ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 162

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Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

51. Jahrgang
25. Juni 2008


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III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008

2008/C 162/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Definition der Rolle von Sammelklagen und der entsprechenden Vorschriften im Rahmen des EU-Verbraucherrechts

1

2008/C 162/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007-2013) Stärkung der Verbraucher — Verbesserung des Verbraucherwohls — wirksamer VerbraucherschutzKOM(2007) 99 endg.

20

2008/C 162/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Europäische RaumfahrtpolitikKOM(2007) 212 endg.

24

2008/C 162/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, mit einer Analyse zur Frage der Zweckmäßigkeit der Einführung einer unmittelbaren ProduzentenhaftungKOM(2007) 210 endg.

31

2008/C 162/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Bericht der Kommission: Bericht über die Wettbewerbspolitik 2006KOM(2007) 358 endg.

35

2008/C 162/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bauteil-Typgenehmigung der Beleuchtungs- und Lichtsignaleinrichtungen für land- oder forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern (kodifizierte Fassung) KOM(2007) 840 endg. — 2007/0284 (COD)

40

2008/C 162/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bezeichnung von Textilerzeugnissen (Neufassung)KOM(2007) 870 endg. — 2008/0005 (COD)

40

2008/C 162/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern (kodifizierte Fassung)KOM(2007) 873 endg. — 2007/0299 (COD)

41

2008/C 162/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Stoffe, die Arzneimitteln zum Zwecke der Färbung hinzugefügt werden dürfen (Neufassung)KOM(2008) 1 endg. — 2008/0001 (COD)

41

2008/C 162/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Eine unabhängige Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

42

2008/C 162/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschaft- und Sozialausschusses zu dem Thema Förderung eines breiten Zugangs zur Europäischen Digitalen Bibliothek für alle Bürger

46

2008/C 162/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Energiemix im Verkehrsbereich

52

2008/C 162/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Energieeffizienz in Gebäuden — Beitrag der Endnutzer (Sondierungsstellungnahme)

62

2008/C 162/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Die möglichen positiven und negativen Auswirkungen höherer umwelt- und energiepolitischer Anforderungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie

72

2008/C 162/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 460/2004 zur Errichtung der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit bezüglich deren BestehensdauerKOM(2007) 861 endg. — 2007/0291 (COD)

79

2008/C 162/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Auf Nutzungsrechten basierende Bewirtschaftungsinstrumente in der Fischerei

79

2008/C 162/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe in Bezug auf die Stützungsregelung für BaumwolleKOM(2007) 701 endg. — 2007/0242 (CNS)

83

2008/C 162/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (Neufassung) KOM(2007) 736 endg. — 2007/0259 (COD)

85

2008/C 162/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Europäischen Umweltagentur und eines Europäischen Umweltinformations- und Umweltbeobachtungsnetzes (kodifizierte Fassung) KOM(2007) 667 endg. — 2007/0235 (COD)

86

2008/C 162/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung (EG) Nr. …/… des Europäischen Parlaments und des Rates über die allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung aromatisierten Weines, aromatisierter weinhaltiger Getränke und aromatisierter weinhaltiger Cocktails (Neufassung) KOM(2007) 848 endg. — 2007/0287 (COD)

86

2008/C 162/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern (kodifizierte Fassung) KOM(2007) 858 endg. — 2007/0292 (COD)

87

2008/C 162/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Perspektiven der europäischen Kohle- und Stahlforschung

88

2008/C 162/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Entscheidung 85/368/EWG des Rates über die Entsprechungen der beruflichen Befähigungsnachweise zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen GemeinschaftenKOM(2007) 680 endg. — 2007/0234 (COD)

90

2008/C 162/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (gemäß Artikel 128 EG-Vertrag)KOM(2007) 803 endg./2 (Teil V) — 2007/0300 (CNS)

92

2008/C 162/25

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Finanzintegration: die europäischen Börsenmärkte (Initiativstellungnahme)

96

DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008

25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Definition der Rolle von Sammelklagen und der entsprechenden Vorschriften im Rahmen des EU-Verbraucherrechts“

(2008/C 162/01)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Definition der Rolle von Sammelklagen und der entsprechenden Vorschriften im Rahmen des EU-Verbraucherrechts“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 14. Februar) mit 134 gegen 94 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat sich entschlossen, die Debatte über eine einheitliche Form von Sammelklagen auf Gemeinschaftsebene, ihre Rolle und ihre rechtliche Regelung — zunächst im Rahmen des EU-Verbraucherrechts und -Wettbewerbsrechts — wiederaufzunehmen. Es gilt zu prüfen, ob eingehende Überlegungen über dieses Thema notwendig und zweckmäßig sind.

1.2

Der EWSA spricht sich seit langem für eine Sammelklage auf Gemeinschaftsebene aus, die bei Verletzung von Rechten der Allgemeinheit oder kollektiven Rechten einen effektiven Schadenersatz ermöglicht. Eine solche Klage wäre eine nützliche Ergänzung des bereits bestehenden Schutzes, der durch gerichtliche ebenso wie außergerichtliche Verfahren — insbesondere durch die Unterlassungsklage gemäß Richtlinie 98/27/EG vom 19. Mai 1998 — geboten wird.

1.3

Der Ausschuss hat bereits mehrfach ein Tätigwerden der Gemeinschaft auf diesem Gebiet befürwortet und als notwendig erachtet, da dies seines Erachtens:

entscheidend zum Abbau der den Binnenmarkt beeinträchtigenden Hemmnisse beiträgt, die in den unterschiedlichen rechtlichen Regelungen der Mitgliedstaaten begründet liegen. Damit würden das Vertrauen der Verbraucher in die Vorteile des Binnenmarktes gestärkt und zudem die Voraussetzungen für einen tatsächlichen und lauteren Wettbewerb zwischen den Unternehmen (Artikel 3 Absatz 1 Buchstaben c und g des Vertrags) sichergestellt;

den Schutz der Verbraucher insoweit stärken würde, als sie dadurch ihre Rechte einfacher und wirkungsvoller vor Gericht geltend machen können, womit eine wirksamere Anwendung des Gemeinschaftsrechts (Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe t des Vertrags) gewährleistet wird;

dem Grundprinzip entspricht, wonach die Bürger das in der europäischen Grundrechtecharta (Artikel 47) verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht haben.

1.4

Einige Mitgliedstaaten haben in den letzten Jahren Möglichkeiten der gerichtlichen Durchsetzung kollektiver Verbraucherinteressen in unterschiedlicher Form geschaffen, andere dagegen nicht. Diese Situation führt zu Ungleichheiten beim Zugang zum Recht, die die Vollendung des Binnenmarktes beeinträchtigen. Der EWSA bedauert dies umso mehr, als die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bürger erklärte Ziele der Verwirklichung des Binnenmarktes im 21. Jahrhundert sind. Das Augenmerk des EWSA gilt grundsätzlich allen Maßnahmen in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen und den Auswirkungen unangemessener Belastungen, die letztlich auf Kosten der Arbeitnehmer und Verbraucher gehen.

1.5

Der EWSA hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, entsprechende Überlegungen durch konkrete Vorschläge zur rechtlichen Gestaltung einer solchen Sammelklage zu bereichern und dabei die in den europäischen Ländern bereits bestehenden nationalen Systeme, aber auch die Erfahrungen anderer Länder mit solchen Klagen zu berücksichtigen. Er trägt dabei insbesondere den Grundsätzen der Empfehlung C(2007)74 des OECD-Ministerrates vom 12. Juli 2007 über die Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten mit Schadenersatz Rechnung.

1.6

Bei der Definition der Eckpunkte für eine solche Rechtsetzungsinitiative auf Gemeinschaftsebene hat der Ausschuss der gemeinsamen juristischen Tradition der europäischen Justizorgane und den gemeinsamen Grundprinzipien des Zivilprozesses in den Mitgliedstaaten Rechnung getragen. Er hat daher Beispiele wie die amerikanische „class action“ verworfen, da diese nicht mit den genannten Traditionen und Prinzipien im Einklang stehen. Besonders bedauerlich sind nach Ansicht des EWSA alle Praktiken, bei denen unbeteiligten Anlegern oder nach dem Vorbild der amerikanischen „class action“ vorgehenden Anwälten erhebliche Teile der Beträge zugesprochen werden, die im Namen der Verbraucherinteressen als Entschädigung oder Strafschadenersatz erwirkt wurden.

1.7

Ausgehend von Ziel und Zweck eines solchen Instruments hat der Ausschuss die wichtigsten Optionen für entsprechende rechtliche Regelungen geprüft (Vor- und Nachteile einer Opt-in-, einer Opt-out- oder einer gemischten Regelung) und dabei die Rolle des Gerichts und die Fragen des Schadenersatzes, der Rechtsmittel sowie der Kosten geprüft.

1.8

Die Rechtsgrundlage und das Rechtsinstrument, das zum Einsatz kommen soll, sind weitere wichtige Fragen, die untersucht wurden und zu denen Vorschläge unterbreitet werden.

1.9

Der EWSA weist im Übrigen daraufhin, dass die Überlegungen zur Einführung einer Sammelklage in keiner Weise im Widerspruch zur Existenz und zur Entwicklung von alternativen Streitbeilegungsverfahren stehen, ganz im Gegenteil. Der Ausschuss hat von Anfang an die Entwicklung wirksamer Instrumente gefordert, mit denen die Verbraucher ihre individuellen oder kollektiven Rechte auch außergerichtlich geltend machen können. In diesem Zusammenhang plädiert der EWSA für eine bessere Angleichung der im Bereich des Verbraucherschutzes bestehenden Mediationsverfahren, insbesondere dort, wo der grenzüberschreitende Handel besonders entwickelt ist oder sich besonders entwickeln wird.

1.10

Sammelklagen für geschädigte Verbraucher sind tatsächlich nur eine von vielen Möglichkeiten, die von individuellen, freiwilligen oder einvernehmlichen bis hin zu kollektiven und gerichtlichen Lösungen reichen. Jedes dieser Streitbeilegungsverfahren muss optimal funktionieren, wobei dafür zu sorgen ist, dass die Wiedergutmachung der entstandenen Schäden im Wege eines Verfahrens erfolgt, das für die Geschädigten leicht zugänglich ist.

1.11

Der EWSA begrüßt die erklärte Absicht der Kommission, dieses Thema weiter zu beleuchten. Er verweist jedoch nachdrücklich darauf, dass zugleich ein realer politischer Wille zu geeigneten Rechtsetzungsinitiativen vorhanden sein muss.

1.12

Als Stimme der Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft wendet sich der EWSA auch an das Europäische Parlament, den Rat und die Mitgliedstaaten mit der Forderung, bei diesen Überlegungen die Interessen der verschiedenen Seiten zu berücksichtigen und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität zu beachten sowie möglichst bald die unbedingt notwendigen politischen Entscheidungen über die hier empfohlene Initiative folgen zu lassen.

2.   Einleitung

2.1

Mit dieser Stellungnahme sollen eingehende Überlegungen darüber angeregt werden, welche Rolle und rechtliche Ausgestaltung eine Sammelklage (1)auf Gemeinschaftsebene erhalten könnte, die — zumindest in einer ersten Phase (2) — vor allem für das Verbraucherrecht und das Wettbewerbsrecht gelten sollte. Letztendlich geht es darum, die Zivilgesellschaft und die zuständigen Institutionen der Europäischen Union dazu zu bewegen, die Notwendigkeit und die Auswirkungen einer solchen Initiative zu prüfen und über die rechtliche Definition einer solchen Klage sowie über die Modalitäten ihrer Umsetzung in einem europäischen Raum des Rechts nachzudenken.

2.2

Die Vorgehensweise ist folgende: zunächst wird der im Rahmen des Binnenmarktes bestehende Bedarf für eine solche Initiative abgeschätzt und deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht beurteilt. Im Anschluss daran wird untersucht, wie mit einer solchen Klage grenzübergreifende Streitigkeiten insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher wirksam und schnell gelöst werden können.

3.   Binnenmarkt und kollektive Verbraucherinteressen

3.1

Ab der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts kam es im Zuge der Entwicklung der Serienfertigung zu einem starken Wachstum des Handels, wodurch sich die Art und Weise des Geschäfts- und Vertragsabschlusses für den Verkauf von Gütern und die Erbringung von Dienstleistungen deutlich änderte.

Mit dem Anbruch der Informationsgesellschaft und den durch Fernabsatz und elektronischen Handel geschaffenen Möglichkeiten ergeben sich für die Verbraucher neue Vorteile; die Verbraucher sind aber auch neuen Formen der Beeinflussung und neuen Risiken bei Geschäftsabschlüssen ausgesetzt.

3.2

Durch öffentliche Angebote, Standardverträge, aggressive Formen der Werbung und des Marketings, ungeeignete Informationen im Vorfeld des Vertragsabschlusses, allgemein verbreitete unlautere Geschäftspraktiken sowie wettbewerbswidrige Verhaltensweisen können große Verbrauchergruppen geschädigt werden, wobei die Schäden in den meisten Fällen nicht ermittelt werden und ggf. auch schwer zu ermitteln sind.

3.3

Für gleichgeartete Interessen Einzelner, kollektive Interessen bestimmter Gruppen und die weit verbreiteten Interessen der Allgemeinheit („diffuse interest“) gibt es in den einzelnen Prozessrechtsordnungen des traditionellen Verfahrensrechts, das sich vom römischen Recht ableitet, nicht immer geeignete Formen einfacher, schneller, kostengünstiger und wirksamer Klagen (3).

3.4

Weltweit und insbesondere in den EU-Mitgliedstaaten bestehen im Rahmen der jeweiligen Rechtsordnungen eine Reihe von Mechanismen zum gerichtlichen Schutz von Interessen der Allgemeinheit oder kollektiven Interessen.

3.4.1

Diese Mechanismen sind jedoch sehr unterschiedlich beschaffen und weichen im Hinblick auf den Schutz der Interessen stark voneinander ab. Diese Unterschiede führen zu Verzerrungen in der Funktionsweise des Binnenmarktes.

3.5

Mangels Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene haben sich die einzelstaatlichen Rechtssysteme in der jüngsten Vergangenheit in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt. Diese Unterschiede erklären sich nicht so sehr aus voneinander abweichenden Grundprinzipien, sondern vielmehr durch unterschiedliche verfahrensrechtliche Traditionen. In den Übersichten im Anhang werden die wichtigsten Abweichungen auf nationaler Ebene dargestellt (4).

3.6

Auf die Nachteile dieser Situation wurde schon frühzeitig hingewiesen, vor allem durch Organisationen, die Verbraucherinteressen vertreten, aber auch durch zahlreiche Juristen und Experten für Gemeinschaftsrecht, die den ungleichen Zugang der Unionsbürger zum Recht und zur Justiz anprangerten (5).

3.7

Auf Gemeinschaftsebene kam es allerdings erst 1985 zur Veröffentlichung eines Memorandums über den Zugang der Verbraucher zum Recht  (6), und zwar in der Folge eines 1982 in Gent mit Unterstützung der Kommission abgehaltenen Seminars. In diesem Memorandum beschäftigte sich die Kommission unter anderem zum ersten Mal mit den Verfahren zur gerichtlichen Geltendmachung kollektiver Interessen.

3.8

Doch erst mit ihrer ergänzenden Mitteilung vom 7.5.1987, die auf eine Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.3.1987 (7) zurückging, machte die Kommission wirklich deutlich, dass sie eine Rahmenrichtlinie zur Einführung eines allgemeinen Rechts der Verbände auf gerichtliche Geltendmachung ihrer kollektiven Interessen in Erwägung ziehen wollte. Die Kommission forderte in dieser Mitteilung den Rat auf, die herausragende Rolle der Verbraucherorganisationen als Mittler und direkte Akteure beim Zugang der Verbraucher zum Recht anzuerkennen.

3.9

In seiner Entschließung vom 25.6.1987, deren alleiniger Gegenstand der Zugang der Verbraucher zum Recht ist, betonte auch der Rat, dass den Verbraucherorganisationen eine wichtige Rolle zukomme, und forderte die Kommission auf zu prüfen, ob in diesem Bereich eine Initiative auf Gemeinschaftsebene angemessen wäre (8) .

3.10

Schließlich gelangte die Kommission 1989 im Zuge der Festlegung der künftigen Prioritäten bei der Neubelebung der Verbraucherschutzpolitik in ihrem dreijährigen verbraucherpolitischen Aktionsplan (9) (1990-1992) zu der Einschätzung, dass der Zugang zum Recht und die Schadenersatzregelungen in zahlreichen Mitgliedstaaten aufgrund der Kosten, Komplexität und erforderlichen Fristen nur schlecht funktionierten. Überdies bestünden Probleme bei grenzüberschreitenden Transaktionen. Die Kommission erklärte weiter, sie werde prüfen, welche Maßnahmen zu ergreifen seien, und dabei besonders die Möglichkeit von Sammelklagen von Verbrauchern auf Schadenersatz erwägen (10).

3.11

Die öffentliche Debatte über diese Frage nahm die Kommission jedoch erst 1993 mit der Vorlage des maßgeblichen „Grünbuchs: Zugang der Verbraucher zum Recht und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“  (11) wieder auf.

Bei dieser Gelegenheit wurde zum ersten Mal gründlich die Einführung einer einheitlichen Gemeinschaftsregelung für Unterlassungsklagen geprüft, von der sich viele erhofften, dass sie die Grundlage für eine künftige Sammelklage zur Geltendmachung von Verbraucherinteressen bilden würde (12).

3.12

Das Europäische Parlament seinerseits gelangte in seiner Entschließung vom 22. April 1994 (13) zu dem Schluss, dass eine gewisse Harmonisierung der verfahrensrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten angebracht sei, und erwog dabei die Möglichkeit der Einführung eines Gemeinschaftsverfahrens für Rechtssachen bis zu einem bestimmten Streitwert, mit dem grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten zügig entschieden werden könnten. Dieser Entschließung zufolge sollten auch die Voraussetzungen für Unterlassungsklagen gegen rechtswidrige Handelspraktiken bis zu einem bestimmten Grad harmonisiert werden.

3.13

Auch der EWSA wies in seiner auf der Plenartagung am 1. Juli 1994 einstimmig verabschiedeten Stellungnahme (14) u.a. auf die „allgemeine Anerkennung der aktiven Prozessführungsbefugnis von Verbraucherverbänden zur Vertretung kollektiver und verschiedener Interessen vor jeder gerichtlichen bzw. außergerichtlichen Instanz in jedem Mitgliedstaat, unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Rechtsträger, der Verbände selbst oder vom Ursprungsort der Rechtsstreitigkeit“ hin und forderte die Kommission ausdrücklich auf, ein einheitliches Verfahren für Verbandsklagen und verbundene Klagen in Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher zu regeln, und zwar nicht nur für Klagen auf Unterlassung rechtswidriger Praktiken, sondern auch für Klagen auf kompensatorischen Schadensersatz (15).

3.14

Die damalige Kommissarin Emma Bonino hatte schon bei der Vorstellung ihrer künftigen Prioritäten die Einführung eines Gemeinschaftsverfahrens für die rasche Beilegung grenzüberschreitender Rechtsstreitigkeiten, die Harmonisierung der Bedingungen für Unterlassungsklagen gegen rechtswidrige Handelspraktiken und die gegenseitige Anerkennung eines Klagerechts für Verbraucherverbände als Schwerpunkte genannt (16).

3.15

In der Folge wurde am 25.1.1996 der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Unterlassungsklagen auf dem Gebiet des Schutzes der Verbraucherinteressen (17) vorgelegt.

Diese Richtlinie ist eine Folgemaßnahme der Kommission zum Sutherland-Bericht und zu der im Grünbuch enthaltenen Anregung, die breite Unterstützung fand (18)  (19).

3.16

Die fragliche Richtlinie hat das Gemeinschaftsrecht unbestreitbar revolutioniert, handelt es sich doch um den ersten Rechtssetzungsakt überhaupt, den die Gemeinschaft auf einem Gebiet des Zivilprozessrechts erließ (20).

Nichtsdestotrotz fand der Vorschlag, den Geltungsbereich auf den Schadenersatz auszudehnen, keine Berücksichtigung.

3.17

Parallel dazu hat die Kommission am 14. Februar 1996 ihren „Aktionsplan für den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“ vorgelegt, in dem sie zunächst das Problem der Verbraucherrechtsstreitigkeiten umriss und darlegte, dann die in den einzelnen Mitgliedstaaten dafür gefundenen Lösungen untersuchte und anschließend eine Reihe von Initiativen nannte, die sie zu ergreifen beabsichtigte. Unter anderem verpflichtete sich die Kommission dazu, die Möglichkeit zu erwägen, dass mehrere durch das gleiche Unternehmen geschädigte Verbraucher Verbraucherorganisationen mit der Zusammenfassung ihrer Klagen beauftragen können, um gleichartige Einzelfälle zu sammeln und dann gemeinsam und gleichzeitig vor das gleiche Gericht zu bringen (21).

3.18

In diesem Zusammenhang anerkannte das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 14.11.1996, „in der Erwägung, dass der Zugang zum Recht nicht nur ein grundlegendes Menschenrecht ist, sondern auch eine Vorbedingung für die Rechtssicherheit, auf nationaler und auch auf Gemeinschaftsebene“, die Bedeutung außergerichtlicher Verfahren zur Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten. Das Parlament verwies jedoch gleichzeitig darauf, „dass der Verbraucher die Möglichkeit haben muss, nach vergeblicher Ausschöpfung aller außergerichtlichen Schiedsverfahren den üblichen Rechtsweg zu beschreiten, wobei die Grundsätze der Effizienz und der Rechtssicherheit zu beachten sind“. Es forderte daher die Kommission auf, „weitere Vorschläge auszuarbeiten, um den Zugang zu nationalen Gerichtsverfahren für europäische Bürger zu verbessern, die ihren Wohnsitz nicht in dem jeweiligen Land haben“, und bestärkte die Mitgliedstaaten, „ein Eingreifen der Verbraucherverbände […] in Stellvertretung der eigentlich Klageberechtigten [zu] unterstützen“ und „außerdem diesen die aktive Klagebefugnis für eine Verbandsklage gegenüber bestimmten gesetzwidrigen Verhaltensweisen einzuräumen“  (22).

3.19

Danach wurde dieses Thema in der Europäischen Kommission offenbar auf Eis gelegt (23).

Im EWSA dagegen wurde es mehrfach aufgegriffen, um die Notwendigkeit eines EU-weiten Instruments im Rahmen des Zivilprozesses zu verdeutlichen, mit dem Rechte der Allgemeinheit sowie kollektive oder gleich geartete individuelle Rechte gerichtlich geltend gemacht werden können (24).

3.20

Die Kommission hat sich der Frage erst unlängst in ihrem „GrünbuchSchadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts“  (25) wieder zugewandt, und zwar in einer bemerkenswerten Art und Weise:

„Es ist aus praktischen Gründen sehr unwahrscheinlich, wenn nicht unmöglich, dass Verbraucher und Abnehmer mit geringen Schadenersatzforderungen eine Schadenersatzklage wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts einreichen. Daher sollte geprüft werden, wie diese Interessen durch kollektive Anspruchsdurchsetzung besser geschützt werden können. Neben dem spezifischen Schutz der Verbraucherinteressen können diese Verfahren dazu dienen, eine große Zahl von geringfügigen Forderungen in einer Klage zusammenzufassen, was Zeit und Geld spart“.

3.21

Der EWSA hat in seiner Stellungnahme vom 26.10.2006 seine Unterstützung für diese Initiative der Kommission zum Ausdruck gebracht und die Notwendigkeit von Sammelklagen auf Schadenersatz bekräftigt, weil dadurch „eine Reihe wichtiger Ziele in vollem Umfang erreicht [werden]: i) wirksamer Schadenersatz, da die Forderung des Schadenersatzes durch Verbände im Namen der betroffenen Verbraucher erleichtert und somit ein Beitrag zum tatsächlichen Zugang zu den Gerichten geleistet wird; ii) Abschreckung und Vorbeugung von Kartellverhalten wegen des großen gesellschaftlichen Echos, das diese Art von Klagen findet.“  (26) .

3.22

Unterdessen hat die Kommission beim Institut für Verbraucherrecht der katholischen Universität Löwen eine umfassende Studie über alternative Formen der Streitbeilegung in Auftrag gegeben, die unlängst veröffentlicht wurde. Ein beträchtlicher Teil dieser Studie, die insgesamt 400 Seiten umfasst, dient der Beschreibung der nationalen Regelungen für die kollektive gerichtliche Durchsetzung von Verbraucherinteressen in 28 verschiedenen Staaten. Es handelt sich dabei um 25 Mitgliedstaaten, die USA, Kanada und Australien (27).

3.23

Die neue für Verbraucherschutz zuständige EU-Kommissarin Magdalena KUNEVA hat in mehreren Erklärungen angekündigt, dass dies ein vorrangiges Thema ihrer Amtszeit sein werde. In der jüngsten Mitteilung „Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007-2013) (28) ist es jedenfalls schon enthalten. Dieses Thema wurde von den Kommissionsmitgliedern Neelie KROES und Magdalena KUNEVA auf einer Konferenz, die unlängst auf Initiative des portugiesischen Ratsvorsitzes in Lissabon stattfand (29), erneut als Schwerpunkt bekräftigt.

3.24

Überdies hat auch der Ministerrat der OECD kürzlich eine Empfehlung über die Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten mit Schadenersatz verabschiedet [C(2007)74 vom 12. Juli 2007]. Darin erkennt er an, dass die meisten Verfahren, die in den Mitgliedstaaten für die Beilegung dieser Streitigkeiten und den entsprechenden Schadenersatz eingeführt wurden, der Regelung dieser Rechtssachen auf nationaler Ebene dienen und sich nicht immer für die Entschädigung von Verbrauchern aus einem anderen Mitgliedstaat eignen.

4.   Gründe für eine Sammelklage auf Gemeinschaftsebene

4.1

Für eine rechtliche Berücksichtigung der Verbraucherinteressen in den Mitgliedstaaten und auf der Ebene der Europäischen Union ist nicht nur die Zuerkennung materieller Rechte, sondern sind auch geeignete Verfahren zur Geltendmachung dieser Rechte erforderlich.

Das Volumen des grenzüberschreitenden Handels hat sich vervielfacht, was auch eine Zunahme von Verbraucherrechtsstreitigkeiten auf europäischer Ebene zur Folge hatte.

In zahlreichen Fällen hat sich herausgestellt, dass eine individuelle Beilegung der Rechtsstreitigkeiten nicht ausreicht. Die Kosten und die Langwierigkeit des Verfahrens tragen entscheidend dazu bei, dass die Verbraucherrechte wirkungslos bleiben. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine Vielzahl (mehrere Tausend bis zu Millionen) von Verbrauchern handelt, die durch die gleichen Praktiken geschädigt werden, und wenn es um relativ geringe individuelle Schadenssummen geht. Die schrittweise Entwicklung der Europäischen Gesellschaft wirft ebenfalls Probleme hinsichtlich der Feststellung des geltenden Rechts auf, weshalb es wünschenswert ist, dass die europäischen Bürger ihre Rechten in einer einheitlichen Form durchsetzen können. Derzeit entsteht aus missbräuchlichen Praktiken, die in mehreren Mitgliedstaaten unter gleichen Umständen stattfinden und die gleichen Schäden verursachen, nur in sehr wenigen Mitgliedstaaten, in denen es eine Form der Sammelklage gibt, ein Anspruch auf Schadenersatz.

4.2

In den Verfassungen aller Mitgliedstaaten und in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist das Recht auf ein faires Verfahren verankert. Dazu gehört insbesondere das Recht auf angemessenen und wirksamen Zugang zu den Gerichten.

4.3

Die derzeitigen Justizsysteme ermöglichen es den Bürgern nicht immer, gegen sie schädigende Praktiken konkret und wirksam vorzugehen und ein Gericht damit zu befassen.

Einige Mitgliedstaaten haben in den letzten Jahrzehnten mit zweierlei Lösungen auf dieses Problem reagiert.

Sie haben zunächst das Recht eingeräumt, den Schutz kollektiver Verbraucherinteressen entweder durch Beschwerden bei den Behörden oder durch Klagen vor Gericht geltend zu machen. Eine weitere angemessene Lösung bestand in der Einführung der Möglichkeit, Einzelklagen zu Sammelklagen zu bündeln. Diese Klagen gründen sich im Wesentlichen auf die Verfahrensökonomie, da sie sämtliche Ansprüche in einem einzigen Verfahren bündeln und zusammenfassen.

4.4

Durch die Einführung einer europäischen Sammelklage hätten alle Verbraucher unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, ihren finanziellen Möglichkeiten und der Höhe des ihnen individuell entstandenen Schadens Zugang zum Recht. Sie böte zudem auch für die Unternehmen den Vorteil der damit verbundenen Verfahrensökonomie. Die Kosten für ein solches Verfahren lägen unter den Kosten, die ein Unternehmen im Falle einer Vielzahl von Einzelklagen tragen müsste. Das Verfahren trüge überdies zur Rechtssicherheit bei, da die Beilegung unzähliger ähnlicher Rechtssachen durch ein und dieselbe Entscheidung erfolgen würde (30). Eine solche Sammelklage würde schließlich auch verhindern, dass es bei der Entscheidung über ähnliche Rechtsstreitigkeiten zu Widersprüchen in der Rechtsprechung der europäischen Staaten kommt.

Eine solche allen europäischen Staaten gemeinsame Regelung würde zu einem besseren Verbraucherschutz beitragen, zugleich aber auch das Vertrauen der beteiligten Unternehmen und damit den Handel in der Europäischen Union stärken.

4.5

Eine derart gestaltete Klage hätte auch positive Auswirkungen auf das internationale Privatrecht, wo es Probleme bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften zur Beilegung von Streitigkeiten über vertragliche und nichtvertragliche Schuldverhältnisse (Rom I und Rom II) gibt. Sie würde auch eine genaue Festlegung der Vorschriften für die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ermöglichen (Verordnung 44/2001) (31).

4.6

Durch die Einleitung von einer größeren Zahl von Gerichtsverfahren, durch die die Verbraucher eine gerechte Entschädigung erwirken können und ein wirksamer Schutz der schwächeren Partei — ein Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts — gewährleistet werden kann, wird der Verbraucherschutz gestärkt. Das gilt insbesondere in Bezug auf die unlängst erlassene Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. Solche Praktiken werden häufig in mehreren Mitgliedstaaten zugleich eingesetzt, wo sie zahlreiche Verbraucher schädigen, ohne dass diese gemeinsam Schadenersatz fordern können. Die Sammelklage ist ein unverzichtbares Verfahrensinstrument für die wirksame Umsetzung dieser Richtlinie.

Sämtliche bisher auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes bestehenden Richtlinien, die in nationales Recht umgesetzt wurden, würden durch die Einführung des Rechts auf Sammelklage in den betreffenden Geltungsbereichen in ihrer Wirksamkeit verbessert.

Es wäre wünschenswert, wenn diese Bestimmungen auch zu Gunsten der kleinen und mittleren Unternehmen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, Anwendung fänden.

4.7

Von der Einführung eines kollektiven Gerichtsverfahrens durch die Gemeinschaft, das als letztes Mittel für die Beilegung von Streitigkeiten dienen soll, bleiben die bestehenden Verfahren für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten natürlich unberührt. Der EWSA hat seine unbedingte Unterstützung für diese Verfahren zum Ausdruck gebracht, deren Potenzial noch weiter ausgeschöpft und entwickelt werden muss.

5.   Terminologie

5.1

Im Hinblick auf eine bessere Abgrenzung des Gegenstands des Vorschlags muss man sich darauf einigen, welche Art von Klage angestrebt wird.

Der Überblick über die in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Regelungen zeigt, dass die verschiedenen Klagearten in ihrer Benennung und in ihrem Inhalt stark voneinander abweichen. So ist zwischen Verbandsklagen, Klagen im kollektiven Interesse und Sammelklagen zu unterscheiden.

5.2

Die Möglichkeit der Verbandsklage steht nur Verbraucherverbänden und bestimmten Verwaltungseinrichtungen (Bürgerbeauftragte, Ombudsmann usw.) offen und dient dazu, die Verbraucherrechte schädigende Verhaltensweisen zu unterbinden beziehungsweise — in bestimmten Ländern — missbräuchliche oder rechtswidrige Klauseln in Verbraucherverträgen für nichtig zu erklären.

5.3

Die Klagen im kollektiven Interesse bieten den Verbraucherverbänden die Möglichkeit, bei Verletzung des kollektiven oder allgemeinen Interesses der Verbraucher durch Verstoß gegen eine materiellrechtliche Rechtsvorschrift oder gegen eine allgemeine Verhaltensnorm vor Gericht zu ziehen. Das kollektive Interesse ist dabei nicht die Summe der individuellen Interessen der Einzelverbraucher, sondern kommt dem Interesse der Allgemeinheit nahe.

5.4

Die Sammelklage ist ein gerichtlicher Schritt, welcher es einer großen Zahl von Betroffenen ermöglicht, ihre Rechte geltend zu machen und eine Wiedergutmachung zu erwirken. Verfahrenstechnisch gesehen ist sie somit die kollektive Durchsetzung individueller Rechte.

5.5

Die Sammelklage ist nicht nur den Bereichen des Verbraucherschutzes und des Wettbewerbsrechts vorbehalten.

In dieser Stellungnahme wird der Begriff jedoch auf diese Bereiche — die einzigen materiellen Bereiche, die das Gemeinschaftsrecht kennt -, beschränkt.

5.6

Es wird daher vorgeschlagen, in dieser Stellungnahme den Begriff Sammelklage zu verwenden (32).

6.   Rechtsgrundlage

6.1

Die Rechtsgrundlage für die Verbraucherschutzpolitik findet sich in Titel XIV des Vertrags unter der Überschrift „Verbraucherschutz“.

Artikel 153 ist zweifellos ein wichtiges Element bei allen Überlegungen.

6.2

Zwar hat sich das Verbraucherrecht im Wesentlichen auf der Grundlage von Artikel 95 des Vertrags entwickelt, auf den immer wieder verwiesen wird, doch ist die Verbraucherschutzpolitik, so wie sie hier verstanden wird, offensichtlich eine Maßnahme, die der Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher dient.

6.3

Sammelklagen tragen unbestreitbar zu einem hohen Schutzniveau bei und ermöglichen es den Verbraucherverbänden, sich zum Schutz der Interessen der Verbraucher zu organisieren, das heißt bei Verletzung von Rechten, die den Verbrauchern im gesamten Gemeinschaftsrecht und damit auch im Wettbewerbsrechts zuerkannt werden, eine gerechte Entschädigung für sie erwirken.

6.4

Eine gemeinschaftliche Sammelklage würde auch zu einem besseren Funktionieren des Binnenmarktes im Interesse der Verbraucher beitragen, das gerade bei der Überprüfung des Binnenmarktes angestrebt wird. Das Vertrauen der Verbraucher wird gestärkt und damit der grenzüberschreitende Handel gefördert (33).

6.5

Da es sich um ein rein gerichtliches Instrument handelt, wäre auch denkbar, die Artikel 65 und 67 als mögliche Rechtsgrundlage heranzuziehen. Unter Berufung auf diese Rechtsgrundlage hat die Kommission nämlich seit 1996 eine ganze Reihe von gemeinschaftlichen Rechtsakten auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts vorgeschlagen, die der Rat und das Parlament dann angenommen beziehungsweise verabschiedet haben (34).

Diese Lösung wäre denkbar, da Sammelklagen sowohl für grenzüberschreitende Streitigkeiten als auch für nationale Rechtsstreitigkeiten und nicht nur im Verbraucherrecht Anwendung finden könnten.

6.6

Auf jeden Fall müssen bei der Sammelklage die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Das bedeutet, es darf auf keinen Fall über das im Hinblick auf die Erreichung der Ziele des Vertrags notwendige Maß hinausgegangen werden. Voraussetzung muss demnach sein, dass die Ziele von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und auf Gemeinschaftsebene besser zu erreichen sind.

6.7

Zudem sind dabei die Grundsätze und Mechanismen der Empfehlung C(2007)74 des OECD-Ministerrates vom 12. Juli 2007 zu beachten, die trotz der unterschiedlichen nationalen Rechtskulturen als gemeinsame Prinzipien der Mitgliedstaaten dargestellt werden.

7.   Eckpunkte einer Sammelklage auf Gemeinschaftsebene

7.1   Was die Sammelklage nicht sein darf

7.1.1   Die Sammelklage darf keine Verbandsklage sein:

7.1.1.1

Die Möglichkeit der Verbandsklage steht nur bestimmten hierzu besonders befugten Einrichtungen (Verbraucherverbänden, Bürgerbeauftragten oder Ombudsmann) zur Verfügung. Verbraucher können über eine Verbandsklage im Allgemeinen keinen individuellen Schadensersatz erwirken.

7.1.1.2

Hauptziel der Verbandsklagen ist die Unterbindung von für die Verbraucherrechte schädlichen Verhaltensweisen beziehungsweise — in bestimmten Ländern — die Nichtigerklärung missbräuchlicher oder rechtswidriger Klauseln in Verbraucherverträgen. Bei diesem Verfahren kann das Gericht keinerlei Entschädigung festlegen.

7.1.1.3

In einigen Ländern wurden diese Verfahren angepasst, um Schadenersatz für die Verbraucher zu ermöglichen. Diese Entschädigung geht jedoch nicht an die einzelnen Verbraucher, sondern wird von den Verbänden einbehalten oder für soziale Zwecke an den Staat abgeführt.

7.1.1.4

In der Praxis entspricht dieses Verfahren daher nicht der Sammelklage, bei der sämtliche Verbraucher in einem einzigen Prozess entschädigt werden.

7.1.2   Die Sammelklage darf keine „class action“ amerikanischer Art sein:

7.1.2.1

Die Einführung einer europäischen Sammelklage heißt nicht, die US-amerikanische Class action nach Europa zu importieren. Die amerikanische Justiz unterscheidet sich grundsätzlich vom Justizsystem in den Mitgliedstaaten. Die Schwächen der Class action, deren Auswüchse bereits erwähnt wurden, können auf das amerikanische Justizsystem zurückgeführt werden und wären in Europa nicht möglich.

7.1.2.2

In den USA werden Gerichtsentscheidungen von Geschworenengerichten und gewählten Richtern getroffen. Diese besondere Zusammensetzung unterscheidet sich von den Gerichten in der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten (Berufsrichter) und führt oft dazu, dass in bestimmten Gerichtsbezirken der USA völlig unseriöse Klagen zugelassen und Urteile gefällt werden, welche die Kläger allzu sehr begünstigen. Das veranlasst die Verbraucher, ihre Klagen eher bei bestimmten Gerichten einzureichen als bei anderen, weniger klägerfreundlichen (das sog. forum shopping).

7.1.2.3

Die europäische Sammelklage dagegen wäre ein wirksamer Schutz vor dem forum shopping, da in den einzelnen Mitgliedstaaten nur eine einzige Verfahrensart eingeführt würde. Das heißt, ganz gleich welchen Gerichtsstand oder Mitgliedstaat die Kläger wählen, die Abwicklung der Klage und die Rechtsprechung durch das Gericht sind vom Wesen her gleich.

7.1.2.4

Bei der class action kann der kompensatorische Schadenersatz durch einen Strafschadenersatz ergänzt werden. Dieser wird von den Geschworenengerichten und gewählten Richtern festgesetzt und beläuft sich häufig auf astronomische Beträge. Dieser exemplarische Strafschadenersatz existiert in den meisten europäischen Staaten nicht.

7.1.2.5

Die amerikanischen Rechtsanwälte werden nach dem allgemeinen Verfahren der contingency fees vergütet. Dabei handelt es sich um eine vereinbarte prozentuale Beteiligung, wobei die Anwälte, die selbst als Kläger auftreten können, an den Ergebnissen der Klage beteiligt sind. Dieses Verfahren ist in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union entweder gesetzlich verboten oder durch die Satzungen der Rechtsanwaltskammern untersagt.

7.2   Die grundlegende Entscheidung lautet opted-in oder opted-out

Ausgehend von der Untersuchung der in den Mitgliedstaaten existierenden Formen von Sammelklagen können diese nach dem Hauptmechanismus zur Einreichung der Klage und zum Eintritt des Verbrauchers in das Verfahren unterschieden werden. Entweder muss der Verbraucher eine Willenserklärung abgeben, um Partei zu werden: man spricht dann von opted-in. Oder der Verbraucher wird mit Ingangkommen der Klage automatisch zur Prozesspartei, ohne dass es einer solchen Willenserklärung bedarf: dann spricht man von opted-out. Der Verbraucher hat im zuletzt genannten Fall immer noch die Möglichkeit, aus dem Verfahren auszuscheiden. Bei der Gestaltung einer europäischen Sammelklage steht daher zunächst die Entscheidung für den einen oder anderen Mechanismus an.

7.2.1   Opted-in und Test case

7.2.1.1

Bei dem opted-in-Mechanismus ist vorgesehen, dass der Betroffene eine Willenserklärung abgibt, um Prozesspartei zu werden. Die Betroffenen müssen sich also zu erkennen geben und der Klage ausdrücklich beitreten, bevor das Urteil ergeht.

Parallel zu diesem Mechanismus der Willenserklärung hat sich auch ein so genanntes „Test case“-Verfahren entwickelt, das auf einem exemplarischen Feststellungsurteil basiert. Dieses Verfahren steht der Sammelklage mit Willenserklärung (opted-in) nahe, denn auch hier müssen die Betroffenen erklären, dass sie am Verfahren teilnehmen wollen, und dazu individuell klagen. Die Besonderheit dieses Verfahrens besteht nun darin, dass das Gericht nur eine dieser individuellen Klagen auswählt und nur darüber befindet. Das Urteil, das in diesem Testfall ergeht, gilt für alle anderen bei diesem Gericht eingereichten individuellen Klagen.

7.2.1.2   Vorteile dieser Mechanismen

7.2.1.2.1

Jedes Mitglied der klagenden Gruppe muss eine Willenserklärung abgeben, um Prozesspartei zu werden, im Allgemeinen durch Eintragung in ein entsprechendes Buch. Somit ergeht eine ausdrückliche Willenserklärung, womit dem Grundsatz der freien Ausübung des Klagerechts entsprochen wird. Der Kläger klagt erst dann im Namen der Betroffenen, wenn diese förmlich ihr Einverständnis erteilt haben.

7.2.1.2.2

Der opted-in-Mechanismus ermöglicht eine Ex-ante-Bestimmung der voraussichtlichen Höhe der Entschädigungen. Dies ist sowohl generell für die Beklagten wichtig, auf die die Entschädigungsforderung zukommt, als auch hinsichtlich ihrer Möglichkeit, Versicherungen abzuschließen, die einen Teil der fraglichen Schäden abdecken sollen. Somit stehen dann angemessene Finanzmittel bereit, um auf berechtigte Entschädigungsforderungen zu reagieren.

7.2.1.2.3

Im Fall des „Test case“-Verfahrens wird dem Gericht nur ein einzelner Fall vorgelegt, anhand dessen es sich ein Urteil über das Problem bilden kann. Damit spart das Gericht Zeit und Aufwand, weil es die Verantwortung des Unternehmens nur anhand eines einzigen Falles beurteilt.

7.2.1.3   Nachteile dieser Mechanismen

7.2.1.3.1

Diese Mechanismen sind umständlich und kostenaufwändig. Die Betroffenen müssen eine Erklärung abgeben, um Prozesspartei zu werden, und eine individuelle Klage einreichen. Die Handhabung der individuellen Klagen ist bei einer großen Zahl von Betroffenen sehr aufwändig.

7.2.1.3.2

Das verzögert das Verfahren erheblich, da das Gericht sämtliche individuellen Klagen ordnen und bearbeiten muss. Den meisten Sammelklagen liegt aber ein Massenprozess zugrunde, bei dem die individuellen Schäden relativ homogen sind und nicht einzeln geprüft werden müssen.

7.2.1.3.3

Beim „Test case“-Verfahren legt das Gericht nicht immer die Höhe des fälligen Schadenersatzes fest und überlässt dies manchmal einer Klärung in Einzelverfahren. Das führt zu verwaltungstechnischen Problemen und zu einer längeren Verfahrensdauer.

7.2.1.3.4

Aus der Untersuchung von Sammelklagen mit Willenserklärung (opted-in) oder „Test case“-Verfahren in den entsprechenden Ländern geht im Übrigen hervor, dass ein großer Teil der Verbraucher keine solche Klage bei Gericht einreicht, weil die Information über die Existenz eines solchen Verfahrens nicht bei ihnen ankommt. Der Großteil der Betroffenen lehnt die Einreichung einer Klage auch wegen der damit verbundenen materiellen, finanziellen und psychologischen Schwierigkeiten (Zeitaufwand, finanzieller Aufwand und große Komplexität) ab.

7.2.1.3.5

Vergleicht man die Zahl der tatsächlich Klagenden und der potentiell Betroffenen, lässt sich ein enormer Schwund feststellen. Den Verbrauchern werden daher nicht alle entstandenen Schäden ersetzt. Das Unternehmen kann also den Gewinn, den es gegebenenfalls durch rechtswidrige Praktiken erzielt hat, zum Großteil behalten. Somit wurde die abschreckende Wirkung des Gerichtsverfahrens verfehlt.

7.2.1.3.6

Diese Mechanismen sind auch im Hinblick auf die Wirkung der rechtskräftig entschiedenen Sache problematisch. Ein im Rahmen einer Sammelklage ergangenes Urteil gilt nur für diejenigen, die der Klage beigetreten sind. Verbraucher, die keine solche Erklärung abgegeben haben, haben völlig freie Hand, um Einzelklagen einzureichen, die in Urteilen münden können, welche möglicherweise im Widerspruch zum Urteil über die Sammelklage stehen.

7.2.2   Opted-out

7.2.2.1

Die traditionelle Sammelklage beruht auf einem opted-out-Mechanismus, durch den alle durch eine Verhaltensweise Geschädigten automatisch Partei sind, es sei denn, sie erklären ausdrücklich ihre Nichtteilnahme am Verfahren.

Einige Mitgliedstaaten haben ausgehend von diesem Mechanismus ein „sui generis“-Verfahren für Sammelklagen entwickelt.

7.2.2.2   Vorteile dieses Mechanismus

7.2.2.2.1

Eine Untersuchung der einzelstaatlichen Regelungen, die auf dem opted-out-Mechanismus beruhen, zeigt, dass sich dieses Verfahren leichter handhaben lässt und wirksamer ist als die anderen Verfahren, die es in einigen Mitgliedstaaten gibt.

7.2.2.2.2

Dieser Mechanismus garantiert den Betroffenen einen tatsächlichen Zugang zum Recht und dadurch allen durch bestimmte Praktiken geschädigten Verbrauchern eine effektive, gerechte Entschädigung.

7.2.2.2.3

Er schafft keine verwaltungstechnischen Probleme für Kläger oder Gericht, da die Mitglieder der Gruppe sich erst bei Abschluss des Verfahrens zu erkennen geben.

7.2.2.2.4

Dieser Mechanismus hat zudem eine tatsächliche abschreckende Wirkung auf die verurteilte Partei, da diese gezwungen ist, Schadenersatz an alle durch ihre Praktiken Geschädigten zu leisten und gegebenenfalls den daraus erzielten Gewinn zurückzuzahlen.

7.2.2.2.5

Es gilt auch die Vorteile zu berücksichtigen, die dieses Verfahren für das Unternehmen hat. Die Sammelklage ermöglicht es dem Unternehmen, bei seiner Verteidigung Humanressourcen und finanzielle Mitteln zu sparen und wirksamer vorzugehen. Das Unternehmen sieht sich nicht gleichzeitig einer Vielzahl von ähnlichen Rechtsstreitigkeiten vor unterschiedlichen Gerichten gegenüber, sondern kann seine Verteidigung vor nur einem Gericht planen.

7.2.2.3   Nachteile dieses Mechanismus

7.2.2.3.1

Dieser Mechanismus könnte in einigen Ländern für nicht verfassungskonform und nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention im Einklang stehend erklärt werden, was vor allem im Hinblick auf das Prinzip des freien Ausübung des Klagerechts gilt. Die Betroffenen sind hier automatisch Teil der Klägergruppe, ohne der Klage ausdrücklich zugestimmt zu haben. Erklären sie nicht ausdrücklich ihre Nichtteilnahme am Verfahren, könnte das Urteil, das ergeht, für sie verbindlich gelten.

Es ist jedoch möglich, diese individuelle Freiheit beizubehalten, indem entweder den Betroffenen eine persönlich an sie gerichtete Information übermittelt wird, womit alle, die im Anschluss daran keine Nichtteilnahmeerklärung abgeben, stillschweigend ein Klagemandat erteilt haben, oder indem den Mitgliedern der Gruppe das Recht eingeräumt wird, jederzeit und auch nach Urteilsverkündung noch ihre Nichtteilnahme am Verfahren zu erklären. Dies ermöglicht es ihnen, später einzeln zu klagen, falls das Urteil zu ihren Ungunsten ausfällt.

7.2.2.3.2

Die Verteidigungsrechte wie das Prinzip der streitigen Verhandlung und der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gericht wären ebenfalls angetastet: das Unternehmen muss das Recht haben, individuelle Verteidigungsmittel gegen einen Betroffenen aus der Gruppe geltend zu machen. Dieser Grundsatz hängt mit dem Prinzip des „fairen Verfahrens“ gem. Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention zusammen. Bei opted-out-Regelungen ist es gut möglich, dass nicht alle Betroffenen namentlich genannt werden und dem Unternehmen bekannt sind. Deshalb könnte es diesem unmöglich sein, individuelle Verteidigungsmittel geltend zu machen.

Andererseits gibt es bei einer Sammelklage notwendigerweise eine Homogenität der Einzelfälle, für die das Gericht der Garant ist. Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des Verbraucherrechts und des Wettbewerbsrechts gehen im Wesentlichen auf Verträge zurück, weshalb die Fälle der einzelnen Betroffenen nahezu identisch sind. Die „causa petendi“ (Klagegrund) ist ein und dieselbe. Es lässt sich also nur schwer nachvollziehen, wie das Unternehmen gegenüber einem Verbraucher ein besonderes Verteidigungsmittel in Anspruch nehmen könnte.

Das Gericht kann im Prozessverlauf eine Klage jederzeit zurückweisen, wenn es eine große faktische oder rechtliche Heterogenität zwischen den einzelnen Fällen feststellt.

In der Phase der Festsetzung des Schadenersatzes kann das Gericht Untergruppen von Klägern bilden, um die Höhe des Schadenersatzes den Einzelsituationen und möglichen mildernden Umständen anzupassen.

7.2.3   Opted-out und opted-in je nach Art der Rechtsstreitigkeit

7.2.3.1

Das unlängst von Dänemark und Norwegen eingeführte Verfahren sieht opted-in- und opted-out-Mechanismen zugleich vor. Das Gericht kann sich für ein opted-out-Verfahren entscheiden, wenn es um geringe Streitwerte und ähnlich gelagerte Klagen geht und es schwierig ist, ein Verfahren nach dem opted-in-Mechanismus durchzuführen. Auf dem Gebiet des Verbraucherrechts gibt es zahlreiche Streitigkeiten, bei denen Verbraucher aufgrund der großen Zahl der Betroffenen und der geringen Streitwerte keinen wirksamen Zugang zu einem individuellen Rechtsbehelf haben. Bei dem Verfahren mit opted-out-Mechanismus können alle Betroffenen berücksichtigt werden und eine Geldstrafe in Höhe des möglicherweise rechtswidrig erhaltenen Gewinns erwirken. Bei Rechtsstreitigkeiten mit hohen individuellen Schäden entscheidet man sich für das opted-in-Verfahren, bei dem sich jeder Verbraucher erklären muss, um Prozesspartei werden zu können.

7.2.3.2   Vorteile dieses Mechanismus

Bei Massenprozessen erleichtert dieser Doppelmechanismus die Abwicklung des Verfahrens. Das Ziel des Schadenersatzes wird erreicht, wenn für eine wirksame Öffentlichkeit gesorgt wird. Die abschreckende Wirkung wird ebenfalls erreicht.

Vermeintliche Verletzungen von Verfassungsgrundsätzen und der Europäischen Menschenrechtskonvention werden durch die wirksame Entschädigung und Abschreckung aufgewogen.

7.2.3.3   Nachteile dieses Mechanismus

Es gilt zunächst festzustellen, dass sich nur schwer eine Grenze zwischen den beiden Mechanismen (opted-in und opted-out) ziehen lässt. Die beiden Länder haben diese Mechanismen erst unlängst eingeführt, weshalb es noch keine konkreten Fallbeispiele gibt. In den entsprechenden Gesetzen wird lediglich auf „Massenprozesse über geringfügige Forderungen, für die keine individuellen Verfahren erwartet werden können“ verwiesen.

Dieses Problem der fehlenden Abgrenzung könnte zu langwierigen Debatten während des Verfahrens und zur Einlegung von Rechtsmitteln führen, was sich in einer längeren Verfahrensdauer niederschlagen dürfte.

7.3   Rolle des Gerichts

7.3.1

Bei dieser besonderen Art von Verfahren, bei dem zahlreiche Kläger involviert sind, kommt den Befugnissen des Gerichts große Bedeutung zu.

7.3.2

Bei den meisten Verfahren mit opted-out-Mechanismus dient der erste Verfahrensabschnitt nämlich der Prüfung der Zulässigkeit der Klage durch das Gericht. Bei dem „Test case“-Verfahren wird dazu nur eine Einzelklage geprüft.

7.3.2.1

Der Sinn dieser ersten Phase zur Prüfung der Zulässigkeit liegt darin, gleich zu Beginn des Verfahrens alle offensichtlich unbegründeten oder unseriösen Klagen oder Klagen, die den Ruf des Prozessgegners rechtswidrig schädigen könnten, auszuschließen und so missbräuchliche Prozesse oder Verfahren ohne jegliche Erfolgsaussichten zu vermeiden.

7.3.2.2

Das Gericht ist der Garant für die reibungslose Durchführung dieser Phase der Zulässigkeitsprüfung. Konkret obliegt es dem Gericht zu prüfen, ob die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen für die Einreichung einer Sammelklage vorliegen.

7.3.2.3

Zu diesen Voraussetzungen gehören besondere:

Vorliegen eines Klagegrunds (der Klagegrund des Klägers darf nicht verjährt sein).

Aufgrund der Zusammensetzung der Klägergruppe darf ein gemeinsames Verfahren oder ein Verfahren mit Mandatsverteilung nicht möglich sein.

Die Mitglieder der Gruppe verbinden rechtliche oder faktische Gemeinsamkeiten (gleiche „causa petendi“).

Die Klage gegen das Unternehmen ist aus der Sicht der vorgebrachten Tatsachen konsistent (Schlüssigkeit der Klage, „fumus boni iuris“).

Der Kläger ist in der Lage, die Interessen der Gruppenmitglieder angemessen zu vertreten und geltend zu machen.

7.3.3

In einer späteren Phase kommt es zudem darauf an, dass das Gericht ein eventuelles Vergleichsangebot amtlich bestätigen oder, wenn das Angebot seinem Ermessen nach nicht im Interesse der Gruppenmitglieder liegt, dieses auch ablehnen kann. Dafür benötigt das Gericht Befugnisse, die über die reine Befugnis zur Bestätigung von Vergleichen hinausgehen, die den Gerichten in den meisten Mitgliedstaaten gesetzlich zugestanden wird.

7.3.4

Die Besonderheit dieses Verfahrens bedingt zudem, dass die Modalitäten der Beweiserhebung angepasst werden müssen. Das Gericht muss die Möglichkeit haben, der Gegenpartei oder Dritten gegenüber Anordnungen zu treffen, damit bestimmte Urkundenbeweise beigebracht werden, oder Ermittlungshandlungen anzuordnen, um neue Beweise zu erheben. In den Rechtsvorschriften über die Einführung einer Sammelklage muss ausdrücklich vorgesehen sein, dass das Gericht diese Maßnahmen auf Antrag der Kläger anordnen muss.

7.3.5

Damit die Richter diesen Befugnissen möglichst gut gerecht werden können, sollten nur bestimmte und eigens benannte Gerichte für Sammelklagen zuständig sein. Daher sollten die Justizorgane der Mitgliedstaaten entsprechend angepasst und eine besondere Fortbildung für die Richter an diesen Gerichten vorgesehen werden.

7.4   Wirksamer Schadenersatz

7.4.1

Die Sammelklage muss eine Wiedergutmachung des materiellen (finanziellen) Schadens, des körperlichen Schadens und des Schmerzensgelds (pretium doloris) sowie anderer abstrakter oder immaterieller Schäden ermöglichen. Mit der Klage wird zweierlei verfolgt: Schadenersatz für die Verbraucher und Abschreckung, weshalb eine Entschädigung in voller Schadenshöhe verankert werden muss. Es sollte zudem die Möglichkeit vorgesehen werden, den Gerichten einfache, kostengünstige und transparente Bewertungsverfahren an die Hand zu geben, ohne dabei den Grundsatz der Heilung des Schadens aufzugeben.

7.4.2

Es sollte zudem möglich sein, dass die Kläger im Rahmen von Sammelklagen verschiedene Arten von Entschädigung vor Gericht erwirken. Neben der Unterlassung der Praktiken und der Nichtigerklärung eines Geschäfts muss es möglich sein, direkte oder indirekte Wiedergutmachung der erlittenen Schäden zu verlangen. Der Schadenersatz muss zudem mit anderen Maßnahmen der Wiedergutmachung wie der öffentlichen Urteilsverkündung und der Bekanntmachung des Urteils usw. einhergehen können.

7.4.3

Der direkte und individuelle Schadenersatz darf nicht als einziges Mittel der Wiedergutmachung gelten, denn er kann in bestimmten Fällen nur schwer oder überhaupt nicht realisierbar sein, entweder weil die Mitglieder der Gruppe bei einem opted-out-Verfahren nicht namentlich ermittelt werden können oder weil es so viele sind, dass die individuelle Schadenshöhe zu gering ausfällt. Es kommt vor allem darauf an, dass stets eine Entschädigung der Betroffenen stattfindet, selbst wenn diese indirekter Art ist, und dass die abschreckende Wirkung erreicht wird.

7.4.3.1

Es müssen geeignete Mechanismen für die Fälle gefunden werden, in denen das Gericht die Höhe der individuellen Entschädigungen für die namentlich bekannten oder ermittelbaren Mitglieder der Klägergruppe berechnen kann (opted-in, „Test case“ oder auch opted-out, sofern das Unternehmen eine Liste der betroffenen Kunden vorgelegt hat). Gleiches gilt für die Fälle, in denen diese individuelle Aufteilung wegen der geringen Höhe der Einzelansprüche zu aufwändig wäre.

7.4.3.2

Sollten die Summen nicht vollständig verteilt werden können, wären die gesamten Restbeträge vorzugsweise für Maßnahmen der indirekten Wiedergutmachung vorzusehen. Dazu muss das Gericht in seiner Entscheidung die Aktion nennen, die mit der Restsumme finanziert werden soll, und die Modalitäten für die Kontrolle der Umsetzung festlegen, mit der ein Dritter beauftragt werden kann.

7.4.3.3

Sollte auch diese Maßnahme der indirekten Wiedergutmachung unmöglich sein, könnte der gesamte vom Gericht ermittelte Restbetrag an einen Hilfsfonds zur Förderung von Sammelklagen überwiesen werden, um damit neue Verfahren zu finanzieren.

7.4.3.4

Sollte das Gericht die Höhe der einzelnen Entschädigungssummen nicht berechnen können, weil nicht alle Mitglieder der Gruppe zu ermitteln sind (das wäre nur beim opted-out-Mechanismus der Fall), muss es eine Tabelle für die Bewertung der verschiedenen Schadenskategorien aufstellen können. Die Verteilung der entsprechenden Beträge könnte dem Gerichtssekretariat oder auch dem Anwalt, der die Gruppe vertritt, oder auch einem Dritten (Versicherer, Buchhalter usw.) übertragen werden, was den Vorteil hätte, dass das Gericht von dieser komplexen und langwierigen Aufgabe der Prüfung der individuellen Ansprüche befreit würde.

7.4.3.5

Das Gericht muss in diesem zweiten Fall eine individuelle Entschädigung für die Mitglieder der Gruppe festlegen können, die sich nach Bekanntgabe des Urteils zu erkennen gegeben haben. Der Restbetrag muss für Maßnahmen aufgewandt werden, die der indirekten Wiedergutmachung des der Gruppe entstandenen Schadens dienen.

7.4.3.6

Ist keine Maßnahme zur indirekten Wiedergutmachung möglich, muss Restbetrag an einen Hilfsfonds überwiesen werden.

7.5   Rechtsmittel

7.5.1

Im Rahmen der Sammelklage muss beiden Parteien die Möglichkeit eingeräumt werden, Rechtsmittel einzulegen.

7.5.2

Einerseits ist es notwendig, die Betroffenen zügig zu entschädigen. Andererseits muss garantiert werden, dass die Rechte beider Parteien richtig gewürdigt werden. Beiden Aspekten kommt eine große Bedeutung zu, weshalb das Recht beider Parteien auf Einlegung von Rechtsmitteln mit dieser Notwendigkeit in Einklang gebracht werden muss.

7.5.3

Im Zuge der Anerkennung der Möglichkeit von Rechtsmitteln sollten die Mitgliedstaaten daher ein verkürztes Berufungsverfahren vorsehen, damit das Rechtsmittel nicht zur Verschleppung des Verfahrens eingesetzt werden kann.

7.5.4

Die Gewissheit, dass der Beklagte für den Schadenersatz, zu dem er verurteilt wurde, entsprechende finanzielle Rücklagen einstellen muss, ist für die Mitglieder der Gruppe bei einem Berufungsverfahren ebenfalls eine Sicherheit.

7.6   Finanzierung

7.6.1

Das Verfahren für Sammelklagen muss sich auf lange Sicht finanziell selbst tragen.

7.6.2

Die grundsätzliche Einführung von „contingency fees“ nach amerikanischem Vorbild ist weder wünschenswert noch möglich, da sie im Widerspruch zu den Traditionen des europäischen Rechtssystems steht. Daher muss unbedingt eine Form der Finanzierung vorgesehen werden, die es Klägern, die nicht über die entsprechenden Finanzmittel für eine Sammelklage verfügen, ermöglicht, einen Prozesskostenvorschuss (Anwaltskosten, Kosten für Gutachten im Rahmen der vom Gericht zugelassenen Untersuchungsmaßnahmen, usw.) zu beantragen.

7.6.3

Eine Möglichkeit zur Finanzierung solcher Verfahren wäre die Einrichtung eines „Hilfsfonds für kollektive Rechtsmittel“, dem die Beträge der „unrechtmäßigen Gewinne“ der verurteilten Unternehmen, die das Gericht im Verfahren festsetzt, zufließen könnten, soweit sie nicht von direkt Geschädigten, die namentlich bekannt sind, beansprucht werden (35).

7.6.4

Dieser Hilfsfonds könnte überdies dazu dienen, sämtliche Informationen über alle anhängigen Sammelklagen zentral zu erfassen und darüber zu informieren, wie sich Betroffene zu erkennen geben, ihre Nichtteilnahme am Verfahren erklären oder eine Entschädigung erwirken können.

7.7   Sonstige Verfahrensfragen

Im Einzelnen muss eine Vielzahl von Verfahrensfragen geregelt werden,

von denen nur folgende genannt seien:

Anzeigen und Aushänge für die Benachrichtigung der Betroffenen,

Verfahrenskosten und Gerichtskostenhilfe,

Zusammenarbeit zwischen Gerichtsorganen und Behörden der Mitgliedstaaten,

Fristen für die Einleitung des Verfahrens und Verjährungsfristen,

Einsatz von Internet (elektronische Justizdienste).

8.   Welches Rechtsinstrument: Verordnung oder Richtlinie

8.1

Die Einführung einer Sammelklage auf Gemeinschaftsebene könnte sowohl durch eine Richtlinie als auch durch eine Verordnung erfolgen. Eine einfache Empfehlung ist nach Ansicht des Ausschusses nicht geeignet, die Wirksamkeit und Einheitlichkeit zu garantieren, die Voraussetzung für die harmonisierte Einführung einer solchen Initiative in den 27 Mitgliedstaaten ist.

8.2

Soweit eine inhaltliche Ausdehnung auf weitere Themen geplant ist und die Sammelklage nicht nur im Zusammenhang mit den Verbraucherrechten gesehen wird und sofern als Rechtsgrundlage Artikel 65 und 67 des Vertrags herangezogen werden, ist der Erlass einer Verordnung denkbar. Beispiele hierfür sind die Verordnungen über Insolvenzverfahren, zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens, zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen oder zur Einführung eines Verfahrens für vorläufige Kontopfändungen.

8.3

Soll jedoch der Geltungsbereich der Initiative zumindest in einer ersten Phase auf die Verbraucherrechte beschränkt bleiben, dann wäre eine Richtlinie das geeignete Rechtsinstrument für die Einführung dieser Sammelklage auf Gemeinschaftsebene. Diese Richtlinie würde sich an die Richtlinie über Unterlassungsklagen anschließen.

8.4

Im Hinblick auf Verfahrensvorschriften bestehen noch erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten. Es sollten daher bereits in der Richtlinie die Grundprinzipien der Sammelklage herausarbeitet werden, da die Mitgliedstaaten die Richtlinie unter Beachtung ihrer eigenen traditionellen Verfahrensgrundsätze umsetzen.

Es ist beispielsweise nicht klar, ob eine Harmonisierung möglich wäre, weil die für diese Klagen zuständigen Gerichte in Abhängigkeit vom Justizsystem der einzelnen Mitgliedstaaten benannt werden.

Die Art der Befassung der Gerichte muss an die Besonderheiten der einzelnen Staaten angepasst werden. Hier wäre das Instrument einer Verordnung ungeeignet.

8.5

Klar ist auch, dass es sich um eine Richtlinie mit vollständiger Harmonisierung handeln muss, damit die Mitgliedstaaten das Verfahren nicht zum Nachteil der Unternehmen, die auf ihrem Gebiet ansässig sind, mit strengeren Auflagen versehen.

Brüssel, den 14. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Klage im Sinne des Zivilprozessrechts zum Schutz von Interessen der Allgemeinheit oder kollektiven Interessen, sei es zur Prävention (Unterlassungsklage) oder Wiedergutmachung (Schadenersatzklage). In der angelsächsischen Rechtsliteratur findet man noch eine andere Bedeutung für die kollektive Klage im Zusammenhang mit den soziologischen Grundlagen der Verbandsbildung (vgl. „Collective action in the European union; interests and the new politics of associability“ Justin GREENWOOD und Mark ASPINWALL, Routledge, London, 1998, eine interessante Untersuchung der soziologischen Ursprünge und gesellschaftlichen Bedürfnisse, die die Kollektivklage in rein verfahrensrechtlicher Hinsicht rechtfertigen).

(2)  Nicht ausgeschlossen werden sollte die in mehreren einzelstaatlichen Rechtsordnungen bereits bestehende Möglichkeit, Sammelklagen auf alle Interessen der Allgemeinheit bzw. kollektiven Interessen in bestimmten Bereichen wie Umwelt, Kulturerbe, Raumordnung auszudehnen und diese Klagen gegen Personen des privaten oder des öffentlichen Rechts — darunter Behörden und öffentliche Körperschaften — zu richten.

(3)  Ein eminenter portugiesischer Jurist und Abgeordneter hat, als er im Rahmen einer Parlamentsdebatte für die Einführung von Sammelklagen in Portugal plädierte, das Problem auf die nachstehende kurze Formel gebracht, die in der juristischen Fachliteratur wohl ihresgleichen sucht.

Unter Bezugnahme auf die neuen Rechtsbereiche der zweiten und dritten Generation wie Arbeitsrecht, Verbraucherrecht, Umweltrecht, Raumordnungsrecht, Recht zum Schutz des Kulturerbes — auf „Rechte mit universeller Geltung, die jedem Einzelnen und damit mehreren, wenn nicht allen gehören“ — warf der Abgeordnete folgende Frage auf:

„Wenn diese Rechte allen oder zumindest einer großen Zahl von Menschen zustehen, ist es dann gerechtfertigt, dass sie nur tröpfchenweise geltend gemacht werden können, dass die Kläger Schlange stehen müssen, bis über ihre Sache entschieden wird, die möglicherweise mit der Sache ihres Kollegen oder Nachbarn übereinstimmt; dass sie oft erst dann Recht bekommen, wenn das Ergebnis keinerlei Sinn mehr macht, wenn die Schadensersatzsumme bereits von der Inflation aufgezehrt ist, wenn die Wiederherstellung ihrer Ehre zu spät kommt, um eine Scheidung abzuwenden oder den guten Ruf wiederherzustellen? Das Ergebnis des langen, beschwerlichen Verfahrenswegs veranschaulicht die Unwirksamkeit und Vergeblichkeit des Verfahrens. Soll nun dieses absurde, kafkaesk anmutende justizielle Purgatorium beibehalten werden? Plötzlich wird einem bewusst, dass ein ausschließlich individueller Rechtsschutz nicht ausreicht. Dass es halbindividuelle Rechte und Interessen gibt, die zwischen den Interessen des Einzelnen und den Kollektivinteressen stehen. Dass das Recht der unmittelbar oder mittelbar Geschädigten, vor Gericht zu ziehen, nicht ausreicht. Dass das Ende der auf den Einzelnen ausgerichteten Sichtweise des Rechts und der Justiz naht. Dass sich am Horizont der Beginn eines neuen Pluralismus und eines neuen Rechts abzeichnet.“ (in D.A.R. I Nr. 46, 21.2.1990, S. 1617).

(4)  Die vom Institut für Verbraucherrecht der katholischen Universität Löwen im Auftrag der Europäischen Kommission (GD SANCO) erstellte Studie ist ebenfalls eine ausgezeichnete Dokumentation, in der herausgearbeitet wird, welche Folgen die Unterschiedlichkeit der verschiedenen einzelstaatlichen Ansätze bei der Beilegung von grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten haben kann. Dies gilt insbesondere für die Fälle, bei denen Verbraucher aus mehreren Mitgliedstaaten durch die gleichen wettbewerbswidrigen Praktiken im grenzüberschreitenden Handel oder durch Mängel und Fehler der gleichen Produkte oder durch Verträge im Fernabsatz mit den gleichen missbräuchlichen Standardvertragsklauseln geschädigt werden.

(5)  In der Rechtslehre müssen unbedingt das wegbereitende Werk von Jacques van COMPERNOLLE: „Le Droit d'action en justice des groupements“ LARCIER, Brüssel, 1972, sowie das Werk „L'aide juridique au consommateur“ des Autorenkollektivs T. BOURGOIGNIE, Guy DELVAX, Françoise DOMONT-NAERT und C. PANIER, CDC Bruylant, Brüssel, 1981, angeführt werden.

(6)  Das Memorandum wurde am 4. Januar 1985 dem Rat übermittelt und am 7. Mai 1987 durch eine Mitteilung der Kommission über den Zugang der Verbraucher zum Recht ergänzt. Zudem wird in der Mitteilung der Kommission über neue Impulse für die Verbraucherpolitik vom 4. Juni 1985 (KOM(85) 314 endg.), deren Leitlinien am 23. Juni 1986 vom Rat verabschiedet wurden (ABl. C 167 vom 5.6.1986), bereits hervorgehoben, dass herkömmliche Gerichtsverfahren langwierig und im Verhältnis zum verbraucherrechtlichen Streitwert oft kostspielig sind und daher geeignete Mittel für die Beratung und Beschwerde im Hinblick auf einen angemessenen Schutz der Verbraucherrechte geschaffen werden müssen.

(7)  Die Berichterstatterin des Parlaments war die niederländische Abgeordnete BOOT. Dieses Parlamentsdokument enthält einen im Zuge von Änderungsanträgen der Abgeordneten SQUARCIALUPI und PEGADO LIZ aufgenommenen Aufruf an die Kommission, einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Harmonisierung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorzulegen, um die Geltendmachung kollektiver Verbraucherinteressen in Form einer Klagemöglichkeit für Verbraucherverbände im Namen ihrer jeweiligen Interessengruppen und der Einzelverbraucher zu ermöglichen (Dok. A2-152/86 vom 21.11.1986 (PE 104.304).

(8)  Entschließung 87/C im ABl. C 176 vom 4.7.1987.

(9)  Beschluss des Rates vom 9.3.1989 (ABl. C 99 vom 13.4.1989).

(10)  KOM(90) 98 endg. vom 3.5.1990. Hier ist zum ersten Mal in einem offiziellen Kommissionsdokument von Sammelklagen die Rede.

(11)  KOM(93) 576 endg. vom 16. November 1993. Zum Verständnis dieses Dokuments wird darauf verwiesen, dass in den Jahren 1991 und 1992 die Debatte über Fragen des Zugangs zum Recht und zur Justiz von verschiedenen Seiten angestoßen wurde, und zwar insbesondere durch folgende Veranstaltungen: Konferenz über die Möglichkeiten von Verbrauchern, Schadenersatz zu erwirken, veranstaltet im Januar 1991 vom Office of Fair Trading in London; dritte Konferenz über den Zugang von Verbrauchern zum Recht, die am 21.-23. Mai 1992 in Lissabon unter der Schirmherrschaft der Europäischen Kommission und des portugiesischen Verbraucherinstituts stattfand; Kolloquium über den Schutz des Verbrauchers bei grenzüberschreitenden Transaktionen, veranstaltet im Oktober 1993 in Luxemburg durch das dortige Wirtschaftsministerium und das Ministerium für Familie, soziale Solidarität und Jugend mit Unterstützung der Europäischen Kommission. Im Ergebnis dieses Kolloquiums wurden Berichte erstellt, die noch heute von großer Bedeutung sind. Zur gleichen Zeit meldeten sich mehrere bedeutende Rechtswissenschaftler und Rechtsexperten in dieser Frage zu Wort (vgl. insbesondere „Group actions and Consumer Protection, herausgegeben von Thierry BOURGOIGNIE, Col. Droit et Consommation, Vol. XXVIII, 1992; „Group Actions and the Defence of the Consumer Interest in the European Community“, Anne MORIN, INC, Frankreich, 1990).

(12)  Dieses Grünbuch stützte sich allerdings auf mehrere frühere Entscheidungen und Arbeitsdokumente, welche das Fundament des Grünbuchs bildeten und ihm die für seine Annahme unverzichtbare politische Unterstützung sicherten. Im März 1992 hatte die Kommission eine Gruppe unabhängiger Persönlichkeiten unter Leitung von Peter Sutherland mit der Ausarbeitung eines Berichts über die Funktionsweise des Binnenmarktes beauftragt, um damit die Ergebnisse der Umsetzung des Weißbuches über den Binnenmarkt zu evaluieren.

In dem am 26.10.1992 veröffentlichten Bericht, in dem es insbesondere um den Zugang zum Recht geht, wird festgestellt, dass es keine sicheren Erkenntnisse über die Wirksamkeit des Schutzes der Verbraucherrechte gibt. Angesichts der Wirkungslosigkeit des Brüsseler Übereinkommens von 1968 über die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen und angesichts der schwierigen Vollstreckung von vollstreckbaren Rechtstiteln der Gerichte eines Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat herrsche große Besorgnis. Daher wird der Gemeinschaft in dem Bericht dringend geraten, diesen Bereich zu überprüfen (Empfehlung Nr. 22). Diese Empfehlung findet ihren Niederschlag in der Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament vom Dezember 1992 über das Funktionieren des Binnenmarktes nach 1992 (Folgemaßnahmen zum Sutherland-Bericht) [SEK (92) 2277 endg.]. In dem von der Kommission im Juni 1993 vorgelegten Arbeitsdokument „Strategisches Programm für den Binnenmarkt“ wird ebenfalls anerkannt, dass im Hinblick auf den Zugang zum Recht gemeinsame und funktionsfähige Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, zu denen eine Reihe von Maßnahmen hinsichtlich der Verbreitung, Transparenz und Anwendung des Gemeinschaftsrechts gehören müssen [KOM(93) 256 endg.]. Des weiteren wird in der Mitteilung der Kommission an den Rat vom 22.12.1993 darauf hingewiesen, dass mit der Vollendung des Binnenmarktes die Zahl der Fälle steigen könnte, in denen in einem Mitgliedstaat Ansässige ihre Rechte in einem anderen Mitgliedstaat geltend machen [KOM(93) 632 endg.].

Die Kommission vertrat die Ansicht, dass es nicht Aufgabe der Gemeinschaft sei, eine Harmonisierung herbeizuführen, bei der die besonderen Merkmale der verschiedenen einzelstaatlichen Rechtsordnungen abgeschafft würden. Die Kommission verpflichtete sich jedoch, Anstrengungen auf dem Gebiet der Information und Fortbildung im Gemeinschaftsrecht, der Transparenz, Wirksamkeit und strikten Anwendung dieses Rechts sowie bei der justiziellen Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission zu unternehmen, wobei Letzteres durch das Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht und insbesondere durch die damit eingeführte dritte Säule erleichtert wurde. Diese Bemühungen mündeten u.a. in der Veröffentlichung des Grünbuchs und der darauf folgenden umfassenden Konsultation. Der Rat war in seiner Sitzung am 27. September 1993 (686. Sitzung „Binnenmarkt“) bereits zu dem Schluss gekommen, dass eingehende Überlegungen über den Zugang zum Recht angestellt werden sollten und dazu insbesondere das von der Kommission für Ende 1993 angekündigte Grünbuch als Grundlage heranzuziehen sei. Dieses Grünbuch sollte sich mit der Frage der verfahrensrechtlichen Mittel und gegebenenfalls mit einer größeren Transparenz der Sanktionen beschäftigen. In diese Zeit fällt auch die Veröffentlichung einer wichtigen, von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie der Autoren ERIC BALATE, CL. NERRY, J. BIGOT, R. TECHEL, M. A. MUNGE, L. DORR und P. PAWLAS unter Mitarbeit von A. M. PETTOVICH, die genau diesem Thema galt: „A right to group actions for consumer associations throughout the Community“ (Contract B5-1000/91/012369). Bei der Beschäftigung mit diesem Thema kommt man an dieser Studie nicht vorbei.

(13)  PE 207.674 vom 9.3.1994; Berichterstatter: Herr Medina Ortega.

(14)  CES 742/94 Berichterstatter: Herr Ataíde Ferreira (ABl. C 295 vom 22.10.1994). Dem WSA war das Thema jedoch schon früher ein Anliegen. In anderen Dokumenten, insbesondere in zwei Initiativstellungnahmen zur Vollendung des Binnenmarktes und zum Verbraucherschutz, die von Herrn Ataíde Ferreira erarbeitet und am 26.9.1992 (CES 1115/91, ABl. C 339 vom 31.12.1991) bzw. am 24.11.1992 (CES 878/92, ABl. C 19 vom 25.1.1993) verabschiedet wurden, hatte der Ausschuss die Kommission bereits darauf hingewiesen, dass mögliche Maßnahmen auf dem Gebiet der Beilegung von grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten ermittelt und die Vertretungsbefugnis der Verbraucherorganisationen sowohl in nationalen als auch grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten anerkannt werden müssen (CES 1115/91, Ziffer 5.42; CES 878/92, Ziffer 4.12 und Abschnitt 4 der diesem Dokument beiliegenden interessanten Studie der Autoren Eric Balate, Pierre Dejemeppe und Monique Goyens, veröffentlicht vom WSA (CES-93-003) S. 103 ff.).

(15)  Der EWSA hat dieses Thema später in mehreren weiteren Stellungnahmen aufgegriffen, von denen wegen ihrer Bedeutung vor allem folgende genannt werden sollen: die auf der Plenartagung am 22.11.1995 verabschiedete Initiativstellungnahme „Binnenmarkt und Verbraucherschutz“ (Berichterstatter: Herr CEBALLO HERRERO), in der festgestellt wurde, dass es bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Folgemaßnahmen zu den Vorschlägen und Anregungen gab, die der WSA in seiner vorhergehenden Stellungnahme zum Grünbuch gemacht hatte (CES 1309/95); die Stellungnahme zu dem „Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Der Binnenmarkt 1994“ [KOM (95) 238 endg.] (Berichterstatter: Herr VEVER), in der die Verzögerungen bei der wirksamen Durchsetzung des Binnenmarktes — insbesondere bei den Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes und vor allem in den grenzüberschreitenden Beziehungen — aufgezeigt wurden (CES 1310/95 — ABl. C 39 vom 12.2.1996); die Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission: Verbraucherpolitische Prioritäten (1996-1998)“ (Berichterstatter: Herr Koopman), in der der Ausschuss zwar den Vorschlag für eine Richtlinie über Unterlassungsklagen und den von der Kommission vorgelegten Aktionsplan für den Zugang der Verbraucher zum Recht begrüßte und seiner Erwartung nach weiteren Entwicklungen auf diesem Gebiet Ausdruck gab, jedoch auch feststellte, dass der Binnenmarkt in diesem Bereich bei weitem nicht vollendet sei und dass eine „gezielte Wahrung der Rechte der Verbraucher“ Grundvoraussetzung sei, um das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen (CES 889/96, ABl. C 295 vom 7.10.1996). Diese Probleme sind auch Gegenstand der Stellungnahme des WSA zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den RatWirkung und Wirksamkeit der Binnenmarktmaßnahmen“ [KOM(96) 520 endg. vom 23. April 1997]; Berichterstatter: Herr Pasotti; (CES 467/97 — ABl. C 206 vom 7.7.1997).

(16)  Die neue Kommissarin für Verbraucherfragen hatte bereits bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt im Zuge einer Anhörung im Europäischen Parlament am 10.1.1995 die Verbraucherpolitik als ein Kernelement beim Aufbau eines Europas der Bürger anerkannt und sich ausdrücklich verpflichtet, den im Rahmen des Grünbuchs über den Zugang zum Recht bereits geführten Konsultationen konkrete Maßnahmen folgen zu lassen.

Auf die konkrete Frage, wie sich der Zugang zum Recht gestalte, räumte die Kommissarin ein, dass der Zugang der Verbraucher zur Justiz bei weitem nicht zufriedenstellend sei und dass die Dauer der Gerichtsverfahren in einigen Mitgliedstaaten die Wirksamkeit des Verbraucherrechts ernsthaft gefährde.

(17)  KOM(95) 712 endg.

(18)  Unter Berufung auf Artikel 100 a des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft als Rechtsgrundlage und unter Berücksichtigung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit beabsichtigte die Kommission eine Harmonisierung der einzelstaatlichen Verfahrensvorschriften für bestimmte Rechtsmittel mit folgenden Zielen:

die Einstellung oder das Verbot jeder Handlung, die einen Verstoß gegen die Verbraucherinteressen darstellt, welche durch die im Anhang genannten Richtlinien geschützt werden;

die Anordnung der Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Auswirkungen des Verstoßes zu beseitigen, einschließlich der Veröffentlichung der Entscheidung;

die Verurteilung der unterlegenen Partei zur Zahlung einer Geldstrafe im Falle der Nichtbeachtung der Entscheidung nach Ablauf einer darin festgesetzten Frist.

In diesem Richtlinienvorschlag war auch vorgesehen, dass jede Organisation, die Verbraucherinteressen in einem bestimmten Mitgliedstaat vertritt, im Falle einer Beeinträchtigung der von ihr wahrgenommenen Interessen durch einen Verstoß, der seinen Ursprung in einem anderen Mitgliedstaat hat, das zuständige Gericht bzw. die zuständige Behörde in diesem Mitgliedstaat anrufen kann, um die von ihr vertretenen Rechte geltend zu machen.

(19)  Die endgültige Fassung dieser Richtlinie wurde auf der Tagung des Rates „Verbraucherpolitik“ am 23. April 1998 in Luxemburg mit qualifizierter Mehrheit bei einer Gegenstimme (Deutschland) angenommen und am 11. Juni 1998 veröffentlicht. In der Richtlinie wird ein Großteil der vorgebrachten Anregungen und Kritiken aufgegriffen.

(20)  Richtlinie 98/27/EG vom 19. Mai 1998, ABl. Nr. L 166 vom 11.6.1998. Es sei daran erinnert, dass sich das Europäische Parlament sehr kritisch zum Geltungsbereich und zur Beschneidung des Vorschlags geäußert hat und mehrere Vorschläge für Änderungen an der ursprünglichen Fassung unterbreitete:

die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Richtlinie auf alle künftigen Richtlinien auf dem Gebiet des Schutzes von Verbraucherinteressen;

als qualifizierte Einrichtungen im Sinne der Richtlinie sollten nicht nur nationale, sondern auch auf europäischer Ebene tätige Verbraucherorganisationen und –Dachverbände anerkannt werden.

Der EWSA seinerseits äußerte sich in seiner Stellungnahme (Berichterstatter: Herr RAMAEKERS) dahingehend, dass als Rechtsgrundlage des Richtlinienvorschlags nicht Artikel 100 a, sondern Artikel 129 a des Vertrages herangezogen werden sollte und dass der Geltungsbereich zu klein sei. Der Ausschuss sprach sich zudem dagegen aus, dass zuvor eine qualifizierte Einrichtung des territorial zuständigen Mitgliedstaats befasst worden sein muss, da diese Voraussetzung den Fortgang der Klage beträchtlich und unnötig verzögern könnte (CES 1095/96 — ABl. C 30 vom 30.1.1997).

(21)  KOM(96) 13 endg.

(22)  Dok. A — 0355/96 (PE 253.833).

(23)  Das bedeutet nicht, dass es in bestimmten Richtlinien des acquis nicht punktuelle Verweise auf kollektive Rechtsbehelfe als angemessenes und wirksames Mittel für die Durchsetzung der entsprechenden Vorschriften gab, so in der Richtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 (Fernabsatz), Artikel 11, oder in der Richtlinie 2002/65/EG vom 23.9.2002 (Fernabsatz von Finanzdienstleistungen), Artikel 13.

(24)  Erinnert sei an folgende Stellungnahmen:

Initiativstellungnahme CESE 141/2005 — ABl. C 221 vom 8.9.2005, zur Verbraucherpolitik nach der EU-Erweiterung (Ziffer 11.6)

Stellungnahme CESE 230/2006 — ABl. C 88 vom 11.4.2006, zum Aktionsprogramm der Gemeinschaft in den Bereichen Gesundheit und Verbraucherschutz (2007-2013), (Ziffer 3.2.2.2.1.)

Stellungnahme CESE 594/2006 — ABl. C 185 vom 8.8.2006, zu einem Rechtsrahmen für die Verbraucherpolitik.

(25)  KOM(2005) 672 endg. vom 19.12.2005.

(26)  Stellungnahme CESE 1349/2006 — ABl. C 324 vom 30.12.2006 (Berichterstatterin: Frau SÁNCHEZ MIGUEL). Dieses Thema war im Übrigen schon Gegenstand der Initiativstellungnahme „Wettbewerbsvorschriften und Verbraucherschutz“ (Stellungnahme CESE 949/2006 — ABl. C 309 vom 16.12.2006).

(27)  Diese Studie wurde bereits in Fußnote 4 angeführt. Die vergleichende Untersuchung ist zwar ziemlich vollständig, erfasst allerdings nicht die Lage in Bulgarien und Rumänien und auch nicht die aufgrund der jüngsten Entwicklungen entstandene neue Situation in Finnland. Auch die relativ weit entwickelten Regelungen in Brasilien, Israel und Neuseeland und die derzeit in Frankreich und in Italien diskutierten Vorschläge bleiben unberücksichtigt. In Bezug auf die australische Regelung wird auf „Consumer Protection Law“ des Autorenkollektivs J. GOLDRING, L.W. MAHER, Jill McKEOUGH und G. PEARSON (The Federation of Press, Sydney, 1998) verwiesen. Zum neuseeländischen System: „Consumer Law in New Zealand“, Kate TOKELEY, Butterworth, Wellington, 2000. Einen Überblick über die Entwicklungen in Asien und konkret in Indien, den Philippinen, Hongkong, Bangladesch, Thailand und Indonesien erhält man in „Developing Consumer Law in Asia“, Dokumente des Seminars IACL/IOCU, Kuala Lumpur, Juristische Fakultät, Universität von Malaysia, 1994.

Mittlerweile hat die Kommission offenbar eine neue Studie zum Thema „Bewertung der Effektivität und Effizienz der Verfahren für kollektive Rechtsbehelfe in der Europäischen Union“ ausgeschrieben (Ausschreibung 2007/S 55-067230 vom 20.3.2007).

(28)  KOM(2007) 99 endg. vom 13.3.2007, Ziffer 5.3. Der EWSA hat unlängst seine Stellungnahme zu diesem Dokument der Kommission vorgelegt (Berichterstatterin: Frau DARMANIN).

(29)  Konferenz zum Thema Sammelklagen: Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage für Verbraucher? (9./10. November 2007), auf der EU-Kommissarin KROES folgendes erklärte: Die Verbraucher haben nicht nur Rechte, sondern müssen diese auch wirksam und gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen können. Es ist zudem unmöglich, die Angelegenheiten vor Gericht zu bringen, wenn Klagen nur von jedem Verbraucher einzeln eingereicht werden können. Daher brauchen wir unbedingt ein Verfahren für Sammelklagen, damit die Verbraucher vollumfänglich vom Binnenmarkt profitieren können. Kommissionsmitglied Frau KUNEVA betonte: Die Verbraucher können die Vorteile des Binnenmarktes nicht voll nutzen, wenn nicht wirksame Verfahren für die Behandlung ihrer Forderungen eingeführt und ihnen die Mittel an die Hand gegeben werden, mit denen sie eine angemessene Entschädigung erwirken können. Sammelklagen wären eine wirksame Stärkung der bereits bestehenden Rahmenbedingungen für den Zugang von Verbrauchern zum Recht wie es alternative Verfahren zur Streitbeilegung und die Einführung eines Verfahrens für grenzüberschreitende Streitigkeiten mit geringem Streitwert sind.

(30)  Patrick von BRAUNMUHL auf der Veranstaltung „Luven Brainstorming Event on Collective Redress“, die am 29. Juni 2007 von der Kommission organisiert wurde: Kollektive Klagen dürften die Zahl der wegen eines konkreten Problems angestrengten Rechtsstreitigkeiten senken. Insbesondere bei einem 'opt out'-System könnte ein Unternehmen eine große Zahl von Verbraucherklagen in einem Verfahren erledigen. Es könnte mit einer kleinen Gruppe von Vertretern der betroffenen Verbraucher verhandeln und seinen Ressourcen auf eine einzige Rechtssache konzentrieren statt sie auf mehrere aufteilen zu müssen. Selbst wenn keine gütliche Einigung möglich ist und das Gericht zu befinden hat, ist die Rechtssicherheit immer noch größer, weil das Urteil für alle Rechtssachen im Zusammenhang mit dem gleichen Problem oder Verstoß gilt.

(31)  Dieser Aspekt wurde im Rahmen des Seminars „Rom I & Rom II“ behandelt, das vom portugiesischen Ratsvorsitz in Zusammenarbeit mit den deutschen und slowenischen Ratsvorsitzen und der Europäischen Rechtsakademie (ERA) am 12./13. November 2007 in Lissabon veranstaltet wurde.

(32)  Eine vergleichende Untersuchung der verschiedenen Begriffe, die in mehreren Mitgliedstaaten verwendet werden, und ihrer Bedeutung in der jeweiligen Sprache findet sich in einem Artikel von Louis DEGOS und Geoffrey V. MORSON „Class System“, in Los Angeles Lawyer Magazine, November 2006, S. 32 ff. In Irland wird zum Beispiel der Begriff „Multi-party litigation“ (MPL) verwendet. In England ist von „group litigation order“ (GLO) oder schlicht von einer „group action“ die Rede; in Deutschland verwendet man „Gruppenklage“, in Schweden „Grupptalan“ oder „Collective lawsuit“, in Portugal „Popular lawsuit“ und in Ungarn „Combined lawsuit“.

(33)  Vgl. Mitteilung der Kommission „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts“, KOM(2007) 724 endg., 20.11.2007.

(34)  Dabei sollen vor allem folgende Rechtsakte genannt werden:

Grünbuch „Zugang der Verbraucher zum Recht und Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“ (KOM(93) 576 endg.)

„Empfehlung der Kommission vom 12. Mai 1995 über die Zahlungsfristen im Handelsverkehr“ und die diesbezügliche Mitteilung der Kommission (ABl. L 127 vom 10.6.1995 bzw. ABl. C 144 vom 10.6.1995)

Mitteilung der Kommission „Aktionsplan für den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt“ vom 14.2.1996 (KOM(96) 13 endg.)

Mitteilung der Kommission „Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union“ (KOM(97) 609 endg., in ABl. C 33 vom 31.1.1998)

Richtlinie 98/27/EG vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, in ABl. L 166 vom 11.6.1998

„Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren“, in ABl. L 160 vom 30.6.2000; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Ravoet (CEABl. S 79/2000 vom 26.1.2000, in ABl. C 75 vom 15.3.2000)

„Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten“, ebenda; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Braghin (CES 940/199920.10.1999, in ABl. C 368 vom 20.12.1999)

„Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten“, ebenda; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Hernández Bataller (CES 947/199921.10.1999, in ABl. C 368 vom 20.12.1999)

Richtlinie 2000/35/EG vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, in ABl. L 200 vom 8.8.2000

„Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“, in ABl. C 12 vom 15.1.2001

„Entscheidung des Rates vom 28. Mai 2001 über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen“, in ABl. L 174 vom 27.6.2001; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Retureau (CES 227/2001 28.2.2001, in ABl. C 139 vom 11.5.2001)

„Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen“, in ABl. L 174 vom 27.6.2001; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Hernández Bataller (CES 228/2001 28.2.2001, in ABl. C 139 vom 11.5.2001)

„Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ (Brüssel I), in ABl. L 12 vom 16.1.2001; Berichterstatter für die diesbezügliche WSA-Stellungnahme war Herr Malosse (CES 233/2000 1.3.2000, in ABl. C 117 vom 26.4.2000)

„Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht“ (KOM(2002) 196 endg. vom 19.4.2002)

Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, in ABl. L 143 vom 30.4.2004; Berichterstatter für die diesbezügliche EWSA-Stellungnahme war Herr Ravoet (CESE 1348/2002 11.12.2002, in ABl. C 85 vom 8.4.2003)

Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (KOM(2005) 87 endg. vom 15.3.2005); Berichterstatter für die diesbezügliche EWSA-Stellungnahme war Herr Pegado Liz (CESE 243/2006 vom 14.2.2006)

Grünbuch zur effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: vorläufige Kontenpfändung (KOM(2006) 618 endg.). Berichterstatter für die diesbezügliche EWSA-Stellungnahme war Herr Pegado Liz (CESE 1237/2007 vom 26.9.2007)

Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 vom 12.12.2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399 vom 30.12.2006); Berichterstatter für die EWSA-Stellungnahme zu dem entsprechenden Verordnungsvorschlag (KOM(2004) 173 endg. vom 19.3.2004) war Herr Pegado Liz (CESE 133/2005 vom 22.2.2005, ABl. C 221 vom 8.9.2005).

(35)  Ein gutes Beispiel für einen „Hilfsfonds für kollektive Rechtsmittel“ gibt es in Québec, wo er als unverzichtbar für die Entwicklung von kollektiven Rechtsmitteln gilt. Dieser Fonds wird aus der Rückzahlung von Vorschüssen, die siegreiche Kläger einer Sammelklage erhalten haben, sowie aus den Restbeträgen der von den Gruppenmitgliedern nicht beanspruchten Entschädigungssummen gespeist. Die Beteiligten einer Sammelklage müssen vom Gericht lediglich die Erstattung der für die Einreichung der Klage entstandenen Kosten erwirken können.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Die folgenden Änderungsanträge, auf die mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

1.   Ziffer 7.2.2.2.4

Folgenden Satzteil streichen:

„Dieser Mechanismus hat zudem eine tatsächliche abschreckende Wirkung auf die verurteilte Partei, da diese gezwungen ist, Schadenersatz an alle durch ihre Praktiken Geschädigten zu leisten und gegebenenfalls den daraus erzielten Gewinn zurückzuzahlen.“

Begründung

Siehe Begründung zu Ziffer 7.6.3.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 104 Nein-Stimmen: 114 Stimmenthaltungen: 13

2.   Ziffer 7.6.1

Ziffer ersatzlos streichen

Das Verfahren für Sammelklagen muss sich auf lange Sicht finanziell selbst tragen.

Begründung

Es obliegt den staatlichen Behörden, den Zugang zum Recht zu gewährleisten. Letzterer kann weder vom Erfolg früherer Klagen abhängig gemacht noch mit späteren Verfahren in Zusammenhang gebracht werden (siehe auch Begründung zu Ziffer 7.6.3).

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 107 Nein-Stimmen: 116 Stimmenthaltungen: 10

3.   Ziffer 7.6.3

Ziffer durch folgenden Wortlaut ersetzen:

Eine Möglichkeit zur Finanzierung solcher Verfahren wäre die Einrichtung eines“ Hilfsfonds für kollektive Rechtsmittel„, dem die Beträge der“ unrechtmäßigen Gewinne „der verurteilten Unternehmen, die das Gericht im Verfahren festsetzt, zufließen könnten, soweit sie nicht von direkt Geschädigten, die namentlich bekannt sind, beansprucht werden. Es obliegt den staatlichen Behörden, den Zugang zum Recht zu garantieren, beispielsweise indem sie die wegen Verletzung verbraucherrechtlicher Vorschriften verhängten Bußgelder zur Finanzierung von Sammelklagen bereitstellen.

Begründung

Der hier vorgesehene Rechtsbehelf zielt darauf ab, den von den Verbrauchern erlittenen Schaden unter Ausschluss aller „punitive damages“ wiedergutzumachen. Dieses aus den USA entlehnte Konzept vermischt auf unangemessene Weise zivile Interessen mit strafrechtlichen Aspekten. Die Tatsache, die geschädigten Verbraucher entschädigen zu müssen, stellt für den Verursacher eine wirksame Abschreckung dar, und gewährt den Opfern die volle Entschädigung für ihre Verluste.

Die Frage, ob ein Gewinn im Wege einer Gesetzesüberschreitung oder eines Betrugs erzielt wurde, ist nur hinsichtlich der von den staatlichen Behörden auferlegten Sanktionen von Bedeutung. Sie können Einkünfte aus Bußgeldern für die Erleichterung des Zugangs zu diesen kollektiven Rechtsmitteln bereitstellen. Die Verantwortung dafür, den Zugang zum Recht zu gewährleisten, liegt nämlich bei der öffentlichen Gewalt, die einer demokratischen Kontrolle unterliegt, und nicht bei Personen und Organisationen des privaten Rechts.

Da die entsprechenden Entschädigungen den geschädigten Verbrauchern bereits gezahlt wurden, erscheint es nicht angebracht, eine künstliche Verbindung zwischen den Überschüssen aus einem Verfahren und etwaigen späteren Fällen herzustellen — insbesondere da, wo das Ziel nicht mehr darin bestand, eine gerechte Entschädigung für die Verbraucher zu erreichen, die in dem fraglichen Fall geschädigt wurden.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 104 Nein-Stimmen: 106 Stimmenthaltungen: 18


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007-2013) Stärkung der Verbraucher — Verbesserung des Verbraucherwohls — wirksamer Verbraucherschutz“

KOM(2007) 99 endg.

(2008/C 162/02)

Die Europäische Kommission beschloss am 13. März 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007-2013) Stärkung der Verbraucher — Verbesserung des Verbraucherwohls — wirksamer Verbraucherschutz“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Januar 2008 an. Berichterstatterin war Frau DARMANIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 148 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die verbraucherpolitische Strategie für den Zeitraum 2007-2013 und ist der Auffassung, dass damit viel versprechende Fortschritte im Bereich der Verbraucherschutzstrategie erzielt werden können. Er ist der Auffassung, dass dies ein zwar teilweise vages, aber doch ehrgeiziges Vorhaben der Kommission ist und geht davon aus, dass dessen Zielsetzungen innerhalb des vorgegebenen Zeitraums erreicht werden.

1.1.1

Er ist jedoch auch der Ansicht, dass die für die verbraucherpolitische Strategie zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel in Höhe von durchschnittlich 22,7 Mio. EUR pro Jahr leider nicht ausreichen werden, um die im Rahmen dieser Strategie geplanten Maßnahmen umzusetzen. Es gibt also eine klare Diskrepanz zwischen den in der Strategie angestrebten Zielen und den für die Umsetzung der Strategie zugewiesenen Mitteln.

1.2

Der Ausschuss weist darauf hin, dass die Strategie an sich zwar positiv und ehrgeizig ist, die bislang im Bereich der Verbraucherpolitik durchgeführten Maßnahmen jedoch enttäuschend waren, wodurch auch der Erfolg der neuen Strategie unter keinem besonders guten Vorzeichen steht. Um das Vorhaben erfolgreich umsetzen zu können, muss ein dynamischer Handlungsplan für die nahe Zukunft festgelegt werden.

1.3

Der Ausschuss weist ferner darauf hin, dass Rechtsvorschriften im Bereich des Verbraucherschutzes zentrale Bedeutung zukommt. Andererseits sind die bestehenden Rechtsvorschriften aber unflexibel, und ein fairer Markt könnte sehr wichtig für die Verbraucher und die Wirtschaftstreibenden sein. Funktioniert der Markt nicht richtig, sind rechtliche Regelungen unabdingbar. Der Ausschuss fordert die Kommission dazu auf sicherzustellen, dass Rechtsvorschriften dort, wo sie erforderlich sind, auch wirklich umgesetzt und eingehalten werden. Sie dürfen aber nicht zu einer wie auch immer gearteten Beeinträchtigung des Verbraucherschutzes in den Mitgliedstaaten führen. Eines der Instrumente, das zu diesem Zweck eingesetzt werden könnte, ist die verstärkte Marktbeobachtung. In diesem Zusammenhang fordert der Ausschuss die Kommission dazu auf sicherzustellen, dass die entsprechenden makro- und mikroökonomischen Marktuntersuchungen durchgeführt werden. Außerdem müssen die Durchsetzung der Rechtsvorschriften sowie deren laufende Evaluierung gewährleistet werden. Auch ist es von entscheidender Bedeutung, die Rechtsvorschriften einfach und gut verständlich zu halten, sind die meisten Teilnehmer des Binnenmarkts doch KMU.

1.3.1

Ziel der verbraucherpolitischen Strategie sollte es nicht alleine sein, die Durchsetzung der Verbraucherrechte und die Bewertung des Verbraucherschutzes sicherzustellen, sondern auch die Zusammenarbeit und die Abstimmung zwischen den einzelnen Wirtschaftszweigen und den Verbraucherschutzorganisationen in den Mitgliedstaaten zu fördern. Neben den einschlägigen Rechtsvorschriften ist die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Verbraucherschützern auf ein gemeinsames Ziel hin die beste Garantie für die Wahrung der Verbraucherrechte.

1.4

Bildungsmaßnahmen für Verbraucher und Einzelhändler bzw. Dienstleistungsanbieter sind nicht nur ein Schlüsselfaktor für die Einhaltung und die Kenntnis der einschlägigen Rechtsvorschriften, sondern auch von entscheidender Bedeutung für verantwortungsvolles und nachhaltiges Konsumverhalten und eine ebensolche Produktion.

1.5

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass im Zeitraum 2007-2013 folgende Ziele angestrebt werden müssen:

Verstärkter Einsatz von Instrumenten für die faire Vermarktung und verantwortungsvolles Konsumverhalten — immer mehr Güter und Dienstleistungen werden im Rahmen des elektronischen Handels gekauft, wobei der derzeitige Rechtsrahmen jedoch keinerlei Schutz für die Verbraucher vorsieht, da sich der elektronische Handel schneller entwickelt als die diesbezüglichen Verbraucherschutzbestimmungen;

Durchsetzung der Rechtsvorschriften dort, wo dies erforderlich ist — die einzelnen EU-Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Rechtsvorschriften und setzen diese unterschiedlich durch. Es ist daher notwendig, dass die Mitgliedstaaten mit schwächeren Durchsetzungsmaßnahmen zu dem Niveau der Mitgliedstaaten aufschließen, die diesbezüglich bessere Ergebnisse erzielen;

Schutz der Verbraucherrechte, sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene — Verbrauchern sollten unkomplizierte und wirksame Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um sowohl in ihrem Heimatland als auch grenzübergreifend Rechtsmittel einzulegen. Außerdem sollte der kollektive Verbraucherrechtsschutz EU-weit harmonisiert werden, so dass diese Möglichkeit auch von Gruppen von privaten sowie gewerblichen Verbrauchern (insbesondere KMU) in Anspruch genommen werden kann;

Schutz der Verbraucherrechte auf internationalen Märkten;

Berücksichtigung des Verbraucherschutzes in sämtlichen Politikfeldern und Rechtsvorschriften der EU, sowie

genaue Überwachung bestimmter Marktsegmente, in denen der Verbraucherschutz unverzichtbar ist.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1

Im Rahmen der von der Kommission vorgeschlagenen verbraucherpolitischen Strategie werden die diesbezüglich größten Herausforderungen für den Zeitraum 2007-2013 umrissen. Im Wesentlichen soll sichergestellt werden, dass die Entwicklung und das Wachstum des Einzelhandels- und Dienstleistungsbereichs Hand in Hand mit einer Stärkung der Verbraucherrechte geht. Eine solche Stärkung der Verbraucherrechte kann aber zu einer Vertiefung der Kluft zwischen jenen Verbrauchergruppen führen, die ihre Rechte kennen und über die Mittel zu ihrer Durchsetzung verfügen, und solchen, die schutzbedürftig sind. Das bedeutet aber nicht, dass durch eine solche Stärkung tatsächlich ein größtmögliches Verbraucherwohl gewährleistet wird, so dass es von entscheidender Bedeutung ist, das Vertrauen der Verbraucher nicht zu erschüttern. Eine weitere Herausforderung ergibt sich im Zusammenhang mit der Fähigkeit von Unternehmen, insbesondere von KMU, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten, die neue Absatzformen für die Produkte bzw. Dienstleistungen dieser Unternehmen hervorbringt, wobei die Bedeutung des elektronischen Handels und eines für den Verbraucher maßgeschneiderten Dienstleistungsangebots wächst.

2.2

In der Strategie werden folgende Ziele festgesetzt, die es bis 2013 zu erreichen gilt:

Stärkung der Verbraucher in der EU auf der Grundlage relevanter und genauer Informationen, fairer Verträge und des Verbraucherrechtsschutzes, da eine solche Stärkung einer der Schlüsselfaktoren für die Gewährleistung des Verbraucherwohls ist, aber auch den Wettbewerb beträchtlich belebt;

Verbesserung des Verbraucherwohls in punkto Preis, Wahlmöglichkeiten, Qualität, Erschwinglichkeit und Sicherheit;

wirksamer Schutz der Verbraucher vor ernsthaften Risiken, insbesondere denen, gegen die sich der Einzelne nicht alleine schützen kann.

Nach Auffassung der Kommission sind dies die wichtigsten Elemente zur Gewährleistung von Wachstum im europäischen Binnenmarkt.

2.3

Diese Ziele sollen mit Hilfe der Finanzmittel für die EU-Verbraucherpolitik erreicht werden, die gemäß dem dafür vorgesehenen Rechtsrahmen zugewiesen werden, um die wirksame Anwendung der Verbraucherschutzvorschriften insbesondere durch Rechtsdurchsetzung, Zusammenarbeit, Information, Bildung und Rechtsschutz zu gewährleisten.

2.4

Folgende Bereiche wurden in diesem Zusammenhang als prioritär eingestuft:

Besseres Monitoring in Bezug auf Verbrauchermärkte und nationale Verbraucherpolitiken;

bessere Verbraucherschutzregelungen;

bessere Rechtsdurchsetzung und besserer Rechtsschutz;

besser informierte, kompetente Verbraucher;

die Verbraucher in den Mittelpunkt anderer EU-Politikfelder und Regelungsbereiche stellen.

In der verbraucherpolitischen Strategie wird für die einzelnen prioritären Bereiche jeweils eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, zu denen der Ausschuss nachstehend im Abschnitt „Besondere Bemerkungen“ Stellung nimmt.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss begrüßt die verbraucherpolitische Strategie für den Zeitraum 2007-2013 und befürwortet insbesondere den darin klar verfolgten Ansatz, wonach Verbrauchervertrauen und -schutz von entscheidender Bedeutung für einen gesunden und prosperierenden Binnenmarkt sind. Besonderes Augenmerk sollte in diesem Zusammenhang aber den in der EU mit Erfolg erprobten Selbst- und Koregulierungsmodellen sowie der Erarbeitung von Verhaltenskodizes gewidmet werden.

3.1.1

Nach Auffassung des Ausschusses dient die Verbraucherpolitik — wie die Kommission in ihrer Mitteilung „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts“ (KOM(2007) 724 endg.) richtigerweise feststellt — nicht ausschließlich der Verwirklichung des Binnenmarktes; vielmehr sollte es Aufgabe des Binnenmarktes sein, die Bedürfnisse der Verbraucher zu befriedigen und deren Interessen zu dienen.

3.1.2

Der Ausschuss vertritt ferner die Auffassung, dass es Ziel der Maßnahmen der Kommission sein muss, mehr Transparenz auf den Märkten zu schaffen, den Binnenmarkt zu stärken sowie zu gewährleisten, dass die Verbraucherpolitik den funktionierenden Märkten zugutekommt, das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung fördert und zum Verbraucherwohl beiträgt.

3.2

Die nach Ansicht der Kommission auf dem Binnenmarkt bestehenden Probleme sind in der Tat große Herausforderungen, die angegangen werden müssen und die in der Strategie auch tatsächlich angesprochen werden. Neben diesen Marktproblemen sieht der Ausschuss aber noch zwei weitere Aufgaben für die Kommission, nämlich eine echte Harmonisierung der einzelstaatlichen Maßnahmen sowie die Festlegung des Verbraucherwohls als zentrales Ziel der einzelnen Generaldirektion der Kommission.

3.3

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die von der Kommission vorgeschlagene neue Strategie für den Zeitraum 2007-2013 einen wichtigen und viel versprechenden Fortschritt darstellt und deutlich besser strukturiert ist als die bisherige Gesundheits- und Verbraucherschutzstrategie [KOM(2005) 115 endg.], zu der der EWSA ebenfalls eine Stellungnahme abgegeben hat (1).

3.4

Der Ausschuss zeigt sich aber besorgt über die Widersprüche zu anderen bereits auf Gemeinschaftsebene beschlossenen Maßnahmen, zu denen der vorliegende Kommissionsvorschlag führen kann. Es müsste für Übereinstimmung der operationellen Ziele mit dem Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich Verbraucherpolitik (2007-2013) (2) gesorgt werden.

3.5

Der Ausschuss geht davon aus, dass die Zielsetzungen der Kommission — obgleich zu ambitioniert, teilweise vage und nicht sehr genau — innerhalb des vorgegebenen Zeitraums erreicht und den Anforderungen des Binnenmarktes und den Bedürfnissen der Verbraucher größtenteils gerecht werden.

3.6

Zwar hat die Kommission bereits eine Reihe von Initiativen zur Verwirklichung der Zielsetzungen der verbraucherpolitischen Strategie ergriffen, etwa das Grünbuch zu der Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz, nichtsdestoweniger fordert der Ausschuss die Kommission nachdrücklich dazu auf, so rasch wie möglich eine Überprüfung der einzelnen Richtlinien vorzunehmen, die diesen Bereich regeln. Die kürzlich veröffentlichten Mitteilungen zu der Umsetzung der Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (KOM(2006) 514 endg.) vom 21. September 2006, zu der Richtlinie über Garantien und unmittelbare Produzentenhaftung (KOM(2007) 210 endg.) sowie zu der Umsetzung der Änderungen der Richtlinie über Teilzeitnutzungsrechte aus dem Jahr 2007 sind nach Auffassung des Ausschusses insofern enttäuschend, als diese Vorschläge nicht für alle Probleme, die im Zusammenhang mit diesen Dienstleistungen auftreten, Lösungsansätze enthalten. Darüber hinaus werden sie den in der verbraucherpolitischen Strategie festgelegten Zielsetzungen nicht gerecht.

3.6.1

Der Ausschuss begrüßt den im Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission für das Jahr 2008 (KOM(2007) 640 endg.) angekündigten Vorschlag für eine Rahmenrichtlinie über die vertraglichen Rechte der Verbraucher und ist bereit, unmittelbar nach dessen Annahme eine Stellungnahme zu diesem Dossier zu erarbeiten und dabei insbesondere zu prüfen, ob die im Hinblick auf die Vereinfachung des Gemeinschaftsrechts festgelegten Prinzipien darin berücksichtigt wurden.

3.7

Ist die vollständige Harmonisierung der Verbraucherschutzvorschriften in erster Linie auf die Verwirklichung des Binnenmarkts ausgerichtet, so wird sie vom Ausschuss unter bestimmten Bedingungen und zu sehr konkreten Zwecken befürwortet. Eine solche Harmonisierung darf jedoch nicht zu Lasten bereits bestehender Rechte gehen, vielmehr sollte sie die Verbraucherrechte in den sämtlichen Mitgliedstaaten stärken und grenzübergreifende Käufe fördern, so dass sowohl die Verbraucher als auch die Einzelhändler bzw. Dienstleistungsanbieter davon profitieren. Dies sollte nicht nur auf einer Ebene erfolgen, wo die Mitgliedstaaten für einen entsprechenden Verbraucherschutz Sorge tragen, sondern auch auf europäischer Ebene, wobei eine echte Marktintegration angestrebt werden sollte.

3.8

Der Ausschuss begrüßt die Maßnahmen, die in den einzelnen prioritären Bereichen der verbraucherpolitischen Strategie vorgesehen sind. Vor allem hofft er, dass diese Maßnahmen auch umgesetzt werden. Er ist aber der Auffassung, dass die Ressourcen (Finanzmittel und Humanressourcen), die der GD Verbraucherschutz zur Verfügung stehen, in Wirklichkeit zu gering sind. Dies macht es für die Generaldirektion noch schwieriger, ihre Ziele zu erreichen. Außerdem werden die für die verbraucherpolitische Strategie zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel in Höhe von durchschnittlich 22,7 Mio. EUR pro Jahr leider nicht ausreichen, um die darin geplanten Maßnahmen umzusetzen.

3.8.1

Die im Rahmen früherer Programme gesammelten Erfahrungen haben gezeigt, dass zahlreiche Maßnahmen aufgrund von Personalmangel nicht umgesetzt werden konnten. Darüber hinaus standen pro Jahr mehr Finanzmittel zur Verfügung als für den jetzigen Zeitraum, für den die Ziele weniger ehrgeizig sind.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Besseres Monitoring in Bezug auf Verbrauchermärkte: Der Ausschuss teilt die Auffassung, dass es besserer Marktuntersuchungen bedarf und befürwortet daher die im Rahmen dieser Priorität vorgeschlagenen Maßnahmen. Nichtsdestoweniger fordert er die Kommission nachdrücklich dazu auf, diesbezüglich nach innovativen Methoden zu suchen, mit denen aufgezeigt werden kann, welche Erfahrungen und Wahrnehmungen Verbraucher tatsächlich machen. Zusätzlich könnte die Kommission eine makroökonomische Untersuchung über die Erfahrungen von Verbrauchern in den einzelnen Mitgliedstaaten durchführen, bei der konkrete Fälle einschließlich der jeweils gewählten Lösungen geprüft würden. Überdies dringt der Ausschuss darauf, dass die Sammlung von Marktdaten nicht zu Lasten der einzelnen Unternehmen und insbesondere der KMU gehen darf, denen in diesem Zusammenhang keine zusätzlichen mühseligen Pflichten aufgebürdet werden sollten.

4.2

Bessere Verbraucherschutzregelungen: Bei den im Rahmen dieser Priorität ergriffenen Maßnahmen sollten die Auswirkungen des elektronischen Handels und der Digitalisierung auf die Verbraucherrechte eingehend geprüft und in der Folge klare Pflichten und Rechte für den digitalen Bereich festgelegt werden. Außerdem sollten Maßnahmen konzipiert werden, mit deren Hilfe sich verhindert lässt, dass manchen Verbrauchergruppen der Zugang zu bestimmten Dienstleistungen aufgrund der digitalen Kluft verwehrt bleibt, da sonst nur eine weitere Gruppe schutzbedürftiger Verbraucher entsteht.

4.3

Bessere Rechtsdurchsetzung und besserer Rechtsschutz: Um sicherzustellen, dass die Ziele der verbraucherpolitischen Strategie auch tatsächlich erreicht werden, bedarf es zweifellos der Rechtsdurchsetzung, aber auch der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission. Der Ausschuss begrüßt und unterstützt die Vorschläge der Kommission im Hinblick auf kollektive Rechtsschutzmaßnahmen. Diese Form des Rechtsschutzes gewährleistet, dass auch jene Verbraucherprobleme wahrgenommen werden, die nicht von Einzelnen im Alleingang gelöst werden können.

4.4

Besser informierte, kompetente Verbraucher: Der Ausschuss ist fest davon überzeugt, dass Verbraucherbildung und -aufklärung von essentieller Bedeutung für die Gewährleistung des Verbraucherschutzes sind. Mit der Einrichtung des Netzes der Europäischen Verbraucherzentren (ECC-Net) wurde ein wichtiger Schritt getan, um die Verbraucher gut zu informieren. Der Ausschuss ist jedoch der Auffassung, dass die Kommission prinzipiell auch nach anderen, innovativeren und kreativeren Möglichkeiten zur Kommunikation mit den Verbrauchern suchen und sich dabei einer allgemein verständlichen Sprache bedienen sollte.

4.5

Verantwortliches und nachhaltiges Konsumverhalten: Einerseits sollte dafür gesorgt werden, dass die Verbraucher gut informiert sind, andererseits ist es wichtig hervorzuheben, dass auch die Verbraucher verantwortungsvoll handeln sollten. In der vorgeschlagenen verbraucherpolitischen Strategie wird darauf hingewiesen, dass es keine Toleranz gegenüber schwarzen Schafen in den Reihen der Einzelhändler bzw. Dienstleistungsanbieter geben wird; es sollte jedoch auch deutlich gemacht werden, dass die Unternehmer und die Händler von den Verbrauchern Verantwortungsbewusstsein im Hinblick auf ihr Konsumverhalten erwarten. Darüber hinaus sollte nachhaltigem Konsumverhalten ein zentraler Stellenwert im Rahmen des Binnenmarkts eingeräumt werden, und sowohl die Dienstleistungsanbieter bzw. Einzelhändler als auch die Verbraucher sollten besser darüber Bescheid wissen, worum es bei Nachhaltigkeit im Bereich des Konsumverhaltens eigentlich geht und sich stärker danach richten.

4.6

Der Aspekt des Verbraucherschutzes muss bei allen Maßnahmen und Rechtsvorschriften der EU berücksichtigt werden: Die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen, etwa die Verbindungsbeauftragten für Verbraucherfragen in den einzelnen Generaldirektionen, sind positiv zu bewerten und werden voraussichtlich dazu beitragen, dass dieses Ziel erreicht werden kann. Der Ausschuss teilt die Auffassung, dass die einzelnen Generaldirektionen jährlich darüber berichten sollten, inwieweit der Verbraucherschutz in ihrem Tätigkeitsbereich berücksichtigt wurde. Er begrüßt daher die Aufnahme von Artikel 153 Absatz 2 in die allgemeinen Bestimmungen (neuer Artikel 12 des Reformvertragsentwurfs).

4.7

Besserer Schutz von Verbraucherrechten auf internationalen Märkten: Verbraucher müssen auch auf internationalen Märkten geschützt werden. Dieser Schutz sollte sich nicht ausschließlich auf die für die Verbraucher in der EU immer wichtigere Produktsicherheit beschränken, sondern sollte sich insbesondere auch auf Probleme erstrecken, die sich im Zusammenhang mit dem Kauf von Dienstleistungen bzw. Waren über den elektronischen Handel ergeben.

4.8

In ihrer verbraucherpolitischen Strategie weist die Kommission darauf hin, sie wolle sicherstellen, dass die Politik im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse von entsprechenden Verbraucherschutzmaßnahmen begleitet wird. Der Ausschuss erwartet in diesem Zusammenhang von der Kommission, dass sie sich dem Standpunkt anschließt, den der EWSA in einer Reihe von Stellungnahmen zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und der Universaldienstverpflichtung vertreten hat und der auch mit dem neuen Protokoll über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse des Vertrags von Lissabon im Einklang steht.

4.9

Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Verbraucherschutzorganisationen: Mehr noch als einschlägige Rechtsvorschriften und deren Durchsetzung ist es die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Akteuren, die ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleistet. Es sollte daher alles daran gesetzt werden, um diese Zusammenarbeit zu stärken; auch sollten beispielhafte Verfahren aus den einzelnen Mitgliedstaaten, in denen solche Modelle zum Einsatz gelangen und auch Verhaltenskodizes erarbeitet wurden, europaweit übernommen werden.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 88 vom 11.4.2006. INT/271 — Berichterstatter: Herr Pegado Liz.

(2)  Beschluss Nr. 1926/2006/EG vom 18. Dezember 2006 — ABl. L 404 vom 30.12.2006, S. 39.


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/24


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: „Europäische Raumfahrtpolitik“

KOM(2007) 212 endg.

(2008/C 162/03)

Die Kommission beschloss am 26. April 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Europäische Raumfahrtpolitik“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr van IERSEL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 145 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Aus strategischen, politischen und wirtschaftlichen Gründen spricht sich der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ausdrücklich für einen unabhängigen europäischen Zugang zum Weltraum aus. Daher unterstützt er die Grundlinien der Papiere, die der Weltraumrat, die Kommission und die ESA (1) im April und Mai 2007 vorgelegt haben.

1.2

Eine europäische Raumfahrtpolitik muss friedlichen Zielen, einschließlich der Wahrung der kollektiven Sicherheit, dienen.

1.3

Der EWSA ist überzeugt, dass europäische Raumfahrtvorhaben, — ob auf einzelstaatlicher Ebene oder im EU- oder ESA-Rahmen — greifbare Vorteile in verschiedenen Bereichen bringen werden, u.a. wissenschaftliche Forschung, wünschenswerte Bereitstellung von Infrastruktur und Daten und vielfältige kommerzielle Anwendungen infolge der Integration weltraumbasierter und terrestrischer Systeme.

1.4

Bisher hat das ESA-Konzept sich als erfolgreich erwiesen. Seine Verbindung mit den Aktivitäten der Kommission soll und wird zusätzliches Potenzial freisetzen. Dazu sind Verfahren der Zusammenarbeit, Kompetenzabgrenzung und ein Kostenschlüssel zwischen Kommission und ESA zu entwickeln.

1.5

Globale Entwicklungen — USA, Russland, Japan, China und Indien und andere Weltraumstaaten — zwingen Europa als Mitbewerber und Partner im Weltraum zu noch stärkerem Handeln. Dies erfordert, rasch konkrete Programme zu erarbeiten und Entscheidungsprozeduren einzuleiten, dies mit der Beschlussfassung anderer globaler Akteure Schritt halten können.

1.6

Gleichzeitig würde eine schnellere, konzertierte Entscheidungsfindung bessere Möglichkeiten zur Festlegung und anschließenden Umsetzung von Raumfahrtmissionen entsprechend den Nutzerbedürfnissen schaffen.

1.7

GALILEO und GMES sind „Flaggschiffe“ europäischer Leistungsfähigkeit. Die GALILEO-Programme sollten unverzüglich umgesetzt werden.

1.8

Die Aufnahme der Raumfahrt in das Siebte Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung und in die gemeinschaftlichen Politikbereiche muss zu einem integrierten Ansatz aller betroffenen Generaldirektionen führen. Eine solche Verbreiterung der Grundlage für strategisches Denken in der Kommission wird sich vorteilig auf integrierte Konzepte auf einzelstaatlicher Ebene auswirken, an denen es häufig gebricht. Ein diesbezüglich konzertiertes Vorgehen ist wünschenswert.

1.9

Alle Mitgliedstaaten, also auch die kleineren und die neuen Mitgliedstaaten, müssen von der europäischen Raumfahrtpolitik profitieren, indem ausreichende Möglichkeiten für die Entwicklung wissenschaftlicher Kompetenzen und spitzentechnologischer industrieller Kapazitäten im vor- und nachgelagerten Bereich in ganz Europa geschaffen werden.

1.10

Nach dem industriepolitischen Grundsatz des „angemessenen Mittelrückflusses“ („fair return“) der ESA (2) erhält jedes Land seinen jeweiligen Finanzierungsbeitrag in Form von Subskriptionen und Konzessionen zurück. Das Beziehungsgeflecht zwischen den Regierungen, der ESA, Privatunternehmen und Forschungsinstituten ist entsprechend tief verwurzelt.

1.11

Dank des Grundsatzes des angemessenen Mittelrückflusses konnten die Fähigkeiten Europas in der Raumfahrt bisher erfolgreich entwickelt werden. Je ausgereifter der Raumfahrtmarkt jedoch wird, desto mehr Flexibilität ist nötig, denn starre Beziehungsmuster sind industrieller Innovation grundsätzlich abträglich. Angesichts der Zugkraft des Marktes, der Nutzerbedürfnisse und der Dienstleistungsentwicklung dürften vor allem Mittelstandsunternehmen in der Lage sein, angemessen auf die neuen Anforderungen und Möglichkeiten der europäischen Raumfahrtpolitik zu reagieren.

1.12

Andererseits können plötzliche Veränderungen eingefahrener Abläufe und Beziehungen kontraproduktiv sein, auch in Anbetracht der sehr ungleichen Beiträge an die ESA.

1.13

Daher tritt der EWSA für eine offene, transparente Analyse und einen Dialog über die Frage ein, welches Maß an Leistungsfähigkeit Europa in zehn Jahren erreicht haben will: Welche Ziele müssen gesetzt werden, und welche entsprechenden institutionellen Mittel — im Hinblick auf die ESA, die Kommission und die Mitgliedstaaten — sind nötig, um eine gemeinsame, abgestimmte europäische Mission zu erfüllen? In diesem Dialog muss es unter anderem um die Art der Finanzierung der ESA, den dynamischen Beitrag mittelständischer Unternehmen und die Aufrechterhaltung eines möglichst hohen Wettbewerbsniveaus gehen.

1.14

In dieser Hinsicht ist es auch von großer Bedeutung, dass sich die Kommission um Anwendungen und die Berücksichtigung der Nutzerbedürfnisse kümmern will. Der EWSA vertraut darauf, dass die Kommission offene Gespräche und die Einbeziehung des Privatsektors, insbesondere der KMU, gewährleistet.

1.15

Der Ausschuss stimmt dem Rat hinsichtlich der Bedeutung der Raumfahrt für Verteidigung und Sicherheit zu. Es sollte ein Anstoß zur Planung künftiger Systeme gegeben werden, die die europäischen Länder zusammenführen.

1.16

Da die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Anwendungen verwischen, sollten sog. Dual-Use-Systeme umfassend genutzt werden.

1.17

Schließlich ist die Kommunikation von größter Bedeutung. Nach Auffassung des EWSA sollten die Vorteile der Raumfahrt für das tägliche Leben besser vermittelt werden.

1.18

Gezielte Informationskampagnen über die europäische Raumfahrtpolitik sollte jungen Menschen Anreize geben, sich für die Raumfahrt zu interessieren, und es allgemein für junge Leute attraktiv machen, eine naturwissenschaftliche und/oder technische Studienrichtung einzuschlagen.

2.   Ein neuer Ansatz für eine europäische Raumfahrtpolitik

2.1

In den vergangenen zehn Jahren haben die europäischen Institutionen und nationale Arbeitsgruppen in zunehmendem Maße eine Debatte über neue Wege hin zu einer künftigen europäischen Raumfahrtpolitik geführt.

2.2

Im April 2007 hat die Europäische Kommission in enger Zusammenarbeit mit der ESA (3) eine Mitteilung zur Raumfahrtpolitik (4) vorgelegt, die durch eine Folgenabschätzung und ein umfassendes Programm geplanter Vorhaben der ESA, der Kommission und der Mitgliedstaaten ergänzt wird.

2.3

Am 22. Mai 2007 hat der Weltraumrat (5), gestützt auf die Mitteilung der Kommission, eine Entschließung zur europäischen Raumfahrtpolitik verabschiedet.

2.4

Das verstärkte Interesse, das in diesen Papieren zum Ausdruck kommt, wird durch verschiedene weltweite Entwicklungen und europäische strategische Ziele genährt:

potenzielle Nutzbarkeit weltraumbasierter Dienste für alle möglichen Themengebiete sowie als Hilfsmittel zur Unterstützung der Gemeinschaftspolitik in verschiedenen Bereichen, wie Umwelt, Sicherheit, Verkehr, Forschung, Entwicklungshilfe, Zusammenhalt und Bildung, und zwar ergänzend zur Forschung;

weiterhin bestehender Bedarf eines unabhängigen Zugangs zum Weltraum für Europa als Vorbedingung einer gemeinschaftlichen Raumfahrtpolitik;

wachsende Zahl (neuer) internationaler Akteure in diesem Bereich und Notwendigkeit, dass Europa in vollem Umfang sowohl als Partner als auch als Mitbewerber auftritt;

Raumfahrt als Quelle für Innovation, industrielle Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum;

Stärkung der wissenschaftlichen Infrastruktur, wissensbasierte Gesellschaft und Lissabon-Ziele;

Notwendigkeit der Anwendungsbezogenheit der europäischen Forschung;

neue und ergänzende Beiträge der Raumfahrttechnik zu terrestrischen Technologien und Anwendungen;

Bedeutung der Raumfahrt für die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik;

verschwimmende Grenzen zwischen zivilen und militärischen Anwendungen der Raumfahrttechnik;

Bewusstsein, dass die Mitgliedstaaten für sich alleine den nötigen Anforderungen einer überzeugenden Raumfahrtpolitik nicht gerecht werden können;

daraus folgend die Notwendigkeit, die raumfahrtpolitischen Aufgaben und Mandate der europäischen Institutionen und Organisationen klar zu definieren.

2.5

Die Europäische Kommission legte 2003 und 2004 ein Grün- und ein Weißbuch zur Raumfahrtpolitik vor. In beiden wird eine künftige Raumfahrtpolitik umrissen. Sie enthielten viele z.T. weitreichende Elemente, die in der vorgenannten Mitteilung weiter ausgearbeitet wurden.

2.6

In seiner Entschließung vom 22. Mai bekräftigte der Rat, der Raumfahrtsektor sei für Europa von strategischer Bedeutung und ein wichtiger Beitrag zur Unabhängigkeit, Sicherheit sowie zum Wohlstand und der internationalen Rolle Europas. Die Intensivierung der europäischen Zusammenarbeit im Hinblick darauf, weltraumbasierte Dienstleistungen zum Nutzen der Bürger zu erbringen, sei von zentraler Bedeutung. Der Rat sah die Raumfahrtpolitik im Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie und betonte ihre Bedeutung für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

2.7

In der Entschließung des Rates wird der geplante Aufbau eines europäischen Forschungsraums hervorgehoben und die Zusammenarbeit zwischen der ESA und der Europäischen Kommission bekräftigt. Diese Zusammenarbeit soll der Effizienz, einer besseren Finanzierung europäischer Programme und einer engeren Verknüpfung von Technologie und Anwendungen zugute kommen. Das Verhältnis zwischen der ESA und der Europäischen Kommission wird sich je nach den künftigen Erfahrungen weiterentwickeln. Die Frage der Ko-Finanzierung der bereits bestehenden Basisinfrastrukturen (Kourou, Darmstadt) ist jedoch offen.

2.8

Ein zentraler Aspekt ist die Zusammenarbeit und die Arbeitsteilung zwischen ESA und Kommission. Die ESA ist führend auf dem Gebiet der Erforschung und Technologie, und die Kommission wird für Anwendungen im Zusammenhang mit ihren Politikbereichen zuständig sein, wie z.B. Verkehr, Umwelt, Sicherheit und Beziehungen zu Drittländern, sowie für die Ermittlung der Anforderungen nichtstaatlicher Nutzer an verbesserte Dienste.

2.9

Die Kosteneffizienz der Programme der öffentlichen Hand wird zur Wettbewerbsfähigkeit privater Industrie- und Handelsunternehmen beitragen. Insbesondere die KMU und die Zulieferindustrie sind von Bedeutung. Der Rat erkennt gleichzeitig die Industriepolitik der ESA an, insbesondere ihren Grundsatz des „Fair Return“, weil er ein gutes Mittel ist, um Investitionen anzuregen und die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

2.10

Zweifellos hat die Entschließung vom vergangenen Mai eine neue Phase eingeleitet, die von vielen führenden Akteuren sehr begrüßt wurde (6).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Die Welt der Raumfahrt wandelt sich rasch. Der EWSA hat im vergangenen Jahrzehnt das Grün- und das Weißbuch der Kommission zur Raumfahrtpolitik begrüßt (7). Auch in diesem Zusammenhang befürwortet der EWSA nachdrücklich die neuen Schritte des Rates, der Kommission und der ESA vom vergangenen Mai. Es ist bezeichnend, dass der raumfahrtpolitische Durchbruch zu Beginn des 21. Jahrhunderts stattfindet: Eine neue Ära beginnt.

3.2

Globale Entwicklungen in der Raumfahrt haben mehr und mehr strategische und technologische Auswirkungen.

3.2.1

Die Raumfahrtpolitik wird eindeutig wichtiger, wenn nicht gar unerlässlich für terrestrische Ziele. Mit anderen Worten: Raumfahrtanwendungen sind von grundlegender Wichtigkeit für die Verwirklichung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ziele für ein zusammenwachsendes Europa.

3.2.2

Im Bereich Wissenschaft und Forschung sind bei der astronomischen und der Planetenforschung Fortschritte zu verzeichnen. Die ESA profitiert von bestehenden Netzen, die sie durch schwerpunktorientierte Programme und „Peer-Reviews“ ergänzt. Der militärische Sektor arbeitet im Gegensatz zur Welt der Wissenschaft nach wie vor in einem nationalen Rahmen.

3.2.3

In strategischer Hinsicht muss Europa darauf bedacht sein, seine Unabhängigkeit gegenüber den USA und Russland und in zunehmendem Maße auch gegenüber China und Indien und anderen Weltraumstaaten, die gleichzeitig alle Partner und Wettbewerber im All sind, zu sichern. Allgemeiner gesagt, sollte die Stellung Europas in der Welt der Ausgangspunkt jeder Raumfahrtpolitik sein.

3.3

Die Entschließung des Weltraumrates vom 22. Mai 2007 und die begleitenden Dokumente, wie z.B. die Mitteilung der Kommission von 2007, die dazugehörige Folgenabschätzung, die Verlautbarung des ESA-Generaldirektors sowie die vorläufigen Elemente eines gemeinsamen europäischen Programms unter Einbeziehung der ESA, der Kommission und der Mitgliedstaaten sind angesichts folgender Aspekte ein wichtiger Schritt nach vorne:

Von Anfang an galten die Binnenmarktvorschriften aufgrund nationaler Strategiekonzepte, Programme und militärischer Anforderungen nicht für die Raumfahrt.

Es bestanden erhebliche Unterschiede zwischen nationalen Interessen, finanziellen Verpflichtungen, technologischen Zielen und industrieller Leistung.

Nationalspezifische Industriestrukturen sind daher oftmals vorherrschend.

3.4

Mit dem Rahmenabkommen zwischen der ESA und der Europäischen Union von 2003 (8) wurde der Grundstein für abgestimmte Planungen und Maßnahmen in der EU und der ESA gelegt. Jetzt stellt der Rat einen umfassenden Ansatz auf, der eine bessere Koordinierung und wirkungsvollere Durchführung einzelner Projekte ermöglichen soll, seien sie nationaler, zwischenstaatlicher oder europäischer Art.

3.5

Aus Sicht des EWSA sind folgende Elemente wichtig: der wachsende Konsens und eine gemeinsame Vision der Mitgliedstaaten; die Bekräftigung der Zusammenarbeit zwischen Kommission und ESA und die Kompetenzverteilung zwischen diesen beiden Organen als Basis für eine verstärkte Finanzierung durch die EU; eine bessere Abstimmung von FuE und Anwendungen und vor allem die feste Absicht, die Nutzeranforderungen an die oberste Stelle zu setzen; öffentlich-private Partnerschaften sowie die im Rahmen einer europäischen Raumfahrtpolitik als Priorität zu behandelnden „Flaggschiffe“ GALILEO und GMES (9).

3.6

Es ist allerdings zu bedenken, dass die beabsichtigten Schritte Teil eines länger dauernden Prozesses sind, der sicherlich noch lange nicht abgeschlossen ist. Konkrete Projekte und Finanzierungsflüsse müssen noch ausgearbeitet werden.

3.7

Der Gesamthaushalt für Raumfahrtvorhaben der ESA, von EUMETSAT und der Mitgliedstaaten belief sich 2005 auf 4,8 Mrd. EUR (ohne Europäische Kommission) (10). Die Europäische Kommission wird über ihr Siebtes Forschungsrahmenprogramm im Zeitraum 2007-2013 über gesicherte 1,4 Mrd. EUR für Raumfahrtanwendungen und -aktivitäten ausgeben. Die weltweiten Raumfahrtausgaben liegen bei 50 Mrd. EUR. Die einschlägigen Haushaltsmittel der USA belaufen sich auf ca. 40 Mrd. EUR, von denen mehr als 50 % in militärische Vorhaben fließen. Außerdem steht hinter dem Mitteleinsatz der Amerikaner eine allamerikanische Denkweise, die Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen und Unternehmen hat (11). Vor allem sind die USA ein geschlossener Markt, der groß genug ist, die US-amerikanische Raumfahrtindustrie zu tragen, ohne dass diese sich erfolgreich auf dem internationalen kommerziellen Markt behaupten muss.

3.8

In Europa sind die Raumfahrtaktivitäten ein Mix aus europäischen (zwischenstaatlichen und gemeinschaftlichen) und nationalen Programmen. Die Tätigkeit der ESA geht über die bloße Projektkoordinierung hinaus und hat sich bisher als außerordentlich erfolgreich erwiesen; ESA ist eine FuE-Organisation, die große erfolgreiche Infrastrukturen auf europäischer Ebene entwickelt. Zu den bedeutenden europäischen Raumfahrtakteuren der ESA zählen Arianespace, EUMETSAT und Eutelsat. Daneben haben einige Mitgliedstaaten eigene Programme, die auf nationalen politischen und technologischen Traditionen und Zielen und dementsprechend auf nationalen Kapazitäten, Vernetzungen und Anwendungen basieren. Die europäische Struktur besteht aus einem komplizierten Geflecht gemeinschaftlicher und nationaler Programme.

3.9

Es ist davon auszugehen, dass neue Mitgliedstaaten der ESA beitreten möchten, wodurch die Zahl der Mitgliedsländer von 17 auf 22 (12) steigen würde. Bestehende wissenschaftliche Kompetenzen und mögliche Verstärkungen von Wirtschaftsclustern sollten sinnvoll genutzt werden.

3.10

Eine Überschneidung von nationalen Programmen und ESA-Programmen ist gut möglich. Projekte mit militärischen Zielen bleiben bisher auf vorwiegend nationaler Ebene. So kann es durch die verschwimmenden Grenzen zwischen Technologien für militärische und zivile Zwecke auch zu Ineffizienzen kommen. Der neue umfassende Ansatz kann im Sinne von mehr Konvergenz hilfreich sein.

3.11

Die Finanzmittel beziehen sich auf Infrastruktur und Datenerfassung. Je besser die Verbindungen mit den Unternehmen und den Marktkräften organisiert sind, desto umfassender sind die Multiplikatoreffekte durch Anwendungen und Dienstleistungen. In diesem Zusammenhang ist EUMETSAT (der Betreiber von Wettersatelliten) ein anschauliches Beispiel, das auch in anderen Bereichen als nützliches Modell dienen könnte.

3.12

Angesichts der schwierigen Haushaltslage ist es angebracht, dass sich Europa auf Prioritäten konzentriert und uneingeschränkt offen für eine internationale Zusammenarbeit ist. Eine internationale Zusammenarbeit bietet einen großen Zusatznutzen mit oftmals beträchtlichen Multiplikatoreffekten. Damit es neben Drittstaaten aber als gleichwertiger Partner bestehen kann, muss Europa in seinen Kapazitäten neben den Prioritäten ausreichende Grunderfordernisse erfüllen. Sinnvollerweise sollten solche Erfordernisse gemeinsam vereinbart werden, und anschließend sind Investitionen in ausreichender Höhe vorzunehmen.

3.13

Der EWSA unterstützt in einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme vorbehaltlos GALILEO, das europäische Satellitensystem zur weltweiten Navigation (13). Durch GALILEO werden präzisere weltumspannende Zeitbestimmungs- und Ortungsdienste für zivile Anwendungen in einer Vielzahl von Bereichen bereitgestellt. Das System ist dem derzeitigen amerikanischen GPS (Global Positioning System) vergleichbar, wird aber darüber hinaus gehende Leistungsmerkmale haben.

3.13.1

Mit GALILEO unterstreicht Europa seine Stellung als unabhängiger Akteur im Weltraum.

3.13.2

Der EWSA begrüßt den Beschluss des Rates zur Finanzierung von GALILEO und die Festlegung der Programme. Diese Programme sollten möglichst zügig umgesetzt werden, um günstige Bedingungen für nachgelagerte Wirtschaftsbereiche zu schaffen (14).

3.13.3

Neben den Hindernissen für eine bestehensfähige öffentlich-private Partnerschaft, die in der Regel ohnehin schon kompliziert zu bewerkstelligen ist, gibt es noch eine Reihe anderer offener Fragen, die dringend beantwortet werden müssen, um eine effektive Mitwirkung privater Partner zu erreichen.

3.14

Neben den existierenden Diensten wird GMES ein Paket ineinander greifender Dienste auf der Grundlage von Erdbeobachtung bereitstellen, die immer unentbehrlicher werden. GMES „wird Europas Überwachungs- und Bewertungskapazität im Bereich der Umweltpolitik verbessern und einen Beitrag zur Lösung von Sicherheitsfragen leisten“ (15). Weltweite dynamische Entwicklungen zeigen, in welchem Maße neue Instrumente erforderlich sind, um den neuen Herausforderungen in Fragen der Umwelt, des Klimawandels, der Gesundheit und der individuellen und kollektiven Sicherheit gerecht zu werden.

3.14.1

Diese Herausforderungen betreffen viele Bereiche, von Naturkatastrophen und Krisen über klimarelevante Auswirkungen, wie z.B. Treibhausgasemissionen und Luftverschmutzung, bis hin zu Katastrophenschutz und Grenzkontrolle.

3.14.2

Die relevanten Anwendungen auf diesem Gebiet sind nutzerorientiert — für Nutzer aus sehr unterschiedlichen Bereichen, u.a. politische Entscheidungsträger, öffentliche Dienste, Unternehmen und Bürger — was deutlich macht, dass eine bessere Koordinierung zwischen der ESA, der Kommission und den Mitgliedstaaten erforderlich und eine Erfassung der Bedürfnisse durch die Kommission wünschenswert ist.

3.14.3

Die GMES-Dienste werden auch der Entwicklung und Umsetzung verschiedener EU-Politikbereiche zugute kommen. Angesichts des zu erwartenden Zusatznutzens von GMES sind in der Haushaltsführung (2009) operative Mittel für Dienste und Raumfahrtanwendungen vorzusehen, die EU-Politiken unterstützen.

3.14.4

Auch im Fall der GMES-Infrastruktur ist es eine staatliche Aufgabe, für eine zuverlässige und dauerhafte Datenerfassung zu sorgen. In der Folge müssen Bedingungen für die Beteiligung privater Unternehmen festgelegt werden.

3.15

GALILEO, GMES und die anderen Programme zeigen allesamt, dass die Raumfahrtpolitik die Stufe der Praxisanwendung erreicht und moderne Technologien und Anwendungen unterstützt, die neue Methoden der Analyse, Vorauserkennung und Lösung gesellschaftlicher Fragestellungen ermöglichen werden.

3.16

Es ist von großer Bedeutung, dass die europäische Raumfahrtpolitik für alle Mitgliedstaaten, einschließlich der kleineren und der neuen, nutzbringend ist. Dass alle Mitgliedstaaten mitziehen, liegt auch im Interesse der EU insgesamt.

3.17

Die neuen Mitgliedstaaten werden sicher von den Anwendungen profitieren. Darüber hinaus sollten Wege gefunden werden, die es ihnen ermöglichen, ihre vorhandenen wissenschaftlichen Kompetenzen und ihre spitzentechnologischen industriellen Kapazitäten einzubringen, damit sie mit bestmöglichem Nutzen dabei sind.

4.   Beschlussfassungswege

4.1

Der Weltraumrat trat zum ersten Mal im November 2004 zusammen, um ein europäisches Zusammenwirken und europäische Raumfahrtprogramme zu erörtern und zu fördern. Der EWSA hofft und vertraut darauf, dass die Wegweisungen des Rates vom vergangenen Mai den wünschenswerten Kontext für eine Raumfahrtpolitik schaffen, die den europäischen Ambitionen entspricht.

4.2

Bessere institutionelle Bestimmungen sind immer unerlässlich für Fortschritt. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA das zunehmende Interesse des Rates und der Kommission an Raumfahrtvorhaben sowie die beabsichtigte, genau festgelegte Zusammenarbeit und Kompetenzverteilung zwischen ESA und Kommission.

4.3

Der Weltraumrat ist das wünschenswerte Forum für Diskussionen über zwischenstaatliche und gemeinschaftliche Ansätze, die wirksam miteinander verbunden werden müssen.

4.4

Die Aufnahme des „Weltalls“ in die gemeinschaftlichen Politikbereiche und das Siebte Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung (7. FRP) mit einem eigenen Kapitel „Raumfahrtpolitik“ muss durch die geplante Einbindung aller betroffenen Generaldirektionen sichtbar gemacht werden. Dieses integrale Zusammenwirken schafft auch eine breitere Grundlage für strategisches Denken. Die im neuen Vertrag vorgesehene ausdrückliche Zuständigkeit der EU für die Raumfahrt wird sicher hilfreich sein.

4.5

Die Rechtsordnung, ein häufig übersehenes Element, erfordert besonderes Augenmerk. Im Falle der USA bezieht sich die bestehende Rechtsordnung nur auf ein einziges Staatswesen und ist daher der natürliche Rahmen für konkrete Aktivitäten und die dazugehörigen Regelungen. In dem komplizierten europäischen Rahmen — ESA, Kommission, souveräne Mitgliedstaaten — fehlt hingegen eine gut strukturierte Rechtsordnung, und das hat kontraproduktive Auswirkungen. Angesichts der Zunahme raumfahrtbezogener Vorhaben in der EU kann auf einen kohärenten und logischen Rechts- und institutionellen Rahmen noch weniger verzichtet werden.

4.6

Die Verantwortung der Kommission für die Anwendungen und die Einbeziehung mehrerer Generaldirektionen wird sich positiv auf die Debatte und die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft auswirken, und es werden sich neue Wege für nutzerorientierte Projekte auftun.

4.7

Gesondert zu erwähnen ist die Bestimmung des Vertrags von Lissabon, derzufolge der Hohe Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik auch Vizepräsident der Kommission sein wird.

4.8

Einer der Hauptgründe, der für eine europäische Raumfahrtpolitik spricht, ist, dass ein strategisches Denken der Kommission sich vorteilhaft auf integrierte Konzepte auf einzelstaatlicher Ebene auswirken wird, an denen es bisher oft mangelt. Durch die Einbeziehung der Generaldirektionen der Europäischen Kommission wird auch die Vernetzung mit den (potenziellen) Nutzern in den nationalen Verwaltungen gefördert.

4.9

Aus dem gleichen Grund ist die Einrichtung eines GMES-Büros in der GD Unternehmen mit koordinierender Aufgabe stark zu begrüßen.

4.10

Durch die Mitwirkung der Kommission erhält die Raumfahrtpolitik einen Platz unter den übrigen Gemeinschaftspolitiken. Dies wird den „Segnungen der Weltraumtechnik“ zu einem besseren Image bei den Bürgern verhelfen.

4.11

Die Welt der Raumfahrt ist bisher zu stark isoliert gewesen und nicht gut vermittelt worden. Im Mittelpunkt einer wirksamen Kommunikation durch die Kommission und den Rat sollte die Bedeutung des Weltraums für die Gesellschaft stehen. Gezielte Informationskampagnen sollten auch eine positive Einstellung junger Leute zur Raumfahrt bewirken und ihnen allgemein Anreize geben, ein naturwissenschaftliches und/oder technisches Studium aufzunehmen.

4.12

Der EWSA betont, dass die systematische und rundum transparente Bewertung und korrekte Durchführung von großer Bedeutung sind. Die komplexen Beziehungen zwischen Forschungszentren, Behörden der EU und der Mitgliedstaaten sowie privaten Unternehmen und die komplizierten finanziellen und organisatorischen Vorkehrungen machen eine Überwachung erforderlich. In einer dynamischen Wechselbeziehung wird eine effektive Kontrolle zu Transparenz und möglicherweise zu einer Vereinfachung und zu neuen Sichtweisen und Projekten sowie deren Finanzierung führen.

5.   Angemessener Mittelrückfluss und Privatwirtschaft

5.1

Die strategischen Konzepte und Programme in den Mitgliedstaaten, das jeweils spezifische einzelstaatliche Verhältnis zur Privatwirtschaft, die zwischenstaatliche Zusammenarbeit innerhalb der EU und mit Drittstaaten sowie die technologieorientierte ESA als zwischenstaatliche Organisation sind die Erklärung für das Prinzip des angemessenen Mittelrückflusses („fair return“): Jedes Land erhält das, was es an Investitionen in die ESA-Aktivitäten gesteckt hat, nach einem komplizierten Muster aus Subskriptionen und Konzessionen in Form von Aufträgen für seine Industrie zurück. Unter den gegenwärtigen Umständen ist die Industriepolitik der ESA erfolgreich.

5.2

Das Beziehungsgeflecht zwischen Regierungen, Forschungsinstituten, der ESA und Privatunternehmen ist entsprechend tief verwurzelt, dies auch weil das Weltraumsegment ein limitierter und hoch spezialisierter Markt ist.

5.3

Entwicklungen von entscheidender Bedeutung ist Rechnung zu tragen:

der Notwendigkeit einer stärkeren globalen Präsenz Europas,

der Nutzung des „Universums“ für zivile Zwecke und friedliche Ziele, einschließlich der kollektiven Sicherheit,

der politischen und finanziellen Beteiligung der EU und der Kommission auf vielen verschiedenen Gebieten,

der stärkeren Schwerpunktsetzung auf Anwendungen und Nutzerbedürfnissen, d.h. dem Wechsel von der Schubkraft der Technologie zu der Zugkraft des Marktes,

der veränderten Rolle der Privatwirtschaft.

5.4

Der Rat spricht sich im Fall der ESA für die Beibehaltung des Grundsatzes des angemessenen Mittelrückflusses aus. Die Interessen der ESA-Mitgliedstaaten stimmen in dieser Frage nicht in jeder Hinsicht überein. Dazu ist festzustellen, dass sich der Grundsatz des angemessenen Mittelrückflusses durch eine flexiblere Handhabung gegenüber früher bereits gewandelt hat und Schritt für Schritt eine modernere Form erhält. Aus Sicht des EWSA sollte dieser Grundsatz insbesondere genügend Flexibilität entwickeln, um hoch spezialisierte, (noch) vorwiegend national tätige Mittelstandsunternehmen angemessen zu beteiligen.

5.5

Bei einer Beteiligung und Mitfinanzierung durch die Kommission gelten derzeit die EU-Binnenmarktvorschriften, d.h. die Wettbewerbspolitik und die Rechtsvorschriften zum öffentlichen Auftragswesen. Der EWSA befürwortet, dass die Kommission geeignete Instrumente und Finanzierungsregeln für Gemeinschaftsmaßnahmen auf dem Gebiet der Raumfahrt entwickelt, die den Besonderheiten des Raumfahrtsektors Rechnung tragen und eine ausgewogene Industriestruktur der Mitgliedstaaten in der Raumfahrt ermöglichen.

5.6

Ein wichtiger, zu beachtender Punkt ist die Bedeutung der KMU für die Diensteentwicklung. Es muss unterschieden werden zwischen Großunternehmen, häufig mit internationaler Geschäftstätigkeit, und zahlreichen spezialisierten, vorwiegend national tätigen Mittelstandsunternehmen, die sich Chancen durch die europäische Raumfahrt versprechen. Konsortien kleiner und mittelständischer Raumfahrtunternehmen brauchen Unterstützung.

5.6.1

Die Bedeutung spezialisierter Mittelstandsunternehmen nimmt stetig zu (16). Diese Tendenz wird sich in diesem Sektor wahrscheinlich noch durch die Konzentration auf die Zugkraft des Marktes und die Nutzerbedürfnisse sowie durch die dynamische Einbeziehung kleinerer Unternehmen in die Diensteentwicklung verstärken. Die Ablauf- und Projektplanung wird immer häufiger in Zusammenarbeit mit mittelgroßen Unternehmen erfolgen.

5.6.2

Bis heute war die Raumfahrtpolitik weitgehend abgespalten von anderen Wirtschaftsbereichen. Die Änderung der Schwerpunktlegung — der horizontale Ansatz — sowie die Zusammenarbeit zwischen ESA und Kommission werden zur Verknüpfung von Technologie, öffentlichen Investitionen und Privatwirtschaft beitragen. Die Erfahrung von EUMETSAT und dem damit verbundenen Ausbau operativer Dienste kann für GMES von praktischem Nutzen sein.

5.6.3

Im Bereich Satelliten wären Unternehmensplanung, Marketing und Kommerzialisierung möglicherweise nutzbringend. Die Vernetzung mit dem Mittelstand wird intensiver werden.

5.7

Weltraumgestützte und terrestrische Systeme sollten integriert werden, wie es bei GMES vorgesehen ist. Intelligente Sensorennetze können weiter ausgebaut werden.

5.8

Die Einbeziehung der Industrie erfordert eine präzise Definition der Nachfrage in der EU. Zur verstärkten Konzentration auf Dienste und Nutzerbedürfnisse gehört neben Forschung, Datenerfassung und Infrastruktur eine fortlaufende Feinabstimmung zwischen Wissenschaft und Anwendungen in ganz Europa (17).

5.9

Anwendungen erfordern aber, wie bereits ausgeführt, eine Unterstützung der technischen Entwicklung. Eine viel versprechende Plattform zur Ermittlung zweckmäßiger Technologien ist unter anderem die „European Space Technology Platform (ESTP)“ (18), in der Akteure aus Wissenschaft und Industrie zusammenwirken. Sie soll die langfristige, strategische Forschungsagenda festlegen. Über ESTP könnten auch Verbindungen zu anderen Industriebereichen und Gebieten hergestellt werden.

5.10

Dank des Grundsatzes des angemessenen Mittelrückflusses konnten die Fähigkeiten Europas in der Raumfahrt bisher erfolgreich entwickelt werden. Je ausgereifter der Raumfahrtmarkt jedoch wird, desto mehr Flexibilität ist nötig, denn starre Beziehungsmuster sind industrieller Innovation grundsätzlich abträglich. Angesichts der Zugkraft des Marktes, der Nutzerbedürfnisse und der Dienstleistungsentwicklung dürften vor allem Mittelstandsunternehmen in der Lage sein, angemessen auf die neuen Anforderungen und Möglichkeiten der europäischen Raumfahrtpolitik zu reagieren.

5.10.1

In dieser Hinsicht ist auch den großen Ungleichheiten der nationalen ESA-Beiträge, insbesondere im Fall der neuen Mitgliedstaaten und der kleineren Länder sowie der Nicht-EU-Länder (der ESA), Rechnung zu tragen.

5.11

Daher tritt der EWSA für eine offene, transparente Analyse und einen Dialog über die Frage ein, welches Maß an Leistungsfähigkeit Europa in zehn Jahren erreicht haben will, um seine Position in der Welt zu erhalten und zu verbessern: Welche Ziele und entsprechenden institutionellen Instrumente — im Hinblick auf die ESA, die Kommission und die Mitgliedstaaten — sind nötig, um eine gemeinsame, konzertierte europäische Mission zu erfüllen, einschließlich eines dynamischen Beitrags mittelständischer Unternehmen und der Gewährleistung eines möglichst hohen Wettbewerbsniveaus?

5.12

Bei dieser Analyse und in dem Dialog sollte auch die Art der Finanzierung der ESA berücksichtigt werden, insbesondere die Auswirkungen optionaler Beiträge sowie die Frage, wie Verfahrensweisen sowie eine fortschreitende Integration der Nutzung von Raumfahrtdiensten in den EU Binnenmarkt aussehen sollen. Für die Bereiche, an denen sich die Generaldirektionen der Kommission beteiligen werden, sind besondere Finanzierungsregeln und entsprechende Kostenschlüssel zu entwickeln.

5.13

Auch eine moderne branchenbezogene Industriepolitik, wie sie die Kommission für verschiedene Wirtschaftszweige entwickelt, wäre hilfreich, sofern die spezifischen Merkmale der Raumfahrt berücksichtigt werden. Dazu gehören der Bedarf an öffentlich finanzierten Technologien und Infrastrukturen, die Entwicklung von Prototypen, das Nichtvorhandensein eines wirklichen Marktes in verschiedenen Segmenten sowie die aktive, vom Staat geführte und finanzierte raumfahrtbezogene Industriepolitik der USA und anderer Länder.

5.14

Als erster Schritt ist es dringend erforderlich, dass die Entscheidungsträger die industriepolitischen Ambitionen Europas gegenüber der Wirtschaft konkretisieren.

6.   Verteidigung und Sicherheit

6.1

In der Entschließung des Rates wird die Bedeutung der Raumfahrt für Verteidigung und Sicherheit herausgestellt. Eine gemeinsame Strategie für die militärische Leistungsfähigkeit Europas wird zunehmend diskutiert.

6.2

Diese Debatte steht im Zusammenhang mit dem wünschenswerten Fortschritt einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Der EWSA begrüßt die mehr und mehr anerkannte Folgerung, dass die Sicherheit nicht länger ein separater Politikbereich sein sollte, sondern ein Mix aus Politiken, die von den und innerhalb der europäischen Institutionen durchgeführt werden (19).

6.3

Zudem muss berücksichtigt werden, dass sich die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Anwendungen verwischen. Daher sollten die Möglichkeiten der beiden Sektoren herausgestellt werden, Bedürfnisse des jeweils anderen Sektors zu erfüllen. Militärische Systeme können von zivilen europäischen Raumfahrtvorhaben profitieren, wenn Dual-Use-Effekte zivilen und militärischen Anwendungen zugleich zugute kommen.

6.4

Zurzeit fallen Verantwortung, Entscheidungsfindung und Haushaltsaufstellung im Bereich Sicherheit noch uneingeschränkt in die nationale Zuständigkeit, und zu Synergien zwischen den verschiedenen Ländern kommt es nur selten, auch wenn einige Vorhaben im Verteidigungsbereich in einem europäischen Rahmen koordiniert werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten für die Zukunft, von einer losen europäischen Zusammenarbeit bis zu einem vollwertigen gemeinsamen europäischen Modell.

6.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass aus sicherheitspolitischen, technischen und haushaltsmäßigen Gründen ein Anstoß zur Planung künftiger Systeme gegeben werden sollte, die die europäischen Länder zusammenführen.

6.6

Das nationale Motiv der Sicherheit ist tief verwurzelt. Ausgehend von einer gemeinsamen Zielsetzung für die Zukunft und unter Berücksichtigung der unausweichlichen globalen Entwicklungen können konkrete Projekte begonnen werden, so dass das aus der Erfahrung gewonnene Wissen Fortschritte ermöglicht.

6.7

Um eine unnötige Doppelarbeit zu vermeiden, könnten Spezialisierung und Arbeitsteilung Bestandteile dieser Planung sein (20). Zudem sollten Forschungsprogramme eingerichtet werden, die zur Entwicklung der technischen Fähigkeiten beitragen.

6.8

In diesem Zusammenhang kann die EDA (21) als einer der Beteiligten mehr Spielraum erhalten, um spezielle Zuständigkeitsbereiche zu entwickeln, wie z.B. die Definition von Einsatzfähigkeiten, das Vorschlagen von Entwicklungsprogrammen sowie die Koordinierung nationaler Verteidigungs- und Weltraumorganisationen und der ESA.

6.9

In dem neuen Vertrag werden ebenfalls verstärkte Initiativen der Kommission und des Rates zur Förderung der Sicherheitsforschung in Aussicht gestellt, wobei mögliche, daraus resultierende Überschneidungen und Doppelgleisigkeiten vermieden werden sollten.

6.10

Für solche Entscheidungen sind Vorarbeiten und anschließend das Engagement des Weltraumrates und des Rates Allgemeine Angelegenheiten erforderlich. Durch den neuen Vertrag eingeführte institutionelle Verbesserungen werden sich positiv auswirken.

Brüssel, den 13. Februar 2008.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Europäische Weltraumorganisation.

(2)  Die ESA betreibt eine eigenständige Industriepolitik, die in Form und Inhalt nicht mit der branchenbezogenen Industriepolitik der Kommission verwechselt werden darf.

(3)  Die ESA (European Space Agency) ist eine vollständig unabhängige Organisation. Sie hat derzeit 17 Mitgliedstaaten. Nicht alle ESA-Mitgliedstaaten sind Mitglieder der EU, und nicht alle EU-Mitgliedstaaten sind Mitglieder der ESA. Die ESA wird von diesen Mitgliedstaaten, aufgeteilt in ein „Pflichtprogramm“ und in optionale Programme, gemeinsam finanziert.

(4)  KOM(2007) 212 endg.

(5)  Der Rat „Wettbewerbsfähigkeit“ und der ESA-Rat auf Ministerebene, der Grundsatzentscheidungen über die ESA-Politik trifft, treten als gemeinsamer „Weltraumrat“ zusammen.

(6)  Die Pressemitteilungen der Europäischen Kommission und der ESA in Bezug auf die Ergebnisse des Weltraumrates vom 22. Mai 2007 haben u.a. folgende Titel: „Weltraumrat begrüßt historische europäische Weltraumpolitik“ und „Jetzt gibt es wirklich eine europäische Raumfahrtpolitik“.

(7)  Stellungnahme des EWSA zur Mitteilung der Kommission „Die europäische Luft und Raumfahrtindustrie — Antworten auf die globalen Herausforderungen“ (Berichterstatter: Herr SEPI), ABl. C 95 vom 30.3.1998, S. 11.

Stellungnahme des EWSA zum „Grünbuch — Europäische Raumfahrtpolitik“ (Berichterstatter: Herr BUFFETAUT), ABl. C 220 vom 16.9.2003, S. 19.

Stellungnahme des EWSA zum „Aktionsplan für die Durchführung der europäischen Raumfahrtpolitik“ (Berichterstatter: Herr BUFFETAUT), ABl. C 112 vom 30.4.2004, S. 9.

(8)  Mit dem EK-ESA-Rahmenabkommen vom Oktober 2003 werden Arbeitsmethoden und ein engerer Kontakt zwischen der ESA und der Europäischen Kommission eingeführt.

(9)  Global Monitoring for Environment and Security (Globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung).

(10)  ESA 2 485 Mio. EUR, EUMETSAT 330 Mio. EUR, Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien) 1 190 Mio. EUR (zivil) und 790 Mio. EUR (militärisch).

(11)  Andererseits darf die Effizienz eines Gesamtkonzepts der Amerikaner und einer zentralen Organisation auch nicht überschätzt werden. Die einzelnen Bundesstaaten und Unternehmen nehmen über ihre jeweiligen Vertreter auf dem Capitol Hill und ihre eigenen Lobbygruppen und Netzwerke Einfluss auf Vertragsgestaltung und Ziele. Auch die NASA leidet unter Bürokratie und ihrer Monopolstellung.

(12)  Einschließlich der Teilnahme von zwei Nicht-EU-Staaten: Schweiz und Norwegen.

(13)  Stellungnahme des EWSA zum Grünbuch zu Anwendungen der Satellitennavigation (Berichterstatter: Herr BUFFETAUT), CESE 989/2007 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht). In der Stellungnahme werden u.a. einige Aspekte behandelt, die nach Ansicht des EWSA in dem Grünbuch hätten aufgegriffen werden sollen.

(14)  Eine in dieser Hinsicht neue Entwicklung ist, dass die europäische — nachgelagerte — Industrie sich in „Galileo Services“ (GS) und im Europäischen Verband der Fernerkundungsgesellschaften (European Association of Remote Sensing Companies, EARSC) organisiert.

(15)  Mitteilung der Europäischen Kommission „Europäische Raumfahrtpolitik“, S. 6.

(16)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Entwicklung der Wertschöpfungs- und Lieferketten: europäische und globale Tendenzen“ (Berichterstatter: Herr van IERSEL), CESE 599/2007.

(17)  In einem Schreiben der ASD-Eurospace vom 20. Juli 2007 an Kommissionsmitglied Verheugen und Herrn Dordain von der ESA heißt es sinngemäß: „… wir müssen aufhören, den doppelten Monolog zu führen, bei dem die Industrie die Institutionen auffordert, ihre Anforderungen zu definieren, und die Institutionen die Industrie auffordern, Dienste vorzuschlagen, die ihren Anforderungen gerecht werden.“

(18)  Europäische Plattform für Weltraumtechnologie, eine kombinierte Plattform der wichtigsten Beteiligten, darunter u.a. die teilnehmenden EU-Staaten, ESA, die europäische Raumfahrtindustrie (mehr als 100 Unternehmen) und Eurospace, Forschungsinstitute und Hochschulen, nationale Raumfahrtorganisationen und 21 weitere Organisationen.

(19)  In einem Bericht der in Paris ansässigen Fondation pour la Recherche Stratégique (FRS) und dem in Rom ansässigen Istituto Affari Internazionali (IAI) vom 24. Mai 2007 heißt es: „Die Raumfahrtpolitik für Sicherheit ist heute kein separater Politikbereich, sondern ein Policy-Mix der Mitgliedstaaten, des Weltraumrates, der Europäischen Kommission und u.U. der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA). Dieses in Mischtechnik entstandene Panorama erfordert eine bessere Koordinierung, um die Entscheidungsfindung zu rationalisieren und Doppelarbeit zu vermeiden.“

(20)  MUSIS (Multinational Space-based Imaging System for Surveillance), das multinationale weltraumbasierte Bildgebungssystem für Überwachung, Erkundung und Beobachtung, ist ein Vorläufer, an dem sich sechs Länder beteiligen.

(21)  Europäische Verteidigungsagentur.


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/31


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, mit einer Analyse zur Frage der Zweckmäßigkeit der Einführung einer unmittelbaren Produzentenhaftung“

KOM(2007) 210 endg.

(2008/C 162/04)

Die Kommission beschloss am 24. April 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Anwendung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, mit einer Analyse zur Frage der Zweckmäßigkeit der Einführung einer unmittelbaren Produzentenhaftung“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr CASSIDY.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 145 gegen 3 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Kommission hat bei der Überprüfung der Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG merkliche Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften aufgezeigt. Einige sind möglicherweise auf Regelungslücken in der Richtlinie zurückzuführen, während andere bereits als nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie betrachtet werden können. Noch ist nicht genau festzustellen, inwieweit sich diese Disparitäten auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts und das Verbrauchervertrauen auswirken. Der EWSA empfiehlt der Kommission, dringend die Auswirkungen für den Binnenmarkt und das Verbrauchervertrauen zu untersuchen (1).

1.2

Infolgedessen fordert der Ausschuss die Kommission auf, Durchsetzungsmaßnahmen gegen diejenigen Mitgliedstaaten zu ergreifen, die die Richtlinie 1999/44/EG bislang noch nicht korrekt umgesetzt haben.

1.3

Das Grünbuch „Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“ greift eine Reihe von Querschnittsfragen auf. Die Kommission hat während der Überprüfung einige Probleme hinsichtlich der Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie festgestellt, insbesondere in Bezug auf die unmittelbare Produzentenhaftung (UPH).

1.4

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auch bezüglich der Regelung der Garantien von Herstellern und Einzelhändlern Mängel aufweist, z.B. was die Konformitätsanforderungen in Artikel 2 der Richtlinie angeht.

1.5

Es liegen keine überzeugenden Erkenntnisse vor, die eine gesonderte Änderung der Richtlinie 1999/44/EG zur Einführung der UPH begründen. Mit dem Grünbuch „Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“ (2) wurde eine öffentliche Konsultation zu diesem und zu anderen Themen eingeleitet, die von der Europäischen Kommission während ihrer Überprüfung der Verbraucherschutzvorschriften der EU (d.h. der acht Verbraucherschutzrichtlinien (3)) festgelegt wurden. Der EWSA empfiehlt daher, dass die Kommission die Zweckmäßigkeit der Einführung einer UPH in einer möglichen legislativen Folgemaßnahme zum Grünbuch (z.B. einer horizontalen Richtlinie) prüfen sollte, eine Lösung, die von Gremien wie der UGAL (4) und dem Dachverband der nationalen Verbraucherverbände BEUC bevorzugt wird. Der EWSA betont aber, dass die Ergebnisse dieser Initiative keine übermäßige Belastung für die Wirtschaft mit sich bringen sollten, wie dies auch von EuroCommerce gefordert wird.

1.6

Bevor die Kommission eine horizontale Richtlinie einführt, ist nach Ansicht des EWSA eine Folgenabschätzung erforderlich.

1.6.1.

Dies betrifft den Anwendungsbereich der Richtlinie. Der EWSA stimmt der Auffassung zu, dass die Richtlinie auf andere Vertragsarten ausgeweitet werden sollte, im Rahmen derer Güter für die Verbraucher bereitgestellt werden (z.B. Autovermietung) und die Verbraucher digitale Inhalte beziehen (z.B. Musik aus dem Internet). Dies gilt auch für gebrauchte Güter, die in einer öffentlichen Versteigerung verkauft werden, bei der die Verbraucher dem Verkauf persönlich beiwohnen. Andere Aspekte wie die Definition der Lieferung, der Gefahrenübergang, das Konzept und die Verlängerung der Haftungsfristen für die Vertragsmäßigkeit der Güter, die Abdeckung von Ansprüchen bei wiederkehrenden Mängeln, die Regelung der Beweislast und sogar einige Rechtsmittel sollten als Teil eines horizontalen Instruments im Rahmen eines kombinierten Ansatzes zur Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz berücksichtigt werden, und die Einzelheiten dieser Themen sollten erörtert werden, wenn ein Vorschlag für ein solches Instrument zur Konsultation und öffentlichen Debatte vorgelegt wird.

1.7

Die betroffenen Interessenvertreter und die Mitgliedstaaten sind geteilter Meinung, was die Auswirkungen einer UPH auf den Verbraucherschutz und den Binnenmarkt betrifft. Die meisten Mitgliedstaaten und mehrere Interessenvertreter sind der Auffassung, dass eine UPH den Verbraucherschutz potenziell verbessern könnte. Manche sind der Ansicht, dass der Hersteller eher als der Verkäufer in der Lage ist, für den vertragsgemäßen Zustand von Gütern zu sorgen. Andere wiederum vertreten die Auffassung, dass die UPH nicht zur Verbesserung des Verbraucherschutzes beitragen, sondern Rechtsunsicherheit und eine erhebliche Belastung für die Unternehmen mit sich bringen würde. Nach Meinung des EWSA sind diesbezüglich mehr Informationen erforderlich (5).

2.   Einleitung

2.1

Die Europäische Kommission hat am 24. April 2007 die Mitteilung über die Anwendung der Richtlinie 1999/44/EG (der „Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie“) zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, mit einer Analyse zur Frage der Zweckmäßigkeit der Einführung einer unmittelbaren Produzentenhaftung, angenommen, wie dies in Artikel 12 der Richtlinie vorgesehen ist.

2.2

Am 8. Februar 2007 legte die Europäische Kommission ihr Grünbuch „Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“ vor. Die Richtlinie 1999/44/EG ist eine der acht Verbraucherschutzrichtlinien, die in Anhang II des Grünbuchs aufgelistet sind.

2.2.1

In Anhang I des Grünbuchs ist eine Reihe von Fragen zu besonderen Rechtsvorschriften für den Verbrauchsgüterkauf aufgelistet. Mit dieser Stellungnahme soll der Kommission auf ihre Mitteilung „zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, mit einer Analyse zur Frage der Zweckmäßigkeit der Einführung einer unmittelbaren Produzentenhaftung“ (KOM(2007) 210 endg.) hin Orientierungshilfe gegeben werden. Der EWSA verabschiedete auf seiner Plenartagung am 11./12. Juli 2007 seine Stellungnahme zum Grünbuch (6) und beschloss zum damaligen Zeitpunkt, sich vorerst nicht zu den spezifischen Themen zu äußern, d.h. zu den Fragen, die von der Kommission bezüglich der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie aufgeworfen wurden und die in dem Kommissionsvorschlag für eine Rahmenrichtlinie über die vertraglichen Rechte der Verbraucher behandelt werden sollen.

2.2.2

In dem Grünbuch greift die Kommission eine Reihe von Querschnittsfragen auf, die in öffentlicher Konsultation erörtert werden sollen. Dazu gehören ebenfalls Fragen, die bisherige Unzulänglichkeiten und Regelungslücken — auch in der Richtlinie 1999/44 selbst — betreffen, auf die die Kommission im Verlauf der genannten Besitzstands-Überprüfung gestoßen ist.

2.3

Alle Mitgliedstaaten haben die Richtlinie (7) umgesetzt. In der Mitteilung untersucht die Kommission, wie die Mitgliedstaaten die Richtlinie angewendet haben. Die Mitteilung ist Teil der Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz, die im Einklang mit dem Ziel der besseren Rechtsetzung steht, das von der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem EWSA im Zusammenhang mit der Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds verfolgt wird.

2.4

Die Richtlinie zielt auf die Harmonisierung derjenigen Teile des Verbrauchervertragsrechts ab, die sich auf rechtliche Sicherheiten (Garantien) und — in geringerem Maße — auf kommerzielle Garantien beziehen.

2.5

Alle Mitgliedstaaten waren aufgefordert, die Richtlinie bis zum 1. Januar 2002 in ihr nationales Recht umzusetzen, wobei es ihnen freistand, auch strengere Vorschriften zugunsten der Verbraucher anzuwenden.

2.6

Die Kommission weist auf Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung der Richtlinie durch einige Mitgliedstaaten hin.

3.   Wesentlicher Inhalt der Mitteilung der Kommission

3.1

Die Mitteilung befasst sich mit der Anwendung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter („Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie“) in den Mitgliedstaaten. Außerdem wird, wie in Artikel 12 der Richtlinie vorgesehen, der Frage nachgegangen, ob Veranlassung besteht, auf Gemeinschaftsebene eine unmittelbare Produzentenhaftung einzuführen.

3.2

Die Kommission verweist in ihrer Mitteilung auf Schwierigkeiten, die einige Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie hatten. Insbesondere entstehen Probleme aufgrund der uneinheitlichen Begriffsbestimmung von „Verbraucher“ und „Verkäufer“, die in anderen Gemeinschaftsrechtsakten zum Verbraucherschutz unterschiedlich definiert werden.

3.3

Ebenso bestimmt die Definition für „Verbrauchsgüter“ in Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b den Geltungsbereich der Richtlinie. Die Mitgliedstaaten haben diese Definition unterschiedlich in nationales Recht überführt. So wird der Begriff in den einschlägigen Vorschriften einiger Mitgliedstaaten auch auf den Kauf von Immobilien angewendet.

3.4

In anderen Mitgliedstaaten ist festgelegt, dass unter diesem Begriff keine„gebrauchten Güter zu verstehen sind, die in einer öffentlichen Versteigerung verkauft werden, bei der die Verbraucher die Möglichkeit haben, dem Verkauf persönlich beizuwohnen“. Einige haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Andere wiederum haben sich entschieden, für solche Güter die Haftung des Verkäufers zu beschränken.

3.5

Alle Mitgliedstaaten haben die Anforderungen der Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. Artikel 12 regelt, dass die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat (innerhalb einer bestimmten Frist) einen Bericht über die Anwendung dieser Richtlinie in den Mitgliedstaaten vorlegt; dabei soll sie unter anderem prüfen, ob Veranlassung besteht, eine unmittelbare Haftung des Herstellers einzuführen, und den Bericht gegebenenfalls mit Vorschlägen versehen. Die Kommission kommt dieser Verpflichtung nach.

3.6

In Teil I der Mitteilung wird Bericht über die Anwendung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in den Mitgliedstaaten erstattet, und Teil II untersucht die Zweckmäßigkeit der Einführung einer unmittelbaren Haftung der Produzenten gegenüber den Verbrauchern in der EU-Rechtsetzung.

3.7

Die Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten hat eine Reihe von Problemen aufgeworfen. Einige Probleme sind möglicherweise auf Regelungslücken in der Richtlinie zurückzuführen, während andere bereits als nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie betrachtet werden können. Bei der Überprüfung durch die Kommission sind — bedingt durch die Inanspruchnahme der Mindestklausel und die unterschiedliche Nutzung der in der Richtlinie vorgesehenen Regelungsmöglichkeiten — merkliche Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften zu Tage getreten. Noch ist jedoch nicht genau festzustellen, inwieweit sich diese Disparitäten auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts und auf das Verbrauchervertrauen auswirken.

3.7.1

In dem Grünbuch werden eine Reihe von Querschnittsfragen für die öffentliche Konsultation aufgegriffen, die bisherige Unzulänglichkeiten und Regelungslücken — auch in Bezug auf die Anwendung der Richtlinie — betreffen, auf die die Kommission im Verlauf der genannten Besitzstands-Überprüfung gestoßen ist. Deshalb hat die Kommission beschlossen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Vorschläge hinsichtlich der Richtlinie vorzulegen.

3.7.2

Bezüglich der Einführung einer UPH ist die Kommission zu dem Schluss gekommen, dass noch nicht genügend gesicherte Erkenntnisse vorliegen, um festzustellen, ob sich das Fehlen einer EU-Regelung nachteilig auf das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt auswirkt. Die Problematik wird im Rahmen des Grünbuchs weiter verfolgt.

3.8

In seiner Stellungnahme zu dem Grünbuch „Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“ (8) äußert der EWSA seine Zweifel, ob der vorgeschlagene Ansatz tatsächlich zu einem einheitlichen, hohen Verbraucherschutzniveau in der ganzen EU führen kann. Es ist eine echte demokratische Legitimierung des überprüften gemeinsamen Besitzstands im Verbraucherschutz, verbunden mit einer klaren rechtlichen und konzeptionellen Grundlage, erforderlich. Der Ausschuss macht auf das unzureichend geregelte digitale Umfeld aufmerksam. Alle Vorschläge für harmonisierte Regelungen in diesem Bereich müssen durch eine angemessene Folgenabschätzung gestützt werden und auf eine Vereinfachung und klarere Fassung der bestehenden Vorschriften abzielen. Bessere Durchsetzungsmaßnahmen sowie die Verbesserung oder Einführung klarer und einfacher Verfahren für die Erlangung von Schadenersatz sollten als Priorität hervorgehoben werden. Bei der EU-weiten Harmonisierung des Verbraucherrechts muss als Leitprinzip gelten, das in den Mitgliedstaaten anzutreffende beste und höchste Verbraucherschutzniveau anzunehmen.

4.   Umsetzungsprobleme

4.1

Die Kommission hat bei der Überprüfung der Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG merkliche Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsvorschriften aufgezeigt. Einige sind möglicherweise auf Regelungslücken in der Richtlinie zurückzuführen, andere können bereits als nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie betrachtet werden. Noch ist nicht genau festzustellen, inwieweit sich diese Disparitäten auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts und das Verbrauchervertrauen auswirken. Der EWSA empfiehlt der Kommission, dringend die Auswirkungen für den Binnenmarkt und das Verbrauchervertrauen zu untersuchen und Durchsetzungsmaßnahmen gegenüber Mitgliedstaaten, die ihren Pflichten nicht nachkommen, zu ergreifen (9).

5.   Unmittelbare Produzentenhaftung (UPH)

5.1

Einige Mitgliedstaaten haben verschiedene Formen der unmittelbaren Haftung des Herstellers eingeführt. Diese Haftungsregelungen unterscheiden sich aber hinsichtlich der Bedingungen und Modalitäten erheblich. Die Richtlinie von 1999 sieht vor, dass die Kommission prüfen soll, ob Veranlassung besteht, eine unmittelbare Produzentenhaftung einzuführen und ggf. einen diesbezüglichen Vorschlag vorzulegen. In 7 von den 17 Mitgliedstaaten, die auf den Fragebogen der Kommission geantwortet haben, gibt es in der einen oder anderen Form eine UPH; dabei sind jedoch die Bedingungen, unter denen Produzenten direkt haftbar gemacht werden können, von Land zu Land sehr unterschiedlich. Einige Mitgliedstaaten und Interessengruppen haben auch starke Einwände gegen das Konzept, wobei einige von ihnen glauben, dass es noch zu früh ist, die Auswirkungen hinsichtlich des Erfordernisses der gesonderten Änderung der Richtlinie 1999/44/EG zu bewerten (10).

5.2

Die betroffenen Interessenvertreter und die Mitgliedstaaten sind geteilter Meinung, was die Auswirkungen einer UPH auf den Verbraucherschutz und den Binnenmarkt betrifft. Die meisten Mitgliedstaaten und verschiedene Interessenvertreter sind der Auffassung, dass eine UPH den Verbraucherschutz potenziell verbessern könnte. Dennoch gehen die Meinungen der Mitgliedstaaten auseinander, wobei einige der Auffassung sind, dass der Hersteller in vielen Fällen eher als der Verkäufer in der Lage ist, für den vertragsgemäßen Zustand von Gütern zu sorgen. Andere wiederum vertreten die Auffassung, dass die UPH nicht zur Verbesserung des Verbraucherschutzes beitragen, sondern Rechtsunsicherheit mit sich bringen würde. Nach Meinung des EWSA sind diesbezüglich mehr Informationen erforderlich.

5.3

In den Augen verschiedener Interessenvertreter und einiger Mitgliedstaaten würde die UPH zu einer erheblichen Belastung für die betroffenen Unternehmen führen, da die Hersteller sich dann Systeme für die Bearbeitung von Beschwerden geben müssten und finanzielle Vorkehrungen für die Fälle zu treffen hätten, in denen sie haftbar gemacht würden. Hierüber besteht jedoch keine Einigkeit, da andere Mitgliedstaaten und Interessengruppen dem nicht zustimmen.

5.4

Die Tatsache, dass die unmittelbare Produzentenhaftung unterschiedlich geregelt ist, stellt ein potenzielles Problem für den Binnenmarkt dar. Beim derzeitigen Stand der Dinge kann die Kommission noch keine endgültigen Schlüsse ziehen. Noch liegen nicht genügend gesicherte Erkenntnisse vor, um festzustellen, ob sich das Fehlen einer EU-Regelung zur unmittelbaren Produzentenhaftung negativ auf das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt auswirkt.

5.5

Die Argumente für eine obligatorische UPH in allen Mitgliedstaaten sind noch nicht deutlich genug. Mit der UPH würde im Vergleich zu den Ansprüchen gegenüber dem Verkäufer eine erweiterte Haftungskette eingeführt werden. Dies ist von den betreffenden Produkten oder Dienstleistungen abhängig. Beim grenzüberschreitenden Kauf teurer Güter wie Pkws kann direkt auf die Hersteller zurückgegriffen werden. Die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft regeln, dass Verkaufsagenten oder Händler unabhängig davon, wo das Fahrzeug gekauft wird, die Herstellergarantie einhalten müssen. Beim grenzüberschreitenden Kauf von Wein und Spirituosen, die einen immer bedeutenderen Teil des Binnenmarktes ausmachen, sind Ansprüche gegenüber dem Verkäufer oder „Hersteller“ schwer durchzusetzen, es sei denn, der Käufer reist häufig in den betreffenden anderen Mitgliedstaaten, in dem die Waren gekauft wurden. Bei Konsumgütern generell kann die Einführung einer UPH zum Verbraucherschutz und zum Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt beitragen.

5.6

Das Thema der UPH muss noch viel gründlicher geprüft und durch eine umfassende Folgenabschätzung ergänzt werden.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Die Universität Bielefeld (Deutschland) hat eine rechtsvergleichende Studie zur Umsetzung der acht unter Fußnote 3 aufgelisteten Verbraucherschutzrichtlinien in nationale Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung möglicher Handelshemmnisse oder Wettbewerbsverzerrungen erstellt. (Diese vergleichende Studie kann unter folgender Internetadresse abgerufen werden: http://ec.europa.eu/consumers/cons_int/safe_shop/acquis/comp_analysis_de.pdf)

(2)  KOM(2006) 744 endg. (im Folgenden „Grünbuch“ genannt)

(3)  Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. L 372 vom 31.12.1985, S. 31.

Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. L 158 vom 23.6.1990, S. 59.

Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. L 95 vom 21.4.1993, S. 29.

Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABl. L 280 vom 29.10.1994, S. 83.

Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. L 144 vom 4.6.1997, S. 19.

Richtlinie 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse, ABl. L 80 vom 18.3.1998, S. 27.

Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. L 166 vom 11.6.1998, S. 51.

Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. L 171 vom 7.7.1999, S. 12.

(4)  UGAL: Union der Verbundgruppen selbstständiger Einzelhändler Europas.

(5)  Siehe Fußnote 1.

(6)  CESE 984/2007, Berichterstatter: Herr Adams, ABl. C 256 vom 27.10.2007.

(7)  ABl. L 171 vom 7.7.1999, S.12.

(8)  CESE 984/2007, ABl. C 256 vom 27.10.2007.

(9)  Siehe Fußnote 1.

(10)  Siehe Fußnote 3.


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Bericht der Kommission: Bericht über die Wettbewerbspolitik 2006“

KOM(2007) 358 endg.

(2008/C 162/05)

Die Europäische Kommission beschloss am 25. Juni 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Bericht der Kommission — Bericht über die Wettbewerbspolitik 2006“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr CHIRIACO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 141 gegen 3 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Hintergrund

1.1

Im Jahresbericht 2006 über die Wettbewerbspolitik werden die Veränderungen dargestellt, die sich in diesem Bereich mit Blick auf die interne Organisation und die Arbeitsmethoden der Kommission ergeben haben. Er belegt, wie die Kommission auf dem Weg zu den Lissabon-Zielen die Kohärenz ordnungspolitischer Strukturen in Europa gewährleistet.

2.   Instrumente

2.1   Kartelle (1) — Artikel 81 und 82 EG-Vertrag (2)

2.1.1

Geldbußen spielen für die Kommission eine maßgebliche Rolle, wenn es darum geht, Unternehmen von Verstößen gegen die Wettbewerbsvorschriften abzuschrecken.

Es wurde ein neuer Schwellenwert für den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen festgelegt. Gemäß den neuen Leitlinien wird ein Anteil der jährlichen Verkäufe des Produkts (bis zu 30 %), auf das sich die Zuwiderhandlung bezieht, als Grundbetrag der Geldbuße festgesetzt, der mit der Anzahl der Jahre, die das Unternehmen an der Zuwiderhandlung beteiligt war, multipliziert wird (im Wiederholungsfalle kann die Geldbuße um bis zu 100 % erhöht werden).

2.1.2

Das Grünbuch Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbrechts, das in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag verankert ist, wurde angenommen, um das Kontrollverfahren wirkungsvoller zu gestalten. Das Grünbuch wurde in Europa eingehend diskutiert und aus den einzelnen Mitgliedstaaten gingen über 150 Stellungnahmen von Regierungen, Wettbewerbsbehörden, aus Wirtschaftskreisen, von Verbraucherorganisationen, Rechtsanwälten und Universitäten ein.

Auch der EWSA begrüßte in seiner Stellungnahme zum Grünbuch (3) nach einer ausführlichen Debatte die Kommissionsinitiative.

2.1.3

Im Rahmen ihrer Maßnahmen gegen Kartelle erließ die Kommission sieben endgültige Entscheidungen, in denen sie gegen 41 Unternehmen Geldbußen in Höhe von insgesamt 1 846 Mio. EUR verhängte (2005 wurden 33 Unternehmen mit Geldbußen in Höhe von insgesamt 683 Mio. EUR belegt).

2.2   Fusionskontrolle (4)

2.2.1

Die Kommission erarbeitete mittels einer öffentlichen Konsultation eine verbesserte Fassung der Leitlinien zu Zuständigkeitsfragen  (5), die im Zuge der Fusionskontrolle gemäß der Fusionskontrollverordnung (6) relevant sein können.

Die neue Mitteilung, die ursprünglich 2007 verabschiedet werden sollte, wird die derzeitigen Mitteilungen zu diesem Bereich ersetzen.

2.2.2

Im Zuge der Anwendung der Vorschriften kam es im Jahr 2006 zu einem Anstieg der bei der Kommission angemeldeten Zusammenschlüsse auf 356. Insgesamt erließ die Kommission 352 endgültige Entscheidungen, von denen 207 auf der Grundlage des vereinfachten Verfahrens getroffen wurden.

2.3   Beihilfenkontrolle

2.3.1

Die Kommission vereinfachte die Verfahren zur Genehmigung von Regionalbeihilfen durch den Erlass einer Gruppenfreistellungsverordnung für regionale Investitionsbeihilfen  (7) , von staatlichen Beihilfen für Forschung und Entwicklung und Innovation (FuEuI) durch einen neuen Gemeinschaftsrahmen für diese Beihilfen (8), von Direkthilfen zur Förderung von Investitionen in kleine und mittlere Unternehmen durch Erleichterung des Zugangs von KMU zu finanziellen Mitteln (9) sowie von Beihilfen im Bereich des Umweltschutzes.

Schließlich erließ die Kommission eine neue De-Minimis-Verordnung  (10), nach der Beträge bis zu 200 000 EUR (11), die über einen Zeitraum von drei Steuerjahren gewährt werden, nicht als staatliche Beihilfen gelten.

2.3.2

Im Zuge der Anwendung der Vorschriften untersuchte die Kommission 2006 921 Fälle von Beihilfen, was einem Anstieg von 36 % im Vergleich zum Vorjahr bedeutete. Die Kommission erließ 710 endgültige Entscheidungen. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle (91 % aller Entscheidungen) genehmigte die Kommission die Beihilfen ohne formelles Verfahren, da sie mit den Wettbewerbsvorschriften vereinbar waren.

2.3.3

In diesem Zusammenhang stufte die Kommission Ausbildungsbeihilfen als dem gemeinsamen europäischen Interesse dienlich ein, legte indes bei Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten strenge Maßstäbe an und erachtete sie nur unter Einhaltung strikter Bedingungen (12) als rechtsmäßig.

3.   Sektorale Entwicklungen

3.1   Energie

3.1.1

Der Abschlussbericht über den Energiesektor, den die Kommission am 10. Januar 2007 annahm (13), vermittelt ein Bild der Lage in Europa, die von ständig steigenden Großhandelspreisen für Gas und Strom und relativ begrenzten Wahlmöglichkeiten der Verbraucher aufgrund von Marktzutrittsschranken gekennzeichnet ist.

3.1.2

Die Kommission hat eine Reihe von Kartellverfahren eingeleitet, welche das Horten von Netz- und Speicherkapazität, langfristige Kapazitätsreservierungen, Marktaufteilung und langfristige Verträge zwischen Großhändlern/Einzelhändlern und nachgelagerten Kunden betreffen.

3.1.3

Im Bereich der Zusammenschlüsse von Energieversorgungsunternehmen wurden von der Kommission zahlreiche Verfahren eingeleitet und entsprechende Entscheidungen erlassen. Die wichtigsten Fälle waren DONG/Elsam/Energi E2  (14) und Gaz de France/Suez (15).

3.1.4

Im Bereich der Beihilfenkontrolle wurde aufgedeckt, wie Verträge zwischen öffentlichen Netzbetreibern und Energieerzeugern in Ungarn und Polen eine Abschottung von Teilen der Großhandelsmärkte bewirkten und wie in Italien günstigere Stromtarife für einige Industrieunternehmen zu Wettbewerbsverzerrungen führten. Wichtig ist auch die Beihilfeentscheidung für erneuerbare Energie, mit der gewährleistet wird, dass öffentliche Beihilfen nur in Ausnahmefällen gewährt werden können, ohne Unternehmen oder Aktivitäten zu Unrecht zu bevorzugen.

3.2   Finanzdienstleistungen

3.2.1

Die Kommission leitete 2005 eine Untersuchung des Retail-Bankingsektors  (16) mit Schwerpunkt auf dem grenzüberschreitenden Wettbewerb ein. Der am 31. Januar 2007 veröffentlichte Abschlussbericht verwies auf folgende Probleme: Zugangsschranken, Marktfragmentierung und die starke Konzentration im Bereich Ausstellung und Erwerb von Zahlungskarten.

3.2.2

Die Kommission veröffentlichte am 24. Januar 2007 den Zwischenbericht über die umfassende Untersuchung im Unternehmensversicherungssektor.

3.2.3

Außerdem genehmigte die Kommission — wie im Falle der Talanx-Aktiengesellschaft  (17) — eine Vielzahl von Zusammenschlüssen im Bereich Finanzdienstleistungen.

3.2.4

Mit der Beihilfekontrolle wurde für gleiche Ausgangsbedingungen für Finanzdienstleistungen, insbesondere für neue Marktteilnehmer und ausländische Banken, gesorgt. Die luxemburgische Beihilferegelung wurde als verdeckte Beihilfe für Holdinggesellschaften eingestuft und aufgehoben.

3.3   Elektronische Kommunikation

3.3.1

Die Mehrheit der Anbieter elektronischer Kommunikationsdienstleistungen verstößt nicht gegen den Rechtsrahmen der EU für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste. Die Kommission hat eine Empfehlung ausgesprochen für 18 spezifische Produkt- und Dienstleistungsmärkte sowohl auf Großhandels- als auch auf Einzelhandelsebene, die ihrer Ansicht nach vorab von den nationalen Behörden reguliert werden sollten (18). Breitbandzugangsmärkte geben Aufschluss über die gleichzeitige Anwendung einer sektorspezifischen Vorabregulierung und des Wettbewerbsrechts auf Ex-post-Basis.

3.4   Informationstechnologie

3.4.1

Im IT-Sektor sorgte die Kommission weiter dafür, dass der — in diesem Markt durch digitale Konvergenz und zunehmende Interoperabilität gekennzeichnete — Wettbewerb nicht verzerrt wird.

Von ganz besonderer Bedeutung ist hier der Fall Microsoft . Da es dieses Unternehmen versäumte, rechtzeitig die von der Kommission geforderten Informationen bereitzustellen, wurde es mit einem Zwangsgeld belegt. Die von Microsoft gegen die Entscheidung der Kommission eingelegte Klage (19) wurde mit dem Urteil des Gerichts erster Instanz vom 17. September 2007 abgewiesen (20).

3.4.2

Im Bereich der Fusionskontrolle genehmigte die Kommission den Zusammenschluss von Nokia und der Netzgerätesparte der Siemens AG sowie die Fusion von Alcatel und Lucent Technologies, weil ihrer Auffassung nach der Wettbewerb auf dem Markt für optische Netzeinrichtungen und Breitbandzugangslösungen dadurch nicht beeinträchtigt wird.

3.5   Medien

3.5.1

Ziel der Wettbewerbspolitik im Mediensektor ist es, gleiche Ausgangsbedingungen für die verschiedenen kommerziellen Sender untereinander und für die kommerziellen und die öffentlich-rechtlichen Sender zu gewährleisten.

3.5.2

Im Bereich des digitalen Rundfunks leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien ein, in dessen Rahmen untersucht wird, ob die italienischen Rechtsvorschriften, die den Übergang zum digitalen Rundfunk regulieren, Beschränkungen für Rundfunksender beinhalten und den analogen Sendern Wettbewerbsvorteile verschaffen, was eindeutig gegen die Wettbewerbsrichtlinie verstoßen würde.

3.5.3

Die Kommission wurde außerdem mehrfach aktiv, um einen wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten, so bei den Premium-Inhalten, im Bereich der Beihilfemaßnahmen für Filme und andere audiovisuelle Werke sowie bei der Verwaltung von Rechten.

3.6   Verkehr

3.6.1

Die größten Probleme betreffen die abgeschotteten nationalen Güterkraftverkehrsmärkte im Straßenverkehr, die geringe Interoperabilität im Schienenverkehr und mangelnde Transparenz beim Zugang zu Hafendiensten.

3.6.2

Im Bereich Straßenverkehr blieb die Kommission bei ihrer Praxis, Beihilfen zur Förderung der Verbreitung sauberer Technologien und staatliche Beihilfen für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen zu genehmigen.

3.6.3

Von großer Bedeutung war die Entscheidung der Kommission im Bereich des Schienenverkehrs: Ausgaben für die Schieneninfrastruktur gelten nicht als staatliche Beihilfen, sondern fallen in die Zuständigkeit der öffentlichen Hand (21).

3.6.4

Im Bereich Seeverkehr hat die Kommission zugesagt, Leitlinien für die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften zu veröffentlichen, um den Übergang zu einer uneingeschränkt wettbewerbsorientierten Regelung zu erleichtern. Was staatliche Beihilfen im Seeverkehr angeht, bestand die Kommission auf die Streichung jeglicher Staatsangehörigkeitsklauseln in Regelungen zur Freistellung von Schiffseignern von den Sozialabgaben für ihre Seeleute.

3.6.5

Im Bereich Luftverkehr schließlich erließ die Kommission die Verordnung (EG) 1459/2006, mit der die Freistellung der IATA-Passagiertarifkonferenzen von dem Verbot nach Artikel 81 Absatz 1 EG-Vertrag für Routen innerhalb der EU ab dem 1. Januar 2007 aufgehoben wurde. Damit entfiel auch die Freistellung für Zeitnischen und Flugzeitplanung.

3.7   Postdienste

3.7.1

Aufgrund des tiefgreifenden Wandels des Postsektors reduzierte die Kommission einerseits die Dienste, für die Universaldienstanbietern Monopolrechte gewährt werden, andererseits gewährleistete sie den Wettbewerb in den liberalisierten Bereichen des Postmarkts, um Monopolstellungen zu verhindern.

3.7.2

Wichtig ist die Entscheidung der Kommission, dass Ausgleichsleistungen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse nur dann mit den Beihilfevorschriften vereinbar sind, wenn der Betrag der Ausgleichsleistung die Kosten des öffentlichen Auftrags nicht übersteigt und die anderen Vorschriften stets beachtet werden.

Die Kommission hat auch untersucht, ob Postbetreiber nicht, wie im Falle Frankreichs (22), in den Genuss anderer Vorteile kommen. In dieser Sache empfahl die Kommission, die unbeschränkte Staatsgarantie, die der französischen Post als juristischer Person des öffentlichen Rechts gewährt wurde, bis Ende 2008 zurückzunehmen.

4.   Das europäische Wettbewerbsnetz und nationale Gerichte

4.1

2006 war ein wichtiges Jahr, in dem sich das mit der Verordnung 1/2003 eingeführte System konsolidierte und verbesserte. Außerdem wurde sowohl die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern des Europäischen Wettbewerbsnetzes (European Competition Network — ECN), d.h. den nationalen Wettbewerbsbehörden, und der Kommission als auch zwischen den nationalen Gerichten und der Kommission intensiviert.

4.2

Die Zusammenarbeit zwischen den ECN-Mitgliedern fußt auf zwei wesentlichen Pflichten der nationalen Wettbewerbsbehörden, die darin bestehen, die Kommission über die Einleitung neuer Verfahren und in jedem Fall vor dem Erlass der endgültigen Entscheidung zu informieren. Die nationalen Wettbewerbsbehörden legten der Kommission 150 Verfahren vor, die ihrerseits in 125 Fällen den nationalen Wettbewerbsbehörden Stellungnahmen und Hinweise übermittelte.

4.3

Die Bedeutung der Zusammenarbeit im ECN spiegelt sich u.a. wider in einem Treffen des Generaldirektors der GD Wettbewerb mit Vertretern der einschlägigen nationalen Wettbewerbsbehörden, in dem das ECN-Kronzeugenmodell angenommen wurde. Die Kommission und die nationalen Behörden trafen sich ferner zur Erörterung allgemeiner kartellpolitischer Fragen, Sektoruntersuchungen oder spezifischer Sektoren.

4.4   Anwendung der EU-Wettbewerbsregeln durch nationale Gerichte in der EU

4.4.1

Gemäß Artikel 15 Absatz 1 der Verordnung (EG) 1/2003 können die Gerichte der Mitgliedstaaten die Kommission um die Übermittlung von Stellungnahmen oder Informationen, die sich in ihrem Besitz befinden, bitten. Laut diesem Artikel müssen die Mitgliedstaaten der Kommission eine Kopie eines jeden schriftlichen Urteils einzelstaatlicher Gerichte übermitteln.

4.4.2

Die Aus- und Fortbildung von Richtern in den Mitgliedstaaten ist sehr wichtig, um die Kenntnis des EU-Wettbewerbsrechts zur fördern. Die Kommission beteiligt sich jedes Jahr an der Finanzierung verschiedener Fortbildungsprojekte in allen Mitgliedstaaten.

5.   Internationale Tätigkeiten

5.1

In Vorbereitung des EU-Beitritts von Rumänien und Bulgarien leistete die Kommission Hilfe bei der Durchsetzung der Wettbewerbsregeln in diesen Ländern und unterstützt derzeit Kroatien und die Türkei in gleicher Weise.

5.2

Der bilaterale Dialog zwischen der Kommission und zahlreichen Wettbewerbsbehörden sowie die Kontakte zu den USA, Kanada und Japan wurden weiter ausgebaut. Die GD Wettbewerb unterstützte ferner China und Russland bei der Ausarbeitung ihrer Wettbewerbsgesetze.

5.3

Im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit schließlich spielt die GD Wettbewerb eine führende Rolle im Internationalen Wettbewerbsnetz. Ferner beteiligt sie sich an der Arbeit des Wettbewerbsausschusses der OECD.

6.   Interinstitutionelle Zusammenarbeit

6.1

Das Europäische Parlament legt jedes Jahr einen Initiativbericht über den Wettbewerbsbericht der Kommission vor. Das für die Wettbewerbspolitik zuständige Kommissionsmitglied unterhält einen regelmäßigen Meinungsaustausch mit dem Rat und den zuständigen Parlamentsausschüssen.

6.2

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen regelmäßig über die großen Initiativen informiert und insbesondere an den Debatten im Rahmen der Verabschiedung der jährlichen Stellungnahme des EWSA zum Jahresbericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik teilnimmt.

7.   Schlussfolgerungen und Bemerkungen

7.1   Verhältnis zwischen Wettbewerbspolitik und Wirtschaftsentwicklungspolitik

Die Wettbewerbspolitik, die ganze Branchen für die Logik und Dynamik des Marktes öffnete, hat maßgeblich zur Schaffung eines starken europäischen Binnenmarkts mit weniger Regeln und Rechtsvorschriften beigetragen.

7.1.1

Die Wettbewerbspolitik spielt in der europäischen Wirtschaftspolitik eine immer gewichtigere Rolle. In der Vergangenheit haben sowohl die Kommission (23) als auch der EWSA (24) darauf hingewiesen, dass neue wirtschaftspolitische Instrumente konzipiert werden müssen, um die Wettbewerbspolitik und die Industriepolitik zusammen auf die Ziele eines größeren wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, Beschäftigungssicherung 6 auch über die Kontrollmechanismen für staatliche Beihilfen und Betriebsverlagerungen -, Umweltschutz sowie Förderung umfangreicher und anspruchsvoller FuE-Programme auszurichten.

Derzeit erfolgt eine enge Abstimmung der Wettbewerbspolitik mit anderen Politikbereichen wie Binnenmarkt und Verbraucherschutz, um besser funktionierende Märkte zu schaffen, was den Verbrauchern ebenso wie der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zugute kommt.

7.1.2

Nach einer Aktualisierung der Daten für die sieben größten Mitgliedstaaten der Europäischen Union erwartete die Kommission im Jahr 2007 ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 2,8 % in der EU und von 2,5 % in der Euro-Zone (25). Obwohl die Wachstumsprognose für das Eurogebiet vom IWF von 2,1 % auf 1,6 % nach unten korrigiert wurde, dürfte das Wachstum in Europa nach Auffassung des EWSA auch weiterhin von den soliden wirtschaftlichen Grundlagen und einem nach wie vor günstigen globalen Umfeld profitieren.

7.1.3

Der EWSA hält die Ausrichtung der EU auf ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum und Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Ausbildung, Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, und auf ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität für wichtig.

7.1.4

In einem Marktumfeld, in dem der Wettbewerbspolitik immer mehr Bedeutung und Gewicht zukommt, sind wirtschaftliche, soziale und ökologische Indikatoren wesentliche Faktoren, mit denen die Endverbraucher, aber auch und vor allem die Unternehmen Wettbewerbsfähigkeit messen können.

7.1.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen und Dienstleistungen durch ein System feststehender Regeln, die auf der richtigen Anwendung der Wettbewerbspolitik in enger Verbindung mit der Handelspolitik basieren, geschützt werden muss.

Heute ist die EU die Weltregion, die sich am stärksten ausländischen Waren geöffnet hat. Die Abschaffung der wichtigsten europäischen Mechanismen zum Schutz vor Dumping und Subventionen würde unterschiedslos all jene in der EU treffen, die unter Einhaltung der Wettbewerbs- und Handelsregeln sowie der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und ohne staatliche Beihilfen wirtschaften.

In diesen Zusammenhang ruft der EWSA die Kommission auf, zum einen die Fälle von unlauterem internationalen Wettbewerb energischer bei der WTO anzuzeigen und sich zum anderen dafür einzusetzen, dass in die bilateralen Handelsabkommen eine Klausel aufgenommen wird, in der die Handelspartner zur Einhaltung der Wettbewerbsregeln verpflichtet werden, wozu auch eine wirksame Kontrolle staatlicher Beihilfen gehört.

7.2   Beihilfenkontrolle

7.2.1

Der EWSA begrüßt die Strategie der Kommission für einen modernen Aktionsplan auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen, der sich auf folgende Elemente stützt: zielgerichtete staatliche Beihilfen, wirtschaftliche Analyse, wirksame Verfahren und geteilte Zuständigkeit der Kommission und Mitgliedstaaten. Der Ausschuss hält die Einschätzung der Kommission, wonach staatliche Beihilfen zu Gunsten des Technologietransfers, der Innovationstätigkeit und multisektoraler Beihilferahmen für große Investitionsvorhaben zuzulassen und differenziert zu behandeln sind, für richtig.

7.2.2

Bei der Prüfung von Beihilfefällen sollte die Kommission die besondere steuerliche Behandlung, die die Mitgliedstaaten Gegenseitigkeitsgesellschaften wie Genossenschaften und Unternehmen mit großen sozialen Auswirkungen angedeihen lassen, als gerechtfertigt ansehen.

7.3   Banken und Finanzmarkt

7.3.1

Der EWSA begrüßt die Maßnahmen der Kommission zur Kontrolle von Über-Kreuz-Beteiligungen und der Verwaltung von Finanzierungsprodukten. In Einzelfällen waren Kreditinstitute (mittels Stimmbindungsverträgen) ausschlaggebende Aktionäre von Industrieunternehmen, was zur Folge hatte, dass von den Banken gewährte Kredite zur Finanzierung des Erwerbs von Beteiligungen an eben diesen Banken verwendet wurden.

7.4   Energie

7.4.1

Der EWSA unterstreicht, dass Energie nicht nur für Markt, sondern auch für Entwicklung, Beschäftigung und Umwelt steht. Heute sieht sich die EU neuen globalen Wettbewerbern (26) gegenüber, und die neuen Marktstrukturen müssen dieses Kräfteverhältnis berücksichtigen.

7.4.2

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass bei einer Trennung der Erzeugung von der Verteilung (unbundling) im Gassektor den Besonderheiten dieses Sektors Rechnung getragen werden muss (27).

7.5   Informationsvielfalt und Wettbewerbsrecht

7.5.1

Der EWSA empfiehlt, im Medienbereich zwischen den Bestimmungen, die speziell auf den Schutz der Informationsvielfalt ausgerichtet sind, und den allgemeinen kartellrechtlichen Vorschriften zu unterscheiden. Funktionierende Wettbewerbsregeln sind eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die Förderung der Medienvielfalt.

7.5.2

Wird diese Besonderheit nicht erkannt, besteht zugleich die Gefahr einer Aufweichung der Wettbewerbsregeln und einer Schwächung des Grundsatzes der Medienvielfalt.

7.6   Telekommunikation

7.6.1

Nach Ansicht des EWSA sollten die funktionale Trennung der Telekommunikationsnetze und die Einrichtung einer europäischen Agentur für diesen Sektor im Vergleich mit anderen Sektoren in geeigneter Weise bewertet werden, da Investitionen in diesem für die europäische Wettbewerbsfähigkeit so wichtigen Sektor von wesentlicher Bedeutung für die Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit sind, insbesondere wenn man sich die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung vor Augen hält.

7.7   Anwendung der Vorschriften des Wettbewerbsrechts und Stärkung der einzelstaatlichen Gerichte

7.7.1

Im Hinblick auf eine wirksame Anwendung der Vorschriften muss sichergestellt werden, dass einzelstaatliche Richter und alle in diesem Bereich tätigen Personen eine regelmäßige Fortbildung im Wettbewerbsrecht erhalten.

In diesen Zusammenhang ruft der EWSA die Kommission auf, umgehend eine Orientierungshilfe für die Anwendung von Artikel 82 EG-Vertrag insbesondere im Hinblick auf Verdrängungsmissbräuche zu geben.

7.7.2

Der EWSA begrüßt zwar die Kofinanzierung der von der Kommission vorgeschlagenen Projekte, hält es aber für erforderlich, über die 2006 durchgeführten 15 Fortbildungsmaßnahmen für Richter aus den 25 EU-Mitgliedstaaten hinaus mehr zu unternehmen, um den Herausforderungen der Wettbewerbspolitik und den Problemen im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Kommission, Unternehmen, Verbänden und Verbrauchern gerecht zu werden.

7.7.3

Die Beziehungen zwischen dem EWSA und der Kommission wurden unlängst weiter ausgebaut, als auf der Plenartagung des Ausschusses am 30./31. Mai 2007 (28) das Addendum zu dem Protokoll über die Zusammenarbeit von November 2005 unterzeichnet wurde. Durch diese Vereinbarung rückt der EWSA, der als Träger des Dialogs mit den Bürgern besonders gut positioniert ist, in den Mittelpunkt der Kommunikationsarbeit.

7.7.4

Der EWSA fordert die Kommission und das Europäische Parlament auf, die interinstitutionelle Zusammenarbeit so zu gestalten, dass einzelstaatliches Recht mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang steht.

Der Ausschuss begrüßt den Prozess zur Annahme eines neuen Vertrages (Vertrag von Lissabon), der den rechtlichen Bezugsrahmen vereinfacht und den Erfordernissen einer Europäischen Union mit 27 Mitgliedstaaten gerecht wird, wodurch die EU neue politische Maßnahmen vereinbaren und die erforderlichen Entscheidungen treffen kann, um den vor ihr stehenden Herausforderungen begegnen zu können.

7.7.5

Abschließend betont der EWSA, dass die Wettbewerbspolitik nicht als eigenständiges Ziel betrachtet werden darf, sondern weiterhin als vollwertiger Teil der „Tätigkeit“ der Europäischen Kommission anzusehen ist (29).

Als Beitrag zur Transparenz der Arbeiten hat der Ausschuss eine Konferenz zum Thema „Regierungskonferenz 2007: Die Zukunft Europas — die organisierte Zivilgesellschaft meldet sich zu Wort“ veranstaltet, die am 27./28. September 2007 mit reger Beteiligung im EWSA-Gebäude stattfand.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Die nachstehenden Entscheidungen der Kommission wurden vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften angefochten. Außer in der Rechtssache De Beers, in der der Gerichtshof die Entscheidung der Kommission aufgehoben hat, erging noch kein endgültiges Urteil. Sache COMP/38.638 Synthetikkautschuk (BR/ESBR) Entscheidung der Kommission vom 29.11.2006; Sache COMP/39.234 Legierungszuschlag (Neuentscheidung) Entscheidung der Kommission vom 20.12.2006; Sache COMP/38.907 Stahlträger (Neuentscheidung), Entscheidung der Kommission vom 8.11.2006; Sache COMP/38.121 Fittings, Entscheidung der Kommission vom 20.9.2006; Sache COMP/38.456 Bitumen NL Entscheidung der Kommission vom 13.9.2006; Sache COMP/38.645 Methacrylate, Entscheidung der Kommission vom 31.5.2006; Sache COMP/38.620 Wasserstoffperoxid und Perborat Entscheidung der Kommission vom 3.5.2006; Sache COMP/38.113 Prokent/Tomra; Sache COMP/38.348 Repsol CCP, Entscheidung der Kommission vom 12.4.2006; Sache COMP/38.381 De Beers, Entscheidung der Kommission vom 22.2.2006.

(2)  ABl. C 321 E vom 29.12.2006.

(3)  INT/306. Die Stellungnahme des EWSA steht im Internet zu Verfügung:

http://eescopinions.eesc.europa.eu/EESCopinionDocument.aspx?identifier=ces\int\int306\ces1349-2006_ac.doc&language=DE.

(4)  Lediglich die folgende Entscheidung- der Kommission wurde vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften angefochten: Sache COMP/M.3796 Omya/J. M. Huber PCC.

(5)  Diese Leitlinien stehen im Internet zur Verfügung:

http://ec.europa.eu/comm/competition/mergers/legislation/jn_de.pdf.

(6)  Verordnung (EG) Nr. 139/2004.

(7)  Verordnung (EG) Nr. 1628/2006.

(8)  ABl. C 323 vom 30.12.2006, S. 1.

(9)  ABl. C 194 vom 18.8.2006, S. 2.

(10)  Verordnung (EG) Nr. 1998/2006.

(11)  Der Betrag ist im Vergleich zur vorhergehenden Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 69/2001, ABl. L 10 vom 13.1.2001, S 30) doppelt so hoch.

(12)  Vgl. die Sache Northern Rock (IP/07/1859). Die Kommission hat hier entschieden, dass die Einbringung von flüssigen Mitteln mit angemessenen Bankgarantien und Verzinsung, die die Bank of England am 14.9.2007 gewährt hat, keine staatliche Beihilfe ist. Dagegen stellen die am 17.9.2007 vom britischen Schatzamt auf die Einlagen gewährte Garantie und die von ihm beschlossenen Maßnahmen vom 9.10.2007, durch die Northern Rock auf zusätzliche liquide Mittel mit Bürgschaften des Schatzamts zugreifen konnte, staatliche Beihilfen dar. Derartige Maßnahmen können als Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten im Einklang mit den entsprechenden Leitlinien der Gemeinschaft genehmigt werden. Gemäß diesen Leitlinien müssen diese Rettungsbeihilfen in Form von Krediten oder Bürgschaften mit einer Laufzeit von höchstens sechs Monaten gewährt werden, wobei es allerdings für den Bankensektor einige aufsichtsrechtlich bedingte Ausnahmeregelungen gibt, die in diesem Fall zur Anwendung kamen. Im Einklang mit den genannten Leitlinien haben sich die britischen Behörden verpflichtet, der Kommission bis zum 17. März 2008 einen über eine einfache kurzfristige Rettungsmaßnahme hinausgehenden Umstrukturierungsplan für Northern Rock vorzulegen. Ob dieser Plan eine staatliche Beihilfe ist, wird anhand seiner konkreten Gestalt und gemäß den Vorschriften für Umstrukturierungsbeihilfen zu entscheiden sein.

(13)  KOM(2006) 851 endg.

(14)  Entscheidung der Kommission in der Sache COMP/M.3868 DONG/Elsam/Energi E2 vom 14.3.2006.

(15)  Entscheidung der Kommission in der Sache COMP/M.4180 Gaz de France/Suez vom 14.11.2006.

(16)  Entscheidung der Kommission, 13.6.2005 (ABl. C 144 vom 14.6.2005, S. 13).

(17)  Entscheidung der Kommission in der Sache COMP/M.4055 Talanx/Gerling vom 5.4.2006.

(18)  Empfehlung 2003/311/EG der Kommission vom 11. Februar 2003 über relevante Produkt- und Dienstmärkte des elektronischen Kommunikationssektors, die aufgrund der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste für eine Vorabregulierung in Betracht kommen (ABl. L 114 vom 8.5.2003, S. 45). Die Kommission hat am 17. Dezember 2007 (ABl. L 344 vom 28.12.2007, S. 65) eine neue Empfehlung abgegeben, in der sie lediglich acht Märkte aufführt.

(19)  Rechtssache T-201/04 (ABl. C 269 vom 10.11.2007, S. 45).

(20)  Die Entscheidung der Kommission kann im Wortlaut unter folgender Internetadresse aufgerufen werden: http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/cases/decisions/37792/art24_2_decision.pdf

(21)  N 478/2004, 7.6.2006, (ABl. C 209 vom 31.8.2006).

(22)  Beihilfe E 15/2005, Empfehlung für zweckdienliche Maßnahmen betreffend die unbeschränkte Staatsgarantie zugunsten von La Poste (noch nicht veröffentlicht).

(23)  Den Strukturwandel begleiten: Eine Industriepolitik für die erweiterte Union, KOM(2004) 274 endg.

(24)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Den Strukturwandel begleiten: Eine Industriepolitik für die erweiterte Union“ (KOM(2004) 274 endg.), ABl. C 157 vom 28.6.2005.

(25)  Vgl. IP/07/1295

(http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/07/1295&format=HTML&aged=1&language=DE&guiLanguage=en).

(26)  Insbesondere Gazprom und Sonatrach.

(27)  Neelie Kroes, „More competitive energy markets: building on the findings of the sector inquiry to shape the right policy solution“, Brüssel, 19. September 2007.

(28)  Unter der folgenden Internetadresse finden Sie eine Zusammenfassung der auf dieser Plenartagung verabschiedeten Stellungnahmen:

http://www.eesc.europa.eu/activities/press/summaries_plenaries/2007/grf_ces83-2007_d_de.pdf.

(29)  Der am 3. Dezember 2007 von der Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten angenommene Vertrag von Lissabon kann unter folgender Internetadresse aufgerufen werden:

http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/cg00014.de07.pdf


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/40


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bauteil-Typgenehmigung der Beleuchtungs- und Lichtsignaleinrichtungen für land- oder forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2007) 840 endg. — 2007/0284 (COD)

(2008/C 162/06)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 25. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bauteil-Typgenehmigung der Beleuchtungs- und Lichtsignaleinrichtungen für land- oder forstwirtschaftliche Zugmaschinen auf Rädern (kodifizierte Fassung)“

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 147 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 7 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/40


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bezeichnung von Textilerzeugnissen (Neufassung)“

KOM(2007) 870 endg. — 2008/0005 (COD)

(2008/C 162/07)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 8. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bezeichnung von Textilerzeugnissen (Neufassung)“

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 128 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/41


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern (kodifizierte Fassung)“

KOM(2007) 873 endg. — 2007/0299 (COD)

(2008/C 162/08)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 8. Februar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern (kodifizierte Fassung)“

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 141 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 1 Stimmenthaltung, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/41


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Stoffe, die Arzneimitteln zum Zwecke der Färbung hinzugefügt werden dürfen (Neufassung)“

KOM(2008) 1 endg. — 2008/0001 (COD)

(2008/C 162/09)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 31. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Stoffe, die Arzneimitteln zum Zwecke der Färbung hinzugefügt werden dürfen (Neufassung)“

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 122 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 4 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine unabhängige Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“

(2008/C 162/10)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Eine unabhängige Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 23. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr HENCKS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 14. Februar) mit 162. gegen 24 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die vom Europäischen Rat am 17./18. Oktober 2007 angenommene Reform der Verträge stellt einen weiteren Fortschritt dar, u.a. bezüglich der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, für die in die Bestimmungen zur Arbeitsweise der Europäischen Union (EU) eine allgemein anwendbare Bestimmung für die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (Artikel 14) eingeführt wird, die auf die gesamte Politik der Union, einschließlich Binnenmarkt und Wettbewerb, anzuwenden sein wird, sowie ein den beiden Verträgen als Anhang beigefügtes Protokoll, das die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse — einschließlich der nichtwirtschaftlichen Dienste von allgemeinem Interesse — in ihrer Gesamtheit betrifft.

1.2

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und die nichtwirtschaftlichen Dienste von allgemeinem Interesse tragen alle zum Gemeinwohl und zur Verwirklichung der Grundrechte der Bürger bei. Diese im allgemeinen Interesse geleisteten Dienste sind von politischen Entscheidungen abhängig und fallen somit in die Zuständigkeit der Gesetzgeber.

1.3

Dies führt nicht nur zu einer verstärkten Verpflichtung der Union und der Mitgliedstaaten, für das reibungslose Funktionieren der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu sorgen, wozu insbesondere auch die Entwicklung eines progressiven Konzepts zur Leistungsbewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse gehört, sondern auch zu der Notwendigkeit für die Entscheidungsgremien, klar die Begriffe, Ziele und Aufgaben zu definieren, die sie mit den drei Benennungen verbinden. Solange dies nicht geschehen ist, können die Leistungsbewertungen den Bürgern nicht die Rechtssicherheit bieten, die diese von ihren nationalen und europäischen Institutionen zu Recht erwarten können.

1.4

Die Bewertung muss der Wirksamkeit und Effizienz der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und ihrer Anpassung an die sich entwickelnden Bedürfnisse der Bürger und Unternehmen dienen sowie den Behörden diejenigen Elemente liefern, anhand derer sie möglichst angemessene Entscheidungen treffen können. Außerdem kommt der Bewertung eine entscheidende Rolle für das Fällen ausgewogener Entscheidungen zwischen Markt und allgemeinem Interesse sowie zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen zu.

1.5

Angesichts der Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse für die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und die Förderung von sozialer Gerechtigkeit und Sozialschutz, die laut Vertrag alles Ziele der EU sind, ist eine regelmäßige Bewertung nicht nur der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, für die Gemeinschaftsbestimmungen bestehen, sondern auch der nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auf Ebene der Mitgliedstaaten unabdingbar.

1.6

Die Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche) auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene muss unabhängig, pluralistisch und kontrovers erfolgen, die drei Pfeiler der Lissabon-Strategie abdecken, auf einer großen Anzahl von Kriterien beruhen sowie alle betroffenen Parteien einbeziehen.

1.7

Auf Gemeinschaftsebene sind mit Hilfe gemeinsamer Indikatoren die Modalitäten für Austausch, Gegenüberstellung, Vergleich und Koordinierung festzulegen und unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips die Dynamik der unabhängigen Bewertung anzustoßen, indem im Dialog mit den betroffenen Akteuren eine europaweit harmonisierte Bewertungsmethodik erarbeitet wird.

1.8

Damit diese Bewertung sinnvoll und nützlich ist, muss ein vollkommen unabhängiger pluralistischer Lenkungsausschuss aus Vertretern der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament, den Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bei der EU, dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss eingesetzt werden.

2.   Aktueller Hintergrund

2.1

Gemäß den Verträgen gehören die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, insbesondere wegen ihres Beitrags zum sozialen und territorialen Zusammenhalt, zu den gemeinsamen Werten der Union. Der vom Europäischen Rat am 17./18. Oktober 2007 angenommene reformierte Vertrag bestätigt dies, indem dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union die Möglichkeit eingeräumt wird, im Wege von Verordnungen die Grundsätze und Bedingungen festzulegen, mit deren Hilfe sich die Aufgaben der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erfüllen lassen. Dabei bleibt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese Dienstleistungen zu erbringen, in Auftrag zu geben und zu finanzieren, unberührt, aber gleichzeitig wird die geteilte Verantwortung der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft betont.

2.2

So obliegt es der Union und den Mitgliedstaaten, jedem im Rahmen seiner jeweiligen Zuständigkeiten und des Anwendungsbereichs des reformierten Vertrags, dafür Sorge zu tragen und sich zu versichern, dass diese Dienstleistungen tatsächlich anhand von insbesondere wirtschaftlichen und finanziellen Grundsätzen und Bedingungen erbracht werden, durch die sie ihre Aufgaben erfüllen können.

2.3

Mit der Umsetzung des reformierten Vertrags müssen das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union durch Verordnungen nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit diese Grundsätze und Bedingungen festlegen.

2.4

In einem Protokoll über die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Anhang der reformierten Verträge werden „die wichtige Rolle und der weite Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden in der Frage, wie Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse auf eine den Bedürfnissen der Nutzer so gut wie möglich entsprechende Weise zu erbringen, in Auftrag zu geben und zu organisieren sind“ sowie „ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung und Förderung des universellen Zugangs und der Nutzerrechte“ unterstrichen.

2.5

In demselben Protokoll ist zum ersten Mai in einem Text zum primären Gemeinschaftsrecht von nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse die Rede. Es wird betont, dass es den Mitgliedstaaten obliegt, diese Dienstleistungen zu erbringen, in Auftrag zu geben und zu organisieren, und dass die Bestimmungen der Verträge ihre Zuständigkeit in diesem Bereich in keiner Weise berühren, so dass die nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse auch weiterhin im Prinzip nicht unter die Bestimmungen zu Binnenmarkt, Wettbewerb und staatlichen Beihilfen fallen, wobei die nationale Praxis an den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts auszurichten ist.

2.6

Der Unterschied zwischen einer wirtschaftlichen und einer nichtwirtschaftlichen Dienstleistung wird im Entwurf für einen reformierten Vertrag in keiner Weise definiert, weshalb nach wie vor auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zurückgegriffen werden muss und die derzeitige Rechtsunsicherheit fortbesteht. Die Bürger erwarten viel von der Union. Sie sollte für die Verbesserung des Gemeinwohls und für die Gewährleistung der Grundrechte sorgen sowie dafür, dass ihre Entscheidungen nicht zu nationalen Rückschritten führen können.

3.   Sinn einer Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

3.1

Die in Artikel 14 verankerte Verpflichtung, für das reibungslose Funktionieren der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu sorgen, setzt insbesondere die Entwicklung eines progressiven Konzepts zur Bewertung der Leistungen dieser Dienstleistungen voraus.

3.2

Nach Ansicht des EWSA sollte eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse u.a.

den Grundsätzen der Gleichheit, Allgemeingültigkeit, Erschwinglichkeit und Zugänglichkeit, Zuverlässigkeit und Beständigkeit, Qualität und Effizienz, Garantie der Nutzerrechte und wirtschaftlichen und sozialen Rentabilität genügen;

die besonderen Bedürfnisse bestimmter Nutzergruppen wie Menschen mit Behinderungen, hilfebedürftige oder benachteiligte Personen usw. berücksichtigen.

3.3

Auch wenn darauf im reformierten Vertrag nicht ausdrücklich hingewiesen wird, so ist die Bewertung doch das implizit im Vertrag geforderte Überwachungsinstrument.

3.4

Die Mitgliedstaaten bzw. die Union müssen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie im Interesse und zur Zufriedenheit aller, für die die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse vorgesehen sind, in transparenter und nicht diskriminierender Weise die Aufgaben und Ziele dieser Dienstleistungen in ihren Zuständigkeitsbereichen definieren und anpassen.

3.5

Um zu überprüfen, ob diese gemeinwirtschaftlichen Aufgaben korrekt und effizient ausgeführt werden und die Ziele — je nachdem ob sie sich abhängig davon, ob es sich um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse handelt, oder abhängig von der Natur der Dienstleistung selbst unterscheiden — erreicht sind oder werden, muss die zuständige Behörde ein System zur Bewertung der Leistungen, der Effizienz und der Qualität dieser Dienstleistungen einrichten, das über einfache Erhebungen und Meinungsumfragen hinausgeht.

3.6

Die Bewertung umfasst also die Analyse und eine systematische Überwachung der tatsächlichen Erfüllung der besonderen gemeinwirtschaftlichen Aufgabe, im Hinblick darauf, wie sie ausgeführt wurde und inwieweit die Bedürfnisse der Verbraucher, der Unternehmen, der Bürger und der Gesellschaft befriedigt wurden, sowie im Hinblick auf die Ziele der Union, insbesondere was den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die soziale Marktwirtschaft, die Lissabon-Strategie und die Garantie der Grundrechte betrifft.

3.7

Die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind durch das Anstreben verschiedener Entscheidungen gekennzeichnet:

zwischen Markt und allgemeinem Interesse,

zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen,

zwischen Nutzern (wie Einzelpersonen — auch aus benachteiligten Gruppen -, Unternehmen oder Kollektiven), die nicht alle die gleichen Bedürfnisse und Interessen haben,

zwischen den Zuständigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten und der Integration der Gemeinschaft.

3.8

Diese Entscheidungen entwickeln sich mit dem wirtschaftlichen und technologischen Wandel, sowie den sich verändernden individuellen und kollektiven Bedürfnissen und Erwartungen im Bemühen um Kohärenz zwischen den verschiedenen einzelstaatlichen Situationen, den geografischen Besonderheiten und den sektorspezifischen Merkmalen.

3.9

Mit der Leistungsbewertung soll zwar nicht reguliert werden, aber sie ist ein Element der Regulierung, da diese sich auf einschlägige Bewertungen stützen und für solche sorgen sollte. Gleichzeitig müssen durch die Bewertung Fehlfunktionen sowie Unterschiede in Qualität und/oder Art der Dienstleistung je nach Land erkannt werden und muss der Schwerpunkt mithin auf die Anpassung der Erfordernisse in Abhängigkeit der Bedürfnisse und Anliegen der Nutzer und Verbraucher sowie des wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Wandels gelegt werden können.

4.   Zu bewertende Dienstleistungen

4.1

Aufgrund der mit ihnen verfolgten Ziele und der Bedeutung, die sie bei der Umsetzung der verschiedenen politischen Maßnahmen der Gemeinschaft haben, ist eine regelmäßige Bewertung nicht nur der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, für die Gemeinschaftsbestimmungen bestehen, sondern auch der nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unabdingbar, da sie zur tatsächlichen Wahrung der Grundrechte beitragen und gemäß den gemeinsamen Werten des europäischen Sozialmodells auf der Grundlage des Prinzips der Solidarität und des Respekts der Menschenwürde funktionieren.

4.2

Da das Protokoll im Anhang der reformierten Verträge bestätigt, dass die nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegen, muss die Bewertung dieser Dienstleistungen ausnahmslos auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene erfolgen.

4.3

Da die nichtwirtschaftlichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse jedoch, ebenso wie die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, verschiedenen Zielen der Europäischen Union unterliegen (Wahrung der Grundrechte, Förderung des Wohls der Bürger, soziale Gerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt usw.) und die Union für die Verwirklichung dieser Ziele mitverantwortlich ist, muss sie zumindest dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten die Funktionsweise dieser Dienstleistungen regelmäßig bewerten.

5.   Der Ansatz der EU-Institutionen

5.1

Der Rat der Europäischen Union hat auf seinen Tagungen in Nizza (2000) und Laeken (2001) festgestellt, „dass auf Gemeinschaftsebene unter gebührender Berücksichtigung der nationalen, regionalen und lokalen Besonderheiten und Zuständigkeiten eine wirksame und dynamische Bewertung der Leistungen der Daseinsvorsorge und ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb vorgenommen werden muss“.

5.2

Außerdem vertrat er die Ansicht, „dass diese Bewertung im Rahmen der bestehenden Strukturen erfolgen sollte, insbesondere durch die horizontale und sektorale Berichterstattung und im Wege des Cardiff-Berichts der Kommission über die Wirtschaftsreform; Gegenstand der Bewertung sollten die Marktstruktur und -leistung einschließlich der beschäftigungspolitischen Aspekte, die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte von Gemeinwohlverpflichtungen sowie die Meinung der Bürger und Verbraucher von den Leistungen der Daseinsvorsorge und die Auswirkungen einer Liberalisierung auf diese Leistungen sein.“

5.3

Seit 2001 hat die Europäische Kommission jedes Jahr (außer 2003) eine horizontale Bewertung der Netzindustrien (Strom, Gas, Telekommunikation, Postdienste, Flug- und Bahnverkehr) vorgenommen und zwar auf der Grundlage einer in einer ihrer Mitteilungen (1) festgelegten Methodik, die jedoch von den Akteuren nicht einhellig gutgeheißen wird, da einige der Ansicht sind, dass eher die Gemeinschaftspolitik im Bereich der Netzindustrien bewertet wird als die Leistungen dieser Industrien.

5.4

2003 hatte die Europäische Kommission im Rahmen des Grünbuchs zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse eine öffentliche Anhörung eingeleitet, um festzulegen, wie die Bewertung organisiert, welche Kriterien angewandt, wie die Bürger eingebunden und wie die Datenqualität verbessert werden sollte. Die wichtigsten Schlussfolgerungen dieser Anhörung waren die Notwendigkeit, eine multidimensionale Bewertung vorzunehmen und die Evaluierungsmechanismen zu überprüfen, wobei jedoch laut Kommission kein Konsens darüber bestand, wer diese Bewertung durchführen sollte.

5.5

Im Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (2) wird der Evaluierungsprozess hervorgehoben, der künftig jeder Anpassung des Rechtsrahmens der Gemeinschaft vorausgehen muss, vor allem wenn es um die Liberalisierung der Dienstleistungen geht.

5.6

„Die Kommission erkennt [in diesem Weißbuch] die besondere Verantwortung der Gemeinschaftsorgane bei der mit Hilfe der auf nationaler Ebene bereitgestellten Daten durchgeführten Evaluierung der Dienstleistungen an, die einem von der Gemeinschaft erstellten sektorspezifischen Regelungsrahmen unterliegen“. Sie schließt nicht aus, „dass eine Evaluierung auf Gemeinschaftsebene auch für andere Bereiche denkbar [wäre], wenn nachgewiesen werden kann, dass sie in besonderen Fällen für die Gemeinschaft von zusätzlichem Nutzen wäre“.

5.7

Schließlich gab die Kommission bei einem externen Berater einen ausführlichen Bericht zur Evaluierung der Bewertungsmethodik in Auftrag; die wichtigsten Schlussfolgerungen werden in einer weiteren, für 2008 angekündigten Mitteilung zusammengefasst.

5.8

Laut Kommission sollen im Rahmen dieses externen Audits die Notwendigkeit einer Bewertung der Leistungen der Netzindustrien, die auf EU-Ebene Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bereitstellen, beurteilt, Empfehlungen zur Verbesserung der horizontalen Bewertungen abgegeben sowie ermittelt werden, wie zweckmäßig es ist, dass solche horizontalen Bewertungen von der Kommission erstellt werden.

5.9

In der Mitteilung der Kommission zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (3) hält es die Kommission für wichtig „im Interesse der Qualität und Transparenz des Entscheidungsprozesses […], regelmäßig eine ausführliche Evaluierung durchzuführen und deren Methodik und Ergebnisse offen zu legen und sie damit der allgemeinen Kritik auszusetzen“.

6.   Bewertungsgrundsätze und -kriterien

6.1

In ihrer Mitteilung KOM(2002) 331 endg. hatte sich die Kommission verpflichtet, die Zivilgesellschaft in die horizontale Bewertung der Leistungen der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einzubinden, insbesondere durch die Einführung eines „permanente[n] Mechanismus zur laufenden Beobachtung der Meinungen der Bürger und der Fortentwicklung dieses Meinungsbildes“, sowie „die Betroffenen, einschließlich der Sozialpartner, auf Ad-hoc-Basis zu bestimmten Fragen [zu] konsultier[en]“.

6.2

Die Entwicklung der Gesellschaft zeigt sich in den gestiegenen Erwartungen der Öffentlichkeit — in diesem Fall der Nutzer bzw. Verbraucher -, die nicht nur die Anerkennung ihrer Rechte einfordert, sondern auch die Berücksichtigung ihrer Besonderheiten. Die Art und Weise der Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse hängt stark von der jeweiligen Gesellschaft ab.

6.3

Die Vielfalt der Strukturen und Status (öffentliche oder private Leistungserbringer oder öffentlich-private Partnerschaften), die die nationalen, regionalen und lokalen Behörden einführen, um die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sicherzustellen, machen eine multidimensionale Bewertung erforderlich.

6.4

Die Bewertung auf Ebene der Mitgliedstaaten muss zudem pluralistisch erfolgen, indem alle betroffenen Akteure und Personen eingebunden werden: wie für die Definition und Erbringung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zuständige Behörden, Regulierungsbehörden, Dienstleister sowie Vertreter von Verbrauchern, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft.

6.5

Außer pluralistisch muss diese Bewertung auch unabhängig und kontrovers sein, da die verschiedenen Akteure nicht alle dieselben Interessen verfolgen, sondern in manchen Fällen sogar gegensätzliche und über abweichende Informationen und Gutachten verfügen.

6.6

Deshalb lassen sich die wirtschaftliche und soziale Effizienz von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sowie die in ihrem Rahmen realisierten Aktivitäten und Leistungen nicht mittels eines einzigen Kriteriums einschätzen, hier anhand der Wettbewerbsbestimmungen, sondern es ist eine ganze Palette von Kriterien nötig.

6.7

Wie vom Internationalen Forschungs- und Informationszentrum für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft (CIRIEC) und vom Europäischen Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) in einer 2000 (4) von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie betont wurde, ist eine Bewertung nur mit Blick auf die vorgegebenen Ziele und Aufgaben sinnvoll, die von drei Seiten definiert werden — dem Verbraucher, dem Bürger und der Gemeinschaft — und aus drei Komponenten bestehen — der Gewährleistung der Grundrechte, dem sozialen und territorialen Zusammenhalt sowie der Konzipierung und Umsetzung der Politik der öffentlichen Hand.

6.8

Die Bewertung muss die drei Pfeiler der Lissabon-Strategie (Wirtschaft, Soziales und Umwelt) abdecken und gleichzeitig auch die Binnenmarkt-, Wettbewerbs-, Verbraucherschutz- und Beschäftigungspolitik sowie die Politik für alle betroffenen Branchen berücksichtigen.

6.9

Die Bewertung muss also zahlreiche Kriterien umfassen und insbesondere:

die Definition des Systems für die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen und den dazugehörigen Auftrag,

die ordnungsgemäße Ausführung des Lastenhefts/der Lastenhefte oder der mit dem Universaldienst bzw. dem Auftrag verbundenen Verpflichtungen,

Preis, Qualität und Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen zur Dienstleistung sowie Zufriedenheit der Nutzer,

die positiven und negativen externen Effekte,

die Verwirklichung der politischen Ziele der öffentlichen Hand,

die Umsetzung der den rechtlichen Zwängen angepassten Bestimmungen.

6.10

Folglich geht es darum, Elemente zur Kenntnis und Einschätzung der tatsächlichen Verfahrensweisen sowie zu den Auswirkungen der Maßnahmen auf die verschiedenen Nutzer zusammenzutragen, wodurch das strukturelle Informationsungleichgewicht zwischen Dienstleistern, Regulierungsbehörden und Verbrauchern ausgeglichen werden könnte.

7.   Durchführung der Bewertung

7.1

Dem von den Mitgliedstaaten gemäß den vorgenannten Grundsätzen eingeführten Bewertungssystem müssen regelmäßig auf nationaler bzw. lokaler Ebene von den Bewertungsinstanzen erstellte Berichte zugrunde liegen.

7.2

Auf Gemeinschaftsebene wird es darum gehen, die Modalitäten für Austausch, Gegenüberstellung, Vergleich und Koordinierung festzulegen. Somit wird es der Union obliegen, dem Konzept für eine unabhängige Bewertung neue Impulse zu verleihen, indem im Dialog mit den Vertretern der betroffenen Akteure und auf der Grundlage gemeinsamer Indikatoren unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und der Grundsätze, die im den reformierten Verträgen als Anhang beigefügten Protokoll aufgestellt wurden, eine europaweit harmonisierte Bewertungsmethodik sowie Wege zu ihrer Anwendung ausgearbeitet werden.

7.3

Damit die Bewertung sinnvoll und nützlich ist, muss ein pluralistischer Lenkungsausschuss eingesetzt werden, in dem alle betroffenen Parteien (Behörden, Sozialpartner, Betreiber, Regulierungsstellen, Nutzer — Einzelpersonen wie Unternehmen -- und Gewerkschaften) vertreten sind und der auf Gemeinschaftsebene aus Vertretern der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament, den Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bei der EU, dem Ausschuss der Regionen und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss bestehen könnte.

7.4

Aufgaben dieses Lenkungsausschuss wären:

die Bewertungsmethodik,

die Festlegung der Indikatoren,

die Ausarbeitung der Leistungsbeschreibungen für die durchzuführenden Studien,

die Vergabe dieser Studien auf der Grundlage mehrerer Gutachten,

die kritische Prüfung der Berichte,

die Empfehlungen

die Verbreitung der Ergebnisse.

7.5

Die Diskussionen mit allen betroffenen Parteien über die Bewertungsberichte könnten im Rahmen einer Jahreskonferenz zu den Leistungen der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nach dem Muster der seit einigen Jahren vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss veranstalteten Konferenzen zu den Netzindustrien oder am Rande des im Frühjahr stattfindenden Sozialgipfels geführt werden.

Brüssel, den 14. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2002) 331 endg., 18.6.2002, „Mitteilung der Kommission: Methodik der horizontalen Bewertung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“.

(2)  KOM(2004) 374 endg., 12.5.2004, „Mitteilung der Kommission: Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“.

(3)  KOM(2007) 725 endg., 20.11.2007. Mitteilung der Kommission: Begleitdokument zu der Mitteilung „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts“ — Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen: Europas neues Engagement.

(4)  Studie des CIRIEC/CEEP: „Les services d'intérêt économique général en Europe: régulation, financement, évaluation, bonnes pratiques“ (Die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in der EU: Regulierung, Finanzierung, Bewertung, vorbildliche Verfahrensweisen), http://www.ulg.ac.be/ciriec/intl_fr/research/publications.htm.


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschaft- und Sozialausschusses zu dem Thema „Förderung eines breiten Zugangs zur Europäischen Digitalen Bibliothek für alle Bürger“

(2008/C 162/11)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Förderung eines breiten Zugangs zur Europäischen Digitalen Bibliothek für alle Bürger“ (Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 23. Januar 2008 an. Berichterstatterin war Frau PICHENOT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 153 gegen 4 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Angesichts des näher rückenden Starts der „Europäischen Digitalen Bibliothek“ (EDB) (1) im Jahr 2008 möchte der Ausschuss mit dieser Stellungnahme seine Unterstützung für dieses Vorhaben, das kulturelle, wissenschaftliche und technische Erbe teilweise online verfügbar zu machen, sowie für die Arbeiten der europäischen Institutionen zur Einrichtung eines Internetportals für die breite Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen. Dieses Portal ist ein Werkzeug zur organisierten Wissensverbreitung im Digitalzeitalter.

1.2

Der Ausschuss anerkannt die gemeinsam von der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten unternommenen Anstrengungen und begrüßt die von der Konferenz der Europäischen Nationalbibliothekare (CENL) eingeleitete Koordinierung der Kultureinrichtungen zur Gründung einer Stiftung, in der alle Einrichtungen zusammengefasst sind, die ihre digitalisierten Bestände auf freiwilliger Basis zur Verfügung stellen wollen. Er fordert die Organisationen der Zivilgesellschaft auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene auf, sich an diesem umfassenden europäischen Vorhaben zu beteiligen, um die Bereitstellung sinnvoller Informationen für die Bürger zu gewährleisten.

1.3

Die Mitwirkung der Zivilgesellschaft bei der Entwicklung der EDB ist aus vier Hauptgründen entscheidend, die auch die Auseinandersetzung des Ausschusses mit diesem Thema rechtfertigen, und zwar:

Mitsprache bei der Festlegung zielführender Kriterien für die Auswahl der zu digitalisierenden Inhalte;

Unterstützung seitens der Öffentlichkeit für die Finanzierung;

Förderung von Teilhabe und Innovation aller Akteure der Buchkette sowie der weiteren Kultureinrichtungen;

Förderung der Eingliederung aller Bürger in die Informationsgesellschaft.

1.4

Der Ausschuss ist sich aller im Rahmen der verschiedenen Ratsvorsitze in den Mitgliedstaaten seitens der Europäischen Kommission unter Einbindung der betroffenen Akteure bereits durchgeführten Arbeiten bewusst. Er unterstützt den jüngst vorgelegten Bericht des Europäischen Parlaments (2), in dem die bisherigen Fortschritte und die nächsten Schritte klar verständlich zusammengefasst worden sind. Der Ausschuss möchte seinerseits in seiner Stellungnahme den Schwerpunkt auf den unerlässlichen Beitrag der Zivilgesellschaft und die Einbindung ihrer Akteure in Lancierung der EDB und ihre Weiterentwicklung legen. Ferner will er die Erwartungen und Anforderungen der Nutzer in den Mittelpunkt rücken, um das Ziel des Zugangs der breiten Öffentlichkeit zu dieser EDB zu erreichen.

1.4.1

Der Ausschuss fordert die Organisationen der Zivilgesellschaft auf,

sich in die an die EU-Bürger gerichtete Kommunikationskampagne einzubringen, die 2008 gestartet werden soll;

den Anregungen der Testnutzer in Bezug auf die Zweckmäßigkeit, Benutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit („eAccessibility“) für Menschen mit Behinderungen (3) des gemeinsamen Internetportals nachzugehen;

in Absprache mit den lokalen Bibliotheken eine breite Debatte über die Inhalte anzustoßen;

innerhalb der Informationsgesellschaft Überlegungen zur Anpassung des Rechtsrahmens an die Anforderungen der Digitalisierung des zeitgenössischen intellektuellen, künstlerischen und wissenschaftlichen Werke anzuregen.

1.4.2

Der Ausschuss empfiehlt den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission,

einen Lenkungsausschuss für das Vorhaben einzurichten, in dem ein Dialog mit der Zivilgesellschaft geführt wird;

sich auf einen Finanzbeitrag seitens der Mitgliedstaaten zu einigen, um bis 2010 die Digitalisierung im großem Maßstab unter Wahrung der Vielfalt der Quellen und Materialien voranzubringen;

die nationalen Digitalisierungspläne im Einklang mit einer europäischen Dokumentationscharta und mit Unterstützung der Kompetenzzentren und aufeinander abzustimmen;

ein umfangreiches EU-Programm zur Erforschung von Lösungen für technische Probleme im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit und Interoperabilität sowie mit Blick auf die Aufstellung gemeinsamer Leitlinien für die Sicherstellung der Barrierefreiheit („eAccessibility“) für Menschen mit Behinderungen auf den Weg zu bringen;

die Erwartungen, Bedürfnisse und Praktiken der Nutzer (insbesondere von Menschen mit Behinderungen) zu untersuchen und den Ausschuss in diese Untersuchungen einzubeziehen;

Schlussfolgerungen aus der Analyse der nationalen Vorgehensweisen in Bezug auf die in der Richtlinie 2001/29/EG (4) vorgesehenen Ausnahmebestimmungen für Menschen mit Behinderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten zu ziehen und die Suche nach Lösungen für das in Bezug auf verwaiste und vergriffene Werke, Dokumente, die nur mehr digitalen Ursprungs sind usw. bestehende Rechtsvakuum voranzutreiben.

1.4.3

Der Ausschuss legt den Wirtschaftsakteuren und Kultureinrichtungen nahe,

einen breiten Zugang zu zeitgenössischen digitalen Inhalten bzw. digitalen Inhalten neueren Datums zu fördern, die im Internetportal der EDB zur Verfügung stehen;

Modelle für die Online-Bereitstellung urheberrechtlich geschützter Werke als kostenpflichtiges Angebot zu erschwinglichen Preisen zu entwickeln;

an einer Digitalisierung ihrer Bestände im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften teilzunehmen;

sich dem Sponsoring zugunsten der Digitalisierung zu öffnen;

in den öffentlichen Präsenzbibliotheken den Zugriff auf entmaterialisierte Inhalte durch einen lokalen Zugang vor Ort oder über ein eigens dafür vorbehaltenes Intranet-Portal zu fördern.

2.   Aufbau der zukünftigen Europäischen Digitalen Bibliothek (EDB): mehr Informationen für die Bürger und stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft

2.1   Mehr Informationen für die Bürger über die künftige Europäische Digitale Bibliothek

2.1.1

Im Laufe des Jahres 2010 werden die EU-Bürger wie auch alle Bürger weltweit dank der Online-Verfügbarkeit des kulturellen Erbes in Europa, das in Bibliotheken, Archiven und Museen gepflegt wird, die Möglichkeit haben, sechs Millionen digitale Dokumente zu Freizeit-, Bildungs- und Forschungs- wie auch zu beruflichen Zwecken zu nutzen. Dieses quantitative Ziel ist die erste Etappe auf dem Weg hin zu einer Digitalisierung in großem Maßstab.

2.1.2

Dieses vorläufig „Europäische digitale Bibliothek“ (EDLnet) genannte Vorhaben wird der Einfachheit halber als „Bibliothek“ bezeichnet, obwohl die Europäische Kommission bereits in ihrer Mitteilung (5) einen breiteren Rahmen für die Digitalisierung festgelegt und alle Institutionen aufgefordert hat, zu diesem Vorhaben beizutragen. Dieses Vorhaben umfasst daher das gesamte kulturelle, wissenschaftliche und technische Wissen und jedwede Art von Dokument, d.h. Manuskripte, Bücher, Noten, Karten, Bild- und Tonaufnahmen, Zeitschriften, Fotos usw.

2.1.3

Nach Ansicht des Ausschusses und der Mitgliedstaaten, die dies in ihren einvernehmlichen Schlussfolgerungen der Ratstagung (Bildung, Jugend und Kultur) im November 2006 festgehalten haben, handelt es sich dabei um ein beispielloses Vorhaben, um die Teilhabe aller Bürger an der Informationsgesellschaft zu fördern und ihnen die europäische Identität zu erschließen.

2.1.4

Ferner wird mit diesem Vorhaben das Ziel verfolgt, die zukünftige EDB zu einem mehrsprachigen Zugangspunkt aufzubauen, der dank eines gemeinsamen Internetportals von allen Bürgern genutzt werden kann und nicht nur als Informationsquelle für Wissenschaft und Kunst dient. Im Hinblick darauf fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, die Bürger besser zu informieren, um von Anfang an deren Unterstützung für die digitale Bibliothek zu gewinnen, insbesondere durch die Auflage von Informationsbroschüren in allen Sprachen. Die europäischen Institutionen und Mitgliedstaaten sollten in einem Kommunikationsplan erfasst werden, der im November 2008 auf den Weg gebracht wird.

2.1.5

Die gigantische Digitalisierungswelle wird ein Markstein in der Geschichte der Menschheit. Daher sollte sich diese Debatte auch auf die Auswahl und die Organisation der Inhalte und des Wissens auf europäischer Ebene erstrecken. Nach Meinung des Ausschuss sollten in einer breit angelegten Debatte über die Bedingungen für die Digitalisierung in großem Maßstab die finanziellen, technischen und rechtlichen Aspekte aufgegriffen werden, die für die Schaffung einer für alle Bürger offenen Wissensgesellschaft erforderlich sind:

die für die Digitalisierung des öffentlichen Bereichs erforderlichen finanziellen Mittel; hierfür muss ein Gleichgewicht zwischen der Digitalisierung seltener oder gefährdeter Werke und der von der Öffentlichkeit erwarteten Massen-Digitalisierung gefunden werden;

die finanzielle Unterstützung der Verleger, die eine Digitalisierung ihres vorhandenen Bestandes vornehmen und dessen Online-Verbreitung zustimmen;

die finanzielle Beteilung von Privatpersonen und Sponsoren an der Digitalisierung und Verbreitung;

die Beibehaltung der Gültigkeit des Urheberrechts bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors;

die von Transparenz und Kollegialität gekennzeichnete Auswahl digitalisierbaren öffentlichen Kulturguts jeglicher Art (Dokumente, audiovisuelle Materialien, Museumsexponate, Archivgut usw.);

die Notwendigkeit der Erstellung einer „europäischen Dokumentationscharta“, in der alle wichtigen zu digitalisierenden Wissensbereiche erfasst sind; dem muss eine Bestandsaufnahme des bereits online zugänglichen digitalisierten Materials auf europäischer Ebene vorausgehen;

die Möglichkeit für die Autoren vergriffener Werke, für die keine Neuauflage vorgesehen ist, sich für eine digitale Veröffentlichung mit freizügiger Lizenz zu entscheiden (6);

die Schaffung einer interaktiven Datei, um die Suche nach den Rechtsinhabern eines als „verwaist“ eingestuften Werkes zu finden (7);

die Verarbeitung der wissenschaftlichen Informationen (8);

die Fragen im Zusammenhang mit der Barrierefreiheit des Internetportals und der digitalisierten Inhalte, um sie Menschen mit Behinderungen, insbesondere mit Sehbehinderungen, zugänglich zu machen.

2.2   Einbindung der Zivilgesellschaft in die europäische Kulturagenda im Zeitalter der Globalisierung

2.2.1

Allerdings ist dieses Vorhaben bislang ausschließlich Gegenstand von Expertendebatten geblieben; dies zeugt von der starken Mobilisierung der betroffenen Akteure (Kultureinrichtungen, Urheber, Verleger, Buchhändler usw.) und ihrer aktiven Teilnahme an der von der Europäischen Kommission eingerichteten hochrangigen Expertengruppe. Lediglich 7 % der Teilnehmer an der von der Europäischen Kommission 2005 eingeleiteten Konsultation zum Thema „i2010: Digitale Bibliotheken“ (9) waren Einzelpersonen und 14 % Hochschuleinrichtungen. Diese geringe Mitwirkung der breiten Öffentlichkeit ist keinesfalls verwunderlich, wenn man bedenkt, dass diese Debatte plötzlich wie aus dem Nichts nach der Ankündigung einer massiven Digitalisierung seitens Google entstanden ist und der Fragebogen rein auf jene wirtschaftlichen Interessengruppe ausgerichtet war, die von den Folgen einer Digitalisierung betroffen sind.

2.2.2

Die Alltäglichkeit des kostenlosen Informationszugangs, der jedoch über Werbeeinahmen finanziert wird, fördert die in der Öffentlichkeit herrschende Verwirrung über das Angebot jedweder digitaler Bibliothek. Die Zivilgesellschaft hat daher — insbesondere gegenüber den jungen Generationen — die weitreichende Verantwortung, sich an einer Informations- und Sensibilisierungskampagne hinsichtlich des Wertes des intellektuellen und künstlerischen Schaffens sowie der Notwendigkeit, die Achtung dieses Schaffen zu gewährleisten, zu beteiligen.

2.2.3

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Initiativen für eine bessere Einbindung der Zivilgesellschaft in die künftigen Entwicklungen auf dem Gebiet der Digitalisierung des Kulturerbes zu ergreifen. Die Mitwirkung der Organisationen der Zivilgesellschaft ist in vier Bereichen von entscheidender Bedeutung, und zwar bei der Festlegung gemeinsamer Kriterien für die Auswahl der Inhalte, bei der finanziellen Unterstützung des Vorhabens, bei der Ermutigung aller Teilnehmer zu innovativen Lösungsansätzen und bei der Förderung der Einbindung aller Bürger in die Informationsgesellschaft.

2.2.4

Der Ausschuss schlägt hierfür die Schaffung eines öffentlichen Diskussionsraums im März 2008 anlässlich der Lancierung des Prototyps vor, in dem Vereinigungen, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Familienverbände sowie wirtschaftliche und soziale Gruppen als Vertreter der künftigen Nutzer die Möglichkeit haben, ihre Meinung vorzubringen. Die Beiträge der Zivilgesellschaft werden sich in den verschiedenen Phasen nach dem Start des Projekts im November 2008 sowie in der späteren Weiterentwicklung als hilfreich erweisen.

2.2.5

Die Debatte sollte den Zeitplan (2007-2010) ergänzen, der in der Anlage der Schlussfolgerungen des Rates (Bildung, Jugend und Kultur) enthalten ist, und diesen über diesen Zeitraum hinaus zur Sicherstellung einer Weiterentwicklung der Digitalisierung und einer Diversifizierung der Nutzungsmöglichkeiten fortführen. Der Ausschuss nimmt mit Interesse die Aufforderung zur Zusammenarbeit mit der Plattform der Zivilgesellschaft für den interkulturellen Dialog zur Kenntnis, einer Stakeholder-Plattform rund um digitale Bibliotheken.

2.2.6

Nach dem Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs 2008 könnte die Debatte fortgesetzt werden und eine neue Konsultation im Jahr 2009 anstoßen. Auf diese Weise sollte es der Zivilgesellschaft möglich sein, bei der Festlegung der längerfristig geplanten Etappen unter Berücksichtigung der europäischen Kulturagenda im Globalisierungszeitalter mitzuwirken (10).

2.3   Förderung des Aufbaus der künftigen Bibliothek

2.3.1

Der Ausschuss unterstützt den in dem Bericht des Europäischen Parlaments (11) unterbreiteten Vorschlag, einen Lenkungsausschuss für die Europäische Digitale Bibliothek einzurichten, dem die im EDLnet vertretenen Kultureinrichtungen angehören sollen. Dieser Lenkungsausschuss soll insbesondere die Weiterverfolgung des Vorhabens und die Verzahnung mit den nationalen Digitalisierungsplänen gewährleisten. Er sollte einen nutzbringenden Dialog mit den repräsentativen Einrichtungen der Nutzer, namentlich dem EWSA, führen.

2.3.2

Der Ausschuss anerkennt die wichtige Rolle der Konferenz der Europäischen Nationalbibliothekare (CENL), um das Vorhaben auf der Grundlage einer internationalen Kodifizierungsnorm (bibliografischer Eintrag) voranzubringen, und die bei der Digitalisierung von schriftlichen Inhalten erzielten Fortschritte. Er fordert die einzelstaatlichen Kultureinrichtungen auf, sich sowohl auf regionaler wie auch nationaler und europäischer Ebene in die Koordinierung des EDLnet für die Sammlungen von Archiven, nationalen Museen und audiovisuellen Einrichtungen einzubringen, vor allem im Rahmen der im November 2007 geschaffenen Stiftung.

2.3.3

In Bezug auf diesen wichtigen Aspekt befürwortet der Ausschuss die Anwendung der Richtlinie 2001/29/EG zum Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, insbesondere in den Bereichen Vervielfältigung und Verbreitung von Werken. Im Digitalzeitalter fehlt es dieser Richtlinie allerdings an Bestimmungen in Bezug auf verwaiste Werke, die Modalitäten für die digitale Erhaltung, den Status von Werken, die rein digitalen Ursprungs sind (digital born) und Lösungen für vergriffene Werke, für die keine Neuauflage vorgesehen ist.

2.3.4

In dieser Richtlinie sind Ausnahmeregelungen vorgesehen, namentlich für die Vervielfältigungshandlungen von öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen oder von Archiven sowie für die Nutzung zugunsten von Menschen mit Behinderungen. Diese Ausnahmeregelungen sind allerdings nicht verbindlich, und ihre Umsetzung ist von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich.

2.3.5

Neben diesem rechtlichen Aspekt bestehen nach Ansicht des Ausschusses noch weitere Probleme technischer Natur, die zur Komplexität des Vorhabens beitragen. Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich die Bemühungen der Europäischen Kommission der letzten Jahre zur Lösung der technischen Probleme. Er unterstützt die im Siebten Forschungsrahmenprogramm eingeleiteten Initiativen und das Programm „eContentplus“, insbesondere die Forschungsarbeiten in den Bereichen Interoperabilität und Kompetenzzentren für die Digitalisierung. Interoperabilität und Mehrsprachigkeit (bzw. die Mechanismen, über die die Inhalte der Museen, Bibliotheken und Archive in einem gemeinsamen Internetportal zugänglich sein werden) sind zwei der wichtigsten Garanten für den Erfolgt der EDB.

2.3.6

Die Organisationen der Zivilgesellschaft auf nationaler und regionaler Ebene, insbesondere die nationalen Wirtschafts- und Sozialräte, sollten die in jedem Mitgliedstaat erforderlichen Investitionen für die Digitalisierung unterstützen, um die kritische Masse an Inhalten zu erreichen und ihre Vielfalt sicherzustellen. Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, dem Vorbild Litauens zu folgen, das mit Erfolg auch die Strukturfondsmittel zur Finanzierung eines Projekts herangezogen hat.

3.   Förderung eines breiten Zugangs zur EDB durch das Angebot organisierter Inhalte historischer und zeitgenössischer Art

3.1   Berücksichtigung der Erwartungen und Bedürfnisse der Nutzer (12)

3.1.1

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass das Potenzial dieses Schlüsselmoments der Digitalisierung gezielt für den sozialen und territorialen Zusammenhalt (13) genutzt werden muss. Der Ausschuss empfiehlt insbesondere, in Bezug auf das digitale Angebot und seine Zugangsmodalitäten die Erwartungen der verschiedenen Generationen zu berücksichtigen, um die Verknüpfungen und Übertragungen zu erleichtern. Ab dem Erwachsenenalter ist es sehr schwer, aus Menschen, die nie ein Buch zur Hand nehmen, begeisterte Leser zu machen. Die Herausforderung für die Wissensgesellschaft im Zusammenhang mit dem Zugang einer breiten Öffentlichkeit zu dieser digitalen Bibliothek liegt darin, diese Nicht- oder Gelegenheitsleser für ihre Nutzung zu gewinnen.

3.1.2

In Bezug auf das Konzept des lebenslangen Lernens (14) bietet die Digitalisierung kultureller Werke und insbesondere wissenschaftlicher Inhalte (15) ein erhebliches Potenzial für den Wissenszugang. In diesem Sinne muss u.a. die Lehreraus- und -weiterbildung (16) an diese Entwicklung angepasst werden, um dem neuen Rahmen der Wissensübermittlung gerecht zu werden.

3.1.3

Damit die EDB auch die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen kann, müssen die Erwartungen und Praktiken der Nutzer untersucht werden. Derzeit werden vorrangig Druckwerke behandelt (Manuskripte, Bücher, Zeitschriften oder Handbücher), für die drei wesentliche Nutzungszwecke ermittelt wurden: Volltextsuche, Online-Konsultation und Offline-Lektüre (persönliche virtuelle Bibliothek). Weitere neue Nutzungszwecke wie Kooperationswerkzeuge, Annotationsplattformen, hypertextuelle Anreicherung von Inhalten oder Multimedia-Unterstützung (Ton, Video, Animation) sollten getestet werden. Derartige neue Funktionen fördern nicht nur die Verbreitung, sondern zuallererst auch die Reflexion.

3.1.4

Für alle anderen Werke besteht seit 2007 das Internetportal Michael (ein mehrsprachiges Inventar des europäischen Kulturerbes), das Zugang zu den Internetportalen der bis dahin über ganz Europa verstreute digitale Museums-, Bibliotheks- und Archivbestände bietet. So werden nunmehr Beschreibungen der Bestände von zahlreichen Kultureinrichtungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zur Verfügung gestellt. Ursprünglich waren an dieser Initiative nur das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien beteiligt, doch sie wird demnächst auf elf weitere Mitgliedstaaten ausgeweitet und neue Dienste für den Kulturtourismus bieten. Dieses Portal ist Teil einer Stiftung, in der seit November 2007 alle an diesem Vorhaben beteiligten Kultureinrichtungen zusammenarbeiten.

3.1.5

Der Ausschuss schlägt die Einrichtung einer „Nutzungsbeobachtungsstelle“ zur Analyse der breiten Palette an Möglichkeiten und Verfahrensweisen vor. Die EDB ist nicht nur wegen ihres Inhaltsreichtums von Belang, sondern auch aufgrund der Verbreitung neuer Verfahren für den intellektuellen Austausch und der Eignung für Forschungsthemen. Der Ausschuss wäre daran interessiert, sich in die Tätigkeiten der Arbeitsgruppe „Users and usability“ (Nutzer und Benutzerfreundlichkeit) des EDLnet einzubringen.

3.2   Förderung einer integrativen digitalen Gesellschaft für alle, in der insbesondere Lösungen für Menschen mit Behinderungen geboten werden (17)

3.2.1

Im Einklang mit der in Riga anlässlich der Ministerkonferenz „IKT für eine integrative Gesellschaft“ im Juni 2006 verabschiedeten Erklärung darf die EDB keinesfalls dazu führen, dass die Diskrepanzen bei der Internetnutzung zwischen herkömmlichen Nutzern einerseits und älteren Menschen, Menschen mit Behinderungen sowie benachteiligten Bevölkerungsgruppen weiter zunehmen. In vor Kurzem verabschiedeten Sondierungsstellungnahmen hat der Ausschuss mögliche Maßnahmen für die Sicherstellung der eAccessibility dieser Bevölkerungsgruppen einschl. der Nutzung des europäischen Sozialfonds dargelegt.

3.2.2

Die Digitalisierung und Online-Zugänglichkeit von Dokumenten aus Bibliotheks-, Archiv- und Museumsbeständen in ganz Europa sind unvergleichbar wertvolle Mittel zur Einbindung von Menschen mit Behinderungen. Allerdings können ein kompliziertes Design, ein ungeeignetes Format oder unangemessene Schutzmaßnahmen ihren Zugang zu diesen Inhalten erschweren.

3.2.3

In der Richtlinie 2001/29/EG ist ausdrücklich festgehalten, dass Ausnahmen in Bezug auf das Urheberrecht für Menschen mit Behinderungen zulässig sind, und zwar für Menschen mit Sehbehinderungen, Blinde, Menschen mit körperlichen Behinderungen sowie Menschen mit geistigen Behinderungen.

3.2.4

Um den Zugang aller Bürger zu diesem Kulturerbe zu gewährleisten, müssen das Internetportal der künftigen EDB und die damit vernetzten nationalen Portale von Beginn an derart angelegt sein, dass Menschen mit Behinderungen mittels besonderer technischer Vorrichtungen auf diese Portale zugreifen können.

3.2.5

Auch wenn die Mechanismen zum Schutz vor Raubkopien von geübten Nutzern oftmals umgangen werden können, so sind sie für den herkömmlichen Nutzer doch durchaus eine Einschränkung. Daher empfiehlt der Ausschuss, dass den Aspekten der Barrierefreiheit und der Interoperabilität bei der Ausarbeitung von technologischen Schutzmaßnahmen von Anfang an Rechnung getragen wird, damit Menschen mit Behinderungen die für sie geschaffenen Lese-Hilfsmittel wie Synthesizer zur Sprachausgabe einsetzen können.

3.3   Ausweitung des bestehenden Inhalte-Angebots durch die Bereitstellung zeitgenössischer Dokumente oder Dokumente jüngeren Datums

3.3.1

Ab Herbst 2008 werden in dem Internetportal zwei Millionen gemeinfreie Werke, Fotografien oder Karten kostenlos online zum Herunterladen zur Verfügung stehen. Dies ist vor allem in Bezug auf seltene, wertvolle oder vergriffene Werke eine unersetzliche Hilfestellung. Der Zugang darf sich auf lange Sicht allerdings nicht auf das Angebot von Archivgut beschränken.

3.3.2

Mit der EDB wurde von Anfang an auch das Ziel verfolgt, den Nutzern zeitgenössische Werke oder Werke jüngeren Datums, die noch Urheberrechten unterliegen, über dasselbe Internetportal anzubieten wie gemeinfreie Werke bzw. Archivgut.

3.3.3

Die Europäische Kommission hat eine hochrangige Expertengruppe eingerichtet, um Lösungen für den Zugang zu Werken jüngeren Datums auszuarbeiten. Diese Gruppe, die sich aus Vertretern von Verlagen, Nationalbibliotheken und Archiven sowie audiovisueller Einrichtungen zusammensetzt, hat im April 2007 Vorschläge zur Erleichterung des Zugangs zu verwaisten oder vergriffenen Werken sowie der digitalen Bewahrung unterbreitet, um die urheberrechtsschutzbedingte mangelnde Präsenz des 20. und 21. Jahrhunderts (18) in Grenzen zu halten.

3.3.4

Für eine Digitalisierung in großem Maßstab mit Zugang für die breite Öffentlichkeit bedarf es eines neuen wirtschaftlichen Konzepts, in dem eine ausgewogene Verteilung zwischen Urhebern, Verlegern und Anbietern gewährleistet ist. Den Internetnutzern muss ein kostenpflichtiges Angebot, allerdings zu vernünftigen Tarifen, zugänglich gemacht werden. Der Ausschuss fordert die wirtschaftlichen Akteure der „Buchkette“ auf, konkret nach Lösungen zu suchen (19). Verleger, Autoren und Buchhändler haben gegenüber den Verbrauchern die Verantwortung, unter Wahrung der Standpunkte der verschiedenen Akteure für ein attraktives Angebot zu sorgen, um diesen neuen Markt anzukurbeln und der Gefahr von Raubkopien und Fälschungen vorzubeugen.

3.3.5

Die Expertengruppe schlägt vor, dass Nutzern in Bezug auf geschützte Werke im Einklang mit den Rechteinhabern die Möglichkeit eingeräumt wird, auf dem Internetportal auf Auszüge zuzugreifen bzw. sogar über spezialisierte Websites in dem Werk virtuell zu blättern. Für einen Zugang zu dem gesamten geschützten Dokument würden die Nutzer an die Websites privater Betreiber einschl. das Netz der traditionellen Bibliotheken weitergeleitet werden, auf denen ihnen zu einem erschwinglichen Preis unter Sicherung der Einnahmen der Rechteinhaber mehrere Optionen geboten würden. Die Rechteinhaber werden bestärkt, für derart innovative Lösungen zu optieren.

3.3.6

Zur Förderung eines derartigen kostenpflichtigen Angebots zu erschwinglichen Preisen müssen die Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Festlegung verringerter Mehrwertsteuersätze für Bücher und sonstige Veröffentlichungen auch auf Veröffentlichungen in elektronischem Format ausweiten.

3.3.7

In einer vor Kurzem verabschiedeten Stellungnahme (20) hat der Ausschuss zur Förderung von freizügigeren Lizenzen zur Bereicherung der verfügbaren zeitgenössischen Inhalte die Empfehlung ausgesprochen, einen angemessenen Schutz für Urheber/Kulturschaffende auf Gemeinschaftsebene sicherzustellen, die sich zu freizügigeren Lizenzen entschließen. Ihre Werke werden kostenlos zugänglich gemacht, doch müssen sie gleichzeitig auch über Garantien für den Schutz ihrer moralischen Rechte und vor einer missbräuchlichen kommerziellen Verwendung verfügen.

3.3.8

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, die Initiative zu ergreifen und neue Lizenzen auszuarbeiten, in denen die urheberrechtlichen Vergütungen für die digitale Verbreitung von den auf die Druckveröffentlichung erhobenen Abgaben abgekoppelt werden.

3.3.9

Im Jahr 2007 hat die Europäische Kommission eine detaillierte vergleichende Studie über die nationalen Rechtsvorschriften (21) erstellt, mit Schwerpunkt auf der Umsetzung der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte (22). Der Ausschuss wird den Schlussfolgerungen dieser Studie zur Verbesserung der Harmonisierung auf europäischer Ebene große Aufmerksamkeit widmen.

3.4   Notwendigkeit eines „organisierten Wissens“

3.4.1

Angesichts der Flut an Informationen über das Internet zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die nicht ausdrücklich referenziert sind und deren Authentifizierung mehr schlecht als recht sichergestellt wird, bezieht das europäische Vorhaben seine Überlegenheit aus der Auswahl der Inhalte mit Blick auf ihre Objektivität und Pluralität und aus der Organisation und der Sortierung des Wissens sowie der Normung der Formate im Interesse der Übersichtlichkeit. Die Genauigkeit, Qualität und Zweckdienlichkeit der Antworten auf die Fragen bzw. die Suche der Nutzer hängt von der Entwicklung der Suchmaschinen in Verbindung mit einer besseren Koordinierung des digitalisierten Wissens auf europäischer Ebene ab.

3.4.2

Nach Ansicht des Ausschusses sollte im Hinblick auf den Zugang zu organisierten Sammlungen die potenziellen Vorzüge des Prototyps, der im März 2007 in Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen in Frankreich, Ungarn und Portugal auf den Weg gebracht wurde, überprüft werden. Diese von Sachverständigen validierte europäische Matrix ist die Grundlage eines europäischen Digitalisierungskorpus, ein Beitrag auf dem Weg zur EGB. Darüber hinaus steht dieser Prototyp auch allen Suchmaschinen offen. Sie sollte die Suche anhand von Standardsuchformularen erleichtern, um die Anfrage des Nutzers klar zu formulieren und auszurichten.

3.5   Sicherstellung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt

3.5.1

Nach Ansicht des Ausschusses ist der vollkommen neue Ansatz der Einrichtung einer mehrsprachigen Bibliothek (23) im Internet ein grundlegendes Mittel für die Sicherstellung und Aufwertung der kulturellen Vielfalt. Europa, das über ein reichhaltiges und außergewöhnliches Kulturerbe und ein umfassendes Schaffen im Bereich Inhalte verfügt, muss einen entscheidenden Platz in der Digitalisierung von Wissen auf internationaler Ebene im Einklang mit der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt einnehmen. Aufgrund der weltweiten Verbreitung der europäischen Sprachen wird die Zugänglichkeit dieser Inhalte nicht nur den EU-Bürgern, sondern auch Bürgern außerhalb Europas zu Gute kommen, die Zugang zum Weltkulturerbe und zu ihren eigenen kulturellen Wurzeln in Europa suchen.

3.5.2

Der Ausschuss empfiehlt, dass die Mitgliedstaaten in der Weiterentwicklung der EDB nach 2010 eine Auswahl ihrer wichtigsten literarischen Werke in verschiedenen Sprachen zur Verfügung stellen, um an der Verbreitung einer europäischen kulturellen Identität mitzuwirken und der Anforderung der Vielfalt zu entsprechen.

4.   Förderung und Modernisierung der Rolle der öffentlichen Präsenzbibliotheken in einem System der Online-Zugänglichkeit

4.1

Zur Sicherstellung eines lokalen Zugangs zu einem globalisierten System empfiehlt der Ausschuss die Stärkung der Rolle der öffentlichen Präsenzbibliotheken. Die Verbreitung kultureller Güter hat eine globale und multimodale Dimension erreicht, die dann effizient ist, wenn die Öffentlichkeit über die Mittel für den Zugriff auf dieses erhebliche Angebot verfügt. Öffentliche Präsenzbibliotheken als bürgernahe Kultureinrichtungen sind nach wie vor ein Garant für einen angemessenen Zugang für die größtmögliche Zahl an Bürgern. Im Hinblick auf die soziale Eingliederung muss Leihbibliotheken auch weiterhin eine Aufgabe bei der Bereitstellung entmaterialisierter Inhalte zukommen.

4.2

In der Kette, die vom Autor über Buchhändler zum Leser führt, haben Leihbibliotheken und Mediatheken ihre Bedeutung bei der Weitergabe eines organisierten Wissens und für den Zugang aller zu kulturellen Erzeugnissen unter Beweis gestellt. Diese lokalen Einrichtungen müssen diese Aufgaben in Zukunft auch für entmaterialisierte Inhalte erfüllen können. Es wäre daher sinnvoll, spezifische Verträge und Lizenzen, die diesen Einrichtungen und ihrer Zweckbestimmung zur Verbreitung der Kultur in ausgewogener Weise zugute kommen, zu unterstützen (24).

4.3

Die Digitalisierung der gemeinfreien Materialien der nationalen Kultureinrichtungen muss in Zusammenarbeit mit den lokalen Bibliotheken und Archivzentren erfolgen. Bei den Nutzern von Leihbibliotheken handelt es sich um ein breit gefächertes Publikum, dessen Erwartungen und Vielfalt bei der Auswahl gemeinfreier Inhalte für die Digitalisierung Rechnung getragen werden muss.

4.4   Es müssen wirtschaftliche Konzepte für Ankauf und öffentliche Bereitstellung zeitgenössischer digitaler Werke entworfen werden.

4.4.1

Bibliotheken kaufen Materialien (Bücher, CD, Noten, Sprachlernmethoden usw.) und stellen sie ihren Nutzern kostenlos oder gegen eine geringe Gebühr für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung und verhindern so, dass die wirtschaftliche Dimension zu einem systematischen Hindernis für den Zugang zu diesen Materialien wird. Ein neues wirtschaftliches Konzept für entmaterialisierte Inhalte muss den Erwartungen der Bibliotheks- und Mediatheksnutzer Rechnung tragen und sich ihren Verfahrensweisen anpassen. Außerdem sind Leihbibliotheken selbst wichtige Käufer aktueller Inhalte, in enger Verbindung mit dem Tagesgeschehen und den jüngsten kulturellen und technischen Entwicklungen. Sie müssen in die Konzipierung dieses neuen wirtschaftlichen Konzepts eingebunden werden.

4.4.2

Die Verbreitung von entmaterialisierten Inhalten, insbesondere von digitalen Inhalten, darf daher keinesfalls Leihbibliotheken an der Wahrnehmung ihrer Bildungsaufgabe hindern. Die wirtschaftlichen und technischen Konzepte für die Verbreitung digitaler Inhalte müssen der Rolle und den Aufgaben von Leihbibliotheken Rechnung tragen und ihre weitere Wahrnehmung ermöglichen, und zwar im Rahmen des Intranet-Portals dieser Bibliotheken wie auch eines eingeschriebenen Nutzern vorbehaltenen Leihangebots.

4.5   Sicherstellung eines Vor-Ort-Zugangs zu den Diensten für die Nutzer

4.5.1

Im Rahmen dieses Intranet-Portals müssen Bibliotheken ihren Nutzern vor Ort in gleichem Maße Zugang zu den materiellen Sammlungen wie auch zu den entmaterialisierten Inhalten bieten können: über Computer, Drucker, Software, Breitbandanschlüsse, Information, Hilfe und Coaching. Bei der Aus- und Weiterbildung des Bibliothekspersonals sowie der Organisation ihrer Arbeit müssen nunmehr auch entmaterialisierte Inhalte einbezogen werden.

4.6   Demonstrationsveranstaltungen und Coaching-Maßnahmen für die breite Öffentlichkeit für den Zugang zu digitalisierten Sammlungen und entmaterialisierten Inhalten

4.6.1

Ohne Anleitung und Information ist die breite Öffentlichkeit eher geneigt, den Computer, mit dem immer mehr Haushalte ausgestattet sind, als Multimedia-Freizeitvergnügen anzusehen und dabei die über Internet zugänglichen kulturellen, erzieherischen, pädagogischen und informativen Ressourcen zu übersehen. So wie Leihbibliotheken durch geeignete Veranstaltungen aktiv als Mittler zwischen allen Altersgruppen und Büchern bzw. Lektüre fungieren, müssen sie über entsprechende Veranstaltungen und Anleitungen diese Mittlerrolle auch für entmaterialisierte Inhalte übernehmen.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Europäische Digitale Bibliothek (EDB) ist die provisorische Bezeichnung des europäischen Projekts zur Digitalisierung von Dokumenten aus Beständen von Museen, Archiven, audiovisuellen Einrichtungen, Bibliotheken usw.

(2)  Bericht des Europäischen Parlaments über „i2010: Auf dem Weg zu einer Europäischen Digitalen Bibliothek“ (2006/2040(INI), Berichterstatterin: Marie-Hélène Descamps, MdEP, Juli 2007).

(3)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Künftige Rechtsvorschriften zur eAccessibility“ (Berichterstatter: Herr Hernández Bataller), ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 91; Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen“ (Berichterstatter: Herr Joost), ABl. C 93 vom 27.4.2007, S. 32.

(4)  Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 167 vom 22.6.2001, S. 10.

(5)  Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 30. September 2005: „i2010: Digitale Bibliotheken“ (KOM(2005) 465 endg.).

(6)  Siehe z.B. Creative Commons (www.creativecommons.org).

(7)  Bericht der hochrangigen Expertengruppe über digitale Bewahrung, verwaiste und vergriffene Werke — Ausgewählte Fragen der Implementierung (18. April 2007).

(8)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vom 14. Februar 2007 über wissenschaftliche Informationen im Digitalzeitalter: Zugang, Verbreitung und Bewahrung (KOM (2007) 56 endg.).

(9)  Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 30. September 2005: „i2010: Digitale Bibliotheken“ (KOM(2005) 465 endg.).

(10)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 10. Mai 2007 über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung (KOM(2007) 242 endg.).

(11)  Bericht des Europäischen Parlaments über „i2010: Auf dem Weg zu einer Europäischen Digitalen Bibliothek“ (2006/2040(INI), Berichterstatterin: Marie-Hélène Descamps, MdEP, Juli 2007).

(12)  Der Nutzer ist nicht einfach nur ein passiver Verbraucher, sondern vielmehr ein aktiver Anwender, der eine Rolle bei der Festlegung des von ihm gewünschten Dienstes und seiner Bewertung übernimmt.

(13)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Künftige Rechtsvorschriften zur eAccessibility“ (Berichterstatter: Herr Hernández Bataller), ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 91.

(14)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen (Berichterstatterin: Frau Herczog), ABl. C 195 vom 18.8.2006, S. 109.

(15)  Schlussfolgerungen des Rates (Wettbewerbsfähigkeit) über wissenschaftliche Informationen im Digitalzeitalter.

(16)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 16. Januar 2008 zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Verbesserung der Qualität der Lehrerbildung (Berichterstatter: Herr Soares) (CESE 75/2008).

(17)  Sensibilisierungskampagne der Europäischen Kommission für 2008 „Die Informationsgesellschaft geht alle an!“ zur Eingliederung in die Informationsgesellschaft, die dem Rat vorgelegt wurde.

(18)  Siehe Rede von Kommissionsmitglied Vivianne Reding auf der EWSA-Plenartagung am 12. Dezember 2007.

(19)  Siehe Denis Zwirn, Numilog.com (April 2007): Studie im Hinblick auf die Ausarbeitung eines Wirtschaftsmodells für die Teilnahme von Verlegern an der Europäischen Digitalen Bibliothek.

(20)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (kodifizierte Fassung)“, ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 7.

(21)  Studie über die Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft in nationales Recht und ihre Auswirkungen (ETD/2005/IM/D1/91).

(22)  Die Gültigkeit des Urheberrechts wurde auf bis 70 Jahre und der verwandten Schutzrechte auf bis 50 Jahre nach dem Tod des Autors festgesetzt.

(23)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit“, ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 68.

(24)  Erwägungsgrund 40 der Richtlinie 2001/29/EG zum Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft.


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/52


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Energiemix im Verkehrsbereich“

(2008/C 162/12)

Mit Schreiben vom 19. März 2007 ersuchte die Europäische Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgendem Thema:

„Energiemix im Verkehrsbereich“ (Sondierungsstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 18. Dezember 2007 an. Berichterstatter war Herr IOZIA.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 130 gegen 11 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA leistet dem Ersuchen des Vizepräsidenten der Kommission und für Verkehr zuständigen Kommissionsmitglieds Jacques BARROT, eine Stellungnahme zum Thema „Energiemix im Verkehrsbereich“ eine Stellungnahme zu erarbeiten, gerne Folge, da er davon überzeugt ist, dass ein ständiger Dialog zwischen der Kommission und dem die organisierte Zivilgesellschaft vertretenden Ausschuss aufgebaut werden sollte.

1.2

Der EWSA stimmt den Schlussfolgerungen der Frühjahrstagung des Europäischen Rates zu, der folgende Prioritäten hervorhob:

Steigerung der Versorgungssicherheit,

Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Verfügbarkeit von Energie zu erschwinglichen Preisen,

Förderung der Umweltverträglichkeit und Bekämpfung des Klimawandels.

1.3

Daher müssen politische Leitlinien für den am besten geeigneten Energiemix an diesen Prioritäten ausgerichtet werden, wie es die Kommission im Übrigen bereits in ihrer Mitteilung über die für den Zeitraum 2001-2020 im Bereich Brennstoff gesetzten Ziele getan hat.

1.4

Zwar ist der EWSA der Ansicht, dass Erdöl noch viele Jahre lang der wichtigste Kraftstoff im Verkehrssektor sein wird und Erdgas — ebenfalls ein nicht erneuerbarer Energieträger — die erdölbasierten Kraftstoffe flankieren und teilweise ersetzen können wird, er hält es aber für unerlässlich, die für die Forschung im Bereich der Herstellung und Verwendung von Wasserstoff und Biokraftstoffen der zweiten Generation bereitgestellten Mittel deutlich zu erhöhen. In diesem Zusammenhang begrüßt er, dass die Kommission am 9. Oktober 2007 beschlossen hat, für den Zeitraum 2007-2013 eine gemeinsame Technologieinitiative in Höhe von 1 Mrd. EUR zu finanzieren, und schließt sich den an den Rat und das Parlament gerichteten Forderungen der Unternehmen und Forschungszentren, die sich mit der Entwicklung der Nutzung von Wasserstoff beschäftigen, nach einer beschleunigten Verabschiedung des Vorschlags an.

1.5

Die wachsende Besorgnis der Öffentlichkeit über den Klimawandel und die Risiken, die mit dem Anstieg der Durchschnittstemperatur auf der Erde einhergehen — die um 2oC bis 6,3oC ansteigen könnte, wenn nicht spezifische Gegenmaßnahmen ergriffen werden — geben Anlass, alle Instrumente zu verstärken, mit denen die negativen Auswirkungen der Freisetzung von Treibhausgasen bekämpft werden können. Der EWSA begrüßt die Arbeit der Europäischen Umweltagentur (EUA) und ihren großen Beitrag zur Verbreitung von Daten, die für die Bekämpfung der Luftverschmutzung von Bedeutung sind.

1.6

Der EWSA pflichtet den Schlussfolgerungen des Umweltrates vom 28. Juni 2007 bei und befürwortet den Vorschlag der Kommission, das sechste Umweltaktionsprogramm anhand der aufgezeigten Prioritäten zu überarbeiten.

Bekämpfung des Klimawandels,

Eindämmung des Verlustes der biologischen Vielfalt,

Reduzierung der negativen Auswirkungen der Umweltverschmutzung auf die Gesundheit,

Förderung der nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen und der nachhaltigen Bewirtschaftung der Abfälle.

1.7

In sämtlichen Bereichen des Verkehrssektors werden geeignete Lösungen für die Verwirklichung dieser Ziele geprüft, und die wichtigsten europäischen Agenturen richten ihre Bemühungen darauf aus, in wenigen Jahren konkrete Ergebnisse zu erzielen. Die Entscheidung, das System der Emissionszertifikate auf den Luftverkehr anzuwenden, der in zunehmendem Maße zur Erzeugung von Treibhausgasen beiträgt, wird eine beschleunigte Entwicklung neuer Treibstoffe ermöglichen. Einige Unternehmen untersuchen bereits die Möglichkeit, Biokraftstoffe einzusetzen, während die beim Wasserstoff erzielten Ergebnisse zurzeit noch äußerst lückenhaft sind und hinsichtlich der Alternativlösungen auf Wasserstoffbasis noch viel zu tun bleibt. Die großen Schiffsmotoren lassen sich leichter für gemischte Brennstoffe mit geringerem Kohlenstoffgehalt umrüsten, während sich beim Schienenverkehr dank der Kombination von Elektrizität mit der Entwicklung der erneuerbaren Energieträger die bereits hervorragende Umweltleistung der Eisenbahn sicher noch steigern lässt.

1.8

Der beste Kraftstoff ist der, der eingespart wird. Der EWSA ist der Ansicht, dass bei der mit Entschiedenheit zu treffenden Wahl des am besten geeigneten Energiemixes — einer Wahl, die immer mehr in den Rang einer Gemeinschaftspolitik erhoben werden sollte — all diesen Faktoren Rechnung getragen werden muss, wobei eindeutig Gesundheit und Wohlergehen der europäischen Bürger und des Planeten Erde an erster Stelle stehen sollten. Diese Priorität muss bei der Gestaltung der Steuerpolitik, Schaffung von Anreizen, Aussprechung von Empfehlungen oder Aufstellung von Vorschriften stets berücksichtigt werden, indem die umweltfreundlichste und ökologisch nachhaltigste Wahl getroffen wird. Die Energieeinsparung muss zugunsten des öffentlichen Verkehrs, der alternativen Verkehrsträger und einer Wirtschafts- und Sozialpolitik erfolgen, die die Mobilität des Einzelnen erhöht und unnötige Güterbewegungen reduziert.

1.9

Der EWSA ist überzeugt, dass die Zukunft des Verkehrs in der progressiven Senkung des Kohlenstoffanteils der Treibstoffe liegt, und künftig eine Nullemission erreicht werden muss. Die Herstellung von H2 unter Verwendung erneuerbarer Energieträger wie Biomasse, Photolyse, thermodynamischer oder photovoltaischer Sonnenenergie, Wind- oder Wasserkraft ist die einzige in ökologischer Hinsicht realistische Möglichkeit, denn mit Wasserstoff als Energiespeicherelement können das von Natur aus zyklische Energieangebot (Nacht/Tag, Jahreszyklus usw.) und die variable und davon entkoppelte Energienachfrage miteinander in Einklang gebracht werden.

1.10

Die Entwicklung der Verbrennungs- und Antriebstechnik hat eine schnelle Verbreitung von Fahrzeugen mit Hybridantrieb ermöglicht. Der rein elektrische Antrieb scheint die am besten geeignete Lösung zur Eindämmung der Emissionen zu sein, wobei die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern oder der Hybrideinsatz von Erdgas und Wasserstoff — zumindest solange sie in großen Mengen zur Verfügung stehen — entwickelt werden sollte. Eine weitere Zwischenlösung ist der Einsatz eines Wasserstoff-Methan-Gemisches mit niedrigem Wasserstoffanteil. Diese Methode stellt einen ersten Schritt zur Nutzung von Wasserstoff für Mobilitätszwecke dar.

1.11

Die Nutzung von Wasserstoff als für Verkehrszwecke angepasster Energieträger stellt trotz der bislang aufgezeigten Grenzen die Herausforderung der Zukunft dar und in relativ kurzer Zeit könnte der Anblick von teilweise oder ganz mit Wasserstoff betriebenen Fahrzeugen auf unseren Straßen Realität werden. In diesem Zusammenhang erscheinen die Ergebnisse des Projekts CUTE (Clean Urban Transport for Europe) ermutigend.

1.12

Wie er bereits in Bezug auf die Energieeffizienz festgestellt hat, hält es der EWSA für äußerst sinnvoll, ein Webportal einzurichten, über das die an den Hochschulen betriebene Forschung und die auf nationaler Ebene, in den Regionen und in den Städten durchgeführten Experimente einem breiteren Publikum, insbesondere den lokalen Gebietskörperschaften, bekannt gemacht werden könnten. Der EWSA ist der Auffassung, dass für einen optimalen Energiemix ein entsprechender Verkehrsträgermix erforderlich ist, was überdies eine Steigerung der Effizienz der Kohlenwasserstoffe und der Prioritätensetzung im Verkehrsbereich impliziert. In Erwartung einer zuverlässigen und effizienten Wasserstofferzeugung ist der Einsatz von aus erneuerbaren Energieträgern gewonnener Elektrizität unaufschiebbar. Die Herausforderung im Verkehrswesen liegt auf kurze Sicht darin, verstärkt auf Elektrizität zurückzugreifen, wenn immer dies möglich ist.

1.13

Der EWSA betont, wie wichtig die Sensibilisierung und Einbeziehung der Zivilgesellschaft ist, die durch ihr Verhalten zur Verwirklichung der Ziele eines geringeren Verbrauchs und der Förderung von Forschung und Innovation im Bereich umweltfreundlichere und ökologisch nachhaltigere Kraftstoffe beitragen. Die entsprechenden politischen Entscheidungen müssen Eingang in die europäische und nationale Politik finden, wobei der Mehrwert von Zusammenarbeit und Zusammenhalt der Mitgliedstaaten hervorgehoben werden sollte. Dies schließt die Verteidigung gemeinsamer Werte und des europäischen Sozialmodells ein, das für den Erhalt unserer Naturschätze und den Schutz von Gesundheit und Sicherheit der EU-Bürger und der in der Union lebenden und arbeitenden Menschen sorgt und in dessen Mittelpunkt die Lebensbedingungen der gesamten Menschheit stehen.

2.   Einleitung

2.1

Jacques BARROT, Vizepräsident der Kommission und für Verkehr zuständiges Kommissionsmitglied, hat den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Erarbeitung einer Stellungnahme zum Thema Energiemix im Verkehrsbereich ersucht.

2.2

Der Ausschuss teilt die Besorgnis des für Verkehr zuständigen Kommissars über die Kraftstoffversorgung und hält es ebenfalls für erforderlich, unverzüglich Analysen und Studien in Bezug auf mögliche Lösungen zur Entwicklung der Verkehrspolitik und im Hinblick auf die Notwendigkeit der Versorgung mit den entsprechenden Kraftstoffen durchzuführen.

2.3

Die Entscheidungen, die in Bezug auf die Energieeffizienz zu treffen sind, und die Herausforderungen, die sich in diesem Zusammenhang der Union in Bezug auf die vollständige Erfüllung der Ziele des Kyoto-Protokolls, den zu beobachtenden Klimawandel, die Reduzierung der Abhängigkeit von Drittstaaten bei der Energieversorgung, die bei der Lissabon-Agenda getroffenen Entscheidungen und die Verwirklichung der im Verkehrsweißbuch und für die Entwicklung der Komodalität gesetzten Ziele stellen, verleihen dieser Frage eine zentrale Bedeutung bei der Energiestrategie der Union.

2.4

Bereits im Jahr 2001 hat die Kommission in ihrer Mitteilung über die für den Zeitraum 2001-2020 im Bereich Kraftstoffe gesetzten Ziele auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich der Frage der Kraftstoffmischung zu stellen, und mehrere Ziele für nicht auf Erdöl basierende Kraftstoffe aufgestellt, wobei sie folgendes Szenario für möglich und kompatibel erachtet:

der Marktanteil von Erdgas könnte bis 2020 um ca. 10 % ansteigen;

Wasserstoff ist der wichtigste potenzielle Energieträger der Zukunft; der Beitrag von Wasserstoff zum Kraftstoffverbrauch könnte einen geringen Prozentsatz erreichen;

mit den BtL-Kraftstoffen (Biomass to liquid — Umwandlung von Biomasse in flüssige Biokraftstoffe) könnte der den Biokraftstoffen zugewiesene Anteil mehr als erreicht werden, d.h. mehr als 6 % bis 2010, wobei der potenzielle Gesamtanteil der aus Biomasse hergestellten Kraftstoffe schätzungsweise etwa 15 % beträgt;

Flüssiggas (Liquified Petroleum Gas, LPG) ist ein bewährter Alternativkraftstoff für Kraftfahrzeuge; Ziel ist ein Anstieg seines Marktanteils von möglicherweise bis zu 5 % bis 2020;

kurz gesagt, die Alternativkraftstoffe besitzen das Potenzial, in den kommenden Jahrzehnten ihren Marktanteil zu verbessern und langfristig die für 2020 gesetzten Ziele zu übertreffen.

2.5

Der EWSA begrüßte diese Mitteilung und hob in einer Initiativstellungnahme (1) die Entwicklung der Verwendung von Erdgas (2), die Erforschung der Biokraftstoffe und die Verbesserung der Energieeffizienz der im Handel befindlichen Kraftstoffe als die Lösung hervor, auf die gesetzt werden muss, um die Versorgung zu diversifizieren und gleichzeitig die Treibhausgasemissionen zu senken.

3.   Der Klimawandel

3.1

Immer mehr Wissenschaftler gehen heutzutage darin überein, dass das Klima unmittelbar von den Treibhausgasemissionen beeinflusst wird. Im Laufe des 20. Jahrhunderts ist die Durchschnittstemperatur um ca. 1oC gestiegen. Einigen auf aktuelle Klimamodelle mit Entwicklungstendenzen der weltweiten Treibhausgasemissionen gestützten Szenarien zufolge könnte die Durchschnittstemperatur weltweit um 2oC bis 6,3oC steigen, was mit verheerenden Folgen für das Wetter, den Meeresspiegel, die landwirtschaftliche Produktion und andere wirtschaftliche Aktivitäten einherginge.

3.2

Der Umweltrat, der am 28. Juni 2007 in Luxemburg tagte, bekräftigte die Sachdienlichkeit des sechsten Umweltaktionsprogramms und der von der Kommission vorgeschlagenen Halbzeitüberprüfung, wobei er die vier darin enthaltenen Prioritäten herausstellte: Bekämpfung des Klimawandels, Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt, Reduzierung der negativen Auswirkungen der Umweltverschmutzung auf die Gesundheit, Förderung einer nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen und nachhaltige Abfallbewirtschaftung.

3.3

Der Umweltrat bestätigte die Strategie einer integrierten Umwelt- und Energiepolitik und verweist darauf, dass Verhandlungen über ein weltweites Abkommen für die Zeit nach 2012 aufgenommen werden müssen, die bis spätestens 2009 abgeschlossen werden sollten. Laut einer Erklärung, die der Präsident des Europäischen Rates, José Socrates, auf dem hochrangigen Treffen am 27. September in New York abgegeben hat, ist die UNO-Konferenz in Bali (3) über den Klimawandel „das geeignete Forum, um über künftige Maßnahmen zu verhandeln. In diesem Zusammenhang wird der Gipfel in Bali ein Meilenstein sein, von dem wir erwarten, dass die internationale Gemeinschaft einen ehrgeizigen Fahrplan für die Verhandlung eines weltweiten Abkommens über den Klimawandel aufstellt.“ Die Anwesenheit der Vereinigten Staaten, die ihre Vorbehalte hinsichtlich ihrer Teilnahme erst Mitte Oktober überwinden konnten, und ihre Zustimmung zur Schlusserklärung hat in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen Macht und der Verantwortung, die sie bei der Freisetzung von Treibhausgasen trägt, den getroffenen Entscheidungen deutlich mehr Gewicht verliehen.

3.4

Der Umweltrat betonte, wie wichtig es ist, die Umweltkosten gemeinsam mit den Kosten des Energieverbrauchs zu internalisieren, um nachhaltige und langfristige Maßnahmen in Angriff zu nehmen. Ebenso wichtig ist es, verstärkt marktwirtschaftliche Instrumente in der Umweltpolitik, wie Steuern, Abgaben oder Emissionszertifikate, zu nutzen, um so einen Beitrag zur Verbesserung der Umwelt zu leisten. Die Ökoinnovation sollte rasch und in großem Umfang in die zu sämtlichen relevanten EU-Politiken durchgeführte Folgenabschätzung Eingang finden, und die wirtschaftlichen Instrumente sollten auf einer breiteren Basis und wirksamer eingesetzt werden, insbesondere in Bezug auf den Kraftstoff- und Energieverbrauch.

3.5

Die Kommission hat am 29. Juni 2007 das Grünbuch über die Anpassung an den Klimawandel vorgelegt. Bei der Vorstellung dieses Grünbuchs hat das für Umwelt zuständige Kommissionsmitglied Stavros DIMAS konkrete und sofortige Maßnahmen zur Anpassung an die sich bereits vollziehenden Veränderungen vorgeschlagen. Steigende Temperaturen, Überschwemmungen und extreme Niederschläge im Norden, Trockenheit und Hitzewellen im Süden, bedrohte Ökosysteme und neue Krankheiten sind nur einige der Probleme, die in dem Dokument beschrieben werden.

3.6

„Sich anpassen oder untergehen: dies ist das Los einiger Sektoren in Europa“, so Stavros DIMAS. „Die Landwirtschaft, der Tourismus und der Energiesektor werden verheerende Schäden erleiden, und es gilt, jetzt zu handeln, um die damit einhergehenden künftigen wirtschaftlichen, sozialen und menschlichen Kosten zu reduzieren.“

3.7

In dem Dokument werden einige konkrete Lösungen vorgeschlagen: weniger Wasserverschwendung, Bau von Deichen und Schutzvorrichtungen gegen Hochwasser, Entwicklung neuer Techniken zum Schutz der Ernte, Schutz der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen und Ergreifen von Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt. Die Reduzierung der CO2-Emissionen bleibt jedoch für alle EU-Mitgliedstaaten das wichtigste Ziel.

4.   Der Europäische Rat

4.1

Der Europäische Rat hat sich auf seiner Frühjahrstagung im Jahr 2007 mit den Themen Energie und Klima beschäftigt und „eine integrierte Klima- und Energiepolitik“ vorgeschlagen, die er als absolute Priorität einstufte, wobei er „das strategische Ziel, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf höchstens 2oC gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen“, betonte.

4.2

Mit der Energiepolitik für Europa wird eine klare Strategie verfolgt, die sich auf drei Pfeiler stützt:

Steigerung der Versorgungssicherheit,

Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Verfügbarkeit von Energie zu erschwinglichen Preisen,

Förderung der Umweltverträglichkeit und Bekämpfung des Klimawandels.

4.3

Was die Verkehrspolitik anbelangt, heißt es: „Der Europäische Rat unterstreicht, dass es einer effizienten, sicheren und nachhaltigen europäischen Verkehrspolitik bedarf. In diesem Zusammenhang sind weitere Maßnahmen erforderlich, um das europäische Verkehrssystem umweltverträglicher zu gestalten. Der Europäische Rat nimmt die laufenden Arbeiten der Europäischen Kommission zur Bewertung der externen Kosten des Verkehrs und zur Frage ihrer Internalisierung zur Kenntnis.“ Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung am 21./22. Juni die Absicht der Kommission zur Kenntnis genommen, bis Juni 2008 ein Modell zur Bewertung der Internalisierung der externen Kosten sämtlicher Verkehrsträger und zur Darstellung neuer, im Einklang mit der Richtlinie über die Eurovignette stehender Maßnahmen vorzulegen, dergestalt, dass beispielsweise der Anwendungsbereich auf städtische Gebiete ausgedehnt wird und auf alle Fahrzeug- oder Infrastrukturarten Entgelte erhoben werden.

5.   Die Treibhausgasemissionen

5.1

Hinsichtlich der Emissionen entfallen auf den Verkehrssektor derzeit 32 % des Gesamtenergieverbrauchs in Europa und 28 % des Gesamtvolumens der CO2-Emissionen (4). Er wird dafür verantwortlich gemacht, dass im Zeitraum von 1990 bis 2010 die Emissionen um 90 % ansteigen werden und könnte einer der Hauptgründe dafür sein, dass die Ziele von Kyoto nicht erreicht werden. Beim Straßenpersonenverkehr wird eine Zunahme um 19 % angenommen, während die Emissionen beim Straßengüterverkehr Schätzungen der Kommission zufolge um mehr als 50 % ansteigen werden.

5.2

Ein weiterer, ein exponentielles Wachstum aufweisender Sektor ist der Luftverkehr, dessen Emissionen im Zeitraum von 1990 bis 2004 um 86 % zugenommen haben und der derzeit für mehr als 2 % der weltweiten Emissionen verantwortlich ist.

5.3

In dem Bericht TERM 2006 (Transport and Environment Reporting MechanismMechanismus für die Berichterstattung über Verkehr und Umwelt) (5) wird die Ansicht geäußert, dass die im Jahr 2006 im Verkehrssektor erzielten Fortschritte noch unbefriedigend sind. In dem Bericht wird die Halbzeitüberprüfung des Verkehrsweißbuchs 2001 untersucht, die positive oder negative Ergebnisse bringen könnte, je nachdem, wie seine Anwendung auf nationaler und regionaler Ebene ausgelegt wird. Aus ökologischer Sicht wird laut der EUA bei der Überprüfung der Schwerpunkt von der Steuerung der Verkehrsnachfrage auf die Mäßigung der gegenwärtigen negativen Auswirkungen verlagert, d.h. der Anstieg der Verkehrsnachfrage wird nicht mehr als eines der wichtigsten Umweltthemen des Verkehrssektors angesehen. Schlüsselfragen wie Klimawandel, Lärmemissionen und Landschaftszerstückelung aufgrund übermäßiger Verkehrsinfrastruktur machen nach wie vor eine Steuerung der Verkehrsnachfrage erforderlich. Das Weißbuch scheint hinsichtlich dieses Ziels gescheitert zu sein.

5.4

Ein weiterer bedeutender Aspekt, der in dem Bericht hervorgehoben wird, sind die Beihilfen im Verkehrssektor, die sich in der EU auf 270 bis 290 Mrd. EUR belaufen. Nahezu die Hälfte dieses Betrags ist für den Straßenverkehr bestimmt, einen der am wenigsten umweltfreundlichen Verkehrsträger. Obwohl der Verkehr eine der Ursachen für zahlreiche Umweltprobleme wie Klimawandel, Luftbelastung und Lärm ist, wird er durch beachtliche Beihilfen gefördert. Der Straßenverkehr erhält 125 Mrd. EUR pro Jahr, zum größten Teil in Form von Infrastrukturbeihilfen, wenn man davon ausgeht, dass die auf den Straßenverkehr erhobenen Steuern und Entgelte nicht als Beiträge zur Finanzierung der Infrastruktur betrachtet werden. Der Luftverkehr, bei dem es sich um den Verkehrsträger mit der größten spezifischen Klimaauswirkung handelt, wird durch umfassende Beihilfen in Form steuerlicher Vergünstigungen, insbesondere der Mehrwertsteuer- und Kraftstoffsteuerbefreiung, in Höhe von insgesamt 27 bis 35 Mrd. EUR pro Jahr gefördert. Der Schienenverkehr wird mit 73 Mrd. EUR pro Jahr subventioniert und ist der größte Empfänger sonstiger in den Haushalt eingestellter Beihilfen. Hinsichtlich des Binnenschiffverkehrs wird in dem Bericht von Beihilfen in Höhe von 14 bis 30 Mrd. EUR gesprochen (Bericht der EUA Size, structure and distribution of transport subsidies in Europe (Umfang, Struktur und Verteilung der Verkehrsbeihilfen in Europa), nicht auf Deutsch verfügbar).

5.5

In dem Jährlichen Treibhausgasinventar der Europäischen Gemeinschaft 1990-2005 und Inventarbericht 2007 wird Folgendes hervorgehoben:

die Treibhausgasemissionen sind in der EU-15 im Zeitraum 2004-2005 um 0,8 % (35,2 Mio. Tonnen CO2eq) zurückgegangen;

die Treibhausgasemissionen sind in der EU-15 im Jahr 2005 im Vergleich zu den Bezugsjahren des Kyoto-Protokolls um 2,0 % gesunken;

im Zeitraum 1990-2005 war in der EU-15 ein Rückgang der Treibhausgasemissionen von 1,5 % zu verzeichnen;

in der EU-27 sind die Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2004-2005 um 0,7 % (37,9 Mio. Tonnen CO2eq) zurückgegangen;

gegenüber dem Stand von 1990 sind die Treibhausgasemissionen in der EU-27 um 7,9 % gesunken.

Die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs sind im Zeitraum 2004-2005 um 0,8 % (6 Mio. Tonnen CO2eq) zurückgegangen;

6.   Die Sicherheit der Primärenergieversorgung

6.1

Die Europäische Union ist zu mehr als 50 % auf Energieeinfuhren angewiesen (davon macht das Erdöl 91 % aus) und wenn diese Tendenz nicht radikal umgekehrt wird, wird diese Abhängigkeit bis zum Jahr 2030 bis auf 73 % ansteigen. Mit dieser wesentlichen Frage haben sich der Rat und mehrmals das Europäische Parlament sowie die Kommission selbst beschäftigt und die Notwendigkeit festgestellt, dass politische Maßnahmen erforderlich sind, die auf einen größtmöglichen Selbstversorgungsgrad im Energiebereich abheben.

6.2

In dem Bericht über die makroökonomischen Auswirkungen des Anstiegs der Energiepreise  (6) vom 15. Februar 2007 hat das Europäische Parlament festgestellt, dass mehr als 56 % des gesamten Erdölverbrauchs auf den Verkehrssektor entfallen, und sich für eine EU-Strategie für einen vollständigen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ausgesprochen und argumentierte, dass „die Kraftstoffversorgung durch eine Unterstützung der Produktion unkonventioneller Ölkraftstoffe und flüssiger Kraftstoffe auf der Grundlage von Naturgas oder Kohle ausgeweitet werden könnte“, sofern dies wirtschaftlich vertretbar ist. Das Europäische Parlament fordert darüber hinaus eine Rahmenrichtlinie zur Steigerung der Energieeffizienz im Verkehrssektor, die Harmonisierung der gesetzlichen Bestimmungen für Personenkraftwagen und eine harmonisierte Besteuerung von Fahrzeugen auf der Grundlage des CO2-Ausstoßes, Kennzeichnungsverfahren sowie steuerliche Anreize zur Diversifizierung der Energiequellen. Schließlich ruft das Parlament zu Entwicklung von Fahrzeugen mit niedrigen CO2- Emissionen auf, die mit Biokraftstoffen der zweiten Generation und/oder Biowasserstoff (aus Biomasse gewonnener Wasserstoff) betrieben werden.

6.3

Die Krise mit Russland, die in der Entscheidung vom 1. Januar 2006 gipfelte, die Energieversorgung von Kiew einzuschränken, und die endemische politische Instabilität des Nahen Ostens stellen Europa vor Herausforderungen von epochaler Bedeutung, d.h. es muss Europa gelingen, sich mit Blick auf den bevorstehenden Druck auf die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen eine sichere und dauerhafte Energieversorgung zu sichern.

6.4

Die Erzeugung alternativer und erneuerbarer Energieträger für den Verkehrssektor beschränkt sich in Europa derzeit nahezu ausschließlich auf Biokraftstoffe, die zurzeit 1 % des Energiebedarfs des europäischen Verkehrssektors abdecken. In der Stellungnahme zu den Fortschritten bei der Verwendung von Biokraftstoffen (7) hat der EWSA betont, dass die bislang verfolgte Politik überdacht werden und entschlossen auf die Biokraftstoffe der zweiten Generation gesetzt werden muss. Gleichzeitig muss die Entwicklung der Transformationstechnologien der zweiten Generation gefördert und unterstützt werden, um Rohstoffe, die aus schnell wachsenden Kulturen — insbesondere beim Anbau von Graspflanzen und in der Forstwirtschaft — oder aus landwirtschaftlichen Nebenprodukten gewonnen werden, verwenden zu können. Dabei ist die Verwendung von wertvollerem, für die Ernährung wichtigem Saatgut zu vermeiden. Insbesondere können Bioethanol und Bioethanolprodukte, die bislang durch Gärung (und anschließende Destillation) von Getreide, Zuckerrohr oder Rüben gewonnen werden, in Zukunft aus einem breiteren Spektrum von Rohstoffen hergestellt werden, das auch durch Biomasse aus Abfallprodukten der landwirtschaftlichen Erzeugung, Abfälle der Holz- und Papierindustrie und andere spezifischen Kulturen ergänzt werden kann.

7.   Der Verkehrsträgermix

7.1

Der Energiemix im Verkehrsbereich wird weitgehend durch die Verkehrsträger bestimmt, die gewählt werden, um verschiedenen Bedürfnissen im Güter- und Personenverkehr gerecht zu werden. Er ist wichtig, da die verschiedenen Verkehrsträger mehr oder weniger von Kohlenwasserstoffen abhängig sind. Jede Strategie für den optimalen Energiemix im Verkehrsbereich muss daher entsprechend darauf ausgerichtet sein, die Abhängigkeit des Personen- und Güterverkehrs von fossilen Brennstoffen zu reduzieren.

7.2

Um dies zu erreichen, können im Wesentlichen zwei Wege eingeschlagen werden. Erstens müssen in Hinblick auf die Effizienz der Kohlenwasserstoffe und die Prioritäten für den Verkehr, wie sie an anderer Stelle dieser Stellungnahme erörtert werden, Veränderungen stattfinden. Zweitens muss der Nutzung der Elektrizität Priorität eingeräumt werden. Angesichts der bestehenden Energiequellen und des künftigen Potenzials erneuerbarer Energien können wir der Zukunft der sauberen Energieversorgung zuversichtlich entgegensehen. Die Herausforderung liegt in der Nutzung von mehr Elektrizität im Verkehrsbereich.

7.3

Der Verkehrsträger mit dem größten elektrischen Potenzial ist die Schiene, ganz gleich ob im Personen- oder Gütertransport oder im internationalen, nationalen, regionalen oder städtischen Verkehr. Durch die Ausweitung des elektrisch betriebenen Schienenverkehrs können der Kurzstreckenluftverkehr, der Langstrecken-Straßengüterverkehr und ganz allgemein die Nutzung von Bussen und Autos verringert werden.

7.4

Das Beratende Gremium für europäische Eisenbahnforschung (European Rail Research Advisory Council — ERRAC) betont in seiner Agenda die Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, um eine Verdreifachung des Güter- und Passagiervolumens im Schienenverkehr bis 2020 zu ermöglichen. Im Mittelpunkt der Initiativen stehen die Entwicklung der Energieeffizienz und Umweltfragen. Im Rahmen der TEN-Projekte werden mögliche Anwendungen der wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen untersucht, die in das elektrische Antriebssystem von Zugmaschinen integriert werden und allmählich zur Ersetzung der derzeit mit fossilen Brennstoffen angetriebenen Lokomotiven führen könnten.

7.5

In absehbarer Zukunft wird der Luftverkehr weiterhin von Kohlenwasserstoffen abhängig bleiben, jedoch dürfte durch die Einführung von Hochgeschwindigkeitszügen die Anzahl von Linienflügen auf Strecken unter 500 Kilometer deutlich reduziert werden. Der Luftfrachtsektor, in dem spezielle Transportflugzeuge verwendet werden, wächst stärker als der Personenluftverkehr. Teile davon, insbesondere die kommerziellen Postdienste, könnten in Zukunft auf das Hochgeschwindigkeitsschienennetz verlagert werden. Diese Umstellung im Verkehrsträgermix würde durch den Ausbau von Hochgeschwindigkeits-Zugverbindungen zu Flughäfen noch beschleunigt werden.

7.6

Der Beirat für Luftfahrtforschung in Europa (Advisory Council for Aeronautical Research in Europe — ACARE) setzt sich in seiner eigenen Agenda für strategische Forschung für die Untersuchung der globalen Frage des Klimawandels, der Lärmbelastung und der Luftqualität ein. Im Rahmen des Projekts Clean Sky, einer gemeinsamen technologischen Initiative, wird nach den besten Lösungen für einen nachhaltigen Luftverkehr im Hinblick auf Design, Motoren und Kraftstoffe gesucht. Die Durchführung des Projekts SESAR dürfte die Möglichkeit bieten, erhebliche Einsparungen durch eine Straffung des Flugverkehrsmanagementsystems vorzunehmen (siehe Stellungnahme des EWSA).

7.7

Der nationale und internationale Straßengüterverkehr ist ein Hauptabnehmer für Kraftstoffe auf Kohlenwasserstoffbasis. Ein Hochgeschwindigkeits-Güterverkehrsnetz des 21. Jahrhunderts zwischen intermodalen Hauptumschlagplätzen könnte zu einer Materialersparnis im Straßengüterverkehr führen. Sofern das Hochgeschwindigkeitsschienennetz weiterentwickelt wird, könnte es nachts für den Güterverkehr verwendet werden. Solch eine Umstellung im Verkehrsträgermix würde durch eine Preisstrategie für Straßen, Kraftstoffe und Führerscheine noch beschleunigt werden.

7.8

Das Beratende Gremium für europäische Straßenverkehrsforschung (European Road Transport Research Advisory Council — ERTRAC) hat ebenfalls eine Agenda für strategische Forschung verabschiedet. Die Kernpunkte sind Umwelt, Energie und Forschung. Neben einem gesonderten Kapitel über Kraftstoffe gehört zu den wichtigsten Zielen der Agenda die Senkung der spezifischen CO2-Emissionen (pro Kilometer) um bis zu 40 % bei PKW und um bis zu 10 % bei schweren Nutzfahrzeugen bis zum Jahr 2020.

7.9

Der Schiffsverkehr wird generell durch die öffentliche Meinung unterstützt, egal ob er über Flüsse und Kanäle oder den Küsten- oder Seeverkehr erfolgt. Die Fluss-, Kanal- und Küstenfrachtschifffahrt sind energieeffiziente Alternativen zum Straßenverkehr, die bei der Änderung des Verkehrsträgermixes gefördert werden sollten.

7.10

Der interkontinentale Seeverkehr verbraucht derzeit mehr Kohlenwasserstoff als die Luftfahrt und ist außerdem ein schneller wachsender Bereich. Er macht etwa 95 % des Welthandelsvolumens aus und ist relativ effizient, gleichzeitig ist er aber eine erhebliche Quelle von Schwefel und Stickoxidemissionen.

7.11

Mit der Globalisierung der Versorgungsketten und den aufstrebenden Volkswirtschaften Asiens wird beim interkontinentale Seeverkehr in den nächsten fünfzehn Jahren ein Wachstum von 75 % erwartet, woraus sich steigende Emissionen ergeben, da in diesem Verkehrsbereich Dieselkraftstoff eingesetzt wird. Werden wir aufgrund des Emissionsanstiegs und der sich verringernden Vorräte an Kohlenwasserstoffkraftstoffen schließlich eine Ära erreichen, in der der Güterfernverkehr zwischen den bedeutenden Häfen aller fünf Kontinente in riesigen kernkraftbetriebenen Massengutfrachtern wie modernen U-Booten, Flugzeugträgern und Eisbrechern abgewickelt wird? Dies würde mit Sicherheit den Energiemix im Verkehrsbereich verändern.

7.12

Im Seeverkehrssektor stellt die Technologieplattform für den Schiffsverkehr Waterborne derzeit Forschungen zur globalen Verbesserung der Leistung der Schiffsmotoren, zur Reduzierung der Reibungswiderstände und im Hinblick auf Prüfverfahren für mögliche Alternativkraftstoffe, darunter Wasserstoff, an.

7.13

Personenkraftwagen sind multifunktionale und unentbehrliche Fahrzeuge, die die Menschen in ihrem Alltag benötigen. Mit einer Strategie zur Änderung des Verkehrsträgermixes gibt es dennoch Möglichkeiten, Fahrten mit dem Bus und Pkw in Städten und Umland durch elektrisch betriebene Züge und Straßenbahnen zu ersetzen.

7.14

Was die Wahl der am besten geeigneten und effizientesten Kraftstoffe anbelangt, muss die relative Energiedichte der verschiedenen Kraftstoffe berücksichtigt werden. Daher müssen die Bemühungen auf den Einsatz von Kraftstoffen mit einer höheren Dichte gerichtet werden. Als konkretes Beispiel ist nachstehend eine Tabelle mit einigen in MJ/kg ausgedrückten Dichtewerten zu finden.

Kraftstoffe

Energiegehalt

(MJ/Kg)

Pumpwasser an einer Staumauer in 100 m Höhe

0,001

Bagasse (8)

10

Holz

15

Zucker

17

Methanol

22

Kohle (Steinkohle, Braunkohle)

23-29

Ethanol (Bioalkohol)

30

LPG (Flüssiggas)

34

Butanol

36

Biodiesel

38

Erdöl

42

Gasohol oder E10 (90 % Benzin und 10 % Alkohol)

44

Benzin

45

Diesel

48

Methan (gasförmiger Kraftstoff, kompressionsabhängig)

55

Wasserstoff (gasförmiger Kraftstoff, kompressionsabhängig)

120

Kernspaltung (Uran, U 235)

85.000.000

Kernfusion (Wasserstoff, H)

300.000.000

Bindungsenergie von Helium (He)

675.000.000

Masse-Energieäquivalenz (Gleichung von Einstein)

90.000.000.000

Quelle: J. L. Cordeiro auf der Grundlage von Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) und des US-amerikanischen Energieministeriums

7.15

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es durchaus Möglichkeiten für eine Änderung des Verkehrsträgermixes gibt, durch die die Kohlenwasserstoffabhängigkeit des Verkehrssektors der EU grundlegend beeinflusst würde. Der Schlüssel hierzu ist die Erzeugung von mehr Elektrizität, wodurch der elektrisch betriebene Verkehr weiter entwickelt werden könnte, sowie die Bereitstellung der Energiequelle für die letztliche Entwicklung von Antrieben auf Wasserstoffbasis.

8.   Die Wasserstoffgesellschaft

8.1

Die Umweltschäden werden in erster Linie von den Produkten der Verbrennung fossiler Brennstoffe verursacht, aber auch von den für deren Abbau, Transport und Verarbeitung eingesetzten Technologien. Die größten Schäden sind jedoch diejenigen, die durch ihre Endverwendung entstehen. Insbesondere werden durch die Verbrennung neben Kohlendioxid auch Elemente in die Luft freigesetzt, die bei der Raffination zugesetzt werden (beispielsweise bleihaltige Verbindungen).

8.2

Für das Jahr 2020 wird eine weltweite Nachfrage von 15 Mrd. Tonnen CO2eq mit einer jährlichen Wachstumsrate von über 2 % prognostiziert. Diese Nachfrage wird weiterhin vorwiegend durch fossile Brennstoffe gedeckt werden müssen, die heute zwischen 85 % und 90 % des weltweiten Energieangebots ausmachen. Es ist jedoch bereits eine allmähliche Verlagerung der Nachfrage zu Brennstoffen mit einem geringen Kohlenstoff/Wasserstoffverhältnis (C/H) festzustellen, wobei eine Abwendung von Kohlenstoff hin zu Erdöl und Methan und allmählich zu einem vollständigen Verzicht auf Kohlenstoff, d.h. zum Einsatz von Wasserstoff als Energieträger, zu beobachten ist.

8.3

Auf einer Anhörung in Portugal wurden interessante Daten aus Experimenten mit der bei einem Linienbus des öffentlichen Nahverkehrs in Porto eingesetzten Wasserstoffbrennstoffzellen-Technologie vorgestellt. Mit großem Interesse wurde ein Wandel in der Einstellung der Bürger gegenüber Wasserstoff festgestellt. Durch die bereitgestellten Informationen konnten das Misstrauen und die Bedenken gegenüber diesem Energieträger in erheblichem Maße reduziert werden. Wasserstoff ist wohlgemerkt kein frei verfügbarer Primärenergieträger, sondern muss gewonnen werden:

unter Verwendung von Kohlenwasserstoffen wie Erdöl oder Erdgas, d.h. noch reichlich vorhandenen, aber nicht erneuerbaren Ressourcen;

auf elektrolytischem Wege aus Wasser unter Einsatz von Elektrizität.

Die weltweite Wasserstoffproduktion beträgt 500 Mrd. Kubikmeter (dies entspricht 44 Mio. t), wovon 90 % auf den chemischen Prozess der Reformierung leichter Kohlenwasserstoffe (in erster Linie Erdgas) oder das Cracking schwererer Kohlenwasserstoffe (Erdöl) und zu 7 % auf Kohlevergasung entfallen. Nur 3 % werden durch Elektrolyse gewonnen.

8.4

Berechnungen nach der Lebenszyklusmethode zufolge beträgt die Menge an Treibhausgasemissionen, die bei der Nutzung von mit herkömmlichen Methoden, d.h. per Elektrolyse, hergestelltem Wasserstoff freigesetzt wird, unter Berücksichtigung des Energiemixes von Portugal, das bereits über eine beachtlichen Anteil erneuerbarer Energieträger verfügt, ein 4,6-Faches der Emissionen von mit Dieselkraftstoff oder Erdgas betriebenen Motoren und ist dreimal höher als die Emissionen von Benzinmotoren. Dies bedeutet, dass die Perspektiven eines breiten Einsatzes von Wasserstoff die Entwicklung der erneuerbaren Energieträger mit sehr geringen Treibhausgasemissionen bedingt.

8.5

Die Verbrauchskurve hat gezeigt, dass dem Motor — auch im Leerlauf — erheblich mehr Wasserstoff zugeführt werden muss als dies bei herkömmlichen Kraftstoffen der Fall ist, um ihn am Laufen zu halten. Im Hinblick auf den städtischen Nahverkehr, bei dem es aufgrund der Verkehrsdichte oder der Haltestellen zu häufigen Halts kommt, bedeutet dies natürlich, dass über den künftigen Einsatz von Wasserstoff noch weiter nachgedacht werden muss.

8.6

Doch ist zu bedenken, dass das in Porto durchgeführte Experiment in einem viel weiter gefassten Kontext als dem des Projekts CUTE (Clean Urban Transport for Europe) erfolgte. Die Gesamtergebnisse des Projekts weichen aufgrund unterschiedlicher orografischer Gegebenheiten, Verkehrsbedingungen und Nutzungsarten von den während der Anhörung erörterten ab. Insgesamt gesehen hat das Projekt ermutigende Ergebnisse gebracht, wobei auch die Probleme im Zusammenhang mit der Entwicklung von Wasserstoff aufgezeigt wurden. Das größte Problem ist nach dem Dafürhalten der Kommission die mangelnde Fähigkeit der hochrangigen politischen Entscheidungsträger, die Möglichkeiten und Vorteile, die eine deutlich stärkere Nutzung von Wasserstoff im städtischen Verkehr bietet, in ihrem vollen Umfang zu erkennen.

8.7

Der rein elektrische Antrieb scheint die bestgeeignete Lösung zur Eindämmung der Emissionen zu sein, wobei die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern oder der Hybrideinsatz von Erdgas und Wasserstoff — zumindest solange sie in großen Mengen zur Verfügung stehen — entwickelt werden sollte. Zwar wurden bislang noch keine genauen Studien über diese Alternative durchgeführt, aber einigen Effizienz- und Energiekraftparametern zufolge scheint sie am wirkungsvollsten zu sein.

8.8

Eine weitere Zwischenlösung ist der Einsatz eines Wasserstoff-Methan-Gemisches mit niedrigem Wasserstoffanteil. Diese Methode stellt einen ersten Schritt zur Nutzung von Wasserstoff für die Mobilität dar. Sie hat wenige Nachteile: da die Verteilungs- und Lagerungssysteme an Bord des Fahrzeugs dieselben sind, kann sie bei den bereits zugelassenen Fahrzeuge eingesetzt werden und bietet mit dem Methan vergleichbare Leistungen, jedoch werden die Emissionen gesenkt und die Verbrennungsgeschwindigkeit wird erhöht, wobei gleichzeitig die Partikelemission und die Stickoxidbildung reduziert werden.

8.9

Einer von der ENEA (Ente nazionale per le energie alternative — Staatliches Institut für alternative Energien) (9) vorgelegten Studie zufolge haben jüngste Studien, die im Rahmen des Denver Hithane Project von der Colorado State University und in Kalifornien mit Unterstützung des Energieministeriums (DoE) und der National Renewable Energy Laboratories durchgeführt wurden, gezeigt, dass eine Beimischung von 15 % H2 zu CH4 den Gesamtanteil von Kohlenwasserstoffen um 34,7 %, den Kohlenmonoxidgehalt um 55,4 %, den Stickoxidanteil um 92,1 % und den Kohlendioxidgehalt um 11,3 % senkt.

8.10

Die Gewinnung von H2 unter Verwendung erneuerbarer Energieträger ist die einzige in ökologischer Hinsicht realistische Option, denn mit Wasserstoff als Energiespeicherelement können das von Natur aus zyklische Energieangebot (Nacht/Tag, Jahreszyklus usw.) und die variable und davon entkoppelte Energienachfrage miteinander in Einklang gebracht werden: Wasserstoff sollte mit der am wenigsten energieaufwendigen Technologie hergestellt werden, wobei eine umfassende Analyse des Herstellungszyklus und des betreffenden energetischen Zweckes erforderlich ist. Erneuerbare Energien, die für die Erzeugung von Wärme oder elektrischer Energie oder als Brennstoff genutzt werden, muss ohne den Umweg über den längeren Wasserstoffkreislauf gewonnen und mithin unmittelbar genutzt werden.

8.11

Ein weiterer Faktor, der berücksichtigt werden muss, ist die Erzeugung in der Nähe des Orts des Energieverbrauchs, wodurch die durch den Transport entstehenden Kosten und freigesetzten Emissionen verringert werden. Diese allgemeingültige Theorie trifft noch stärker zu, wenn es um die Energieeffizienz geht, und zwar wegen der Kosten des bei der Übertragung und Verteilung auftretenden Energieverlusts. Deshalb ist auch die geografische Streuung der Herstellung ein Aspekt, dem Rechnung getragen werden muss.

8.12

Der künftige Einsatz von Wasserstoff hängt auch von der Dichte des Versorgungsnetzes ab. Analog zu den Schwierigkeiten, die beim komprimierten Erdgas (CNG) auftreten, bei dem das Versorgungsnetz sehr lückenhaft ist und in einigen Mitgliedstaaten praktisch ganz fehlt, gibt es keinerlei Versorgungsstellen für mit Wasserstoffbrennstoffzellen betriebene Fahrzeuge. Die Verbreitung von CNG und künftig auch von Wasserstoff muss von Maßnahmen zur massiven Markeinführung flankiert werden.

8.13

Die Europäische Kommission hat 470 Mio. EUR für die Gründung des gemeinsamen Unternehmens „Brennstoffzellen und Wasserstoff“ (KOM(2007) 571 endg.) vorgesehen, das die breitere Nutzung von Wasserstoff beschleunigen dürfte und sicherlich auch für den Verkehrsbereich von Bedeutung ist. Der EWSA erarbeitet hierzu gerade eine Stellungnahme. Zu diesem Finanzbeitrag der Gemeinschaft kommen Mittel in gleicher Höhe aus der Privatindustrie hinzu, was insgesamt 1 Mrd. EUR zur beschleunigten Einführung von Wasserstoff in Europa ergibt. Diese Mittel werden dazu dienen, technologische Initiativen zur Herstellung von Wasserstoffbrennstoffzellen und ein Programm zur Erforschung und Anwendung dieser Technologie zu finanzieren. Die Forschungsarbeiten werden von öffentlichen und privaten Partnern aus industriellen und akademischen Kreisen durchgeführt und sechs Jahre dauern. Das Ziel ist klar: im kommenden Jahrzehnt (2010-2020) sollen wasserstoffbetriebene Fahrzeuge auf dem Markt eingeführt werden, mit anderen Worten in drei Jahren.

8.14

Bereits heute haben viele wasserstoffbetriebene Fahrzeuge Marktreife erlangt. Es fehlt jedoch ein gemeinsames, vereinheitlichtes und vereinfachtes Zulassungsverfahren für diese Fahrzeuge. Derzeit werden wasserstoffbetriebene Fahrzeuge nicht vom gemeinschaftlichen Fahrzeugzulassungssystem abgedeckt. Durch die Festlegung europäischer Normen kann das Forschungsrisiko der Fahrzeughersteller verringert werden, so dass sie Analysen darüber durchführen können, welche Prototypen über echte Marktchancen verfügen.

8.15

Im Rahmen des von der Europäischen Kommission kofinanzierten Projekts Zero Regio werden in Mantua und Frankfurt zwei innovative Arten von Infrastruktur zur Versorgung von brennstoffzellbetriebenen Fahrzeugen mit unterschiedlichen Kraftstoffen, darunter Wasserstoff, errichtet und erprobt, wobei verschiedene technische Möglichkeiten zur Wasserstoffherstellung und -verteilung eingesetzt werden. In Mantua wird der Wasserstoff auf dem Tankstellengelände mit einer erdgasbetriebenen Reformeranlage mit einer Leistung von 20 mc/h hergestellt. Bei der Technologie kommt ein katalytisches Hochtemperaturverfahren zum Einsatz, wobei ein vorgemischter Strom aus Dampf und Erdgas in mehreren Schritten in Wasserstoff umgewandelt wird. Die Fahrzeugflotte besteht zurzeit aus drei mit Brennstoffzellen ausgerüsteten Fiat Panda. Auch eine Versorgung mit Hydromethan ist geplant, um die CO2-Emissionen zu senken. Die Tankstellen in Mantua und Frankfurt gelten auch als Grüne Tankstellen, weil sie mit Photovoltaikanlagen mit einer Spitzenleistung von jeweils 8 und 20 kWp ausgerüstet sind, mit denen aus erneuerbaren Energien elektrischer Strom in einer Menge von 30 000 kWh/Jahr erzeugt werden können, was eine Senkung der CO2-Emissionen um ca. 16 Tonnen pro Jahr bedeutet.

8.16

Die Techniken zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid sind äußerst kostspielig, wirken sich auf die Effizienz des Endprodukts aus und bringen erhebliche Probleme bezüglich der möglichen künftigen Risiken der Verschmutzung des Grundwassers oder die plötzliche Freisetzung enormer Kohlendioxidmengen mit sich. Die Methoden zur Herstellung von Wasserstoff mit Hilfe von Kohle erscheinen problematisch (10).

8.17

Jüngste Untersuchungen (11) haben ein bislang vernachlässigtes Problem zutage gefördert: den potenziellen Wasserverbrauch im Falle einer raschen Entwicklung der Wasserstoffgesellschaft. Dabei wird vom gegenwärtigen Wasserbedarf für die Gewinnung durch Elektrolyse und die Kraftwerkskühlung ausgegangen. Die sich daraus ergebenden Daten sind äußert besorgniserregend: es wird angenommen, dass 5.000 Liter Wasser für die Erzeugung von 1 Kilo Wasserstoff erforderlich sind, allein für die Kühlung, und nach den heutigen Effizienznormen mehr als 65 kW pro kg.

8.18

Die Nutzung von Wasserstoff als für Verkehrszwecke angepasster Energieträger stellt trotz der bislang aufgezeigten Grenzen die Herausforderung der Zukunft dar, und in relativ kurzer Zeit könnte der Anblick von teilweise oder ganz mit Wasserstoff betriebenen Fahrzeugen auf unseren Straßen Realität werden.

8.19

Wie er bereits in Bezug auf die Energieeffizienz festgestellt hat (TEN/274), hält der EWSA ein Webportal für äußerst sinnvoll, über das die an den Hochschulen betriebene Forschung und die in den Regionen und den Städten durchgeführten Experimente einem breiteren Publikum, insbesondere den lokalen Gebietskörperschaften, zugänglich gemacht werden könnten. Der Austausch bewährter Praktiken ist für politische Maßnahmen mit hoher Subsidiaritätskomponente, d.h. auf lokaler Ebene beschlossene Maßnahmen, wesentlich.

8.20

In dem Webportal sollten folgende auf ganz Europa bezogene Durchschnittszahlen veröffentlicht werden:

wie viel Gramm Kohlendioxid bei der Erzeugung einer Kilowattstunde Strom in die Atmosphäre ausgestoßen wird;

wie viel Kohlendioxid in der Landwirtschaft und bei der Dieselkraftstoffproduktion für die Erzeugung eines Liters Dieselkraftstoffersatz in die Atmosphäre gelangt;

wie viel Kohlendioxid in der Landwirtschaft und bei der Bioethanolproduktion für die Herstellung eines Liters Bioethanol in die Atmosphäre ausgestoßen wird.

Nur so wird zu sehen sein, wie hoch der CO2-Ausstoß und die CO2-Einsparung tatsächlich sind, und nur so können die eingesparten Kilowattstunden richtig in CO2-Gewicht umgerechnet werden

9.   Bemerkungen und Empfehlungen des EWSA

9.1

Der EWSA hat die vorliegende Stellungnahme auf Ersuchen von Kommissionsmitglied Jacques BARROT erarbeitet, um die Kommission und die anderen EU-Institutionen darüber zu informieren, welche Maßnahmen die Zivilgesellschaft als erforderlich erachtet, um die Herausforderungen des Kyoto-Protokolls zu meistern.

9.1.1

Der EWSA ist der Ansicht, dass die zum künftigen Kraftstoffmix angestellten Überlegungen mit einschneidenden Veränderungen bei den derzeitigen Verkehrsträgern Hand in Hand gehen müssen, indem dem öffentlichen Nahverkehr und den außerstädtischen öffentlichen Verkehrsmitteln Vorrang eingeräumt wird, wozu die Fahrzeugflotten modernisiert und die Infrastruktur verbessert werden muss. Die Qualität und die Effizienz des Schienenverkehrs müssen durch Investitionen in die Infrastruktur und in das rollende Material verbessert werden, weshalb die Erzeugung des für die Entwicklung des Schienenverkehrs erforderlichen Stroms immer stärker auf erneuerbare Energieträger und Kraftstoffe mit einem immer geringeren Kohlenstoffanteil ausgerichtet werden sollte.

9.2

Der EWSA hatte bereits in einer früheren Stellungnahme (TEN/274, Berichterstatter: Herr IOZIA) klar Folgendes festgestellt: „Der Verkehrssektor hat sehr viel Energie darauf verwandt, den Verbrauch und die Schadstoffemissionen zu senken: Jedoch ist es insofern gerechtfertigt, ihm noch weitere Anstrengungen abzuverlangen, als es sich um den Sektor mit dem größten Verbrauchsanstieg handelt und er zu den Hauptverursachern von Treibhausgasen gehört […] Ferner fällt der europäischen Verkehrsindustrie deshalb die Pflicht zu, einen wichtigen Beitrag zur Energieeffizienz, zur Reduzierung der Emissionen und zur Senkung der Importe von Erdölprodukten und Erdgas zu leisten, weil der in diesem Sektor verwendete Kraftstoff […] aus Drittländern importiert werden muss“.

9.3

Der EWSA teilt und befürwortet die Ansicht, dass Effizienz, Sicherheit und Nachhaltigkeit den europäischen Institutionen als die Kriterien für die Beurteilung dienen und dienen müssen, welche Politik zu betreiben ist und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um einen sauberen Energieverbrauch zu fördern, für einen umweltfreundlicheren und ausgewogeneren Verkehrssektor zu sorgen, die europäischen Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, ohne ihre Wettbewerbsfähigkeit zu beeinträchtigen, und einen der Forschung und der Innovation förderlichen Rahmen zu schaffen.

9.4

Bei dem künftigen Kraftstoffmix für den Verkehrssektor muss demnach Folgendem Rechnung getragen werden: umfassende Senkung der Treibhausgasemissionen, möglichst starke Reduzierung der Abhängigkeit von Drittstaaten bei der Energieversorgung sowie Diversifizierung der Energiequellen und mit der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschaftssystems vereinbare Kosten.

10.   Herausforderungen hinsichtlich der künftigen Kraftstoffwahl des EU-Verkehrssektors: eine Investition in die Forschung

10.1

Wenn die oberste Priorität die Einhaltung der Kyoto-Ziele ist, dann sollte der Großteil der verfügbaren Mittel sowohl seitens der öffentlichen Hand als auch der Privatwirtschaft für die Forschung über Kraftstoffe aufgewendet werden, die voll und ganz den Anforderungen hinsichtlich Wirtschaftlichkeit, ökologische Nachhaltigkeit und geringem Emissionsausstoß gerecht werden. Diese sind eine unerlässliche Voraussetzung für einen umweltfreundlichen Verkehrssektor.

10.2

Die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen, den Forschungszentren, der Kraftstoffindustrie und der Herstellungsindustrie, insbesondere den Fahrzeugherstellern, muss intensiviert werden. Im Siebten Rahmenprogramm (7. RP) wird mit der Entscheidung des Rates 2006/971/EG über das spezifische Programm Zusammenarbeit das Ziel aufgestellt, Europa in wissenschaftlichen und technischen Schlüsselbereichen eine Führungsposition zu verschaffen. Zu diesen Prioritäten gehören Umwelt und Verkehr.

10.2.1

Ein Gebiet, das anscheinend vernachlässigt wird, ist die Verbesserung der Effizienz herkömmlicher Batterien. Die Entwicklung von Elektroautos hängt insbesondere von einem geringeren Gewicht und einer größeren Autonomie und Leistungsfähigkeit der herkömmlichen Batterien ab. Der EWSA empfiehlt der Kommission, sich hierfür besonders einzusetzen.

10.3

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hatte in einer seiner Stellungnahmen über das Siebte Rahmenprogramm (12) bereits seiner Besorgnis über die erwartete Verknappung fossiler Brennstoffe, die ständig steigenden Preise und die Klimafolgen geäußert. Darin wird vorgeschlagen, mehr Mittel für die Forschung im Energiesektor im Allgemeinen zur Verfügung zu stellen und betont, dass zur Bewältigung der Probleme des Verkehrssektors als ausreichend erachtete Mittel in Höhe von 4 100 Mio. EUR für den Zeitraum 2007-2013 zur Verfügung stehen.

11.   Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Verfügbarkeit von Energie zu bezahlbaren Preisen

11.1

Der EWSA unterstreicht den Kernpunkt der Strategie zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der Union, der zweifelsohne bezahlbare und stabile Preise sind. Das Transportwesen ist schon immer ein unverzichtbares Mittel zur Beförderung von Waren, Personen und Tieren zu den Märkten gewesen. Heute ist es auch für eine weitere wichtige europäische Industrie von wesentlicher Bedeutung, und zwar für den Tourismus. Der dritte Nachhaltigkeitsaspekt, d.h. tragbare Preise, stellt die schwierigste Herausforderung dar. Derzeit gibt es keine Kraftstoffe als Alternativen zu fossilen Brennstoffen, die preislich mit Erdöl und Erdgas konkurrieren können. Trotz der Preissteigerungen in den letzten Jahren sind die letzteren Produkte noch immer am konkurrenzfähigsten.

11.2

Der EWSA erhofft sich zwar eine ständig zunehmende Nutzung der Biokraftstoffe und anderer erneuerbarer Kraftstoffe, hält es jedoch für unerlässlich, die Forschung im Bereich Biokraftstoffe der zweiten Generation zu fördern, bei denen Biomasseabfall oder nicht für den Verzehr bestimmte Biomasse verwendet wird und denen nicht dieselben Nachteile anhaften wie den Biokraftstoffen der ersten Generation, die in erster Linie aus Getreide, Rüben, Zuckerrohr oder ölhaltigen Samen für Nahrungs- oder Futtermittelzwecke erzeugt werden (13). Der Ausschuss hebt hervor, dass die Preisbeurteilung nicht ausschließlich auf die Endkosten des Produkts beschränkt bleiben darf, sondern dass für einen korrekten Kostenvergleich mit fossilen Kraftstoffen sämtliche externen Kosten eingerechnet (Umweltschäden, Herkunftsort der Rohstoffe, Verarbeitungskosten, Wasser- und Flächenverbrauch usw.) werden müssen.

11.3

Sofern eine Mischung der Bestandteile nicht möglich ist, sollten parallel zu der progressiven Substitution die Verteilungssysteme allmählich angepasst und/oder überholt werden, um den physischen Eigenschaften der neuen Produkte Rechnung zu tragen.

11.4

Der EWSA befürwortet zwar die positiven Aspekte dieser Strategie, ist sich aber bewusst, dass diese vor allem in der Anfangsphase kostspielig sein wird und das potenzielle Risiko einer Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit Europas in sich birgt. Daher betont er, dass Europa zur treibenden Kraft hinter einer Debatte werden muss, die letztendlich dazu führt, dass auch die anderen Teile der Welt seinem Vorbild folgen, um diesem Risiko vorzubeugen und nicht die Resultate auf globaler Ebene zu schmälern.

11.5

Für die Investitionen, die für die aus Biomasse erzeugten erneuerbaren Energien erforderlich sind, ist ein stabiler Rechtsrahmen nötig. Hierzu müssen die Kraftstoffrichtlinien den neuen Herstellungsmethoden angepasst werden, und eine offene Zusammenarbeit mit der Herstellungsindustrie ist erforderlich, um die Innovationsprozesse im Gleichlauf mit dem tatsächlichen Potenzial der Industrie voranzutreiben. Neben den Projekten des 7. RP muss auf nationaler und dezentraler Ebene besonderes Augenmerk auf die Innovation und Forschung auf diesem Gebiet gerichtet werden.

11.6

Um dafür zu sorgen, dass die zur Entwicklung neuer effizienter und nachhaltiger Kraftstoffe unternommenen Anstrengungen und die dafür getätigten Investitionen nicht vergebens waren, müssen diese Prozesse von allen denkbaren Initiativen zur Erhöhung der Reisegeschwindigkeit der Fahrzeuge bei gleichzeitiger Senkung des Verbrauchs flankiert werden, indem beispielsweise europaweit an Straßenkreuzungen, die ein „Nadelöhr“ im nationalen oder Stadtverkehr bilden, geeignete Maßnahmen ergriffen werden. Das Lissabonner öffentliche Verkehrsunternehmen Carris, das neben der herkömmlichen Straßenbahn (der legendären Linie 28) auch eine Flotte ökologischer Stadtbusse betreibt, konnte mit Hilfe von Maßnahmen, durch die die Reisegeschwindigkeit gesteigert werden konnte, wie der Verdoppelung der Busspuren, die CO2-Emissionen um 1,5 % senken.

11.7

Das Verkehrsunternehmen SMTUC von Coimbra hat seinerseits mit einer blauen Linie mit elektrisch angetriebenen Bussen experimentiert, die in der Innenstadt auf ihnen vorbehaltenen Spuren ohne feste Haltestellen fahren und jederzeit angehalten werden können, um einzusteigen. Eine blaue Linie auf dem Asphalt zeigt die Fahrtroute dieses Busses an, der auch von Nichtansässigen und den zahlreichen Touristen genutzt werden kann, die diese effiziente und saubere Verkehrsart zu schätzen wissen. In Coimbra finden darüber hinaus Oberleitungsbusse besonders großen Anklang, die dank Zusatzbatterien ihre „Spur“ verlassen können, um Staus auszuweichen. Dieser Verkehrsträger kombiniert eine äußerst niedrige Umweltverschmutzung und Lärmbelästigung mit einer erheblich längeren durchschnittlichen Lebensdauer der Verkehrsmittel, wodurch die höheren anfänglichen Anschaffungskosten wettgemacht werden.

11.8

Der EWSA empfiehlt durch entsprechende steuerliche Maßnahmen (geringere Steuersätze für die Anschaffung ökologischer Verkehrsmittel oder alternativ dazu Bereitstellung von Sondermitteln für die Kommunalverwaltungen, niedrigere Preise für ökologische Busse) Anreize für diese städtischen Verkehrsmittel zu schaffen und auf europäischer Ebene koordinierte Kampagnen zur Sensibilisierung für die Nutzung der Ökobusse durchzuführen, wobei das Park & Ride-System zu verbessern und auszubauen und ggf. die Sicherheit zu verbessern ist und die Preise niedrig gehalten werden sollten, indem sie in die Preise des städtischen Nahverkehrs eingerechnet werden, wie es bereits in zahlreichen europäischen Städten der Fall ist.

11.8.1

In dem von der Kommission am 25.9.2007 vorgelegten Grünbuch „Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“ (KOM(2007) 551) werden diese Probleme behandelt und Lösungen vorgeschlagen, um die Projekte zur Verbesserung des Nahverkehrssystems mit Hilfe der durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und das Programm CIVITAS finanzierten Initiativen zu fördern. In ihrem Grünbuch setzt die Kommission ein sehr starkes Signal zugunsten des ökologischen Nahverkehrs. Der EWSA stimmt diesem Ansatz zu und empfiehlt, auf der Grundlage dieser positiven Erfahrungen weitere konkrete Initiativen zu erforschen und die Zusammenarbeit mit der EIB und der EBWE zu verstärken.

11.9

Die Zukunft des Nahverkehrs liegt eindeutig bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, wie der EWSA bereits festgestellt hat (14). Im Verlauf der zur Erarbeitung dieser Stellungnahme durchgeführten Anhörungen wurden zwei Forschungsprojekte vorgestellt, die sich bereits im Versuchsstadium befinden: ein führerscheinfreies elektrisches Miniauto und ein kybernetisches Auto, das über ein komplexes Fernsteuerungssystem betrieben wird und auf vorher festgelegten Routen fahren kann. Diese Fahrzeuge könnten zur Benutzung innerhalb der Stadt vermietet werden und vielleicht an die Stelle der Straßenbenutzungsgebühren für große und umweltschädliche Fahrzeuge treten.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Entwicklung und Förderung alternativer Kraftstoffe für den Straßenverkehr in der EU (ABl. C 195 vom 18.8.2006, S. 75-79).

(2)  Ebenda.

(3)  Klimakonferenz der Vereinten Nationen, Dezember 2007, Bali.

(4)  Die Europäische Umweltagentur (EUA) hat kürzlich ihren jährlichen Bericht „Transport and Environment: on the way to a new common transport policy“ (Verkehr und Umwelt: auf dem Weg zu einer neuen Verkehrspolitik) veröffentlicht, in dem die bei der Integration umweltpolitischer Maßnahmen in die Strategien des Verkehrssektors erzielten Fortschritte und deren Wirksamkeit bewertet werden.

(5)  Der Bericht ist auf der EUA-Website veröffentlicht: Annual European Community GHG inventory 1990-2005 and inventory report 2007 (Jährliches Treibhausgasinventar der Europäischen Gemeinschaft 1990-2005 und Inventarbericht 2007), Europäische Umweltagentur, Technischer Bericht Nr. 7/2007.

(6)  Bericht über die makroökonomischen Auswirkungen des Anstiegs der Energiepreise, Manuel António DOS SANTOS (SPE, PT).

(7)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Fortschrittsbericht Biokraftstoffe — Bericht über die Fortschritte bei der Verwendung von Biokraftstoffen und anderen erneuerbaren Kraftstoffen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union — KOM(2006) 845 endg.). Berichterstatter: Herr IOZIA.

(8)  Laut Wikipedia Bagasse = Biomassereste, die nach der Extraktion des Zuckers aus dem Zuckerrohr anfallen.

Quelle: J. L. Cordeiro auf der Grundlage von Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) und des US-amerikanischen Energieministeriums

(9)  Ecomondo — Rimini, November 2006 — Giuseppe Migliaccio, ENEA.

(10)  Die heutzutage am häufigsten verwendete Technologie ist diejenige der so genannten Kohlenstaubkraftwerke mit dem klassischen Dampfkreislauf und einer Behandlung der durch den Schornstein abgegebenen Verbrennungsprodukte. In der Praxis wird Dampf bei „herkömmlichem“ Druck und „herkömmlichen“ Temperaturen erzeugt, der Turbinen in Anlagen antreibt, die immer noch weit verbreitet sind. Derzeit gibt es vier unterschiedliche Anlagenarten. In absteigender Reihenfolge hinsichtlich ihrer technischen Ausgereiftheit und Umweltauswirkungen sind dies: superkritische und ultrasuperkritische Staubfeuerungsanlagen, Flüssigbettverbrennungsanlagen, Vergasungsanlagen mit kombiniertem Kreislauf und schließlich Anlagen mit Sauerstoffverbrennung. Momentan gibt es zwei Lösungen, bei denen eine geologische Speicherung des CO2 vorgesehen ist. Hierbei handelt es sich um die Verbrennung von Kohle in Kesseln, bei der Sauerstoff zugeführt wird, um eine hohe CO2-Konzentration des Verbrennungsgases zu erreichen, wodurch die Kosten für die Abscheidung und Speicherung gesenkt werden. Die zweite Lösung besteht darin, auf die IGCC-Technologie (Integrated Gasification Combined Cycle — Kombikraftwerk mit integrierter Kohlevergasung) zurückzugreifen, bei denen ein Synthesegas erzeugt wird, das anschließend behandelt wird, um es zu reinigen und dann den brennbaren edlen Bestandteil vom CO2 abzutrennen.

(11)  Webber, Michael E. „The water intensity of the transitional hydrogen economy“, Environmental Research Letters, 2 (2007) 03400.

(12)  ABl. C 185 vom 8.8.2006, S. 10 (Berichterstatter: Herr WOLF, Mitberichterstatter: Herr PEZZINI).

(13)  Siehe Stellungnahme des EWSA nach der Plenartagung am 24./25. Oktober 2007.

(14)  ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 77-86.


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/62


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Energieeffizienz in Gebäuden — Beitrag der Endnutzer“ (Sondierungsstellungnahme)

(2008/C 162/13)

Die Kommission beschloss am 16. Mai 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

„Energieeffizienz in Gebäuden — Beitrag der Endnutzer“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 23. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 14. Februar) mit 195 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss erkennt an, dass Energieeffizienz einen grundlegenden Beitrag zum erforderlichen Klimaschutz und zur Einhaltung der Verpflichtungen leistet, die die EU in Kyoto eingegangen ist, sowie zur Erreichung der vom Europäischen Rat im März 2007 aufgestellten neuen Emissionsreduktionsziele, und empfiehlt daher eine Intensivierung der auf die Verbraucher ausgerichteten Anstrengungen.

1.2

Der Ausschuss ist der Überzeugung, dass das Energiesparpotenzial bei Gebäuden noch lange nicht ausgeschöpft ist, vor allem beim Energieverbrauch für Heizung, Klimatisierung, dem Betrieb von Elektrogeräten und Beleuchtung sowie durch die Berücksichtigung entsprechender Wärmeisolierungstechniken bei der Planung und Nutzung von Gebäuden.

1.3

Bei der Festlegung der Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz sollte darauf geachtet werden, welche Vorteile ein breiter Einsatz technologischer Neuerungen mit einem günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis bringt, um den Verbrauchern die Möglichkeit zu geben, fundiertere Entscheidungen bezüglich ihres persönlichen Energieverbrauchs zu treffen.

1.4

Nach Auffassung des Ausschusses ist es für die Endverbraucher von entscheidender Bedeutung, dass die Informations- und Finanzierungsprobleme durch die Entwicklung innovativer Methoden unmittelbarer angegangen werden: Es ist unverzichtbar, dass die neuen Gemeinschaftsmaßnahmen von Eigentümern und Mietern nicht als zusätzliche steuerliche Belastung eines elementaren Guts wie Wohnraum empfunden werden.

1.5

Nach Ansicht des Ausschusses müssen neue Verhaltensweisen angeregt und neue Anreize geschaffen werden, zum einen als Ausgleich für die höheren Kosten und zum anderen, um größeres Interesse zu wecken für:

Projektforschung

Überprüfung bei der Bautechnik

Verwendung besserer Baumaterialien

neue Gebäudestrukturlösungen.

1.6

Die Arbeiten des Europäischen Komitees für Normung (CEN) müssen beschleunigt werden, und zwar im Sinne des entsprechenden Auftrags der Kommission, der die Festlegung einheitlicher Normen für die Messung des Energieverbrauchs bestehender und neuer Gebäude sowie einheitlicher Normen für die Zertifizierung und die Inspektionsverfahren vorsieht.

1.7

Es muss unbedingt vermieden werden, dass den Mitgliedstaaten Beschränkungen auferlegt werden, die sie angesichts der internationalen Konkurrenz nicht tragen können, und dass Eigentümern, die Wohneigentum vermieten oder selbst bewohnen, Auflagen gemacht werden, die ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigen.

1.8

Die mit dem Zertifizierungsverfahren verbundenen Verpflichtungen und Kosten müssen nach Meinung des Ausschusses von öffentlichen Förderkampagnen begleitet werden, um einen gleichberechtigten Zugang zu höherer Energieeffizienz zu gewährleisten, vor allem bei Wohngebäuden, die im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichtet oder verwaltet werden, sowie bei großen Wohnblocks, insbesondere in den neuen Mitgliedstaaten, in denen die meisten Wohnblocks Typenbauten sind; für solche Gebäude können Standardzertifikate verwendet werden.

1.9

Nach Auffassung des Ausschusses ist es sehr wichtig, Gemeinschaftsinitiativen zu entwickeln, die auf ein einheitliches Vorgehen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Energieeffizienz abheben, und dadurch unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten einen gewaltigen Schritt zu mehr Kohärenz in Europa zu tun.

1.10

Der Ausschuss empfiehlt bestimmte Maßnahmen, um die Endverbraucher stärker für Energieeffizienz im Allgemeinen sowie bei Gebäuden im Besonderen zu sensibilisieren, und zwar:

kostenlose Energieberatung und öffentliche Finanzierung von Machbarkeitsstudien;

Gewährung von Steuervergünstigungen und/oder Subventionen für die Vornahme von Energieaudits;

Steuererleichterungen für den Verbrauch von Brennstoffen für Heiz- und Stromzwecke und Antriebskraft sowie wirtschaftliche Anreize und Erleichterungen/ Rückerstattungen für den Erwerb von Techniken mit hoher Energie- und Ökoeffizienz bzw. die Ausrüstung bestehender Gebäude mit besseren Wärmeschutzvorrichtungen;

zinsgünstige Darlehen für die Anschaffung energieeffizienter Geräte und Anlagen (wie z.B. Brennwertkessel, Einzelthermostate usw.) und günstige Darlehen für Maßnahmen seitens der ESCO (1);

Beihilfen und Steuerabzüge für Investitionen in FuE-Aktivitäten oder Pilotprojekte mit dem Ziel der Verbreitung neuer Technologien im Bereich der Energieeffizienz von Gebäuden unter Nutzung der vom Siebten FTE-Rahmenprogramm, dem Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) 2007-2013, dem Programm LIFE+ und den Struktur- und Kohäsionsfonds gebotenen Möglichkeiten;

EIB-Darlehen vor allem für die nachhaltige Modernisierung veralteter großer öffentlicher Gebäude oder Gebäude des öffentlichen Dienstes und für Sozialwohnungen;

Beihilfen für Familien mit niedrigem Einkommen und Rentner für Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz der Wohnungen und zinsgünstige Langzeitdarlehen für Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden;

Standard-Wartungsverträge zum Festpreis für regelmäßige Wartung der Zentralheizungs- und Klimaanlagen durch qualifizierte Fachkräfte;

Einrichtung einer für die Endverbraucher einfach zu konsultierenden einschlägigen EU-Website mit Links zu den entsprechenden einzelstaatlichen Websites;

Schaffung von didaktischem Material in allen Sprachen der EU für die verschiedenen interessierten Berufskreise betreffend die Erteilung eines europäischen Gebäudepatents (2);

Aufnahme von thematischen Prioritäten bei Maßnahmen im Bildungsbereich in den entsprechenden Gemeinschaftsprogrammen: Gemeinschaftliches Aktionsprogramm im Bereich der allgemeinen Bildung, 7. FTE-Rahmenprogramm, Marie-Curie-Maßnahmen, EIB, Universitäten;

Integration von Informations-/Unterrichtsmaterial für Schulen jedweder Kategorie und Bildungsstufe, für Berufs- und Gewerkschaftsverbände, für die Verbraucher und ihre Organisationen.

1.11

Unter dem Blickwinkel des Endverbrauchers müssen nach Auffassung des Ausschusses die Hindernisse gebührend berücksichtigt werden, die der Förderung und der Verwirklichung energieeffizienter Gebäude im Wege stehen: technische, wirtschaftliche, finanzielle, juristische, administrative/bürokratische, institutionelle und organisatorische, soziale/verhaltensbezogene Hemmnisse sowie Hindernisse infolge eines fehlenden integrierten Ansatzes (Unausgewogenheit bezüglich Heizung und Klimatisierung, Nichtberücksichtigung von Klimazonen usw.).

2.   Einleitung

2.1

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 8./9. März 2007 in Brüssel wird betont, „dass die Energieeffizienz in der EU erhöht werden muss, damit […] das Ziel, 20 % des EU-Energieverbrauchs gemessen an den Prognosen für 2020 einzusparen, erreicht wird […]“, und die „Verbesserung des Verhaltens der Energieverbraucher hinsichtlich Energieeffizienz und Energieeinsparung, Innovation und Technologie im Energiebereich und Energieeinsparungen bei Gebäuden“ werden als vorrangige Bereiche aufgezeigt.

2.1.1

Die Problematik der Energieeffizienz von Gebäuden fügt sich ein in die Initiativen der Europäischen Union bezüglich des Klimawandels (Verpflichtungen aufgrund des Kyoto-Protokolls) und der Versorgungssicherheit, insbesondere im Rahmen der Grünbücher über Energieversorgungssicherheit bzw. Energieeffizienz, zu denen sich der Ausschuss mehrfach geäußert hat (3).

2.1.2

Der Energieverbrauch im Wohn- und Gebäudebereich macht ca. 40 % (4) des Energieverbrauchs der EU aus.

2.1.3

Der Durchschnittsverbrauch von Wohnungen liegt in vielen Regionen Europas allein für Heizung bei 180 kWh pro Quadratmeter und Jahr. Dies zeigt, dass der Häuserbestand in vielen europäischen Ländern eine äußerst niedrige Energieeffizienz aufweist.

2.1.4

Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Einerseits ist bei den Verbrauchern das Bewusstsein für die zunehmende Schwierigkeit, Energie zu vernünftigen Preisen zu bekommen, kaum entwickelt, und zum anderen tendieren die Architekten, Bauunternehmen und die zahlreichen Kleinunternehmen des Bausektors (5) dazu, der Energieeffizienz und der umweltgerechten Bauweise wenig Beachtung zu schenken, sondern eher auf ästhetische Aspekte entsprechend dem Zeitgeschmack Wert zu legen, wie etwa die Qualität der Fußböden, die Wertigkeit der sanitären Anlagen, die Ästhetik, die Verglasung der Außenfassaden, die verwendeten Materialien und Abmessungen der Tür- und Fensterrahmen.

2.1.4.1

Ferner ist festzustellen, dass die Verwaltungen, und zwar insbesondere die kommunalen technischen Ämter und Gesundheitsämter, der Feststellung des Energieverbrauchs von Gebäuden, die auf ihre Bewohnbarkeit überprüft werden, kaum Bedeutung beimessen oder aber diesbezüglich unzureichend informiert sind.

2.1.4.2

Entgegen der landläufigen Meinung gibt es dennoch enormen Spielraum für die Steigerung der Energieeffizienz, und zwar nicht nur bei Neubauten, sondern auch bei bestehenden Häusern und insbesondere bei den Mehrfamilienhäusern in Großstädten (6).

2.1.5

Was die Erneuerung der bestehenden Gebäudeinfrastruktur angeht, sind insbesondere die Verträge zu erwähnen, die mit Energiesparunternehmen (ESCO: Energy Service Companies) geschlossen werden können, in deren Rahmen diesen Unternehmen die Vornahme der erforderlichen Verbesserungen an den bestehenden Gebäuden anvertraut wird, um — mitunter sogar beträchtliche — Energiekosteneinsparungen zu erzielen. Das Unternehmen wird entsprechend den durch den Minderverbrauch erzielten Einsparungen entlohnt (7).

2.1.6

Ferner könnten zahlreiche Maßnahmen im Rahmen kleinerer Umstrukturierungen vorgesehen werden, wie z.B. das Anbringen von Fensterläden oder die Installierung von Echttzeit-Verbrauchszählern („Smart Meters“), anhand derer die Verbraucher ständig ihren tatsächlichen Verbrauch feststellen können, oder Gaswarmwasserbereitungsanlagen („Top Boxes“), die eine Kostensenkung und Schadgasemissionsreduzierung von 40 % ermöglichen. Als sehr effizient haben sich auch kleine Belüftungsanlagen im Wohnungsinneren erwiesen, während bei Verwendung der richtigen Materialien, beispielsweise für lichtdurchlässige Wandpartien (Fenster), der Wärmeverlust einer Wohnung um mindestens 20 % gesenkt werden kann (8). Auch der Einsatz wassersparender Sanitärtechnik verringert den Energieverbrauch. Die Energieversorgungsunternehmen sollten begleitend zu ihren Energierechnungen die Verbraucher auch klar und deutlich und kostenfrei über deren Energieverbrauch während des gleichen Vorjahreszeitraums informieren, so dass diese ihren derzeitigen Verbrauch entsprechend in Bezug setzen können.

2.1.7

Der EWSA ist der Überzeugung, dass durch Initiativen in diesem Bereich enorme Einsparungen erzielt werden können und mithin ein Beitrag zur Verwirklichung der klimapolitischen Zielsetzungen und der Energieversorgungssicherheit geleistet werden kann. Da es nur begrenzten Spielraum für ein kurz- bis mittelfristiges Handeln im Bereich der Energieversorgung gibt, muss bei den Endverbrauchern angesetzt werden und zwar im Wege der:

verbesserten Effizienz bei der Energie-Endnutzung

Dämpfung der Energienachfrage

Förderung der Erzeugung erneuerbarer Energien (9)

Bereitstellung einer besseren Energiebewirtschaftung, die sich weitgehend auf Selbstkontrolle stützt.

2.1.8

Die Faktoren, die Energieeinsparungen und eine andere Nutzung der Energieressourcen behindern, sind unterschiedlicher Natur und betreffen:

die mentale Einstellung

Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Wandels

unzureichendes technisches Wissen

eine ungeeignete Steuerpolitik

unzureichende Partnerschaften zwischen Unternehmen

mangelnde Informationen.

2.1.9

Im Baubereich gibt es enorme Energieeinsparungsmöglichkeiten, vor allem beim Energieverbrauch für Heizung, dem Betrieb von Elektrogeräten und für Beleuchtung im Rahmen der Gebäudenutzung. Dies zeigt sich bei den so genannten Passivhäusern (10), die enorme Energieeinsparungsmöglichkeiten und eine beträchtlichen Impulsgeberwirkung für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft in sich bergen, dank eines immer stärkeren Augenmerks für die Entwicklung und Verwendung neuer energieeffizienterer Techniken.

2.1.10

Die strategischen Ziele der Energiepolitik heben darauf ab:

die klimaverändernden Schadstoffemissionen unter Beachtung der umwelt- und gebietsspezifischen Besonderheiten zu senken;

eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Immobiliensektors, der Industrie und der neuen Energietechniken zu begünstigen;

den sozialen Aspekten und dem Gesundheitsschutz der Bürger im Kontext der Energiepolitik Rechnung zu tragen.

2.1.11

Bei der Festlegung der Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz müssen aber auch die Vorteile berücksichtigt werden, die durch die breite Anwendung effizienter technologischer Neuerungen unter dem Aspekt des Kosten-Nutzen-Verhältnisses erzielt werden können, weswegen es den Endverbrauchern ermöglicht werden sollte, fundiertere Entscheidungen bezüglich ihres persönlichen Energieverbrauchs zu treffen, indem ihnen entsprechende Informationen zur Verfügung gestellt werden: Informationen über geplante Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz, Vergleichsparameter für die Endverbraucher, objektive technische Spezifikationen betreffend energieverbrauchende Geräte (11).

2.1.12

Jedwede Informationen über Energieeffizienz — zumal Informationen über die Kosten — sollten in geeigneter Form unter den interessierten Adressaten weite Verbreitung finden. Die Informationen müssen sich auch auf die finanziellen und rechtlichen Aspekte erstrecken, sich auf Informations- und Werbekampagnen stützen und einen Überblick über die bewährten Vorgehensweisen auf sämtlichen Ebenen gestatten.

2.1.13

Maßnahmen, die sich ausschließlich auf die technischen Aspekte beziehen, sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend, um den Energieverbrauch von Gebäuden zu senken. Es muss der Aspekt der eher vielschichtigen Interaktion zwischen den unterschiedlichen Nutzerprofilen und der ständigen technischen Weiterentwicklung angegangen werden.

2.1.14

Im Rahmen des Programms „Intelligente Energie für Europa“ (2003 — 2006) wurde die Initiative einer Plattform für die Umsetzung der EPDB (12) entwickelt, die Dienste erbringt, um die Anwendung der Richtlinie 2002/91/EG über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden zu erleichtern, die Anfang 2006 voll in Kraft getreten ist. Die Richtlinie enthält folgende für die Mitgliedstaaten verbindlichen Bestimmungen betreffend:

die Anforderungen und die Methode für die Berechnung der integrierten Gesamteffizienz von Gebäuden;

die gemeinsamen Anforderungen, auf die sich neue Gebäude in der EU beziehen müssen;

die Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz bestehender großer Gebäude, die einer größeren Renovierung unterzogen werden;

die Erstellung von Energieausweisen, die für neue Gebäude, für Gebäude, die einer größeren Renovierung unterzogen werden sollen, sowie für sämtliche Wohnungen bei Eigentümer-/Besitzerwechsel (13) vorgeschrieben sind;

regelmäßige Inspektionen von Heizkesseln und Klimaanlagen in Gebäuden und eine Überprüfung der gesamten Heizungsanlage, wenn deren Kessel älter als 15 Jahre sind.

2.1.15

Unter dem technischen Aspekt ist es von grundlegender Bedeutung, dass sich die Bürger und die Verbraucher klar machen, dass ein integrierter Ansatz erforderlich ist, der verschiedenen Aspekten Rechnung trägt wie z.B.:

der Qualität der Wärmeisolierung

der Art der Heizungs- und Klimaanlage

der Verwendung erneuerbarer Energiequellen

der Lage des Gebäudes

der Verhinderung von Schwitzwasser- und Schimmelbildung.

2.1.15.1

Im Wesentlichen spielen zwei grundlegende Parameter eine Rolle:

der spezifische Energiebedarf der Gebäudehülle: anhand dieses Parameters lässt sich die Energieeffizienz der Gebäudehülle abschätzen, die eine Minimierung des Wärmeverlusts in der Winterperiode und eine Begrenzung der Überhitzung in der Sommerperiode gestattet.

der spezifische Gesamtbedarf an Primärenergie: anhand dessen auch die Effizienz der Heizungsanlage beurteilt werden kann, deren Aufgabe es ist, die Primärenergie in Wohnkomfort und diverse Versorgungsfunktionen umzuwandeln.

2.1.16

Für die Verwirklichung der angestrebten Senkung des Energieverbrauchs und der umwelt- und klimaschädlichen Abgasemissionen bedarf es auch des entsprechenden politischen Willens, um:

1.

Wärmeisolierungsmaßnahmen (Passivenergie) durch deutliche Verbesserungen bei der Anlagentechnik (Aktivenergie) zu flankieren;

2.

das Spektrum und die Größenordnung der Energiesparmaßnahmen zu erweitern;

3.

erneuerbare Energiequellen in hocheffiziente Hybridsysteme zu integrieren;

4.

auf innovative Systeme zu setzen: Solarkühlung; Kleinst-Kombikraftwerke; Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung; Wärmepumpen und Hybrid-Anlagen  (14) .

2.1.17

Den gemeinschaftlichen Programmen für Innovation und Forschung kommt eine entscheidende Rolle bei der Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden zu, und zwar im Kontext der technologischen Zielsetzung, intelligente Nullenergiehäuser zu entwickeln, d.h. sog. „Positivhäuser“, die unter Verwendung gängiger Alternativenergieformen wie etwa Sonnenenergie, Windenergie, Erdwärme mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen.

2.1.18

Auf Gemeinschaftsebene spielt neben dem besagten Rahmenprogramm für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit (CIP) auch das Siebte FTE-Rahmenprogramm für die Entwicklung sauberer Energietechniken eine Rolle, da es einen diesbezüglichen thematischen Schwerpunktbereich im Rahmen des spezifischen Programms Zusammenarbeit vorsieht.

2.1.19

Die technische Normung auf europäischer Ebene auf dem Gebiet der Energieeffizienz von Gebäuden ist von grundlegender Bedeutung. Das Europäische Komitee für Normung (CEN) wurde von der Kommission beauftragt, die erforderlichen technischen Normen für die Anwendung der besagten Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden auszuarbeiten (15). Der Auftrag betrifft:

harmonisierte Normen für die Messung des Energieverbrauchs bestehender Gebäude

harmonisierte Normen für neue Gebäude

einheitliche Normen für die Zertifizierung

gemeinsame Normen für die Inspektionsverfahren.

2.1.20

Bislang wurden nahezu 30 europäische Normen (CEN) aufgestellt (16). Die Mitgliedstaaten haben bereits bestätigt, dass sie die Einhaltung der Normen auf freiwilliger Basis einführen wollen. Wenn sich jedoch herausstellen sollte, dass die freiwillige Einhaltung der Normen nicht stattfindet, wäre es angezeigt, sie im Wege geeigneter Rechtsvorschriften verbindlich zu machen.

2.1.21

In jedem Falle sollte die Kommission den Mitgliedstaaten die erforderlichen Instrumente für die Entwicklung einer integrierten und einheitlichen Methodik für die Berechnung der Energieeffizienz von Gebäuden an die Hand geben. Wenn die Mitgliedstaaten dann die Mindestanforderungen bezüglich der Energieeffizienz festgelegt haben, müssen diese sich auch in den „Ausweisen über die Gesamtenergieeffizienz“ widerspiegeln, bei denen es sich in Analogie zu den Gütezeichen für Elektrogeräte um Gütezeichen für Gebäude handelt. Die Zertifikate für Gebäude sind allerdings noch ausgefeilter und komplexer und mit Empfehlungen für eine Steigerung der Effizienz der Gebäude versehen.

2.1.22

Bei Forschungsprojekten hat sich deutlich gezeigt, dass neben den technischen Anlagen, mit denen die Gebäude ausgestattet sind, auch das Verhalten der Gebäudenutzer (als Wohnunterkunft oder tagsüber als Arbeitsplatz) im Sinne eines stärkeren oder schwächeren Energiesparbewusstseins ein entscheidender Faktor für den tatsächlichen Energieverbrauch ist.

2.1.22.1

In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll, eine Kultur der den klimatischen Verhältnissen angepassten Kleidung zu propagieren (17), dergestalt dass beispielsweise bei hochsommerlichen Temperaturen nicht Anzug und Krawatte getragen werden müssen und im Winter entsprechend warme Kleidung getragen wird, so dass die Temperatur im Innern von Wohn- und Bürogebäuden nur auf ca. 20-21oC gehalten zu werden braucht (18).

2.1.23

Die Ausrichtung von Gebäuden nach der Himmelsrichtung beeinflusst ebenfalls die für das Wohlbefinden der Bewohner erforderliche Wärmemenge. Der Pro-Kopf-Energieverbrauch für die Beheizung von Reihenhäusern kann sich je nach Ausrichtung um den Faktor 2,5 (und bei freistehenden Häusern um den Faktor 3) verändern. Der Stromverbrauch kann sich um den Faktor 4-5 multiplizieren.

2.1.23.1

In Anbetracht obiger Bemerkungen wäre es sinnvoll, die bestehenden Bestimmungen durch Vorschriften zur Energieeffizienz zu ergänzen, die sich nicht nur auf Gebäude, sondern auch auf Wohngebiete beziehen.

2.1.24

Die Bürger müssen — bereits in der Schulzeit (19) — dafür sensibilisiert werden, dass der eigene Wohnraum einen erheblichen Einsatz von Primärenergie erfordert für

die Beheizung im Winter

die Klimatisierung im Sommer

Warmwasser im Sanitärbereich

den Betrieb von Aufzügen

die Beleuchtung

den Betrieb von Haushaltsgeräten.

Sie müssen auch dafür sensibilisiert werden, dass ein Großteil dieser Energie mit einem Minimum an Achtsamkeit und gutem Willen eingespart werden kann (20).

2.1.25

Die Endverbraucher müssen häufig wichtige Investitionsentscheidungen, z.B. bei der Modernisierung von Gebäuden oder bei der Entscheidung über erhebliche Änderungen in der Planungs- oder Bauphase treffen. Maßgebliche Auswirkungen auf die Energiebilanz von Gebäuden haben auch Entscheidungen über Investitionen in neue Technologien, die erhebliche Energieeinsparungen ermöglichen, wie z.B.:

Materialien mit erhöhter Isolierfähigkeit

Rahmen (Türen und Fenster) mit höherem Wärmedurchlasswiderstand (21)

Sonnenschutzeinrichtungen, wie z.B. einfache Fensterläden

Wahl oder Anpassung der Heizungsanlage (22)

Installation ergänzender Systeme wie Solarzellen (Photovoltaik), Solarkollektoren (Solarthermie) und oberflächennahe oder tiefer Geothermie (Erdwärme) (23)

Maßnahmen zur Verhinderung von Schwitzwasser- und Schimmelbildung.

2.1.26

Es ist offensichtlich, dass ein Wandel des bislang verwendeten Bezugsrahmens kulturelle Anregungen und Anreize erfordert, um zum einen die höheren Kosten auszugleichen, und zum anderen das Interesse zu steigern für:

Projektforschung

Überprüfung der Bautechnik

Verwendung von Qualitätsmaterialien beim Bau

neue strukturelle Lösungen für die Anbringung von Solarkollektoren (24)

Suche nach geeigneteren Lösungen für die Anbringung von Solarzellen-Panelen

vorherige Bewertung für die Nutzung der tiefen oder oberflächennahen Geothermie.

2.1.27

Folgende Anreize sind in Erwägung zu ziehen:

Erhöhung der überbaubaren Fläche

Senkung der Abgaben für sekundäre Erschließungsanlagen

Vereinfachung von Genehmigungsverfahren bei Baugesuchen

Nichtberücksichtigung von Isolationsmaterial bei der Berechnung der zulässigen maximalen Dicke von aufsteigendem Mauerwerk

Zuteilung von Qualitätskennzeichen je nach erzieltem Einsparungsniveau.

2.1.28

Bei allen zwecks erheblicher Energieeinsparungen anzunehmenden Maßnahmen ist zu berücksichtigen, dass die große Mehrheit der europäischen Bevölkerung in Bestandsimmobilien wohnt und Neubauten nur einen kleinen Prozentteil ausmachen.

2.1.29

Bei vermieteten Immobilien besteht das Problem darin, dass in der Regel der Eigentümer die Kosten für die Steigerung der Energieeffizienz trägt (z.B. neue Türen und Fenster, Heizkessel mit hohem Wirkungsgrad, Anlagen zur Erzeugung sauberer Energie), aber die Nutzer von den niedrigeren Kosten profitieren.

2.1.30

Dieses Problem könnte im Rahmen der Methode der „Finanzierung durch Dritte (25) angegangen werden. Diese besteht in der Förderung von Investitionen in Energieeinsparungen bei Gebäuden, die durch mit Kreditunternehmen verbundene Unternehmen realisiert werden, deren Investitionen sich in einem bestimmten Zeitraum durch die Differenz zwischen den Investitionsausgaben und den durchschnittlichen jährlichen Ausgaben, die ohne diese Investitionen angefallen wären, amortisieren.

2.1.31

Ein solides und in den industrialisierten Ländern verwendetes Finanzierungssystem, das unterstützt und ausgebaut werden könnte, ist das so genannte Nachfragemanagement (Demand Side ManagementDSM). Die Unternehmen, die Energie erzeugen und liefern, investieren in Projekte zur energietechnischen Sanierung von Gebäuden, für die sie zuständig sind. Die aufgrund der Maßnahmen erzielten Einsparungen decken die entsprechenden Ausgaben.

2.1.32

Es ist offensichtlich, dass dieses System durch einen entsprechenden rechtlichen Rahmen verbessert werden kann, indem die Energielieferanten zu Investitionen in Wärmeschutzmaßnahmen bei den Gebäuden, die sie mit Energie beliefern, angehalten werden.

2.1.33

Die vielschichtige Problematik der Energieeinsparungen bei Wohngebäuden stellt sich ebenso in den meisten neuen EU-Mitgliedstaaten und darf in puncto Kosten und Komplexität nicht den Endverbrauchern und Bürgern aufgebürdet werden. Die Tschechische Republik hat es z.B. geschafft, Mittel, die im Rahmen der Kohäsionspolitik bereitgestellt wurden, für Maßnahmen zur Sanierung von Wohngebäuden zu verwenden.

2.1.34

Die energiebewusste Renovierung ist jedoch der wichtigste Handlungsbereich. Die Ziele der Einschränkung des Energieverbrauchs und der Schadstoffemissionen können dadurch erreicht werden, dass:

Maßnahmen zur Wärmedämmung (passive Energiesparmaßnahmen) durch entsprechende Verbesserungen der Anlagentechnik (aktive Energiesparmaßnahmen) flankiert werden;

Größenordnung und Anwendungsbereich der Energiesparmaßnahmen ausgedehnt werden, auch mittels Maßnahmen, die finanzielle und planungstechnische Erleichterungen vorsehen;

Hybrid-Systeme gefördert werden, bei denen traditionelle Energieträger durch alternative oder saubere Energien ergänzt werden, um den Einsatz fossiler Energieträger zu verringern.

2.1.35

Damit Energiesparmaßnahmen im Gebäudesektor einschneidende Wirkung haben, müssen neben den Bürgern auch die verschiedenen Berufsgruppen und Unternehmer der diversen Branchen einbezogen werden, wie z.B.:

Berufsverbände,

Fürsprecher einer umwelt- und klimafreundlichen Stadtentwicklung,

Projektmanager,

Energiemanager,

Energiesparunternehmen,

Bauunternehmungen,

Immobiliengesellschaften,

für die Baubranche produzierende Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes,

Dienstleistungs- und Wartungsunternehmen.

3.   Die derzeitige Situation

3.1   Die derzeitige Situation auf Gemeinschaftsebene

3.1.1

Die Verbesserung der Energieeffizienz in Gebäuden ist Gegenstand zahlreicher Gemeinschaftsvorschriften: der Richtlinie von 1989 über Bauprodukte (26) und der SAVE-Richtlinie von 1993 für das Baugewerbe (27), einer Richtlinie von 1993 über Einsparzertifikate für Gebäude (28), der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) aus dem Jahr 2002 (29), der Richtlinie 2005/32/EG von 2005 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte (30), der Richtlinie über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen von 2006 (31). Es existieren jedoch auch zahlreiche weitere Rechtsvorschriften für einzelne Produkte, wie z.B. für Warmwasserheizkessel (32), Bürogeräte (33), für die Energieetikettierung für Elektro-Haushaltsgeräte (34), die Energieeffizienz von elektrischen Haushaltskühl- und -gefriergeräten (35), für Vorschaltgeräte für Leuchtstofflampen (36) usw. Die EPBD aus dem Jahr 2002 betrifft insbesondere die Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz sowohl von neuen als auch bestehenden Wohn- und anderen Nutzgebäuden.

3.1.2

Als letzte Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie wurde der 4. Januar 2006 festgelegt. Mehrere Mitgliedstaaten (37) haben jedoch eine Fristverlängerung beantragt und auch erhalten, während gegen andere von der Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unterlassener oder fehlerhafter Umsetzung eingeleitet wurde (38). Die Kriterien für den Erhalt eines Energieausweises sollen jedoch in sämtlichen Mitgliedstaaten vor Ende 2007 veröffentlicht werden.

3.2   Derzeitige Situation bei den verschiedenen Gebäudetypologien und Klimazonen

3.2.1

Für eine umfassende Behandlung der Frage des Beitrags der Endverbraucher zur Energieeffizienz in Gebäuden ist es nach Auffassung des EWSA notwendig, auf die Besonderheiten der einzelnen großen Gebiete in der EU einzugehen, und zwar insbesondere in Bezug auf:

die unterschiedlichen Typologien des Gebäudebestands und

die unterschiedlichen Klimabedingungen.

3.2.2

Typologien des Gebäudebestands: In den neuen Mitgliedstaaten und in den fünf ostdeutschen Bundesländern ist das Energieeinsparpotenzial beim Gebäudebestand im Vergleich zum bestehenden Wohnraum in den EU-15 sehr hoch.

3.2.2.1

Der Gebäudebestand in diesen Gebieten ist in starkem Maße das Ergebnis städtebaulicher Planungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Durch den Einsatz von schneller Massenproduktion und einheitlichen, zentral festgelegten technischen Standardlösungen wurden mit Fertigteilen große mehrstöckige Mehrfamilienhäuser errichtet. Außerdem wurden an diesem Gebäudebestand jahrelang keine Instandhaltungs- oder Renovierungsarbeiten durchgeführt (39).

3.2.2.2

Im Jahr 2002 wurden z.B. in Rumänien 4 819 104 Wohngebäude gezählt. Davon sind 83 799 große Wohnblocks mit 2 984 577 Wohnungen, die ca. 60 % des gesamten Wohnungsbestands ausmachen. Darüber hinaus sind 53 % der Wohngebäude mehr als 40 Jahre, 37 % mehr als 20 Jahre und nur 10 % weniger als 10 Jahre alt.

3.2.2.3

Wie generell in fast allen Ländern des ehemaligen Ostblocks erfolgt die Energieversorgung für Heizung, Lüftung und Brauchwarmwassererzeugung größtenteils (zu mehr als 95 %) über zentrale Anlagen. In 2005 durchgeführten Studien wurde für diesen Gebäudetyp ein Energieeinsparpotenzial von 38-40 % ermittelt.

3.2.2.4

Für diese hohen Energieverluste sind zum Teil die Endverbraucher verantwortlich: schlechte Materialqualität; unzureichende Wärmedämmung; veraltete Technik und hoher Energieverbrauch; veraltete Heizungsanlagen; „stromfressende“ Glühbirnen; Brenneranlagen mit niedrigem Wirkungsgrad; schlechte Pumpen usw. Zum Teil sind die starken Energieverluste auch auf einen ineffizienten Umgang mit der Energie zurückzuführen, der zu erheblichen Verlusten führt (40), die letztendlich der Verbraucher zahlt. Von allen bestehenden Möglichkeiten ist die Energieeffizienz die am einfachsten zu verwirklichende, umweltfreundlichste und billigste Lösung.

3.2.3   Klimazonen

3.2.3.1

In den großen Klimazonen Nord- und Südeuropas liegt der durchschnittliche Verbrauch der Haushalte bei 4 343 kWh/Jahr (41). Der größte Teil dieser Energie wird für Heizen aufgewandt, das für insgesamt 21,3 % des Strombedarfs verantwortlich ist (diese Nutzung betrifft vor allem die Länder Nord- und Mitteleuropas), gefolgt vom Stromverbrauch für Kühl- und Tiefkühlgeräte (14,5 %) und für Beleuchtung (10,8 %).

3.2.3.2

In Südeuropa (Italien, Spanien, Portugal, Slowenien, Malta, Griechenland, Zypern und Südfrankreich) ist einer der wichtigsten Faktoren für den Anstieg des Stromverbrauchs die rasche Verbreitung von Heimklimaanlagen mit geringer Leistung (42) und geringem Wirkungsgrad (<12 kW Kühlleistung) sowie deren häufiger Betrieb in den Sommermonaten.

3.2.3.3

Der auf Klimaanlagen — auf die die Richtlinie 2002/31/EG anzuwenden ist — entfallende Energieverbrauch in Wohngebäuden wurde 2005 für die EU-25 auf durchschnittlich rund 7-10 TWh pro Jahr (43) geschätzt. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass in Europa die modernen Multimediageräte, Computer, Drucker, Scanner, Modems und Ladegeräte für Mobiltelefone, die ständig am Netz hängen, für bis zu 20 % des Stromverbrauchs der Haushalte verantwortlich sind.

3.3   Einige internationale Vergleichszahlen

3.3.1

Japans Energieverbrauch macht rund 6 % des weltweiten Verbrauchs aus. Bereits vor längerer Zeit wurden — insbesondere im Verkehrssektor und im Bauwesen — entsprechende Maßnahmen ergriffen, um den Verbrauch und den sich daraus ergebenden CO2-Ausstoß zu senken, da Wohngebäude für ca. 15 % des Gesamtverbrauchs verantwortlich sind.

3.3.2

Im Wohnbereich werden die durch Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz in Gebäuden erzielte Einsparung an Primärenergie, Verringerung des CO2-Ausstoßes und Energiekostenersparnis auf ca. 28 % bzw. 34 % und 41 % (44) geschätzt. Die japanischen Normen für die Energieeffizienz in Wohngebäuden (45) wurden 1999 überarbeitet und enthalten sowohl Leistungsnormen als auch präskriptive Normen: Ziel ist es, eine vollständige Anwendung dieser Normen in mehr als 50 % der neuen Gebäude zu erzielen.

3.3.3

Die in Japan angewandte Methode, die Gebäude und die installierten Elektro-Haushaltsgeräte zusammen zu bewerten, zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

a)

Bewertung der Energieeffizienz der Baustruktur und der Elektro-Haushaltsgeräte;

b)

Bewertung der Energieeffizienz des gesamten Gebäudes auf der Grundlage des Gesamtenergieverbrauchs unter Angabe des Verbrauchs für Klimatisierung, Warmwasserbereitung, Beleuchtung sowie Be- und Entlüftung zum Zeitpunkt der Errichtung;

c)

Bewertung der Energieeffizienz für Klimatisierung, Warmwasserbereitung, Beleuchtung sowie Be- und Entlüftung während des tatsächlichen Betriebs;

d)

Durchführung von ausführlichen Effizienzmessungen während des tatsächlichen Betriebs neuer Wohngebäude, um 2010 die vorgesehenen Einsparungsstandards zu erreichen.

3.3.4

In den USA gelten in Übereinstimmung mit den Wohngebäude betreffenden Kapiteln des International Energy Conservation Code (IECC (46)) bereits seit 1987 (47) für zwölf Arten von Elektro-Haushaltsgeräten Mindestnormen für die Energieeffizienz, die die Grundlage für die Energiegesetze vieler Bundesstaaten bilden.

3.3.5

Die Kontrolle der Energieeffizienz von Gebäuden fällt in die Zuständigkeit der einzelnen Bundesstaaten und vielfach sogar der einzelnen Verwaltungsbezirke, und dies auch noch nach der Verabschiedung des „Energy Policy Act“ von 2005 (EPACT), mit dem die Eigentümer von Gewerbegebäuden durch eine beschleunigte steuerliche Abschreibung dazu bewegt werden sollen, durch die Anwendung von Energieeffizienzmaßnahmen die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern.

3.3.6

Der „Model Energy Code“ (MEC) (48), der in den 80er Jahren auf der Grundlage des IECC entwickelt wurde und regelmäßig — zuletzt 2006 — aktualisiert wird, wird durch das „Building Energy Codes Program“ des amerikanischen Energieministeriums flankiert, das dem Zweck dient, die Energieeffizienzstandards für Gebäude immer weiter zu verbessern und die Bundesstaaten bei der Annahme und Anwendung derartiger Standards zu unterstützen, die regelmäßig überarbeitet werden, um:

die Klimazonen neu festzulegen,

die präskriptiven Auflagen zu vereinfachen,

nicht mehr verwendete, überflüssige oder widersprüchliche Definitionen aufzuheben.

3.3.7

Im Jahr 2007 wurde ein Entwurf für ein Bundesgesetz — „Energy Efficient Buildings Act“ — eingebracht, mit dem folgende Ziele verfolgt werden:

Schaffung eines Pilotprogramms zur Gewährung von Zuschüssen für Unternehmen und Organisationen für Neubauten und für den Umbau bestehender Gebäude unter Einsatz von Energieeffizienztechnologien;

gebührende Berücksichtigung von Bauprojekten für Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen;

Festlegung klarer Definitionen für „energieeffiziente Gebäude“, d.h. Gebäude, in denen nach dem Bau bzw. Umbau Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen in Betrieb gehen, die oberhalb bzw. unterhalb der Grenzwerte der „Energy Star“-Normen liegen oder — wo diese nicht gelten — solche Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen, die im „Federal Energy Management Program“ empfohlen werden.

3.3.8

Nach Aussage des amerikanischen Energieministeriums könnten durch die Konzipierung neuer komfortablerer und energieeffizienterer Gebäude die Heizungs- und Kühlungskosten um 50 % gesenkt werden, und durch die Maßnahmen zur Umsetzung der Energieeffizienzvorschriften in Gebäuden könnten neue Arbeitsplätze im Bau- und Renovierungsgewerbe und in der Haustechnikbranche entstehen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der Ausschuss hat mehrfach auf die Notwendigkeit hingewiesen, erhebliche und nachhaltige Energieeinsparungen durch die Entwicklung energiesparender Techniken, Produkte und Dienstleistungen zu erzielen und eine Verhaltensänderung herbeizuführen, damit der Energieverbrauch bei gleichbleibendem Lebensstandard sinkt.

4.2

Der Ausschuss stellt fest, dass die effiziente Energienutzung ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und zur Einhaltung der von der EU in Kyoto eingegangenen Verpflichtungen zur Emissionssenkung ist, und empfiehlt, die an die Verbraucher gerichteten Bemühungen weiter zu intensivieren.

4.3

Für die Förderung der Energieeinsparung bei Gebäuden wäre es nach Auffassung des Ausschusses ratsam, die Hemmnisse genauer zu untersuchen, die die vollständige Umsetzung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) verhindert haben, und in jedem Fall einen Übergangszeitraum — evtl. von ca. 10 Jahren — zu gewähren, bis die Zertifizierung für alle bestehenden Gebäude, die unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, obligatorisch wird.

4.4

Bereits 2001 hatte der Ausschuss in seiner Stellungnahme zur EPBD-Richtlinie seine Unterstützung für die Initiative der Kommission und deren Absicht bekundet, eine gemeinsame Methode zur Berechnung der Energieprofile von Gebäuden und deren Überwachung zu entwickeln. Er hatte u.a. darauf hingewiesen, dass „mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Maßstab den Mitgliedstaaten keine Verpflichtungen auferlegt werden sollten, denen sie nicht nachkommen können“ und„darauf zu achten ist, dass Eigentümer, die ihre Immobilien vermieten oder selbst nutzen, nicht ihren Möglichkeiten vollkommen unangemessene Lasten zu tragen haben, die den mit der Richtlinie verfolgten Zielen zuwider laufen und die Bürger veranlassen würden, gegenüber dem vereinten Europa eine ablehnende Haltung einzunehmen“  (49) .

4.5

Nach Auffassung des EWSA sollte durch eine eventuelle Ergänzung eine Lebenszyklusanalyse für Gebäude in die EPBD-Richtlinie aufgenommen werden, um deren Auswirkungen auf den Kohlenstoffkreislauf zu zeigen und es so den Verbrauchern und den für den Erlass von Rechtsvorschriften zuständigen Behörden ermöglichen, sich ein klareres Bild von den Auswirkungen hinsichtlich des Kohlenstoffausstoßes der vorgesehenen Baumaterialien zu machen.

4.5.1

Jede Erweiterung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Gemeinschaften sollte — sobald sie Auswirkungen auf die Märkte und die Kosten für die Endverbraucher, seien sie Vermieter oder Mieter, hat — in jedem Fall einer angemessenen Folgenabschätzung unterzogen werden.

4.5.2

Des Weiteren muss auch sichergestellt werden, dass die gewünschten Maßnahmen zur besseren Wärmedämmung einen ausreichenden Luft- und Feuchtigkeitsaustausch gestatten, Schwitzwasserbildung verhindern und keine Schäden an der Bausubstanz verursachen, etwa in Form von Schimmelbildung.

4.6

Der Ausschuss hat bereits auf Folgendes hingewiesen (50): „Auf Grund der unterschiedlichen lokalen Voraussetzungen und bisherigen Tätigkeiten gibt es eine große Vielfalt an Maßnahmen zur Förderung der Energieeffizienz. Diese scheinen nur eine begrenzte Auswirkung auf den Binnenmarkt zu haben. Deshalb ist es im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip wichtig, dass zusätzliche Maßnahmen auf EU-Ebene mehrwertfähig sind.“

4.7

Die Zertifizierung müsste durch öffentliche Förderprogramme begleitet werden, um den fairen Zugang zu Energieeffizienzmaßnahmen zu gewährleisten, insbesondere im Falle von Wohngebäuden, die im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichtet oder verwaltet werden.

4.8

Die regelmäßige, von Fachleuten durchgeführte Wartung von Heizkesseln, Klimaanlagen und von Anlagen für alternative Energieträger trägt zur korrekten Regulierung nach Maßgabe der spezifischen Produktmerkmale bei und gewährleistet so einen optimalen Wirkungsgrad.

4.9

Aufgrund der positiven Erfahrungen, die bereits in einigen Mitgliedstaaten gemacht wurden, und der Ergebnisse, die in den letzten Jahren bei der Durchführung wichtiger politischer Maßnahmen der Gemeinschaft erzielt wurden, schlägt der Ausschuss einige Maßnahmen vor, die zur Verbesserung der Energieeffizienz im Allgemeinen und im Besonderen in Gebäuden hilfreich sein könnten:

kostenlose Energieeffizienzberatung;

Gewährung von Steuervergünstigungen und/oder Zuschüssen für die Durchführung von „Energieaudits“;

Steuerleichterungen für den Verbrauch von Brennstoffen für Heizung, Elektrizität und Antriebskraft;

Steuererleichterungen für den Erwerb von energieeffizienter und umweltfreundlicher Technologie;

zinsgünstige Darlehen für den Kauf von energieeffizienten Geräten und Anlagen (z.B. Brennwertkessel, Einzelthermostate usw.);

zinsgünstige Darlehen für Maßnahmen seitens der Energiesparunternehmen (ESCO);

Beihilfen und Steuerabzüge für Investitionen in FuE-Aktivitäten oder Pilotprojekte mit dem Ziel der Verbreitung neuer Technologien im Bereich der Energieeffizienz von Gebäuden;

Beihilfen für Haushalte mit niedrigem Einkommen und Rentner für Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz der Wohnungen;

zinsgünstige langfristige Darlehen für Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden.

4.10

Nach Auffassung des Ausschusses ist es für die Endverbraucher von entscheidender Bedeutung, dass die Infomations- und Finanzierungsprobleme durch die Entwicklung innovativer Methoden unmittelbarer angegangen werden: Es ist unverzichtbar, dass die neuen Gemeinschaftsmaßnahmen von Eigentümern und Mietern nicht als eine zusätzliche steuerliche Belastung eines elementaren Gutes wie Wohnraum empfunden wird.

4.11

Die Einhaltung des Kyoto-Protokolls und Energieeinsparungsmaßnahmen dürfen nicht als eine reine Verlagerung gestiegener Kosten von der energieerzeugenden Industrie auf die Endverbraucher und die Unionsbürger erscheinen.

4.12

Um die Belastungen für die Eigentümer zu senken, könnte die Zertifizierung nach Ansicht des Ausschusses so weit wie möglich mit Hilfe von Musterwohnungen für das gesamte Gebäude erfolgen und als Zertifizierung für die einzelnen Wohnungen gelten.

4.13

Die Schaffung einer von der Kommission geförderten und mit den einzelstaatlichen Websites verknüpften Website könnte hilfreich sein, um die rechtlichen, institutionellen, organisatorischen und technischen Hindernisse zu überwinden, die einem benutzerfreundlichen Zugang für die Endverbraucher entgegenstehen.

4.14

Der Ausschuss hielte es für sehr wichtig, dass er durch ein entsprechendes Gebäudemanagement im Bereich der Energieeffizienz mit gutem Beispiel vorangeht. Er hat festgestellt, dass es in seiner unmittelbaren Nachbarschaft in Brüssel mit dem „Haus der erneuerbaren Energie“ ein Paradebeispiel dafür gibt, wie bei einem bestehenden Gebäude in kosteneffizienter Weise enorme Verbesserungen erreicht werden können. Bei den Gebäuden des Ausschusses und bei den Bemühungen um die EMAS-Zertifizierung konnten bereits einige Fortschritte erzielt werden. Die Verwaltung des Ausschusses sollte einen weiteren Bericht darüber ausarbeiten, welche Fortschritte bisher erzielt wurden und welche weiteren Verbesserungen möglich sind.

Brüssel, den 14. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ESCO (Energy Service Company) = Dienstleistungsunternehmen für Energiesparen.

(2)  Dies soll — in Analogie zu dem Vorschlag für ein europäisches Computer-Patent — die Sensibilität für eine effiziente Ressourcennutzung bescheinigen.

(3)  Stellungnahme zu dem Grünbuch „Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit“, Berichterstatterin: Frau SIRKEINEN (ABl. C 221 vom 7.8.2001, S. 45); Sondierungsstellungnahme zum Thema „Die Energieversorgung der Europäischen Unioneine Strategie für einen sinnvollen Energiemix“, Berichterstatterin: Frau SIRKEINEN (ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 185); Sondierungsstellungnahme zum Thema „Energieeffizienz“, Berichterstatter: Herr BUFFETAUT (ABl. C 88/53 vom 11.4.2006); Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Endenergieeffizienz und zu Energiedienstleistungen“, Berichterstatterin: Frau SIRKEINEN (ABl. C 120 vom 20.5.2005, S. 115); Stellungnahme zu dem „Aktionsplan für Energieeffizienz“, Berichterstatter: Herr IOZIA (ABl. 10/22 vom 15.1.2008).

(4)  Auf den Verkehr entfallen 32 % und 28 % auf die Industrie — Quelle: Europäische Kommission, GD ENTR.

(5)  Das BIP des Bausektors beträgt mehr als 5 % des Gesamt-BIP der EU.

(6)  Wenn der Durchschnittsverbrauch der Gebäude in den europäischen Regionen auf 80 kWh/m2/Jahr zurückginge (was der Energieklasse D entspräche), könnte viel Energie im Gebäudebereich eingespart werden. Dies ist der Tenor der Richtlinie 2002/91/EG.

(7)  Derzeit gibt es drei Arten von Verträgen: Den Vertrag mit Gesamtabtretung der Kosteneinsparung bis zu einer bestimmten Höhe; den Vertrag mit geteilter Kosteneinsparung und den Vertrag mit geteilter Kosteneinsparung und einer garantierten Mindestquote.

(8)  Dies ist bei Fenstern mit hoher Dämmwirkung der Fall, sprich Doppelglasfenstern, deren Zwischenraum mit Edelgas (Krypton, Xenon oder Argon) gefüllt ist.

(9)  Beitrag der erneuerbaren Energiequellen: Von der Erde aufgenommene Sonnenenergie: 177 000TW; Sonnenenergieabstrahlung auf den Boden: 117 000 TW; weltweiter Primärenergieverbrauch: 12 TW (Quelle: Universität Bergamo, Ingenieurwissenschaftliche Fakultät).

(10)  Als Passivhäuser gelten Gebäude mit einem Energieverbrauch von weniger als 15 kWh/m2/Jahr.

(11)  Entsprechend den Bestimmungen von Artikel 3 Absatz 6 der Richtlinie 2003/54/EG sollten einige dieser nützlichen Informationen den Endverbrauchern bereits gegeben werden.

(12)  EPDB = Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden.

(13)  Im Falle des Kaufs, des Verkaufs, der Vermietung und des Nachlasses.

(14)  Durchschnittlicher Wirkungsgrad: Solarkollektoren: ~ 0,2 kW/m2; Windkraftwerk: ~ 1-2 kW/m2, Wasserkraftwerk: ~ 5.000 kW/m2; Wärmekraftwerk: ~10 000 kW/m2 (Quelle: Universität Bergamo, Ingenieurwissenschaftliche Fakultät).

(15)  Vgl. hierzu Fußnote 16 für die bisher ausgearbeiteten UN-CEN/CENELEC–Referenznormen

www.cen.eu/cenorm/businessdomains/sectors/utilitiesandenergy/news.asp.

(16)  EN ISO 6946 Bauteile; EN 10339 Raumlufttechnische Anlagen; EN 10347 Heizung und Kühlung von Gebäuden; EN 10348 Heizung von Gebäuden; EN 10349 Heizung und Kühlung von Gebäuden; EN 13465 Be- und Entlüftung von Gebäuden; EN 13779 Be- und Entlüftung von Nichtwohngebäuden; EN 13789 Wärmetechnisches Verhalten von Gebäuden; EN ISO 13790 Wärmetechnisches Verhalten von Gebäuden; EN ISO 10077-1 Wärmetechnisches Verhalten von Fenstern, Türen und Abschlüssen; EN ISO 10077-2 Wärmetechnisches Verhalten von Fenstern, Türen und Abschlüssen; EN ISO 13370 Wärmetechnisches Verhalten von Gebäuden; EN ISO 10211-1 Wärmebrücken im Hochbau; EN ISO 10211-Wärmebrücken im Hochbau; EN ISO 14683 Wärmebrücken im Hochbau; EN ISO 13788 Wärme- und feuchtetechnisches Verhalten von Bauteilen und Bauelementen; EN ISO 15927-1 Wärme- und feuchteschutztechnisches Verhalten von Gebäuden; EN ISO 13786 Wärmetechnisches Verhalten von Bauteilen; EN 10351 Baumaterialien; EN 10355 Mauerwerk und Decken; EN 410 Glas im Bauwesen — Bestimmung der lichttechnischen und strahlungsphysikalischen Kenngrößen von Verglasungen; EN 673 Glas im Bauwesen — Bestimmung des Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Wert); EN ISO 7345 Wärmeschutz — Physikalische Größen und Definition.

(17)  Beschluss des japanischen Premierministers.

(18)  Die Temperatur im „Haus der erneuerbaren Energien“ in Brüssel liegt im Winter niemals über 21°C.

(19)  Joule als Energie-Maßeinheit und Watt (1 Joule/Sekunde) als Maßeinheit für die elektrische Leistung werden künftig im Bildungsbereich die Begriffe Meter, Liter und Kilogramm ergänzen.

(20)  Von allen Energiearten ist die eingesparte Energie am preiswertesten!

(21)  Der Wärmedurchlasswiderstand ist dabei, den ästhetischen Wert von Gebäudekomponenten an Bedeutung zu erreichen oder zu überholen.

(22)  Ein Brennwertkessel hat einen Wirkungsgrad von 120 % im Vergleich zu herkömmlichen Heizkesseln, die einen Wirkungsgrad von ca. 80 % haben.

(23)  Die tiefe Geothermie beruht auf dem Phänomen, dass die Temperatur der Erdkruste mit zunehmender Tiefe ansteigt. Wird Wasser in eine bestimmte Tiefe gepresst, steigt es mit einer höheren Temperatur wieder auf und erfordert somit einen geringeren Wärmeaufwand, um die für die Gebäudebeheizung erforderliche Temperatur zu erreichen. Die oberflächennahe Geothermie ermöglicht die Nutzung der konstanten Erdtemperatur in einer Tiefe von 4-5 Metern. Dabei wird mittels einer in dieser Tiefe verlegten Schlange (Wärmepumpe) eine im Vergleich zur Außentemperatur höhere Wassertemperatur erzielt. Die Temperaturdifferenz (Delta T) ist folglich geringer. Die erforderliche Wärmezufuhr unterscheidet sich erheblich, um eine bestimmte Menge Wasser von 6°C auf 30°C oder von 14°C auf 30°C zu erwärmen.

(24)  Solarkühlung: Von der Solarthermie kann man zur Luftkühlung gelangen, was mit erheblichen Energieeinsparungen verbunden ist. Der Prozess basiert auf dem nach dem Prinzip der Wärmeabsorption arbeitenden Kühlschrank. Der Einsatz von Sonnenkollektoren als Erzeuger von Wärmeleistung für den Betrieb von nach dem Absorptionsprinzip arbeitenden Kühlaggregaten ermöglicht den Einsatz der Solarpanele in Zeiten intensiverer Sonneneinstrahlung.

(25)  Gegenstand der Empfehlung der EU in Artikel 4 der Richtlinie 93/76/EWG (ABl. L 237 vom 22.9.1993, S. 28). Dabei handelt es sich um eine finanztechnische Lösung, die bei Ausschreibungen angewandt wird und allgemeine Dienstleistungen von Prüfung, Finanzierung, Installation, Betrieb und Wartung technischer Anlagen seitens einer externen Firma vorsieht, die allgemein als ESCO (Energy Saving Company) bezeichnet wird. Sie finanziert Anlageninvestitionen, indem sie über einen bestimmten Zeitraum eine Hypothek auf den wirtschaftlichen Vorteil der dadurch erzielten Energieeinsparungen besitzt. Vgl. Anlage.

(26)  Richtlinie 89/106/EWG.

(27)  Richtlinie 93/76/EWG.

(28)  Richtlinie 93/76/EWG, ersetzt durch die Richtlinie 2006/32/EG.

(29)  Richtlinie 2002/91/EG.

(30)  Richtlinie 2005/32/EG.

(31)  Richtlinie 2006/32/EG.

(32)  Richtlinie 92/42/EWG.

(33)  Beschluss 2006/1005/EG.

(34)  Richtlinie 92/75/EWG.

(35)  Richtlinie 96/57/ EWG.

(36)  Richtlinie 2000/55/EG.

(37)  U.a. Italien.

(38)  Siehe Übersendung eines mit Gründen versehenen Gutachtens an Frankreich und Lettland am 16.10.2007.

(39)  Overview on Energy Consumption and Saving PotentialsCarsten Petersdorff, Ecofys ECOFYS GmbH, Eupener Straße 59, D-50933 Köln. Mai 2006.

(40)  In Bezug auf den Energiegehalt des verwendeten Brennstoffs betragen die Gesamtenergieverluste bei Anlagen mit einem besseren Wirkungsgrad 35 %, bei Anlagen mit einem schlechteren Wirkungsgrad 77 %.

(41)  Gesamtstromverbrauch geteilt durch die Zahl der Haushalte.

(42)  Für diese Art von Geräten hat die Kommission im März 2002 eine Richtlinie (2002/31/EG) angenommen, deren endgültige Umsetzung zunächst für Juni 2003 festgesetzt, dann aber auf Sommer 2004 verschoben wurde. Ihr Ziel war die Einführung sparsamerer Geräte. Die Indizes für die Energieeffizienz kleiner Klimageräte der Klasse A waren mit 3,2 festgelegt. Auf dem Markt sind jedoch bereits Modelle mit einem höheren Index bei der Energieeffizienz erhältlich, zwischen 4 und 5,5 bei den besseren Geräten. Das bedeutet nicht nur, dass die breite Einführung von Geräten der Klasse A kein ehrgeiziges Ziel mehr ist, sondern auch, dass es ein großes Einsparpotenzial gibt, da Geräte der Klassen D und E mit Effizienzindizes von ca. 2,5 auf dem europäischen Markt noch weit verbreitet sind.

(43)  Siehe Fußnote 37.

(44)  Energieeffizienzstandard gemessen nach der japanischen „CASBEE“-Methodik.

(45)  Quelle: From Red Lights to Green Lights: Town Planning Incentives for Green Building. Vortrag im Rahmen der „Talking and walking sustainability international conference“ im Februar 2007 in Auckland. Autor: Herr Matthew D. Paetz, Planning Manager, BA, BPlan (Hons), MNZPI. Ko-Autor: Herr Knut Pinto-Delas, Urban Designer, Masters of Urban Design (EIVP, Paris)

(46)  Japan: Gesetz Nr. 49 vom 22. Juni 1979 über die rationelle Energienutzung.

(47)  USA: Residential Energy Code Compliance — IECC 2006 über die Wohngebäude betreffenden Auflagen des „International Energy Conservation Code“ von 2006, http://www.energycodes.gov/

(48)  USA: National Energy Policy and Conservation Act (NEPCA) von 1987.

In den USA haben 63 % der Bundesstaaten den MEC-Standard für Wohngebäude übernommen und 84 % die Norm ASHRAE/IES 90.1-2001 für gewerbliche Gebäude, eine technische Norm, die von der American Society of Heating, Refrigerating and Air-Conditioning Engineers — ASHRAE und der Illuminating Engineering Society of North America — IES/IESNA entwickelt wurde. Siehe HTTP://WWW.ASHRAE.ORG/ und http://www.greenhouse.gov.au/buildings/publications/pubs/international_survey.pdf.

(49)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Energieprofil von Gebäuden“, veröffentlicht im ABl. C 36/20 vom 8.2.2002.

(50)  Stellungnahme Thema „Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen“, Berichterstatterin: Frau SIRKEINEN (ABl. C 120 vom 20.5.2005, S. 115).


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/72


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Die möglichen positiven und negativen Auswirkungen höherer umwelt- und energiepolitischer Anforderungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie“

(2008/C 162/14)

Am 20. September 2007 wandte sich die slowenische Präsidentschaft mit der Bitte an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, eine Sondierungsstellungnahme zu dem Thema

„Die möglichen positiven und negativen Auswirkungen höherer umwelt- und energiepolitischer Anforderungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 23. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr WOLF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 126 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

Inhalt:

1.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

2.

Ausgangslage und allgemeine Bemerkungen

3.

Besondere Bemerkungen — Analysen und Folgerungen

4.

Einzelbetrachtungen und -empfehlungen

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1

Der Ausschuss hat die vorliegende Stellungnahme auf den Themenkreis Energiepolitik und Klimawandel konzentriert. Er behandelt die Frage, unter welchen Umständen Vor- oder Nachteile für die Wettbewerbsfähigkeit der EU entstehen, wenn Energieverbrauch und Emission von Treibhausgasen deutlich reduziert werden. Dabei werden hier vor allem die ökonomischen Aspekte behandelt.

1.2

Auf Grund der wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftskraft, Arbeitsplätzen und sozialem Wohlstand der Bürger ist die gestellte Frage auch für die soziale Zukunft Europas von hoher Bedeutung.

1.3

Der Ausschuss kommt zu dem Ergebnis, dass die damit verbundenen Herausforderungen die Chance beinhalten, in Europa eine Innovations- und Investitionswelle auszulösen und damit die Volkswirtschaft und die (globale) Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu kräftigen. Wenn dies gelingt, überwiegen die Vorteile, auch bezüglich Arbeitsplatzbilanz und Stärkung des europäischen Sozialmodells.

1.4

Entscheidende Voraussetzung dafür ist, dass seitens der Energie-, Wirtschafts-, und Forschungspolitik die richtigen Maßnahmen getroffen werden, die richtigen Prinzipien zur Anwendung kommen und Überregulierungen vermieden werden. Andernfalls besteht Anlass zur Besorgnis, dass die Nachteile — zu hoher Verbrauch zu teurer Energie, Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, Verlagerungseffekte, Gefährdung des europäischen Sozialmodells — überwiegen und zu krisenhaften Entwicklungen führen können. Erschwingliche Energie ist ein unverzichtbares Lebenselixier moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften mit all ihren sozialen und kulturellen Errungenschaften. Darum dürfen die Kosten von Energie nicht — über das für Klimaschutz und wegen Ressourcenverknappung unvermeidliche Maß hinausgehend — durch weitere staatliche Maßnahmen zusätzlich verteuert werden.

1.5

Leitmotiv der energie- und klimapolitischen Vorgaben und Instrumente muss daher die bestmögliche Wirtschaftlichkeit sein; nur dann werden die volkswirtschaftlichen Kosten und die soziale Belastung der Bürger minimiert. Bezüglich des Klimaschutzes sind deren Maßstab die Vermeidungskosten einer vorgegebenen Emissionsmenge an Treibhausgasen (z.B. CO2-Vermeidungskosten). Bezüglich Energieverbrauch bzw. Versorgungssicherheit ist deren Maßstab die Energieeffizienz. (Wobei es auf die jeweils sinnvolle Definition dieser Größen ankommt). Deshalb sollten sich die europäischen Instrumente zur Energie- und Klimapolitik auf wirtschaftliche Energieeffizienzmaßnahmen und den Einsatz wirtschaftlicher und nachhaltiger Energietechnologien fokussieren.

1.6

Leitmotiv der europapolitischen Maßnahmen sollte eine Klima- und Energiepolitik sein, die ein kooperatives Vorgehen begünstigt, mit Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor, und bei dem die jeweiligen wirtschaftlichen, geografischen und ressourcenbezogenen Stärken der einzelnen Mitgliedstaaten optimal genutzt und verknüpft werden. Zum Beispiel sollten Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energie innerhalb Europas dort zum Einsatz kommen, wo dafür die jeweils besten, insbesondere klimatischen, Voraussetzungen einschließlich geeigneter Übertragungswege gegeben sind, und nicht, wo gerade national am höchsten gefördert wird. Darüber hinaus sollten aber auch globale Kooperationen zur Entwicklung und Anwendung energiesparender und Treibhausgase vermeidender Techniken angestrebt werden.

1.7

Trotz der Dringlichkeit der Klimafrage darf der Zeittakt der erforderlichen Veränderungen und Umstellungen von Energieversorgung und Energieverbrauch die Anpassungsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft nicht überfordern. Kenngrößen sind z.B. Amortisationszyklen, Ausbildungszeiten, Entwicklungsschritte für neuartige Technologien, sowie insbesondere die sozialverträglichen Anpassungen, Ausbildungsmaßnahmen und sonstigen gesellschaftlichen Veränderungen. Forschung und Entwicklung müssen dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

1.8

Im Sinne eines Bottom-Up-Ansatzes sollten die Eigeninitiative aller Akteure sowie eine Vielfalt, Diversifizierung und Flexibilität der technischen und wirtschaftlichen Vorgehensweisen ermöglicht und gefördert werden, denn nur aus Vielfalt und einem Wettbewerb der verschiedenen Ansätze, Innovationen und Verfahrensweisen ergibt sich die notwendige Robustheit gegenüber Einzelkrisen und stellen sich die jeweils besonders leistungsfähigen Techniken heraus. Dementsprechend ist auch ein breiter Energiemix erforderlich, bei dem keine sinnvolle Technik (1) zu frühzeitig ausgeschieden werden sollte.

1.9

Bei den energiepolitischen Zielvorgaben, Regulierungen und Instrumenten sollten die Grenzen des technisch möglichen beachtet sowie Überbestimmungen und zu Widersprüchen führende Überschneidungen unbedingt vermieden werden. Letztere bewirken Fehlallokationen und führen damit zu unnötigen wohlstands- und wettbewerbsschädigenden Kostensteigerungen. Ebenso müssen diese Zielvorgaben und Instrumente dann von langfristiger Verlässlichkeit sein, da auf ihrer Basis sehr kostspielige Investitionen und Neuentwicklungen getätigt werden, aus deren ausreichend langfristiger Nutzung sich erst der volkswirtschaftliche Nutzen ergibt, also auch Arbeitsplätze und Wohlstand.

1.10

Wenn immer möglich, sollten marktwirtschaftliche Anreize, wie z.B. eine sinnvoll definierte Allokation von Emissionsrechten, allen Regulierungen im Detail vorgezogen werden. Und nach wie vor sind erschwingliche Energiekosten Voraussetzung für die globale Wettbewerbsfähigkeit, für die soziale Grundversorgung sowie für die für Neuinvestitionen und FuE-Aufwendungen erforderliche Kapitalbildung der europäischen Industrie.

1.11

Zudem ist eine deutlich verstärkte und breite Forschung und Entwicklung klimaverträglicher und ressourcensparender Energietechniken notwendig, zusammen mit der Ausbildung der dazu nötigen Ingenieure, Wissenschaftler und Techniker. Neuartige Verfahren zur Nutzung erneuerbarer Energie, die sich noch weit von der Wirtschaftlichkeit befinden, sollten mit Nachdruck weiterentwickelt, aber nicht mittels hoher Förderkosten (oder erzwungener Abnahmepreise) zu verfrüht in den Markt gedrängt werden. Diese Kosten sollten stattdessen solange in verstärkte Forschung und Entwicklung nachhaltiger und CO2-vermeidender Energietechniken investiert werden, bis sich deren Marktnähe abzeichnet. Darum sollte der Schwerpunkt aller Maßnahmen auf die innovative Entwicklung und effiziente Anwendung energiesparender, klimaneutraler und wettbewerbsfähiger Energietechnologien gelegt werden.

1.12

Insbesondere jedoch: globale und für alle maßgeblichen Emittenten verbindliche Klimaschutzziele sind nötig, um ein globales „level-playing-field“ zu schaffen. Nur so kann vermieden werden, dass die ansonsten höheren Energiekosten innerhalb der EU zu einer nachteiligen globalen Wettbewerbsverzerrung führen, beginnend mit der sukzessiven Abwanderung energieintensiver Industrien, ohne dabei dem Klimaschutz in irgendeiner Weise gedient zu haben („carbon leakage“). Der Ausschuss bekräftigt die Bemühungen aller europäischen Akteure für dieses Ziel (z.B. Bali-Konferenz). Bis dieses erreicht ist, müssen wettbewerbsverzerrende Belastungen für diese Industrien vermieden werden. Ohne diese Industrien bleibt Europa nicht nachhaltig wettbewerbsfähig.

2.   Ausgangslage und allgemeine Bemerkungen

2.1

Bedeutung der Energie. Die Entwicklung und intensive Nutzung von Energie verbrauchenden industriellen Verfahren, Maschinen und Transportmitteln hat entscheidend zum Erreichen unseres heutigen Lebensstandards beigetragen: Energie hat die Menschen von der Last körperlicher Schwerstarbeit befreit, ihre Produktivität vervielfacht, Licht und Wärme geschaffen, die Erträge der Landwirtschaft revolutioniert sowie ungeahnte Mobilität und Kommunikation ermöglicht. Energie wurde zum Lebens-Elixier moderner sozialer Volkswirtschaften und ist Voraussetzung aller Grundversorgungen.

2.2

Problemlage. Die meisten Prognosen lassen erwarten, dass sich der zukünftige Weltenergiebedarf, bedingt durch Bevölkerungswachstum und den Entwicklungsbedarf vieler Länder, bis zum Jahr 2060 voraussichtlich verdoppeln (oder gar verdreifachen) wird. Dem stehen bekanntlich zwei schwerwiegende Entwicklungen entgegen, die zu globalem politischem Handeln auffordern, um ernsten Konflikten und Wirtschaftskrisen zu begegnen: Ressourcenerschöpfung und Schutz der Umwelt. Wenngleich in diesem Zusammenhang der anthropogene Beitrag zum Klimawandel „Klimagase“ oder „Treibhausgase“ (THG), insbesondere CO2, Methan und Lachgas) das übergeordnete Umweltproblem darstellt, müssen auch die Folgewirkungen aller Maßnahmen auf Artenvielfalt, Gesundheit und auf nachhaltige Bewirtschaftung der Ressourcen und Abfälle berücksichtigt werden.

2.3

Europäischer Rat. In den Schlussfolgerungen der Frühjahrestagung 2007 des Europäischen Rates werden bezüglich Energiepolitik dementsprechend folgende Prioritäten hervorgehoben:

Steigerung der Versorgungssicherheit,

Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Verfügbarkeit von Energie zu erschwinglichen Preisen,

Förderung der Umweltverträglichkeit und Bekämpfung des Klimawandels.

2.3.1

Der Ausschuss hat zu diesem Themenkreis wegweisende wichtige Stellungnahmen verfasst, welche im Anhang angeführt werden (2).

2.4

Anfrage der slowenischen Ratspräsidentschaft. Durch einen Brief des slowenischen Wirtschaftsministers A. Vizjak wurde der Ausschuss darüber informiert, dass die Prioritäten der Slowenischen Präsidentschaft auf dem Gebiet der Industriepolitik das Ziel einer höchst energieeffizienten und möglichst wenig Treibhausgase emittierenden europäischen Wirtschaft beinhalten werden. Dazu seien Anreize zur Innovation und zum Gebrauch umweltfreundlicher Technologien und Produkte besonders wichtig. Ein dementsprechender Aktionsplan zur nachhaltigen Industriepolitik sei in Vorbereitung, und der der Europäische Rat werde sich in seiner Frühjahrssitzung 2008 damit befassen. In diesem Zusammenhang wurde der Ausschuss gebeten, zu den möglichen positiven und negativen Auswirkungen höherer umwelt- und energiepolitischer Anforderungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie Stellung zu nehmen.

2.5

Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftskraft und sozialer Wohlstand. Aus jüngsten Veröffentlichungen (3) der Beratenden Kommission für den industriellen Wandel und auch des Ausschusses (4) (z.B. „58 concrete measures to ensure the success of the Libon strategy“) wurde der enge Zusammenhang zwischen Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftskraft und den Spielraum für die notwendigen sozialen Leistungen deutlich. Darum konzentriert sich die vorliegende Stellungnahme auf die hier relevanten ökonomischen Aspekte (5) der Anfrage.

2.6

Industriestaaten. Den hoch entwickelten Industriestaaten fällt dabei eine besondere Verpflichtung zu. Sie begründet sich einerseits aus ihrem höheren Anteil an der Emission dieser Gase und andererseits aus ihrem noch vorhandenen Vorsprung bei der Entwicklung neuer Techniken. Diese reichen von Energieeinsparung, höherer Energieeffizienz und dem Einsatz emissionsfreier (bzw. emissionsarmer) Energielieferanten (6) bis zur Entwicklung dazu geeigneter technischer Verfahren. Dabei gilt es, im Spannungsfeld zwischen Notwendigkeiten, Wunschdenken und wirtschaftlicher Realität das Richtige zu erkennen und mit Augenmaß und Entschiedenheit zu verfolgen.

2.7

Kosten  (7) . Allerdings ist die Nutzung klimafreundlicherer Energieformen für den zivilen Verbraucher und für industrielle Prozesse — mehrheitlich — mit deutlich höheren Kosten (8) verbunden. Beispiele sind Wind- und Solarenergie (9) (so werden allein in Deutschland im Jahre 2007 rund 4 Mrd. EUR für die vom Verbraucher subventionierte Nutzung erneuerbarer Energien (10) ausgegeben) oder die in Entwicklung befindlichen Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS). Auch Wärmepumpen oder Fahrzeuge mit vermindertem oder gar CO2-freiem Treibstoffverbrauch erfordern aufwändigere Technik mit höheren Kosten.

2.8

Risiken. Soweit diesen beachtlichen Kosten keine entsprechenden Ersparnisse aus einem reduzierten Ressourcenverbrauch gegenüberstehen, und solange die konkurrierenden außereuropäischen Volkswirtschaften keine vergleichbaren Kosten tragen, erwächst daraus eine nachteilige Belastung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. „Europa kann ein Beispiel für den Kampf gegen den Klimawandel sein, aber Europa kann keinen unfairen Wettbewerb mit Ländern akzeptieren, die keinerlei ökologische Restriktionen einrichten“  (11). Bereits die Personalkosten (Löhne, soziale Leistungen) liegen in Europa im Vergleich mit den aufstrebenden Volkswirtschaften z.B. Chinas und Indiens deutlich höher und stellen schon für sich allein höchste Anforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit Europas; umso mehr sind alle weiteren, einseitigen, durch Klimaschutzziele ausgelösten Verteuerungen der Produktivität besonders gravierend und gefährlich.

2.9

Chancen. Für den Fall, dass eine überwiegende Mehrheit außereuropäischer Staaten wie z.B. China, Indien und die USA ähnliche Maßnahmen zum Klimaschutz trifft, bestünde allerdings sogar die Chance, die in Europa entwickelten umweltschonenden Energietechniken zu exportieren und so nicht nur der europäischen Volkswirtschaft zu nutzen, sondern sogar zur globalen Verbrauchs- und CO2-Minderung beizutragen. Zudem zeigt die Wirtschaftsgeschichte, dass auf krisenähnliche Phasen häufig erhöhte Innovationsbereitschaft sowie Entwicklung und Einsatz neuer Technologien folgten, die längerfristig mit Wachstum und Aufschwung verbunden waren (bisher allerdings auch mit erhöhter Energienutzung!). Darum sollte der Schwerpunkt aller innereuropäischen Maßnahmen auf die innovative Entwicklung und effiziente Anwendung energiesparender, klimaneutraler und wettbewerbsfähiger Energietechnologien gelegt werden, während die außenpolitischen Bemühungen um adäquate globale Vereinbarungen mit Nachdruck weitergeführt werden sollten — die Ergebnisse der Bali-Konferenz zeigen, dass zumindest weiter verhandelt wird (siehe dazu Ziffer 2.11).

2.10

Probleme. Wenn diese aber nicht zum Erfolg führen sollten, entstehen ernste Probleme. Als erstes werden Industriezweige, deren Produktionskosten maßgeblich von den Energie- und CO2-Kosten abhängen, auf dem Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig sein, ihre Produktion hier einstellen, die hiesigen Arbeitsplätze aufgeben, und dies alles statt dessen in Länder mit geringeren Energie- und ohne CO2-Kosten verlagern. Für bestimmte Industriesparten wie die Aluminium- oder Zementindustrie (12) hat ein solcher Prozess bereits begonnen. Der Kommission ist die genannte Problematik zwar aufgrund eines „Impact Assessment“ durchaus bewusst bewußt (13); nach Meinung des Ausschusses muss hier jedoch sehr rasch eine gute Lösung gefunden werden, um volkswirtschaftlichen Schaden zu vermeiden. Neben der Verlagerung existierender Industrien wird vor allem der internationale Kapitalfluss seine zukünftigen Investitionen für neue Anlagen nicht mehr nach Europa lenken, sondern in die Regionen mit niedrigeren Energie- und CO2-Kosten.

2.10.1

Verlagerung und „Leakage“. Eine solche Verlagerung bedeutet zudem, dass zwar in der EU weniger CO2 emittiert wird, global jedoch genau so viel CO2 wie vordem oder sogar mehr in die Atmosphäre gelangt; wenn nämlich die verlagerte Produktion billigere Techniken einsetzt als hier bereits jetzt oder in Zukunft zum Einsatz kommen, werden in der Regel sogar mehr Treibhausgase freigesetzt (Ausnahme Wasserkraft z.B. Norwegen). Transportbedingte CO2-Emissionssteigerungen kommen hinzu.

2.10.2

Volkswirtschaftliche Energieintensität. In diesem Fall hätte die europäische Volkswirtschaft wichtige Industrieproduktionen und Arbeitsplätze verloren, ohne dem Klimaschutz zu nutzen. Gleichzeitig hätte die EU im Wettbewerb der volkswirtschaftlichen Energieeffizienz, nämlich der sog. Energieintensität (Energieverbrauch/Bruttosozialprodukt), vorübergehend (14) sogar einen (Schein-)Erfolg errungen, weil die energieintensive Industrie ausgewandert ist.

2.10.3

Dienstleistungssektor. Selbst der Dienstleistungssektor, der einen großen Teil der Wirtschaftskraft Europas umfasst, kann langfristig nur bei Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie prosperieren und ist dementsprechend ebenfalls von — im globalen Vergleich — überhöhten Energiekosten betroffen.

2.11

Globale Vereinbarungen. Verbindliche und ausgewogene globale Vereinbarungen, den Ausstoß dieser Klimagase zu reduzieren, müssen also nicht nur wegen des Klimaschutzes selbst — denn ein spürbarer Effekt ist nur zu erwarten, wenn auch die maßgeblichen Emittenten von CO2 wie z.B. China, Indien und die USA sich den Schutzmaßnahmen anschließen — vorrangiges Ziel aller internationalen Bemühungen auf diesem Gebiet sein. Der Ausschuss begrüßt daher alle Bemühungen der Gemeinschaft, der Mitgliedstaaten und der Organisationen wie G8, UNO, UNESCO, OECD, IEA etc. in dieser Richtung, wie z.B. die gerade stattgefundene Bali-Konferenz.

3.   Besondere Bemerkungen — Analysen und Folgerungen

3.1

Energie- und Klimaschutzpolitik. Eine erfolgreiche Energie- und Klimaschutzpolitik muss für eine deutliche Senkung des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen sorgen, die Gesellschaft und ihre einschlägigen Akteure auf die dazu nötigen Veränderungen vorbereiten (z.B. Architekten, Investoren, Unternehmer, Lehrer, Schüler, Bürger, Konsumenten etc., denn es handelt sich um eine Angelegenheit die alle angeht, von einem Ende der Kette bis zur anderen), aber diesen Veränderungsprozess gleichzeitig so gestalten, dass die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft nicht beeinträchtigt wird und so die Ziele von Ziffer 2.3 in Balance bleiben. Daraus ergeben sich Herausforderungen und Chancen.

3.2

Herausforderung. Beides, die Entwicklung der globalen Energienachfrage als auch die europäische Energie- und Klimapolitik der letzten Jahre führten zu beachtlichen Verteuerungen von Energie und der Folgeprodukte. Um die drei Ziele von Ziffer 2.3 gleichrangig zu verfolgen und dafür auch das erforderliche Kapital für zukünftige Investitionen in innovative Techniken zu erwirtschaften, sollte der europäischen Volkswirtschaft Energie jedoch — trotz der zunehmenden globalen Nachfrage und bei Gewährleistung des nötigen Klimaschutzes — so günstig wie möglich zur Verfügung stehen. Darum dürfen die Kosten von Energie nicht — über das für Klimaschutz und wegen Ressourcenverknappung unvermeidliche Maß hinausgehend durch zusätzliche staatliche Maßnahmen verteuert werden.

Dabei können bezüglich der erforderlichen Einzelmaßnahmen und deren Auswirkungen durchaus Interessenunterschiede zwischen Energieversorgern und Energiekonsumenten auftreten.

3.3

Anreize und Emissionshandel. Hierfür werden ausreichende marktwirtschaftliche Anreize benötigt, damit im Rahmen der Investitionszyklen energieeffiziente Techniken — selbst bei ggf. höheren Investitionskosten — zum Einsatz kommen. Wenn solche Investitionen trotz ihrer Wirtschaftlichkeit ausbleiben, müssen die entsprechenden Hemmnisse analysiert und abgebaut werden. Denn Investitionen in Energieeffizienz (siehe auch Ziffer 4.1) führen in den allermeisten Fällen zu den geringsten CO2-Vermeidungskosten. Vom Prinzip her könnte der Emissionshandel (Emission Trading) eines dieser marktwirtschaftlichen Instrumente sein. Allerdings sind dazu deutliche Verbesserungen der gegenwärtigen Anwendungsweise erforderlich (siehe auch Ziffer 4.3), um eine vorgegebene Menge von CO2 mit den geringsten Kosten einzusparen. Durch die Überlagerung mit EE-Förderinstrumenten sowie falschen Anreize bei der Zuteilung von Zertifikaten (wie insbesondere das Fehlen einer Korrelation zwischen Zuteilung und tatsächlicher Produktion, was den Emissionshandel auch zu einer Stilllegungsprämie macht) entstehen z.B. die sog. „Windfall Profits“, die zur Verteuerung von elektrischer Energie in Milliardenhöhe geführt haben. Die seitens der Kommission vorgeschlagene vollständige Auktionierung würde dies eher noch verteuern.

3.4

Reelle Chancen. Falls es gelingt, über die nächsten 15-25 Jahre die vielen in diesem Zeitlauf anfallenden Re- und Neuinvestitionen auf wirtschaftliche, energiesparende und mit verminderter Emission arbeitende Techniken zu konzentrieren, kann sich Klimaschutz positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie auswirken und somit trotz erhöhter Energiepreise eine Chance für mehr allgemeinen Wohlstand sein.

3.5

Voraussetzungen und Empfehlungen. Im Folgenden werden daher einige der Voraussetzungen diskutiert, um diese Chancen realisieren zu können, sowie einige entsprechende Empfehlungen gegeben. Entscheidende Voraussetzung ist, dass seitens der Energie-, Wirtschafts-, und Forschungspolitik die richtigen Maßnahmen getroffen werden, die richtigen Prinzipien zur Anwendung kommen und Überregulierung vermieden wird. Die politischen Instrumente müssen die wirtschaftlich rentabelsten Lösungen stimulieren und ermöglichen; die quantitativen Zielvorgaben müssen den Zeittakt der notwendigen Umstellungen des für eine gesunde Volkswirtschaft Verträglichen berücksichtigen. Kenngrößen des möglichen Zeittakts sind z.B. Amortisationszyklen, Ausbildungszeiten, Entwicklungsschritte für neuartige Technologien, sowie insbesondere die sozialverträglichen Anpassungen, Ausbildungsmaßnahmen und sonstigen gesellschaftlichen Veränderungen. Forschung und Entwicklung müssen dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

3.6

Breites VorgehenVielfalt, Diversifizierung, Flexibilität und Reziprozität. Im Sinne eines Bottom-Up-Ansatzes sollten die Eigeninitiative aller Akteure sowie Vielfalt, Diversifizierung und Flexibilität der technischen und wirtschaftlichen Vorgehensweisen ermöglicht und gefördert werden, ohne dabei einzelne Bereiche zu privilegieren. Nur aus einem breiten Ansatz und Wettbewerb der verschiedenen Optionen, Innovationen und Verfahrensweisen erwächst Robustheit gegenüber einzelnen Krisen und stellen sich die jeweils besonders leistungsfähigen Methoden, Techniken und deren optimaler Verbund heraus. Dementsprechend ist auch ein breiter Energiemix erforderlich, bei dem keine sinnvolle Technik (15) zu frühzeitig ausgeschieden werden sollte. Der Absicherung unserer Versorgung nützt eine angemessene Verflechtung von Produzenten, Lieferanten und Kunden über die Lieferkette vom Bohrloch bis zum Kunden. Dazu brauchen wir reziproke Wirtschaftsbeziehungen, d.h. sichere Investitionsbedingungen für ausländisches Kapital in der EU, und umgekehrt sichere Bedingungen von EU-Investitionen in den Lieferantenländern.

3.7

Europapolitische Maßnahmen und globale Zusammenarbeit. Die europäische Klima- und Energiepolitik sollte ein kooperatives Vorgehen begünstigen, mit Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor, und bei dem die jeweiligen wirtschaftlichen, geographischen und ressourcenbezogenen Stärken der einzelnen Mitgliedstaaten optimal genutzt und verknüpft werden. Zum Beispiel sollten Techniken zur Nutzung erneuerbarer Energie innerhalb Europas dort zum Einsatz kommen, wo dafür die jeweils besten, insbesondere klimatischen Voraussetzungen einschließlich geeigneter Übertragungswege gegeben sind, und nicht, wo gerade national am höchsten gefördert wird. Darüber hinaus sollten aber auch globale Kooperationen zur Entwicklung und Anwendung energiesparender und Klimagase vermeidender Techniken angestrebt werden.

3.8

Widersprüchliche  (16) und überlappende quantitative Zielvorgaben. Bestmögliche Wirtschaftlichkeit minimiert die volkswirtschaftlichen Kosten und die soziale Belastung der Bürger.

Überlappende energie- und klimapolitische Zielvorgaben führen jedoch zu einem überbestimmten System und zu unwirtschaftlichen Lösungen; sie sollten daher vermieden werden. Dies sei beispielhaft folgend verdeutlicht:

Das übergeordnete EU-Klimaschutzziel einer 20 %igen CO2-Reduktion von 1990 bis 2020 gemäß Ratsbeschluss vom März 2007 führt zu einem BIP-Verlust (17) von 480 (Abschätzung der EU-Kommission vom 23.01.2008) bis 560 Mrd. (GWS/Prognos) (18) EUR für die Zeit von 2013 bis 2020; dieser muss akzeptiert werden und sollte daher als primäre Richtschnur zum weiteren Handeln dienen.

Die zusätzliche Festlegung auf eine ambitionierte 20 %-Quote von erneuerbaren Energien (EE) steigert jedoch diese Kosten zusätzlich, denn deren CO2-Vermeidungskosten liegen beachtlich oberhalb anderer CO2-Minderungsmaßnahmen.

Weitere Nachteile und Komplikationen treten auf, wenn zudem auch noch die volkswirtschaftliche Energieeffizienz (EnEff) (siehe Ziffer 2.10.2) selbst zu einer zusätzlichen, explizit quantifizierten Zielgröße (20 %) gemacht wird. Denn diese wird am einfachsten erreicht, wenn die Industrie abwandert oder — aufgrund der EnEff-Definition — der Energiemix von Kernkraft und Kohle zu (den deutlich teueren) Gas und EE umgebaut wird (19). Diese unerwünschten Nebeneffekte zeigen, dass EnEff selbst kein Ziel, sondern ein — allerdings sehr wichtiges — Mittel sein sollte, um die drei fundamentalen Ziele von Ziffer 2.3 nachhaltig zu erreichen.

Darum empfiehlt der Ausschuss, alle Vorgaben zum Schutz des Klimas zunächst hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das BIP sorgfältig und objektiv zu evaluieren, um bei der notwendigen Reduktion der Treibhausgase die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrien sicherzustellen und eine optimale Ressourcenallokation zu erzielen.

3.8.1

Studien. Studien lassen erwarten (20), dass

ein CO2-Reduktionsziel für die EU von etwas weniger als 20 % (21) wirtschaftlich darstellbar ist, wenn es Politik und Gesellschaft gelingt, konsequent die kostengünstigsten Maßnahmen zu realisieren (bottom up-Studie McKinsey, in welcher die dafür notwenigen und möglichen Maßnahmen genau identifziert werden); zwar existieren auch Studien, die höhere Reduktionsziele als wirtschaftlich darstellen, letztere zeigen jedoch als top down-Studien nicht wirklich auf, wie dies geschehen kann;

die Kosten für jeden weiteren Prozentpunkt an CO2-Reduktionen jedoch zunehmend steil ansteigen (kumulierter BIP-Verlust 480-560 Mrd. EUR, siehe Ziffer 3.8); so erfordert ein Reduktionsziel von 20 % bereits den kostspieligen Umbau des Energiemixes von Kohle zu Gas und EE;

die zusätzliche Festlegung auf ein 20 %-EE-Ziel viele weitere Milliarden Euro kosten wird, da dieses Ziel nur mit einem massiv subventionierten Einsatz von (zumindest beim jetzigen Entwicklungsstand) unwirtschaftlicher Technologien erreichbar wäre.

3.8.2

Balance der Zielvorgaben von Ziffer 2.2. Im Sinne der nötigen Ausgewogenheit zwischen den drei energie- und umweltpolitischen Zielen von Ziffer 2.3 sollten die politischen Instrumente darauf abzielen, durch wirtschaftlich attraktive CO2-Minderungsmaßnahmen das ohne wirtschaftlichen Schaden Realisierbare auch wirklich zu erreichen. Fordert man jedoch zusätzlich einen kostenintensiven, da vom technischen Entwicklungsstand her verfrühten, Umbau des Energiemixes auf eine zu hohe EE-Quote und zudem auf ein überreguliertes volkswirtschaftliches EnEff-Ziel, dann ergeben sich zum einen volkswirtschaftliche Fehlallokationen (22), und zum anderen erwächst die Gefahr, dass die Nachfrage nach besonders wirksamen Umwelttechnologien nicht einmal mehr aus europäischer Produktion gedeckt werden kann. So hat eine Untersuchung der EU-Kommission ergeben (23), dass bereits CO2-Preise von 20-25 EUR/t die Wettbewerbsfähigkeit vieler Industriebranchen deutlich beeinflusst.

3.9   Forschung und Entwicklung, Ausbildung

3.9.1

Verstärkte Forschung und Entwicklung (FuE) entlang der gesamten Energiekette ist Voraussetzung für die nötigen Technologieentwicklungen hin zu neuen Optionen, geringeren Kosten sowie höherer Effizienz bei Ressourcen-Erschließung/Förderung, Energieumwandlung, Energiespeicherung bis zur Endenergienutzung in Industrie, Verkehr, Haushalt und privatem Verbraucher. Wie vom Ausschuss wiederholt angemahnt, sollten dazu die Aufwendungen für FuE massiv erhöht werden. Sie sollten dabei auch von einer Reduktion der hohen Markt-Subventionen noch lange nicht eigenständig marktfähiger Technologien profitieren.

3.9.2

Dabei sollte sich die staatliche Förderung der Energieforschung auf die sehr wichtige Grundlagenforschung (z.B. Katalyse, weiße/grüne Biotechnologie, Materialforschung, Kernfusion, Abbau von Aktiniden etc.) konzentrieren, während anwendungsnahe FuE primär von der Wirtschaft (einschließlich KMU) getragen werden sollte. Darüber hinaus ist eine intensive Ausbildung aller benötigten Fachkräfte vom Techniker bis zum Ingenieur und Wissenschaftler erforderlich, sowie eine Schulung aller — auch als Verbraucher — indirekt mit Energie befassten Akteure.

4.   Einzelbetrachtungen und -empfehlungen

4.1   Zur Energieeffizienz (EnEff), einer „No-regret-Option“

Sie erhöht die Versorgungssicherheit, reduziert die Umweltbelastungen und stabilisiert die Energiepreise.

Durch ihre Steigerung können weltweit bis 2030 etwa 6 Gt (Milliarden Tonnen) CO2 zu Negativ-Kosten eingespart (24) werden.

Sie ist der entscheidende Schlüssel, um außereuropäische Staaten in ein globales Klimaschutzabkommen zu integrieren.

Für ihre Optimierung müssen gesetzliche Zielkonflikte beseitigt werden: Mietrecht, Recycling-Quoten.

Ihre „Messung“ pro Staat muss bei der Nutzung von Gütern durch den Endverbraucher ansetzen, und nicht ausschließlich beim Energieeinsatz pro BIP.

Für energiebetriebene Güter sollte bei Zielkonflikten der Focus auf die Nutzungsphase gelegt werden.

Sie sollte vorrangig dort gefördert werden, wo hohes Einsparpotenzial besteht: vor allem im Gebäudebereich und bei Kraftwerken.

Investitionszyklen und Amortisationsdauer bestimmen ihre Wirtschaftlichkeit.

Diese müssen auch bei EE die entscheidende Rolle spielen (mehr dazu unter „EE“).

Industrie-Anlagen, die bereits die EnEff-Benchmark Bedingungen erfüllen, dürfen keinen zusätzlichen Kostenbelastungen durch Politikinstrumente, wie dem Emissionshandel (z.B. Auktionierung), unterworfen werden.

Nach globalen Energieeffizienz-Potenzialen sollte sektorweise gesucht werden (25).

4.2   Zu erneuerbaren Energien

4.2.1

Erneuerbare Energien (EE) dienen der nachhaltigen Energieversorgung (erhöhte Versorgungssicherheit, nahezu CO2-neutrale oder CO2-freie Energiegewinnung). Sie müssen längerfristig ohne Förderung auskommen und damit deutlich effizienter werden.

4.2.2

Daher sollten die weitere Förderung und Entwicklung von EE folgende Gesichtspunkte berücksichtigen, mit dem Leitgedanken, die Wirtschaftlichkeit der Förderung zu erhöhen:

Die Förderung sollte auf bestmögliche Wirtschaftlichkeit ausgerichtet werden.

Leitmärkten sollten vorrangig durch geeignete Rahmenbedingungen entwickelt werden und nicht zu Lasten, sondern kompatibel mit bewährten bestehenden Industrien.

Die Förderinstrumente sollten die jeweils besten Standorte in der EU bevorzugen. Biomasse sollte dort für energetische Zwecke eingesetzt werden, wo sie produziert wurde. (Transportkosten).

EE Technologien, die noch weit von der Wirtschaftlichkeit entfernt sind, sollten zunächst über FuE-Instrumente weiterentwickelt werden, statt über sehr kostspielig geförderte verfrühte Massenanwendung.

EnEff und EE-Förderung sollten sinnvoll kombiniert werden: zeitlicher Vorrang gebührt EnEff-Maßnahmen, um dann nachgeschaltet den Einsatz von EE zu fördern. Beispiel: bei der geplanten Wärme-EE-Richtlinie sollte EE-Wärme nur für solche Gebäude gefördert werden, die zunächst auf geringen Wärmebedarf saniert wurden.

4.3   Weitere Handlungsempfehlungen

Vor Festlegung auf zukünftige Zielsetzungen sollten die technischen Realisierungschancen sowie wirtschaftliche und soziale Folgen analysiert werden. Die Festlegung sollte dann auf Basis einer europäischen und bestmöglich sogar einer globalen Abstimmung erfolgen.

Politikinstrumente sollten die gewünschten Lenkungseffekte erzielen (z.B. Anreize für Investitionen in wirtschaftliche Maßnahmen, Entwicklung von neuen Märkten), aber ungewünschte Lenkungseffekte vermeiden (z.B. Verlagerung von Investitionen, hohe Kostenbelastungen für Wirtschaft und Verbraucher).

Politikinstrumente sollten konsequenter als bisher an Klima-, Energie- und Kapitaleffizienz ausgerichtet werden, und zwar anhand quantifizierbarer Werte. Der beste Maßstab hierfür sind die CO2-Vermeidungskosten.

Die EU sollte den überregulierten Instrumenten-Mix (Emissionshandel, EE-Förderung, KWK-Förderung, Energiesteuern, Ordnungsrecht mit vielfältigen Einzelrichtlinien) bereinigen. Dabei müssen auch Zielkonflikte bereinigt werden; wirtschaftlichen Maßnahmen ist Vorrang vor unwirtschaftlichen zu geben (in der Regel EnEff vor weiterem Ausbau von EE).

Der Emissionshandel sollte mit dem Ziel modifiziert werden, die EnEff zu fördern und Stilllegungen zu vermeiden. Damit die Unternehmen das nötige Kapital zu Investitionen in EnEff haben, sollten Zertifikate nicht per Auktionierung vergeben werden, sondern auf Basis von Effizienz-Benchmarks mit Kopplung an die tatsächliche Produktionsmenge. Im Sinne der gewünschten Lenkungseffekte (EnEff-Steigerung) wirkt dann der Emissionshandel gleichermaßen intensiv wie bei voller Auktionierung, aber er vermeidet die negativen Auswirkungen (wie Zementierung der unnötigen Strompreissteigerungen — windfall-profits — und Belastung der energieintensiven Industrien). Die Überlagerung mit EE-Förderinstrumenten und falsche Anreize bei der Zuteilung von Zertifikaten sollten vermieden und stattdessen die Korrelation zwischen Zuteilung und tatsächlicher Produktion berücksichtigt werden (damit der Emissionshandel nicht zur Stilllegungsprämie wird!). Mit Auktionierung würden in einigen Branchen allein die reinen Produktionskosten um über 10 % ansteigen und damit gewollte Steigerungen bei Löhnen blockieren.

EE-Förderung sollte EU-weit harmonisiert werden, damit Windanlagen und Photovoltaik an den jeweils besten EU-Standorten gebaut werden. Eine Breitenförderung von EE bei Wärme-, Strom- und Kraftstoffproduktion sollte sich nicht nach regionaler Bedürftigkeit, sondern nach den jeweils besten klimatischen (und übertragungstechnischen) Gegebenheiten richten.

Energie als Produktionsfaktor sollten von zusätzlichen — d.h. zusätzlich zu den bereits beim Energielieferanten entstandenen und den jeweiligen Abnahme-Energiepreis bestimmenden — staatlich induzierten Energie- und Klimakosten (Emissionshandel, EE-Förderung, KWK-Förderung, Energiesteuern etc.) weitgehend verschont werden, um die globale Wettbewerbsposition nicht zu beschädigen und Verlagerungen zu vermeiden. Nur wirtschaftlich gesunde Unternehmen sind in der Lage, die benötigten Effizienzverbesserungen vorzunehmen, neue Technologien zu entwickeln und das nötige Kapital aufzubringen.

Bei globalen Vereinbarungen sollte der Fokus auf relative Zielgrößen (EnEff, THG-Emissionen/BIP) gelegt werden, damit Länder mit hohem Wachstumspotenzial (also großem THG-Zuwachs) Anreize zur Beteiligung haben. Anreize sollten vor allem im Technologietransfer gegeben sein, wie es etwa das Ziel des AP-6-Forums (26) von sechs Staaten im asiatisch-pazifischen Raum ist, damit effiziente Technologie schnell die Regionen mit dem größten Nachholbedarf erreicht.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Unbeschadet der jeweiligen Entscheidung von Mitgliedstaaten zur Kernenergie.

(2)  Die hierfür relevanten Stellungnahmen des Ausschusses der letzten vier Jahre sind im Anhang aufgelistet.

(3)  Initiativstellungnahme der Beratenden Kommission für den industriellen Wandel zum Thema „Auswirkungen der europäischen Umweltvorschriften auf den industriellen Wandel“, CESE 696/2007, Berichterstatter Herr Pezzini und Herr Novicki.

(4)  CESE-2007-09, Vorwort Herr Sepi.

(5)  Einige auch für die hier vorliegende Stellungnahme relevanten sozialen Aspekte werden in der zukünftigen Initiativ-Stellungnahme „Die sozialen Auswirkungen der Entwicklung im Gesamtbereich Energie und Verkehr“ mitbehandelt.

(6)  Auch dabei gibt es Ernüchterungen, wie jüngst bei der Hoffnung auf Biokraftstoffe, siehe TEN/286.

(7)  Siehe dazu die Abschätzung der EU-Kommission zu den Kosten des EU-Klimapakets am 23. Januar 2008: 0,45 % des Brutto-Inlandsprodukts bzw. 60 Milliarden EUR pro Jahr bzw. ca. drei EUR je Bürger und Woche (mehr als 600 EUR je vierköpfiger Familie und Jahr).

(8)  Ausnahmen Wasserkraft und Kernenergie.

(9)  Die bei höherem Angebot erforderlichen Speichertechniken würden zu einer weiteren drastischen Kostensteigerung führen.

(10)  Und für die dabei geschaffenen Arbeitsplätze.

(11)  Aus der Rede von Präsident Sarkozy am 13. November 2007 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.

(12)  Siehe CCMI/040, Entwicklung der europäischen Zementindustrie.

(13)  „Commission eyes end to free pollution credits“, EurActiv, 10/01/08; http://www.euractiv.com/en/climate-change/commission-eyes-free-pollution-credits/article-169434.

(14)  Nämlich solange sich noch keine generelle Rezession bemerkbar macht.

(15)  Unbeschadet der jeweiligen Entscheidung von Mitgliedstaaten zur Kernenergie.

(16)  Ein besonders effektives Mittel zur Senkung der CO2-Emissionen könnte die in Entwicklung befindliche Technologie von Carbon-Capture and -Storage sein (CCS). Allerdings sinkt bei diesem Verfahren die Energie-Effizienz im Vergleich zu einer vergleichbaren Anlage ohne CCS. Darum besteht hier ein klarer Widerspruch zwischen CO2-Vermeidung und Energieeffizienz. Angesichts der noch sehr großen Kohlevorräte könnte dieser Verlust an Energie-Effizienz vorübergehend in Kauf genommen werden. Dann allerdings darf Energie-Effizienz nicht zusätzlich als quantitative Zielvorgabe gefordert werden.

(17)  Rede von Kommmissionspräsident Barroso am 23. Jan. 2008.

(18)  „GWS/Prognos-Studie“ Oktober 2007, im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi).

(19)  Ursache ist die Definition von EnEff als Verhältnis von PEV (Primär-Energie-Verbrauch) und BIP. Der PEV wiederum wird bei Elektrizitätserzeugern über die sog. Wirkungsgradmethode berechnet. Dadurch steigt die EnEff z.B. um das Dreifache, wenn ein KKW durch Wind- oder Sonnenenergie ersetzt wird, ohne dass ein einziges kWh Strom eingespart worden wäre. Auch bei Ersatz eines KKW durch Erdgas würde EnEff steigen, obwohl sogar dabei mehr CO2 emittiert wird.

(20)  McKinsey, deutsche CO2-Vermeidungskostenkurve, Sept. 2007; EEFA, Studie für Energieintensive Industrien, Sept. 2007.

(21)  Genauer: für Deutschland 26 %; daraus extrapoliert auf die gesamte EU ca. 15 % — 20 %.

(22)  Wie es bereits durch die bisherigen kurzfristigen Politikmaßnahmen von — häufig nationalen — Quoten bei EE und CO2-Allokationen in Fünf-Jahres-Plänen zu beobachten war.

(23)  „EU ETS Review. Report on International Competitiveness“, European Commission/McKinsey/Ecofys, Dezember 2006.

(24)  McKinsey-Kurve.

(25)  Gemäß IEA-Ansatz.

(26)  „Asia-Pacific Partnership on Clean Development and Climate“ ist ein neues Forum, um Entwicklung und Einsatz sauberer Energietechnologien zu beschleunigen. Teilnehmerländer sind: Australien, Kanada, China, Indien, Japan, Korea, USA. Ziel ist, gemeinsam mit der Wirtschaft Energie- und Klimaziele so zu erreichen, dass nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und Armutsbekämpfung vorangetrieben werden. Der Fokus liegt auf Investitionen, Handel und Technologietransfer.


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/79


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 460/2004 zur Errichtung der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit bezüglich deren Bestehensdauer“

KOM(2007) 861 endg. — 2007/0291 (COD)

(2008/C 162/15)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 24. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 460/2004 zur Errichtung der Europäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit bezüglich deren Bestehensdauer“

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 134 gegen 3 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/79


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Auf Nutzungsrechten basierende Bewirtschaftungsinstrumente in der Fischerei“

(2008/C 162/16)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Auf Nutzungsrechten basierende Bewirtschaftungsinstrumente in der Fischerei“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 22. Januar 2008 an. (Berichterstatter war Herr SARRÓ IPARRAGUIRRE).

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 110 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss erachtet es für notwendig, dass die Kommission nach Abschluss der Diskussionsphase eine Studie erstellt, in der die derzeitigen Kapazitäten der Gemeinschaftsflotten und die zu ihrer Wettbewerbsfähigkeit nötigen Fangquoten unter Wahrung der Nachhaltigkeit der gemeinschaftlichen Fanggründe aufgezeigt werden.

1.2

In dieser Studie sollte es um die Aktualisierung der Fangrechte der Mitgliedstaaten gehen, die nach dem Grundsatz der relativen Stabilität erworben wurden, wobei die 24 Jahre, die seit 1983 vergangenen sind, berücksichtigt werden sollen.

1.3

Diese Aktualisierung müsste in Form einer Quotenzuteilung in regelmäßigen Zeitabständen, zum Beispiel für einen Zeitraum von fünf Jahren, erfolgen, damit die Quoten umverteilt werden können für den Fall, dass erneute Ungleichgewichte entstehen.

1.4

Im Zuge dieser Aktualisierung sollte analysiert werden, welche Lösungen am besten geeignet sind, um in Zukunft die derzeitig herrschenden Ungleichgewichte in den Fangquoten für einige Grundfisch- und pelagische Arten in bestimmten Fanggebieten zu vermeiden, die für die meisten Mitgliedstaaten zu hohe oder zu niedrige Quoten mit sich bringen.

1.5

In jedem Falle sollten gestützt auf fundierte wissenschaftliche Daten die tatsächlichen Fangquoten angegeben werden. Dazu sollten nach Ansicht des EWSA größere Anstrengungen zur Gewinnung wissenschaftlicher Kenntnisse über die Ressourcen unternommen werden, denn derzeit werden die meisten Quoten nach dem Vorsorgeansatz festgelegt, da keine ausreichenden wissenschaftlichen Daten vorliegen.

1.6

Außerdem ist der Ausschuss der Ansicht, dass der Grundsatz der relativen Stabilität bestimmte erworbene Rechte für die Mitgliedstaaten mit sich bringt. Diese Rechte sollten nicht spurlos verschwinden, sondern können in Abhängigkeit von der zurzeit im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik geforderten Nachhaltigkeit der Ressourcen und der Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaftsflotten aktualisiert werden.

1.7

Der Ausschuss ist der Meinung, dass — sofern die Kommission ein auf Nutzungsrechten basierendes Bewirtschaftungsinstrument in Erwägung zieht — dies auf Gemeinschaftsebene geschehen sollte.

1.8

Dem Ausschuss zufolge könnten die Rückwürfe und die Überfischung durch ordnungsgemäß aktualisierte Fangrechte erheblich verringert werden.

1.9

Da die Rechte der handwerklichen Fischer, die vor allem in den Inselstaaten und Inselregionen der EU von besonderer Bedeutung sind, als vorrangig angesehen werden, sollte die handwerkliche Fischerei im Sinne einer Fischerei mit Fischereifahrzeugen mit einer Länge über alles von weniger als 12 m (1)nach Auffassung des Ausschusses von einem auf Nutzungsrechten basierenden Bewirtschaftungsinstrument auf Gemeinschaftsebene ausgenommen werden.

1.10

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Kommission, wenn sie ein auf Nutzungsrechten basierendes Bewirtschaftungssystem der Fischereiressourcen einführen möchte, mit solchen Fischereien beginnen sollte, für die aufgrund von Diskrepanzen zwischen zu hohen und zu niedrigen Quoten ein breiter Konsens unter den betroffenen Mitgliedstaaten herrscht.

1.11

In einem solchen Fall wäre dem Ausschuss zufolge Aufgabe der Kommission, die Festlegung der Verhandlungsebene für die Fangrechte — auf Ebene der Gemeinschaft, der Mitgliedstaaten, der Erzeugerorganisationen oder der Unternehmen — sowie die Kontrolle über die Transaktionen zu übernehmen.

1.12

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass ein wichtiger Schritt in Richtung eines auf Nutzungsrechten basierenden Bewirtschaftungssystems getan sein wird, sobald das derzeitige Ungleichgewicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der relativen Stabilität ausgeglichen ist.

2.   Einführung

2.1

Mit ihrer Mitteilung „Auf Nutzungsrechten basierende Bewirtschaftungsinstrumente in der Fischerei“  (2) beabsichtigte die Kommission, eine Debatte von etwa einem Jahr (27.2.2008) über die Notwendigkeit des Findens von Lösungen zu veranlassen, die zur wirksamen Erreichung der in der neuen Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) vorgesehenen Ziele, wie Nachhaltigkeit der Ressourcen und Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaftsflotte, beitragen.

2.2

In ihrem Grünbuch über die Zukunft der Gemeinsamen Fischereipolitik  (3) ruft die Kommission dazu auf, neue Bewirtschaftungsmethoden auszuprobieren, wie z.B. „marktwirtschaftliche Systeme der Quotenzuteilung, wie übertragbare individuelle Quoten und Auktionen, die einen Markt für Fangrechte entstehen lassen und das Interesse der Inhaber dieser Rechte, die Nachhaltigkeit des Fischfangs langfristig zu sichern, steigern könnten“.

2.3

In dem Fahrplan zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik  (4) ist die Kommission der Auffassung, dass „der Fischereisektor noch immer von besonderen Merkmalen geprägt ist, die die Anwendung normaler wirtschaftlicher Bedingungen, wie den freien Wettbewerb zwischen den Erzeugern oder der Investitionsfreiheit, auf kurze Sicht erschweren“. Diese Merkmale beziehen sich auf das strukturelle Ungleichgewicht zwischen den knappen Fischereiressourcen einerseits und der Größe der Gemeinschaftsflotte andererseits sowie auf die anhaltende Abhängigkeit bestimmter Küstenorte von der Fischerei. In diesem „Fahrplan“ hat die Kommission einen Aktionsplan aufgestellt, dessen Umsetzung 2002 begann mit der Organisation von Seminaren zum wirtschaftlichen Management, in denen eine Regelung für (individuelle oder kollektive) handelsfähige Fangrechte ausgehandelt werden sollte. Im Jahr 2003 sollte die Kommission den Rat über die Ergebnisse dieser Verhandlungen informieren. Mit einer gewissen Verspätung gegenüber dem vorgesehenen Zeitplan fand im Mai 2007 ein Seminar zur wirtschaftlichen Dimension der Fischerei statt, in dem unter anderem das Thema der Fangrechte erörtert wurde (5).

2.4

Der Ausschuss erachtet die Erarbeitung dieser Initiativstellungnahme für sinnvoll, um einen Beitrag zu der von der Kommission geplanten Debatte zur Frage der besseren Bewirtschaftung der Fischereiressourcen zu leisten, die der Grundpfeiler der GFP sein sollte, um die Nachhaltigkeit der Ressourcen bei gleichzeitiger Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaftsflotten langfristig gewährleisten zu können.

2.5

Das Ziel dieser Stellungnahme ist, die bestehenden Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer effizienten, auf Nutzungsrechten basierenden Bewirtschaftung der Fischereiressourcen aufzuzeigen und mögliche Lösungen für diese Probleme vorzuschlagen.

2.6

Der Ausschuss teilt die Meinung der Kommission, dass ein Klima geschaffen werden muss, „das der Einführung normaler wirtschaftlicher Bedingungen förderlich ist und den Abbau von Hindernissen der normalen Wirtschaftstätigkeit, wie nationalen Zuteilungen von Fangmöglichkeiten und dem Grundsatz der relativen Stabilität, ermöglicht“ (6).

2.7

Aus diesem Grund hat die Stellungnahme erstens das Ziel, die Analyse des Grundsatzes der Stabilität, der nach Ansicht der wichtigsten gemeinschaftlichen Fischereiverbände (7) und der Kommission eines der größten Hindernisse bei der Einführung eines auf Nutzungsrechten basierenden Bewirtschaftungssystems auf Gemeinschaftsebene ist, zu vertiefen. Denn der Handel mit oder der Transfer von Fangrechten zwischen in den Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen würde die derzeitigen Fanganteile der Mitgliedstaaten und somit die relative Stabilität beeinflussen. Zweitens geht es darum, die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, die die Einführung des Bewirtschaftungssystems ermöglichen, das bereits auf nationaler Ebene in einigen Mitgliedstaaten sowie in Drittländern funktioniert, die sich auf dem Gemeinschaftsmarkt behaupten.

2.8   Geschichtlicher Hintergrund

2.8.1

Im Jahr 1972 (8) setzte der Rat den 1970 (9) eingeführten Grundsatz des gleichen Zugangs zu den Fischbeständen der Mitgliedstaaten für eine Übergangsphase, die vorerst am 31.12.1982 enden sollte, außer Kraft.

2.8.2

Aus diesem Grund und um die Küstenregionen nach Beendigung dieser Übergangsphase zu schützen, nahm der Rat 1976 die so genannten „Haager Präferenzen“ (10) an, die intern durch Berücksichtigung der „Lebensinteressen“ der von der Fischerei abhängigen lokalen Gebietskörperschaften zum Schutz der Küstenfischerei dienen sollten.

2.8.3

Die Verhandlungen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten über die Verteilung der zulässigen Gesamtfangmengen (TAC) dauerten an bis 1983, als die Verordnung (EWG) Nr. 170/83 zur Einführung einer Gemeinschaftlichen Regelung für die Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen (11) verabschiedet wurde, in der die definitive Verteilung anhand folgender Kriterien festgelegt wurde: traditionelle Fischereitätigkeiten jedes Mitgliedstaates, besondere Bedürfnisse von Regionen, deren örtliche Bevölkerung in besonderem Maß von der Fischerei abhängig ist (unter Berücksichtigung der „Haager Präferenzen“) und potenzieller Verlust von Fängen in Gewässern von Drittländern aufgrund der Ausweitung der ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) auf 200 Meilen.

2.8.4

Diese Verteilungsregelung, die als Grundsatz der relativen Stabilität anerkannt ist, garantiert jedem Mitgliedstaat (12) für jede einzelne Spezies einen festen Prozentsatz der zulässigen Gesamtfangmenge. Dem Rat zufolge ist der Begriff der „relativen Stabilität“ im Sinne des Ziels zu verstehen, „unter Berücksichtigung der derzeitigen biologischen Situation der Bestände auf die besonderen Bedürfnisse der Gebiete zu achten, deren Bevölkerung in besonderem Maß von der Fischerei und den mit ihr verbundenen Gewerbezweigen abhängt“ (13). Das heißt, die „Haager Präferenzen“ wurden so beibehalten, wie der Rat es 1976 vorgesehen hatte, indem die Ausnahmeregelung vom Grundsatz des gleichen Zugangs bestehen blieb.

2.8.5

Gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 170/83 sollte die Kommission vor dem 31. Dezember 1991 einen Bericht über die sozioökonomische Situation der Küstenregionen verfassen. Auf dessen Grundlage sollte der Rat über nötige Anpassungen entscheiden, wobei die Möglichkeit einer Verlängerung der Regelung über die Zugangsbedingungen und die Kriterien der Quotenverteilung noch bis zum 31. Dezember 2002 bestand.

2.8.6

Angesichts des von der Kommission vorgelegten Berichts, traf der Rat die politische Entscheidung, die Regelung über die Zugangsbedingungen und die Kriterien der Quotenverteilung bis zum 31. Dezember 2002 (14) zu verlängern.

2.8.7

Letztlich ist in Artikel 20 der Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 des Rates über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Fischereiressourcen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik festgelegt, dass „die Fangmöglichkeiten […] in einer Weise auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt [werden], die jedem Mitgliedstaat eine relative Stabilität für jeden Bestand bzw. jede Fischerei garantiert“. Zudem wird in Artikel 17 der Verordnung die Ausnahmeregelung vom Grundsatz des gleichen Zugangs bis zum 31.12.2012 weiter verlängert und die Erarbeitung eines Berichts zu diesem Thema erneut in Betracht gezogen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Nach Ansicht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses liegt es auf der Hand, dass der Grundsatz der relativen Stabilität, d.h. der für jeden Mitgliedstaat vor 24 Jahren festgesetzte, feste Prozentsatz der zulässigen Gesamtfangmenge, nicht die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Bevölkerungsgruppen berücksichtigt, die heute von der Fischerei und den mit ihr verbundenen Gewerbezweigen abhängen. So haben die derzeitige Kapazität der Gemeinschaftsflotten, die aktuelle Nutzung der Ressourcen und die Investitionen in die Küstenregionen nur wenig mit der Situation im Jahr 1983 gemeinsam, als einige der Mitgliedstaaten mit Fischereiinteressen der Gemeinschaft noch nicht beigetreten waren.

3.2

Aus den Verordnungen der Kommission zur Anpassung der Fangquoten (15) ist ersichtlich, dass jedes Jahr in einigen gemeinschaftlichen Fischereien und Fanggebieten sowohl für Grundfisch- als auch für pelagische Arten deutliche Diskrepanzen zwischen den den Mitgliedstaten zugeteilten Fangquoten und den tatsächlichen Fängen zu verzeichnen sind. Diese Ungleichgewichte, die in einigen Fällen zu hohe, zu niedrige oder — bei einem Mangel an Flotten — sogar nicht genutzte Quoten zur Folge haben, betreffen Fischereien und Fanggebiete in den meisten Mitgliedstaaten und hängen nicht nur von biologischen Faktoren, sondern auch von der Anwendung des Grundsatzes der relativen Stabilität ab.

3.3

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass das hauptsächliche Anliegen bei der Vergabe von Rechten im Rahmen der zulässigen Gesamtfangmengen die Erholung (und der Erhalt) der Bestände der verschiedenen Fischarten und anderen Meeresressourcen auf einem höheren und nachhaltigeren Niveau sein muss. Der Ausschuss empfiehlt, größere Anstrengungen zur Gewinnung wissenschaftlicher Kenntnisse über die Lage der Fischbestände zu unternehmen sowie darüber, wie Quotenzuteilungen und Fischereipraktiken am besten verwaltet werden können, um die bestmöglichen Ergebnisse sowohl in Bezug auf den Erhalt der Fischbestände als auch im Hinblick auf den Wohlstand der von ihnen abhängigen Fischer zu garantieren. Die zugeteilten Gesamtfangmengen müssen deutlich unter dem wissenschaftlich bewiesenen höchstmöglichen Dauerertrag liegen, und die individuellen Fangquoten müssen auf effektive Weise überwacht und durchgesetzt werden.

3.4

Deshalb erachtet der Ausschuss es für notwendig, dass die Kommission eine Studie erstellt, in der auf die derzeitigen Kapazitäten der Gemeinschaftsflotten und die zur Wettbewerbsfähigkeit der Flotten nötigen Fangquoten sowie auf die Nachhaltigkeit der Fischbestände eingegangen wird. In dieser Studie sollte es um die Aktualisierung der von den Mitgliedstaaten erworbenen Fangrechte unter Berücksichtigung des Grundsatzes der relativen Stabilität gehen, um zu analysieren, welche Lösungen am besten geeignet sind, um in Zukunft die derzeitig herrschenden Ungleichgewichte in den Fangquoten für einige Grundfisch- und pelagische Arten in bestimmten Fanggebieten zu vermeiden. All dies soll geschehen, um die langfristige Nachhaltigkeit der Ressourcen und die Wettbewerbsfähigkeit der Flotten, also die wichtigsten Ziele der GFP zu erreichen.

3.5

Andererseits ist der Ausschuss der Ansicht, dass der Grundsatz der relativen Stabilität bestimmte erworbene Rechte für die Mitgliedstaaten mit sich bringt. Diese Rechte sollten nicht spurlos verschwinden, sondern können in Abhängigkeit von der zurzeit im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik geforderten Nachhaltigkeit der Ressourcen und der Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaftsflotten aktualisiert werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist der Ansicht, dass die Kommission die geforderte Studie umgehend nach Abschluss der Diskussionsphase ausarbeiten sollte, denn angesichts der aktuellen Lage der gemeinschaftlichen Fischereiressourcen und der Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaftsflotte sollte nicht bis zum Jahr 2012 auf einen neuen Bericht der Kommission gewartet werden, um die derzeitig zwischen den Fangquoten und der Gemeinschaftsflotte herrschenden Ungleichgewichte zu korrigieren.

4.2

Diese Aktualisierung müsste in Form einer Quotenzuteilung in regelmäßigen Abständen, zum Beispiel über einen Zeitraum von fünf Jahren, erfolgen, damit die Quoten umverteilt werden können, für den Fall, dass erneute Ungleichgewichte entstehen.

4.3

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass — sofern die Kommission aufgrund der Debatte zur Lösung der derzeitigen Probleme die Einführung eines auf den aktualisierten Nutzungsrechten der Mitgliedstaaten basierendes Bewirtschaftungsinstruments in Erwägung zieht — diese Einführung gemeinschaftsweit erfolgen sollte.

4.4

Der Ausschuss ist der Meinung, dass nach der Unterzeichung des Reformvertrags (Lissabon-Vertrag) im Dezember 2007 ein sehr positives Klima unter den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Annahme dieses Bewirtschaftungssystems in der Fischerei herrscht.

4.5

Der Ausschuss ist sich der Schwierigkeiten bewusst, die die Einführung eines auf handelsfähigen Nutzungsrechten basierenden Bewirtschaftungsinstruments auf Gemeinschaftsebene mit sich bringt, ist jedoch der Ansicht, dass dies ein Weg sein kann, um „die Nutzung lebender aquatischer Ressourcen unter nachhaltigen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Bedingungen“ (16) zu erreichen, sofern unter anderem folgende Kriterien berücksichtigt werden.

4.5.1

Um die Rechte der handwerklichen Fischer (17) nicht einzuschränken — denn von der handwerklichen Fischerei sind viele Küstenregionen, insbesondere die der Inselstaaten und der Inselregionen, abhängig — sollte die handwerkliche Fischerei von einem auf Nutzungsrechten basierenden Bewirtschaftungsinstrument auf Gemeinschaftsebene ausgenommen werden.

4.5.2

Um marktbeherrschende Stellungen durch den Handel mit Fangrechten zu vermeiden, könnte der Handel auf einen Prozentsatz der maximalen jährlichen Gesamtfangmenge pro Spezies in jedem Mitgliedstaat begrenzt werden.

4.5.3

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Einführung dieses Bewirtschaftungssystems schrittweise in den einzelnen gemeinschaftlichen Fischereien erfolgen sollte, wobei mit solchen Fischereien begonnen werden sollte, für die aufgrund von Diskrepanzen zwischen zu hohen und zu niedrigen Quoten ein breiter Konsens unter den betroffenen Mitgliedstaaten herrscht.

4.5.4

Die Kommission sollte für jede von dem auf Nutzungsrechten basierenden Bewirtschaftungssystem betroffene Fischerei bestimmen, ob die Verhandlungen auf Ebene der Gemeinschaft, der Mitgliedstaaten, der Erzeugerorganisationen oder der Unternehmen stattfinden, und sie sollte eindeutig festlegen, wie solche Transaktionen kontrolliert werden sollen.

4.6

Der Ausschuss ist der Meinung, dass die Rückwürfe und die Überfischung durch ordnungsgemäß aktualisierte Fangrechte erheblich verringert werden könnten.

4.7

Nach Ansicht des Ausschusses wird ein wichtiger Schritt in Richtung eines auf Nutzungsrechten basierenden Bewirtschaftungssystems getan sein, sobald das derzeitige Ungleichgewicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der relativen Stabilität ausgeglichen ist. Dieses System, das entsprechend reguliert werden muss, um marktbeherrschende Stellungen zu vermeiden, wird eine ausgewogenere und gerechtere Verteilung der Ressourcen zwischen den einzelnen Gemeinschaftsflotten ermöglichen und so dazu beitragen, dass eine bessere Nachhaltigkeit der Ressourcen und die Wettbewerbsfähigkeit der Flotten erreicht werden.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Artikel 26 der Verordnung (EG) Nr. 1198/2006 des Rates vom 27. Juli 2006 über den Europäischen Fischereifonds, ABl. L 223 vom 15.8.2006.

(2)  KOM(2007) 73 endg. vom 26.2.2007.

(3)  KOM(2001) 135 endg. vom 20.3.2001.

(4)  KOM(2002) 181 endg. vom 28.5.2002.

(5)  Am 14./15. Mai 2007 von der Kommission in Brüssel organisiertes Seminar.

(6)  KOM(2002) 181 endg., S. 25.

(7)  Die EAOP und Europêche/COGECA legten in der Sitzung der Arbeitsgruppe „Zugang zu den Ressourcen“ des Beratenden Ausschusses für Fischerei am 18.9.2007 Dokumente vor (Ref. EAPO 07-29 vom 17.9.2007; Ref. Europêche/COGECA EP(07)119F/CP(07)1053.3 vom 17.9.2007), in denen sie ihre Sorge über die Fangrechte zum Ausdruck brachten.

(8)  Gemäß den von der Gemeinschaft, Dänemark, Großbritannien und Irland unterzeichneten Beitrittsakten endete die Übergangsphase am 31. Dezember 1982. S. ABl. L 73 vom 27.3.1972.

(9)  Verordnung (EWG) Nr. 2141/70, veröffentlicht im ABl. L 236 vom 27.10.1970.

(10)  Entschließung des Rates vom 3.11.1976 (ABl. C 105 vom 7.5.1981).

(11)  ABl. L 24 vom 27.1.1983.

(12)  1983 gehörten Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Irland, Italien, die Niederlande und Luxemburg zur Europäischen Gemeinschaft.

(13)  Erwägungsgründe 6 und 7 der Verordnung (EWG) Nr. 170/83. ABl. L 24 vom 27.1.1983.

(14)  Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 170/83.

(15)  Zu den sich auf die letzten drei Jahre beziehenden Verordnungen gehören: Verordnung der Kommission (EG) Nr. 776/2005, ABl. L 130 vom 24.5.2005; (EG) Nr. 742/2006, ABl. L 130 vom 18.5.2006 und (EG) Nr. 609/2007, ABl. L 141 vom 2.6.2007.

(16)  Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 des Rates über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Fischereiressourcen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik (ABl. L 358 vom 31.12.2002).

(17)  Unter handwerkliche Fischerei ist die Fischerei im Sinne von Artikel 26 der Verordnung (EG) Nr. 1198/2006 zu verstehen, d.h. mit Fischereifahrzeugen mit einer Länge über alles von weniger als 12 Metern.


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/83


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe in Bezug auf die Stützungsregelung für Baumwolle“

KOM(2007) 701 endg. — 2007/0242 (CNS)

(2008/C 162/17)

Der Rat beschloss am 4. Dezember 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe in Bezug auf die Stützungsregelung für Baumwolle“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 22. Januar 2008 an (Berichterstatter: Herr NARRO SÁNCHEZ).

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 14. Februar) mit 141 gegen 33 Stimmen bei 13 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die neue Baumwollregelung gilt ab dem 1. Januar 2008. Der Rat muss schnellstmöglich einen Beschluss fassen, um den Landwirten die nötige Sicherheit in Bezug auf den für das kommende Wirtschaftsjahr gültigen Rechtsrahmen zu geben.

1.2

Der Ausschuss betont, dass die Entkopplung von 65 %, die in der aufgehobenen Verordnung festgelegt war und im Vorschlag der Kommission unverändert beibehalten wird, kein wirksames System zum Erhalt des Baumwollanbaus in bestimmten Anbaugebieten der Europäischen Union ist. Der hohe Arbeitskräfteeinsatz, die hohen Produktionskosten, die schwankenden Weltmarktpreise und andere Faktoren verschiedener Art führen dazu, dass der Vorschlag der Kommission kein effektives Mittel ist, um die Aufgabe des Baumwollanbaus zu verhindern.

1.3

Der Ausschuss stellt fest, dass die bis zur Reform 2004 geltende Regelung, die auf einer Produktionsbeihilfe beruhte, die Lebensfähigkeit der Betriebe in allen Anbaugebieten der Union sicherte. Trotz dieser Feststellung kann der Ausschuss nicht leugnen, dass es aufgrund der neuen politischen Ausrichtung der GAP und der internationalen Verpflichtungen, die die Europäische Union im Rahmen der Welthandelsorganisation eingegangen ist, unmöglich ist, zu der früheren Regelung zurückzukehren.

1.4

Der Ausschuss weist auf die unterschiedlichen Produktionsbedingungen in Griechenland und Spanien hin. Es ist in der gegenwärtigen Lage schwierig, ein einheitliches Beihilfesystem zu finden, das auf beide Länder gleichermaßen anwendbar wäre. Aufgrund dieses Unterschieds plädiert der Ausschuss dafür, die Baumwollregelung gemäß dem Subsidiaritätsprinzip, das bereits die letzten Reformen der GMO für den Wein-, Früchte- und Gemüsesektor geleitet hat, so flexibel wie möglich zu gestalten. Jeder Mitgliedstaat muss über ausreichend Subsidiaritätsspielraum verfügen, um für seine Anbaugebiete die bestmögliche Lösung zu finden.

1.5

Um einen hohen Entkopplungsprozentsatz der Beihilfen beizubehalten, müsste ein Übergangszeitraum zur progressiven Anpassung an höhere Entkopplungssätze eingerichtet werden. Außerdem ist ein hoher Anteil von gekoppelten Beihilfen allein nicht unbedingt ein Garant für den Erhalt der Baumwollproduktion. Die Einführung der Anforderungen an die Ernte und des Konzepts der einwandfreien, handelsüblichen und marktfähigen Qualität garantiert ebenfalls nicht, dass das Produktionsniveau von vor der Reform beibehalten werden kann. Deshalb ist es notwendig, Auswahlkriterien einzuführen, die quantitative Kriterien in Bezug auf das Produktionsvolumen beinhalten.

1.6

Der Ausschuss weist darauf hin, dass das neue System die Bemühungen zur Steigerung der Qualität des hergestellten Erzeugnisses unterstützen muss, anders als die bisherige Regelung, die erhebliche Qualitätseinbußen hervorruft und die europäische Baumwolle auf den Märkten schwerer absetzbar macht. Die Baumwolle ist ein Erzeugnis zur textilen Verwendung und muss den Bedürfnissen einer Industrie, die einem starken Wettbewerb ausgesetzt ist, genügen. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, Kriterien einzuführen, die zu einer qualitativ hochwertigen Produktion beitragen. Darüber hinaus muss in Gebieten, in denen dies möglich ist, die Einführung neuer technologischer Alternativen, integrierter Produktionssysteme und umweltfreundlicher Produktionsmethoden erleichtert werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Die Stützungsregelung für Baumwolle geht auf das Jahr 1980 zurück, als Griechenland der Europäischen Gemeinschaft beitrat. Diese Regelung wurde auf die beiden Länder Spanien und Portugal ausgeweitet, die 1986 der EG beitraten. Der Baumwollsektor beruhte auf einem System von „Ausgleichszahlungen“ oder „deficiency payments“, nach dem den Verarbeitern, die den Baumwollerzeugern einen Mindesteinkaufspreis zahlten, Beihilfen gewährt wurden. Das System wurde im Jahr 2000 geändert, womit die Einführung garantierter Höchstmengen und neuer Umweltanforderungen einherging.

2.2

Im April 2004 verabschiedete der Rat der Europäischen Union eine neue Stützungsregelung für Baumwolle, die von den Leitlinien der GAP-Reform 2003, d.h. der Entkopplung der Produktionsbeihilfen, inspiriert war. Demnach sollten die entkoppelten Zahlungen einen Anteil von 65 % und die gekoppelten Beihilfen einen Anteil von 35 % ausmachen. Die Reform, die am 1. Januar 2006 in Kraft trat, sah keine Möglichkeit vor, um die Prozentsätze dieser teilweisen Entkopplung zu verändern.

2.3

Am 7. September 2006 traf der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften aufgrund einer vom Königreich Spanien eingereichten Klage die beispiellose Entscheidung, die 2004 verabschiedete Baumwollregelung außer Kraft zu setzen. Grund dafür war ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, was laut dem Vertrag über die Europäische Union bedeutet, dass die im Rahmen der Reform der EU-Baumwollregelung vorgeschlagenen Maßnahmen im Hinblick auf das angestrebte Ziel als unverhältnismäßig betrachtet werden. Die Kommission hatte weder die Lohnkosten bei der Berechnung der voraussichtlichen Rentabilität des Baumwollanbaus noch die Auswirkungen der Reform auf die Situation der Baumwollentkörnungsindustrie berücksichtigt. Der Gerichtshof setzte die Aufhebung der Reform zunächst bis zur Vorlage eines neuen Vorschlags durch die Europäische Kommission aus.

2.4

Während der Ausarbeitungsphase des neuen Vorschlags gab die Kommission zwei Studien über die Umweltverträglichkeit von Baumwolle und die sozioökonomischen Auswirkungen ihrer Produktion in Auftrag. Neben diesen Studien wurden mehrere Arbeitssitzungen mit den Vertretern des Sektors veranstaltet und eine öffentliche Anhörung durchgeführt.

2.5

Schließlich stellte die Kommission zur großen Überraschung des Sektors am 9. November letzten Jahres einen Vorschlag für eine Reform der Baumwollregelung vor, die mit der aktuellen Reform praktisch identisch ist, d.h. sie sieht eine teilweise Entkopplung vor, wobei 65 % der Zahlungen von der Kultur unabhängig und die restlichen 35 % an die Produktion gekoppelt sind. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass der Vorschlag der Kommission neu ausgerichtet werden muss, um an die unterschiedlichen Produktionssituationen in Griechenland und Spanien angepasst werden zu können.

2.6

Die aktuelle Baumwollregelung hat zu einem deutlichen Produktionsrückgang, einer Verringerung der Erträge und somit zur zunehmenden Aufgabe des Baumwollanbaus in bestimmten Gebieten geführt. Der Ausschuss hat die Kommission bereits in ihrer Stellungnahme zu der Reform von 2004 vor der gravierenden Verringerung der Anbauflächen gewarnt, die eine teilweise Entkopplung mit sich bringen würde.

2.7

In der Europäischen Union konzentriert sich die Baumwollproduktion fast ausschließlich auf bestimmte Regionen zweier Mittelmeerländer: Griechenland und Spanien. Griechenland ist mit etwa 380 000 Hektar Anbaufläche der wichtigste Erzeuger von Baumwolle in Europa. In Spanien lag die Anbaufläche für Baumwolle 2007 bei etwa 63 000 Hektar. Portugal baut keine Baumwolle mehr an und Bulgarien produziert nur eine sehr geringe Menge. Im Allgemeinen wird Baumwolle in besonders strukturschwachen Gebieten angebaut, in denen es nur wenige Beschäftigungsalternativen gibt und die im Zeitraum 2007-2013 weiterhin zu den Regionen des Ziels „Konvergenz“ gehören.

2.8

In Griechenland hat sich die Anbaufläche um 11 % verringert und die Produktionszahlen haben aufgrund ungünstiger klimatischer Umstände und insbesondere aufgrund der Umsetzung der Reform von 2004 in ähnlichem Maße abgenommen wie die Anbaufläche.

2.9

In Spanien hat die Umsetzung der gegenwärtigen Regelung viel stärkere Veränderungen in diesem Sektor hervorgerufen als in Griechenland. Andalusien, die wichtigste Baumwolle produzierende Region Spaniens, hat in nur zwei Wirtschaftsjahren 30 % der Anbaufläche und 65 % seiner Produktion eingebüßt, von 347 000 Tonnen geernteter Baumwolle im Jahr 2004 auf 130 000 Tonnen im Jahr 2007. In den letzten zwei Jahren haben 30 % der Erzeuger den Baumwollanbau aufgegeben. Dieser Produktionsrückgang macht auf kurze Sicht das Fortbestehen des größten Teils dieser Industrie in Spanien unmöglich, wovon insbesondere die Arbeitsplätze in der Entkörnungsindustrie und den Produktionsbetrieben betroffen sein werden.

2.10

Vor dem Hintergrund der in den vorigen Abschnitten beschriebenen Situation fordert der Ausschuss die Kommission dazu auf, ihren Vorschlag flexibler zu gestalten, so dass den Mitgliedstaaten nach dem Subsidiaritätsprinzip ein größerer Handlungsspielraum eingeräumt wird.

2.11

Die Einführung einer Entkopplung im Baumwollsektor — gleich welchen Ausmaßes — wird zu tief greifenden Umstrukturierungen in diesem Sektor führen. Die Entkörnungsindustrie wird bedeutende Veränderungen bewältigen müssen, um sich an die neue Situation anzupassen, und muss finanzielle Unterstützung von der Kommission erhalten, um die zum Erhalt der Arbeitsplätze in den Anbaugebieten nötigen Umstrukturierungen vornehmen zu können. Eine spezielle finanzielle Unterstützung ist notwendig, die es den Entkörnungsindustrien ermöglicht, die Schließungskosten für diese Tätigkeit zu übernehmen und neue Geschäftsalternativen zu finden, um die Arbeitsplätze erhalten zu können. Die Umstellungsmaßnahmen der Industrie, wie sie in der letzten Reform der GMO für Zucker enthalten sind, können einige Hinweise in diese Richtung liefern.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss teilt uneingeschränkt die Ansicht der Kommission, dass es wichtig ist, den Branchenorganisationen Funktionen zu übertragen, um den Absatz der Erzeugnisse zu koordinieren, Standardverträge auszuarbeiten und die Herstellung von qualitativ hochwertiger Baumwolle zu fördern. Das Format, das für diese Strukturen in der gegenwärtigen Regelung vorgesehen ist, und ihre Loslösung von anderen Maßnahmen haben jedoch dazu geführt, dass dieses Instrument in den zwei Jahren seit Inkrafttreten der Regelung nur eine geringe Bedeutung erlangt hat und sich ihre Tätigkeit darauf beschränkt, ihren Mitgliedern den Zugang zu zusätzlicher Hilfe zu sichern. In Spanien gibt es nämlich nur eine Branchenorganisation, die 10 000 Hektar Anbaufläche umfasst.

3.2

Für Oktober 2008 hat die Kommission die Veröffentlichung eines Grünbuchs über die Umsetzung der Qualitätspolitik in der Europäischen Union geplant. Daher werden die entsprechenden Legislativvorschläge nicht vor 2009 vorgelegt. Die Kommission teilte vor kurzem mit, sie wolle die Möglichkeit prüfen, die Baumwolle in den Anhang I der Verordnung des Rates Nr. 510/2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen aufzunehmen.

3.3

Die Aufnahme der Baumwolle in diese Schutzverordnung könnte für viele Erzeuger, die den Mehrwert ihrer Produktion erhöhen möchten, ein nützliches Mittel sein, um die Herausforderungen, die sich aus einem offenen und hoch kompetitiven Markt ergeben, zu bewältigen und sich ein gerechtes Einkommen über die Märkte zu sichern. Die Kommission sollte in einem Dringlichkeitsverfahren die Ausweitung der Verordnung auf den Baumwollsektor erreichen.

3.4

Die geeignete Zertifizierung des Ursprungslandes und die europäischen Qualitätskontrollen können dazu beitragen, die Baumwollproduktion der Gemeinschaft mit dem nötigen Mehrwert zu versehen, den alle europäischen Initiativen in diesem Bereich anstreben. Da die EU jedoch ein Nettoimporteur von Baumwolle ist, müssen die Kontrollen des eingeführten Materials verbessert und verschärft werden. In diesem Zusammenhang sollte die Baumwolle in die Liste der Erzeugnisse aufgenommen werden, die Gegenstand von Informations- und Förderungstätigkeiten sein können, auch wenn diese Maßnahme allein keine Lösung für diesen Sektor bietet.

3.5

Der Ausschuss unterstützt alle Vorschläge der Kommission zur Verbesserung der Baumwollqualität. In den letzten Jahren hat der Sektor durch die Förderung integrierter Produktionssysteme, durch Agrarumweltmaßnahmen und die ökologische Produktion große Fortschritte im Umweltschutz erzielt. In Spanien entwickelt sich, neben der Durchführung von Agrarumweltmaßnahmen, die integrierte Erzeugung immer stärker, und in Griechenland soll 2008 eine gesetzliche Regelung betreffend die integrierte Erzeugung erlassen werden. Die Neuregelung sollte Schritte in diese Richtung unterstützen.

3.6

Die EU sollte die Anpassung des gemeinschaftlichen Baumwollsektors an die Verwendung neuer, innovativer Technologien erleichtern.

3.7

Die EU ist ein Nettoimporteur von Baumwolle. Die Baumwollproduktion der EU macht nur 2 % des globalen Baumwollverbrauchs aus und liegt sehr weit unterhalb derjenigen der großen Erzeugerländer (Vereinigte Staaten, China, Indien usw.). Daher trägt die Europäische Union nicht zur Festlegung der Weltmarktpreise für diesen Rohstoff bei, und die gemeinschaftliche Förderung der Baumwollerzeuger führt nicht zu Wettbewerbsverzerrungen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass die Kommission den europäischen Baumwollsektor verteidigen muss, wenn dieser in multilateralen Foren wie der Welthandelsorganisation in Frage gestellt wird.

Brüssel, den 14. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/85


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen“ (Neufassung)

KOM(2007) 736 endg. — 2007/0259 (COD)

(2008/C 162/18)

Der Rat beschloss am 10. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen“ (Neufassung)

Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seinen Stellungnahmen CESE 1235/1988 vom 24. November 1988 (1) und CESE 887/1996 vom 10. Juli 1996 (2) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 133 gegen 2 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Stellungnahmen vertreten hat.

 

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Verwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen in abgeschlossenen Systemen“ — KOM(1988) 160 endg. — (ABl. C 23 vom 30.1.1989, S. 45).

(2)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/219/EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen“ — KOM(1995) 640 endg. — (ABl. C 295 vom 7.10.1996, S. 52).


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/86


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Europäischen Umweltagentur und eines Europäischen Umweltinformations- und Umweltbeobachtungsnetzes“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2007) 667 endg. — 2007/0235 (COD)

(2008/C 162/19)

Der Rat beschloss am 22. November 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Europäischen Umweltagentur und eines Europäischen Umweltinformations- und Umweltbeobachtungsnetzes“ (kodifizierte Fassung)

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 132 gegen 2 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/86


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung (EG) Nr. …/… des Europäischen Parlaments und des Rates über die allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung aromatisierten Weines, aromatisierter weinhaltiger Getränke und aromatisierter weinhaltiger Cocktails“ (Neufassung)

KOM(2007) 848 endg. — 2007/0287 (COD)

(2008/C 162/20)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 22. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 und 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung (EG) Nr. …/… des Europäischen Parlaments und des Rates über die allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung aromatisierten Weines, aromatisierter weinhaltiger Getränke und aromatisierter weinhaltiger Cocktails“ (Neufassung)

Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme CES 413/1996 vom 27. März 1996  (1) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 131 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 8 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der oben genannten Stellungnahme vertreten hat.

 

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1601/91 zur Festlegung der allgemeinen Regeln für die Begriffsbestimmung, Bezeichnung und Aufmachung aromatisierten Weines, aromatisierter weinhaltiger Getränke und aromatisierter weinhaltiger Cocktails — KOM(1995) 570 endg. (ABl. C 174 vom 17.6.1996, S. 30).


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/87


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2007) 858 endg. — 2007/0292 (COD)

(2008/C 162/21)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 30. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern“ (kodifizierte Fassung)

Da der Ausschuss dem Inhalt dieses Vorschlags vollkommen zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme vom 24. Februar 1971 (1) und seiner Stellungnahme CESE 196/1995 vom 23. Februar 1995 (2) dazu geäußert hat, beschloss er auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 133 gegen 2 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in den oben genannten Stellungnahmen vertreten hat.

 

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern“ (ABl. C 36 vom 19.4.1971, S. 14).

(2)  Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 80/777/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern“ — KOM(1994) 423 endg. (ABl. C 110 vom 2.5.1995, S. 55).


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/88


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Perspektiven der europäischen Kohle- und Stahlforschung“

(2008/C 162/22)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 27. September 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine zusätzliche Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Perspektiven der europäischen Kohle- und Stahlforschung“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 4. Februar 2008 an. Berichterstatter war Herr ZBOŘIL, Ko-Berichterstatter war Herr GIBELLIERI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442 Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 158 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Teil 1 — Schlussfolgerungen und Empfehlungen

A.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt es, dass mit der vorgeschlagenen Revision der technischen Leitlinien für das Forschungsprogramm des Forschungsfonds für Kohle und Stahl, die die Europäische Kommission für eine Entscheidung des Rates vorgelegt hat, die Arbeiten im Sinne der bisherigen guten Ergebnisse weiter vorangetrieben werden sollen. Aus Sicht der Kommission, die das Programm für die Teilnehmer so verständlich wie möglich gestalten möchte, ist keine tief greifende Überarbeitung erforderlich.

B.

Der EWSA sieht das Forschungsprogramm des Forschungsfonds für Kohle und Stahl (RFCS) genau wie Kommissionsmitglied POTOČNIK als ein eigenes Programm, welches das Forschungsrahmenprogramm flankiert und dieses um alle Kohle- und Stahlaspekte ergänzt.

C.

Der Ausschuss begrüßt es, dass mit der vorgeschlagenen Entscheidung eine Vereinfachung von Verwaltungsabläufen bezweckt wird. Bewirkt werden soll dies u.a. durch: die Streichung bestimmter Begleitmaßnahmen, die bereits durch das siebte Forschungsrahmenprogramm (FRP7) abgedeckt werden, die Anhebung der finanziellen Unterstützung von Pilot- und Demonstrationsprojekten von 40 auf 50 % und die Möglichkeit gezielter Aufforderungen nach den von der Kohle- und Stahlindustrie ausgehend von ihren strategischen Erfordernissen benannten Prioritäten, die dem FRP7 entsprechen und zu den strategischen Forschungsagenden einschlägiger europäischer Technologieplattformen passen.

D.

Der Ausschuss hebt die Notwendigkeit hervor, den Wünschen der betroffenen Industriezweige zu entsprechen und dem Beratungsgremium Kohle (CAG) und dem Beratungsgremium Stahl (SAG) eine gewichtigere, proaktivere Rolle in der Verwaltung des Forschungsprogramms des Kohle- und Stahlforschungsfonds zu geben. Demnach sollen sie:

ihre Aufgaben gemäß der Entscheidung 2003/78/EG ausüben;

Namensvorschläge für Sachverständige aus der Industrie, aus Forschungszentren und aus der Welt der Wissenschaft, die in die Bewertung von Forschungs-, Pilot- und Demonstrationsprojekten einbezogen werden sollen, unterbreiten;

Prioritäten für das Forschungsprogramm aufstellen, die zu den für das Programm relevanten Technologieplattformen ESTEP (Europäische Plattform für Stahltechnologie), ZEP (Europäische Technologie-Plattform für CO2-freie, fossil befeuerte Kraftwerke) und SMR (Europäische Technologie-Plattform für nachhaltige mineralische Rohstoffe) passen (1);

Beschlüsse über die Zweckmäßigkeit gezielter Aufforderungen für sehr spezielle, relevante Fragen fassen;

die in der Entscheidung enthaltene Bestimmung der Begriffe „Kohle“ und „Stahl“ abändern, falls nötig.

E.

Der Ausschuss ersucht die Kommission, in die Verfahrensregeln für die Konsultation des Kohle- und Stahl-Programmausschusses (COSCO) wieder die Bemerkungen und Vorschläge betreffend die Bewertung von Forschungs-, Pilot- und Demonstrationsprojekten durch die beiden Beratungsgremien für Kohle und Stahl aufzunehmen.

1.   Teil 2 — Hintergrund

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 1. Juli 2004 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Forschungsperspektiven im europäischen Kohle- und Stahlsektor“.

1.2

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme (CCMI/018, CESE 845/2005) am 13. Juni 2005 an. Berichterstatter war Herr LAGERHOLM, Ko-Berichterstatter Herr GIBELLIERI.

1.3

Der Ausschuss verabschiedete jene Stellungnahme auf seiner 419. Plenartagung am 13./14. Juli 2005 (Sitzung vom 13. Juli) mit 57 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen.

1.4

Mehr als zwei Jahre nach der Veröffentlichung der genannten EWSA-Stellungnahme sollen jetzt Änderungen am Forschungsprogramm des Kohle- und Stahlforschungsfonds vorgenommen werden. So hat die Europäische Kommission nach Anhörung des Kohle- und Stahl-Programmausschusses (COSCO) am 10. Juli 2007 einen Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über die Überarbeitung der technischen Leitlinien für das Forschungsprogramm des Forschungsfonds für Kohle und Stahl vorgelegt, der die Vergabe von Mitteln für die Kohle- und Stahlforschung zum Inhalt hat.

1.5

Diese Überarbeitung ist in den Entscheidungen 2003/76/EG, 2003/77/EG, 2003/78/EG des Rates vom 1. Februar 2003 vorgesehen, durch die der Kohle- und Stahlforschungsfonds errichtet wurde. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass durch die Entscheidung 2003/76/EG des Rates auch das Vermögen und die Verbindlichkeiten der EGKS auf die EG übertragen und das Reinvermögen der Forschung in mit Kohle und Stahl zusammenhängenden Bereichen zugewiesen wurde.

2.   Teil 3 — Begründung

2.1

Der Forschungsfonds für Kohle und Stahl (RFCS) verfügt über ein jährliches Budget von 50 bis 60 Mio. EUR für Forschungsvorhaben in diesen beiden Bereichen und wird aus den Zinsen der Vermögenswerte der nach Ablauf des EGKS-Vertrags nicht mehr bestehenden Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl gespeist. Das RFCS-Forschungsprogramm ist ein eigenes Programm, das das Forschungsrahmenprogramm ergänzt und für alle Aspekte bestimmt ist, die mit Kohle und Stahl zusammenhängen, von der Herstellung bis zur Nutzanwendung. Es behandelt Fragen des Ressourceneinsatzes und der Ressourcenkonversion, des Arbeitsschutzes und des Umweltschutzes durch die Verbesserung der Nutzbarkeit von Kohle als sauberer Energiequelle und die Senkung der durch Kohlenutzung und Stahlherstellung entstehenden CO2-Emissionen.

2.2

Durch den Vorschlag für eine Entscheidung werden Verwaltungsverfahren vereinfacht, u.a. in folgender Hinsicht:

Streichung bestimmter Begleitmaßnahmen, die bereits durch das siebte Forschungsrahmenprogramm (FRP7) abgedeckt werden;

Anhebung der finanziellen Unterstützung von Pilot- und Demonstrationsprojekten von 40 auf 50 % und Schaffung der Möglichkeit gezielter Aufforderungen zur Einreichung von Forschungsvorschlägen je nach den ermittelten Prioritäten, die dem FRP7 entsprechen und zu den strategischen Forschungsagenden einschlägiger europäischer Technologieplattformen passen.

2.3

Die Teilnahme ist einfach: Vorschläge können jederzeit bis zum 15. September jeden Jahres als Stichtag eingereicht werden. Weder für die Höhe des Projektbudgets noch für die Anzahl der an dem jeweiligen Projekt teilnehmenden Partner gibt es eine Obergrenze. Drittländer können sich beteiligen, erhalten jedoch keine finanzielle Unterstützung von europäischer Seite. Die eingereichten Projekte werden von unabhängigen Sachverständigen bewertet und aufgrund der Qualität der vorgeschlagenen Forschungsarbeiten ausgewählt. Die Überwachung der Projekte erfolgt im Rahmen einer jährlichen Gutachterbewertung („Peer Review“).

2.4

Außerdem waren einige Änderungen an den Regeln für die Zusammensetzung der Beratungsgremien und der Rolle der Mitgliedstaaten im Ausschuss für Kohle und Stahl notwendig, vor allem nach den jüngsten Erweiterungen der Europäischen Union (Häufigkeit der Programmüberprüfungen, Mandatsdauer, Verfahren für die Auswahl von Vorschlägen und die Überwachung der Projekte zur Vermeidung von Interessenkonflikten u.a.).

2.5

Diese Überarbeitung ist in der rechtsverbindlichen Entscheidung vorgesehen, durch die der Forschungsfonds für Kohle und Stahl errichtet wurde. Nach Auffassung der Kommission hat der Kohle- und Stahlforschungsfonds bisher gut funktioniert und bedarf daher keiner wesentlichen Änderungen.

2.6

In der Zwischenzeit hat die Europäische Plattform für Stahltechnologie (ESTEP) ihre Arbeit fortgesetzt. Die Pressemitteilung der ESTEP von Juli 2007 lässt die ersten Ergebnisse ihres langfristigen Einsatzes für eine nachhaltige Zukunft erkennen. Die ESTEP schlug im Dezember 2003 eine strategische Forschungsagenda (SRA) vor und wurde anschließend im März 2004 aus der Taufe gehoben.

2.7

Die ESTEP war eine der ersten Technologieplattformen, die ihre Vorstellungen von der Zukunft der Öffentlichkeit präsentierte. Die Schwerpunkte ihrer strategischen Forschungsagenda beziehen sich in erster Linie auf ein nachhaltiges Wachstum und heben auf die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit der Branche basierend auf Innovation, Kooperation mit Partnern, hohen Umweltstandards und engen Verbindungen zu den Stahlherstellern ab; damit trägt sie zu den EU-Forschungsprogrammen bei.

2.8

Im Einklang mit der vorgeschlagenen Priorität einer „nahezu emissionsfreien Stromerzeugung“ (Near Zero Emission Power Generation, ZEP) im FRP7 gehört zu den ersten Zielen der Plattform die Ermittlung und Beseitigung von Hindernissen für den Bau hocheffizienter, praktisch emissionsfreier Kraftwerke, durch die die Umweltgefahren aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe drastisch begrenzt werden können. Dazu gehören die Abscheidung und Speicherung von CO2 und saubere Konversionstechnologien, die beträchtliche Verbesserungen des Wirkungsgrads, der Zuverlässigkeit und der Kosten eines Kraftwerks erlauben.

2.9

Was die Industrie betrifft, wird Bezug auf die Zeit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Vertragsablauf im Juli 2002) genommen, als die FuE-Projekte, die das einschlägige FuE-Programm umfasste, im Allgemeinen unter maßgeblicher Beteiligung der betroffenen Stahlerzeuger bewertet und ausgewählt wurden. Der Programmteil „Kohle“ wurde nach der gleichen Vorgehensweise wie die zugehörigen technischen Leitlinien gehandhabt. Die Rolle, die die Industrie damals spielte, war dadurch gerechtfertigt, dass die EGKS-Mittel vollständig aus einer Umlage stammten, die von der Kohle- und Stahlindustrie erhoben wurde.

2.10

Das änderte sich grundlegend, als 2003 der Forschungsfonds für Kohle und Stahl eingerichtet wurde (durch die Entscheidungen 2003/76/EG, 2003/77/EG und 2003/78/EG des Rates vom 1. Februar 2003, veröffentlicht im Amtsblatt Nr. L 29 vom 5. Februar 2003, Seiten 22, 25 bzw. 28). Das verbliebene EGKS-Vermögen wurde damals dem neuen Fonds übertragen, und die Kommission wurde beauftragt, die Mittel und die zugehörigen FuE-Programme nach den wesentlichen Maßgaben der früheren EGKS-Forschungsprogramme zu verwalten.

2.11

Die Kommission und die Industrie haben abweichende Vorstellungen darüber, welchen Einfluss die Kohle- und Stahlindustrie auf das Forschungsprogramm des Kohle- und Stahlforschungsfonds haben sollte. Im Einklang mit den Bestimmungen der Entscheidung 2003/78/EG sollten der Ausschuss für Kohle und Stahl (COSCO) und die beiden Beratungsgremien CAG (für Kohle) und SAG (für Stahl) in die Lage versetzt werden, die ihnen zugewiesenen Aufgaben in vollem Umfang auszuüben; sie sollten darin nicht dadurch beschnitten werden, dass sich ihr Einfluss von der unmittelbaren Bewertung weg nur noch auf die Aspekte vor der Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen erstrecken soll.

2.12

Mithilfe des jüngsten Vorschlags zur Revision der technischen Leitlinien für das Forschungsprogramm des Kohle- und Stahlforschungsfonds versucht die Kommission, wann immer dies sachdienlich erscheint, die formalen Verfahrenswege und Strukturen denjenigen im siebten Forschungsrahmenprogramm der EU anzupassen. Deshalb sollten Harmonisierungen mit den Bestimmungen und Verfahren des Forschungsrahmenprogramms streng auf Bereiche beschränkt bleiben, für die eine echte Vereinfachung und/oder eine größere Effizienz klar nachgewiesen werden kann. Sicher sollten bestehende Synergien zwischen dem FRP7 und dem Kohle- und Stahlforschungsfonds genutzt werden, wo immer sie sich bieten, doch muss dabei der Status des Kohle- und Stahlforschungsfonds als eigenes, unabhängiges Programm gewahrt bleiben (siehe Teil 1, Buchstabe B).

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Die in der strategischen Forschungsagenda festgelegten Prioritäten der Europäischen Plattform für Stahltechnologie (ESTEP) beziehen sich in erster Linie auf ein nachhaltiges Wachstum und heben auf die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit der Branche basierend auf Innovation, die Kooperation mit Partnern, die Umweltverträglichkeit und ihre enge Verbindung zu den Stahlherstellern ab; damit trägt sie zu den EU-Forschungsprogrammen bei.

In ähnlicher Weise gehört zu den vorrangigen Zielen der Technologie-Plattform für CO2-freie, fossil befeuerte Kraftwerke (ZEP) die Ermittlung und Beseitigung von Hindernissen für den Bau hocheffizienter, praktisch CO2-freier Kraftwerke, die eine drastische Reduzierung der durch fossile Brennstoffe verursachten Umweltschädigungen ermöglichen. Dazu gehören die Abscheidung und Speicherung von CO2 und saubere Konversionstechnologien, die beträchtliche Verbesserungen des Wirkungsgrads, der Zuverlässigkeit und der Kosten eines Kraftwerks erlauben. Die Technologie-Plattform für nachhaltige mineralische Rohstoffe (SMR) wird ebenfalls mitberücksichtigt.


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/90


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Entscheidung 85/368/EWG des Rates über die Entsprechungen der beruflichen Befähigungsnachweise zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften“

KOM(2007) 680 endg. — 2007/0234 (COD)

(2008/C 162/23)

Der Rat beschloss am 27. November 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufhebung der Entscheidung 85/368/EWG des Rates über die Entsprechungen der beruflichen Befähigungsnachweise zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 29. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr METZLER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 156 gegen 3 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Ausschuss ist nach eingehender Prüfung der Erwäggründe der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlamentes insbesondere vor dem Hintergrund der Berichte und vom Ausschuss zu bestätigenden Erfahrungen mit der Arbeit der Zurverfügungstellung von gemeinsamen Berufsbildern zu der Überzeugung gelangt, dass die Argumentationen der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments schlüssig, nachvollziehbar und gut begründet sind. Der Ausschuss unterstreicht dies mit Blick auf die Schaffung eines anderen Instrumentariums zur Stärkung und Erleichterung der Mobilität der Personen, nämlich des europäischen Qualifizierungsrahmens.

1.2

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass diese Entscheidung einen unterstützenden Beitrag zur besseren Rechtssetzung insofern leistet, als sie nicht genutzte, nicht umsetzbare Regeln einer kritischen Prüfung unterzieht und durch bessere Instrumente ersetzt.

1.3

Der Ausschuss unterstützt die Kommission in ihrem Ziel, durch ein System auch praktische Erfahrungsbildung und Qualifizierung für die Mobilität und Migrationserleichterung von Personen innerhalb des Binnenmarktes der Dienstleistungen verstärkt nutzbar zu machen. Er begrüßt besonders, dass das System zunächst auf Freiwilligkeit basiert.

1.4

Der Ausschuss regt vor dem Hintergrund gemachter Erfahrungen an, der Verunsicherungswirkung von Vorschriftenstreichungen durch verstärkte Transparenz- und Berichtsdichte über deren Auswirkungen entgegenzuwirken und darauf zu achten, Vermischungen mit der Ebene der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen zu vermeiden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Parlament und Rat haben sich darauf verständigt, die Entscheidung 85/368/EWG zu streichen. Sie haben dies vor dem Hintergrund getan, dass die Regelung ein System zur Schaffung von vergleichbaren Berufsqualifikationen beschrieb, dass sich als schwer umsetzbar und sich in der Praxis als schlecht handhabbar erwiesen hat. Die europäischen Institutionen hatten seit der Einführung dieser Vorschriften 219 Qualifikationen aus 19 Berufen identifiziert, in denen höchste Wahrscheinlichkeit eines Wechsels von Arbeitnehmern in andere Länder bestand. Bis 1990 wurden lediglich für fünf der ausgewählten Branchen, d.h. für 66 Berufe, Angaben zur Vergleichbarkeit der Qualifikation veröffentlicht.

2.2

Diese an sich schon zu geringe Zahl wurde nach Feststellung der Kommission von den Mitgliedstaaten noch dadurch nachträglich geschmälert, dass sie Änderungen in rascher Folge in den gemeinsamen Bildern zugrunde liegenden Berufsfeldern vorgenommen haben, was aufgrund des zentralisierten Konzeptes einen erheblichen Änderungsbedarf nach sich gezogen hätte. Diesen zusätzlichen Arbeitsanfall hat das System ebenfalls nicht bewältigt. Daher muss heute festgestellt werden, dass sich das System seit seiner Einführung 1985 in über 20 Jahren als nicht ausreichend effizient zur Steigerung der Mobilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr und zur Erleichterung von Migration bei personengebundenen Dienstleistungen erwiesen hat.

2.3

Die Europäische Gemeinschaft setzte an die Stelle dieses Systemansatzes der Harmonisierung das System des Europäischen Qualifizierungsrahmens (EQR). Dieses bietet mit seiner einfachen Einteilungsstruktur die Möglichkeit, für die Mitgliedstaaten die eigenen Qualifikationen einzuordnen und damit eine Vergleichbarkeit herzustellen. Die von der Europäischen Gemeinschaft geschaffene Stelle, die die Einordnung überwacht, soll Qualität und Niveau garantieren. In Ergänzung zum EQR hat die Europäische Gemeinschaft mit dem Europass und dem europäischen System zur Anrechnung von Studienleistungen zwei weitere Komponenten gesetzt. Darüber hinaus hat sie für die Vergleichbarkeit von formellen und informellen Lernprozessen das Portal Ploteus ins Leben gerufen. Die Kommission hat ihre Aktivitäten und Bemühungen in die Gesamtzielstellung der Europäischen Gemeinschaft zum Lissabon-Prozess zur Verbesserung des Binnenmarktes und zur Verwaltungsvereinfachung eingepasst.

3.   Empfehlungen

3.1

Der Ausschuss begrüßt, dass die Europäische Gemeinschaft sich verstärkt des Themas Erleichterung der Migration zur Verbesserung der Binnenmarktfähigkeit auch für Arbeitnehmer und für personengebundene Dienstleistungen annimmt.

3.2

Der Ausschuss teilt die Wertung, dass praktische Erfahrungen in Transparenzvergleiche einbezogen werden sollten. Der Ausschuss legt Wert auf die Feststellung, dass der EQR unterhalb des vom Ausschuss mit einer eigenen Stellungnahme begleiteten Bereichs der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen angesiedelt ist und von diesem getrennt gehalten werden soll.

3.3

Der Ausschuss begrüßt, dass der EQR bis zum Jahre 2012 auf freiwilliger Basis umgesetzt wird. So bleibt Zeit, praktische Erfahrungen zu sammeln und die Akzeptanz des neuen Systems durch Transparenz und Kommunikation zu verbessern.

3.4

Der Ausschuss begrüßt, dass die Sozialpartner in die Arbeit einbezogen werden. Dies umso mehr, als mittelfristig eine tarifpolitische Bedeutung der EQR-Einstufungen nicht auszuschließen ist. Gleiches gilt für die Entwicklungen im Bereich der Blue Card.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


25.6.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 162/92


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (gemäß Artikel 128 EG-Vertrag)“

KOM(2007) 803 endg./2 (Teil V) — 2007/0300 (CNS)

(2008/C 162/24)

Der Rat beschloss am 17. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (gemäß Artikel 128 EG-Vertrag)“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 29. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr GREIF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 147 gegen 5 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat den neuen integrierten Ansatz und den mehrjährigen Turnus bereits in seiner Stellungnahme zur Vorlage der Leitlinien 2005–2008 (1) und in zahlreichen anderen Stellungnahmen begrüßt und unter anderem darauf hingewiesen, dass die nationalen Parlamente, die Sozialpartner und die Zivilgesellschaft in alle Phasen der Koordinierung der Beschäftigungspolitik angehört und einbezogen werden müssen.

1.2

Der EWSA betonte, dass ein zentrales Element für den Erfolg der nationalen Reformprogramme eine möglichst umfassende Einbeziehung aller gesellschaftlichen Akteure — insbesondere der Sozialpartner — in alle Phasen des Prozesses ist. Diesbezüglich hat der EWSA sein Bedauern geäußert, dass in den vergangenen Jahren die Konsultationen mit den Sozialpartnern und die Debatte mit der Zivilgesellschaft nur unbefriedigend verlaufen sind. Der EWSA hält daher eine Stärkung des Systems der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten für wichtig.

1.3

Angesichts dieser Vorgeschichte bedauert der EWSA wiederum, dass die außerordentlich knappe Frist zwischen der Veröffentlichung des Vorschlags für einen Beschluss des Rates und dem Zeitpunkt für den Beschluss selbst nicht genügend Zeit für eine gründliche Erörterung und Konsultation lässt. Deshalb behält sich der Ausschuss vor, die Strategie im Lichte des Gipfeltreffens vom Frühjahr 2008 noch einmal zu überprüfen.

1.4

Der Ausschuss hat in verschiedenen Stellungnahmen zahlreiche Vorschläge zu den bisherigen beschäftigungspolitischen Leitlinien im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie gemacht. Angesichts des erwähnten knappen Zeitrahmens hat der EWSA alle diese Vorschläge zusammengefasst und den betreffenden Dienststellen der Kommission zugesandt, wo sie mit Interesse aufgenommen wurden (2).

1.5

Die Leitlinien haben keineswegs ihren grundlegenden Wert verloren, und der Ausschuss bemerkt, dass das neue Paket der beschäftigungspolitischen Leitlinien mit dem vorhergehenden identisch ist. Allerdings wurde der Begleittext geringfügig aktualisiert und einige wenige Vorschläge des Ausschusses wurden in den Text aufgenommen.

1.6

Um die Leitlinien transparenter zu machen, schlägt der Ausschuss der Kommission vor, als reguläres Verfahren einen Anhang mit einem Verzeichnis aller quantifizierbaren Ziele zu verfassen.

1.7

Angesichts des Zeitlimits wiederholt der Ausschuss in der nachfolgenden Zusammenfassung der Vorschläge (3) seine Hauptgesichtspunkte zu bestimmten Aspekten, die in dem Beschluss zu berücksichtigen wären und sich aus der allgemeinen Notwendigkeit ergeben, die beschäftigungspolitischen Leitlinien anzupassen.

2.   Zusammenfassung der spezifischen EWSA-Vorschläge

2.1   Zielvorstellungen und messbare Zielgrößen

Der Ausschuss hält es für notwendig,

viel ehrgeizigere, effektivere und besser messbare Ziele aufzustellen, die durch die neuen Leitlinien auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten einen Bezugswert erhalten, und spricht sich für mehr Vollzugsbefugnisse der Europäischen Kommission aus; in diesem Zusammenhang müssen mehr Anstrengungen unternommen werden, um eine Verwässerung der Ziele der neuen Lissabonner Strategie zu vermeiden, und es ist wieder eine Konzentration auf quantitative europäische Ziele erforderlich, insbesondere in den Bereichen Aktivierung, Bildung und lebenslanges Lernen, Beschäftigung von Jugendlichen und Gleichbehandlung von Männern und Frauen;

einen Zeitplan und Verfahrensablauf aufzustellen, der allen betroffenen Akteuren gebührend bekannt zu machen ist, damit eine möglichst hohe Beteiligung gewährleistet und während der Ausarbeitung auf EU- und einzelstaatlicher Ebene ausreichend Zeit für Reaktionen eingeräumt werden kann; in diesem Kontext vor allem auch und zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die Sozialpartner, die Zivilgesellschaft und den EWSA in die Ausarbeitung und Umsetzung der Leitlinien wie auch in die Weiterbehandlung einzubeziehen;

eine Verbesserung bei der Datenerhebung zu gewährleisten und deren Beobachtung und Auswertung sowohl durch die Mitgliedstaaten als auch durch die Kommission zu ermöglichen;

nationale Reformprogramme zu formulieren, die eindeutigere Aussagen zu den festgelegten Zielen, den zeitlichen Vorgaben, den Kosten und den Haushaltsmitteln enthalten, um dadurch zu erreichen, dass sie ambitionierter ausfallen und eine qualitative Verbesserung hinsichtlich zeitlicher Vorgaben, Verantwortlichkeit, Verbindlichkeit und finanzieller Grundlage und spezifischer Zielvorgaben zur Bindung entsprechender Haushaltsmittel für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in den einzelnen Mitgliedstaaten festgestellt werden kann;

mit speziellen Zielvorgaben und einer stärkeren Berücksichtigung der sozialpolitischen Erfordernisse stärkeren Nachdruck auf die Einbeziehung von Personen mit besonderen Bedürfnissen zu legen; in diesem Zusammenhang muss sehr viel mehr unternommen werden, um sicherzustellen, dass die positiven Entwicklungen in den Bereichen Wirtschaft und Beschäftigung auch die soziale Integration im Rahmen der Lissabonner Strategie verbessern; deshalb muss sehr viel mehr Nachdruck auf die gemeinsamen sozialen Ziele der Mitgliedstaaten gelegt werden, um in den neuen Leitlinien eine aktive soziale Integration zu fördern (zum Beispiel Bekämpfung der Armut und der Ausgrenzung der am meisten benachteiligten Menschen und Gruppen).

2.2   Jugendbeschäftigung

Der Ausschuss hält Folgendes für erforderlich:

Zielvorgaben für jeden Mitgliedstaat im Hinblick auf eine Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit um mindestens 50 % im Zeitraum 2006-2010, um deutlich zu machen, dass die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit von allen Beteiligten mehr Anstrengungen erfordert;

eine viel stärkere Gewichtung der Eingliederung Jugendlicher in den Arbeitsmarkt mit einer Garantie, eine Erstanstellung mit Zukunftsaussichten zu finden, ferner die Einführung von Maßnahmen, die die Gefahr verringern, dass Jugendliche zwischen befristeten und unsicheren Arbeitsplätzen festsitzen;

ein viel entschlosseneres Engagement, das auf Berufsbildung ausgerichtet ist, um berufliche Laufbahnen für Jugendliche zu schaffen, und auf lebenslanges Lernen, um die Jugendarbeitslosigkeit zu senken; eine grundlegende Bildung in Bezug auf den modernen Arbeitsmarkt ist ebenfalls ein großes Problem; hier fehlen Bildungskenntnisse des primären und sekundären Bereichs; außerdem besteht ein Missverhältnis zwischen Ausbildung und Qualifikationen einerseits und den Erfordernissen des Arbeitsmarkts andererseits;

die Entwicklung von Systemen der sozialen Sicherung, die es Jugendlichen ermöglichen, Entscheidungen für die eigene Zukunft zu treffen; in diesem Zusammenhang auch Maßnahmen zur Förderung der sozialen Eingliederung junger Menschen, die insbesondere auf Jugendliche ausgerichtet werden sollten, die weder eine schulische/universitäre oder berufliche Ausbildung absolvieren noch einen Beruf ausüben und die nicht arbeitslos gemeldet sind;

Verringerung der Schulabbrüche um 50 % im Zeitraum 2006-2010 und Förderung von „Schnupperpraktika“ in Unternehmen;

Ausbau angemessener Anreize und Unterstützungsleistungen für Unternehmen zur vermehrten Anstellung Jugendlicher sowie älterer Arbeitnehmer mit besonderen Problemen am Arbeitsmarkt;

Reduktion der Frist von sechs Monaten zur Aktivierung Arbeit bzw. Lehrstellen suchender Jugendlicher (nach Leitlinie 18 soll diese Frist bis 2010 auf 4 Monate verringert werden);

Forcierung der Gleichstellung, Förderung behinderter Menschen und der Integration von Zuwanderern.

2.3   Gleichstellung von Männern und Frauen

Der Ausschuss macht erneut auf Folgendes aufmerksam:

Für eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen sind gemeinsame Prioritäten bei der Koordinierung der Beschäftigungspolitiken erforderlich; u.a. sollte es konkrete Vorschläge für Maßnahmen geben, damit alleinerziehende Eltern marktgerechte Fertigkeiten entwickeln und ihr Einstieg in das Erwerbsleben erleichtert wird;

die Sozialpartner sollten zu den Aspekten konsultiert werden, die die Einbeziehung der Geschlechterkriterien betreffen;

die einzelstaatlichen Regierungen, die nationalen Gleichbehandlungsstellen und die Sozialpartner aller Mitgliedstaaten haben die eindeutige Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die von ihnen eingerichteten Arbeitsentgeltsysteme nicht zu einer Lohndiskriminierung zwischen Frauen und Männern führen; in diesem Zusammenhang müssen die gemeinschaftlichen Leitlinien sowohl auf der Ebene der Einzelstaaten als auch auf Unternehmensebene die Ziele für Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen durch präzise Indikatoren unterstützen. Daher sollten Zielvorgaben zur Verringerung der Unterschiede festgelegt werden, die in Bezug auf den Zugang zu beruflicher und technischer Ausbildung zwischen Jungen und Mädchen bestehen, und das Gefälle bei den Einstiegslöhnen und -gehältern reduziert werden;

es werden Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt und struktureller Ursachen geschlechtsspezifischer Einkommensunterschiede gebraucht, insbesondere die Förderung der eigenständigen sozialen Absicherung von Frauen, v.a. über Maßnahmen zum Abbau geringfügiger, nicht abgesicherter Teilzeitbeschäftigung sowie zur verbesserten Regulierung von Teilzeitbeschäftigung (etwa Ausdehnung des Rechtes auf Teilzeit für Eltern mit Anspruch auf Rückkehr zu Vollzeit, Abbau der mangelnden Integration in innerbetriebliche Weiterbildungsprogramme);

neue spezifische Zielvorgaben für die Gleichstellung der Geschlechter in den Beschäftigungspolitiken unter Angabe qualitativer und quantitativer Indikatoren sind erforderlich, um Geschlechterstereotype abzubauen und Hindernisse zu beseitigen, die Frauen von bestimmten Berufsgruppen ausgrenzen und die unternehmerische Initiative von Frauen einschränken (4);

das Thema unternehmerische Initiative sollte in die Lehrpläne der Sekundarstufe sowie der Hochschul- und Berufsbildung in den Mitgliedstaaten aufgenommen werden, und zwar insbesondere für Schülerinnen und Studentinnen bzw. Auszubildende; ferner sollten Maßnahmen ergriffen werden, damit mehr Frauen ein wissenschaftliches oder technisches Studium abschließen, um so die geschlechtsspezifischen Beschäftigungsunterschiede im technischen Bereich, u.a. im Ingenieurwesen und im IKT-Bereich, abzubauen;

Fragen zur Gleichbehandlung der Geschlechter und auch zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollten stärker beachtet werden. Diesbezüglich ist es erforderlich, geschlechtsspezifische Segmentierungen auf dem Arbeitsmarkt abzubauen, vor allem über effektive Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie (insbesondere massiver und flächendeckender Ausbau von qualitativ hochwertigen und bezahlbaren Kinderbetreuungseinrichtungen sowie Unterstützungsangebote für Pflegebedürftige und deren Familien, u.a. in Form ganztägiger Einrichtungen für diese Personen);

die partnerschaftliche Teilung von Betreuungspflichten muss effektiv gefördert werden (v.a. Anreize zur Erhöhung der Väterbeteiligung), zudem müssen familienpolitische Maßnahmen beseitigt werden, die Eltern Anreize zum Ausstieg aus dem Erwerbsleben bzw. zu einer längeren Unterbrechung geben; Eltern sollten zum Wiedereinstieg ins Berufsleben ermuntert werden; „Karenzfinanzierung“ darf sich nicht nachteilig auf den Einkommensverlauf auswirken, keinen zusätzlichen Anreiz zum Berufsausstieg von Frauen liefern und keine neuen Hemmnisse für eine partnerschaftliche Teilung der Kinderbetreuung aufbauen.

2.4   Ältere Arbeitnehmer, Arbeitnehmer mit Behinderungen, Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund

Der Ausschuss hat folgende Forderungen aufgestellt:

Verstärkte Bekämpfung zahlreicher weiterhin bestehender Diskriminierungen und Benachteiligungen aufgrund des Alters, des Geschlechts bzw. aufgrund von Behinderung oder ethnischer Herkunft, insbesondere beim Bildungszugang sowie beim Zugang zum und Verbleib auf dem Arbeitsmarkt; bestehende EU-Rechtsvorschriften und ihre Umsetzung sollten auf geeignete Weise überwacht werden;

die Auswirkungen des demografischen Wandels und die Herausforderung durch die Alterung der erwerbsfähigen Bevölkerung bedürfen einer größeren Hinwendung. In diesem Zusammenhang sind vermehrte Investitionen in Qualität und eine altersgerechte Ausgestaltung der Arbeitsplätze erforderlich, damit Arbeitnehmer physisch und psychisch länger im Erwerbsleben verbleiben können, insbesondere durch eine stärkere Beteiligung Älterer an Weiterbildung, die Verringerung des Leistungsdrucks in den Betrieben und eine altersgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen (u.a. Anreize zum Ausbau des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz, flächendeckende betriebliche Programme zur Gesundheitsförderung und Prävention sowie zum Arbeitnehmerschutz);

Maßnahmen für eine stärkere Würdigung des Werts älterer Arbeitnehmer (Würdigung von Erfahrungswissen und Transfer der im Erwerbsleben erworbener Kompetenzen an jüngere Arbeitnehmer) sowie Beratung und Unterstützung von Unternehmen, insbesondere KMU, bei der vorausschauenden Personalplanung und Entwicklung altersgerechter Arbeitsorganisation;

die Behindertenthematik sollte in den nationalen Reformplänen stärker berücksichtigt werden, außerdem sollten die nationalen Behindertenverbände stärker in die Erarbeitung der Reformpläne eingebunden werden. Diesbezüglich war die Kommission aufgefordert worden, die Auswirkungen zu analysieren und mögliche Synergien auszuloten, die von flexiblen arbeitsmarktpolitischen und flankierenden Maßnahmen ausgehen und die Beschäftigungssituation behinderter Menschen verbessern könnten;

die Einwanderungspolitik muss gestrafft und ihre Umsetzung und ihre Auswirkungen auf die einzelstaatlichen Pläne zur Arbeitsmarktpolitik müssen überprüft werden. Besonderes Augenmerk ist hier auf individuelle (vor)schulische Förderung und frühzeitige Investition in sprachliche und berufsnahe Qualifikation sowie auf die Beseitigung institutioneller Hemmnisse und Diskriminierungen beim Arbeitsmarktzugang in den Mitgliedstaaten und die Verhinderung von Lohndumping zu legen;

Monitoring und Ergreifung von Maßnahmen, um sicherzustellen, dass zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit genügend Fachkräfte erhalten bleiben. Obgleich der Ausschuss die Mobilität der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten unterstützt, zeigt er sich besorgt über die Auswirkungen, die die Abwanderung von Fachkräften und ihrer Sachkenntnis von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen auf den Heimatstaat hat.

2.5   Hochwertige Arbeitsplätze und Transitarbeitsmärkte

Der Ausschuss verweist erneut auf folgende Erfordernisse:

Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität von Arbeitsplätzen und daher die Aufstellung eines europäischen Indexes für die Qualität des Arbeitslebens, der auf forschungsbasierten Kriterien für „gute Arbeit“ (good work) fußt und regelmäßig ermittelt und veröffentlicht wird, um Veränderungen und Fortschritte in der Qualität des Arbeitslebens sowie die Auswirkungen auf die Produktivität darzustellen;

Steigerung der Arbeitsmarktsicherheit und Verhinderung von „Prekaritätsfallen“ u.a. indem sichergestellt wird, dass Arbeitslose nicht gezwungen werden, Jobs ohne Absicherung anzunehmen, Schwarzarbeit bekämpft wird und die Ausnutzung befristet beschäftigter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verhindert wird;

Schutz der Arbeitnehmer vor Diskriminierung;

viele zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung leistungsfähiger Gesundheitsschutzsysteme und der Beschäftigungsziele Gesundheitsvorsorge und gesunde Lebensweise, um Belastungen durch Krankheit zu vermeiden, die Arbeitsproduktivität zu steigern und das aktive Erwerbsleben zu verlängern;

überall, wo dies notwendig ist, Modernisierung und Verbesserung der sozialen Absicherung nicht-standardisierter Beschäftigungsformen;

Abbau von Hindernissen für Personen mit Betreuungspflichten beim (Wieder)Eintritt oder Verbleib auf dem Arbeitsmarkt und Anreize zur vermehrten Beteiligung von Vätern an Betreuungsaufgaben;

Aufbau von Transitarbeitsmärkten für sozial ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen mit angemessenen Anreizen für Unternehmen zur vermehrten Anstellung bei gleichzeitiger Unterstützung der Betroffenen bei der Überwindung der Probleme, die ihre soziale Ausgrenzung bedingen (wobei unerwünschte Mitnahmeeffekte ebenso auszuschließen sind wie Wettbewerbsverzerrungen);

Beschäftigungsinitiativen im Non-Profit-Bereich, insbesondere in der Gemeinwirtschaft, denen hier eine besondere Rolle zukommt; entsprechende Förderungen im Rahmen arbeitsmarktpolitischer Budgets sind sicherzustellen.

2.6   Flexicurity

Der Ausschuss hat folgende Vorschläge unterbreitet:

Die Sozialpartner sollten in jeglicher Flexicurity-Debatte sowie bei der europäischen Definition des Flexicurity-Konzepts die Hauptakteure und vorrangigen Konsultationspartner der Europäischen Kommission sein;

eine Stärkung des Systems der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene ist unerlässlich. Die Sozialpartner müssen aktiv beteiligt sein und über die Konzipierung und Gestaltung der Flexicurity verhandeln, sie beeinflussen und verantworten; daher sollte bei der Evaluierung der nationalen Reformprogramme auch erörtert werden, wie der soziale Dialog und die Tarifverhandlungssysteme gestärkt werden können;

die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Solidarität zwischen den Generationen im Bereich der Flexicurity größere Aufmerksamkeit schenken. Frauen, ältere Arbeitnehmer und Jugendliche sind auf dem Arbeitsmarkt in puncto Flexibilität und Sicherheit oft im Nachteil — ein Aufschließen dieser Gruppen sowie die Ermittlung der geeignetsten Maßnahmen müssen daher angestrebt werden;

die Mitgliedstaaten und die Kommission sollten prüfen, wie die Anpassungsfähigkeit im Wege der internen Flexibilität verbessert werden kann, sodass diese zu einer entwicklungsfähigen und akzeptablen Dimension der Flexicurity ausgestaltet werden kann. Interne Flexibilität kann ausschlaggebend für die Verbesserung von Produktivität, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sein und somit zum Erreichen der Ziele der Lissabon-Strategie beitragen;

ein Ausgleich zwischen Arbeitszeitflexibilität und Arbeitnehmerschutz sollte angestrebt werden; dies kann am besten durch Bestimmungen bewerkstelligt werden, die in Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern und nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten festgelegt werden. Verhandlungen über die Arbeitszeitflexibilität müssen sich auf ein solides Rechtsumfeld, gut funktionierende soziale Einrichtungen und beschäftigungsfreundliche soziale Sicherungssysteme stützen können.

2.7   Investitionen, Innovation und Forschung

Der Ausschuss hat folgende Forderungen vorgebracht:

Ein günstiges makroökonomisches Umfeld mit Schwerpunkt auf einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik, das auf Überwindung der lang andauernden Konjunkturschwäche und die Ausschöpfung des vollen Potenzials arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen ausgerichtet ist;

bei der Einbeziehung von Investitionen in die Forschung, die Entwicklung und die Innovation muss konsequenter vorgegangen werden, um sowohl die Wirtschaft anzukurbeln als auch neue Arbeitsplätze zu schaffen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass viele Reformpläne nur unzureichend die Notwendigkeit berücksichtigen, neben strukturellen Reformen auf dem Arbeitsmarkt auch nachfrageorientierte Maßnahmen zur Ankurbelung von Wachstum und Beschäftigung zu setzen;

einen größeren budgetären Spielraum für entsprechende Infrastrukturinvestitionen in den Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang sollten die nationalen Reformprogramme möglichst so konzipiert sein, dass sie ein europaweit koordiniertes Konjunkturbelebungsprogramm ergeben;

entsprechende Rahmenbedingungen, die sowohl die externe als auch die interne Nachfrage begünstigen, um das Potenzial für Wachstum und Vollbeschäftigung auszuschöpfen. Diesbezüglich wurde betont, dass nur wenige Mitgliedstaaten in ihren Reformprogrammen in diesem Sinn ausreichende Akzente zur wirtschaftlichen Stimulation setzen;

entsprechende Finanzmittel auf nationaler und europäischer Ebene, um erfolgreich beschäftigungspolitische Maßnahmen umsetzen zu können. In diesem Zusammenhang wurde hervorgehoben, dass in vielen Mitgliedstaaten das Auseinanderklaffen von Vorschlägen zu arbeitsmarktpolitischen Initiativen und mangelnder budgetärer Deckung beseitigt werden muss.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des EWSA vom 31. Mai 2005 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (gemäß Artikel 128 EG-Vertrag)“, Berichterstatter: Herr MALOSSE (ABl. C 286 vom 17.11.2005).

(2)  Eine Broschüre mit den Vorschlägen des EWSA steht kurz vor der Veröffentlichung. Zu den Stellungnahmen des EWSA zu beschäftigungspolitischen und ähnlichen Fragen siehe http://eesc.europa.eu/sections/soc/index_en.asp (nur auf Englisch und Französisch; d.Üb.)

(3)  Hierbei werden folgende Stellungnahmen zitiert: EWSA-Stellungnahme vom 25.4.2007 zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“, Berichterstatterin: Frau O'Neill (ABl. C 168 vom 20.7.2007); EWSA-Stellungnahme vom 12.7.2007 zum Thema „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)“, Berichterstatter: Herr Greif (ABl. C 256 vom 27.10.2007); EWSA-Stellungnahme vom 26.10.2005 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat über europäische Politiken im JugendbereichDie Anliegen Jugendlicher in Europa aufgreifenUmsetzung des Europäischen Pakts für die Jugend und Förderung der aktiven Bürgerschaft“, Berichterstatterin: Frau van Turnhout (ABl. C 28 vom 3.2.2006); EWSA-Stellungnahme vom 13.9.2006 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2006-2010“, Berichterstatterin: Frau Attard (ABl. C 318 vom 23.12.2006); EWSA-Stellungnahme vom 11.7.2007 zum Thema „Beschäftigungsfähigkeit und Unternehmergeistdie Rolle der Zivilgesellschaft, der Sozialpartner und der regionalen und lokalen Einrichtungen unter Berücksichtigung des Gender Mainstreamings“, Berichterstatter: Herr Pariza Castaños (ABl. C 256 vom 27.10.2007); EWSA-Stellungnahme vom 17.1.2007 zum Thema „Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen“, Berichterstatter: Herr Joost (ABl. C 93 vom 27.4.2007); EWSA-Stellungnahme vom 26.9.2007 zum Thema „Nachhaltige Arbeitsproduktivität in Europa“, Berichterstatterin: Frau Kurki (ABl. C 10 vom 15.1.2008); EWSA-Stellungnahme vom 11.7.2007 zum Thema „Flexicurity (die Dimension der internen FlexibilitätTarifverhandlungen und Sozialer Dialog als Instrumente der Arbeitsmarktregulierung und -reform)“, Berichterstatter: Herr Janson (ABl. C 256 vom 27.10.2007); EWSA-Stellungnahme vom 17.5.2006 zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“, Berichterstatter: Herr Greif (ABl. C 195 vom 18.8.2006); EWSA-Stellungnahme vom 30.5.2007 zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen, Berichterstatter: Herr Rodríguez García-Caro (ABl. C 175 vom 27.7.2007); EWSA-Stellungnahme vom 6.4.2005 zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Rates und des Europäischen Parlaments betreffend die verstärkte europäische Zusammenarbeit zur Qualitätssicherung in der Hochschulbildung, Berichterstatter: Herr Soares (ABl. C 255 vom 14.10.2005).

(4)  Vgl. dazu auch folgende Stellungnahmen: EWSA-Stellungnahme vom 6.7.2006 zum Thema „Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung“, Berichterstatterin: Frau Jerneck (ABl. C 309 vom 16.12.2006) und EWSA-Stellungnahme vom 25.10.2007 zum Thema „Unternehmergeist und Lissabon-Agenda“, Berichterstatterin: Frau Sharma, Mitberichterstatter: Herr Olsson (SOC/267) (Die Stellungnahme wurde noch nicht veröffentlicht).


25.6.2008   

DE

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C 162/96


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Finanzintegration: die europäischen Börsenmärkte“ (Initiativstellungnahme)

(2008/C 162/25)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Januar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Finanzintegration: die europäischen Börsenmärkte“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 24. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr LEHNHOFF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 103 gegen 4 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss empfiehlt den europäischen Institutionen, die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinschaft noch intensiver als bisher über die Vorteile aufzuklären, die ihnen der harmonisierte Rechtsrahmen für Wertpapiergeschäfte bietet. Auf diese Weise kann der noch immer verbreitet festzustellenden Beschränkung der Anlage auf den jeweiligen Heimatmarkt (home bias) entgegengewirkt werden.

1.2

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, im Rahmen der im Weißbuch für Finanzdienstleistungspolitik (1) angekündigten Ex-post-Evaluation des Aktionsplanes für Finanzdienstleistungen ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob die zahlreichen Änderungen der europarechtlichen Grundlagen für börsliche und außerbörsliche Handelsplätze eine sinnvolle Integration der europäischen Börsenmärkte fördern und die grenzüberschreitende Anlage von Vermögen erleichtern.

1.3

Dies gilt vor allem für die Auswirkungen der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (2), der Prospektrichtlinie (3) und der Transparenzrichtlinie (4) als Teile des Aktionsplanes für Finanzdienstleistungen sowie für die laufenden Bestrebungen zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Abwicklung von Geschäften in Finanzinstrumenten (hier vor allem für die Implementierung der Selbstverpflichtung der Infrastrukturbetreiber durch den „Code of Conduct for Clearing and Settlement“ und die Bestrebungen der Europäischen Zentralbank für eine einheitlich europäische Abwicklungsplattform („Target2/Securities“)).

1.4

Der Ausschuss hält es für geboten, dass dieser Evaluationsprozess abgewartet wird, bevor zusätzliche oder ergänzende Schritte für eine Förderung der Integration ergriffen werden. Wenn er es für nötig befindet, wird der EWSA sich wieder mit Vorschlägen für eine weitere Integration der Börsenmärkte zu Wort melden.

1.5

In der Mitteilung von 2005 zur Industriepolitik (5) werden sieben Querschnittsmaßnahmen angekündigt, mit deren Hilfe sektorspezifische Initiativen umgesetzt werden sollen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass auf die Liste der sektorübergreifenden Maßnahmen auch effiziente und für europäische Unternehmen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), zu angemessenen Kosten zugängliche Finanzmärkte gesetzt werden sollten. Die MIFID hat die Verbesserung der Funktionsweise dieser Märkte zum Ziel. Aufgrund der mit den Finanzmärkten verbundenen Auswirkungen ist eine umfassendere Auseinandersetzung mit der Rolle, die diesen Finanzmärkten bei der Förderung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zukommen wird, jedoch unabdinglich. Der Ausschuss bedauert, dass mit der Halbzeitbewertung der Industriepolitik (6) keine solche Debatte eingeleitet wurde.

Das Augenmerk sollte insbesondere auf die Börsenstandorte gelegt werden, da diese für die Marktwirtschaft insgesamt von zentraler Bedeutung sind. Dabei sollten hauptsächlich die Bewegungen der Mittel souveräner Emittenten und Staatsanleihen von Schwellenländern bzw. Ländern verfolgt werden, die über viele natürliche Ressourcen verfügen, insbesondere wenn ihr Investitionsanteil an den Börsenmärkten ausnehmend hoch ist, wie im Falle der London Stock Exchange, wo die Fonds aus Dubai und Qatar nunmehr 48 % der Wertpapiere besitzen. Im Allgemeinen sollte die Kommission mit den Mitgliedstaaten und den Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten, um die Transparenz dieser Fonds zu verbessern, ihre Hintergründe zu verstehen und sicherzustellen, dass keine politischen Motive dahinter stehen. Prinzipiell ersucht der EWSA „die Kommission, sobald wie möglich einen Entwurf eines Rechtsakts vorzulegen, der darauf abzielt, von den institutionellen Anlegern die Bereitstellung umfangreicherer Informationen über ihre Anlage- und Abstimmungsstrategien zu verlangen“ (7).

2.   Argumente für die Stellungnahme

2.1   Auftrag für die Ausarbeitung der Stellungnahme

2.1.1

Die Finanzintegration ist elementarer Bestandteil der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Seit der Einführung des Euro ist die Integration des europäischen Finanzsystems zu einem wichtigen Ziel geworden. Die meisten Studien stimmen darin überein, dass diese Integration eindeutig positive Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft hat.

2.1.2

In Anbetracht der erheblichen Vorteile, die die europäische Finanzintegration für die gesamte Wirtschaft haben kann, macht die derzeitige, durch die ungenügende Integration zahlreicher Marktsegmente gekennzeichnete Situation das beharrliche Engagement aller Beteiligten für eine Fortführung dieses Prozesses bis zu seiner Vollendung erforderlich.

2.1.3

Die Schaffung integrierter, wettbewerbsfähiger und wirksamer Finanzmärkte ist ein wesentlicher Aspekt des Binnenmarktes und der Lissabon-Ziele, damit die Vorteile im Hinblick auf Wachstum und Beschäftigung in vollem Umfang ausgeschöpft werden können.

2.1.4

Alle Finanzplätze erfüllen wichtige gemeinwirtschaftliche Funktionen. Die Börsen werden angesichts der wichtigen Rolle, die sie auf den inländischen Finanzmärkten spielen, häufig mit öffentlichen Einrichtungen von nationaler Bedeutung gleichgesetzt. Der europäische Börsensektor wird von traditionellen und häufig einzelstaatlichen Akteuren dominiert. Trotz einiger Börsenzusammenschlüsse und -allianzen ist dieser Markt nach wie vor in ein Dutzend verschiedener Finanzplätze zersplittert. Durch die Elektronisierung der Transaktionen werden die Zwänge und Konflikte eines konkreten geographischen Standortes jedoch vermieden.

2.1.5

Die Finanzintegration ist zuallererst ein marktinduzierter Prozess, erfordert jedoch auch wirksame Wechselwirkungen zwischen den Marktkräften und dem Handeln der öffentlichen Stellen. Die staatlichen Behörden in der EU müssen auch weiterhin fest entschlossen sein, den Integrationsprozess zu verstärken. Dies beinhaltet insbesondere den unerschütterlichen Willen der einzelstaatlichen und europäischen Behörden, einen Rechts- und Regelungsrahmen einzusetzen, der darauf ausgerichtet ist, die Integration des Binnenmarktes und die Finanzstabilität zu fördern.

2.1.6

Die Bedeutung der europäischen Aktienmärkte als Finanzierungsquelle für Unternehmen ist im Laufe der Zeit auf bisweilen spektakuläre Weise angestiegen. So wird ein gut entwickelter Börsenmarkt die aggregierten Investitionen erhöhen und die Kosten senken. Der Börsenmarkt kann einen wichtigen Beitrag zur Bereitstellung zusätzlicher externer Ressourcen leisten. Der Finanzsektor ist auch deshalb von Bedeutung, weil er die Zuweisung von Mitteln gewährleistet, die eine Weiterentwicklung der anderen Wirtschaftszweige ermöglichen.

2.1.7

Die sehr uneinheitlichen einzelstaatlichen Regelungen der Finanzmärkte stellen ein Hindernis dar. Börsenzusammenschlüsse allein — als strategische Aspekte der Finanzregulierung — reichen nicht aus, um die ordnungspolitischen Harmonierungserfordernisse zu erfüllen.

2.1.8

Im Falle der Wertpapiermärkte wie dem Anleihen- und Aktienmarkt ist es äußerst wichtig, die Integration der Infrastrukturen für die Wertpapierclearing- und –abrechnungsinfrastrukturen weiter fortzuführen. Die Zahl der unzureichend miteinander verbundenen Clearing- und Abrechnungssysteme ist nach wie vor hoch.

2.1.9

Zu einer Zeit, wo die Währungsunion faktisch ein gesamteuropäisches Vorgehen beim Wertpapiermanagement begünstigt, sind die kontinentaleuropäischen Aktienmärkte in der paradoxen Situation, von elektronisierten, aber mit hohen Transaktionskosten verbundenen Aufträgen geleitet zu werden. Dieser Widerspruch erklärt sich in erster Linie durch die immer noch viel zu hohen Kosten für grenzüberschreitende Transaktionen.

2.2   Allgemeine Bemerkungen — Die europäischen Börsenmärkte

2.2.1

(Wertpapier-)Börsen ermöglichen die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage über Finanzinstrumente (Marktfunktion einer Börse). Aus Anlegersicht gesprochen: Die Börse ermöglicht, Eigentum an Finanzinstrumenten zu erwerben oder abzugeben. Aus Sicht der Unternehmen sind Börsen eine wichtige Voraussetzung, um sich Eigen- oder Fremdkapitalmittel verschaffen zu können. Börsen sind damit neben der Kreditfinanzierung durch Banken das zentrale Element der Finanzierung von Unternehmertum. Ohne einen funktionierenden Börsenhandel würde die Platzierung neuer Finanzinstrumente nur in sehr eingeschränktem Maße möglich sein. Die Entstehung eines echten europäischen Börsenmarktes kann für Unternehmen neue Möglichkeiten der Finanzierung ihrer Geschäftstätigkeit durch die Emission von Wertpapieren bieten. Dies gilt auch und gerade für Unternehmen in Ländern, die bisher nur einen Börsenhandel mit geringer Liquidität aufweisen, so dass Emissionen nur mit Einschränkungen erfolgreich durchgeführt werden können. Zudem sollte ein europäischer Börsenmarkt dazu beitragen, dass Anleger die noch immer festzustellende Konzentration auf ihren jeweiligen Heimatmarkt ablegen und vom Wachstum des gesamten europäischen Wirtschaftsraumes profitieren können.

2.2.2

Gleichwohl ist insgesamt festzustellen, dass die Unternehmen nur einen geringen Teil ihrer Investitionen (Brutto-Anlageinvestitionen) auf den Börsenmärkten einsetzen. Auch die Nettoemissionen bei Aktien in den Vereinigten Staaten sind rückläufig und in der Euro-Zone gar nicht vorhanden. Das lässt sich nicht durch eine unterschiedliche Zahl der börsennotierten Unternehmen erklären, diese Zahl schwankt kaum. Es kann jedoch durch die Tatsache erklärt werden, dass die Unternehmen sich durch Aktienrückkäufe ihrer eigenen Aktien entledigen, um so eine Erhöhung ihrer Aktienrendite zu erzielen — dem wichtigsten Indikator für die Finanzmärkte.

2.2.3

Damit Börsen ihre öffentliche Aufgabe erfüllen können, ist zweierlei nötig: Es muss ein Geschäftsabschluss (Handel) und der Austausch von Finanzinstrumenten und monetärem Gegenwert (Abwicklung) (8) stattfinden. Auch wenn beides zusammen erst einen Börsenbetrieb ermöglicht, sind Handel und Abwicklung doch getrennte Vorgänge, die auch rein faktisch auf unterschiedlichen technischen Plattformen stattfinden. Der Handel wird von den Börsen selbst organisiert, die Abwicklung erfolgt durch Zentrale Gegenparteien (CCP) und so genannte Central Securities Depositories (CSDs). Letztere fungieren als Zentralverwahrer für Wertpapiere und nehmen die Eigentumsübertragung durch Buchüberträge vor (9).

2.2.4

In jedem Mitgliedstaat existiert mindestens eine Wertpapierbörse (10). Hinzu kommen Multilaterale Handelssysteme (MTF), die wie Börsen die Zusammenführung von Kauf- und Verkaufsaufträgen über Finanzinstrumente ermöglichen, und Internalisierer, die unmittelbar mit ihren Kunden Verträge abschließen. Die Abwicklung erfolgt überwiegend durch nationale CSDs, die für gewisse Dienstleistungen in ihrem jeweiligen Staat eine Monopolstellung besitzen.

2.2.5

Die Vielzahl von Handelsplätzen als solche darf nicht als ein Nachteil des europäischen Kapitalmarktes angesehen werden. Im Gegenteil: Ein effektiver Wettbewerb unter Handelsplätzen sollte nach marktwirtschaftlichen Regeln für die Anleger zu geringeren Transaktionskosten führen. Es ist daher richtig, dass die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) (11) den Ansatz verfolgt, den Wettbewerb der Handelsplätze zu stärken (12).

2.2.6

Das Funktionieren des Wettbewerbs der Handelsplätze setzt aber voraus, dass die europäischen Börsen überhaupt in einem tatsächlichen Wettbewerb stehen können. Ein Hindernis für den Wettbewerb war bisher die in vielen Mitgliedstaaten existierende so genannte „Concentration Rule“, nach der sämtliche Orders an regulierte Märkte — in der Regel die lokale Börse — zu leiten waren. Die Möglichkeit einer solchen nationalen Regelung ist durch die MiFID weggefallen. Ein fortbestehendes Hindernis für den europäischen Wettbewerb kann angesichts der rein nationalen Geschichte der Börsen sein, dass die einzelnen Börsen nur ein eingeschränktes, nationales Angebot von handelbaren Finanzinstrumenten anbieten können. Wäre es etwa für eine deutsche Börse gar nicht möglich, französische Finanzinstrumente in den Handel einzuführen, kann insoweit auch kein Wettbewerb stattfinden.

2.2.7

Ein Blick auf die an den großen europäischen Börsen gehandelten Finanzinstrumente zeigt allerdings, dass — ungeachtet etwaiger rechtlicher Barrieren — tatsächliche Hindernisse für einen Wettbewerb der Handelsplätze nicht bestehen. So werden etwa an den deutschen Börsen über 13 000 ausländische Finanzinstrumente gehandelt (13). Auch wenn vergleichbare Zahlen an anderen Börsen nicht feststellbar sind, macht dieses Beispiel deutlich, dass die Voraussetzungen für einen effektiven Wettbewerb der Handelplätze vorhanden sind. Etwaige nationale rechtliche Hindernisse verlieren durch die Umsetzung des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen (FSAP) an Bedeutung. So wird mit der Prospektrichtlinie der europaweite Vertrieb von Finanzinstrumenten durch einen einzigen Prospekt ermöglicht. Die MiFID harmonisiert nicht nur Anforderungen an den Anlegerschutz, sondern auch die Regeln für den Betrieb und den Handel an Börsen und außerbörslichen Handelsplätzen. Schließlich werden durch die Transparenzrichtlinie Kapitalmarktinformationen vereinheitlicht. Es wird nunmehr Aufgabe der europäischen Institutionen sein, die konkreten Auswirkungen der neuen rechtlichen Rahmenbedingungen zu bewerten und Fehlentwicklungen zu korrigieren. Die Ziele des FSAP, insbesondere die grenzüberschreitende Organisation der Finanzmärkte, werden hierbei den Maßstab bilden.

2.2.8

Hinterfragt werden kann, ob sich aus einem Wettbewerb der Börsen auch Gefahren für die Qualität von Preisbildungsmechanismen (und damit für die öffentliche Funktion der Börsen) ergeben, und ob diesen durch eine strikte Förderung der Konsolidierungen entgegen gewirkt werden sollte. Auf den ersten Blick erscheint dies durch die Verteilung der Liquidität auf mehrere Handelsplätze naheliegend. Allerdings kann aus der Vielzahl von Handelsplätzen in Europa nicht zwingend auf eine mangelnde Qualität der Preisbildung geschlossen werden. Handelsmechanismen, wie der Arbitragehandel, sorgen hier für einen Ausgleich, zudem bestehen für die Handelsplätze seit dem 1. November 2007 umfassende harmonisierte Vor- und Nachhandels-Transparenzanforderungen (Artikel 27 ff. MiFID). Diese sollen die Vergleichbartkeit der Preise an unterschiedlichen Handelsplätzen sicherstellen und so der zuvor beschriebenen Fragmentierung entgegenwirken. Soweit dies kurz nach der Umsetzung der MiFID in den Mitgliedstaaten beurteilt werden kann, scheint dieser Ansatz zu funktionieren. Datenströme von außerbörslichen Geschäften werden etwa von Project Boat — einem Konsortium von neun Investmentbanken — veröffentlicht und von großen Finanzinformationsdienstleistern mit den Daten der Börsen und MTF konsolidiert. Auf diesem Weg wird eine gegenseitige Beeinflussung der Preise auf unterschiedlichen Handelsplätzen sichergestellt. Konsolidierungen auf der Ebene der Börseneigentümer zur Steigerung der Liquidität sind daher nicht erforderlich.

2.2.9

Die Entscheidung für oder gegen Fusionen oder Übernahmen sind — wie auch Kommissar McCreevy betont — vielmehr allein betriebswirtschaftliche Entscheidungen der Börsenbetreiber, sollten also strikt marktgetrieben erfolgen. Aus politischer Sicht kann nur maßgeblich sein, ob rechtliche Hindernisse für Fusionen oder Übernahmen bestehen und wenn ja, ob diese überwunden werden können.

2.2.10

Für die Fusion oder Übernahme zwischen den Betreibern von Handelssystemen bestehen dabei keine anderen rechtlichen Hindernisse wie für sonstige gesellschaftsrechtliche Fusionen und Übernahmen. Aktuelle Beispiele wie die geplante Übernahme der Borsa Italiana durch die London Stock Exchange und wie die Fusion zwischen der New York Stock Exchange und der Euronext zeigen dies sogar über den europäischen Rechtsraum hinaus.

2.2.11

Besondere rechtliche Probleme kann aber die Etablierung einer gemeinsamen, europaweiten Handelsplattform mit sich bringen. Als Hindernisse genannt werden Unterschiede in den Zulassungsanforderungen und Handelspraktiken, in den steuerlichen Vorgaben und in der Rechnungslegung (14). Eine eingehende Untersuchung — gerade nach der Verabschiedung der MiFID und der Prospektrichtlinie — über die Bedeutung dieser Hindernisse steht noch aus. Doch sind Zweifel angebracht, ob sie tatsächlich so schwerwiegend sind, dass sie in der Praxis nicht überwunden werden können. Gegen ihr Gewicht spricht etwa die gelungene Integration der Handelssysteme der Börsen Amsterdam, Brüssel, Paris und Lissabon unter dem Dach der Euronext und der Zusammenschluss der baltischen und nordischen Börsen zur OMX Nordic. Zudem zeigt sich bereits recht kurz nach der Verabschiedung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, dass Börsen in Zukunft verstärkt in einen intensiven Wettbewerb mit multilateralen Handelssystemen treten werden, die auf Basis eines europäischen Passes in allen Mitgliedstaaten tätig sein können. Beispiele hierfür sind die unter dem Namen „Turquoise“ laufende Initiative von sieben Investmentbanken und die im März 2007 in London gestartete Chi-X Plattform der Chi-X Europe Limited. Eine stärkere Integration der europäischen Börsenmärkte erscheint danach nicht nur möglich, sie dürfte in nächster Zukunft bereits erfolgt sein (15).

2.2.12

Die Förderung der Integration der Börsenmärkte darf allerdings nicht als eine Forderung nach der Konzentration von Handels- oder Abwicklungsplätzen auf einer kommerziellen paneuropäischen Plattform missverstanden werden. Es sollte nicht übersehen werden, dass sowohl die neuen außerbörslichen Handelsplattformen als auch die etablierten Börsen Wirtschaftsunternehmen mit Gewinnorientierung sind und eine Monopolisierung zu schlechteren Bedingungen für Emittenten und Anleger führen würde (16).

2.2.13

Der Ausschuss empfiehlt den europäischen Institutionen, Alternativen zu einer Förderung der Integration durch Wettbewerb dann zu prüfen, wenn die Konzentration der Börsen etwa dazu führen sollte, dass für regional tätige kleine und mittlere Unternehmen der Zugang entscheidend erschwert würde. Es sollte nicht verkannt werden, dass für kleine und mittlere Unternehmen ein Börsengang an einer regionalen Börse häufig leichter erfolgreich durchzuführen ist als an den großen europäischen Börsen. Denn durch die enge lokale Verbindung sind über eine regionale Börse regionale Investoren direkter ansprechbar. Die zu erwartenden tatsächlichen Entwicklungen sollen daher sorgfältig dahingehend bewertet werden, ob sich der Zugang zu den Börsen für kleine und mittlere Unternehmen erschwert. Sollte dies der Fall sein, könnte ein Lösungsansatz in der Etablierung einer oder mehrerer nicht-öffentlicher Börsen liegen, die speziell den Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen verpflichtet sind.

3.   Besondere Bemerkungen — Clearing und Settlement an den Börsenmärkten

3.1

Das maßgebliche Hindernis für eine effizientere europäische Börsenstruktur ist allerdings nicht in der traditionellen regionalen Orientierung der Börsen zu sehen, sondern in den unterschiedlichen Abwicklungssystemen innerhalb von Europa. Diese Systeme sind ganz überwiegend national fragmentiert, was eine Abwicklung von Börsengeschäften über nationale Grenzen hinweg erschwert und verteuert. (Allerdings bieten die Abwicklungssysteme für rein nationale Wertpapiergeschäfte häufig sehr effektive und kostengünstige Lösungen, die im Rahmen jeglicher Konsolidierungsbemühungen nicht zerstört werden dürfen.) Zur Überwindung der Fragmentierung gibt es bereits eine Reihe von wichtigen Initiativen, mit denen eine effizientere Gestaltung der europäischen Abwicklungsstrukturen angestrebt wird.

3.2

Die Giovannini-Berichte (17) haben Hindernisse für eine effiziente Abwicklung von Börsengeschäften identifiziert und analysiert. Nationale Unterschiede bestehen hiernach insbesondere im Hinblick auf technische Standards und Marktusancen sowie im Bereich national verschiedener steuerlicher und rechtlicher Grundlagen  (18). Für Ersteres wird im Augenblick durch die Infrastrukturbetreiber und Marktteilnehmer (vor allem Banken) koordiniert durch die Europäische Kommission innerhalb der Clearing und Settlement Advisory and Monitoring Expert Group (ESAME) nach Lösungen gesucht (19). Vereinheitlichungen, wie beispielsweise der Feiertage, an denen die Abwicklungssysteme geschlossen sind, sind bereits weitgehend umgesetzt, an weiteren Vereinheitlichungen, wie etwa der Abwicklung von „Corporate Actions“, wird gearbeitet.

3.3

Technische Standards und Marktpraktiken würden zudem weitgehend harmonisiert, wenn eine aktuelle Initiative zur Schaffung einer europaweiten Abwicklungsplattform für Wertpapiergeschäfte Erfolg haben wird. Im Juli 2006 haben die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Notenbanken des Euro-Raumes einen Vorschlag für eine einheitliche europäische Plattform zur Abwicklung von Wertpapiergeschäften unterbreitet (20). Diese wird, da technisch mit der bereits existierenden europaweiten Zahlungsplattform „Target“ verbunden, als „Target2/Securities“ bezeichnet. Ergänzend wurden im Januar 2007 erste Studien zu den ökonomischen, rechtlichen und technischen Auswirkungen der geplanten Plattform durch die Europäische Zentralbank veröffentlicht (21). Derzeit werden die technischen Anforderungen an ein solches System zusammen mit den Nutzern erarbeitet (22).

3.4

Target2/Securities soll nach den Vorstellungen der EZB zukünftig alle Wertpapiergeschäfte, die gegen Zentralbankgeld abgewickelt werden, umfassen. Die geplante Plattform soll grundsätzlich europaweit einheitlich zur Verfügung stehen und damit insbesondere die grenzüberschreitende Wertpapierabwicklung wesentlich vereinfachen.

3.5

Bei einem Erfolg würde Target2/Securities entscheidende Hemmnisse bei einer grenzüberschreitenden Wertpapierabwicklung in Zentralbankgeld in Europa überwinden. Hiermit sollen unter Annahme verschiedener Faktoren auch wesentliche Kostenvorteile für die an einer Wertpapiertransaktion Beteiligten erzielt werden.

3.6

Mit dem Code of Conduct haben sich zudem die europäischen CSDs, die zentralen Kontrahenten (CCPs) und die Börsen gegenüber der Europäischen Kommission zu einer Vielzahl von Maßnahmen verpflichtet (23). Hiermit soll insbesondere die Effizienz und die Interoperabilität unter den Infrastrukturbetreibern intensiviert werden. Die Kosten für die grenzüberschreitende europäische Abwicklung sollen im Ergebnis sinken. Bereits Anfang 2007 wurden erste Teile der Verpflichtung umgesetzt. So wurde die Preistransparenz durch Veröffentlichung und Vereinheitlichung der Preisverzeichnisse verbessert, was den Nutzern einfachere Preisvergleiche ermöglicht. Die Infrastrukturbetreiber haben sich zudem verpflichtet, den Zugang zu ihrem System und die Interoperabilität zwischen den Systemen zu verbessern. Die Ende Juni 2007 veröffentlichten Leitfäden konkretisieren diese Verpflichtung so weit, dass eine effektive Vernetzung der Systeme ermöglicht wird. Angesichts der sehr positiven Bewertung der bisherigen Entwicklung des Code of Conduct und seiner Implementierung in der Praxis — wie sie auch und gerade von Kommissar McCREEVY am 10. Juli 2007 im Europäischen Parlament vorgenommen wurde — scheint hier ein belastbarer Weg für eine Förderung der kostengünstigen europaweiten Abwicklung von Wertpapiergeschäften beschritten zu werden.

3.7

Derzeit besteht aus politischer Sicht kein über die geschilderten Initiativen hinausreichender Handlungsbedarf für eine Förderung der Konsolidierung der Börsenmärkte. Der Abschluss der verschiedenen Arbeiten zur Erleichterung der Konsolidierung der europäischen Börsenlandschaft — vor allem für den Bereich der Abwicklung von Transaktionen in Finanzinstrumenten — sollte zunächst abgewartet und dann deren Ergebnisse analysiert werden. Sollten diese allesamt scheitern oder im Ergebnis nicht zu einem effizienteren europäischen Börsenhandel führen, wäre zu überlegen, ob weitere regulatorische Maßnahmen insoweit Besserung bringen können.

Brüssel, den 13. Februar 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  http://ec.europa.eu/internal_m arket/finances/policy/index_en.htm.

(2)  Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. L 145 vom 30. 4.2004, S. 1-44.

(3)  Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 64-89.

(4)  Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten.

(5)  KOM(2005) 474 endg.: „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Ein politischer Rahmen zur Stärkung des Verarbeitenden Gewerbes in der EU — Auf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“.

(6)  KOM(2007) 374, „Halbzeitbewertung der Industriepolitik“.

(7)  ECO/202 — „Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Entwicklung auf den Finanzmärkten“ — CESE 1262/2007 — ABl. 2008/C 10/23 und INT/332 — „Überprüfung des Binnenmarktes“ CESE 89/2007 — ABl. 2007/C 93/06.

(8)  Begrifflich vielfach bezeichnet als „Clearing und Settlement“.

(9)  Daneben erfüllen sie weitere Aufgaben, die aus der Verwahrung der Wertpapiere resultieren, z.B. Corporate Actions.

(10)  Eine Aufstellung der einzelnen Börsen findet sich in der Übersicht über die geregelten Märkte der Kommission (ABl. C 38 vom 22.2.2007).

(11)  Richtlinie 2004/39/EG (ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1).

(12)  Vgl. Erwägungsgrund 34 und die Bestimmungen zur Markttransparenz in Artikel 27 ff. MiFID.

(13)  Quelle: Deutsche Börse Info Operation, Total Turnover Foreign Shares, March 2007 www.deutsche-boerse.com/dbag/dispatch/de/notescontent/gdb_navigation/listing/50_Reports_and_Statistics/60_Order_Book_Statistics/INTEGRATE/statistic?notesDoc=/maincontent/Monatsstatistik+auslaendischer+Aktien&expand=1.

(14)  McAndrew/Stefanadis, Current Issues in Economics and Finance (Federal Reserve Bank of New York), June 2002, 1, 3 f.

(15)  Siehe hierzu auch EZB-Monatsbericht November 2007, 67, 77 ff.

(16)  Siehe hierzu auch EZB-Monatsbericht November 2007, 67, 74 f.

(17)  Vgl.http://ec.europa.eu/internal_market/financial-markets/clearing/communication_de.htm.

(18)  Für die Abwicklung sind die nationalen Regelungen zum Eigentumsübergang, zur Verbuchung der Wertpapiere (Depotrecht) sowie zum Insolvenzrecht wichtig.

(19)  Vgl. http://ec.europa.eu/internal_market/financial-markets/clearing/cesame_en.htm .

(20)  Vgl. http://www.ecb.int/paym/market/secmar/integr/html/index.en.html.

(21)  Vgl. http://www.ecb.int/paym/market/secmar/integr/html/index.en.html.

(22)  Umfangreiche Materialien hierzu finden sich auf der Internetseite der Europäischen Zentralbank (www.ecb.int).

(23)  Vgl. http://ec.europa.eu/internal_market/financial-markets/clearing/communication_de.htm#code.