ISSN 1725-2407 |
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Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211 |
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Ausgabe in deutscher Sprache |
Mitteilungen und Bekanntmachungen |
51. Jahrgang |
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III Vorbereitende Rechtsakte |
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EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS |
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444. Plenartagung vom 22./23. April 2008 |
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2008/C 211/01 |
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2008/C 211/02 |
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2008/C 211/03 |
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2008/C 211/04 |
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2008/C 211/05 |
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2008/C 211/06 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: |
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2008/C 211/07 |
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2008/C 211/08 |
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2008/C 211/09 |
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2008/C 211/10 |
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2008/C 211/11 |
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2008/C 211/12 |
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2008/C 211/13 |
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2008/C 211/14 |
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2008/C 211/15 |
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2008/C 211/16 |
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2008/C 211/17 |
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2008/C 211/18 |
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2008/C 211/19 |
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2008/C 211/20 |
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2008/C 211/21 |
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2008/C 211/22 |
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DE |
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III Vorbereitende Rechtsakte
EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS
444. Plenartagung vom 22./23. April 2008
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/1 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission — Wettbewerbsfähige europäische Regionen durch Forschung und Innovation. Ein Beitrag zu mehr Wachstum sowie zur qualitativen und quantitativen Verbesserung der Beschäftigungslage“
KOM(2007) 474 endg.
(2008/C 211/01)
Die Europäische Kommission beschloss am 16. August 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission — Wettbewerbsfähige europäische Regionen durch Forschung und Innovation. Ein Beitrag zu mehr Wachstum sowie zur qualitativen und quantitativen Verbesserung der Beschäftigungslage“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 3. April 2008 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 130 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Ausschuss kann die Initiative der Kommission nur dann nachdrücklich unterstützen, wenn sie nicht nur die Probleme auf der Nachfrageseite berücksichtigt, sondern auch und vor allem die Optimierung auf der Angebotsseite durch die Beseitigung der derzeitigen Mängel und die Verringerung des bürokratischen Aufwands anstrebt. |
1.2 |
Der Ausschuss ist fest davon überzeugt, dass die Förderung von Maßnahmen auf lokaler und regionaler Ebene und die Fähigkeit zu ihrer Vernetzung für die Durchführung der Lissabon-Strategie entscheidend sind, um gemeinsame FuE-Anstrengungen zu verwirklichen, die mit Erfolg dazu beitragen, die Gründung und Entwicklung innovativer Unternehmen in der gesamten Union zu fördern und insbesondere auch die wirtschaftlichen und sozialen Akteure vor Ort in die Verwirklichung gemeinsamer Ziele im Hinblick auf mehr und bessere Arbeitsplätze im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung und eines globalen Wettbewerbs einzubinden. |
1.3 |
Der Ausschuss hebt die Bedeutung des aus Forschung, Bildung und Innovation gebildeten „Wissensdreiecks“ hervor, dem bei der Förderung von Wachstum und Beschäftigung zentrale Bedeutung zukommt. Deshalb müssen die Reformen beschleunigt, ein Spitzenniveau in der Hochschulbildung und in den Partnerschaften zwischen Universitäten. Forschungseinrichtungen und Unternehmen angestrebt und sichergestellt werden, dass alle Bereiche der Bildung und Ausbildung ihrer Rolle bei der Förderung von Kreativität und Innovation — insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene — voll und ganz gerecht werden. Dies gilt insbesondere für die „EUREGIOS“, in denen sich die vernetzte Zusammenarbeit zwischen den benachbarten Regionen und den Partnern auf Bereiche erstreckt, die über die Landesgrenzen hinausreichen. |
1.4 |
Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche, soziale und beschäftigungsbezogene Entwicklung der europäischen Regionen von allen Seiten auf proaktivere und koordiniertere Art und Weise als bisher angegangen werden müssen, um die konkreten Ergebnisse bei der Verwirklichung der Lissabon-Ziele zu optimieren. |
1.5 |
Der Ausschuss teilt voll und ganz die Diagnose der Kommission bezüglich der Mängel beim gemeinsamen und koordinierten Einsatz der Gemeinschaftsinstrumente, stellt allerdings mit Bedauern fest, dass dieser zentrale Aspekt nach nunmehr zehn Jahren immer noch mit einem Ansatz behandelt wird, der nicht zum Kern des Problems vorstößt, und dass neue Fähigkeiten des „simultaneous engineering“ (1) zwischen verschiedenen Arten von gemeinschaftlichen und europaweiten Maßnahmen erforderlich wären. |
1.6 |
Der Ausschuss hält es zwar für notwendig, aber nicht hinreichend, ausschließlich auf der Nachfrageseite tätig zu werden. Über den Hinweis darauf, dass der Schwerpunkt stärker auf den Regionen liegen sollte, muss seiner Meinung nach hinausgegangen und Folgendes verwirklicht werden:
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1.7 |
Auf der Angebotsseite sind nach Ansicht der Ausschusses tiefgreifende Maßnahmen erforderlich, um kohärente Rahmenbedingungen und einen problemlosen Zugang zu sämtlichen Instrumenten zu gewährleisten, die für die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Regionen zur Verfügung stehen. Dabei gilt es, Probleme rechtlicher Natur und im Hinblick auf unterschiedliche Zeitpunkte bei der Inanspruchnahme und Auszahlung der Finanzhilfen zu beseitigen. |
1.8 |
Der Ausschuss hält es für unverzichtbar, einen europäischen praktischen Leitfaden zu erstellen mit einer synoptischen Übersicht über:
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1.9 |
Der Ausschuss ist der Meinung, dass präzise und maßgeschneiderte Gemeinschaftsmaßnahmen nicht mehr aufgeschoben werden dürfen, um neue Fähigkeiten des „simultaneous engineering“ (koordinierten Ablaufs) zwischen verschiedenen Arten von Maßnahmen und eine optimale Bündelung der Ressourcen in der betreffenden Region zu gewährleisten. |
1.10 |
Nach Auffassung des Ausschusses ist es daher von vorrangiger Bedeutung, die durch die Vielzahl der beteiligten Verwaltungsebenen und die Fragmentierung der Interventionen verursachten Probleme zu lösen, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Regionen wiederanzukurbeln, worauf er bereits in früheren Stellungnahmen hingewiesen hat (2). Zu diesem Zweck schlägt er eine neue Initiative — JASMINE (Joint Assistance Supporting Multiprojects for Innovation Networking in Europe) — vor, um die bestehenden institutionellen Lücken auf der Nachfrage- und Angebotsseite zu schließen und den bürokratischen Aufwand deutlich zu verringern. |
1.11 |
JASMINE sollte auf ein besseres Verständnis und eine größere Kohärenz des Verhaltens der verschiedenen Akteure ausgerichtet sein, die im Rahmen einer einheitlichen und kohärenten Regionalplanung an einem vernetzten Entscheidungsfindungsprozess beteiligt sind. |
2. Vorbemerkung
2.1 |
Die wissensorientierten Regionen Europas sind mit zahlreichen Faktoren des Wandels konfrontiert, die Herausforderungen darstellen, aber auch Chancen bieten und die ihre Fähigkeit beeinflussen, die Ziele der erneuerten Lissabon-Strategie zu erreichen. |
2.2 |
Bei diesen Faktoren des Wandels lassen sich unterscheiden: — Exogene Faktoren: ein verstärkter Globalisierungsprozess, das Entstehen kontinentaler Gebiete mit hoher Wachstumsdynamik, ein starker Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise, unvorhergesehene wissenschaftliche und technologische Entwicklungen, die Internationalisierung von Innovationen, Probleme im Zusammenhang mit dem Klimawandel, ein oftmals ungesteuerter oder nicht steuerbarer Migrationsdruck; — Endogene Faktoren: die Bevölkerungsalterung; Umweltschutz und Wahrung der Lebensqualität, Veralten der Produktionsanlagen und des Dienstleistungsangebots, Modernisierung des öffentlichen Sektors, zunehmende Wechselbeziehungen zwischen neuem Wissen und verfügbaren Humanressourcen, Entwicklungsfähigkeit in puncto Kultur und Kreativität, die Entwicklung gemeinsamer territorialer — materieller und immaterieller — Infrastrukturen. |
2.3 |
Der Ausschuss hat sich zu diesen Themen bereits mehrfach geäußert, sowohl allgemein zu den Entwicklungen der Lissabon-Strategie und der gemeinschaftlichen Politik in den Bereichen Forschung und Innovation, Umwelt sowie Bildung und Ausbildung, als auch zu spezifischen Bereichen. |
2.4 |
Der Ausschuss hatte insbesondere darauf hingewiesen, dass „allen Gebieten der Europäischen Union die notwendigen Mittel in die Hand (…) (ge)geben (werden müssen), um sich den Herausforderungen des Übergangs zur wissensbasierten Wirtschaft stellen zu können, um so dazu beizutragen, dass alle Regionen den Zielen von Lissabon gerecht werden können“ (3). |
2.5 |
Ferner hat der Ausschuss darauf hingewiesen, dass „die Neukonfigurierung der Wettbewerbsmodelle auf dem globalen Markt (…) drastische Veränderungen (erfordert). Die neuen integrierten Plattformen und Netzwerke müssen die Herausforderungen in den Bereichen Forschung und Innovation […] Absatzförderung und Vertrieb, Finanzen und Kredite, Logistik, Marktbeobachtung und Kundendienstorganisation bewältigen“ (4). |
2.6 |
Der Ausschuss bekräftigt seine Überzeugung, dass die Förderung von Maßnahmen auf lokaler Ebene und die Fähigkeit, diese zwecks Umsetzung der Lissabon-Strategie zu vernetzen, notwendig sind, um die Gründung innovativer Unternehmen im gesamten Unionsgebiet in einem Rahmen nachhaltiger und wettbewerbsfähiger Entwicklung zu fördern. Dies sollte sich insbesondere auf all jene Regionen — „EUREGIOS“ — und Aktivitäten erstrecken, bei denen die vernetzte Zusammenarbeit zwischen den benachbarten Regionen und den Partnern über die Landesgrenzen hinausreicht. |
2.7 |
Der Ausschuss hat in seiner Stellungnahme zum Grünbuch über die neuen Perspektiven des europäischen Forschungsraums empfohlen, diesen „durch einen Europäischen Wissensraum zu ergänzen mit dem Ziel, eine Europäische Wissensgesellschaft zu schaffen“, und hat darauf hingewiesen, dass „Koordinierung seitens der Kommission (…) erforderlich (ist), um […] wirksame Leitungs- und Beratungsstrukturen sowie gut funktionierende Arbeitsorganisationen aufzubauen“ (5). |
2.8 |
Der Ausschuss hat schließlich die Bedeutung des aus Forschung, Bildung und Innovation gebildeten „Wissensdreiecks“ hervorgehoben, dem bei der Förderung von Wachstum und Beschäftigung zentrale Bedeutung zukommt. Deshalb müssen die Reformen beschleunigt, ein Spitzenniveau in der Hochschulbildung und in den Partnerschaften zwischen Universitäten, Forschungsreinrichtungen und Unternehmen angestrebt und sichergestellt werden, dass alle Bereiche der Bildung und Ausbildung ihrer Rolle bei der Förderung von Kreativität und Innovation — insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene — voll und ganz gerecht werden. |
2.9 |
Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche, soziale und beschäftigungsbezogene Entwicklung der europäischen Regionen von allen Seiten auf proaktivere und koordiniertere Art und Weise angegangen werden müssen. Dabei ist insbesondere die Kommission gefordert, die bestimmte Beschränkungen der Rechtsgrundlagen und der Verfahrensvorschriften überwinden muss, um mit Hilfe der verschiedenen Instrumente des Gemeinschaftshaushalts bei der Verwirklichung der Lissabon-Ziele bessere konkrete Ergebnisse zu erzielen und damit die Erwartungen der Steuerzahler zu erfüllen. Dies ist auch im Hinblick auf den wirksamen Zugang aller, auf Koordinierung, Stärkung der Synergien und Synchronisierung der auf gemeinschaftlicher und gesamteuropäischer Ebene einsetzbaren Maßnahmen wichtig, um die für einen Multiplikatoreffekt notwendige kritische Masse zu erreichen. |
2.10 |
In Übereinstimmung mit den integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung der überarbeiteten Lissabon-Agenda werden für die Kohäsionspolitik drei strategische Prioritäten festgelegt (6):
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2.11 |
Auf der Angebotsseite sind die Schwierigkeiten, die einer Hebelwirkung und einem koordinierten Einsatz der für das Erreichen der Ziele verfügbaren Instrumente entgegenstehen, auf die folgenden spezifischen Merkmale dieser Instrumente zurückzuführen:
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2.12 |
Auf der Nachfrageseite sind bei den Regionen häufig folgende Mängel zu beobachten:
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2.13 |
Zur Beseitigung der Mängel muss für sämtliche Gemeinschaftsprogramme von Anfang an technische Unterstützung und Koordinierung bereitgestellt werden. |
2.14 |
Die lobenswerten Bemühungen um Synergie, die bei den Ansätzen für verschiedene Strukturprogramme und -maßnahmen für den Zeitraum 2007-2013 zu erkennen sind, erscheinen als eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für das Erzielen optimaler konkreter Ergebnisse. |
2.15 |
Der Ausschuss hat Kommissionsinitiativen wie JEREMIE begrüßt und die Einrichtung einer Anlaufstelle JEREMIE vorgeschlagen, die als Koordinations- und Informationsschnittstelle für die verschiedenen Maßnahmen fungiert, und darauf hingewiesen, dass es „an einem geeigneten Konzept für die Koordinierung und den wirkungsvollen Einsatz der zahlreichen derzeit bestehenden Finanzierungsinstrumente mangelt“ (8). |
2.16 |
Der Ausschuss steht voll und ganz hinter der Erklärung von Frau Kommissarin Danuta Hübner in Bezug auf JASPERS, JEREMIE und JESSICA, die „in den Mitgliedstaaten und den Regionen sowie unter den Sozialpartnern in allen Regionen der EU eine neue Dynamik und Erwartungen in Investitionen, Wachstum und Arbeitsplätze geweckt haben“ (9). |
2.17 |
Die im September 2007 veröffentlichen Leitlinien des EU-Ausschusses für wissenschaftliche und technische Forschung (CREST) (10) sind eine wichtige Orientierungshilfe, obgleich sie sich auf die Wechselbeziehungen zwischen dem FTED-Rahmenprogramm und den neuen Strukturfonds beschränken. |
3. Der Kommissionsvorschlag
3.1 |
Der Vorschlag der Europäischen Kommission verdeutlicht die potenziellen Synergieeffekte bei der konzeptuellen Gestaltung der Finanzierungsinstrumente für die europäische Forschungs-, Innovations- und Kohäsionspolitik, die den interessierten Parteien zur Verfügung stehen, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Regionen im Einklang mit ihren Absorptionskapazitäten zu steigern. |
3.2 |
Als wichtigste Instrumente werden neben den neuen Leitlinien für die Struktur- und Kohäsionsfonds das 7. Forschungsrahmenprogramm sowie das neue Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) genannt. |
3.3 |
Die Kommission gibt an, verschiedene beratende Gruppen zur Koordinierung eingesetzt zu haben, die folgende Empfehlungen ausgesprochen haben:
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3.4 |
Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, die Modalitäten für die koordinierte Vorbereitung und Nutzung von Gemeinschaftsinstrumenten zu perfektionieren und Systeme zu schaffen, um die betroffenen Akteure über die Möglichkeiten, die die Gemeinschaftsinstrumente bieten, zu informieren. Sie verpflichtet sich, bis 2007 einen praktischen Leitfaden über Finanzierungsmöglichkeiten für Forschungseinrichtungen und Unternehmen zu veröffentlichen, der die auf nationaler und regionaler Ebene vorgesehenen Verfahren enthält, um die koordinierte Nutzung der Finanzierungsmöglichkeiten zu erleichtern. |
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1 |
Der Ausschuss teilt voll und ganz die Diagnose der Kommission bezüglich der Mängel beim gemeinsamen und koordinierten Einsatz der von ihr aufgezeigten Gemeinschaftsinstrumente, ist aber in Bezug auf die Therapie anderer Meinung: er hält die vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen für unzulänglich, um die Ziele der Gemeinschaftspolitik, insbesondere im Bereich der Forschung, Innovation und Ausbildung, erreichen zu können. |
4.2 |
Der Ausschuss stimmt mit der Kommission überein (11), dass „im Mittelpunkt der Realisierung der erneuerten Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung (…) die Bemühung steht, die wissensbasierte Wirtschaft insbesondere mittels Forschung, technologischer Entwicklung und Innovation zu fördern“. Er ist allerdings der Auffassung, dass diese Partnerschaft auf der gemeinsamen Verantwortung aller Beteiligten basieren muss, in erster Linie auf Gemeinschaftsebene — neben der nationalen, regionalen und lokalen Ebene. |
4.3 |
Nach Auffassung des Ausschusses muss über die Entwicklung einer territorialen Strategie für Forschung, technologische Entwicklung und Innovation hinausgegangen werden, wobei folgende Mittel verstärkt zum Einsatz kommen müssen:
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4.4 |
Nach Auffassung des Ausschusses sind auf der Angebotsseite tiefgreifende Maßnahmen erforderlich, um den problemlosen Zugang zu sämtlichen Instrumenten zu gewährleisten, die für die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Regionen im Einklang mit den Zielen der „sozialverantwortlichen Entwicklung eines Gebiets“ unter Einbeziehung der Sozialpartner, der Handelskammern, der Wissenschaftsgemeinde und der organisierten Zivilgesellschaft zur Verfügung stehen, wobei die Strategien für eine nachhaltige europäische Industriepolitik (13) sowie für eine nachhaltige Produktion und einen nachhaltigen Verbrauch zu berücksichtigen sind. |
4.5 |
Der Ausschuss ist überdies der Ansicht, dass die Auflistung der Instrumente, die mittels Forschung und Innovation zur Stärkung des Wachstums und zur quantitativen und qualitativen Verbesserung der Beschäftigung und der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Regionen beitragen, unter dem Aspekt der zur Verfügung stehenden gemeinschaftlichen Handlungsinstrumente als lückenhaft und in Bezug auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Koordinierung der einsetzbaren gesamteuropäischen und internationalen Instrumente als mangelhaft zu bezeichnen ist. |
4.6 |
In der Mitteilung werden z.B. folgende Interventionsmöglichkeiten nicht bzw. allenfalls am Rande (14) erwähnt:
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4.7 |
Außerdem bleiben gesamteuropäische, nichtgemeinschaftliche Programme unerwähnt, die sich jedoch gleichwohl auf die technologische Entwicklung auf dem Gebiet der EU auswirken, wie z.B.:
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4.8 |
Der Ausschuss ist ferner der Auffassung, dass die angeführten Schwierigkeiten und Hemmnisse für einen gemeinsamen und koordinierten Einsatz der Instrumente (19) auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sowie durch die einzelnen Wirtschaftsakteure — gemäß Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates (Artikel 54 Absatz 5) — präzisiert werden müssen, und zwar nicht nur in Bezug auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen, Ausrichtung auf spezielle Themenkreise, geografische Bereiche und Durchführungsbestimmungen, sondern auch mit Blick auf wesentliche Unterschiede mit mitunter ausschließendem Charakter wie z.B.:
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4.9 |
Der Ausschuss hält es für unverzichtbar, einen europäischen praktischen Leitfaden zu erstellen mit einer synoptischen Übersicht über die verfügbaren gemeinschaftlichen und gesamteuropäischen Instrumente, die unterschiedlichen Bewertungskriterien sowie Angaben dazu, inwieweit verschiedene Instrumente miteinander kompatibel sind bzw. einander ergänzen können. |
4.10 |
Der Ausschuss betont, „wie bereits mehrfach angeregt“, dass „das Verhältnis zwischen den Strukturpolitiken der Gemeinschaft und den Forschungs- und Innovationspolitiken der Union“ Gegenstand einer koordinierten gemeinsamen Aktion sein muss, und unterstreicht, „dass eine enge Koordinierung zwischen diesen Politiken unverzichtbar ist, um ein optimales Niveau an operationeller Synergie zu erzielen und den Bedürfnissen der Bürger, der Unternehmen und der Gesellschaft nachzukommen, wobei das globale Ziel in einem nachhaltigen und harmonischen mittelfristigen Wachstum besteht, wie es dem integrierten Problemlösungsansatz der FTED und der Entwicklung der immateriellen Investitionen, eines Schlüsselfaktors, entspricht“ (20). |
4.11 |
In Anbetracht der Vielzahl der Gemeinschaftspolitiken, die gemeinsam mit der Kohäsions- und Forschungspolitik zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Regionen beitragen, weist der Ausschuss auf die Notwendigkeit eines integrierten und koordinierten Ansatzes hin. Dies bedarf insbesondere
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4.12 |
In diesem Zusammenhang hatte der Ausschuss schon früher auf folgende Punkte hingewiesen (23):
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4.12.1 |
Der Ausschuss hatte ferner die Integration der gemeinschaftlichen Ausbildungsprogramme empfohlen. |
4.13 |
Der Ausschuss stellt mit Bedauern fest, dass dieser zentrale Aspekt nach nunmehr zehn Jahren immer noch mit einem Ansatz behandelt wird, der nicht zum Kern des Problems vorstößt. Dazu wäre ein gemeinschaftliches Handeln erforderlich, das „neue Fähigkeiten des ‚simultaneous engineering‘ (koordinierten Ablaufs) zwischen verschiedenen Arten von Maßnahmen (Technologie, Demonstration, Innovation, Verbreitung, Ausbildung, Finanzierung usw.) gewährleistet; Fähigkeiten, die sich positiv auf die Beschäftigung und die Produktion in den verschiedenen Regionen auswirken sollen“ (24). |
4.14 |
Der Ausschuss ist der Auffassung, dass präzise und maßgeschneiderte Gemeinschaftsmaßnahmen nicht mehr aufgeschoben werden dürfen, da sonst die europäischen Regionen Gefahr laufen, Einbußen in puncto Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung hinnehmen zu müssen. |
5. Der Vorschlag des EWSA
Die Initiative JASMINE (Joint Assistance Supporting Multiprojects for Innovation Networking in Europe = Gemeinsame Hilfe bei der Unterstützung von Mehrfachprojekten für die Vernetzung der Innovationstätigkeit in Europa)
5.1 |
Der Ausschuss fordert mit Nachdruck, dass JASMINE ein freiwilliges Instrument zur Vereinfachung und zur Beseitigung bürokratischer, prozeduraler und konzeptioneller Hemmnisse für die kombinierte Nutzung gesamteuropäischer, gemeinschaftlicher, nationaler und regionaler Programme im Einklang mit dem Ziel einer beschleunigten Entwicklung des Europäischen Forschungsraums (EFR) sein muss. |
5.2 |
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es nach Auffassung des Ausschusses von vorrangiger Bedeutung, die durch die Vielzahl der bei den verschiedenen Interventionsinstrumenten beteiligten Verwaltungsebenen verursachten Probleme zu lösen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Regionen wiederanzukurbeln. Zu diesem Zweck schlägt er eine neue Initiative — JASMINE (Joint Assistance Supporting Multiprojects for Innovation Networking in Europe) — vor, um die bestehenden institutionellen Lücken auf der Nachfrage- und Angebotsseite bei den Maßnahmen zur Förderung von Innovation und Forschung in den Regionen zu schließen. |
5.3 |
Die konkreten Maßnahmen der EU sollten auf Vernetzung — Policy Networking — basieren und könnten folgendermaßen aussehen:
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5.4 |
Die neuen Prioritäten der Regionalprogramme, die auf Innovation, Wettbewerbsfähigkeit sowie ein kontinuierliches Voneinanderlernen ausgerichtet sind, sollten die Entwicklung politischer Maßnahmen für die aktive Stärkung und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit mit Hilfe von regionalen und interregionalen Vorausplanungsmaßnahmen, Clustern und Netzwerken ermöglichen, die eine gemeinsame Strategie für jede einzelne Region gewährleisten, auf deren Grundlage technische Hilfe zur optimalen gemeinsamen Nutzung der geeigneten nationalen, gemeinschaftlichen Instrumente und öffentlich-privaten Partnerschaften geleistet werden kann. |
5.5 |
JASMINE könnte gegenüber den verschiedenen Finanzinstituten und Finanzierungsprogrammen als eine Art Gütesiegel für die vereinfachte Genehmigung unmittelbarer Ergänzungs- und/oder Nachfolgeprojekte dienen, und zwar auf der Grundlage von Memoranda of Understanding oder Kooperationsvereinbarungen zwischen der Europäischen Kommission und anderen gemeinschaftlichen und nichtgemeinschaftlichen Organisationen bzw. Verwaltungsanweisungen der Kommission für ihre verschiedenen eigenen Dienststellen, die für die einzelnen Programme zuständig sind, damit von der Vielzahl von Vergabestellen, denen ein Vorschlagspaket unterbreitet wird, eine einzige Programmplanungsdokumentation angenommen wird. |
5.6 |
Durch JASMINE soll der Zugang zu Finanzmitteln erleichtert werden, deren Verwaltung in unterschiedliche Zuständigkeiten fällt und unterschiedlichen öffentlichen und privaten Entscheidungsträgern obliegt, um bei den Ressourcen eine optimale kritische Masse — und dadurch eine verstärkte Gesamthebelwirkung — für die Schaffung eines einheitlichen, mehrere Projekte umfassenden Rahmens zu erreichen, der in vollem Maße der gemeinsamen Strategie einer europäischen Region für den weiteren Ausbau ihrer Stärken im technologisch-innovativen Bereich entspricht. |
5.7 |
JASMINE sollte auf den Erfahrungen und Ergebnissen der Lead Market Initiative, der europäischen Technologieplattformen, der gemeinsamen Technologieinitiativen, ERANET und ERANET-PLUS, „Regionen für den wirtschaftlichen Wandel“ und „Pro Inno“ sowie JEREMIE, JASPERS und JESSICA (28) aufbauen. |
5.8 |
Durch JASMINE könnten die Innovations- und Forschungsanstrengungen der Regionen und Unternehmen sowie der Einsatz der Humanressourcen, Hochschulen, Forschungszentren und Verwaltungen, auf die sie sich stützen, auch über die Wissens- und Innovationsgemeinschaften (KIC) des Europäischen Technologieinstituts (EIT), optimiert werden. Es muss jedoch daran erinnert werden, dass Innovation zu einem Großteil eine unternehmerische Tätigkeit ist. Sie muss sich unter optimalen Rahmenbedingungen entfalten können — vor allem in puncto Besteuerung von Forschungstätigkeit, Behandlung und Schutz von geistigem Eigentum sowie Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen auf Spitzenniveau, damit mehr und bessere Arbeitsplätze geschaffen werden können. |
5.9 |
Schließlich könnte JASMINE zur Nutzung der spezifischen Stärken der einzelnen Regionen und zur Förderung des Austauschs im Bereich Innovationen und Forschung beitragen. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Gemäß der Verwendung dieses Begriffs in den Dokumenten der Kommission im Sinne einer parallelen Planung und eines koordinierten Ablaufs.
(2) Vgl. Stellungnahme ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 1, Berichterstatter: Herr Wolf: „Der Ausschuss empfiehlt, klare und verständliche Regelungen für die vielfältigen Instrumente gemeinschaftlicher FuE-Förderung und Koordinierung zu entwickeln, einschließlich einer zusammenfassenden Aufstellung (und Gebrauchsanweisung) aller der Kommission für FuE-Ziele zur Verfügung stehenden Förder- und Koordinierungsinstrumente und -formen …)“.
(3) Vgl. Stellungnahme ABl. C 10 vom 14.1.2004, S. 88, Berichterstatter: Herr MALOSSE.
(4) Vgl. Stellungnahme ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 1.
(5) Vgl. Stellungnahme ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 1.
(6) Entscheidung des Rates vom 6.10.2006.
(7) Vgl. Initiative „Städte der Wissenschaft“
www.sciencecities.eu
(8) Vgl. ABl. C 110 vom 9.5.2006.
(9) JEREMIE: (Joint European Resources for Micro-to-Medium Enterprises) Gemeinsame europäische Mittel für kleinste bis mittlere Unternehmen. JESSICA: (Joint European Support for Sustainable Investment in City Areas) Gemeinsame europäische Unterstützung für nachhaltige Investitionen in städtischen Gebieten. JASPERS: (Joint Assistance to Support Projects in the European Regions) Gemeinsame Unterstützung für Projekte in europäischen Regionen.
(10) CREST-Leitlinien — 1.6.2007.
(11) Vgl. KOM(2007) 474 endg.
(12) SWOT: engl. Akronym für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threats (Gefahren).
(13) KOM(2007) 374 endg. vom 4.7.2007.
(14) Vgl. SEC(2007) 1045 vom 18.8.2007 (Anmerkung der Übersetzung: liegt nur in Englisch vor).
(15) KOM(2007) 703 endg. vom 12.11.2007.
(16) Vgl. KOM(2007) 146 endg.
(17) Vgl. KOM(2006) 91 endg.
(18) Vgl. Stellungnahme ABl. C 318 vom 23.12.2006.
(19) Vgl. Stellungnahme ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 1, Berichterstatter: Herr Wolf: „Bisherige Instrumente gemeinschaftlicher Förderung und Koordinierung. Demgegenüber empfiehlt der Ausschuss, allgemeine, klare und verständliche Regelungen für die vielfältigen Instrumente gemeinschaftlicher FuE-Förderung und Koordinierung zu entwickeln. Dabei wäre es sehr hilfreich, wenn die Kommission eine Aufstellung und Beschreibung — d.h. eine verständliche Gebrauchsanweisung — aller ihr zur Verfügung stehenden Förder- und Koordinierungsinstrumente und -formen etc. verfassen würde. Daraus würde dann auch ersichtlich, ob deren wachsende Vielzahl noch genügend Aufgabenklarheit und Trennschärfe aufweist, und ob sie sowohl für potenzielle Nutzer als auch für die Beamten der Kommission selbst überschaubar und handhabbar bleiben oder einer klärenden Überarbeitung bedürfen“.
(20) Vgl. Stellungnahme ABl. C 40 vom 15.2.1999.
(21) Tagung des Europäischen Rates am 14. Dezember 2007 in Brüssel, Schlussfolgerungen des Vorsitzes.
(22) Diese Auffassung kam in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 13./14. März 2008 (Punkt 16) sowie in den Stellungnahmen des EWSA zum Ausdruck.
(23) Vgl. Stellungnahme ABl. C 40 vom 15.2.1999.
(24) Vgl. Fußnote 21.
(25) Vgl. GD Regionalpolitik, Europäische Kommission, Januar 2003.
(26) Vgl. Stellungnahme ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 1: „Auf jeden Fall sollte der Eindruck vermieden werden, die Kommission strebe eine zentrale Lenkung der europäischen Forschung an; ansonsten wäre dies ein weiterer Beitrag für die ohnedies bestehende Besorgnis der Bürger in den Mitgliedstaaten vor zu viel Zentralisierung in Brüssel“.
(27) Vgl. Stellungnahme ABl. C 10 vom 14.1.2004, S. 88.
(28) Vgl. Fußnote 9.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/9 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern“
KOM(2007) 560 endg. — 2007/0201 (COD)
(2008/C 211/02)
Der Europäische Rat beschloss am 23. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 3. April 2008 an. Berichterstatter war Herr RANOCCHIARI.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22. April 2008 mit 155 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Jährlich sterben in den 27 Mitgliedstaaten mehr als 44 000 Personen durch Verkehrsunfälle und werden weitere 1,7 Millionen Verkehrsteilnehmer verletzt. Mehr als 8 000 Tote und 300 000 Verletzte gehören zu den am meisten gefährdeten Verkehrsteilnehmern, nämlich den Fußgängern und Fahrradfahrern (1). |
1.2 |
Um ihren Schutz zu verbessern, wurde im Jahr 2003 eine Rahmenrichtlinie verabschiedet, die eine gründliche Umgestaltung der Frontpartie von Kraftfahrzeugen vorsah, die in zwei Phasen erfolgen sollte: die erste ist mit der Typgenehmigung von Fahrzeugen ab dem 1. Oktober 2005 bereits in Kraft getreten, während die zweite im September 2010 nach einer bis 2004 abzuschließenden Durchführbarkeitsstudie anlaufen sollte. |
1.3 |
Untersuchungen zahlreicher unabhängiger Sachverständiger zufolge ist diese zweite Phase nicht durchführbar, zumindest nicht innerhalb der vorgesehenen Frist; deshalb schlägt die Kommission jetzt vor, die Richtlinie zu überarbeiten und auch neue, alternative Maßnahmen aufzunehmen, die im Vergleich zu den erwarteten Ergebnissen der geltenden Richtlinie dasselbe bzw. sogar ein höheres Sicherheitsniveau gewährleisten. |
1.4 |
Vor allem die Ergebnisse einer Untersuchung des von der Kommission beauftragten Fachgremiums (2) haben verschiedene Lösungen nahe gelegt, die in dem vorliegenden Vorschlag aufgegriffen werden und aktive und passive Sicherheitsmaßnahmen umfassen, die in Einklang stehen mit den Empfehlungen von CARS 21 (3) und dem Vorschlag für eine globale technische Regelung (Global Technical Regulation — GTR) zum Schutz von Fußgängern, den die UN-Wirtschaftskommission für Europa vorgelegt hat. |
1.5 |
Der EWSA vertritt die Ansicht, dass der Wettbewerb zwischen den Autoherstellern durch den Vorschlag nicht beeinträchtigt wird, da ja nicht das Angebot an Kfz-Modellen auf dem Markt beschnitten wird, sondern die Nachfrage auf Modelle mit größeren Sicherheitsvorkehrungen gelenkt werden soll. |
1.6 |
Vor diesem Hintergrund unterstützt der EWSA den Vorschlag der Kommission vorbehaltlos; er bedauert indes die rund dreijährige Verzögerung, bis es schließlich gelungen ist, die undurchführbaren Maßnahmen durch neue zu ersetzen, auch wenn diese Verzögerung vermutlich teilweise auf die notwendige Erhebung von Daten und technischen Lösungen zurückzuführen ist, die zum Zeitpunkt der Verabschiedung der derzeit geltenden Richtlinie nicht verfügbar waren. |
1.7 |
Der EWSA empfiehlt dem Parlament und dem Rat, diesen Zeitverlust — der um so schwerer wiegt, als er das Leben und die Gesundheit der Unionsbürgerinnen und -bürger betrifft — durch eine rasche und vollständige Annahme des Vorschlags aufzuholen und so den planmäßigen Anlauf der zweiten Phase zu ermöglichen. |
1.8 |
Der EWSA begrüßt die größere Effizienz der für die Kraftfahrzeuge vorgesehenen technischen Maßnahmen und fordert die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten auf, mit größerer Entschlusskraft auch die Initiativen voranzubringen, die die beiden anderen Aspekte der Straßenverkehrssicherheit betreffen: nämlich einerseits die Verbesserung der Infrastrukturen und entsprechende Sicherheitsmaßnahmen und andererseits die Ausbildung und Sensibilisierung aller Verkehrsteilnehmer. Dieser Appell geht natürlich auch an die regionalen und lokalen Behörden, die in diesem Bereich in zunehmendem Maße zentrale Verantwortung übernehmen müssen. |
2. Einleitung
2.1 |
In den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sterben bei Verkehrsunfällen jedes Jahr rund 8 000 Fußgänger und Fahrradfahrer, und 300 000 dieser am meisten gefährdeten Verkehrsteilnehmer erleiden Unfallverletzungen. |
2.2 |
Schon 2001 hatten die Automobilhersteller der Europäischen Kommission die Zusage gegeben, neue Maßnahmen zu entwickeln, mit denen der Schutz von Fußgängern und Fahrradfahrern erhöht werden könnte, und zwar sowohl aktiv (also vor einer Kollision) als auch passiv (bei Kollision). |
2.3 |
So hatten die Kfz-Hersteller damals u.a. vorgeschlagen, Antiblockiersysteme (ABS) in alle Kraftfahrzeuge einzubauen, freiwillig auf das Anbieten starrer Frontschutzbügel (rigid bull bars) zu verzichten, eine Tagfahrlichtfunktion (DRL) zu installieren — eine Maßnahme, die nach dem Widerstand einiger Mitgliedstaaten wieder zurückgezogen wurde — und künftig weitere, technisch neuartige aktive Sicherheitssysteme einzuführen, die sich seinerzeit noch in Entwicklung befanden. |
2.4 |
Der Rat und das Europäische Parlament begrüßten das Engagement der Industrie, forderten jedoch gleichzeitig, dass die Regelungen nicht in Form von freiwilligen Selbstverpflichtungen oder Empfehlungen erfolgten, sondern in Gestalt einer spezifischen Richtlinie zum Schutz von Fußgängern und Radfahrern. |
2.5 |
So entstanden die Rahmenrichtlinie 2003/102/EG (4) zum „Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern“ und später die Richtlinie 2005/66/EG (5) betreffend die „Verwendung von Frontschutzsystemen an Fahrzeugen“ (Beseitigung der starren Frontschutzbügel). |
2.6 |
Die Rahmenrichtlinie zum Schutz von Fußgängern stützt sich auf die vom Europäischen Ausschuss für die Verbesserung der Fahrzeugsicherheit (EEVC) empfohlenen Prüfungen und Grenzwerte und sieht eine Einführung in zwei Stufen vor, die beide passive Sicherheitsmaßnahmen umfassen. Die Vorschriften der ersten Stufe, die bauliche Änderungen und eine Verringerung der Verletzungsgefahr durch Motorhaube und Stoßfänger vorsehen und für die Fahrzeugklassen M1 und N1 (6) mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 2,5 t gelten, sind für Fahrzeuge in Kraft getreten, die ab dem 1. Oktober 2005 genehmigt wurden. Die zweite Stufe, die strengere Prüfungen und Grenzwerte vorsieht, soll für Fahrzeuge gelten, denen ab dem 1. September 2010 die Typgenehmigung erteilt wird. |
2.7 |
Hinsichtlich der Durchführbarkeit der in der zweiten Phase vorgesehenen Prüfungen wurde bereits bei den einschlägigen Beratungen im Europäischen Parlament Befremden darüber geäußert, dass die Richtlinie in ihrer endgültigen Fassung vorsah, dass die Kommission bis zum 1. Juli 2004 eine diesbezügliche Durchführbarkeitsstudie für die zweite Phase erarbeitet. Darin sollten vor allem „alternative Konzepte — passive Maßnahmen oder eine Kombination aus aktiven und passiven Maßnahmen —“, deren tatsächliche Wirksamkeit mindestens gleichwertig ist (7), geprüft werden. |
2.8 |
In einer Reihe von Studien unabhängiger Experten, darunter auch die von der Kommission beauftragten, hat sich gezeigt, dass es technisch nicht möglich ist, die Anforderungen der zweiten Phase unter den von der EEVC vorgesehenen Bedingungen und mit den entsprechenden Prüfungen zu erfüllen. Deshalb sieht der neue Vorschlag überarbeitete Parameter für die passive Sicherheit in Kombination mit neuen Elementen aktiver Sicherheitssysteme vor, die inzwischen von der Industrie entwickelt wurden und mit denen der erwähnte Artikel 5 der Richtlinie erfüllt werden kann, weil sie eine „mindest ebenso hohe Schutzwirkung“ besitzen. |
2.9 |
Ferner gleichen die nun vorgeschlagenen Prüfungen denjenigen aus dem Vorschlag für eine Global Technical Regulation zum Schutz der Fußgänger, der von der UN/ECE-Wirtschaftskommission ausgearbeitet wurde. Eine sich daraus ergebende Harmonisierung der europäischen Vorschriften mit den außereuropäischen würde auch deutliche Vorteile für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie mit sich bringen. |
3. Der Vorschlag der Europäischen Kommission
3.1 |
Der neue Vorschlag — nunmehr für eine Verordnung und nicht mehr für eine Richtlinie, sieht in erster Linie vor, die Richtlinie zur „Verwendung von Frontschutzsystemen an Fahrzeugen“ mit der früheren Richtlinie zum Schutz der Fußgänger zu kombinieren und die für ihre Anwendbarkeit erforderlichen Änderungen vorzunehmen. Dementsprechend würden die beiden genannten Richtlinien außer Kraft gesetzt, wenn der Verordnungsvorschlag angenommen würde. |
3.2 |
Die Prüfungen für die Typgenehmigungen nach Maßgabe der vorgeschlagenen Verordnung umfassen: |
3.2.1 |
Prüfung mit Schlagkörper Kinderkopfform/kleine Erwachsenenkopfform gegen die Fronthaubenvorderkante; mit Schlagkörper Erwachsenenkopfform gegen hinteren Teil der Fronthaube und mit Unterteil und Oberteil des Beinform-Schlagkörpers gegen die Stoßfänger, wobei die Parameter gegenüber den in der geltenden Richtlinie für Phase II vorgesehenen Messgrößen teilweise verändert wurden. Nicht für die Typgenehmigung, sondern — in Erwartung künftiger technischer Entwicklungen — lediglich zu Überwachungszwecken werden folgende Prüfungen verlangt: Prüfung mit Oberteil des Beinform-Schlagkörpers gegen die Fronthaubenvorderkante und Prüfung mit Erwachsenenkopfform-Schlagkörper gegen die Windschutzscheibe. |
3.2.2 |
Hinsichtlich der Frontschutzsysteme (frühere Richtlinie 2005/66/EG) wurden für die Typgenehmigungen die Prüfungen mit Unterteil und Oberteil des Beinform-Schlagkörpers und mit Schlagkörper Kinderkopfform/kleine Erwachsenenkopfform gegen das Frontschutzsystem übernommen. Es sind weitere Prüfungen zu Überwachungszwecken und verbindliche Vorschriften für Bau und Anbringung der Frontschutzsysteme vorgesehen. |
3.3 |
Neben den passiven Sicherheitsmaßnahmen sollen auch aktive Sicherheitssysteme eingeführt werden, die ebenso hohe Schutzwirkung wie die beiden vorangegangenen Richtlinien gewährleisten. Es handelt sich um ein Bremsassistenzsystem (BAS), das den Fahrer ohne genügend eigene Kraft bei Notbremsungen unterstützt. Seine Kombination mit einem Antiblockiersystem (ABS) gewährleistet einen maximalen Druck auf die Bremsen und eine optimale Abbremsung, wodurch die Aufprallgeschwindigkeit für den Fußgänger deutlich verringert wird. |
3.4 |
Da die Zahl der im Stadtverkehr fahrenden schwereren Fahrzeuge zunimmt (insbesondere der SUV), ist es angebracht, den Geltungsbereich der Vorschriften für den Fußgängerschutz nicht auf Fahrzeuge der Klassen M1 und N1 mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 2 500 kg zu beschränken (wie in der geltenden Vorschrift), sondern ihn nach einer Übergangsfrist auf Fahrzeuge mit einer höheren zulässigen Gesamtmasse bis 3 500 kg, d.h. der zulässigen Gesamtmasse beider Fahrzeugklassen, zu erweitern. |
4. Bemerkungen des EWSA zum Vorschlag der Kommission
4.1 |
Der EWSA begrüßt die Entscheidung der Kommission, in der vorgeschlagenen Verordnung die beiden vorangegangenen Richtlinien zusammenzufassen. Damit wird das einschlägige Regelwerk klarer und einfacher, wie der Ausschuss seinerseits selbst in der Stellungnahme zu dem Vorschlag über die Verwendung von Frontschutzbügeln (8) empfohlen hatte. |
4.2 |
Vor diesem Hintergrund begrüßt er auch das gewählte Rechtsinstrument, nämlich eine Verordnung, das in allen Mitgliedstaaten verlässliche Durchführungsfristen und -modalitäten gewährleistet — ein Aspekt, der gerade bei hochgradig technischen Rechtsvorschriften wichtig ist. |
4.3 |
Allerdings bedauert es der EWSA, dass sich die vom EEVC für die Phase II vorgesehenen Prüfungen als undurchführbar erwiesen haben, weil ihre Durchführbarkeit in der vorgesehenen Frist (bis 1. Juli 2004) nicht geprüft wurde, was zu einer Verzögerung von mehr als drei Jahren geführt hat. |
4.4 |
Der EWSA ist dennoch mit der vorgeschlagenen Lösung als Ergebnis eines langen aber „fruchtbaren“ Prozesses zufrieden, in den auch die von CARS 21 formulierten Empfehlungen für einen integrierten Ansatz eingeflossen sind, was zudem die Anpassung der europäischen Vorschriften an die außereuropäischen Bestimmungen ermöglicht hat. Er begrüßt insbesondere die konsequente Folgenabschätzung, die als Erste von dem unlängst von der Europäischen Kommission eingesetzten Impact Assessment Board minutiös geprüft und gebilligt wurde. |
4.5 |
Den Prognosen der Kommission und ihrer Sachverständigen zufolge wird der gewählte Lösungsansatz auch unter Einsatz aktiver Sicherheitsmaßnahmen zu einer Verringerung der Verkehrstoten und -schwerverletzten um 80 % bzw. 44 % gegenüber dem mit der ursprünglichen — aber letztlich undurchführbaren — Phase II (9) theoretisch erzielten Ergebnis führen; damit könnten also weitere 1 100 Leben gerettet und 46 000 Verletzte vermieden werden. Hinzu kommt, dass die neuen Maßnahmen relativ kostenneutral sind und sich folglich nicht auf die Fahrzeugpreise auswirken. |
4.6 |
Vor diesem Hintergrund plädiert der EWSA nachdrücklich dafür, dass der Kommissionsvorschlag rasch und ohne Abstriche durch das Europäische Parlament und den Rat verabschiedet wird, um weitere Verzögerungen zu vermeiden, die wegen der erforderlichen Vorlaufzeit für die Automobilindustrie zwangsläufig zu einer weiteren Verschiebung führen würden. |
4.7 |
Der EWSA hält es ferner für wünschenswert, dass die neuen Vorschriften auch baldmöglichst für schwerere Fahrzeuge, einschließlich SUV, gelten, deren Zahl im Stadtverkehr kontinuierlich zunimmt. Zu diesem Zweck wäre es sinnvoll, bereits jetzt die im Vorschlag vorgesehene Übergangsfrist festzulegen. |
4.8 |
Schließlich darf nicht vergessen werden, dass diese Schutzmaßnahmen selbstverständlich nicht für den älteren Fuhrpark gelten, der von daher für die ungeschützten Verkehrsteilnehmer ein großes Risikopotenzial birgt. So wird z.B. das ABS, das mittlerweile wirksam mit dem BAS kombiniert wird und auf freiwilliger Basis seit 2004 verbreitet ist, erst mit dem neuen Regelwerk obligatorisch. |
4.9 |
Der EWSA erinnert ferner daran, dass bei den hier in Betracht kommenden Kollisionsarten zwei Kategorien von Verletzungen auftreten können: solche, die von der Primärkollision des Fußgängers oder Radfahrers mit der Frontpartie eines Kraftfahrzeugs herrühren, und solche, die durch den häufig vorkommenden Sekundäraufprall des Fußgängers auf der Straße verursacht werden. So ist es in jedem Fall illusorisch, den Fußgänger schützen zu wollen, wenn die Primärkollision bei einer Geschwindigkeit von mehr als 40 km/h erfolgt. |
4.10 |
Vor diesem Hintergrund sollte noch einmal betont werden, dass die Lösung dieses Problems — wie im Übrigen die Lösung vieler anderer Probleme im Zusammenhang mit der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer — eines integrierten Ansatzes bedarf, der neben der technischen Verbesserung der Kraftfahrzeuge auch zwei andere grundlegende Aspekte umfassen muss: das Verhalten der Verkehrsteilnehmer und die Infrastrukturen — zwei Aspekte, für die sowohl die EU-Institutionen als auch die Mitgliedstaaten ihre jeweilige Verantwortung übernehmen sollten. |
4.11 |
Nach Ansicht des EWSA hat die Europäische Kommission in diesem Zusammenhang viel getan und bleibt weiterhin am Ball mit Vorschlägen für legislative und politische Maßnahmen, mit Finanzmitteln, die sie im Rahmen der europäischen Forschungsrahmenprogramme und des Förderprogramms zur Straßenverkehrssicherheit zur Verfügung stellt, und nicht zuletzt mit der von ihr initiierten Europäischen Charta für Straßensicherheit. |
4.12 |
Hingegen unterstützen die anderen Institutionen und die Mitgliedstaaten nicht immer in angemessener Weise die Initiativen der Kommission, obwohl sie sich der Bedeutung dieses Themas bewusst sind. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der unlängst von der Kommission formulierte Vorschlag zur Verbesserung der Sicherheitsstandards für Straßeninfrastrukturen (10). Dieser Vorschlag, der nach Ansicht des EWSA für die Reduzierung der Straßenverkehrsopfer unverzichtbar ist, wurde vom Europäischen Parlament als zu präskriptiv empfunden, sodass unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip die wichtigsten verbindlichen Bestimmungen herausgenommen wurden; da es höchst unwahrscheinlich ist, dass es bei der Abstimmung im Plenum noch zu Nachbesserungen kommt, hat das Parlament auch in diesem Fall jegliche diesbezügliche Entscheidung den Mitgliedstaaten überlassen. |
4.13 |
Im Zusammenhang mit dem erst genannten Aspekt, nämlich dem Verhalten der Straßenverkehrsteilnehmer, ist erwähnenswert, dass Verkehrsunfälle zwar häufig auf die Unvorsichtigkeit der Fahrer zurückzuführen sind, sich aber oft auch Fußgänger und Radfahrer regelwidrig verhalten, indem sie grundlegende Straßenverkehrsregeln missachten und mitunter schlichtweg wider den gesunden Menschenverstand handeln. Verkehrserziehung und entsprechende Information muss bereits ab der Grundschule und mittels regelmäßiger Sensibilisierungskampagnen erfolgen, mit denen alle Verkehrsteilnehmer zu korrekten Verhaltensweisen angehalten werden. Ebenso wichtig ist es, gefährlichen Verhaltensweisen von Straßenverkehrsteilnehmern mit harten Strafen zu begegnen. |
4.14 |
Der andere wesentliche Aspekt für die Sicherheit im Straßenverkehr sind die Infrastrukturen, und zwar vor allem in den Städten, wo sich 80 % der Verkehrsunfälle mit Todesfolge für Fußgänger und Radfahrer ereignen. Eine — wo immer mögliche — physische Trennung der Verkehrsteilnehmer ist der wirksamste Weg, um Zusammenstöße zwischen Kraftfahrzeugen, Fußgängern und Radfahrern zu verhindern. So würden geschützte Fußgängerüberwege, Straßenüberführungen, Fahrradwege, angemessene Beleuchtungen und Bodenbeläge, eine klare und unionsweit möglichst einheitliche Beschilderung usw. zu einer Senkung der Unfallzahlen beitragen und darüber hinaus ein für Menschen mit Behinderungen weniger feindliches städtisches Umfeld schaffen. |
4.15 |
Derartige Initiativen verbessern die Sicherheit und Lebensqualität in den Städten: daher sollten sie in jedem Vorschlag der Kommission, und zwar auch in solchen, die sich wie der aktuelle nur auf technische Kfz-Aspekte beziehen, angemahnt werden. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Quelle: CARE (Community Road Accident data base): Datenbank, in der die Daten der Mitgliedstaaten über Verkehrsunfälle gesammelt und aufbereitet werden.
(2) Transport Research Ltd., Vereinigtes Königreich.
(3) KOM(2007) 22 endg. vom 7. Februar 2007: Ein wettbewerbsfähiges Kfz-Regelungssystem für das 21. Jahrhundert.
(4) ABl. L 321 vom 6.12.2003, S. 15.
(5) ABl. L 309 vom 25.11.2005, S. 37.
M1 |
= |
Kraftwagen zur Beförderung von nicht mehr als acht Personen, außer dem Fahrzeugführer, und mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 3 500 kg. |
N1 |
= |
Von Fahrzeugtypen der Klasse M1 abgeleitete Fahrzeugtypen mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 3 500 kg. |
(7) Artikel 5 der Richtlinie 2003/102/EG über den Schutz von Fußgängern.
(8) Stellungnahme, ABl. C 118 vom 30.4.2004.
(9) SEK(2007) 1244: Folgenabschätzung — Begleitdokument zum Vorschlag für eine Verordnung. Ziffer 4.4 [nur auf Englisch].
(10) KOM(2006) 569 endg.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/12 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Motoren hinsichtlich der Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen (Euro VI) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge“
KOM(2007) 851 endg. — 2007/0295 (COD)
(2008/C 211/03)
Der Rat der Europäischen Union beschloss am 30. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Motoren hinsichtlich der Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen (Euro VI) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 3. April 2008 an. Berichterstatter war Herr RANOCCHIARI.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 142 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Zusammenfassung und Empfehlungen
1.1 |
Das zunehmende Bedürfnis nach Mobilität, der hohe Anteil des Individualverkehrs und die Probleme im Zusammenhang mit der Überlastung vor allem — aber nicht nur — der städtischen Ballungsräume haben dazu beigetragen, dass der Straßenverkehr zu einer der Aktivitäten des Menschen geworden ist, die bei der Bewertung der Umweltauswirkungen im Vordergrund stehen. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission ihren Verordnungsvorschlag vorgelegt, mit dem die Luftverschmutzung durch schwere Nutzfahrzeuge verringert werden soll. |
1.2 |
Der EWSA befürwortet den Vorschlag, der seiner Ansicht nach sowohl mit Blick auf die Wirksamkeit als auch hinsichtlich der Fristen für seine Umsetzung den Umwelterfordernissen und der notwendigen Vorlaufzeit für die Industrie gerecht wird. |
1.3 |
Der EWSA stimmt mit der Kommission darin überein, dass die fragliche Verordnung einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer weltweiten Harmonisierung der Emissionsgrenzwerte darstellt. |
1.4 |
Der EWSA begrüßt das gewählte Rechtsinstrument, d.h. die Verordnung, mit der sichere Durchführungsfristen und -methoden in allen Mitgliedstaaten gewährleistet werden, was bei einer hoch technischen Vorschrift besonders wichtig ist. |
1.5 |
Der EWSA befürwortet voll und ganz das Recht unabhängiger Werkstätten auf unbeschränkten Zugang zu den für die Fahrzeugreparatur notwendigen Informationen. Bedenken hat er hingegen, dass das für Personenkraftwagen vorgesehene Standardformat OASIS auch auf schwere Nutzfahrzeuge angewendet werden soll. |
1.6 |
Um diese Bedenken zu zerstreuen, hält es der EWSA für wünschenswert, dass die Kommission in weiteren Untersuchungen nach alternativen Lösungen sucht, die die gleichen vom OASIS-System erhofften Vorteile bieten, aber von den Nutzern leichter und kostengünstiger umgesetzt werden können. |
1.7 |
Der EWSA bekräftigt erneut, dass die Kommission im Rahmen ihrer Politik zur Reduzierung von Schadstoffemissionen mit alternativen Kraftstoffen betriebene Fahrzeuge fördern sollte, die weniger Stickoxide und Rußpartikel ausstoßen; außerdem sollte sie sicherstellen, dass auch die Kraftstoffqualität als Kriterium in der künftigen Verordnung Berücksichtigung findet. |
1.8 |
Der EWSA hält es schließlich für unangebracht, die obligatorische Messung der CO2-Emissionen in einer Verordnung vorzusehen, die lediglich Schadstoffemissionen betreffen sollte. Angesichts der komplexen und spezifischen Thematik, die erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb hat, befürchtet der EWSA eine Debatte, die die Annahme der Verordnung und die durch diese erhofften Ergebnisse verzögern könnte. Der EWSA schlägt daher vor, die Frage der CO2-Emissionen in einer besonderen Verordnung zu regeln, sobald zuverlässigere Daten als die bisher verfügbaren vorliegen. |
2. Einführung
2.1 |
Zwar hat sich die Luftqualität in den vergangenen zehn Jahren verbessert, doch stellt sie überall in der EU, insbesondere in städtischen Gebieten und in dicht bevölkerten Regionen, noch immer ein erhebliches Problem dar. |
2.2 |
Im Jahr 2020 wird die EU die Ziele des sechsten Umweltaktionsprogramms noch lange nicht erreicht haben. Von allen Formen der Verschmutzung erregt besonders der Ausstoß von Rußpartikeln in Wissenschaftskreisen immer mehr Besorgnis. Ziel des hier behandelten Verordnungsvorschlags ist es, die Luftqualität zu verbessern, ohne dabei die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und den freien Warenverkehr zu beeinträchtigen. |
2.3 |
Die neue Euro-VI-Norm ist nach Worten des Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Günter Verheugen auch ein Fortschritt auf dem Weg zur weltweiten Vereinheitlichung der Emissionsvorschriften, da sie Grenzwerte vorsieht, die mit den in anderen außereuropäischen Ländern (wie den USA) geltenden Grenzwerten vergleichbar sind. |
2.4 |
Die Partikel des Feinstaubs (PM) sind teils natürlichen Ursprungs, teils durch den Menschen und insbesondere durch Verbrennungsprozesse verursacht. Sie sind in ihrer chemischen Zusammensetzung und Größe komplex und vielfältig. |
2.5 |
Es sei daran erinnert, dass Feinstaub zwar mit dem Bevölkerungsdruck in Verbindung gebracht wird, es aber auch akute Staubbelastungen weitab von dicht bevölkerten Siedlungsgebieten gibt. Diese natürlichen Phänomene werden durch besondere Wetterlagen und topografische Gegebenheiten begünstigt. Überdies variiert die prozentuale Beteiligung der verschiedenen Emissionsquellen von Gebiet zu Gebiet. So kann nach Schätzungen der Europäischen Umweltagentur (EUA) in der EU-15 ein Anteil von 26 % aller durch den Menschen verursachten Emissionen auf den Straßenverkehr zurückgeführt werden. |
2.6 |
Damit bestätigt sich erneut, dass das Problem von Emissionen und Luftverschmutzung stets gesamtheitlich und mit einem integrierten Ansatz bewertet werden muss. |
2.7 |
Daher begrüßt es der EWSA, dass die Kommission ihren Vorschlag im Zusammenhang mit dem Programm „Saubere Luft für Europa“ (Clean Air For Europe — CAFE (1)) formuliert hat, das auch die technische Grundlage für die thematische Strategie zur Luftreinhaltung bildete. |
2.8 |
Der EWSA begrüßt zudem, dass bei der Behandlung des Themas durch die Kommission das so genannte Zwei-Ebenen-Konzept zur Anwendung kommt. In der vorgeschlagenen Verordnung werden nämlich die Grundprinzipien für die neuen Bestimmungen festgelegt, die nach dem Mitentscheidungsverfahren erlassen werden. Die technischen Spezifikationen zur Umsetzung der grundlegenden Bestimmungen werden dagegen von der Kommission, die durch den Regelungsausschuss für die Anpassung an den technischen Fortschritt unterstützt wird, in Form einer Verordnung (also nach dem Ausschussverfahren) erlassen. |
3. Vorschlag der Kommission
3.1 |
Ziel der Kommission war es zu ermitteln, welche Maßnahmen notwendig sind, um die Luftqualitätsziele zu erreichen. Die Euro-VI-Norm ist eine wichtige Maßnahme zur Verringerung von Abgasemissionen (Ozonvorläuferstoffen, Stickoxiden (NOx) und Kohlenwasserstoffen (HC)) und von Staubpartikeln. |
3.2 |
Die vorgeschlagene Verordnung gilt für Fahrzeuge der Klassen M1, M2, N1 und N2 im Sinne des Anhangs II der Richtlinie 2007/46/EG mit einer Bezugsmasse von mehr als 2 610 kg sowie für alle Kraftfahrzeuge der Klassen M3 und N3 im Sinne dieses Anhangs. Auf Antrag des Herstellers gilt sie jedoch nicht für Fahrzeuge der Klassen M1, M2, N1 und N2, deren Bezugsmasse nicht mehr als 2 840 kg beträgt und die nach der Verordnung EG (Nr.) 715/2007 typgenehmigt sind (2). |
3.3 |
Die neuen Euro-VI-Grenzwerte für Abgasemissionen bewirken im Vergleich zu der ab dem 1. Oktober 2008 für alle neuen Typgenehmigungen geltenden Euro-V-Norm eine Senkung des Ausstoßes von Stickoxiden um 80 % und von Partikeln um 66 %. Die zulässigen Emissionsgrenzwerte entsprechen denen der USA für den gleichen Zeitraum. In der Verordnung ist zudem die Einführung von Grenzwerten für die Partikelzahl vorgesehen, sobald das geeignete Messverfahren dafür entwickelt worden ist. |
3.4 |
Im Verordnungsvorschlag werden die Grenzwerte auf der Grundlage der aktuellen Fahrzyklen festgelegt. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die gemessenen Emissionen in Korrelation zu den geltenden Fahrzyklen gebracht werden können, sollen jedoch weltweit harmonisierte Fahrzyklen (World Harmonised Duty Cycle, WHDC) eingeführt werden. |
3.5 |
Im Vergleich zu den derzeit geltenden Rechtsvorschriften sieht die Verordnung eine längere Lebensdauer der Fahrzeuge im Zusammenhang mit der Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen und mit der Übereinstimmung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge vor. |
3.6 |
Zu diesem Zweck wird die Lebensdauer der einzelnen Fahrzeugkategorien wie folgt verlängert:
|
3.7 |
Laut Verordnung soll die Kommission überdies eine weitere Verordnung mit Durchführungsmaßnahmen erlassen, die folgende Aspekte betreffen:
|
3.8 |
In der Verordnung ist zudem festgelegt, dass unabhängigen Marktteilnehmern uneingeschränkter und standardisierter Zugang zu On-Board-Diagnose-Informationen (OBD-Informationen) und zu Reparatur- und Wartungsinformationen gewährt werden muss (3). Unter Verweis auf eine künftige detailliertere Verordnung wird in dem Vorschlag ferner vorgeschrieben, dass Informationen über On-Board-Diagnosesysteme (OBD-Systeme) sowie Reparatur- und Wartungsinformationen für Kraftfahrzeuge im Internet in einem Standardformat bereitgestellt werden müssen, das von einem von Vertretern der Interessengruppen besetzten, unabhängigen technischen Ausschuss entwickelt wurde (so genanntes OASIS-Format (4)). |
3.9 |
In der Verordnung sind folgende Fristen für das Inkrafttreten der neuen Euro-VI-Grenzwerte vorgesehen:
|
4. Allgemeine Bemerkungen
4.1 |
Obwohl die Zahl der Kraftfahrzeuge in den letzten zehn Jahren beträchtlich zugenommen hat, hat sich die Luftqualität verbessert. Dennoch ist man in der gesamten EU, und insbesondere in städtischen Gebieten und dicht bevölkerten Regionen, von einer Lösung des Problems der Luftverschmutzung noch weit entfernt. Deshalb begrüßt der EWSA den Vorschlag der Kommission, harmonisierte Vorschriften für den Bau von Kraftfahrzeugen zu erlassen, um das Funktionieren des Binnenmarktes und zugleich einen wirksamen Schutz der Umwelt vor Emissionen von Schadstoffen in die Atmosphäre zu gewährleisten. |
4.2 |
Die Euro-IV-Emissionsgrenzwerte für Lastkraftwagen und Busse gelten seit dem 9. November 2006, und die Euro-V-Grenzwerte werden ab dem 1. Oktober 2008 für neue Typgenehmigungen gelten. Der EWSA hält die vorgeschlagenen Fristen für die Anwendung der neuen Verordnung für angemessen. |
4.3 |
Da der Gegenstand der vorgeschlagenen Verordnung nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt, begrüßt der EWSA die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips. Er teilt den Standpunkt der Kommission, die zu Recht um eine Vermeidung von Handelshemmnissen auf dem Binnenmarkt bemüht ist und im Bewusstsein, dass es sich bei der Luftverschmutzung um ein grenzüberschreitendes Problem handelt, die Auffassung vertritt, dass die Ziele der Verordnung durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten allein nicht in ausreichendem Maße erreicht werden können und bindende und auf europäischer Ebene abgestimmte Maßnahmen erfordern. |
4.4 |
Der EWSA begrüßt ferner das gewählte Rechtsinstrument, d.h. die Verordnung, mit der sichere Durchführungsfristen und -methoden in allen Mitgliedstaaten gewährleistet werden, was bei einer überaus technischen Vorschrift besonders wichtig ist. |
4.5 |
Der EWSA stimmt mit den Ausführungen in Ziffer 5 der Einführung des Verordnungsvorschlags überein. Dort heißt es: „Um die Ziele der EU für die Luftqualität zu erreichen, sind fortwährende Bemühungen zur Senkung von Kraftfahrzeugemissionen erforderlich. Deshalb sollte die Industrie klare Informationen über die künftigen Emissionsgrenzwerte erhalten“. Ferner begrüßt er die Ausführungen in Ziffer 6: „Durch eine frühzeitige Festlegung von Grenzwerten für Stickoxidemissionen erhalten die Automobilhersteller eine langfristige, europaweite Planungssicherheit“. |
4.6 |
Darüber hinaus pflichtet der Ausschuss der Kommission in ihrem Standpunkt bei, wonach bei der Festlegung von Emissionsgrenzwerten einerseits berücksichtigt werden muss, wie sie sich auf die Wettbewerbsfähigkeit der Märkte und Hersteller auswirken und welche direkten und indirekten Kosten den Unternehmen durch sie entstehen, und andererseits zu beachten ist, welchen Nutzen in Form von Innovationsanreizen, Verbesserung der Luftqualität, Senkung der Gesundheitskosten und Erhöhung der Lebenserwartung sie bringen. |
4.7 |
Der EWSA befürwortet voll und ganz das Recht unabhängiger Werkstätten auf einen unbeschränkten Zugang zu den für die Fahrzeugreparatur notwendigen Informationen. Starke Bedenken äußert er hingegen in Bezug auf die Entscheidung, das für Personenkraftwagen vorgesehene Standardformat OASIS auch für schwere Nutzfahrzeuge anzuwenden. |
4.7.1 |
Großserienfahrzeuge fallen nämlich nicht in den Geltungsbereich der Verordnung, die für Nutzfahrzeuge mit einer Gesamtmasse über 2 610 kg gilt. Nutzfahrzeuge gibt es in höchst unterschiedlichen Ausführungen und Varianten, wodurch der Versuch einer Standardisierung von Informationen problematisch und unverhältnismäßig kostspielig wird im Vergleich zum etwaigen realen Nutzen; und dies auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es nur wenige Reparaturwerkstätten für schwere Nutzfahrzeuge gibt, die zudem auf bestimmte Marken spezialisiert sind. Die Anwendung des OASIS-Systems auf Werkstätten für schwere Nutzfahrzeuge, die fast ausschließlich KMU sind, würde für diese Werkstätten im Hinblick auf die Installation und Verwaltung des neuen Systems eine erhebliche finanzielle und organisatorische Belastung bedeuten. Im Vergleich zu den erwarteten Vorteilen für die Benutzer des Systems wäre diese Belastung unverhältnismäßig. |
4.7.2 |
Vor dem Hintergrund der vorhergehenden Überlegungen schlägt der EWSA der Kommission vor, in einer Folgenabschätzung das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Anwendung von OASIS im Vergleich zu anderen möglichen, einfacheren und kostengünstigeren Lösungen zu prüfen. |
4.8 |
Der EWSA bekräftigt erneut, was er in Vergangenheit in Bezug auf andere Kommissionsvorschläge bereits herausgestellt hat: Es ist angezeigt, die Einführung mit alternativen Kraftstoffen betriebener Fahrzeuge zu fördern, die weniger Stickoxide und Rußpartikel ausstoßen. Folglich hält auch er es für erforderlich, dass für Kohlenwasserstoffe, für Nichtmethan-Kohlenwasserstoffe und für Methan Grenzwerte eingeführt werden müssen. |
4.9 |
Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die Kommission baldmöglichst weltweit harmonisierte Fahrzyklen für das Prüfverfahren annimmt, auf dem die Verordnungen über die EG-Typgenehmigung in Bezug auf Emissionen aufbauen. |
4.10 |
Die Verordnung sieht auch die Messung des Kraftstoffverbrauchs und der Kohlendioxidemissionen vor, womit in einem gewissen Maße vom erklärten Ziel der Reduzierung der Luftschadstoffe abgewichen wird. |
4.10.1 |
Für eine solche Messung werden jene Daten verwendet, die aus der Prüfung des Motors am Leistungsprüfstand stammen. Für das gesamte Fahrzeug sind diese jedoch nicht repräsentativ. Die Energieeffizienz eines Fahrzeugs hängt nämlich von unterschiedlichen Faktoren ab. Dabei ist der Motor neben anderen Faktoren (Übertragung, Aerodynamik, Rollwiderstand, Nebenfaktoren usw.) nur ein wichtiges Element. Der gleiche Motortyp kann in Fahrzeugen verwendet werden, die sehr unterschiedliche Merkmale aufweisen und verschiedenen Zwecken dienen (LKW, Baumaschinen, Omnibus usw.). |
4.10.2 |
Nicht von ungefähr also — und der EWSA möchte an dieser Stelle daran erinnern — hatte die Kommission in ihrer Mitteilung über die Strategie zur Minderung der CO2-Emissionen [KOM(2007) 19 endg.] auch die Aufnahme von N1-Nutzfahrzeugen vorgesehen. In dem Vorschlag für die entsprechende Verordnung [KOM(2007) 856 endg.] wurde dieser Plan jedoch aufgrund der Besonderheiten des Themas und des Fehlens geeigneter Daten verworfen. |
4.10.3 |
Der EWSA erinnert ferner daran, dass auf dem Markt eine hohe Nachfrage nach einer Reduzierung des (zum CO2-Ausstoß proportionalen) Kraftstoffverbrauchs von Nutzfahrzeugen herrscht, da der Kraftstoff in vielen Fällen den umfangreichsten Posten der Transportkosten darstellt. Angesichts der Konkurrenz sind die Kfz-Hersteller folglich gezwungen, im Hinblick auf den Kraftstoffverbrauch und somit auch die Kohlendioxidemissionen fortschrittlichere Lösungen anzubieten. |
4.10.4 |
Nicht zuletzt betont der EWSA in Bezug auf die Messung der CO2-Emissionen Folgendes: Wenn die lediglich am Motor gemessenen Daten über den Verbrauch und den CO2-Ausstoß zur Festlegung eventueller Anreize oder Steuern herangezogen würden, könnte dies irrationale Marktverzerrungen hervorrufen. |
4.10.5 |
Vor diesem Hintergrund bekräftigt der EWSA seine Zustimmung zu dem Vorschlag, möglichst bald auch Rechtsvorschriften über die CO2-Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen zu erlassen. Er hält es jedoch für zweckmäßig, das Thema in einem spezifischen Vorschlag separat und ausführlicher zu behandeln, auch um eine konfliktgeladene Debatte zu vermeiden, die die Annahme der Verordnung verzögern könnte. |
4.11 |
Angesichts der Tatsache, dass sich umweltfreundlichere Kraftfahrzeuge aufgrund ihrer unausweichlich höheren Preise auf dem Markt schwer verkaufen lassen, begrüßt der EWSA die Möglichkeit der Einführung finanzieller Anreize beim Erwerb und hält es für zweckmäßig, dass die Mitgliedstaaten durch finanzielle Anreize das Inverkehrbringen von Kraftfahrzeugen, die die auf Gemeinschaftsebene festgelegten Vorgaben einhalten, beschleunigen können. |
4.12 |
Gewiss kann der EWSA den Vorschlag, wonach es Sache der Mitgliedstaaten ist, Regeln für Sanktionen bei Verstößen gegen diese Verordnung festzulegen, und diese Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein sollten, nur begrüßen. |
4.13 |
Der EWSA hält die von der Kommission vorgeschlagenen Fristen für die Durchführung (1. April 2013 für neue Typgenehmigungen und 1. Oktober 2014 für Neuzulassungen) für angemessen. Fünf Jahre zwischen dem Inkrafttreten des einen Emissionsgrenzwerts und des nächsten sind in der Tat ausreichend Zeit, um es der Industrie zu ermöglichen, die für die Vermarktung neuer Lösungen getätigten Investitionen hereinzuholen. |
4.14 |
Der EWSA stimmt dem Vorschlag der Kommission zu, die neue Verordnung auf Antrag des Herstellers nicht auf Fahrzeuge der Klassen M1, M2, N1 und N2 mit einer Bezugsmasse von höchstens 2 840 kg anzuwenden, falls sie nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 typgenehmigt sind. Mit anderen Worten befürwortet der EWSA die Tatsache, dass für die Typengenehmigung von Fahrzeugen mit einer „grenzwertigen“ Bezugsmasse ein gewisser Grad an Flexibilität vorgesehen wurde, um den verschiedenen Anforderungen der Kunden auch im Hinblick auf das Trade-off von Verbrauch, Laufleistung und Schadstoffausstoß so effizient wie möglich gerecht zu werden. |
5. Besondere Bemerkungen
5.1 |
Der EWSA begrüßt die vorgeschlagenen Emissionsgrenzwerte. Diese Grenzwerte entsprechen dem Szenario A (5), das von der Kommission analysiert und von der Mehrheit der am Konsultationsprozess beteiligten Stakeholder begrüßt wurde. |
5.2 |
Gleichwohl hält es der EWSA für notwendig, erneut auf das Problem der Gegenläufigkeit zwischen dem NOx- und dem CO2-Ausstoß hinzuweisen. Da die Reduzierung beider Emissionen ein wichtiges ökologisches Ziel ist, ist es von wesentlicher Bedeutung, den Grenzwert für den Ausstoß von Stickoxiden in ein Gleichgewicht zu bringen, um einer Zunahme der Kohlendioxidemissionen entgegenzuwirken. Denn die erwartete NOx-Reduzierung wird eine Zunahme des CO2 zwischen 2 % und 3 % nach sich ziehen. Bezug nehmend auf eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2001 ist die Kommission der Ansicht, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung die gegenwärtig prognostizierte Zunahme hingegen durch den technologischen Fortschritt der Motoren kompensiert würde. Der EWSA möchte gleichwohl anregen, die besagte Studie zu aktualisieren, um über zuverlässigere Daten zu den Auswirkungen der vorgeschlagenen NOx-Grenzwerte auf den Kraftstoffverbrauch und die daraus resultierenden CO2-Emissionen zu verfügen. |
5.3 |
Wie bereits erwähnt, begrüßt der EWSA das Zwei-Ebenen-Konzept, bei dem das Mitentscheidungsverfahren lediglich auf Aspekte von größter politischer Bedeutung beschränkt wird, während die technischen Spezifikationen und die Umsetzungsmaßnahmen im Ausschussverfahren beschlossen werden. |
5.4 |
Es ist jedoch festzustellen, dass zahlreiche der dem Regelungsausschuss übertragenen Maßnahmen (OBD-Systeme, Partikelzahl, Überzeugungsmaßnahmen für den Fahrer hinsichtlich der Verwendung eines Reagens usw.) sehr komplex sind und sich beträchtlich auf die Fahrzeugtechnik auswirken. Deshalb empfiehlt der Ausschuss, dass all diese Aspekte gemeinsam mit den Euro-VI-Grenzwerten in einer einzigen Phase umgesetzt werden, und dass in Anlehnung an die vorhergehenden Ausführungen hinsichtlich der vorliegenden Verordnung eine angemessene Zeitspanne zwischen dem Inkrafttreten und der Durchführung gewährleistet wird, um der Industrie genügend Zeit für die Entwicklung zu geben. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) CAFE, Clean Air for Europe (Saubere Luft für Europa). Ziel dieses durch die Mitteilung KOM(2001) 245 endg. gestarteten Programms sind die Entwicklung einer Analysestrategie für die Überprüfung der Luftqualitätsrichtlinien und der Wirksamkeit der in den Mitgliedstaaten laufenden Programme, eine ständige Überwachung der Luftqualität und die Bereitstellung von Informationen an die Öffentlichkeit, die Überprüfung und Aktualisierung der Emissionsgrenzwerte und die Erstellung neuer Überwachungssysteme und Modelle.
(2) Fahrzeuge der Klasse N sind Fahrzeuge mit mindestens vier Rädern, die für die Güterbeförderung bestimmt sind. Sie sind nach ihrer Höchstmasse in die drei Klassen N1, N2 und N3 unterteilt: N1 < 3 500 kg; N2 < 12 000 kg; N3 > 12 000 kg. Die Klasse N1 ist darüber hinaus in drei Gruppen unterteilt, die als NI, NII und NIII bezeichnet werden und sich ebenfalls nach der Masse bestimmen. Fahrzeuge der Klasse M sind Fahrzeuge mit mindestens vier Rädern, die für die Personenbeförderung bestimmt sind. Sie sind nach der Anzahl der Sitzplätze und nach ihrer Höchstmasse in drei Klassen (M1, M2, M3) unterteilt: M1 < 9 Sitzplätze; M2 > 9 Sitzplätze und < 5 000 kg; M3 > 9 Sitzplätze und > 5 000 kg.
(3) „Reparatur- und Wartungsinformationen“ sind sämtliche für Diagnose, Instandhaltung, Inspektion, regelmäßige Überwachung, Reparatur, Neuprogrammierung oder Neuinitialisierung des Fahrzeugs erforderlichen Informationen, die die Hersteller ihren autorisierten Händlern und Reparaturbetrieben zur Verfügung stellen, einschließlich aller nachfolgenden Ergänzungen und Aktualisierungen dieser Informationen. Dazu gehören auch sämtliche Informationen, die für den Einbau von Teilen oder Ausrüstung in ein Fahrzeug erforderlich sind.
(4) OASIS — Organization for the Advancement of Structured Information Standards.
(5) Folgenabschätzung, Ziffer 6.6.2: Euro VI emission limit, value sub-options.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/17 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umsturzschutzvorrichtungen für land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern (statische Prüfungen)“ (kodifizierte Fassung)
KOM(2008) 25 endg. — 2008/0008 (COD)
(2008/C 211/04)
Der Rat beschloss am 7. März 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Umsturzschutzvorrichtungen für land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern (statische Prüfungen)“(kodifizierte Fassung).
Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 143 Ja-Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/17 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Hin zu einer gemeinsamen Energiepolitik“
(2008/C 211/05)
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Hin zu einer gemeinsamen Energiepolitik“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. April 2008 an. Berichterstatter war Herr BUFFETAUT.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 23. April) mit 173 Ja-Stimmen bei 13 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Die Frage der Energieversorgung, der Diversifizierung der Energieträger sowie der Entwicklung nachhaltiger Energieträger ist von grundlegender Bedeutung für die Zukunft Europas, das globale Gleichgewicht und die Bekämpfung des Klimawandels. |
1.2 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Ansicht, dass die Europäische Union ein geeigneter Rahmen ist, um sich in der aus dem Energie-Wettlauf entstandenen weltweiten Konfrontation Gehör zu verschaffen und den Klimawandel anzugehen, da sie über die erforderliche „kritische Masse“ verfügt, um in internationalen Verhandlungen echten politischen Einfluss ausüben zu können. |
1.3 |
Der Ausschuss nimmt mit Zufriedenheit die Einführung eines neuen Titels XX „Energie“ im Vertrag von Lissabon zur Kenntnis, mit dem die Rechtsgrundlage für ein Handeln der Europäischen Union in diesem Bereich gestärkt wird. |
1.4 |
Der Ausschuss betont die grundlegende Bedeutung von Forschung und Entwicklung im Bereich nachhaltige Energie und Umwelt sowie einer guten Mittelzuweisungspraxis. Die Förderung von Energieträgern sowie Energie- und Emissionsminderungstechnologien, von denen nicht zu erwarten steht, dass sie Wirtschaftlichkeit erreichen, sollten sorgfältig geprüft werden, um keine öffentlichen Gelder für die Förderung von Technologien ohne jedwede Zukunftsperspektive zu verschwenden. Mit diesen Mitteln sollte vielmehr die Erforschung von Techniken finanziert werden, die von den Wissenschaftlern als zukunftsträchtig erachtetet werden, beispielsweise in folgenden Bereichen: Emissionsminderung bzw. Speicherung von Treibhausgasen, Energieeffizienz, „saubere Kohle“, Elektro- bzw. sonstige alternative Antriebe bei Fahrzeugen, Brennstoffzellen, Solarenergie, Energiegewinnung aus Abfällen, Kernfusion und Entsorgung radioaktiver Abfälle. |
1.5 |
Der Ausschuss verweist ferner auf die Bedeutung energieeffizienter Geräte und Gebäude. |
1.6 |
Auf europäischer Ebene sollte eine echte „Beschaffungspolitik“ auf den Weg gebracht werden, um dem Druck der oftmals bestens organisierten Erzeuger entgegenzuhalten. Außerdem bedarf es auf EU-Ebene einer Koordinierung der Energiepolitiken der EU-Mitgliedstaaten sowie der in internationalen Organisationen wie WTO, UNO, NATO und OSZE vertretenen Standpunkte. |
1.7 |
Der Ausschuss unterstreicht die Bedeutung der Diversifizierung der Energieträger und empfiehlt, eine konstruktive, aber vorsichtige Vorgehensweise für die Partnerschaften mit Russland sowie den kaukasischen und zentralasiatischen Republiken. |
1.8 |
Seiner Meinung nach wäre es sinnvoll, die Möglichkeit einer Neuauflage der Kernenergieprogramme in den Mitgliedstaaten, in denen ein Konsens in dieser Frage besteht, zu untersuchen und die Forschung im Bereich der Wiederaufbereitung von Abfällen zu intensivieren. Der Ausschuss spricht sich ferner für eine Intensivierung der Fusionsforschung im 7. Forschungsrahmenprogramm für Euratom und im Rahmen des ITER-Projekts aus. |
1.9 |
Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die EU-Mitgliedstaaten ihre Zusammenarbeit und Koordinierung im Bereich Energiepolitik im Hinblick auf eine größere Repräsentativität und Handlungsfähigkeit in internationalen Organisationen verstärken und die Nachbarschaftspolitik im Energiesektor ausbauen müssen. Außerdem sollte zu gegebener Zeit die Konzipierung einer gemeinsamen Energiepolitik, die sich möglicherweise auf eigene Institutionen stützt, in Betracht gezogen werden. Die wirtschaftliche Dynamik, die den Bereich der erneuerbaren Energieträger in allen Mitgliedstaaten kennzeichnet, zeugt vom Interesse der Bürger. Dies könnte strategisch genutzt werden, um die Akzeptanz und Entwicklung der ebenfalls neuen, im Vertrag von Lissabon formulierten gemeinsamen Politik sicherzustellen. |
2. Einleitung: Die Beweggründe für eine europäische Energiepolitik
2.1 Eine schwierige geostrategische Lage
2.1.1 |
Laut Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) ist bis 2030 mit einem Anstieg der weltweiten Energienachfrage um 55 % zu rechnen. |
2.1.2 |
Die Europäische Union ihrerseits ist weitgehend von festen fossilen Brennstoffen, Erdölerzeugnissen und Erdgas abhängig. Diese Abhängigkeit wird in den kommenden Jahren wohl noch zunehmen. Da die EU zu 80 % von fossilen Brennstoffen abhängig ist, werden die Energieeinfuhren bis 2030 wahrscheinlich von 50 auf 70 % steigen. |
2.1.3 |
Die nachgewiesenen Erdölreserven dürften nur bis 2050 ausreichen, wobei allerdings andere, bislang ungenutzte Energiequellen in der Zukunft aufgrund der steigenden Nachfrage und des technologischen Fortschritts wirtschaftlich nutzbar werden. |
2.1.4 |
Die Umstellung auf andere Energieträger ist unvermeidlich, auch wenn sie kein Leichtes sein wird. Die Welt hat aber schon einmal derartige Umwälzungen erlebt, insbesondere im 19. Jahrhundert, als die Brennstoffe aus Biomasse (in erster Linie Holz) durch Kohle und später dann durch Erdöl ersetzt wurden. Allerdings verfügen wir heute noch nicht über die erforderlichen Mittel zur ausreichenden Nutzung der erneuerbaren Energieträger, als dass ein derart grundlegender Wandel wie im 19. Jahrhundert bevorsteht. |
2.1.5 |
Die Schwierigkeiten sind in zahlreichen Faktoren begründet: Energiedichte, erforderliche Flächen für die Produktion von Biokraftstoffen (zu Lasten anderer Tätigkeiten, insbesondere in der Landwirtschaft), fluktuierende Charakteristik und oftmals unvorhersehbare Erträge (Windkraft, Sonnenenergie und Gezeitenkraft), was eine eingehende Planung der Speicherkapazitäten erfordert, sowie geografische Verteilung der erneuerbaren Energieträger. In Bezug auf die Kernenergie ist festzuhalten, dass die weltweite Kernindustrie auch im Fall einer überaus ehrgeizigen Politik zur Erneuerung der bestehenden Kraftwerke und zum Bau neuer Anlagen nicht in der Lage wäre, die Nachfrage zu decken. |
2.1.6 |
Die Lage Europas ist von einer großen Energieabhängigkeit gekennzeichnet. So importiert Europa derzeit 50 % seines Energiebedarfs; bis 2030 dürfte seine Außenabhängigkeit auf 70 % steigen. Das heißt, die europäische Außenabhängigkeit würde sich bei Erdöl auf 90 % und bei Erdgas auf 70 % belaufen! |
2.1.7 |
Im März 2006 hat der Europäische Rat eine alarmierende Bestandsaufnahme vorgenommen, bei der folgende Aspekte zutage traten:
Diese alarmierende Bestandsaufnahme gab den Anstoß für die Vorschläge des neuen Energiepakets, das in gewisser Art und Weise eine Antwort auf die Herausforderungen ist, denen sich Europa stellen muss. |
2.1.8 |
Die europäischen Entscheidungsträger müssen ein doppeltes Problem angehen: Einerseits nehmen die Vorräte an herkömmlichen Primärenergieträgern immer weiter ab, und andererseits ist die geografische Lage ihrer Vorkommen durchaus problematisch, liegt doch der Großteil dieser Reserven in politisch instabilen Ländern und kann als Druckmittel gegen die davon abhängenden Länder eingesetzt werden — wie bereits geschehen. |
2.2 Ist die Europäische Union der geeignete Rahmen für eine Energiepolitik?
2.2.1 |
Jeder einzelne EU-Mitgliedstaat ist von dieser Problematik betroffen, doch wird ihre Position durch die Zersplitterung ihrer individuellen Maßnahmen gegenüber den oftmals gut organisierten Erzeugern eindeutig geschwächt. |
2.2.2 |
Die EU-Mitgliedstaaten sollten daher gemeinsam vorgehen und die Europäische Union als wirksames Instrument zur Schaffung einer gemeinsamen Energiepolitik nutzen, deren Grundsatz und Ziel ein besser gesteuerter Verbrauch und eine Diversifizierung der Energieträger sind. |
2.2.3 |
Die Europäische Union verfügt über die erforderliche „kritische Masse“ und institutionelle Mittel. Sie ist in der Lage, transnationale Maßnahmen zu entwickeln, die Politik der einzelnen Mitgliedstaaten zu koordinieren, einen größeren Zusammenhalt im Energiebereich auf europäischer Ebene herbeizuführen und eine gemeinsame Energiepolitik gegenüber Drittstaaten zu gestalten. |
2.2.4 |
Nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags und im Sog des Vertrags von Lissabon könnte die Konzipierung einer europäischen Energiepolitik eine neue pro-europäische Dynamik anstoßen und als Beweis für den praktischen Nutzen der Europäischen Union dienen. |
2.3 Ein Rechtsrahmen, der weiterentwickelt werden sollte
2.3.1 |
Gegenwärtig gibt es keine Zuständigkeit der Europäischen Union für Energie. Die Schaffung einer solchen Zuständigkeit ist eine der wichtigsten Neuerungen im Entwurf des Vertrags von Lissabon. |
2.3.2 |
Zum Zeitpunkt der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurden die damals aktuellen energiepolitischen Fragen großteils von der EURATOM und der EGKS behandelt. |
2.3.3 |
Bedeutet dies nun, dass sich die Europäische Union nie mit Maßnahmen im Energiebereich befasst hat? |
2.3.4 |
Sicherlich nicht, denn sie hat einerseits auf der Grundlage von Artikel 308 EG-Vertrag eine echte Energiepolitik und andererseits auf der Grundlage von Artikel 154 EG-Vertrag eine Politik im Bereich der Transeuropäischen Energienetze (siehe Entscheidung Nr. 1364/2006/EG) auf den Weg gebracht. Außerdem finden die Binnenmarkt- und Wettbewerbsvorschriften auf den Energiemarkt Anwendung (Richtlinie 2003/55/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt, Richtlinie 2003/54/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, Richtlinie 90/377/EWG zur Gewährleistung der Transparenz der Gas- und Strompreise, geändert durch die Richtlinie 93/87/EWG). Die ersten Auswirkungen dieser Marktöffnung und der Abschaffung der staatlichen Monopole haben mitunter Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Energiepreisentwicklung gegeben, doch ist der zeitweise zu verzeichnende Anstieg der Energiepreise vor allem auf die Zunahme der weltweiten Nachfrage nach Ressourcen zurückzuführen, die nur begrenzt verfügbar sind und in einigen Fällen wohl bald erschöpft sein werden. |
2.3.5 |
Dazu kommen noch die Dokumente der Europäischen Kommission, die keine Legislativvorschläge im herkömmlichen Sinn, sondern vielmehr unverbindliches Recht („soft law“) sind: das Grünbuch „Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit“ (28. November 2000), die Kommissionsmitteilung „Abschlussbericht über das Grünbuch ‚Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit‘“ (26. Juni 2002), das Grünbuch über Energieeffizienz oder Weniger kann mehr sein (22. Juni 2005), der „Aktionsplan für Energieeffizienz: Das Potenzial ausschöpfen“ (19. Oktober 2006) sowie die Kommissionsmitteilung „Mobilisieren von öffentlichem und privatem Kapital für den weltweiten Zugang zu klimafreundlichen, erschwinglichen und sicheren Energiedienstleistungen: Der Globale Dachfonds für Energieeffizienz und erneuerbare Energien“ (6. Oktober 2006). |
2.3.6 |
Die Europäische Union hat sich zwar intensiv mit Energiefragen beschäftigt, hat ihr Tätigwerden jedoch auf eine etwas unsichere Rechtsgrundlage gestützt, und zwar Artikel 308 EG-Vertrag — die so genannten Flexibilitätsklausel, die besagt: „Erscheint ein Tätigwerden der Union erforderlich, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, und sind in diesem Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften“. Über die Anwendung der Binnenmarkt-, Wettbewerbs- und Umweltvorschriften ist sie auch indirekt tätig geworden. Ihre Vorgehensweise war also, zumindest auf ersten Blick, eher technischer und rechtlicher als politischer Natur. |
2.3.7 |
Genau aus diesem Grund und angesichts der Bedeutung der Energiefragen sowohl für den Alltag der Unionsbürger als auch das Wirtschaftsleben und die weltweite Stabilität enthält der Vertrag von Lissabon einen neuen Artikel 176, in dem die Ziele der Europäischen Union im Energiebereich „im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“ und „unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Erhaltung und der Verbesserung der Umwelt“ festgelegt sind. |
2.3.8 |
Mit der europäischen Energiepolitik im Sinne des künftigen Vertrags werden folgende Ziele angestrebt:
|
2.3.9 |
Diese Politik fällt in den Bereich der geteilten Zuständigkeit, in dem mit qualifizierter Mehrheit beschlossen wird — abgesehen von Fragen steuerlicher Art, für die ein einstimmiger Beschluss erforderlich ist. In Artikel 176a Ziffer 2 Absatz 2 des Vertrags von Lissabon ist jedoch festgehalten, dass „das Recht eines Mitgliedstaats, die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen“ nicht von den Maßnahmen berührt wird, die zur Verwirklichung der in Ziffer 1 dieses neuen Artikels genannten Ziele getroffen werden. |
2.3.10 |
Die Europäische Union wird somit über eine Zuständigkeit in diesem Bereich verfügen, ein erstes unabdingbares Werkzeug für ein stärkeres und konkreteres Handeln. Doch wird es alleine ausreichen, oder bedarf es weiterer Schritte auf institutioneller Ebene? Noch ehe dieses Werkzeug ausgestaltet wird, müssen die politischen Maßnahmen so konzipiert werden, dass sie sich aufgrund der äußeren Einflüsse sowie der Fortschritte in den Bereichen Dienstleistungen und Technologie weiterentwickeln können. |
3. Erforderliche Maßnahmen
3.1 |
Die europäischen Energiemaßnahmen unterlagen bislang wirtschaftlichen Zwängen und/oder Erfordernissen der nachhaltigen Entwicklung: gewollte Liberalisierung des Energiemarktes mittels Richtlinien und einer Politik für Netzwerkindustrien, Politik zur Steigerung der Energieeffizienz, Politik zur Förderung und Entwicklung erneuerbarer Energieträger, Verringerung der CO2-Emissionen usw. |
3.2 |
In gewisser Weise ist die Europäische Union, der es bislang an einer Zuständigkeit für Energie fehlte, diese Frage auf mehr oder weniger indirekte Weise angegangen, indem sie sich insbesondere die Binnenmarkt-, Wettbewerbs- und Umweltvorschriften zunutze gemacht hat. Zumindest dem Augenschein nach war die Vorgehensweise eher technischer und rechtlicher denn politischer Art. |
3.3 |
Dies hat die Europäische Union bekanntermaßen nicht daran gehindert, im Energiebereich wichtige Legislativmaßnahmen zu setzen und grundsätzliche Leitlinien vorzugeben. So hat sie vor kurzem (am 19. September 2007) eine Reihe von Legislativvorschlägen zur Änderung der geltenden Rechtsvorschriften veröffentlicht (Änderung der Verordnung zum grenzüberschreitenden Stromhandel, Verordnung zur Gründung einer EU-Agentur für die Zusammenarbeit der einzelstaatlichen Energieregulierungsbehörden, Änderung der Verordnung über Erdgasfernleitungsnetze, Änderung der Richtlinien zum Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt). |
3.4 |
Wird der Vertrag von Lissabon in der vorliegenden Fassung ratifiziert, könnte die Europäische Union diese wichtige politische Thematik klarer und direkter angehen. Allerdings werden allein aufgrund der rechtlichen Befugnis nicht alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten ausgeräumt. Denn es gibt sehr unterschiedliche nationale Strategien, insbesondere in Bezug auf die Kernenergie. Seit seinem informellen Gipfeltreffen in Hampton Court hat der Europäische Rat die Eckpfeiler für eine echte europäische Energiepolitik festgelegt, die mit dem neuen Energiepaket in konkrete Form gegossen wurde, das gemeinsam von der GD Energie und der GD Umwelt ausgearbeitet wurde. |
3.5 |
Wie bereits erwähnt wollte die Europäische Union sich zunächst die Marktmechanismen zur Einrichtung eines vermeintlich effizienteren wettbewerbsfähigen Marktes zu eigen machen und mittels der transeuropäischen Energienetze einen Verbundmarkt schaffen. |
3.6 |
Sie beabsichtigte ferner, die Energieeffizienz insbesondere in den verbrauchsintensiven Bereichen, namentlich Gebäudeheizung und -klimatisierung, verarbeitendes Gewerbe und Verkehr, zu fördern. |
3.7 |
Mit dem Aktionsplan für den Zeitraum 2007-2012 (19. Oktober 2006) wird das ehrgeizige Ziel verfolgt, bis 2020 20 % des jährlichen Energieverbrauchs einzusparen, d.h. die Energieintensität um 1,5 % jährlich zu senken. |
3.8 |
Die Europäische Union hat ferner ausdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, erneuerbare Energieträger zu entwickeln. Auch in diesem Bereich hat die Europäischen Union die Latte sehr hoch gelegt: Bis 2020 soll der Anteil der erneuerbaren Energieträger am Gesamtenergieverbrauch auf 20 % gesteigert werden. Außerdem soll ein verbindliches Mindestziel von 10 % für den Anteil an Biokraftstoffen festgelegt werden (siehe Fahrplan für erneuerbare Energien vom 10. Januar 2007). |
3.9 |
Allerdings haben diese Energieträger bisher eine weitaus schlechtere Ausgangsposition als fossile Energieträger: geringere Energiedichte, größerer Platzbedarf (z.B. Solarzellenfelder), fluktuierende Leistungsbereitstellung und selbstverständlich höhere Kosten der betreffenden Technologien. Dies bedeutet, dass trotz ständiger Verringerung der relativen Kostennachteile der Übergang zu diesen Technologien voraussichtlich nur schrittweise über einen langen Zeitraum stattfinden wird — sofern die politische und finanzielle Unterstützung nicht deutlich gesteigert wird — und dass für alle neuen Energieträger detaillierte Folgenabschätzungen erforderlich sind (siehe OECD-Observer Nr. 258/259 „21st century energy: some sobering thoughts“ von Vaclav Smil, Dezember 2006). |
3.10 |
In Bezug auf die Energienutzung im Verkehrsbereich hat die Europäische Kommission ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf die Förderung von Biokraftstoffen sowie auf Brennstoffzellen und Wasserstoff ausgerichtet. Die Ausweitung der Verwendung von Biokraftstoffen entsprechend der angestrebten Größenordnung wirft allerdings einige Probleme auf. Brennstoffzellen sind hocheffiziente Energiewandler, die eine beträchtliche Verringerung der Treibhausgasemissionen und der Schadstoffproduktion bewirken können. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass diese Technologien in baldiger Zukunft wirtschaftlich rentabel sein werden. |
3.11 |
Daher hat die Europäische Kommission im Zuge des Siebten Forschungsrahmenprogramms und einer gemeinsamen Technologieinitiative zur Schaffung öffentlicher/privater Partnerschaften (ÖPP) eine Verordnung zur Gründung des gemeinsamen Unternehmens „Brennstoffzellen und Wasserstoff“ (KOM(2007) 571 endg.) zur Durchführung eines Forschungs-, technologischen Entwicklungs- und Demonstrationsprogramms im Bereich von Brennstoffzellen und Wasserstoff vorgeschlagen. |
3.12 |
Ferner hat die Europäische Kommission zur Schaffung eines Marktes für Kraftfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb eine Verordnung über ihre Typgenehmigung (KOM(2007) 593 endg.) vorgeschlagen, damit in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht voneinander abweichende Produktnormen bestehen, die die Verbreitung dieser Technologie behindern könnten. |
4. Diese Leitlinien sind unerlässlich, doch sind sie auch ausreichend?
4.1 |
Fossile Energieträger werden weiterhin stark gefragt und von grundlegender Bedeutung sein. Daher müssen die Überlegungen dieser unausweichlichen Tatsache Rechnung tragen, und es müssen realistische Erwartungen an erneuerbare Energieträger geknüpft werden. |
4.2 |
In dieser Hinsicht müssen die EU-Mitgliedstaaten eine konzertierte Politik gegenüber den Ländern, die fossile Brennstoffe erzeugen, auf den Weg bringen, und zwar „im Geiste der Solidarität“ laut Vertrag von Lissabon. Eine „Beschaffungspolitik“ wäre ebenfalls überaus zweckdienlich, doch fällt diese in erster Linie in den Zuständigkeitsbereich der multinationalen Erdölunternehmen. |
4.3 |
Der Erdölmarkt ist offiziell in Form der OPEC organisiert. Unter diesen Bedingungen würden die 27 EU-Mitgliedstaaten als Gruppe logischerweise mehr Gewicht haben als jeder einzelne Mitgliedstaat alleine, zumal sie zu den am stärksten entwickelten Industrieländern und daher zu den großen Energieverbrauchern zählen. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass die Europäische Union einen integrierten Markt mit fast einer halben Milliarde Verbrauchern darstellt. |
4.4 |
Auf dem Erdölmarkt kann ein solches „Abnehmerkartell“ gegenüber dem Erzeugerkartell ein echtes politisches Gewicht in die Waagschale werfen. Der Erdgasmarkt hingegen ist nicht kartellisiert. |
4.5 |
Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit ist die Diversifizierung ein Muss. Diesbezüglich muss Russland als große europäische Nation zumindest ebenso gut behandelt werden wie die OPEC-Staaten. In diesem Sinne sollte auch über die Einbeziehung der kaukasischen und zentralasiatischen Republiken in die Energieversorgungspolitik nachgedacht werden. |
4.6 |
Im Bereich der fossilen Energieträger sollten alternative Lösungen, beispielsweise ausgehend von Kohle, aufgegriffen werden. In der Forschung im Bereich „saubere Kohle“ („Clean Coal“) wurden erhebliche Fortschritte erzielt; die diesbezüglichen Anstrengungen müssen allerdings beschleunigt werden, wenn ein erneuter verstärkter Einsatz von Kohle nicht zu einer Verschlimmerung der Erderwärmung führen soll. Es sollte ein groß angelegter europäischer Forschungs- und Entwicklungsplan in diesem Bereich auf die Beine gestellt werden, zumal Europa nach wie vor über große Kohlevorräte verfügt und diese Ressource auf dem Weltmarkt zu wesentlich günstigeren Preisen als Erdöl gehandelt wird. Der Kohlebergbau ist nach wie vor ein heikles Thema. Die schwierigen und oftmals gefährlichen Bedingungen, unter denen die Bergarbeiter ihre Tätigkeit verrichten, sind hinlänglich bekannt. Ein besonderes Augenmerk sollte auf die Arbeitsbedingungen, die Sicherheit sowie die Gesundheit am Arbeitsplatz im Bergbau gerichtet werden. |
4.7 |
Bei wirksamer Abtrennung der bei ihrer Verbrennung entstehenden Emissionen könnten auch Altreifen als erneuerbare Energieträger genutzt werden. In einigen Ländern gibt es bereits seit mehreren Jahrzehnten Altreifen-Kraftwerke. |
4.8 |
In Bezug auf die Technologien für die Speicherung von CO2 (CCS) konnten zwar Fortschritte erzielt werden, doch sind sie nach wie vor teuer, komplex und leckageanfällig; so könnte beispielsweise bei Bruchstellen im Gestein oder bei Erdbeben CO2 austreten. Außerdem besteht die Gefahr der Verschmutzung der tiefer gelegenen Grundwasserschichten. Diese Fragen werden ausführlich in einigen Stellungnahmen behandelt, die der Ausschuss derzeit ausarbeitet. |
4.9 |
Neben fossilen Brennstoffen gibt es noch eine lokale, in großem, um nicht zu sagen zu großem Maße vorhandene Ressource: Abfall. In der Europäischen Union werden Milliarden Tonnen an Abfall produziert. Die Wiederverwertung und -verwendung von Abfall wird im Allgemeinen als die beste Nutzungsmöglichkeit für Abfall angesehen, da so der Rohstoffbedarf verringert und die mit den meisten Formen der Abfallentsorgung einhergehende Entstehung von Treibhausgasen vermieden wird. Soweit dies nicht möglich ist, sollte zweifelsohne die Verwendung von Abfällen zu Energiezwecken ins Auge gefasst werden. Auch in diesem Bereich sollten Forschung und Entwicklung gefördert werden, um eine höhere Energieeffizienz und gleichzeitig eine maximale Verringerung der Emissionen von Treibhausgasen und anderen Schadstoffen zu erreichen. |
4.10 |
Außerdem müsste die einschlägige Gesetzgebung und Rechtsprechung vorangebracht werden, da die energietechnische Nutzung nicht als solche anerkannt ist. Mit dem überarbeiteten Vorschlag für eine Abfall-Rahmenrichtlinie, die derzeit im Europäischen Parlament erörtert wird, wurde allerdings ein erster Schritt in diese Richtung getan. |
4.11 |
Die Frage der Kernenergie wird sich unweigerlich stellen. Die CO2-Emissionen werden sich schwerlich bis 2020 um 20 % verringern lassen, wenn nicht auch die Frage nach einer umfassenden Neuauflage der Programme für moderne Kernkraftwerke in denjenigen Mitgliedstaaten erörtert wird, die sich für diese Energieform entschieden haben. Die anderen Mitgliedstaaten sollten ihre Politik betreffend erneuerbare Energieträger ausbauen. |
4.12 |
Zwar stellen sich im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kernkraft große Herausforderungen in Bezug auf Sicherheit, Gefahrenabwehr und Entsorgungspolitik, doch können wir es uns leisten, darauf zu verzichten? |
4.13 |
Die Wahl der Energieträger gibt Anlass zu Polemik, doch hat bislang keine dieser Debatten die Intensität der Debatte zwischen Kernenergiebefürwortern und -gegnern erreicht. Tatsache ist, dass sich innerhalb Europas eine echte nukleare Kluft aufgetan hat, die es sehr angeraten erscheinen lässt, den Mitgliedstaaten den Einsatz dieses Energieträgers absolut selbst zu überlassen. |
4.14 |
Europa verfügt mit der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) über ein effizientes Instrument, das ihm dazu dienen muss, seinen technischen Vorsprung zu bewahren, seine Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, seine Energieabhängigkeit zu verringern sowie die Bemühungen und die internationale Zusammenarbeit für Sicherheit, Gefahrenabwehr und Nichtverbreitung auszubauen. Die Euratom könnte eventuell sogar eine neue Ausrichtung erhalten. |
4.15 |
Einer der wichtigsten Aspekte ist die Fusionsforschung. Im siebten Forschungsrahmenprogramm werden 2,75 Mrd. EUR für Euratom bereitgestellt, von denen zwei Drittel für die Forschung im Bereich Fusionsenergie aufgewendet werden. Diese Priorität muss gefördert und bekräftigt werden, da bei einem Einsatz dieser Technologie weniger langlebige radioaktive Abfälle anfallen und somit das Problem der Abfallentsorgung vereinfacht würde. Die Lancierung des ITER-Projekts auf dem Hoheitsgebiet der Europäischen Union ist ein viel versprechender Beginn. |
4.16 |
Die Europäische Union sollte ihr Augenmerk auf Hybridfahrzeuge, Solarenergie, Brennstoffzellen und den Fahrzeugantrieb mit komprimierter Luft, den so genannten Luftmotor, richten. Auch in diesem Bereich werden in Forschung und Entwicklung Fortschritte erzielt. So hat ein französischer Ingenieur ein sehr wirtschaftliches Luftmotor-Fahrzeug mit einer Höchstgeschwindigkeit von 150 km/h entwickelt, das in den kommenden Monaten in Produktion gehen sollte. Die bekannte indische Firma Tata hat bereits die Rechte an diesem Fahrzeug für Indien erworben. |
4.17 |
In diesem Zusammenhang bekräftigt der Ausschuss auch seine bereits früher abgegebenen Empfehlungen zum Thema erneuerbare Energieträger in der Europäischen Union, welche die Aussagen der vorliegenden Stellungnahme vorbereiteten und unterstützen. |
5. Erforderliche Instrumente
5.1 |
Die Formulierung von Maßnahmen, die Festlegung von Prioritäten — all das sind grundlegende Elemente, doch bedarf es der politischen und rechtlichen Instrumente, um sie auch in die Tat umzusetzen. Reichen die Bestimmungen des Vertrags von Lissabon, sollte er ratifiziert werden, aus oder sind weitreichendere Maßnahmen erforderlich? |
5.2 |
Es ist sicherlich zielführend, den „Geist der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“ im Energiebereich heraufzubeschwören; ebenso ist es äußerst begrüßenswert, vier Hauptstoßrichtungen für diese Politik festzulegen — an sich eine Neuerung, auch wenn diese Stoßrichtungen selbst nicht sonderlich innovativ sind. |
5.3 |
Dennoch drängt sich der Gedanke auf, dass angesichts der Größenordnung der weltweiten energiepolitischen Herausforderungen ein engagierteres Vorgehen erforderlich wäre. |
5.4 |
War man beim Vertrag von Lissabon nicht zu zurückhaltend, auch wenn die Zeit für eine gemeinsame Energiepolitik mit einem eigenen institutionellen Rahmen nach Vorbild der früheren EGKS und der Euratom vermutlich noch nicht gekommen ist? |
5.5 |
In dem weltweiten Energie-Wettlauf treten Kontinente gegeneinander an. Der Gemeinschaftsrahmen verleiht mehr Gewicht, doch wäre die Einrichtung einer eigenen Behörde, die insbesondere mit der „Energiediplomatie“, der Beschaffung sowie der Festlegung und Finanzierung von Rahmenprogrammen für Forschung und Entwicklung zu betrauen wäre, möglicherweise dazu geeignet, Europa zu einem Schwergewicht im Welt-Energie-Ring zu machen, was den einzelnen EU-Mitgliedstaaten verwehrt bliebe. |
5.6 |
Derzeit verfolgen die Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Ansätze; dies ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass jedes Land nach der ersten Ölkrise 1973 zunächst seine eigene Energieversorgungssicherheit gewährleisten wollte. Für diese unterschiedlichen Anstrengungen und Vorgehensweisen gibt es zahlreiche Beispiele. |
5.7 |
Um zu verhindern, dass eine derartige Vielzahl an unterschiedlichen Ansätzen möglicherweise zum Verlust des europäischen Einflusses führt, muss Europa eine umfassende europäische Energiepolitik konzipieren, die der Führungsposition gerecht wird, die Europa auf dem Gebiet der Klimapolitik bei internationalen Verhandlungen zu behaupten sucht, ihren Anfang in einer engen Koordinierung der EU-Mitgliedstaaten bei der Erörterung energiepolitischer Fragen in internationalen Organisationen wie WTO, ONU, NATO und OSZE nehmen sollte. Darüber hinaus bedarf es einer Koordinierung der einzelstaatlichen Energiepolitiken und insbesondere der Festlegung einer echten „Beschaffungspolitik“ sowie einer von einem echten politischen Willen getragenen und nicht mehr nur rein empirischen Politik der Vernetzung. Außerdem könnte sich diese auf Koordinierung, Konzertierung und Verwirklichung gemeinsamer Vorhaben ausgerichtete Politik zum gegebenen Zeitpunkt auf eigene und starke Institutionen stützen, um Europa in die Lage zu versetzen, die energiepolitische Herausforderung anzugehen. Doch hat Europa auch den Mut dazu? |
Brüssel, den 23. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
ANHANG
zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Der folgende Änderungsantrag, der mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen konnte, wurde im Verlauf der Beratungen abgelehnt:
Ziffer 4.11
Wird wie folgt geändert:
„Die Frage der Kernenergie wird sich unweigerlich stellen, die Mitgliedstaaten werden diese in ihrer eigenen Souveränität zu beantworten haben. Die CO2-Emissionen können bis 2020 nicht um 20 % verringert werden, wenn nicht auch die Frage nach einer umfassenden Neuauflage der Programme für moderne Kernkraftwerke erörtert wird. “.
Begründung
Die Bundesrepublik Deutschland, in der derzeit noch weit 10 Atomkraftwerke betrieben werden, hat ein Programm aufgelegt, das bis zum Jahr 2020 eine CO2 Minderung um knapp 40 % bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kernenergie vorsieht. Stellt der Berichterstatter (und der EWSA) die Seriosität dieses Programms in Frage?
Abstimmungsergebnis
Ja-Stimmen: 46 Nein-Stimmen: 103 Stimmenthaltungen: 27
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/23 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen:
— |
„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/54/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt“ |
— |
„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/55/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt“ |
— |
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden“ |
— |
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel“ |
— |
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen“ |
KOM(2007) 528 endg. — 2007/0195 (COD)
KOM(2007) 529 endg. — 2007/0196 (COD)
KOM(2007) 530 endg. — 2007/0197 (COD)
KOM(2007) 531 endg. — 2007/0198 (COD)
KOM(2007) 532 endg. — 2007/0199 (COD)
(2008/C 211/06)
Der Rat beschloss am 18. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 44 Absatz 2, Artikel 55 und Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgenden Vorlagen zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/54/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmark“.
„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/55/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt“.
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden“.
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel“.
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1775/2005 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. April 2008 an. Berichterstatter war Herr CEDRONE.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 100 gegen 4 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 Schlussfolgerungen
1.1.1 |
Der EWSA billigt insgesamt die Gründe, die die Kommission zur Vorlage des dritten Energie-Legislativpakets bewogen haben. Dies ist eine unter rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten komplexe und schwierige Materie, die zu unterschiedlichen Bewertungen und Reaktionen geführt hat. |
1.1.2 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass der gegenwärtige Zustand im Energiesektor nicht mehr länger andauern darf. Nach dem Start des Integrations- und Liberalisierungsprozesses befinden wir uns in einer Übergangsphase: jetzt muss entschieden werden, welche Richtung eingeschlagen werden soll. Die Liberalisierung des Energiemarkts befindet sich in einer Stagnationsphase, die hohe Übergangskosten verursacht, die den Nutzen übersteigen könnten. Diese Kosten sind auf den fehlenden Rahmen einheitlicher gemeinschaftlicher Bestimmungen und in einigen Fällen auf das Fehlen eines echten Liberalisierungswillens und einer eindeutigen Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Parteien zurückzuführen. Diese Regulierungsunsicherheit kann zu einem niedrigen Investitionsniveau und schwach entwickeltem Wettbewerb in diesem Sektor führen. Das hat zu einem fragmentierten, in einigen Fällen von ehemaligen Monopolunternehmen kontrollierten europäischen Markt geführt. Daher muss nachdrücklich die Notwendigkeit einer entschlossenen Weiterführung der Liberalisierung bekräftigt werden. |
1.1.3 Politische Aspekte: Der Binnenmarkt
1.1.3.1 |
Zentraler Punkt dieser Strategie ist die Realisierung eines europäischen Energiebinnenmarkts. Die EU muss eine gemeinsame Strategie erarbeiten, um rasch, geschlossen und mit größerem Gewicht auf der internationalen Bühne handeln zu können. Die Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten, Regulierungsbehörden und Übertragungs- und Fernleitungsnetzbetreibern ist unbedingt erforderlich, weshalb strukturelle Veränderungen zwecks Integration von Netzbetrieb und Netzentwicklung auf regionaler Ebene vorgenommen werden müssen. Die einzelnen Mitgliedstaaten müssen ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihre Vorschriften zusammenlegen, um gemeinsam zu handeln und eine echte Preispolitik für die Versorgung vorzuschlagen (aufzuerlegen) und ein möglichst wettbewerbsorientiertes Umfeld zu schaffen, das möglichst faire Preise hervorbringt und sich der Finanzspekulation entzieht. Es sollte mehr Einigkeit zwischen den Mitgliedstaaten bestehen, die sich im Interesse der Nutzer/Verbraucher an die vereinbarten gemeinsamen Bestimmungen halten und die zuvor beschlossenen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften in nationales Recht umsetzen sollten. |
1.1.4 Wirtschaftliche Aspekte
1.1.4.1 |
Nach Auffassung des EWSA würde ein fairer, angemessen geregelter Wettbewerb (der durch den derzeitigen Kommissionsvorschlag nicht ermöglicht wird) die Erhöhung des Anteils alternativer Energiequellen und der Investitionen in Energieinfrastrukturen fördern. Dies würde zu einem Anstieg der Produktivität der Unternehmen (wie z.B. der KMU) und damit zu fairen Preisen, zu erhöhter Transparenz und zur Verringerung der Gefahren marktbeherrschender Stellungen führen. |
1.1.4.2 |
Eines der wichtigsten Ziele des dritten Energie-Legislativpakets besteht darin, die erforderlichen Energieinfrastrukturinvestitionen zu fördern und ihre Koordinierung auf europäischer Ebene zu gewährleisten. Unter diesem Aspekt gehen die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen in die richtige Richtung, jedoch muss sichergestellt werden, dass diese Maßnahmen die erforderlichen Investitionen bei der Erzeugung ermöglichen, dass sie das Vertrauen der Investoren stärken. In Bezug auf den Ausbau der Netze muss dafür Sorge getragen werden, dass eine angemessene, alle Beteiligte berücksichtigende Planung erfolgt, die sowohl von ihrem Umfang her als auch hinsichtlich der Fristen eingehalten wird. Ferner ist eine Kontrolle der Investitionen auf Gemeinschaftsebene (durch die Agentur für die Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden) erforderlich. Ein wenig elastischer Markt, der durch Unternehmen mit Oligopolstellung und einige Staaten, die ihre Zuständigkeit für die Versorgung nur zögerlich aufgeben, gekennzeichnet ist, beeinträchtigt das Vertrauen der Akteure und Nutzer und führt zu einem Liquiditätsmangel. Dieser Situation muss Abhilfe geschaffen werden. |
1.1.5 Soziale Aspekte
1.1.5.1 |
Die durch das dritte Energiepaket ausgelösten Umstrukturierungsprozesse müssen mit beschäftigungsfördernden Maßnahmen einhergehen, an denen die Gewerkschaften und Unternehmen mittels Instrumenten wie „corporate social restructuring“ und Mechanismen der sozialen Abfederung auf einzelstaatlicher und europäischer Ebene umfassend zu beteiligen sind. Die Feststellung ist beruhigend, dass in den Staaten, die eine eigentumsrechtliche Entflechtung der Übertragungsnetze durchgeführt haben, keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung zu verzeichnen sind. |
1.1.5.2 |
Wenngleich der Schutz sozial schwächerer und schutzbedürftiger Verbrauchergruppen nach wie vor ausschließlich im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten liegt, ist es doch sehr wichtig, dass die Kommission die grundlegende Bedeutung solcher internationaler Maßnahmen anerkennt. Die Kommission muss sicherstellen, dass auch ihre Durchführung überwacht wird, damit diese Instrumente die Voraussetzungen für einen offenen und wettbewerbsorientierten Markt erfüllen. Der Begriff der „Energiearmut“ sollte auf europäischer Ebene eingeführt werden (niedrigster angewandter Tarif) und dem öffentlichen Versorgungsauftrag sowie den Gemeinwohlverpflichtungen — wie in den gegenwärtigen Richtlinien vorgesehen — entsprochen werden. |
1.1.6 Die Nutzer (Unternehmen und Verbraucher)
1.1.6.1 |
Eine neue energiepolitische Strategie muss folglich den echten Wettbewerb zwischen den Unternehmen fördern, damit die Nutzer mehr Wahlmöglichkeiten haben. Die Leitungsnetze müssen für alle, die sie nutzen wollen, zugänglich sein. Für energieintensive Großunternehmen muss ein europäischer Energiekaufvertrag mit einheitlichen Preisen (vergleichbare Preise oder „law of one price“) konzipiert und die staatlichen Beihilfen beseitigt werden, die den Wettbewerb verzerren. Die Verbraucher müssen in den Genuss der von der EU vorgesehenen Rechte kommen und sich frei für den Versorger ihrer Wahl mit dem niedrigsten Preis entscheiden können. |
1.1.7 |
Der EWSA ist schließlich der Auffassung, dass der Kommissionsvorschlag darauf abzielen muss, ein unfreiwilliges gemeinsames Vorgehen zur Konsolidierung des Status quo zu unterbinden: Dabei sind zum einen die großen Monopolbetriebe bestrebt, den Vorteil, der sich aus ihrem Status ergibt, zu erhalten, zum anderen versuchen die Gewerkschaften Arbeitsplätze zu verteidigen. |
1.2 Die Vorschläge des EWSA
1.2.1 Der Energiebinnenmarkt
1.2.1.1 |
Um die Verwirklichung des Energiebinnenmarkts zu beschleunigen, muss die Kommission die Vorschläge des dritten Energiepakets dahingehend ändern, dass sie auf der internationalen Bühne — insbesondere mit Blick auf die Energiequellen — unabhängig agieren kann. Zu diesem Zweck müssen die im dritten Energiepaket enthaltenen Vorschläge zur regionalen Zusammenarbeit als ein Zwischenschritt bei der Verwirklichung des letztlich angestrebten Ziels des Energiebinnenmarkts angesehen werden. Außerdem sollten sich die Mitgliedstaaten für die Integration ihrer Strommärkte engagieren und Netzbetreiber sollten in verschiedenen Mitgliedstaaten tätig sein. Der EWSA ist der Auffassung, dass die im dritten Energiepaket vorgeschlagene regionale Zusammenarbeit von Netzbetreibern keinesfalls als vorübergehender Ersatz oder als Alternative für den Energiebinnenmarkt aufgefasst werden darf. Eine auf eigentumsrechtlicher Entflechtung basierende regionale Zusammenarbeit von Netzbetreibern, die von den Vertriebs-/Erzeugungstätigkeiten effektiv abgekoppelt sind, ist von zentraler Bedeutung. Die von der Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden (ERGEG) unlängst geförderten regionalen Initiativen sollten auch für eine Überprüfung der Konsistenz der Regulierung und der Marktvorschriften herangezogen werden. |
1.2.2 Die Entflechtung vertikal integrierter Unternehmen
1.2.2.1 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass die EU der eigentumsrechtlichen Entflechtung gegenüber der funktionalen Entflechtung den Vorzug geben sollte, da erstere für die Investitionsförderung sicherlich besser geeignet ist. Das würde die Transparenz und das Vertrauen der Marktteilnehmer erhöhen, die Sicherheit des Netzwerks steigern und die Überwachung monopolistischer Aktivitäten verbessern, indem diskriminierende Verhaltensweisen verhindert und die Nutzung und Instandhaltung der Netze optimiert werden. |
1.2.2.2 |
Die Folgen mit strategischer Bedeutung, die sich aus der Frage des Netzeigentums und der erforderlichen Gewährleistung der Unabhängigkeit auch in Bezug auf eventuelle Interessen von Drittstaaten — einschließlich die Entscheidung in Bezug auf das Eigentum der (öffentlichen oder privaten) Netze — muss weiter vertieft und untersucht werden. Der Kommissionsvorschlag verlangt im Zusammenhang mit der eigentumsrechtlichen Entflechtung keine Privatisierung der Übertragungs-/Fernleitungsnetze, die sich gegenwärtig in öffentlichem Eigentum befinden. |
1.2.2.3 |
Es gibt keine Unterschiede zwischen dem Elektrizitäts- und dem Gassektor (siehe USA, Dänemark, Niederlande, Portugal, Vereinigtes Königreich, Spanien und Schweden), die eine nicht einheitliche Behandlung im Bereich der eigentumsrechtlichen Entflechtung rechtfertigen könnten. Die eigentumsrechtliche Entflechtung der Vertriebs- und Erzeugungstätigkeiten einerseits und der Übertragungsaktivitäten andererseits ist in beiden Sektoren erforderlich, denn die möglichen diskriminierenden Verhaltensweisen aufgrund unzureichender vertikaler Entflechtung sind identisch. Unternehmen, die Erdgas verkaufen, sollten nicht daran interessiert sein, wer ihr Erdgas transportiert, sondern lediglich daran, über vertrauenswürdige und finanziell solide Geschäftspartner zu verfügen, die „ihr“ Erdgas verkaufen können. |
1.2.3 Die europäische Agentur
Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass die Europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden mehr Befugnisse erhalten sollte, um
— |
eine autonome und unabhängige Regulierungsfunktion auszuüben; |
— |
die Überwachung der Aktivitäten der Europäischen Netze der Übertragungs- und Fernleitungsnetzbetreiber (ENTSO) auszuüben und zusammen mit ENTSO und einem ständigen Sachverständigenausschuss die Europäische Kommission dabei zu unterstützen, eine Liste der erforderlichen Bestimmungen aufzustellen, die für die Erarbeitung und Annahme der entsprechenden Leitlinien sowie technischen Kodizes und Marktkodizes notwendig sind; |
— |
die Kriterien aufzustellen und die Kodizes zu billigen; |
— |
Verfahren zur Festlegung von Gebühren und die Gebühren für die Kompensation der den Netzbetreibern bei der grenzüberschreitenden Übertragung von Strom entstehenden Kosten zu ermitteln; |
— |
Leitlinien bezüglich der Grundsätze für die Netzentwicklung zu erarbeiten und den von ENTSO vorgeschlagenen Zehnjahresinvestitionsplan zu billigen; |
— |
dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission Informationen vorzulegen und Stellungnahmen zu übermitteln; |
— |
die Marktakteure zu konsultieren; |
— |
die Arbeit der nationalen Behörden zu koordinieren; |
— |
die Transparenz, einschließlich der Verfahren zur Ernennung seiner Führungsebene, zu fördern. |
1.2.4 Einzelstaatliche Behörden
1.2.4.1 |
Die nationalen Regulierungsbehörden spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung des Wettbewerbs und der Gewährleistung einer korrekten Umsetzung der Richtlinien auf einzelstaatlicher Ebene, vor allem in Bezug auf die Übereinstimmung mit den Vorschriften für die unparteiische Nutzung der Infrastrukturen. Ihre Befugnisse sollten deshalb harmonisiert und ihre Unabhängigkeit von den Regierungen und Energieunternehmen gestärkt werden, damit sie den Markt überwachen und den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen verhindern können. Unabhängigere Regulierungsbehörden fördern das Vertrauen in den Markt und können besser mit der Europäischen Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden interagieren. |
1.2.5 Koordinierungsmechanismus der nationalen Netzbetreiber (European Networks of Transmission System Operators — ENTSOs)
1.2.5.1 |
Der EWSA propagiert eine effizientere Koordinierung der nationalen Netzbetreiber in puncto Investitionstätigkeit und Optimierung des Infrastrukturmanagements. Dies ist für die Entwicklung eines integrierten europäischen Netzes erforderlich. Die Agentur sollte bezüglich Vorschlagen, Erarbeiten, Überwachen und Annehmen der Kodizes eine wichtigere Rolle spielen als ursprünglich beabsichtigt, damit eine angemessene Berücksichtigung der öffentlichen Interessen gewährleistet wird. ENTSO sollte nur im Rahmen seiner Fähigkeiten und Kompetenzen auf den Plan treten. Dementsprechend sollte die Europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden für die Erarbeitung von Leitlinien und Kodizes zuständig sein. |
1.2.6 Europäische Netze und Investitionen
1.2.6.1 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die EU auf die künftige Nutzung der Netze mithilfe eines Investitionsprogramms einstellen sollte, das die Schaffung eines Systems öffentlicher und/oder privater europäischer, gemeinschaftlich regulierter Netzwerke vorsieht, die sowohl für die Übertragung wie auch für die Nutzung von Energie allgemein zugänglich sind. Zu diesem Zweck sollte gewährleistet sein, dass die Verfahren für die Zusammenschaltungen wirklich transparent sind und auf marktwirtschaftlichen Verfahren basieren, um einen möglichst ungehinderten Handel zu ermöglichen. Investitionen sollten dann getätigt werden, wenn sie aus regionaler Perspektive zum Wohlstand der Gesellschaften beitragen. Alle Marktteilnehmer sollten angemessen am Entscheidungsprozess über die Entwicklung von Kodizes sowie des Zehnjahresinvestitionsplans beteiligt werden. |
1.2.7 Demokratie und Vertretung
1.2.7.1 |
Nach Ansicht des EWSA muss gemäß den bereits bestehenden oder derzeit in Erarbeitung befindlichen Schutzbestimmungen die Vertretung der Verbraucher im Verwaltungsrat der Agentur vorgesehen werden. Dasselbe gilt für alle weiteren Beteiligten (Akteure, Gewerkschaften, Unternehmen), die neben ihrer Präsenz im Verwaltungsrat auch in einem entsprechenden Aufsichtsgremium vertreten sein könnten, so dass sich die Ausarbeitung der Bestimmungen nicht nur in der Endphase, sondern von Anfang an auf einen möglichst breiten Konsens und eine möglichst umfassende Beteiligung stützt. |
2. Einleitung
2.1 |
Vor etwa zehn Jahren begann die Kommission (mit großer Verspätung), sich mit einem europäischen Regelwerk für einen Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt zu befassen. Der Ausschuss hatte Gelegenheit, zu diesem Thema Stellung zu nehmen. Er setzte in dieser — im Laufe der Zeit immer wichtigeren und kontroverser diskutierten — Frage mitunter andere Schwerpunkte als die Kommission. |
2.2 |
Mit der Annahme des dritten Legislativpakets zum Strom- und Gasmarkt möchte die Europäische Kommission diesen bereits begonnenen Prozess unter vollkommen veränderten internationalen Bedingungen, die allen Beteiligten neuartige Probleme bereiten, vollenden. Die Vorschläge stoßen nicht auf die einhellige Zustimmung der Mitgliedstaaten. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Annahme und Anwendung der neuen Vorschläge verzögert und die Verwirklichung des europäischen Energiebinnenmarkts gefährdet wird. |
2.3 |
Der EWSA trägt die große Verantwortung, eine Stellungnahme zu einem der wichtigsten (und sensibelsten) Themen der letzten Jahre vorzulegen, das nicht nur für den Energiemarkt, sondern auch für die Zukunft der europäischen Unternehmen in diesem Sektor, für die europäischen Verbraucher und für die Unternehmen der Drittländer von Bedeutung ist. |
2.4 |
Der EWSA begrüßt die von der Europäischen Kommission erstellte Folgenabschätzung, die bereits deutliche Hinweise auf die Wirksamkeit der Liberalisierung und eines fairen Wettbewerbs gibt (vgl. Wortlaut). |
3. Die Motive der Kommission
3.1 |
Es soll sichergestellt werden, dass sich die Verbraucher angesichts eines breiten Angebots wirklich frei für den Lieferanten ihrer Wahl entscheiden und in den Genuss der „Vorteile“, die mit dieser Wahl einhergehen „sollten“, kommen können. Diese optimalen Bedingungen für die Nutzer müssen auch für Unternehmen aus Drittländern, die in der EU tätig sind, ein gemeinsames Ziel darstellen. |
3.2 |
Angestrebt wird die Entflechtung von Erzeugung und Übertragung von Eigentum und Betrieb der Übertragungs-/Fernleitungsnetze für Strom und Gas. Ferner wird eine zweite Option vorgestellt, die einen „unabhängigen Netzbetreiber“ vorsieht und die es vertikal integrierten Unternehmen ermöglicht, Eigentümer ihrer Netzwerke zu bleiben, sofern das gebundene Kapital von einer unabhängigen Instanz oder einem anderen Unternehmen verwaltet wird. Damit sollen Infrastrukturinvestitionen gefördert werden. |
3.3 |
Es sollen wirksame Maßnahmen ergriffen werden bezüglich der Probleme der Fragmentierung des Marktes entlang der nationalen Grenzen, der bestehenden vertikalen Integration und der starken Konzentration des Angebots, die bislang einen echten Wettbewerb und das Zustandekommen eines Energiebinnenmarkts verhindert haben. |
3.4 |
Durch die Schaffung einer Agentur mit der Zielsetzung, die nationalen Regulierungsbehörden zu koordinieren und den in dieser Branche operierenden Unternehmen die gleichen Bedingungen zu bieten, soll der grenzübergreifende Handel vereinfacht werden. Damit soll die Entstehung eines echten europäischen Netzwerks sichergestellt werden, das zur Versorgungssicherheit beiträgt, eine Diversifizierung des Angebots ermöglicht und außerdem die Unabhängigkeit der nationalen Behörden nachhaltig stärkt. |
3.5 |
Mittels neuer Vorschriften soll die Zusammenarbeit der europäischen Netzbetreiber gefördert und eine verstärkte Kooperation der verschiedenen europäischen Märkte — auch mit Blick auf Versorgungsengpässe — gewährleistet werden. |
3.6 |
Durch Vereinfachung der Marktvorschriften und Bereitstellung von Verbraucherinformationen soll die Transparenz erhöht und das Vertrauen der Nutzer in einen funktionstüchtigen Markt gesteigert werden (aber war das bislang tatsächlich stets der Fall?). |
3.7 |
Die Verbraucher sollen nächstes Jahr in den Genuss von — in einer spezifischen (verbindlichen) „Charta“ verbrieften — Energieverbraucherrechten kommen. Diese Charta soll u.a. Informationen über die Anbieter, über die verschiedenen Optionen des Marktes, über die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren und über die Armut aufgrund des Energieverbrauchs (fuel poverty) usw. enthalten (1). |
4. Die Richtlinienvorschläge (Elektrizität und Erdgas)
4.1 |
Angestrebt wird eine effektive (rechtliche und funktionale) Entflechtung des Versorgungs- und Übertragungssystems für Elektrizität und Erdgas mittels vertikal nicht integrierter Systeme in allen Mitgliedstaaten. Dies ist von zentraler Bedeutung für die Lösung möglicher Interessenskonflikte sowie für
|
4.2 |
Angesichts vertikal integrierter Unternehmen und des Widerstands gegen eine effektive eigentumsrechtliche Entflechtung ist die Einrichtung eines unabhängigen Netzbetreibers eine Lösung. Dieser Netzbetreiber ermöglicht den Unternehmen, Eigentümer des Netzwerks zu bleiben, ohne dieses jedoch verwalten zu können. Diese Unabhängigkeit des Netzbetreibers kann nur im Rahmen einer wirksamen Regelung gewährleistet werden. |
4.2.1 |
Die Unabhängigkeit des Netzbetreibers und die eigentumsrechtliche Entflechtung von Verteilernetzen und Produktionssystemen sind sowohl auf öffentliche wie auch auf private Unternehmen anzuwenden. |
4.2.2 |
Hauptziel ist es, die in der Strom- und Gaserzeugung und -versorgung operierenden Unternehmen in der gesamten EU vollständig zu entflechten. |
4.2.3 |
In dem Richtlinienvorschlag sind befristete Ausnahmen von den eigentumsrechtlichen Entflechtungsvorschriften vorgesehen, wenn Investitionen in Energieinfrastrukturen getätigt werden. |
4.3 |
Die Trennung von Versorgung und Produktion einerseits und Netzbetrieb andererseits wird nicht nur auf nationaler Ebene, sondern unionsweit angestrebt. Keinem Energieerzeugungsunternehmen soll es erlaubt sein, ein Verteilernetz in einem anderen Mitgliedstaat zu besitzen oder zu betreiben. Jeder Akteur, der sich am System beteiligt, muss den Nachweis über seine Unabhängigkeit von Versorgungs- und Erzeugungsaktivitäten erbringen. |
4.4 |
Die eigentumsrechtliche Entflechtung muss zu einem korrekten Funktionieren des Marktes und des Netzes führen, was sich letztlich in einer korrekten Preisbildung für Elektrizität und Erdgas und möglichen Preissenkungen ausdrückt, was eindeutig den Verbrauchern und den Investoren in diesem Sektor zugute kommt. |
4.5 |
Das korrekte Verhalten des unabhängigen Netzbetreibers sowie die wirksame eigentumsrechtliche Entflechtung des Produktions- und Versorgungssystems kann nur mithilfe einer unabhängigen und funktionsfähigen Regulierungsbehörde bewerkstelligt werden. Die Regulierungsbehörden müssen von jedwedem anderen öffentlichen oder privaten Akteur rechtlich getrennt und funktional selbstständig sein und unabhängig von jedem Marktinteresse handeln. Sie müssen über ein umfassendes Mandat verfügen und grenzübergreifend zusammenarbeiten können, um:
Die externen Agenturen (CESR, Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden) haben die Aufgabe, die Kommission bei der Anwendung der genannten Vorschriften zu beraten. |
5. Die Verordnungsvorschläge (Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen)
5.1 |
Die Konsolidierung der nationalen Märkte mittels gemeinsamer Regeln und Rahmenbedingungen ist für die Entwicklung des europäischen Energiemarkts und die Realisierung des erforderlichen grenzüberschreitenden Handels von zentraler Bedeutung. Eine Harmonisierung der in den verschiedenen Mitgliedstaaten bestehenden Vorschriften (z.B. der technischen Vorschriften oder Netzkodizes, die die Elektrizitätsunternehmen anzuwenden haben) ist notwendig, und zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint sie mithilfe der „Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden für Elektrizität und Ergas“ (ERGEG) nicht realisiert worden zu sein. Eine solche Harmonisierung kann nur von einer getrennten und unabhängigen Instanz herbeigeführt werden, die aufgrund der Bestimmungen des Vertrags nur in Form einer Agentur gegründet werden kann. |
5.2 |
Die Agentur sollte in erster Linie folgende Aufgaben haben:
|
5.3 |
Die Organisationsstruktur entspricht dem typischen Organisationsplan der Regulierungsagenturen der EU, wobei der Gewährleistung der Unabhängigkeit bei der Ausübung der Regulierungsfunktion besondere Aufmerksamkeit gewährt wird. Daher kann neben einem Verwaltungsrat, der den Direktor der Agentur ernennt, ein Regulierungsrat eingerichtet werden, der für sämtliche Regulierungsfragen zuständig ist, sowie ein Beschwerdeausschuss, der für eventuelle Einsprüche gegen die von der Agentur getroffenen Entscheidungen zuständig ist. Die Agentur soll eine Personalausstattung von ca. 40-50 Mitarbeiter erhalten, ihre durch Gemeinschaftszuschüsse gedeckten jährlichen Gesamtkosten werden mit ca. 6-7 Mio. EUR veranschlagt. |
5.4 |
Der Kommission kommt als Hüterin der Verträge die Funktion der obersten Kontrollinstanz zu. Die Agentur verfügt nur bei bestimmten technischen Fragen über Entscheidungsbefugnis und Ermessensspielraum. Die Entscheidung über Maßnahmen zum Schutz der Zusammenarbeit oder des reibungslosen Funktionieren des Marktes können nur von der Kommission nach Unterrichtung durch die Agentur oder in Eigeninitiative der Kommission ergriffen werden. |
5.5 |
Eine effiziente Zusammenarbeit zwischen den Übertragungs-/Fernleitungsnetzbetreibern ist für eine echte Integration der Märkte von zentraler Bedeutung. Gegenwärtig besteht nur eine freiwillige Zusammenarbeit, die keine zufriedenstellenden Ergebnisse erbracht hat, zumal mit Blick auf Netzstörungen und Stromausfällen. Die Integration des Netzbetriebs auf regionaler Ebene würde es ermöglichen,
|
5.6 |
Die Kooperationsstrukturen der Übertragungs-/Fernleitungsnetzbetreiber müssen auf europäischer Ebene voll anerkannt sein. Entweder kann auf bereits bestehende Strukturen wie GTE (Europäisches Netz der Fernleitungsnetzbetreiber) und ETSO (Europäisches Netz der Übertragungsnetzbetreiber) zurückgegriffen werden, oder aber es werden zentrale und dauerhafte Strukturen sowohl für die Verwaltung wie auch in Bezug auf praktische Instrumente für Planung und Netzbetrieb aufgebaut. |
6. Allgemeine Bemerkungen
6.1 |
Das Hauptproblem bei den Netzen besteht — insbesondere bei den Stromnetzen — nicht nur in der Liberalisierung, sondern auch darin, sie für die Bürger und Unternehmen nutzbar zu machen. So wären z.B. öffentliche oder von der EU regulierte europäische Netze denkbar, die für alle zugänglich sind. |
6.2 |
Die Kommission sollte Investitionen in die Verwirklichung eines völlig innovativen Übertragungssystems fördern, um europaweit die Nutzung von Elektrizität über ein interaktives intelligentes Netz zu ermöglichen, das n mit dem Internet vergleichbar ist und dank intelligenter Zähler den Energiefluss in beiden Richtungen ermöglicht. |
6.3 |
Dies würde die Investitionstätigkeit stark ankurbeln und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie zur Verwirklichung des alten Slogans „power to the people“ beitragen: den Austausch von Energie im Einklang mit dem individuellen Bedarf über für alle zugängliche Netze und mit einheitlichen, in allen EU-Mitgliedstaaten angewandten Regelungen, wobei (wie beim Internet) keine Ausnahmen gemacht werden. |
6.4 |
Aus diesen Gründen könnte eine vollständige Trennung im Stromversorgungssystem und einer Wahlmöglichkeit zwischen einer Trennung und einem unabhängigen Netzbetreiber für die Gasnetze angestrebt werden. |
6.5 |
Die von der Kommission verfolgten Ziele (Stärkung der nationalen Behörden, Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Übertragungsnetzbetreibern (unabhängigen Netzbetreibern, Fernleitungsnetzbetreibern), Schaffung von mehr Transparenz auf dem Energiemarkt usw.) lassen sich nur schwer verwirklichen, wenn die nationale Optik nicht überwunden wird, und zwar nicht nur in Bezug auf die Netze, sondern auch bei der Versorgung, den Investitionen usw. Nur durch solche Maßnahmen kann eine bessere Dienstleistungsqualität sichergestellt werden, auch wenn sie alleine die Preise nicht eindämmen können. |
6.6 |
Die Konzentration der Erdölreserven in einigen wenigen Regionen der Welt (61,8 % im Nahen Osten, 11,7 % in Europa und Russland, 9,4 % in Afrika, 8,5 % in Südamerika, 5,1 % in Nordamerika und 3,5 % in Fernost (F. Profumo, Polytechnikum Turin) sollte die Kommission dazu veranlassen, eine klare gemeinsame Politik sowohl gegenüber diesen Weltregionen als auch in den internationalen Organisationen zu betreiben, in denen Abkommen geschlossen und Entscheidungen getroffen werden. Andernfalls besteht schlicht und einfach die Gefahr, dass die Liberalisierung zur Augenwischerei verkommt — weil sie nicht ausreicht, die Preise einzudämmen, die häufig aufgrund von Monopolen — die auch gegenüber der Politik das Sagen haben — aufgeschlagen werden. |
6.7 |
Die EU muss sich weiterhin für regulierten Wettbewerb und Transparenz einsetzen, damit das Wirtschaftssystem wettbewerbsorientierter und transparenter wird. Die Siege über Microsoft und Volkswagen sind ermutigende Präzedenzfälle für den Wettbewerb, obwohl dies allein nicht genug ist. Gleichzeitig müssen effizientere Maßnahmen zur Abfederung der Auswirkungen auf die Beschäftigung vorgesehen werden sowie entsprechende Maßnahmen und Investitionen, um die Dynamik des Wirtschaftssystems zu verbessern. Damit sollen mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer und für junge Menschen geschaffen und der Bedarf an „Schutz“ verringert werden. Die jüngsten, nicht sonderlich ermutigenden Daten über das Wirtschaftswachstum in Europa (siehe Mitteilung der Kommission) sind nicht nur auf den starken Euro zurückzuführen, sondern auch auf die niedrige Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den „Schutz“, den viele von ihnen genießen. Der nach der Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte in Angriff genommene Abbau von Monopolen ist zum Erfolg verdammt, da im Falle eines Scheiterns durch die dadurch verursachte Marktstörung und eventuelle neuerliche Aufwendung öffentlicher Gelder zur Sicherung des Überlebens der Netze, wie dies bei der britischen Eisenbahn der Fall war, die Interessen der Bürger/Verbraucher mit Füßen getreten würden. |
6.8 |
Die Debatte über dieses Paket darf nicht auf die institutionelle Ebene oder die Fachkreise beschränkt bleiben. Die Kommission und der EWSA müssen die Debatte nach außen tragen; sie muss offen unter Einbeziehung der Bürger und Verbraucher, der Arbeitnehmer und Unternehmen geführt werden, um zu verhindern, dass nur die in dieser Branche tätigen Unternehmen, die häufig eine Monopolstellung einnehmen, die Entscheidungen beeinflussen (z.B. könnte zu diesem Zweck ein Blog für die Bürger eingerichtet werden, und es sollten öffentliche Anhörungen in den meisten Mitgliedstaaten und in einigen europäischen Städten durchgeführt und die Ergebnisse in einer großen öffentlichen Konferenz auf Gemeinschaftsebene zusammengetragen werden). Im Übrigen sollte die von der Kommission ausgeübte Kontrolle über die europäischen Regulierungsbehörden auch eine demokratische Dimension erhalten und durch eine Kontrolle seitens des Europäischen Parlaments bestätigt werden. |
7. Besondere Bemerkungen
7.1 |
Entflechtung der Eigentumsverhältnisse der Tätigkeitsbereiche: Trennung der Versorgung und Erzeugung vom Betrieb der Netze (ownership unbundling). Die Durchführung derartiger Maßnahmen ist eine notwendige Voraussetzung für die Verringerung der Barrieren für den Marktzugang. Dadurch soll verhindert werden, dass integrierte Unternehmen, die verschiedene Tätigkeiten erbringen, einen Teil der Kosten der liberalisierten Tätigkeiten zu Lasten der regulierten Tätigkeiten „übertragen“ können und dadurch einen unbilligen Wettbewerbsvorteil gegenüber denjenigen Unternehmen haben, die ausschließlich in den dem Wettbewerb unterliegenden Bereichen tätig sind. Die Mitgliedstaaten haben die Richtlinien über den Ergas- und Elektrizitätsbinnenmarkt uneinheitlich umgesetzt und in einigen Fällen die Schaffung vertikal integrierter Erzeugungs- und Versorgungs- sowie Netzbetriebsunternehmen ermöglicht. |
7.2 |
Wirksame Stärkung der Befugnisse der nationalen Regulierungsbehörden, die gleichzeitig die Neutralität des Betriebs der Netze und generell der im Rahmen von Konzessionen verwalteten Infrastrukturen sicherstellen, die für die Liberalisierung von entscheidender Bedeutung sind (Übertragung, Verteilung und Messung im Elektrizitätssektor; Transport, Verteilung, Messung, Lagerung und Wiedervergasung im Erdgassektor). |
7.3 |
Maßgebliche Rolle der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden bei der Überwachung der Maßnahmen der unabhängigen nationalen Behörden. Die Schaffung einer supranationalen Regulierungsbehörde mit Befugnissen zur Überwachung der Maßnahmen der einzelnen beteiligten Länder würde den Anstoß zu einer klar definierten Zusammenarbeit geben und die Unausgewogenheit der Perspektiven der gesamten EU und der einzelnen Ländern zugunsten von Lösungen verringern helfen, die auf einen integrierten Energiemarkt ausgerichtet sind. |
7.4 |
Schaffung von Übertragungs-/Fernleitungsnetzbetreibern, die vom Erzeugungssystem unabhängig sind und die zusammenarbeiten, um Versorgungsprobleme effizient zu bewältigen. Die Betreiber der Übertragungsnetze von vertikal integrierten Unternehmen neigen dazu, verbundene Unternehmen zu begünstigen, was ein gravierendes Informationsdefizit für neue Wettbewerber zur Folge hat. Die Investitionen innerhalb stark integrierter Unternehmen sind häufig verzerrt, da das marktbeherrschende Unternehmen keinerlei Interesse an der Verbesserung des Netzes hat, weil dies vor allem den Konkurrenzunternehmen zugute käme. Durch eine formelle und materielle Abtrennung der Übertragungsnetzbetreiber könnte der gleichberechtigte Netzzugang für alle Stromversorgungsunternehmen gewährleistet werden. Dies würde technische Verbesserungen ermöglichen, die für einen effizienteren Betrieb und letztendlich für niedrigere Verbraucherpreise notwendig sind. |
7.5 |
Schaffung von mehr Transparenz und Erleichterung des Zugangs zu den Märkten, um die Liquidität des Elektrizitäts- und Gasmarkts zu steigern. Es ist ein Mangel an Informationen über die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Leistungen auf dem Markt (zwischen den verschiedenen Akteuren der Branche) festzustellen. Es besteht ein deutliches Informationsgefälle zwischen den etablierten Unternehmen und ihren Konkurrenten. Durch mehr Transparenz könnten die Zugangsrisiken für neue Marktteilnehmer minimiert und auch die Barrieren für den Marktzugang verringert werden, wodurch das Vertrauen in die Großhandelsmärkte und damit in die Preissignale verbessert würde. Es ist jedoch notwendig, eine gewisse Einheitlichkeit/Übereinstimmung der Informationen sicherzustellen, die — ohne die Bedeutung der strategisch-wirtschaftlichen Geheimhaltung unterzubewerten — keinen Raum für vage Interpretationen lässt, die eine echte Transparenz des Marktes in Frage stellen. |
7.6 |
Gewährleistung der Verfügbarkeit von Informationen für sämtliche Marktteilnehmer, um das notwendige Vertrauen zu schaffen, damit sich der Markt richtig entwickeln kann. Viele Marktteilnehmer haben nur geringes Vertrauen in die Preisbildungsmechanismen. Die Verträge über Gaseinfuhren werden auf der Grundlage von Preisindizes ausgehandelt, die sich auf einen Warenkorb von Erdölerzeugnissen stützen, weshalb die Preise der Entwicklung der Erdölmärkte strikt folgen. Diese Kopplung schlägt sich auf die Großhandelspreise nieder, die infolge dessen nicht nach dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage auf dem Markt zustande kommen, was zu Lasten der Liefergarantie geht (Angebot). Bei den langfristigen Einfuhrverträgen ist kein klarer Trend hin zu von der Marktdynamik bestimmten Preisbildungsmechanismen zu erkennen. |
7.7 |
Festlegung besonders detaillierter Anforderungen für die Gewährleistung der Transparenz bei der Elektrizitäts- und Gaserzeugung. Es müssen genaue Informationen über die kurzfristigen Angebots- und Nachfrageprognosen verfügbar gemacht werden. Diese Anforderungen müssten von den verschiedenen Elektrizitätserzeugern eingehalten werden, weshalb den nationalen Regulierungsbehörden verstärkte Befugnisse zugewiesen werden müssen. |
7.8 |
Schaffung von Derivatmärkten. Die Derivate sind nicht nur ein geeignetes Instrument für die Entwicklung der Elektrizitäts- und Gasmärkte, sondern auch ein wirkungsvolles Mittel für das Preisrisikomanagement. Während auf den Elektrizitätsmärkten schon seit einer gewissen Zeit Derivatverträge direkt oder indirekt ausgehandelt werden und somit bereits Anstrengungen in Richtung einer Vereinheitlichung unternommen wurden, muss noch mehr getan werden. Auf dem europäischen Erdgasmarkt ist eine eklatante Uneinheitlichkeit zu beobachten. Auf einigen Märkten (z.B. im Vereinigten Königreich) wurde bereits ein hohes Maß an Liberalisierung erzielt, während es in anderen Ländern noch nicht einmal einen Spotmarkt für Erdgas gibt (z.B. Italien). |
7.9 |
Regulierung der Speicheranlagen, um sicherzustellen, dass alle für Dritte zugänglichen Speicherkapazitäten auf transparente und nicht diskriminierende Weise auf dem Markt angeboten werden und einem Horten von Kapazitäten entgegengewirkt wird. |
7.10 |
Öffentlich bekannte und eindeutige Kriterien, die vorgeben, wann und wie der Zugang Dritter zu den auf dem Markt angebotenen Lagerkapazitäten zu ermöglichen ist. |
7.11 |
Festlegung transparenter und in die Einzelheiten gehender Bestimmungen über den Zugang zu den Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG-Kopfstationen), die es ermöglichen, die unter die Ausnahmeregelung fallenden Infrastrukturen zu ermitteln. Es müssen korrekte Bestimmungen für die Durchführung des so genannten „Open Season“-Verfahrens festgelegt werden. Ein derartiges Verfahren, das einen Mechanismus für die Vorabreservierung von Kapazität vor deren Bau vorsieht, könnte möglicherweise nicht ausreichen, um eine bessere Öffnung für die Marktteilnehmer zu gewährleisten, da im Rahmen des Verfahrens bei der Zuweisung von Übertragungskapazitäten im nationalen Netz in jedem Fall demjenigen Unternehmen Vorrang eingeräumt werden muss, das die Gasleitung oder die LNG-Kopfstation baut und Inhaber der Ausnahmegenehmigung ist. Ein Hemmnis für die Entwicklung des Wettbewerbs auf dem Versorgungsmarkt könnte sich außerdem aufgrund des Zuteilungsverfahrens für die Restquote von 20 % ergeben, bei dem diejenigen im Vorteil sind, die versuchen, diese Quote mit langfristigen Verträgen zu abzudecken, was zu Lasten sowohl des Spotmarkts als auch der Versorgungsflexibilität geht. |
7.12 |
Festlegung langfristiger nachgelagerter, bilateraler Liefervereinbarungen, die mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar sind. Auf den Endkundenmärkten ist Wettbewerb nur in begrenztem Maß gegeben. Die kumulierten Auswirkungen von langfristigen Verträgen, Verträgen mit unbegrenzter Laufzeit, Verträgen mit Klauseln über ihre stillschweigende Verlängerung sowie der langen Laufzeiten der Ausnahmegenehmigungen können den Wettbewerb erheblich behindern. Die vertraglichen Verpflichtungen, die die industriellen Abnehmer und die (etablierten) Erzeuger langfristig binden, sind von Land zu Land unterschiedlich. Die Nachfrage nach einem wettbewerbsorientierteren Angebot durch neue Marktteilnehmer wird jedoch immer größer; es mangelt an einem europaweiten Versorgungsangebot, was ernsthaft geprüft sollte. In einigen Mitgliedstaaten mit einer hohen Konzentration (Österreich, Belgien) ist das gegenwärtige Wettbewerbsniveau (wenige Anbieter) besonders unbefriedigend. Die Beschränkungen dahingehend, wie die Kunden über das ihnen zugeteilten Gas verfügen können, in Verbindung mit restriktiven Praktiken der Lieferanten an den Übergabepunkten werfen daher nicht wenige Wettbewerbsbedenken auf. |
7.13 |
Den Endkundenmarkt im Elektrizitäts- und Gassektor zur effektiven Verwirklichung des Liberalisierungsprozesses bringen. Die EU-Bürger können nur dann vom Wettbewerb profitieren, wenn es einen echten Endkundenmarkt gibt. Das bedeutet, dass vereinfachte Bestimmungen für den Marktzugang geschaffen werden müssen, damit sich kleine Erzeuger und Vertreiber beteiligen können, um eine Verbesserung der Marktliquidität und wettbewerbsfähigere Preise zu ermöglichen. Die Sicherstellung der Liquidität ist eine Grundvoraussetzung, um das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Preisbildung sowohl auf den Elektrizitätsmärkten als auch auf den Umschlagplätzen für Gas zu stärken, da dadurch — insbesondere in letzterem Fall — eine Abkopplung von den Erdölerzeugnissen möglich wird. |
7.14 |
Einem liberalisierten Elektrizitäts- und Gasmarkt kommt eine Schlüsselrolle dabei zu, die Unternehmen und die Bürger für einen „intelligenten“ Energieverbrauch zu sensibilisieren, der eine Eindämmung und Kontrolle der Kosten ermöglicht. Das bedeutet, dass die Bürger über die derzeit verfügbaren Energiequellen und über die alternativen Quellen für die Entwicklung im Energiebereich (erneuerbare Energieträger) aufgeklärt werden müssen, damit ihnen die große Bedeutung dieses Gutes angesichts seiner gegenwärtigen Verknappung bewusst wird. Sowohl unter dem Blickwinkel der Energieeinsparung als auch der Kosten ist es unverzichtbar, den Endkunden Verträge anzubieten, die auf ihre spezifischen Verbrauchsmuster zugeschnitten werden können. |
7.15 |
Als verantwortungsvolle Endverbraucher müssen die Bürger auch darüber informiert werden, ob die Regulierungsbehörden die Bestimmungen einhalten oder missbräuchlich anwenden, damit sie ihre Rechte u.a. über Verbraucherschutzorganisationen geltend machen können. |
7.16 |
Sicherstellung der Nachfragebefriedigung auch bei Spitzenlasten. Im Fall der Elektrizität wirft dies ein Problem hinsichtlich der Energieerzeugungskapazitäten und der Übertragungs-und Fernleitungskapazitäten im Netz auf. Im Fall von Gas müssen ausreichende Einfuhr- und Lagerkapazitäten geschaffen werden. Es ist jedoch bekannt, dass die Einfuhrkapazitäten insbesondere insofern beschränkt sind, als von den etablierten Unternehmen Beförderungskapazitäten über Mehrjahresverträge reserviert werden, die teilweise eine Laufzeit von mehr als zwanzig Jahren haben. Das bedeutet, dass Neubauprojekte und Projekte für den Um- und Ausbau der Elektrizitäts- und Gasinfrastrukturen (Gasfernleitungen) sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene schnellstens vorangetrieben werden müssen. Vorrangige Bedeutung kommt den Wiedervergasungsanlagen zu, die vor allem im Mittelmeerraum eine wichtige Rolle für die Verbindung zu den wichtigsten Rohstoff produzierenden Ländern spielen (Libyen, Algerien). |
7.17 |
Stärkung der Solidarität: Die EU-Mitgliedstaaten müssen sowohl auf regionaler als auch bilateraler Ebene Kooperationsvereinbarungen fördern, die eine Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung für den Fall vorsehen, dass ein Mitgliedstaat aus Gründen, für die er nicht unmittelbar selbst verantwortlich ist, von einer Energieunterversorgung betroffen ist. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission — Auf dem Weg zu einer Charta der Rechte der Energieverbraucher“, CESE 71/2008.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/31 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union“
KOM(2007) 575 endg.
(2008/C 211/07)
Die Europäische Kommission beschloss am 10. Oktober 2007 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union“.
Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 4. April 2008 an. Berichterstatterin war Frau BREDIMA, Mitberichterstatter Herr CHAGAS.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 152 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt das beispiellose Konsultationsverfahren zu dem Grünbuch „Die künftige Meerespolitik der Europäischen Union: eine europäische Vision für Ozeane und Meere“, zu dem er mit seiner einschlägigen Stellungnahme (1) und seiner Teilnahme an zwei Konferenzen beigetragen hat. |
1.2 |
In der Kommissionsmitteilung wird die Bedeutung des Faktors „Mensch“ in den maritimen Clustern hervorgehoben. Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass sich die Sozialpartner (ETF und ECSA (2)) auf die Aufnahme bestimmter Bestimmungen des IAO (3)-Übereinkommens über Mindestarbeitsnormen im Seeverkehr (MLC) aus dem Jahr 2006 ins Gemeinschaftsrecht geeignet haben. Er bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Arbeitsnormen im Seeverkehr zur Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen für alle Seeleute im Einklang mit diesem Übereinkommen so bald wie möglich weltweit Anwendung finden. Genauso wichtig ist aber auch, dass die Mitgliedstaaten die einschlägigen internationalen Rechtsinstrumente im Fischereisektor einschl. des IAO-Übereinkommens über die Arbeit im Fischereisektor aus dem Jahr 2007 ratifizieren. |
1.3 |
Der Ausschuss unterstützt die Überarbeitung der Ausschlussklauseln für Seefahrer und Fischer vom EU-Arbeitsrecht in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und fordert Klarstellungen in Bezug auf das „Certificate of Maritime Excellence“. Die Frage der Umsetzbarkeit eines Zertifizierungsschemas für Seeleute, und zwar verbindlicher Natur in regulären innereuropäischen Fährdiensten und unverbindlicher Natur für andere Dienste, sollte ebenfalls aufgegriffen werden. |
1.4 |
Die „schwimmende Universität“ bietet Studenten die Möglichkeit, durch ihre Teilnahme an einer Reise praktische Erfahrungen auf See zu sammeln. Die Idee der Campus-Schiffe liegt im allgemeinen Trend der Zeit und sollte von der Europäischen Kommission im Rahmen ihrer Bemühungen, junge Menschen als qualifizierten Nachwuchs für maritime Berufe zu gewinnen, weiter geprüft werden (4). Fragen in Zusammenhang mit dem Leben der Schiffsbesatzung an Bord sollten umgehend angegangen und von den Sozialpartnern in der EU untersucht werden. |
1.5 |
In Bezug auf Seeunfälle sollten künftige EU-Maßnahmen auf folgenden Überlegungen beruhen:
|
1.6 |
Der Ausschuss betont erneut, dass in der Schifffahrt als Bunkeröl das am unteren Ende der Qualitätsskala angesiedelte Öl verwendet wird, da die Raffinerien kein qualitativ hochwertigeres Bunkeröl herstellen. Er begrüßt global ausgerichtete Initiativen, diese Frage anzugehen, um einen Durchbruch für die Senkung der Schiffsemissionen zu erzielen. |
1.7 |
In der Mitteilung bzw. dem Aktionsplan wird der große Anteil von Freizeitschiffen an der Verschmutzung der Meeresumwelt durch Öl ausgeklammert — trotz des sensiblen Ökosystems der Küstenstaaten, vor denen diese Schiffe normalerweise kreuzen (5). Die Probleme der Meeresverschmutzung werden außerdem durch die Aktivitäten von Marineschiffen verstärkt, die von den EU-Bestimmungen ausgenommen sind. |
1.8 |
Die Meeres- und Flussverschmutzung (Ostsee und Schwarzes Meer) durch landseitige Quellen ist ein Bereich, in dem die Anstrengungen der EU intensiviert werden sollten. Aus politischen Gründen sollten diese Probleme eher auf multi- denn auf bilateraler Ebene angegangen werden. |
1.9 |
Die EU sollte weltweit eine führende Rolle bei der Bekämpfung der Umweltverschmutzung einnehmen. Es gibt Möglichkeiten für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten bzw. Koordinierung ihrer Standpunkte in internationalen Organisationen, ohne dass dadurch ihre individuelle Mitwirkung beeinträchtigt würde. Die Sachkompetenz der EU-Mitgliedstaaten in internationalen Organisationen wird allgemein sehr wertgeschätzt, und dieser Aspekt sollte nicht zurückgedrängt, sondern gestärkt werden. |
1.10 |
Der Ausschuss stimmt zu, dass es von Vorteil ist, dass der „Europäische Seeverkehrsraum ohne Hindernisse“ sich ausschließlich auf einen virtuellen Meeresraum bezieht. Im Einklang mit dem Standpunkt des Ausschusses wird in der Kommissionsmitteilung hervorgehoben, dass dieses Konzept ausschließlich auf die Vereinfachung der Verwaltungs- und Zollformalitäten sowie des Handels im Rahmen des Binnenmarktes abhebt. |
1.11 |
Der Ausschuss unterstützt die symbolische Botschaft der Mitteilung, dass Europa maritim geprägt war und immer noch ist. Allerdings stehen konkrete Maßnahmen zur Umsetzung dieses Zieles noch aus. |
1.12 |
Der Ausschuss betont erneut, dass er bei der Umsetzung der Meerespolitik einschl. der Raumplanung, bei der Förderung der maritimen Identität und des maritimen Kulturerbes der EU sowie bei der Sensibilisierung der europäischen Bevölkerung für die globale Erwärmung eine Rolle übernehmen kann. |
1.13 |
Der Ausschuss unterstützt die Vorschläge für ein europäisches Netzwerk für die Meeresüberwachung und die verbesserte Zusammenarbeit unter den Küstenwachen der Mitgliedstaaten. Derartige Maßnahmen tragen zur Stärkung der Seeverkehrssicherheit und Gefahrenabwehr, der Fischereikontrolle, des Grenzschutzes sowie des Schutzes der Meeresumwelt bei. Der Ausschuss bekräftigt, dass eine koordinierte Vorgehensweise der EU-Mitgliedstaaten für bilaterale Abkommen mit Drittländern über die Aufbringung von Schiffen wünschenswert wäre, um dem stärkeren Sicherheitsbewusstsein Rechnung zu tragen. Er drängt die EU ferner, gegen die Zunahme von bewaffneten Raubüberfällen und Fällen von Piraterie insbesondere in Südostasien und Afrika vorzugehen. |
2. Einleitung
2.1 |
In der Mitteilung zu einer integrierten Meerespolitik für die Europäische Union und dem dazugehörigen Aktionsplan, in dem die Ausarbeitung von 29 spezifischen Maßnahmen vorgesehen ist, wurde den Standpunkten der EU-Institutionen wie auch der Interessenträger zu dem einschlägigen Grünbuch Rechnung getragen. |
2.2 |
Dieses mit der Veröffentlichung des Grünbuchs angestoßene einzigartige Konsultationsverfahren endete in einem breiten Konsens über die Notwendigkeit eines umfassenden integrierten sektorübergreifenden strategischen Ansatzes für die Meere und Ozeane. Die dahinter stehende Überlegung, die fragmentierte, manchmal ungeplante Folgen nach sich ziehende Verfahrensweise durch einen übergreifenden Ansatz zu ersetzen, verdient Unterstützung. |
2.3 |
Der Ausschuss unterstützt die symbolische Botschaft der Mitteilung, dass Europa maritim geprägt war und immer noch ist. Die 29 Maßnahmen des Aktionsplanes sind die zwar allesamt zu begrüßen (vorbehaltlich der „Besonderen Bemerkungen“), reichen aber keinesfalls aus. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 Umweltaspekte
3.1.1 |
Der Ausschuss erachtet es als unerlässlich, die Unversehrtheit der Meeresumwelt zu wahren und dafür Sorge zu tragen, dass die Tätigkeiten des Menschen nicht zur fortschreitenden Verschlechterung der Meeresumwelt führen. |
3.1.2 |
Der Ausschuss begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, ihre Anstrengungen darauf auszurichten, die internationale Zusammenarbeit effizienter zu gestalten, die Integration der politischen Maßnahmen zu stärken, die geltenden Rechtsvorschriften umzusetzen und Umwelttechnologien zu fördern (Sechstes Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft für die Umwelt). Besonderes Augenmerk sollte auf die Umsetzung des Übereinkommens zur Verhütung der Meeresverschmutzung vom Lande aus („Paris-Übereinkommen“) (6) gerichtet werden. |
3.1.3 |
Die Anreicherung von CO2 und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre aufgrund übermäßiger Emissionen hat bereits dazu geführt, dass mehr CO2 von den Meeren und Ozeanen absorbiert wird, und dieser Trend wird sich wohl fortsetzen. Die daraus resultierende Versauerung der Meere und Ozeane wird wahrscheinlich zu einer noch höheren Belastung der Meeresumwelt führen. Die Forschungsarbeiten zu diesen Auswirkungen auf die Meeresumwelt sowie zur Entwicklung umweltfreundlicher Methoden der CO2-Aufnahme müssen intensiviert werden. Außerdem werden die maritimen Energieressourcen ein wichtiger Faktor bei der Diversifizierung der europäischen Energieversorgung sein. |
3.1.4 |
In der Mitteilung wird der große Anteil von Freizeitschiffen an der Verschmutzung der Meeres- und Gewässerumwelt durch Öl ausgeklammert — trotz des sensiblen Ökosystems der Küstenstaaten, vor denen diese Schiffe normalerweise kreuzen (7). Die Probleme der Meeresverschmutzung werden außerdem durch die Aktivitäten von Marineschiffen verstärkt, die von den EU-Bestimmungen ausgenommen sind und sich immer negativer auf die Umwelt und den Tourismus auswirken. |
3.1.5 |
Der Ausschuss betont erneut, dass in der Schifffahrt als Bunkeröl das am unteren Ende der Qualitätsskala angesiedelte Öl verwendet wird, da die Raffinerien kein qualitativ hochwertigeres Bunkeröl herstellen. Er begrüßt global ausgerichtete Initiativen, diese Frage anzugehen (8), um einen Durchbruch für die Senkung der Schiffsemissionen zu erzielen. |
3.1.6 |
Meeres- und Luftverschmutzung jedweder Art beeinträchtigt den Zustand der Meeresumwelt; dies zieht wiederum gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen nach sich. Es wurden bereits ausreichende Maßnahmen zur Kontrolle und Eindämmung der Meeresverschmutzung durch Schiffe, einschl. Sanktionen für die Verursacher, erlassen. Diese sollten strikt umgesetzt werden. Für die Umweltverschmutzung von Meeren und Gewässern durch andere Quellen (Industrie, Städte, landwirtschaftliche Tätigkeit, Pestizide usw.) besteht jedoch kein derartiger Rechtsrahmen. Der Ausschuss bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass bei Unterlassung umfassender und effektiver Maßnahmen das Überleben des Küsten- und Meerestourismus, des größten maritimen Industriezweigs in Europa, auf dem Spiel steht. Derartige Maßnahmen würden außerdem zur Erhaltung des Umfangs und der Vielfalt des Lebens im Meer, einschließlich der Fischbestände, beitragen. |
3.1.7 |
Nach Ansicht des Ausschusses muss der Abschluss eines bilateralen Abkommens zwischen der EU und den südlichen Mittelmeeranrainerstaaten Teil der Ausarbeitung der jährlichen Aktionspläne im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik sein. Mit einem derartigen Abkommen wird sichergestellt, dass die betreffenden Drittländer gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten die Verantwortung für die Gewährleistung sauberer Meere durch die Kontrolle der Luftemissionen und der Abfallentsorgung in ihre Flüsse (z.B. Nildelta) tragen. Oberstes Ziel sollte der Schutz des gemeinsamen Erbes des Mittelmeeres sein. |
3.2 Soziale Aspekte
3.2.1 |
In der Kommissionsmitteilung wird die Bedeutung des Faktors „Mensch“ in den maritimen Clustern hervorgehoben. Außerdem sollte in dem Aktionsplan bei der Suche nach dem richtigen Gleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension einer nachhaltigen Meerespolitik ein entsprechendes Augenmerk auf die soziale Dimension gerichtet werden. |
3.2.2 |
Der Ausschuss nimmt erfreut zur Kenntnis, dass sich die Sozialpartner (ETF und ECSA) auf die Aufnahme bestimmter Bestimmungen des IAO-Übereinkommens über Mindestarbeitsnormen im Seeverkehr (MLC) aus dem Jahr 2006 ins Gemeinschaftsrecht geeignet haben. Er bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Arbeitsnormen im Seeverkehr zur Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen für alle Seeleute im Einklang mit diesem Übereinkommen so bald wie möglich weltweit Anwendung finden. Genauso wichtig ist aber auch, dass die Mitgliedstaaten die einschlägigen internationalen Rechtsinstrumente im Fischereisektor einschl. des IAO-Übereinkommens über die Arbeit im Fischereisektor aus dem Jahr 2007 ratifizieren. |
3.2.3 |
In Bezug auf die Ausarbeitung eines Aktionsplanes für die Qualifikationen von EU-Seeleuten verweist der Ausschuss auf die Überarbeitung des STCW-Übereinkommens der IMO (9), das weltweite Normen für die Ausbildung und die Erteilung von Befähigungszeugnissen vorgibt. Jedweder EU-Vorschlag sollte im Einklang mit dem Rechtsrahmen der IMO und der IAO stehen. |
3.2.4 |
Der Ausschuss unterstützt die Überarbeitung der Ausschlussklauseln für Seefahrer und Fischer vom EU-Arbeitsrecht in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und fordert Klarstellungen in Bezug auf das „Certificate of Maritime Excellence“. Die Frage der Umsetzbarkeit eines Zertifizierungsschemas für Seeleute, und zwar verbindlicher Natur in regulären innereuropäischen Fährdiensten und unverbindlicher Natur für andere Dienste, sollte ebenfalls aufgegriffen werden. |
3.2.5 |
Die Attraktivität einer Berufslaufbahn in der EU-Schifffahrt kann nur dann verbessert werden, wenn in die Erreichung höherer Qualitätsnormen investiert wird und so die Wettbewerbsvorteile der EU-Seeleute auf qualitativen Aspekten und nicht auf Kostenfaktoren beruhen. |
3.2.6 |
Durch den weltweit steigenden Mangel an qualifizierten Seeleuten drohen alarmierende Folgen für die marine Sicherheitsinfrastruktur der EU. Ohne konzertiertes Vorgehen der EU und ihrer Mitgliedstaaten wird dieser Mangel noch gravierender ausfallen. Verschärfen sich die Nachwuchsprobleme weiter, wird es Europa an Sach- und Fachkompetenz mangeln, die für sicherheitskritische maritime Tätigkeiten erforderlich ist (Schiffsüberprüfungen und -besichtigungen, Einhaltung der Vorschriften, Versicherungsfragen, Seeverkehrsmanagement, Bergung, Küstenwache und Lotsendienste). Außerdem könnten maritime Cluster in andere Regionen ausgelagert werden. Die bisherigen Maßnahmen haben sich als unzureichend erwiesen, und der Ausschuss bedauert, dass die Europäische Kommission nicht die Absicht hat, dieses Thema vor Ende 2009 aufzugreifen. |
3.2.7 |
Der Ausschuss zeigt sich angesichts der hohen Abbrecherquote in Ausbildungsstätten für Nautik in einigen Mitgliedstaaten und dem frühen Berufsausstieg von Arbeitnehmern aus maritimen Berufslaufbahnen besorgt. Die maritime Zukunft der EU könnte ernsthaft gefährdet sein, wenn die gegenwärtige Krisensituation nicht umgehend angegangen wird. So könnten im Zuge einer Gesamtstrategie Lösungen konzipiert werden, um die Attraktivität einer Berufslaufbahn im Seeverkehr zu steigern. Das laufende „Career Mapping“-Projekt der Sozialpartner (ECSA und ETF) sollte ausgebaut werden. Es gilt nicht nur, für eine Berufslaufbahn im Seeverkehr zu werben, sondern auch Berufsbindungsmaßnahmen zu setzen. |
3.2.8 |
Die „schwimmende Universität“ bietet Studenten die Möglichkeit, durch ihre Teilnahme an einer Reise praktische Erfahrungen auf See zu sammeln. Die Idee der Campus-Schiffe sollte von der Europäischen Kommission im Rahmen ihrer Bemühungen, lernwillige Studenten für die maritimen Berufe zu gewinnen weiter geprüft werden. Auf gleiche Weise könnten in den großen europäischen Häfen Schulen nach dem Vorbild der „Harbor School“ (10) eingerichtet werden, in denen Schüler der Primar- und möglicherweise auch der Sekundarstufe zu Land (aus praktischen Gründen), aber in unmittelbarer Meeresnähe in allen Fächern unterrichtet werden, um sie mit der maritimen Umwelt, der Schifffahrt und den Grundlagen der Seefahrt vertraut zu machen. |
3.2.9 |
Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, bewährte Berufsberatungsverfahren in der Sekundarstufe in den Mitgliedstaaten zu untersuchen, bei denen die Attraktivität einer maritimen Berufslaufbahn vermittelt wird. |
3.2.10 |
In Bezug auf Seeunfälle sollten künftige Maßnahmen auf folgenden Überlegungen beruhen:
|
3.2.11 |
Unter extrem gefährlichen Wetterbedingungen erbringen Seeleute Leistungen, die weit über ihren üblichen Aufgabenbereich hinausgehen. Der IMO-Generalsekretär äußerte sich sinngemäß wie folgt: „Da Seeleute in ihrem Arbeitsumfeld den Naturelementen ausgesetzt sind, werden sie gelegentlich mit Situationen konfrontiert, auf die kaum eine oder gar keine angemessene Vorbereitung möglich ist. Diese Situationen erfordern echten Mut — Mut, der gebührend Anerkennung verdient (11)“. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, diese Überlegungen bei der Vorlage künftiger Maßnahmen in Bezug auf Seeunfälle zu berücksichtigen. |
3.3 Wirtschaftliche Aspekte
3.3.1 |
Mit der künftigen Mitteilung zur europäischen Seeverkehrspolitik 2008-2018 sollte ein angemessener und stabiler Rahmen geschaffen werden, um weitere Investitionen in die Schifffahrt zu fördern und die weltweite Führungsrolle der europäischen Schifffahrt sowie ihre Katalysatorfunktion für den gesamten maritimen Cluster zu stärken. |
3.3.2 |
Der Ausschuss begrüßt, dass die Europäische Kommission die Notwendigkeit von weltweiten Regeln für eine weltweite Industrie, die Bedeutung eines internationalen Seerechts und die Mitwirkung bei der Suche nach Lösungen für Regulierungsprobleme in internationalen Organisationen (wie der IMO) anerkannt hat. Der internationale Charakter der Schifffahrt, der weltweite Arbeitsmarkt, auf dem die Schifffahrt agiert, und die Wettbewerbsposition der europäischen Schifffahrt auf dem Weltmarkt sind Themen, die berücksichtigt werden müssen. |
3.3.3 |
Außerdem müssen die Forderungen nach Verbesserung der Effizienz der bestehenden Hafenkapazität und -dienste sowie nach mehr Kapazität und besseren Anbindungen an das Hinterland bekräftigt werden. |
3.3.4 |
Der Ausschuss stellt fest, dass seinen Empfehlungen in Bezug auf die Beschleunigung der Ratifizierung der IMO-Übereinkommen durch die EU-Mitgliedstaaten sowie auf internationaler Ebene, die Hafenentwicklung, die Reduzierung der durch Schiffe verursachten Luftverschmutzung sowie die Einrichtung sektorübergreifender Cluster und eines Europäischen Netzes der maritimen Cluster Rechnung getragen wurde. Die grundlegende Bedeutung der europäischen Schifffahrt für den europäischen und den internationalen Handel sowie den Alltag der Unionsbürger wurde ebenfalls anerkannt. |
3.3.5 |
In der Kommissionsmitteilung wird im Einklang mit dem Standpunkt des Ausschusses (12) betont, dass der „Europäische Seeverkehrsraum“ sich ausschließlich auf die Einrichtung eines virtuellen Meeresraums bezieht, in dem die Verwaltungs- und Zollformalitäten sowie der Handel im Rahmen des Binnenmarktes erleichtert werden. Der Ausschuss verweist auf das von der Europäischen Kommission eingeleitete Konsultationsverfahren, um über mögliche künftige Vorschläge für die Umsetzung dieses Konzepts zu entscheiden. |
3.3.6 |
Nach Meinung des Ausschusses gibt es Möglichkeiten für eine verstärkte Zusammenarbeit bzw. Koordinierung zwischen den EU-Mitgliedstaaten in internationalen Organisationen, ohne dass dadurch ihre individuelle Mitwirkung beeinträchtigt würde. Die Sachkompetenz der EU-Mitgliedstaaten in internationalen Organisationen wird allgemein sehr wertgeschätzt, und dieser Aspekt sollte nicht zurückgedrängt, sondern gestärkt werden. |
3.3.7 |
Der Ausschuss würde es begrüßen, wenn die EU ihren Einfluss gegenüber Drittstaaten im Hinblick auf die Durchsetzung und Ratifizierung grundlegender internationaler Seeverkehrsübereinkommen geltend machen könnte. Die in den europäischen Häfen für die Hafenstaatkontrolle zuständigen Behörden sollten bei allen Schiffen, ganz gleich, ob sie nun unter EU- oder unter Drittstaatenflaggen fahren, die Einhaltung internationaler Umwelt- und Sozialnormen überprüfen. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 Küstenregionen und Inseln
4.1.1 |
Es ist erfreulich, dass die Vorschläge des Ausschusses zur Förderung des Küstentourismus und zum Aufbau einer Datenbank zur Gemeinschaftsfinanzierung für Küstenregionen aufgegriffen wurden. Die Inselregionen müssen über folgende Maßnahmen ins Zentrum der Aufmerksamkeit der EU gerückt werden:
|
4.2 Arktischer Ozean und Beziehungen zu Drittstaaten
4.2.1 |
Der Ausschuss begrüßt die Vorschläge für eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Bewirtschaftung des Mittelmeers und des Schwarzen Meeres sowie im Rahmen der Erweiterungs- und der Europäischen Nachbarschaftspolitik und der Nördlichen Dimension. |
4.2.2 |
Rund 20 bis 30 % der weltweit noch unerschlossenen Erdölvorkommen liegen im Arktischen Ozean. Aufgrund des Klimawandels werden die Schiffsrouten im Arktischen Ozean ab 2015 wahrscheinlich fast ganzjährlich befahrbar sein. Die Öffnung der arktischen Schiffsroute ist aus Gründen der Entfernung und der Sicherheit interessant; so ist die Strecke Shanghai-Rotterdam über den Arktischen Ozean um 1 000 Seemeilen kürzer als durch den Suez-Kanal. Dank kürzerer Strecken könnten Ölverbrauch und Emissionen erheblich gesenkt werden. Der Ausschuss betont, dass im Hinblick auf die Vielzahl an rechtlichen und ökologischen Problemen, die mehrere Länder betreffen, eine Klarstellung der internationalen Rechtsvorschriften zum Arktischen Ozean unabdingbar ist. Diesbezüglich sieht er dem angekündigten Bericht über den Arktischen Ozean mit Interesse entgegen, der die geopolitischen Auswirkungen des Klimawandels umfassen wird. Die möglichen Umweltauswirkungen neuer Seeverkehrsrouten durch den Arktischen Ozean sollten ebenfalls im Vorfeld untersucht werden. |
4.3 Meeresüberwachung
4.3.1 |
Der Ausschuss unterstützt die Vorschläge für ein europäisches Netzwerk für die Meeresüberwachung und die verbesserte Zusammenarbeit unter den Küstenwachen der Mitgliedstaaten. Derartige Maßnahmen tragen zur Stärkung der Seeverkehrssicherheit und Gefahrenabwehr, der Fischereikontrolle, des Grenzschutzes sowie des Schutzes der Meeresumwelt bei. |
4.4 Meeres- und Flussverschmutzung
4.4.1 |
Die Meeres- und Flussverschmutzung (Ostsee und Schwarzes Meer) durch landseitige Quellen ist ein Bereich, in dem die Anstrengungen der EU im Rahmen des Aktionsplanes intensiviert werden sollten. Aus politischen Gründen sollten diese Probleme eher auf multi- denn auf bilateraler Ebene angegangen werden. |
4.5 Fischerei
4.5.1 |
Angesichts der alarmierenden Verringerung der Bestände bzw. des Aussterbens mariner Spezies unterstreicht der Ausschuss die Notwendigkeit einer rationellen Nutzung der Fischereigründe. Die Vorschläge für das Fischereimanagement gehen in die richtige Richtung. In der Fischerei als einer der gefährlichsten Berufssparten sollte die Sicherheitskultur stärker gefördert werden. So sollten insbesondere Sicherheitsmaßnahmen für Fischereifahrzeuge unter 24 Metern Länge angegangen werden (denn in diesem Bereich besteht eine Diskrepanz zwischen internationalen Übereinkommen und den EU-Richtlinien). Der Ausschuss betont, dass der notwendige Artenschutz soziale Folgen nach sich zieht, bei denen direkt angesetzt werden muss: Die Art und Weise, wie Fischer ihre Tätigkeit ausüben, ist dadurch bedingt, dass sie nicht mehr genügend Ressourcen vorfinden, und führt dazu, dass sie ihr Lebens aufs Spiel setzen. |
4.5.2 |
Die physischen und finanziellen Risiken im Fischereigewerbe sind enorm und erklären die derart hohe Abwanderungsrate aus diesem Beruf. Es bedarf dringend europäischer Vorhaben und Programme für die Entwicklung der auf Fischereifahrzeugen zum Einsatz kommenden Technologie. In Bezug auf den Austausch bewährter Verfahren für die Steigerung der Attraktivität des Fischerberufs empfiehlt der Ausschuss eine weite Verbreitung des vor Kurzem von den europäischen Sozialpartnern Europêche und ETF veröffentlichten „Handbook for the prevention of accidents at sea and the safety of fishermen“ („Handbuch für die Vermeidung von Seeunfällen und die Sicherheit von Fischern“, Original EN, wird derzeit in zahlreiche EU-Sprachen übersetzt). Genauso wichtig ist aber auch, dass die Mitgliedstaaten die Ratifizierung des IAO-Übereinkommens über die Arbeit im Fischereisektor, das im Juni 2007 angenommen wurde, voranbringen. Die Aktivitäten im Fischereibereich sollen letztlich nachhaltiger und attraktiver werden. |
4.6 Schiffsrecycling
4.6.1 |
In seiner vor Kurzem verabschiedeten Stellungnahme zum „Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen“ (KOM(2007) 269 endg.) hat der Ausschuss seine Bedenken darüber zum Ausdruck gebracht, dass „weltweit ein großer Mangel an Schiffsabwrackkapazitäten [herrscht], die dem Grundsatz der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit gerecht werden“. Er betonte ferner, „dass eine Verschärfung der Situation eintreten wird, wenn in den kommenden Jahren ‚große Schiffsjahrgänge‘ aufgrund der weltweiten Ausmusterung von Einhüllentankern außer Dienst gestellt werden“ (13). Die Arbeitsstätten und -bedingungen in Südasien, wo das Gros der Schiffe abgewrackt wird, sollte bis zu einem international „akzeptablen“ Niveau verbessert werden. |
4.6.2 |
Der Ausschuss begrüßt die auf internationaler Ebene erzielten Forschritte für eine effiziente, sichere und ökologisch nachhaltige Form der Abwrackung von Schiffen. Es muss vorrangig darauf hingearbeitet werden, bis 2008/2009 ein verbindliches Übereinkommen abzuschließen sowie in der Zwischenzeit die IMO-Leitlinien zu fördern. Mit dieser international vereinbarten Benchmark würden klare Verpflichtungen für Reeder, detaillierte Informationen über potenziell gefährliche Materialien auf ihren Schiffen bereitzustellen, sowie Mindestnormen für die Recyclingwerften in Bezug auf Gesundheitsschutz- und Sicherheitsvorschriften sowie den Umgang mit diesen gefährlichen Materialien festgelegt. |
4.7 Abkommen über die Aufbringung von Schiffen und Sicherheit
4.7.1 |
Aufgrund eines stärkeren Sicherheitsbewusstseins haben mehrere EU-Mitgliedstaaten bilaterale Abkommen mit Drittländern über die Aufbringung von Schiffen geschlossen. Der Ausschuss bekräftigt, dass er eine koordinierte Vorgehensweise der EU-Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit derartigen Initiativen und eine koordinierte Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedstaaten einschl. ihrer Marinen bei der Anwendung solcher Regeln für wünschenswert hält. Als Alternative käme die rasche Ratifizierung der Protokolle zu dem Übereinkommen über die Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen durch die EU-Mitgliedstaaten in Frage, die Klauseln zur Wahrung der legitimen kommerziellen Interessen der Reeder sowie zum Schutz der Menschenrechte der Seeleute umfassen. |
4.7.2 |
Der Ausschuss zeigt sich angesichts der Eskalation von Überfällen auf Handelsschiffe und der Zunahme von bewaffneten Raubüberfällen und Fällen von Piraterie insbesondere in Südostasien und Afrika besorgt. Er fordert die Europäische Union auf, Maßnahmen zu ergreifen, um Marineschiffe zur Eskortierung von Handelsschiffen in gefährlichen Zonen abzustellen. |
4.8 Landstromversorgung
4.8.1 |
Zur Verringerung der schiffsseitigen Treibhausgasemissionen in Häfen schlägt die Europäische Kommission (in ihrem Aktionsplan) u.a. die Nutzung von Landstromversorgung vor. Schiffe verbrennen dann keinen Kraftstoff und stoßen somit weder Schadstoffe (SOx, NOx und Partikel) noch CO2 aus. |
4.8.2 |
Der Ausschuss unterstützt diesen Vorschlag, führt jedoch folgende Bedenken ins Feld: Es gibt wahrscheinlich keine Patentlösung, die sich auf alle Schiffe anwenden lässt. Landseitiger Strom könnte durch die Verbrennung von Kraftstoffen und Kohle in Kraftwerken erzeugt werden und so einen höheren CO2-Ausstoß mit sich bringen, wodurch wiederum die Vorteile zunichte gemacht werden könnten. Daher fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, den obenstehenden Überlegungen Rechnung zu tragen und eine umfassende zweckdienliche Politik vorzuschlagen. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 50.
(2) ETF — Europäische Transportarbeiter-Föderation (European Transport Workers Federation), ECSA — Verband der Reeder der Europäischen Union (European Community Shipowners' Association).
(3) IAO — Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organisation).
(4) Siehe The Economist, 1. September 2007.
(5) Siehe IMO/FAO/UNESCO-IOC/WMO/WHO/IAEA/UN/UNEP Joint Group of Experts on the Scientific Aspects of Marine Environmental Protection (GESAMP).
(6) Paris, 4. Juni 1974, geändert durch das Zusatzprotokoll vom 26. März 1986. Dieses Übereinkommen wurde durch das Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordatlantiks („OSPAR-Übereinkommen“) ersetzt, das im September 1992 in Paris angenommen wurde und im März 1998 in Kraft getreten ist.
(7) Siehe IMO/FAO/UNESCO-IOC/WMO/WHO/IAEA/UN/UNEP Joint Group of Experts on the Scientific Aspects of Marine Environmental Protection (GESAMP).
(8) Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Energiemix im Verkehrsbereich“, (TEN 305) (CESE 269/2008) vom 13. Februar 2008.
(9) IMO — Internationale Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organization); STCW — Normen für die Ausbildung und die Erteilung von Befähigungszeugnissen für Seeleute (Standards of Training Certification and Watchkeeping of Seafarers).
(10) Siehe New York Harbor School
http://www.newyorkharborschool.org
(11) Anlässlich der Vergabe der IMO-Auszeichnung für außergewöhnliche Tapferkeit auf See (Award for Exceptional Bravery at Sea) am 19. November 2007.
(12) Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch über die künftige Meerespolitik der Europäischen Union“ (KOM(2006) 275); ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 50; Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine gemeinsame EU-Hafenpolitik“, ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 57; Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Hochgeschwindigkeitsseewege und ihre Einbindung in die Logistikkette“, TEN 297, CESE 1204/2007, Annahme in der Fachgruppe TEN am 18. Dezember 2007.
(13) Siehe Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Grünbuch zur Verbesserung der Abwrackung von Schiffen“, KOM(2007) 269, CESE 1701/2007 endg., am 13. Dezember 2008 verabschiedet.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/36 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1172/98 des Rates über die statistische Erfassung des Güterkraftverkehrs betreffend die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse“
KOM(2007) 778 endg. — 2007/0269 (COD)
(2008/C 211/08)
Der Rat beschloss am 27. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 285 Absatz 1 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1172/98 des Rates über die statistische Erfassung des Güterkraftverkehrs betreffend die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse“.
Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 145 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme (1) zu diesem Vorschlag abzugeben.
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Die Stellungnahme des Ausschusses über das Regelungsverfahren mit Kontrolle [KOM(2007) 741 endg., KOM(2007) 822 endg., KOM(2007) 824 endg. und KOM(2008) 71] wird derzeit ausgearbeitet.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/37 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Klein, sauber und wettbewerbsfähig: Ein Programm zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen bei der Einhaltung von Umweltvorschriften“
KOM(2007) 379 endg. — {SEK(2007) 906, SEK(2007) 907, SEK(2007) 908}
(2008/C 211/09)
Die Europäische Kommission beschloss am 8. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Klein, sauber und wettbewerbsfähig: Ein Programm zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen bei der Einhaltung von Umweltvorschriften“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 27. März 2008 an. Berichterstatter war Herr CHIRIACO.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 109 Ja-Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission für ein Programm zur Unterstützung von kleinen, mittleren und Kleinstunternehmen bei der Einhaltung der Umweltvorschriften insofern, als die Umweltvorschriften sehr komplex sind und die KMU für die europäische Wirtschaft von großer wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung sind. In diesem Rahmen weist der EWSA gleichwohl darauf hin, dass den Kleinstunternehmen in Anbetracht ihrer strukturellen Schwächen besonderes Augenmerk gewidmet werden sollte. |
1.2 |
Der EWSA ist sich bewusst, dass die KMU Schwierigkeiten haben können, die komplexen Umweltvorschriften einzuhalten, und begrüßt deshalb die Entwicklung von Instrumenten, die der besseren Verständlichkeit dienen sollen. Obwohl in den letzten zehn Jahren den sozialen und insbesondere den ökologischen Aspekten mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wird die soziale Verantwortung der Unternehmen (Corporate Social Responsibility) noch nicht in allen Unternehmen als ein Wettbewerbsvorteile versprechender Faktor wahrgenommen. |
1.3 |
Nach Ansicht des EWSA ist die Kommissionsinitiative für ein Programm zur Unterstützung der KMU bei der Einhaltung der Umweltvorschriften ein erster, sehr wichtiger Schritt. |
1.4 |
Seines Erachtens sollte die Kommission den Bedürfnissen der KMU mit einem proaktiven Ansatz begegnen, indem sie auf territorialer Ebene eine Kooperationsstruktur für die Unternehmen entwickelt. In diesem Zusammenhang sollte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit besondere Aufmerksamkeit zukommen. |
1.5 |
Insbesondere ist es wichtig:
|
2. Wesentlicher Inhalt der Kommissionsmitteilung
2.1 |
Die Kommission will mit ihrer Mitteilung den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) helfen, ihre Ökoeffizienz (Energie und Ressourcen) zu steigern (1). Die Mitteilung enthält dementsprechend einen Rechtsrahmen und bietet Maßnahmen an, mit denen die bestehenden Politiken und Initiativen im Einklang mit den spezifischen Merkmalen der kleinen Unternehmen verstärkt werden sollen. Zu diesem Zweck schlägt die Kommission vor, ein Programm aufzustellen, mit dem die KMU bei der Umsetzung der Umweltvorschriften unterstützt werden sollen: mit Hilfe dieses Programms sollen Finanzmittel für den Ausbau von Unterstützungsnetzen frei gemacht, der Zugang zu Umweltmanagementsystemen vereinfacht und das Umweltbewusstsein dieser Unternehmen geschärft werden. |
2.2 |
Auch wenn die einzelnen kleinen und mittleren Unternehmen zwar jeweils weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen, machen die 23 Millionen KMU insgesamt etwa 99 % aller Unternehmen in der EU und 57 % der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung der Union aus. Mit einem derart hohen Anteil an der Wirtschaftstätigkeit der EU haben KMU auch erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. |
2.3 |
Viele Unternehmen sind sich der Umweltauswirkungen ihrer Tätigkeit nicht bewusst, und die meisten von ihnen sind sogar der Auffassung, dass sich ihre Tätigkeiten nicht oder nur geringfügig auf die Umwelt auswirken. Darüber hinaus sind die KMU in der Regel davon überzeugt, dass sie die geltenden Umweltvorschriften beachten, solange ihnen nicht das Gegenteil bewiesen wird. Insofern könnten ihre Tätigkeiten ein erhebliches Risiko für die Gesundheit und die Sicherheit der Arbeitnehmer ebenso wie für die Umwelt darstellen. Schließlich laufen die KMU Gefahr, nicht von den wirtschaftlichen Vorteilen eines besseren Umweltmanagements und der Ökoinnovation zu profitieren, wenn sie die Umweltbelange nicht in ihre Wirtschaftstätigkeit einbeziehen. |
2.4 |
Das von der Kommission zur Unterstützung der KMU bei der Einhaltung der Umweltgesetzgebung vorgeschlagene Programm sieht Maßnahmen vor, mit denen einerseits gewährleistet werden soll, dass die KMU die Umweltauswirkungen ihrer Tätigkeiten so weit wie möglich reduzieren, und andererseits, dass ihnen die Einhaltung der geltenden Vorschriften erleichtert wird. Mit dem Programm soll der mit den Umweltvorschriften verbundene Verwaltungsaufwand dadurch reduziert werden, dass Instrumente und politische Maßnahmen entwickelt werden, mit denen die Umweltanforderungen in den Mittelpunkt der KMU-Tätigkeiten gerückt werden. |
2.5 |
Die in der Mitteilung vorgestellten Maßnahmen erstrecken sich auch auf die Verbreitung von speziell auf KMU zugeschnittene Informationen und auf die Förderung von Unterstützungsnetzen und Weiterbildungsangeboten zum Kapazitätenaufbau in Umweltfragen vor Ort. |
2.6 |
Das Programm wird über LIFE+-Mittel (5 Mio. EUR für 2007-2013) und zusätzliche, durch das Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) und Strukturfonds zur Verfügung gestellte Mittel finanziert. |
2.7 |
Eine auf KMU zugeschnittene Website zur EU-Umweltpolitik ist bereits in 7 Sprachen verfügbar; außerdem sollen operative Leitlinien zu Themen wie Energieeffizienz, Emissionen in die Luft, Abfallerzeugung und Freisetzung von Schadstoffen in Boden und Gewässer veröffentlicht werden. Auch ein Handbuch zur Erläuterung der neuen Finanzierungsmöglichkeiten soll herausgegeben werden. |
2.8 |
Das neue Netzwerk zur Unterstützung von Unternehmen und Innovation soll ab 2008 an der Umsetzung des Programms mitwirken. Gemeinsam mit anderen KMU-orientierten Unterstützungsnetzen wird es maßgeblich dazu beitragen, die mittelständischen Unternehmen bei der Umsetzung der EU-Umweltvorschriften in operative Maßnahmen zu unterstützen. |
2.9 |
Das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen in der Anlage zur Mitteilung enthält eine Auswahl von Einzelfällen und Beispielen für bewährte Verfahren, die KMU in Europa und weltweit angewandt haben. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Der EWSA begrüßt das Kommissionsprogramm und insbesondere die Tatsache, dass dadurch Bedeutung und Nutzen der KMU in der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft gewürdigt werden. |
3.2 |
In diesem Zusammenhang betont der EWSA, wie wichtig der Beschluss des Europäischen Rates von Feira vom 19./20. Juni 2000 (2) und die Europäische Charta für Kleinunternehmen (3) sind, der zufolge „kleine Unternehmen das Rückgrat der europäischen Wirtschaft (sind)“ und „(…) Hauptträger der Beschäftigung und Nährboden für Geschäftsideen“. Zu den Prioritäten der Charta gehören die Stärkung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nicht nur auf territorialer, sondern auch auf globaler Ebene. |
3.3 |
Die Umweltfolgenabschätzung muss Gegenstand eines integrierten Betriebsmanagements sein. Angesichts der Tatsache, dass die meisten KMU und insbesondere die Klein- und Kleinstunternehmen in der Regel keine Umweltvorschriften umsetzen, wird es erforderlich sein, ein integriertes Umweltmanagement zur Anwendung zu bringen und gleichzeitig darauf zu achten, dass der Verwaltungsaufwand auf ein Minimum reduziert wird. |
3.4 |
Dazu muss zunächst das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass derartige Verfahren nicht nur zusätzliche Kosten oder Auflagen mit sich bringen, sondern ein Instrument darstellen, mit dem die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gesteigert und langfristig Wertschöpfung erzielt werden kann. |
3.5 |
Betriebe, denen es gelingt, ihre Tätigkeiten konstant zu überwachen, z.B. durch Umweltmanagementsysteme, schaffen es auch, die kontrollpflichtigen Managementvariablen zu erweitern, indem sie die Wirtschafts- und Finanzdaten und die Daten zu den sozialen und ökologischen Auswirkungen systematisch in einem einzigen Strategieplan zusammenfassen (4). Auf diese Weise wird neben den ökonomischen und ökologischen Vorteilen infolge einer effizienten und rationalen Ressourcennutzung auch die Sicherheit der Arbeitsleistung im Zuge einer Veränderung der Arbeitsorganisation gewährleistet. |
3.6 |
Der EWSA teilt somit die Auffassung, dass eine langfristige Strategie notwendig ist, die von den Mitgliedstaaten zügig umgesetzt werden muss. |
4. Besondere Bemerkungen
Bemerkungen zu den im Aktionsplan der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen
4.1 |
Bessere Rechtsetzung bei der Festlegung und Umsetzung politischer Maßnahmen: in diesem Zusammenhang bedeutet „bessere Rechtsetzung“, die KMU stärker in die Konzeption der Umweltpolitiken einzubeziehen und im Vorfeld die bewährten Verfahren zu analysieren, die nach entsprechender Identifizierung und Verbreitung ein brauchbarer Stützpfeiler für die kostenwirksamste Umsetzung der Umweltvorschriften sind. Die Reduzierung des Verwaltungsaufwands auf gemeinschaftlicher, nationaler und regionaler Ebene und mehr Klarheit sind nicht nur mit Blick auf mögliche neue Rechtsinstrumente geboten, sondern auch in Bezug auf die etwaige Überarbeitung der geltenden Vorschriften. |
4.2 |
Zugänglichere und maßgeschneiderte Umweltmanagementsysteme: die Einbeziehung der Umweltbelange in strategische Entscheidungen zur Steigerung von Wachstum und Innovation wird es den Unternehmen ermöglichen, nicht nur die geltenden Vorschriften einzuhalten, sondern auch neue und gute Verfahren zu erproben, die der Freiwilligkeit und kodifizierten Parametern Rechnung tragen, um den spezifischen Bedürfnissen der Klein- und Kleinstbetriebe gerecht zu werden. Insbesondere ist es notwendig, Anreize für die Einführung von Umweltmanagementsystemen (wie EMAS oder ISO) zu bieten. Die Einführung von EMAS (Europäisches Umweltmanagement- und Umweltbetriebsprüfungssystem) kann z.B. dadurch erreicht werden, dass in die Verordnung Klauseln zur Förderung der KMU, eine auf die Struktur der KMU zugeschnittene Anwendung (5) und eine schrittweise Reduzierung der gegenwärtigen Inspektionsregelung und der von den registrierten Unternehmen zu liefernden Informationen aufgenommen werden. Mit all diesen Maßnahmen sollen die KMU zur Beteiligung an EMAS angehalten werden, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass derzeit nur in Italien, Deutschland und Spanien die Beteiligung der Unternehmen relativ groß ist. Der EWSA hält es für wünschenswert, dass die Kommission diesen Anregungen und seiner Stellungnahme zum Thema Klimawandel und Zivilgesellschaft vom Juli 2006 (6) Rechnung trägt, insbesondere mit Blick auf die aktuelle Überarbeitung von EMAS. Schließlich fordert der EWSA die Kommission auf, in den informellen und nicht kodifizierten Instrumenten auf territorialer Ebene brauchbare Elemente zu ermitteln, mit denen die gegenwärtigen Umweltmanagementsysteme erweitert werden können, da nur eine direkte Einbeziehung der KMU und der KMU-Vereinigungen auf territorialer Ebene die gegenwärtige Lage verändern kann. |
4.3 |
Gezielte finanzielle Unterstützung im Rahmen eines mehrjährigen Finanzierungsprogramms: die Vielzahl bestehender Finanzierungsinstrumente kann Verwirrung stiften und zu Reibungsverlusten führen. Daher ist es wünschenswert, dass baldmöglichst das von der Kommission in Aussicht gestellte Handbuch über neue Finanzierungsmöglichkeiten für Projekte herausgegeben wird, die die Verbesserung der Konformität mit Umweltnormen und der Umweltleistung von KMU zum Ziel haben. In diesem Zusammenhang wäre es langfristig sinnvoller, eine einzige Haushaltslinie für alle KMU-bezogenen Maßnahmen vorzusehen. |
4.4 |
Schaffung einer örtlichen Umweltwissensbasis für KMU: die technische Unterstützung der KMU macht spezialisierte Berufsprofile erforderlich. Hierfür ist auch die Einbeziehung der KMU-Organisationen auf lokaler Ebene und der Institutionen notwendig. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass die Kosten für die angebotenen Dienste zumutbar sind, und die KMU müssen die Möglichkeit haben, In-house-Berater auszubilden und hinzuzuziehen. |
4.5 |
Bessere Kommunikation und gezieltere Information: die Einrichtung einer vielsprachigen, mit dem KMU-Portal verknüpften Website (7), die für KMU-Unterstützungsnetzwerke einer der Hauptinformationsquellen für EU-Umweltpolitik und KMU werden soll. Nach Ansicht des EWSA ist es ganz wichtig, einen unmittelbaren Informationszugang und einen direkten Kontakt zwischen EU-Institutionen und KMU sicherzustellen. |
4.6 |
Der EWSA begrüßt das von der Kommission initiierte Entreprise Europe Network, ein neues wichtiges Netzwerk auf europäischer Ebene zur Unterstützung der Unternehmen inner- und außerhalb des EU-Gebiets. Für den EWSA ist es von grundlegender Bedeutung, dass die EU auch in Zukunft die Dienste für KMU fördert, insbesondere in den Bereichen Handel und grenzüberschreitende Investitionen, technologische Zusammenarbeit zwischen KMU und Großunternehmen, Innovationen, Kenntnis der EU-Finanzierungsquellen und Forschungsprogramme für KMU. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) KOM (2007) 379 endg.
(2) http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/00200-r1.d0.htm
(3) http://www.consilium.europa.eu/cms3_applications/applications/newsRoom/loadBook.asp?BID=76&LANG=4&cmsid=347
(4) http://ec.europa.eu/enterprise/enterprise_policy/charter/docs/charter_de.pdf
(5) Vgl. hierzu A Comparative Analysis of the Environmental Management, Performance and Innovation of SMEs and Larger Firms based on the OECD database, Julien Labonne, 07/2006.
(6) Leitfaden für Umweltgutachter bei der Überprüfung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), insbesondere von Klein- und Kleinstunternehmen, Anhang IV zur Empfehlung der Kommission vom 7. September 2001 über Leitlinien für die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 761/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS).
(7) NAT/310 — Bewältigung der Herausforderungen durch den Klimawandel — Die Rolle der Zivilgesellschaft.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/40 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Überprüfung der Empfehlung 2001/331/EG zur Festlegung von Mindestkriterien für Umweltinspektionen in den Mitgliedstaaten“
KOM(2007) 707 endg.
(2008/C 211/10)
Der Europäische Rat beschloss am 14. November 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Überprüfung der Empfehlung 2001/331/EG zur Festlegung von Mindestkriterien für Umweltinspektionen in den Mitgliedstaaten“.
Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 27. März 2008 an. Berichterstatter war Herr ZBOŘIL.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 151 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss teilt die Ansicht der Kommission, dass der allgemeine Rahmen für die Umweltinspektionsregelungen in den Mitgliedstaaten auch weiterhin die Form einer Empfehlung haben sollte. Die Empfehlung sollte jedoch geändert werden, um ihre Durchführung zu verbessern und ihre Wirkung zu erhöhen. Durch sektorspezifische Rechtsvorschriften sind die Inspektionsmaßnahmen, ihr Umfang und ihre Durchführung in wesentlichen Bereichen in der gesamten Gemeinschaft rechtlich bindend. |
1.2 |
Grundsätzlich muss die Empfehlung verständlich und eindeutig formuliert sein, um ihre effiziente Umsetzung zu gewährleisten. Daher ist es unerlässlich, dass die Geltungsbereiche der Umweltinspektionen unter Berücksichtigung der ermittelten Probleme genau festgelegt werden. |
1.3 |
Die Auslegung der Begriffe und ihre Präzisierung und Vereinheitlichung ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Harmonisierung der Inspektionstätigkeiten auf dem Gemeinschaftsgebiet und für die Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen für Unternehmen. Die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft enthalten eine Reihe gleicher Begriffe, wobei die Begriffsbestimmungen in den einzelnen Rechts- und Verwaltungsvorschriften voneinander abweichen können. Der Definition der verwendeten Termini wird daher allgemein größere Bedeutung zu schenken sein. |
1.4 |
Eine eindeutigere Festlegung der Kriterien für die Planung und Ausführung von Umweltinspektionen, für Folgemaßnahmen und für die Berichterstattung ist ebenfalls dringend erforderlich. |
1.5 |
Für das System zur Regelung der Inspektionstätigkeiten sollte die Verwendung moderner Managementmethoden empfohlen werden. Durch diese Methoden konzentriert sich die Inspektionstätigkeit auf die entscheidenden Bereiche, die für den Umweltschutz von besonderem Interesse sind, sie ermöglichen eine bessere Planung und können zu einer nachhaltigen Verbesserung des Umweltschutzes beitragen. |
1.6 |
Es ist notwendig, den Zugang zu Informationen gemäß dem gültigen Gemeinschaftsrecht weiter zu vereinheitlichen. Die zur Verfügung gestellten Informationen sollten ein ganzheitliches Bild der durch die Inspektionstätigkeit ermittelten Realitäten sowie der veranlassten Korrekturmaßnahmen und ihrer Umsetzung bieten. |
1.7 |
Das Gemeinschaftsnetz IMPEL muss unterstützt werden, um die internationale Zusammenarbeit weiter zu verbessern und eine umfassendere Harmonisierung der Standards für die Inspektionen und ihre Durchsetzung zu gewährleisten. |
2. Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments
2.1 |
Inspektionen sind ein wichtiges Instrument, um die Umsetzung und Durchsetzung des gemeinschaftlichen Umweltrechts sicherzustellen. Das Europäische Parlament und der Rat verabschiedeten im Jahr 2001 die Empfehlung 2001/331/EG zur Festlegung von Mindestkriterien für Umweltinspektionen in den Mitgliedstaaten (1). |
2.2 |
Die Empfehlung enthält rechtlich unverbindliche Kriterien für die Planung und Ausführung von Umweltinspektionen sowie für entsprechende Folgemaßnahmen und Berichterstattung. Ziel der Empfehlung ist es, die Einhaltung des gemeinschaftlichen Umweltrechts zu verbessern und zu einer konsequenten Anwendung und Durchsetzung dieses Rechts in allen Mitgliedstaaten beizutragen. |
2.3 |
Die Kommission hat eine Studie zur Anwendung und Durchsetzung dieser Empfehlung durchgeführt. Auf Grundlage dieser Studie wird ein Vorschlag zur Weiterentwicklung der Empfehlung erarbeitet, der 2008 vorgelegt wird. |
2.4 |
Alle Mitgliedstaaten haben je einen Bericht über die Umsetzung der Empfehlung und über ihre Erfahrungen mit der Anwendung der Empfehlung vorgelegt. Allerdings zeigt sich, dass die Umsetzung der Empfehlung in den einzelnen Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich verlaufen ist. Es ist offenkundig, dass zwar alle Mitgliedstaaten die Empfehlung teilweise umgesetzt haben, jedoch nur in wenigen Fällen von ihrer vollständigen Umsetzung die Rede sein kann. Nach wie vor gibt es in der Gemeinschaft große Unterschiede bei der Durchführung von Umweltinspektionen. Diese Unterschiede führen zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Unternehmen. |
2.5 |
Die wichtigsten Unterschiede, die beseitigt werden müssen, bestehen in folgenden Bereichen: |
2.5.1 Festlegung des Geltungsbereichs
2.5.1.1 |
Der derzeitige Geltungsbereich umfasst hauptsächlich Industrie- und Abfallbehandlungsanlagen, während viele im Rahmen des gemeinschaftlichen Umweltrechts geregelte Tätigkeiten nicht erfasst werden. Die Empfehlung enthält insbesondere keine Kriterien für die Inspektion von Abfalltransporten. Die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen ist auf EU-Ebene durch die Abfallverbringungsverordnung geregelt (2). Die Kommission räumt der Umsetzung dieser Verordnung hohe Priorität ein. |
2.5.1.2 |
Die Empfehlung enthält auch keine Kriterien für die Inspektion von Natura-2000-Standorten. Die Kommission begrüßt die Einrichtung des „Green Enforce Network“, mit dem die Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten gefördert werden sollen, um so die Umsetzung des Naturschutzrechts zu erleichtern. Im Rahmen des „Green Enforce Network“ wird zurzeit geprüft, wie durch die Aufstellung von Inspektionskriterien für Natura-2000-Standorte zur weiteren Verbesserung von Umweltinspektionen beigetragen werden kann. |
2.5.1.3 |
Weitere Bereiche des Umweltrechts, für die die Empfehlung nicht gilt, sind die Registrierung und Zulassung chemischer Stoffe (REACH (3)), die Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Produkten (z.B. die RoHS-Richtlinie (4)), der Handel mit gefährdeten Arten (5) sowie Tätigkeiten in Zusammenhang mit genetisch veränderten Organismen und Herstellerverantwortungssysteme. |
2.5.2 |
Präzisierung der Definitionen: Einige in der Empfehlung verwendete Begriffe werden von den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt. Eine unterschiedliche Auslegung kann insbesondere bei den folgenden Begriffen beobachtet werden:
|
2.5.3 |
Kriterien für die Planung und Ausführung von Umweltinspektionen, für Folgemaßnahmen und für die Berichterstattung: Ziel der Empfehlung ist, die Einhaltung der Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Umweltschutzes in den kontrollierten Anlagen zu verbessern und ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen. Zu diesem Zweck sind in der Empfehlung Kriterien für die Planung und Durchführung der Umweltinspektionen, für entsprechende Folgemaßnahmen und für die Berichterstattung festgelegt.
|
2.5.4 |
Berichterstattung: Die ersten Berichte enthalten zahlreiche Informationen, aus denen ersichtlich ist, wie die Empfehlung in den Mitgliedstaaten umgesetzt und angewandt wird. Die Informationen sind jedoch nicht immer vergleichbar. Um die Vergleichbarkeit der Daten sicherzustellen, müsste dabei ein ganz klares und einheitliches Format für die Berichterstattung entwickelt werden. |
2.5.5 |
Zugang zu Informationen: In der Empfehlung heißt es, dass die Inspektionspläne und -berichte gemäß den geltenden Gemeinschaftsrichtlinien der Öffentlichkeit zugänglich sein sollten. Die Berichte haben gezeigt, dass mehrere Mitgliedstaaten weder Inspektionspläne noch Inspektionsberichte öffentlich zugänglich machen. Informationen über Umweltinspektionen fallen unter die Bestimmungen der Richtlinie 2003/4/EG, d.h. die rechtliche Verpflichtung zur Veröffentlichung dieser Informationen besteht bereits. In der Richtlinie sind auch ausreichende Gründe für die Verweigerung des Zugangs zu diesen Informationen genannt, wenn übergeordnete Interessen geschützt werden müssen. Zur Durchsetzung dieses Rechts müssen geeignete Mechanismen geschaffen werden. |
2.6 Vorschläge für das künftige Vorgehen
Die Kommission ist der Auffassung, dass in Anbetracht der mangelnden Umsetzung der Empfehlung erwogen werden muss, rechtlich bindende Anforderungen an Umweltinspektionen festzulegen. Außerdem bedürfen die allgemeinen Kriterien für Umweltinspektionen einer Präzisierung, und es muss für mehr Anleitung und Informationsaustausch über die Anwendung der Kriterien gesorgt werden. Daher werden folgende Maßnahmen vorgeschlagen:
2.6.1 |
Überarbeitung der Empfehlung: Die Empfehlung sollte als allgemeiner Rahmen für die Umweltinspektionsregelungen in den Mitgliedstaaten gesehen werden. Die Kriterien sind allgemein gehalten. Wegen dieses sehr allgemeinen und deskriptiven Charakters der Kriterien scheint es nicht angebracht, sie in rechtlich bindende Vorschriften umzuwandeln. Die Empfehlung sollte jedoch geändert werden, um eine bessere und wirksamere Umsetzung zu erreichen. |
2.6.2 |
Sektorale Inspektionsvorschriften: Zusätzlich zu den allgemeinen Kriterien für Umweltinspektionen, die in der Empfehlung festgelegt sind, sollten rechtlich bindende Anforderungen an die Inspektionen bestimmter Anlagen oder Tätigkeiten in sektorspezifische Rechtsvorschriften aufgenommen werden. Diese rechtlich bindenden Anforderungen sind notwendig, um sicherzustellen, dass den Inspektionen eine höhere politische Priorität eingeräumt wird und dass Umweltvorschriften in der ganzen Gemeinschaft strenger durchgesetzt werden. Die sektoralen Inspektionsanforderungen können die Empfehlung ergänzen oder Anlagen oder Tätigkeiten betreffen, die von der Empfehlung nicht erfasst werden. |
2.6.2.1 |
Im Rahmen der Überprüfung der IVU-Richtlinie (7), die auf dem Legislativprogramm der Kommission für 2007 steht, und nach Analyse der Umsetzung der Richtlinie wird die Kommission prüfen, wie dafür gesorgt werden kann, dass die Vorschriften besser eingehalten und die Inspektionen von IVU-Anlagen in den Mitgliedstaaten konsequenter und zuverlässiger durchgeführt werden. |
2.6.2.2 |
Die Kommission erwägt, spezielle rechtlich bindende Vorschriften für Inspektionen von Abfalltransporten vorzuschlagen. Es sollten konkrete Kriterien festgelegt werden, um eine ausreichende Qualität und Häufigkeit der Inspektionen sowie eine angemessene Ausbildung und Zusammenarbeit bei den Behörden sicherzustellen. |
2.6.3 |
Ausarbeitung von Leitlinien und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten: Im Rahmen von IMPEL wurden zahlreiche Projekte durchgeführt, die auf eine intensivere Zusammenarbeit und mehr Austausch von Informationen über Umweltinspektionen zwischen den Mitgliedstaaten abzielen (8). Die Kommission war an diesen Projekten beteiligt und hat sie aktiv unterstützt. Alle diese Initiativen haben sich positiv auf die Verbesserung der Inspektionen in der Gemeinschaft ausgewirkt. Daher sollte IMPEL bei der Fortsetzung derartiger Projekte unterstützt werden. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Mitteilung der Kommission über die Überprüfung der Empfehlung 2001/331/EG zur Festlegung von Mindestkriterien für Umweltinspektionen in den Mitgliedstaaten und würdigt ihre Bemühungen (9) um eine Untersuchung der Umsetzung dieser Empfehlung. |
3.2 |
Umweltinspektionen sind ein wichtiger Teil der Exekutivgewalt eines jeden Staates auf dem Gebiet des Umweltschutzes und sollten sowohl die staatliche Umweltschutzpolitik, als auch die gemeinschaftlichen Grundsätze der EU-Umweltpolitik zur Geltung bringen, und zwar möglichst einheitlich und unabhängig davon, welche Rechtsperson mit der Inspektion in dem jeweiligen Mitgliedstaat betraut wird. |
3.3 |
Der EWSA ist sich bewusst, wie wichtig eine bessere Einhaltung des gemeinschaftlichen Umweltrechts und ein Beitrag zur konsequenten Anwendung und Durchsetzung dieses Rechts in allen Mitgliedstaaten sind, indem durch die vereinbarten und angewandten Minimalkriterien künftig einheitliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, vor allem im Hinblick auf den wirtschaftlichen Wettbewerb. |
3.4 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass eine weiterführende Debatte über die Mitteilung gemeinsam mit den interessierten Kreisen zu Erkenntnissen führen wird, die von wesentlicher Bedeutung sind, um einen optimalen, klaren und in der ganzen Gemeinschaft geltenden Rahmen für die Inspektionstätigkeit zu schaffen. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 |
Grundsätzlich muss die Empfehlung verständlich und eindeutig formuliert sein, um ihre effiziente Umsetzung zu gewährleisten. Der EWSA begrüßt daher den Willen der Kommission, diesem Aspekt mehr Aufmerksamkeit zu schenken. |
4.1.1 |
Der EWSA hält es für absolut unerlässlich, dass die Geltungsbereiche der Umweltinspektionen unter Berücksichtigung der entscheidenden Problembereiche genau festgelegt werden, ohne dabei die Flexibilität der Inspektionssysteme zu beeinträchtigen und spezifische einzelstaatliche Ansätze zu verletzen. Diese Ansätze sollten jedoch nur dann zur Anwendung kommen, wenn besondere nationale Zielsetzungen im Bereich des Umweltschutzes dies erfordern. |
4.1.2 |
Schreiben spezifische Rechtsvorschriften der Gemeinschaft eine Inspektionstätigkeit vor, sollte für diese Tätigkeit lediglich eine bestimmte Rechtsvorschrift gelten, damit unterschiedliche Auslegungen vermieden werden. |
4.1.3 |
Aus der Mitteilung geht hervor, dass die unterschiedliche Auslegung der Begriffe und ihre Präzisierung und Vereinheitlichung von ausschlaggebender Bedeutung für die Harmonisierung der Inspektionstätigkeiten auf dem Gemeinschaftsgebiet und die Schaffung einheitlicher Rahmenbedingungen ist. Die präzise Definition der grundlegenden Begriffe ist für eine einheitliche Umsetzung der Empfehlung dringend erforderlich, um so eine Harmonisierung zu ermöglichen und an weitere Rechtsvorschriften anknüpfen zu können. |
4.1.4 |
Der EWSA weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in den einzelnen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft die Bedeutung der verwendeten Begriffe mitunter voneinander abweichen kann. Der Definition der verwendeten Termini wird daher allgemein größere Bedeutung zu schenken sein. |
4.2 |
Der EWSA hält eine eindeutigere Festlegung der Kriterien für die Planung und Ausführung von Umweltinspektionen, für Folgemaßnahmen und für die Berichterstattung ebenfalls für dringend erforderlich, wobei auch hier die nötige Flexibilität für die Durchführung der spezifischen Inspektionstätigkeiten erhalten bleiben muss. Die Berichterstattungsregelung sollte so klar und einfach wie möglich sein, damit vergleichbare Informationen über die Funktionsweise der Inspektionssysteme geliefert werden können und ersichtlich wird, ob das Ziel einer besseren Einhaltung des Umweltrechts erreicht wird. |
4.3 |
Für das System zur Regelung der Inspektionstätigkeiten sollte die Verwendung moderner Managementmethoden empfohlen werden, mit denen einige Mitgliedstaaten nachweislich gute Erfahrungen gemacht haben. Durch diese Methoden konzentriert sich die Inspektionstätigkeit auf die entscheidenden Bereiche, die für den Umweltschutz von besonderem Interesse sind, sie ermöglichen eine bessere Planung und können zu einer nachhaltigen Verbesserung des Umweltschutzes beitragen. |
4.4 |
Der EWSA empfiehlt, den Zugang zu Informationen gemäß den gültigen Gemeinschaftsvorschriften weiter zu vereinheitlichen, wobei berücksichtigt werden muss, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten die Informationen nach spezifischen Standards zugänglich gemacht werden. Die Bereitstellung von Informationen sollte die Ausführung der Inspektionstätigkeit nicht beeinträchtigen, und die zur Verfügung gestellten Informationen sollten ein ganzheitliches Bild der durch die Inspektionstätigkeit ermittelten Realitäten sowie der veranlassten Korrekturmaßnahmen und ihrer Umsetzung bieten. |
4.5 |
Der EWSA teilt die Ansicht der Kommission, dass der allgemeine Rahmen für die Umweltinspektionsregelungen in den Mitgliedstaaten auch weiterhin die Form einer Empfehlung haben sollte, weil es wegen des allgemeinen und deskriptiven Charakters der Kriterien nicht angebracht scheint, sie in rechtlich bindende Vorschriften umzuwandeln. Die Empfehlung sollte jedoch geändert werden, um ihre Durchführung zu verbessern und ihre Wirkung zu erhöhen. |
4.6 |
Diese Ansicht wird durch die Tatsache gestützt, dass eine Reihe der jetzigen und künftigen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft auch Rahmenbedingungen und Kriterien für die Durchführung spezifischer sektoraler Inspektionstätigkeiten umfasst. Durch diese Rechtsvorschriften sind die Inspektionsmaßnahmen, ihr Umfang und ihre Durchführung in der gesamten Gemeinschaft rechtlich bindend. |
4.7 |
Der EWSA hält es für dringend erforderlich, zur weiteren Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit das Gemeinschaftsnetz IMPEL zu unterstützen, in dessen Rahmen zahlreiche Leitfäden für die Planung und Durchführung von Inspektionen erstellt und der Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Inspektoren organisiert wurden. Dieses Netz kann wie in der Vergangenheit, vor allem durch seine fachspezifischen Aktivitäten von großem Nutzen sein. IMPEL könnte sich bei der Vermittlung gemeinsamer Schulungen und beruflicher Fortbildungen als nützlich erweisen. Von Nutzen könnte auch die Schaffung einer zentralen Stelle für die Sammlung gesamteuropäischer statistischer Daten sowie weiterer Informationsquellen über Inspektionsmaßnahmen und ihre Durchführung in ganz Europa sein. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) ABl. L 118 vom 27.4.2001, S. 41.
(2) Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen, ABl. L 190 vom 12.7.2006, S. 1.
(3) Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission, ABl. L 396 vom 30.12.2006, S. 1.
(4) Richtlinie 2002/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten, ABl. L 37 vom 13.2.2003, S. 19.
(5) Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels, ABl. L 61 vom 3.3.1997, S. 1.
(6) Ein Beispiel für diesen Ansatz ist das „Operator and Pollution Risk Appraisal“-System (OPRA) im Vereinigten Königreich.
(7) Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung.
(8) Ausführliche Angaben sind auf dem Internetportal von IMPEL zu finden:
http://ec.europa.eu/environment/impel/index.htm
(9) Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen: Bericht über die Umsetzung der Empfehlung 2001/331/EG zur Festlegung von Mindestkriterien für Umweltinspektionen in den Mitgliedstaaten; SEK(2007) 1493.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/44 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind (Neufassung)“
KOM(2008) 3 endg. — 2008/0003 (COD)
(2008/C 211/11)
Der Rat beschloss am 30. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind (Neufassung)“.
Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme vom 17. September 1986 (1) sowie seiner Stellungnahme CESE 848/2004 vom 2. Juni 2004 (2) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April 2008) mit 148 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Stellungnahmen vertreten hat.
Die Stellungnahme des Ausschusses zu dem Regelungsverfahren mit Kontrolle befindet sich derzeit in Ausarbeitung [KOM(2007) 741 endg., KOM(2007) 822 endg., KOM(2007) 824 endg. und KOM(2008) 71 endg.].
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind“ (ABl. C 328 vom 22.12.1986, S. 9).
(2) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind (kodifizierte Fassung)“ (KOM(2004) 290 endg. — ABl. C 241 vom 28.9.2004, S. 23).
19.8.2008 |
DE |
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C 211/45 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle/Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom … zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels hinsichtlich der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse“
KOM(2008) 104 endg. — 2008/0042 (COD)
(2008/C 211/12)
Der Rat beschloss am 17. März 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175(1) des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle/Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom … zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels hinsichtlich der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse“.
Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme vom 26. Mai 1992 (1) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 146 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.
Die Stellungnahme des Ausschusses zur Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle wird zurzeit erarbeitet [KOM(2007) 741 endg., KOM(2007) 822 endg., KOM(2007) 824 endg. und KOM(2008) 71 endg.].
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Regelung des Besitzes von und des Handels mit Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten“ — ABl. C 223 vom 31.8.1992, S. 19.
19.8.2008 |
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C 211/46 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle/Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 79/409/EWG über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse“
KOM(2008) 105 endg. — 2008/0038 (COD)
(2008/C 211/13)
Der Rat beschloss am 10. März 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175(1) des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle/Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 79/409/EWG über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse“.
Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seinen Stellungnahmen vom 25. Mai 1977 (1) und vom 14. September 1994 (2) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 143 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Stellungnahmen vertreten hat.
Die Stellungnahme des Ausschusses zur Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle wird zurzeit erarbeitet [KOM(2007) 741 endg., KOM(2007) 822 endg., KOM(2007) 824 endg. und KOM(2008) 71 endg.].
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Erhaltung der Vogelarten“, ABl. C 152 vom 29.6.1977, S. 3.
(2) Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 79/409/EWG über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (94/C 393/19)“, ABl. C 393 vom 31.12.1994, S. 93.
19.8.2008 |
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C 211/47 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 (mit Vorschriften zur Verhütung, Kontrolle und Tilgung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien) betreffend die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse“
KOM(2008) 53 endg. — 2008/0030 (COD)
(2008/C 211/14)
Der Rat beschloss am 22. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 152 Absatz 4 Buchstabe b) des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 (mit Vorschriften zur Verhütung, Kontrolle und Tilgung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien) betreffend die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse“.
Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seinen Stellungnahmen vom 7. Juli 1999 (1) und vom 9. März 2005 (2) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 154 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Stellungnahmen vertreten hat.
Die Stellungnahme des Ausschusses zu dem Regelungsverfahren mit Kontrolle befindet sich derzeit in Ausarbeitung [KOM(2007) 741 endg., KOM(2007) 822 endg., KOM(2007) 824 endg. und KOM(2008) 71 endg.].
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit Vorschriften zur Verhütung und Bekämpfung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien (ABl. C 258 vom 10.9.1999, S. 19).
(2) Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 mit Vorschriften zur Verhütung, Kontrolle und Tilgung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien (KOM(2004) 775 endg. — 2004/0270 (COD)) (ABl. C 234 vom 22.9.2005, S. 26).
19.8.2008 |
DE |
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C 211/48 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Gemeinsame Grundsätze für den Flexicurity-Ansatz herausarbeiten: Mehr und bessere Arbeitsplätze durch Flexibilität und Sicherheit“
KOM(2007) 359 endg.
(2008/C 211/15)
Die Kommission beschloss am 27. Juni 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Gemeinsame Grundsätze für den Flexicurity-Ansatz herausarbeiten: Mehr und bessere Arbeitsplätze durch Flexibilität und Sicherheit“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. April 2008 an. Berichterstatter war Herr JANSON, Mitberichterstatter Herr ARDHE.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 147 gegen 1 Stimme bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die Beiträge des Europäischen Parlaments, des Rates und der europäischen Sozialpartner zur Flexicurity-Debatte. In einer sich rasch verändernden Welt muss darüber diskutiert werden, wie das Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Sicherheit auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten zur Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen beitragen kann. |
1.1.1 |
Der EWSA hat bereits unterstrichen, dass das Flexicurity-Konzept nicht für eine einseitige und ungerechtfertigte Beschneidung der Arbeitnehmerrechte steht. Die europäischen Sozialpartner haben die Mitgliedstaaten aufgefordert, das Arbeitsrecht, die Beschäftigungsschutzsysteme und — gemeinsam mit den Sozialpartnern — die Methoden der Tarifverhandlungen zu überprüfen und, falls erforderlich, anzupassen, um z.B. ein optimales Verhältnis zwischen Flexibilität und Sicherheit für alle Arbeitsverhältnisse und angemessene Sicherheit für Arbeitnehmer in allen Vertragsverhältnissen zur Bekämpfung segmentierter Arbeitsmärkte zu gewährleisten. |
1.2 |
Die Flexicurity-Debatte hat in den Mitgliedstaaten zu Diskussionen geführt — und in einigen von ihnen zu konzertierten Aktionen. Das unterstreicht, dass es für die Sozialpartner wichtig ist, an dieser Debatte und am Beschlussfassungsprozess aktiv mitzuwirken. |
1.3 |
Der EWSA betont, dass Flexicurity nicht losgelöst von den Herausforderungen, mit denen die Europäische Union konfrontiert ist, betrachtet werden kann. Die Globalisierung, die Entwicklung neuer Technologien und die demografische Alterung sowie umweltspezifische Herausforderungen verändern den europäischen Arbeitsmarkt. Flexicurity sollte Teil einer auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern abzielenden Strategie zur Reaktion auf diese externen und internen Tendenzen und Belastungen sein. |
1.4 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass Europa sich auf seine Innovationsfähigkeit, die hohe Qualität seiner Produkte und Dienstleistungen, seine gut ausgebildeten Arbeitskräfte und sein Sozialmodell konzentrieren und sich gegenüber seinen globalen Wettbewerbern durch Qualität auszeichnen sollte. Dies sollte sich in den beschäftigungspolitischen Leitlinien widerspiegeln. Nach dem Dafürhalten des EWSA sollten die Leitlinien der Flexicurity-Debatte entsprechend überarbeitet werden, insbesondere was die Qualität der Arbeitsplätze betrifft. |
1.5 |
Schließlich unterbreitet der Ausschuss eine Reihe von Empfehlungen zur Umsetzung der Flexicurity. Er
|
2. Hintergrund
2.1 |
Flexicurity ist seit der Verabschiedung der ersten beschäftigungspolitischen Leitlinien ein viel diskutiertes Thema. Die derzeitige Flexicurity-Debatte wurde auf der informellen Tagung des Rates im Januar 2006 angestoßen. Auf seiner Tagung im Frühjahr 2006 ersuchte der Europäische Rat die Mitgliedstaaten, der zentralen Herausforderung „Flexicurity“ besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Flexicurity war auch Thema auf zwei Tripartiten Sozialgipfeln, die in Verbindung mit den Europäischen Gipfeln im Dezember 2006 und März 2007 stattfanden. Die Kommission veröffentliche im Juni 2007 eine Mitteilung zur Flexicurity, die im Europäischen Parlament und im Rat erörtert und behandelt wurde, wobei der Beschluss des Rates einstimmig war. Darüber hinaus legten die Sozialpartner im Oktober 2007 eine gemeinsame Untersuchung der wichtigsten Herausforderungen für die europäischen Arbeitsmärkte — einschließlich Empfehlungen zur Flexicurity — vor. Der EWSA begrüßt all diese Beiträge, insbesondere die gemeinsame Untersuchung der europäischen Sozialpartner (1). |
2.2 |
Die Flexicurity-Debatte hat auch Diskussionen in den Mitgliedstaaten sowie in jüngster Zeit in einigen Ländern konzertierte Aktionen ausgelöst. Der EWSA begrüßt diese Diskussionen und Aktionen, betont aber auch, dass die Sozialpartner unbedingt an der Debatte und dem Beschlussfassungsprozess aktiv beteiligt werden sollten. |
2.3 |
Gestützt auf die noch immer relevante Stellungnahme des EWSA vom Juli 2007 zum Thema „Flexicurity“ (2) hat die vorliegende Stellungnahme zum Ziel,
|
3. Umsetzung der Flexicurity
3.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die verschiedenen Beiträge zur Flexicurity-Debatte: In einer sich rasch verändernden Welt muss darüber diskutiert werden, wie das Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Sicherheit auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten zur Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen beitragen kann. |
3.2 Arbeitsmarktpolitische Herausforderungen
3.2.1 |
Flexicurity darf nicht losgelöst von den Herausforderungen, mit denen die Europäische Union konfrontiert ist, betrachtet werden. Die Globalisierung, die rasche Entwicklung neuer Technologien und die demografische Alterung verändern den europäischen Arbeitsmarkt. Der EWSA betont jedoch, dass auch umweltspezifische Herausforderungen Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte haben dürften. Flexicurity sollte Teil einer auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen sozialem, ökologischem und ökonomischem Fortschritt abzielenden Strategie zur Reaktion auf diese externen und internen Tendenzen und Belastungen sein. |
3.2.2 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die ökologischen Herausforderungen auch auf die europäischen Arbeitsmärkte auswirken werden. Sie führen dazu, dass der Zwang zum Energiesparen zunimmt und Systeme für eine nachhaltigere Umwelt eingeführt werden. Sie können aber auch die technologische Innovation fördern und so zum Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum beitragen. |
3.2.3 |
Der Ausschuss hat darauf hingewiesen, dass der Klimawandel bestehende soziale Verzerrungen und Unterschiede in der EU und anderswo verstärken kann (3). Er hat auch unterstrichen, dass das Ziel darin bestehen muss, die Anpassung an den Klimawandel und seine Eindämmung ohne Arbeitsplatzverluste und soziale Verzerrungen zu bewältigen (4). |
3.2.4 |
Die Globalisierung und das hieraus resultierende Zusammenwachsen der Märkte beeinflussen die europäischen Arbeitsmärkte. Verbrauchs-, Produktions- und Investitionsmuster unterliegen einem Wandel. Diese Entwicklungen sind nicht unausweichlich: Sie können durchaus beeinflusst oder gelenkt werden. Rechtsvorschriften in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit und Arbeitnehmerrechte verbessern die Arbeitsbedingungen und prägen die Standards weltweit. Produktnormen können ihrerseits die Wettbewerbsfähigkeit unter gebührender Beachtung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen verbessern. Gleichwohl müssen sich die europäischen Arbeitsmärkte anpassen, um die Herausforderungen einer globalisierten Welt zu bewältigen. In vielerlei Hinsicht hat Europa von der Globalisierung profitiert. Der Binnenmarkt hat zur Schaffung von Unternehmen in der EU beigetragen, die weltweit wettbewerbsfähig sind. Die EU konnte deshalb bisher Produkte und Dienstleistungen am oberen Ende der Wertschöpfungskette verkaufen. |
3.2.5 |
Globalisierung und technologischer Wandel haben das Beschäftigungswachstum in Europa nicht geschwächt. Im Zeitraum 1995-2005 gab es in der EU einen Netto-Beschäftigungszuwachs von 18,5 Millionen neuen Arbeitsplätzen. Die Zahl der Arbeitsplätze, die aufgrund handelsbedingter Anpassungen verlorengingen, ist im Vergleich zur Gesamtzahl der in der Wirtschaft neu geschaffenen Arbeitsplätze gering. Tatsächlich kann die Öffnung des Handels die Beschäftigungsmöglichkeiten verbessern, wie die jüngsten Entwicklungen in der Europäischen Union zeigen. |
3.2.6 |
Die Globalisierung hat aber auch die Prekarität erhöht. Der Wettbewerbsdruck auf die Unternehmen steigt. Arbeitsplätze, die zuvor als sicher galten, sind nun dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Dienstleistungen, die man viele Jahre lang für ortsgebunden hielt, können jetzt auch grenzüberschreitend erbracht werden. Umstrukturierungen werden immer häufiger und immer schneller vorgenommen. Wenn Arbeitnehmer, die durch die Handelsentwicklung verdrängt wurden, wieder angestellt werden, erhalten sie üblicherweise weniger Lohn. Die Globalisierung hat für viele, die eine neue Stelle antreten, Einkommensverluste zur Folge. Tatsächlich hat der Lohnanteil der Wirtschaft abgenommen. Die Sozialpartner haben auch festgestellt, dass die EU im Vergleich zu den USA mehr Arbeitsplätze in Sektoren am unteren Ende der Skala des Produktivitätswachstums geschaffen hat, während die Beschäftigung in Sektoren mit starken Produktivitätswachstum abgenommen hat (5). |
3.2.7 |
Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt haben zu einer Zunahme der Arbeitsverhältnisse auf Teilzeitbasis oder mit befristeten Verträgen geführt. Derartige Arbeitsverhältnisse haben möglicherweise zur Erleichterung der Integration in den Arbeitsmarkt und zur Erhöhung der Erwerbsquoten in Europa beigetragen. Allerdings sind Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen tendenziell weniger produktiv, erhalten weniger vom Arbeitgeber finanzierte Bildungsmaßnahmen (6) und sind häufiger Opfer von Unfällen am Arbeitsplatz (7). Sie laufen auch Gefahr, in einen Teufelskreis befristeter Arbeitsverhältnisse zu geraten. Nur etwas mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer mit einem befristeten Vertrag (aber über drei Viertel der Arbeitnehmer mit einem von Anfang an unbefristeten Vertrag) haben nach sechs Jahren einen unbefristeten Vertrag (8). |
3.2.8 |
Zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen müssen neue Dienstleistungen und Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden, z.B. im Bereich der Kinder- und Altenbetreuung. In diesem Zusammenhang muss Europa auch Verbesserungen bei der Arbeitsorganisation, der Gleichstellung und der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben herbeiführen. |
3.2.9 |
In vielen Mitgliedstaaten besteht die Tendenz, die Fiskalpolitik im Falle einer Hochkonjunktur zu lockern und im Falle einer Rezession zu straffen, insbesondere in den größeren Ländern der Eurozone. Zudem wird die Staatsverschuldung in einer Reihe von Mitgliedstaaten angesichts der demografischen Alterung hoch bleiben (9). |
3.3 Beschäftigungsstrategie und Flexicurity
3.3.1 |
Bei der Umsetzung von Flexicurity-Maßnahmen in den Mitgliedstaaten geben die beschäftigungspolitischen Leitlinien den Mitgliedstaaten Orientierungshilfen hinsichtlich der arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Ziele Europas. Der EWSA vertritt hier eine klare Position: Europa sollte sich auf seine Innovationsfähigkeit, die hohe Qualität seiner Produkte und Dienstleistungen, seine gut ausgebildeten Arbeitskräfte und sein Sozialmodell konzentrieren; es sollte sich gegenüber seinen globalen Wettbewerbern durch Qualität auszeichnen und sich nicht auf einen Wettstreit um die niedrigsten Löhne und Sozialstandards einlassen, bei dem es nur verlieren kann (10). |
3.3.2 |
Einige der beschäftigungspolitischen Leitlinien (können als Grundlage für die Flexicurity-Diskussion dienen. Der EWSA würde es begrüßen, wenn die Leitlinien entsprechend den Empfehlungen in seiner Stellungnahme zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien geändert würden, insbesondere was die Qualität der Arbeitsplätze anbelangt (11). |
3.3.3 |
Der EWSA hat sich mehrfach zu der überarbeiteten Lissabon-Strategie und den neuen beschäftigungspolitischen Leitlinien geäußert (12). Dabei hat er erklärt, dass er den neuen integrierten Ansatz und den mehrjährigen Rhythmus begrüßt, und auch auf Folgendes hingewiesen:
|
3.3.4 |
Der EWSA hat auch festgestellt, dass ein Schlüssel zum Erfolg der nationalen Reformprogramme in der möglichst umfassenden Einbeziehung aller relevanten sozialen Akteure — insbesondere der Sozialpartner — in allen Phasen des Prozesses liegt und dass die Rolle der Sozialpartner gestärkt werden muss (13). Er betont darüber hinaus, dass in diesem Zusammenhang die nationalen Wirtschafts- und Sozialräte konsultiert werden sollten. |
3.4 Das Flexicurity-Konzept
3.4.1 |
Als Rahmen für nationale Reformen und politische Optionen kann Flexicurity für die Erreichung der Ziele der erneuerten Lissabon-Strategie eine wichtige Rolle spielen. Allerdings sind weder das Konzept noch die Komponenten der Flexicurity neu. In den ersten beschäftigungspolitischen Leitlinien, die 1998 im Zusammenhang mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie verabschiedet wurden, erging der Appell an die Sozialpartner, ein Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Sicherheit auszuhandeln. |
3.4.2 |
Der EWSA weist darauf hin, dass es kein Patentrezept, sondern für jeden Mitgliedstaat eine andere „richtige Mischung“ gibt. Der EWSA hat bereits betont, dass es in der Flexicurity-Debatte bisher fast ausschließlich um die Erhöhung der externen Flexibilität und um die Möglichkeiten, durch verstärkte Arbeitsmarktmaßnahmen bzw. Sozialschutzbestimmungen einen Ausgleich für diese Erhöhung zu schaffen, gegangen ist. Das Augenmerk sollte aber auf andere Aspekte gerichtet werden, damit letztlich Situationen entstehen können, die für alle Beteiligten von Vorteil sind (14). Im Rahmen von Verhandlungen über ausgewogene und gerechte Regelungen führt die Flexicurity zu einer Bestimmung des Gleichgewichts zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Bezug auf ihre Rechte und Pflichten (15). |
3.4.3 |
Flexicurity spielt u.a. eine Rolle bei der Bewertung der nationalen Reformpläne durch die Kommission oder bei der Erörterung der arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen durch den Ratsvorsitz. Sie ist zu einem Rahmen für die Beurteilung der Arbeitsmärkte der Mitgliedstaaten geworden, Die Kommission sollte alle neueren Entwicklungen und Beiträge zur Kenntnis nehmen. Für die Bewertung der unterschiedlichen, oft sehr komplexen Bedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten ist eine enge Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren von wesentlicher Bedeutung. Die Sozialpartner müssen konsultiert werden, bevor die Regierungen ihre nationalen Reformpläne vorlegen. |
3.5 Aspekte der Umsetzung der Flexicurity
3.5.1 |
Der EWSA hat bereits unterstrichen, dass das Flexicurity-Konzept nicht für eine einseitige und ungerechtfertigte Beschneidung der Arbeitnehmerrechte steht, die vom EWSA abgelehnt wird (16). Die europäischen Sozialpartner (17) haben die Mitgliedstaaten aufgefordert, das Arbeitsrecht, die Beschäftigungsschutzsysteme und — gemeinsam mit den Sozialpartnern — die Methoden der Tarifverhandlungen zu überprüfen und, falls erforderlich, anzupassen, um folgende Ziele zu erreichen:
|
3.5.2 |
Der EWSA teilt die Einschätzung, dass umfassende Strategien des lebenslangen Lernens und sinnvollere Investitionen in Humanressourcen für die Erreichung der Lissabon-Ziele von entscheidender Bedeutung sind. Gleichwohl zeigen EUROSTAT-Statistiken, dass hinsichtlich der Teilnahme von Arbeitnehmern an Maßnahmen des lebenslangen Lernens keine oder nur geringe Fortschritte erzielt wurden. Die Bedeutung des lebenslangen Lernens für die Verbesserung der Fähigkeiten, der Karrierechancen und der Produktivität von Arbeitnehmern wurde bereits in einer Reihe kürzlich verabschiedeter Stellungnahmen des EWSA herausgestellt. Trotz der zahlreichen bisherigen Anstrengungen in diesem Bereich bleibt für die Mitgliedstaaten und andere Akteure in der Praxis noch viel zu tun. 2002 vereinbarten die europäischen Sozialpartner einen Aktionsrahmen für die lebenslange Entwicklung von Kompetenzen und Qualifikationen. |
3.5.3 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass integrative Sozialsysteme in Verbindung mit aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen die Arbeitsvermittlung verbessern, die Innovation fördern und die Produktivität in sensiblen Industriebereichen, die für die künftige Wettbewerbsfähigkeit Europas entscheidend sind, steigern. Ein wichtiger Aspekt der Flexicurity sind Leistungen bei Arbeitslosigkeit (mit hoher Lohnersatzrate), die ergebnis- und beschäftigungsorientiert sind und dabei zusätzliche Möglichkeiten für eine angemessene Arbeitsvermittlung (d.h. die Vermittlung hochwertiger Arbeitsplätze) und eine verstärkte Beschäftigungssicherheit schaffen. Es geht also nicht nur darum, dass Ersatzleistungen in „angemessener“ Höhe geboten werden, sondern auch darum, dass sie die Beibehaltung eines geeigneten Lebensstandards sicherstellen und nachhaltig sind und dass sie mit Aktivierungsstrategien und hochwertigen Arbeitsvermittlungsdiensten verknüpft werden. |
3.5.4 |
Der EWSA hat bereits auf die Bedeutung der Gleichstellung von Frauen und Männern hingewiesen (18). Erforderlich sind Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben ermöglichen, sowie Maßnahmen, die es Frauen und Männern erlauben, ihr berufliches Potenzial auszuschöpfen und finanziell unabhängig zu werden. Der EWSA fordert das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen auf, die Flexicurity-Entwicklungen unter dem Gleichstellungsaspekt zu überwachen. |
3.5.5 |
Die geografische und berufliche Mobilität von Arbeitnehmern ist erforderlich, um effiziente Arbeitsmärkte sicherzustellen und dem Missverhältnis zwischen Beschäftigungsnachfrage und Beschäftigungsangebot durch den Abbau von Engpässen in bestimmten Sektoren und Berufen entgegenzuwirken. Die geografische Mobilität kann zu einer Aufwärtskonvergenz der Arbeits- und Lebensbedingungen beitragen. Darüber hinaus haben diese beiden Formen der Mobilität erhebliche Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung. In den letzten Jahren wiesen die Mitgliedstaaten mit den höchsten allgemeinen Mobilitätsniveaus auch hohe Wirtschaftswachstums- und niedrige (bzw. signifikant zurückgegangene) Arbeitslosenquoten auf. Dies weist auf einen Zusammenhang zwischen Mobilitätsniveaus und der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und der Beschäftigungsmärkte hin. |
3.6 Flexicurity und die verschiedenen Interessenträger
3.6.1 |
Der EWSA unterstreicht die Bedeutung des Sozialen Dialogs und der aktiven Beteiligung der Sozialpartner an den relevanten Ebenen der Gestaltung und Umsetzung der Flexicurity-Politik (19). Wie der EWSA bereits in seiner früheren Stellungnahme betont hat, ist die Stärkung der Systeme der Arbeitsbeziehungen auf europäischer und nationaler Ebene für jede Diskussion über Flexicurity von wesentlicher Bedeutung. |
3.6.2 |
Flexicurity erfordert ein Klima des Vertrauens und einen breit angelegten Dialog zwischen den Interessenträgern sowie die Bereitschaft aller Beteiligten, im Hinblick auf sozial ausgewogene Maßnahmen Verantwortung für Veränderungen zu übernehmen. Das umfasst auch die Möglichkeiten der Überwachung und Bewertung der Umsetzung wie auch der Ergebnisse dieser Maßnahmen. |
3.6.3 |
Die Zivilgesellschaft muss auch eine Rolle bei der Umsetzung der Flexicurity spielen. Gemeinnützige Organisationen erbringen wesentliche Dienste für gefährdete oder marginalisierte Personen und tragen zur Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben bei. Bildungsverbände fördern und ermöglichen das lebenslange Lernen für Erwachsene. Die organisierte Zivilgesellschaft kann dazu beitragen, die Qualität der Beschäftigung zu verbessern, und mindert Risiken der Diskriminierung für die am meisten gefährdeten Gruppen auf dem europäischen Arbeitsmarkt, z.B. junge und alte Menschen, Frauen, Zuwanderer und Behinderte. |
4. Empfehlungen
4.1 |
Der EWSA ersucht die Kommission, die unterschiedlichen Beiträge und Standpunkte bezüglich ihrer Mitteilung sowie andere aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen. Bei der Konzipierung und Implementierung der Flexicurity müssen auch die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner auf allen Ebenen eine Rolle spielen. Das ist insofern wichtig, als die Flexicurity als Kriterium bei der Beurteilung der nationalen Reformprogramme der Mitgliedstaaten herangezogen wird. |
4.2 |
Sofern die Mitgliedstaaten gemeinsame Prinzipien in ihre nationalen Reformprogramme aufnehmen und damit einen ihren Bedingungen und Methoden entsprechenden einzelstaatlichen Policy-Mix entwickeln, sollte nach Auffassung des EWSA die Kommission den gesamten Prozess überwachen und eine Plattform zum Austausch bewährter Verfahren und zum Leistungsvergleich — insbesondere unter Beteiligung der Sozialpartner wie auch der organisierten Zivilgesellschaft — einrichten. Der EWSA begrüßt die von der Kommission initiierte Sondierungsmission „Mission for Flexicurity“. |
4.3 |
Der EWSA befürwortet die aktive Beteiligung der Sozialpartner an der Konzipierung und Umsetzung der Flexicurity-Maßnahmen in allen Phasen des Prozesses. Er hat bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass „es eines starken und lebendigen Sozialen Dialogs [bedarf], an dem die Sozialpartner aktiv beteiligt sind und in dessen Rahmen sie über die Konzipierung und Gestaltung der Flexicurity verhandeln, sie beeinflussen und verantworten sowie die Umsetzung bewerten können“ (20). |
4.4 |
Das gegenseitige Vertrauen zwischen den beteiligten Akteuren ist sehr wichtig. Die organisierte Zivilgesellschaft kann insofern eine bedeutende Rolle spielen, als sie das Vertrauen stärkt sowie den arbeitsmarktfernsten Personen Möglichkeiten des Berufseinstiegs bietet. |
4.5 |
Wichtige Voraussetzungen für das Funktionieren der Flexicurity ist eine solide makroökonomische Politik, die das Wirtschaftswachstum und ein günstiges Unternehmensumfeld fördert und damit zur vollständigen Ausschöpfung des Wachstumspotenzials beiträgt. |
4.6 |
Der EWSA ermutigt die Mitgliedstaaten und die EU, einen einfachen, transparenten und zuverlässigen Rechtsrahmen, der die Anpassungsfähigkeit begünstigt, zu schaffen und aufrechtzuerhalten, die Arbeitnehmerrechte zu stärken und ihre Einhaltung und Einklagbarkeit zu verbessern sowie überall in der Union einen stabilen Rechtsrahmen für Tarifverhandlungen und den sozialen Dialog bei der Umsetzung der Flexicurity zu fördern. Alle Flexicurity-Modelle basieren auf einer Politik, die ein hohes Sozialschutzniveau gewährleistet, auf der Kostenübernahme durch angemessen finanzierte öffentliche Dienste und auf einem soliden Rechtsrahmen für die Tarifverhandlungen und den sozialen Dialog. Innerhalb dieses Rahmens sind die ILO-Arbeitsnormen und die einschlägigen EU-Rechtsvorschriften wichtige Grundlagen, da sie transparent und zuverlässig sind. |
4.7 |
Allgemeine Sozialsysteme können die Mobilität verbessern, indem sie sicherstellen, dass die Arbeitnehmer keine Nachteile hinnehmen müssen, wenn sie mit beruflichen Veränderungen konfrontiert sind. Die Einhaltung der Informations- und Konsultationsregeln der Mitgliedstaaten und der EU sind wichtig, um sich rechtzeitig auf Veränderungen einzustellen und mögliche Folgen abzuschwächen. In einer früheren Stellungnahme hat der EWSA vorgeschlagen, die Richtlinie zu europäischen Betriebsräten zu überarbeiten (21); die Kommission hat eine zweite Konsultationsphase eingeleitet, die die den Sozialpartner die Möglichkeit eröffnet, Verhandlungen im Hinblick auf die Überarbeitung der geltenden Rechtsvorschriften aufzunehmen. Der Ausschuss fordert den Rat und die Kommission auch auf, Lösungen für noch nicht verabschiedete Rechtsvorschriften im sozialen Bereich zu finden. |
4.8 |
Der EWSA betont, dass für die Flexicurity entsprechende Finanzmittel bereitgestellt werden müssen. Die Umsetzung der Flexicurity ohne Investitionen zur Stärkung von Institutionen, aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und lebenslanges Lernen wird nicht zu einem hochwertigen Arbeitsmarkt führen. Dazu gehört auch die Ausweitung der sozialen Sicherung auf prekäre Arbeitsverhältnisse. Im Zentrum der Maßnahmen sollte die Eingliederung von Frauen, Jugendlichen und älteren Menschen in den Arbeitsmarkt stehen. Die Umsetzung der Flexicurity erfordert einen ganzheitlichen und konsequenten Ansatz. Wichtig wäre in dieser Hinsicht eine angemessene finanzielle Ausstattung der EU-Fonds, z.B. des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). |
4.9 |
Der EWSA unterstreicht die Bedeutung von Synergieeffekten zwischen den relevanten Politikbereichen: Wachstum, Beschäftigung, sozialer Zusammenhalt und Umwelt sind Bereiche, die denselben Stellenwert haben und sich gegenseitig bereichern. Nachhaltiges Wachstum ist abhängig von Verbesserungen des Sozialsystems und der Umweltqualität. |
4.10 |
Der EWSA fordert einen integrierten Ansatz auf mehreren Ebenen. Angesichts der Vielschichtigkeit der Flexicurity ist es wichtig, eine Integration auf verschiedenen Politikebenen anzustreben. Eine kohärentere Herangehensweise an das Problem und eine stärkere Interaktion zwischen den verschiedenen Akteuren und Ebenen sind erforderlich, um den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu verbessern. |
4.11 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass neue Risiken beachtet und Übergänge bei der Flexicurity abgefedert werden sollten. Die Globalisierung verstärkt die Unsicherheiten für Arbeitnehmer und Unternehmen. Die neuen Risiken müssen berücksichtigt werden, um die Herausforderungen durch die Globalisierung zu bewältigen. Wesentlich ist dabei eine positive hochwertige Förderung der Arbeitsplatzmobilität durch Investitionen in das Humankapital und eine verbesserte Übertragbarkeit von Rechten. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) „Key challenges facing European labour markets: A joint analysis of European social partners“
(Oktober 2007; Anm. d. Übers.: Das Dokument ist nur auf Englisch verfügbar).
(2) Internet: http://www.ceep.eu/media/right/publications/key_market_challenges_facing_european_labour_markets
(3) Stellungnahme des EWSA vom 11. Juli 2007 zum Thema „Flexicurity (die Dimension der internen Flexibilität — Tarifverhandlungen und Sozialer Dialog als Instrumente der Arbeitsmarktregulierung und -reform)“; Berichterstatter: Herr JANSON (ABl. C 256 vom 27.10.2007).
(4) Siehe: http://www.etuc.org/a/3356: „Climate change and employment“ („Klimawandel und Beschäftigung“).
(5) Stellungnahme des EWSA vom 24. Oktober 2007 zum Thema „Der Klimawandel und die Lissabon-Strategie“, Berichterstatter: Herr EHNMARK (NAT/362, ABl. C 44 vom 16.2.2008), Ziffer 1.11.
(6) Siehe Fußnote 1.
„Assessing the impact of labour market policies on productivity: a difference-in-differences approach“, OECD, Social, Employment and Migration Working Papers, Nr. 54, 2007; Internet: http://www.oecd.org/dataoecd/27/20/38797288.pdf
(7) „European Working Conditions Survey“, Eurofound (Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen).
(8) Gemeinsame Untersuchung (siehe Fußnote 1).
(9) Ebenda.
(10) Stellungnahme des EWSA vom 13. September 2006 zum Thema „Qualität des Arbeitslebens, Produktivität und Beschäftigung im Kontext von Globalisierung und demographischem Wandel“, Berichterstatterin: Frau ENGELEN-KEFER (ABl. C 318 vom 23.12.2006), Ziffer 1.1.
(11) Stellungnahme des EWSA zum Thema „Beschäftigungspolitische Leitlinien“ (SOC/303), Berichterstatter: Herr GREIF (voraussichtliche Verabschiedung im März 2008). Das von der Kommission im Dezember 2007 vorgeschlagene neue Paket der beschäftigungspolitischen Leitlinien ist mit dem vorhergehenden Paket (2005-2008) identisch.
(12) Stellungnahme des EWSA vom 31. Mai 2007 zu den „Beschäftigungspolitischen Leitlinien: 2005-2008“, Berichterstatter: Herr MALOSSE (ABl. C 286 vom 17.11.2005), Stellungnahme des EWSA vom 17. Mai 2000 6 zu den „Beschäftigungspolitischen Leitlinien“, Berichterstatter: Herr GREIF (ABl. C 195 vom 18.8.2006) und Stellungnahme des EWSA vom 24. April 2007 zu den „Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen“, Berichterstatterin: Frau O'NEILL (ABl. C 168 vom 20.7.2007).
(13) Stellungnahme des EWSA vom 17. Mai 20006 zu den „Beschäftigungspolitischen Leitlinien“, Berichterstatter: Herr GREIF (ABl. C 195 vom 18.8.2006).
(14) Stellungnahme des EWSA vom 11. Juli 2007 zum Thema „Flexicurity (die Dimension der internen Flexibilität — Tarifverhandlungen und Sozialer Dialog als Instrumente der Arbeitsmarktregulierung und -reform)“; Berichterstatter: Herr JANSON (ABl. C 256 vom 27.10.2007), Ziffer 1.1.
(15) Ebenda, Ziffer 4.1.
(16) Ebenda, Ziffer 1.4.
(17) Siehe Fußnote 1.
(18) Stellungnahme des EWSA vom 11. Juli 2007 zum Thema „Flexicurity (die Dimension der internen Flexibilität — Tarifverhandlungen und Sozialer Dialog als Instrumente der Arbeitsmarktregulierung und -reform)“; Berichterstatter: Herr JANSON (ABl. C 256 vom 27.10.2007).
(19) Ebenda, Ziffer 4.1.
(20) Stellungnahme des EWSA vom 11. Juli 2007 zum Thema „Flexicurity (die Dimension der internen Flexibilität — Tarifverhandlungen und Sozialer Dialog als Instrumente der Arbeitsmarktregulierung und -reform)“; Berichterstatter: Herr JANSON (ABl. C 256 vom 27.10.2007), Ziffer 1.3.
(21) Stellungnahme des EWSA vom 13. September 2006 zum Thema „Europäische Betriebsräte: Eine neue Rolle zur Förderung der europäischen Integration“, Berichterstatter: Herr IOZIA (ABl. C 318 vom 23.12.2006).
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/54 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles“
KOM(2007) 424 endg.
(2008/C 211/16)
Die Europäische Kommission beschloss am 18. Juli 2007 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. April 2008 an. Berichterstatterin war Frau KÖSSLER.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 128 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der EWSA begrüßt den politischen Willen der Kommission, sich weiterhin um die Bekämpfung der ungleichen Entlohnung von Frauen und Männern zu bemühen. Ebenso wie die Kommission nimmt er die Tatsache, dass nichts auf einen spürbaren Abbau des Lohngefälles hindeutet, sehr ernst. Das Gefälle besteht trotz der eingeleiteten Maßnahmen und der ehemals zu seiner Bekämpfung eingesetzten Mittel fort. Deshalb ist es wichtig, dass sich alle Akteure an den Bemühungen beteiligen und den Willen zeigen, echte Veränderungen herbeizuführen. Die in der Lissabon-Strategie verankerte EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung ist ein wichtiges Instrument zur Förderung der Gleichheit auf dem Arbeitsmarkt und zur Reduzierung des zwischen Frauen und Männern bestehenden Lohngefälles. Lohngleichheit ist eine Voraussetzung für die Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Strategie, die Sicherung des Wohlstands der Bürger und die Gewährleistung der Wettbewerbsfähigkeit Europas. Sie ist sowohl für die Zukunft der Frauen als auch der Männer von Bedeutung. |
1.2 |
Der EWSA stellt im Hinblick auf den Kampf um gleiche Löhne und Gehälter folgende Empfehlungen heraus und richtet sich dabei an die Institutionen der EU, die einzelstaatlichen Regierungen, die nationalen Gleichbehandlungsstellen und die Sozialpartner. |
1.2.1 |
Nach Auffassung des EWSA sollte jeder Mitgliedstaat sicherstellen, dass der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit, wie er in der Richtlinie 75/117/EWG zum Ausdruck gebracht ist, in der innerstaatlichen Gesetzgebung und in den Tarifverhandlungen Anwendung findet. |
1.2.2 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten ihre Anstrengungen auf die Bekämpfung der Ursachen des Lohngefälles konzentrieren müssen. Diese hängen damit zusammen, dass die von Männern und Frauen geleistete Arbeit unterschiedlich bewertet wird, dass es auf dem Arbeitsmarkt eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gibt und dass Männer und Frauen in einem unterschiedlichen Verhältnis zum Berufsleben stehen und sich auch ihre Macht- und Statusposition voneinander unterscheidet. |
1.2.3 |
In Bezug auf die geltenden Vorschriften ist es erforderlich, dass
|
1.2.4 |
In Bezug auf die Übereinkommen der Sozialpartner muss sichergestellt sein, dass
|
1.2.5 |
Da die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt der Schlüssel zur Beseitigung der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen ist, ist es wichtig, dass
|
1.2.6 |
Die Mitgliedstaaten müssen darüber hinaus dafür sorgen, dass
|
1.2.7 |
Der Ausschuss fordert das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen auf, das geschlechtsspezifische Lohngefälle in seiner Arbeit vorrangig zu behandeln. |
1.2.8 |
Der Ausschuss zeigt sich sehr besorgt über die Ergebnisse des Kommissionsberichts „Gleichstellung von Frauen und Männern — 2008“ (4). Aus dem Bericht geht hervor, dass Frauen in Bereichen, die für die wirtschaftliche Entwicklung wichtig sind und in denen üblicherweise hohe Löhne gezahlt werden, unterrepräsentiert sind. Eine große Herausforderung besteht demnach darin, den qualitativen Aspekt der Gleichstellung zu fördern. |
1.2.9 |
Der Ausschuss unterstützt ferner die „Europäische Plattform für Wissenschaftlerinnen“ (5) und appelliert an alle betroffenen Kreise auf europäischer und nationaler Ebene, Frauen in Wissenschaft und Forschung besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Lediglich 29 % der Wissenschaftler und Ingenieure in der EU sind Frauen. |
1.3 |
Der Ausschuss hofft, dass die staatlichen Einrichtungen in den Mitgliedstaaten sowie die führenden Politiker im Hinblick auf die Umsetzung der in dieser Stellungnahme aufgeführten Grundsätze ein vorbildliches Verhalten an den Tag legen werden. |
1.4 |
Der EWSA empfiehlt, dass dem Einfluss der Massenmedien bei der Beseitigung stereotyper Bilder von Frauen und Männern sowie bei der Förderung einer Repräsentation beider Geschlechter, die ihren Beitrag in allen gesellschaftlichen Bereichen genauer widerspiegelt, besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. |
2. Einleitung
2.1 |
Aus der Kommissionsmitteilung geht hervor, dass Frauen in der EU im Durchschnitt immer noch 15 % weniger verdienen als Männer. Die Beseitigung der ungleichen Entlohnung ist eines der Hauptanliegen des „Fahrplans für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2006-2010)“ (6). Die Frage des geschlechtsspezifischen Lohngefälles reicht weit über die Problematik „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ hinaus. Eine der Hauptursachen hängt mit der Art und Weise zusammen, wie die Kompetenz von Frauen im Vergleich zu denen von Männern bewertet wird. Arbeitsaufgaben, für die vergleichbare Qualifikationen oder Erfahrungen erforderlich sind, werden im Allgemeinen schlechter bezahlt, wenn sie als typische Frauendomäne gelten. |
2.1.1 |
Das Lohngefälle ist auch Ausdruck von Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt, von denen in erster Linie Frauen betroffen sind — insbesondere von Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Frauen nehmen bei der Arbeit in stärkerem Maße Teilzeitvereinbarungen in Anspruch und nehmen häufiger eine Auszeit vom Berufsleben, was die Möglichkeiten des lebenslangen Lernens einschränkt und ihre berufliche Entwicklung behindert. Bei der Besetzung von Führungspositionen sind sie weiterhin im Rückstand, und beim Erklimmen der Karriereleiter treffen sie häufiger auf Hindernisse und Widerstände. Demzufolge weist die Karriere von Frauen häufiger Unterbrechungen auf, verläuft langsamer und ist kürzer als bei den Männern, so dass Frauen ein geringeres Einkommen erzielen. Aus Statistiken geht hervor, dass das Lohngefälle mit zunehmendem Alter, besserer Ausbildung und längerer Betriebszugehörigkeit zunimmt: Der Lohnunterschied beträgt über 30 % in der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen und 7 % bei jungen Menschen unter dreißig. Er liegt bei über 30 % bei Hochschulabsolventen und bei 13 % bei Menschen mit Grundschulbildung. |
2.1.2 |
In der Mitteilung werden vier Handlungsfelder umrissen:
|
2.1.3 |
In der Mitteilung werden die Ursachen des Lohngefälles untersucht und ein mögliches Vorgehen auf EU-Ebene geprüft. Der Hauptgedanke ist, dass man nur dann wirksam etwas gegen das Lohngefälle unternehmen kann, wenn man auf allen Ebenen vorgeht, alle Betroffenen einbezieht und alle Ursachen im Blick behält. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Der EWSA stimmt zu, dass alle Seiten an den Bemühungen um eine Reduzierung der Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern beteiligt werden müssen. |
3.1.1 |
Die Fortschritte, die Frauen in Bildung, Forschung und Unternehmertum gemacht haben, spiegeln sich nicht in ihrer Position auf dem Arbeitsmarkt wider. Die Erwerbsquote der Frauen ist niedriger als bei Männern (55,7 % im Vergleich zu 70 %); viel niedriger ist sie bei Frauen im Alter zwischen 55 und 64 (31,7 %). Die Arbeitslosigkeit ist außerdem bei Frauen höher als bei Männern (9,7 % gegenüber 7,8 %). |
3.1.2 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die einzelstaatlichen Regierungen und die nationalen Gleichbehandlungsstellen und insbesondere die Sozialpartner die Pflicht haben, dafür zu sorgen, dass die strukturellen Unterschiede, die sich in Form einer Segregation in verschiedenen Branchen, Berufssparten und Beschäftigungsmodi zeigen, beseitigt und Arbeitsentgeltsysteme geschaffen werden, die das bestehende Lohngefälle zwischen Frauen und Männern verringern. |
3.1.3 |
Die Fortschritte, die Frauen nicht zuletzt in solch wichtigen Bereichen wie Bildung und Forschung gemacht haben, spiegeln sich nicht in ihrer Vergütung und in ihren Einkommensverhältnissen wider. Ein Hauptgrund dafür, dass Frauen ein niedrigeres Einkommen haben als Männer, liegt darin, dass Frauen ihre berufliche Laufbahn unterbrechen, um sich den Kindern und der Familie zu widmen. Frauen sind es, die Kinder bekommen und unverhältnismäßig mehr Zeit als Männer damit verbringen, für die Kinder zu sorgen. Mutterschaftsurlaub bedeutet auch kürzere Erwerbszeiten, weniger Berufserfahrung und schlechtere Fortbildungsmöglichkeiten. Je länger die Auszeit dauert, desto größer sind die Einbußen in der Lohnentwicklung. Frauen tragen zudem überwiegend die Verantwortung für die Betreuung alter Menschen und Pflegebedürftiger. |
3.1.4 |
Die ungünstige Stellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt sowie die daraus resultierenden Einkommensunterschiede haben auch Auswirkungen auf ihre Rentenansprüche. Deshalb müssen die Rentensysteme angepasst werden, damit Frauen, die aufgrund eines Schwangerschafts- bzw. Erziehungsurlaubs ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen, nicht benachteiligt werden und so die Gleichstellung der Geschlechter mit dem langfristigen Ziel der Individualisierung der Renten gewährleistet werden kann (8). Männer und Frauen müssen sich die Verantwortung für die Familie teilen, und die elterliche Verantwortung darf nicht mit schlechteren Rentenbedingungen einhergehen. |
4. Besondere Bemerkungen
4.1 |
Im Vertrag von Rom wurde bereits 1957 in Artikel 119 der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit festgeschrieben. Gemäß diesem Artikel, der zu Artikel 141 EG-Vertrag wurde, stellt jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher. |
4.1.1 |
Daher können gemäß Absatz 4 dieses Artikels die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts positive Maßnahmen beibehalten oder beschließen. |
4.1.2 |
Die rechtlichen Möglichkeiten zur Ergreifung solcher positiven Maßnahmen sollten beibehalten und gegebenenfalls verstärkt werden, da es in Führungspositionen nach wie vor große Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt. 2000 waren lediglich 31 % der höheren Posten von Frauen besetzt; bis zum Jahr 2006 stieg dieser Anteil um nur einen Prozentpunkt auf 32 % (9). |
4.1.3 |
Die vom Rat 1975 angenommene Richtlinie 75/117/EWG sieht vor, dass das Prinzip des gleichen Entgelts für Männer und Frauen so zu verstehen ist, dass für eine gleiche oder gleichwertige Arbeit alle Formen der geschlechtsbezogenen Diskriminierung bei allen Aspekten und Bedingungen des Arbeitsentgelts beseitigt werden. Die meisten einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über den Grundsatz des gleichen Entgelts ebenso wie Tarifverträge gehen auf diese Bestimmungen des gemeinschaftlichen Besitzstandes zurück, der somit zur Stärkung der Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt beigetragen hat. |
4.1.4 |
Unter „Entgelt“ im Sinne von Artikel 141 des EG-Vertrages sind „die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt“. |
4.1.5 |
Die Vorschriften der Mitgliedstaaten hinsichtlich gleicher Einstellungs- und Einkommensbedingungen müssen kohärenter gestaltet werden, um die direkte und indirekte Diskriminierung von Frauen zu vermeiden. |
4.1.6 |
Die geltende Gesetzgebung wurde offensichtlich nicht ausreichend umgesetzt, um den Grundsatz des gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit durchzusetzen. Diese Art von Diskriminierung lässt sich nur schwer aufdecken. Die Betroffenen sind sich der Diskriminierung nicht immer bewusst und/oder können dies nur schwer beweisen. Nach Auffassung des Ausschusses müssen Arbeitnehmer bzw. deren Vertreter Zugang zu wirksamen Mitteln haben, um zu prüfen, ob sie für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit gleich entlohnt werden. |
4.1.7 |
Ein wirksamer Weg zur Überwachung und Gewährleistung einer gerechten Entlohnung besteht darin, dass Arbeitgeber in großen und mittleren Unternehmen jährliche Überprüfungen der Löhne und der Lohnentwicklung vornehmen, um Diskriminierungsprobleme in Systemen der beruflichen Einstufung aufzudecken und angemessene Lösungen umzusetzen, indem ein Gleichstellungsplan mit transparenten Entgeltregelungen erarbeitet wird, damit sichergestellt ist, dass die Fähigkeiten, die Erfahrungen und das Potenzial aller Mitarbeiter fair vergütet werden. Pläne zur gleichen Entlohnung sollten mit konkreten Zielvorgaben erarbeiten werden, beispielsweise Reduzierung der Lohnunterschiede um 1 % pro Jahr. In allen Mitgliedstaaten sollten Arbeitgeber den Arbeitnehmern und ihren Vertretern jährlich nach Geschlecht aufgeschlüsselte Lohnstatistiken vorlegen. |
4.1.8 |
Ein Hindernis bei der vollen Anwendung von Rechtsvorschriften ist der Mangel an Informationen und die Unkenntnis über die gültigen Bestimmungen bei den Betroffenen. Nur jeder dritte Befragte gibt an, über seine Rechte im Fall einer Diskriminierung Bescheid zu wissen (10). Nach Auffassung des Ausschusses ist es wichtig, sowohl Bürger im Allgemeinen als auch die Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und Angehörige von Rechtsberufen weiter über die Rechtslage zu informieren. |
4.1.9 |
Die Mitgliedstaaten müssen einen leichten Zugang zu Rechtsmitteln gegen Diskriminierungsfälle und zur Anzeige von Diskriminierungsfällen ermöglichen; es muss dem Beklagten obliegen, vor Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat (im Einklang mit der Richtlinie 97/80/EG). |
4.1.10 |
Trotz Rechtsvorschriften und Tarifverträgen konnte das zwischen Frauen und Männern bestehende Lohngefälle nicht ausgeglichen werden. Daran wird deutlich, dass den Lohnunterschieden andere Faktoren (psychologischer, sozialer und kultureller Art) zugrunde liegen, beispielsweise die Schwierigkeit, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Es ist wichtig, ein Gleichgewicht zwischen Privat- und Berufsleben zu schaffen. Deshalb ist der Ausschuss der Auffassung, dass der Kampf um gleiche Löhne und Gehälter auf vielen verschiedenen Gebieten weitergeführt werden muss. |
4.1.11 |
Die gesetzlichen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Sozialklauseln bei der öffentlichen Auftragsvergabe sollten genutzt werden, denn so können Wirtschaftsbeteiligte gefördert werden, die auf Gleichstellung und gerechte Entlohnung von Männern und Frauen setzen. |
4.1.12 |
Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung in den Mitgliedstaaten allen anderen Arbeitgebern ein Vorbild geben müssen, und zwar nicht nur im Hinblick auf Fragen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit gleicher Entlohnung bzw. gleichen Karrieremöglichkeiten stehen, sondern auch in Bezug auf die Schaffung organisatorischer Lösungen (z.B. im Bereich der flexiblen Arbeitszeit), die eine Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben ermöglichen, sowie der Schaffung von Lösungen im Bereich der Bildungspolitik zur Förderung der beruflichen Chancengleichheit von Männern und Frauen. |
4.1.13 |
In der Öffentlichkeit stehende Personen, beispielsweise Politiker, können einen großen Einfluss auf die Bewusstseinsbildung der Gesellschaft haben. Wenn sie sowohl im beruflichen als auch im privaten Leben mit gutem Beispiel vorangehen, kann dies eine bessere Wirkung haben als zahlreiche kostenaufwendige Förderprogramme. |
4.2 Beseitigung des Lohngefälles als Teil der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten
4.2.1 |
Die in der Lissabon-Strategie verankerte EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung ist ein wichtiges Instrument zur Förderung der Gleichheit auf dem Arbeitsmarkt und zur Reduzierung des zwischen Frauen und Männern bestehenden Lohngefälles. Der Ausschuss hält Maßnahmen für wichtig, mit denen der Zugang und die Beteiligung aller am Arbeitsmarkt gesteigert werden können, wozu nach Möglichkeit auch Strukturfondsmittel eingesetzt werden sollten |
4.2.2 |
Der Ausschuss schlägt folgende Maßnahmen vor:
|
4.3 Der Ausschuss schlägt folgende Maßnahmen zur Förderung der Gleichheit in der allgemeinen und beruflichen Bildung vor:
— |
Die Teilnahme von Frauen an Berufs- und Arbeitsmarktbildungsmaßnahmen im Technologie- und Informatikbereich fördern und den Frauenanteil erhöhen (insbesondere auf den höheren Ebenen im IT-Bereich). |
— |
Die Entwicklung im Wege von Ausbildung, Praxis und anderen Arbeitsmarktmaßnahmen ankurbeln und fördern, damit mehr Männer einen Beruf im Dienstleistungssektor und Gesundheits- und Pflegewesen ergreifen. |
— |
Das Angebot an Aus- und Weiterbildung flexibler gestalten, damit auch Frauen in ländlichen und dünn besiedelten Gebieten erreicht werden. |
— |
Die Möglichkeiten für Frauen, ihre beruflichen Qualifikationen durch Fortbildung im Elternurlaub und unmittelbar bei Rückkehr an den Arbeitsplatz zu verbessern, sollten gefördert werden. |
4.4 Der Ausschuss schlägt folgende Maßnahmen zur Schaffung und Verbesserung der Möglichkeiten zur Unternehmensgründung durch Frauen vor:
— |
Die Strukturfonds zur Förderung der Unternehmensgründung durch Frauen einsetzen (11). |
— |
Leitendes Personal, Führungskräfte und Berater für Unternehmensgründungen für die Gleichbehandlung sensibilisieren und zur Beachtung von Gleichstellungsfragen anregen. |
— |
Neue Ausrichtung und Gestaltung der (finanziellen und technischen) Unterstützungsdienste für KMU, um den Bedürfnissen von Frauen, die ein eigenes Unternehmen gründen und aufbauen wollen, besser gerecht zu werden. |
— |
Finanzielle Unterstützung/Darlehen für Unternehmensgründerinnen bereitstellen. |
— |
Förderung von Netzwerken und Organisationen für Unternehmerinnen und von Mentoring für Frauen durch Frauen. |
— |
Besondere Unterstützung für Frauen, die in Telekommunikations- und High-Tech-Branchen ein Unternehmen gründen und ausbauen wollen. |
— |
Unterstützung für Frauen, die im sozialwirtschaftlichen Bereich Initiativen fördern und ergreifen. |
4.5 Das Recht von Frauen auf Erwerbstätigkeit und Versorgung muss gestärkt werden. Sowohl Frauen als auch Männer sollten mit dem eigenen Lohn oder Gehalt ihr Auskommen finden. Der Ausschuss schlägt folgende Maßnahmen für die Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf vor:
— |
Staatlich geförderte Kinderbetreuungseinrichtungen ermöglichen es Eltern, erwerbstätig zu bleiben, und können die Dauer von Laufbahnunterbrechungen verkürzen. |
— |
Förderung der Berufsausbildung von Kinderbetreuungs- und Pflegepersonal. |
— |
In Ländern, in denen es derzeit keinen bezahlten Elternurlaub gibt, sollte ein solcher eingeführt werden (z.B. durch die Übernahme der in den EU-Institutionen geltenden Bestimmungen). Ferner sollte die Möglichkeit eines längeren Elternurlaubs mit finanziellem Ausgleich geschaffen werden. Es muss möglich sein, dass sich die Eltern den Elternurlaub teilen. Bei den Bemühungen um eine größere Verantwortung der Väter in der Familie ist die Tatsache, dass ein Teil des Elternurlaubs den Vätern vorbehalten ist, ein großer Fortschritt. Finanzielle Anreize als Ausgleich für den Wegfall des Einkommens würden dazu beitragen, dass mehr Männer Vaterschaftsurlaub nehmen (dieses Thema steht auf der Tagesordnung der europäischen Sozialpartner, die in der zweiten Runde der Anhörung der europäischen Sozialpartner zur Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben unterbreitet wurde) (12). |
— |
Mithilfe von Fernarbeit bzw. Telearbeit mehr Möglichkeiten für jene schaffen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht pendeln können, um an Ausbildungsmaßnahmen teilzunehmen und eine Arbeit anzunehmen. |
— |
Möglichkeiten für Schulungen für den beruflichen Wiedereinstieg schaffen, u.a. durch steuerliche Maßnahmen. Diese Bildungsmaßnahmen sollten an Frauen gerichtet sein, die aufgrund eines Eltern- bzw. Erziehungsurlaubs eine längere Auszeit genommen haben. |
— |
Öffentlich geförderte Dienstleistungen für alte Menschen und Pflegebedürftige erleichtern insbesondere die Beteiligung der Frauen am Arbeitsleben. |
4.6 Der Ausschuss schlägt folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Beteiligung und des Einflusses von Frauen vor:
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Für ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern in Ausschüssen und beschlussfassenden Organen sorgen. |
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Repräsentative Gleichstellungs- und Frauenorganisationen an Aufsichtsorganen, Partnerschaften und anderen Foren beteiligen. |
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Möglichkeiten zur Beförderung von Frauen auf Leitungs- und Beschlussfassungsposten in Organen verbessern, die Führungs- und Implementierungsaufgaben haben. |
— |
Frauen müssen einen bleibenden, dauerhaften gleichberechtigten Platz im Arbeitsleben haben, so dass sie nicht nur in Zeiten der Hochkonjunktur auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind und von einem Wirtschaftsabschwung als erste und am härtesten betroffen sind. |
— |
Regelmäßiger Gedankenaustausch mit Gleichstellungsorganisationen. |
4.7 Beachtung der Lohngleichheit und der gesellschaftlichen Verantwortung durch die Arbeitgeber
4.7.1 |
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit wird in Europa zunehmend anerkannt, auch wenn dieser Grundsatz nicht in allen 27 EU-Mitgliedstaaten eine Selbstverständlichkeit ist. Obwohl das über 50 Jahre alte (1951 angenommene) IAO-Übereinkommen Nr. 100, in dem es in Artikel 2 heißt, dass „jedes Mitglied […] mit den Mitteln, die den bestehenden Verfahren zur Festsetzung der Entgeltsätze entsprechen, die Anwendung des Grundsatzes der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit auf alle Arbeitnehmer zu fördern und, soweit es mit diesen Verfahren vereinbar ist, sicherzustellen [hat]“, von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurde, herrscht immer noch die stillschweigende Annahme, dass sich die Frau auf das Einkommen des Mannes stützen kann — eine Annahme, die an der heutigen Wirklichkeit vorbeigeht. Auch ist es nicht selbstverständlich und allgemein akzeptiert, dass gleichwertige Arbeit gleich entlohnt wird. Es ist überaus schwierig, Arbeiten und Berufe daraufhin zu bewerten, ob sie gleichwertig sind. Einige Rechtsfälle können in diesem Bereich als Richtschnur dienen. |
4.7.2 |
Arbeitgeber können aus Sicht des Ausschusses mit folgenden Maßnahmen zur Reduzierung des Lohngefälles beitragen:
|
4.8 Verstärkter Austausch bewährter Verfahren in der EU und Einbeziehung der Sozialpartner
4.8.1 |
Nach Auffassung des Ausschusses besteht ein konkreter Weg zum Erfolg im Austausch und der Förderung bewährter Verfahren und in einem intensiveren Dialog zwischen den Mitgliedstaaten. Eine echte Gleichstellung und eine gerechte Entlohnung lassen sich nur dann erreichen, wenn alle Mitgliedstaaten konstruktive Maßnahmen ergreifen und sich für die Beseitigung des Lohngefälles zwischen Frauen und Männern stark machen. Den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sowie dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen kommt bei der Verwirklichung dieser Zielsetzung eine wichtige Rolle zu. |
4.8.2 |
Die Sozialpartner müssen sich in den Tarifverhandlungen gezielt für den Abbau von Einkommensunterschieden einsetzen. Ein konkretes Beispiel einer solchen erfolgreichen Initiative ist der von europäischen Sozialpartnern 2005 angenommene Aktionsrahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern, in dem das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu den vier Prioritäten zählt (14). |
4.8.3 |
In den Entgeltstatistiken müssen diverse Änderungen vorgenommen werden, damit die Informationen über das Lohngefälle eine bessere Entscheidungsgrundlage liefern. Die Gründe für Lohngefälle bedürfen einer genaueren Prüfung; die gemeinsame Nutzung der resultierenden Erkenntnisse kann dazu dienen, Diskriminierung aufzuzeigen, zu beheben und zu verhindern. |
4.8.4 |
Zu diesem Zweck sollten die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit Sitz in Dublin und das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen vergleichbare Statistiken aus den Mitgliedstaaten über den Frauenanteil in Leitungs- und Führungspositionen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor sowie Statistiken über die Fortschritte der einzelnen Mitgliedstaaten im Bereich des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit vorlegen. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Artikel 4: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1998:014:0006:0008:DE:PDF
(2) Dieses Thema steht auf der Tagesordnung der europäischen Sozialpartner, die in der zweiten Runde der Anhörung der europäischen Sozialpartner zur Vereinbarkeit von Berufs-, Privat- und Familienleben unterbreitet wurde.
(3) Diesbezüglich verweist der EWSA auf seine zahlreichen Empfehlungen, die er bereits in früheren Stellungnahmen ausgesprochen hat, zuletzt in der Stellungnahme zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (gemäß Artikel 128 EG-Vertrag)“ (SOC/303), Berichterstatter: Herr Greif, CESE 282/2008 (SOC/303), insbesondere Ziffer 2.3.
(4) KOM(2008) 10 endg. vom 23.1.2008.
(5) Siehe www.epws.org.
(6) EWSA-Stellungnahme zum Thema „Gleichstellung von Frauen und Männern: Fahrplan 2006-2010“, Berichterstatterin: Grace Attard, ABl. C 318 vom 23.12.2006. Folgende weitere Stellungnahmen sind in diesem Zusammenhang zu nennen: EWSA-Stellungnahme vom 28.9.2005 zur „Schaffung eines Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen“, Berichterstatterin: Frau Štechová (ABl. C 24 vom 31.1.2006), EWSA-Stellungnahme vom 29.9.2005 zum Thema „Armut unter Frauen in Europa“, Berichterstatterin: Frau King (ABl. C 24 vom 31.1.2006). Zu erwähnen sind an dieser Stelle auch die EGB-Charta zum Gender Mainstreaming in Gewerkschaften, verabschiedet am 23. Mai 2007 auf dem Kongress des Europäischen Gewerkschaftsbunds in Sevilla, und das Handbuch der Europäischen Kommission zum Gender Mainstreaming in der Beschäftigungspolitik, Juli 2007.
(7) Siehe Fußnote 3.
(8) EWSA-Stellungnahme vom 29. November 2001 zum Thema „Wirtschaftswachstum, Besteuerung und Nachhaltigkeit der Rentensysteme in der EU“ (ABl. C 48 vom 21.2.2002); Berichterstatter: Herr Byme, Mitberichterstatter: Herr van Dijk.
(9) Eurostat, Erhebung der Gemeinschaft über Arbeitskräfte, Führungskräfte in der EU — Verteilung nach Geschlechtern 2000 und 2006.
(10) Eurobarometer.
(11) Siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Unternehmergeist und Lissabon-Agenda“ vom 25. Oktober 2007, Berichterstatterin: Frau Sharma, Mitberichterstatter: Herr Olsson, ABl. C 44 vom 16.2.2008.
(12) In Dänemark sind alle Unternehmen seit dem 1. Oktober 2006 gesetzlich verpflichtet, in einen nationalen Ausgleichsfonds für Elternurlaub einzuzahlen. Auf diese Weise wird kein Unternehmen aufgrund von Entgeltzahlungen im Zusammenhang mit dem Elternurlaub benachteiligt, und Eltern im Elternurlaub laufen nicht Gefahr, zu einer finanziellen Belastung für den einzelnen Arbeitgeber zu werden. Ein entsprechendes System gibt es in Island, wo alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in eine staatliche Elternurlaubskasse einzahlen. Ferner wurde dort ein dreigeteiltes Modell eingeführt, wonach die Mutter und der Vater jeweils ein Drittel des neunmonatigen Elternurlaubs nehmen, während sie sich das letzte Drittel teilen können. Seit Inkrafttreten dieser Regelung nehmen fast 90 % der Väter in Island Elternurlaub.
(13) Am 1. Juli 2006 wurde in Schweden ein neues Elternurlaubsgesetz erlassen, dem zufolge der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht aus Gründen, die mit dem Elternurlaub zusammenhängen, benachteiligen darf. Gemäß dem neuen Gesetz darf nun zwischen Arbeitnehmern im Elternurlaub und jenen, die nicht im Elternurlaub sind, kein Unterschied gemacht werden. Laut dem Gleichstellungsbeauftragten sind Arbeitnehmer im Elternurlaub so zu behandeln, als ob sie aktiv arbeiten würden. Frauen nehmen im Durchschnitt einen deutlich längeren Elternurlaub in Anspruch als Männer, so dass sie öfter als Männer auf Prämien und Zulagen verzichten müssen.
(14) Framework of Actions on Gender Equality:
http://ec.europa.eu/employment_social/news/2005/mar/gender_equality_en.pdf
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/61 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Verhütung von Terrorismus, Radikalisierung und Gewaltbereitschaft“
(2008/C 211/17)
In einem Schreiben vom 17. Dezember 2007 ersuchte Kommissionsvizepräsidentin Margot WALLSTRÖM den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu:
„Verhütung von Terrorismus, Radikalisierung und Gewaltbereitschaft“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. April 2008 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU, Mitberichterstatter Herr CABRA DE LUNA.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 147 Stimmen gegen 1 Stimme bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Einleitung
1.1 |
Die Kommission hat den Ausschuss um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zur Terrorismusprävention und insbesondere zu Maßnahmen zur Verhütung von Radikalisierung und Gewaltbereitschaft ersucht. Sie plant, im Juli 2008 eine Mitteilung zu diesem Thema vorzulegen. Hauptziel der Mitteilung ist die Ermittlung bewährter Verfahren in Form von Maßnahmen, Aktionen und Initiativen zur Verhütung von Radikalisierung und Gewalttätigkeit. Gegenstand dieser Mitteilung sind voraussichtlich die zunehmende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft in Gefängnissen und anderen Orten, an denen Personen besonders anfällig oder leicht rekrutierbar sind, die von gewaltbereiten Extremisten verbreiteten Diskurse und Ideologien sowie das Engagement und die Stärkung der Zivilgesellschaft. |
1.2 |
Nach dem Ende des Kalten Krieges und in der Zeit der wirtschaftlichen Globalisierung haben sich die internationalen Kräfteverhältnisse grundlegend verändert, was Auswirkungen auf den Charakter universeller Institutionen wie der Vereinten Nationen gehabt hat, die eine rasche Zunahme neuer staatlicher Gebilde erlebten (und diese anerkannten), die Souveränität reklamieren und erklären, dass sie sich dem Völkerrecht unterstellen. |
1.3 |
Darüber hinaus sind Konflikte in einigen dieser neuen Länder ausgebrochen, und bewaffnete Bewegungen halten nach wie vor Teile ihres Staatsgebiets besetzt; die Menschenrechte werden dort häufig mit Füßen getreten. |
1.4 |
Gebiete oder Landesteile, die schlecht zu kontrollieren oder außer Kontrolle sind, bieten den Führern bedeutsamer terroristischer Gruppen Unterschlupf, die ihr Lager gern dort aufschlagen, wo es keinen Rechtsstaat und keine Freiheitsrechte mehr gibt. |
1.5 |
Die klassische Kriegsführung taugt immer weniger als Mittel gegen eine diffuse Bedrohung, die in verschiedenen Formen auftritt, deren Strukturen verstreut sind und die sich des Fundamentalismus und einer antidemokratischen politischen Ideologie von Organisationen und informellen Gruppen bedient, die zur Anwendung politischer Gewalt bereit sind. |
1.6 |
Das Ausbleiben einer friedlichen Regelung der Palästina-Frage und anderer bewaffneter Konfliktsituationen in der Welt ist ebenfalls ein politischer Faktor, der extremistischen Ideen und terroristischen Akten auf internationaler Ebene in die Hände spielt, wobei allerdings zu bedenken ist, dass die große Mehrzahl terroristischer Akte im Rahmen interner Konflikte verübt wird. |
1.7 |
Mit sicherlich unzureichendem Aufwand wurden die Motivationen und Rekrutierungsmethoden untersucht, die — wie im Fall des 11. September 2001 — leitende Angestellte, Ingenieure, Intellektuelle zu Planern und Urhebern von Selbstmordanschlägen machen können, deren Koordinierungsgrad und Ausmaß auf ein hohes Maß an Entschlossenheit und Intelligenz und an Penetrationsfähigkeit in demokratische Gesellschaften hindeuten. Ein möglichst tiefes Verständnis der hier waltenden ideologischen und psychologischen Triebkräfte ist unerlässlich für die Entwicklung einer angepassten und sich auf Augenhöhe bewegenden Gegenstrategie, zusätzlich zu den notwendigen geopolitischen Analysen und zum Einsatz aller Mittel der nachrichtendienstlichen Erkennung und des Informationsaustauschs. |
1.8 |
Mit der Krise der Nationalstaaten, bei der die Kommunikationsmittel und die Globalisierung eine globale Welt geschaffen haben, in der viele Probleme nicht mehr auf rein nationaler Ebene zu lösen sind, geht eine Krise des Völkerrechts einher, das keine abschreckenden Kontrollinstrumente und erst recht keine geeigneten juristischen Interventionsmöglichkeiten bereithält. Nur der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist mit ausreichenden Befugnissen ausgestattet, die jedoch durch das Vetorecht, über das fünf Staaten verfügen, relativiert werden. |
1.9 |
Eine konsequente und erneuerte multilaterale Ordnung könnte hingegen die globalen, klimatischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme bestmöglich lösen; der internationale Terrorismus könnte in einem multilateralen Rahmen wirkungsvoller bekämpft werden, der für die Koordinierung und die Zusammenarbeit zwischen Regierungen und internationalen Einrichtungen (Interpol) sorgt und in den nichtstaatliche Organisationen (NGO) als Wächter über die Wahrung der Demokratie und den Schutz der Verfahrensrechte und der staatsbürgerlichen Freiheiten eingebunden sind. |
2. Verantwortung Europas — gegenwärtig durchgeführte und geplante Maßnahmen
2.1 |
Eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus auf Ebene der Europäischen Union würde es erfordern, dass die Mitgliedstaaten zu einer gemeinsamen Definition des Verbrechens des Terrorismus gelangen und auch ihr Strafrecht im Hinblick auf die Einstufung als Straftat und die Strafandrohung annähern. Dieser Prozess, ebenso wie die Annahme des europäischen Haftbefehls, wurde rasch eingeleitet, und der Rat fasste im Laufe der Zeit — insbesondere seit den neunziger Jahren — entsprechende Rahmenbeschlüsse. |
2.2 |
Seit den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika wurde sowohl international als auch auf europäischer und gemeinschaftlicher Ebene für die unerlässliche Koordinierung gesorgt: der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in Verbindung mit Interpol, die NATO für militärische Einsätze, der Europarat insbesondere mit einer Europäischen Konvention gegen den Terrorismus, die OSZE und schließlich die Europäische Union und Europol. Kooperationen wurden mit den USA, den Maghreb-Staaten und der Afrikanischen Union aufgebaut, und für bestimmte Länder wurden punktuelle Hilfseinsätze im militärischen, polizeilichen und finanziellen Bereich eingeleitet. |
2.3 |
Ein Konsens hat sich in den Gemeinschaftsorganen und -einrichtungen ebenso wie in den Mitgliedstaaten auf Ebene der führenden Politiker und der großen Mehrheit der Bürger in der Frage der Definition des Terrorismus und hinsichtlich der Arten legaler oder illegaler Handlungen, die nicht unter diese Definition fallen, herausgebildet; schließlich müssen sich die Anstrengungen gezielt auf die Bedrohung und ihre sich wandelnden Formen richten, um die Kräfte nicht zu zersplittern und unnötige Einschränkungen individueller und kollektiver Rechte und Freiheiten zu vermeiden. |
2.4 |
In einigen Staaten Afrikas und besonders des Mittleren Ostens, in denen eine autoritäre Regierung herrscht, ist jedoch eine Tendenz festzustellen, im Namen der Terrorismusbekämpfung gegen jegliche Form der politischen Opposition vorzugehen. Dies muss Anlass zur Sorge für die EU und ihre Mitgliedstaaten sein, von denen einige wirtschaftliche und politische Beziehungen und eine militärische Kooperation mit den Führern dieser Länder unterhalten und ihren Einfluss zur Begrenzung solcher Auswüchse geltend machen sollten. |
2.5 |
Das schwierigste Problem auf internationaler Ebene ist es offenbar, eine geeignete Antwort auf die Bedrohungen zu finden, die ständig in der ganzen Welt von diversen terroristischen Gruppen ausgehen und gegen Botschaften oder andere „Ziele“, insbesondere Zivilisten, gerichtet sind; und aus geographischen Gründen ist gerade Europa das Gebiet, in dem die Gefahr terroristischer Anschläge am höchsten ist. |
2.6 |
Hinter den Terrorakten steht die Absicht, eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit zu erzeugen und die demokratischen Einrichtungen ins Wanken zu bringen. Man muss sich also hüten, nicht im Namen der Sicherheit in die Falle ungerechtfertigter Einschränkungen der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten zu tappen. Die am stärksten bedrohten Länder leben seit Jahren in einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Ausnahmesituation, und einige Maßnahmen können über das unumgängliche oder handhabbare Maß hinausgehen, zum Beispiel im Hinblick auf die persönlichen Daten der Passagiere im Transatlantikverkehr, die viel zu detailliert abgefragt und zu lange gespeichert werden. |
2.7 |
Die Überwachung von Netzen, die nahezu allgegenwärtige Videoüberwachung an öffentlichen Orten und öffentlich zugänglichen privaten Orten, die Art der Grenzkontrollen, die Umschließung von Demonstrationen, die eingehenden Sicherheitskontrollen auf Flughäfen können, wenn das Maß überschritten wird, eine Beeinträchtigung des Privatlebens, des freien Verkehrs und allgemein der bürgerlichen Rechte insgesamt sein. Dies kann der Unterstützung der Bürger für die Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung Abbruch tun, weil sie diese Maßnahmen vor allem als gegen sie selbst gerichtet wahrnehmen können. |
2.8 |
Die Eingriffe in das Leben der Bürger, die verstärkten Kontrollen bergen darüber hinaus das (bereits vielfach zum Ausdruck gebrachte) Risiko, dass sich die Kontrollen immer häufiger auf bestimmte, genau umgrenzte „sichtbare Minderheiten“ richten, die sich daraufhin immer stärker stigmatisiert und als Opfer einer ethnischen oder rassistischen Diskriminierung fühlen. Das Toleranzmaß ist bereits bei weitem überschritten, was zu einer gewissen „gewaltbereiten Radikalisierung“ in Situationen beiträgt, in denen es zu einem Konflikt oder zu einer Konfrontation zwischen Polizei oder Armee und jungen Leuten in bestimmten städtischen Ghettos kommt, bei der auch öffentliche und private Gebäude und Güter beschädigt oder zerstört werden. |
2.9 |
Wenn man aber nun diese Ausbrüche von Gewalt in den Städten unter die Überschrift „Radikalisierung und Gewaltbereitschaft“ stellt, die als Vorform des Terrorismus oder gar als eine Form des Terrorismus per se gilt, kann dies zu einer zu weit gefassten Definition der rechtswidrigen Handlung des Terrorismus, des versuchten Terrorismus oder der Beihilfe dazu führen, die sich auch auf diverse Formen von Gewalt erstreckt, hinter denen, so schwerwiegend sie auch sein mögen, nicht unbedingt die Absicht steht, einen terroristischen Akt zu verüben, auch wenn diese Gewalt erhebliche Sachschäden und teilweise schwere Verletzungen verursacht. |
2.10 |
Der Beweggrund für die Tathandlung oder den Versuch ist ausschlaggebend dafür, jemanden als Terroristen einzustufen. |
2.11 |
Terroristische Gruppierungen sind in der jüngeren Vergangenheit in Europa aufgetreten und auch heute noch präsent. Für politische Gewalt gibt es keine zu rechtfertigende Motivation in demokratischen Ländern, in denen es möglich ist, politische Parteien zu bilden und sich an regelmäßigen, fairen Wahlen auf allen Ebenen — der kommunalen, der nationalen und, was hier relevant ist, der europäischen — zu beteiligen. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 |
Auch wenn Einigkeit über die Definition des Terrorismus besteht, können einige neue Begrifflichkeiten Probleme aufwerfen, wie zum Beispiel die „Radikalisierung und Gewaltbereitschaft“; die Europäische Kommission sieht darin „das Phänomen, dass Personen, die bestimmte Anschauungen, Meinungen und Gedanken vertreten, zu terroristischen Handlungen gebracht werden können“ im Sinne von Artikel 1 des Rahmenbeschlusses von 2002. |
3.2 |
Dies wurde im Burgess-Bericht an das EP in Bezug auf den neuen Begriff der „Radikalisierung und Gewaltbereitschaft“ im Zusammenhang mit der Unterstützung und der Rekrutierung für den Terrorismus hervorgehoben, in dem ebenfalls das Hauptproblem bei der Definition von Radikalisierung und Gewaltbereitschaft und ihrer Prävention in der „Intention“ gesehen wird. Außerdem ist Radikalisierung oft ein Prozess, der sich zeitlich über Jahre hinstrecken kann, so dass Zeit für einen Dialog und für Bildungs- und Informationsinitiativen und sonstige Präventivmaßnahmen ist. |
3.3 |
Der Terrorismus ist eine schon alte Gegebenheit des politischen Lebens, die sich heute die globalen Kommunikationsmittel, die Steuerparadiese und die Möglichkeiten zunutze macht, die sich in Ländern bieten, die eine schwache Regierung haben oder in denen der staatliche Apparat zusammengebrochen ist, um dort Stützpunkte und Ausbildungslager einzurichten. Es handelt sich gleichwohl mehr um etwas nebelartig Verschwommenes als um ein einheitlich strukturiertes internationales Netz. |
3.4 |
Der neueste Aspekt seiner Wirkung ist aber sicherlich in den Medien zu sehen, die augenblicklich und global zur Stelle sind, um detailliert und leicht erfassbar mit Bildern und manchmal geradezu in Live-Manier von Attentaten zu berichten, die ein Echo von bisher unbekanntem Ausmaß hervorrufen. Die Pressefreiheit verbietet es jedoch, diesen Wettlauf um Sensationen zu bremsen, was de facto ganz erheblich den Effekt der Angst und Unsicherheit in der Zivilbevölkerung verstärkt und den terroristischen Anschlägen Publicity gibt. |
3.5 |
Das Internet ist ein Kommunikationsraum, der zur Verbreitung von Ideologien, die Gewalt befürworten und Helfer oder gar Kandidaten für Selbstmordanschläge werben, sowie zur Verständigung zwischen den Attentätern und ihren Führern und zur Verbreitung von Techniken, wie z.B. der Herstellung selbstgebauter Bomben, genutzt wird. |
3.6 |
Doch abgesehen vom Aufspüren von Websites, die den Terrorismus verherrlichen, wird es angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten der Kodierung und der Verschleierung schriftlicher oder mündlicher kodierter Informationen schwierig sein, die Kommunikation zwischen bestimmten Gruppen zu kontrollieren. |
3.7 |
Daher äußert der Ausschuss Zweifel an der vorhersehbaren Wirksamkeit verstärkter Maßnahmen zur Überwachung des Internet und der Kommunikation zwischen Privatpersonen, wie sie derzeit ausgearbeitet werden. |
3.8 |
Man wird bezweifeln dürfen, ob die Identitätskontrollen, die Durchsuchungen von Gepäck oder Fahrzeugen an Landgrenzen, auf Flughäfen, in Häfen und seltener auch an Busbahnhöfen oder Bahnhöfen Terroristen wirklich daran hindern, sich zu bewegen, auch wenn die höhere Fälschungssicherheit von Ausweispapieren ein gutes Mittel gegen gefälschte Identitätsdokumente ist. Diese Maßnahmen schränken Verbrecher zwar tatsächlich in einem gewissen Umfang in ihrer Bewegungsfreiheit ein, machen aber auch allen Bürgern das Leben schwer und können Schritt für Schritt zu einer wahrhaften Rundumkontrolle der Bewegungen von Personen werden, wenn man ebenfalls bedenkt, dass es immer mehr Video-Überwachungssysteme und private Wachleute gibt, elektronische Zugangsausweise zu öffentlichen und privaten Einrichtungen immer üblicher werden und der Standort von Personen über die Sender ihrer Mobiltelefone und andere Lokalisierungsmittel in Echtzeit bestimmt werden kann. Diese Maßnahmen halten aber Selbstmordkommandos nicht von der Tat ab. Sie vermitteln das Gefühl eines Polizeistaats, sofern keine demokratischen Vorkehrungen getroffen werden, durch die sichergestellt wird, dass der Einsatz dieser technischen Mittel nicht über das zur Erreichung ihrer Zielsetzung strikt notwendige Maß hinausgeht. Eine Lösung könnten hier nationale Organe zur Beaufsichtigung der Aufsichtspersonen und die Einrichtung einer europäischen Reflexionsgruppe in diesem Bereich und in der Frage der Karteien mutmaßlicher Terroristen sein. |
3.9 |
Im Prinzip behindert die Beaufsichtigung illegaler Finanzströme die Bürger in ihrem Alltag nicht wirklich, erlaubt jedoch die Überwachung illegaler Praktiken (Menschen-, Waffen-, Drogenhandel usw.), durch die dieses Kapital, das selbst illegal ist, angehäuft werden kann. Das trägt dazu bei, einerseits die Bereitstellung von Mitteln für terroristische Gewalttaten zu erschweren und andererseits das Wissen über den Nährboden, auf dem diese gedeihen, zu verbessern (1). Aber der Geldtransfer in bar oder durch ein System von Kontaktpersonen, bei dem jemand in einem Land Geld zahlt, das einem Mittelsmann in einem anderen Land wieder ausgezahlt wird, und Transaktionen, die per Post oder mit verschlüsselten Mitteilungen durchgeführt oder bestätigt werden, sind sehr schwer zu verhindern. Wirkungsvoll können Überwachung und Nachforschung vor allem bei der Sammlung von Geldern für humanitäre oder Wohltätigkeitsorganisationen sein, die über verdeckte Verbindungen zu terroristischen Gruppen verfügen. Es ist jedoch zu vermeiden, alle nichtstaatlichen Organisationen zu überwachen oder ihnen ihre humanitäre oder solidarische Arbeit und das Sammeln von Zuwendungen zu erschweren, denn dies würde ein Klima des Generalsverdachts erzeugen, das für alle Bürger störend wäre und die Arbeit ihrer Organisationen komplizierter macht, gelegentlich bis zu einem Punkt, wo es eine Behinderung für die normale Durchführung ihres Programms darstellt. |
3.10 |
Der Datenaustausch zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten betrifft besonders sensible Daten, wie Foto, Name, Anschrift, Fingerabdruck und genetischer Fingerabdruck sowie Zugehörigkeit zu diversen Organisationen. Es besteht nach wie vor Unsicherheit, ob der Schutz des Privatlebens wirklich garantiert ist und Speicherungs- oder Einschätzungsfehler in den Karteien des Visa-Informationssystems VIS oder des Schengener Informationssystems SIS, den erkennungsdienstlichen Karteien der Polizei und Akten unterschiedlicher Art ausgeschlossen sind, sowie darüber, ob die registrierten Personen die Möglichkeit haben, Fehleinträge korrigieren zu lassen. |
3.11 |
Letztlich liegt der wesentliche Beitrag der europäischen Ebene in der Harmonisierung, der Zusammenarbeit und der Verbreitung von Erfahrungen. Hier sind Verbesserungen nötig, wobei aber darauf zu achten ist, nicht stapelweise spezielle Rechtsvorschriften und Sondermaßnahmen anzuhäufen, solange die bestehenden Gesetze und Organe zur Bekämpfung der Groß- und Finanzkriminalität auf die Strafverfolgung des Terrorismus ausgeweitet werden können. |
3.12 |
Viele Schriften der einschlägigen Literatur belegen, dass die Verhängung des Ausnahmezustands, auch in milderer oder mittelschwerer Form, im Allgemeinen eine Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten, eine Erosion rechtsstaatlicher Garantien sowie eine Verdachtshaltung gegenüber Ausländern, legalen und illegalen Zuwanderern und Asylsuchenden mit sich bringt. Dies lässt sich in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten beobachten. Eine rassistische und fremdenfeindliche Stimmung macht sich breit, und es gilt, sich dieser Flut mit Wort und Vorbild entgegenzustellen. |
3.13 |
Die Aufgaben der Mitgliedstaaten, der EU-Institutionen, von Europol, Eurojust usw. sind klar festgelegt. Ein fortdauernder Verbesserungsbedarf besteht hingegen bei der operativen Art und Weise der Zusammenarbeit auf Ebene der Nachrichten- und Ermittlungsdienste. |
3.14 |
Ein präventives Vorgehen gegen Radikalisierung, Gewaltbereitschaft und Terrorismus setzt aber die Kenntnis des Milieus und der Ideologien voraus, die ein günstiger Nährboden dafür sind. Dies kann dazu beitragen, vorgefertigte, aber nicht nachgeprüfte Ideen fallenzulassen. |
3.15 |
Die Bekämpfungsmaßnahmen sind langfristig zu organisieren, denn die Demokratie und die Achtung der bürgerlichen Freiheiten müssen in Ländern, in denen die Regierung schwach ist oder nicht das gesamte Staatsgebiet kontrolliert, und in Ländern mit einem autoritären oder diktatorischen Regime erst (wieder) festen Fuß fassen. |
3.16 |
Nach Auffassung des Ausschusses darf die normalerweise diskrete Arbeit der polizeilichen Nachrichten- und Ermittlungsdienste nicht zwangsläufig von einer systematischen Geheimnistuerei gegenüber den Bürgern und ihren Vertretern auf der nationalen und europäischen Ebene begleitet sein. Ungeachtet des Kontextes muss ein Informationsgebaren herrschen, dass die Beteiligung der Bürger und eine demokratische Kontrolle in geeigneter Form begünstigt, vor allem deswegen, um keine Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit zuzulassen. |
4. Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Verhütung von Terrorismus, Radikalisierung und Gewaltbereitschaft
4.1 Die wichtige Aufgabe der Zivilgesellschaft
4.1.1 |
Die Zivilgesellschaft ist das hauptsächliche Opfer des internationalen Terrorismus (ganz gleich, ob er von extremem Nationalismus oder der Instrumentalisierung des religiösen Fundamentalismus motiviert ist oder einfach Gewalt als Selbstzweck versteht). Die Zivilgesellschaft ist mit einem Terrorismus konfrontiert, dessen Interesse in der kollektiven wahllosen Bestrafung liegt, um ein Klima des allgemeinen Terrors zu schaffen und den Staat dazu zu bewegen, sich seinen Forderungen zu unterwerfen. Die Zivilgesellschaft ist, wie der EWSA bereits in seiner Stellungnahme zum Thema „Mitwirkung der Zivilgesellschaft im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus“ (2) deutlich machte, gleichzeitig aber auch einer der hauptsächlichen Akteure jeglicher Strategie zur Terrorismusbekämpfung, sowohl in Bezug auf die Maßnahmen zur Begegnung der offenkundigen Folgen des Terrorismus als auch im Hinblick auf die Gründe für seine Entstehung. Dabei dürfen auch die wichtigen Tätigkeiten der Zivilgesellschaft bei der Betreuung der unter den Folgen des Terrorismus leidenden Opfer nicht vergessen werden. |
4.1.2 |
Aufgrund der wichtigen Rolle des Staates und des institutionellen Gefüges der Europäischen Union (EU) — insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Verteidigung, Justiz und Finanzen — bei der Bekämpfung der Symptome und offenkundigen Folgen des Terrorismus (Verhütung von Terroranschlägen, Verfolgung und Zerschlagung terroristischer Gruppen, Festnahme, strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung der Verantwortlichen von Terroranschlägen, Zudrehen ihrer Geldhähne …), kommt der Zivilgesellschaft in diesem Bereich eine wichtige Aufgabe zu, die sich folgendermaßen zusammenfassen lässt: |
4.1.2.1 |
Aktives Wachen darüber, dass im Zuge der Terrorismusbekämpfung die Grenzen des Rechtsstaats nie überschritten und stets die Menschenrechte, Werte, Prinzipien und Freiheiten gewahrt werden, die eine offene und demokratische Gesellschaft ausmachen. |
4.1.2.2 |
Zusammenarbeit mit den europäischen und nationalen Behörden auf allen Ebenen bei der Identifizierung von mit terroristischen Netzwerken in Verbindung stehenden Handlungen und Akteuren (besonders wichtig ist in diesem Bereich die Arbeit der Finanzinstitute und der Einrichtungen zur Verwaltung von Telekommunikationsdiensten). Dieser Zusammenarbeit muss die gegenseitige Verpflichtung aller beteiligten Parteien zu Grunde liegen, zur Erreichung des gemeinsamen Ziels der Terrorismusbekämpfung Informationen, Kapazitäten und Kräfte gemeinsam miteinander zu nutzen. |
4.1.2.3 |
Herstellung eines Dialogs mit den Verantwortlichen und sozialen Akteuren der Bevölkerungskreise, auf die sich terroristische Gruppen beziehen, um Hassreden und Gewaltbereitschaft gemeinsam anzuprangern und ihnen ihre Legitimation zu nehmen. |
4.1.2.4 |
Austausch von Erfahrungen zwischen den einzelnen sozialen Akteuren und nationalen und europäischen Behörden sowie von Praktiken zur Isolierung und Kontrolle von Einzelpersonen und Gruppen, die in eine Situation des Ausgegrenztseins geraten und zu Radikalisierung und Gewaltbereitschaft neigen können. Dabei muss stets strikt darauf geachtet werden, dass die Grundrechte und Grundfreiheiten sowie die Vorschriften des Rechtsstaats genauestens eingehalten werden. |
4.1.2.5 |
Einbringen von Erfahrungen (über Integrationsprozesse und die Denk-, Verhaltens- und Funktionsweise der Gruppen, die für dieses Thema von besonderer Bedeutung sind) in die Programme für die Weiterbildung des Personals der Polizei-, Sicherheits- und Geheimdienste, die die Hauptlast bei der Bekämpfung dieser Bedrohung tragen. |
4.1.2.6 |
Starten von Pilotprojekten, die sich auf solche Orte konzentrieren, die besonders empfänglich für Entfremdung, Radikalisierung und Rekrutierung sind (Gefängnisse, religiöse Stätten, Schulen, Vorstadtsiedlungen, Call Shops und Telekommunikationsläden usw.). Diese Projekte sollen darauf ausgerichtet sein, die Ausgrenzung, Radikalisierung und Dämonisierung von Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund ihrer sozialen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Religion zu verhindern. |
4.2 Integration als präventiver Ansatz: konkrete Vorschläge
4.2.1 |
Vor allem bei der Beobachtung der zugrunde liegenden Ursachen, die den Nährboden für terroristische Gewalttaten bilden, tritt die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft besonders deutlich hervor. Es versteht sich, dass, auch wenn keine der ermittelten Ursachen irgendeine Art von Gewalt rechtfertigen kann, es doch möglich ist, viele der terroristischen Taten als Ergebnis von Prozessen der Entfremdung, Radikalisierung und Rekrutierung zu betrachten, die durch horizontale Ungleichheiten zwischen Gruppen innerhalb desselben Gebietes, Phänomene der Ausgrenzung und Diskriminierung (in sozialer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht) sowie durch das Beurteilen von Handlungen verschiedener Akteure mit zweierlei Maß verstärkt werden. Die Integration ist deshalb der Schwerpunkt jeder umfassenden Strategie und muss mit möglichst präventiver Ausrichtung das Ziel haben: |
4.2.2 |
Formale und informelle Bildungsprogramme zu fördern, die darauf ausgerichtet sind, negative Vorurteile auszuräumen und Toleranz und das Zusammenleben auf der Grundlage gemeinsamer Werte zu ermöglichen, die sich vor allem an den Menschenrechten orientieren (dazu ist es unter anderem nötig, die Texte der aktuellen Schulbücher zu überarbeiten, um Vorurteile, die zur Konfrontation führen, umzuformulieren und in Motoren für Toleranz und multikulturelle Pädagogik zu verwandeln). |
4.2.3 |
Verpflichtungen (einschließlich eines Verhaltenskodex) der verschiedenen Kommunikationsmedien herbeizuführen, um Reden und Gedankengut, die Ausgrenzung, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit verstärken können, keine Plattform zu bieten. Unter uneingeschränkter Wahrung der Presse- und Meinungsfreiheit sollen Medienprodukte und Ansätze gefördert werden, die die im Lauf der Geschichte geteilten Werte und die Vorteile des multikulturellen Reichtums einer globalisierten Welt verbreiten. |
4.2.4 |
Mit Hilfe von Öffentlichkeitskampagnen integrative Botschaften und Ansätze zu verbreiten, die zur Berichtigung oder Substitution falscher Konzepte (islamischer Terrorismus versus internationaler Terrorismus, Assimilierung versus Integration) oder ungeeigneter sprachlicher Bilder (Einwanderer versus Bürger) beitragen, die die Spaltung und Konfrontation verstärken. |
4.2.5 |
Das Bewusstsein dafür zu stärken, wie wichtig es ist, die Menschenrechte zur wichtigsten Grundlage für das Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft zu erklären. In diesem Zusammenhang muss die organisierte Zivilgesellschaft ein wichtiger Motor für das Anliegen sein, eine Gesellschaft zu schaffen, deren Mitglieder alle über die gleichen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rechte verfügen und die gleichen Pflichten haben. |
4.2.6 |
Die Einrichtung gesellschaftlicher Plattformen zu fördern, an denen Akteure der verschiedenen Bevölkerungskreise beteiligt sind, die es in jedem nationalem Territorium gibt, und deren Ziel es ist, Mechanismen zur Integration und friedlichen Lösung von Differenzen aufzubauen. |
4.2.7 |
Die Führungspersönlichkeiten und zivilen Organisationen, die andere Bevölkerungskreise auf dem Gebiet der EU als hauptsächliche Ansprechpartner bei der Annäherung an Personen anderer Kulturen vertreten, zu ermitteln und zu unterstützen, und zwar zu dem zentralen Ziel, einen Dialog und deren Mitarbeit zu ermöglichen, um die Gründe für Entfremdung und Radikalisierung einiger ihrer Mitglieder zu beseitigen. |
4.2.8 |
Spezielle Programme zu entwickeln, die darauf ausgerichtet sind, Personen, die potenziell mit terroristischen Ideen und Handlungen sympathisieren und sich an typischen Orten für die Rekrutierung (Gefängnisse, religiöse Stätten …) aufhalten, zu entradikalisieren und zu ihrer sozialen Integration sowie zur Schaffung von Arbeitsplätzen beizutragen. |
4.2.9 |
Sich aus diesem Blickwinkel auf die dezentralisierte Zusammenarbeit sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene zu konzentrieren (wobei bereits definierte Rahmen, wie die Partnerschaft Europa-Mittelmeer, die Europäischen Nachbarschaftspolitik oder die Verbindungen zu den AKP-Staaten, genutzt werden können). In diesem Zusammenhang sollten durch die Ausschöpfung des großen Potenzials, das die Politik der Entwicklungszusammenarbeit der Mitgliedstaaten und der EU bietet, lokale Kooperationsprojekte ins Leben gerufen werden, an denen Akteure beteiligt sind, die sich zwar auf religiöse oder nationalistische Grundlage berufen, sich aber klar gegen Gewalt als Handlungsmittel aussprechen. |
4.2.10 |
In der EU und vor dem Hintergrund der Beziehungen mit anderen außereuropäischen Ländern deutlich die Anzahl und das Budget der Austauschprogramme für Ausbilder, Schüler, Journalisten, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, Verteidiger der Menschenrechte, Mitglieder nichtstaatlicher Organisationen usw. auszuweiten. Dabei soll insbesondere der Notwendigkeit Rechnung getragen werden, die Geschlechtergleichstellung zu verbessern. Das persönliche Wissen und der Austausch von Erfahrungen und Ideen sind vorrangige Methoden, um negative Vorurteile aus dem Weg zu räumen und eine gemeinsame Zukunft in einem Jahrhundert zu konstruieren, das im Zeichen der Multikulturalität stehen soll (3). In diesem Zusammenhang erscheint es äußerst empfehlenswert, die Strukturen des EWSA zu nutzen und zu stärken, um über seine aktiven Kontakte und seine Zusammenarbeit mit außereuropäischen Einrichtungen neue Vorgehensweisen zu erproben, die darauf ausgerichtet sind, die Radikalisierung bestimmter Einzelpersonen oder Gruppen zu vermeiden. |
4.2.11 |
Die Entwicklung und Stärkung von Plattformen zur integrativen Einbeziehung der (einheimischen und fremden) Bevölkerung zu begünstigen, die sich auf die Vertretung aller Bevölkerungsschichten anstatt auf nationalistische oder religiöse Profile gründen. |
4.2.12 |
Die Forschungstätigkeiten spezialisierter Zentren und Institute sowohl innerhalb der EU als auch in Zusammenarbeit mit Zentren in solchen Ländern zu fördern, die für dieses Thema von besonderem Interesse sind. Besondere Bedeutung muss der Unterstützung von Projekten und Studien zukommen, deren Ziel darin besteht, die Prozesse, die zu Entfremdung, Rekrutierung, Radikalisierung und Gewaltbereitschaft führen können, und die Interaktion zwischen den einzelnen beteiligten Variablen zu erforschen. |
4.3 Betreuung der Opfer
4.3.1 |
Und schließlich (aber darum nicht weniger wichtig) muss auch die Betreuung der direkten Opfer von Terroranschlägen als fester Bestandteil eines globalen Ansatzes verstanden werden, in dem die Zivilgesellschaft selbst eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Terrorismus einnimmt. Um zu vermeiden, dass die Opfer in Vergessenheit oder ins gesellschaftliche Abseits geraten, ist in diesem Bereich von vorrangiger Bedeutung: |
4.3.2 |
Sich dafür einzusetzen, dass den Opfern jedweder Art von terroristischen Handlungen sowohl auf nationalem Territorium als auch an jedem anderen Ort uneingeschränkt alle ihre Rechte (einschließlich angemessener wirtschaftlicher Entschädigungen) zuerkannt werden. |
4.3.3 |
Soziale (physische, psychologische und wirtschaftliche) Unterstützungsmechanismen zu entwickeln, die den Opfern bei der Traumaverarbeitung helfen und dämonisierendes oder offen rassistisches oder ausländerfeindliches Gedankengut gar nicht erst aufkommen lassen. |
4.3.4 |
Den politischen Willen der jeweiligen nationalen Regierungen und der EU zu mobilisieren, um offizielle Instrumente zur Anerkennung, Unterstützung und zum Schutz dieser Personen einzurichten. |
4.4 Die Menschen als Mittelpunkt der Bemühungen um Sicherheit und Prävention: flankierende Maßnahmen
4.4.1 |
Wenn man die Menschen als wichtigstes Gut eines jeden Staates und damit auch der EU sieht, führen die Erfordernisse der persönlichen Sicherheit, der Friedenssicherung und der Verhütung gewaltsamer Konflikte in diesem Fall zu folgenden Empfehlungen: |
4.4.2 |
Formulierung von Strategien und multidimensionalen Konzepten, um denen, die gemeinsam in einem Land leben, und ihren Nachbarn ein angemessenes Maß an Lebensstandard und Sicherheit zu gewährleisten. Dabei ist zu bedenken, dass, wenn man etwas für die Förderung der Entwicklung und der Sicherheit der anderen tut, man dadurch gleichzeitig auch die eigene Entwicklung und Sicherheit gewährleistet. |
4.4.3 |
Abbau der Ungleichheiten zwischen Bevölkerungsgruppen und Ländern bis zu deren völliger Beseitigung, denn dies ist der beste Weg zur Förderung der Sicherheit aller. Die gemeinsame Grundlage des Zusammenlebens und der Schwächung der terroristischen Bedrohung ist immer wieder die strikte Achtung der Menschenrechte und die Festigung eines demokratischen Umfelds bei gleichzeitiger Gewährleistung der freien Religionsausübung in einem von den Staatsangelegenheiten getrennten Rahmen. Dies impliziert wiederum, dass es keine gesellschaftlichen Räume geben darf, die abseits des Gesetzes stehen (juristische Randzonen oder Ghettos, die sich auf Gewohnheiten stützen, die aus dieser Sicht inakzeptabel sind). |
4.4.4 |
Verinnerlichung des Grundsatzes, dass Sicherheit nicht auf Kosten der Freiheit gehen und keine Abstriche an dem zu einer offenen und demokratischen Gesellschaft gehörenden Rechtsrahmen bedeuten darf, noch dass Methoden der Terrorismusbekämpfung angewandt werden, mit denen man sich auf das Niveau derer begibt, die man bekämpfen will. |
4.4.5 |
Anerkennung dessen, dass eine Strategie, wie sie die Terrorismusbekämpfung erfordert und die notwendigerweise multidisziplinär, multidimensional und langfristig angelegt sein muss, nur dann erfolgreich sein kann, wenn eigene Budgetmittel in ausreichender Höhe dafür bereitgestellt werden, in denen sich die gemeinsame Anstrengung der nationalen und der gemeinschaftlichen Ebene niederschlägt. |
4.5 Öffentlich-private Partnerschaften
4.5.1 |
Der Terrorismus ist eine diffuse, ständige und weltumspannende Bedrohung. Niemand ist davor gefeit, ihm zum Opfer zu fallen, und er ändert unablässig sein Gesicht und beschreitet andere Wege. Diese Einsicht führt zusammen mit dem Eindruck, dass es bisher nicht gelungen ist, eine angemessene Strategie zu seiner Bekämpfung zu formulieren, zu der Notwendigkeit, die Analysen, Einschätzungen und Methoden, mit denen man der Bedrohung Herr werden will, ständig neu auf den Prüfstand zu stellen. Dies ist eine Arbeit, an der alle mitwirken müssen, sowohl die Regierungen und die Gemeinschaftsinstitutionen als auch die Zivilgesellschaft in ihrer Gesamtheit. Bei diesem Unterfangen, das per Definitionem auf Einbindung angewiesen ist, stellt sich auch die Notwendigkeit, den potenziellen Nutzen öffentlich-privater Partnerschaften zu sondieren, womit keinesfalls gesagt werden soll, dass die Tür zu einer kontraproduktiven Privatisierung von Sicherheit und Verteidigung geöffnet werden soll, die einem gemeinsamen Ziel zu dienen haben: das Wohlergehen und die Sicherheit aller (4). Dieses Bestreben sollte sich auf folgende Grundlagen stützen: |
4.5.2 |
die Notwendigkeit der Ausarbeitung eines Begriffsglossars, mit dem die Begriffe vereinheitlicht werden, die sowohl in der Beratungs- als auch in der operativen Phase maßgebend für die von allen Beteiligten und Akteuren zu leistende Arbeit sind; |
4.5.3 |
die demokratische Kontrolle der Antiterrorismusstrategie auf allen Ebenen und in all ihren Ausprägungen; |
4.5.4 |
die Anerkennung der Bedeutung der Außenpolitik der Mitgliedstaaten und, auf Gemeinschaftsebene, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie der von den Mitgliedstaaten und der EU betriebenen Politik der Entwicklungszusammenarbeit für die Prävention gegen den Terrorismus und für die Entradikalisierung potenzieller Terroristen; |
4.5.5 |
die unabdingbare Notwendigkeit einer angemessenen und dauerhaften Zuweisung von Haushaltsmitteln für alle in dieser Stellungnahme empfohlenen Programme und Maßnahmen; |
4.5.6 |
die Zweckmäßigkeit, Wege des Dialogs und der Zusammenarbeit mit auf sozialer, politischer und wirtschaftlicher Ebene profilierten Akteuren und Organisationen sowohl inner- als auch außerhalb der EU zu öffnen oder offen zu halten in dem Bewusstsein, dass es nicht möglich ist, im Alleingang erfolgreich gegen diese Bedrohung zu bestehen, und dass eine Koordinierung der Bemühungen um die Aufstellung kohärenter, nachhaltiger Visionen und Handlungsstrategien Vorteile bringt. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Stellungnahme des EWSA vom 11.5.2005 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche einschließlich der Finanzierung des Terrorismus“, Berichterstatter: Herr Simpson (ABl. C 267 vom 27.10.2005), Ziffern 3.1.8 und 3.2.1.
(2) Sondierungsstellungnahme des EWSA vom 13.9.2006 zum Thema „Mitwirkung der Zivilgesellschaft im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus“, Berichterstatter: Herr Rodríguez García Caro, Herr Pariza Castaños, Herr Cabra de Luna (ABl. C 318 vom 23.12.2006), Ziffer 13.
(3) Stellungnahme des EWSA vom 20.4.2006 zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs (2008)“, Berichterstatterin: Frau Cser (ABl. C 185 vom 8.8.2006).
(4) Im Einklang mit den Bemerkungen in der Sondierungsstellungnahme des EWSA vom 13.9.2006 zu der „Mitwirkung der Zivilgesellschaft im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus“, Berichterstatter: Herr Rodríguez García-Caro, Herr Pariza Castaños, Herr Cabra de Luna (ABl. C 318 vom 23.12.2006), Ziffer 13.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/67 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament über vom Normalsatz abweichende Mehrwertsteuersätze“
KOM(2007) 380 endg. — SEK(2007) 910
(2008/C 211/18)
Die Kommission beschloss am 5. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament über vom Normalsatz abweichende Mehrwertsteuersätze“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 28. März 2008 an. Berichterstatter war Herr BURANI.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 mit 112 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission, die Grundlagen für eine im Europäischen Parlament und im Rat zu führende politische Debatte zu legen, um die allgemein akzeptierten Grundsätze für die Gewährung ermäßigter Sätze und von Ausnahmen bei der MwSt zu bestimmen. Da es sich um einen Prozess mit ausgesprochen politischem Charakter handelt, ist der als letzter Termin für die Annahme neuer Vorschriften anvisierte Zeitpunkt zum Jahresende 2010 absolut realistisch. |
1.2 |
Ursprüngliches Ziel der MwSt-Regelung war es, die Voraussetzungen für eine Harmonisierung im Steuerbereich zum Zweck eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts zu schaffen. Die zahlreichen inzwischen erfolgten Änderungen, insbesondere aber die Befreiungen und Ausnahmeregelungen, haben dieses Ziel konterkariert. Eine Vereinheitlichung der Ausnahmeregelungen scheint in der gegenwärtigen Situation die beste Möglichkeit zu sein. |
1.3 |
Die Ausnahmeregelungen werden heute in allen Mitgliedstaaten nach steuerlichen Kriterien angewandt und zudem durch politische und soziale Überlegungen beeinflusst. Sie sind dann zulässig, wenn sie keine grenzüberschreitenden Auswirkungen haben oder bereits akzeptierte gemeinschaftspolitische Grundsätze erfüllen. Der EWSA betont, dass Ausnahmeregelungen diesen Kriterien entsprechen müssen, aber vor allem — wenn auch nicht ausschließlich — unter dem Aspekt ihres Beitrags zur Einkommensumverteilung zu betrachten sind. |
1.4 |
Besondere Aufmerksamkeit sollte bei den Diskussionen den lokal erbrachten Dienstleistungen geschenkt werden, die nicht von einem anderen Ort aus erbracht werden können und folglich keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben: Zu dieser Kategorie gehören zahlreiche Aktivitäten, die neben einem unzweifelhaften wirtschaftlichen und sozialen Nutzen auch strittige Aspekte aufweisen oder unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten sind. Darunter fallen z.B.: Handwerkstätigkeiten, Gaststättengewerbe, öffentliche und private Dienstleistungen im Gesundheitswesen, arbeitsintensive Dienstleistungen, die von gering qualifizierten Arbeitskräften erbracht werden, sowie Bücher und Zeitschriften. |
1.5 |
Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass ermäßigte Steuersätze nach dem Grundsatz der Unterscheidung zwischen den Ausgaben von Gruppen mit niedrigem Einkommen und denen mit höherem Einkommen gewährt werden müssen. Es ist jedoch nicht ganz einfach, eine solche Unterscheidung vorzunehmen. Er betont, dass sich Ausnahmen vor allem an den Kriterien der Transparenz orientieren und diejenigen Kosten berücksichtigt werden müssen, die durch ungenaue oder zu allgemeine Bestimmungen für die Steuerverwaltungen und die Unternehmen verursacht und letztlich auf die Verbraucher abgewälzt werden. |
1.6 |
Besondere Aufmerksamkeit sollte den direkten Hilfen als Alternative zu den ermäßigten MwSt-Sätzen geschenkt werden: die Kommission stellt diese Lösung in den Raum, ohne jedoch Stellung zu beziehen. Der EWSA ist der Auffassung, dass diese Alternative mit besonderer Vorsicht zu würdigen ist und nur sparsam in jenen Fällen eingesetzt werden sollte, in denen andere Lösungen schwierig sind. Die Hilfen sollten auf gar keinen Fall die Form staatlicher Subventionen annehmen. |
2. Hintergrund
2.1 |
Die Mehrwertsteuerregelung ist per se komplex: Sie wurde 1977 als „provisorische“ Regelung (1) eingeführt und wird auch heute nach nunmehr über dreißig Jahren noch immer als solche bezeichnet. Im Laufe der Zeit wurde sie unzählige Male geändert, u.a. zwecks Anpassung an vorübergehende oder andauernde Gegebenheiten, aufgrund politischer Erwägungen, wegen Entwicklungen des Binnenmarktes oder Erweiterungen usw. |
2.2 |
Eine wichtige Maßnahme zur Vereinfachung des Arbeitsaufwands der Verwaltungen und der Wirtschaftsakteure wurde von der Kommission mit der „MwSt-Richtlinie“ von 2006 (2) ergriffen, mit der Ordnung in die Rechtsvorschriften gebracht und ein einziger Rechtstext für diesen Bereich geschaffen wurde. Die Grundprinzipien dieser neuen Richtlinie sind die von 1977, die 1992 teilweise überarbeitet wurden: generell gilt ein Normalsatz von mindestens 15 % (3), der in der Regel im Ursprungsland erhoben wird. Es sind jedoch Ausnahmeregelungen vorgesehen: Der Normalsatz kann gesenkt werden, und einige Waren oder Dienstleistungen können am Bestimmungsort versteuert werden. |
2.3 |
Nach den Vorschriften können die Mitgliedstaaten ein oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden, die jedoch auf die im Anhang zur MwSt-Richtlinie aufgeführten Güter und Dienstleistungen beschränkt sind (4). Sämtliche Mitgliedstaaten — mit der teilweisen Ausnahme von Dänemark — machen von dieser Möglichkeit Gebrauch, jedoch in unterschiedlichem Maße und für unterschiedliche Güter und Dienstleistungen, die sie aus der Liste der zugelassenen Gegenstände und Dienstleistungen ausgewählt haben. So unterschiedliche Vorgehensweisen sind weit davon entfernt, die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes notwendigen Grundsätze der Koordinierung in die Praxis umzusetzen. Die Kommission möchte nun eine „Einladung zu einer politischen Debatte“ im Rat und dem Europäischen Parlament — unter Beteiligung des EWSA, der um Stellungnahme ersucht wurde — aussprechen, um zwischen den Mitgliedstaaten eine Einigung auf eine neue Struktur für die ermäßigten Steuersätze herbeizuführen. |
2.3.1 |
Es handelt sich de facto um die Überprüfung der gesamten Struktur der spezifischen und befristeten Ausnahmeregelungen — von denen erstere für die älteren, letztere für die neueren Mitgliedstaaten eingeräumt wurden — und die Schaffung einer neuen Struktur, die den Zielen in Übereinstimmung mit der Logik des Binnenmarktes Rechnung trägt. Dies ist nicht einfach: es muss — auf gemeinschaftlicher Basis — ein Gleichgewicht zwischen allen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Erfordernissen gefunden werden, die seinerzeit die Ausnahmen gerechtfertigt haben, die anschließend von sämtlichen Mitgliedstaaten je nach ihren speziellen Bedürfnissen angewandt wurden. Die Kommission gibt sich hinsichtlich der Schwierigkeiten dieser Maßnahme keinen Illusionen hin: Sie geht davon aus, dass der Konsultationsprozess nicht vor Ende 2010 in eine Neuregelung münden kann. |
2.4 |
Ein erster notwendiger Schritt, um sämtliche Mitgliedstaaten in Bezug auf Ausnahmeregelungen gleichzustellen, wurde mit dem Richtlinienvorschlag unternommen, dem zufolge die neuen Mitgliedstaaten die ihnen eingeräumten befristeten Ausnahmeregelungen bis zum 31. Dezember 2010 beibehalten dürfen (5). Der Grund für diesen am 20. Dezember 2007 angenommenen Vorschlag liegt in den unterschiedlichen geltenden Bestimmungen für die Ausnahmen: Die bereits seit längerem beigetretenen Mitgliedstaaten können unbegrenzte Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen, während diejenigen für die neuen Mitgliedstaaten Ende 2007 ausgelaufen sind. Durch die Verlängerung, die den neuen Mitgliedstaaten am 20.12.2007 eingeräumt wurden, sind alle Mitgliedstaaten zumindest bis Ende 2010 gleichgestellt; die Kommission hofft, dass der Rat und das Europäische Parlament bis dahin ein Einvernehmen über eine feste und einheitliche Regelung für die vom Normalsatz abweichenden Mehrwertsteuersätze erzielt haben. |
2.5 |
Mit der in dieser Stellungnahme behandelten Mitteilung sollen die Voraussetzungen für eine „politische Debatte“ im Europäischen Parlament und im Rat geschaffen werden, um zu gemeinsamen Prinzipien zu gelangen, die die Formulierung von Rechtsvorschriften ermöglichen, deren Annahme sehr wahrscheinlich ist. Angesichts früherer und gegenwärtiger Erfahrungen ist die Kommission zu Recht sehr vorsichtig mit ihren Aussagen und offen in Bezug auf die zu treffenden Entscheidungen: Sie wartet auf entsprechende Signale. Sie beschränkt sich folglich darauf, in ihrer Mitteilung in ausgewogener Weise sämtliche sachdienlichen Elemente zu präsentieren, die in die Erwägungen und Bewertungen einfließen müssen, wobei sie sich auf die konsolidierten Grundsätze des Binnenmarktes und der Lissabon-Strategie stützt, ohne eindeutig Stellung zu beziehen. Diese Initiative ist nach Auffassung des EWSA entscheidend für die Zukunft des Binnenmarktes im steuerlichen Bereich — eine einmalige Gelegenheit, deren Erfolg vom Verantwortungsbewusstsein und guten Willen der Entscheidungsträger abhängt. |
3. Inhalt der Mitteilung
3.1 |
Die Mitteilung enthält die Zusammenfassung einer Studie der Beratungsgesellschaft Copenhagen Economics , die im Auftrag der Kommission und gemäß dem Mandat des Rates und des Europäischen Parlaments die Auswirkungen der ermäßigten MwSt-Sätze und der entsprechenden Ausnahmeregelungen unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Aspekte (Einkommensverteilung) und der Kosten des Systems untersucht hat. Der EWSA spricht der Kommission ein besonderes Lob für die Qualität des Dokuments aus, das auf der Grundlage der Studie erarbeitet wurde.. Dabei wurde nichts vernachlässigt und nichts übersehen: Es stehen alle Anhaltspunkte zur Verfügung, die für die Debatte notwendig sind. |
3.2 |
Einführend definiert die Kommission das von ihr verfolgte Ziel, „Chancengleichheit zwischen den Mitgliedstaaten sowie mehr Transparenz, mehr Kohärenz und vor allem das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts sicherzustellen, z.B. durch weniger Hemmnisse für grenzüberschreitende Aktivitäten und geringere durch die Mehrwertsteuer verursachte Befolgungskosten“ (6). |
3.3 |
Unter Hinweis auf die Studie von Copenhagen Economics weist die Kommission konkret darauf hin, dass ein einziger Mehrwertsteuersatz rein wirtschaftlich betrachtet die beste Gestaltungsalternative darstellt: er würde eine Verringerung der Verwaltungskosten für die Behörden und Unternehmen sowie — theoretisch — eine Verringerung der Wettbewerbsverzerrungen ermöglichen. Wie bei jeder starren Regelung besteht bei einem einzigen Mehrwertsteuersatz indes die Gefahr, dass er nicht unbedingt an sämtliche Umstände angepasst ist und daher mit einem gewissen Maß an Flexibilität gehandhabt werden muss: Dies ist das Prinzip, das den ermäßigten Steuersätzen zugrunde liegt. |
3.4 |
Die Anwendung ermäßigter Steuersätze folgt nicht nur wirtschaftlichen Kriterien, sondern orientiert sich auch an sozialen und politischen Kriterien: ein Beispiel dafür sind arbeitsintensive Dienstleistungen (insbesondere wenn sie von ungelernten Arbeitskräften erbracht werden) sowie lokal erbrachte Dienstleistungen, sofern sie keine relevanten Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Verkehr haben. Diese Kriterien basieren auf der Annahme, dass ermäßigte Steuersätze (und damit gedämpfte Preise) zu mehr Produktivität und mehr Beschäftigung führen würden, d.h. dass die Bürger verstärkt gewerbliche Dienstleistungserbringer in Anspruch nehmen würden, wodurch sowohl das „Do-it-yourself“ als auch die Ausgaben in der Schattenwirtschaft zurückgehen würden. |
3.5 |
Das vollständige Verzeichnis der Gegenstände und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MwSt-Sätze (gemäß Artikel 98 der MwSt-Richtlinie) angewandt werden können, ist der Richtlinie als Anhang III beigefügt; was die arbeitsintensiven Dienstleistungen angeht, so müssen diese (laut Artikel 107) drei Kriterien erfüllen: neben dem vorgenannten Kriterium müssen sie in weitgehendem Maße direkt an Endverbraucher erbracht werden, und sie müssen überwiegend lokalen Charakter aufweisen und dürfen nicht geeignet sein, Wettbewerbsverzerrungen hervorzurufen. Was die „normalen“Gegenstände und Dienstleistungen angeht, sind die Kriterien weniger explizit, aber bei Durchsicht des betreffenden Verzeichnisses fallen die „sozialen“ Gründe ins Auge: dabei handelt es sich um Nahrungsmittel, Arzneimittel, Wasser, Veröffentlichungen, Fernsehdienste usw. Der Ausschuss wird im Folgenden auf diese Aspekte eingehen (siehe Ziffer 4.12). |
3.6 |
Die Kommission geht auf ein Argument ein, das für ermäßigte MwSt-Sätze meist ins Feld geführt wird, nämlich dass dadurch mehr Gerechtigkeit entstehe, weil das Einkommen besser zugunsten der weniger wohlhabenden Schichten verteilt werde. Sowohl die Studie als auch — wie es scheint — die Kommission teilen diese Einschätzung nur mit gewissem Vorbehalt: die ermäßigten Steuersätze haben nur dann einen echten Umverteilungseffekt, wenn der Anteil der Ausgaben, die für die Inanspruchnahme von unter diese Regelung fallenden Gütern aufgewendet werden, im Lauf der Zeit stabil bleibt und zu einer echten Differenzierung zwischen Gruppen mit niedrigen Einkommen und solchen mit höheren Einkommen führt. In der Mitteilung wird außerdem hervorgehoben, dass von Land zu Land deutliche Unterschiede bestehen und dass die größere bzw. geringere Effizienz der ermäßigten MwSt-Sätze von den größeren bzw. geringeren Einkommensunterschieden zwischen den verschiedenen sozialen Schichten abhängt. |
3.7 |
Ein nicht unbedeutender Aspekt betrifft die Kosten des Systems: die vom Normalsatz abweichende MwSt-Sätze bringen einen hohen Verwaltungsaufwand für die Unternehmen und die Finanzverwaltungen mit sich, insbesondere wenn bezüglich ihrer Anwendung Auslegungsfragen zu klären sind, was fast schon die Regel ist. |
3.8 |
Die Kommission stellt unter Verweis auf die Studie das System der ermäßigten Mehrwertsteuersätze zwar nicht ausdrücklich in Frage, stellt jedoch Überlegungen an, ob die Ziele der Mitgliedstaaten nicht mit anderen politischen Instrumenten angemessener zu erreichen wären. Als Alternative bzw. eine der möglichen Alternativen führt sie direkte Hilfen an, mit denen sich die gleichen Ziele bei niedrigeren Kosten verwirklichen ließen. Dieses System könnte so konzipiert werden, dass negative Auswirkungen auf EU-Ebene vermieden werden; es würde mehr Transparenz gewährleisten und in den Haushalten der Mitgliedstaaten mit niedrigeren Kosten zu Buche schlagen. Es wird jedoch angemerkt, dass sich die direkten Hilfen als von zweifelhaftem Nutzen für die Unternehmen erweisen könnten: möglicherweise könnten sie nach dem Zufallsprinzip und mit zeitlicher Befristung gewährt werden, je nach Haushaltslage und aktueller politischer Orientierung in den Mitgliedstaaten. |
3.9 |
Die Kommission scheint dieser Alternative bzw. jeder Alternative zum System der ermäßigten MwSt-Sätze erhebliche Bedeutung beizumessen, denn sie „empfiehlt den Mitgliedstaaten, alle zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten sorgfältig zu untersuchen“. Ohne anscheinend Position zu beziehen, merkt sie Folgendes an: „Oft sind andere Instrumente als ermäßigte Sätze effizienter und für den Staatshaushalt kostengünstiger, was im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden sollte“. |
4. Bemerkungen und Kommentare
4.1 |
Der Kommission gebührt Lob für die Konsequenz und Ausgewogenheit ihrer Mitteilung. Der EWSA nimmt mit besonderer Zufriedenheit zur Kenntnis, dass sich seine bereits in früheren Stellungnahmen vertretenen Standpunkte, auf die im Lauf dieser Bemerkungen nochmals eingegangen werden soll, als stichhaltig erwiesen haben. Zunächst einmal verweist der Ausschuss im Zusammenhang mit den Ausführungen in Ziffer 3.9 auf die in seiner Stellungnahme zur Mehrwertsteuerrichtlinie (7) bekundete Verwunderung angesichts der Ausnahmeregelungen, in der er feststellte: „Die Ausnahmen … sollen [d.h. von den Mitgliedstaaten] offenbar nicht mit Blick auf ihre etwaige Aufhebung geprüft werden“. Dieser Standpunkt wird nun insbesondere durch die maßgebende Untersuchung von Copenhagen Economics bestätigt und untermauert, deren Auffassung die Kommission anscheinend teilt. Jedoch werden die Vorschläge für Alternativen fürs Erste Vorschläge bleiben, solange die Mitgliedstaaten nicht von ihrer derzeitigen Sichtweise abrücken. |
4.2 |
Die Mehrwertsteuer ist per se eine komplizierte, schwer anzuwendende, mit einem hohen Maß an Steuerhinterziehung einhergehende Steuer, deren Anwendung für die Mitgliedstaaten und die Unternehmen mit hohen Kosten verbunden ist (8). Vor allem aber wird nicht das ursprüngliche Ziel erreicht, eine endgültige Regelung zur steuerlichen Harmonisierung zu schaffen. Steuerliche Harmonisierung ist jedoch kein Ziel an sich, sondern eine notwendige Voraussetzung für das gute Funktionieren des Binnenmarktes. Dies waren jedenfalls die Absichten der Begründer des Systems, auf die die Kommission in ihrer Mitteilung vom Januar 1993 hingewiesen hat. Der Ausschuss hält dieses Dokument für einen Meilenstein in der Entwicklungsgeschichte der Mehrwertsteuer und bedauert, dass es (mit Ausnahme der Annahme des Mindestsatzes von 15 %) aufgrund des Widerstands einiger Mitgliedstaaten nicht weiterverfolgt wurde. Die Situation ist heute noch die gleiche: der Versuch der Kommission, zumindest bei den Ausnahmeregelungen Ordnung zu schaffen, ist sicherlich begrüßenswert, aber zugleich auch ein Beweis der Unfähigkeit, bei der steuerlichen Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene weiter voranzukommen. Die Schuld an dieser Situation trägt objektiv betrachtet nicht die Kommission, aber es wäre auch nicht gerecht, sie allein den Mitgliedstaaten zuzuweisen: das Grundproblem ist die Struktur der Mehrwertsteuer als „zeitlich befristete Regelung“, wie bereits weiter oben erläutert wurde. |
4.3 |
Man muss sich definitiv dessen bewusst werden und auch noch für lange Zeit hinnehmen, dass die Mehrwertsteuer in ihrer heutigen Form in allen Mitgliedstaaten überwiegend steuerlichen Kriterien folgt und zudem durch politische und soziale Überlegungen beeinflusst wird, die dazu führen, dass ermäßigte oder über dem Mindestsatz liegende Mehrwertsteuersätze angewandt werden. Auf Gemeinschaftsebene ist die Harmonisierung somit eine Bestrebung, die sich nicht in den Fakten niederschlägt; die jetzt vorgelegte Mitteilung ist ein Versuch, dieses Problem teilweise zu lösen: der ermäßigte MwSt-Satz soll zumindest für diejenigen Tätigkeiten harmonisiert werden, die grenzüberschreitende Auswirkungen haben oder bereits akzeptierte gemeinschaftspolitische Kriterien erfüllen. Der EWSA unterstreicht, dass die Entscheidungsträger sich stets vor Augen halten sollten, dass eines der Ziele des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes in einer Umverteilung des Einkommens besteht und sich dies konkret in den Fakten niederschlagen muss. Mit anderen Worten sollte jede Ermäßigung der Mehrwertsteuer sorgfältig daraufhin überprüft werden, dass sie tatsächlich einem sozialen Kriterium entspricht und nicht andere, weniger redliche Ziele verbirgt. Weitere Erfordernisse, die berücksichtigt werden müssen, sind die Vereinfachung der Auflagen und die Transparenz der Vorschriften: zwei Erfordernisse, die nicht nur den Unternehmen das Leben leichter machen, sondern auch den Steuerbehörden einfachere und wirtschaftlichere Kontrollen ermöglichen. |
4.4 |
Anhang III der MwSt-Richtlinie enthält ein Verzeichnis von 18 Kategorien, auf die ermäßigte MwSt-Sätze angewandt werden können; jeder Mitgliedstaat kann Kategorien auswählen, innerhalb dieser Kategorien Ausnahmen vorsehen und die Höhe des ermäßigten Steuersatzes festlegen. Der Mitteilung zufolge werden die Mitgliedstaaten deshalb „die verschiedenen Bereiche, die für weitere ermäßigte Steuersätze in Frage kommen, untersuchen müssen, um das Maß der Wettbewerbsverzerrungen zu ermitteln, die durch die — fakultative — Anwendung ermäßigter Steuersätze auf diese Leistungen entstehen können, und sie werden entscheiden müssen, ob ein solches Maß an Wettbewerbsverzerrungen für die in diesen Wirtschaftszweigen tätigen Unternehmen akzeptabel ist“ (9). Im Gesamtzusammenhang der Mitteilung dürfte dies nicht als Aufforderung zur Erweiterung des Verzeichnisses der in Frage kommenden Gegenstände und Dienstleistungen zu verstehen sein, eher das Gegenteil dürfte der Fall sein. Der EWSA spricht sich jedenfalls explizit dagegen aus, weitere Güter und Dienstleistungen in das Verzeichnis derjenigen aufzunehmen, auf die ermäßigte MwSt-Sätze angewandt werden können: Wenn auf dem Weg zur Harmonisierung Fortschritte — für den Augenblick zumindest auf ideeller Ebene — erzielt werden sollen, müssten die Mitgliedstaaten die Liste in Anhang III eher verkürzen statt verlängern. |
4.5 |
Der Linie der Kommission kann jedoch alles in allem zugestimmt werden: wenn man das Ziel einer „endgültigen“ Regelung vergisst — oder zumindest für lange Zeit abschreibt -, besteht eine der Prioritäten darin, den Mitgliedstaaten bei der Festsetzung ermäßigter Mehrwertsteuersätze für lokal erbrachte Dienstleistungen, die nicht von einem anderen Ort aus erbracht werden können, mehr Autonomie einzuräumen. Die Kommission unterstreicht, dass dies „das Funktionieren des Binnenmarkts nicht beeinträchtigt“: Es handelt sich hierbei nicht so sehr um Pragmatismus wie um die Anerkennung der zwingenden politischen und sozialen Erfordernisse, die der Gewährung von Ausnahmen zugrunde liegen. |
4.6 |
Große Aufmerksamkeit ist jedoch bei den Aussagen geboten, die leicht zu Verallgemeinerungen verleiten: Wenn die Besteuerung lokal erbrachter Dienstleistungen das Funktionieren des Binnenmarktes nicht beeinträchtigt, sollte für alle lokal erbrachten oder verbrauchten Waren oder Dienstleistungen eine auf lokaler Ebene festgelegte Besteuerung gelten — ein Prinzip, das die Grundlagen der MwSt-Richtlinie auf den Kopf stellen würde. Die Kommission hat mit Sicherheit nicht die Absicht, ein solches Prinzip einzuführen oder anzuerkennen. |
4.7 |
Bei näherer Betrachtung der von der Kommission angeführten Aspekte sollte etwas zu der Behauptung gesagt werden, dass die Anwendung ermäßigter Steuersätze in sorgsam ausgewählten Bereichen auch spezielle Vorzüge bieten kann, da dadurch die Gesamtproduktivität und damit das BIP erhöht werden. In diese Kategorie fallen die lokal erbrachten Dienstleistungen: Eine MwSt-Senkung sollte die Verbraucher dazu bewegen, ihre „Do-it-yourself“-Arbeiten einzuschränken und stattdessen mehr Zeit auf ihre berufliche Tätigkeit zu verwenden. Man muss jedoch den Fakten ins Auge sehen: „Do-it-yourself“ ist für die Haushalte eine nicht nur sozial nützliche, sondern auch wirtschaftlich sinnvolle Freizeitbeschäftigung und sollte daher befürwortet werden. Zum andern ist es zwar möglich, dass eine Steuersenkung dem Fiskus mehr Einnahmen beschert, aber dies gilt nur für denjenigen Teil des „Do-it-yourself“, der durch die Arbeit eines der Besteuerung unterliegenden Unternehmens ersetzt werden kann; man kann nicht mit Bestimmtheit wissen, welcher Teilbereich statt dessen in die Schwarzarbeit verlagert würde. Der Schattenwirtschaft oder teilweisen Schattenwirtschaft — oder auch der Steuerhinterziehung — kann nicht allein mit einem ermäßigten MwSt-Satz der Nährboden entzogen werden. Dafür sind ganz andere Maßnahmen notwendig. |
4.8 |
Eine besondere Bemerkung gilt den Dienstleistungen des Gaststättengewerbes, die sich nach Aussage der Kommission in einer nicht genau definierten oder besser gesagt strittigen Situation befinden. Auf der einen Seite sind sie zwar hauptsächlich für den heimischen Verbrauch bestimmt, auf der andern Seite sind sie jedoch im Rahmen der Tourismuspolitik bestimmter Länder und insbesondere für alle Grenzregionen von großer Bedeutung. Wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, wird es nicht leicht sein, in dieser Frage eine Einigung zu erzielen: Nach Auffassung des Ausschusses wird in diesem besonderen Streitfall eine rein politische Entscheidung getroffen werden müssen. Bei jeder anderen, auf wirtschaftliche oder steuerliche Gründe gestützten Herangehensweise droht sich die Debatte ins Unendliche hinzuziehen: Jeder wird auf seinem eigenen, durch gute innenpolitische Gründe gerechtfertigtem Standpunkt beharren. |
4.9 |
Ebenfalls im Zusammenhang mit den lokal erbrachten Dienstleistungen weist der Ausschuss auf diejenigen Sektoren hin, über die eine heftige Debatte entbrennen könnte: die öffentlichen und privaten Dienstleistungen im Gesundheitswesen, auf die unter bestimmten Umständen bereits ermäßigte MwSt-Sätze angewandt werden können (10). In sämtlichen Mitgliedstaaten ist eine wachsende Tendenz der Bürger zu beobachten, für medizinische und chirurgische Behandlungen öffentliche Dienstleistungen in anderen Ländern in Anspruch zu nehmen, weil diese zu Recht oder zu Unrecht als effizienter betrachtet werden. Dieses Phänomen hat mit den Steuern nur wenig zu tun; für steuerliche Zwecke relevanter ist statt dessen die Entscheidung für Dienstleistungen von Privatkliniken und Privatärzten in anderen Ländern. Die großen Unterschiede zwischen den in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Honoraren führen — insbesondere in bestimmten Bereichen des Gesundheitswesen — zu einer Abwanderung des heimischen Marktes in andere Länder. Der „lokale“ Charakter dieser Dienstleistungen ist somit im Abnehmen begriffen und wird — bei bestimmten Dienstleistungen und in bestimmten Ländern — allmählich durch eine transnationale Konnotation ersetzt. Eine Unterscheidung ist in diesem Bereich nicht leicht zu treffen, und es kann auch nicht verallgemeinert werden: Die Gefahr von Kontroversen ist folglich sehr hoch. |
4.9.1 |
Eine Einigung wird von der ausgewogenen Berücksichtigung unterschiedlicher und gegensätzlicher Erfordernisse abhängen: Einerseits wäre es angesichts der eindeutig sozialen Funktion des Gesundheitswesens ratsam, diese Dienstleistungen jenen zuzurechnen, auf die ein ermäßigter MwSt-Satz angewandt wird, andererseits können Wettbewerbsfragen ins Feld geführt werden. Bei der endgültigen Entscheidung muss dem Recht des Bürgers Rechnung getragen werden, medizinische Versorgung zu einem Preis zu erhalten, der das Familienbudget möglichst wenig belastet; mit anderen Worten muss das Interesse des Bürgers/Verbrauchers Vorrang vor den Grundsätzen des Wettbewerbs haben. |
4.10 |
Die Anwendung eines ermäßigten MwSt-Satzes auf arbeitsintensive Dienstleistungen, die von niedrig qualifizierten Arbeitskräften erbracht werden, ist umstritten. In der von der Kommission zitierten Studie wird festgestellt, diese Maßnahme könne dauerhaft zu mehr Arbeitplätzen führen, der Zugewinn insgesamt „dürfte jedoch relativ gering bleiben“ — was wahrscheinlich stimmt. Auch in diesem Fall fällt eine Entscheidung schwer: derartige Wirtschaftszweige (Baugewerbe, Straßenbauarbeiten, Reinigungsunternehmen, Märkte usw.) bedienen eine im Allgemeinen starre Nachfrage, was bedeutet, dass die Senkung der MwSt äußerst geringe Auswirkungen auf die Beschäftigung hätte. Zum andern sind dies auch diejenigen Wirtschaftszweige, in denen die „Schwarzarbeit“ ungelernter Arbeitskräfte am weitesten verbreitet ist. Eine MwSt-Ermäßigung würde sicherlich dazu beitragen, die Kosten der Unternehmen zu verringern, aber es bleibt offen, ob sich dies auch in niedrigeren Preisen und einer „realen“ Zunahme der Beschäftigung niederschlagen würde. |
4.11 |
Generell merkt die Kommission an, dass ermäßigte Steuersätze nur dann wirksam sind, wenn der Anteil der Konsumausgaben für ermäßigt besteuerte Gegenstände und Dienstleistungen zwischen den Gruppen mit hohem Einkommen und denen mit niedrigem Einkommen stark genug abweicht und auf Dauer stabil ist. Diese Abweichungen sind in der Nahrungsmittel- und Bekleidungsbranche und im Bauwesen am deutlichsten ausgeprägt: Es gibt zwar auch Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, aber häufig sind die augenfälligsten — und sozial ungerechtesten — Unterschiede innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten zu beobachten. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass in verschiedenen Mitgliedstaaten der ermäßigte Steuersatz nach Kategorien angewandt wird, ohne zu berücksichtigen, dass innerhalb vieler dieser Kategorien bestimmte Produkte für die breite Masse der Verbraucher bestimmt sind, während es sich bei anderen eindeutig um einer privilegierten Käuferschicht vorbehaltene Produkte handelt, deren Preis mitunter um ein Vielfaches über dem der erstgenannten Produkte liegt. Bliebe die Frage zu klären, wie und nach welchen Kriterien unterschiedliche Steuersätze auf Güter anzuwenden wären, die dieselbe Bezeichnung tragen, sich jedoch in Bezug auf Preis und Qualität an unterschiedliche Gesellschaftsschichten richten. Ein weiteres Problem besteht darin, auf Dauer angelegte Unterscheidungen festzulegen, die nicht dem Wandel der Mode unterliegen, und deren Einhaltung sicherzustellen, ohne dafür kostspielige und komplizierte Kontrollen vorsehen zu müssen. Und schließlich muss auch noch die Möglichkeit des Betrugs berücksichtigt werden, die in sämtlichen Branchen, aber ganz besonders in den beiden vorgenannten Wirtschaftszweigen gegeben ist: die genauen und detaillierten Bezeichnungen könnte Betrug Vorschub leisten und ihre Kontrolle ist ganz und gar nicht einfach. Der EWSA verweist darauf, dass nach sozialen Kriterien unterschieden werden muss. Mit anderen Worten: Die ermäßigten MwSt-Sätze sollten einen sozialpolitischen Beitrag zur Einkommensumverteilung oder, wenn die unter Ziffer 4.15 genannten Alternativlösungen nicht realisierbar sind, zur Unterstützung wichtiger Sozialprogramme darstellen. Auf jeden Fall muss aber Transparenz gegenüber den Bürgern und den anderen Mitgliedstaaten gewährleistet sein. |
4.11.1 |
Das gilt auch für Bücher und Zeitschriften, wo teilweise in ein und derselben Kategorie gesellschaftlich relevante Veröffentlichungen mit anderen zusammengefasst sind, die keinerlei Aufklärungs- oder Unterhaltungswert haben oder — schlimmer noch — sich außerhalb oder am Rande des Gesetzes oder der gemeinsamen Wertvorstellungen bewegen. Auch wenn dies schwierig ist, so sind Unterscheidungen doch notwendig und in jedem Fall aus Gründen der demokratischen Transparenz gerechtfertigt. |
4.12 |
Die Kommission merkt außerdem an, dass die Anwendung unterschiedlicher Steuersätze den Unternehmen und den Finanzverwaltungen erhebliche Kosten verursacht, was auf der Hand liegt. Nach Auffassung des Ausschusses sollte besser von einem Kostenanstieg gesprochen werden, da die Mehrwertsteuer bereits per se diejenige Steuer ist, deren Anwendung und Erhebung die höchsten Kosten verursacht. Darauf hat der EWSA bereits hingewiesen (11). Er bekräftigt an dieser Stelle seine Feststellung und fordert die Mitgliedstaaten auf, den Nettoerlös der MwSt für ihre Staatshaushalte mitzuteilen, nachdem der für den Gemeinschaftshaushalt bestimmte Anteil und die Ausgaben für Verwaltung, Erhebung, Kontrolle und Betrugsbekämpfung abgezogen sind. Die Kommission sollte sich diese Forderung zu eigen machen und auch darüber nachdenken, ob nicht eine alternative Form der Besteuerung angebracht wäre (12). Es wäre zu wünschen, dass bei einer Überprüfung der Gesamtthematik auch die — möglicherweise überraschenden — Ergebnisse hinsichtlich der Vorteile für den Fiskus mitberücksichtigt werden: wenn erst einmal die „realen“ Bilanzergebnisse auf dem Tisch liegen, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Steuerbehörden selbst die Initiative ergreifen. |
4.13 |
Gegenwärtig wird jedoch einzig und allein die — untergeordnete — Frage des Kostenanstiegs behandelt, der sich „für die Unternehmen und die Finanzverwaltungen“ bei den Verwaltungs- und Abrechnungsausgaben im Zusammenhang mit der Anwendung — und Auslegung — vom Standard abweichender Regelungen ergibt. Der Ausschuss weist darauf hin, dass jeder Kostenanstieg für die Unternehmen auf die Endverbraucher umgelegt wird und daher von Fall zu Fall bewertet werden muss, ob und in welchem Umfang sich die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes tatsächlich in einem Vorteil für die Bürger niederschlägt. Die große Mehrheit der sehr zahlreichen Streitsachen ist zurückzuführen auf den allgemeinen Charakter der Klassifizierungen und die daraus resultierenden gegensätzlichen Auslegungen, Hinzuziehung von Beratern, Kontrollen und Einsprüchen. Bei der Konzeption der neuen Bestimmungen ist folglich auch die Wirtschaftlichkeit ihrer Anwendung zu berücksichtigen. |
4.14 |
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nur das — kostspielige — System der ermäßigten MwSt-Sätze praktikabel, aber da dies von der Kommission selbst als starr und inkohärent bezeichnet wurde (13), hofft der Ausschuss, dass die politischen Diskussionen zwischen Rat und EP in gemeinsame Entscheidungen münden, die an den Grundsätzen des Binnenmarktes ausgerichtet sind, dabei jedoch stets den Erfordernissen der Bürger/Verbraucher, Unternehmen und Finanzverwaltungen Rechnung tragen. |
4.15 |
Was Alternativlösungen zu den ermäßigten MwSt-Sätzen angeht, hat die Kommission die Frage aufgeworfen, ob diese nicht durch direkte Hilfen ersetzt werden könnten: diese wären ein effizienteres, transparenteres und weniger kostspieliges politisches Instrument. Nach Auffassung des Ausschusses sind Alternativlösungen auf einzelstaatlicher Ebene nur in einigen speziellen Fällen, zeitlich begrenzt und nur unter der Bedingung praktikabel, dass alle Maßnahmen vermieden werden, die die Merkmale staatlicher Subventionen besitzen. Jede Form nationaler Lösungen als Alternative zu MwSt-Ausnahmeregelungen sollte auf der Grundlage von Transparenzkriterien beschlossen werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass wir uns damit in jedem Fall weiter vom Ziel des Binnenmarktes entfernen. |
4.16 |
Schließlich macht der Ausschuss zur Abrundung seiner zahlreichen Stellungnahmen zu diesem Thema einen Vorschlag, den der gesunde Menschenverstand nahelegt und der sich aus Gründen der Transparenz anbietet: die derzeitige MwSt-Regelung künftig nicht mehr als „provisorische Regelung“ zu bezeichnen. Die Verwendung dieses Adjektivs — nach nunmehr über dreißig Jahren und ohne mittelfristige Hoffung auf eine endgültige Regelung — ist irreführend und untergräbt die Glaubwürdigkeit der Union. Außerdem beweist diese Situation — falls ein solcher Beweis denn notwendig sein sollte — die Gültigkeit der alten Binsenweisheit: „Nichts hält länger als ein Provisorium“. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Eine „endgültige“ Regelung müsste logischerweise die Besteuerung am Bestimmungsort oder genauer gesagt am Verbrauchsort vorsehen. Eine allgemeine Anwendung wurde seinerzeit und wird auch heute noch durch verschiedene Hemmnisse verhindert.
(2) Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006).
(3) Artikel 96 und 97 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006); es wurde nie eine Obergrenze festgelegt.
(4) Siehe Artikel 98-101 und Anhang III der Richtlinie.
(5) Richtlinienvorschlag KOM(2007) 381 endg. und Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf bestimmte befristete Bestimmungen über die Mehrwertsteuersätze“ (ABl. C 44 vom 16.2.2008, S. 120).
(6) KOM(2007) 380 endg., im Abschnitt „Einführung“.
(7) Siehe Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Neufassung)“ (ABl. C 74 vom 23.3.2005, S. 21).
(8) Siehe diesbezügliche Stellungnahme des EWSA mit Bemerkungen zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der Vereinfachung der mehrwertsteuerlichen Pflichten“ und dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 hinsichtlich der Einführung von Verwaltungsvereinbarungen im Zusammenhang mit der Regelung der einzigen Anlaufstelle und dem Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer“ (ABl. C 267 vom 27.10.2005, S. 45).
(9) Siehe Mitteilung KOM(2007) 380 endg., Ziffer 3.3 „Zwingende Anforderungen des Binnenmarkts“, Ziffer 2.
(10) Ziffer 15 und 17 von Anhang III der MwSt-Richtlinie.
(11) Diese Problematik, auf die der EWSA erstmals in seiner Stellungnahme zum Thema „Bekämpfung des Steuerbetrugs im Binnenmarkt“ (Abl. C 268 vom 19.9.2000, S. 45) hingewiesen hat, wurde von ihm anschließend mehrfach wieder aufgegriffen, zuletzt in seiner Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der Vereinfachung der mehrwertsteuerlichen Pflichten“ und dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 hinsichtlich der Einführung von Verwaltungsvereinbarungen im Zusammenhang mit der Regelung der einzigen Anlaufstelle und dem Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer“ (ABl. C 267 vom 27.10.2005, S. 45), aber natürlich ohne jeden Erfolg.
(12) Auch diesen Punkt hat der EWSA erstmals 2000 in seiner in der obigen Fußnote zitierten Stellungnahme angesprochen und in einer Reihe weiterer Stellungnahmen immer wieder hervorgehoben, so in seiner Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Neufassung)“ (ABl. C 74 vom 23.3.2005, S. 21).
(13) Siehe Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der Vereinfachung der mehrwertsteuerlichen Pflichten“ und dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 hinsichtlich der Einführung von Verwaltungsvereinbarungen im Zusammenhang mit der Regelung der einzigen Anlaufstelle und dem Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer“ (ABl. C 267 vom 27.10.2005, S. 45).
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/72 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Strategie für Regionen in äußerster Randlage: Fortschritte und Ausblick“
(KOM(2007) 507 endg.)
(2008/C 211/19)
Die Europäische Kommission beschloss am 21. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
„Strategie für Regionen in äußerster Randlage: Fortschritte und Ausblick“.
Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 28. März 2008 an. Berichterstatter war Herr COUPEAU.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008. (Sitzung vom 22. April) mit 128 gegen 3 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Einleitung
1.1 |
Mit Artikel 299 Absatz 2 des EG-Vertrags wurde die Besonderheit der Regionen in äußerster Randlage anerkannt, wodurch die Wahrung ihrer spezifischen Eigenschaften und ein Ausgleich ihrer Nachteile möglich wurden. |
1.2 |
Bei den sieben Regionen in äußerster Randlage handelt es sich um die spanische autonome Gemeinschaft der Kanarischen Inseln, die portugiesischen autonomen Regionen Madeira und Azoren und die die vier französischen Departement Guadeloupe, Guayana, Martinique und Réunion. |
1.3 |
Seit 1989 nehmen diese Regionen an einem besonderen Programm teil, mit dem Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung gefördert werden, um eine bessere Konvergenz mit der restlichen EU zu erreichen. |
1.4 |
Mit der Mitteilung vom 12. September 2007„Strategie für die Regionen in äußerster Randlage: Fortschritte und Ausblick“ leitete die Kommission eine öffentliche Konsultation ein, um die Meinungen aller interessierten Kreise über die Politik der Regionen in äußerster Randlage mit Blick auf die großen Herausforderungen einzuholen, die diese Regionen in den kommenden Jahren werden bewältigen müssen. Mit der vorliegenden Stellungnahme reagiert der EWSA auf diese Konsultation. |
1.5 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass die im Hinblick auf die Regionen in äußerster Randlage betriebene Finanzpolitik einige positive Auswirkungen hatte, aber strukturelle Probleme fortbestehen, die behoben werden müssen. Daher hält es der EWSA für erforderlich, diese Politik künftig zu intensivieren. |
1.6 |
Der EWSA verweist darauf, dass die Erreichbarkeit dieser Gebiete und ihr Zugang zum europäischen Markt aufgrund ihrer Abgelegenheit, ihrer Insellage (abgesehen von Französisch-Guayana) und ihrer geografischen und strukturellen Besonderheiten ein dauerhaftes Problem darstellen. |
1.7 |
Da die Regionen in äußerster Randlage in der Nähe des Einflussbereichs von Mercosur, Westafrika, Südafrika und Karibik liegen, wird Europa nach Auffassung des EWSA eine globale Dimension verliehen. Dank der Lage dieser Regionen in verschiedenen Weltmeeren verfügt Europa über eine ausschließliche Wirtschaftszone mit einer Fläche von 25 Mio. km2 mit bislang ungeschätzten Reichtümern und Ressourcen. |
1.8 |
Der EWSA weist außerdem darauf hin, dass die Randlage der Wettbewerbsfähigkeit schadet:
|
1.9 |
Nach dem Dafürhalten des EWSA sollte die dienststellenübergreifende Arbeitsgruppe der Kommission, die sich mit den Regionen in äußerster Randlage befasst, beibehalten oder sogar verstärkt werden, um eine größere Effizienz der EU-Politik zu gewährleisten. |
2. Analyse der Wirtschaftssektoren der Regionen in äußerster Randlage und Empfehlungen
2.1 Tourismus
2.1.1 |
Der Tourismus ist für die Regionen in äußerster Randlage ein wichtiger Wirtschaftsbereich, wenn nicht gar die einzige Quelle wirtschaftlichen Wachstums: |
2.2 |
Die Kanarischen Inseln konnten eine diversifizierte Tourismusbranche aufbauen, die mehr als 10 Millionen Touristen pro Jahr anzieht. Auch die Insel Madeira hat ihren Tourismus entwickeln können, indem sie seine Kapazität stark ausgebaut hat. Für die Antillen und Réunion ist dieser Sektor zwar wichtig, er bleibt aber schwach. Die Regionen in äußerster Randlage haben sich ihre außergewöhnlichen ökologischen Eigenschaften und ihr bemerkenswertes Klima zunutze gemacht und konnten so einen qualitativ hochwertigen Tourismus entwickeln. Hierdurch hat sich ihre wirtschaftliche Abhängigkeit vom Tourismus erhöht, was ein nicht zu unterschätzendes Risiko in sich birgt, da die touristische Nachfrage je nach Klimalage, Euro-Wechselkurs, Gesundheitssituation u.a. stark fluktuiert. |
2.3 |
Der EWSA hält es für dringend erforderlich, ein Logo für die Regionen in äußerster Randlage zu konzipieren und in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und in allen europäischen Ländern, ja sogar in außereuropäischen benachbarten Ländern für diese Regionen zu werben, um den Tourismus zu diversifizieren und dessen Qualität und Nachhaltigkeit zu verbessern. |
2.4 |
Die in der Tourismusbranche tätigen Akteure sollten verstärkt auf bewährte Praktiken zurückgreifen und dabei auf die Schonung der natürlichen Ressourcen achten und sich mit den lokalen Akteuren abstimmen, um geeignete Entwicklungskriterien festzulegen. Die Regionen in äußerster Randlage sind zwar sensibilisiert, müssen aber über eine Nachhaltigkeitspolitik verfügen, die von den lokalen Akteuren mit finanzieller Unterstützung der EU festgelegt wird. |
2.5 Landwirtschaft
2.5.1 |
Der EWSA hält fest, dass die Landwirtschaft zu den traditionellen Sektoren gehört und trotz ihres geringer werdenden Beitrags zur Wertschöpfung nach wie vor ein wichtiger Pfeiler der Wirtschaft in den Regionen in äußerster Randlage ist. Sie bietet ein enormes Beschäftigungspotential, das es unbedingt zu erhalten bzw. auszubauen gilt:
|
2.5.2 |
Die sinkende Wertschöpfung erklärt sich zum Teil durch den starken Konkurrenzdruck aus Drittländern, der in diesen Bereichen besteht. |
2.5.3 |
Es lassen sich zwei Formen der Landwirtschaft unterscheiden: die Landwirtschaft für den lokalen Bedarf und die exportorientierte Landwirtschaft. Diese beiden Formen der Landwirtschaft stehen häufig im Wettbewerb zueinander, können sich aber auch ergänzen. Der EWSA ist der Auffassung, dass der lokale Vertrieb sich für die Förderung der Landwirtschaft für den lokalen Bedarf einsetzen sollte. |
2.5.4 |
Bezüglich der exportorientierten Landwirtschaft sieht der Ausschuss Absatz fördernde Maßnahmen für die Produkte aus den Regionen in äußerster Randlage als wünschenswert an. Da diese Produkte den strengen europäischen Sozial-, Umwelt- und Gesundheitsnormen entsprechen, sollte ihnen außerdem zu einem höheren Ansehen verholfen werden. |
2.5.5 |
Der EWSA drängt darauf, dass Europa seine Politik der Kontrolle von Produkten aus Drittländern verstärkt, um Tier- und Pflanzenseuchen zu verhindern und so die landwirtschaftlichen Betriebe zu erhalten. |
2.5.6 |
Nach Auffassung des Ausschusses sollten Produkte aus Drittländern und Produkte aus Regionen in äußerster Randlage einander ergänzen. Bedingung hierfür ist allerdings, dass:
|
2.5.7 |
Der EWSA erkennt die naturbedingten Nachteile der oben genannten Regionen in äußerster Randlage an und fordert die Beibehaltung entsprechender Ausgleichsmaßnahmen. |
2.5.8 |
Da die landwirtschaftlichen Zonen erhalten werden müssen, zeigt sich der EWSA besorgt über die Bodenpolitik. Die europäischen Behörden sollten die lokalen Behörden dazu anregen, im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung sowohl die Zonen auszuweisen, die erhalten werden müssen, als auch die Zonen, die bebaut werden können. |
2.5.9 |
Die Regionen in äußerster Randlage weisen eine beträchtliche biologische Vielfalt auf, die einen sicheren Wirtschaftsfaktor darstellt. Nach Ansicht des EWSA ist hier eine ambitionierte Politik gefragt, die mit angemessenen Mitteln auszustatten ist, um eine ausgedehnte Agrarstruktur mit umweltgerechten Anbaumethoden aufrechtzuerhalten. |
2.6 Fischerei
2.6.1 |
Die Fischerei ist für die Regionen in äußerster Randlage ein bedeutender Wirtschaftszweig, der allerdings für die Verwaltung der Fischereiressourcen Probleme aufwerfen wird. Für die Versorgung mit Fisch müsste eine andere Quelle aufgetan werden, z.B. eine Meeres-Aquakultur. |
2.6.2 |
Die Forschung und die Politik sollten hier Lösungen finden, um die Versorgung mit Fisch weiterhin sicherzustellen. Durch Versuche mit mehr oder weniger positiven Ergebnissen konnte der Fortbestand des Fischereisektors bislang gesichert werden. |
2.6.3 |
Die Aquakultur steht zwar als Branche noch am Anfang, hat sich aber auf den Kanarischen Inseln und auf Réunion bereits gut etabliert. Der EWSA weist auf die positiven Erfahrungen mit der Krabbenzucht in Guyana hin. |
2.6.4 |
Durch die Lage der Regionen in äußerster Randlage verfügt die Europäische Union über ausgedehnte Seegebiete (Indischer Ozean, Atlantik, Karibik) und somit über eine bemerkenswerte meeresbiologische Vielfalt. Nach Ansicht des EWSA müssen die Meeresräume einzeln nach Meeresbecken verwaltet werden, da die Situation im Indischen Ozean anders ist als die des Atlantiks. Eine differenzierte Bewirtschaftung müsste auch den Gegebenheiten in der Fischerei Rechnung tragen. |
2.7 Handel und Vertrieb
2.7.1 |
Der Handel ist ein wichtiger Sektor in den Regionen in äußerster Randlage. Er ist jedoch von Importen aus den Mitgliedstaaten abhängig. Der Verbrauch an Konsumgütern bemisst sich an der lokalen Bevölkerung, ist aber auch abhängig vom jeweiligen Touristenaufkommen. |
2.7.2 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass ein lokaler Handel entwickelt werden müsste, der eine große Produktvielfalt sowie an den Bewohnern und Touristen orientierte Dienstleistungen bietet. |
2.8 Wettbewerb und Unternehmen
2.8.1 |
Ein kleines Unternehmen in einer Region in äußerster Randlage kann aufgrund des geringen Umfangs des lokalen Absatzmarktes leicht eine Monopolstellung einnehmen. Ein großes Unternehmen in den Regionen in äußerster Randlage entspricht somit einem mittleren Unternehmen im kontinentalen Europa — größenordnungsbedingte Einsparungen sind in diesen Regionen somit nicht gegeben. |
2.8.2 |
Nach Auffassung des EWSA müssen die Transparenz der Märkte und der Wettbewerb zwischen den Unternehmen gefördert werden. |
2.8.3 |
Die Mehrkosten der Regionen in äußerster Randlage lassen sich häufig schwer definieren. Die folgende Liste erfasst einige der zusätzlichen Kosten:
|
2.8.4 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die europäische Politik diese Mehrkosten berücksichtigen und möglichst weitgehende Maßnahmen zu ihrer Eindämmung ergreifen muss. |
2.9 Energie
2.9.1 |
Eine strukturelle wirtschaftliche Schwäche der Regionen in äußerster Randlage wird durch die Knappheit bzw. den Mangel an herkömmlichen Energieträgern sowie die Abhängigkeit von Energieeinfuhren bedingt. Diese Regionen verfügen jedoch über eine große Bandbreite von Möglichkeiten zur Entwicklung erneuerbarer Energieträger. |
2.9.2 |
Der EWSA stellt fest, dass diese Regionen zwar häufig Energieproblemen gegenüberstehen, sich ihnen aber zahlreiche Möglichkeiten bieten wie Sonnen-, Erdwärme-, Wind- und Meeresenergie. |
2.9.3 |
Diese Regionen haben außerdem gewisse Schwierigkeiten bei der Bewirtschaftung des Abfalls, der als Energiequelle genutzt werden könnte. Mit Hilfe einer Politik, die eine größere Energievielfalt fördert, könnte gleichzeitig ein Problem der öffentlichen Gesundheit und Hygiene gelöst werden:
|
2.9.4 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Diversifizierung der Energieträger langfristig angelegt und durch finanzielle Anreize gefördert werden muss. |
2.10 Forschung und Entwicklung
2.10.1 |
Um die isolierte Lage abzumildern und den Unternehmen in den Regionen in äußerster Randlage wirtschaftliche Entwicklungschancen zu bieten, müssen in größerem Umfang neue Kommunikationstechnologien eingesetzt werden. |
2.10.2 |
Die Forschung muss im Hinblick auf die traditionellen und die nicht-traditionellen Wirtschaftszweige sowie im Hinblick auf Lösungen für die Probleme der Regionen in äußerster Randlage ausgeweitet werden. |
2.10.3 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die Ansiedlung von Forschungszentren in diesen Regionen sehr positive Auswirkungen haben würde. Zudem würde dies zu einer nicht unerheblichen Diversifizierung der Wirtschaft in den Regionen in äußerster Randlage beitragen. |
2.11 Die Bedeutung der Entwicklung und Diversifizierung der regionalen Wirtschaftsräume
2.11.1 |
Zwischen den Regionen in äußerster Randlage lassen sich große Entwicklungsunterschiede feststellen: Abgesehen von einigen Initiativen sind nur wenige moderne Branchen in den Regionen in äußerster Randlage angesiedelt, die jedoch auf keinen Fall eine Alternative zu den traditionellen Sektoren darstellen. |
2.11.2 |
Der öffentliche Sektor (europäische, zentrale und regionale Verwaltungen, öffentliche Unternehmen, Hochschulen und Forschungszentren) ist als Antriebskraft für wirtschaftliche Aktivitäten von großer Bedeutung. Die akademischen Zentren spielen in den Regionen in äußerster Randlage eine wichtige Rolle und sollten deshalb unbedingt erhalten werden. Der EWSA empfiehlt, ein Europa-Stipendium zu vergeben, um Studierende aller Nationalitäten anzuziehen. |
2.11.3 |
Die Investitionsfähigkeit der lokalen Unternehmen ist gering. Infolgedessen sind die modernen Branchen bei der Verwirklichung von Projekten in stärkerem Maße von Gemeinschaftsbeihilfen abhängig als traditionelle Branchen. |
2.11.4 |
Die Finanzierungskapazitäten der Unternehmen sind aufgrund der zusätzlichen Kosten begrenzt. Um die Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Aktivitäten zu unterstützen, hält der EWSA eine Finanzierungspolitik für unerlässlich. Der EWSA sieht zudem eine Politik der Unternehmensgründung als wünschenswert an, durch die der Zugang zu Risikokapital für die Verwirklichung von Projekten, die den Regionen in äußerster Randlage einen zusätzlichen Nutzen bringen, erleichtert wird. |
2.12 Lebensbedingungen
2.12.1 |
Der EWSA schlägt vor, die Besonderheiten der Regionen in äußerster Randlage zu berücksichtigen, um eine kohärente und langfristige Politik zu entwickeln. Dabei geht es um eine höhere Attraktivität der Regionen und Städte durch die Verbesserung ihrer Erreichbarkeit bei gleichzeitiger Förderung von Forschung und Innovation, einschließlich der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. |
2.12.2 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass der soziale Dialog in den Regionen in äußerster Randlage gestärkt und dieser Aspekt in den künftigen Zielen der EU-Politik, die diese Regionen betreffen, berücksichtigt werden sollte. |
2.12.3 |
Es sollten mehr und höherwertige Arbeitsplätze geschaffen und mehr Menschen in Arbeit gebracht werden bzw. Firmenneugründungen gefördert, die Anpassungsfähigkeit von Arbeitnehmern und Unternehmen verbessert und Investitionen verstärkt werden. |
2.12.4 |
Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, denen die Umsetzung der die Regionen in äußerster Randlage betreffenden Politik obliegt, tendieren dazu, der Stärkung des sozialen Zusammenhalts zu wenig Aufmerksamkeit zu widmen. Der EWSA ist der Ansicht, dass der soziale und territoriale Zusammenhalt Priorität hat und nicht außer Acht gelassen werden darf. |
2.12.5 |
Diese Ziele müssen in der Politik der EU verankert werden. Auch sollten spezifische Maßnahmen zugunsten der Wirtschaftsentwicklung ergriffen werden. Nach Ansicht des EWSA wäre zunächst eine Politik sinnvoll, die auf die Verbesserung der Zugänglichkeit der Regionen in äußerster Randlage abzielt, und zwar
|
2.12.6 |
Der EWSA ist sich der besonderen Rahmenbedingungen in den Regionen in äußerster Randlage bewusst. Er fordert die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen mittels einer ehrgeizigen Politik, die dazu beiträgt, die Benachteiligungen dieser Regionen zu überwinden, und die Schaffung eines Mehrwerts ermöglicht. |
2.12.7 |
Der EWSA weist darauf hin, dass die öffentlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse für die Einwohner der Regionen in äußerster Randlage besonders große Probleme aufwerfen. Die EU-Politik zugunsten der Regionen in äußerster Randlage sollte der Tatsache Rechnung tragen, dass es im Interesse der Konvergenz erforderlich ist, den sozialen Zusammenhalt durch die Verbesserung der Qualität der öffentlichen Dienstleistungen zu stärken. |
2.13 Grenzübergreifende Zusammenarbeit
2.13.1 |
Der EWSA hält eine dynamische grenzübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Regionen außerhalb der EU für notwendig, um Synergieeffekte zu erreichen und so die Entwicklung dieser Regionen voranzutreiben — unter der Bedingung, dass die lokalen Gebietskörperschaften der Regionen in äußerster Randlage daran beteiligt werden. |
2.13.2 |
Der EWSA fordert eine umfassende Untersuchung der grenzüberschreitenden Kooperationen. Er ist der Ansicht, dass Lösungen gefunden werden können, fordert jedoch ein umsichtiges Vorgehen, damit dadurch keine neuen Probleme geschaffen werden. |
2.14 Steuerwesen
2.14.1 |
Die Regionen in äußerster Randlage haben spezifische, von der EU gebilligte Wirtschafts- und Steuersysteme. Nach Auffassung des EWSA ist die Aufrechterhaltung dieser Sonderregelungen unerlässlich, um den Regionen in äußerster Randlage bei der Überwindung ihrer Strukturprobleme zu helfen. |
2.15 Kohäsionspolitik
2.15.1 |
Der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt ist eines der wichtigsten europäischen Ziele, die in Zukunft mit noch mehr Nachdruck verwirklicht werden sollten. Der EWSA ist der Ansicht, dass die EU-Politik im Bereich der Regionen in äußerster Randlage auf die Stärkung des Zusammenhalts abzielen sollte, um die Lebensqualität der gesamten Bevölkerung zu verbessern. |
2.15.2 |
Die Kohäsionspolitik muss die Modernisierung und Weiterentwicklung von Unternehmen sowie die Gründung neuer Unternehmen durch junge Menschen ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist Innovation ein vorrangiges Ziel, wenn es darum geht, neue Chancen zu eröffnen sowie Forschungs- und Bildungszentren in Zusammenarbeit mit Unternehmen zu unterstützen. |
2.15.3 |
Zur Stärkung des Zusammenhalts ist es notwendig, die Wirtschaftsentwicklung zu fördern sowie Arbeitsplätze, Gehälter und öffentliche Dienstleistungen zu verbessern. |
2.15.4 |
Die Regionen in äußerster Randlage können eine bedeutende Rolle bei der Regionalentwicklung spielen, da sie für die Unternehmen sehr wichtige europäische Plattformen darstellen. Sie können auch als regionales Modell zur Stärkung der Beteiligung der Zivilgesellschaft bzw. als weltweit vorbildhaftes Sozialmodell dienen. |
2.16 Ausbau des Aktionsplans für das größere nachbarschaftliche Umfeld (Grand Voisinage)
2.16.1 |
Die Lage der Regionen in äußerster Randlage ermöglicht eine privilegierte Partnerschaft mit den Regionen in ihrer näheren Umgebung. Diese Politik sollte jedoch verbessert werden, da ihre Umsetzung noch unzureichend und inkonsequent ist. Der EWSA unterstreicht, dass eine solche Partnerschaft nur in Zusammenarbeit mit den europäischen Regionen und auf deren Initiative hin und mit Maßnahmen zur Verbesserung der wechselseitigen Kenntnisse der betroffenen Regionen entwickelt werden kann. |
2.17 Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA)
2.17.1 |
Die WPA können der Entwicklung der Regionen in äußerster Randlage förderlich sein. Es bedarf jedoch einer genauen und zuverlässigen Untersuchung der künftigen Abkommen. Die WPA müssen den Interessen aller Betroffenen Rechnung tragen. |
2.17.2 |
Der EWSA ist der Ansicht, dass die WPA die Beteiligung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft sowohl in den Regionen in äußerster Randlage als auch in den Drittstaaten erleichtern sollten. |
2.17.3 |
Der EWSA empfiehlt den Dialog und den Austausch zwischen den Regionen in äußerster Randlage und den AKP-Staaten zur Ermittlung von Synergieeffekten und zur Förderung einer Wirtschaftsentwicklung, die allen zugute kommt. |
2.18 Migrationsströme
2.18.1 |
Die EU arbeitet derzeit an einer gemeinsamen Einwanderungspolitik, bei der die Aspekte demografische Situation, Arbeitsmärkte und Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern Berücksichtigung finden. Migration ist ein akutes Probleme für die Regionen in äußerster Randlage. Die Regionen in äußerster Randlage benötigen ein Instrument zur Verringerung der illegalen und/oder irregulären Einwanderung. Eine europäische Migrationspolitik muss folglich die besonderen Bedürfnisse der Regionen in äußerster Randlage angemessen berücksichtigen und nachhaltige Lösungen für deren Probleme anbieten. |
2.18.2 |
Es sollte eine Folgenanalyse angefertigt werden, um diese Thematik besser zu verstehen und Lösungen für die unterschiedlichen Migrationsprobleme zu finden. |
2.18.3 |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die europäische Einwanderungspolitik ehrgeiziger sein sollte, um die Einwanderung über gemeinsame Rechtsvorschriften und transparente Verfahren zu steuern. Was die Regionen in äußerster Randlage angeht, muss Europa die Einwanderung unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung des Arbeitsmarktes erleichtern können. |
2.18.4 |
Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung in Europa wird die Migration voraussichtlich weiter zunehmen. Ihrerseits müssen die Regionen in äußerster Randlage den Problemen begegnen, die sich aus der irregulären Einwanderung ergeben. Diesbezüglich brauchen sie aber die solidarische Unterstützung durch die EU. Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen muss ihre Tätigkeiten in den Regionen in äußerster Randlage ausbauen. |
2.19 Erhöhung der Zahl der Regionen in äußerster Randlage
2.19.1 |
Einige Mitgliedstaaten diskutieren derzeit über die Erhöhung der Zahl der Regionen in äußerster Randlage, namentlich Frankreich und die Niederlande. Voraussetzung für eine solche Erhöhung ist die Billigung durch den Rat. Der EWSA unterstreicht jedoch, dass die EU mehr Finanzmittel bereitstellen muss, um eine bessere Integration der bisherigen und der neuen Regionen in äußerster Randlage zu gewährleisten. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitri DIMITRIADIS
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/77 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Vereinigungsfreiheit in den Mittelmeer-Partnerländern“
(2008/C 211/20)
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Die Vereinigungsfreiheit in den Mittelmeer-Partnerländern“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 22. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr MORENO PRECIADO.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 99 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Die Achtung der Vereinigungsfreiheit wird ausdrücklich als eine der Verpflichtungen der Staaten genannt, die im November 1995 die Barcelona-Erklärung unterzeichneten, mit der die Europa-Mittelmeer-Partnerschaft auf den Weg gebracht wurde. Die Assoziierungsabkommen, die zwischen der EU und den einzelnen Mittelmeer-Partnerländern (1) geschlossen wurden, enthalten die Klausel: „Die Wahrung der Grundsätze der Demokratie und die Achtung der Menschenrechte […] sind wesentlicher Bestandteil dieses Abkommens“. Die Aktionspläne, die die Europäische Union im Rahmen ihrer 2004 eingeleiteten Nachbarschaftspolitik mit den Mittelmeer-Partnerländern vereinbart, nehmen ebenfalls auf „eine gute Regierungsführung und die Förderung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten“ Bezug. |
1.2 |
In der Praxis ist die Vereinigungsfreiheit in den Mittelmeer-Partnerländern (wenn auch in unterschiedlichem Maße) jedoch nicht gewährleistet, und die Entfaltung der Zivilgesellschaft wird durch politisch-administrative Hemmnisse, die in manchen Fällen von der Verweigerung der Erlaubnis zur Bildung einer Vereinigung bis zu deren Verbot oder vorübergehender Aufhebung reichen können, behindert. Auch die behördlich anerkannten Vereinigungen sehen sich in ihrer normalen Arbeit behindert. Besonders gravierend sind hier die Verbote und Restriktionen, die die Behörden in Bezug auf den Zugang zu Finanzierungshilfen im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit erlassen. |
1.3 |
Die freie Vereinigung gesellschaftlicher Gruppen der verschiedenen Bereiche der Zivilgesellschaft (Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Landwirte, Sozialwirtschaft, Frauen, Jugend, Verbraucher usw.) ist eine unerlässliche Voraussetzung für die Entwicklung der Demokratie in den Mittelmeer-Partnerländern. Die Europa-Mittelmeer-Partnerschaft, die im wirtschaftlichen Bereich durch die Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den einzelnen Ländern fest verankert ist, muss durch soziale und demokratische Komponenten ergänzt werden. Dies macht die Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft erforderlich. |
1.4 |
Die Gewerkschaften stehen auf ihren einzelnen Organisationsebenen unter dem Einfluss der Politik, wodurch der Schutz der Arbeitnehmervertreter bei der Ausübung ihrer Rechte, insbesondere des Streikrechts, beeinträchtigt wird. |
1.5 |
Als Defizite im Bereich der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerzusammenschlüsse sind der nur schwach entwickelte soziale Dialog und die soziale Konzertierung zu nennen. In den Nahostländern ist dieser zwei- oder dreiseitige Dialog weniger stark ausgeprägt als in den Maghreb-Ländern. |
1.6 |
Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die auf Demokratie-Förderung gerichteten Verpflichtungen der Partnerschaft Europa-Mittelmeer, der Assoziierungsabkommen und der Aktionspläne der Nachbarschaftspolitik einzuhalten und die betreffenden Regierungen klar darauf hinzuweisen, dass Vereinigungen nicht aufgelöst oder vorübergehend durch die Verwaltung aufgehoben werden sollen, es sei denn dies geschieht auf dem Wege eines ordnungsgemäßen Gerichtsverfahrens. |
1.7 |
Des Weiteren sollte die Kommission nach Ansicht des EWSA Schritte unternehmen, damit die Regierungen der Mittelmeer-Partnerländer gewährleisten, dass Mitglieder und Verantwortliche von Vereinigungen nicht wegen der Ausübung rechtmäßiger Verbandsaufgaben ihrer Freiheit beraubt werden. |
1.8 |
Der EWSA ersucht die Europäische Kommission, in die strategischen Länderberichte, die das Feld der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen der Aktionspläne abstecken, Angaben darüber aufzunehmen, inwieweit die Regierungen der Partnerländer die Vereinigungsfreiheit und die Menschenrechte achten. Diese Forderung basiert auch auf dem Gemeinschaftlichen Aktionsprogramm 2005-2010 für den Mittelmeerraum, in dessen erstem Abschnitt (Politische Vereinigung und Sicherheit) folgende Hauptziele genannt werden: Förderung der Teilhabe der Bürger, Stärkung der Partizipation der Frau, bessere Gewährleistung der Meinungs- und der Vereinigungsfreiheit, Förderung der Rolle der Zivilgesellschaft und Umsetzung internationaler Übereinkommen. |
1.9 |
Darüber hinaus sollte die Europäische Kommission auf die Einbeziehung der Zivilgesellschaft der Mittelmeer-Partnerländer in die Durchführung der Assoziierungsabkommen und Aktionspläne drängen. |
1.10 |
Der EWSA wird der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer, in der er den Status eines Beobachters hat, vorschlagen, dass die Volksvertretungen der Partnerländer auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, alle Rechtsvorschriften zu ändern, die die Vereinigungsfreiheit einschränken. |
1.11 |
Der Ausschuss kann (in Zusammenarbeit mit den im Europa-Mittelmeer-Raum bestehenden Netzen der Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der Sozialwirtschaft und anderer) regelmäßig detaillierte Berichte über die Situation im Hinblick auf die Vereinigungsfreiheit und die Menschenrechte in den Mittelmeer-Partnerländern erstellen, die er der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament übermitteln wird. Die vorliegende Stellungnahme soll auf dem kommenden Gipfeltreffen der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbaren Einrichtungen 2008 in Marokko erörtert werden. Die im Rahmen dieses Gipfeltreffens gesammelten Beiträge und Informationen werden zu dieser Weiterbehandlung beitragen. |
1.12 |
Der Ausschuss wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass in den Mittelmeer-Partnerländern offizielle Organe (Wirtschafts- und Sozialräte oder vergleichbare Einrichtungen) für die Konsultation der Zivilgesellschaft gebildet und die im Libanon und in Jordanien bereits vorhandenen Einrichtungen wieder in Tätigkeit gesetzt werden. Außerdem wird er empfehlen, dass sich diese Organe aus repräsentativen Organisationen der verschiedenen Gesellschaftsbereiche zusammensetzen und sie über die nötigen Mittel verfügen sollten, die ihnen ein unabhängiges, wirkungsvolles Handeln ermöglichen. |
1.13 |
Der Ausschuss unterstreicht, anknüpfend an die wichtigen Empfehlungen in seiner Stellungnahme zur „Förderung des Unternehmergeistes der Frauen im Europa-Mittelmeerraum“ (2), nochmals die Notwendigkeit, die Stellung der Frau in der Gesellschaft und insbesondere ihre Mitwirkung an Vereinigungen in den Partnerländern zu fördern. In dieser Hinsicht hebt er ebenfalls die Bedeutung der Schlussfolgerungen der Euromed-Ministerkonferenz (3) hervor, in denen eine stärkere Vertretung und Mitwirkung von Frauen in wirtschaftlichen Beschlussfassungsorganen, insbesondere in Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisationen, angemahnt wird. |
1.14 |
Der EWSA wird das Zusammentreffen und den Dialog von Arbeitgebervereinigungen (UMCE) und Gewerkschaftsorganisationen (Gewerkschaftsforum) und ihre Entwicklung sowie die anderer Netze und Organisationen der Zivilgesellschaft im Raum Europa-Mittelmeer, wie z.B. des Europa-Mittelmeer-Netzes der Sozialwirtschaft (ESMED) oder der Frauenorganisationen, fördern. |
2. Grundlagen der Vereinigungsfreiheit im Hinblick auf die Verwirklichung der auf Demokratieförderung gerichteten Ziele des Barcelona-Prozesses
2.1 |
Die Notwendigkeit dieser Stellungnahme ergibt sich aus den Defiziten, die in den Schlussfolgerungen des ersten Euromed-Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs im November 2005 in Bezug auf die Rolle der Zivilgesellschaft festgestellt wurden, und ebenfalls aus dem Wunsch einer Weiterentwicklung der Schlusserklärungen der letzten Europa-Mittelmeer-Gipfeltreffen der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbaren Einrichtungen (Amman, November 2005; Ljubljana, November 2006; Athen, Oktober 2007). Mit dieser Initiativstellungnahme will der Ausschuss dazu beitragen, dass das Vereinigungsrecht in den südlichen Mittelmeer-Partnerländern uneingeschränkt wahrgenommen werden kann. |
2.2 |
Zu den Verpflichtungen, die die Unterzeichnerstaaten der Erklärung von Barcelona eingegangen sind, zählen insbesondere:
|
2.3 |
Das erste Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs Europa-Mittelmeer 2005 in Barcelona, das zur Bewertung der ersten zehn Jahre des Euromed-Prozesses einberufen worden war, wurde allgemein positiv beurteilt, weil es gegenüber der Erklärung von 1995 Fortschritte brachte und neue Bestimmungen hinsichtlich der Entwicklung der Rolle der Zivilgesellschaft enthielt. Fragen der Demokratie und der Menschenrechte waren aber nach wie vor ein Bereich, über den auf dem Gipfel ernste Besorgnis zum Ausdruck gebracht wurde. |
2.4 |
Aus diesem Grund wurde auf dem Gipfeltreffen 2005 die Verpflichtung eingegangen, den politischen Pluralismus und die politische Partizipation auf alle Bürger, insbesondere Frauen und junge Leute, auszuweiten und einen konkurrenzfähigen politischen Rahmen, einschließlich fairer und freier Wahlen, sowie Schritte hin zu einer Dezentralisierung und einer verantwortungsvollen Staatsführung zu fördern. |
2.5 |
Die Europäische Kommission hat indirekt die geringen Fortschritte in der Frage der Menschenrechte eingeräumt. In einer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament (4) nannte sie unter den drei vorrangigen Themen, die für den Mittelmeerraum und auch für die Intensivierung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Partnerländern vorrangig sind, als erstes Ziel die „Förderung von Menschenrechten und Demokratie“. Der EWSA teilt diese Ansicht der Kommission und hält es für unerlässlich, die Demokratisierungsprozesse in den Mittelmeer-Partnerländern zu öffnen und zu stärken. |
2.6 |
Eine der Hauptempfehlungen des Berichts Nr. 2004 (5) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) ist ein schrittweiser Übergang zu einer durch eine höhere Repräsentativität gekennzeichneten Regierungsführung, dessen erste Etappe es sein müsse, die Kräfte der Zivilgesellschaft freizusetzen und die Ausübung der drei Grundfreiheiten -Meinungsfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit — zu ermöglichen. Aus diesem Grund und um die Mitwirkung der Frauen an allen Aspekten des öffentlichen Lebens der Mittelmeer-Partnerländer zu fördern, sind Gesetzesänderungen notwendig, insbesondere der Vorschriften über den „personenstandsrechtlichen Status“, die es ihnen ermöglichen, in Ausübung der Grundfreiheiten freie Entscheidungen zu treffen. |
2.7 |
In den Schlusserklärungen der letzten beiden Gipfeltreffen der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbaren Einrichtungen wurden Gesichtspunkte angesprochen, die das Kernthema dieser Initiativstellungnahme betreffen. |
2.8 |
Auf der Tagung 2006 in Ljubljana wurde die Notwendigkeit unterstrichen, den Dialog und die Kooperation zwischen Regierungen und nichtstaatlichen Organisationen, insbesondere Frauen- und Jugendorganisationen und berufsständischen Vereinigungen, im Europa-Mittelmeer-Gebiet zu stärken. In dieser Hinsicht enthielt die Schlusserklärung den Vorschlag, dass der slowenische Ratsvorsitz der Europäischen Union (im ersten Halbjahr 2008) eine Dreierkonferenz zu den Fortschritten im Bereich des sozialen Dialogs organisieren solle. |
2.9 |
Die Schlusserklärung des jüngsten Gipfeltreffens der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbaren Einrichtungen am 15./16. Oktober 2007 in Athen enthält mehrere wichtige Verweise: a) das Ersuchen um eine regelmäßige Einbindung der Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung und Anwendung der nationalen Aktionspläne, für die die WSR (und vergleichbaren Einrichtungen) als Medium vorgeschlagen werden; b) die Forderung nach Ressourcen, Unterstützung und Anerkennung für die WSR, damit sie unabhängig auftreten können, sowie die Zusage der WSR, sich Vertretern der Zivilgesellschaft, die ihnen nicht angehören, zu öffnen; c) die ausdrückliche Forderung in Ziffer 12 nach Achtung der Vereinigungsfreiheit zur Ermöglichung eines Dialogs der Zivilgesellschaft. |
3. Situation in den Mittelmeer-Partnerländern im Hinblick auf die Vereinigungsfreiheit
3.1 |
Die Sicherheit und das Bemühen um Frieden sind grundlegend für die Schaffung eines Umfelds, in dem sich ein Demokratisierungsprozess in allen Mittelmeer-Partnerländern entfalten kann. Die dramatische Situation in den Palästinensischen Gebieten, der Irak-Krieg und die Zunahme von Extremismus und Terrorismus haben sehr nachteilige Folgen für die Entwicklung der Freiheiten. Einige Regierungen haben die Gefahr oder Bedrohung von außen als Rechtfertigung für eine Verzögerung der Demokratisierungsreformen genommen. Diese Situation hat in einigen Ländern einen Rückschritt in Bezug auf die Freiheiten des Einzelnen und das Vereinigungsrecht bewirkt. |
3.2 |
Die Gewährleistung der Ausübung der Grundrechte ist unbestritten eine unabdingbare Voraussetzung für die Verwirklichung der zugesagten Demokratisierungsvorhaben. Die Vereinigungsfreiheit und die Förderung und Entwicklung der Vereinigungen dienen den Interessen der verschiedenen Sektoren und sind der Schlüssel zur Entwicklung der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft und insbesondere der Beteiligung der Zivilgesellschaft und ihrer einzelnen Gruppen daran. |
3.3 |
Hier ist die Feststellung angebracht, dass das Recht auf Vereinigungsfreiheit das Recht einschließt, Gruppen, Vereinigungen und Gesellschaften unterschiedlichster Art zu bilden, ihnen beizutreten oder sich ihnen anzuschließen und aus ihnen auszutreten. Dazu gehört auch, dass der Staat in die Bildung und in die Geschäfte rechtmäßig tätiger Vereinigungen nicht eingreifen darf. Außerdem verlangt es danach, dass der Staat die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Umfelds unterstützt, das die Ausübung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit begünstigt. |
3.4 |
Das Vereinigungsrecht kann nicht losgelöst von den anderen bürgerlichen und politischen Rechten gesehen werden, wie der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung sowie dem Recht auf Freizügigkeit und dem Recht auf Asyl. Die volle Entfaltung der Zivilgesellschaft kann ihrerseits zur Schaffung bzw. Festigung pluralistischerer politischer Systeme beitragen. |
3.5 |
In den meisten Mittelmeer-Partnerländern gibt es eine Kluft zwischen den von den Regierungen geschlossenen internationalen Übereinkommen (die das Recht auf Vereinigungsfreiheit garantieren) und dem nationalen Recht sowie zwischen den beiden Rechtswelten und der Wirklichkeit, auf die sie sich beziehen. Es gibt nur wenige Staaten, in denen die Bildung von Vereinigungen und deren Tätigkeitsausübung nicht auf die eine oder andere Weise zu dem Zweck oder unter dem Deckmantel der Wahrung der nationalen Sicherheit oder Einheit eingeschränkt wird. |
3.6 |
Unter dem Vorwand, reglementieren zu wollen, wird das Recht auf Streik, Versammlung, Kundgebung oder Bildung von Vereinigungen gesetzlich beschnitten (und gelegentlich sogar außer Kraft gesetzt). Die starke Bündelung der Macht in der Exekutive, die ein allgemeines Merkmal der politischen Systeme in den Partnerländern ist, wirkt sich in Form einer übermäßigen Kontrolle der Vereinigungen aus. |
3.7 |
Die Machthaber haben drei Wege, den Vereinigungen zu begegnen: mit Toleranz, Kontrolle oder Repression (oder einer Mischung davon). In manchen Staaten besteht ein akzeptables Maß an Vereinigungsfreiheit, die nur punktuell und in bestimmten Fällen begrenzt wird; in anderen Ländern ist die Tätigkeit unabhängiger Vereinigungen zugelassen, doch hält man sie durch administrative und finanzielle Kontrolle im Griff; in wiederum anderen Ländern sind nur regierungsfreundliche Vereinigungen erlaubt. |
3.8 |
Einmischung und Kontrolle beeinträchtigen Vereinigungen in den einzelnen Phasen ihres Bestehens, vom Moment ihrer Entstehung bis zu ihrer Auflösung. In Ländern, in denen die Bildung von Vereinigungen selektiv zugelassen wird oder eine Ermessenssache ist, sind diese Vereinigungen oftmals regierungsnahen Mitgliedern vorbehalten und damit in der Regel eine Quelle von Korruption. Wenn sie willkürlich aufgelöst werden können, agieren die Vereinigungen zaghaft und setzen nicht alle ihre Anliegen und Möglichkeiten um. |
3.9 |
Es gibt drei Arten von Vereinigungen, die aus unterschiedlichen Gründen einer besonderen Beaufsichtigung unterliegen. Zum einen sind dies die islamistisch-fundamentalistischen Vereinigungen, aus Angst, dass sie einem politisch extremen Islamismus den Boden bereiten, der in einigen Staaten zur Hauptkraft der legalen oder illegalen Opposition geworden ist. Zum anderen gehören die Menschenrechtsorganisationen dazu, weil sie zum Teil ebenfalls Bevölkerungskreise ansprechen, die eine politische Alternative wollen. Des Weiteren sind die Gewerkschaften davon betroffen, weil es sich bei ihnen bisweilen um Massenorganisationen handelt, die sich der Wirtschafts- und Sozialpolitik eines Landes entgegenstellen können, und weil sie enge Verbindungen zu internationalen Organisationen und Institutionen unterhalten. |
3.10 |
Auch in Anbetracht der genannten Einschränkungen ist zu sagen, dass nicht in allen Partnerländern das gleiche Maß an Freiheiten, bezogen auf das Vereinigungsrecht, besteht. In vielen Partnerländern ist die Möglichkeit gegeben, und sei es auch unter Schwierigkeiten, eigenständige Organisationen von Arbeitnehmern, Selbstständigen, Arbeitgebern, Frauen, Jugendlichen, Landwirten usw. aufzubauen. |
4. Situation und Merkmale der wichtigsten Organisationen in den Mittelmeer-Partnerländern
4.1 |
Die üblichen Organisationen von Arbeitnehmern, Landwirten, Unternehmern der Sozialwirtschaft und verschiedenen anderen Bereichen sind — mit den angedeuteten Einschränkungen — in allen Ländern vertreten, weisen allerdings eine relativ geringe Organisationsstärke auf. |
4.2 |
Daneben gibt es Vereinigungen karitativer Art und im Bereich der sozialen Hilfe, die sich um benachteiligte Bevölkerungsgruppen kümmern und Dienste vor allem auf gemeinschaftlicher, religiöser, regionaler, stammesbezogener oder familiärer Ebene anbieten. Bisweilen sind aus diesen Vereinigungen richtige organisierte Sozialdienste geworden. |
4.3 |
Später, in den neunziger Jahren, bildeten sich andere Formen von Vereinigungen mit umweltschützerischen und kulturellen Zielen, die sich mit impulsgebenden Anregungen oder auch Aktionsvorschlägen in öffentlichen bzw. staatlichen Arbeiten engagieren und sich nicht darauf beschränken wollten, Defizite des Staates auszubügeln. Diese neuen Vereinigungen stoßen bei den Behörden und politischen Organen oft auf Argwohn und Zurückweisung. |
4.4 |
Eine weitere wichtige Gruppe von Vereinigungen engagiert sich auf Gebieten, die mit den Menschenrechten, den Rechten der Frau, dem Schutz von Minderheiten und der Förderung der Demokratie im Allgemeinen zusammenhängen. |
4.5 |
Die Lage im Bereich der Arbeitswelt und der Arbeitsbeziehungen in den Mittelmeer-Partnerländern wurde auf dem letzten Gipfeltreffen der Wirtschafts- und Sozialräte in einem Gemeinsamen Bericht, den der spanische WSR vorlegte, eingehend erörtert; einige der Schlussfolgerungen des Berichts sind in den folgenden vier Absätzen wiedergegeben. |
4.6 |
Der Grundsatz der Vereinigungsfreiheit ist in den Verfassungen der Mittelmeer-Partnerländer festgeschrieben. In den vergangenen Jahren gab es Fortschritte bei der Ratifizierung der grundlegenden Sozialübereinkommen der ILO. Von der Umsetzung in nationales Recht kann jedoch nicht das Gleiche behauptet werden. Beim Ausschuss für Vereinigungsfreiheit der ILO, dessen Aufgabe es ist, Klagen von Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden gegen ihre jeweilige Regierung wegen Verletzungen der Vereinigungsfreiheit zu prüfen, gingen mehrere Klagen aus den Mittelmeer-Partnerländern ein, eine recht hohe Zahl davon in Marokko und der Türkei (6). |
4.7 |
Die Art der gewerkschaftlichen Organisation ist von Land zu Land unterschiedlich. In einigen gibt es eine Pflichtgewerkschaft (Monopol) und in anderen ist die Zugehörigkeit zur einzigen Gewerkschaft freiwillig (Einheitsgewerkschaft), während in vielen Ländern gewerkschaftlicher Pluralismus herrscht. Außerdem ist allgemein eine starke funktionale Abhängigkeit der gewerkschaftlichen Organisationen von den politischen Organen festzustellen. |
4.8 |
Die Repräsentativität sowohl der Gewerkschaften als auch der Arbeitgeberverbände ist hingegen durch das Fehlen klarer Gesetze mit genauen Bestimmungen gekennzeichnet, wodurch die politischen Organe über einen weiten Handlungsspielraum verfügen. |
4.9 |
Die meisten Gewerkschaften der Mittelmeer-Partnerländer haben sich internationalen Verbänden angeschlossen und koordinieren ihre Arbeit mit den europäischen Gewerkschaften durch das Gewerkschaftsforum Europa-Mittelmeer, dem folgende Organisationen angehören: der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB), der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB), der Internationale Bund arabischer Gewerkschaften (CISA) und der Gewerkschaftsbund der Arbeitnehmer der arabischen Maghreb-Staaten (USTMA). Zu seinen Zielen gehören die Entwicklung der Nord-Süd-Zusammenarbeit und die Wahrung und Förderung der Interessen der Arbeitnehmer im Rahmen des Barcelona-Prozesses. |
4.10 |
Arbeitgebervereinigungen sind in allen Mittelmeer-Partnerländern weit verbreitet und unterliegen bei der Ausübung ihrer Repräsentationsfunktion im Allgemeinen nicht in gleichem Maße gesetzlichen, politischen oder administrativen Einschränkungen. Normalerweise sind die Arbeitgebervereinigungen nach Branchen organisiert, mehr und mehr entstehen jedoch in den meisten Ländern auch branchenübergreifende Verbände. Neben den Arbeitgebervereinigungen muss auch auf die wichtige Rolle hingewiesen werden, die die Handelskammern in den Mittelmeer-Partnerländern spielen. Bei den Arbeitgebervereinigungen besteht eine größere Organisationsvielfalt als bei den Gewerkschaften. Die Vereinigungen eines Landes können sich zu einem einzigen Unternehmerverband zusammenschließen, wie es z.B. in Tunesien mit der UTICA (7) der Fall ist, die alle Wirtschaftszweige außer der Landwirtschaft umfasst, während es in anderen Ländern mehrere Dachverbände gibt, so zum Beispiel drei in Marokko (8). |
4.11 |
Unternehmensverbände aus elf Partnerländern und Malta (9) haben die Vereinigung der Unternehmerverbände im Mittelmeerraum (UMCE) mit Sitz in Tunis gegründet, zu deren Zielen die institutionalisierte Konzertierung unter den berufsständischen Organisationen und die Mitwirkung an der Schaffung einer Freihandelszone Europa-Mittelmeer gehört. |
4.12 |
In der Sozialwirtschaft mit ihren verschiedenen Formen (Genossenschaften, Gesellschaften auf Gegenseitigkeit, Entwicklungsorganisationen) ist ein großer Teil der Bevölkerung der Mittelmeer-Partnerländer beschäftigt. Sie hat eine wichtige Funktion für das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung, insbesondere in KMU und Kleinstbetrieben. Außerdem spielen diese Organisationen eine wichtige Rolle als Sozialdienstleister. |
4.13 |
Die Vereinigungen im Bereich der Sozialwirtschaft sehen sich im Allgemeinen keinen politisch motivierten Restriktionen gegenüber, unterliegen jedoch auch einigen der Kontrollen von Seiten der Behörden, die für andere Sektoren genannt wurden. Eine starke Stellung unter diesen Vereinigungen haben insbesondere die Agrargenossenschaften in Ländern wie Marokko, den Palästinensischen Gebieten, der Türkei, Ägypten und Israel. |
4.14 |
Die Vereinigungen in den verschiedenen Bereichen: Sozialpartner und Berufsverbände, Umweltschutzorganisationen, Familien- und Verbraucherverbände, sozialwirtschaftliche Verbände usw. versuchen, sich aktiv an der Umsetzung der Assoziierungs- und Nachbarschaftspolitik zu beteiligen, wie der EWSA jüngst in einem Informationsbericht (10) betonte. |
4.15 |
Im Jahr 2000 wurde in Madrid das Netzwerk der Sozialwirtschaft im Europa-Mittelmeer-Raum (ESMED) gegründet, an dem gegenwärtig Organisationen aus Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal, Spanien, Marokko und Tunesien beteiligt sind. ESMED hat an verschiedenen Arbeiten und Foren des EWSA und der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft mitgewirkt. |
4.16 |
Trotz ähnlicher Schwierigkeiten, wie sie bereits für andere Gruppen beschrieben wurden, spielen nichtstaatliche Organisationen und andere Vereinigungen mit sozialen Zielsetzungen ebenfalls eine wichtige Rolle, insbesondere bei der Verteidigung der Menschenrechte. Ihre Arbeit kommt auch bei der Verwirklichung der Ziele des Barcelona-Prozesses sehr deutlich zum Tragen. Der 2005 gegründeten Nichtstaatlichen Euromed-Plattform haben sich zahlreiche Netze und nichtstaatliche Organisationen, darunter auch das „Euro-Mediterranean Human Rights Network“, angeschlossen. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Israel, Palästinensische Gebiete, Libanon, Syrien, Türkei, Mauretanien und Albanien (seit Dezember 2007 sind Mauretanien und Albanien Teil des Barcelona-Prozesses).
(2) REX/233, CESE 1004/2007.
(3) Istanbul, 14./15. Dezember 2006.
(4) Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „10. Jahrestag der Partnerschaft Europa-Mittelmeer — Ein Arbeitsprogramm für die Herausforderungen der nächsten fünf Jahre“ vom 12. April 2005 (KOM(2005 139 endg.).
(5) Bericht über die menschliche Entwicklung in der arabischen Welt, UNDP, April 2005.
(6) Zurzeit wird das Thema der gewerkschaftlichen Rechte in der Türkei von dem Gemischten Beratenden Ausschuss EU/Türkei behandelt.
(7) Tunesischer Verband der Industrie, des Handels und des Handwerks.
(8) Marokkanischer Bauernverband, Allgemeiner Industrie- und Handelsverband, Allgemeiner Verband marokkanischer Unternehmen.
(9) Ägypten: FEI, Algerien: CGEA, Israel: MAI, Jordanien: JCI, Libanon: ALI, Malta: MFOI, Marokko: CGEM, Palästinensische Gebiete: PFI, Syrien: FSCC-CCI, Tunesien: UTICA, Türkei: TUSIAD-TISK, Zypern: OEB.
(10) REX/223, CESE 504/2007, „Die Beteiligung der Zivilgesellschaft auf lokaler Ebene an der Umsetzung der Aktionspläne für die Europäische Nachbarschaftspolitik im Hinblick auf eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung“.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/82 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Verhandlungen über neue Freihandelsabkommen — der Standpunkt des EWSA“
(2008/C 211/21)
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 26. September 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:
„Verhandlungen über neue Freihandelsabkommen — der Standpunkt des EWSA“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 1. April 2008 an. Berichterstatter war Herr PEEL, Mitberichterstatterin Frau PICHENOT.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 101 gegen 6 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und allgemeine Empfehlungen
1.1 |
Der Ausschuss begrüßt die Tatsache, dass die Kommission ihr generelles Bekenntnis zu einer Liberalisierung des multilateralen Handels erneut bestätigt hat, und stellt fest, dass diese Wendung der Europäischen Kommission hin zu einer bilateralen Agenda durch ein Stocken der multilateralen Verhandlungen bedingt ist. |
1.2 |
Nach Ansicht des Ausschusses sollten bilaterale Abkommen als Maßnahmen angesehen werden, die mit einer multilateralen Lösung nicht nur vereinbar sind, sondern diese letztlich sogar stärken. Gewinne auf bilateraler Ebene können für den multilateralen Prozess neue Impulse geben. Auch die Kommission bezeichnet den Handel als Grundlage des europäischen Wohlstands. |
1.3 |
Der Ausschuss hebt jedoch hervor, dass bei dieser neuen Reihe von Verhandlungen ein qualitativ anderer Ansatz verfolgt werden muss: der Versuch, auf bilateraler Ebene erneut die Politik anzuwenden, die auf der multilateralen nicht zum Erfolg geführt hat, ist nicht ausreichend. |
1.4 |
Mit einem bilateralen Ansatz könnte es möglich sein, regionale und nationale Besonderheiten stärker zu berücksichtigen als dies bei multilateralen Übereinkommen der Fall ist, die zwangsläufig einen breiteren Ansatz verfolgen. |
1.5 |
Der Ausschuss begrüßt daher nachdrücklich, dass er von der GD Außenhandel bei den neuen Verhandlungen über Handelsabkommen, wie sie in der Kommissionsmitteilung „Globales Europa“ vom Oktober 2006 vorgesehen sind, um Unterstützung ersucht werden soll. |
1.6 |
Der Ausschuss bekräftigt sein grundlegendes Ziel, als gleichberechtigter Partner der Europäischen Kommission die Beiträge der europäischen Zivilgesellschaft bei seiner künftigen Arbeit mit der Kommission und anderen wichtigen EU-Institutionen wie bisher oder noch stärker einzubringen. |
1.7 |
Der Ausschuss zeigt sich erfreut über die Gelegenheit, die Kommission bei ihrem Ziel, in den Verhandlungen eine konsequentere Beobachtung und mehr Transparenz zu gewährleisten, unterstützen zu können und seine Beziehungen zu der Zivilgesellschaft in den Ländern und Regionen der Welt, die an den Verhandlungen beteiligt sind, ausdehnen und erweitern zu können. |
1.8 |
Der Ausschuss ist überzeugt, dass er aufgrund seiner Struktur über das Potenzial verfügt, bei der Beobachtung eine aktive Rolle zu spielen. Seine Erfahrung befähigt ihn insbesondere dazu, mögliche kompetente Partner in anderen Ländern zu finden. |
1.9 |
Der Ausschuss nimmt zwar zur Kenntnis, dass der Kommission in diesem Fall an einer Beratung und Mitwirkung bei den vorgeschlagenen Verhandlungen insgesamt gelegen ist, weist aber zugleich auf die sehr breite Palette von Themen und Problemen im Rahmen dieser Verhandlungen hin, von denen viele im Hauptteil dieser Stellungnahme angesprochen werden. Dem Ausschuss erscheint es daher sehr empfehlenswert, dass er sich in naher Zukunft mit einem Teil dieser spezifischen Themen in gesonderten Stellungnahmen weitergehend und ausführlicher auseinandersetzt, z.B. in einer Stellungnahme zum Thema menschenwürdige Arbeit und Marktzugang. |
1.10 |
Der Ausschuss begrüßt insbesondere den Umstand, dass soziale und ökologische Erwägungen im Mandat der Kommission für diese Verhandlungen wieder eine Rolle spielen, und vermerkt dazu, dass nachhaltige Entwicklung wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte umfasst. Der Ausschuss weist aber auch darauf hin, dass bei vielen der vorwiegend wirtschaftsbezogenen Themen auch zivilgesellschaftliche Aspekte eine Rolle spielen — zu diesen Themen gehört beispielsweise die Freizügigkeit von Personen. |
1.11 |
In Bezug auf das bilaterale Vorgehen ist der Ausschuss der Meinung, dass die in den ILO-Normen enthaltenen universellen Grundrechte als Basis dienen sollten. Der Ausschuss ist ferner der Auffassung, dass diese Normen herangezogen werden müssen, um zu erreichen, dass jeweils beiderseitig akzeptable und praktikable Definitionen von menschenwürdiger Arbeit in die Freihandelsabkommen aufgenommen werden. |
2. Hintergrund — die Bedeutung des Handels
2.1 |
Handel ist das Herzstück der internationalen Beziehungen. Wechselbeziehungen zwischen Ländern bestehen auf verschiedenen Ebenen; zu nennen sind insbesondere:
Unter all diesen Möglichkeiten der Interaktion ist der Handel das effektivste Instrument zum Aufbau dauerhafter und tiefgehender Beziehungen zwischen Ländern und Weltregionen, und aus ihm entstehen ganz spontan andere Kontakte und Verbindungen. |
2.2 |
Internationaler Handel und Auslandsinvestitionen sind wesentliche Triebkräfte für das Wirtschaftswachstum in Europa und für die externe Dimension der Wettbewerbsfähigkeit der EU. Wie die Kommission in ihrer Mitteilung „Globales Europa“ feststellt, „[hängt] unser Wohlstand vom Handel ab“. Von Bedeutung ist auch die Tatsache, dass die Kommission uneingeschränkt für den Außenhandel zuständig ist, in vielen anderen Bereichen der internationalen Beziehungen kann sie hingegen nur politische Ambitionen haben. Dass die Kommission in diesem Bereich nicht rechenschaftspflichtig ist, gibt jedoch weiterhin Anlass zu Besorgnis und darf auch im Zuge der Fortschritte bei diesen Verhandlungen nicht aus dem Blick geraten. |
2.3 |
Um zu erreichen, dass weite Teile der Bevölkerung die Vorzüge und positiveren Aspekte der Globalisierung erkennen, wird es vielfach als entscheidend angesehen, den Handel zu fördern und sich für niedrigere Zolltarife und die Beseitigung der Handels- und Investitionsschranken einzusetzen. Die großen aufstrebenden Wirtschaftsmächte wie China, Brasilien und Indien — alle drei werden von der neuen Kommissionsstrategie erfasst — wenden sich weniger restriktiven Handelspraktiken zu — ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Globalisierung mit Riesenschritten vorankommt. Durch engere wirtschaftliche Verflechtungen, die sich im Gefolge eines intensiveren Handelsaustausches ergeben, können kulturelle Beziehungen und, was für den EWSA am allerwichtigsten ist, Kontakte auf der Ebene der Zivilgesellschaft beträchtlich gestärkt werden. Vielfach wird angenommen, dass diese Verflechtungen auch die Akzeptanz und Weiterentwicklung vorbildlicher Verfahrensweisen auf dem Gebiet des Umweltschutzes und die Durchsetzung des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung fördern sowie zur Entwicklung höherer Sozial- und Beschäftigungsstandards beitragen. Da diese Resultate jedoch nicht garantiert werden können, ist nach Ansicht des Ausschusses eine genaue Beobachtung durch unmittelbare Einbeziehung der Zivilgesellschaft gefragt. |
2.4 |
Der Ausschuss misst der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung und Weiterverfolgung derjenigen Aspekte des Abkommens, die die nachhaltige Entwicklung betreffen, eine herausragende Bedeutung bei. Er weiß, wie wichtig der auf Kooperation basierende Dialog ist, der ein Klima des Vertrauens zwischen den Partnern fördert und das einzige Mittel ist, diese heiklen Fragen anzugehen. |
2.5 |
Der Ausschuss begrüßt die Tatsache, dass bei dem Verhandlungsmandat für die neuen Abkommen die wichtige Leitlinie berücksichtigt worden ist, die besagt, dass mit diesen Abkommen die Einhaltung des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung (insbesondere Sozial- und Umweltstandards) gefördert werden soll. Dieses Mandat ist vor dem Hintergrund der großen globalen Fragen zu sehen: Klimawandel, Milleniumsziele, Reduzierung der Armut, menschenwürdige Arbeit, Gesundheitsnormen (insbesondere Nahrungsmittel). |
2.6 |
Der Ausschuss plädiert dafür, dass die Zivilgesellschaft wieder über die Betonung der gemeinsamen Präferenzen diskutiert, die dem europäischen Modell der sozialen Marktwirtschaft zugrunde liegen. Europa muss seine gemeinsamen Präferenzen in den bilateralen Verhandlungen zur Geltung bringen, und zwar im sozialen Bereich ebenso wie im Bereich der Nahrungsmittelsicherheit und des Umweltschutzes. Die Kommission bekräftigt diese Haltung in ihrer Mitteilung vom Oktober 2007: „Die EU muss dafür sorgen, dass ihre Exporteure und Investoren in Drittländern ein angemessenes Niveau an Offenheit sowie Grundregeln vorfinden, die unsere Fähigkeit nicht beeinträchtigen, unsere Interessen zu schützen und unsere hohen Standards in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umwelt und Verbraucherschutz zu sichern“. |
2.7 |
Die Kommission kündigt an, in Kürze neue Ideen vorzulegen, mit denen diese zentralen Herausforderungen bewältigt werden sollen: neue Ideen, die auf der Selbstverpflichtung der EU fußen, die Märkte zu öffnen und einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Nach Ansicht des EWSA ist es somit vordringlich, diese bilateralen Verhandlungen mit der dreifachen Forderung nach Schutz, Gleichheit und Gegenseitigkeit zu führen, damit am Ende wirklich eine neue Generation von Abkommen herauskommt. |
3. Die Mitteilung der Kommission „Das globale Europa“ — ein Einschnitt in der Handelspolitik der EU
3.1 |
Die Billigung der Kommissionsmitteilung „Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer globalen Welt“ durch den Ministerrat im April 2007 ist aus globaler Perspektive ein überaus wichtiges Ereignis gewesen. Die EU ist mit einem Anteil von 26 % am weltweiten Dienstleistungshandel und 17,5 % am Warenhandel (EU-25 — Zahlen der Kommission für 2005) einer der größten Handelspartner weltweit. Während die Kommission in ihrer Mitteilung das Engagement der EU für den multilateralen Ansatz bekräftigt, zielt die neue Strategie darauf ab, eine neue Generation bilateraler und regionaler Freihandelsabkommen abzuschließen und nichttarifäre sowie rechtliche Handelshemmnisse abzubauen. |
3.2 |
Dieser neue strategische Rahmen ist sicherlich eine Reaktion darauf, dass die Doha-Runde zum Thema Entwicklung keine greifbaren Fortschritte zur Folge hatte. Vor diesem Hintergrund ist er als Erklärung der Absicht, die Liberalisierungsagenda weiterzuführen, begrüßenswert. Die Kommission betont mit Recht, dass dieser Rahmen nicht an die Stelle des multilateralen Ansatzes treten solle, sondern als Selbstverpflichtung zur Aufrechterhaltung der Liberalisierungsdynamik zu verstehen sei. Der Ausschuss begrüßt dies. Der Abschluss der Doha-Runde ist politisch gesehen immer noch eine strategische Notwendigkeit. |
3.3 |
Dennoch bedeutet diese Mitteilung einen Richtungswechsel in der Handelspolitik der EU, den ersten seit 1999. Ungeachtet dessen hat der Ausschuss die Mitteilung bereits begrüßt (1), nicht zuletzt weil darin das Engagement der Kommission für den Ausbau des Handels und die Vorliebe der EU für multilaterale Lösungen erneut bekräftigt wurden. |
3.4 |
Die bilateralen Abkommen dürfen den multilateralen Ansatz nicht konterkarieren. Sie sollten daher darauf beschränkt sein, den multilateralen Ansatz zu unterstützen, und als Maßnahmen betrachtet werden, die mit einer multilateralen Lösung nicht nur vereinbar sind, sondern diese sogar stärken. Nach Auffassung des Ausschusses können Gewinne, die auf bilateraler Ebene erzielt werden, dem multilateralen Prozess insofern neue Impulse geben, als mit den bilateralen Prozessen tiefergehende Diskussionen und eine stärkere Annäherung der Positionen verbunden sind. |
3.5 |
Die Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang wurden von Professor Patrick Messerlin deutlich herausgestellt (2). In einigen kleinen Staaten oder regionalen Ländergruppen herrscht jedoch ein solcher Mangel an Experten, dass von der Entscheidung zwischen „bilateral“ und „multilateral“ sehr viel abhängt. |
3.6 |
Es ist daher wesentlich, dass die Kommission Freihandelsabkommen nur aushandelt, wenn sie nachgewiesenermaßen einen echten Mehrwert bedeuten. Ein bilateraler Ansatz könnte eine stärkere Berücksichtigung von regionalen und nationalen Besonderheiten ermöglichen als dies bei multilateralen Abkommen der Fall ist, die zwangsläufig einen breiteren Ansatz verfolgen. In diesem Zusammenhang stellt der Ausschuss auch fest, dass die drei noch nicht abgehandelten „Singapur-Themen“, nämlich Wettbewerb, Investitionen und öffentliches Beschaffungswesen, wieder deutlich ins Rampenlicht gerückt werden: die Kommission möchte hier nun mithilfe der vorgeschlagenen Verhandlungen über Freihandelsabkommen Erfolge erzielen, obwohl die EU bei den Verhandlungen über die Doha-Entwicklungsagenda in Cancún von diesen drei Themen absah. |
3.7 |
Der Ausschuss hebt jedoch hervor, dass bei dieser neuen Reihe von Verhandlungen ein qualitativ anderer Ansatz verfolgt werden muss: der Versuch, auf bilateraler Ebene erneut die Politik anzuwenden, die auf der multilateralen nicht zum Erfolg geführt hat, kann nicht genügen. |
3.8 |
Die EU muss sich auch im Klaren darüber sein, dass in jedem Fall die Verhandlungspartner Tempo und Art der Verhandlungen ihrer eigenen Tradition gemäß bestimmen wollen. Zwischen Europa und Asien bestehen in vielen Bereichen hinsichtlich der Herangehensweise beträchtliche Unterschiede, die es zu respektieren gilt. Auch die ASEAN-Mitgliedstaaten unterscheiden sich untereinander deutlich, insbesondere in Bezug auf ihr Entwicklungsniveau. Die EU kann ihre Normen nicht einfach ohne entsprechende Verhandlungen übertragen. |
4. Allgemeine Empfehlungen für künftige Freihandelsabkommen
4.1 |
Die Kommission hat eine Reihe wichtiger Freihandelsabkommen und anderer Handelsverhandlungen aufgeführt, die sie ebenso vorantreiben möchte wie eine Reihe wichtiger Verhandlungsthemen, zu denen die technischen und nichttarifären Handelshemmnisse sowie die „Singapur-Themen“ gehören, mit deren Hilfe sie die „Wettbewerbsfähigkeitsagenda“ für die Handelspolitik entwickeln und stärken möchte. Die Verhandlungen sollten auf einer möglichst breiten Basis geführt werden, wobei um jeden Preis zu vermeiden ist, dass zwischen den Übereinkommen offenkundige Widersprüche bestehen und die jeweiligen Normen unvereinbar sind. Der Ausschuss setzt sich dafür ein, dass sowohl bei den geplanten Freihandelsabkommen als auch bei den anstehenden Verhandlungen in den folgenden Bereichen klare Leitlinien befolgt werden: |
4.2 |
Technische Handelshemmnisse: in vielen Ländern sind diese ein größeres Hindernis für Handel und Wirtschaftswachstum und stellen größere Schranken für den Marktzugang dar als Zölle (nicht zuletzt, weil viele einzelne Entwicklungsländer ihre Zolltarife einseitig gesenkt haben, um Handel und Investitionen zu fördern). Normen, insbesondere im Bereich Gesundheitsschutz für Menschen, Tiere und Pflanzen, sind in diesem Zusammenhang immer wieder sehr strittige Punkte, insbesondere da die Normen der EU zu den strengsten weltweit gehören und dies häufig als Protektionismus „durch die Hintertür“ wahrgenommen wird. Die EU muss bereit sein, mehr Schulungen durchzuführen und die bereits von ihr angebotenen Kapazitätsaufbaumaßnahmen auszudehnen bzw. auf den Erfolg der bestehenden Programme zur handelsbezogenen technischen Hilfe aufzubauen. |
4.3 |
Tarifäre Handelshemmnisse werden bei den drei zentralen Verhandlungen mit Korea, Indien und den ASEAN-Mitgliedern eine große Rolle spielen. Vor allem Indien hat einige sehr hohe Zölle, zu denen weitere Abgaben hinzukommen, insbesondere die Zusatzabgabe und die Sonderzusatzabgabe, die für einige Produkte zu einer Gesamtzollgebühr von 550 % führen. Die mangelnde Harmonisierung ist ein Problem unter den ASEAN-Mitgliedstaaten, in denen das Niveau der Zollabgaben sehr unterschiedlich ist und diskriminierende Verbrauchsteuersysteme angewandt werden (3). |
4.4 |
Verhandlungen über die Beseitigung möglichst vieler nichttarifärer Handelshindernisse werden ganz oben auf den Tagesordnungen stehen. Die Probleme, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, resultieren aus einer übermächtigen Bürokratie, Überregulierung auf lokaler Ebene, mangelnden alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten für überzählige Beamte und möglicherweise sogar Korruption. Die WTO schätzt z.B., dass 93 % der Importe nach Indien von nichttarifären Handelshindernissen betroffen sind, Einfuhren nach Brasilien hingegen nur zu 22 % (4). Auch bei den ASEAN-Mitgliedstaaten sind die nichttarifären Handelshemmnisse beträchtlich, allerdings bestehen bezüglich ihres Umfangs auch große Unterschiede (zum Beispiel sind 31 % der Einfuhren nach Indonesien, aber nur 2 % der Einfuhren nach Singapur betroffen). Bei Importen nach Korea liegt der Anteil bei 25 %. |
4.5 |
Wirtschaftliche Kriterien müssen Vorrang haben — die heutigen und künftigen Märkte müssen beim Zustandekommen künftiger Freihandelsabkommen die zentrale Antriebskraft sein. |
4.6 |
Prinzipiell müssen alle Waren und Dienstleistungen , d.h. mindestens 90 % des Handelsvolumens, erfasst werden: Artikel XXIV des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) sieht vor, dass zwischen Mitgliedern einer Freihandelszone Handelshemmnisse „abgeschafft“ werden. Hier werden einige Ausnahmeregelungen nötig sein, insbesondere wenn die kleinbäuerliche Landwirtschaft bedroht sein könnte. Diese Einschränkung kann jedoch nicht gelten für den Bereich der Dienstleistungen , wo es entscheidend auf eine optimale Einbeziehung ankommt. Hier geht es für jeden der Verhandlungspartner um enorme potenzielle Gewinne — wahrscheinlich die höchsten, die im Bereich Handel quantifizierbar sind. Im Hinblick auf einen maximalen Profit für alle Parteien kommt natürlich dem freien Verkehr von Kapital und Finanzen eine besondere Bedeutung zu. Erhebliche Probleme entstehen jedoch insbesondere in Zusammenhang mit der Freizügigkeit von Personen, vor allem bei Modus 3 und 4. Die Lösung dieser Probleme, insbesondere die Gewährleistung eines leichteren Zugangs qualifizierter Arbeitnehmer aus jedem Handelspartnerland zu einzelnen Mitgliedstaaten wird schwierig sein. Die Zivilgesellschaft wird die Entwicklungen und die praktischen Maßnahmen auf diesem Gebiet genau beobachten wollen. Für alle Parteien gibt es mehr oder weniger sensible Themen; vermieden werden müssen jedoch unbedingt Vereinbarungen, die im Widerspruch zu anderen bereits bestehenden Abkommen stehen oder mit ihnen unvereinbar sind. Der Ausschuss unterstützt jedoch die Absicht der Kommission, im Hinblick auf die Doha-Entwicklungsagenda den Ansatz einer Positiv-Liste zu wählen und nicht, wie die USA, eine Negativ-Liste heranzuziehen. |
4.7 |
Die EU sollte die internationale Dimension des Binnenmarktes voranbringen, nicht zuletzt um die wirtschaftliche Integration in denjenigen Bereichen zu stärken, in denen dies, z.B. zur Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen, von Nutzen wäre, wie etwa bei den Rechnungslegungsgrundsätzen. |
4.8 |
Für alle Freihandelsabkommen werden Schutzklauseln sowie ein Streitbeilegungsmechanismus und in irgendeiner Form auch ein Verfahren zur Begleitung der sozialpolitischen Agenda erforderlich sein. Der Ausschuss empfiehlt, einen Mechanismus zur raschen Lösung von Streitigkeiten über nichttarifäre Handelshemmnisse einzurichten. Ein solches bilaterales Instrument mit einem flexiblen Mechanismus könnte, wie dies bereits EU-intern mit Solvit erprobt wurde, Streitschlichtungsangebote unterbreiten. Der EWSA hat sich bereits mit der Frage der Begleitung einer solchen sozialpolitischen Agenda im Rahmen von bilateralen Abkommen befasst und die Einrichtung von „gemeinsamen bilateralen Beobachtungsstellen“ (5) vorgeschlagen. |
5. Empfehlungen für künftige Handelsabkommen: der soziale und der ökologische Aspekt (6)
5.1 |
Der Ausschuss begrüßt nachdrücklich, dass in der Mitteilung auch auf die Bedeutung der sozialen Gerechtigkeit hingewiesen und erklärt wird, dass „wir […] uns ferner der gravierenden Folgen bewusst sein [müssen], die die Marktöffnung für bestimmte Regionen und Arbeitnehmer, insbesondere für die weniger qualifizierten, haben kann“. Ferner werden in diesem Kontext der drohende Klimawandel sowie die Themen Energie und Biodiversität aufgegriffen. |
5.2 |
In der Uruguay-Runde befürwortete die EU-Kommission eine Sozialklausel für den Welthandel; diese Idee wurde jedoch nicht zuletzt aufgrund des Widerstandes der Entwicklungsländer, die in dieser Einführung von Bedingungen die Möglichkeit eines versteckten Protektionismus sahen, nicht weiter verfolgt. |
5.3 |
Innerhalb der EU herrscht jedoch weiterhin Furcht vor einem „Sozialdumping“, d.h. vor „unlauterem“ Wettbewerb durch künstlich niedrig gehaltene Löhne und Lohnnebenkosten. Der EWSA (7) ist insbesondere der Auffassung, dass die Akteure in den Exportfreizonen, die in den Ländern existieren, mit denen derzeit bilaterale Verhandlungen geführt werden, in keinem Fall außerhalb der Grenzen der nationalen Rechtsbestimmungen (im Sozial- und Umweltschutzbereich) tätig sein dürfen. Es handelt sich hierbei um echtes Sozial- und Umweltdumping. Bei den ausgehandelten Abkommen ist darauf zu achten, dass kein Unternehmen seinen Zulieferern Vorgaben machen kann, mit denen die einzelstaatlichen Gesetze oder die grundlegenden ILO-Übereinkommen unterlaufen werden. |
5.4 |
Alle bilateralen Verhandlungen sollten auf den wichtigen internationalen Verpflichtungen beruhen: der Erklärung der ILO von 1998, dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 2005, den Verpflichtungen im Rahmen des Millenniumsziels der Armutsbekämpfung und der ministeriellen Erklärung zur menschenwürdigen Arbeit von 2006. |
5.5 |
Obwohl diese sozialpolitische Agenda auf der multilateralen WTO-Ebene nicht vorangebracht werden konnte und es zahlreiche sensible Punkte gibt, fordert der EWSA die Kommission nachdrücklich dazu auf zu prüfen, wie diese Agenda bilateral weitergeführt werden kann. Wie bereits ausgeführt, könnte ein bilateraler Ansatz für das Ziel der Kommission insofern erfolgreicher sein, als hierbei der Dialog unter gebührender Berücksichtigung der Unterschiede in der Entwicklung umfassender und direkter geführt werden kann. |
5.6 |
Immer mehr europäische Bürger fragen sich, wie die Zukunft Europas in Zusammenhang mit der Globalisierung aussehen wird. Wie der zusammenfassende Bericht über die Umsetzung der Lissabon-Strategie vom Dezember 2007 zeigt, versucht die Kommission ein „europäisches Interesse“ zu definieren. Die Kommission betont hier die außenpolitische Dimension (8): es müsse immer stärker darauf geachtet werden, dass auf internationaler Ebene gleiche Bedingungen herrschen. Zur Stärkung dieser außenpolitischen Dimension der Lissabon-Strategie, mit der zugleich die Verteidigung und legitime geografische Erweiterung des europäischen Interesses verbunden ist, hat die Kommission vereinbart, den Dialog mit den Drittstaaten zu intensivieren und zu rationalisieren und den Schwerpunkt deutlicher auf Fragen von beiderseitigem Interesse, wie etwa Marktzugang, Angleichung von Vorschriften, Migration und Klimawandel zu legen. Jedes Jahr werde sie einen Gesamtbericht zum Thema Marktzugang annehmen, in dem diejenigen Länder und Sektoren erfasst sind, bei denen noch immer beträchtliche Hindernisse bestehen. Der Ausschuss befürwortet eine Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Europa wie auch der Zivilgesellschaft der Verhandlungspartner. Die Politik der EU in den Bereichen Handel, Außenbeziehungen und Entwicklungshilfe könnte hierdurch wieder an Außenwirkung und Kohärenz gewinnen. |
5.7 |
Im Augenblick und für die derzeit laufenden Handelsverhandlungen ist der Ausschuss der Ansicht, dass die 27 Übereinkommen, die bereits im Rahmen des geltenden allgemeinen Präferenzsystems „APS +“ als Kriterium herangezogen wurden (9), die Basis für das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung bilden (soziale und ökologische Aspekte, Menschenrechte, verantwortungsvolle Regierungsführung) und dass diese Abkommen als gemeinsame Referenz gelten sollten. Die Ratifizierung, Anwendung und Überwachung dieser 27 internationalen Übereinkommen muss für die Behandlung des Kapitels nachhaltige Entwicklung in den mit den asiatischen Ländern eröffneten Verhandlungen die Mindestvoraussetzung sein (10). |
5.8 |
In Anbetracht des ungleichen Entwicklungsniveaus der betreffenden asiatischen Länder und ihrer für eine wirksame Anwendung notwendigen Verwaltungskapazitäten empfiehlt der Ausschuss eine differenzierte Bewertung dieser Voraussetzung und eine finanzielle Unterstützung, die an den jeweiligen Aufholbedarf angepasst ist. Umgekehrt stellt diese Basis lediglich einen Ausgangspunkt dar, wobei für die am stärksten entwickelten Länder wie etwa Südkorea auch strengere Verpflichtungen gelten können. |
5.9 |
Hierzu müssen die Freihandelsabkommen einhergehen mit Kooperationsabkommen, die für die Anpassung an die internationalen Normen konsequente finanzielle Unterstützung bieten. Der Umfang dieser Mittel wird in hohem Maße bestimmen, welche Anforderungen insbesondere im Bereich Umweltschutz gestellt werden können. Die technische Hilfe wird umso wirksamer sein, wenn sie an Ergebnisse bei der Umsetzung bestimmter Konventionen gebunden ist. Die Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen wird somit im Zuge der Gewährung von Finanzhilfen zu einem Anreiz zum sozialen Fortschritt. |
5.10 |
Die technische Hilfe umfasst auch die Einrichtung bzw. Stärkung von lokalen oder regionalen Einrichtungen zur Überwachung der Umsetzung (z.B. Arbeitsaufsicht, Kontrollstellen für den Einsatz von Pestiziden …). Der Ausschuss hebt insbesondere hervor, dass sich die bilateralen Begleitmechanismen auf die lokalen oder regionalen Einrichtungen stützen müssen, die in der Lage sind, eine wirksame Kontrolle der Erzeuger/Hersteller in dem gesamten Gebiet zu gewährleisten und im Falle von Regelübertretungen Strafen zu verhängen. Ein wirklicher Zugang zum öffentlichen Auftragswesen setzt auch eine größere Einbeziehung der Gebietskörperschaften in die Begleitmaßnahmen und die Umsetzung voraus. |
5.11 |
Der Ausschuss spricht sich dafür aus, dass die Folgeanalysen in den Bereichen Soziales und Umweltschutz für jedes Land von den ersten Verhandlungsetappen an zur Verfügung stehen, damit sich die Verhandlungspartner einen objektiven Überblick verschaffen können über die Möglichkeiten bzw. über die Schwierigkeiten, mit diesem oder jenem Land zu einem realistischen Kompromiss zu gelangen. Im Hinblick auf ein gutes Ergebnis unter Berücksichtigung dieser Folgeanalysen, die der Zivilgesellschaft eine transparente Beurteilung des Vorgehens und eine Bewertung der zur Erreichung der sozialen und ökologischen Ziele notwendigen finanziellen Unterstützung ermöglichen, ist einem weniger eiligen Verhandlungsprozess der Vorzug zu geben. |
5.12 |
Die Einkünfte aus den Zollgebühren, die für die Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen genutzt werden, gehen vielen Ländern verloren, wenn sie ihre Zollsätze senken. Diese komplexe Problematik bedarf einer eingehenderen Untersuchung. Daher sollten die Freihandelsabkommen keine Vorschläge oder Maßnahmen enthalten, die das Funktionieren der öffentlichen Dienstleistungen direkt oder indirekt gefährden könnten. |
6. Ein dynamischer Ansatz für menschenwürdige Arbeit in den Handelsabkommen der EU
6.1 |
Der Ausschuss ist der Ansicht, dass menschenwürdige Arbeit im Sinne der ILO auf europäischer und globaler Ebene bei den Handelsbeziehungen ein vorrangiger Bezugswert werden muss. Es handelt sich um ein von Arbeitgebern, Staaten und Arbeitnehmern weltweit anerkanntes Konzept. Die Garantie einer menschenwürdigen Arbeit — die die Beschäftigung selbst, die Achtung der Arbeitnehmerrechte, den sozialen Dialog und den Sozialschutz einschließt — ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Reduzierung der Armut und den globalen Fortschritt (11). |
6.2 |
Die Begleitausschüsse im Rahmen der Freihandelsabkommen müssen die bereits bestehenden Dialogverfahren insbesondere dann abstützen, wenn durch ein Abkommen über eine Assoziierungspartnerschaft ein Dialog zu den Themen „Beschäftigung und Soziales“ eingerichtet wurde. |
6.3 |
Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die Fortschritte im Bereich der sozialen Normen vor dem Hintergrund der im Verhandlungsmandat dargelegten nachhaltigen Entwicklung betrachtet werden müssen. 1996 kam man darin überein, dass die gemeinsame Arbeit von ILO und WTO ausgebaut werden muss. Diese Bemühungen nahmen 2007 durch die gemeinsame Studie „Beschäftigung und Handel“ konkrete Gestalt an und werden voraussichtlich durch eine weitere Studie zum „informellen“ Sektor fortgesetzt. Der Ausschuss empfiehlt der EU, die Maßnahmen der Internationalen Arbeitsorganisation auf regionaler Ebene zur Kenntnis zu nehmen, um so die Auswirkungen der Integration des Handels auf eine menschenwürdige Arbeit und die Politikgestaltung in den Bereichen Beschäftigung, sozialer Schutz und Arbeitsnormen bewerten zu können. Er weist die Verhandlungsführer darauf hin, dass Indikatoren entsprechend denen der Agenda für menschenwürdige Arbeit definiert werden müssen. |
6.4 |
In der gegenwärtigen Verhandlungsphase betrachtet der Ausschuss die Ratifizierung (12) und wirksame Anwendung (vorbehaltlich einer Prüfung durch eine gemeinsame Arbeitsgruppe der WTO und der ILO) der acht grundlegenden Übereinkommen als unerlässlich; ferner sieht er die Berücksichtigung der vier anderen prioritären Übereinkommen zu Arbeitsschutz und Arbeitsinspektion als wünschenswert an und unterstützt die Ratifizierung einer möglichst großen Anzahl von geeigneten Übereinkommen durch die betreffenden Länder unter Wahrung des Grundsatzes des differenzierten Herangehens. |
6.5 |
Der Ausschuss empfiehlt, die Verhandlung über neue Handelsabkommen mit der Erstellung eines nationalen Programms für menschenwürdige Arbeit zu verknüpfen. Er fordert die betreffenden Länder in Asien dazu auf, das Internationale Arbeitsamt für eine Dreiparteien- Diagnose um Hilfe zu bitten und befürwortet die Anerkennung dieses Plans durch alle internationalen Institutionen. Zudem sieht es der Ausschuss als wünschenswert an, das Thema bilaterale Verhandlungen in die Folgemitteilung zur menschenwürdigen Arbeit, die für 2008 vorgesehen ist, aufzunehmen. |
6.6 |
Für die Phase der Weiterverfolgung des Abkommens fordert der Ausschuss zudem die EU und die Mitgliedstaaten dazu auf, finanzielle Hilfe zur Umsetzung von nationalen Plänen für menschenwürdige Arbeit zu leisten. In ihren Jahresberichten für jedes Land sollte die EU der Anerkennung der Gewerkschaftsrechte sowie den Empfehlungen der Normenkommission der ILO besondere Beachtung schenken. |
6.7 |
Im Hinblick auf die Weiterverfolgung der Maßnahmen sollten nach Auffassung des Ausschusses die Sozialpartner auf regionaler und lokaler Ebene um einen Beitrag zu den Folgeanalysen ersucht werden. Er empfiehlt, branchenspezifische Strukturen einzurichten, die eine qualifizierte Analyse der spezifischen Schwierigkeiten in den einzelnen Sektoren leisten können. |
7. Die Rechte an geistigem Eigentum und ihre Durchsetzung
7.1 |
Der Ausschuss begrüßt es, dass die Kommission unbedingt strengere Bestimmungen über den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum einführen möchte, und ist mit der beschriebenen Ausrichtung einverstanden, insbesondere mit der Unterstützung von KMU und anderen Unternehmen, die Handel mit Schwellenländern treiben. Wenn die EU ihr Ziel erreichen soll, die Verletzungen der Rechte an geistigem Eigentum zu reduzieren und die Herstellung und Ausfuhr nachgeahmter Waren einzudämmen, ist es unabdingbar, dass sie ihre Strategie zum Schutz dieser Rechte ausbaut und deren Durchsetzung mit mehr Nachdruck betreibt. Die Durchsetzung dieser Rechte ist von zentraler Bedeutung. Das TRIPS-Übereinkommen muss von den Partnern der Freihandelsabkommen in vollem Umfang umgesetzt werden. Eher als ganz neue Abkommen anzustreben, sollte die EU deshalb beim Abschluss dieser Abkommen vorrangig darauf hinwirken, eine zuverlässige Selbstverpflichtung zur konkreten Durchsetzung der bestehenden Rechte an geistigem Eigentum zu erreichen, die einhergeht mit ausreichender Kontrolle und einer Messung der erzielten Ergebnisse. In einer Welt, in der Europa zunehmend von Ländern anderer Kontinente herausgefordert wird, ist die Forschungs- und Entwicklungskapazität und -kompetenz, der mit Recht ein hoher Stellenwert in der Lissabon-Strategie eingeräumt wird, ein bedeutender Faktor für die Erhaltung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. |
7.2 |
Im Kampf gegen Produktfälschung fordert der Ausschuss die Verhandlungspartner insbesondere im Falle Indiens dazu auf, Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher vor den Risiken in Zusammenhang mit Produktfälschung zu erörtern. Zu den Begleitmaßnahmen eines Abkommens sollte ein gemeinsamer Ausschuss EU/Indien gehören, der sich mit Produktfälschung befasst (ein solcher Ausschuss besteht bereits für China) (13). |
7.3 |
Angesichts der Tatsache, dass Indien am „Heiligendamm-Prozess“ beteiligt ist, der im Juni 2007 zwischen den G8-Staaten und fünf Schwellenländern im Hinblick auf einen strukturierten Dialog zur Förderung der Innovation und zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum eingeleitet wurde, wäre es nach Ansicht der Zivilgesellschaft von Nutzen, bei den bilateralen Verhandlungen die Weiterverfolgung dieses Prozesses zu berücksichtigen. |
8. Ursprungsregeln
8.1 |
Ursprungskumulierung zwischen den Freihandelspartnern der EU sollte möglich sein, zur Erleichterung des Handels mit den Freihandelspartnern sollten zudem die Ursprungsregeln harmonisiert werden. Eingeschränkte Kumulierungsmöglichkeiten sowie Unterschiede bei den Ursprungsregeln im multilateralen Handel (nicht-präferenzielle Ursprungsregeln) und in Freihandelszonen (präferenzielle Ursprungsregeln) erschweren es den wirtschaftlichen Akteuren, die niedrigeren Zölle der Freihandelszonen in vollem Umfang zu nutzen. Viele europäische Importeure sind derzeit bereit, eher den vollen, nicht-präferenziellen Zolltarif als die niedrigeren Zollabgaben der Freihandelszone zu zahlen, wenn sie damit mögliche Strafzahlungen wegen Annahme von zweifelhaften Ursprungszertifikaten vermeiden können. In diesen Fällen verfehlen die Freihandelsabkommen ihr Ziel einer Ausdehnung des Handels. |
9. Staatliches Auftragswesen, Investitions- und Wettbewerbsvorschriften in Drittländern
9.1 |
Trotz seiner Bedenken hinsichtlich der Doha-Entwicklungsagenda und des Zeitpunkts für die Wiederaufnahme der „Singapur-Themen“, begrüßt der Ausschuss die detaillierten Vorschläge der Kommission im Hinblick auf die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens — das immer häufiger als staatlich bezeichnet wird — in Drittländern und die Lockerung der Vorschriften über Investitionen, Wettbewerb und staatliche Beihilfen. Auf diesen Gebieten gehen zahlreiche wichtige Handelspartner der EU nämlich sehr restriktiv vor. Wie schon gesagt müssen bilaterale Abkommen nachweislich einen Mehrwert erbringen, wenn sich ihr Abschluss lohnen soll. |
9.2 |
Der Ausschuss erinnert an die WTO-Arbeitsgruppe für staatliches Beschaffungswesen, die es gleich gesinnten Ländern ermöglicht, unter der Schirmherrschaft der WTO einvernehmlich fortschrittlichere Vereinbarungen zu treffen, so dass die Möglichkeit der Dynamisierung besteht, ohne dass Länder, die sich noch nicht reif für eine Öffnung des Auftragswesens fühlen, in Zugzwang geraten. Dies könnte ein Modell für das Vorgehen im bilateralen Bereich sein. |
9.3 |
„Staatliche Aufträge bergen sehr viel ungenutztes Potenzial für EU-Exporteure“, so die Mitteilung. Diese sind auf vielen sektoriellen Märkten der Schwellenländer von ganz besonderer Bedeutung für die Ausfuhrunternehmen der EU. Da es mit Chile bereits ein Freihandelsabkommen gibt, das als Beispiel dienen könnte, betrachtet der Ausschuss die im Government Procurement Agreement (GPA) von 1994 vereinbarten Regelungen als den anzustrebenden Mindeststandard, wobei die EU anderen Parteien erforderlichenfalls technische Hilfe und Unterstützung beim Aufbau von Kapazitäten gewähren sollte, damit diese die Anforderungen dieses Abkommens erfüllen können. Der Ausschuss stellt fest, dass die USA dies bei ihren Verhandlungen erreichen möchten, und begrüßt, dass die Kommission dieses ebenfalls als Ziel der EU betrachtet. Dass die EU hier leichtes Spiel haben könnte, hält der Ausschuss für eine Illusion, zumal in den Verhandlungen mit Indien, wo die Zuständigkeit nicht auf zentraler, sondern auf bundesstaatlicher Ebene liegt. |
9.4 |
Wichtig für das Wachstum der EU wie auch der „Aufnahmeländer“ wird ferner eine Verbesserung der Investitionsbedingungen in diesen Drittländern sein. Durch die Anwendung von diskriminierenden Regelungen und Genehmigungsvorschriften, die mit größerem administrativen und/oder bürokratischen Aufwand verbunden sind, bewahren sich viele, wenn nicht gar die Mehrheit der größten EU-Handelspartner ein hohes Schutzniveau gegen ausländische Direktinvestitionen. Außerdem sind zu viele Branchen, insbesondere im Dienstleistungssektor (Banken, Finanzsektor, Versicherungen, Rechtswesen, Telekommunikation, Einzelhandel, Verkehr) ganz oder teilweise für Investitionen aus Europa abgeschottet. In den Verhandlungen kommt es hauptsächlich darauf an, dass unnötige Restriktionen abgebaut werden und gewährleistet wird, dass die Verhandlungen und der darin vorgezeichnete Prozess vollständig transparent sind und das anschließende Genehmigungsverfahren beim Partnerstaat zügig, fair und effizient durchgeführt wird. Das Modell der USA für die Aushandlung solcher Abkommen ist umfassend angelegt und schließt den Investorschutz ein. |
9.5 |
Der Ausschuss begrüßt das Bestreben der EU, in die Verhandlungen über Freihandelsabkommen auch einige Punkte betreffend den Wettbewerb einzubeziehen. Viele Probleme in Zusammenhang mit Investitionen und Handeslerleichterungen sind auf ein Fehlen angemessener Wettbewerbsregeln in den Ländern zurückzuführen, die den globalen Handel erschweren und beeinträchtigen, und der Investitionsfluss wird häufig durch Marktverzerrungen infolge von nicht vorhandenem Wettbewerb (oder gravierenden Mängeln bei dessen Durchsetzung) behindert. Diese Fragen der globalen Governance verlieren nichts von ihrer Bedeutung. Die bestehenden Abkommen mit Südafrika und Chile sehen eine Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den jeweiligen Wettbewerbsbehörden vor. Trotz zu erwartender Schwierigkeiten (eventuell mit Ausnahme Südkoreas) sollte die Kommission versuchen, entsprechende Klauseln in die Freihandelsabkommen aufzunehmen. |
9.6 |
Anklang findet beim Ausschuss auch die bei der Kommission wieder im Vordergrund stehende Marktzugangsstrategie ebenso wie die Absicht, die Ressourcen auf besonders wichtige Länder zu konzentrieren und eindeutige Prioritäten für den Abbau der nichttarifären und sonstigen Handelshemmnisse in den als vorrangig betrachteten Ländern zu setzen. |
9.7 |
Der Ausschuss stellt fest, dass die Überprüfung der handelspolitischen Schutzinstrumente derzeit im Gange ist. Er ist der Meinung, dass diese Instrumente auch im Rahmen der bilateralen Abkommen ihre Schutzfunktion behalten müssen (Antidumpingmaßnahmen, Antisubventionsmaßnahmen, Schutzmaßnahmen). |
10. Handelserleichterungen
10.1 |
Das vierte „Singapur-Thema“ ist noch immer fester Bestandteil der Doha-Agenda. Der Entwurf für ein WTO-Abkommen über Handelserleichterungen gilt als nahezu abgeschlossen. Dieser Text wird sicherlich einen bedeutenden Beitrag leisten zur Erstellung grundlegender Normen für die weltweite Grenz-/Zollabfertigung beim Handel und das Risiko unvorhersehbarer Interventionen von Regierungsseite vermindern. Ein solches Abkommen sollte beschleunigte und vereinfachte Verfahren für die Freigabe/Zollabfertigung von Waren ebenso beinhalten wie Verfahren für die Einlegung von Rechtsmitteln, die Veröffentlichung von Handelsbestimmungen, die Minimierung von Kosten und Gebühren sowie insbesondere die Einführung einer einzigen Anlaufstelle („single window“) — mit anderen Worten eine exponentiell zunehmende Nutzung von Informationstechnologien für Zollverfahren. Alleine hierdurch kann voraussichtlich in beträchtlichem Umfang Doppelarbeit vermieden sowie Geld und Zeit eingespart werden — insbesondere in Fällen, da verschiedene Regierungsstellen nahezu identische Informationen anfordern. Insbesondere bei den Verhandlungen mit Indien wird dieser Aspekt eine große Rolle spielen. Nach Angaben der Weltbank (14) dauert die Ausfuhr von Waren aus Indien durchschnittlich zehn Tage (aus Brasilien sieben Tage) und die Einfuhr von Waren nach Indien durchschnittlich 41 Tage (gegenüber 24 Tagen für Waren nach Brasilien). Hinzuweisen ist auch auf die beträchtlichen Unterschiede zwischen den einzelnen ASEAN-Mitgliedstaaten, vor allem zwischen Singapur und Thailand. Der Ausschuss fordert die Kommission nachdrücklich dazu auf, sich auch für den Fall, dass die übergeordneten Doha-Verhandlungen gänzlich zum Stillstand kommen, mit aller Kraft für ein solches Abkommen einzusetzen, das wiederum zu höheren Standards im Zuge einfacherer, effizienterer und weniger kostspieliger Grenz- und Zollverfahren führen wird. |
10.2 |
Größte Nutznießer eines solchen Abkommens wären Binnenstaaten; hier würden transparente, IT-gestützte Verfahren dazu beitragen, beim Transport von Gütern durch ein Drittland zu oder von einem Hafen Verluste und Verzögerungen zu verringern. |
10.3 |
Bei kleinen Exportunternehmen schlagen die Zollabfertigungskosten am meisten zu Buche, und sie verfügen oft nicht über die notwendige kritische Masse (in Bezug auf Größenvorteile, Umsatzmenge, Vertriebsnetze, Transportmittel usw.), um die hohen Zollkosten zu kompensieren, die sich aus Verzögerungen im Verwaltungsablauf, Korruption und anderen Faktoren ergeben. Im Endeffekt gehen somit potenzielle Märkte verloren. Den kleinen und mittleren Unternehmen in der EU würde ein Abkommen über Handelserleichterungen besonders zugute kommen. Die KMU würden kurzfristig von einem ambitionierten Abkommen über Handelserleichterungen mehr profitieren als von einer Senkung der Zölle. |
10.4 |
Ungeachtet der Fortschritte bei den Doha-Verhandlungen legt der Ausschuss Wert darauf, dass bei den derzeitigen Verhandlungen über Freihandelsabkommen die Handelserleichterungen ebenso viel Gewicht haben wie die drei übrigen „Singapur-Themen“. |
10.5 |
Der Ausschuss weist auf den Erfolg der Programme der Kommission für handelsbezogene technische Hilfe hin, die dazu beigetragen haben, dass Entwicklungsländer sowohl die Anforderungen einer Mitgliedschaft in der WTO besser erfüllen als auch den Anforderungen besser gerecht werden können, die an sie als Exporteure von Waren und Dienstleistungen in die EU wie auch als Empfänger von EU-Investitionen gestellt werden. Für diese Programme kann der technische Sachverstand anderer internationaler Organisationen unter UN-Schirmherrschaft (z.B. UNIDO, WIPO und ITC) genutzt und somit das Profil der EU gestärkt sowie eine Zusammenarbeit zwischen den internationalen Institutionen hergestellt werden. Dies wird besonders wichtig sein, wenn die am wenigsten entwickelten ASEAN-Mitgliedstaaten stärker einbezogen werden sollen, ist aber auch für einen Fortschritt in Lateinamerika von Bedeutung. |
11. Die Rolle der Zivilgesellschaft
11.1 |
Der Ausschuss begrüßt das Ziel der Kommission, bei den Verhandlungen für eine intensivere Beobachtung und mehr Transparenz zu sorgen und ihre Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den anderen an den Verhandlungen beteiligten Ländern und Regionen zu erweitern und auszubauen. Bei der Beobachtung kann der Ausschuss aufgrund seiner Struktur eine aktive Rolle übernehmen. Aufgrund seiner Erfahrung kann er mögliche kompetente Partner in Drittländern finden. Deren Einbindung wiederum stärkt ihre Rolle in ihren Heimatländern. |
11.2 |
Hinsichtlich der Verhandlungen über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) ermächtigt das Cotonou-Abkommen den Ausschuss, Anhörungen und Treffen mit den wirtschaftlichen und sozialen Gruppen der AKP-Staaten zu organisieren. 2003 wurde dies dahingehend erweitert, dass auf Wunsch des damals für Außenhandel zuständigen Kommissionsmitglieds (Lamy) auch die Beobachtung von Verhandlungen einbezogen wurde. Unter aktiver Beteiligung der Verhandlungsführer der Europäischen Kommission ergab sich hieraus, dass der Begleitausschuss AKP/EU zweimal jährlich zusammentritt, regionale Seminare ein- oder zweimal im Jahr stattfinden und in Brüssel allgemeine Konferenzen mit Delegierten aus allen AKP-Staaten abgehalten werden. Als ein Ergebnis der Anhörungen beinhaltet das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen für die Karibik sowohl ein soziales und ökologisches Kapitel als auch die Schaffung eines zivilgesellschaftlichen beratenden Ausschusses, der für die Beobachtung der Umsetzung des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens sowie die Überprüfung aller wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aspekte verantwortlich ist. |
11.3 |
Im Hinblick auf die vorgeschlagenen Assozierungsabkommen mit den Regionen Zentralamerikas und der Anden wurde 1999 ein regelmäßiger Dialog mit Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft aus Lateinamerika und der Karibik eingerichtet, dessen fünfte Sitzung für April 2008 angesetzt ist. Mit diesem Dialog sollte ein Beitrag der Zivilgesellschaft zu den zweijährlichen Gipfeln EU/Lateinamerika sichergestellt werden. Der Ausschuss unterhält ferner weitreichende Kontakte zu dem Beratenden Wirtschafts- und Sozialforum des Mercosur, dem Beratenden Arbeitnehmerausschuss der Andengemeinschaft, dem Beratenden Arbeitgeberausschuss der Andengemeinschaft und dem zivilgesellschaftlichen Beratenden Ausschuss des Systems für Zentralamerikanische Integration. |
11.4 |
Der Ausschuss nimmt auch an den Diskussionsforen EU/Indien und EU/China teil, bei denen er die EU-Delegation stellt. Das Diskussionsforum EU/Indien wurde 2001 und das Diskussionsforum EU/China im Juni 2007 eingerichtet. Beide treffen sich regelmäßig, ihre Arbeit wurde auf den jährlich stattfindenden Gipfeln bereits gewürdigt. Über die Internationale Vereinigung der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbarer Einrichtungen (AICESIS) unterhält der Ausschuss außerdem zivilgesellschaftliche Kontakte zum südkoreanischen und zum thailändischen Wirtschafts- und Sozialrat. |
11.5 |
Der Ausschuss hofft, durch die regelmäßige Veranstaltung von Anhörungen der Zivilgesellschaft zu Handelsverhandlungen auf regionaler Ebene einen Beitrag zur Zusammenarbeit leisten und seine weitreichenden regionalen Kontakte sowie seinen Erfahrungsschatz bei der Beobachtung von WPA-Verhandlungen einbringen zu können. Er schlägt vor, in den jeweiligen Ländern und Weltregionen Workshops oder andere regelmäßige Treffen zur Anhörung der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen zu veranstalten und zu diesem Zweck — wenn dies angebracht ist — bereits vorhandene Diskussionsforen zu nutzen. Die EU-Verhandlungspartner (und die entsprechende Gegenseite) würden eingeladen, um über den Stand der Verhandlungen zu berichten und eine Rückmeldung von Vertretern der Zivilgesellschaft aus europäischen und dritten Staaten zu erhalten. Außerdem könnte der Ausschuss die Maßnahmen der Kommission dahingehend ergänzen, dass er den Vertretern aus EU- und Drittländern eine Teilnahme in Zusammenhang mit der derzeit durchgeführten Nachhaltigkeitsprüfung (Sustainability Impact Assessment) erleichtert und einen direkten elektronischen Zugriff auf alle seine Kontakte zur Zivilgesellschaft in den entsprechenden Ländern und Weltregionen ermöglicht. |
11.6 |
Der Ausschuss sollte sein Augenmerk auch auf die Bestimmung der Instanzen und Verfahren zur Weiterverfolgung der sensiblen Punkte der nachhaltigen Entwicklung richten. Er plädiert dafür, dass der regelmäßige bilaterale Dialog die Empfehlungen der verschiedenen Gremien in den 27 vorgenannten internationalen Übereinkommen berücksichtigt, indem die Zivilgesellschaft miteinbezogen wird oder die Ergebnisse des finanzexternen Ratings je Land durch die Weltbank oder die Ratingagenturen analysiert werden. Darüber hinaus ist es notwendig, dass die Zivilgesellschaft eine vorherige Evaluierung der verschiedenen Begleitgremien erstellt. |
11.7 |
Der Ausschuss empfiehlt im Falle Koreas, sich auf die regelmäßige Beobachtung durch die OECD zu verlassen, insbesondere in Bezug auf das mit den Sozialpartnern bis 2010 unterzeichnete Moratorium. |
11.8 |
Als eine Form der nachhaltigen Entwicklung auf Ebene der Unternehmen kann die „Soziale Verantwortung der Unternehmen“ (CSR) auf freiwilliger Basis einen Beitrag leisten zur Umsetzung sozialer und ökologischer Verpflichtungen, wie sie in neuen Handelsabkommen enthalten sind. Hierbei wird man sich insbesondere auf die etwa 50 internationalen Rahmenabkommen stützen, die bereits in großen Unternehmen, häufig europäischen Ursprungs, ausgehandelt wurden. Diese Abkommen stellen durch den Vorbildcharakter, den der soziale Dialog in Tochterfirmen in den Partnerländern hat, einen Beitrag zur Durchsetzung menschenwürdiger Arbeit dar und sind ein Pluspunkt für qualifizierte Arbeitskräfte vor Ort. Zudem ist diese Berücksichtigung von CSR-Verpflichtungen seitens der multinationalen Konzerne oder der Zulieferketten eines Produktionssektors auch ein Impulsfaktor für die gesamte Wertkette (Liefer- und Zulieferbetriebe), insbesondere in großen Schwellenländern wie China. Der Ausschuss empfiehlt, dass sich der Begleitausschuss eines Handelsabkommens auch mit der Frage eines Sozial- und Umweltsiegels befasst, um so den Verbrauchern eine zuverlässige Information an die Hand zu geben und dem Bedürfnis der Nachvollziehbarkeit zu entsprechen. |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) Stellungnahme „Herausforderungen und Möglichkeiten für die EU im Zuge der Globalisierung“, Berichterstatter: Herr MALOSSE (REX/228 — CESE 136/2007 fin), Mai 2007.
(2) Patrick Messerlin: Assessing the EC Trade Policy in Goods, European Centre for International Political Economy, 2007 (Jan Tumlir Policy Essay Nr. 01, 2007).
(3) CBI Briefing Paper, März 2007.
(4) WTO: „Market access: unfinished business — Post Uruguay round inventory“, 2003.
(5) Siehe REX/182: „Die soziale Dimension der Globalisierung — der politische Beitrag der EU zu einer gleichmäßigen Verteilung des Nutzens“.
(6) Stellungnahme: „Herausforderungen und Möglichkeiten für die EU im Zuge der Globalisierung“, Berichterstatter: Herr MALOSSE, 31. Mai 2007.
(7) Stellungnahme „Unternehmensverantwortung“, Evelyne Pichenot, Dezember 2006.
(8) Mitteilung der Kommission vom 11. Dezember 2007: „Umsetzung der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung durch die Mitgliedstaaten und Regionen im Rahmen der EU-Kohäsionspolitik, 2007-2013“.
(9) Liste im Anhang.
(10) Übersicht über die Ratifizierung der Konventionen durch die asiatischen Länder.
(11) Stellungnahme zum Thema „Soziale Dimension der Globalisierung“, Berichterstatter: Herr ETTY und Frau HORNUNG-DRAUS.
(12) Siehe Übersicht im Anhang über den Stand der Ratifizierung in Asien.
(13) Siehe auch die Stellungnahme zum Dossier INT/390: „Die verschiedenen politischen Maßnahmen, die — neben einer angemessenen Finanzierung — Wachstum und Entwicklung von KMU fördern können“ (Berichterstatter: Herr CAPPELLINI).
(14) Weltbank: „Doing Business 2007“, September 2006.
19.8.2008 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 211/90 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission „Partnerschaft für die Kommunikation über Europa“
KOM(2007) 568 endg. und KOM(2007) 569 endg.
(2008/C 211/22)
Die Europäische Kommission beschloss am 3. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:
Mitteilung „Partnerschaft für die Kommunikation über Europa“.
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bestellte gemäß Artikel 20 der Geschäftsordnung Frau VAN TURNHOUT zur Hauptberichterstatterin.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 444. Plenartagung am 22./23. April 2008 (Sitzung vom 22. April) mit 92 gegen 12 Stimmen bei 26 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wiederholt seinen Aufruf an die Kommission, das Problem der fehlenden Rechtsgrundlage in der Kommunikationspolitik anzugehen. In Anbetracht der rechtlichen und politischen Hindernisse erhebt der Ausschuss jedoch keine Einwände gegen die interinstitutionelle Vereinbarung zwischen Rat, Europäischem Parlament und Europäischer Kommission. Der Ausschuss wird sich den in einer solchen interinstitutionellen Vereinbarung dargelegten Absichten so weit wie möglich anschließen. |
1.2 |
Der Ausschuss weist erneut auf ein zweifaches Problem betreffend die Ressourcen hin: Es fehlen die finanziellen Mittel, und die bürokratischen Verfahren für ihre Gewährung sind abschreckend kompliziert. Der Ausschuss ersucht die Europäische Kommission, das Verfahren der Mittelgewährung zu vereinfachen und auch beratende Institutionen, wie den EWSA, bei künftigen Rahmenverträgen — etwa zu audiovisuellen Dienstleistungen, Europe by Satellite (EBS) und Meinungsumfragen — zu berücksichtigen. |
1.3 |
Der Ausschuss begrüßt die Idee der Partnerschaft für die Kommunikation, die kohärent und integriert sein und dadurch die Rolle der europäischen Bürger stärken und eine europäische Öffentlichkeit schaffen soll. Um die Bürger zu erreichen, braucht man: (i) klare, einfache und ansprechende Botschaften, eine klare Vision, die die Bürger als die ihre annehmen und (ii) ein geeignetes Kommunikationsdesign und die passenden Kommunikationsinstrumente. Die Erstellung eines jährlichen Arbeitsplans zu ausgewählten EU-Kommunikationsschwerpunkten könnte hier einen Beitrag leisten. Der EWSA bietet den anderen Institutionen nach Maßgabe der ihm zur Verfügung gestellten Ressourcen seine Mitarbeit bei diesem Thema an, denn schließlich ist die EU nicht nur „Brüssel“, sondern muss nach dem Motto „Going local“ auch vor Ort wahrnehmbar sein. |
1.4 |
Der Ausschuss misst seiner Teilnahme an der Interinstitutionellen Gruppe „Information“ (IGI) große Bedeutung zu. Im Anschluss an das Weißbuch wurde am 31. Mai 2007 ein Addendum zum Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und dem EWSA unterzeichnet, das den Europahäusern der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments in den Mitgliedstaaten einen ausgezeichneten Rahmen bietet, um die 344 EWSA-Mitglieder aktiv in nationale und regionale Tätigkeiten einzubeziehen. Die Kommission sollte bei ihrer Kommunikation mit der Zivilgesellschaft die Rolle des Ausschusses als Brücke zwischen den EU-Institutionen und der organisierten Zivilgesellschaft würdigen. Nach Meinung des Ausschusses könnte ein Mehrwert erzielt werden, wenn seine Mitglieder aktiv an den vorgeschlagenen webbasierten Pilot-Informationsnetzen (PIN) beteiligt wären. Der Ausschuss wird die vorgeschlagenen zivilgesellschaftlichen Kontaktstellen in der Kommission und andere relevante Netzwerke, wie die EWSA-Kontaktpunkte in den Vertretungen der Europäischen Kommission und die Europe-Direct-Zentren, gerne sachkundig unterstützen. Diesbezüglich ersucht der Ausschuss die Kommission zu prüfen, wie ihre Netze, darunter Europe Direct und die „Team Europe“-Sprecher, stärkere Unterstützung erfahren könnten. |
2. Begründung
2.1 |
Die Mitteilung der Europäischen Kommission (KOM(2007) 568 endg.) zum Thema „Partnerschaft für die Kommunikation über Europa“ wurde am 3. Oktober 2007 veröffentlicht. Dies ist bereits das vierte Dokument der Kommission zum Thema Kommunikation. Die drei Vorgängerdokumente waren: 1) das Weißbuch der Europäischen Kommission über eine europäische Kommunikationspolitik (KOM(2006) 35 endg.), verabschiedet am 1. Februar 2006, 2) der interne Aktionsplan (SEK(2005) 985 endg.), verabschiedet am 20. Juli 2005 sowie 3) die Mitteilung „Beitrag der Kommission in der Zeit der Reflexion und danach: Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion“ (KOM(2005) 494 endg.), verabschiedet am 13. Oktober 2005. |
2.2 |
In der Mitteilung „Partnerschaft für die Kommunikation über Europa“ wird die übergeordnete Bedeutung der interinstitutionellen Zusammenarbeit für die Kommunikation von EU-Themen hervorgehoben. Es werden ferner die Vorbedingungen für eine erfolgreiche Kommunikationspolitik benannt, die auf einer Partnerschaft mit den maßgeblichen Akteuren in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf allen Ebenen beruht. Am selben Tag verabschiedete die Kommission auch — wie in Ziffer 1.2. dargestellt sowie gemäß der Entschließung des Europäischen Parlaments zu einer europäischen Kommunikationspolitik — einen Vorschlag für eine interinstitutionelle Vereinbarung „Partnerschaft für die Kommunikation über Europa“ (KOM(2007) 569 endg.). Damit sollte das Engagement aller EU-Institutionen für eine Reihe jährlicher EU-Kommunikationsprioritäten unter Einbeziehung interessierter Mitgliedstaaten bekräftigt werden. Unter Berücksichtigung der Eigenständigkeit und der unterschiedlichen Aufgaben der einzelnen EU-Institutionen wird in der interinstitutionellen Vereinbarung die Notwendigkeit und der Mehrwert einer besseren Koordinierung der Art und Weise hervorgehoben, wie die EU-Organe und -Einrichtungen kommunizieren. Sie schafft einen Rahmen für entsprechende koordinierte Maßnahmen. In Anbetracht der besonderen Bedeutung des Jahres 2008 für die Ratifizierung des Reformvertrags von Lissabon in den Mitgliedstaaten und der Vorbereitungen auf die Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 fordert die Europäische Kommission den EWSA auf, seine Sicht zu dieser Mitteilung zu formulieren. |
2.3 |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss seinerseits verabschiedete in jüngster Zeit drei Stellungnahmen zum Thema Kommunikation: die erste zum Thema „Denkpause: Struktur, Themen und Rahmen für eine Bewertung der Debatte über die Europäische Union“ (CESE 1249/2005 (1)), die am 26. Oktober 2005 verabschiedet wurde und an das Europäische Parlament gerichtet war, und zweitens die Stellungnahme zum „Plan D“ der Kommission (CESE 1499/2005), verabschiedet am 14. Dezember 2005 (2). Beide Stellungnahmen enthalten eine Reihe praktischer Empfehlungen. Die dritte Stellungnahme des Ausschusses hatte das „Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik“ (CESE 972/-2006) zum Gegenstand und wurde am 6. Juli 2006 verabschiedet (3). In der letztgenannten Stellungnahme wurde die Kommission ersucht, das Problem der fehlenden Rechtsgrundlage in der Kommunikationspolitik zu beheben; außerdem wurde für eine verstärkte interinstitutionelle Zusammenarbeit mit dezentralem Ansatz plädiert. |
2.4 |
In der vorliegenden Stellungnahme zu der Mitteilung „Partnerschaft für die Kommunikation über Europa“ soll daher nicht auf Themen eingegangen werden, die der Ausschuss bereits bearbeitet hat oder gerade bearbeitet. Vielmehr sollte auf die drei in der Mitteilung genannten Hauptbereiche eingegangen werden, nämlich:
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2.5 |
Neben den drei genannten Stellungnahmen des Ausschusses und der Mitteilung der Kommission „Partnerschaft für die Kommunikation über Europa“ liegen der Stellungnahme noch eine Reihe weiterer Quellen zugrunde:
|
2.6 |
Diese Stellungnahme zur Mitteilung „Partnerschaft für die Kommunikation über Europa“ gliedert sich in drei Abschnitte, die den drei großen Themenkomplexen im Kommissionsdokument entsprechen, und beschränkt sich auf einige wenige Schlüsselfragen in jedem Abschnitt. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1 Die Rolle der Bürger stärken
3.1.1 |
Gerade für die Kommunikation über Europa ist die Rolle der Zivilgesellschaft ausschlaggebend. Der erneuerte Plan-D-Rahmen sieht vor, dass möglichst viele Partner in die Entwicklung der Europäischen Union einbezogen werden, darunter auch NRO, Berufsverbände und eine steigende Zahl von Unternehmen, die „Europa“ besser kennen lernen und mehr über seine Politiken, Programme und Arbeitsweise erfahren wollen. Der EWSA unterstützt den Aufruf in der „Römischen Erklärung der Jugend“ an die Adresse der EU, mehr Mittel für NRO bereitzustellen, die die Hauptträger informeller Bildung und Förderer der bürgerschaftlichen Teilhabe, der Menschenrechte und der Demokratie sind. |
3.1.2 |
Der Ausschuss steht voll und ganz hinter dem Ansatz der Mehrsprachigkeit in der Kommunikation. Die Kommunikation wird nicht nur in der angemessenen Anzahl von Sprachen erfolgen, sondern auch in einer verständlichen Weise. Dies wurde auf dem EWSA-Seminar für Pressereferenten im November 2007 klar zum Ausdruck gebracht. |
3.1.3 |
Der Ausschuss hat immer wieder betont, dass die EU mehr als nur „Brüssel“ ist. In diesem Sinne hat der EWSA mit seinen Initiativen das Konzept des „lokalen Handelns“ unterstützt. Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich die Initiative der Kommission, EWSA-Kontaktpunkte in allen EU-Vertretungen einzurichten. Dies ist eine logische Konsequenz aus der Unterzeichnung des Addendums zum Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen. Das Addendum wird als Grundlage für die weitere Entwicklung der interinstitutionellen Arbeitsbeziehungen dienen. Die 344 Mitglieder des EWSA kommen aus allen 27 Mitgliedstaaten der EU. Sie vertreten verschiedene nationale Organisationen, die in den drei Gruppen des Ausschusses repräsentiert sind. Diese Mitglieder verfügen über sowohl nationale und regionale Erfahrungen als auch über eine europäische Perspektive dank ihrer Arbeit im Ausschuss. Diese wertvollen Ressourcen sollten von den Vertretungen der Europäischen Kommission und den Informationsbüros des Europäischen Parlaments genutzt werden. Eine interessante erste Herausforderung für die eingerichteten Kontaktstellen bestünde darin, gemeinsam mit den EWSA-Mitgliedern Initiativen zum 50-jährigen Bestehen des EWSA im Mai 2008 zu ergreifen. |
3.1.4 |
Die zahlreichen europaweiten Netze sind ein wichtiges Element in dem Bestreben, Europa auf lokaler Ebene zu kommunizieren. Beispielsweise sollten die Europe-Direct-Zentren bei der Vermittlung europäischer Politik alle EU-Institutionen im Auge haben. Der EWSA wird bereit sein, diesen Netzwerken sein Wissen zur Verfügung zu stellen, indem er bei Bedarf relevantes Informationsmaterial und Schulungen anbietet. Die relativ begrenzte finanzielle Unterstützung für diese Netzwerke sollte von der Kommission überdacht werden. Würden diese Zentren stärker gefördert und ein differenzierterer Ansatz von der Kommission verfolgt, könnten sie effizienter das Zugehen auf die Bürger im Sinne des „Going local“ unterstützen. Ferner sollten die Kommission und das Europäische Parlament prüfen, wie die in ganz Europa zu findenden Europa-Agenturen in die Kommunikationsbemühungen der EU eingebunden werden können. Der Ausschuss hat zu guter Letzt die Erfahrung machen können, dass Kulturinitiativen bei den Bürgern Anklang finden und als wichtiges Instrument für die Vermittlung der europäischen Idee dienen können. |
3.1.5 |
Die Konsultation der Kommission zu dem Weißbuch bestätigte die starke Nachfrage von Seiten der zivilgesellschaftlichen Akteure nach einer engeren Einbindung in die europäischen Prozesse. Der Ausschuss verweist auf die Schlussfolgerungen, die auf seinem im November 2007 organisierten Seminar für Pressereferenten in Brüssel gezogen werden konnten und in denen festgestellt wurde, dass bestehende Strukturen und Netzwerke zur Konsultation zu nutzen seien, anstatt jedes Mal wieder bei Null anzufangen. Dem EWSA als Vertreter der europäischen organisierten Zivilgesellschaft kommt in diesem Zusammenhang eine sehr wichtige Rolle zu, was von den anderen europäischen Institutionen gewürdigt werden sollte. |
3.1.6 |
Der EWSA stimmt der Kommission darin zu, dass Bildungs- und Schulungsmaßnahmen für eine aktive Bürgerschaft in die einzelstaatliche Verantwortung fallen. Der Ausschuss muss jedoch feststellen, dass die Rechte und Pflichten der europäischen Bürger lediglich in der Hälfte der Schullehrpläne in den Mitgliedstaaten erwähnt werden. Das Dubliner Jugendforum, das im Oktober 2007 stattfand, zeigte, dass sich die Bürger an Diskussionen über europäische Themen beteiligen, sofern sie die Gelegenheit dazu erhalten. Ein wichtiges Element dabei ist die Bildung und die Thematisierung der EU in den Lehrplänen der Schulen. Auf dem Seminar wurde der Ruf nach einer stärkeren Beteiligung junger Menschen im Beschlussfassungsprozess laut. Die EU könnte problemlos freiwillige Tätigkeiten und Austauschprogramme besser fördern, ohne dass dies die jeweilige nationale Identität beeinträchtigen würde. Der EWSA ruft dazu auf, gezielte Initiativen in diesem Bereich zu ergreifen. |
3.1.7 |
Der EWSA begrüßt Initiativen wie „Europäischer Frühling“ und „Zurück an die Schule“. Der Ausschuss fordert die Kommission auf zu prüfen, wie die bestehenden lokalen und regionalen Netzwerke besser in solche Bestrebungen eingebunden werden können. Diese Bestrebungen sollten alle Schulebenen einschließlich der Grundschule umfassen. |
3.2 Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit
3.2.1 |
Die Kommission betont, wie wichtig es ist, dass sie ihren eigenen Politiken auch glaubwürdig nachkommt, denn dies ist das wirksamste Mittel, um die öffentliche Unterstützung für das europäische Projekt zu sichern. Die unzureichende Kommunikation im Zusammenhang mit dem Reformvertrag von Lissabon scheint indes nicht gerade der Idee einer europäischen Öffentlichkeit zu entsprechen. In seiner Entschließung vom Mai 2007 an den Europäischen Rat auf dessen Tagung im Juni 2007 forderte der EWSA die Anerkennung der Bedeutung der partizipativen Demokratie insbesondere dadurch, dass die europäischen Institutionen dazu verpflichtet werden, einen transparenten und regelmäßigen Dialog mit den Organisationen der Zivilgesellschaft und den Unionsbürgern zu führen. |
3.2.2 |
Gemeinsam mit der Kommission und dem Europäischen Parlament hofft der EWSA auf eine höhere Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009. Diese könnte durch die Umsetzung der von der Kommission angeregten gemeinsamen Kommunikationsprioritäten verbessert werden. Der EWSA ist bereit, an solchen gemeinsamen Zielen mitzuwirken. Was die EU braucht, ist ein echter Zukunftsentwurf, sind echte Inhalte, mit dem bzw. denen sich die Bürger identifizieren können. Ziele für Europa müssen immer auch den sozialen Aspekt und die Beschäftigungssituation berücksichtigen, und gerade bei diesen Themen gibt es keinen besseren Ansprechpartner als den EWSA. Gute Kommunikation muss immer von einem klaren, genau definierten Plan ausgehen und den Bürgern Europas etwas bringen. Auf einer tieferen Arbeitsebene sollten die EWSA-Mitglieder eingeladen werden, sich an der Initiative der Kommission zur Schaffung von Pilot-Informationsnetzen (PIN) zu beteiligen. |
3.2.3 |
Audiovisuelle Medien sind die stärksten Kommunikationswerkzeuge, zu denen die großen Organe, wie etwa die Kommission und das Europäische Parlament, Zugang haben. Beim Abschluss von Verträgen mit Anbietern für EBS-Dienste (Europe by Satellite) oder Online- bzw. Internetdienstleistungen muss die journalistische Freiheit natürlich ohne Abstriche gewährleistet sein. Beim Aufbau solcher Beziehungen sollte die Kommission ermuntert werden, sich darum zu bemühen, auch für andere Organe und Einrichtungen der Union den Weg zu bahnen, damit eine ausgewogene Kommunikation sichergestellt wird, auch eingedenk dessen, dass der Abschluss von Verträgen den beratenden Institutionen und anderen Einrichtungen der Union einen großen verwaltungstechnischen Aufwand verursacht. Die Kommission könnte außerdem sicherstellen, dass entsprechende Synergien geschaffen werden. Dies gilt auch für die Ermittlung von Bereichen, in denen die öffentliche Meinung sondiert werden soll. |
3.3 Stärkung des partnerschaftlichen Ansatzes
3.3.1 |
Der EWSA steht voll und ganz hinter dem von der Kommission befürworteten partnerschaftlichen Ansatz. Dieser umfasst nicht nur die Organe und Einrichtungen der EU, sondern auch Politiker und Entscheidungsträger auf nationaler und regionaler Ebene, die zu den EU-Entscheidungen, an deren Zustandekommen sie mitwirken, stehen sollten. Der EWSA begrüßt die Netzwerk-Aktivitäten mit nationalen Kommunikationsdirektoren und dringt auf eine bessere Synergie mit den Organisationen der Zivilgesellschaft und ihren Kommunikationsressourcen. Der EWSA verfügt über eine solche Plattform in Form des Netzwerks der Pressereferenten. Es sei ebenfalls darauf hingewiesen, dass es in den meisten EU-Mitgliedstaaten nationale Wirtschafts- und Sozialräte gibt und dass die EWSA-Mitglieder gute Verbindungen zu den Trägerorganisationen in ihren jeweiligen Mitgliedstaaten unterhalten. Dies ist ein starkes Netz, das den EWSA als Institution zu einem wertvollen Partner für die anderen Institutionen machen kann. |
3.3.2 |
Der Ausschuss bringt sich voll in die Arbeiten der interinstitutionellen Gruppe „Information“ (IGI) ein, in der er Beobachterstatus hat. Der EWSA möchte die Bedeutung einer guten technischen Vorbereitung dieser Sitzungen unterstreichen. Der Ausschuss bedauert die praktischen Probleme in Bezug auf seine Teilnahme an den Sitzungen der IGI, die stets in Straßburg und parallel zu den in Brüssel stattfindenden Präsidiumssitzungen und Plenartagungen des EWSA stattfinden. Er würde die Verlegung der IGI-Sitzungen befürworten, damit er mit möglichst hochrangigen Vertretern daran teilnehmen kann. Der EWSA begrüßt sodann die „Politik der offenen Tür“ der Arbeitsgruppe „Information“ des Rates und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass „die Tür geöffnet“ bleiben möge, damit der EWSA an der Gestaltung der Kommunikationspolitik der EU mitwirken kann. |
3.3.3 |
Der EWSA hat sich bei früheren Gelegenheiten zwar für die Schaffung einer soliden Rechtsgrundlage für die Kommunikation ausgesprochen, nimmt aber gleichwohl den Vorschlag einer interinstitutionellen Vereinbarung zwischen der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Kenntnis. Der Ausschuss seinerseits setzt seine Arbeit an der Aktualisierung und Umsetzung seines strategischen Kommunikationsplans fort. Dieser umfasst die kontinuierliche Überprüfung der Kommunikationswerkzeuge und ihrer Nutzung sowie die Erkundung neuer Wege. In seinen Kommunikationsprioritäten berücksichtigt der Ausschuss die von der Kommission in ihrer Mitteilung vorgelegten Ziele. Seiner Ansicht nach müssen diese Ziele klar, fokussiert, bürgerrelevant und zahlenmäßig begrenzt sein. |
3.3.4 |
Der EWSA unterstützt die im Wege der Plan-D-Initiative bereitgestellten Mittel und hebt abermals hervor, wie wichtig transparente und unbürokratischere Verwaltungsverfahren sind, damit sich alle Organisationen der Zivilgesellschaft an diesen Vorhaben beteiligen können. Er sieht der von der Kommission angekündigten weiteren Maßnahme im Anschluss an Plan D, nämlich der Initiative „Debate Europe — Diskutieren Sie mit!“, erwartungsvoll entgegen. |
4. Verweise auf frühere Empfehlungen des Ausschusses
4.1 |
Der Ausschuss erinnert an seine früheren Empfehlungen an die Adresse der Kommission im Zusammenhang mit dem Kommunikationsthema, wie etwa die Empfehlungen im Anhang zu seiner Stellungnahme vom Oktober 2005 zum Thema „Denkpause: Struktur, Themen und Rahmen für eine Bewertung der Debatte über die Europäische Union“ (CESE 1249/2005), an seine Stellungnahme vom Dezember 2005 zum Thema „Der Beitrag der Kommission in der Zeit der Reflexion und danach: Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion“ (CESE 1499/2005) sowie an seine Stellungnahme zum „Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik“ vom Juli 2006 (CESE 972/2006). |
Brüssel, den 22. April 2008
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Dimitris DIMITRIADIS
(1) ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 42-46.
(2) ABl. C 65 vom 17.03.2006, S. 92-93.
(3) ABl. C 309 vom 16.12.2006, S. 115-119.