen: „Um die Basis für einen neuen Konsens über die sozialen Herausforderungen, vor denen Europa steht, zu schaffen, könnten die Grundzüge eines neuen ‚sozialpolitischen Aktionsprogramms‘ unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage wie auch der Erwartungen im sozialen Bereich festgelegt werden“ (1).

2.3

In der vorgenannten Stellungnahme wird auf das sozialpolitische Aktionsprogramm der EU von 1989 verwiesen, das ein fester Bestandteil dessen ist, was als das europäische Sozialmodell bezeichnet werden kann. Ferner wird darin dargelegt, wie es um die soziale Dimension des Binnenmarktes wirklich bestellt ist. Es war ein dreijähriges Aktionsprogramm und die Hauptstütze für die Initiativen der Kommission im sozialen Bereich. Es enthielt 45 klare Maßnahmen, die als unumgänglich galten, wenn es darum ging, Fortschritte zu erzielen und den in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer aufgeführten Grundsätzen konkrete Gestalt auf Gemeinschaftsebene zu verleihen (2). Die Maßnahmen mit und ohne Rechtsetzungscharakter betrafen fast alle sozialen Bereiche und verfolgten das im Vertrag verankerte Ziel der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen.

2.4

Der soziale Acquis, der infolge des sozialpolitischen Aktionsprogramms von 1989 erzielt wurde, hinkt den derzeitigen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Globalisierung, dem Klimawandel und der demografischen Entwicklung hinterher. Angesichts des schwachen Wirtschaftswachstums, der Turbulenzen auf den Finanzmärkten und der sich abzeichnenden Nahrungsmittelkrise sind diese Herausforderungen größer denn je. Manche Gruppen und Bürger haben gar das Gefühl, dass die europäische Sozialpolitik — im Gegensatz zu den Fortschritten in der Binnenmarktpolitik — in eine Sackgasse geraten ist.

2.5

Bei der Bestandsaufnahme ist zu Tage getreten, dass die im raschen Wandel begriffene europäische Wohlstandsgesellschaft mehr Chancen bietet, aber mit neuen sozialen Risiken verbunden ist. Unterschiede bei den Einkommen, Chancengleichheit, Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, Gleichberechtigung der Geschlechter und die niedrigeren Gehälter für Frauen, Kinderarmut und soziale Ausgrenzung, der „Bruch zwischen den Generationen“, veränderte Familienstrukturen, Zugang zu Wohnraum und Kinderbetreuung, die Situation von Menschen mit Behinderungen sowie Migration und Integration wurden bei der Bestandsaufnahme besonders herausgestellt.

3.   Ein neuer Rahmen für ein sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU

3.1

Die Politiker werden sich zunehmend bewusst, dass eine neue Politikausrichtung für die Bewältigung der Herausforderungen des europäischen Gesellschaftsmodells unerlässlich ist. Auch die europäischen Bürger richten ihren Blick auf neue sozialpolitische Maßnahmen, die sich durch sozialen Fortschritt und wirtschaftliche Nachhaltigkeit auszeichnen müssen.

3.2

Der Reformvertrag von Lissabon schafft eine neue Möglichkeit für die Umsetzung eines neuen sozialpolitischen Aktionsprogramms der EU und legt für die EU neue Ziele fest: Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt, Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und Diskriminierungen, Förderung der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Schutzes, Gleichstellung von Frauen und Männern, Solidarität zwischen den Generationen und Schutz der Rechte des Kindes (3).

3.3

Im Reformvertrag wurden die Aufgaben der Europäischen Union im Hinblick auf die Erreichung dieser sozialpolitischen Ziele gestärkt.

3.4

Die Möglichkeiten für ein sozialeres Europa sind insbesondere in der Charta der Grundrechte, den verbindlichen Bestimmungen der horizontalen Sozialklausel sowie dem Protokoll über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse verankert. Der Vertrag sieht auch Möglichkeiten für eine „verstärkte Zusammenarbeit“ vor, die die Mitgliedstaaten im sozialen Bereich fördern und nutzen können (4).

3.5

Im Vertrag wird die Rolle der Sozialpartner bekräftigt, die einen Beitrag zu einem Europa des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts leisten können. Mit den Bestimmungen über die „partizipative Demokratie“ bietet er auch neue Möglichkeiten und zusätzliche Instrumente (beispielsweise die Bürgerinitiative) zur Beteiligung der Bürger und ihrer Organisationen an der Schaffung eines sozialeren Europas. Der EWSA muss hierbei eine aktive Rolle spielen.

3.6

Der EWSA verweist auf die Erklärung (5) von neun Regierungen, in der die Notwendigkeit einer Stärkung des europäischen Sozialmodells betont wird, weil dieses Modell soziale Fortschritte gebracht hat und den heutigen Herausforderungen gerecht wird. In der Erklärung wird zudem nachdrücklich darauf verwiesen, dass den EU-Institutionen die Verantwortung zufällt, das soziale Europa wieder in den Mittelpunkt zu rücken und dabei alle ihnen verfügbaren Instrumente und insbesondere den sozialen Dialog einzusetzen. „Die EU-27 darf nicht nur eine freie Handelszone sein, sondern sollte auch das erforderliche Gleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen Freiheit und den sozialen Rechten gewährleisten, so dass der Binnenmarkt auch in sozialer Hinsicht geregelt werden kann.“ Die Union sollte die Werte ihres Sozialmodells auch nach außen propagieren, um so Gerechtigkeit bei der Globalisierung und würdige Arbeit für alle zu erreichen.

3.7

Kurzum, es ist ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU erforderlich, damit die soziale Entwicklung in der EU mit den Wirtschafts- und Marktentwicklungen Schritt halten kann, und um die Lissabon-Strategie zu bekräftigen sowie die Bereiche Soziales, Wirtschaft und Umwelt einander gleichzustellen und gemeinsam voranzubringen. Es ist im Lichte des Vertrags von Lissabons zweckmäßig, ein partizipativeres und dynamischeres soziales Europa zu schaffen, das den Bedürfnissen und Erwartungen der Bürger Rechnung trägt. Deshalb muss das sozialpolitische Aktionsprogramm der EU ein fester Bestandteil einer „Post-Lissabon-Strategie“ werden, die auf Beschäftigung, Wachstum, sozialem Zusammenhalt und Nachhaltigkeit beruht und bei der der sozialen Dimension dieselbe Bedeutung zukommt wie der wirtschaftlichen Dimension.

4.   Grundsätze und Elemente eines neuen sozialpolitischen Aktionsprogramms der EU

4.1

Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU muss sich umfassend auf die im Reformvertrag von Lissabon festgelegten Werte und Ziele der Europäischen Union stützen. Es sollte den Bezugszrahmen für einen demokratischen, solidarischen, nachhaltigen, sozial inklusiven und wettbewerbsfähigen wohlfahrtsstaatlichen Raum für alle Bürgerinnen und Bürger Europas bilden, wo niemand auf der Strecke bleibt, und ein wichtiges Instrument für die Gewährleistung der in der „Charta der Grundrechte“ verankerten Bürgerrechte sein. Das Aktionsprogramm sollte sich auf eine positive Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und nicht auf eine konkurrierende Nivellierung der sozialen Rechte, des Sozialschutzes und der Arbeitsbedingungen „nach unten“ stützen. Die Europäische Union wird auf diese Weise ihre Ambitionen im Bereich der Menschenrechte bekräftigen, um diese Rechte auf dem bestmöglichen Niveau zu gewährleisten.

4.2

Das sozialpolitische Aktionsprogramm der EU untermauert eine Vision eines europäischen Gesellschaftsmodells, das sowohl das Konzept einer sozialen Marktwirtschaft als auch das europäische Sozialmodell einschließt. Es steht im Einklang mit den Bedürfnissen und Ambitionen der Bürger, bewegt sie durch Rechte und Pflichten zur Übernahme von Verantwortung, stärkt die partizipative Demokratie, ermittelt die Akteure im Rahmen eines stärkeren sozialen Dialogs und eines effektiven zivilgesellschaftlichen Dialogs und mobilisiert sie. Das neue sozialpolitische Aktionsprogramm der EU sollte einen kreativen und innovativen Ansatz zur Bewältigung neuer Herausforderungen und Risiken erleichtern.

4.3

Das neue Programm sollte auf langfristigen sozialen und gesellschaftlichen Perspektiven beruhen und den neuen Erwartungen und Gegebenheiten gerecht werden. Diese Perspektive einer langfristigen Nachhaltigkeit sollte Maßnahmen für Kinder und Jugendliche in den Vordergrund stellen.

4.4

Im Rahmen des Programms müssen die sozialpolitischen Ziele, Vorschläge und Ambitionen der EU über das Jahr 2010 hinaus auf den neuesten Stand gebracht und bekräftigt werden. Es sollte ein umfassender Fahrplan für politische Maßnahmen zur Reaktivierung des sozialen Europas auf allen Ebenen sein und regelmäßig von auf der Grundlage gemeinsamer Werte aktualisierten sozialpolitischen Agendas unterstützt werden (6).

4.5

Das neue Aktionsprogramm muss mit dem europäischen Sozialmodell Hand in Hand gehen (7). Die Kraft dieses Modells liegt im wesentlichen darin, dass es sich unter unterschiedlichsten Gegebenheiten auf gemeinsame Werte stützt, um zusammen mit den legitimen Partnern gemeinsame Instrumente, Verfahren und Maßnahmen zu entwickeln, die eine fortschrittsorientierte Konvergenz sicherstellen. Die finanzielle Interventionsfähigkeit der Europäischen Union ist von entscheidender Bedeutung für eine kohärente Entwicklung und für die Verringerung des strukturellen Entwicklungsrückstands in bestimmten Ländern.

4.6

Das Programm trägt der Tatsache Rechnung, dass Wirtschaftsentwicklung und sozialer Fortschritt einander beeinflussen und voneinander abhängen. Die Verknüpfung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit mit der sozialen Gerechtigkeit und Solidarität ist der beste Weg, um den Wohlstand der europäischen Gesellschaft zu fördern. Unter bestimmten noch festzulegenden Garantien für die Anspruchsberechtigten könnte es darauf ausgerichtet sein, private und öffentliche Initiativen miteinander zu verknüpfen, um langfristige Mittel für die Finanzierung eines Wohlfahrtsstaates zu finden, der alle einschließt. Dabei sollte es auch einen Rahmen für die Gewährleistung universeller, zugänglicher und qualitativ hochwertiger Dienstleistungen schaffen.

4.7

Das neue sozialpolitische Aktionsprogramm der EU sollte ein sozial verantwortliches Unternehmertum, den fairen Wettbewerb und gleiche Rahmenbedingungen fördern, damit der Binnenmarkt expandieren kann, ohne jedoch durch Sozialdumping untergraben zu werden. Vor diesem Hintergrund sollte das Programm auch besonders auf qualitativ gute Arbeitsplätze für die Zukunft und die damit einhergehende erforderliche wissensbasierte Gesellschaft ausgerichtet werden.

4.8

Die Förderung von Unternehmergeist im weitesten Sinne — wie von der Kommission definiert (8) — wird die Wirksamkeit sowohl wirtschaftlicher als auch sozialer Maßnahmen verbessern (9). Es gilt, die Vielfalt des Unternehmertums zu sichern und zu fördern, um von den besonderen Vorteilen kleiner, mittlerer und sozialwirtschaftlicher Unternehmen und von ihrem Beitrag zur sozialen Dimension zu profitieren. Gebraucht werden europäische Satzungen für Verbände, Stiftungen, Unternehmen auf Gegenseitigkeit und mittelständische Unternehmen, um für alle wirtschaftlichen Akteure gleichen Ausgangsbedingungen zu schaffen.

4.9

Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm der EU sollte auf einem kohärenten Gesamtansatz basieren und das Konzept der umfassenden Berücksichtigung der sozialen Dimension auch in anderen Politikbereichen mitverfolgen. Es muss ein fester Bestandteil der makroökonomischen Wirtschaftspolitik, der Wettbewerbs- und Steuerpolitik, der Strategie für nachhaltige Entwicklung, der Industriepolitik, des territorialen Zusammenhalts und der außenpolitischen Dimension der EU werden.

4.10

Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm würde die neue, auf Lebenschancen aufbauende gesellschaftliche Vision für das 21. Jahrhundert, die die Kommission unlängst vorgestellt hat (10) spürbar verbreitern. Die Kommission schlägt einen Rahmen für die Gemeinschaftspolitik in den einzelnen Bereichen vor und betont, dass die auf der Agenda stehenden Chancen, der Zugang und die Solidarität langfristige Investitionen in Sozial- und Humankapital erfordern. Diese Investitionen werden die Wirtschaftsleistung steigern und können auch unter dem Gesichtspunkt einer nachhaltigen Entwicklung gerechtfertigt sein. Der Ausschuss unterstützt dieses Konzept nachdrücklich und ist der Auffassung, dass sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene innovative Möglichkeiten für die Finanzierung von Human- und Sozialkapital gewährleistet werden müssen. Der EU-Haushalt sollte entsprechend darauf ausgerichtet werden. Die Möglichkeit eines europaweiten Darlehens für die Entwicklung sozialer Infrastrukturen sollte ebenfalls geprüft werden.

4.11

Durch die Förderung von Grundsätzen und Werten des europäischen Sozialmodells im Rahmen der EU-Außenbeziehungen sollte das Aktionsprogramm auch zu einer gerechteren und ausgewogeneren Globalisierung beitragen. Partnerschaften mit Drittländern sollten eingegangen und dabei verstärkte finanzielle und technische Unterstützung angeboten werden, um den sozialen und zivilgesellschaftlichen Dialog sowie die Beschäftigungs- und Sozialpolitik zu fördern Handelsbeziehungen sollten auf der Achtung der beispielsweise in den ILO-Grundsätzen und -Normen festgelegten (sozialen) Menschenrechte aufbauen (11).

5.   Regieren auf mehreren Ebenen

5.1

Die Institutionen der Europäischen Union müssen ihrer Führungsrolle und den ihnen im Vertrag auferlegten Pflichten gerecht werden, um sozialen Fortschritt zu erzielen. Ein neues sozialpolitisches Aktionsprogramm ist deshalb zweckmäßig. In der Praxis sollten alle im Vertrag (12) zu diesem Zweck vorgesehenen Instrumente und Maßnahmen je nach der praktischen Durchführbarkeit und Effizienz und unter Achtung der Erfordernisse der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zum Einsatz kommen.

5.2

Das sozialpolitische Aktionsprogramm von 1989 und das Binnenmarktprojekt von 1992 zeugen beide von der Nützlichkeit der „gemeinschaftlichen Methode“. Da diese Methode für die derzeitige Überprüfung des Binnenmarkts weiterhin gültig ist, ist der Ausschuss der Auffassung, dass sie auch bei einer Reaktivierung der sozialen Dimension zum Einsatz kommen sollte. Somit gibt es Möglichkeiten für Legislativmaßnahmen auch innerhalb der EU-27.

5.3

Gleichzeitig kann eine umfassende und vielfältige Einbeziehung von Sozialpartnern und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft auf verschiedenen Ebenen zu einem stärkeren Bewusstsein für die „eigene Verantwortung“ beitragen. Alle betroffenen Akteure müssen mitmachen, um das sozialpolitische Aktionsprogramm der EU zu einer für die Bürger wichtigen, spürbaren und praktischen Angelegenheit zu machen, die auf ihre Bedürfnisse eingeht. Ein proaktiver und von unten nach oben gerichteter Ansatz („bottom-up“), so wie er im folgenden dargestellt wird, sollte in Wechselwirkung mit den betreffenden EU-Initiativen stehen.

5.4

Die Bedürfnisse, Anliegen und Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger müssen ermittelt werden. Die Initiative der Europäischen Kommission zur Bestandsaufnahme der sozialen Realität könnte als Vorbild dienen und regelmäßiger vorgenommen werden — auch unter Einbeziehung der lokalen Ebene. Repräsentativen zivilgesellschaftlichen Organisationen kommt eine entscheidende Rolle zu, wenn es darum geht, die Forderungen der Bürger an die entsprechende Ebene (auch an die EU) weiterzuleiten. Sie müssen an den Bestandsaufnahmen und Konsultationen der Europäischen Kommission regelmäßig beteiligt werden, wobei der Ausschuss seine Rolle als Vermittler wahrnehmen wird.

5.5

Der EWSA hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass eine ständige Debatte auf allen Ebenen erforderlich ist, um künftige sozialpolitische Herausforderungen angehen und strategische Entscheidungen in diesem Bereich treffen zu können. Ziel der Debatte sollte es sein, zu einem neuen fortschrittlichen Konsens über die europäische Sozialpolitik zu gelangen, der auf gemeinsamen Verpflichtungen aller Beteiligten basiert.

5.6

Der intersektorale, sektorale und grenzübergreifende soziale Dialog ist nach wie vor eine der tragenden Säulen des Sozialmodells in den Mitgliedstaaten und auf der EU-Ebene. Arbeitgeber und Gewerkschaften spielen bei der Bewältigung der sozialpolitischen Herausforderungen eine Schlüsselrolle, da sie im Hinblick auf den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt die treibenden Kräfte sind. Gemeinsame Analysen und Prioritätensetzung durch die europäischen Sozialpartner werden Wichtige Bestandteile des Rahmens geeigneter Maßnahmen sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene sein (13).

5.7

Der zivilgesellschaftliche Dialog, der vom sozialen Dialog deutlich zu unterscheiden ist, wird in der Zukunft eine weitere tragende Säule sein. Die Einbindung aller Bürgerinnen und Bürger und ihrer Organisationen auf sämtlichen Ebenen in den Aufbau eines sozialen Europas wird eine echte Herausforderung darstellen.

5.8

Wirtschafts- und Sozialräte und ähnliche Einrichtungen sollten zur Teilnahme an allen Phasen der Arbeit ihrer Regierungen eingeladen werden, um so das sozialpolitische Aktionsprogramm der EU zu gestalten und umzusetzen.

5.9

Bestehende Partnerschaften und Dialoge auf sozialpolitischem Gebiet müssen in der Praxis gestärkt werden. Positive Erfahrungen und vorbildliche Partnerschaften, die in den Mitgliedstaaten und im Bereich der EU-Kohäsionspolitik gemacht und eingegangen wurden und die zum sozialen Wohlstand beigetragen haben, müssen verbreitet und weiter vertieft werden.

5.10

Die Autonomie und die Kapazitäten der sozialen und wirtschaftlichen Akteure müssen gefördert und durch geeignete öffentliche Maßnahmen unterstützt werden, damit diese Akteure ihre Belange unter günstigen Rahmenbedingungen besser von unten nach oben geltend machen und die politischen Schlüsselbereiche ermitteln können.

6.   Politische Schlüsselbereiche

6.1   Nachhaltigkeit beim Lebensweg

Sicherung des individuellen Wegs durch gemeinsame Verpflichtungen. Durch das ganze Leben hindurch allgemeine Prinzipien für den Umgang mit Übergangssituationen und nicht zuletzt für die Förderung der „Flexicurity“ (14), durch garantierte Schul- und Berufsbildung, Zugang zu Dienstleistungen, Aufrechterhaltung der Rechte und eine hinreichende Einkommenssicherung sowie durch eine öffentliche und/oder private Finanzierung entsprechend den angestrebten Sicherheitszielen. Systeme der sozialen Sicherheit sollten angepasst und ergänzt werden, und zwar — soweit möglich — durch Kollektivvereinbarungen und gemeinsame finanzielle Vorsorge.

Bessere Lebensqualität durch eine soziale Nachhaltigskeitscharta, die z.B. grundlegende Sozialrechte, sozialen Schutz, Sozialdienstleistungen, Gesundheits- und Patientenrechte — einschließlich der Rechte geistiger Behinderter — abdeckt.

6.2   Gewährleistung grundlegender Sozialrechte

Europäische Charta der Grundrechte. Die Grundsätze und Bestimmungen der Charta sollten zur Gestaltung und Förderung der Entwicklungen und Maßnahmen im Bereich der EU-Sozialpolitik beitragen.

Umsicht bei der Bekämpfung jedweder Formen von Diskriminierung. Zusätzliche legislative und andere Maßnahmen zur Gewährleistung der Vertragsbestimmungen (15), um alle Formen der Diskriminierung abzudecken.

Ratifizierung internationaler und europäischer Menschenrechtsabkommen. Maßnahmen zur Gewährleistung der rechtlichen und praktischen Umsetzung der Bestimmungen im Rahmen dieser Instrumente und zur besseren Überwachung durch die EU und die Mitgliedstaaten. Dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

6.3   Menschen befähigen — Kapazitäten entwickeln

Europäisches Programm für mehr Wissen  (16). Schlüsselprioritäten und Maßnahmen für ein lebenslanges Lernen: eine Rechtsgrundlage schaffen und ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen;

Umsetzung des Europäischen Pakts für die Jugend, insbesondere

ein Paket zur Jugendbeschäftigung, das auf umfangreichen Investitionen aufbaut, jungen Menschen in großem Maßstab Zugang zur ersten Arbeitserfahrung unter menschenwürdigen Bedingungen verschafft und zu einer dauerhafteren Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt beiträgt;

Gewährleistung einer zweiten Chance für vorzeitige Schulabgänger;

EU-Rahmenprogramm für die Integrationspolitik. Eine durch großzügige finanzielle Mittel gestützte effiziente, kohärente und rechtsbasierte Integrationspolitik für Migranten, Flüchtlinge und Minderheiten. Dauerhafte Unterstützung für das europäische Integrationsforum, das vom EWSA und der Europäischen Kommission geschaffen werden soll, damit sich Migranten Gehör verschaffen können;

6.4   Auf dem Weg zu einer Gesellschaft für alle

Bekämpfung der Armut

Aufrechterhaltung des Ziels der Bekämpfung der Armut in allen Mitgliedstaaten;

„kein Kind in Armut“ als Ziel anstreben;

angemessene Renten gewährleisten, um die Armut im Alter zu bekämpfen;

gemeinsame Grundlagen für ein menschenwürdiges Mindesteinkommen schaffen — unter Wahrung der Subsidiarität.

Gleichstellung von Frauen und Männern

Umsetzung des Paktes für die Gleichstellung der Geschlechter (mit Rechtsakten, im Rahmen der IAO und mit gemeinsamen Grundsätzen);

Gewährleistung der individuellen Rechte von Frauen;

Stärkung ihrer Mitwirkung in allen Bereichen der Gesellschaft;

Bekämpfung der Armut unter Frauen;

Investitionen in erschwingliche und zugängliche Betreuung von Kindern und älteren Menschen;

Überarbeitung der Steuersysteme sowie der Systeme der sozialen Sicherheit;

Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

Auf die Anforderungen einer alternden Gesellschaft eingehen

die von den EU-Staats- und Regierungschefs verabschiedete Allianz für Familien funktionstüchtig machen;

eine „Allianz für Senioren“ schaffen (17)

den allgemeinen Zugang zur Langzeitpflege und ihre finanzielle Nachhaltigkeit sichern;

Forschungsprogramme einleiten;

eine Beobachtungsstelle für bewährte Verfahren einrichten.

Eine umfassende EU-Strategie im Bereich „Behinderung“

einen Antidiskriminierungsrahmen im Bereich „Behinderung“ schaffen;

das Prinzip der durchgängigen Berücksichtigung der Behindertenthematik in allen Politiken konsolidieren;

ein umfassendes Maßnahmenpaket von Legislativmaßnahmen und Folgenabschätzungen anderer Rechtsvorschriften zusammenstellen.

Bessere Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

Sicherstellung der rechtlichen Stabilität, die zur Gewährleistung eines reibungslosen Funktionierens der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (und insbesondere der sozialen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse) sowie eines hohen Qualitätsniveaus unter Achtung der Kompetenzen der betreffenden Akteure erforderlich ist;

Entwicklung von Qualitätsinstrumenten, um die Leistungsfähigkeit dieser Dienstleistungen zu bewerten und deren Effizienz (auch hinsichtlich der Kosten) zu steigern;

Förderung von Investitionen mithilfe von aus öffentlicher und privater Finanzierung kombinierten Instrumenten (öffentlich-private Partnerschaft) insbesondere bei der öffentlichen Infrastruktur, durch deren Nutzung Einkünfte erzielt werden.

6.5   Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten und qualitativ hochwertiger Arbeit

Eine ehrgeizige und effiziente europäische Beschäftigungsstrategie — insbesondere messbare Ziele in den Bereichen Aktivierung, lebenslanges Lernen, Beschäftigung von Jugendlichen und Gleichbehandlung von Mann und Frau — in der man Leistungsvergleiche ziehen kann („benchmarking“). Die Kommission sollte mehr Durchführungsbefugnisse erhalten;

Mobilität für alle möglich machen. Die Vorteile des Binnenmarkts sollten genutzt und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU sollte vollständig umgesetzt werden — und zwar in Verbindung mit:

angemessenen Maßnahmen im Bereich soziale Sicherheit (effiziente grenzübergreifende Koordination sozialer Sicherheit ebenso wie die Portabilität sozialer Rechte auf Renten und medizinische Versorgung);

Zugang zu Wohnraum, Kinderbetreuung und Bildung;

Gleichbehandlung von entsandten und mobilen Arbeitnehmern, auch im Vergleich zu den Arbeitnehmern des Aufnahmelandes;

effizienteren und besser koordinierten Kontrollmechanismen für die Entsendung von Arbeitnehmern.

Qualitativ hochwertige Arbeit bei gerechter Entlohnung

gemeinsame Prinzipien zur Förderung qualitativ guter Arbeit bei gerechter Entlohnung und gleichzeitiger Reduzierung prekärer Arbeit;

Maßnahmen zur Überwindung von Engpässen im Hinblick auf unterqualifizierte und noch nicht qualifizierte Arbeitskräfte.

Verstärkte Maßnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit;

Entwicklung eines europäischen Indexes für Arbeitsqualität;

Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und effiziente Maßnahmen zur Bewältigung neuer Risiken, und zwar auch in Bezug auf neue Arbeitsformen.

Überwindung aller Formen der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, u.a. durch die Umsetzung wirksamer Strategien zum Abbau der geschlechtsspezifischen Diskrepanzen und zur Unterbindung von Ausgrenzung sowie durch Integrationsmaßnahmen;

6.6   Förderung des Unternehmertums in einem gesellschaftlichen Kontext

Das Unternehmertum im weitesten Sinne sollte gefördert werden, um so zu einem stärkeren Wachstum, besseren Arbeitsplätzen, dem sozialen Zusammenhalt und der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung beizutragen.

Unternehmen, insbesondere Unternehmen des sozialen Bereichs und andere sozialwirtschaftliche Unternehmen als Wege zu einer effektiven Integration in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt;

Kommissionsprogramme zur Unterstützung des Unternehmertums sollten weiterhin auf gute Arbeitsplätze ausgerichtet sein;

soziale Verantwortung der Unternehmen. Damit Europa im Bereich der sozialen Verantwortung der Unternehmen zum Vorreiter wird: gemeinsame Maßnahmen der Arbeitgeber, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und öffentlichen Behörden zur nachhaltigen Schaffung von Modellen und bewährten Verfahren (mit Unterstützung durch Anreize seitens der EU) — neben der vollen Einhaltung der Arbeits- und Sozialrechte.

6.7   Frühzeitige Erkennung und Beobachtung des strukturellen Wandels

Bewältigung des Wandels im Rahmen einer Partnerschaft zwischen Unternehmen und allen betroffenen Akteuren, wobei die Beteiligung und Konsultierung von Arbeitnehmern und ihren Vertretern bei der Suche nach angemessenen Lösungen von ausschlaggebender Bedeutung ist;

Aufnahme der ökologischen, industriellen, wirtschaftlichen und sozialen Dimension in die EU-Vorschläge in den Bereichen Industrie, Klimawandel und Umwelt sowie besondere Finanzierungsinstrumente zur Förderung neuer Technologien und Beschäftigung.

6.8   Betonung der außenpolitischen Dimension

Werben für die Merkmale des europäischen Sozialmodells bei der EU-Außenpolitik (insbesondere für den Begriff der menschenwürdigen Arbeit, den sozialen Dialog und den zivilgesellschaftlichen Dialog, beispielsweise im Rahmen der Handels-, der AKP- und der Nachbarschaftspolitik)

Stärkung des ILO-Ansatzes

Ratifizierung und Umsetzung aller relevanten ILO-Konventionen (einschließlich derer über Diskriminierung) durch die Mitgliedstaaten;

Aufnahme der wesentlichen Arbeitsnormen der ILO in Handelsabkommen;

Stärkung des IAO-Überwachungssystems.

Förderung des Sozial- und Umweltsiegels

Das Präferenzsystem „APS+“ zum Bezugspunkt machen  (18)

Förderung internationaler Regierungssysteme für neue technologische und ökologische Optionen und für neue internationale Finanzbestimmungen;

Förderung internationaler Übereinkommen über die soziale Verantwortung von Unternehmen

Entwicklung und Betreibung der Einwanderungspolitik in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern.

7.   Methoden und Instrumente

7.1   Allgemeine Bemerkungen

7.1.1

Es ist äußerst wichtig, angemessene und effektive Methoden für die Bewältigung der neuen Herausforderungen zu ermitteln, um den sozialen Fortschritt voranzubringen.

7.1.2

Sowohl die bereits bestehenden als auch die vorgenannten neuen Elemente des Vertrages sollten vollständig genutzt werden, wobei der „soziale Acquis“ gestärkt werden sollte. Das gleiche gilt für anderweitige Aktionen und Maßnahmen.

7.2   Neue und noch nicht verabschiedete Rechtsvorschriften

7.2.1

Im Rahmen des Anwendungsbereichs der Artikel 136 und 137 des Vertrags müssen einige legislative Maßnahmen getroffen werden. So zum Beispiel:

die Beseitigung von Blockaden bei anhängigen Rechtsakten (Arbeitszeit, Leih- und Zeitarbeit, Portabilität von betrieblichen Rentenansprüchen usw.);

Verbesserung bestimmter Richtlinien;

das Auslaufen von Opt-out-Möglichkeiten;

die Schaffung eines Rahmens für neue Beschäftigungsformen und neue Risiken am Arbeitsplatz.

7.3   Stärkung der Umsetzung, Überwachung und Bewertung von Maßnahmen

Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs und ihre Wirkung auf den sozialen Besitzstand müssen genau verfolgt werden und erforderlichenfalls sind politische und legistische Maßnahmen zu treffen, um Eingriffe in elementare Grundrechte unmöglich zu machen (19).

Das gesamte Potenzial der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft beim Prozess der Umsetzung von Gemeinschaftsvorschriften, -maßnahmen und -programmen muss freigesetzt werden.

Die Kontroll- und Aufsichtskapazitäten in den Bereichen Gesundheit und Arbeitssicherheit und die Anwendung des Arbeitsrechts müssen verbessert werden.

7.4   Koregulierung und Selbstregulierung

7.4.1

Die Ko- und die Selbstregulierung (Vereinbarungen, freiwillige Verhaltenskodizes, Standards etc.) können den EU-Rechtsrahmen und andere Maßnahmen auch im sozialen Bereich ergänzen. Der soziale Dialog als solcher ist eines dieser Instrumente. Die Ko- und die Selbstregulierung können ein dynamischer Prozess sein, der der raschen Entwicklung der gesellschaftlichen Realitäten Rechnung trägt. Er muss jedoch stets genau bewertet werden und auf einer Beteiligung und Mitverantwortung aller betroffenen Akteure basieren. Darüber hinaus sollte er nicht zu einer schlechteren rechtlichen Stellung führen als die vorhandene gemeinschaftliche Methode.

7.5   Die Autonomie und Wirksamkeit des sozialen Dialogs muss gestärkt werden

7.5.1

Das laufende gemeinsame Arbeitsprogramm 2006-2008 der europäischen Sozialpartner zeigt, dass der europäische soziale Dialog mit den Herausforderungen Europas Schritt hält, vorausgesetzt die europäischen Sozialpartner ergreifen die erforderlichen Maßnahmen zum Aufbau von funktionsfähigen und dynamischen autonomen Arbeitnehmer-/Arbeitgeber-Beziehungen auf allen Ebenen. Die EU kann dies unterstützen, indem sie

eine angemessene Konsultation der Sozialpartner im Rahmen des Artikels 138 des Vertrags sicherstellt;

eine reibungslose Umsetzung ihrer langfristigen gemeinsamen Arbeitsprogramme gewährleistet;

die Ausbildungskapazitäten und Handlungsfähigkeit der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände auch mithilfe neuer Maßnahmen erhöht, insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten;

grenzüberschreitende Kollektivvereinbarungen fördert, indem sie einen stabilen rechtlichen Rahmen für europaweite Tarifverhandlungen der Sozialpartner gewährleistet und Bestimmungen über die Umsetzung der Kollektivvereinbarungen erlässt;

die Richtlinie über die Mitwirkung der Arbeitnehmer, insbesondere die Rechte auf Unterrichtung und Anhörung weiterentwickelt.

7.6   Ziviler Dialog — Stärkung der partizipativen Demokratie

7.6.1

Die Vorschriften (20) über die „partizipative Demokratie“ des Vertrags von Lissabon bieten neue Möglichkeiten, andere Organisationen der Zivilgesellschaft als die Sozialpartner umfassend an der Gestaltung einer europäischen Sozialpolitik, insbesondere an der Ausarbeitung eines neuen europäischen sozialpolitischen Aktionsprogramms zu beteiligen.

7.6.2

Der EWSA ist der Vertreter der Organisationen der Zivilgesellschaft auf EU-Ebene. Der Vertrag von Lissabon eröffnet dem Ausschuss weitere Möglichkeiten, seine Rolle als Mittler zwischen der organisierten Zivilgesellschaft und den Beschlussfassungsorganen der EU wahrzunehmen. Der EWSA trägt bei der Förderung der partizipativen Demokratie besondere Verantwortung. Er wird die Initiative ergreifen und Wege und Möglichkeiten ausloten, um den neuen Artikel des Vertrags operationell zu machen und die verschiedenen Methoden der Teilnahme und Anhörung sowie die von der Europäischen Kommission und anderen EU-Institutionen verwendete Folgenabschätzung zu bewerten, um sie verlässlicher, nützlicher und partizipativer zu gestalten. In diesem Zusammenhang bekräftigt der Ausschuss seine Forderung nach der Verabschiedung eines Statuts der Europäischen Vereine (21).

7.7   Das Initiativrecht für den Bürger — ein wichtiges Werkzeug

7.7.1

Das Initiativrecht für den Bürger (22) kann als eines der wichtigsten Instrumente der organisierten Zivilgesellschaft betrachtet werden um zu versuchen, ein soziales Europa näher am Bürger und an seinen sozialen Erwartungen zu fördern.

7.7.2

Daher sollten Organisationen der Zivilgesellschaft die Wirkungsweise dieser neuen Bestimmung des Vertrags bewerten. Sie sollten prüfen, unter welchen Bedingungen auf diese Bestimmung zurückgegriffen werden kann und wie sie wirksam eingesetzt werden kann. Der EWSA kann zu dieser Analyse beitragen, indem er die nationalen Wirtschafts- und Sozialräte sowie die nationalen Organisationen, die er vertritt, einbezieht.

7.8   Verstärkte Zusammenarbeit

7.8.1

Die ständig wachsende Vielfalt der Europäischen Union ist ein Argument für eine verstärkte Zusammenarbeit. Mitgliedstaaten, die in Fragen der Sozialpolitik eine weitergehende und schnellere Entwicklung anstreben, können diese Möglichkeit nutzen und gemeinsame und geeignete Lösungen ermitteln. Dies sollte selbstverständlich nicht zu sozialem Dumping oder dazu führen, dass diejenigen, die nicht an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmen, völlig ins Hintertreffen geraten. In diesem Zusammenhang sollte darauf hingewiesen werden, dass zwischen bestimmten Mitgliedstaaten bereits eine Zusammenarbeit in einigen Bereichen gibt (23).

7.8.2

Einige mögliche Bereiche der verstärkten Zusammenarbeit:

Erreichen eines gemeinsamen Ansatzes für die Integration der verschiedenen Wirtschafts- und Sozialpolitiken in der Eurozone;

Übertragbarkeit von anderen sozialen Rechten als jenen, die in den Anwendungsbereich der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (24) fallen;

Maßnahmen zur Stärkung der verschiedenen EU-Strategien, für die in erster Linie die Mitgliedstaaten verantwortlich sind — beispielsweise im Bereich der Bildung.

7.9   Methode der offenen Koordinierung (MOK)

7.9.1

Der Ausschuss hat die MOK bereits in verschiedenen Stellungnahmen befürwortet, sich gleichzeitig aber für eine größere Effizienz ausgesprochen. Die MOK kann einige Ergebnisse vorweisen, aber viel zu häufig haben die Mitgliedstaaten kein ausreichendes Engagement für die vereinbarten Ziele und Maßnahmen gezeigt.

7.9.2

Der Ausschuss hat angeregt, dass die MOK dahingehend genutzt wird, sowohl im Hinblick auf die Quantität als auch Qualität Zielvorgaben und bessere sozialpolitische Indikatoren festzulegen, und dass sie in neuen Gebieten Anwendung findet wie z.B. in der Integrationspolitik, im Bereich Solidarität zwischen den Generationen und in der Behindertenpolitik.

7.9.3

Die MOK sollte „stärker vor Ort“ stattfinden und dadurch den partizipativen Bottom-Up-Ansatz widerspiegeln und die erforderliche Koordinierung zwischen den Partnern und den politischen Maßnahmen sicherstellen, um so — mit Unterstützung der Strukturfonds — zur Entwicklung der lokalen und regionalen Ebene beizutragen.

7.9.4

Einige Vorschläge:

Lokale, regionale und nationale Aktionspläne als wesentliches Element des sozialpolitischen Aktionsprogramms der EU.

Die Ergebnisse der MOK selber sollten bewertet werden („benchmarking“). Dies sollte auf der Grundlage von Zielen und Indikatoren sowie einer gegenseitigen Begutachtung („Peer-Review“) und eines Austausches bewährter Praktiken erfolgen, wobei das Regieren und die besondere Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft auf allen Ebenen und der nationalen WSR herausgestellt werden sollte.

7.10   Gemeinsame Prinzipien

7.10.1

Die jüngsten Initiativen der Kommission (beispielsweise zum Flexicurity-Konzept) beinhalten ein „neues“ auf gemeinsamen Prinzipien beruhendes Verfahren, wobei es sich bei den gemeinsamen Prinzipien um Empfehlungen handelt, denen die Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis folgen können (25).

7.10.2

Dieses Procedere erscheint sinnvoll, wenn der Schwerpunkt auf sehr speziellen Themen liegt und wenn die Mitgliedstaaten wollen, dass Fortschritte erzielt werden, selbst wenn die Zuständigkeit der EU beschränkt ist. Da viele politische Felder betroffen sind, ist ein integrierter Ansatz erforderlich.

7.10.3

Die „Methode der gemeinsamen Prinzipien“ bietet außerdem eine Möglichkeit für die Teilnahme der organisierten Zivilgesellschaft sowohl an der Formulierung (selbst an der Verhandlung) der gemeinsamen Prinzipien als auch an ihrer Umsetzung.

7.10.4

Es ist jedoch dringend erforderlich, die Verbindungen zu anderen EU-Instrumenten und -Methoden auszumachen, beispielsweise zur MOK und den integrierten Leitlinien der Lissabon-Strategie, um die Wirksamkeit dieser „neuen“ Methode und ihre tatsächliche Anwendung bewerten und messen zu können. Bei der Umsetzung ist es wichtig, die gemeinsamen Grundsätze wirksam zu wahren, damit es nicht zu unlauterem Wettbewerb kommt.

7.11   Indikatoren

7.11.1

Der Ausschuss schlägt vor, im Rahmen des sozialpolitischen Aktionsprogramms der EU eine spezielle indikatorbezogene Maßnahme unter aktiver Beteiligung der betroffenen Akteure einzuführen, die Folgendes beinhalten sollte:

Schaffung neuer „Wohlfahrtsindikatoren“, die nicht mehr streng an das BIP/BNE gekoppelt sind, die aber den Fortschritt in der sozialen Entwicklung zeigen (26);

die Ausarbeitung qualitativ hochwertiger, verlässlicher und vergleichbarer sozialpolitischer Indikatoren, die ein ausreichend detailliertes und wirklichkeitsgetreues Bild der Fortschritte bei den angestrebten Zielen liefern;

die Entwicklung von Qualitätsindikatoren, um z.B. Zugänglichkeit und Qualität im Verhältnis zu den Erwartungen, der Beteiligung der Nutzer und der nutzerfreundlichen Behandlung, bewerten zu können, um zu zeigen, inwieweit die Bedürfnisse des Bürgers erfüllt werden.

7.12   Abschätzung der Folgen der EU-Politiken

7.12.1

Die Rechtsetzung der EU, ihre Politiken und Programme sollten hinsichtlich ihrer sozialen Folgen überprüft werden. Der Kommission kommt bei einer solchen Folgenabschätzung, die eine rege Beteiligung aller betroffenen Akteure einschließen sollte, besondere Verantwortung zu. Alle wichtigen sozialpolitischen Bereiche, insbesondere deren Auswirkungen auf die Beschäftigung, das Wachstum, den sozialen Zusammenhalt und die Nachhaltigkeit sollten alle fünf Jahre bewertet werden. Es sollten Qualitätskriterien festgelegt werden, um die erforderliche Analyse und Bewertung zu erhärten.

7.13   Finanzmittel

7.13.1

Das Haushaltsinstrument für die Umsetzung eines sozialen Aktionsprogramms sollte in einer Gesamtsicht der Finanzmittel sowohl der EU als auch der Einzelstaaten betrachtet werden.

7.13.2

Bei der Haushaltsreform sollte ein besonderes Gewicht auf Maßnahmen zur Unterstützung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts gelegt werden. Eine Neuaufteilung der Mittel ist erforderlich, um Kohäsion, Arbeitsplätze und das europäische Sozialmodell und damit auch das sozialpolitische Aktionsprogramm der EU im Einklang mit den alle fünf Jahren durchgeführten Analysen (s. Ziffer 7.12.1) sicherzustellen und zu fördern.

7.13.3

Solange der neue Haushalt jedoch noch nicht in Kraft getreten ist (2013), sind gewisse Umschichtungen innerhalb des bestehenden Haushalts möglich (teilweise ohne Neuverhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten, teilweise erst nach Neuverhandlungen).

7.13.4

Zwischen den verschiedenen Fonds (z.B. Kohäsionsfonds, Regionalfonds, Sozialfonds, Fonds für die ländliche Entwicklung, Europäischer Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF)) ist eine größere Kohärenz und Koordination erforderlich, um die soziale Dimension in verschiedene Politikbereiche einfließen lassen zu können.

7.13.5

Vorschläge für mittelfristige Initiativen

Überprüfung des EGF hinsichtlich seines Anwendungsbereichs, seiner Durchführungsbestimmungen sowie eines besseren Zugangs zur Finanzierung (einschließlich einer stärkeren Verbindung zum ESF). Außerdem sollte auch eine mögliche Erweiterung des EGF auf politische Maßnahmen in den Bereichen Klimawandel und Umwelt in Betracht gezogen werden;

der Strukturfonds sollte mehr auf kleinmaßstäbliche, aber effiziente Unterstützungsstrukturen vor Ort abheben;

ein Sozialer Innovationsfonds könnte eingerichtet werden, um im Einklang mit den im Rahmen des Programms Equal gemachten positiven Erfahrungen neue Initiativen mit Versuchscharakter zu unterstützen;

rasche Schaffung eines Demografiefonds (27);

Stärkung des Europäischen Integrationsfonds.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  EWSA-Stellungnahme vom 18.1.2007 zum Thema „Der Zustand der europäischen Gesellschaft — eine Bestandsaufnahme“, Berichterstatter: Herr Olsson (ABl. C 93 vom 27.4.2007), Ziffer 5.8.

(2)  Aus „Charter to the Programme, Social Europe 1/90“, S. 28.

(3)  Artikel 2.

(4)  Titel IV Artikel 10.

(5)  Neuer Schwung für das soziale Europa, Erklärung der Arbeitsminister von Belgien, Bulgarien, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Zypern, Luxemburg und Ungarn:

http://www.obreal.unibo.it/File.aspx?IdFile=816.

(6)  Die ereneuerte Sozialagenda wurde von der Kommission am 2. Juli 2008 angenommen (KOM(2008) 412 endg.).

(7)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 6.7.2006 zum „Europäischen Sozialmodell“, Berichterstatter: Herr Ehnmark (ABl. C 309 vom 16.12.2006).

(8)  Kommissionsdefinition: „Unternehmerische Kompetenz ist die Fähigkeit, Ideen in die Tat umzusetzen. Dies erfordert Kreativität, Innovation und Risikobereitschaft sowie die Fähigkeit, Projekte zu planen und durchzuführen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Unternehmerische Kompetenz hilft dem Einzelnen in seinem täglichen Leben zu Hause oder in der Gesellschaft, ermöglicht Arbeitnehmern, ihr Arbeitsumfeld bewusst wahrzunehmen und Chancen zu ergreifen. Sie ist die Grundlage für die besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse, die Unternehmer benötigen, um eine gesellschaftliche oder gewerbliche Tätigkeit zu begründen“, siehe Stellungnahme des EWSA vom 25.10.2007 zum „Unternehmergeist und Lissabon-Agenda“, Ziffer 2.2. Berichterstatterin: Frau Sharma, Mitberichterstatter: Herr Olsson (ABl. C 44 vom 16.2.2008).

(9)  Siehe Stellungnahme Sharma/Olsson.

(10)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität: eine neue gesellschaftliche Vision für das Europa des 21. Jahrhunderts“, KOM(2007) 726 endg.

(11)  Stellungnahme des EWSA vom 22.4.2008 zu den „Verhandlungen über neue Freihandelsabkommen“, Berichterstatter: Herr Peel, Mitberichterstatterin: Frau Pichenot (ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 82).

(12)  Insbesondere Artikel 136 des Lissabon-Vertrags.

(13)  Siehe beispielsweise die von BusinessEurope, CEEP und EGB im Oktober 2007 veröffentlichte gemeinsame Analyse der wichtigsten Herausforderungen für die europäischen Arbeitsmärkte („Key challenges facing European Labour markets“).

(14)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Grundsätze für den Flexicurity-Ansatz herausarbeiten: Mehr und bessere Arbeitsplätze durch Flexibilität und Sicherheit“ vom 22.4.2008, Berichterstatter: Herr Janson, Mitberichterstatter: Herr Ardhe (ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 48).

(15)  Artikel 16 E des Vertrags von Lissabon (ehemals Artikel 13).

(16)  Siehe Günther Schmied: „Transitional Labour Markets: Managing Social Risks over the Life Course“ [Arbeitsmärkte im Übergang: Umgang mit sozialen Risiken im Laufe des Lebens], Beitrag zum informellen Treffen der Arbeits- und Sozialminister, Guimarães, Portugal, Juli 2007:

http://www.mtss.gov.pt/eu2007pt/en/preview_documentos.asp?r=29&m=pdf, S. 69).

(17)  SOC/308, Entwurf einer Stellungnahme zum Thema „Berücksichtigung der Bedürfnisse älterer Menschen“, Berichterstatterin: Frau Heinisch. Noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht (die Stellungnahme wurde im Seprember 2008 angenommen).

(18)  Siehe Ziffer 5.7 der EWSA-Stellungnahme zum Thema „Verhandlungen über neue Freihandelsabkommen — der Standpunkt des EWSA“ vom 22.4.2008, Berichterstatter: Herr Peel, Mitberichterstatterin: Frau Pichenot (ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 82).

(19)  Beispielsweise Urteil des EuGH C-341/05 vom 18.12.2007 (Laval un Partneri Ltd), Urteil des EuGH in der Rechtssache Viking, Urteil des EuGH C-346/06 in der Rechtssache Rüffert.

(20)  Artikel 8 B.

(21)  Siehe beispielsweise Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die Förderung der Rolle gemeinnütziger Vereine und Stiftungen in Europa“ vom 28.1.1998, Berichterstatter: Herr Olsson (ABl. C 95 vom 30.3.1998).

(22)  Artikel 8 B.4

(23)  Beispielsweise Euro und Schengen.

(24)  Verordnung (EG) Nr. 883/2004.

(25)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Gemeinsame Grundsätze für den Flexicurity-Ansatz herausarbeiten: Mehr und bessere Arbeitsplätze durch Flexibilität und Sicherheit, KOM (2007) 359 endg. und andere (ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 48).

(26)  In Übereinstimmung mit der Arbeit des Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaften Amartya Sen.

(27)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 18. Dezember 2007 zum „Vierten Kohäsionsbericht“, Berichterstatter: Herr DERRUINE (ABl. C 120 vom 16.5.2008).


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/108


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung“

KOM(2007) 637 endg. — 2007/0228 (CNS)

(2009/C 27/23)

Der Rat beschloss am 7. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr PARIZA CASTAÑOS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 139 gegen 3 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Vorbemerkungen

1.1

Seit dem Europäischen Rat von Tampere, auf dem die EU beschloss, eine gemeinsame Einwanderungspolitik anzustoßen, sind acht Jahre vergangen; gleichwohl sind in einem der grundlegenden Aspekte — dem der Maßnahmen und Rechtsvorschriften betreffend die Zulassung von Migranten — nur wenige Fortschritte erzielt worden. Die Zulassung wird nach wie vor durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und ohne jegliche Harmonisierung seitens der EU geregelt; diese nationalen Vorschriften sind sehr unterschiedlich und bringen gegensätzliche Politikansätze zum Ausdruck.

1.2

Vor mehr als sechs Jahren legte die Kommission den „Vorschlag für eine Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit“ (1) vor. Der EWSA und das Europäische Parlament begrüßten den Vorschlag in ihren jeweiligen Stellungnahmen (2), der jedoch nicht über die erste Lesung im Rat hinauskam. Unterdessen haben einige Mitgliedstaaten neue Rechtsvorschriften zur Wirtschaftsmigration mit sehr unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen erlassen.

1.3

In den nächsten Jahren wird Europa Wirtschaftsmigranten brauchen, die einen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung leisten (3). Ein Blick auf die demografische Lage zeigt, dass es zum Scheitern der Lissabon-Strategie kommen kann, wenn Europa seine Einwanderungspolitik nicht ändert. Es bedarf aktiver Maßnahmen zur Aufnahme sowohl hochqualifizierter Arbeitskräfte als auch von Personen mit geringerer Qualifikation.

1.4

Es ist zu bedauern, dass einige Regierungen im Rat der Europäischen Union ein Veto gegen die Legislativvorschläge der Kommission eingelegt haben und an den althergebrachten restriktiven Politiken früherer Zeiten festhalten. Derweil wachsen Schattenwirtschaft und illegale Beschäftigung, wodurch Einwanderer ohne Papiere regelrecht angezogen werden. Durch den Vorschlag für eine Richtlinie über Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen (4), zu dem der EWSA eine entsprechende Stellungnahme (5) erarbeitet hat, soll dem entgegengewirkt werden. Da eine gemeinschaftsrechtliche Regelung fehlt, erlassen die einzelnen Mitgliedstaaten neue Rechtsvorschriften mit sehr unterschiedlichen politischen Schwerpunkten. Dadurch werden wiederum neue Probleme für die Vereinheitlichung geschaffen. Diese unterschiedlichen Politikansätze und voneinander abweichenden Regelungen lösen bei den Bürgern Verwirrung und Unsicherheit aus.

1.5

Der EWSA befürwortet, dass der Vertrag von Lissabon für Einwanderungsvorschriften das ordentliche Verfahren (Initiative der Kommission, qualifizierte Mehrheit im Rat und Mitentscheidung des Parlaments) vorsieht.

1.6

Dieser Richtlinienvorschlag wird im Rat jedoch nach der unergiebigen Einstimmigkeitsregel debattiert. Daher muss dieser Wandel — wie der EWSA in seiner Stellungnahme zum Haager Programm (6) betonte — „schnellstmöglich und noch vor der Erörterung der neuen Legislativvorschläge vollzogen werden“. Der EWSA schlägt dem Rat vor, nach dem in Asylfragen bereits angewandten „Passerelle-Verfahren“ vorzugehen, damit diese Richtlinien mit qualifizierter Mehrheit und im Wege der Mitentscheidung mit dem Parlament verabschiedet werden können.

1.7

Der EWSA hat hierzu bereits Folgendes bemerkt: „Was die neuen Rechtsvorschriften über die Zulassung anbelangt, ist es besser, einen umfassenden Rechtsrahmen horizontaler Art aufzustellen als sektorspezifische Vorschriften zu erlassen“  (7). „Der von der Kommission seinerzeit erarbeitete Vorschlag für eine Richtlinie zur Zulassungspolitik, zu dem der EWSA einige Änderungen anregte  (8) , ist nach Auffassung des Ausschusses nach wie vor ein tauglicher Legislativvorschlag. Als Ergänzung dazu könnten spezifische Vorschriften für sektorale Fragen und besondere Fälle erarbeitet werden. Entscheidet sich der Europäische Rat für ein sektorspezifisches Vorgehen, das nur die Aufnahme hoch qualifizierter Migranten vorsieht, so hätte dies für die Handhabung eines großen Teils der Einwanderung keinen Nutzen und würde sich darüber hinaus diskriminierend auswirken. Eine solche Entscheidung kann dem Rat zwar leichter fallen, doch auch von den Bedürfnissen Europas abweichen“.

1.8

Im Vertrag von Lissabon werden die Grenzen der Gemeinschaftsgesetzgebung abgesteckt: das Recht der Mitgliedstaaten, festzulegen, wie viele Migranten sie in ihrem Hoheitsgebiet aufnehmen möchten. Diese Beschränkung ist kein Hindernis für die Erreichung einer weitgehenden rechtlichen Vereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union. Sie ist ein Anreiz dafür, die Wirtschaftsmigration auf nationaler Ebene durch gemeinsame transparente Verfahren zu steuern. Für die Ausstellung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen werden die einzelnen Mitgliedstaaten zuständig sein, allerdings im Rahmen der Gemeinschaftsgesetzgebung. So kann jeder Staat in Abstimmung mit den Sozialpartnern die Merkmale der Zuwanderung festlegen (9). Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften müssen im Rahmen der europäischen Rechtsetzung den besonderen Umständen jedes Landes Rechnung tragen.

1.9

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Rechtsvorschriften über die Zulassung von Arbeitsmigranten u.a. von den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt abhängen, weshalb die einzelstaatlichen Behörden darüber einen Dialog mit den Sozialpartnern führen sollten.

1.10

Zudem wurde im Haager Programm vom November 2004 anerkannt, dass „legale Zuwanderung […] eine wichtige Rolle beim Ausbau der wissensbestimmten Wirtschaft in Europa und bei der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung spielen und dadurch einen Beitrag zur Durchführung der Lissabonner Strategie leisten [wird]“.

1.11

Der Europäische Rat vom Dezember 2006 einigte sich auf den Strategieplan für legale Migration, der Antworten auf zwei Ziele geben soll:

1.11.1

Festlegung von Zulassungsbedingungen für bestimmte Kategorien von Migranten in vier spezifischen Legislativvorschlägen, und zwar in Bezug auf hoch qualifizierte Arbeitnehmer, Saisonarbeitnehmer, bezahlte Auszubildende und innerbetrieblich versetzte Arbeitnehmer;

1.11.2

Errichtung eines allgemeinen Rahmens für einen fairen und auf Arbeitnehmerrechten basierenden Ansatz in Bezug auf die Arbeitsmigration.

1.12

Der Ausschuss hat unlängst zwei Stellungnahmen (10) verabschiedet, in denen u.a. vorgeschlagen wird, dass die Lenkung der Einwanderung in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern erfolgt, damit die Migration ein Entwicklungsfaktor für diese Länder wird. In einer dieser Stellungnahme (11) hat der EWSA darauf hingewiesen, dass die Richtlinie 2003/109 im Hinblick auf die langfristig Aufenthaltsberechtigten flexibler gestaltet werden muss, und weitere Vorschläge für die Ausarbeitung der Richtlinien über Fragen der Zulassung von Migranten unterbreitet.

2.   Richtlinienvorschlag

2.1

Der Richtlinienvorschlag hat das Ziel, die Anwerbung hochqualifizierter Arbeitnehmer durch Harmonisierung der beschleunigten Einreiseverfahren zu begünstigen, die sich auf gemeinsame Definitionen und Kriterien sowie günstige Aufenthaltsbedingungen stützen. Der Vorschlag enthält eine Sonderregelung für junge Fachkräfte und erleichtert die Mobilität innerhalb der Union.

2.2   Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich

2.2.1

Das Ziel besteht darin, die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen und ihren Familienangehörigen zum Zweck der Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung von mehr als drei Monaten zu schaffen und alle Kriterien für ihren Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten zu regeln. Eine „hochqualifizierte Beschäftigung“ wird definiert als die Ausübung einer echten und tatsächlichen Erwerbstätigkeit unter Anleitung einer anderen Person und gegen Bezahlung, für die ein höherer Bildungsabschluss oder eine gleichwertige Berufserfahrung von mindestens drei Jahren erforderlich ist.

2.2.2

Der persönliche Geltungsbereich umfasst Drittstaatsangehörige, die einen Antrag auf Zulassung ins Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zum Zweck der Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung stellen. Folgende Kategorien bleiben davon ausgeschlossen: Personen, die internationalen Schutz beantragt haben oder sich im Rahmen eines temporären Schutzes in einem Mitgliedstaat aufhalten, Flüchtlinge, Forscher, Familienangehörige von Unionsbürgern, die ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausüben, Personen, denen die Rechtsstellung langfristig Aufenthaltsberechtigter in der EU zuerkannt worden ist, sowie Begünstigte von internationalen Abkommen.

2.2.3

Von der Umsetzung dieser Richtlinie unberührt bleiben günstigere Bestimmungen in bilateralen oder multilateralen Abkommen mit Drittstaaten. Außerdem steht den Mitgliedstaaten weiterhin frei, günstigere Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen (außer für Bedingungen zur Einreise in den ersten Mitgliedstaat).

2.3   Bedingungen, Verfahren und Rechte

2.3.1

Der Vorschlag sieht folgende Einreisebedingungen und Zulassungskriterien vor:

a)

Nachweis eines gültigen Arbeitsvertrags oder verbindlichen Arbeitsplatzangebots für mindestens ein Jahr;

b)

Erfüllung der nach nationalem Recht geltenden Bedingungen für die Ausübung des im Arbeitsvertrag oder im verbindlichen Arbeitsplatzangebot genannten reglementierten Berufs;

c)

im Falle nicht-reglementierter Berufe: Vorlage von Nachweisen über die höheren beruflichen Qualifikationen, die für den genannten Beruf oder die Branche relevant sind;

d)

gültiges Reisedokument und gültiger Aufenthaltstitel;

e)

Krankenversicherungsschutz;

f)

der Arbeitnehmer darf keine Bedrohung für die Gesundheit, Sicherheit oder öffentliche Ordnung darstellen.

2.3.2

Das im Arbeitsvertrag oder dem verbindlichen Arbeitsplatzangebot angegebene Brutto-Monatsgehalt darf nicht geringer sein als der auf nationaler Ebene festgelegte und zu diesem Zweck von den Mitgliedstaaten veröffentlichte Mindestlohn in Höhe von mindestens dem Dreifachen des nach innerstaatlichem Recht geltenden Mindestbruttomonatsgehalts (12).

2.3.3

Drittstaatsangehörige unter 30 Jahren mit höheren Bildungsabschlüssen werden von einigen dieser Bedingungen ausgenommen. Ihr Brutto-Monatsgehalt muss mindestens zwei Dritteln des nationalen Mindestlohns entsprechen. Wenn der Antragsteller seine Hochschulausbildung in dem Mitgliedstaat abgeschlossen hat und seine höheren Bildungsabschlüsse (Bachelor's und Master's Degree) in einer Hoch- oder Fachhochschule in der EU erworben hat, wird zusätzlich zu den höheren Bildungsabschlüssen kein Nachweis über die Berufserfahrung mehr verlangt.

2.3.4

Gemäß Artikel 7 und Artikel 19 Absatz 5 bleibt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, Zulassungsquoten für Drittstaatsangehörige festzulegen, die die Zulassung zum Zweck einer hochqualifizierten Beschäftigung beantragen, von all diesen Bestimmungen unberührt.

2.4   Blue Card

2.4.1

Drittstaatsangehörige, die diese Kriterien erfüllen, erhalten eine EU Blue Card. Die EU Blue Card hat eine Gültigkeitsdauer von zwei Jahren und kann um mindestens den gleichen Zeitraum verlängert werden (13). Beträgt die Dauer des Arbeitsvertrags weniger als zwei Jahre, entspricht die Gütigkeitsdauer der Blue Card der Laufzeit des Vertrages.

2.4.2

Die Mitgliedstaaten legen fest, ob der Antrag auf Erteilung einer EU Blue Card vom Arbeitsmigranten selbst oder von seinem Arbeitgeber zu stellen ist.

2.4.3

In der Regel kann eine EU Blue Card von Drittstaatsangehörigen beantragt werden, die außerhalb des Hoheitsgebiets der EU wohnhaft sind. Jedoch bietet der Vorschlag den Mitgliedstaaten auch die Möglichkeit, — im Einklang mit ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften — den Antrag eines Drittstaatsangehörigen anzunehmen, der zwar seinen rechtmäßigen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates hat, jedoch nicht in Besitz eines Aufenthaltstitels ist.

2.5   Rechte

2.5.1

In den ersten zwei Jahren des Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat beschränkt sich der Arbeitsmarktzugang des Inhabers einer EU Blue Card auf die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, die die geltenden Zulassungsbedingungen für die EU Blue Card erfüllt. Nach Ablauf dieses Zeitraums werden dem zugewanderten Arbeitnehmer in Bezug auf den Zugang zum Arbeitsmarkt und zu hochqualifizierter Beschäftigung vergleichbare Rechte zugestanden wie den Staatsangehörigen des jeweiligen Mitgliedstaates. Arbeitslosigkeit allein ist kein Grund für den Entzug der EU Blue Card, sofern sie drei aufeinander folgende Monate nicht überschreitet.

2.5.2

Die EU Blue Card räumt ihrem Inhaber in folgenden Bereichen die gleichen Rechte ein wie den Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaates: Arbeitsbedingungen (Gehalt, Kündigungsschutz, Gesundheit und Arbeitssicherheit), Vereinigungsfreiheit, Mitgliedschaft und Betätigung in einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband, allgemeine und berufliche Bildung (Stipendien), Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen berufsqualifizierenden Befähigungsnachweisen, soziale Sicherheit, Sozialhilfe, Zahlung der zum Zeitpunkt des Umzugs in einen Drittstaat erworbenen Rentenansprüche, steuerliche Vergünstigungen, Zugang zu Waren und Dienstleistungen sowie zur Lieferung von Waren und Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen (Verfahren für den Erhalt von Wohnraum und Zugang zu den Leistungen der Arbeitsämter) und freier Zugang zu dem gesamten Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats.

2.5.3

Die Mitgliedstaaten können Ausnahmeregelungen treffen, wie zum Beispiel die Unterbindung des Zugangs zu bestimmten Beschäftigungsbereichen und einigen sozialen Rechten.

2.5.4

In der Präambel des Vorschlags wird darauf hingewiesen, dass die günstigen Bedingungen für Familienzusammenführungen und den Zugang der Ehefrauen zum Arbeitsmarkt grundlegende Bestandteile eines jeden Programms zur Anwerbung hochqualifizierter Arbeitskräfte in der EU sein sollten. Aus diesem Grund enthält der Vorschlag eine Reihe von Ausnahmeregelungen von den in Richtlinie 2003/86 über das Recht auf Familienzusammenführung (14) enthaltenen Bedingungen, um dieser Art von Zuwanderern die Wahrnehmung dieses Rechts zu erleichtern.

2.5.5

Der Richtlinienvorschlag enthält darüber hinaus eine Reihe von Ausnahmeregelungen von der Richtlinie 2003/109 über die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (15). Hochqualifizierte Drittstaatsangehörige sollen Zugang zu mehr Rechten erhalten, und die Verwaltungsverfahren für sie sollen erleichtert und flexibler gestaltet werden, als dies bei anderen langfristig Aufenthaltsberechtigten der Fall ist.

2.5.6

Die Mitgliedstaaten müssen den Drittstaatsangehörigen, deren Antrag bewilligt wurde, jede denkbare Erleichterung zur Erlangung der vorgeschriebenen Visa gewähren.

2.5.7

Nach zwei Jahren des rechtmäßigen Aufenthalts in einem Mitgliedstaat als Arbeitnehmer, der den durch die EU Blue Card zuerkannten Status genießt, bietet der Vorschlag dem Arbeitsmigranten die Möglichkeit, sich zum Zweck einer hochqualifizierten Beschäftigung in einen zweiten Mitgliedstaat zu begeben, sofern dort die gleichen Bedingungen für den Erhalt der EU Blue Card gelten wie in dem ersten Mitgliedstaat. Seine Familienangehörigen sind in diesem Falle berechtigt, ihn in den zweiten Mitgliedstaat zu begleiten.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet die Einführung eines gemeinsamen beschleunigten und transparenten Verfahrens für die Zulassung von Arbeitsmigranten im Einklang mit dem im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Recht der Mitgliedstaaten, festzulegen, wie viele Migranten sie in ihrem Hoheitsgebiet aufnehmen möchten.

3.2

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Rechtsvorschriften über die Einwanderung gemäß den Prinzipien und Grundwerten der Union mit der Grundrechtecharta der EU und den Vorschriften zur Bekämpfung von Diskriminierungen im Einklang stehen müssen.

3.3

Sobald der Vertrag von Lissabon ratifiziert ist und in Kraft tritt, werden die Zuständigkeiten der EU und die der Mitgliedstaaten eindeutiger definiert sein und wird der Rat seine Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit bzw. im Wege des Mitentscheidungsverfahrens gemeinsam mit dem Parlament fassen und auf diese Weise die derzeit geltende Einstimmigkeitsregel überwinden, die der Verabschiedung einer wirklich gemeinsamen Gesetzgebung im Wege steht.

3.4

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss schlägt dem Rat vor, für den Erlass von Einwanderungsvorschriften (d.h. dieser und der folgenden Richtlinien) das ordentliche Verfahren anzuwenden (das schon bei den Asylvorschriften zum Einsatz kam) und dadurch den im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Bestimmungen vorzugreifen. Außerdem schlägt er der Kommission vor, die Ausarbeitung der übrigen, für die kommenden Monate geplanten Richtlinien über die Aufnahme (von Saisonarbeitnehmern, bezahlten Auszubildenden sowie innerbetrieblich versetzten Arbeitnehmern) zu beschleunigen.

3.5

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die EU über eine angemessene gemeinsame Gesetzgebung verfügt, die ein hohes Maß an Vereinheitlichung aufweist, damit die Zuwanderung über legale, flexible und transparente Verfahren kanalisiert wird, in deren Rahmen die Drittstaatsangehörigen eine gerechte Behandlung erfahren und ihnen vergleichbare Rechte und Pflichten wie den EU-Bürgern zuerkannt werden.

3.6

Die in diesem Richtlinienvorschlag enthaltenen Rechte und Pflichten von Drittstaatsangehörigen, die auf der Gleichbehandlung in Fragen des Arbeitsentgelts, der Arbeitsbedingungen, der Versammlungsfreiheit sowie der allgemeinen und beruflichen Bildung basieren, sind eine gute Ausgangsbasis für die Rechtsvorschriften im Bereich der Einwanderung und sollten auf alle Kategorien von Arbeitsmigranten ausgedehnt werden.

3.7

Der EWSA begrüßt, dass die neuen Zuwanderungsvorschriften einen weniger restriktiven Ansatz in Bezug auf die Familienzusammenführung verfolgen als die Richtlinie 2003/86/EG.

3.8

Wie er bereits unlängst in einer Stellungnahme (16) formulierte, teilt der EWSA die Ansicht, dass die Zuwanderungsvorschriften in Bezug auf die Aufenthaltstitel flexibler gestaltet werden sollten, um zirkuläre Migrationsformen zu ermöglichen, um die Entwicklung in den Herkunftsländer zu fördern und die schlimmsten Folgen des Braindrain abzufedern. In der genannten Stellungnahme schlägt der Ausschuss eine Reihe von Änderungen für die Richtlinie über den Status von langfristig Aufenthaltsberechtigten (2003/109/CE) vor, um die Verfahren flexibler zu gestalten. Diese Stellungnahme enthält auch mehrere Vorschläge für die übrigen Richtlinien über die Zulassung von Migranten.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Höhe des Gehaltes kein geeignetes Kriterium zur Einstufung als hochqualifizierte Arbeitskraft ist.

4.2

Der Begriff „hochqualifiziert“ muss an die höheren Bildungsabschlüsse und -diplome oder die entsprechende höhere berufliche Qualifikation und nicht an das Gehalt des Arbeitnehmers geknüpft sein (17).

4.3

Andererseits erschwert das Heranziehen des Gehalts als Kriterium für den Zugang zur EU Blue Card die Verwirklichung einer gemeinsamen Politik in einer Europäischen Union. Zwischen den Mitgliedstaaten gibt es derzeit große Unterschiede beim nationalen Mindestlohn, welche die Harmonisierung erschweren.

4.4

Die EU sollte bei der Anerkennung beruflicher Befähigungen schnell Fortschritte erzielen und dabei dem Bologna-Prozess Rechnung tragen, der auf eine einfachere gegenseitige Anerkennung von Abschlüssen und Diplomen abzielt. Solange es kein gemeinsames europäisches System zur Anerkennung von Abschlüssen gibt, muss diese Anerkennung durch eine nationale Behörde und gemäß der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, den von der ILO für die Definition von hochqualifizierten Arbeitnehmern verwendeten Kriterien (18) und dem ISCED-Standard (International Standard Classification of Education) der UNESCO (19) erfolgen.

4.5

Der EWSA stimmt dem Kriterium der dreijährigen Berufserfahrung für eine „hochqualifizierte Beschäftigung“ zu. Dieses Kriterium kann jedoch bei Berufen, in denen die höheren Bildungsabschlüsse weiter gefasst sind, in der Praxis ebenfalls Probleme aufwerfen. Die Bewertung der beruflichen Gleichwertigkeit muss in jedem Fall durch die nationale Behörde in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern erfolgen.

4.6

Nach Ansicht des EWSA stellt der Vorschlag der Europäischen Kommission, hochqualifizierten Arbeitsmigranten eine gegenüber den Richtlinien 2003/86 und 2003/109 günstigere Vorzugsbehandlung angedeihen zu lassen, möglicherweise eine Ungleichbehandlung der verschiedenen Kategorien von Migranten dar. Es muss sichergestellt werden, dass diese Ausnahmeregelungen nicht die Gesamtkohärenz der europäischen Einwanderungspolitik und den Gleichbehandlungsgrundsatz gefährden (20).

4.6.1

Durch den Vorschlag für eine Richtlinie über hochqualifizierte Beschäftigung werden mehr Erleichterungen und Rechte in Bezug auf die Familienzusammenführung gewährt und die Verwaltungsverfahren zum Erhalt des Aufenthaltstitels erleichtert, da sich der Vorschlag auf den wirtschaftlichen Nutzen der Arbeitsmigranten für das Aufnahmeland stützt. Der EWSA ist der Ansicht, dass das Recht auf Zusammenleben mit der Familie ein Grundrecht ist, das nicht vom Wesen der wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers abhängen darf. Der Ausschuss hat bereits in anderen Stellungnahmen eine Änderung der Richtlinie 2003/86/EG über die Familienzusammenführung dahingehend vorgeschlagen, dass die im Richtlinienvorschlag über hochqualifizierte Beschäftigung enthaltenen Ausnahmeregelungen auch in diese Richtlinie aufgenommen werden (21).

4.6.2

Der Ausschuss bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass im Richtlinienvorschlag kein konkretes Recht auf Arbeitserlaubnis für Angehörige von Blue Card-Inhabern, die in einen anderen EU-Mitgliedstaat umsiedeln, vorgesehen ist.

4.6.3

Die Drittstaatsangehörigen, die nach einer fünfjährigen Aufenthaltsdauer den Status des langfristig Aufenthaltsberechtigten erlangen, sind dann jedoch im Vergleich zu den hochqualifizierten Arbeitsmigranten rechtlich schlechter gestellt. Der Aspekt des dauerhaften Aufenthalts wird, wenn es um die Gewährleistung der Rechtssicherheit und Integration in der EU geht, zweitrangig. In einer Stellungnahme (22) hat der EWSA unlängst darauf hingewiesen, dass die Richtlinie 2003/109 im Hinblick auf die langfristig Aufenthaltsberechtigten flexibler gestaltet werden muss.

4.7

Der Vorschlag weist einige Merkmale auf, deren Vereinbarkeit mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten fragwürdig ist. Zum Beispiel steht die Bestimmung, dass der Inhaber einer EU Blue Card in den ersten zwei Jahren seines dauerhaften Aufenthaltes in einem Mitgliedstaat in seiner beruflichen Mobilität eingeschränkt ist, nicht mit dem Europäischen Übereinkommen von 1977 über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer in Einklang, in dem der entsprechende Zeitraum auf eineinhalb Jahre festgelegt wurde (Artikel 8).

4.8

Laut Richtlinienvorschlag können Personen, die länger als drei aufeinander folgende Monate arbeitslos sind, ihre EU Blue Card nicht mehr verlängern. Jedoch stimmt dieser Zeitraum von drei Monaten auch nicht mit dem im Europäischen Übereinkommen über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer (Artikel 9 Absatz 4) festgelegten Zeitraum von fünf Monaten überein.

4.9

Der EWSA schlägt vor, sich auf eine Dauer der Arbeitslosigkeit von sechs Monaten zu einigen, um die internationalen Abkommen einzuhalten und den Arbeitnehmern den erneuten Zugang zu einer Beschäftigung zu erleichtern. Diese Frist ist insbesondere dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer gerade an einer Ausbildungsmaßnahme im Hinblick auf eine neue Beschäftigung teilnimmt.

4.10

Für den EWSA stellen die Übergangsmaßnahmen, durch die das Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedstaaten vorübergehend eingeschränkt ist, einen Ausnahmezustand dar, der insbesondere hinsichtlich der Beschäftigung hochqualifizierter Arbeitnehmer möglichst schnell behoben werden soll, wobei der Grundsatz der Präferenz für die Unionsbürger zu beachten ist.

4.11

Es ist nicht angemessen, dass asylsuchende Flüchtlinge vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind. Wie der EWSA bereits vorschlug, müssen Personen, die internationalen Schutz benötigen — einschließlich hochqualifizierter Personen — die Möglichkeit haben, zu arbeiten (23).

4.12

Wenn in dem Richtlinienvorschlag von einem flexibleren System für junge Arbeitnehmer unter 30 Jahren (niedriges Gehaltsniveau) die Rede ist, so kann dies heißen, dass sich dahinter eine Art der Diskriminierung verbirgt, die der EWSA nicht gutheißt.

4.13

Schließlich hebt der EWSA nachdrücklich die Bedeutung der Integration hervor. Er hat verschiedene Initiativstellungnahmen zur Förderung integrationspolitischer Maßnahmen (24) erarbeitet sowie Konferenzen und Anhörungen veranstaltet. Die EU und die einzelstaatlichen Behörden müssen bei der Förderung der Integrationspolitik zusammenarbeiten, da die Integration und die Förderung von Gleichbehandlung und Diskriminierungsbekämpfung eine Herausforderung für die europäische Gesellschaft und insbesondere für die lokalen Gebietskörperschaften, die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft sind. Der EWSA arbeitet zusammen mit der Europäischen Kommission an der Einrichtung des Europäischen Integrationsforums (25).

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2001) 386 endg.

(2)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 16.1.2002 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 80 vom 3.4.2002, und die Stellungnahme des EP (Berichterstatterin: Frau TERRÓN i CUSI), ABl. C 43 E vom 19.2.2004.

(3)  Siehe Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Dezember 2007 (Plan zur legalen Zuwanderung) und Stellungnahme des EWSA vom 10.12.2003 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Einwanderung, Integration und Beschäftigung“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 80 vom 30.4.2004.

(4)  KOM(2007) 249 endg.

(5)  Stellungnahme des EWSA vom 13.3.2008 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Sanktionen gegen Personen, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen“, Berichterstatterin: Frau ROKSANDIĆ, Mitberichterstatter: Her ALMEIDA FREIRE, verabschiedet auf der Plenartagung am 12./13. März 2008. ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 70.

(6)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 15. Dezember 2005 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Das Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf Jahre — Die Partnerschaft zur Erneuerung Europas im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(7)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 9.6.2005 zu dem „Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 286 vom 17.11.2005.

(8)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 16.1.2002 zu dem ‚Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit‘ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 80 vom 3.4.2002.

(9)  Siehe Fußnote 4.

(10)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 25.10.2007 zur „EU-Einwanderungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern“ (Initiativstellungnahme, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 44 vom 16.2.2008, und Initiativstellungnahme des EWSA vom 12.12.2007 zum Thema „Migration und Entwicklung: Chancen und Herausforderungen“, Berichterstatter: Herr SHARMA, verabschiedet auf der Plenartagung am 12./13. Dezember 2007. ABl. C 120 vom 16.5.2008, S. 82.

(11)  Stellungnahme des EWSA vom 25.10.2007 zur „EU-Einwanderungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern“ (Initiativstellungnahme, Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 44 vom 16.2.2008.

(12)  „Mitgliedstaaten, die keine Mindestlöhne festgelegt haben, legen ein Mindestniveau fest, das mindestens dreimal so hoch wie der Mindestlohn ist, bei dem die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats Anspruch auf Sozialhilfe haben, oder anwendbaren Kollektivvereinbarungen oder der Praxis in den entsprechenden Beschäftigungsbranchen entsprechen“ Artikel 5.2.

(13)  Das Format des Aufenthaltstitels, der EU Blue Card, wird mit der Verordnung Nr. 1030/2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatenangehörige vom 13.6.2002 (ABl. L 157 vom 15.6.2002) in Einklang stehen.

(14)  Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22.9.2003, ABl. L 251 vom 3.10.2003.

(15)  Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, ABl. L 16 vom 23.1.2004.

(16)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 25.10.2007 zur „EU-Einwanderungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 44 vom 16.2.2008.

(17)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 30.5.2007 zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“, Berichterstatter: Herr Rodríguez García-Caro (ABl. C 175 vom 27.7.2007).

(18)  Siehe die von der ILO erstellte Internationale Standardklassifikation der Berufe (ISCO 88).

(19)  http://www.unesco.org/education/information/nfsunesco/doc/isced_1997.htm.

(20)  Europäischer Rat am 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Ziffer 18: „Die Europäische Union muß eine gerechte Behandlung von Drittstaatsangehörigen sicherstellen, die sich im Hoheitsgebiet ihrer Mitgliedstaaten rechtmäßig aufhalten. Eine energischere Integrationspolitik sollte darauf ausgerichtet sein, ihnen vergleichbare Rechte und Pflichten wie EU-Bürgern zuzuerkennen. Zu den Zielen sollte auch die Förderung der Nichtdiskriminierung im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben und die Entwicklung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gehören“.

(21)  Die Kommission wird in den nächsten Monaten einen Bericht zur Bewertung der Wirkungsweise dieser Richtlinie vorlegen.

(22)  Siehe Fußnote 18.

(23)  Stellungnahme des EWSA vom 12.3.2008 zu dem „Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (Berichterstatterin: Frau LE NOUAIL-MARLIÈRE), verabschiedet auf der Plenartagung am 12./13.3.2008. ABl. C 204 vom 9.8.2008, S. 77

(24)  Stellungnahme des EWSA vom 21.3.2002 zum Thema „Einwanderung, Eingliederung und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 125 vom 27.5.2002.

Stellungnahme des EWSA vom 10./11.12.2003 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Einwanderung, Integration und Beschäftigung“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 80 vom 30.3.2004.

Stellungnahme des EWSA vom 13./14.9.2006 zum Thema „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 80 vom 23.12.2006.

Konferenz zum Thema „Einwanderung: die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Integration“, Brüssel, 9./10. September 2002.

(25)  http://integrationforum.teamwork.fr/.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/114


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ein einheitliches Antragsverfahren für eine kombinierte Erlaubnis für Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt und zur Arbeit im Gebiet eines Mitgliedstaates und über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten“

KOM(2007) 638 endg. — 2007/0229 (CNS)

(2009/C 27/24)

Der Rat beschloss am 7. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über ein einheitliches Antragsverfahren für eine kombinierte Erlaubnis für Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt und zur Arbeit im Gebiet eines Mitgliedstaates und über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr PARIZA CASTAÑOS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 140 gegen 3 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1.   Vorbemerkungen

1.1

Seit dem Europäischen Rat von Tampere, auf dem die EU beschloss, eine gemeinsame Einwanderungspolitik anzustoßen, sind acht Jahre vergangen; gleichwohl sind in einem der grundlegenden Aspekte — dem der Maßnahmen und Rechtsvorschriften betreffend die Zulassung von Migranten — nur wenige Fortschritte erzielt worden. Die Zulassung wird nach wie vor durch die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und ohne jegliche Harmonisierung seitens der EU geregelt; diese nationalen Vorschriften sind sehr unterschiedlich und bringen gegensätzliche Politikansätze zum Ausdruck.

1.2

Vor mehr als sechs Jahren legte die Kommission den „Vorschlag für eine Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit“  (1) vor. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) und das Europäische Parlament (EP) begrüßten den Vorschlag, der jedoch nicht über die erste Lesung im Rat hinauskam, in ihren jeweiligen Stellungnahmen (2). Unterdessen haben einige Mitgliedstaaten neue Rechtsvorschriften zur Wirtschaftsmigration mit sehr unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen erlassen.

1.3

In den nächsten Jahren wird Europa Wirtschaftsmigranten brauchen, die einen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung leisten (3). Ein Blick auf die demografische Lage zeigt, dass es zum Scheitern der Strategie von Lissabon kommen kann, wenn Europa seine Einwanderungspolitik nicht ändert. Es bedarf aktiver Maßnahmen zur Aufnahme sowohl hoch qualifizierter Arbeitskräfte als auch von Personen mit geringerer Qualifikation.

1.4

Es erscheint unverständlich, dass einige Regierungen im Rat der Europäischen Union ein Veto gegen die Legislativvorschläge der Kommission eingelegt haben und an der althergebrachten restriktiven Politik früherer Zeiten festhalten. Derweil wachsen Schattenwirtschaft und illegale Beschäftigung, wodurch Einwanderer ohne Papiere regelrecht angezogen werden. Da eine gemeinschaftsrechtliche Regelung fehlt, erlassen die einzelnen Mitgliedstaaten neue Rechtsvorschriften mit sehr unterschiedlichen politischen Schwerpunkten. Dadurch werden wiederum neue Probleme für die Vereinheitlichung geschaffen. Diese unterschiedlichen Politikansätze und voneinander abweichenden Regelungen lösen bei den Bürgern Verwirrung und Unsicherheit aus.

1.5

Der EWSA hat vorgeschlagen, dass der Rat der Europäischen Union den Grundsatz der Einstimmigkeit für die Zulassung von Einwanderern aufgibt und seine Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit bzw. im Wege des Mitentscheidungsverfahrens gemeinsam mit dem Parlament fasst (4). Nur so kann eine gute Rechtsetzung erarbeitet werden, die Fortschritte bei der Harmonisierung in der EU bringt.

1.6

Der EWSA befürwortet, dass der Vertrag von Lissabon für die Einwanderungsvorschriften das ordentliche Verfahren (Initiative der Kommission, qualifizierte Mehrheit im Rat und Mitentscheidung des Parlaments) vorsieht.

1.7

Dieser Richtlinienvorschlag wird im Rat jedoch nach der unergiebigen Einstimmigkeitsregel debattiert. Daher muss dieser Wandel — wie der EWSA in seiner Stellungnahme zum Haager Programm (5) betonte — „schnellstmöglich und noch vor der Erörterung der neuen Legislativvorschläge vollzogen werden“. Der EWSA schlägt dem Rat vor, nach dem in Asylfragen bereits angewandten „Passerelle-Verfahren“ vorzugehen, damit diese Richtlinien mit qualifizierter Mehrheit und im Wege der Mitentscheidung mit dem Parlament verabschiedet werden können.

1.8

Der EWSA hat hierzu bereits Folgendes bemerkt: „Was die neuen Rechtsvorschriften über die Zulassung anbelangt, ist es besser, einen umfassenden Rechtsrahmen horizontaler Art aufzustellen als sektorspezifische Vorschriften zu erlassen. Der von der Kommission seinerzeit erarbeitete Vorschlag für eine Richtlinie zur Zulassungspolitik, zu dem der EWSA einige Änderungen anregte, ist nach Auffassung des Ausschusses nach wie vor ein tauglicher Legislativvorschlag. Als Ergänzung dazu könnten spezifische Vorschriften für sektorale Fragen und besondere Fälle erarbeitet werden. Entscheidet sich der Rat der Europäischen Union für ein sektorspezifisches Vorgehen, das nur die Aufnahme hoch qualifizierter Migranten vorsieht, so hätte dies für die Handhabung eines großen Teils der Einwanderung keinen Nutzen und würde sich darüber hinaus diskriminierend auswirken. Eine solche Entscheidung kann dem Rat zwar leichter fallen, doch auch von den Bedürfnissen Europas abweichen.“  (6)

1.9

Im Vertrag von Lissabon werden die Grenzen der Gemeinschaftsgesetzgebung abgesteckt: das Recht der Mitgliedstaaten, festzulegen, wie viele Migranten sie in ihrem Hoheitsgebiet aufnehmen möchten. Diese Beschränkung ist kein Hindernis für die Erreichung einer weitgehenden rechtlichen Vereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union. Sie ist ein Anreiz dafür, die Wirtschaftsmigration auf nationaler Ebene durch gemeinsame transparente Verfahren zu steuern. Für die Ausstellung von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen werden die einzelnen Mitgliedstaaten zuständig sein, allerdings im Rahmen der Gemeinschaftsgesetzgebung. So kann jeder Staat in Abstimmung mit den Sozialpartnern die Merkmale der Zuwanderung festlegen. Die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften müssen im Rahmen der europäischen Rechtsetzung den besonderen Umständen jedes Landes Rechnung tragen.

1.10

Dieser horizontale Richtlinienvorschlag über ein einheitliches Antragsverfahren für eine kombinierte Erlaubnis für Drittstaatsangehörige zum Aufenthalt und zur Arbeit im Gebiet eines Mitgliedstaates und über ein gemeinsames Bündel von Rechten für Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, entspricht den Bemühungen der Europäischen Union um eine umfassende Einwanderungspolitik.

1.11

Dieses Ziel wurde bereits auf dem Europäischen Rat von Tampere im Oktober 1999 angenommen, in dessen Schlusserklärung es heißt, dass die Europäische Union eine gerechte Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet ihrer Mitgliedstaaten aufhalten, sicherstellt und ihnen vergleichbare Rechte und Pflichten wie EU-Bürgern zuerkennt.

1.12

Andererseits wurde im Haager Programm vom November 2004 anerkannt, dass „legale Zuwanderung … eine wichtige Rolle beim Ausbau der wissensbestimmten Wirtschaft in Europa und bei der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung spielen und dadurch einen Beitrag zur Durchführung der Lissabonner Strategie leisten [wird]“.

1.13

Die Kommission erarbeitete 2004 ein Grünbuch (7), um eine Debatte und eine Konsultationsphase zur Steuerung der Wirtschaftsmigration in der EU zu eröffnen. Der EWSA seinerseits hat eine Stellungnahme (8) erarbeitet, in der er der EU vorschlug, eine gemeinsame Gesetzgebung für die Aufnahme von Einwanderern, die ein hohes Maß an Vereinheitlichung aufweist, auszuarbeiten, und darauf hinwies, dass horizontale Rechtsvorschriften sektorspezifischen Vorschriften vorzuziehen sind.

1.14

Der Europäische Rat vom Dezember 2006 einigte sich auf den Strategieplan für legale Migration, der Antworten auf zwei Ziele geben soll:

1.14.1

Zulassungsbedingungen für bestimmte Kategorien von Migranten in vier spezifischen Legislativvorschlägen festlegen, und zwar in Bezug auf hoch qualifizierte Arbeitnehmer, Saisonarbeitnehmer, bezahlte Auszubildende und innerbetrieblich versetzte Arbeitnehmer.

1.14.2

Einen allgemeinen Rahmen für einen fairen und auf Rechten basierenden Ansatz in Bezug auf die Arbeitsmigration errichten.

2.   Richtlinienvorschlag

2.1

Mit dem Richtlinienvorschlag soll die Rechtsstellung bereits zugelassener Drittstaatsangehörigen gesichert und eine Verfahrensvereinfachung für neue Antragsteller vorgesehen werden.

2.2

Gegenwärtig werden Arbeitsmigranten von den einzelnen Mitgliedstaaten der EU sehr unterschiedlich behandelt.

2.3

Auch in Bezug auf die Behandlung, die den Migranten im Vergleich zu Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft zuteil wird, bestehen große Ungleichheiten.

2.4

Ziel der Richtlinie ist die Einführung eines einheitlichen Antragsverfahrens für die Erteilung einer kombinierten Erlaubnis für Drittstaatsangehörige, sich im Gebiet eines Mitgliedstaates aufzuhalten und dort zu arbeiten, sowie die Gewährleistung eines gemeinsamen Bündels von Rechten für Arbeitnehmer aus Drittstaaten, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Arbeitsentgelt, Entlassung, Vereinigung, Zugang zu Berufsbildung und zu Kernleistungen der sozialen Sicherheit usw.

2.5

Es handelt sich um eine horizontale Richtlinie, die für Wirtschaftsmigranten und all jene Personen gilt, die ursprünglich für andere als Beschäftigungszwecke zugelassen wurden und anschließend auf Grundlage anderer gemeinschaftlicher oder einzelstaatlicher Bestimmungen ebenfalls Zugang zum Arbeitsmarkt erhielten (wie Familienangehörige, Flüchtlinge, Studenten, Forscher usw.).

2.6

Vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen sind entsandte Arbeitnehmer (9), da sie nicht als zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats gehörig erachtet werden, innerbetrieblich versetzte Arbeitnehmer, vertragliche Dienstleistungserbringer, Hochschulpraktikanten, Saisonarbeitnehmer sowie all jene Drittstaatsangehörigen, die einen langfristigen Aufenthaltsstatus besitzen.

2.7

Mit diesem Richtlinienvorschlag werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Antrag auf Arbeit und Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates in einem einheitlichen Antragsverfahren zu prüfen und — wenn der Antrag bewilligt wird — dem Antragsteller eine kombinierte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis auszustellen.

2.8

Zu diesem Zweck müssen die Mitgliedstaaten eine zuständige Behörde für die Entgegennahme des Antrags und die Erteilung der Aufenthalts-/Arbeitserlaubnis benennen, unbeschadet der Verantwortung und Zuständigkeit der nationalen Behörden für die Prüfung des Antrags und die diesbezüglich zu fällende Entscheidung.

2.9

Die kombinierte Erlaubnis wird in Einklang mit den Vorgaben ausgestellt, die in der Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige festgelegt sind.

2.10

Die kombinierte Erlaubnis verleiht den Inhabern das Recht auf Einreise, Aufenthalt im und freien Zugang zum gesamten Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats, auf Durchreise durch andere Mitgliedstaaten sowie auf Ausübung der nach der Erlaubnis genehmigten Tätigkeiten.

2.11

Für das kombinierte Verfahren werden bestimmte Verfahrensgarantien eingeführt, wie etwa das Erfordernis, eine Ablehnung des Antrags zu begründen und zu rechtfertigen: Die Bedingungen und Kriterien für die Ablehnung müssen — da sie in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen — in jedem Fall durch das innerstaatliche Recht festgelegt werden.

2.12

Desgleichen muss der Antragsteller im Falle einer Ablehnung die Möglichkeit haben, einen Rechtsbehelf einzulegen, was ihm schriftlich zusammen mit der Ablehnung mitzuteilen ist. Auch muss er über die für den Antrag erforderlichen Dokumente sowie die zu entrichtende Gebühr informiert werden.

2.13

Hinsichtlich der Rechte wird ein Mindeststandard festgelegt, der die Gleichbehandlung aller Drittstaatsangehörigen, denen eine kombinierte Erlaubnis erteilt worden ist, garantiert, wobei es den Mitgliedstaaten freisteht, günstigere Vorschriften zu erlassen.

2.14

Es wird festgelegt, dass Arbeitnehmer aus Drittstaaten ein Recht auf Gleichbehandlung mit inländischen Arbeitnehmern haben, und zwar zumindest in Bezug auf

die Arbeitsbedingungen, einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassung, sowie Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz;

Vereinigungsfreiheit sowie Mitgliedschaft und Betätigung in einer Gewerkschaft, einem Arbeitgeberverband oder einer sonstigen Organisation;

allgemeine und berufliche Bildung;

die Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstiger beruflicher Befähigungsnachweise gemäß den einschlägigen nationalen Verfahren;

die Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit, die die in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/1971 des Rates definierten Leistungen abdeckt, in der diese auch auf Personen ausgedehnt werden, die aus einem Drittland in einen Mitgliedstaat kommen;

die Zahlung erworbener Rentenansprüche bei Umzug in ein Drittland;

Steuervergünstigungen;

den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen einschließlich des Zugangs zu Wohnraum und der Unterstützung durch Arbeitsämter.

2.15

Die Mitgliedstaaten können die Gleichbehandlung einschränken, indem sie

für den Zugang zu allgemeiner und beruflicher Bildung den Nachweis von Sprachkenntnissen verlangen;

das Recht auf Stipendien einschränken;

die Gleichheit der Arbeitsbedingungen (Arbeitsentgelt, Entlassung und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz), die Versammlungsfreiheit, die Steuervergünstigungen sowie die Rechte im Bereich der sozialen Sicherheit auf die Drittstaatsangehörigen beschränken, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen.

2.16

Für die Anerkennung von Diplomen ist die Gleichbehandlung mit den innerstaatlichen Verfahren vorgesehen; hierbei wird auf die Richtlinie Nr. 2005/36/EG verwiesen, der zufolge ein Drittstaatsangehöriger, der in anderen Mitgliedstaaten Berufsqualifikationen erworben hat, das Recht hat, dass diese unter denselben Bedingungen wie bei EU-Bürgern anerkannt werden.

2.17

In Bezug auf die Gleichbehandlung beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, einschließlich des Zugangs zu öffentlichem und privatem Wohnraum, können die Mitgliedstaaten das Recht auf öffentlichen Wohnraum auf die Drittstaatsangehörigen beschränken, die sich seit mindestens drei Jahren im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates aufhalten.

2.18

Schließlich garantiert die Richtlinie die Einhaltung günstigerer Bestimmungen in Gemeinschaftsabkommen oder internationalen Instrumenten, einschließlich der vom Europarat verabschiedeten, die für Arbeitnehmer aus Drittstaaten gelten, die Mitglieder des Europarates sind. Sie berührt auch nicht günstigere Bestimmungen in internationalen Übereinkünften zum Verbot der Diskriminierung aus Gründen der nationalen Herkunft.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA hat vorgeschlagen, dass der Rat der Europäischen Union den Grundsatz der Einstimmigkeit für den Erlass von Einwanderungsvorschriften aufgibt und seine Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit bzw. im Wege des Mitentscheidungsverfahrens gemeinsam mit dem Parlament fasst (10). Nur so kann eine gute Rechtsetzung erarbeitet werden, die Fortschritte bei der Harmonisierung in der EU bringt.

3.2

Der EWSA befürwortet, dass der Vertrag von Lissabon für die Einwanderungsvorschriften das ordentliche Verfahren (Initiative der Kommission, qualifizierte Mehrheit im Rat und Mitentscheidung des Parlaments) vorsieht.

3.3

Sobald der Vertrag von Lissabon ratifiziert ist und in Kraft tritt, werden die Zuständigkeiten der EU und der Mitgliedstaaten eindeutiger sein; der Rat wird seine Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit bzw. im Wege des Mitentscheidungsverfahrens gemeinsam mit dem Parlament fassen und auf diese Weise die derzeit geltende Einstimmigkeitsregel überwinden, die der Verabschiedung einer wirklich gemeinsamen Gesetzgebung im Wege steht. Der EWSA schlägt dem Rat vor, für den Erlass von Einwanderungsvorschriften (wie schon bei den Asylvorschriften) das ordentliche Verfahren anzuwenden und dadurch den im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Bestimmungen vorzugreifen.

3.4

Der EWSA schlägt vor, dass die derzeit im Rat laufenden Arbeiten zu dieser Richtlinie Vorrang vor der Richtlinie über hochqualifizierte Beschäftigung (KOM(2007) 637 endg.) und weitere sektorspezifische Richtlinien erhalten, und schlägt zudem der Kommission vor, die Ausarbeitung der übrigen, für die kommenden Monate geplanten Richtlinien über Fragen der Zulassung (in Bezug auf Saisonarbeitnehmer, bezahlte Auszubildende sowie innerbetrieblich versetzte Arbeitnehmer) zu beschleunigen.

3.5

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die EU über eine angemessene gemeinsame Gesetzgebung verfügt, die ein hohes Maß an Vereinheitlichung aufweist, damit die Zuwanderung über legale, flexible und transparente Verfahren kanalisiert wird, in deren Rahmen die Drittstaatsangehörigen eine gerechte Behandlung erfahren und ihnen vergleichbare Rechte und Pflichten wie den EU-Bürgern zuerkannt werden.

3.6

Die in diesem Richtlinienvorschlag enthaltenen Rechte und Pflichten von Drittstaatsangehörigen, die auf der Gleichbehandlung in Fragen des Arbeitsentgelts, der Arbeitsbedingungen, der Versammlungsfreiheit sowie der allgemeinen und beruflichen Bildung basieren, sind eine gute Ausgangsbasis für die künftigen Rechtsvorschriften im Bereich der Zuwanderung.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass diese horizontale Richtlinie, die ein einheitliches Verfahren und eine Reihe von Rechten für Arbeitnehmer aus Drittstaaten vorsieht, die sich rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedstaates aufhalten, für die EU von grundlegender Bedeutung ist, weil dadurch das Fundament für eine gemeinsame Politik im Bereich der Wirtschaftsmigration gelegt wird. Der Richtlinienvorschlag achtet das Recht der Mitgliedstaaten, festzulegen, wie viele Migranten sie in ihrem Hoheitsgebiet aufnehmen möchten.

4.2

Der EWSA möchte betonen, wie wichtig der Vorschlag der Kommission ist, damit die EU über eine horizontale Gesetzgebung über das Zulassungsverfahren und die Rechte der Arbeitnehmer aus Drittstaaten auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten verfügt.

4.3

In der Stellungnahme zum Grünbuch (11) sprach sich der EWSA für ein einheitliches Verfahren für die Wirtschaftsmigration aus: „Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis gibt es beträchtliche Unterschiede in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften. Der EWSA hält es für erforderlich, einheitliche Rechtsvorschriften für die gesamte EU zu erlassen. Die für die Ausstellung der Genehmigungen zuständige Behörde sollte die entsprechende einzelstaatliche Behörde sein. Eine von einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung muss in der übrigen EU in jeder Hinsicht anerkannt werden. Der EWSA vertritt die Ansicht, dass mit den Rechtsvorschriften der Verwaltungsaufwand auf ein Mindestmaß reduziert und den BetroffenenMigranten, Arbeitgebern und Behördendas Verfahren erleichtert werden sollte. Befürwortet wird eine einzige Genehmigungdie Aufenthaltsgenehmigung -, die dann mit einer Arbeitserlaubnis verbunden ist.“

4.4

In Bezug auf die Rechte äußerte sich der EWSA in der genannten Stellungnahme zum Grünbuch bereits folgendermaßen: „Der Ausgangspunkt in dieser Debatte muss das Diskriminierungsverbot sein. Der Arbeitsmigrant muss unabhängig von der Dauer seiner Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in wirtschaftlicher, arbeitsrechtlicher und sozialer Hinsicht die gleichen Rechte haben wie die übrigen Arbeitnehmer“. Der EWSA möchte auf die Rolle hinweisen, die die Sozialpartner bei der Förderung der Gleichbehandlung am Arbeitsplatz in den verschiedenen Bereichen (Unternehmens- und Sektorebene, einzelstaatlich und europäisch) spielen. Der EWSA hat in Zusammenarbeit mit der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin und den europäischen Sozialpartnern eine Anhörung veranstaltet, deren Schlussfolgerungen in eine andere Stellungnahme (12) eingeflossen sind.

4.5

In seiner Stellungnahme zum Grünbuch (13) schlug der EWSA eine Reihe von Rechten vor,„die Drittstaatsangehörigen, die auf legaler Basis vorübergehend in der EU erwerbstätig oder aufhältig sind, gewährt werden sollten“. Der EWSA erinnert daran, dass Arbeitsmigranten ihre Steuern und Sozialabgaben in Einklang mit der Gesetzgebung der jeweiligen Mitgliedstaaten an die Behörden des Aufnahmelands zahlen.

4.6

Neben der Gleichbehandlung bei der Arbeit (Arbeitsbedingungen, Arbeitsentgelt und Entlassung, Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz, Versammlungsrechte usw.) schlug der EWSA ferner die Aufnahme folgender Elemente vor.

Anspruch auf Sozialversicherung einschließlich medizinischer Betreuung;

gleicher Zugang zu Waren und Dienstleistungen, einschließlich Wohnraum, wie Staatsangehörige des Mitgliedstaates;

Zugang zu allgemeiner und beruflicher Bildung;

Anerkennung von Zeugnissen, Diplomen und Abschlüssen im Rahmen der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts;

Recht auf Schulbildung für Kinder einschließlich Studienbeihilfen und Stipendien;

Recht auf Ausübung einer Lehr- oder Forschungstätigkeit gem. Richtlinienvorschlag  (14);

Recht auf unentgeltlichen rechtlichen Beistand im Bedarfsfall;

Recht auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst (öffentlicher Dienst);

Recht auf Sprachunterricht in der in der Aufnahmegesellschaft gebräuchlichen Sprache;

Achtung der kulturellen Vielfalt;

Freizügigkeit und Aufenthaltsrecht innerhalb des Mitgliedstaates.

4.7

Des Weiteren verabschiedete der EWSA im Jahr 2004 eine Initiativstellungnahme (15), in der er der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten vorschlug, das 1990 von der UNO-Vollversammlung verabschiedete „Internationale Übereinkommen zum Schutze der Rechte aller Wanderarbeiter und ihrer Familienangehörigen“ (16) zu ratifizieren, um so von Europa aus die weltweite Verbreitung der Menschen- und Grundrechte von Wanderarbeitern zu fördern. Der EWSA schlägt der Kommission vor, neue Initiativen für die Ratifizierung des Übereinkommens zu ergreifen, um ein internationales Instrumentarium für die Rechte von Einwanderern verstärkt zu fördern.

4.8

Der EWSA regt an, in die Begründung der Richtlinie einen neuen Absatz aufzunehmen, um sicherzustellen, dass in den Einwanderungsbestimmungen die Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beachtet werden, insbesondere die ILO-Übereinkommen über Wanderarbeitnehmer (C 97 und C 143).

4.9

Desgleichen schlägt der EWSA vor, in der Richtlinie sowohl die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Teil des gemeinschaftlichen Besitzstandes ist, als auch die EU-Vorschriften zur Bekämpfung von Diskriminierung zu gewährleisten.

4.10

Saisonarbeitnehmer dürfen vom Anwendungsbereich der Richtlinie nicht ausgeschlossen werden. Obgleich die Kommission derzeit eine diesbezügliche Richtlinie erarbeitet, ist der EWSA der Ansicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz — insbesondere am Arbeitsplatz — auch für diese Kategorie von Arbeitnehmern gewährleistet werden muss.

4.11

Der EWSA bringt seine Besorgnis und seine Ablehnung gegenüber der in der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit der Mitgliedstaaten zum Ausdruck, das Recht auf Gleichbehandlung (17) in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (Arbeitsentgelt und Entlassung, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Sozialschutz) und die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Diese Einschränkung verstößt gegen die Bestimmungen in Artikel 2 und kann auch das Prinzip der Nichtdiskriminierung verletzen. Der EWSA ist in Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften der Ansicht, dass die Gleichbehandlung einer der Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ist.

4.12

Einschränkungen müssen auf jeden Fall immer mit Blick auf andere verbindliche internationale Rechtsinstrumente mit günstigeren Bestimmungen — wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte oder die Europäische Menschenrechtskonvention und verschiedene ILO-Übereinkommen — sowie durch günstigere gemeinschaftliche oder einzelstaatliche Rechtsvorschriften interpretiert werden.

4.13

Wird die kombinierte Erlaubnis abgelehnt, hat dies laut Richtlinie schriftlich zu erfolgen, und der Betroffene kann im jeweiligen Mitgliedstaat einen Rechtsbehelf einlegen. In Fällen, in denen sich die Ablehnung auf die Verlängerung, die Aussetzung oder den Entzug der Erlaubnis bezieht, schlägt der EWSA vor, dass durch den gerichtlichen Rechtsbehelf (18) des Betroffenen der Verwaltungsentscheid so lange ausgesetzt wird, bis der Gerichtsbeschluss vorliegt.

4.14

Schließlich hebt der EWSA nachdrücklich die Bedeutung der Integration hervor. Er hat verschiedene Initiativstellungnahmen zur Förderung integrationspolitischer Maßnahmen (19) erarbeitet sowie Konferenzen und Anhörungen veranstaltet. Die EU und die einzelstaatlichen Behörden müssen bei der Förderung der Integrationspolitik zusammenarbeiten, da die Integration und die Förderung von Gleichbehandlung und Diskriminierungsbekämpfung eine Herausforderung für die europäische Gesellschaft und insbesondere für die lokalen Gebietskörperschaften, die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft sind. Der EWSA arbeitet zusammen mit der Europäischen Kommission an der Einrichtung des Europäischen Integrationsforums (20).

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2001) 386 endg.

(2)  Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 16. Januar 2002 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit“ (Berichterstatter: Herr PARIZAvCASTAÑOS), ABl. C 80 vom 3.4.2002, und die Stellungnahme des EP (Berichterstatterin: Frau TERRÓN i CUSI), ABl. C 43 E vom 19.2.2004.

(3)  Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Dezember 2006 (Plan zur legalen Zuwanderung); siehe auch die Stellungnahme des EWSA vom 10. Dezember 2003 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Einwanderung, Integration und Beschäftigung“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 80 vom 30.3.2004.

(4)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 15. Dezember 2005 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Das Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf Jahre — Die Partnerschaft zur Erneuerung Europas im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(5)  Siehe Fußnote 4.

(6)  Siehe Fußnote 4.

(7)  „Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration“ (KOM(2004) 811 endg.).

(8)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 9. Juni 2005 zu dem „Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 286 vom 17.11.2005.

(9)  Richtlinie 96/71/EG.

(10)  Siehe Fußnote 4.

(11)  Siehe Fußnote 8.

(12)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 13./14. September 2006 zum Thema „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 318 vom 23.12.2006.

(13)  Siehe Fußnote 8.

(14)  Siehe Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über ein besonderes Zulassungsverfahren für Drittstaatsangehörige zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung (KOM(2004) 178). Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 27. Oktober 2004 zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Erleichterung der Zulassung von Drittstaatsangehörigen in die Europäische Gemeinschaft zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung“ (Berichterstatterin: Frau KING), ABl. C 120 vom 20.5.2005.

(15)  Siehe Stellungnahme des EWSA vom 30. Juni 2004 zum Thema „Internationale Konvention zum Schutz der Rechte von Wanderarbeitnehmern“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 302 vom 7.12.2004.

(16)  Resolution 45/158 vom 18. August 1990, die am 1. Juli 2003 in Kraft trat.

(17)  Artikel 12 Absatz 2.

(18)  Artikel 8.

(19)  Stellungnahme des EWSA vom 21. März 2002 zum Thema „Einwanderung, Eingliederung und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 125 vom 27.5.2002.

Stellungnahme des EWSA vom 10./11. Dezember 2003 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Einwanderung, Integration und Beschäftigung“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 80 vom 30.3.2004.

Stellungnahme des EWSA vom 13./14. September 2006 zum Thema „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 318 vom 23.12.2006.

Konferenz zum Thema „Einwanderung: Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Integration“, Brüssel, 9./10. September 2002.

(20)  http://integrationforum.teamwork.fr/.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/119


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr der Kreativität und Innovation (2009)“

KOM(2008) 159 endg. — 2008/0064 (COD)

(2009/C 27/25)

Der Rat beschloss am 7. April 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr der Kreativität und Innovation (2009)“.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft am 21. April 2008 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) Herrn RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 108 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bekundet seine uneingeschränkte Unterstützung für alle Maßnahmen zur Förderung der Kreativität und der Innovation bei den Unionsbürgern und begrüßt die Entscheidung, der Unterstützung und Förderung der Kreativität im Wege des lebenslangen Lernens als Triebkraft für Innovation ein Europäisches Jahr zu widmen. Der EWSA hat wiederholt die Bedeutung einer Förderung der Innovation zur Erreichung der Ziele der Lissabon-Strategie unterstrichen (1). Auch wenn der Ausschuss dem Rahmen zustimmt, in den sich das Europäische Jahr der Kreativität und Innovation einfügt, ist er, gestützt auf die im folgenden vorgebrachten Bemerkungen, dennoch der Auffassung, dass der Vorschlag für eine Entscheidung, der Gegenstand dieser Stellungnahme ist, nicht das bestmögliche Instrument zur Erreichung des gesetzten Zieles ist.

1.2

Während andere Europäische Jahre mit einem großen zeitlichen Vorlauf organisiert und die entsprechenden Vorschläge bis zu zwei Jahre vor Beginn des entsprechenden Jahres vorgelegt wurden, liegen in diesem Fall zwischen der Annahme des Vorschlags durch die Kommission und dem Beginn des Europäischen Jahres nur sieben Monate, innerhalb derer das Europäische Parlament und der Rat die Entscheidung verabschieden müssen und die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten die gewünschten Vorhaben organisieren und koordinieren können. Aus Sicht des EWSA ist diese Zeitplanung überhastet und könnte die Veranstaltung eines Europäischen Jahres der Kreativität und Innovation beeinträchtigen, das eine Vorbereitung verdienen würde, die besser der Bedeutung entspricht, die das Thema hat und die ihm auch beigemessen werden sollte.

1.3

Im Vorschlag für eine Entscheidung bleiben zwei Gesichtspunkte recht stark im Unklaren, die der EWSA für sehr wichtig hält und die geklärt und im Text des Vorschlags konkreter ausgeführt werden müssten: zum einen die Finanzierung des Europäischen Jahres und zum anderen die Aussagen hinsichtlich der Unterstützung oder Mitwirkung anderer Programme und Politikbereiche der Europäischen Union, die nicht zum Bereich des lebenslangen Lernens gehören.

1.3.1

Auch wenn man dem Vorschlag der Europäischen Kommission, für die Durchführung des Europäischen Jahres bräuchten keine eigenen Haushaltsposten geschaffen zu werden, folgt und sich dem Standpunkt anschließt, dass die budgetären Möglichkeiten des Programms für lebenslanges Lernen mit seinen spezifischen Zielsetzungen im Bereich der Innovationsförderung genutzt werden sollen, fehlt in dem Vorschlag jegliche Angabe eines Betrags für dieses Veranstaltungsjahr; der Text beschränkt sich auf die Feststellung, dass die Finanzierungsquelle das genannte Programm für lebenslanges Lernen sei und dass die Maßnahmen aus anderen Programmen, die weder konkretisiert noch benannt werden, kofinanziert werden würden. In Anbetracht dessen, was im Vorschlag für eine Entscheidung dargelegt wird, hält es der Ausschuss für notwendig, die voraussichtlichen Kosten, die das Europäische Jahr verursachen wird, zu beziffern. Seiner Ansicht nach wäre es sinnvoll, wenn der Vorschlag eine Kostenschätzung enthielte.

1.3.2

Noch unbestimmter ist der Vorschlag im Hinblick auf Möglichkeiten der Mitfinanzierung aus anderen Programmen und Politikbereichen. Aus dem Wortlaut der Entscheidung könnte man schließen, dass, da die Innovationsförderung Teil der spezifischen Zielsetzungen anderer Programme ist, darunter des Programms für Unternehmergeist und Innovation und des Programms zur Unterstützung der Informations- und Kommunikationstechnologien, die beide zum Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation gehören, Programme dieser Art zur Mitfinanzierung der Vorhaben im Rahmen des Europäischen Jahres beitragen werden. Der EWSA hält es in dieser Hinsicht für zweckmäßig, im Wortlaut des Vorschlags konkret anzugeben, welche Programme mit welchen Beträgen das Europäische Jahr finanziell mittragen sollen und wie die Maßnahmen zwischen den einzelnen mitfinanzierenden Programmen, deren Verwaltung verschiedenen Generaldirektionen der Europäischen Kommission obliegt, koordiniert werden sollen.

1.4

In Anbetracht dieser Argumente, die kurz gefasst zu den wesentlichen Aussagen gehören, die in dieser Stellungnahme formuliert werden, möchte der EWSA die Europäische Kommission ersuchen, den vorliegenden Vorschlag zu überdenken und die Bemerkungen des Ausschusses zu berücksichtigen. Zudem schlägt er dem Europäischen Parlament und dem Rat vor, seinen Bemerkungen Rechnung zu tragen und den Wortlaut der Entscheidung in den Aspekten, die besonders unbestimmt ausfallen, entsprechend zu ändern.

2.   Einleitung

2.1

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates auf seiner außerordentlichen Tagung in Lissabon im März 2000 wurde hervorgehoben, dass in einem europäischen Referenzrahmen festgelegt werden sollte, welche neuen Grundfertigkeiten durch lebenslanges Lernen zu vermitteln sind, wobei betont wurde, dass die Menschen Europas wichtigstes Gut sind. Überdies wurde unterstrichen, dass Europas Bildungs- und Ausbildungssysteme sich auf den Bedarf der Wissensgesellschaft und die Notwendigkeit von mehr und besserer Beschäftigung einstellen müssen.

2.2

Diese Grundfertigkeiten oder Schlüsselkompetenzen für das lebenslange Lernen wurden in der Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 (2) ermittelt und benannt. Sie sind als grundlegende Faktoren für Innovation, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit anzusehen und in einer wissensbestimmten Gesellschaft unentbehrlich. Der EWSA äußerte sich zu dieser Empfehlung bereits in einer Stellungnahme (3).

2.3

In den Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates vom 8./9. März 2007 in Brüssel appelliert der Europäische Rat an die Mitgliedstaaten und die Organe der EU, weiter daran zu arbeiten, bessere Rahmenbedingungen für Innovation und mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung zu schaffen. In dem Abschnitt „Stärkung von Innovation, Forschung und Bildung“ erkennt der Rat an, dass die Mitgliedstaaten entschlossen sind, die Rahmenbedingungen für Innovationen zu verbessern — hierbei geht es z.B. um wettbewerbsorientierte Märkte — und zusätzliche Mittel für Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationstätigkeiten zu mobilisieren. Zu diesem Zweck fordert der Europäische Rat die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Umsetzung der Innovationsstrategie voranzubringen, denn er sieht die allgemeine und berufliche Bildung als Grundvoraussetzungen für ein gut funktionierendes Wissensdreieck (Bildung — Forschung — Innovation).

2.4

Die Ausrufung eines Europäischen Jahres der Kreativität und Innovation ist eine gute Art, um zur Bewältigung der Herausforderungen beizutragen, vor denen Europa steht, denn damit kann der Bevölkerung vor Augen geführt werden, wie bedeutsam Kreativität und Innovationsfähigkeit für die persönliche Entwicklung und für die Steigerung des kollektiven Wohlstands sind.

3.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags

3.1

Durch den Vorschlag für eine Entscheidung wird das Jahr 2009 zum Europäischen Jahr der Kreativität und Innovation ausgerufen, dessen allgemeines Ziel es ist, die Mitgliedstaaten darin zu unterstützen, die Kreativität als Triebkraft für Innovation und als Schlüsselfaktor für die Entwicklung persönlicher, beruflicher, unternehmerischer und sozialer Kompetenzen durch lebenslanges Lernen zu fördern. Zu diesem allgemeinen Ziel kommen dreizehn Faktoren hinzu, die nach Ansicht der Kommission zur Förderung von Kreativität und Innovationsfähigkeit beitragen können.

3.2

Zu den Maßnahmen, die zur Erreichung der dargelegten Ziele vorgeschlagen werden, gehören u.a. Konferenzen und sonstige Initiativen zur Sensibilisierung für die Bedeutung von Kreativität und Innovationsfähigkeit, Informationskampagnen zur Verbreitung der Kernbotschaften, Ermittlung und Bekanntmachung erfolgreicher Beispiele sowie die Ausarbeitung von Studien auf nationaler und gemeinschaftlicher Ebene.

3.3

Die Mitgliedstaaten sollen einen nationalen Koordinator für das Europäische Jahr benennen, der auf dieser Ebene für die Organisation verantwortlich ist. Die Koordinierung der Tätigkeiten auf europäischer Ebene soll in von der Europäischen Kommission einberufenen Sitzungen der nationalen Koordinatoren erfolgen.

3.4

Abschließend legt der Vorschlag fest, dass die Finanzierung unbeschadet der Unterstützung und Kofinanzierung, die dem Europäischen Jahr aus anderen Programmen, wie Unternehmen, Kohäsion, Forschung und Informationsgesellschaft, zuteil werden kann, aus dem Programm für lebenslanges Lernen erfolgt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bekundet seine uneingeschränkte Unterstützung für alle Maßnahmen zur Förderung der Kreativität und der Innovation bei den Unionsbürgern. In seiner Initiativstellungnahme „Innovation: Auswirkungen auf den industriellen Wandel und die Rolle der EIB“ (4) bekräftigte er, dass „die Innovation — entsprechend den Kriterien für lebenslanges Lernen — vor allem auf einer breiten Bildungs- und Ausbildungsgrundlage stehen muss“. Unter diesem Gesichtspunkt und im Einklang mit seinen bisherigen Standpunkten wird der EWSA ausdrücklich den Einsatz all jener Instrumente befürworten, die zur Förderung der Kreativität und der Innovationsfähigkeit beitragen können, wobei er es jedoch für notwendig hält, die folgenden Bemerkungen zu dem vorliegenden Vorschlag anzubringen.

4.2

Der Ausschuss begrüßt die Initiative, der Unterstützung und Förderung der Kreativität bei den Unionsbürgern im Wege des lebenslangen Lernens als Triebkraft für Innovation ein Europäisches Jahr zu widmen. Er hat wiederholt die Bedeutung einer Förderung der Innovation zur Erreichung der Ziele der Lissabon-Strategie unterstrichen. In diesem Zusammenhang kam der Aho-Bericht (5) zu dem Schluss, dass die Förderung einer Kultur der Innovation nötig sei, um die gesellschaftlichen Herausforderungen in Europa zu meistern und die Produktivität der europäischen Wirtschaft zu erhöhen.

Auch wenn der Ausschuss dem Rahmen zustimmt, in den sich das Europäische Jahr einfügt, ist er dennoch der Auffassung, dass der Vorschlag für eine Entscheidung, der Gegenstand dieser Stellungnahme ist, nicht das bestmögliche Instrument zur Erreichung des gesetzten Zieles ist, weder im Hinblick auf den Gehalt oder Inhalt des Vorschlags noch in Anbetracht der Art und Weise, in der er ausgearbeitet und angenommen wurde.

4.3

Der für diese Initiative gewählte Ausgangspunkt ist nach Ansicht des Ausschusses für diese Art von Vorhaben nicht ideal. In Abschnitt 3 „Anhörung der betroffenen Kreise“ der Begründung des Entscheidungsvorschlags wird ausgeführt, dass informelle Gespräche mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments und mit den Mitgliedstaaten geführt worden seien. Somit ist bei der Ausarbeitung des Vorschlags ein Top-down-Ansatz von den Institutionen zu den Bürgern verfolgt worden.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass ein „von oben nach unten“ verlaufender Ansatz, bei dem die Gesellschaft und die Organisationen und Einzelpersonen, aus denen sie besteht, nicht in die Planung und die Arbeiten zur Vorbereitung des Europäischen Jahres eingebunden waren, in stärkerem Maße Gefahr läuft, von den Bürgern nicht beachtet zu werden, als wenn man sich um die aktive Mitwirkung derer bemüht hätte, deren spätere Beteiligung notwendig für den schlussendlichen Erfolg ist.

In diesem Zusammenhang möchte der Ausschuss eine Bemerkung in Erinnerung rufen, die er in seiner Stellungnahme zu der Mitteilung (6) der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Durchführung, Ergebnisse und Gesamtbeurteilung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003 formuliert hatte. In jener Stellungnahme (7) forderte der Ausschuss die Gemeinschaftsinstitutionen auf, bei der Vorbereitung solcher Initiativen einen von unten nach oben gerichteten Ansatz zu bevorzugen. Entsprechend betont der Ausschuss hier erneut die Notwendigkeit, bei der Vorbereitung europäischer Aktionsjahre nach dieser Methodik vorzugehen.

4.4

Da das Europäische Jahr der Kreativität und Innovation bereits am 1. Januar 2009 beginnen soll und in Anbetracht der Fristen, die noch bis zu seiner Annahme im Europäischen Parlament und im Rat in erster Lesung einzuplanen sind, hält der Ausschuss den Zeitplan für die Ausarbeitung und Annahme dieses Europäischen Jahres für sehr übereilt. Bei früheren Gelegenheiten hatte der Ausschuss seine Stellungnahme ein Jahr vor dem Beginn des betreffenden Aktionsjahres verabschiedet (8), was einen Eindruck von der planerischen Voraussicht der Kommission vermittelt. Ohne dies zu sehr vertiefen zu wollen, sei als ein gutes Beispiel für diese Planungsvoraussicht die Stellungnahme (9) genannt, die der EWSA auf seiner Plenartagung im Mai 2008 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010)“ (10) verabschiedete.

Es wäre vielleicht sinnvoller, diese Initiative zu verschieben und das Jahr 2009 nicht unter dieser Bezeichnung zum Europäischen Jahr auszurufen, anstatt eine Entscheidung durchzupauken, mit der sich die angestrebten Ziele nicht erreichen lassen, weil es an Zeit für die Planung der Maßnahmen mangelt.

4.5

Laut Ziffer 3.2 der Begründung des Vorschlags wird damit gerechnet, dass das Europäische Jahr mindestens genauso wirkungsvoll sein wird wie frühere Initiativen dieser Art, wie etwa das Europäische Jahr des lebenslangen Lernens und das Europäische Jahr der Erziehung durch Sport. Der Vorschlag enthält aber weder einen Artikel noch einen Verweis auf eine spätere Beurteilung der Ergebnisse der durchgeführten Aktionen, woraus zu schließen ist, dass die Wirkungsanalyse entweder empirisch oder mithilfe indirekter Indikatoren des Programms für lebenslanges Lernen oder anderer Programme, die von dieser Initiative betroffen sein können, vorgenommen werden soll.

4.6

Der Ausschuss teilt die Ansicht der Kommission, dass die Flexibilität bei der Festsetzung von Prioritäten auf Jahres- oder Mehrjahresbasis im Programm für lebenslanges Lernen und in anderen einschlägigen Programmen einen ausreichenden finanziellen Spielraum bietet, damit keine anderen Mittel für die Veranstaltung des Europäischen Jahres zugewiesen werden müssen. Tatsächlich ist die Innovationsförderung Teil der spezifischen Zielsetzungen des Programms für lebenslanges Lernen und anderer Programme, darunter des Programms für Unternehmergeist und Innovation und des Programms zur Unterstützung der Informations- und Kommunikationstechnologien, die beide zum Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation gehören. Auch wenn der Vorschlag nicht ausdrücklich auf das genannte Rahmenprogramm Bezug nimmt, ist der Ausschuss daher der Auffassung, dass die Durchführung des Europäischen Jahres auf der Grundlage vorhandener Programme und Haushaltspläne möglich ist, wie in Ziffer 5 der Begründung des Vorschlags ausgeführt wird.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Gemäß Artikel 2 des Vorschlags besteht das spezifische Ziel des Europäischen Jahres darin, eine Reihe von Faktoren hervorzuheben, die zur Förderung von Kreativität und Innovationsfähigkeit beitragen können. Diese Faktoren werden in dreizehn ausführlichen Absätzen beschrieben, die ihrerseits verschiedene Aspekte umfassen, die näher zu betrachten wären.

Nach Auffassung des Ausschusses müssten diese Ziele und/oder Faktoren etwas stärker konkretisiert werden, so dass sich die durchzuführenden Aktionen schwerpunktmäßig auf einige wenige grundlegende Aspekte beziehen, die sich um Kreativität und Innovation als zentrale Achsen der Aktion drehen, auf die Bürger und insbesondere die jungen Leute als Adressaten der jeweiligen Maßnahmen sowie auf die Bildungseinrichtungen und die Organisationen aus dem wirtschaftlich-sozialen und unternehmerischen Bereich als Kanal, über den die jeweilige Aktion läuft.

5.2

Ein Europäisches Jahr, das sich Jahr der Kreativität und Innovation nennt, müsste innovative Maßnahmen umfassen, um die vorgeschlagenen Ziele zu erreichen. Die in Artikel 3 ins Auge gefassten Maßnahmen, so richtig sie insgesamt sind, werden üblicherweise für jede Art von Kampagne zur Information, Förderung oder Popularisierung eingesetzt. Aus Sicht des Ausschusses wäre es didaktisch äußerst sinnvoll, vor allem für die Jüngsten, unter die in diesem Artikel genannten Maßnahmen innovative Aktionen aufzunehmen, um die im Vorschlag genannten Ziele zu erreichen. So könnte zum Beispiel ein Ideenwettbewerb ausgerufen werden, um ein Instrument zu finden, dass der Förderung der Kreativität und Innovationsfähigkeit in ganz Europa einen dauerhaft sichtbaren Ausdruck verleiht. Man könnte auch einen europäischen Preis stiften, der jährlich oder alle zwei Jahre vergeben wird und der wirklich innovative Ideen und das Kreativvermögen unserer jüngsten Mitbürger in unterschiedlichsten Tätigkeitsbereichen und Facetten zur Geltung bringt und ihnen Türen öffnet.

5.3

Unbeschadet der obigen allgemeinen Bemerkungen zur Kofinanzierung des Europäischen Jahres über das Programm für lebenslanges Lernen und das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation ist der Ausschuss der Ansicht, dass der für eine erfolgreiche Durchführung so wichtige Finanzierungsaspekt in Artikel 6 des Vorschlags stärker konkretisiert werden müsste.

5.3.1

Der Vorschlag sollte zumindest eine Kostenschätzung enthalten. Es könnte eine konkrete Zahl genannt werden, die im Haushaltsjahr 2009 und in den Folgejahren aus den das Europäische Jahr mitfinanzierenden Programmen bereitgestellt wird, oder die Kosten könnten durch einen Höchstsatz der Ausgaben beziffert werden, die auf die als angebracht erachteten Haushaltsjahre der genannten Programme entfallen können. Jede dieser Lösungen wäre besser, als den voraussichtlichen Kostenaufwand, den dieses Aktionsjahr mit sich bringen wird, vollkommen im Dunkeln zu lassen, was nach Ansicht des EWSA nicht angemessen ist.

5.3.2

Artikel 6 des Vorschlags beginnt mit dem Satz: „Unbeschadet der Mittel, die dem Europäischen Jahr aus anderen Programmen und Politikbereichen wie Unternehmen, Kohäsion, Forschung und Informationsgesellschaft zufließen könnten …“. Angesichts der Wortwahl dieses Artikels hält der EWSA diesen Satz für mehrdeutig; die Form der Beteiligung und Kofinanzierung aus anderen Generaldirektionen der Europäischen Kommission und aus Programmen, die nicht zum Bereich Bildung und Kultur oder zum Programm für lebenslanges Lernen gehören, ist daraus nicht ersichtlich. Der EWSA hält es in dieser Hinsicht für zweckmäßig, im Wortlaut dieses Artikels konkret anzugeben, welche Programme mit welchen Beträgen das Europäische Jahr finanziell mittragen sollen und wie die Maßnahmen zwischen den einzelnen mitfinanzierenden Programmen, deren Verwaltung verschiedenen Generaldirektionen der Europäischen Kommission obliegt, koordiniert werden sollen.

5.4

Abschließend hält es der EWSA für nötig, in das Regelwerk des Vorschlags einen Passus über die Beurteilung der Ergebnisse und der Tragweite des Europäischen Jahres aufzunehmen. Am Ende des Zeitraums, den das Europäische Jahr umfasst, sollten die durchgeführten Aktionen und die erzielten Ergebnisse bewertet werden, um daraus Lehren für die Planung anderer europäischer Aktionsjahre zu ziehen und zu wissen, was mit der geleisteten Arbeit bewirkt wurde und ob sie sich gelohnt hat.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des EWSA vom 13.12.2006 zum Thema „Das Potenzial Europas für Forschung, Entwicklung und Innovation freisetzen und stärken“, Berichterstatter: Herr Wolf (ABl. C 325 vom 30.12.2006).

Stellungnahme des EWSA vom 14.12.2005 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation“, Berichterstatter: Herr Welschke, Mitberichterstatterin: Frau Fusco (ABl. C 65 vom 17.3.2006).

Stellungnahme des EWSA vom 12.7.2007 zum Thema „Investitionen in Wissen und Innovation (Lissabon-Strategie)“, Berichterstatter: Herr Wolf (ABL. C 256 vom 27.10.2007).

(2)  ABl. L 394 vom 30.12.2006.

(3)  Stellungnahme des EWSA vom 18.5.2006 zu dem „Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen“, Berichterstatterin: Frau Herczog (ABl. C 195 vom 18.8.2006).

(4)  Stellungnahme des EWSA vom 11.7.2007 zum Thema „Innovation: Auswirkungen auf den industriellen Wandel und die Rolle der EIB“, Berichterstatter: Herr Tóth, Mitberichterstatter: Herr Calvet Chambon (ABl. C 256 vom 27.10.2007).

(5)  „Creating an innovative Europe“, EUR 22005, ISBN 92-79-00964-8.

(6)  KOM(2005) 486 endg.

(7)  Stellungnahme des EWSA vom 14.2.2006 zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Durchführung, Ergebnisse und Gesamtbeurteilung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003“, Ziffer 1.2, Berichterstatter: Frau Anca (ABl. C 88 vom 11.4.2006).

(8)  Stellungnahme des EWSA vom 8.12.1999 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr der Sprachen 2001“, Hauptberichterstatter: Herr Rupp (ABl. C 51 vom 23.2.2000).

Stellungnahme des EWSA vom 24.4.2002 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr der Erziehung durch Sport 2004“, Berichterstatter: Herr Koryfidis (ABl. C 149 vom 21.6.2002).

Stellungnahme des EWSA vom 14.12.2005 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle (2007) — Beitrag zu einer gerechten Gesellschaft“, Berichterstatterin: Frau Herczog (ABl. C 65 vom 17.3.2006).

Stellungnahme des EWSA vom 20.4.2006 zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs (2008)“, Berichterstatterin: Frau Cser (ABl. C 185 vom 8.8.2006).

(9)  Stellungnahme des EWSA vom 29.5.2008 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (2010)“, Berichterstatter: Herr Pater, Mitberichterstatterin: Frau Koller (ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 106).

(10)  KOM(2007) 797 endg.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/123


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine bessere Integration in den Binnenmarkt als Schlüsselfaktor für Kohäsion und Wachstum auf den Inseln“

(2009/C 27/26)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Eine bessere Integration in den Binnenmarkt als Schlüsselfaktor für Kohäsion und Wachstum auf den Inseln“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. Juni 2008 an. Berichterstatterin war Frau GAUCI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 10. Juli) mit 118 gegen 1 Stimme bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss fordert die EU dazu auf, einen integrierten Ansatz für eine bessere Einbindung von Inselregionen in den Binnenmarkt als Schlüsselfaktor für mehr Zusammenhalt und Wachstum der EU anzunehmen, um so die Ziele der überarbeiteten Lissabon-Agenda in vollem Umfang erreichen zu können. Ein solcher integrierter Ansatz ist insofern begründet, als Inseln trotz ihrer Unterschiedlichkeit (insbesondere hinsichtlich ihrer Größe) vor gemeinsamen Schlüsselproblemen stehen.

1.2

Der EWSA empfiehlt die Erstellung eines integrierten Rahmens für eine Gemeinschaftspolitik, die alle wichtigen Probleme der europäischen Inseln in kohärenter Weise behandelt.

1.3

Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit einer guten Governance zur Lösung von Fragen in Zusammenhang mit Information und Kommunikation, Datenquantifizierung und -qualifizierung, einem gemeinsamen Strategiekonzept, Netzwerk- und Clusterbildungen sowie der Beteiligung der Zivilgesellschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es deshalb wichtig, angemessene Bedingungen zu schaffen, die es den lokalen Institutionen auf Inseln ermöglichen, die aus der Insellage resultierenden Kosten zu beurteilen. Deshalb muss es auf den Inseln sowohl örtliche statistische Dienste als auch Preisindizes geben. Letztlich sollte eine gemeinsame Beurteilungsmethodik aller lokalen Statistikbehörden in europäischen Inselgebieten entstehen.

1.4

Hinsichtlich der Umsetzung fordert der EWSA dazu auf, für alle EU-Initiativen zugunsten des Binnenmarktes auf den Inseln eine Folgenabschätzung durchzuführen, den „Insel-Aspekt“ in alle Politikbereiche der EU einzubeziehen und die bürokratischen Vorschriften, insbesondere für KMU, zu vereinfachen.

1.5

Da die Zugänglichkeit eine Kernfrage für die Inseln ist, möchte der EWSA auf die Bedeutung der territorialen Kontinuität hinweisen, ein Instrument, das in der EU weiterentwickelt werden sollte. Es muss von den Inseln hin zum Kontinent angewendet werden — und nicht umgekehrt.

1.6

Der EWSA fordert die Kommission auf, dem Europäischen Parlament, dem Rat, dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss einen jährlichen Bericht vorzulegen, in dem die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Lösung der Probleme der europäischen Inseln geprüft und bewertet werden. Die Vorschläge der Kommission für Maßnahmen sollten ebenfalls in diesen jährlichen Bericht aufgenommen werden. Insofern kann gesagt werden, dass diese Stellungnahme einen langfristigen dynamischen Prozess in Gang setzt.

2.   Einleitung

2.1

Nach der Definition von Eurostat muss eine Insel folgende Merkmale aufweisen:

sie muss eine Fläche von mindestens einem Quadratkilometer haben,

sie muss mindestens einen Kilometer vom Festland entfernt liegen,

sie muss über eine ständige Bevölkerung von mindestens 50 Personen verfügen,

sie darf keine dauerhafte Verbindung zum Festland haben; und

sie darf nicht Sitz einer europäischen Hauptstadt sein.

2.2

Allerdings sollte eine solche Definition überarbeit und aktualisiert werden, wobei von der einfachen Tatsache ausgegangen werden sollte, dass eine Insel ein Gebiet ist, das nicht zu Fuß erreicht werden kann. Darüber hinaus hat die unter Ziffer 2.1 gegebene Definition keine Rechtsgrundlage und wird in Ermangelung einer besseren Definition, die die neuen Gegebenheiten der erweiterten Europäischen Union — die auch Inselstaaten umfasst- berücksichtigt, ausschließlich als Referenz verwendet.

2.2.1

Bei der Definition des Begriffs „Insel“ sollte auch die 33. Erklärung zum Lissabon-Vertrag berücksichtigt werden, die lautet: „Die [Regierungs-]Konferenz vertritt die Auffassung, dass die Bezugnahme auf Inselregionen in Artikel 174 auch für Inselstaaten insgesamt gelten kann, sofern die notwendigen Kriterien erfüllt sind.“

2.3

Derzeit gehören die EU-Inselregionen zu 14 EU-Mitgliedstaaten. Auf den Inseln der EU leben 21 Millionen Menschen. Durch diese Inselregionen verfügt die EU über eine wirtschaftliche und geopolitische Präsenz in nahezu allen Weltmeeren sowie über eine aktive Grenze zu zahlreichen Kontinenten.

2.4

Inseln sind ebenso unterschiedlich wie die Mitgliedstaaten. Aus diesem Grund schlägt der EWSA folgende Typologien vor.

2.4.1

In struktureller Hinsicht sind sie unterschiedlich: Einige sind Inseln in Randlage, während sich andere in sogenannter äußerster Randlage befinden (deren Kriterien sind im EGV, Artikel 299 Absatz 2 aufgeführt); einige sind klein (bestimmte Inseln haben weniger als 50 Einwohner), während andere groß sind.

2.4.2

Sie unterscheiden sich auch in institutioneller Hinsicht: Einige sind Inselstaaten, andere haben den Status einer Region, und wieder andere sind Küsteninseln und damit Teil einer kontinentalen regionalen Gebietskörperschaft.

2.5

Trotz all dieser Unterschiede weisen Inseln Merkmale auf, die sie von den Gebieten auf dem Festland deutlich unterscheiden, z.B. hinsichtlich Kultur, Bildung, Verkehr und Umwelt. Diese Aspekte bedürfen einer eingehenderen Untersuchung, um für die betreffenden Gebiete eine Politik zu entwickeln, die sowohl den Gemeinsamkeiten als auch den Besonderheiten Rechnung trägt, von denen die Chancen und Probleme der einzelnen Inseln abhängen können. Der EWSA schlägt vor, auf dieses Thema zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukommen.

2.6

Sie weisen gemeinsame Merkmale auf, z.B. in puncto Kultur, Bildung, Verkehr (Probleme aufgrund von Zusatzkosten) und Umwelt.

2.7

Die Europäische Kommission hat mit ihrer Mitteilung „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts“ (20. November 2007) (1) die Diskussionen über die Zukunft des Binnenmarktes angestoßen; in diese Überlegungen sollte auch die Situation der Inseln miteinbezogen werden.

3.   Hintergrund

3.1

Seit der Einführung eines neuen, durch die integrierte Herangehensweise gekennzeichneten Governance-Ansatzes (insbesondere durch das Grünbuch und das Blaubuch über die künftige EU-Meerespolitik) dürfen Binnenmarktfragen nicht mehr losgelöst von Regionalfragen behandelt werden. Der Binnenmarkt ist kein Selbstzweck, er ist ein Werkzeug im Dienst Regionen und Menschen.

3.2

Inseln suchen stets nach Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Binnenmarktes und müssen somit künftige Veränderungen vorwegnehmen.

3.3

Die Regionalpolitik ist ein für Inseln nützliches Instrument, das jedoch innerhalb eines integrierten EU-Rahmens weiterentwickelt und verbessert werden muss, damit die Inseln nicht nur rechtlich ein Teil des Binnenmarktes sind, sondern ihnen auch in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht eine größere Rolle darin zukommt. Mit Blick auf die künftige Politik des territorialen Zusammenhalts, die die Europäische Kommission infolge des Lissabon-Vertrages entwickeln wird, sollte auch dieser Aspekt in die Überlegungen einbezogen werden.

3.4

Dieser integrierte Rahmen für eine Gemeinschaftspolitik umfasst nicht nur die Regional- und Kohäsionspolitik, sondern insbesondere auch die Politikbereiche Verkehr, Energie und Wasser; Bildung und Arbeit, Forschung, technische Entwicklung und Innovation; Wettbewerb; Industriepolitik; Umwelt; Landwirtschaft und Fischerei.

3.5

In diesem Zusammenhang müssen Inseln zunächst vor dem Hintergrund des Vierten Kohäsionsberichts analysiert werden.

3.5.1

Angesichts der Tatsache, dass die europäischen Institutionen bei ihren Politikbereichen einen integrierten Ansatz unterstützen, überrascht die Feststellung, dass die Kommission für die Schwierigkeiten von Inseln über keine integrierte Analyse verfügt.

3.5.2

Nach Auffassung der Kommission ist Erreichbarkeit „ein besonderes Problem“, das die Inseln bewältigen müssen.

3.5.3

Die Kommission betont zu Recht die geringen Bevölkerungszahlen als ein weiteres Problem von Inseln. Inseln verfügen infolgedessen über einen kleinen lokalen Markt, durch den die Wachstumskapazitäten von KMU auf den Inseln aufgrund fehlender Skaleneffekte eingeschränkt sind. Dies limitiert insbesondere ihre Möglichkeiten, europäische Märkte zu erobern.

3.5.4

Eine weitere Folge ist, dass die meisten Inseln sich nicht auf ihren heimischen Markt (2) stützen können, der in der Regel zu klein ist, um eine umfassende und effiziente Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Die einzige Lösung für KMU liegt daher im Export.

3.5.5

Überdies müssen auch die naturbedingten Nachteile in Zusammenhang mit der Insellage berücksichtigt werden. Die beträchtlichen zusätzlichen Transportkosten reduzieren deutlich die Wettbewerbsfähigkeit der Inseln. Paradoxerweise können die Transportkosten, durch die die Inselmärkte durch Reduzierung der Konkurrenz vom Festland potenziell „geschützt“ werden, dazu führen, dass sich auf den Inseln Monopolsituationen entwickeln.

3.5.6

Die Insellage ist außerdem geprägt durch folgende Probleme, die auch die langfristigen Entwicklungsperspektiven der Inseln bestimmen:

Der Umstand, dass lebenswichtige Ressourcen (Trinkwasser, Energie, Rohstoffe, Wohnraum und landwirtschaftlich nutzbares Land) knapp sind, führt zu Mangelsituationen und unzureichender wirtschaftlicher Diversifizierung und somit zum Problem der Monoaktivität. Hierauf wurde in dem Bericht über die Inselgebiete und Gebiete in äußerster Randlage in der EU  (3) hingewiesen, der insbesondere auf den Trinkwassermangel und die Probleme, die dadurch im Sommer, wenn Touristen anwesend sind, auf den Mittelmeerinseln entstehen, aufmerksam gemacht hat. Es wurden Entsalzungsanlagen gebaut, die jedoch, wenn es sich um traditionelle Anlagen handelt, sehr viel Strom verbrauchen. Viele Inseln verfügen über keine ausreichende Energieversorgung und müssen daher fossile Brennstoffe oder Strom über Unterseeleitungen importieren.

Die Folgen natürlicher Risiken sind gravierender: Inseln haben ein empfindliches Ökosystem.

3.5.7

In Bezug auf die Frage der Zugänglichkeit ist

zunächst anzumerken, dass die Kommission zu recht darauf hinweist, dass die eingeschränkte Erreichbarkeit von Inseln daran deutlich wird, dass „sich bei der Reise im Pkw bzw. mit der Bahn die Reisezeit aufgrund der Überfahrt mit dem Schiff verlängert“. Inselbewohner und die auf Inseln ansässigen KMU haben aufgrund der Insellage mit hohen Transportkosten, unregelmäßigen Verkehrsanbindungen, sozialen und klimatischen Risiken zu rechnen (4).

Die Kommission betrachtet ferner zu Recht die Aspekte „Verkehr“ und „Verkehrsanbindung“ als zentral für die Wettbewerbsfähigkeit der Regionen. Wenn die Entwicklung von Stadtzentren bedingt ist durch eine dreifache Zugänglichkeit (per Auto/per Bahn/per Flugzeug) (5), so gilt dies umso mehr für Inseln, von denen viele zudem Probleme beim Zugang zu HDSL-Diensten haben. Diesem Umstand kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als „internationale Verbindungen und Anschlüsse in Richtung anderer größerer Wirtschaftszentren“ zu den wichtigsten Kriterien für Investitionen zählen (6).

Schließlich ist es für Inseln auch schwer, sich Zugang zum großen europäischen Markt zu verschaffen, da die Transportkosten hoch und folglich kleine und mittlere Unternehmen, die auf Inseln angesiedelt sind, wenig attraktiv sind. Überdies verfügen sie nicht über die gleichen Produktionsbedingungen wie KMU auf dem Festland. Aufgrund der Lieferkosten ist eine Just-in-time-Produktion nicht möglich, und so sind die Produktionskosten entsprechend höher.

3.6

Alle diese Aspekte verdeutlichen die Schwachstellen von Inseln bei der Integration in den Binnenmarkt: sie verfügen nicht über alle notwendigen Voraussetzungen, um von den Vorteilen dieses Marktes von etwa 500 Mio. Verbrauchern zu profitieren.

3.6.1

Die EU sollte eine Politik vermeiden, die „alle über einen Kamm schert“, und den oben genannten integrierten Ansatz fördern. Die Probleme von Inseln sind komplexer Natur, da sie mehrere Nachteile in sich vereinen. Sie müssen jedoch auch ihre Trümpfe ausspielen, die durchaus vorhanden sind und die Grundlage für eine integrierte sozio-ökonomische Entwicklung bilden könnten. Hierzu gehören z.B. die Fischereiressourcen, erneuerbare Energiequellen, Wirtschaftsaktivitäten in Zusammenhang mit dem Tourismus, eine starke kulturelle Identität, ihr Natur- und Kulturerbe.

3.6.2

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in einem Begleitdokument zu der oben genannten Mitteilung „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts“ die Idee eines allgemeinen Zugangs zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im gesamten Gebiet der Europäischen Union unterstützt und diesen als „[wichtig] für die Förderung des territorialen Zusammenhalts in der EU“ ansieht. Ferner heißt es in dem Kommissionsdokument, dass „für durch ihre geographische Lage oder ihre natürliche Beschaffenheit benachteiligte Gebiete wie Randregionen, Inseln oder Berglandschaften, dünn besiedelte Gebiete oder Gebiete mit Außengrenzen […] die Bereitstellung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wegen der Entfernung zu gut versorgten Märkten oder wegen der höheren Anschlusskosten oft problematisch [ist]. Ihren besonderen Bedürfnissen muss Rechnung getragen werden.“ Die Kommission scheint sich folglich des Problems deutlich bewusst zu sein: Initiativen in diesem Bereich sind somit absehbar.

3.7

Aus diesem Grund ist die Frage der Integration von Inseln in den Binnenmarkt seit der Einheitlichen Europäischen Akte stets ein Problem gewesen. Inseln waren und sind benachteiligte Regionen, die sich meist nicht auf ihren heimischen Markt stützen können; auf Inseln ansässige KMU müssen ihre Produkte und Dienstleistungen auf dem europäischen Festland verkaufen. Ihre Erreichbarkeit und die Problematik der Monoaktivität beeinträchtigen ihre Wettbewerbsfähigkeit.

3.8

Vor diesem Hintergrund ruft der EWSA dazu auf, bei der künftigen Rechtsetzung eine spezifische Bewertung aller für Inseln relevanten Vorschläge einzuführen. Der EWSA unterstreicht die Notwendigkeit, dass ein integrierter Ansatz für die Inselproblematik dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Subsidiaritätsprinzip, die für die Inseln wichtig sind, Rechnung trägt.

4.   Ein integrierter Ansatz auf der Grundlage der Vorzüge von Inseln

4.1

Der EWSA fordert einen integrierten Ansatz für die Probleme der europäischen Inseln, der Hand in Hand geht mit einem integrierten Rahmen für die Gemeinschaftspolitik.

4.2

Inseln müssen bei Überprüfung des Binnenmarktes berücksichtigt werden (7). In der Mitteilung vom 20. November 2007 wurden die im entsprechenden Zwischenbericht (Februar 2007) genannten KMU-freundlichen Leitlinien bestätigt.

4.3

Kleine und mittlere Unternehmen müssen zu grenzüberschreitender Aktivität animiert werden. Voraussetzung hierfür ist die Existenz eines Mechanismus der territorialen Kontinuität, der es europäischen Inselbewohnern erleichtert, Märkte sowohl über den eigenen Mitgliedstaat auf dem Festland als auch über einen benachbarten Mitgliedstaat zu erreichen. Hierfür sind konkrete und bewährte Beispiele vorhanden. Die dänische Insel Bornholm profitiert z.B. von einer mit öffentlichen Mitteln unterstützten Fährverbindung nach Ystad, in Schweden. Eine entsprechende Anbindung besteht auch zwischen dem französischen Festland und Korsika.

4.3.1

Durch die subventionierte Fährverbindung konnten die Verkehrsbedingungen zwischen diesen beiden französischen Gebieten verbessert werden. Ein entsprechender Ausbau der Verkehrsanbindungen mit Italien wäre angesichts der Tatsache, dass das europäische Festland für Bewohner Korsikas über Italien leichter zu erreichen ist als über Frankreich, sicherlich sinnvoll. Aus diesem Grunde sieht es der EWSA als lohnenswert an, der Frage nachzugehen, inwiefern sich diese Praxis auf alle europäischen Inseln ausdehnen und zu einem gesamteuropäischen Phänomen machen ließe. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass die Anwendung eines solchen Instruments von den Inseln hin zum Kontinent erfolgen sollte — und nicht umgekehrt.

4.3.2

Eine solche „Europäisierung“ des Instruments der territorialen Kontinuität käme einer Konkretisierung der grenzübergreifenden Integration gleich, wie sie in der Mitteilung der Kommission „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts“ hervorgehoben wird.

4.4

Ein Binnenmarkt, der die wissensbasierte Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt, zeigt sich unter anderem in der Verbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien innerhalb der EU. Dies würde der Wirtschaft von Inseln Gelegenheit zur Diversifizierung bieten.

4.5

Inseln verfügen über ein für Innovationen günstiges natürliches Umfeld (z.B. erneuerbare Energien, blaue Biotechnologien …). Vor dem Hintergrund, dass nach dem 4. Kohäsionsbericht wirtschaftliche und innovative Leistung miteinander verknüpft sind, verfügen Inseln über einen großen Spielraum.

4.6

Da auf den meisten Inseln Fischerei betrieben wird, kann Bioenergie für Fischfarmer und Fischer von Interesse sein. Die Politik muss die Mittel zur Entwicklung von Initiativen dieser Art bereitstellen. Die Politik muss die Inseln bei der Entwicklung erneuerbarer Meeresressourcen unterstützen (Wellenenergie, Meeresströmungsenergie und — insbesondere bei Inseln in extremer Randlage — thermische Meeresenergie).

4.7

Im Falle der Landwirtschaft muss eine flexible Umsetzung der beiden GAP-Säulen zum Vorteil der Insellandwirte ermöglicht werden.

4.8

Diese Energieformen sind von entscheidender Bedeutung für Inseln, deren Landnutzungsmöglichkeiten begrenzt sind und deren geografische Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sich hemmend auf ihre Entwicklung auswirkt. Zur Überwindung dieser Abhängigkeit müssen deshalb Alternativen in Form erneuerbarer Energieträger gefunden werden, um diesen Regionen andere Quellen zu erschließen. In diesem Zusammenhang sind Inseln als Standorte für Forschung und Entwicklung bestens geeignet und können für Europa von Nutzen sein. In diesem Sinne hat Réunion kürzlich angekündigt, auf eine Politik ausschließlich erneuerbarer Ressourcen zu setzen; zahlreiche Quellen erneuerbarer Meeresenergie wurden bereits ermittelt. Windkraft ist ein weiteres gutes Beispiel. El Hierro, eine der Kanarischen Inseln, wird bis 2009 seine gesamte Energieversorgung durch eine Kombination von Windturbinen und Wasserkraftwerken sicherstellen.

4.9

Ein Binnenmarkt auf der Grundlage einer guten europäischen Rechtsetzung (8) setzt voraus, dass geprüft wird, wie die gegenwärtigen europäischen Rechtsvorschriften umgesetzt werden und ob sie die beabsichtige Wirkung zeigen. Im Hinblick auf die oben genannten rechtlichen Probleme hätte eine solche Initiative für Inseln sicherlich positive Auswirkungen. Unter diesem Gesichtspunk könnte eventuell ein Pilotprojekt durchgeführt werden, bei dem die Kommission entsprechend der Dienstleistungsrichtlinie bis 28. Dezember 2011 und daraufhin alle drei Jahre dem Europäischen Parlament und den Rat einen umfassenden Bericht über die Anwendung dieser Richtlinie vorlegt. Dabei könnte ein territorialer Ansatz verfolgt und die Inseln im Vergleich zu anderen Regionen bewertet werden.

4.10

Alle genannten Elemente tragen dazu bei, Lösungen zu finden, um in Zukunft die Inseln besser in den Binnenmarkt zu integrieren. Diese Integration setzt zweierlei voraus: Steigerung der Attraktivität und Diversifizierung.

5.   Eine angemessene Umsetzung politischer Maßnahmen auf den europäischen Inseln

5.1

Zur Erreichung der beiden genannten Ziele muss eine angemessene Umsetzung politischer Maßnahmen bei folgenden Initiativen ansetzen:

5.1.1

Gewährleistung einer besseren Verbindung zwischen den Inseln und dem Festland durch entsprechende Verkehrskonzepte und innovative politische Maßnahmen.

5.1.1.1

Die auf Inseln ansässigen Unternehmer klagen vielfach über zusätzliche Kosten, die aufgrund des Transports bei der Ankunft ihrer Waren in einem Hafen des Festlandes entstehen. Einige Studien gehen von 20 % zusätzlichen Kosten aus. Im Hinblick auf die Vielfalt der Produkte sollten jedoch genaue Studien (die sich methodisch an die Studie über Regionen in äußerster Randlage anlehnen könnte) vorgelegt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es wichtig, angemessene Bedingungen zu schaffen, die es den lokalen Institutionen auf Inseln ermöglichen, die aus der Insellage resultierenden Kosten zu beurteilen. Deshalb muss es in den Inselregionen sowohl lokale statistische Dienste als auch Preisindizes geben. Schlussendlich sollte eine gemeinsame Beurteilungsmethodik aller lokalen Statistikbehörden in europäischen Inselgebieten entstehen.

5.1.1.2

Allgemein brauchen Inseln leistungsfähige Dienstleistungen von allgemeinem Interesse.

5.1.2

Bei der Initiative „Bessere Rechtsetzung“ sollte ein geografischer Ansatz gewählt werden, was Folgendes impliziert:

Abschätzung der Folgen aller EU-Binnenmarkt-Initiativen auf Inseln, und zwar nicht nur sektorenübergreifend, sondern auch geographisch; zudem muss in allen EU-Politikbereichen ein „Inselaspekt“ berücksichtigt werden,

die Anwendung der EU-Vorschriften muss flexibel gestaltet werden;

Vereinfachung der bürokratischen Vorschriften, insbesondere was den Zugang der KMU zu Finanzmitteln betrifft;

Öffentliche Behörden auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene müssen diese Verfahrensweisen übernehmen.

Über den Vereinfachungsaspekt hinaus muss die Notwendigkeit kohärenter Strategien auf den verschiedenen politischen Ebenen hervorgehoben werden.

5.1.3

EU-Beamte sollten zur Teilnahme an Schulungen in Inselgebieten ermutigt werden, um die tatsächliche Situation dieser besonderen Regionen zu verstehen. Der EWSA unterstützt nachdrücklich das „Enterprise Experience Programme“ und fordert die KMU in Inselregionen auf, Hospitantenplätze für EU-Beamte anzubieten. Diese erhalten damit die Möglichkeit, vor Ort und unmittelbar mit Inselbewohnern über Europafragen zu diskutieren. Das hat auch die Studiengruppensitzung am 7./8. April 2008 in Ajaccio gezeigt: Treffen mit den Bürgerinnen und Bürgern in den Mitgliedstaaten verbessern in erheblichem Maße das Verständnis der EU und ihrer Politik und die Debatte darüber.

5.1.4

Die Bedeutung einer künftigen Politik der staatlichen Beihilfen mit regionaler Zielsetzung wäre hervorzuheben. In diesem Zusammenhang unterstützt der EWSA nachdrücklich die Vorschläge aus dem Musotto-Bericht, nämlich dass:

„bei der Anwendung bestehender und künftiger Strategien betreffend staatliche Beihilfen mehr Flexibilität herrschen sollte […], ohne dass eine solche Flexibilität inakzeptable Marktverzerrungen innerhalb der Europäischen Union verursacht“; und

die Möglichkeit geprüft werden sollte, in den nächsten Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung die Regelung, die Betriebsbeihilfen ermöglicht, auf alle Inselgebiete ausgedehnt werden sollte, die keine Inselstaaten oder Binneninseln sind.

5.1.5

Die Kapazitäten von KMU in Inselgebieten sollten gestärkt werden.

5.1.5.1

Erleichterung des Zugangs von KMU zu Forschung und Innovation, z.B. durch Instrumente wie JEREMIE. Inseln leiden de facto unter einem erheblichen Mangel an Forschern, Laboratorien und Patenten. Angesichts der geringen privaten Forschung sollte die öffentliche Forschung verstärkt werden. Auch sollte über die Schaffung von Freizonen nachgedacht werden. Im Vergleich zur Lage auf dem Festland sind Inseln im Rückstand — außer in den Fällen, in denen die Behörden eine voluntaristische Politik verfolgen oder ein Sektor wirtschaftlich so wichtig ist, dass ein Niveau erreicht wird, das die Schaffung oder Förderung von Forschungstätigkeiten ermöglicht. Darüber hinaus beruht ein solcher Ansatz auf dem Erhalt traditionellen Wissens: ein Aspekt der Innovation, der nicht außer Acht gelassen werden darf.

5.1.5.2

Export in Drittstaaten. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in ihrem Zwischenbericht zur Überprüfung des Binnenmarktes (Februar 2007) einen künftigen Binnenmarkt fordert, der allen offensteht. Diese Meinung wird in der Mitteilung „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts“ bekräftigt. Darin fordert die Kommission eine „Erweiterung des Regelungsraums des Binnenmarktes“. Durch Kooperationsprogramme zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten mit benachbarten Staaten könnte diese Idee konkrete Gestalt annehmen.

5.1.5.3

Nutzung gut ausgebildeter Arbeitskräfte. Inseln sind betroffen vom Phänomen der Abwanderung junger Menschen, die eine Hochschulbildung und gut bezahlte Stellen auf dem Festland anstreben. Wenngleich das Bruttosozialprodukt als Indikator oder Kriterium nicht allein ausschlaggebend ist, wird im 4. Kohäsionsbericht hervorgehoben, dass für seine Steigerung Produktivität und Arbeitskräfte die entscheidenden Faktoren sind. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass Initiativen im Hinblick auf die Entwicklung von Universitäten und anderen höheren Bildungseinrichtungen in Inselgebieten gefördert werden müssen, da solche Einrichtungen Voraussetzung sind für die Berufsbildung der Inselbewohner. So konnte z.B. durch die Universität von Korsika seit deren Wiedereröffnung 1981 das regionale Humankapital aufgrund steigender Studierendenzahlen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht verbessert werden. Durch diese positive Entwicklung konnten einige Unausgewogenheiten auf dem Arbeitsmarkt verringert und die Expansion einzelner Branchen (Nahrungsmittelverarbeitung, Tourismus, IKT …) und Betriebe gefördert werden.

5.1.5.4

Nutzung der Eigenschaften von Inseln, um die am besten geeigneten Entwicklungsmöglichkeiten zu finden. In dieser Hinsicht betont die Europäische Kommission in ihrem Grünbuch zur Meerespolitik ganz zu recht, dass eine „Diversifizierung der touristischen Produkte und Dienste […] zur Wettbewerbsfähigkeit der Küsten- und Inseldestinationen beitragen [kann]“. Da eine solche Diversifizierung einer (nicht) technologischen Dimension von Innovation entspricht und sich überdies in die notwendige allgemeine Diversifizierung der wirtschaftlichen Aktivitäten von Inselgebieten einfügt (für zahlreiche Inseln ist die Monoaktivität Fremdenverkehr ein Problem), sind die folgenden Aspekte Voraussetzung:

eine vollständige Bestandsaufnahme der Situation jeder einzelnen europäischen Insel;

Auflistung aller Nachteile von Inseln im Bereich Tourismus;

Bestimmung des Niveaus der Infrastruktur auf jeder Insel;

Förderung von Austausch und Förderung des Ausbaus von Dienstleistungen in den Bereichen Hotel- und Verkehrsinfrastruktur durch besondere Verträge zwischen den Inselgebieten und der Europäischen Union;

Prüfung der Möglichkeiten zur Unterstützung und Strukturierung, die im Hinblick auf eine Diversifizierung des Tourismus denkbar sind (Kultur, Landwirtschaft, Archäologie, Jugend, Sport, Fischen, Geschäftstourismus …);

Prüfung des Vorschlags zur Umsetzung regionaler Konzepte für die Entwicklung des Inseltourismus, die europäischen Maßnahmen vorausgehen und als verbindlich eingeführt werden könnten, um von den spezifischen europäischen Fördermitteln zu profitieren, die für die im Rahmen der Planung der Strukturfonds 2007-2013 im Hinblick auf das Ziel „regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ registrierten Inselregionen bestimmt sind;

Festlegung von Methoden, mit denen Inselgebiete die Umwelt für wirtschaftliche Aktivitäten nutzen könnten (insbesondere Entwicklung von Strategien, mit denen die Inseln für Touristen z.B. durch Öko-Hotels, Bio-Restaurants, Aktivitäten in der freien Natur, Bio-Entdeckungstouren attraktiver gemacht werden können). Derartige Initiativen sind insbesondere für Kleinbetriebe geeignet.

6.   Verantwortungsvolle Regierungsführung zur angemessenen Berücksichtigung der Situation europäischer Inseln

6.1

Der EWSA regt die Umsetzung folgender Vorschläge im Rahmen des Legislativprozesses an:

6.1.1

Sammlung umfassender Informationen über die Inseln. Da die Aktualisierung und Erhebung weiterer statistischer Daten über Inseln für eine zielorientierte Politik (auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene) notwendig sind, kann die Bedeutung solcher Maßnahmen nicht genug betont werden. Ein solcher Ansatz sollte zunächst auf einer fallweisen Bewertung beruhen, bei der unter anderem die spezifische sozio-ökonomische Situation von Inselgebieten berücksichtigt wird. Zugleich wäre dies Gelegenheit, die Bedeutung des BIP als Kriterium zur Bewertung der regionalen Schwierigkeiten neu zu überdenken.

6.1.1.1

Voraussetzung für die Konzipierung und Umsetzung jeglicher Gemeinschaftspolitik für Inseln ist die Existenz ausreichender und zuverlässiger statistischer Daten sowie einschlägiger Indikatoren. Für ein ausreichendes Verständnis der Inselgebiete und der komplexen Mechanismen, durch die sie sich von den übrigen Gebieten der Gemeinschaft unterscheiden, ist das BIP für sich genommen bekanntermaßen als Kriterium ebenso wenig geeignet wie die Arbeitslosenzahlen.

6.1.1.2

Diese Situation ist nicht neu, wurde aber lange Zeit nicht wahrgenommen, da die große Mehrheit der Bewohner von Inseln innerhalb der EU ohnehin maximale finanzielle Unterstützung erhielt (Ziel-1) und somit wenig Anlass bestand, sich mit diesem komplizierten Thema zu befassen. Durch den Erweiterungsprozess und den sich daraus ergebenden „statistischen Effekt“ (d.h. der neue relative Wohlstand zuvor benachteiligter Gebiete) ergab sich jedoch die Notwendigkeit, die Situation und die Bedürfnisse von Inselgebieten anhand besserer und stärker zielgerichteter statistischer Indikatoren zu beschreiben.

6.1.1.3

Im Musotto-Bericht heißt es ferner, dass „weitere Tätigkeiten darauf ausgerichtet sein sollten, relevantere statistische Indikatoren festzulegen, die besser geeignet sind, ein eindeutiges statistisches Bild des Entwicklungsstandes und ein befriedigendes Verständnis der Regionen, die durch geografische und natürliche Benachteiligungen gekennzeichnet sind, zu liefern, insbesondere wenn eine Anhäufung von Schwierigkeiten vorliegt, wie etwa bei Gebirgszügen, Gruppen von Inseln und in Fällen von doppelter Insellage; hebt hervor, dass es durch diese Indikatoren auch möglich sein sollte, die Unterschiede zwischen diesen Regionen und dem Rest der Europäischen Union, aber auch die Unterschiede innerhalb dieser Regionen besser zu beurteilen.“

6.1.2

Eine kommissionsinterne dienstübergreifende Arbeitsgruppe für Inselgebiete sollte eingerichtet werden, um bei der Bewältigung der Probleme von Inseln einen integrierten Ansatz zu gewährleisten.

6.1.3

Der EWSA fordert die lokalen Behörden und die Zivilgesellschaft auf zusammenzuarbeiten (bzw. weiterhin zusammenzuarbeiten), um gemeinsame Entwicklungsstrategien zu erarbeiten. Inselregionen sollten einen gemeinsamen Ansatz für Projekte im Rahmen einer positiven Partnerschaft verfolgen.

6.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass im Interesse eines verantwortungsvollen Regierens die Situation der Inseln regelmäßig untersucht werden sollte und fordert die Kommission dazu auf, dem Europäischen Parlament, dem Rat, dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss einen jährlichen Bericht vorzulegen, in dem die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Lösung der Probleme der europäischen Inseln geprüft und bewertet werden. Die Maßnahmenvorschläge der Kommission sollten ebenfalls in diesen jährlichen Bericht aufgenommen werden. Insofern kann gesagt werden, dass diese Stellungnahme einen langfristigen dynamischen Prozess in Gang setzt.

7.   Schlussbemerkungen

7.1

Die Frage, wie Inselgebiete besser in den Binnenmarkt zu integrieren seien, könnte interessierte Parteien dazu anregen, über die oben genannten Möglichkeiten hinaus zwei weitere Verfahrensweisen in Betracht zu ziehen.

7.2

Eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, zu denen Inselgebiet gehören, bzw. Mitgliedstaaten, die selbst Inseln sind (Portugal, Spanien, Frankreich, Italien, Griechenland, Malta, Zypern, Vereinigtes Königreich, Irland, die Niederlande, Dänemark, Estland, Finnland, Schweden). Im Hinblick auf die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um das Ziel einer europäischen Inselpolitik zu erreichen, erscheint dieser Weg wenig realistisch. Insofern als die Initiative von den Mitgliedstaaten ausgehen muss, sollte daher ein Bottom-up-Ansatz gewählt werden. Entwicklungsstrategien auf lokaler Ebene sind, wie bereits erwähnt, aus diesem Grunde notwendig. In dieser Hinsicht könnten die operationellen Programme im Rahmen der Strukturfonds 2007-2013 als eine geeignete Basis für den Zeitraum 2014-2020 angesehen werden.

7.3

Durch den Vertrag von Lissabon und die Neufassung von Artikel 158 EGV kann der künftige europäische Rechtsrahmen zur Verbesserung der aktuellen Lösungen beitragen.

7.3.1

Die durch den Vertrag von Lissabon geänderte Neufassung von Artikel 158 lautet wie folgt:

a)

im ersten Absatz wird der Wortlaut „wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt“ geändert in „wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Zusammenhalt“;

b)

im zweiten Absatz wird die Formulierung „oder Inseln, einschließlich der ländlichen Gebiete“ gestrichen;

c)

der folgende Ansatz wird hinzugefügt: „Unter den betreffenden Gebieten gilt besondere Aufmerksamkeit den ländlichen Gebieten, den vom industriellen Wandel betroffenen Gebieten und den Gebieten mit schweren und dauerhaften natürlichen oder demografischen Nachteilen, wie den nördlichsten Regionen mit sehr geringer Bevölkerungsdichte sowie den Insel-, Grenz- und Bergregionen“.

7.3.2

Diese Neufassung trägt dem Umstand Rechnung, dass mit dem Lissabon-Vertrag (der noch ratifiziert werden muss) die territoriale Dimension als neues Element des europäischen Zusammenhalts aufgenommen wurde. Durch diese Anerkennung bekräftigt die EU ihre Willen, die Gegebenheiten überall auf ihrem Territorium gebührend zu berücksichtigen. Im künftigen Artikel 158 nimmt dieser Wille konkrete Gestalt an.

7.3.3

Territorialer Zusammenhalt lässt sich nicht einfach definieren. Das künftige Grünbuch wird sicherlich die verschiedenen bestehenden Ansätze darlegen. Der EWSA ist der Auffassung, dass Nachdenken über territorialen Zusammenhalt bedeutet, den Blick über reine Wirtschaftsstatistiken allein hinaus zu richten, um auch die offenkundigen geografischen Gegebenheiten eines Gebiets und die daraus resultierenden Schwächen zu berücksichtigen, die den sozioökonomischen Zusammenhalt — in einigen Gebieten — ernsthaft gefährden können. Das Bemühen um territorialen Zusammenhalt ist gleichbedeutend mit der Suche nach Mitteln und Wegen für eine verstärkte Zusammenarbeit innerhalb eines Inselgebiets sowie zwischen allen Regionen (eine Aufstockung der Strukturfondsmittel für dieses Ziel müsste für das nächste Programm nach 2013 Unterstützung finden) sowie für eine verstärkte Partnerschaft zwischen allen interessierten Parteien (öffentlichen Behörden, Zivilgesellschaft) bei der Konzipierung und Umsetzung einer einschlägigen Politik.

Brüssel, den 10. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Die Binnenmarktbeobachtungsstelle (BBS) des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses erarbeitet zurzeit eine Stellungnahme zu diesem Paket (INT/409), Berichterstatter: Herr Cassidy, Mitberichterstatter: Herr Hencks und Herr Cappellini) sowie ergänzend hierzu eine Stellungnahme zum Thema „Die soziale und die ökologische Dimension des Binnenmarkts im Rahmen des Binnenmarkt-Review“ (INT/416, Berichterstatter: Herr Adamczyk). Noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht (angenommen im September 2008).

(2)  Es ist darauf hinzuweisen, dass dieser Punkt im Vierten Kohäsionsbericht in Bezug auf die Regionen in äußerster Randlage anerkannt wird (KOM(2007) 273 endg., S. 50).

(3)  Analysis of the island regions and outermost regions of the European Union, Planistat, März 2003.

(4)  Durch den einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA), der am 28.1.2008 in Kraft trat, werden jedoch grenzüberschreitende Zahlungen genauso einfach wie inländische.

(5)  4. Kohäsionsbericht (KOM(2007) 273 endg.), S. 65.

(6)  4. Kohäsionsbericht (KOM(2007) 273 endg.), S. 60.

(7)  Siehe Stellungnahme zur „Überprüfung des Binnenmarktes“ (ABl. C 93/25 vom 27.4.2007).

(8)  Siehe die Stellungnahmen zum Thema „Bessere Rechtsetzung“ (ABl. C 24/39 vom 31.1.2006) und zum Thema „Bessere Durchführung des Gemeinschaftsrechts“ (ABl. C 24/52 vom 31.1.2006).


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/129


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Ursachen für den Unterschied zwischen gefühlter und realer Inflation“

(2009/C 27/27)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2008 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Ursachen für den Unterschied zwischen gefühlter und realer Inflation“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr DERRUINE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 125 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

Wie der Ausschuss bereits in einer früheren Stellungnahme empfohlen hat, müssten die „Statistiken über die Löhne und Gehälter (oder sogar über die Einkommen) […] mindestens in Quintilen angelegt werden, um die Auswirkungen der Lohnpolitik auf die Preisstabilität besser bewerten zu können“ (1). In Ziffer 4.3.3 werden die Unterschiede in den Verbrauchsprofilen je nach Einkommensniveau aufgezeigt. Hinzu kommt, dass auch die marginale Konsumneigung variiert, so dass es wichtig ist, ermitteln zu können, welche Einkommensgruppe von welcher Gehaltserhöhung (in %) profitiert. Ansonsten könnte die Geldpolitik unangemessen auf Gehaltserhöhungen und Einkommenssteigerungen reagieren.

1.1.1

Es wäre sinnvoll, wenn die Europäische Kommission und/oder Europäische Zentralbank ergänzend und nach dem Vorbild der belgischen Nationalbank (2), mindestens einmal jährlich Daten über die Auswirkungen der Inflation auf die Kaufkraft der privaten Haushalte in Abhängigkeit von deren Einkommen veröffentlichen würde.

1.1.2

In Bezug auf die europäischen Inseln ist zu sagen, dass alle Inselgebiete über lokale Statistiken und Preisindizes verfügen sollten, um die durch ihre Insellage bedingten Mehrkosten objektiv messen zu können. Im Hinblick auf dieses Ziel sollten sich die statistischen Dienste dieser Inselgebiete auf gemeinsame Bewertungsmethoden einigen.

1.2

Ebenso sollten die Mitgliedstaaten und Eurostat aufgefordert werden, die von ihnen durchgeführten Preiserhebungen besser zu verwerten, um so detaillierte Indizes zu erstellen, bei denen die Preisentwicklung nach Kategorie der Vertriebssysteme und nach Produktkategorie (unteres, mittleres und oberes Marktsegment) differenziert dargestellt wird. Es steht nämlich zu befürchten, dass die Preise für Produkte des unteren Marktsegments — insbesondere Lebensmittel — noch stärker gestiegen sind. Zudem könnte ein internationaler Vergleich der Preisdaten, welche die einzelnen für die Inflationsberechnung zuständigen Institute erhoben haben, helfen, Antworten auf die in Ziffer 1.4 gestellten Fragen zu finden. Der EWSA wirft zudem die Frage auf, ob nicht ein Preisindex für ältere Menschen erstellt werden sollte.

1.3

Der Ausschuss hofft, dass die derzeit unter Federführung von Eurostat angestellten Überlegungen, strikte Verfahren für die Einbeziehung der Wohnraumkosten in die Inflationsberechnung zu entwickeln, bald erfolgreich abgeschlossen werden können und in operative Vorschläge münden, die dann den betroffenen sozialen und wirtschaftlichen Akteuren vorgelegt werden sollten. Allgemein würde es der Ausschuss begrüßen, in die von Eurostat vorgenommenen methodologischen Überprüfungen des harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) einbezogen zu werden.

1.4

Die Europäische Kommission sollte die gleichzeitige Entwicklung der Indizes für die Verbraucher-, Herstellungs- und Einfuhrpreise untersuchen, denn es ist verwunderlich, dass der Einfuhrpreis bestimmter Indikatoren stark gesunken ist, die Endverbraucher dies jedoch nicht spüren. Es wäre inakzeptabel, wenn sie sich aus Mangel an wesentlichen Informationen zu hohe Preise berechnen lassen würden. Dies würde nur auf die einheitliche Währung zurückfallen, die völlig unverschuldet in Misskredit geriete.

1.5

Der Ausschuss ist sich wohl der Schwierigkeiten bewusst, auf die Eurostat bei der Datenerfassung stößt, wirft allerdings die Frage auf, ob die Angaben zu den Konsumausgaben der privaten Haushalte nicht schneller veröffentlicht werden könnten. Derzeit erfolgt das erst drei Jahre im Nachhinein (die Daten für 2005 wurden also erst 2008 (!) veröffentlicht). Bestimmte Daten (insbesondere zur Einkommensverteilung) wurden sogar seit 2001 nicht mehr aktualisiert. Zudem sollte angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung überlegt werden, ob der Zeitabstand zwischen den Umfragen (bislang alle sechs Jahre) nicht verkürzt werden sollte.

1.6

Abschließend empfiehlt der EWSA die Unterstützung öffentlicher Einrichtungen und regierungsunabhängiger Organisationen, die die Verbraucher informieren und aufklären und ihnen bei Kaufentscheidungen, die wegen immer ausgeklügelterer Marketingtechniken und Angebote immer schwerer fallen, helfen.

2.   Einleitung

2.1

Die gemeinsame Währung steht seit ihrer Einführung (1999 Festlegung der Wechselkurse, 2001 Ausgabe von Euro-Münzen und -Banknoten in den ursprünglichen WWU-Mitgliedstaaten) in jeglicher Hinsicht in der Kritik: Erntete der Euro anfänglich Hohn dafür, dass er gegenüber den anderen Währungen von internationaler Bedeutung an Wert verlor, so löst der in den letzten drei Jahren verzeichnete Anstieg des Eurokurses Besorgnis im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen auf den Exportmärkten aus. Bestimmte Regierungen haben diese Besorgnis sogar geschürt, um von ihren eigenen wirtschaftspolitischen Fehlern abzulenken. Einige — wenn auch wenige — haben sogar die fehlende wirtschaftliche Konvergenz in der Eurozone zumindest teilweise auf die gemeinsame Währung zurückgeführt, und sehen sich deshalb veranlasst, einen Ausstieg aus der WWU in Erwägung zu ziehen.

2.2

Den Statistiken über den harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) zufolge ist die Inflation im Zuge der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion erheblich zurückgegangen und hat sich seither auf einem historischen Tiefststand eingependelt, wahrscheinlich weil der einfachere Preisvergleich den Wettbewerb belebt und Preissteigerungen begrenzt hat. Allerdings ist die große Mehrheit der Europäer der Auffassung, dass der Euro für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in ihrem Land verantwortlich ist und einen Inflationsdruck ausgelöst hat, der ihre Kaufkraft schmälert. Manche sprechen sich sogar für eine Rückkehr zur doppelten Preisauszeichnung aus, was für die Befürworter der europäischen Integration einen verheerenden Rückschlag bedeuten würde. So ist ein Misstrauen gegenüber dem Euro, ja gegenüber der gesamten Wirtschafts- und Währungsunion entstanden. Im September 2002 bezeichneten 59 % der befragten EU-Bürgerinnen und -Bürger die gemeinsame Währung als „insgesamt vorteilhaft“, während sich 29 % skeptisch äußerten (Eurobarometer-Umfrage 2006). Vier Jahre später ist der Enthusiasmus für eines der wichtigsten europäischen Projekte der letzten 20 Jahre deutlich geschwunden. 81,4 % der EU-Bürgerinnen und -Bürger geben nun an, der Euro habe zu Preissteigerungen geführt.

2.3

Bis zur Einführung des Euro entsprach die Entwicklung der von den Verbrauchern gefühlten Inflation in etwa dem HVPI. Seit 2002 war dies nicht mehr der Fall, und 2003 war die Differenz am größten, bevor sie sich erst wieder etwas verringerte und dann ab 2006 erneut größer wurde. Seit Ende 2004 hat sich die gefühlte Inflation auf einem höheren Niveau als 2001 stabilisiert.

Image

2.4

In den meisten der 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten stieg die reale Inflation bei Aufnahme in die EU und sogar schon davor im Jahr 2003, was auf die Erhöhung der indirekten Steuern und der staatlich festgesetzten Preise — insbesondere für Agrarprodukte — zurückzuführen war. In einer Reihe von Ländern ist sie danach wieder gefallen. Die gefühlte Inflation ist jedoch schneller gestiegen. Lediglich in Tschechien ist die gefühlte Inflation laut Daten von Anfang 2008 geringer als die reale Inflation.

2.5

Betrachtet man den Fall Sloweniens, das als erstes dieser Länder die gemeinsame Währung eingeführt hat, stellt man ebenfalls fest, dass die gefühlte Inflation im Jahr 2007 im Zuge der Euro-Bargeldeinführung in die Höhe geschnellt ist und dass dieser Sprung nach oben durch die vorweggenommenen Preissteigerungen in den zwei Jahren vor der Euro-Einführung vorbereitet wurde.

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2.6

Die hier beschriebenen Zweifel der Bevölkerung am Euro stehen in deutlichem Kontrast zu der Einschätzung der Regierungen — auch jener von Nicht-EU-Staaten: Laut IWF ist der Euro-Anteil an den internationalen Währungsreserven von ca. 18 % im Jahr 1999 auf etwa 25 % im Jahr 2004 gestiegen, wobei in den Schwellenländern ein noch stärkerer Anstieg zu verzeichnen ist. Auch die Tatsache, dass 37 % der weltweiten Devisengeschäfte sowie zwischen 41 % und 63 % der Importe/Exporte in Euro abgewickelt werden, ist ein klares Zeichen für den Erfolg der gemeinsamen Währung.

2.7

In dieser Stellungnahme sollen die Preisentwicklung und die Gründe für die Unterschiede zwischen der von weiten Teilen der Bevölkerung gefühlten und der realen Inflation nachvollziehbar dargestellt und gegebenenfalls Empfehlungen ausgesprochen werden.

3.   Preisentwicklung in der Eurozone und in den drei Ländern, die nicht Mitglied der Eurozone sind

3.1

Viele Europäerinnen und Europäer sind der Ansicht, dass der Euro zu einer Preissteigerung geführt hat. Wäre dies jedoch der Fall, so würde die Inflation in der Eurozone und in den anderen Ländern unterschiedliche Merkmale aufweisen. Nun haben sich die Preise in der Eurozone aber ähnlich wie in den drei Ländern (Dänemark, Vereinigtes Königreich, Schweden) entwickelt, die die einheitliche Währung nicht eingeführt haben.

3.1.1

Die Korrelationsmatrix zeigt, inwieweit Ähnlichkeiten zwischen den Preisentwicklungen im Euro-Währungsgebiet und den drei anderen Ländern einerseits und zwischen den einzelnen Ländern andererseits bestehen. Die Zahlen in jeder Zelle variieren zwischen 0 (keine Korrelation) und 1 (perfekte Korrelation).

Korrelationsmatrix 2000-2002

 

Eurozone

Dänemark

Schweden

Vereinigtes Königreich

Eurozone

1,00

0,52

0,67

0,67

Dänemark

 

1,00

0,35

0,47

Schweden

 

 

1,00

0,47

Vereinigtes Königreich

 

 

 

1,00

Korrelationsmatrix 2002-2004

 

Eurozone

Dänemark

Schweden

Vereinigtes Königreich

Eurozone

1,00

0,29

0,78

0,80

Dänemark

 

1,00

0,34

0,40

Schweden

 

 

1,00

0,75

Vereinigtes Königreich

 

 

 

1,00

Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen.

3.1.2

Die Korrelation zwischen der Inflation in der Eurozone und im Vereinigten Königreich und in Schweden hat sich nach der Einführung des Euro gefestigt. Bei Dänemark ist das Gegenteil zu beobachten. Es ist jedoch festzustellen, dass die Korrelation zwischen den in Dänemark und im Vereinigten Königreich erhobenen Preisen sinkt und die Korrelation zu den schwedischen Preisen stabil bleibt, aber geringer ist.

3.1.3

Außerdem fällt auf, dass mit Ausnahme der Korrelation zwischen Dänemark und dem Vereinigten Königreich die drei nicht der Eurozone angehörenden Länder eine stärkere Korrelation zur Eurozone aufweisen als untereinander!

3.2

Dies zeigt, dass die Preisentwicklung im Eurogebiet nicht auf den Euro zurückgeführt werden kann, da sie in den Ländern, die die einheitliche Währung nicht eingeführt haben, ähnlich verlaufen ist.

3.3

In der nachstehenden Tabelle werden die 12 großen Waren- und Dienstleistungskategorien (individueller Verbrauch nach Verwendungszweck) aufgeführt, die in die Berechnung des HVPI einfließen. Der Tabelle ist ihre jeweilige Gewichtung und die Preissteigerung in den beiden Jahren vor bzw. nach der Einführung des Euro zu entnehmen. Es ist festzustellen, dass auf dieser Ebene nur drei Kategorien eine deutliche Preissteigerung aufweisen (alkoholische Getränke und Tabak, bei denen sich die Preiserhöhung mit höheren Abgaben erklären lässt; Gesundheit und Verkehr). Dies schließt nicht aus, dass in kleinerem Rahmen eine Erhöhung zu verzeichnen war (z.B. die Mieten, die von + 1,5 % im Zeitraum 2000 bis 2002 auf 2 % im Zeitraum 2002 bis 2004 gestiegen sind).

Eurozone

2000-2002

2002-2004

Preissteigerung

Durchschnittliche Gewichtung 2000-2004

cp00 Gesamt-HVPI

2,31

1,99

 

 

cp01 Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke

4,47

1,50

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157,91

cp02 Alkoholische Getränke, Tabak und Betäubungsmittel

3,11

5,42

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39,71

cp03 Bekleidung und Schuhe

0,64

-0,09

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75,87

cp04 Wohnung, Wasser, Elektrizität, Gas und andere Brennstoffe

2,81

2,19

Image

154,96

cp05 Möbel, Hausrat und laufende Instandhaltung des Hauses

1,68

1,12

Image

79,84

cp06 Gesundheit

1,59

4,93

Image

36,04

cp07 Verkehr

1,49

2,51

Image

153,67

cp08 Nachrichtenübermittlung

-5,07

-0,73

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28,23

cp09 Freizeit und Kultur

1,22

0,10

Image

98,10

cp10 Bildungswesen

3,46

3,49

Image

9,21

cp11 Hotels, Cafés und Restaurants

3,69

3,23

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91,25

cp12 Sonstige Waren und Dienstleistungen

2,86

2,53

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75,25

Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen.

4.   Gründe für den Unterschied zwischen der gefühlten und der ermittelten Inflation

4.1   Sozioökonomische Erklärungen

4.1.1

Die Einführung des Euro erfolgte in den Monaten nach dem 11. eptember in einem weltweiten Klima der Unsicherheit, auch der wirtschaftlichen Unsicherheit. Dies wurde durch die sich verschlechternde Wirtschaftslage noch verstärkt; dieser Zeitraum stand in starkem Gegensatz zu 1999 und 2000, als die Wirtschaft ein außergewöhnliches Wachstum verzeichnete.

4.1.2

Einer der wichtigsten Gründe für diese anhaltende Diskrepanz zwischen der gefühlten und der ermittelten Inflation ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: die Häufigkeit, mit der die verschiedenen Waren und Dienstleistungen erworben werden, die in die Berechnung des HVPI einfließen, die Entwicklung ihres Preises und die Bedeutung, die die Verbraucher ihnen beimessen.

4.1.2.1

Mit der nachfolgenden Tabelle sollen diese Faktoren objektiviert werden, indem alle Indikatoren des HVPI in fünf „Gattungen“ unterteilt werden: Waren und Dienstleistungen, die regelmäßig erworben werden (mindestens einmal pro Monat), diejenigen, die weniger häufig erworben werden, und diejenigen, bei denen die Häufigkeit des Kaufs je nach Person und Umständen variieren kann. Außerdem wird bei den ersten beiden Kategorien danach unterschieden, ob die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen einer starken (inter)nationalen Konkurrenz unterliegen.

4.1.2.2

Es zeigt sich ganz deutlich, dass die Waren und Dienstleistungen, die nur einem geringen Wettbewerbsdruck unterliegen, in den Jahren 2000-2007 erheblich schneller als die durchschnittliche Inflation angestiegen sind (+ 2,12 %). Die Tabelle bestätigt außerdem, dass die Preise der seltener gekauften und starker Konkurrenz unterliegenden Waren erheblich zu einer Mäßigung der Inflation (+ 0,37 %) beigetragen haben, da sie einen großen Anteil an der Inflation haben (mit einem Gewicht von 27 %, gleich nach der Gattung „regelmäßiger Kauf/schwache Konkurrenz“ mit 34 %).

Indikatorkategorien

Konkurrenz

% jährliches Wachstum 2000-7

Beitrag zum HVPI

Gewicht innerhalb des HVPI

Regelmäßiger Kauf

schwach

2,34

0,92

339,40

stark

2,00

0,06

28,80

Unregelmäßiger Kauf

schwach

2,91

0,51

204,70

stark

0,37

0,26

269,10

Häufigkeit variiert

-

2,38

0,37

157,88

HVPI

 

2,12

2,12

1000,00

Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen.

4.1.2.3

Die Rolle des unregelmäßigen Kaufs bei starker Konkurrenz spiegelt die Tendenzen des internationalen Handels und seiner strukturellen Veränderungen wider. 1995 kamen zwei Drittel der aus Ländern außerhalb des Eurogebiets stammenden Einfuhren von Industrieerzeugnissen aus Ländern mit hohen Kosten. 2005 war ihr Anteil auf 50 % gesunken. Dieser Rückgang ist dem Vereinigten Königreich, Japan und den USA zuzuschreiben, während der Anteil der Schwellenländer und — in geringerem Maße — der neuen Mitgliedstaaten gestiegen ist. Auch die Wechselkursentwicklungen haben möglicherweise die Handelsbeziehungen mit den Handelspartnern der Eurozone belebt bzw. gebremst.

Anteil der Länder(Gruppen) an den Einfuhren in die Eurozone

 

Hochkostenländer

darunter

Niedrigkostenländer

darunter

Vereinigte Staaten

Japan

Vereinigtes Königreich

China

Neue EU-Mitgliedstaaten

1995

65,7

16,1

10,7

20,3

34,3

5,0

8,0

1997

65,2

17,7

9,6

21,2

34,8

5,8

8,4

1999

64,1

18,4

9,8

19,6

35,9

6,3

9,8

2001

60,2

18,1

8,5

18,6

39,8

7,9

11,6

2003

55,1

15,1

7,8

16,6

44,9

11,0

14,0

2005

50,7

13,9

6,7

15,0

49,3

14,8

13,1

Veränderung 1995-2005

-15,0

-2,2

-4,0

-5,3

15,0

9,8

5,1

Quelle: Europäische Zentralbank, Monatsbericht, August 2006.

4.1.3

Seit 2002 ist eine viel stärkere Preisvolatilität zu beobachten als in den Jahren vor der Euro-Bargeldeinführung.

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4.1.4

Das Einkommensniveau der Haushalte erklärt auch ihre Wahrnehmung der Preisentwicklung. Darüber hinaus kann die unterschiedliche Wahrnehmung innerhalb der Bevölkerung durch die zunehmende Zahl von Singlehaushalten mit einem einzigen Gehalt/Einkommen zur Bestreitung sämtlicher Ausgaben verstärkt werden. Die Lage ist besonders für Haushalte mit Kindern, Einkommensschwache, Geringqualifizierte, Frauen (die im Hinblick auf Gehalt und Beschäftigung noch immer diskriminiert werden) sowie Arbeitnehmer mit flexiblem Arbeitsvertrag schwierig.

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4.1.5

Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Merkmale der Waren und Dienstleistungen, aus denen sich der HVPI zusammensetzt, von einem Jahr zum andern ändern können. Sie können eine Verbesserung der Qualität widerspiegeln, ohne dass sich der Preis geändert hätte. Da der Index aber solchen Veränderungen keine Rechnung trägt, wirkt sich dies im Index als eine Preissenkung aus (was jedoch nicht ausschließt, dass die Waren/Dienstleistungen in ihrer früheren Form schon gar nicht mehr im Handel sind. Die Preissenkung ist dann nur theoretisch und entspricht nicht der Wirklichkeit). Der EZB zufolge haben die Waren, deren Qualität sich deutlich und häufig verbessert, einen Anteil an den Ausgaben von schätzungsweise 8-9 % des HVIP (Pkw, Computer, Handys usw.).

4.1.6

Außerdem sind die Praktiken bestimmter Einzelhändler und der Unternehmen zu erwähnen, die von der Einführung des Eurobargelds profitiert haben, um die Preise missbräuchlich nach oben aufzurunden (Mieten), wobei sich gewisse Zusatzkosten jedoch damit rechtfertigen lassen, dass Maßnahmen zur Umetikettierung usw. ergriffen werden mussten oder Preiserhöhungen nicht direkt weitergegeben, sondern bis zur Umstellung auf den Euro verschoben wurden, um „zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen“. Schätzungen von Eurostat zufolge trug im Jahr 2002 die Umstellung auf den Euro mit 0,12 bis 0,29 Prozentpunkten zum Gesamt-HVPI im Eurogebiet bei.

4.1.7

Schließlich fiel die Euro-Umstellung mit einigen punktuellen Ereignissen zusammen, die in keinem Zusammenhang mit der einheitlichen Währung standen und zu einer Erhöhung der gefühlten Inflation beitrugen. Dies gilt für die starke Verteuerung des Erdöls (+ 35 % zwischen Dezember 2001 und April 2002) und die schlechten Ernten infolge des strengen Winters in Europa, die sich auch auf die Wirtschaft außerhalb der Eurozone ausgewirkt haben.

4.2   Psychologische Erklärungen

4.2.1

Die Verbraucher reagieren unabhängig vom betroffenen Produkt möglicherweise empfindlicher auf Preiserhöhungen als auf Preissenkungen, was noch verstärkt wurde durch den Sprung ins Ungewisse, den die einheitliche Währung bedeutete, das Misstrauen, das angesichts der vielen unterschiedlichen Preisauszeichnungen für ein und dasselbe Produkt nach der Umstellung auf den Euro geweckt wurde, und die Höhe der Ausgaben für die Waren und Dienstleistungen, die sich verteuert hatten (Miete, Nahrungsmittel, Benzin).

4.2.2

Da die Ausgaben für Eigentumswohnungen in Eigennutzung nicht in den HVPI-Warenkorb eingehen, lässt sich der große Unterschied zwischen gefühlter und realer Inflation durch den starken Anstieg der Immobilienpreise in einigen Ländern erklären.

4.2.3

Darüber hinaus nehmen die Verbraucher, die den Euro-Preis eines Produkts, das sie kaufen möchten, in die ehemalige nationale Währung umrechnen, den Preis als Bezug, der vor der Einführung des Euro galt. Dies führt zu einer Verzerrung, denn der alte Preis ist auch aufgrund der Inflation nicht mehr aktuell (3).

4.2.4

Festzuhalten gilt es ferner, dass viele Verbraucher und sogar Marktbeobachter die Kaufkraftentwicklung mit den steigenden Erwartungen an den Lebensstandard verwechseln. Nun zeigen zahlreiche Indizes tendenziell, dass die Lebensstandard-Erwartungen der Verbraucher noch stärker als bisher hochgeschraubt werden durch häufige technologische Veränderungen, neue Produkte oder Dienstleistungen (die zu normalen Verbrauchsgütern werden), ein immer ausgeklügelteres Marketing und eine sehr rasche Verbreitung des vom sozialen Druck diktierten Konsumverhaltens. Beim Kauf eines Satellitennavigationssystems, der zu anderen Verbrauchsgütern hinzukommt, oder von gewaschenem und tafelfertigem Gemüse an Stelle von normalem Gemüse, haben die Verbraucher z.B. den Eindruck einer geringeren Kaufkraft, während die Produkte jedoch deshalb die Haushaltskasse belasten, weil die Erwartungen schneller steigen als die Einkommen.

4.3   Methodische Erklärung

4.3.1

Hier geht es nicht darum, die Gültigkeit des HVPI in Frage zu stellen, der auf monatlichen Beobachtungen und Messungen der nationalen Statistikämter zu mehr als 700 repräsentativen Waren und Dienstleistungen beruht, was nahezu 1,7 Mio. Beobachtungen an 180 000 Verkaufspunkten pro Monat entspricht.

4.3.2

Doch ist darauf hinzuweisen, dass der harmonisierte Verbraucherpreisindex Ergebnis bestimmter Konventionen ist, in erster Linie im Hinblick auf (1) die Auswahl der Waren und Dienstleistungen, die als Indikatoren dienen und in die Berechnung des Indexes einfließen, und (2) ihre Gewichtung.

4.3.3

Wie aus der Tabelle hervorgeht, schwankt die Ausgabenstruktur der Haushalte jedoch je nach ihrem Einkommen. Die stärksten Schwankungen sind bei den tatsächlich gezahlten Mieten zu verzeichnen, für die die 20 % der ärmsten Haushalte im Vergleich zu den reichsten 20 % fünf- bis sechsmal mehr ausgeben. Dies lässt sich damit erklären, dass Letztere Eigentümer und Mieter sind. Deshalb nehmen sie die Entwicklung der Immobilienpreise unterschiedlich wahr. Die ärmsten Haushalte geben außerdem 81 % ihres Einkommens mehr für Lebensmittel und nichtalkoholische Getränke aus, weshalb sie sensibler auf Erhöhungen der Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt reagieren. Die reichsten Haushalte geben 67 % mehr für Neufahrzeuge aus als Haushalte des ersten Quintils. Da die Preise der Neufahrzeuge im Zeitraum 2000-2008 deutlich langsamer gestiegen sind als der HVPI, spüren sie diese positive Entwicklung deutlich.

Eurozone — HVPI = 1000

(Jahr: 2005)

% durchschnittliches jährliches Wachstum

(2000-2008; HVPI = 2,3)

1. Quintil

5. Quintil

Differenz zwischen 1. und 5. Quintil (%)

Durchschnittliche Verbraucherausgaben (KKS)

Gewicht innerhalb des HVPI

Differenz

cp01 Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke

2,5

195

108

80,6

143,3

154,91

11,6

cp02 Alkoholische Getränke, Tabak und Betäubungsmittel

4,1

29

17

70,6

21,4

40,71

19,3

cp03 Bekleidung und Schuhe

1,4

54

62

-12,9

60,3

74,20

13,9

cp04 Wohnung, Wasser, Elektrizität, Gas und andere Brennstoffe

3,1

325

251

29,5

278,9

150,50

-128,4

darunter: cp041 Tatsächlich gezahlte Mieten

1,9

134

24

458,3

53,8

63,50

9,7

cp042 Unterstellte Mieten

-

106

151

-29,8

143,9

 

-

cp05 Hausrat und laufende Instandhaltung des Hauses

1,3

41

69

-40,6

56,8

76,5

19,7

cp06 Gesundheit

2,5

31

42

-26,2

35,7

41,67

5,9

cp07 Verkehr

2,8

92

146

-37,0

125,6

153,31

27,7

darunter: cp071 Ankauf von Fahrzeugen

1,2

23

70

-67,1

48,1

47,93

-0,1

cp08 Nachrichtenübermittlung

-2,7

37

24

54,2

28,6

29,19

0,6

cp09 Freizeit und Kultur

0,6

64

90

-28,9

83,0

94,66

11,7

cp10 Bildungswesen

4,0

7

10

-30,0

8,7

9,49

0,8

cp11 Hotels, Cafés und Restaurants

3,2

42

67

-37,3

55,2

93,19

38,0

cp12 Sonstige Waren und Dienstleistungen

2,3

85

113

-24,8

102,5

81,67

-20,8

darunter: cp121 Körperpflege

1,9

27

25

8,0

26,1

26,36

0,2

cp125 Versicherungen

2,5

44

63

-30,2

55,2

18,60

-36,6

Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen.

4.3.3.1

Die nachstehende Tabelle zeigt die unterschiedlichen Inflationsraten für die Bevölkerungsgruppen am oberen und am unteren Rand der Einkommensskala in Abhängigkeit von ihrem Verbraucherprofil und für den Zeitraum seit 1996. In sechs der letzten zwölf Jahre lag die von den ärmsten Menschen zu tragende Preissteigerungsrate über der Inflation, der die Reichsten ausgesetzt waren, umgekehrt war das nur in drei Jahren der Fall. In weiteren drei Jahren gab es keine nennenswerten Unterschiede.

Image

4.3.3.2

Neben diesem strukturbedingten Effekt ist es offenbar so, dass in Zeiten galoppierender Nahrungsmittelrohstoffpreise die ärmsten Haushalte, die günstige Marken oder bei Discountern einkaufen, noch härter von der Inflation betroffen sein werden, weil bei Lebensmitteln der Anteil der Nahrungsmittelrohstoffe am Verbraucherpreis höher ist (im Gegenzug ist der Kostenanteil für Verpackung, Marketing usw. geringer).

4.3.3.3

Überdies können die ärmsten Haushalte die Auswirkungen der gestiegenen Preise auf ihr Budget nicht auffangen, da sie strukturbedingt nur eine geringe Sparquote haben und ungleich mehr Schwierigkeiten beim Zugang zu Krediten. Sie laufen zudem Gefahr, sich zu überschulden und so in eine Schuldenfalle zu geraten.

4.3.3.4

Diese Feststellung gilt auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten. In der nachstehenden Tabelle ist dargestellt, dass die Haushalte unterschiedliche Teile ihres Einkommens für die verschiedenen Kategorien von Gütern und Dienstleistungen ausgeben, und zwar je nach geografischer Lage (eine Insellage bedingt höhere Transportkosten), nach sozioökonomischem Entwicklungsstand (Familien in Rumänien und Bulgarien geben drei Mal mehr für Nahrungsmittel aus als Familien in anderen Ländern) usw. Die beiden letzten Spalten zeigen, inwieweit die Ausgaben zwischen den Ländergruppen oder innerhalb der Eurozone schwanken (je geringer der Variationskoeffizient desto geringer die Abweichungen in den Ausgaben). Die Länder der Eurozone weisen zwar große Ähnlichkeiten auf, bei den anderen Ländergruppen ist das aber weniger der Fall. Das veranschaulicht die begrenzte Aussagekraft des HVPI, der auf gewichteten Durchschnittswerten beruht, die per Definition nicht die besondere Situation der einzelnen Länder wiedergeben können. Wegen der währungs- und inflationspolitischen Auswirkungen sollten die Länder, die der Eurozone beitreten, dies nicht unterschätzen.

 

Eurozone

(außer Lux)

3 alte MS außerhalb der Eurozone

Neue MS außerhalb der Eurozone

(außer Zypern, Malta und Slowenien)

Zypern, Malta

Rumänien Bulgarien

Variationskoeffizient zwischen den Gruppen

Variationskoeffizient innerhalb der Eurozone

Wohnung, Wasser, Elektrizität, Gas und andere Brennstoffe

26,11

30,57

22,86

15,33

25,15

0,23

0,10

Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke

14,24

11,06

25,85

18,17

37,88

0,50

0,18

Transport

12,94

13,82

10,22

15,60

5,73

0,33

0,16

Sonstige Waren und Dienstleistungen

10,14

7,65

6,25

6,89

3,07

0,38

0,29

Freizeit und Kultur

8,65

12,33

6,98

8,02

3,54

0,40

0,32

Hotels, Cafés und Restaurants

6,21

5,27

3,97

7,68

2,34

0,40

0,35

Alkoholische Getränke, Tabak und Betäubungsmittel

2,61

2,56

3,05

2,32

4,78

0,32

0,40

Möbel, Hausrat und laufende Instandhaltung des Hauses

5,77

6,34

5,00

8,30

3,39

0,31

0,13

Bekleidung und Schuhe

5,70

4,92

6,02

8,04

4,66

0,23

0,21

Gesundheit

3,53

2,12

3,54

3,89

4,07

0,22

0,44

Kommunikation

3,06

2,73

5,21

3,16

4,72

0,29

0,17

Bildung

1,05

0,63

1,05

2,59

0,66

0,68

0,61

Anmerkung: keine Daten für Luxemburg verfügbar.

4.3.4

Ebenso besteht zuweilen ein erheblicher Unterschied zwischen der durchschnittlichen Struktur der Verbraucherausgaben und der Gewichtung der Indikatoren im HVPI. So haben die Haushalte im Euro-Währungsgebiet durchschnittlich 27,5 % ihres Einkommens für Wohnraum, Wasser und Energie ausgegeben, aber diese Rubrik macht nur 16,3 % des HVPI aus. Auch das Gesundheitswesen und die Versicherungen sind zu schwach gewichtet. Andererseits werden die Nahrungsmittel, der Verkehr und der Posten „Hotels, Cafés und Restaurants“ im HVPI zu stark gewichtet.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wirkung und Folgen der Strukturpolitik für den Zusammenhalt in der EU“, ABl. C 10 vom 15.1.2008, S. 96, Ziffer 1.14.

(2)  Siehe die von der Nationalbank Belgiens im Auftrag der belgischen Regierung erstellte Analyse der Inflationsentwicklung in Belgien: Banque Nationale de Belgique „L'évolution de l'inflation en Belgique: une analyse de la Banque nationale de Belgique réalisée à la demande du gouvernement fédéral“, Revue économique, 2008, S. 17.

(3)  Beispiel: Ich beabsichtige, Ende 2002 ein Auto zu kaufen, und erinnere mich, dass es vor einem Jahr 100 gekostet hätte. 100 ist mein heutiger Bezugspunkt, seitdem ist aber die am HVPI gemessene Inflationsrate auf 2,2 gestiegen, ich müsste mich also bei dem Preis auf 102,2 und nicht auf 100 beziehen. Wenn ich dieses Vorhaben 2007 durchführen wollte, wäre die Differenz noch größer, denn der Preis beliefe sich auf 114!


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/140


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle der Zivilgesellschaft im Rahmen der EU-Programme für Heranführungshilfe in der Republik Albanien“

(2009/C 27/28)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 9 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die Rolle der Zivilgesellschaft im Rahmen der EU-Programme für Heranführungshilfe in der Republik Albanien“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 12. Juni 2008 an. Berichterstatterin war Frau FLORIO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10 Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 122 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Stabilität, Frieden, Entwicklung und Integration der gesamten westlichen Balkanregion sind für die Gegenwart und Zukunft Europas von grundlegender Bedeutung. Im Laufe der Jahre wurde jedoch immer deutlicher, dass die Europäische Union ihre Politik gegenüber den Ländern dieser Regionen intensivieren muss.

1.2

Albanien sollten sich die EU-Institutionen aufgrund seiner geografischen Lage als Mittelmeeranrainer und seiner Bedeutung für das mitunter labile Gleichgewicht in der Region in besonderem Maße zuwenden. Die Partnerschaft Europa-Mittelmeer bildet seit mehr als 10 Jahren das Kerngerüst für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und ihren Partnern im südlichen Mittelmeerraum mit dem Ziel einer langfristigen Stabilität in dieser Region. Albanien nimmt seit Anfang November 2007 an dieser Partnerschaft teil.

1.3

Die Europäische Union plant eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen, demokratischen und sozialen Entwicklung der albanischen Institutionen. Auch die Gebietskörperschaften und die Zivilgesellschaft sind Zielgruppe von Programmen zur Förderung der Mitwirkung und Einbeziehung der Bürger in den europäischen Integrationsprozess.

1.4

Der EWSA möchte in dieser Initiativstellungnahme die Rolle der Zivilgesellschaft und die Notwendigkeit einer Beobachtung der erzielten Fortschritte und der Hindernisse verdeutlichen, die in Albanien weiterhin der Stärkung der demokratischen Institutionen und ihrer besseren Verflechtung mit den EU-Politiken im Wege stehen.

1.5

Eine dreiköpfige EWSA-Delegation, in der die 3 Gruppen des Ausschusses vertreten sind, ist am 31. März/1. April zu einem Informationsbesuch nach Tirana in Albanien gereist. Bei dieser Gelegenheit konnte sie zahlreiche Vertreter von Vereinigungen und Organisationen der albanischen Zivilgesellschaft treffen; der Dialog mit ihnen war bemerkenswert konstruktiv und ist in die Ausarbeitung dieser Stellungnahme eingeflossen.

2.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

2.1

Die Rolle der Zivilgesellschaft in allen ihren Ausprägungen ist für die demokratische und bürgerliche Entwicklung jeden Landes von vitaler Bedeutung (1). Dies gilt einmal mehr für ein Land wie das geopolitisch so wichtige Albanien, das in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte bei der Konsolidierung der demokratischen Institutionen und der Integration mit den EU-Institutionen und westlichen Organisationen (NATO) gemacht hat.

2.2

Eine Beobachtung der von den Regierungen ergriffenen politischen Maßnahmen und eine tatkräftige Unterstützung der Bürger für eben diese Maßnahmen sind unverzichtbare Elemente für einen sozialen Fortschritt im Zeichen von Inklusion und Demokratie.

2.3

Der EWSA stellt somit fest, dass das Delegationsbüro der Europäischen Kommission in Albanien den Tätigkeiten der Zivilgesellschaft insgesamt als eine Priorität seiner eigenen Tätigkeit mehr Aufmerksamkeit widmen und Mittel zukommen lassen sollte. Diese Tätigkeit sollte in den ländlichen und weniger entwickelten Gebieten des Landes intensiviert werden.

2.4

Da verschiedene internationale Akteure im Rahmen unterschiedlicher Projekte die Tätigkeit der Zivilgesellschaft in Albanien unterstützen und das soziale Netz in Albanien einige objektive Schwierigkeiten und Besonderheiten aufweist, ist die Art und Weise, wie sich die EU mit den Gegebenheiten vor Ort auseinandersetzt, von erheblicher Bedeutung. Vor allem der Zugang zu Finanzierungen sollte künftig an Anforderungen geknüpft werden, die solche Organisationen besonders begünstigen, die klare zeitliche Zielsetzungen haben, und Vereinigungen, die eine echte Repräsentanz und Repräsentativität der Bürger aufweisen.

2.5

In einer im Wandel befindlichen Gesellschaft ist der soziale Dreiparteiendialog von grundlegender Bedeutung. Begrüßenswert sind die seit 1996 erfolgten Fortschritte, wie z.B. die Einrichtung des Nationalen Rats für Arbeit; gleichwohl gibt es bislang Schwierigkeiten in der Funktionsweise dieses Organs. Vonnöten sind Transparenz, Mitwirkung und Einbeziehung der beteiligten Akteure, die gleichzeitig auch repräsentativ sein sollten und in die Verantwortung genommen werden müssen. Die Treffen des Rates sollten in regelmäßigen Abständen stattfinden, auf seiner Tagesordnung sollten alle für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes vorrangigen Themen stehen und es sollte Diskussionen geben, die reale Auswirkungen auf das Handeln der Regierung haben.

2.6

Gleichzeitig gilt es, die Rolle des zivilen Dialogs im Rahmen der Stärkung der demokratischen Teilhabe der albanischen Bevölkerung neu anzukurbeln. Die Europäische Union kann bei der beruflichen Ausbildung der zivilgesellschaftlichen Akteure insgesamt eine wichtige Rolle spielen und dabei Organisationen besonders begünstigen, die konkret im sozialen Gefüge Albaniens tätig sind.

2.7

Der EWSA verpflichtet sich, in Anbetracht des raschen Entwicklungsprozesses und unter Bekräftigung der Bedeutung des Landes für die Stabilität der gesamten Region die Beobachtung und Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Albanien weiterzuführen.

2.8

Wie in den Schlussfolgerungen des 2. Forums der westlichen Balkanstaaten (Ljubljana 4./5. Juni 2008) zu lesen ist, könnte auch in Albanien die Einsetzung eines Gemischten Beratenden Ausschusses den Bedürfnissen der Zivilbevölkerung Ausdruck verleihen und gleichzeitig einen starken Bezug zwischen diesen Organisationen und den EU-Institutionen schaffen. Darüber hinaus könnte der EWSA im Zuge seines Wirkens im Balkanraum auch die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen in diesen Ländern fördern, indem Albanien vollkommen einbezogen wird.

2.9

Die europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft sind von grundlegender Bedeutung für die Einbeziehung der albanischen Organisationen und ihre Unterrichtung über die gemeinschaftlichen Politiken und Programme.

3.   Die Handlungsinstrumente der Europäischen Union in Albanien

3.1

Der EU-politische Gesamtrahmen gegenüber den Westbalkanländern ist geprägt vom Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess, an dem auch Albanien beteiligt ist.

3.2

Der Europäische Rat hat im Januar 2006 eine Europäische Partnerschaft mit Albanien gebilligt, die eine Reihe aufeinander folgender kurz- und mittelfristiger Prioritäten vorsieht. In der Folge haben die albanischen Behörden im Juli 2006 einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Empfehlungen der Europäischen Partnerschaft verabschiedet. Die Regierung überarbeitet derzeit den Aktionsplan aus dem Jahr 2006, um die Europäische Partnerschaft für 2008 umsetzen zu können. Albanien hat am 12. Juni 2006 ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) unterzeichnet, durch das es in einen Rahmen gemeinsamer Verpflichtungen in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Politik eingebunden ist und das gleichzeitig die regionale Zusammenarbeit fördert.

3.3

Im Zeitraum 2001 bis 2007 wurde die Zusammenarbeit mit Albanien von der Europäischen Kommission hauptsächlich aus dem Programm CARDS (Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilisation) finanziert, das fünf Hauptaktionsbereiche vorsah:

Demokratische Stabilisierung: Durch Mikroprojekte wird die Entwicklung der Zivilgesellschaft und der NRO unterstützt, die sich für die Achtung der Menschenrechte, Sozialrechte und politischen Rechte einsetzen; vorgesehen sind auch Maßnahmen zur Stärkung der Wahlsystems;

Justiz und Inneres: Unterstützung der Reformen des Rechts-, Verwaltungs- und Polizeisystems. Angestrebt wird die integrierte Verwaltung der See- und Landgrenzen durch Unterstützung der Grenzpolizei;

Capacity buiding: in der Verwaltung durch Programme zur Reform des Steuer- und Abgabensystems, für die öffentliche Auftragsvergabe, die Erhebung und Verwaltung statistischer Daten;

wirtschaftliche und soziale Entwicklung: Erleichterung des Handels und Entwicklung lokaler Gemeinschaften. Unterstützt werden ferner das Tempus-Programm und die Förderprogramme für die Ausbildung und höhere Bildung;

Umwelt und natürliche Ressourcen: Unterstützungsmaßnahmen für Umweltvorschriften in der Stadt- und Regionalplanung. Außerdem werden die Programme für Wasser- und Luftqualität und Abfallentsorgung gefördert.

Schwerpunkt des CARDS-Programms war zunächst der materielle Wiederaufbau, während es sich später auf eine bessere Funktionsweise der öffentlichen Verwaltung konzentrierte, um die Prioritäten der Europäischen Partnerschaft und die Anforderungen für die Umsetzung des SAA zu erfüllen. Im Zeitraum 2001-2006 wurden für Albanien im Rahmen von CARDS insgesamt 282,1 Millionen Euro bereit gestellt (2).

3.4

Im Januar 2007 wurde das CARDS-Programm in Folge der Reform der EU-Beihilferegelungen und der entsprechenden Änderungen durch das neue Instrument für Heranführungsbeihilfe (IPA — Instrument for Pre-Accession Assistance) ersetzt; dieses Instrument soll in erster Linie die Beihilfeinstrumente für die Kandidatenländer und potenziellen Kandidatenländer in einem einzigen Programm zusammenfassen. Im Mai 2007 wurde im Rahmen der IPA das Multiannual Indicative Planning Document 2007-2009 (MIPD — indikatives Mehrjahresplanungsdokument) für Albanien angenommen, das dem Land insgesamt 212,9 Mio. EUR zur Verfügung stellt.

3.5

Ein Abkommen über die Erleichterung der Visumsregelungen wurde im September 2007 zwischen der EU und Albanien unterzeichnet und dürfte bis Mitte 2008 in Kraft treten, sobald alle Voraussetzungen erfüllt sein werden. Dadurch dürfte der albanischen Bevölkerung das Reisen in der Union erleichtert werden.

3.6

Die Teilnahme Albaniens an dem Mitteleuropäischen Freihandelsabkommen (CEFTA) und am Stabilitätspakt für Südosteuropa und die Beteiligung der Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und der Europäischen Investitionsbank (EIB) tragen zur Schaffung eines Netzes von Maßnahmen unterschiedlicher Größenordnung für die Heranführung Albaniens an europäische Standards bei.

4.   Bemerkungen zur politischen und wirtschaftlichen Lage in Albanien

4.1

Das Wirtschaftswachstum ist in Albanien in Folge der dortigen Energiekrise unlängst leicht zurückgegangen. Der wichtigste Faktor zur Unterstützung der albanischen Wirtschaft sind nach wie vor die Überweisungen der vor allem nach Italien und Griechenland ausgewanderten Albaner. Auf die Landwirtschaft entfällt ein Drittel des BIP und die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 13,46 %, wobei die Schattenwirtschaft weiterhin schwer ins Gewicht fällt.

4.2

Die Diskrepanz zwischen den ärmeren und rückständigen ländlichen Gebieten im Norden und den städtischen Gebieten im Süden besteht weiterhin und prägt die Lage des Landes maßgeblich. Für diese Kluft gibt es auch ganz aktuelle Gründe, die in erster Linie mit den Balkan-Konflikten und den negativen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Auswirkungen (inklusive Embargos) im Zusammenhang stehen, von denen die Länder direkt oder indirekt betroffen waren.

4.3

Bei der Bekämpfung der in zahlreichen Wirtschafts- und Verwaltungsbereichen weit immer noch verbreiteten Korruption sind deutlichere Fortschritte erforderlich.

4.4

Alle im Parlament vertretenen Parteien sind sich einig, dass Anstrengungen unternommen werden müssen, um den europäischen Integrationsprozess zu beschleunigen, aber im Grunde gibt es keine effiziente Zusammenarbeit zwischen Mehrheit und Opposition bei der Durchführung der erforderlichen Reformen.

4.5

Im Rahmen des SAA-Interimsabkommens wurden in letzter Zeit bescheidene Forschritte im Justizsystem erzielt (die auch in der jüngsten Mitteilung der Europäischen Kommission zum westlichen Balkan erwähnt wurden (3)); gleichwohl sind dringend Maßnahmen im Bereich der Mediengesetzgebung und der Bekämpfung von Schwarzarbeit, Korruption, organisierter Kriminalität und Armut erforderlich. Die Kluft, die häufig zwischen den gesetzgeberischen Reformen und ihrer Umsetzung klafft, muss unbedingt beobachtet werden.

4.6

2009 finden allgemeine Wahlen statt. Es ist zu wünschen, dass das Wahlsystem und auch die für demokratische Wahlen erforderlichen Infrastrukturen bis dahin konsolidiert werden, wie etwa das Verzeichnis der Wahlberechtigten.

4.7

Die Tatsache, dass Albanien auf dem NATO-Gipfel in Bukarest vom 2. bis 4. April d.J. offiziell die NATO-Mitgliedschaft angeboten wurde, ist ein wichtiges Element im geopolitischen Rahmen und für den Prozess der Annäherung des Landes an die westlichen Institutionen.

5.   Die Rolle der Zivilgesellschaft auf dem Weg zur europäischen Integration

5.1

Die EU hat eine Strategie gestartet, die im Rahmen eines partizipativen Prozesses die Zivilgesellschaft, die lokalen Entscheidungsträger und die Geberländer einbeziehen möchte. Zu diesem Zweck wurde ein partizipativer Aktionsplan aufgestellt, der die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Erarbeitung des Mittelfristigen Ausgabenprogramms vorsieht, anhand dessen die Gewährung der Mittel in den einzelnen Sektoren entschieden wird.

5.2

Darüber hinaus wurden Gruppen zur Anhörung der Zivilgesellschaft in vier Schlüsselbereichen eingesetzt: Landwirtschaft, Bildung, Gesundheitswesen sowie Sozialfragen und Beschäftigung. Außerdem gibt es eine nationale Beratungsgruppe und ein technisches Sekretariat im Finanzministerium. Von großer Bedeutung sind die Projekte zur institutionellen Stärkung der lokalen Regierungsebenen, damit ihre Prozessteilnahme gefördert werden kann.

5.3

Die Einbeziehung der lokalen Gebietskörperschaften und der verschiedenen Akteure vor Ort ist für die Konsolidierung der Demokratie und die Kontrolle der Bürger über die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung von grundlegender Bedeutung. Und dies umso mehr in einem Land wie Albanien, das sich um Annäherung an europäische Parameter im Hinblick auf eine künftige EU-Vollmitgliedschaft bemüht.

5.4

Die Aktionen der albanischen Zivilgesellschaft werden durch eine begrenzte partizipative Demokratie erschwert. Die Rolle der internationalen Organisationen und jeweiligen Entwicklungshilfeprogramme ist ausschlaggebend für die Finanzierung der Tätigkeiten der zivilgesellschaftlichen Organisationen und Vereinigungen: diesem Aspekt muss bei der Annäherung an eine Gesellschaft, die Schritt um Schritt demokratische Institutionen aufbaut und stärkt, als allererstes Rechnung getragen werden. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass auch die USA, insbesondere mit Hilfe der Agentur USAID, in der albanischen Bevölkerung in Form von Entwicklungshilfeprogrammen sehr präsent sind.

5.5

Aus politischer Sicht muss die Unterstützung der Europäischen Union und der anderen internationalen Einrichtungen für die Erreichung der Standards im Hinblick auf eine vollständige Mitgliedschaft begleitet werden von dem konkreten und eigenständigen politischen Wunsch des albanischen Volkes und seiner Vertreter nach Reformen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage des Landes. In diesem Zusammenhang ist begrüßenswert, dass die albanische Regierung im jüngsten Haushaltsgesetz beschlossen hat, der Zivilgesellschaft 1 Mio. EUR zur Verfügung zu stellen. Es ist wünschenswert, dass die (bislang noch nicht beschlossenen) Funktionsweisen und Zuweisungsmodalitäten für diese Gelder wirklich transparent sind und wirksam überwacht werden.

5.6

Damit die Zivilgesellschaft ihre Rolle weiterentwickeln kann, muss der Dialog zwischen ihr und der Regierung, der immer noch zu dürftig und unfruchtbar ist, ausgebaut werden. Die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen in die legislativen Prozesse, und zwar sowohl in die Konzeption als auch in die Überwachung, ist mit Blick auf die Effizienz der Reformen und ihrer gesellschaftlichen Tragfähigkeit sinnvoll.

5.7

In Albanien sind viele Nichtregierungsorganisationen in verschiedenen Bereichen tätig: von den Rechten der Frauen, über die Verteidigung der Demokratie, die Förderung von Transparenz und des Leistungsprinzips in den Institutionen, bis hin zu den Forschungszentren, Verbraucherschutzorganisationen etc. Ihre Schwächen bestehen darin, dass die Meisten von ihnen in Tirana tätig sind, ohne dass sie das gesamte Landesgebiet abdecken, und dass ihr Einsatzgebiet mitunter zu groß ist, als dass man von wirklich effizientem Handeln und einer „professionellen“ Auffassung der Tätigkeit ausgehen könnte.

5.8

Während ihrer Informationsreise nach Albanien haben die EWSA-Mitglieder in der albanischen Zivilgesellschaft Phänomene beobachten können, die leider auch in vielen, Albanien in gewisser Hinsicht ähnlichen Ländern anzutreffen sind; so etwa die Gründung von Organisationen mit häufig sehr wenigen Mitgliedern und die überzogene „Professionalisierung“ der zivilgesellschaftlichen Akteure, die so weit geht, dass die Zivilgesellschaft den Marktregeln unterworfen wird.

5.9

Der Agrarsektor, auf den bislang ein Großteil des nationalen BIP entfällt und der immer noch viele Beschäftigte hat, muss immer noch den Preis der Privatisierungen (nach dem Programm der Weltbank) in den 90er Jahren zahlen, in deren Folge unzählige landwirtschaftliche Mikrobetriebe entstanden sind, die sich nur schwerlich organisieren, um gemeinsam für ihre Interesse einzutreten. Deshalb haben die Bauernverbände uns zugesagt, dass sie sich für eine Modernisierung des Wirtschafts- und Produktionssystems der albanischen Landwirtschaft stark machen.

6.   Der soziale Dialog

6.1

In Albanien sind der soziale Dialog und die Repräsentativität der Sozialpartner nicht so entwickelt wie in den Ländern der Europäischen Union. In den letzten Jahren war die Aufnahme eines konsolidierten sozialen Dialogs aufgrund der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lage nicht möglich.

6.2

Einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Regierung und Sozialpartnern (vor allem den Gewerkschaften) stehen noch viele Hindernisse im Wege, die ihren Höhepunkt im August 2007 gefunden hatten, als Justizbeamte in Begleitung von Polizeikräften die zwei Gewerkschaftsbunde aufgefordert haben, ihre seinerzeit angemieteten Räume zu verlassen. Die Gewerkschaften machen die Regierung für diese Entscheidung verantwortlich. Nach Ansicht des EWSA sollte in dieser Angelegenheit eine einvernehmliche Lösung gefunden werden in dem Bemühen, so bald wie möglich die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften und der Regierung zu verbessern und darauf hinzuwirken, dass sich jede Seite effizienter ihren Aufgaben widmet.

6.3

Die albanischen Gewerkschaften (4) fordern mehr Mitwirkung bei heiklen Themen, wie etwa die gegen die Preiserhöhungen zu ergreifenden Maßnahmen, die Bekämpfung der Korruption und der Schattenwirtschaft, die Reform des Energie- und des Erdölsmarktes und ihre Auswirkungen auf die Beschäftigung.

6.4

Die Unternehmensverbände sind zwar zersplittert und bislang wenig kooperativ, aber sie beklagen alle einen Mangel an Transparenz, Mitwirkung und Einbeziehung in den Gesetzgebungsprozess, insbesondere bei Maßnahmen, die die Wirtschaftstätigkeit betreffen. Von allen Akteuren des Dreiparteiendialogs wird die Einhaltung der Regeln und eine effektive Repräsentativität gefordert.

6.5

Das höchste Organ des Dreiparteiendialogs in Albanien ist der 1996 gegründete Nationale Rat für Arbeit. Diese Institution bemüht sich um die Harmonisierung der Interessen der verschiedenen Wirtschaftsakteure, um die Konflikte zu reduzieren und den sozialen Frieden zu wahren (5).

6.6

Im Laufe der letzten Jahre hat der Rat im Rahmen seiner Tätigkeit den Sozialpartnern Legitimität zuerkannt und auch auf einige wichtige Entscheidungen, vor allem im Bereich der Lohnpolitik, gewissen Einfluss nehmen können. Bei der Bewertung der Tätigkeit des Nationalen Rats für Arbeit muss auch der politischen Instabilität in Albanien, insbesondere Ende der 90er Jahre, Rechnung getragen werden, die sich in einem häufigen Wechsel der Arbeitsminister niedergeschlagen hat.

6.7

Die Arbeitnehmervertreter ebenso wie die Arbeitgebervertreter beklagen die Funktionsweise des Nationalen Rats für Arbeit, der ihres Erachtens keine kontinuierliche Arbeit macht und nicht das Recht hat, sich zu grundlegenden politischen Fragen zu äußern, wie etwa die Privatisierungs- und Finanzgesetze.

6.8

Der EWSA erachtet den Nationalen Rat für Arbeit als ein ausgesprochen wichtiges Organ für die Entwicklung des sozialen Dialogs in Albanien. Er sollte ein Ort echter Diskussion und Vermittlung sein, wo Themen von nationaler Bedeutung behandelt werden. Die Repräsentativität der teilnehmenden Akteure, die Fristen und die Regelmäßigkeit der Treffen sind grundlegende Faktoren für ein reibungsloses Funktionieren der Institution.

6.9

In Albanien wurde ein Gesetz zur Gründung einer Arbeitsaufsichtsbehörde verabschiedet. Die Leistungs- und Handlungsfähigkeit dieser Behörde ist vor Ort noch ziemlich begrenzt, und es bestehen weiterhin Probleme, weil es wenige Rechtsvorschriften zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz gibt und ihre Umsetzung dürftig ist.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Auch die Europäische Kommission unterstrich die Bedeutung und Probleme der Zivilgesellschaft in den Westbalkanländern in ihrer Mitteilung „Erweiterungsstrategie und wichtigste Herausforderungen 2007-2008“, KOM (2007) 663 endg.

(2)  Europäische Kommission,

http://ec.europa.eu/enlargement/albania/eu_relations_en.htm

(3)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat „Westlicher Balkan: Stärkung der europäischen Perspektive“, KOM (2008) 127 endg.

(4)  Es gibt zwei große Gewerkschaften in Albanien: Die Vereinigung der Unabhängigen Gewerkschaften Albaniens (BSPSH) und der albanische Gewerkschaftsbund (KSSH). Beide wurden 1992 gegründet.

(5)  Die Tätigkeit des Nationalen Rats für Arbeit wird in Artikel 200 des albanischen Arbeitsrechts geregelt (Geetz 7961 vom 12.7.1995 und nachfolgende Änderungen).


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/144


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Schwarzmeerraum“

(2009/C 27/29)

Mit Schreiben vom 15. Juli 2007 ersuchte Kommissionsmitglied Benita FERRERO-WALDNER, zuständig für Außenbeziehungen und europäische Nachbarschaftspolitik, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu folgendem Thema:

„Vernetzung der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Schwarzmeerraum“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 12. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr MANOLIU, Mitberichterstatter Herr MITOV.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 143 gegen 1 Stimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Mit der „Schwarzmeersynergie“ sollen die politische Aufmerksamkeit auf jene Region gelenkt und die neuen Chancen genutzt werden, die sich durch den Beitritt Rumäniens und Bulgariens in die EU ergeben haben. Die Schwarzmeersynergie konzentriert sich auf fünf Themenbereiche: verantwortungsvolles Regieren, Verkehr, Energie, Umwelt und Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität.

1.2

Ferner soll die Schwarzmeersynergie zur Förderung des Europäischen Sozialmodells und des sozialen und zivilgesellschaftlichen Dialogs beitragen. In Zusammenarbeit mit einschlägigen internationalen Organisationen soll sie darüber hinaus dabei helfen, die Armut in der Schwarzmeerregion abzubauen.

1.3

Der EWSA ruft die Regierungen aus der Schwarzmeerregion, die regionalen und internationalen Organisationen dazu auf, die Zivilgesellschaft in den Dialog und die Zusammenarbeit in dieser Region einzubeziehen und neue Sichtweisen auf wichtige Aspekte wie etwa die Förderung von politischer Stabilität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Grundfreiheiten, Wirtschaftsreformen, Entwicklung und Handel, Zusammenarbeit in den Bereichen Verkehr, Energie und Umwelt sowie persönliche Kontakte zu entwickeln.

1.4

Nach Ansicht des EWSA gibt es im Schwarzmeerraum erhebliche Chancen, aber auch Probleme, die koordinierte Maßnahmen in der Region unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft erfordern, insbesondere in solch zentralen Bereichen wie Energie, Verkehr, Umwelt, Freizügigkeit und Sicherheit.

1.5

Der EWSA begrüßt die verschiedenen privaten und staatlichen Initiativen zur Unterstützung der aktiven Mitwirkung der Zivilgesellschaft und der sozialen Organisationen an der künftigen Gestaltung der Region. Vor allem befürwortet der EWSA die Einbeziehung der vorhandenen Kooperationsnetze der Zivilgesellschaft und der Organisationen der Sozialpartner in das Schwarzmeerforum für Partnerschaft und Dialog (BS-Forum) und die Organisation für die wirtschaftliche Zusammenarbeit am Schwarzen Meer (BSEC).

1.6

Der EWSA unterstützt die Einrichtung und den Ausbau der Rolle nationaler Wirtschafts- und Sozialräte und von Dreierausschüssen in allen Schwarzmeerstaaten und die Entwicklung der regionalen Zusammenarbeit zwischen solchen triparitätischen Strukturen in der Region. In Staaten ohne nationale WSR sollten die Sozialpartner ermuntert werden, sich am Konsultationsprozess zu beteiligen und sich für die Gründung von nationalen WSR einzusetzen.

1.7

Der EWSA empfiehlt die Durchführung einer umfassenden Untersuchung über die Situation der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner in den Staaten des Schwarzmeerraumes.

1.8

Der EWSA und die ILO werden im November 2008 eine gemeinsame Konferenz über die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Schwarzmeeranrainerstaaten unter dem Motto „Schaffung regionaler Netzwerke und Förderung des sozialen Dialogs“ veranstalten. An der Konferenz, die als Folgemaßnahme zur Sondierungsstellungnahme geplant ist, werden die regionalen Stakeholder teilnehmen.

2.   Einleitung

2.1

Der Ausschuss kommt gerne dem Ersuchen der Europäischen Kommissarin für Außenbeziehungen und Nachbarschaftspolitik, Frau Benita FERRERO-WALDNER, nach, eine Sondierungsstellungnahme zur Schwarzmeersynergie abzugeben. Die Kommission ist besonders an einer Bewertung interessiert, wie die Organisationen der Zivilgesellschaft besser an der Umsetzung der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Thema „Schwarzmeersynergie — eine neue Initiative der regionalen Zusammenarbeit“ [KOM(2007) 160 endg.] einbezogen werden können.

2.2

Der EWSA begrüßt das erste gemeinsame Treffen der Außenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten mit ihren Kollegen aus den Schwarzmeeranrainerstaaten am 14.2.2008 in Kiew. Die Beteiligung des EWSA an diesem Treffen als Beobachter war ein für die Umsetzung der Strategie zur regionalen Zusammenarbeit im Schwarzmeerraum wichtiger Schritt.

2.3   Integrale Entwicklung der Schwarzmeerregion

2.3.1

Die Schwarzmeerregion (1) ist ein an Rohstoffen reicher geographischer Raum an der strategisch wichtigen Schnittstelle zwischen Europa, Mittelasien und Nahem Osten. Mehr als je zuvor sind Wohlstand, Stabilität und Sicherheit in den Nachbarstaaten der Europäischen Union rund um das Schwarze Meer von unmittelbarer strategischer Bedeutung für die EU (2). Der Schwarzmeerraum ist ein Markt mit großem Entwicklungspotenzial und annähernd 200 Millionen Einwohnern; ein Knotenpunkt für Energie- und Verkehrsadern, ein Raum, in dem verschiedene Kulturen aufeinandertreffen, der aber auch ungelöste Konflikte birgt.

2.3.2

In diesem Zusammenhang sind drei EU-Politikfelder bedeutsam: der Heranführungsprozess im Falle der Türkei, die europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber den fünf östlichen Partnerstaaten (Ukraine, Republik Moldau, Georgien, Armenien, Aserbaidschan), die sich auch an der Zusammenarbeit im Schwarzmeerraum beteiligen, und die strategische Partnerschaft mit Russland in vier „gemeinsamen Räumen“.

2.3.3

Der EWSA befürwortet die Beiträge der Kommission zu einer Reihe von sektorbezogenen Initiativen von regionaler Bedeutung: Menschenrechte und individuelle Freiheiten; Rechtsstaatlichkeit; Zusammenarbeit in den Politikfeldern Freiheit, Sicherheit und Recht; Handel, wirtschaftliche Integration und Angleichung von Vorschriften; Verkehr, Meerespolitik, Energie; Umwelt; Informationsgesellschaft; Beschäftigung, Sozialpolitik und Chancengleichheit; Humanressourcen und Bildung; Gesundheitswesen.

2.3.4

Nach Ansicht des EWSA gibt es in der Schwarzmeerregion erhebliche Chancen, aber auch Probleme, die koordinierte Maßnahmen auf regionaler Ebene vor allem in entscheidenden Bereichen wie Energie, Verkehr, Umwelt, Freizügigkeit und Sicherheit erfordern.

2.3.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Unterschiede bezüglich der Größe, Ansätze und politischen Vorgehensweisen der Organisationen in der Schwarzmeerregion und der Initiativen für die Zusammenarbeit darauf hinweisen, welche Form die Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Ausnutzung der Synergien in der Schwarzmeerregion annehmen kann. Im Anhang findet sich eine Übersicht über die bestehenden regionalen Organisationen, Kooperationsinitiativen und -programme und die Einrichtungen für die Analyse der politischen Maßnahmen.

2.4   Die Ziele der EU in der Schwarzmeerregion

2.4.1

In den vergangenen 15 Jahren hat die Europäische Union große Anstrengungen unternommen, um in der Schwarzmeerregion die demokratischen Kräfte zu stärken, Wirtschaftsreformen und die soziale Entwicklung zu unterstützen, Stabilität zu sichern und die regionale Zusammenarbeit zu fördern.

2.4.2

Der EWSA empfiehlt der EU, mit größerem Engagement bilaterale Bemühungen zu ergänzen, die regionale Zusammenarbeit zu intensivieren, eine stärkere Kohärenz und politische Orientierung zu gewährleisten und die Aufmerksamkeit der Politik auf die regionale Ebene zu lenken, auf der die herbeigewünschte Zone der Stabilität, des Wohlstands und der Zusammenarbeit entstehen wird, an der all ihre künftigen neuen Nachbarn teilhaben.

2.4.3

Nach Auffassung des EWSA muss der regionale Ansatz für den Schwarzmeerraum zielgerichtet sein und darf weder dafür genutzt werden, eine Alternative für die EU-Mitgliedschaft zu schaffen, noch, um die endgültigen Grenzen der EU festzulegen.

3.   Merkmale der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Schwarzmeerraum

3.1

Die historischen, politischen und sozioökonomischen Voraussetzungen der 10 Staaten der Schwarzmeerregion und somit auch die Bedingungen für die Zivilgesellschaften weichen erheblich voneinander ab. Während der sowjetischen Zeit wurde die Funktion der gesellschaftlichen Akteure oder der wirtschaftlichen Zusammenarbeit von der herrschenden Partei auf diejenige von bloßen „Transmissionsriemen“ reduziert. Dies kann als gemeinsames regionales Muster für die gesamte Schwarzmeerregion mit Ausnahme der Türkei und Griechenlands betrachtet werden. Seit den frühen neunziger Jahren befinden sich alle mittel- und osteuropäischen Staaten in einer politischen und wirtschaftlichen Übergangsphase, was wichtige Folgen für die Zivilgesellschaften hat.

3.2

Der EWSA plädiert für die Förderung einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Schwarzmeerraum auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Grundfreiheiten, des Bekenntnisses zu einer offenen Gesellschaft und eines Dialogs zwischen unabhängigen Partnern aus der Zivilgesellschaft.

3.3

Der EWSA betrachtet die folgenden Faktoren als die wichtigsten Gründe für die schleppende Entwicklung der zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Schwarzmeerregion: schwach entwickeltes Rechtssystem, das von den Regierungen abhängig ist und zumeist die Interessen der staatlichen Stellen gegenüber den Bürgern schützt; keine ausgewogene Verteilung von Befugnissen und Zuständigkeiten zwischen den zentralen und lokalen Gebietskörperschaften; erneutes Ausweiten der Straf- und Steuerbefugnisse der Regierungen; Beeinflussung von Beamten durch Korruption und Bestechungsgelder; Bürgerrechte und -freiheiten sind lediglich fiktive Begriffe; Einschränkungen des öffentlichen Zugangs zu Informationen; Regierungen unterhalten einen simulierten Dialog mit ausgewählten Repräsentanten der so genannten Zivilgesellschaft; Mangel an rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für wirklich unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen; diese werden vielmehr von internationalen Organisationen oder Unternehmen finanziell unterstützt; generell schwache Entwicklung einer demokratischen Kultur.

3.4

Es besteht Bedarf an einer umfassenden und vergleichenden Untersuchung über die Situation der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Schwarzmeerraum. Darin müssten die durch die gegenwärtige Situation bedingten Probleme der Region behandelt und auf die vorhandenen Möglichkeiten für zivilgesellschaftliche Organisationen und ein regionales Netzwerk eingegangen werden; ferner wären die neuen Initiativen zugunsten der organisierten Zivilgesellschaft in der Region und auf europäischer Ebene zu analysieren. Schließlich müsste die Untersuchung auch die Vereinigungsfreiheit, die Melde- und Steuerbestimmungen und -verfahren, die Meinungsfreiheit und die Funktionsweise der dreiseitigen Konsultationen behandeln.

4.   Netzwerke der zivilgesellschaftlichen Organisationen im Schwarzmeerraum

4.1

Der EWSA weist darauf hin, dass es der Zivilgesellschaft und den gesellschaftlichen Organisationen selbst obliegt, zu entscheiden, wie sie sich auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene organisieren wollen.

4.2

Der EWSA unterstützt das Konzept der Kommission, keine neue regionale Struktur für die zivilgesellschaftlichen Organisationen zu schaffen, und befürwortet den Ausbau der zivilgesellschaftlichen Dimension in den vorhandenen Netzwerken sowie die Mitwirkung der Organisationen der Zivilgesellschaft in regionalen und übernationalen Netzwerken.

4.3

Der EWSA empfiehlt den auf regionaler Ebene arbeitenden Netzwerken der zivilgesellschaftlichen und sozialen Organisationen, mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Schwarzmeerraum (BSEC), also der Plattform für wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Region und der am besten entwickelten zwischenstaatlichen Organisation im Schwarzmeerraum, engere Kontakte herzustellen. Der EWSA hält es für zweckmäßig, dass die BSEC eine echte Partnerschaft mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen eingeht, weil dies eine für ihre politischen Orientierungen und Maßnahmen entscheidende Dimension wäre.

4.4

Der EWSA ist der Auffassung, dass das Schwarzmeerforum eine Plattform für den offenen Dialog zwischen den Regierungen und der organisierten Zivilgesellschaft werden könnte; es kann sich dabei auf seine Erfahrungen bei der Zusammenführung von NGO aus der Region und der Erleichterung von Kontakten zwischen der staatlichen und der nichtstaatlichen Ebene stützen. Das Forum wurde im Jahr 2006 von einigen Staatschefs verschiedener Schwarzmeeranrainerstaaten gegründet. Damit ist allerdings nicht beabsichtigt, eine dauerhafte Struktur zu schaffen, deren Tätigkeiten sich mit denen vorhandener Einrichtungen für die Zusammenarbeit in der Region überschneiden würden.

4.5

Der EWSA empfiehlt, in den Netzwerken der Zivilgesellschaft bezüglich der Zusammenarbeit vorrangig folgende Bereiche zu behandeln: Festlegung gemeinsamer Interessen, Formulierung der mittel- und langfristigen Strategien zur Schaffung von Kapazitäten der Zivilgesellschaft, Förderung größerer Synergien unter den Organisationen der Zivilgesellschaft, um die Voraussetzungen für erfolgreiche regionale Kooperationsvorhaben zu schaffen, Bewertung der vorhandenen Instrumente, Evaluierung der nationalen und regionalen Kapazitäten, Bestimmung der dringlichsten Erfordernisse sowie aktive und engagierte Vorbereitung auf die Zukunft.

4.6

Die bereits vorhandenen Netzwerke der organisierten Zivilgesellschaft und der sozialen Organisationen sollten für die Mitwirkung aller übrigen interessierten Einrichtungen der Zivilgesellschaft in der Schwarzmeerregion offen sein.

5.   Wirtschafts- und Sozialräte in der Schwarzmeerregion

5.1

Der EWSA kooperiert mit drei Wirtschafts- und Sozialräten (WSR) und zwei vergleichbaren Einrichtungen aus der Schwarzmeerregion (siehe Näheres in Anhang II), die auch im Rahmen des Internationalen Verbands der Wirtschafts- und Sozialräte (AICESIS) tätig sind:

Bulgarien — Wirtschafts- und Sozialrat;

Griechenland — Wirtschafts- und Sozialrat;

Rumänien — Wirtschafts- und Sozialrat;

Russland — Gesellschaftskammer;

Ukraine — Nationaler Triparitätischer Wirtschafts- und Sozialrat.

5.2

Der EWSA hat gemeinsam mit der russischen Gesellschaftskammer ein Memorandum of Understanding unterzeichnet. Ferner ist geplant, die Zusammenarbeit mit dem Nationalen Triparitätischen Wirtschafts- und Sozialrat der Ukraine zu intensivieren. In Russland gibt es ebenfalls eine triparitätische Kommission, mit der der EWSA einen Dialog sollte herstellen können.

5.3

Mit der Türkei arbeitet der EWSA im Gemischten Beratenden Ausschuss (GBA) zusammen. Derzeit unterstützt er die Reform des in der Türkei bestehenden Wirtschafts- und Sozialrats, um daraus eine präzise definierte Einrichtung zu machen, die an den internationalen Netzwerken der WSR mitwirken kann.

5.4

In der Republik Moldau gibt es den Nationalen Ausschuss für Beratung und Tarifverhandlungen, ein Dreierausschuss, der auf der Grundlage des Gesetzes über Tarifverhandlungen geschaffen wurde. Er wird vom ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten geleitet, und die Sekretariatsaufgaben werden vom Ministerium für Wirtschaft und Handel wahrgenommen, das auch für Beschäftigungsfragen zuständig ist. Auch in Georgien entsteht derzeit ein Wirtschafts- und Sozialrat, aber mit diesen beiden Einrichtungen arbeitet der EWSA gegenwärtig nicht zusammen.

5.5

In den Staaten ohne nationale WSR sollten die Sozialpartner ermuntert werden, sich für Konsultationen und die Gründung nationaler WSR einzusetzen.

5.6

Die regionale und internationale Zusammenarbeit zwischen dem EWSA und den WSR der Schwarzmeerregion sollte intensiviert werden; der EWSA könnte langfristig zur Schaffung eines Netzwerks unter den bestehenden und sich neu herausbildenden Wirtschafts- und Sozialräten wie auch zu anderen triparitätischen Strukturen in der Region beitragen.

6.   Mitwirkung der Zivilgesellschaft an der Gestaltung der nationalen, regionalen und internationalen Politik

6.1

Die Zivilgesellschaft zu stärken bedeutet auch, zu wichtigen Aspekten neue Gesichtspunkte zu ermöglichen; deshalb ruft der EWSA die Regierungen aus dem Schwarzmeerraum, die regionalen und internationalen Organisationen dazu auf, die Zivilgesellschaft an dem Dialog in dieser Region wirksamer zu beteiligen. Nach Ansicht des EWSA sollten die vier folgenden Bereiche Gegenstand der Gespräche und der Zusammenarbeit sein:

nachhaltige politische Stabilität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Grundfreiheiten;

Wirtschaftsreformen, Entwicklung und Handel;

Zusammenarbeit in den Bereichen Verkehr, Energie und Umwelt;

persönliche Kontakte.

6.2   Nachhaltige politische Stabilität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Grundfreiheiten

6.2.1

Der EWSA ermuntert die Kommission, die Schwarzmeersynergie und das Europäische Instrument für Demokratie und Menschenrechte voll ausnutzen, um die grenzüberschreitende und regionale Zusammenarbeit zwischen den Organisationen der Zivilgesellschaft zu fördern. Der EWSA unterstreicht die Bedeutung des interkulturellen Dialogs für die Beilegung von Konflikten und die Schaffung von stabilen Demokratien, von Rechtsstaatlichkeit und verantwortungsvollem Regierungshandeln auf lokaler und regionaler Ebene.

6.2.2

Die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, d.h. auch der Unabhängigkeit der Sozialpartner und der Organisationen der Zivilgesellschaft sowie der Pressefreiheit, müssen im Zentrum der EU-Außenpolitik bei den bilateralen Beziehungen und dem regionalen Ansatz stehen.

6.2.3

Die Schwarzmeersynergie muss auch der Förderung des europäischen Sozialmodells und des Grundsatzes des sozialen und zivilen Dialogs dienen. Auch sollte sie in Zusammenarbeit mit einschlägigen internationalen Organisationen, insbesondere der Weltbank und der ILO, die Beseitigung der Armut in der Schwarzmeerregion im Auge haben.

6.3   Förderung der Wirtschaftsreformen, der Entwicklung und des Handel

6.3.1

Die Schwarzmeerregion hat in der vergangenen Dekade erhebliche politische, institutionelle, makroökonomische und gesetzgeberische Reformen erlebt. Zwischen den Volkswirtschaften der Länder dieser Region bestehen beträchtliche Unterschiede bezüglich der Verfügung über Produktionsfaktoren, Rohstoffe, Produktionskapazitäten und Märkte. Die Länder des Schwarzmeerraumes befinden sich auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen und in unterschiedlichen Reformphasen, weisen verschiedene Grade an ökonomischer und sozialer Ausgewogenheit und der Fähigkeit auf, die Grundbedürfnisse ihrer Bürger zu decken. Staaten dieser Region haben mit Schattenwirtschaft, Korruption, Abwanderung und Armut zu kämpfen.

6.3.2

In den Staaten des Schwarzmeerraumes weist der private Sektor eine starke Dynamik auf. Dies ist ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und ihr langfristiges Wachstumspotenzial. Es sollte auf eine Unterstützung der kleinen und mittleren Unternehmen hingewirkt werden, um zu einer verbesserten wirtschaftlichen und sozialen Balance beizutragen.

6.3.3

Nach Ansicht des EWSA hängt die langfristige wirtschaftliche Stabilität im Schwarzmeerraum unmittelbar vom Zustand der Umwelt, den zunehmend negativer werdenden externen Effekten, den Fragen der sozialen Verantwortung, der Einhaltung von allgemeinen sozialen Standards und einem zunehmenden ökologischen Verantwortungsgefühl ab. Der EWSA weist daraufhin, wie wichtig zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit die Verbesserung der für alle Bürger zugänglichen Leistungen in den Bereichen Soziales, Bildung und Kultur ist.

6.3.4

Der EWSA hält es für vordringlich, das Investitionsklima zu verbessern, marktwirtschaftliche Reformen zu unterstützen und auf Liberalisierungsmaßnahmen hinzuwirken; ferner unterstützt er im Einklang mit den Grundsätzen der WTO die Schaffung einer Freihandelszone im Schwarzmeerraum. Technologische Innovationen könnten neue Felder für die internationale Zusammenarbeit, für ausländische Investitionen und für die Entwicklung von Dienstleistungen eröffnen.

6.4   Zusammenarbeit in den Bereichen Verkehr, Energie und Umwelt

6.4.1

Als eine Region, in der Energie produziert und durchgeleitet wird, ist die Schwarzmeerregion geopolitisch und strategisch wichtig für die Diversifizierung der Energieversorgung der EU. Der EWSA spricht sich für eine Förderung der Diversifizierung der Energieversorgung aus — sprich, für die weitere Förderung der Festlegung und Schaffung von neuen, praktikablen und sicheren Infrastruktur- und Verkehrskorridoren und Versorgungswegen.

6.4.2

Steigende Öl- und Gaspreise, die zunehmende Abhängigkeit der EU von einigen wenigen externen Lieferanten und die globale Erwärmung sind auch Probleme für die Staaten im Schwarzmeerraum. Die EU hat eine Diskussion über die Notwendigkeit einer europäischen Energiepolitik auf den Weg gebracht, um eine nachhaltige Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit zu gewährleisten (3). Der EWSA ist sich darüber im Klaren, dass sich steigende Energiepreise auf die wirtschaftliche und soziale Balance in den Staaten der Schwarzmeerregion erheblich auswirken können.

6.4.3

Neue Versorgungswege wie etwa der Energiekorridor durch den Kaukasus und das Schwarze Meer (4) und die Nabucco-Pipeline (5) (Projekt einer Pipeline von 3 400 km Länge, in der jährlich 31 Mrd. Kubikmeter Erdgas transportiert werden sollen) sowie die Vorhaben INOGATE und TRACECA dürften angemessene Voraussetzungen für die Schaffung eines wettbewerbsfähigen Energiemarktes sein. Russland hat mit dem Bau der Pipeline South Stream begonnen, die von Russland durch das Schwarze Meer und durch die Balkanstaaten und Mitteleuropa führt, sowie mit der Leitung Nord Stream, die durch die Ostsee führt.

6.4.4

Der EWSA hebt hervor, dass eine effektive Außenpolitik bezüglich der möglichen neuen Energiekorridore für Öl und Erdgas aus den Regionen Schwarzes Meer und Kaspisches Meer auf einer Unterstützung Aserbaidschans bei seinen Bemühungen, als Energieversorger wirklich unabhängig zu werden, beruhen muss, indem seiner nationalen Erdöl- und Erdgasindustrie Hilfen gewährt werden, und auch Georgien, Republik Moldau, Rumänien und die Ukraine müssen als wichtige Länder für neue Korridore zur Durchleitung von Energie in den europäischen Raum Unterstützung erhalten. Es muss berücksichtigt werden, dass Russland ebenfalls ein interessierter Akteur bei diesen Vorgängen ist. Der EWSA empfiehlt Hilfen für die europäischen Unternehmen, die in Osteuropa und Zentralasien bei der Erschließung von Öl- und Gasvorkommen und dem Bau der Pipelines beteiligt sind. Die EU sollte auch daraufhin hinarbeiten, die Rolle der Türkei als Stabilitätsfaktor in der Region zu stärken.

6.4.5

Zu den vorrangigen Prioritäten in den Programmen der EU für Zusammenarbeit und technische Hilfe sollte auch die Entwicklung einer Energieeinsparungspolitik für den Schwarzmeerraum gehören. Energieprogramme sollten zu Energieeinsparungen, zur Senkung der Kosten und zum Abbau der Umweltverschmutzung beitragen.

6.5   Persönliche Kontakte

6.5.1

Der EWSA begrüßt das künftige Programm „Grenzübergreifende Zusammenarbeit im Schwarzmeerraum“ im Rahmen des Finanzinstruments der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENPI 2007-2013) und betont, dass die persönlichen Kontakte — vor allem innerhalb der jungen Generation in den Schwarzmeerstaaten — gefördert werden müssen.

6.5.2

Der EWSA befürwortet eine weitere Stärkung der Zusammenarbeit, um das gegenseitige Verständnis zu verbessern und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Kontakte herzustellen sowie den Meinungsaustausch zwischen Personen als eine Form zu entwickeln, mit der dauerhaftes Wachstum, Wohlstand, Stabilität und Sicherheit in der Schwarzmeerregion begründet werden.

6.5.3

Der EWSA hält eine konkrete Vereinfachung von Visaformalitäten wie auch Rückübernahmeabkommen für dringend erforderlich, um den Bildungs- und Jugendaustausch, Kontakte zwischen Unternehmen, die Mobilität von Wissenschaftlern als Teil der zunehmenden Forschungszusammenarbeit und Kontakte zwischen regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, NGO und Kulturorganisationen zu erleichtern.

6.5.4

Persönliche Kontakte können die Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Ausbildung und Forschung fördern und unterstreichen die Bedeutung einer Förderung des interkulturellen Dialogs mit Hilfe der vorhandenen EU-Programme (6). Kontakte zwischen Unternehmen und die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeberorganisationen sollten aktiv gefördert werden, um engere Beziehungen herzustellen und den Austausch von Erfahrungen und von Standards für Tätigkeiten zu intensivieren.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Zur Schwarzmeerregion zählen Griechenland, Bulgarien, Rumänien und die Republik Moldau im Westen, die Ukraine und Russland im Norden, Georgien, Armenien und Aserbaidschan im Osten und die Türkei im Süden. Zwar sind Armenien, Aserbaidschan und die Republik Moldau keine Küstenstaaten, aber ihre Geschichte, Nähe und engen Bindungen zur Küste machen auch sie zu natürlichen regionalen Akteuren.

(2)  Mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur EU ist das Schwarze Meer auch ein europäisches Gewässer geworden.

(3)  Der Europäische Rat billigte am 8./9. März 2007 eine Energiepolitik für Europa. Daraufhin wurde ein zweijähriger Aktionsplan (2007-2009) entwickelt.

(4)  Der Korridor umfasst Vorhaben, die bereits durchgeführt wurden, wie etwa die Ölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan, oder aber die Energieinfrastruktur, die derzeit geprüft oder vorbereitet wird, wie etwa die Brody-Odessa-Pipeline und die Verlängerung nach Plock, sowie die Ölpipelines Konstanta-Omisaly-Triest, Burgas-Vlorë und Burgas-Alexandroupolis.

(5)  Das Vorhaben wird durch logistische Verzögerungen, Uneinigkeit über die Finanzierung und mangelnden politischen Willen beeinträchtigt.

(6)  Tempus, Erasmus Mundus, 7. Forschungsrahmenprogramm, Grenzübergreifende Zusammenarbeit im Schwarzmeerraum.


ANHANG I

Überblick über die regionale Zusammenarbeit im Schwarzmeerraum

1.

Die Organisationen sind in vier Kategorien eingeteilt, ferner sind jeweils die Mitgliedstaaten und die Ziele der regionalen Zusammenarbeit angegeben:

1.1   Erste Kategorie: Institutionalisierte Organisationen mit genau festgelegter Struktur.

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit im SchwarzmeerraumBSEC (Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Bulgarien, Georgien, Griechenland, Republik Moldau, Rumänien, Russland, Serbien, Türkei, Ukraine; 13 Beobachter, darunter die EU und die USA). Durchführung multilateraler politischer und wirtschaftlicher Initiativen zur Förderung des Austauschs zwischen den Mitgliedstaaten.

Schwarzmeerkommission — (Bulgarien, Georgien, Rumänien, Russland, Türkei und Ukraine). Schutz des Schwarzen Meeres vor Verschmutzung, Umsetzung der Bukarester Konvention und des Strategischen Aktionsplans für das Schwarze Meer.

Organisation für Demokratie und wirtschaftliche EntwicklungGUAM (Georgien, Ukraine, Aserbaidschan, Republik Moldau). Herstellung eines europäisch-asiatischen Verkehrskorridors durch den Kaukasus und eines gemeinsamen Raums für Integration und Sicherheit zwischen diesen vier Staaten.

Marinekooperationsgruppe im Schwarzen MeerBLACKSEAFOR (Bulgarien, Georgien, Rumänien, Russland, Türkei und Ukraine). Trägt zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens und der Stabilität in der Region bei durch erweiterte Zusammenarbeit und Interoperabilität zwischen den Seestreitkräften.

Staaten der ehemaligen SowjetunionCIS (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Republik Moldau, Russland, Tadschikistan, Ukraine und Usbekistan sowie Turkmenistan als assoziiertes Mitglied). Die CIS bemühen sich um die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes auf der Grundlage des freien Verkehrs von Waren, Kapital und Dienstleistungen sowie der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

Union of Black Sea und Caspian Confederation of EnterprisesUBCCE (Union der Unternehmerdachverbände aus den Regionen Schwarzes Meer und Kaspisches Meer — Albanien, Österreich, Aserbaidschan, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Georgien, Griechenland, Iran, Kasachstan, Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, Rumänien, Serbien und Türkei). Wirkt auf die Annahme von Politiken zugunsten eines besseren Funktionierens der Marktwirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit hin, mit denen ein nachhaltiges Wachstum in den beiden Regionen erzielt werden soll.

1.2   Zweite Kategorie — Foren ohne förmliche Entscheidungsstrukturen

Schwarzmeerforum für Partnerschaft und Dialog  (1)BS-Forum (Armenien, Aserbaidschan, Bulgarien, Georgien, Griechenland, Republik Moldau, Rumänien, Türkei und Ukraine). Plattform für die Zusammenarbeit und das Engagement zugunsten der Entwicklung einer neuen regionalen Strategie und gemeinsamen Vision.

Parlamentarische Versammlung EU-Nachbarschaft Ost (EURO-NEST). Das Europäische Parlament legte am 15. November 2007 eine Entschließung vor, in der es anregt, ein gemeinsames multilaterales Forum des EP mit den Parlamenten der Ukraine und der Republik Moldau, Armeniens, Georgiens und Aserbaidschans zu gründen, an dem Beobachter aus Belarus, die sich für demokratische Verhältnisse einsetzen, beteiligt sind.

Gemeinschaft der Entscheidung für DemokratieCDC (Mitglieder: Estland, Lettland, Litauen, Georgien, Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, Republik Moldau, Rumänien, Russland, Slowenien und Ukraine; Teilnehmer: Aserbaidschan, Bulgarien, Tschechische Republik, Ungarn und Polen; Bebachter: USA, EU, Europarat und OSZE). Ziel ist ein höherer Grad an nachhaltiger Entwicklung durch Verbesserung der regionalen Zusammenarbeit, Förderung der Demokratie und Schutz der Menschenrechte.

Netzwerk der Schwarzmeer-NGOBSNN (Verband von 60 NGO aus Bulgarien, Georgien, Rumänien, Russland, Türkei und Ukraine). Organisation der Zivilgesellschaft, die sich dem Umweltschutz, der Förderung der demokratischen Werte und der nachhaltigen Entwicklung in der Region widmet.

Baku-Initiative  (2) — (Partner: Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Iran, Kasachstan, Kirgisistan, Republik Moldau, Ukraine, Usbekistan, Tadschikistan, Türkei, Turkmenistan; Bebachter: Russland; EU-Vertreter: GD Verkehr und Energie, GD Außenbeziehungen, Amt für Entwicklungszusammenarbeit — EuropeAid). Ziel ist eine zunehmende Integration der Energiemärkte der Regionen Schwarzes Meer und Kaspisches Meer mit den EU-Märkten.

1.3   Dritte Kategorie — Vorwiegend von der EU entwickelte Programme

Interstate Oil and Gas Transport to Europe(INOGATE) (Bulgarien, Georgien, Republik Moldau, Rumänien, Türkei, Ukraine und 15 weitere Staaten) ist ein internationales Kooperationsprogramm zur Förderung der regionalen Integration der Pipeline-Systeme und zur Erleichterung der Öl- und Gastransporte.

Verkehrskorridor Europa-Kaukasus-Asien (TRACECA) (Armenien, Aserbaidschan, Bulgarien, Georgien, Republik Moldau, Kasachstan, Kirgisistan, Rumänien, Tadschikistan, Türkei, Ukraine, Usbekistan, Turkmenistan). Soll den Handel und Verkehr im Korridor Europa-Kaukasus-Asien unterstützen.

Donau-Schwarzmeer-TaskforceDABLAS (Bulgarien, Georgien, Republik Moldau, Rumänien, Russland, Türkei, Ukraine und neun weitere Staaten sowie die Internationale Kommission für den Schutz der Donau (IKSD), die Schwarzmeerkommission, Internationale Finanzeinrichtungen und die Europäische Kommission). Koordinierung aller Finanzierungsinstrumente, die für die Region in Anspruch genommen werden. Die Zivilgesellschaft ist an den verschiedenen von der DABLAS-Taskforce durchgeführten Aufgaben beteiligt.

1.4   Vierte Kategorie — Analyse und Finanzierung der politischen Initiativen

German-Marshall-FundThe Black Sea Trust for Regional CooperationBST (ist in Bulgarien, Georgien, Republik Moldau, Rumänien, Russland, Türkei und der Ukraine tätig). Öffentlich-private Partnerschaft zur Stärkung der staatlichen Institutionen und der Wiederherstellung des Vertrauens in sie, unter Bekräftigung der Wichtigkeit der Bürgerbeteiligung am demokratischen Prozess und der Förderung der grenzüberschreitenden Beziehungen zwischen Regionen in den staatlichen, privatwirtschaftlichen und gemeinnützigen Bereichen.

Internationales Zentrum für SchwarzmeerstudienICBSS (Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Bulgarien, Georgien, Griechenland, Republik Moldau, Rumänien, Russland, Serbien, Türkei und Ukraine). Das ICBSS ist ein unabhängiges Forschungs- und Fortbildungszentrum für angewandte politikorientierte Forschung, das an der Verbesserung der Kompetenzen und der Erweiterung des Wissens in der Schwarzmeerregion mitwirkt. Es steht mit der BSEC in Verbindung.

Krisenmanagement-Initiative (CMI) ist eine gemeinnützige Organisation, die die Initiative „Mitwirkung der Zivilgesellschaft an der Europäischen Partnerschaftspolitik (ENP) — Ein regionaler Ansatz für Konfliktlösungen“ betreibt. Ziel dieser Initiative ist ein regionales Partnerschaftsnetzwerk von vier führenden NGO-Expertenkommissionen aus Armenien, Aserbaidschan, Georgien und der Republik Moldau, durch das der Dialog der Zivilgesellschaft mit den jeweiligen Regierungen gefördert werden soll.


(1)  Das Forum ist eine rumänische Initiative.

(2)  Mit dem Kooperationsprogramm INOGATE verbunden.


ANHANG II

Die Zusammenarbeit des EWSA mit den Wirtschafts- und Sozialräten in der Schwarzmeerregion

Wirtschafts- und Sozialrat von Bulgarien, wurde im Jahre 2001 durch das „Gesetz über den Wirtschafts- und Sozialrat“ ins Leben gerufen. Der Rat ist ein beratendes Gremium und setzt sich aus einem Präsidenten und 36 Mitgliedern zusammen, die von den leitenden Gremien der repräsentativen Organisationen auf nationaler Ebene ernannt werden: 12 Mitglieder von Arbeitgeberseite, 12 Mitglieder seitens der Angestellten und Arbeiter und 12 Mitglieder aus sonstigen organisierten Gruppen, darunter zwei unabhängige Experten, die vom Ministerrat ernannt werden. Der WSR gibt Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen, nationalen Programmen, nationalen Plänen und Akten der Nationalversammlung ab. Ferner legt der Rat jährliche Memoranden über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und Analysen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik vor.

Wirtschafts- und Sozialrat (OKE) von Griechenland, wurde durch Gesetz 2232/1994 eingerichtet. Er ist ein Dreierausschuss, der die Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie der Gruppe „verschiedene Interessen“ repräsentiert, in der die Landwirte, freien Berufe, Gemeindeverwaltungen und die Verbraucher vertreten sind. Der OKE setzt sich aus einem Präsidenten und 48 Mitgliedern zusammen, die drei gleichgroße Fraktionen bilden. Aufgabe des OKE ist die Förderung des sozialen Dialogs durch die Herausarbeitung von gemeinsamen Standpunkten zu Fragen, die die Gesellschaft insgesamt oder bestimmte Gruppen betreffen.

Wirtschafts- und Sozialrat (WSR) von Rumänien, wird in der (im Jahr 2003 überarbeiteten) rumänischen Verfassung als eine Körperschaft definiert, die das Parlament und die Regierung in denjenigen Bereichen berät, die durch das Gesetz über die Organisation und Funktionsweise des Wirtschafts- und Sozialrates festgelegt werden. Der WSR besteht aus 45 Mitgliedern in folgender Zusammensetzung: 15 Mitglieder als Vertreter der auf nationaler Ebene tätigen Arbeitgeberverbände, 15 Mitglieder als Vertreter der auf nationaler Ebene tätigen Arbeitnehmerverbände und 15 Mitglieder, die von der Regierung ernannt werden. Der WSR hat eine beratende Funktion bei der Entwicklung von Strategien und wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen und wird als Vermittler bei Streitigkeiten zwischen den Sozialpartnern tätig.

Gesellschaftskammer Russlands, wurde durch Gesetz Nr. 32 vom 4. April 2005 eingerichtet. Die Kammer setzt sich aus 126 Mitgliedern zusammen: 42 Mitglieder werden vom russischen Präsidenten ernannt, die ihrerseits 42 weitere Mitglieder aus landesweit aktiven Organisationen der Zivilgesellschaft hinzuwählen; diese 84 Personen wiederum wählen 42 weitere Mitglieder aus der Liste der regional aktiven zivilgesellschaftlichen Organisationen aus. Die Mitglieder arbeiten in 18 Kommissionen oder Arbeitsgruppen unter Mitwirkung von externen Sachverständigen. Die Kammer gibt Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen ab, überprüft geltende Rechtsvorschriften und veröffentlicht eigene Berichte.

Nationaler Triparitätischer Sozial- und Wirtschaftsrat (NTSEC) der Ukraine, wurde im Jahre 2005 auf der Grundlage eines Präsidialerlasses gegründet und ist ein Beratungsorgan des Staatspräsidenten. Der NTSEC besteht aus 66 Mitgliedern: 22 Mitglieder aus den Vertretungsorganen der verschiedenen Berufe und Berufsverbände, 22 Vertreter der Arbeitgeber und 22 stellvertretende Minister als Vertreter des ukrainischen Ministerrats. Bei der Entwicklung des sozialen und zivilen Dialogs auf nationaler Ebene wird der NTSEC von der ILO unterstützt.

Gemischter Beratender Ausschuss EU/Türkei, setzt sich aus 18 Mitgliedern aus dem EWSA und 18 Repräsentanten der organisierten Zivilgesellschaft der Türkei zusammen. Er tritt zweimal im Jahr zusammen (abwechselnd in Brüssel und in der Türkei), um verschiedene Themen von gemeinsamem Interesse zu erörtern, die für die Zivilgesellschaft relevant sind. Hauptziel ist es, eine Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft an den Beitrittsverhandlungen zu gewährleisten: Follow-up zu den verschiedenen geöffneten Verhandlungskapiteln, Untersuchung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Umsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstands und Treffen mit Einrichtungen und Behörden der EU und der Türkei und Aussprechen von Empfehlungen.


3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/152


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Wie können nationale und europäische Aspekte der Kommunikation über Europa in Einklang gebracht werden?“

(2009/C 27/30)

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 ersuchte der künftige französische Ratsvorsitz den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Erarbeitung einer Stellungnahme zum Thema:

„Wie können nationale und europäische Aspekte der Kommunikation über Europa in Einklang gebracht werden?“.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bestellte gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung Frau OUIN zur Hauptberichterstatterin.

In der Stellungnahme werden ebenfalls die Überlegungen berücksichtigt, die die Kommission in ihrer am 2. April 2008 vorgelegten Mitteilung „Debate Europe — Auf den Erfahrungen mit Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion aufbauen“ (1) zum Ausdruck gebracht hat.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10. Juli 2008 (Sitzung vom 10. Juli) mit 115 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der EWSA spricht folgende Empfehlungen aus:

1.1

Die Einzigartigkeit des europäischen Integrationsprozesses, der europäischen Werte und des Projektes Europa sollte in einfachen, selbst für Kinder verständlichen Worten dargelegt werden.

1.2

Auf europäischer Ebene sollte (auf der Grundlage der in den einzelnen Mitgliedstaaten bereits bestehenden Lehrpläne) ein gemeinsames Curriculum für das Fach „Europäische Bürgerkunde“ mit Materialien für Schüler in den 22 EU-Amtssprachen erarbeitet werden. Dieses könnte vom Europäischen Parlament gutgeheißen werden. Es sollte in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen werden und könnte darüber hinaus vorrangig Meinungsmultiplikatoren, wie Unterrichtenden, gewählten Mandatsträgern und Journalisten, vermittelt werden. Es ist Sache der nationalen Ebene, diese Bildungsmaßnahmen zu organisieren.

1.3

Eine gemeinsame Kommunikationspolitik sollte ausgearbeitet und von allen Organen und Einrichtungen durchgeführt werden. Die in dieser Hinsicht in der Mitteilung „Debate Europe“ enthaltenen Vorschläge sind interessant, gehen aber nicht weit genug. Der in Brüssel übliche EU-Jargon ist in dieser Mitteilung, mit der eine Debatte über die gesellschaftlichen Herausforderungen für die Bürger/-innen Europas angestoßen werden soll, tunlichst zu vermeiden.

1.4

Diese gemeinsame Kommunikationspolitik muss von den Politikerinnen und Politikern an der Spitze der EU-Institutionen und jenen in den europäischen Regierungen, die im Ministerrat Beschlüsse fassen und die in ihrem jeweiligen Land bekannt sind, getragen werden. Um sich von Brüssel aus an die 495 Mio. Bürger/-innen Europas zu wenden, sollte die Kommunikation auf die Meinungsmultiplikatoren (Vertreter der Zivilgesellschaft, örtliche Mandatsträger, Journalisten, Unterrichtende usw.) ausgerichtet sein, wobei diesen beispielsweise im Anschluss an die Tagungen des Europäischen Rates jeweils eine knappe und verständliche Zusammenfassung zur Verfügung gestellt werden könnte.

1.5

Auf der nationalen Ebene sollten die Vertreter der Zivilgesellschaft und die örtlichen Mandatsträger dafür sorgen, dass die partizipative Demokratie in Europa tatsächlich gelebt wird: Ihre gemeinsame Aufgabe ist es, die Meinungen und Standpunkte der Bürger/-innen zu den Vorhaben auf europäischer Ebene aufzugreifen. Auch sind die lokalen Mandatsträger am besten dazu in der Lage, Informationen in der lokalen Presse zu platzieren, die die größte Leserschaft hat. Wenn sie über Europa sprechen, wird die Presse darüber berichten. Europa-Parlamentarier sollten ihren Wähler/-innen ein Mal pro Jahr Bericht über ihre Tätigkeit erstatten. Auf der lokalen Ebene sollten Verzeichnisse der Personen bzw. Organisationen erstellt werden, die über Erfahrung auf europäischer Ebene verfügen und Vorträge in Schulen, Verbänden oder bei Versammlungen halten könnten.

1.6

Die europäische Ebene sollte den lokalen Mandatsträgern, Journalisten, Unterrichtenden, Mitgliedern der nationalen Wirtschafts- und Sozialräte und anderen Vertretern der Zivilgesellschaft aktualisierte Datenbanken und vergleichende Analysen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu allen Themenbereichen zur Verfügung stellen. Diese Informationen könnten insbesondere von den überaus zahlreichen Medien der Zivilgesellschaft aufgegriffen werden.

1.7

Auf der nationalen Ebene sollten direkte Begegnungen und Austausche zwischen den Bürger/-innen gefördert werden: Städtepartnerschaften, Sportveranstaltungen, Teilnahme von Vertretern anderer Mitgliedstaaten an Fortbildungsmaßnahmen mit europäischem Bezug usw. Dabei ist ein einfacher, dezentraler Zugang zur Finanzierung der Reisekosten sicherzustellen (Europäischer Fonds für Kommunikation), der die bestehenden Mobilitätsprogramme ergänzt.

1.8

Die vorhandenen Ressourcen müssen besser genutzt werden, z.B. durch eine bessere Verwertung der bereits in Übersetzung vorliegenden Dokumente, die gegenwärtig viel zu oft nur Arbeitsunterlagen für die Mitglieder der EU-Institutionen bleiben. Zudem sollte die Mehrsprachigkeit — eine notwendige Vorbedingung für die Verständigung von Europäer zu Europäer — gefördert werden (2).

1.9

Den Mitgliedstaaten sollte vorgeschlagen werden, Europa-Ministerien mit umfassenden Kompetenzen einzurichten. Das Ausland beginnt nämlich erst an den Außengrenzen der EU, und europäische Angelegenheiten sind innenpolitische und nicht außenpolitische Angelegenheiten. Dies gilt auch für die Organisationen und die Medien.

1.10

Auf der nationalen Ebene sollten gerade anstehende Ereignisse (europäische und internationale Sportwettkämpfe, Wahlen zum Europäischen Parlament, Europatag, Jahrestage, wie z.B. der Tag des Falls der Berliner Mauer) genutzt und Veranstaltungen organisiert werden, um unter Verwendung der europäischen Symbole, der Europahymne und der Europaflagge, Europa zu thematisieren.

2.   Begründung

2.1   Wie können nationale und europäische Aspekte der Kommunikation über Europa in Einklang gebracht werden?

2.1.1

Seit dem „Nein“ zum Entwurf eines Verfassungsvertrags bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden herrscht Einhelligkeit darüber, dass Europa den Bürger/-innen besser vermittelt werden muss, und das Ergebnis der irischen Volksabstimmung hat gezeigt, dass diese Absicht bis dato weder auf einzelstaatlicher noch auf europäischer Ebene wirksam in Taten umgesetzt wurde.

2.1.2

Die Europäische Kommission hat zahlreiche Texte vorgelegt, die bereits erörtert wurden, und der EWSA hat ausgezeichnete Stellungnahmen zu diesem Thema erarbeitet, deren Inhalt an dieser Stelle nicht wiederholt werden muss. In dem Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik (EWSA-Stellungnahme CESE 972/2006 (3)) wird nachdrücklich gefordert, dass „[…] die nationalen Behörden, die Zivilgesellschaft und die Institutionen der Europäischen Union gemeinsam darum bemüht sein [müssen], Europas Platz in der öffentlichen Sphäre zu festigen“. Ziel der vorliegenden Stellungnahme ist es nicht, neue Vorschläge zu erdenken, sondern die bereits vorliegenden jeweils einem Hauptverantwortlichen zuzuordnen (nationale Behörden, Zivilgesellschaft, EU-Institutionen) und entsprechende Handlungsschwerpunkte festzulegen.

2.2   Europa vermitteln: ein komplexes Unterfangen

2.2.1

Europa zu vermitteln, ist naturgemäß ein komplexes Unterfangen: Der europäische Integrationsprozess hat stets Kritiker auf den Plan gerufen, und zwar sowohl solche, die sich weniger Europa wünschen, als auch solche, die mehr Europa fordern, und auch solche, die den Integrationsprozess beschleunigen wollen. Die Aufgabe, Europa in ausgewogener, verständlicher Weise zu vermitteln, ist folglich mühsam. Dabei geht es nicht darum, Europa „zu verkaufen“, sondern darum, den Bürger/-innen zu ermöglichen, in einem gemeinsamen Europa zu leben und sich gut informiert an den strategischen Entscheidungen über die Zukunft der EU zu beteiligen.

2.2.2

Europa vermitteln bedeutet, eine politische Realität, die einzigartig in der Geschichte der Menschheit ist, verständlich darzulegen und ein Projekt zu entwerfen. Dabei muss eine Balance gefunden werden zwischen der Kommunizierung des Projekts, was Sache der Politiker ist, und der notwendigen Informierung über die Tätigkeiten der Institutionen, was Aufgabe der einzelnen Institutionen selbst ist, die sich an das betreffende Publikum wenden.

2.2.3

Das ursprüngliche Projekt braucht eine Auffrischung. Einer Generation, die die Folgen des Zweiten Weltkrieges nicht am eigenen Leib zu spüren bekommen hat und deren politisches Interesse erst zum Zeitpunkt der Bombardierung von Sarajewo geweckt wurde, lässt sich nicht glaubhaft vermitteln, dass „Europa Frieden bedeutet“. Jene, die nach den 70er Jahren geboren sind, haben das Gefühl, dass ihnen Europa aufgezwungen wird und es weder einen Krieg direkt vor ihrer Haustüre verhindern konnte noch sie vor den negativen Auswirkungen dessen schützen kann, was manche als eine exzessive Globalisierung empfinden. Sie sind sich nicht dessen bewusst, dass die Rechte und Freiheiten, von denen sie profitieren, Ergebnis des europäischen Integrationsprozesses sind.

2.2.4

Einen viel stärkeren Mobilisierungseffekt könnte man erzielen, indem man den Menschen erläutert, dass Europa eine „Erweiterung des Horizonts“ durch den Abbau von Grenzen bedeutet, indem konkret aufgezeigt wird, wie Schritt für Schritt sämtliche Hindernisse beseitigt werden, die der Verständigung, dem Dialog, der Freizügigkeit der Personen, dem Handel und der Arbeitsaufnahme in einem anderen Mitgliedstaat, der Niederlassungsfreiheit usw. entgegenstehen, und indem dargelegt wird, dass Europa durch den größeren verfügbaren Lebensraum, der offen ist gegenüber der Vielfalt an Kulturen, die Handlungsmöglichkeiten der Europäer/-innen ausweitet. Um ganz konkret den Nutzen der europäischen Integration aufzuzeigen, sollte außerdem klargemacht werden, dass Europa durch den Vergleich unterschiedlicher Systeme die weitere Ausgestaltung dessen, was jedes an Gutem hervorgebracht hat, ermöglicht.

2.2.5

Schließlich sollte hervorgehoben werden, dass der Kampf gegen den Klimawandel sowie beim Umweltschutz, der Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit und der Wahrung der Verbraucherrechte usw. nur gemeinsam geführt werden kann. Europa braucht nämlich ähnlich simple Erklärungsmodelle, wie sie auch Staaten haben. Es ist leicht, einem Kind verständlich zu machen, dass Straßen und Bahnlinien gebraucht werden, um von einem Ort zum anderen zu gelangen, dass man lesen lernen muss, um die Welt verstehen zu können, dass jene, die anderen bzw. der Gemeinschaft schaden, bestraft werden müssen und dass diese Dienste — Raumordnung, Bildung, Justiz —, die im Interesse aller liegen, vom Staat erbracht werden, genauso wie der Staat auch für die Erhaltung der Gesundheit, der Sicherheit und der Solidarität Sorge trägt. Als noch jungem und für manche schwer zu begreifendem Projekt ist es keine leichte Aufgabe, die europäische Integration, ihre Notwendigkeit und ihren Nutzen verständlich zu machen. Aber dass es darum geht, einen größeren Lebensraum zu schaffen, sich zusammenzutun, um gemeinsam stärker und kreativer zu sein, lässt sich selbst Kindern — und ihren Eltern — problemlos vermitteln.

2.2.6

Der Euro ist, auch wenn er nicht in allen EU-Mitgliedstaaten eingeführt wurde, ein offensichtlicher Erfolg, der besser herausgestellt werden könnte, und zwar als Symbol für den Fall der Grenzen, als Instrument zur Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls zu Europa und als Mittel, um gemeinsam stärker zu sein.

2.2.7

Damit sich die Bürger/-innen mit Europa identifizieren können, muss auch auf Leitfiguren und starke Symbole, die allen bekannt sind, zurückgegriffen werden, insbesondere die Europaflagge.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Politische Kommunikation und institutionelle Kommunikation

3.1.1

Die einzelnen europäischen Institutionen, und dies ist durchaus legitim, wenden Mittel auf — seien es für die Kommunikation zuständige Dienststellen mit zahlreichen qualifizierten Beamten, Internetportale, Veröffentlichungen, Videos usw. —, um ihre jeweilige Tätigkeit darzulegen. Von einem Besuch bei den EU-Institutionen nehmen die Bürger/-innen zwar eine Menge schöner Broschüren mit, dies ist aber keine Garantie dafür, dass sie auch verstanden haben, wie die EU funktioniert und inwiefern dies ihr alltägliches Leben betrifft. Die Dokumentenstapel vermitteln vielmehr den Eindruck einer übermäßigen Komplexität, wenn nicht gar eines Wirrwarrs. Es geht nicht darum, mehr zu kommunizieren, sondern besser. An Mitteln mangelt es nicht — man muss sie nur anders einsetzen. Die Kommunikationsinstrumente sind nicht schlecht, sondern nur schlecht aufeinander abgestimmt und nicht auf Langfristigkeit angelegt. Sie sind weder in Bezug auf ihren Inhalt noch im Hinblick auf die Personen und Einrichtungen, an die sie adressiert sind, genügend zielgerichtet. Die Flut von Broschüren ist zu groß.

3.1.2

Das mangelnde Vertrauen in die Fähigkeit der Europäischen Union, wirkungsvoll mit den Bürger/-innen zu kommunizieren, erfordert ein Umdenken in der Kommunikationskultur. Diese Bemühungen sind auf der Ebene der EU derzeit bestenfalls unzureichend, wenn sie Menschen ansprechen sollen, denen die EU nichts sagt (was auf die meisten Unionsbürger/-innen zutrifft), und können schlimmstenfalls kontraproduktiv sein. Dies liegt an dem Mangel an „Gemeinsamkeitsdenken“ der EU-Institutionen und der Mitgliedstaaten in ihren Informationsstrategien.

3.1.3

Alles zusammengerechnet werden erhebliche Summen für die institutionelle Kommunikation ausgegeben, die besser dafür verwendet werden könnten, um die Maßnahmen der EU in den einzelnen Politikbereichen zu vermitteln. Es wäre aufschlussreich, die Höhe des Kommunikationsbudgets der einzelnen Institutionen und der Mitgliedstaaten zu kennen und zu erfahren, wer dafür verantwortlich ist.

3.1.4

Es herrscht Einhelligkeit darüber, dass die Kommunikation über Europa nur ein Mittel im Dienste eines Vorhabens ist und diese Kommunikation nur dann erfolgreich sein kann, wenn auch das Vorhaben stimmt. Die Schwierigkeit liegt aber nicht nur in der hohen bzw. geringen Qualität des Vorhabens, sondern auch darin, dass es keine Instrumente dafür gibt, für das Vorhaben zu werben. Genauer gesagt sind es nur die einzelnen Institutionen, die über diese Mittel verfügen. Das Projekt Europa muss in erster Linie von den politischen Entscheidungsträgern der allerhöchsten Ebene getragen werden — vom amtierenden Ratspräsidenten (sprich dem künftigen, im Vertrag von Lissabon vorgesehenen EU-Präsidenten), von den Staats- und Regierungschefs und vom Kommissionspräsidenten. Die am Rat teilnehmenden Minister können besser als irgendjemand sonst in ihrem jeweiligen Land die Beschlüsse erklären, die sie gemeinsam gefasst haben.

3.1.5

Die Kommunikation der einzelnen Institutionen ist klar, zielt sie doch überwiegend darauf ab, über deren Tätigkeit zu informieren. Die Kommunizierung des Projekts Europa steht hingegen naturgemäß stets in der Kritik. Das Fehlen gesonderter Mittel, Kritik von allen Seiten, Politiker, die sich häufig mehr um ihr Image auf nationaler Ebene (auf der sie sich legitimieren müssen) kümmern und deren Bekanntheitsgrad meist nicht über die Grenzen ihres Heimatlandes hinausreicht — all dies führt dazu, dass die politische Kommunikation über das Projekt Europa zu kurz kommt und kaum vernehmbar ist.

3.1.6

Alle zusammen, die politische und die institutionelle Kommunikation, die EU-Institutionen und die einzelstaatlichen Einrichtungen, können die neue gemeinsame Kommunikationspolitik zum Erfolg führen, eine der großen Aufgaben der EU des 21. Jahrhunderts, die mit ihrer Einigkeit in Vielfalt Gebilden homogeneren Charakters in anderen Weltgegenden gegenübersteht. Der Satz Henry Kissingers, wonach Europa keine Telefonnummer habe, ist nach wie vor aktuell.

3.1.7

Es bedarf einer gemeinsamen Kommunikationspolitik einschließlich eines gemeinsamen Bestands an Grundprinzipien, die die Kommunikations- und Informationsstrategie der EU regeln und an die sich die Organe und Einrichtungen der EU und die Mitgliedstaaten zu halten hätten. Sie würde staatliche und nichtstaatliche Organisationen in ihren unterschiedlichen Bemühungen, das Europabewusstsein auf der örtlichen Ebene in jedem Land zu verbessern, unterstützen.

3.1.8

Eine solche Politik wäre auch wichtig dafür, sicherzustellen, dass alle Organe und Einrichtungen der EU ins gleiche Horn blasen. Eine Situation, in der die einzelnen Institutionen gegeneinander konkurrieren, ist ganz und gar abwegig. Natürlich haben sie unterschiedliche Informationsbedürfnisse und Anforderungen, auf die sie eingehen müssen, aber im Großen und Ganzen haben sie dasselbe Ziel vor Augen, was aber in dem Rausch von Selbstrechtfertigung oder Selbstdarstellung untergegangen zu sein scheint.

3.1.9

Es ist an der Zeit, dass die Europäische Union sich ernsthaft einer der wichtigen Herausforderungen des nächsten Jahrzehnts zuwendet, nämlich ihren Bürgerinnen und Bürgern wirklich das Gefühl zu vermitteln, Teil eines Vorhabens zu sein, das die Mühe lohnt und weltweit einzigartig ist.

3.2   Gezielte Ausrichtung

3.2.1

Selbst mit dem Internet ist es nicht möglich, die 495 Mio. Bürger/-innen Europas von Brüssel aus zu erreichen.

3.2.2

Die institutionelle Kommunikation muss gezielt ausgerichtet werden, und es muss davon abgegangen werden, breite Bevölkerungsschichten erreichen zu wollen. Vielmehr sind die Maßnahmen auf jene zuzuschneiden, die sich kompetent zu den Zukunftsvorhaben äußern können, weil sie über das entsprechende Fachwissen verfügen, und die verabschiedeten Rechtsakte anwenden und/oder sie den Betroffenen verständlich darlegen können. Diese Mittler sind am besten dazu in der Lage, die bisherigen und die gegenwärtigen Errungenschaften des europäischen Integrationsprozesses zu erläutern. Unter diesem Gesichtspunkt bietet sich der EWSA, in dem Vertreter aller Bestandteile der Gesellschaft versammelt sind, sicherlich als geeigneter Mittler an.

3.2.3

Vor dem Verfassen eines gedruckten oder auch eines elektronischen Dokuments muss man sich überlegen, welche Zielgruppe man ansprechen will, denn in Abhängigkeit davon wird man jeweils andere Formulierungen und Bilder wählen. Viele Informationsmaterialien gehen offensichtlich ins Leere, weil sie von der Form her an die Allgemeinheit und vom Inhalt her an ein kleine Gruppe von Fachleuten gerichtet sind.

3.2.4

Anzuvisieren ist jeweils eine enger gefasste Zielgruppe von Mittlern mit Fachwissen in einem bestimmten Politikbereich. In dieser Hinsicht kann die EWSA-Initiative „e-bridge“ mit dem elektronischen Newsletter, der jeweils auf die einzelnen Mitglieder zugeschnitten und an deren Kontakte versandt wird, als beispielhafte Vorgehensweise gelten. Dies gilt auch für das Vorhaben des Europäischen Parlaments, die Europa-Abgeordneten und jene der nationalen Parlamente miteinander zu vernetzen. Mit vereinten Kräften können sie eine Vielzahl an einflussreichen Multiplikatoren in ihrem jeweiligen Heimatland erreichen.

3.2.5

Für Mandatsträger, Mitglieder der nationalen Wirtschafts- und Sozialräte, Journalisten und Unterrichtende bedarf es besonderer Informationsmaßnahmen, die sich stets danach richten sollten, mit Hilfe welcher Informationen sich der Europa-Gedanke und die Errungenschaften der Europäischen Union wirksam vermitteln lassen. Dabei ist von den Bedürfnissen der Mittler auszugehen, und nicht etwa vom Wunsch der Institutionen, über ihre Tätigkeit zu informieren.

3.2.6

Wichtig ist es auch, auf die Meinungsbildner da zuzugehen, wo man sie antrifft. Die „social media“ werden immer wichtiger, und für jede Kommunikation muss das richtige Medium gefunden werden.

3.3   Die Rolle der Mandatsträger in der partizipativen Demokratie

3.3.1

Die politische Kommunikation muss die 495 Mio. Bürger/-innen Europas erreichen. Ihr Gegenstand ist der europäische Integrationsprozess, und sie muss vermitteln und verständlich machen, was die EU in der Vergangenheit erreicht hat, was sie gegenwärtig unternimmt und wohin sie künftig steuern will. Sie muss zeigen, inwiefern die EU einen zusätzlichen Nutzen erbringt und in welchen Bereichen sie hilfreich ist und warum. Diese Kommunikation ist Aufgabe der Mitgliedstaaten, insbesondere der am Ministerrat teilnehmenden Minister, die die von ihnen gefassten Beschlüsse am besten erklären können, der politischen Entscheidungsträger und der Vertreter der Zivilgesellschaft, die mit den Bürger/-innen in deren Sprache reden können und diesen ausreichend nahestehen und bekannt genug sind, um Gehör zu finden. Auch wenn sich für alle Europäer/-innen dieselbe Gesamtbilanz aus dem europäischen Einigungsprozess ziehen lässt, so können doch die Erklärungen, warum die EU einen zusätzlichen Nutzen für den Einzelnen und sein jeweiliges Land bringt, für jemanden aus Bulgarien, Estland oder Schweden nicht identisch ausfallen.

3.3.2

Europa lässt sich nur durch Partizipation vermitteln, indem den Bedürfnissen, den Wünschen und den Standpunkten der Bürger/-innen Rechnung getragen wird. Seitens der politisch Verantwortlichen erfordert dies die Fähigkeit, zuzuhören. Eine solche Einbeziehung lässt sich aber nicht von Brüssel oder Straßburg aus bewerkstelligen. Bürgerforen können zwar ein Stimmungsbild der Bevölkerung vermitteln, sie reichen aber nicht, um allen Bürger/-innen das Gefühl zu geben, dass ihre Stimme gehört wird.

3.3.3

Die örtlichen Mandatsträger, die durch die repräsentative Demokratie legitimiert sind und ihren Wähler/-innen nahestehen, sind besser geeignet als Meinungsforschungsinstitute, um die Bürger/-innen nach ihrem Standpunkt zu EU-Vorhaben zu fragen. Und genauso ist es an den Akteuren der Zivilgesellschaft, die von ihnen vertretenen Interessengruppen jeweils nach ihren Standpunkten zu den einzelnen, auf EU-Ebene behandelten Themen zu fragen. Wenn die Mandatsträger über Europa sprechen, wird die Presse dies weitergeben. Auf diese Weise muss es Europa gelingen, einen breiten Raum in den Medien (lokale Presse, Fernsehen und Rundfunk) und den Politblogs der Mandatsträger einzunehmen.

3.3.4

Vertreter der Mitgliedstaaten, Minister, EP-Abgeordnete, Mitglieder des EWSA und des Ausschusses der Regionen, Sozialpartner, Delegierte nichtstaatlicher Organisationen oder nationale Beamte in den Programmausschüssen — jeder muss jedes Jahr seinen Wählern bzw. Klienten über seine Erfahrungen in Brüssel Bericht erstatten (Jahresbericht und Sitzung vor Ort). Europa lässt sich nicht allein von Brüssel aus aufbauen; jeder, der daran mitwirkt, hat die Aufgabe, bei sich daheim zu erklären, was in Brüssel beschlossen wurde. Darüber hinaus muss die Initiative „Zurück an die Schule“ fortgeführt werden.

3.4   Ein gemeinsames Unterrichtsfach „Europäische Bürgerkunde“

3.4.1

Auf europäischer Ebene sollten in allgemeinverständlicher Sprache gehaltene gemeinsame Unterrichtsmaterialien zur Schaffung eines Grundwissens über die Geschichte der europäischen Integration, die Arbeitsweise der EU, ihre Werte und ihre Vorhaben zur Verwendung durch Schüler zur Verfügung gestellt werden. Wichtig wäre dabei, dass diese Materialien für alle jungen Europäer/-innen gleich sind und vom Europäischen Parlament gutgeheißen werden. Um es Kindern zu vermitteln, müsste dieses Grundwissen zunächst auch den örtlichen Mandatsträgern, also jenen Vertretern des Staates, die den Bürger/-innen am nächsten sind, vermittelt werden. Das gemeinsame Grundwissen ist in einem einfachen Dokument zusammenzustellen. Es müsste die Europaflagge, eine Europakarte und eine „Charta des Unionsbürgers“ mit einem Teil über den Sinn der europäischen Integration enthalten: die Geschichte und die Werte der EU sowie einen Teil über die Gemeinschaftspolitik und ihre Wirkung auf den Alltag der Bürger/-innen (Wegfall der Grenzen, Euro, Strukturfonds, Mobilitätsprogramme, Grundrechtecharta etc.). Das Dokument bringt die Einheit zum Ausdruck, aus der sich die Vielfalt verstehen lässt, und ist in den 22 Amtssprachen der EU erhältlich. Es sollte jedem Bürger gemeinsam mit seinem Reisepass ausgehändigt werden.

3.4.2

Die Europakunde ist der erste Schritt, der getan werden muss: Alle Mitgliedstaaten sollten sich bemühen, die Vermittlung dieses gemeinsamen Grundwissens möglichst auf sämtlichen Ebenen zu gewährleisten, also im Rahmen der Schullehrpläne und Bürgerkunde-Lehrbücher, aber auch bei Fortbildungsmaßnahmen zum Thema europäische Integration für Unterrichtende, Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, Journalisten, Akteure der Zivilgesellschaft, Mandatsträger und all diejenigen, die mit den zahlreichen Konsultations-, Koordinations- und Beschlussorganen in Brüssel zu tun haben. Arbeitnehmer könnten auch im Rahmen des lebenslangen Lernens unterrichtet werden.

3.4.3

Außerdem sollte der Erwerb dieses Wissens durch einschlägige Fragen bei Abschlussexamen, Beamten- und Lehrerauswahlverfahren und in der Journalistenausbildung überprüft werden. Ferner sollten Unterrichtende, die das Europa-Wissen verbreiten, untereinander vernetzt werden.

3.4.4

Das gemeinsame Grundwissen umfasst die Werte der Europäischen Union, die sie insgesamt von anderen Weltregionen unterscheiden:

Wahrung der Menschenwürde einschließlich Abschaffung der Todesstrafe und Umsetzung der Urteile des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofes, Wahrung der Privatsphäre, Solidarität zwischen den Generationen;

Wahrung der kulturellen Vielfalt, und zwar nicht durch Abgrenzung von Bevölkerungsgruppen, sondern als individuelles Recht. Rassismus, Antisemitismus und Homophobie sind Straftatbestände;

die Grundrechtecharta schreibt die sozialen Rechte, den sozialen Dialog und die Chancengleichheit fest;

„transnationaler Rechtsstaat“; in der Europäischen Union ist die Rechtsstaatlichkeit an die Stelle des Rechts des Stärkeren getreten. Dies gilt innerhalb der Nationalstaaten, aber auch für die Union als Ganzes. Jeder Unionsbürger kann seine Rechte auch außerhalb seines Heimatlandes geltend machen, sowohl im Hinblick auf das innerstaatliche Recht als auch das Gemeinschaftsrecht;

Raum der Solidarität über nationale und regionale Grenzen hinweg, zwischen den Generationen sowie den einzelnen sozialen Schichten, was sich in den einzelnen EU-Fonds widerspiegelt.

3.5   Informationen über Europa zur Verfügung stellen

3.5.1

Schon jetzt spielen die Mittlerorganisationen eine entscheidende Rolle für die Vermittlung von Informationen und die Sensibilisierung der einzelnen Teile der Gesellschaft. Damit sie diese Aufgabe noch besser wahrnehmen können, müssten ihnen die entsprechenden Instrumente zur Verfügung gestellt werden.

3.5.2

Die Publikationsorgane der zivilgesellschaftlichen Organisationen — Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Gegenseitigkeitsgesellschaften, Verbände der Landwirte, Nichtregierungsorganisationen usw. — sind besonders wirksame Multiplikatoren. Neben Informationen über EU-Vorhaben in ihrem jeweiligen Fachbereich könnten diese Medien es sich zur Regel machen, Vergleiche zu ziehen und darüber zu berichten, welche Maßnahmen in dem jeweils behandelten Themenbereich in anderen EU-Mitgliedstaaten ergriffen werden. Derartige Vergleiche liefern Diskussionsstoff für die Debatten über den Reformbedarf im eigenen Land.

3.5.3

Die Europäische Union könnte Datenbanken in sämtlichen EU-Amtssprachen zur Verfügung stellen, die von diesen sehr bürgernahen, aber finanzschwachen Presseorganen genutzt werden können.

3.6   Begegnungen und Austausch fördern

3.6.1

Wie Austauschprogramme, z.B. Erasmus, gezeigt haben, trägt nichts so sehr zur Herausbildung eines Zugehörigkeitsgefühls zu Europa bei wie direkte Kontakte zu anderen Europäer/-innen. Schul- und Betriebsreisen, Partnerschaften von Städten und Gemeinden, Schulen, Seniorenheimen, sozialen und humanitären Vereinigungen usw. sind ausgezeichnete Mittel zur Förderung des wechselseitigen Verständnisses. Aber es könnten auch weitere Maßnahmen ergriffen werden: Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Vereinigungen könnten beschließen, zu Fortbildungsmaßnahmen auch jemanden aus einem anderen Mitgliedstaat einzuladen. Desgleichen könnte jeder Stadt- oder Gemeinderat mindestens einmal jährlich einen lokalen Mandatsträger aus einem anderen EU-Mitgliedstaat zu sich einladen. Jungen Freiwilligen könnte im Rahmen eines europäischen Zivildienstes die Möglichkeit gegeben werden, in einem anderen europäischen Land Berufserfahrung zu sammeln.

3.6.2

Partnerschaften von Kindergemeinderäten, Seniorenuniversitäten, Chöre sowie Sportwettbewerbe sind nur einige der vielen Möglichkeiten für Begegnungen und gegenseitiges Kennenlernen. Wenn das Problem der Erstattung der Reisekosten erst einmal gelöst ist, würden derartige Treffen schnell ganz von selbst zustande kommen.

3.6.3

Für mehr themenbezogene Treffen zwischen Bürger/-innen der einzelnen Mitgliedstaaten zu sorgen, erfordert Mittel zur Finanzierung der Reisekosten der Gäste aus anderen europäischen Ländern. Die Initiative „Goldene Sterne“ der Generaldirektion Bildung und Kultur, in deren Rahmen Begegnungen von Partnerschaftskomitees und Initiatoren lokaler Initiativen gefördert werden, weist in die richtige Richtung. Es bedarf eines unkomplizierten, dezentralen Verfahrens — die Beträge würden sich in Grenzen halten —, um ein sehr wirkungsvolles Resultat zu erzielen. Das Geld, das durch die Verringerung der Zahl der Broschüren gespart wird, könnte in einen dezentralen Fonds fließen, mit dem die Teilnahme europäischer Kolleg/-innen an der Arbeit von Gewerkschaften, Gemeindeverbänden, Industrieverbänden, Partnerschaftsausschüssen usw. unterstützt wird. Um die Beteiligung der Basis zu fördern, sollten diese Gelder nur die Reisekosten decken und sehr unbürokratisch und rasch von örtlichen Mittlern, z.B. den Europe-Direct-Kontaktstellen oder den Europahäusern, verteilt werden. Bei der Zuteilung der Mittel werden die örtlichen Europa-Akteure konsultiert; sie stützen sich dabei auf ein Jahrbuch, das alle Vor-Ort-Akteure aufführt, die ein Amt in einem Koordinierungs- oder Beschlussorgan in Brüssel oder anderswo innehaben (Europäischer Betriebsrat, Hochschulaustausch etc.).

3.6.4

Denkbar wäre, die Anregung zu unterstützen, dass jede/-r Europäer/-in den Ehrgeiz haben müsste, einmal im Leben nach Brüssel, Straßburg und Luxemburg zu reisen, um die Institutionen zu besichtigen und die Arbeitsweise der EU besser zu verstehen.

3.6.5

Von den Institutionen mitfinanzierte Kommunikationsvorhaben, wie sie die Kommission in ihrer Mitteilung „Debate Europe“ zum Plan D vorsieht, sollten zweckmäßigerweise auch ein Element grenzübergreifender Initiativen enthalten.

3.7   Bessere Nutzung vorhandener Ressourcen

3.7.1

Die EWSA-Stellungnahmen sind als für jedermann zugängliche Analysen der Entwürfe von Rechtsvorschriften (Stellungnahmen auf Befassung) und als Ausdruck der Anliegen der Bürger/-innen (Initiativstellungnahmen) nicht nur inhaltlich von Interesse, sondern vor allem auch aufgrund der Tatsache, dass sie in alle Amtssprachen der Europäischen Union übersetzt werden und somit als gemeinsamer Ausgangspunkt für weitere Überlegungen dienen könnten.

3.7.2

Um sich darüber zu informieren, was andernorts vorgeht, bedarf es eines unionsweiten Kommunikationsmediums. Grenzen abbauen, bedeutet auch zu wissen, wie die Esten ihren Müll entsorgen, wie man in Barcelona heizt, wie viel Mutterschaftsurlaub den Irinnen zusteht oder wie die Lohngestaltung in Rumänien erfolgt. Das Bewusstsein, dass die Menschen in anderen Teilen Europas vor denselben Herausforderungen stehen, und das Wissen darüber, wie Probleme andernorts gelöst werden: dies wird dazu beitragen, dass sich der Einzelne als Teil eines gemeinsamen Europas begreift.

3.7.3

Einem transnationalen, audiovisuellen Medium, wie z.B. Euronews, kommt eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung von Bildmaterial und Reportagen zu. Es müsste sichergestellt werden, dass die nationalen öffentlich-rechtlichen Sender explizit zur Berichterstattung über Europafragen verpflichtet werden; außerdem müsste eine europäische öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt geschaffen werden.

3.7.4

Die Eurovision könnte stärker dazu genutzt werden, um Sendungen aus bestimmten Anlässen zu einer festen Einrichtung zu machen und Europa zu etwas Gewohntem werden zu lassen: Übertragung der Wünsche des Kommissionspräsidenten in allen Sprachen, europäischer Sportwettbewerbe usw.

3.8   Europa ist nicht gleich Ausland

3.8.1

In zu vielen EU-Mitgliedstaaten fallen Europafragen in die Zuständigkeit des Außenministeriums; noch sind Informationen zum Thema Europa in den Medien zu häufig unter der Rubrik „Ausland“ zu finden, und in zu vielen Organisationen werden Europafragen im Ressort „Internationales“ behandelt. In Wirklichkeit ist es aber doch so, dass zur Arbeit der nationalen Parlamente die Umsetzung von EU-Richtlinien gehört, die alle Bereiche der Gesellschaft betreffen; es handelt sich demnach nicht um „auswärtige“, sondern um „innere“ Angelegenheiten. Europafragen spielen heutzutage in sämtliche Bereiche der Innenpolitik der Mitgliedstaaten hinein. Es müssten mit umfassenden Kompetenzen ausgestattete Europa-Ministerien mit eigenen Dienststellen zur Erstellung von Analysen und Prognosen und zur Kommunikation und Unterstützung der Zivilgesellschaft geschaffen werden.

3.8.2

Des Weiteren muss bei jedem Thema auch dessen europäische Dimension berücksichtigt und verglichen werden, wie es in den anderen EU-Mitgliedstaaten behandelt wird.

3.8.3

Das Ausland beginnt an den Außengrenzen der EU und nicht an den Grenzen der einzelnen Mitgliedstaaten. Der Reiz, den das „europäische Modell“ für Drittstaaten hat, verdeutlicht den eigentlichen Sinn der europäischen Integration, sei es nun im Hinblick auf den Aufbau eines großen Marktes oder eines transnationalen Demokratiemodells zur Abbildung der Vielfalt.

3.8.4

Die Organisation von Informationsveranstaltungen für Führungskräfte aus anderen Erdteilen mit Erläuterungen zum europäischen Integrationsprozess und der Arbeitsweise der EU könnte zu einem besseren Image Europas sowohl in der Welt als auch innerhalb der EU selbst sowie zur weltweiten Verbreitung der europäischen Werte beitragen.

3.9   Organisation von Veranstaltungen

3.9.1

Wie jeder Kommunikationsprofi weiß, muss man, um von sich reden zu machen, Events veranstalten und geplante Ereignisse für die Kommunikation nutzen. Müsste nicht etwa bei der Medaillenverleihung im Rahmen internationaler Sportwettkämpfe die Europaflagge gemeinsam mit der Flagge des jeweiligen Mitgliedstaates gehisst werden? Sollten die Sportler auf ihren Anzügen außer den Nationalfarben nicht auch die Europaflagge tragen? Und sollten bei den Olympischen Spielen nicht die Medaillen gezählt werden, die Europa errungen hat?

3.9.2

Die Europawahlen und der Jahrestag des Falls der Berliner Mauer sind weitere Ereignisse, die nicht versäumt werden dürfen. Zudem sollte der Europatag am 9. Mai, eventuell anstelle eines anderen arbeitsfreien Tages, zum Feiertag erklärt werden. Schließlich sollten EU-Veranstaltungen nicht ausschließlich in Brüssel organisiert und nationalen Feiertagen eine europäische Dimension verliehen werden.

4.   Verweis auf frühere Empfehlungen des Ausschusses

4.1

Der Ausschuss weist auf seine früheren Empfehlungen hin, die er im Zusammenhang mit dem Kommunikationsthema an die Kommission gerichtet hat, wie etwa die Empfehlungen im Anhang zu seiner Stellungnahme vom Oktober 2005 zum Thema „Denkpause: Struktur, Themen und Rahmen für eine Bewertung der Debatte über die Europäische Union“ (CESE 1249/2005 (4)), seine Stellungnahme vom Dezember 2005 zum Thema „Der Beitrag der Kommission in der Zeit der Reflexion und danach: Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion“ (CESE 1499/2005 (5)), seine Stellungnahme zum „Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik“ vom Juli 2006 (CESE 972/2006 (6)) sowie seine im April 2008 verabschiedete Stellungnahme „Partnerschaft für die Kommunikation über Europa“ (CESE 774/2008).

Brüssel, den 10. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Brüssel, 2.4.2008, KOM(2008) 158 endg.

(2)  Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 26.10.2006 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“, Berichterstatterin: Frau LE NOUAIL MARLIÈRE (ABl. C 324 vom 30.12.2006), außerdem die im Juli 2008 zur Verabschiedung anstehende Sondierungsstellungnahme zum Thema „Mehrsprachigkeit“, Dossier SOC/306, Berichterstatterin: Frau LE NOUAIL MARLIÈRE, sowie die Vorschläge der Gruppe um Amin Maalouf.

(3)  ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 115-119.

(4)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 42-46.

(5)  ABl. C 65 vom 17.3.2006, S. 92-93.

(6)  ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 115-119.