ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 44

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

51. Jahrgang
16. Februar 2008


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III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

439. Plenartagung vom 24./25. Oktober 2007

2008/C 044/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch — Der Europäische Forschungsraum: Neue PerspektivenKOM(2007) 161 endg.

1

2008/C 044/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens Initiative Innovative ArzneimittelKOM(2007) 241 endg. — 2007/0089 (CNS)

11

2008/C 044/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Gründung des gemeinsamen Unternehmens ARTEMIS zur Umsetzung einer gemeinsamen Technologieinitiative für eingebettete IKT-SystemeKOM(2007) 243 endg. — 2007/0088 (CNS)

15

2008/C 044/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens zur Umsetzung der Technologieinitiative Clean SkyKOM(2007) 315 endg. — 2007/0118 (CNS)

19

2008/C 044/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Gründung des gemeinsamen Unternehmens ENIACKOM(2007) 356 endg. — 2007/0122 (CNS)

22

2008/C 044/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches derselbenKOM(2007) 303 endg. — 2007/0113 (COD)

27

2008/C 044/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über nichtselbsttätige Waagen (kodifizierte Fassung) KOM(2007) 446 endg. — 2007/0164 (COD)

33

2008/C 044/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Beleuchtungseinrichtungen für das hintere Kennzeichen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern (Kodifizierte Fassung)KOM(2007) 451 endg. — 2007/0162 (COD)

33

2008/C 044/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Funkentstörung (elektromagnetische Verträglichkeit) von land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschinen (Kodifizierte Fassung)KOM(2007) 462 endg. — 2007/0166 (COD)

34

2008/C 044/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Fortschrittsbericht Biokraftstoffe — Bericht über die Fortschritte bei der Verwendung von Biokraftstoffen und anderen erneuerbaren Kraftstoffen in den Mitgliedstaaten der Europäischen UnionKOM(2006) 845 endg.

34

2008/C 044/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Ergebnisse der Überprüfung der Strategie der Gemeinschaft zur Minderung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten NutzfahrzeugenKOM(2007) 19 endg.

44

2008/C 044/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/54/EG hinsichtlich der Anwendung bestimmter Vorschriften auf EstlandKOM(2007) 411 endg. — 2007/0141 (COD)

49

2008/C 044/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäschen Parlaments und des Rates über die Auswahl und Genehmigung von Systemen, die Satellitenmobilfunkdienste (MSS) erbringenKOM(2007) 480 endg. — 2007/0174 (COD)

50

2008/C 044/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Vorlage Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 95/50/EG in Bezug auf die der Kommission übertragenen DurchführungsbefugnisseKOM(2007) 509 endg. — 2007/0184 (COD)

52

2008/C 044/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/70/EG im Hinblick auf die Spezifikationen für Otto-, Diesel- und Gasölkraftstoffe und die Einführung eines Systems zur Überwachung und Verringerung der Treibhausgasemissionen bei der Verwendung von für den Straßenverkehr bestimmten Kraftstoffen, zur Änderung der Richtlinie 1999/32/EG des Rates im Hinblick auf die Spezifikationen für von Binnenschiffen gebrauchte Kraftstoffe und zur Aufhebung der Richtlinie 93/12/EWGKOM(2007) 18 endg. — 2007/0019 (COD)

53

2008/C 044/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Weiterentwicklung der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete ab 2010

56

2008/C 044/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema Health Check und Zukunft der GAP nach 2013

60

2008/C 044/18

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Klimawandel und Lissabon-Strategie

69

2008/C 044/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Verschuldung und soziale Ausgrenzung in der Überflussgesellschaft

74

2008/C 044/20

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Unternehmergeist und Lissabon-Agenda

84

2008/C 044/21

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema EU-Einwanderungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern

91

2008/C 044/22

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und über Gesundheitsschutz und Sicherheit am ArbeitsplatzKOM(2007) 46 endg. — 2007/0020 (COD)

103

2008/C 044/23

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandernKOM(2007) 159 endg. — 2007/0054 (COD)

106

2008/C 044/24

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Misshandlung alter Menschen

109

2008/C 044/25

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/96/EG hinsichtlich der Anpassung der Sonderregelungen für die Besteuerung gewerblich genutzten Gasöls und der Koordinierung der Besteuerung von unverbleitem Benzin und GasölKOM(2007) 52 endg. — 2007/0023 (CNS)

115

2008/C 044/26

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf bestimmte befristete Bestimmungen über die MehrwertsteuersätzeKOM(2007) 381 endg. — SEK(2007) 910

120

2008/C 044/27

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Kroatien auf dem Weg zum Beitritt

121

DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

439. Plenartagung vom 24./25. Oktober 2007

16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch — Der Europäische Forschungsraum: Neue Perspektiven“

KOM(2007) 161 endg.

(2008/C 44/01)

Die Europäische Kommission beschloss am 4. April 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: „Grünbuch — Der Europäische Forschungsraum: Neue Perspektiven“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 4. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr WOLF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 107 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss hält es für dringend erforderlich, die bisherigen Maßnahmen für Forschung und Entwicklung (FuE) in Europa deutlich zu verstärken, die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu verbessern und die finanziellen Voraussetzungen zu schaffen.

Neben schlagkräftigen gemeinschaftlichen, nationalen und industriellen Forschungs- und Entwicklungsprogrammen benötigen wir einen Europäischen Binnenmarkt für Forschung und Entwicklung, um das in der Europäischen Gemeinschaft vorhandene und aufzubauende Potenzial besser nutzen und freisetzen zu können — dies ist der Europäische Forschungsraum.

1.2

Der Ausschuss begrüßt daher die Absicht der Kommission, den Europäischen Forschungsraum zu stärken und auszubauen. Die genannten Ziele und Vorschläge sind weitgehend richtig und unterstützenswert. Sie bedürfen jedoch der Ergänzung und in Einzelfällen auch der Klarstellung oder Korrektur.

1.3

Der Ausschuss unterstützt das Ziel, einen attraktiven europäischen Arbeitsmarkt für Forscher zu schaffen, der zudem Mobilität ermöglicht und belohnt. Im Vordergrund stehen Fragen der Vertragsgestaltung, eines attraktiven Gehaltsniveaus, europaweit übertragbarer sozialer Sicherheit/Leistungen und des Familienzusammenhalts. Hier bestehen vor allem in den Mitgliedstaaten sehr große Mängel! Darum appelliert der Ausschuss besonders an die Mitgliedstaaten und an die jeweiligen Sozialpartner, diese Mängel zu beheben und vor allem auch jungen Forschern attraktive Berufschancen zu bieten, die mit alternativen Berufschancen für hochbegabte Akademiker konkurrieren können. Dann werden wieder mehr junge Menschen bereit sein, ihre Energie und Zeit in ein entsprechendes sehr anspruchsvolles und selektives Studium zu investieren und so dazu beitragen, den bedrohlichen Mangel an qualifizierten wissenschaftlich-technischen Fachkräften und Hochschulabsolventen in Europa zu beheben.

1.4

Der Ausschuss unterstützt das vom Europäischen Rat formulierte Barcelona-Ziel. Nach derzeitiger Beschlusslage wird sich die Gemeinschaft allerdings nur mit einem Anteil von rund 2 % (also mit nur einem Fünfzigstel!) an den im Zielwert von Barcelona insgesamt angestrebten Investitionen in Forschung und Entwicklung beteiligen. Damit liegt die weitaus größte politische Verpflichtung zum Erreichen des Barcelona-Ziels bei den Mitgliedstaaten, die wirtschaftliche Verpflichtung bei der Industrie. Die Empfehlungen des Ausschusses richten sich daher insbesondere an den Rat, das Parlament und die Mitgliedstaaten, ihrerseits alle Schritte zu unternehmen, um Forschung und Entwicklung in Europa wieder an die Weltspitze zu bringen, und die dafür erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

1.5

Der Ausschuss wiederholt seine Empfehlung, den Beitrag der Europäischen Gemeinschaft zu den insgesamt angestrebten FuE-Aufwendungen auf mindestens 3 % zu erhöhen, um dadurch die Kraft der Hebelwirkung gemeinschaftlicher Forschungsförderung auf die erforderlichen Forschungsinvestitionen der Mitgliedstaaten und der Industrie zu verstärken. Zusätzlich soll ein Teil der Mittel des Strukturfonds für Infrastrukturmaßnahmen im FuE-Bereich eingesetzt sowie die Förderungsmöglichkeiten durch die EIB verstärkt werden. Diese Empfehlung hat durch das lange unterschätzte, gravierende Energie- und Klimaproblem noch an Dringlichkeit gewonnen.

1.6

Der Ausschuss unterstützt das Ziel, wissenschaftlich-technische Forschungsinfrastrukturen von Weltniveau zu schaffen, die dann aber auch dauerhaft und verlässlich gefördert werden müssen. Grundvoraussetzung für deren Erfolg und Sinn ist die Beteiligung der in den Mitgliedstaaten ansässigen einschlägigen Institute und Universitätsgruppen sowie bei technischen Projekten eine engagierte Einbindung der Industrie. Erst diese Vernetzung formt das Ganze und führt zum europäischen Mehrwert.

1.7

Der Ausschuss unterstützt das Ziel, die Forschungseinrichtungen — aber auch deren übergeordnete Dachorganisationen — als die wesentlichen Initiatoren und Träger von Forschung und Entwicklung zu stärken. Diese benötigen verlässliche längerfristige Planbarkeit, entsprechende Ausstattung und genügend Entscheidungsfreiheit. Voraussetzungen sind eine höhere Eigenverantwortlichkeit in der Nutzung von finanziellen Ressourcen, ein ausreichend hoher Anteil an Grundfinanzierung, Gesamtfinanzierung von Projekten, die Übertragbarkeit von Jahresbudgets, den Abbau der fortschrittslähmenden administrativen Überbelastung von Leistungsträgern in Forschung und Lehre, Anreiz und Spitzenförderung durch zusätzliche Forschungsmittelvergabe im Wettbewerb.

1.8

Der Ausschuss sieht in den Gemeinsamen Technologieinitiativen und in Technologieplattformen wichtige Instrumente, um technische Innovationen in strategischen wichtigen Forschungsbereichen zu schaffen. Bei den dazu notwendigen Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor und den gemeinsamen Forschungsprogrammen gilt es, auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) angemessen zu beteiligen. Die noch zu schaffenden Wissens- und Innovationsgemeinschaften KICs des Europäischen Technologie Instituts ETI sollen auf die dabei gewonnenen Erfahrungen zurückgreifen. Die Erfahrungen mit den ERA-Net- und CORNET-Projekten sowie mit den EUREKA-Clustern können hierfür ebenfalls wertvolle Beiträge erbringen.

1.9

Der Ausschuss unterstützt das Ziel, den Europäischen Forschungsraum für die Welt zu öffnen. Dafür allerdings ist seine Attraktivität das entscheidende Kriterium: Erst wenn der heute zu beklagende brain-drain nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ bezüglich der weltweit leistungsfähigsten und erfolgreichsten Forscher überwunden sein wird, kann diese Aufgabe als gelöst gelten. Um dies zu erreichen, müssen jedoch alle wesentlichen Faktoren stimmen: Niveau, Ausstattung, Arbeitsbedingungen, politische Rahmenbedingungen, Entfaltungsmöglichkeiten und Freiraum, persönliches Einkommen und gesellschaftliche Anerkennung.

1.10

Der Ausschuss unterstützt die Methode der Offenen Koordinierung, mittels welcher die strategischen Ziele und Politiken der Mitgliedstaaten bewertet und deren Erfahrungen ausgetauscht werden, um zu Kohärenz und einer optimierten europäischen Forschungspolitik zu gelangen. Abzulehnen ist demgegenüber eine unter dem Ziel einer generellen Vereinheitlichung von oben kommenden (top-down) Koordinierung europäischer Forschung bis ins Detail und in die Forschungsorganisationen oder Firmen hinein. Darum muss der Eindruck vermieden werden, die Kommission strebe eine zentrale Lenkung der europäischen Forschung an. Es geht um eine ausgewogene Balance zwischen gemeinschaftlichem Rahmen, mitgliedstaatlicher Eigenständigkeit sowie institutioneller und individueller Initiative und Gestaltungsfähigkeit. Nur aus einem Pluralismus von Methoden, Ansätzen und Themenwahl können die jeweils besten Ergebnisse, Verfahren und Innovationen entstehen.

1.11

Der Ausschuss wiederholt seine Mahnungen zum Abbau von Bürokratie. Darum empfiehlt der Ausschuss, den Abbau von Bürokratie als weiteres wichtiges politisches Ziel in die zukünftige Agenda des Europäischen Forschungsraums aufzunehmen. Das bedeutet, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und den Forschungsorganisationen Konzepte zu entwickeln, um die überbordende Überregulierung und Vielfalt europäischer, nationaler, regionaler und institutioneller Berichtspflichten, Antragsverfahren, Begutachtungs-, Evaluierungs- und Genehmigungsprozeduren etc. zu vereinfachen und auf das unbedingt Notwendige zu reduzieren. Selbst der Wettbewerb um Excellenzförderung erhöht zunächst den seitens der Forscher zu investierenden Aufwand in bürokratische Prozeduren. Umso wichtiger ist es, durch Abbau und Vereinfachung insgesamt zu einer vertretbaren Lösung zu kommen. Die Furcht vor Fehlverhalten Einzelner darf nicht zur Überregulierung und Lähmung Aller führen.

1.12

Der Ausschuss hält es für notwendig, dass in den Förderorganisationen, insbesondere auch in der Kommission, wissenschaftlich hervorragend ausgewiesene sachkundige Beamte mitwirken, die mit dem jeweils betreffenden Fachgebiet, dessen Besonderheiten und seiner speziellen „Community“ bestens und längerfristig vertraut sind und bleiben (regelmäßige Job-Rotation ist dazu kontraproduktiv!).

1.13

Der Ausschuss empfiehlt, den Europäischen Forschungsraum durch einen Europäischen Wissensraum zu ergänzen mit dem Ziel, eine Europäische Wissensgesellschaft zu schaffen. Dies erfordert eine fundierte, breite Bildung aller Bürger sowie die für Wissenschaftler und Ingenieure zusätzlich benötigte hochwertige Spezialausbildung. Daraus folgt auch der Bezug zu einem angemessenen „Wissensmanagement“. Forschung und Entwicklung bauen auf bestehendem Wissen auf, um neues Wissen zu schaffen.

1.14

Der Ausschuss empfiehlt, klare und verständliche Regelungen für die vielfältigen Instrumente gemeinschaftlicher FuE-Förderung und -Koordinierung zu entwickeln, einschließlich einer zusammenfassenden Aufstellung (und Gebrauchsanweisung) aller der Kommission für FuE-Ziele zur Verfügung stehenden Förder- und Koordinierungsinstrumente und -formen. Dies soll auch zeigen, ob deren wachsende Vielzahl noch genügend Aufgabenklarheit und Trennschärfe aufweist, und ob sie sowohl für potenzielle Nutzer als auch für die Beamten der Kommission überschaubar und handhabbar bleiben oder vielmehr der Neuordnung bedürfen.

1.15

Viele der im Grünbuch angesprochenen Themen erfordern eine differenzierte Betrachtung. Dazu und für weitere Aspekte verweist der Ausschuss auf den vollen Text seiner Stellungnahme.

2.   Mitteilung der Kommission

2.1

Die Mitteilung der Kommission steht vor dem Hintergrund der bereits erfolgten Diskussion und Verabschiedung des jetzt gültigen 7. Rahmenprogramms für Forschung und Entwicklung (FuE), der dazu ausgewählten Forschungsthemen (sog. Spezifische Programme), der dafür verfügbaren Instrumente sowie der Beteiligungsregeln. In der jetzigen Mitteilung der Kommission geht es daher nicht mehr um Forschungsinhalte, sondern ausschließlich um die strategischen Ziele des Europäischen Forschungsraums.

2.2

Dazu werden nach einem kurzen historischen Überblick die Aufgaben und Ziele des Europäischen Forschungsraums zusammengefasst und vor dem Hintergrund des festgestellten Ist-Zustands diskutiert, überprüft und der neuen Entwicklung angepasst. Ausgangspunkt der Mitteilung ist die Bedeutung der europäischen Forschung und Entwicklung für die Lissabon-Strategie sowie die Frage ihrer Konkurrenzfähigkeit im globalen Umfeld.

2.3

Dabei werden als besondere Aufgaben und Ziele folgende Punkte hervorgehoben:

ein angemessener Austausch kompetenter Forscher mit einem hohen Grad an Mobilität zwischen Einrichtungen, Fachrichtungen, Sektoren und Ländern;

Forschungsinfrastrukturen von Weltniveau, die miteinander verknüpft und vernetzt sind und die für Forschungsteams aus ganz Europa und der ganzen Welt zugänglich sind, insbesondere dank neuer Generationen von elektronischen Kommunikationsinfrastrukturen;

Spitzenforschungseinrichtungen, die sich an effektiven öffentlich-privaten Kooperationen und Partnerschaften beteiligen und die das Kernstück von „Forschungs- und Innovationsclustern“ einschließlich „virtueller Forschungsgemeinschaften“ bilden, die überwiegend auf disziplinenübergreifende Gebiete spezialisiert sind und eine kritische Masse personeller und finanzieller Ressourcen auftun;

effektiver Wissensaustausch insbesondere zwischen der öffentlichen Forschung und der Industrie wie auch mit der breiten Öffentlichkeit;

gut koordinierte Forschungsprogramme und -schwerpunkte: national, regional und europäisch;

eine breite Öffnung des Europäischen Forschungsraums für die Welt.

2.4

Das bisher Erreichte wird zusammengefasst und davon ausgehend werden die zukunftsweisenden Maßnahmen für die Konsolidierung und den weiteren Ausbau des EFR begründet. Das derzeitige EU-Forschungsrahmenprogramm wurde aus Sicht der Kommission ausdrücklich konzipiert, um diese Maßnahmen zu unterstützen; seine Fördermittel wurden erheblich aufgestockt, wenn auch in geringerem Maße als ursprünglich von der Europäischen Kommission (und vom Ausschuss empfohlen!) vorgeschlagen. Neue Initiativen, die in Verbindung mit dem 7. Rahmenprogramm (2007-2013) ins Leben gerufen wurden, wie der Europäische Forschungsrat, werden sich auf die europäische Forschungslandschaft auswirken. Auch das künftige Europäische Technologieinstitut könnte dazu beitragen, Wissens- und Innovationsgemeinschaften von Weltniveau zu schaffen.

2.5

Gleichzeitig wird — aus Sicht der Kommission — auf Schwachpunkte hingewiesen, welche beseitigt werden sollten, wie z.B. (verkürzt):

Die Möglichkeiten der Laufbahnentwicklung von Forschern sind noch immer eingeschränkt.

Unternehmen finden es oft schwierig, mit Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten.

Die nationale und regionale Forschungsfinanzierung sind nach wie vor weitgehend unkoordiniert.

Einzelstaatlichen Reformen mangelt es häufig an einer europaweiten Perspektive und Kohärenz.

2.6

Weitere Elemente des Grünbuchs werden in den folgenden Bemerkungen des Ausschusses angesprochen.

2.7

Um auf der Grundlage des Grünbuchs eine breite Diskussion anzuregen, hat die Kommission darin 35 konkrete Fragen formuliert. Die dazu von Parlament, Rat, EWSA, Ausschuss der Regionen, den Mitgliedstaaten sowie den Forschern und Forschungseinrichtungen erwarteten Antworten sollen im Jahre 2008 in Vorschläge für Maßnahmen einfließen. Viele dieser Fragen werden implizit bereits in Kapitel 3 beantwortet. Zu einigen speziellen Fragen wird in Kapitel 4 Stellung bezogen.

3.   Allgemeine Bemerkungen des Ausschusses

3.1

Bedeutung wissenschaftlicher Excellenz. Der Ausschuss hat mehrfach (1) darauf hingewiesen, dass wissenschaftliche und technische Höchstleistungen sowie deren Umsetzung in wettbewerbsfähige Wirtschaftskraft die entscheidenden Voraussetzungen sind, um unsere Zukunft im globalen Umfeld und das europäische Sozialmodell nicht zu gefährden.

Darum ist es dringend erforderlich, die bisherigen Maßnahmen für Forschung und Entwicklung in Europa deutlich zu verstärken, die dazu erforderlichen politischen Prioritäten zu setzen sowie die nötigen Rahmenbedingungen zu verbessern und die finanziellen Voraussetzungen zu schaffen. Wichtig ist die Anwendung des Wettbewerbsprinzips nach Excellenzkriterien. Zu den Regeln für die erforderlichen staatlichen Beihilfen (TRANS: state aid) hatte sich der Ausschuss bereits mehrfach geäußert (2).

3.2

Europäischer Binnenmarkt für Forschung und Entwicklung. Neben schlagkräftigen gemeinschaftlichen, nationalen und industriellen Forschungs- und Entwicklungsprogrammen benötigen wir einen Europäischen Binnenmarkt für Forschung und Entwicklung, um das in der Europäischen Gemeinschaft vorhandene und aufzubauende Potenzial besser zu nutzen und freizusetzen — dies ist der Europäische Forschungsraum.

3.3

Grundsätzliche Zustimmung. Der Ausschuss begrüßt daher die im Grünbuch der Kommission erklärte Absicht, den Europäischen Forschungsraum — in Fortsetzung einer insgesamt positiven Entwicklung — zu konsolidieren, zu stärken und weiter auszubauen. Er sieht darin auch wichtige Elemente seiner früheren Empfehlungen widergespiegelt (3). Die von der Kommission dazu genannten Ziele sind richtig, und die dafür dargelegten Vorschläge werden weitgehend als geeignet und unterstützenswert angesehen; sie bedürfen jedoch der Ergänzung und in Einzelfällen auch der Klarstellung oder Korrektur.

3.4   Ausgangslage

3.4.1

Die „Scientific Community“. Bereits vor über 50 Jahren wurde die Europäische Organisation für Kernforschung (4) CERN gegründet. Hierfür hatte das eigenständige Engagement der internationalen „Scientific Community“, d.h. der Selbstorganisation international führender Wissenschaftler (5), die notwendige Unterstützung maßgeblicher Politiker in Europa gefunden. Damit wurde eine europäische Versuchsanlage der Spitzenklasse geschaffen, welche die Möglichkeiten bzw. die Bereitschaft einzelner Länder zur alleinigen Finanzierung und Nutzung überfordert hätte. Aus ähnlichen Gründen folgten später die Gründungen weiterer länderübergreifender Europäischer Organisationen (6) wie ECMWF, EMBO ESRF, ESO, ESA und ILL.

3.4.2

Die Europäische Gemeinschaft. Der am 25. März 1957 in Rom unterzeichnete Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG bzw. EURATOM-Vertrag) ist einer der drei Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften; damit begann auch das Engagement der Gemeinschaft auf dem Gebiet Forschung und Entwicklung  (7). 1986 wurde mit Inkrafttreten des 1. FuE-Rahmenprogramms der Grundstein für eine generelle, über die Zielsetzungen von EURATOM hinausgehende Forschungspolitik der Gemeinschaft gelegt. Mit dem — in Zusammenhang mit der Formulierung der Lissabon-Strategie — im Jahre 2000 erfolgten Beschluss hin zum Europäischen Forschungsraum bekräftigte die europäische Politik ihren Willen, einen formalen Rahmen für europäische Forschung zu schaffen. Der Europäische Forschungsraum sollte gleichzeitig zu einem symbolträchtigen Markenzeichen mit einer auf die Lissabon-Strategie ausgerichteten Begründung und Zielvorgabe werden.

3.4.3

Das Barcelona-Ziel. Wie mehrfach betont, unterstützt der Ausschuss das vor fünf Jahren in Konsequenz der Lissabon-Strategie vom Europäischen Rat formulierte Barcelona-Ziel. Es besagt, dass die Gesamtausgaben für FuE in der Union erhöht werden sollen, so dass sie 2010 ein Niveau von nahezu 3 % des BIP erreichen. Die dazu benötigten Investitionen sollten zu zwei Dritteln von der Privatwirtschaft finanziert werden. Nach derzeitiger Beschusslage wird sich die Gemeinschaft allerdings nur mit einem Anteil von rund 2 % (also mit nur einem Fünfzigstel!) an den im Zielwert von Barcelona insgesamt angestrebten Investitionen in Forschung und Entwicklung beteiligen.

3.5

Politische Verpflichtung der Mitgliedstaaten. Damit liegt die weitaus größte politische Verpflichtung zum Erreichen des Barcelona-Ziels bei den Mitgliedstaaten, die wirtschaftliche Verpflichtung bei der Industrie und der Privatwirtschaft. Die folgenden Empfehlungen und Appelle des Ausschusses richten sich daher insbesondere auch an den Rat, das Parlament und die Mitgliedstaaten, ihrerseits alle dringend erforderlichen Schritte zu unternehmen und die im Grünbuch formulierten Ziele zu unterstützen, um Forschung und Entwicklung in Europa wieder an die Weltspitze zu bringen, als ersten Schritt dazu das Barcelona-Ziel zu erreichen, und alle sonstigen dafür erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

3.6

Hebelwirkung der gemeinschaftlichen Forschungsförderung besser nutzen. Aber auch die gemeinschaftliche Forschungsförderung ist von sehr großer Bedeutung. Sie übt nicht nur eine integrierende und koordinierende Kraft, sondern vor allem eine Hebelwirkung auf die Forschungsinvestitionen der Mitgliedstaaten und der Industrie aus. Darum soll die Kraft dieser Hebelwirkung deutlich verstärkt werden, damit der seitens der Mitgliedstaaten und der Industrie benötigte volle Beitrag zum bisher verfehlten Barcelona-Ziel endlich zu Stande kommt. Europa muss sich seiner Tradition als vordem führender Forschungs- und Innovationsraum bewusst werden und diese wieder beleben.

3.6.1

Gemeinschaftlichen Beitrag anheben. Hierzu hatte der Ausschuss festgestellt (8), dass das derzeit beschlossene gemeinschaftliche FuE-Budget nicht ausreicht, diese Hebelwirkung zu nutzen. Er wiederholt daher erneut die dringende Empfehlung, den gemeinschaftlichen Beitrag zu den insgesamt angestrebten FuE-Aufwendungen im Europäischen Forschungsraum von derzeit deutlich unter 2 % bei der bevorstehenden Haushaltsrevision im Jahr 2008 auf mindestens 3 % zu erhöhen, zusätzlich einen wesentlichen Teil der Mittel des Strukturfonds für Infrastrukturmaßnahmen im FuE-Bereich (9) einzusetzen (10) sowie die Förderungsmöglichkeiten durch die EIB massiv zu verstärken.

3.6.2

Dringlichkeit einer politischen Entscheidung. Ein gerade von der Kommission veröffentlichtes Zahlenwerk (11) über den derzeitigen Ist-Zustand europäischer Forschung und ihrer Finanzierung im Vergleich mit den internationalen Wettbewerbern bestätigt die außerordentliche Dringlichkeit, mit welcher die obige Empfehlung des Ausschusses in eine politische Entscheidung umgesetzt werden sollte. Das sehr ernste und lange unterschätzte Energie- und Klimaproblem kommt hier noch erschwerend hinzu!

3.7

Kritische Masse, Bündelung von Ressourcen und Expertise, europäischer Mehrwert. Von gemeinschaftlicher Seite sollen vorrangig jene Forschungsaufgaben und Projekte von großer Bedeutung für den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt in Angriff genommen und gefördert werden, die über die Bereitschaft oder Möglichkeiten einzelner Mitgliedstaaten und ihrer Wirtschaftskraft hinausgehen, oder die durch gemeinschaftliches Vorgehen und europaweite Vernetzung erheblich größere Wirkung erlangen. Dadurch führen sie zu einem bedeutenden Mehrwert gegenüber einzelstaatlichen Anstrengungen.

3.8

Infrastrukturen und Spitzenforschungseinrichtungen. Auf vielen besonders relevanten Forschungsgebieten sind aufwendige Infrastrukturmaßnahmen und Großgeräte die apparative Voraussetzung für grundlegend neue Erkenntnisse und technischen Fortschritt, und sie stellen der technischen Entwicklung (im vorwettbewerblichen Stadium) neuartige Möglichkeiten für Verbesserungen und Innovation zur Verfügung. Daher misst der Ausschuss dem im Grünbuch genannten Ziel Schaffung von Forschungsinfrastrukturen von Weltniveau herausragende Bedeutung zu. Sie sind Basis und Kondensationskeime für Spitzenforschung. Sie üben eine große Anziehungskraft auf die weltweit besten Wissenschaftler und Ingenieure aus, und sie dienen damit in hervorragender Weise auch dem unterstützenswerten weiteren wichtigen Ziel, nämlich Spitzenforschungseinrichtungen zu schaffen, die dem Markenzeichen Europäische Forschung und Europäischer Forschungsraum Ansehen verleihen.

3.8.1

ESFRI  (12) -Liste. Der Ausschuss begrüßt demgemäß die mit Beteiligung der Mitgliedstaaten und der Kommission erstellte und vom Rat (13) gewürdigte und unterstützte ESFRI-Liste. Er weist zugleich darauf hin, dass neben dem primären Engagement der Mitgliedstaaten hierfür in Zukunft auch ein verstärktes, verlässliches und dauerhaftes Engagement der Kommission erforderlich sein wird. Denn hier wird der politische Wille zu herausragenden wissenschaftlich-technischen Pionierleistungen besonders deutlich. Dementsprechend unterstützt der Ausschuss nachdrücklich eine konsequente Weiterverfolgung der „road-map“ sowie eine maßgebliche finanzielle Beteiligung der Gemeinschaft bei Bau und beim langfristigen Betrieb dieser Anlagen. Er betont die Bedeutung adäquater Vertragsgestaltungen, um diese Anlagen für Partner oder Nutzer aus dem gesamten Europäischen Forschungsraum zu öffnen und attraktiv zu machen, und er unterstützt zudem die Bemühungen um außereuropäische Partnerschaften oder Beteiligungen (14).

3.8.2

Stetigkeit der Förderung. Gerade bei den wegen ihres großen Investitionsaufwands langfristig angelegten Projekten ist es besonders wichtig, dass deren Förderung bis zum Erreichen der Ziele von verlässlicher Stetigkeit ist und bleibt, solange sie das Kriterium wissenschaftlicher Excellenz erfüllen. Starke Schwankungen, Unsicherheiten oder gar Unterbrechungen der Finanzierung führen gerade auf diesem Gebiet nicht nur zur Verschwendung aufwendiger Investitionen und wissenschaftlich-technischer Entwicklungsarbeit, sondern zerstören aufgebaute Vernetzungen, internationale Zusammenarbeit und das Vertrauen in zukünftige Zusagen; sie beschädigen damit auch den europäischen Arbeitsmarkt für Wissenschaftler und Ingenieure.

3.8.3

Einbindung von Universitäten und Instituten. Grundvoraussetzung für den Erfolg dieser beachtlichen Investitionen in Infrastrukturprojekte, und notwendige Basiserweiterung von Spitzenforschung, ist die verantwortliche Beteiligung der in den Mitgliedstaaten ansässigen einschlägigen Universitätsgruppen, Institute und Forschungsorganisationen an der Entwicklung und Nutzung der entsprechenden Versuchsanlagen: erst diese Vernetzung formt das Ganze und führt zum europäischen Mehrwert. Daher ist es ebenfalls erforderlich, diese Vernetzung angemessen zu fördern und die Programmelemente Zusammenarbeit und Ideen entsprechend auszustatten. Dazu müssen insbesondere auch genügend Mittel für Reisen und Aufenthalte am Standort sowie für Kommunikationssysteme und Hilfsgeräte zur Verfügung stehen. Der Ausschuss weist zudem auch an dieser Stelle auf die große Bedeutung der Mobilitätsförderung hin.

3.8.4

Ungehinderte Mobilität. Der Ausschuss unterstützt das Ziel, innerhalb des Europäischen Forschungsraums ungehinderte Mobilität zwischen Mitgliedsländern, zwischen Organisationen sowie zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor zu gewährleisten. Mobilität dient nicht nur der beruflichen Entfaltung, dem Wissensaustausch und der fachlichen Erfahrung, sondern sie erweitert generell den Horizont, stärkt die Urteilskraft und fördert die kulturelle Verständigung. Darum müssen alle jene Hindernisse und Fehlmaßnahmen überwunden bzw. beseitigt werden, die einer ungehinderten Mobilität noch entgegenstehen. Zu diesen gehören neben zwischenstaatlichen Hindernissen, unzureichender Anerkennung/Übertragbarkeit erworbener sozialer Leistungsansprüche z.B. auch steuerrechtliche Benachteiligungen/Belastungen von Familienumzügen mit Wohnungs- oder Immobilienwechsel.

3.8.5

Lage in den neuen Mitgliedstaaten. Allerdings ist darauf zu achten dass, und sind Anreize zu entwickeln damit die wünschenswerte innereuropäische Mobilität bei Forschern aus den neuen Mitgliedstaaten nicht zu einem langfristigen innereuropäischen „brain-drain“ führt. Der Ausschuss hatte schon in einer früheren Stellungnahme darauf hingewiesen, dass dem Aufbau attraktiver Forschungseinrichtungen in den neuen Mitgliedstaaten auch aus diesem Grund besondere Bedeutung zukommt.

3.9

Wertschätzung des Europäischen Forschungsraums. Bei erfolgreicher und effizienter internationaler Zusammenarbeit, insbesondere an großen europäischen Gemeinschaftsprojekten, erwächst bei den beteiligten Akteuren ein Gefühl der Gemeinsamkeit, das der Wertschätzung des Europäischen Forschungsraums und der Symbolik Europas zu Gute kommt.

3.10

Selbstorganisation und Fachkonferenzen. Das Beispiel CERN, aber z.B. auch die Entwicklung der europäischen Fusionsforschungsanlagen zeigen den Willen und die Fähigkeit der „Scientific Community“, aus eigener Initiative internationale Kooperationspartner zu suchen und zu finden, sowie Regierungen von Drittstaaten für eine internationale Finanzierung zu gewinnen. Notwendige Voraussetzung dafür ist, auch Mittel für die Durchführung besonders relevanter wissenschaftlich-technischer Fachkonferenzen in Europa bereitzustellen sowie für die Teilnahme insbesondere jüngerer europäischer Wissenschaftler auch an internationalen Konferenzen.

3.10.1

Wissenschaftlich-Technische GesellschaftenOrganisationen der Zivilgesellschaft. Fachkonferenzen bilden das wesentliche Forum für Ergebnisverbreitung und -bewertung, Wissens- und Gedankenaustausch, Anbahnung von Kooperationen und Entwicklung neuer oder verbesserter Konzepte. Derartige Konferenzen werden üblicherweise von den jeweiligen wissenschaftlich-technischen Fachgesellschaften (15) als typischen Organisationen der Zivilgesellschaft veranstaltet. Darum empfiehlt der Ausschuss, deren Leistungen stärker zur Kenntnis zu nehmen und anzuerkennen sowie deren Aktivitäten für Wissensverbreitung, Ergebnisbewertung und Forschungskoordinierung stärker zu nutzen und zu fördern.

3.11

Rahmenprogramme. Nach Meinung des Ausschusses sind das gemeinschaftliche FuE-Rahmenprogramm mit dem Rahmenprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft die wesentlichen Instrumente der Gemeinschaft zur Verwirklichung des Europäischen Forschungsraums.

Die Programmelemente Infrastrukturen und Ideen ergänzend, gehen wichtige Anreize zur koordinierten Kooperation (siehe Ziffer 3.13) insbesondere von den Programmelementen Zusammenarbeit und Menschen und den damit verbundenen Fördermaßnahmen aus. Darum liegt in deren sachgerechter Durchführung ein wesentliches Element länderübergreifender, synergieschaffender Identitätsbildung für die Europäische Forschung und den Europäischen Forschungsraum.

3.11.1

Grundlagenforschung und Anwendung. Hervorzuheben ist die explizite Einbeziehung von Grundlagenforschung und die Anerkennung ihrer entscheidenden Bedeutung für Fortschritt und Innovation. Daraus folgt auch die notwendige Ausgewogenheit zwischen der beabsichtigten Förderung von Grundlagenforschung einerseits und von angewandter sowie produkt- und prozessorientierter Forschung andererseits. Wie mehrfach betont (16), bestehen zwischen diesen Feldern keine scharfen Trennlinien, sondern vielfache Wechselwirkungen; sie bedingen einander.

3.11.2

Gemeinsame Technologieinitiativen, Technologieplattformen und ETI. Der Ausschuss betont die besondere Rolle von Gemeinsamen Technologieinitiativen und Technologieplattformen. Diese dienen dem Ziel, in strategischen Forschungsbereichen Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor zu schaffen und gemeinsame Forschungsprogramme durchzuführen. Der Ausschuss empfiehlt, bei den noch zu schaffenden Wissens- und Innovationsgemeinschaften (Knowledge and Innovation Communities, KICs) des Europäischen Technologie-Instituts ETI auf die dabei entstehenden Erfahrungen zurückzugreifen. Auch die Erfahrungen mit den ERA-NET Projekten sowie mit den EUREKA-Clustern können wertvolle Beiträge liefern.

3.11.3

KMU. Eine besonders wichtige Rolle bei den Partnerschaften zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor, aber auch bei den industriellen Partnerschaften spielt die ausreichende Einbindung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Der Ausschuss begrüßt, dass die Kommission hierzu besondere Anstrengungen unternimmt und weiter unternehmen will. Hierzu kann außerdem das im Rahmen von ERA-NET gestartete CORNET Projekt (17) (Collective Research Networking) beitragen.

3.11.4

Geheimhaltung von Information. Die freie Weitergabe von Information über neue Erkenntnisse war und ist einer der Erfolgsfaktoren der modernen Wissenschaft (siehe auch Ziffer 4.4.2 Open Access). Ihre problematische Einschränkung betrifft neben Aspekten des geistigen Eigentums insbesondere die Frage, ab welchem Entwicklungsstand einer neuartigen/innovativen Technologie Fragen der Geheimhaltung — wegen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs (18) — den erforderlichen Wissensaustausch und die weitere Zusammenarbeit mit und zwischen industriellen Partnern behindern. Der Ausschuss empfiehlt, diese wichtige Frage vertieft zu untersuchen, denn von ihr hängt der Erfolg von Zusammenarbeiten insbesondere zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor ab.

3.12

Stärken der Forschungseinrichtungen. Der Ausschuss unterstützt das besonders wichtige Ziel, die Forschungseinrichtungen — aber auch deren übergeordnete Dachorganisationen — als die Initiatoren und Träger von Forschung und Entwicklung zu stärken. Dort wird koordiniert, geplant und geforscht, und das sich dort entwickelnde Arbeitsklima, der sich dort entwickelnde Freiraum und Forschungsstil bestimmen Ruf und Erfolg der jeweiligen Forschungsorganisation und Forschungseinrichtung. Darum benötigen diese Forschungsorganisationen und Forschungseinrichtungen längerfristige, verlässliche Planbarkeit, ausreichende Ausstattung und angemessene Entscheidungsfreiheit. Voraussetzung sind also eine höhere Eigenverantwortlichkeit in der Nutzung der finanziellen Ressourcen, ein verlässlicher, ausreichend hoher (typisch mindestens 75 % bis 80 %) Anteil an institutioneller Grundfinanzierung, Gesamtfinanzierung von Projekten, die Übertragbarkeit von Jahresbudgets, den Abbau administrativer Überbelastung von Leistungsträgern, Anreiz und Spitzenförderung durch ausreichend langfristig orientierte zusätzliche Mittel im Wettbewerb und nach Maßgabe ihres Erfolgs.

3.13

Offene Koordinierung. Wesentliche Impulse zur wechselseitigen Offenen Koordinierung und Bewertung der Forschungspolitiken und strategischen Ziele der Mitgliedstaaten gehen von den auf europäischer Ebene stattfindenden bewährten Beschlussprozessen zu den forschungspolitischen Initiativen der Kommission aus sowie von deren vorbereitenden Beratungsschritten. Der Ausschuss hält auch darüber hinausgehende Abstimmungs- und Koordinierungsmaßnahmen mit und zwischen den Mitgliedstaaten und den Regionen zu spezifischen Schwerpunktsetzungen oder Infrastrukturprojekten für wichtig und sinnvoll, um zu mehr Kohärenz und zu einer optimierten europäischen Forschungspolitik zu gelangen. Darum ist Koordinierung auch sinnvoll bei der Gründung Europäischer zwischenstaatlicher Forschungsorganisationen für Großprojekte und Infrastruktur-Einrichtungen (siehe Ziffer 3.8) Koordinierung seitens der Kommission geht zudem von den Fördermaßnahmen des 7. Rahmenprogramms aus (siehe Ziffer 3.11).

3.14

Kein Übermaß an Koordinierung. Abzulehnen ist demgegenüber allerdings die mögliche Absicht einer als Selbstzweck, oder unter dem Ziel einer generellen Vereinheitlichung, von oben kommender (top-down) Koordinierung europäischer Forschung bis ins Detail und in die Forschungsorganisationen oder Firmen hinein. Diese würde — z.B. unter der erklärten Absicht, Doppelforschung (19) und Fragmentierung zu vermeiden — die notwendige Pluralität der Forschungsansätze und Methoden (siehe insbesondere auch Ziffer 4.7.1) einschränken und zu einer ablehnenden Haltung der Forscher, der Institutionen und der beteiligten Industrie führen.

Auf jeden Fall sollte der Eindruck vermieden werden, die Kommission strebe eine zentrale Lenkung der europäischen Forschung an; ansonsten wäre dies ein weiterer Beitrag für die ohnedies bestehende Besorgnis der Bürger (20) in den Mitgliedstaaten vor zu viel Zentralisierung in Brüssel. Vielmehr geht es um eine ausgewogene Balance zwischen gemeinschaftlichem Rahmen, mitgliedstaatlicher Eigenständigkeit und Entscheidungsfähigkeit sowie institutioneller und individueller Initiative und Gestaltungsfähigkeit.

3.14.1

Pluralismus von Methoden, Ansätzen und Themenwahl. Nur aus einem Pluralismus von Methoden, Ansätzen und Themenwahl können die jeweils besten Ergebnisse, Verfahren und Innovationen entstehen. Pluralismus ist keine Verschwendung, sondern notwendiges Mittel zur Optimierung und Evolution bei der Suche nach neuem Wissen und Können. Der Ausschuss empfiehlt, zu dieser wichtigen Abgrenzungsfrage insbesondere die Meinung des Europäischen Forschungsrates einzuholen.

3.15

Weiteres Ziel: Abbau von Bürokratie. Dessen unbeschadet empfiehlt der Ausschuss — in Wiederholung bisheriger Mahnungen —, die Kommission möge den Abbau von Bürokratie als weiteres wichtiges Ziel in die zukünftige politische Agenda des Europäischen Forschungsraums aufnehmen. Gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und den Forschungsorganisationen sind Konzepte zu entwickeln, um die überbordende Überregulierung und Vielfalt europäischer, nationaler, regionaler und institutioneller Berichtspflichten, Antragsverfahren, Begutachtungs- bzw. Evaluations- und Genehmigungsprozeduren etc. zu vereinfachen, ggf. zusammenzufassen und auf das unbedingt Notwendige zu reduzieren. Selbst der vom Ausschuss unterstützte Wettbewerb um Excellenz, Fördermittel etc. erhöht zunächst den seitens der Forscher zu investierenden Aufwand in administrative und gutachterliche Prozeduren. Umso wichtiger ist es, durch Abbau und Vereinfachung aller Prozesse zu einer vertretbaren Lösung zu kommen. Der Ausschuss hat bereits (21) darauf hingewiesen, dass die Furcht vor Fehlern oder Fehlverhalten Einzelner nicht zur Überregulierung und Lähmung aller führen darf. Dies gilt gleichermaßen für die Arbeitsweise von Förderorganisationen und von Forschern.

3.16

Attraktiver Arbeitsmarkt und bessere berufliche Chancen. Der Ausschuss unterstützt das wichtige Ziel, einen attraktiven Arbeitsmarkt für Forscher zu schaffen. Hierfür sind Vertragsgestaltung, Gehaltsniveau, soziale Sicherheiten/Leistungen und Förderung des Familienzusammenhalts so zu gestalten und zu verbessern, dass Forscher sich nicht z.B. durch Unterbezahlung, hinhaltende Vertragsverhandlungen und übermäßige Unsicherheiten der zukünftigen beruflichen Entwicklung in ihrem Idealismus ausgebeutet fühlen und zu dem Schluss kommen, ihre Investition in eine sehr anspruchsvolle und selektive Ausbildung ließe sich in Europa nicht lohnend in eine erfolgreiche berufliche Laufbahn umsetzen.

3.16.1

Mängel in den Mitgliedstaaten. Hier bestehen vor allem in den Mitgliedstaaten sehr große Mängel, und es sind weiterhin Fehlentwicklungen zu beobachten (22)! Darum appelliert der Ausschuss an dieser Stelle ganz besonders an die Mitgliedstaaten und an die jeweiligen Sozialpartner, diese Mängel zu beheben und vor allem auch jungen Wissenschaftlern attraktive, weiterführende Berufschancen zu bieten, die mit alternativen Berufschancen für hochbegabte Akademiker konkurrieren können. Nur dann werden auch wieder mehr dafür begabte junge Menschen bereit sein, ihre Energie und Zeit in ein entsprechendes anspruchsvolles, selektives Studium zu investieren und dazu beizutragen, den bedrohlichen Mangel an wissenschaftlich-technischen Fachkräften — und an entsprechenden Hochschulabsolventen — in Europa zu beheben.

3.16.2

Gender-Equality. Der Ausschuss betont sein Eintreten für Chancengleichheit und Gleichbehandlung der Geschlechter. Wir benötigen die besten Talente beiderlei Geschlechts — was zählt ist Können und Leistung. (Die Begriffe „Wissenschaftler“, „Forscher“ und „Ingenieur“ werden hier für Personen beiderlei Geschlechts verwendet.)

3.16.3

Mobilität zwischen Einrichtungen, Fachrichtungen, Sektoren und Ländern. Ebenso unterstützt der Ausschuss das im Grünbuch formulierte Ziel, die Mobilität zwischen Einrichtungen, Fachrichtungen, Sektoren und Ländern deutlich zu verbessern. Er verweist einerseits auf die oben genannten Empfehlungen dazu, andererseits auf seine frühere Empfehlung zu einem attraktiven Stipendiensystem (Sabbatical) für Personalaustausch zwischen Akademia und Industrie.

3.16.4

Familienzusammenhalt. Der Ausschuss hatte bereits mehrfach auf einen besonders wichtigen Aspekt der Mobilitätsförderung hingewiesen, nämlich den Familienzusammenhalt zu ermöglichen und zu fördern. Dies betrifft insbesondere die Berufstätigkeit des Ehepartners (z.B. „dual career couples“), geeignete Schulen für die Kinder, Unterstützung beim Wohnungs- bzw. Immobilientausch (Kompensation der Unkosten, Steuern) etc.

3.17

Öffnung des Europäischen Forschungsraums für die Welt. Im Grünbuch wird als besonders wichtiges Ziel genannt, den Europäischen Forschungsraum für die Welt zu öffnen. Dem stimmt der Ausschuss in vollem Umfang zu. Dieses Ziel tatsächlich zu erreichen wird ein wesentlicher Prüfstein für den Erfolg der Lissabon-Strategie sein.

3.17.1

Attraktivität ist das entscheidende Kriterium. Allerdings ist dafür — über den mehr formalen und vielfach bereits verwirklichten Aspekt einer prinzipiellen Öffnung hinausgehend — die Attraktivität des Europäischen Forschungsraums das entscheidende Kriterium: Einladungen an internationale Spitzenforscher sind der erste notwendige Schritt, dann aber gilt es, ihr Kommen tatsächlich zu erreichen, und bei europäischen Wissenschaftlern, die im außereuropäischen Ausland arbeiten, ihr späteres Wiederkommen nach Europa zu bewirken.

3.17.2

Überwindung des „brain-drain“. Erst wenn der heute so offensichtlich zu beklagende „brain-drain“ nicht nur zahlenmäßig, sondern auch nach Qualität, d.h. bezüglich der weltweit leistungsfähigsten und erfolgreichsten Wissenschaftler und Ingenieure, überwunden sein wird, kann diese Aufgabe als gelöst gelten. Um dies zu erreichen müssen jedoch alle wesentlichen Faktoren stimmen: Niveau, Ausstattung, Arbeitsbedingungen, verlässliche Rahmenbedingungen, Entfaltungsmöglichkeiten und Freiraum, persönliches Einkommen (einschließlich Sozialleistungen) und gesellschaftliche Anerkennung.

3.18

Fortführen erster Erfolge. Trotz der noch bestehenden Mängel und der noch anstehenden Aufgaben stellt der Ausschuss mit Befriedigung fest, dass die bisherigen Bemühungen europäischer Forschungspolitik hin zum Europäischen Forschungsraum erste Erfolge aufweisen und generell in die richtige Richtung zeigen. Es ist deshalb wichtig, die angebahnte Entwicklung durch ein weiter rasch wachsendes europäisches FuE-Potenzial, durch eine wettbewerbsorientierte Förderpolitik, durch seine Vernetzung und Integrationswirkung sowie insbesondere durch die Gestaltung attraktiver und verlässlicher Rahmenbedingungen und Berufschancen — ohne Überregulierung und Zentralisierung! — fortzuführen. Der Europäische Forschungsraum muss ein Begriff mit weltweiter Ausstrahlung werden.

3.19

Europäischer Wissensraum. Der Ausschuss hatte schon mehrfach betont, dass der Europäische Forschungsraum durch einen „Europäischen Wissensraum“ ergänzt werden sollte (23). Wesentliche Begründung war das Ziel, eine Europäische Wissensgesellschaft zu schaffen, wofür sowohl eine fundierte Bildung aller Bürger als auch die für Wissenschaftler und Ingenieure erforderliche hochwertige Spezialausbildung nötig ist. Dabei kommt auch lebenslangem sowie autodidaktischem Lernen große Bedeutung zu. In der den Europäischen Forschungsraum betreffenden Stellungnahme sei zudem auf die Notwendigkeit eines angemessenen „Wissensmanagements“ hingewiesen, das Dokumentation, Ordnung, Verbreitung, Zugänglichkeit und Erhaltung einmal gewonnenen Wissens sicherstellen muss. Forschung und Entwicklung bauen auf bestehendem Wissen auf, um neues Wissen zu schaffen.

3.19.1

Wissensmanagement und Technik. Wissensmanagement ist zudem auch für die sichere Anwendung (24) von technischen Verfahren wichtig, um optimale und sichere Nutzung zu ermöglichen, Risiken zu minimieren und die Bevölkerung nicht zu gefährden. Hierzu sollte die Kommission, in Zusammenarbeit mit den jeweils einschlägigen internationalen Organisationen, auch in Zukunft entsprechende Initiativen ergreifen und die erforderlichen Forschungsprogramme fördern.

3.19.2

Lehrbücher und Übersichtswerke. Eine wichtige Rolle für Wissenserhalt, Klärung und Ordnung von Wissen und insbesondere für eine hochwertige Ausbildung spielen gute Lehrbücher, Übersichtswerke und Handbücher. Diese zu verfassen erfordert Erfahrung, Mühe und Zeit sowie Freistellung von sonstigen Aufgaben. Der Ausschuss empfiehlt, diese Tätigkeit in den Katalog förderungswürdiger Aufgaben einzubeziehen, zumal diese mühsame Arbeit üblicherweise für die Autoren keinen kommerziellen Gewinn abwirft.

4.   Besondere Bemerkungen zu den Fragen des Grünbuchs

Im Folgenden wird speziell auf einige der 35 im Grünbuch aufgeworfenen Fragen eingegangen, soweit deren Themen nicht bereits in Kapitel 3 behandelt wurden; aus Platzgründen werden die meisten dieser Fragen jedoch nicht wiederholt, sondern es wird diesbezüglich auf das Grünbuch verwiesen.

4.1

Zu den Fragen 1 bis 3: Elemente der Vision des Europäischen Forschungsraums. Grundvoraussetzung ist ein aufgeschlossenes gesellschaftliches Klima gegenüber Forschung und Entwicklung, das deren entscheidende Bedeutung für Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit, Fortschritt und Kultur wahrnimmt und würdigt. Wichtig ist auch eine ausreichende Kommunikation zwischen den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, insbesondere zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften, einschließlich Versuchen, sich auf methodische Grundsätze zu verständigen. Dies ist auch Vorbedingung, damit auf allen Ebenen der Politik die erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen und Prioritäten gesetzt werden können. Kommission und Mitgliedstaaten können zudem noch mehr als bisher durch Symposien und Konferenzen den Erfahrungsaustausch zwischen der Scientific Community und der allgemeinen Zivilgesellschaft fördern und für den Europäischen Forschungsraum werben; eine wichtige Rolle müssen dabei auch die Medien einnehmen, wobei der Schwerpunkt auf Information und nicht auf Meinung gelegt werden sollte. Der Ausschuss unterstützt die Kommission in ihrem Anliegen für eine Öffentliche Diskussion und weitere Schritte.

4.2

Zu den Fragen 8 und 10: Doktoranden. Dies beginnt bereits bei den jungen Wissenschaftlern mit vollwertigem Universitätsabschluss, nämlich den Doktoranden. Diese sind keine Studenten oder Lehrlinge (25), sondern wesentliche Leistungsträger in Forschung und Lehre. Forschen und Lehren selbst sowie Literaturarbeit, Konferenzteilnahme, Seminare und so genannte „Sommerschulen“, sind die beste Weiterbildung; eine Teilnahme daran muss dann aber auch mit Nachdruck gefördert und ermöglicht werden. Eigeninitiative und Selbstständigkeit müssen ermöglicht, angeregt und belohnt werden, sie entstehen nicht auf der Basis schulischer Betreuung.

4.3

Zur Frage 12 und weitere: Mit ETI und dessen einzelnen „Wissens- und Innovationsgemeinschaften“ beginnen und davon lernen.

4.3.1

Zur Frage 18: Erst Erfahrung mit Einzelfällen sammeln. Risiko und Haftungsfragen klären, z.B. bei Ausfall eines Partners.

4.3.2

Zur Frage 19: Zunächst auf Erfahrungen mit bereits existierenden „Virtuellen Instituten“ in den Forschungsorganisationen der Mitgliedstaaten zurückgreifen, ansonsten: bottom-up!

4.3.3

Zur Frage 20 i): Hierzu sollten Vorschläge der betroffenen Institutionen eingeholt werden.

4.3.4

Zur Frage 20 ii): Keine objektiv messbaren Kriterien. Hier bestehen seitens des Ausschusses sehr starke Bedenken. Es ist nämlich zu befürchten, dass quantitative und „objektiv messbare“ Kriterien — die es in der Forschung praktisch nicht gibt (26) — im Vordergrund stehen würden. Diese mögen bei produktnaher Entwicklung vielleicht von Nutzen sein, bei Forschung hingegen würden sie Kurzatmigkeit und Oberflächlichkeit (Akquisitionsmarketing) befördern. Selbst Industrieforschungsinstitute haben Freiräume für längerfristige und grundlagenorientierte Forschungen, deren Wichtigkeit gerade durch die erfolgreichsten Einrichtungen (27) demonstriert wird, die aber bei festgeschriebenen und vornehmlich auf „quantitativ messbare“ Kriterien orientierten Begutachtungsverfahren nicht einfach zu begründen sind. Der Ausschuss verweist zudem auf Aussagen früherer Stellungnahmen dazu (28).

4.4

Zur Frage 21: Austausch von Wissen: hier Rohdaten. Diese Frage ist schwierig und delikat. Sie betrifft bezüglich Rohdaten (An welcher Stelle in der Messkette entstehen „Rohdaten“? Ihre Korrektheit muss vom ursprünglichen Experimentator oft noch überprüft bzw. evaluiert werden) das individuelle Vertrauensverhältnis von Forschern untereinander (29). Die Frage lässt Verständnis für experimentelle und innerpersonelle Abläufe (Teamfähigkeit, Wettbewerb, Priorität etc.) unter Forschern vermissen; nützlich sind Anreize für unmittelbaren Wissensaustausch. Reproduzierbarkeit von Ergebnissen ist das Schlüsselwort. Von einer von oben verordneten Regelung — und dies gar auf europäischer Ebene — ist dringend abzuraten; gegebenenfalls wären Empfehlungen sinnvoll, wie lange „Rohdaten“ mindestens gespeichert werden sollten und wer dafür verantwortlich ist. Unbeschadet davon (siehe Ziffer 3.19.1) besteht die Frage eines generellen „Wissensmanagements“, um sicherzustellen, dass Wissen nicht verloren geht. Gegebenenfalls sollte sich der Europäische Forschungsrat auch mit dieser Frage befassen.

4.4.1

Nochmals zu Frage 21: Erschwerter Informationszugang und -austausch. Dieser Fragenkreis adressiert aber noch ein zusätzliches Problem, nämlich den ungehinderten und schnellen Zugriff auf die in Fachzeitschriften wissenschaftlicher Verlage bereits veröffentlichten Informationen. Auf Grund der derzeitigen Interpretation der Schutzrechte des „copyright“ gibt es keine frei zugänglichen Online-Bibliotheken, und elektronische Kopien dürfen nicht mehr verschickt werden. Der rasche Zugriff auf die Bestände wichtiger wissenschaftlich-technischer Literatur ist damit massiv eingeschränkt wodurch der wissenschaftliche Austausch und Fortschritt erheblich behindert werden.

4.4.2

Open Access. Umso mehr ermuntert der Ausschuss die Kommission, sich dieser Frage anzunehmen und nach neuen, besseren Lösungen zu suchen. Eine Möglichkeit wären „Open Access“-Informationssysteme (30), z.B. in anerkannten Open-Access-Fachzeitschriften mit Peer-Review (siehe dazu auch unten).

4.4.3

Zur Frage 23: Neuheitsschonfrist. Diesbezüglich hat sich der Ausschuss bereits mehrfach für eine Neuheitsschonfrist ausgesprochen, um den Konflikt zwischen „schnellstens veröffentlichen“ — Forscher werden nach ihren Veröffentlichungen beurteilt — und„zuerst als Patent anmelden“ zu entschärfen.

4.5

Zum Fragenkreis 25 bis 29 hier: Optimierung von Forschungsprogrammen und -prioritäten. Generell sollte hier auf die bisherigen Erfahrungen mit den ERA-NETs zurückgegriffen werden.

4.5.1

Zur Frage 25: Grundsätze der Evaluierung. Die Frage gemeinsamer — gemeint ist wohl vereinheitlichter — Grundsätze für Peer Review, Qualitätssicherung und Evaluierung betrifft ein schwieriges Thema, da es einerseits kein perfektes, sondern nur bessere oder weniger gute Verfahren der Begutachtung gibt, andererseits verschiedene Forschungsorganisationen, zumindest im Detail, unterschiedlich vorgehen, und deswegen der (relative) Erfolg verschiedener Verfahrensweisen als Kriterium herangezogen werden muss. Darum hat der Ausschuss auch an dieser Stelle grundsätzlich Bedenken gegen eine beabsichtigte Vereinheitlichung. Zwar ist Peer-Review zweifellos das beste Verfahren (31), aber seine Qualität und Effizienz hängen sehr von Details (32) ab. Vor allem sollte Oberflächlichkeit vermieden werden, die bei den heute vielfach erzwungenen Dauer- bzw. Mehrfachevaluierungen leicht eintritt; darum gilt der Grundsatz: seltener evaluieren, dann aber gründlich.

4.5.2

Nochmals zur Frage 25, aber auch darüber hinausgehend: Sachkundige Beamte. Insbesondere ist es unbedingt notwendig, dass in den Förderorganisationen, also auch in der Kommission, wissenschaftlich hervorragend ausgewiesene sachkundige Beamte mitwirken, die mit dem jeweils betreffenden Fachgebiet, dessen Besonderheiten, seiner „Peers“ und seiner „Community“ — auch durch eigene vorangegangene Forschungstätigkeit — bestens und längerfristig vertraut sind und bleiben (regelmäßige Job-Rotation ist dazu kontraproduktiv). Auch hier gilt: Die Furcht vor Fehlern oder Fehlverhalten Einzelner darf nicht zur Überregulierung oder Schwächung aller führen. Man sollte sich auch dabei am Beispiel besonders erfolgreicher Forschungsorganisationen orientieren.

4.5.3

Zur Frage 26: Vereinfachung. Die entsprechenden Regeln und Verfahren weiter zu vereinfachen, um Forscher vom Übermaß an Administration etc. zu entlasten, ist ein vielfach angemahntes Ziel. Der Ausschuss ist sich allerdings bewusst, dass sein generelles Plädoyer für Pluralismus und „bottom-up“ in gewissem Widerspruch zu der Forderung nach Vereinfachung und Abbau von Überbürokratie gesehen werden könnte. Darum unterstützt er eine koordinierte Vorgehensweise (siehe auch Ziffer 3.15) mit gemeinsamer Bewertung bei all jenen Aktionen, bei denen die Gemeinschaft mit ihren Förderprogrammen maßgeblich beteiligt ist bzw. werden soll. Bezüglich der Wahl der Bewertungsprozeduren sollte der Europäische Forschungsrat gehört werden.

4.5.4

Zur Frage 29: Beteiligung in zwischenstaatlichen Forschungseinrichtungen. Der Begriff „beteiligen“ muss präzisiert werden. Eine Mitgliedschaft in Beratungsgremien erscheint sinnvoll, bei Mitfinanzierung seitens der Gemeinschaft selbstverständlich auch in den entsprechenden Aufsichtsgremien. Von einer Mitgliedschaft in den direkten Exekutiv-Organen wird hingegen deutlich abgeraten.

4.6

Zu den Fragen 30 und 31: Öffnung zur Welt: die internationale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie. Das forschungspolitische Ziel findet die volle Unterstützung des Ausschusses. Bezüglich der Instrumentarien ist einerseits zwischen Programmen, die große Gerätschaften benötigen, wie z.B. Beschleuniger, Fusionsanlage, Satellit, Windkanal etc. und andererseits solchen Programmen, die sich auf viele Zentren oder Gerätschaften verteilen, zu unterscheiden. Es sollte weitgehend auf schon existierende Beispiele und deren Erfahrung zurückgegriffen werden, wobei bei der Festschreibung von Verallgemeinerungen die Gefahr besteht, der Verschiedenheit der Einzelfälle nicht gerecht zu werden. Generell ist der Ausschuss der Meinung, dass es hierfür bereits bestehende und funktionierende Mechanismen bzw. Präzedenzfälle gibt, so dass kein Bedarf für zusätzliche Instrumentarien bestehen sollte.

4.7

Generelle Bemerkung zu den gestellten Fragen. Aus den Fragen der Kommission entsteht der Eindruck, dass sie stets nach allgemeinen Regelungen sucht, die dann für alle Einzelfälle gültig sein sollen. Einer solchen Absicht gegenüber hätte der Ausschuss schwerste Bedenken (Siehe auch Ziffer 3.14.1).

4.7.1

Keine Vereinheitlichung sondern Freiraum und „bottom-up“. Darum sind alle Bemühungen um eine zu große Vereinheitlichung abzulehnen. Vereinheitlichung verhindert nämlich, die jeweils besten Verfahrensweisen („Best Practices“) durch den — beim „bottom-up“-Prinzip grundsätzlich möglichen — Wettbewerb der verschiedenen Vorgehensweisen, Methoden und kulturellen Ansätze zunächst empirisch zu ermitteln und dabei auch den Vorteil einer evolutionären Entwicklung zu nutzen. Nur so stellt sich heraus, welche Vorgehensweise besonders erfolgreich ist, weitere Förderung verdient und als Beispiel für andere dienen kann.

4.7.2

Existierende Mechanismen reichen aus. Die bereits existierenden Mechanismen sowohl auf der politischen Ebene als auch auf der Programm- und Projektebene geben hierfür bereits einen genügenden und vernünftigen Spielraum. Weitere Maßnahmen und Regeln können zum gegebenen Zeitpunkt und Umfang später eingeführt oder angepasst werden, wenn jeweils ein gut begründeter spezifischer Bedarf besteht.

4.8

Bisherige Instrumente gemeinschaftlicher Förderung und Koordinierung. Demgegenüber empfiehlt der Ausschuss, allgemeine, klare und verständliche Regelungen für die vielfältigen Instrumente gemeinschaftlicher FuE-Förderung und -Koordinierung zu entwickeln. Dabei wäre es sehr hilfreich, wenn die Kommission eine Aufstellung und Beschreibung — d.h. eine verständliche Gebrauchsanweisung — aller ihr zur Verfügung stehenden Förder- und Koordinierungsinstrumente und -formen etc. verfassen würde. Daraus würde dann auch ersichtlich, ob deren wachsende Vielzahl noch genügend Aufgabenklarheit und Trennschärfe aufweist, und ob sie sowohl für potenzielle Nutzer als auch für die Beamten der Kommission selbst überschaubar und handhabbar bleiben oder einer klärenden Überarbeitung bedürfen.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 256 vom 27.10.2007.

ABl. C 325/16 vom 30.12.2006.

(2)  ABl. C 325/16 vom 30.12.2006.

(3)  ABl. C 110/3 vom 30.4.2004.

ABl. C 110/98 vom 30.4.2004.

ABl. C 157 vom 28.6.2005.

ABl. C 65 vom 17.3.2006.

ABl. C 185 vom 8.8.2006.

ABl. C 309 vom 16.12.2006.

ABl. C 325 vom 30.12.2006.

(4)  CERN: Organisation Européenne pour la Recherche Nucléaire. Da diese Bezeichnung angesichts der weiteren Ausrichtung von CERN irreführend ist, wird heute die Bezeichnung „Europäisches Labor für Teilchenphysik“ („European laboratory for particle physics“ — „Laboratoire européen pour la physique des particules“) benutzt, welche die derzeitigen Arbeiten der Organisation besser beschreibt.

(5)  Der Ausschuss verwendet hier die Begriffe „Wissenschaftler“ oder „Ingenieure“ grundsätzlich für Menschen beiderlei Geschlechts. Damit bekräftigt er sein mehrfaches Eintreten für eine vollständige „Gender-Equality“ auch in Forschung und Entwicklung. Siehe auch Ziffer 3.16.2.

(6)  siehe auch http://www.eiroforum.org.

ILL

:

Institut Laue-Langevin

ECMWF

:

European Centre for Medium-Range Weather Forecasts

ESRF

:

European Synchrotron Radiation Facility

ESO

:

European Southern Observatory

EMBO

:

European Molecular Biology Organization

ESA

:

European Space Agency

(7)  Für eine ausführlichere Darstellung siehe auch CORDIS focus Newsletter Nr. 279, Juni 2007.

(8)  ABl. C 325 vom 30.12.2006.

(9)  Der Ausschuss begrüßt dazu auch die gleichlautende Forderung des Europäischen Forschungsbeirats EURAB; siehe dazu

http://ec.europa.eu/reserach/eurab/index_en.html

(10)  Auch an dieser Stelle richtet sich der besondere Appell des Ausschusses an die Mitgliedstaaten, dementsprechende politische Entscheidungen zu treffen.

(11)  European Commission: Key Figures 2007 On Science, Technology and Innovation, Towards a European knowledge area, Monday 11 June 2007.

(12)  ESFRI: Europäisches Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen (European Strategy Forum on Research Infrastructures);

http://cordis.europa.eu/esfri/

(13)  RAT für Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt, Industrie und Forschung), 21./22. Mai 2007.

(14)  Wie z.B. beim ITER-Projekt.

(15)  Z.B. der European Physical Society, der Föderation Europäischer Nationaler Ingenieurverbände/European Federation of National Engineering Associations, der European Federation of Chemical Engineering, der Europäischen Akademien (IASAC, ALEA, IAP) etc. Viele davon sind auch in Dachverbänden organisiert, wie der Initiative for Science in Europe (ise).

(16)  ABl. C 325 vom 30.12.2006, Kapitel 4.6.

(17)  Siehe dazu http://www.cornet-era.net; desgleichen CORDIS focus Thematisches Beiheft Ausgabe Nr. 24, Juni 2007.

(18)  Und, solange keine patentrechtliche Neuheitsschonfrist gewährt wird, auch um mögliche spätere Patentansprüche nicht zu verwirken.

(19)  Bereits in seiner Stellungnahme „Wissenschaft, Gesellschaft und Bürger“ CES 724/2001 hatte der Ausschuss unter Ziffer 4.7.5 darauf hingewiesen, dass: „Wegen des notwendigen Nachweises der Reproduzierbarkeit ist die häufig als ‚Doppelforschung‘ bezeichnete Parallelität oder Wiederholung von Experimenten — meist mittels modifizierter Techniken oder Verfahren — durch andere Forschergruppen essentieller Bestandteil der wissenschaftlichen Methodik und des wissenschaftlichen Fortschritts. Sie erst ist Garant gegenüber Fehlern, Irrtümern oder gar Fälschungen“.

(20)  Lüder Gerken und Roman Herzog in EUROPE's WORLD, summer 2007 issue.

(21)  ABl. C 256 vom 27.10.2007.

(22)  Zum Beispiel ist der neue Tarifvertrag im deutschen öffentlichen Dienst ausgesprochen mobilitätsfeindlich!

(23)  Siehe dazu insbesondere auch seine Stellungnahme „Investitionen in Wissen und Innovation“, INT/325 (ABl. C 256 vom 27.10.2007).

(24)  Siehe z.B. IAEA Proceedings of the International Conference on Knowledge Management in Nuclear Facilities June 2007.

(25)  Der Zweck einer Doktorarbeit ist der Nachweis selbstständiger wissenschaftlicher Tätigkeit!

(26)  Siehe dazu z.B. auch „Erwägen, Wissen, Ethik“ (EWE) Jg. 18/2007 Heft 1, Seite 12, Kapitel 3.4 — ISSN 1610-3696.

(27)  Z.B. Kosmische Hintergrundstrahlung bei BELL, Hochtemperatur-Supraleiter bei IBM.

(28)  Siehe z.B. Ziffer 7.5, ABl. C 256 vom 27.10.2007.

(29)  Dies betrifft in der Grundlagenforschung vorwiegend die Frage der Priorität einer Entdeckung oder Idee, in der Anwendung aber auch patentrelevante Fragen.

(30)  Siehe z.B.

http://www.open-access.net/RMK.

(31)  Allerdings: je innovativer (von der Norm abweichend) Verfahren, Ideen, Maßstäbe oder Modelle sind, umso weniger ist selbst Peer-Review in der Lage, stets ein zutreffendes Urteil zu fällen. Umso wichtiger ist daher der notwendige Pluralismus (Ziffer 3.14.1) konkurrierender Ansätze und Methoden.

(32)  Zu einer Behandlung dieses Themas siehe mehrere Artikel in „Forschung und Lehre“ (Deutscher Hochschulverband) 6/07, ISSN: 0945-5604;

www.forschung-und-lehre.de.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/11


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens ‚Initiative Innovative Arzneimittel‘“

KOM(2007) 241 endg. — 2007/0089 (CNS)

(2008/C 44/02)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 11. Juni 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 4. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr DANTIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 118 gegen 2 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Pharmaindustrie gilt zu Recht als ein Sektor von grundlegender strategischer Bedeutung, und seine Produkte tragen ganz wesentlich zur Gesundheit und zum Wohlbefinden der Bürger Europas bei. Darüber hinaus ist er für die Beschäftigung von Bedeutung.

1.2

Angesichts des Rückgangs der pharmazeutischen Forschung in Europa erweist sich die Entscheidung, ein gemeinsames Unternehmen für innovative Arzneimittel einzurichten, als ausgesprochen gerechtfertigt. Der Ausschuss begrüßt diese Entscheidung insbesondere aufgrund der echten öffentlich-privaten Partnerschaft.

1.3

Der Auftrag der gemeinsamen Unternehmen für innovative Arzneimittel muss auf folgende grundlegende Aspekte ausgerichtet werden:

Verbesserung der Vorhersagbarkeit der Sicherheit und Wirksamkeit neuer Arzneimittel, vor allem in den präklinischen Phasen;

Vermeidung von Ressourcenverschwendung — mit Hilfe von Systemen für das Wissensmanagement der Forschungsphasen —, die derzeit sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor durch sich überschneidende Tätigkeiten entsteht;

Schließung der Qualifikationslücken durch die Einführung von Ausbildungsangeboten, die dafür sorgen, dass die Ausbildung der Arbeitnehmer den in der pharmazeutischen Forschung benötigten Qualifikationen entspricht;

Konzipierung eines Instruments, das für die Synergieeffekte sorgt, die notwendig sind, um eine Zusammenarbeit zwischen der von dem gemeinsamen Unternehmen für innovative Arzneimittel eingeleiteten Forschung mit den nationalen und europäischen Aktivitäten zu ermöglichen; auf diese Weise kann auf längere Sicht ein europäischer Forschungsraum in diesem Sektor entstehen.

1.4

Der EWSA begrüßt, dass der Erarbeitung der zu erörternden Verordnung eine breit angelegte Anhörung vorausgegangen ist und befürwortet die angekündigte Absicht, jährlich einen Bericht über die von dem gemeinsamen Unternehmen für innovative Arzneimittel erzielten Ergebnisse vorzulegen. Indes bedauert er, dass nicht detaillierter auf die Funktionsweise und die zuvor von den „europäischen Technologieplattformen“ erzielten Ergebnisse eingegangen wird.

1.5

Mit Blick auf das Finanzierungssystem, die Mehrfachbeteiligungen und die umfangreichen Gemeinschaftsmittel wäre es nach Ansicht des EWSA jedoch zweckmäßig, die Verwendung und Verteilung der Forschungsendprodukte genauer festzulegen, vor allem die Frage des geistigen Eigentums und der Patente.

1.6

Nach Ansicht des EWSA wäre es angebracht, über Mechanismen nachzudenken, die eine Amortisierung der europäischen Investitionen begünstigen. Es wäre ferner wünschenswert, dass die Gewinne aus den Forschungsarbeiten für Investitionen innerhalb des Gemeinschaftsgebiets aufgewendet werden.

2.   Einleitung

2.1

Mit dem vorliegenden Verordnungsvorschlag sollen die ersten öffentlich-privaten Partnerschaften im Bereich Forschung und Entwicklung (FuE) ins Leben gerufen werden. In dem Vorschlag wird eine der beiden ersten gemeinsamen Technologieinitiativen definiert, bei der es um innovative Arzneimittel geht (1).

2.2

Mit den gemeinsamen Technologieinitiativen wird bezweckt, es der Industrie, den Forschungseinrichtungen, den Mitgliedstaaten und der Kommission ganz oder teilweise zu ermöglichen, ihre Ressourcen gemeinsam für zielgerichtete Forschungsprogramme zu nutzen.

2.3

Entgegen der herkömmlichen Strategie, die Projekte einzelfallbezogen öffentlich zu finanzieren, geht es bei den gemeinsamen Technologieinitiativen um groß angelegte Forschungsprogramme mit gemeinsamen strategischen Forschungszielen. Dieser neue Ansatz dürfte es ermöglichen, eine kritische Masse für Forschung und Innovation in Europa zu schaffen, die wissenschaftliche Gemeinschaft in den wichtigsten strategischen Bereichen zu festigen und die Finanzierung der Projekte zu harmonisieren, damit die Ergebnisse der Forschung rascher genutzt werden können. Die gemeinsamen Technologieinitiativen zielen auf Schlüsselbereiche ab, in denen die derzeit vorhandenen Instrumente weder die Größenordnung noch die Geschwindigkeit haben, die erforderlich sind, um Europas Spitzenposition im weltweiten Wettbewerb auch weiterhin zu sichern. Es handelt sich dabei um Bereiche, in denen eine einzelstaatliche, europäische und private Finanzierung der Forschung für erheblichen Zusatznutzen sorgen kann, insbesondere durch die Förderung privater Ausgaben für Forschung und Entwicklung.

2.4

Die gemeinsame Technologieinitiative für innovative Arzneimittel zielt darauf ab, die Entwicklung neuer Kenntnisse, neuer Instrumente und neuer Methoden zu unterstützen, mit deren Hilfe wirksamere und sicherere Arzneimittel rascher vorgeschlagen werden können.

2.5

Die gemeinsame Technologieinitiative dürfte über eine neuartige Finanzierungsmethode dazu beitragen, die Privatinvestitionen in FuE zu erhöhen, den Wissenstransfer zwischen Hochschulen und Unternehmen zu verstärken und die Teilnahme der KMU an der europäischen Forschung zu begünstigen.

3.   Kontext

3.1

In den letzten 10-15 Jahren hat die pharmazeutische Forschung in Europa nach und nach an Boden verloren. Während die Investitionen in FuE zwischen 1990 und 2005 in den USA um das 4,6-Fache gestiegen sind, wurde in Europa nur ein 2,8-facher Anstieg verzeichnet. Die Unternehmen verlagern ihre Spitzenforschungseinrichtungen mehr und mehr in Länder außerhalb der Europäischen Union — hauptsächlich in die USA sowie seit kurzem auch nach Asien.

3.1.1

Diese Situation kann schwer wiegende Folgen für die europäische Wettbewerbsfähigkeit haben, da Innovation und Spitzentechnologien einer der Schlüssel zu langfristigem Wirtschaftswachstum sind. Dies ist einer der Gründe, die zu der Entscheidung geführt haben, eine gemeinsame Technologieinitiative für innovative Arzneimittel zu gründen.

3.2

Während die Regierungen ihr Handeln einzelstaatlich konzipieren, hat die Industrie eine weltweite Vision. Große Länder wie die USA und China haben eine einheitliche Investitionsstrategie, die es den Unternehmen erlaubt, besser zu planen und sich leichter die nötigen Mittel zu beschaffen. In Europa koordinieren die einzelstaatlichen Verwaltungen ihre Investitionen in FuE hingegen nicht, und die Pharmaunternehmen müssen Eigenmittel einsetzen, um ihre Aktivitäten an lokale Gegebenheiten anzupassen.

3.3

Mithilfe einer Rechtsetzungsmaßnahme der Gemeinschaft kann ein gezieltes und kohärentes FuE-Programm aufgestellt werden, das sich auf alle in Europa verfügbaren Quellen für FuE-Investitionen (öffentliche und private) stützen und dadurch die Situation in der EU verbessern kann. Dies wird mit der vorliegenden Verordnung bezweckt.

4.   Vorschlag der Kommission

4.1

Der Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens „Initiative Innovative Arzneimittel“ (KOM(2007) 241 endg.) geht aus den Bestimmungen des 7. Rahmenprogramms hervor, das Gegenstand des Beschlusses Nr. 1982/2006/EWG ist. Dieser sieht einen Gemeinschaftsbeitrag zur Gründung von langfristigen öffentlich-privaten Partnerschaften auf europäischer Ebene im Forschungsbereich vor.

4.2

Diese Partnerschaften nehmen die Form von „gemeinsamen Technologieinitiativen“ an und gehen aus den Arbeiten der früheren „europäischen Technologieplattformen“ hervor.

4.3

In der Entscheidung Nr. 971/2006/EG des Rates über das spezifische Programm „Zusammenarbeit“ wird unterstrichen, dass es notwendig ist, öffentlich-private Partnerschaften einzurichten, und es werden sechs Bereiche ermittelt, in denen die Schaffung gemeinsamer Technologieinitiativen als geeignet erscheint, um die europäische Forschung neu zu beleben. Es handelt sich um folgende Themenbereiche:

Wasserstoff und Brennstoffzellen;

Luftfahrttechnik und Luftverkehr (2);

innovative Arzneimittel;

eingebettete Computersysteme (3);

Nanoelektronik (4);

globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung.

4.4

Im Rahmen dieser allgemeinen Strategie sieht die Verordnung, die Gegenstand des vorliegenden Kommissionsvorschlags ist, die Umsetzung der gemeinsamen Technologieinitiative für innovative Arzneimittel durch die Schaffung eines gemeinsamen Unternehmens für innovative Arzneimittel vor.

4.5

Entsprechend den Zielen der Kommission dürfte die Errichtung eines gemeinsamen Unternehmens für innovative Arzneimittel die Teilnahme von Akteuren begünstigen, die gegenwärtig nicht in der Lage sind, Forschungsprogramme mit hoher Komplexität und hohen Kosten durchzuführen (Hochschulen, KMU, Klinikzentren, öffentliche Stellen usw.).

4.6

Die „Initiative Innovative Arzneimittel“ wird als gemeinsames Unternehmen von der Europäischen Gemeinschaft, vertreten durch die Kommission, und dem EFPIA (Europäischer Dachverband der Arzneimittelunternehmen und -verbände) gegründet und als Körperschaft der Gemeinschaft durch eine Ratsverordnung in Anwendung von Artikel 171 EG-Vertrag geregelt. Beitreten können die Mitgliedstaaten und die mit dem 7. Rahmenprogramm assoziierten Länder sowie alle im Bereich FuE tätigen juristischen Personen, unter der Voraussetzung, dass sie zu ihrer Finanzierung beitragen.

4.7

Dieses Programm wird mit Haushaltsmitteln in Höhe von 2 Mrd. EUR ausgestattet, die über einen Zeitraum von sieben Jahren zu investieren sind. Die Mittel werden zu gleichen Teilen von der Kommission (Mittel des 7. Rahmenprogramms nach Maßgabe von Artikel 54 der Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates) und den Mitgliedsunternehmern der EFPIA, die in erster Linie das Personal, die Ausrüstungen, die Verbrauchsgüter usw. stellen, aufgebracht.

4.8

Das gemeinsame Unternehmen „Initiative Innovative Arzneimittel“ wird konkret Forschungsaktivitäten unterstützen, die in den Mitgliedstaaten und den mit dem 7. Rahmenprogramm assoziierten Ländern durchgeführt werden. Der Gemeinschaftsbeitrag in Höhe von 1 Mrd. EUR geht ausschließlich an KMU und Hochschulen, um Forschungsarbeiten zu finanzieren, die im pharmazeutischen Bereich genutzt werden können. Die teilnehmenden Großunternehmen werden in gleicher Höhe investieren, indem sie die Kosten für ihren Anteil an den Forschungsarbeiten tragen und die KMU und Hochschulen an diesen beteiligen.

4.9

Das gemeinsame Unternehmen „Initiative Innovative Arzneimittel“ gilt als internationale Körperschaft mit Rechtspersönlichkeit im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie 2004/17/EWG und Artikel 15 der Richtlinie 2004/18/EWG. Sitz des Unternehmens ist Brüssel. Seine Aktivitäten enden Ende Dezember 2017, es sei denn, diese Frist wird vom Rat verlängert.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1

Die pharmazeutische Industrie wird in dem Bericht „Ein innovatives Europa schaffen“ zu Recht als ein Sektor von grundlegender strategischer Bedeutung erachtet, und seine Produkte tragen ganz wesentlich zur Gesundheit und zum Wohlbefinden der Bürger Europas bei. Prinzipiell trägt eine vernünftige und sachgemäße Anwendung von Arzneimitteln zur Verbesserung der Lebensqualität bei.

5.2

Des Weiteren leistet die pharmazeutische Industrie einen hohen Beitrag zur Beschäftigung. 2004 hatte dieser Sektor 612 000 Beschäftigte, davon 103 000 hoch qualifizierte Arbeitnehmer in der wissenschaftlichen Forschung.

Rolle des gemeinsamen Unternehmens „Initiative Innovative Arzneimittel“

5.3

Die Errichtung des gemeinsamen Unternehmens für innovative Arzneimittel rechtfertigt sich in erster Linie durch die anerkannte Notwendigkeit, dem Rückgang der pharmazeutischen Forschung in Europa entgegenzutreten und diesen Trend, der schon in der Mitteilung der Kommission vom 1. Juli 2003„Die pharmazeutische Industrie Europas zum Wohl der Patienten stärken: was zu tun ist“ beschrieben wird, umzukehren.

5.4

Damit dies gelingt, erscheint eine Veränderung der herkömmlichen Formen der bilateralen Zusammenarbeit unabdingbar. Es bedarf heute eines neuen Ansatzes auf europäischer Ebene, bei dem die Hochschulen, die betroffenen KMU, die öffentlichen Stellen und der pharmazeutische Sektor in Verbindung mit den im 7. Rahmenprogramm vorgesehenen finanziellen Vereinbarungen unmittelbar zusammenarbeiten.

5.5

Der Auftrag der gemeinsamen Unternehmen für innovative Arzneimittel muss auf folgende grundlegende Aspekte ausgerichtet werden:

Verbesserung der Vorhersagbarkeit der Sicherheit und Wirksamkeit neuer Arzneimittel, vor allem in den präklinischen Phasen;

Vermeidung von Ressourcenverschwendung — mit Hilfe von Systemen für das Wissensmanagement der Forschungsphasen -, die derzeit sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor durch sich überschneidende Tätigkeiten entsteht;

Schließung der Qualifikationslücken durch die Einführung von Ausbildungsangeboten, die dafür sorgen, dass die Ausbildung der Arbeitnehmer den in der pharmazeutischen Forschung benötigten Qualifikationen entspricht;

Konzipierung eines Instruments, das für die Synergieeffekte sorgt, die notwendig sind, um eine Zusammenarbeit zwischen der von dem gemeinsamen Unternehmen für innovative Arzneimittel eingeleiteten Forschung mit den nationalen und europäischen Aktivitäten zu ermöglichen; auf diese Weise kann auf längere Sicht ein europäischer Forschungsraum in diesem Sektor entstehen.

6.   Besondere Bemerkungen

6.1

Der EWSA stellt mit Genugtuung fest, dass der Erarbeitung dieses Kommissionsvorschlags eine breit angelegte Anhörung vorausgegangen ist. Er unterstützt die Durchführung geeigneter Ausbildungsprogramme, damit in diesem für die europäische Wirtschaft — und die Lebensqualität der EU-Bürger — so wichtigen Sektor die notwendige Professionalität gewährleistet werden kann.

6.2

Wie in Ziffer 4.2 bereits erwähnt, gehen die gemeinsamen Technologieinitiativen aus den Arbeiten der europäischen Technologieplattformen hervor. Diese haben das ihnen vorgegebene Ziel einer strategischen Neubelebung der Forschung in Europa jedoch kaum erreicht. Die Schaffung der gemeinsamen Technologieinitiativen beruht also auf der Tatsache, dass die europäischen Technologieplattformen ihrer Rolle, die prinzipiell darin bestand, einen wesentlichen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu leisten, teilweise nicht gerecht wurden.

6.2.1

Der EWSA bedauert jedoch, dass im Kommissionsvorschlag nicht detaillierter auf die zuvor von den europäischen Technologieplattformen durchgeführten Arbeiten eingegangen wird — so wird keine Bilanz gezogen, die Ergebnisse werden nicht angeführt und es wird kein Literaturhinweis gegeben.

6.2.2

Daher befürwortet der EWSA die angekündigte Absicht, jährlich einen Bericht über die von den gemeinsamen Technologieinitiativen erzielten Ergebnisse und Fortschritte vorzulegen.

6.3

Der EWSA bewertet die Schaffung des gemeinsamen Unternehmens für innovative Arzneimittel in jedem Fall positiv, denn dank einer wirklichen Verbindung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor weist sie generell alle für die Neubelebung der pharmazeutischen Forschung in Europa wichtigen Merkmale auf. Diese Initiative steht mit den Zielen der Lissabon-Strategie im Einklang, die Investitionen in Höhe von 3 % des BIP für FuE-Aktivitäten vorsieht, von denen zwei Drittel vom privaten Sektor getragen werden müssen.

6.3.1

Mit Blick auf das eingerichtete System der Mehrfachfinanzierung und die umfangreichen Gemeinschaftsmittel wäre es nach Ansicht des EWSA jedoch zweckmäßig, die Verwendung und Verteilung der Forschungsendprodukte genauer festzulegen. Die Frage der Patente und des geistigen Eigentums, die in der Verordnung und ihrer Anlage nur in den Grundzügen behandelt wird, hätte es verdient, präziser und ausführlicher erörtert zu werden, denn sie könnte zu einem der sensiblen Punkte der harmonischen Umsetzung der „gemeinsamen Initiative für innovative Arzneimittel“ werden.

6.3.2

Die großen in Europa niedergelassenen Pharmakonzerne haben zumeist eine weltweite Dimension. In Anbetracht der umfangreichen Finanzierung durch die Gemeinschaft wäre es auch hier angebracht, über Mechanismen nachzudenken, die eine Amortisierung der europäischen Investitionen begünstigen. So gesehen könnte die Verordnung Bestimmungen enthalten, die vorsehen, dass die Abwicklung sämtlicher Forschungsphasen und die Herstellung der aus dieser Forschung hervorgehenden Wirkstoffe auf dem Gebiet der EU erfolgt; dabei ist jedoch gleichzeitig darauf zu achten, dass keine Hemmnisse für die Verwendung innovativer Arzneimittel in Nicht-EU-Mitgliedstaaten entstehen. Es wäre ferner wünschenswert, dass die Gewinne aus den Forschungsarbeiten, die von der gemeinsamen Initiative für innovative Arzneimittel finanziell auf den Weg gebracht werden, nach Maßgabe ebendieser Bestimmungen für Investitionen innerhalb des Gemeinschaftsgebiet aufgewendet werden.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Eine weitere gemeinsame Technologieinitiative bezieht sich auf eingebettete Computersysteme. Vgl. hierzu die Stellungnahme INT/364.

(2)  INT/369.

(3)  INT/364.

(4)  INT/370.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Gründung des gemeinsamen Unternehmens ARTEMIS zur Umsetzung einer gemeinsamen Technologieinitiative für eingebettete IKT-Systeme“

KOM(2007) 243 endg. — 2007/0088 (CNS)

(2008/C 44/03)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 11. Juni 2007, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 4. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr DANTIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 127 gegen 2 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA befürwort prinzipiell die Strategie der Kommission. Er hält die Ankurbelung der Investitionen in FuE für ein angemessenes Mittel, um den europäischen Unternehmen einen sicheren Bezugsrahmen bereitzustellen, und zwar mithilfe eines neuen Instruments, das es ermöglichen würde, die derzeitige Aufsplitterung der Gemeinschaftsfinanzierung zu überwinden und eine ungleiche Programmverteilung zu verhindern — zwei Faktoren, die eine Bewertung der erzielten Ergebnisse fast unmöglich machten.

1.2

Der Ausschuss befürwortet die angekündigte Absicht, jährlich einen Bericht über die von ARTEMIS erzielten Ergebnisse vorzulegen. Indes bedauert er, dass nicht detaillierter auf die Funktionsweise und die zuvor von den „europäischen Technologieplattformen“ erzielten Ergebnisse eingegangen wird.

1.3

Nach Auffassung des EWSA ist das auf einer öffentlich-privaten Partnerschaft beruhende gemeinsame Unternehmen ARTEMIS ein Gewinn für die Schaffung eines europäischen Forschungsraums und stellt einen entscheidenden Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen dar.

1.4

Der EWSA nimmt befürwortend Stellung zum vorliegenden Vorschlag und macht gleichzeitig auf die Bedeutung der vorgeschlagenen innovativen Strategie im Bereich Investitionen aufmerksam, welche die Ressourcen aus der Gemeinschaft, den Unternehmen, den verschiedenen teilnehmenden Mitgliedstaaten und den FuE-Strukturen umfassen.

1.5

Im Hinblick auf dieses innovative Instrument, das sich — was die Verwendung der eingeführten Forschungsprodukte betrifft — als komplex erweisen kann, begrüßt der EWSA, dass das geistige Eigentum in Artikel 24 der Verordnung über das gemeinsame Unternehmen Bedeutung erhält und näher präzisiert wird.

1.6

Schließlich hält der EWSA Folgendes für erforderlich:

eine wirkliche Vereinfachung der Verfahren, insbesondere in Anbetracht der negativen Auswirkungen der Verwaltungskomplexität auf frühere FuE-Programme;

ein Informationsprogramm, mit dem zur Mobilisierung der erforderlichen Ressourcen beigetragen werden kann;

die Einführung von Berufsbildungsprogrammen, um die Qualifikationen der Arbeitnehmer und die durch ARTEMIS entstehenden Arbeitsplätze aufeinander abzustimmen. Auf diese Weise werden die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um die weltweite industrielle Führung der EU in diesem strategisch wichtigen Sektor sicherzustellen.

2.   Einleitung

2.1

Mit dem zu erörternden Vorschlag für eine Verordnung des Rates sollen die ersten öffentlich-privaten europäischen Partnerschaften im Bereich Forschung und Entwicklung (FuE) ins Leben gerufen werden. In dem Vorschlag wird eine der beiden ersten gemeinsamen Technologieinitiativen definiert, bei der es um eingebettete IKT-Systeme geht (1).

2.2

Mit den gemeinsamen Technologieinitiativen wird generell bezweckt, es der Industrie, den Forschungseinrichtungen, den Mitgliedstaaten und der Kommission ganz oder teilweise zu ermöglichen, ihre Ressourcen gemeinsam für zielgerichtete Forschungsprogramme zu nutzen.

2.3

Entgegen der herkömmlichen Strategie, die Projekte einzelfallbezogen öffentlich zu finanzieren, geht es bei den gemeinsamen Technologieinitiativen um groß angelegte Forschungsprogramme mit gemeinsamen strategischen Forschungszielen. Dieser neue Ansatz dürfte es ermöglichen, eine kritische Masse für Forschung und Innovation in Europa zu schaffen, die wissenschaftliche Gemeinschaft in wichtigen strategischen Bereichen zu festigen und die Finanzierung der Projekte zu harmonisieren, damit die Ergebnisse der Forschung rascher genutzt werden können.

2.4

Mit diesem Vorschlag wird der Rechtsrahmen für ARTEMIS, die gemeinsame Technologieinitiative für eingebettete Computersysteme, geschaffen.

2.5

Die gemeinsame Technologieinitiative ARTEMIS bezieht sich auf unsichtbare Computer (integrierte Systeme), die eine große Zahl von Maschinen und Geräten steuern — von PKW über Flugzeuge und Telefone bis hin zu Energienetzen und vielen Haushaltsgeräten wie Waschmaschinen, Fernsehapparate usw.

2.6

Schätzungen zufolge wird es bis 2010 mehr als 16 Mrd. und bis 2020 mehr als 40 Mrd. integrierte Prozessoren geben. 2010 werden diese Elektronikbauteile und die dazugehörige Software 30 bis 40 % des Wertes neuer Produkte ausmachen, und zwar aus den Bereichen Haushaltselektronik (41 %), Telekommunikation (37 %), Fahrzeuge (36 %) und Gesundheitssysteme (33 %).

2.7

Die zu Forschungszwecken eingesetzten Mittel für ARTEMIS werden sich über sieben Jahre auf insgesamt 2,7 Mrd. EUR belaufen. Sie dürften zu 60 % von der Industrie bestritten werden; 410 Mio. EUR stammen von der Kommission und 800 Mio. EUR aus den Programmen der Mitgliedstaaten.

3.   Kontext

3.1

Die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) haben eine grundlegende wirtschaftliche und soziale Bedeutung und spielen eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung der überarbeiteten Lissabon-Strategie, in der betont wird, dass Wissen und Innovation in der Gesellschaft zur Steigerung von Wachstum und Beschäftigung beitragen.

3.2

Während die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) in den nächsten zehn Jahren weltweit um ungefähr 170 % ansteigen dürften, wird für die Ausgaben für eingebettete Systeme ein Anstieg um 225 % — von 58 Mrd. EUR im Jahr 2002 auf 132 Mrd. EUR 2015 — vorhergesagt (2).

3.3

In der EU macht FuE im Bereich der gemeinsamen Technologieinitiativen ungefähr 18 % der FuE-Gesamtausgaben aus, während es in den USA 34 % und in Japan 35 % sind (3). Bezogen auf die Zahl der Einwohner betragen die Ausgaben in der EU ca. 80 EUR pro Person, während sie in den USA bei 350 EUR und in Japan bei 400 EUR liegen. Die Forschung im Bereich eingebettete Systeme macht einen Großteil der Forschung auf dem Gebiet der gemeinsamen Technologieinitiativen aus; das sind in Europa 380 Mio. EUR aus öffentlichen Fonds und mehr als 50 % des Haushalts von Unternehmen, die eine Forschungstätigkeit im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien betreiben.

3.4

Um in diesem Sektor mit hohem Entwicklungspotenzial künftig präsent zu sein, muss die EU ihre Investitionen in diesem strategischen Bereich erhöhen und sie besser nutzen, anstatt sich auf eine Forschungsstruktur zu stützen, die zu verstreuten Bemühungen und Überschneidungen führt. Den Unternehmen in der EU steht derzeit kein Rahmen zur Verfügung, der es ermöglichen würde, die erforderlichen grundlegenden Technologien und Standards zu entwickeln.

3.4.1

Generell wird der Fortschritt durch die mangelnde Koordinierung der Ziele der Unternehmen im Bereich FuE, die Überschneidungen und eine suboptimale Verwendung der begrenzten Forschungsmittel gebremst.

3.4.2

Mit dem Vorschlag der Kommission soll dieser Kontext verändert werden.

4.   Vorschlag der Kommission

4.1

Die Entscheidung über die Gründung des gemeinsamen Unternehmens ARTEMIS, das Gegenstand des Dokuments KOM(2007) 243 endg. ist, ergibt sich aus dem Beschluss Nr. 1982/2006/EG über das 7. Rahmenprogramm, das einen Gemeinschaftsbeitrag zur Gründung von langfristigen öffentlich-privaten Partnerschaften auf europäischer Ebene im Forschungsbereich vorsieht.

4.2

Diese Partnerschaften nehmen die Form von „gemeinsamen Technologieinitiativen“ an und gehen aus den Arbeiten der früheren „europäischen Technologieplattformen“ hervor.

4.3

In der Entscheidung Nr. 971/2006/EG des Rates über das spezifische Programm „Zusammenarbeit“ (4) wird unterstrichen, dass es notwendig ist, öffentlich-private Partnerschaften einzurichten, und es werden sechs Bereiche ermittelt, in denen die Schaffung gemeinsamer Technologieinitiativen als geeignet erscheint, um die europäische Forschung neu zu beleben. Es handelt sich um folgende Themenbereiche:

Wasserstoff und Brennstoffzellen;

Luftfahrttechnik und Luftverkehr (5);

innovative Arzneimittel (6);

eingebettete Computersysteme;

Nanoelektronik (7);

globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung.

4.4

Im Rahmen dieser allgemeinen Strategie sieht die Verordnung, die Gegenstand des vorliegenden Kommissionsvorschlags ist, die Durchführung der Verordnung des Rates über die Gründung des gemeinsamen Unternehmens ARTEMIS zur Umsetzung einer gemeinsamen Technologieinitiative für eingebettete IKT-Systeme vor.

4.5

Die Entscheidung für ein Unternehmen, das sich mit dem grundlegenden Thema „Einbettung von Intelligenz“ befasst, erfolgt in einem strategischen Bereich, der die Automobilbranche, Haushalts- und Kommunikationsgeräte, Regelungssysteme und Büromaschinen umfasst.

4.6

Es wird erwartet, dass sich die schon jetzt beträchtliche Bedeutung eingebetteter Systeme für die Steuerung von Gerätesystemen im Laufe der kommenden fünf Jahre noch merklich weiterentwickeln wird: Der Anteil der eingebetteten Systeme am Wert des Endproduktes in wichtigen Industriezweigen dürfte 35-40 % erreichen, und sein Gesamtwert dürfte 2010 bei 16 Mrd. EUR und 2020 bei mehr als 40 Mrd. EUR liegen.

4.7

Die Entscheidung, eine gemeinsame Technologieinitiative zu gründen, ist in erster Linie von dem Wunsch getragen, ein europäisches Forschungs- und Entwicklungsprogramm einzurichten, das der europäischen Industrie dazu verhilft, eine globale Markführerschaft bei eingebetteten IKT-Technologien zu erlangen, die in den für die Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung europäischer Unternehmen so wichtigen Sektoren unerlässliche Innovationen darstellen.

4.8

Eine Initiative wie ARTEMIS hat nach Auffassung der Kommission die grundlegende Rolle zu erfüllen, Entwicklungen wie in der europäischen Personalinformatik- und Internetindustrie zu verhindern, wo sich die Produktion gerade aufgrund des Mangels an Investitionen in Forschung und Entwicklung außerhalb Europas verlagert hat (USA, Japan usw.).

4.9

Die Gründung einer gemeinsamen Technologieinitiative ARTEMIS ist das Ergebnis umfangreicher Konsultationen mit Beteiligten und einiger wichtiger Initiativen und Konferenzen auf Gemeinschaftsebene. Die Aufgaben und Ziele dieser Initiative wurden vorab Vertretern von Hochschulen und Unternehmen zur Prüfung vorgelegt; diese haben zum vorliegenden Vorschlag dann ihren Sachverstand im Bereich eingebettete Systeme beigesteuert. Die Mitgliedstaaten haben anerkannt, dass die Gemeinschaftsebene die einzige Ebene zur Bewältigung der künftigen Herausforderungen ist.

4.10   Rechtsgrundlage

Der Vorschlag besteht aus einer Verordnung des Rates, dem als Anhang die Satzung des gemeinsamen Unternehmens beiliegt. Er beruht auf Artikel 171 des EG-Vertrags. Das gemeinsame Unternehmen wird eine Körperschaft der Gemeinschaft. Obwohl seine Haushaltsmittel unter die Bestimmungen von Artikel 185 der Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates fallen, muss den Besonderheiten dieser Initiative Rechnung getragen werden, da es sich um öffentlich-private Partnerschaften handelt, zu denen der private Sektor einen bedeutenden, dem des öffentlichen Sektors wenigstens entsprechenden Beitrag leistet.

4.11   Errichtung

Die Gründungsmitglieder der gemeinsamen Technologieinitiative sind die Europäische Gemeinschaft, vertreten durch die Kommission, die teilnahmebereiten Mitgliedstaaten und ARTEMISIA (eine Vereinigung zur Vertretung zahlreicher Branchenunternehmen und anderer FuE-Einrichtungen). In der Satzung werden die Organisationen aufgeführt, die in der Folge Mitglieder des gemeinsamen Unternehmens ARTEMIS werden können, insbesondere die dem 7. Rahmenprogramm assoziierten Nicht-EU-Länder und jede andere juristische Person, die einen Beitrag zu den Zielen des gemeinsamen Unternehmens ARTEMIS leisten kann.

4.12   Finanzierung

Die in Artikel 4 im Einzelnen aufgeführten laufenden Kosten des gemeinsamen Unternehmens werden aus folgenden Beiträgen finanziert:

einem Beitrag der ARTEMISIA von höchstens 20 Mio. EUR oder 1 % der Gesamtkosten der Projekte bis zu einem Höchstbetrag von 30 Mio. EUR;

einem Finanzbeitrag der Gemeinschaft von höchstens 10 Mio. EUR;

Sachleistungen der ARTEMIS-Mitgliedstaaten.

Die FuE-Aktivitäten bis zum 31. Dezember 2017 werden aus folgenden Beiträgen finanziert:

einem Finanzbeitrag der Gemeinschaft von 410 Mio. EUR;

Beiträgen der ARTEMIS-Mitgliedstaaten, die den an den FuE-Projekten teilnehmenden FuE-Organisationen unmittelbar ausgezahlt werden;

Sachleistungen der FuE-Einrichtungen.

4.12.1

Der Höchstbeitrag der Kommission bis zum 31. Dezember 2013 beträgt 420 Mio. EUR. Diese Mittel stammen aus dem spezifischen Programm „Zusammenarbeit“ zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung gemäß Artikel 54 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates. Die Mittelbindung für 2008 beträgt 42,5 Mio. EUR.

4.12.2

Diese beträchtliche Investition rechtfertigt sich dadurch, dass die künftigen Ergebnisse von ARTEMIS in den betroffenen Bereichen auch wichtige Bezugspunkte für die gesamte Gemeinschaftspolitik bilden werden, insbesondere die Politikbereiche Umwelt, Verkehr, Energie und Binnenmarkt. Sie werden auf diese Weise einen konkreten Beitrag zur Verwirklichung der Wettbewerbsfähigkeitsziele von Lissabon und der Ziele von Barcelona in Bezug auf die Forschungsausgaben leisten. Die vorgeschlagene Initiative ist Teil einer ehrgeizigen Gemeinschaftsstrategie, die u.a. den Vorschlag der Schaffung eines Europäischen Technologie-Instituts (ETI) umfasst.

4.13   Geistiges Eigentum

ARTEMIS beschließt Regeln für die Weitergabe von Forschungsergebnissen, die gewährleisten, dass Rechte an geistigem Eigentum, die im Zuge der FuE-Tätigkeiten gegebenenfalls entstanden sind, geschützt und die Forschungsergebnisse genutzt und weitergegeben werden können. In Artikel 24 der Verordnung über das gemeinsame Unternehmen wird dieser Grundsatz im Einzelnen ausgeführt.

4.14

Nach Ansicht der Kommission wird die Gründung des gemeinsamen Unternehmens ARTEMIS der Gemeinschaft folgende objektive Vorteile bieten:

Bündelung der nationalen Anstrengungen durch die Verfolgung der auf europäischer Ebene festgelegten gemeinsamen Ziele, was die Schaffung europäischer Forschungsräume im Bereich der eingebetteten IKT-Systeme ermöglichen wird;

größere Flexibilität bei der Mobilisierung von Ressourcen der Mitgliedstaaten;

Hebelwirkung durch den Finanzbeitrag der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten und den Unternehmen;

Effizienz der Programme und Überwindung der Schwachpunkte früherer Initiativen;

wirtschaftliche Effizienz durch Verringerung der Bearbeitungszeit;

verbesserte Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie dank einer beschleunigten Markteinführung der Forschungsergebnisse.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1

Der EWSA befürwort prinzipiell die Strategie der Kommission. Er hält die Ankurbelung der Investitionen in FuE für ein angemessenes Mittel, um den europäischen Unternehmen einen sicheren Bezugsrahmen bereitzustellen, und zwar mithilfe eines neuen Instruments, das es ermöglichen würde, die derzeitige Aufsplitterung der Gemeinschaftsfinanzierung zu überwinden und eine ungleiche Programmverteilung zu verhindern — zwei Faktoren, die eine Bewertung der erzielten Ergebnisse fast unmöglich machten.

5.2

Wie in Ziffer 4.2 bereits erwähnt, gehen die gemeinsamen Technologieinitiativen aus den Arbeiten der europäischen Technologieplattformen hervor. Diese haben ihre Zielvorgabe einer strategischen Neubelebung der Forschung in Europa jedoch nur selten erreicht, insbesondere weil die teilnehmenden Akteure nicht genügend Mitwirkungsmöglichkeiten hatten. Die Schaffung der gemeinsamen Technologieinitiativen beruht also auf der Tatsache, dass die europäischen Technologieplattformen ihrer Rolle, die prinzipiell darin bestand, einen wesentlichen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu leisten, teilweise nicht gerecht wurden.

5.2.1

Der EWSA bedauert jedoch, dass im Kommissionsvorschlag nicht detaillierter auf die zuvor von den europäischen Technologieplattformen durchgeführten Arbeiten eingegangen wird — so wird keine Bilanz gezogen, die Ergebnisse werden nicht angeführt und es wird kein Literaturhinweis gegeben.

5.2.2

Daher befürwortet der EWSA die angekündigte Absicht, jährlich einen Bericht über die von den gemeinsamen Technologieinitiativen erzielten Ergebnisse und Fortschritte vorzulegen.

5.3

Nach Auffassung des EWSA ist das auf einer öffentlich-privaten Partnerschaft beruhende gemeinsame Unternehmen ARTEMIS ein Gewinn für die Schaffung eines europäischen Forschungsraums und stellt einen entscheidenden Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen dar.

5.4

Die künftige Verfügbarkeit zunehmend intelligenter Systeme kann einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung immer sicherer Produkte leisten und gleichzeitig für qualitativ hochwertige Ausbildungen und Qualifikationen sorgen, welche der Schaffung und dem Ausbau von Arbeitsplätzen förderlich sind.

5.5

Der EWSA befürwortet den vorliegenden Vorschlag und möchte zunächst auf die Bedeutung der vorgeschlagenen innovativen Strategie im Bereich Investitionen aufmerksam machen.

5.5.1

So wurden im Bereich der FuE-Programme erstmals nicht nur die Mittel der Gemeinschaft und der durch ARTEMISIA vertretenen Unternehmen — was unüblich ist —, sondern auch Ressourcen aus den verschiedenen teilnehmenden Mitgliedstaaten und FuE-Strukturen in Anspruch genommen.

5.5.2

Im Hinblick auf dieses innovative Instrument, das sich — was die Verwendung der eingeführten Forschungsprodukte betrifft — als komplex erweisen kann, begrüßt der EWSA, dass das geistige Eigentum in Artikel 24 der Verordnung über das gemeinsame Unternehmen Bedeutung erhält und näher präzisiert wird.

5.6

Um die gesteckten Ziele zu erfüllen und das Potenzial dieses neuen Instruments voll auszuschöpfen, hält der EWSA jedoch Folgendes für erforderlich:

eine wirkliche Vereinfachung der Verfahren während der verschiedenen FuE-Aktivitäten von der Auswahl der Maßnahmen bis hin zur Verbreitung der Ergebnisse, indem ARTEMIS die Hauptverantwortung für diese Aufgaben übertragen wird. Die Verwaltungskomplexität sowie die Ungewissheit über die Finanzierung und die institutionellen Ansprechpartner waren einige der Gründe für das Scheitern früherer FuE-Programme;

ein groß angelegtes Informationsprogramm über die Möglichkeiten des Unternehmens ARTEMIS, insbesondere über die Fähigkeit, die angesichts der neuen Finanzierungsformen erforderlichen Ressourcen zu mobilisieren;

die Einführung geeigneter Berufsbildungsprogramme, um über hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu verfügen, die die für ARTEMIS erforderlichen FuE-Kenntnisse mitbringen, welche sich für die industrielle Zukunft der EU als äußerst strategisch erweisen werden. Mit dem Einsatz dieser hochgradig technischen Spitzenqualifikationen, die für die zu schaffenden FuE-Arbeitsplätze notwendig sind, wird darüber hinaus die Abwanderung von Wissenschaftlern gebremst. Gleichzeitig werden diese Qualifikationen eine der Voraussetzungen sein, um die weltweite industrielle Führung der EU in diesen so strategischen Sektoren sicherzustellen.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Eine andere gemeinsame Technologieinitiative bezieht sich auf innovative Arzneimittel. Vgl. hierzu die Stellungnahme INT/363.

(2)  Software Intensive Systems in the Future, INDATE/TNO, 2005.

(3)  Mitteilung der Kommission: „i2010 — Eine europäische Informationsgesellschaft für Wachstum und Beschäftigung“, Europäische Kommission, 2005.

(4)  ABl. L 400 vom 30.12.2006, S.1.

(5)  INT/369.

(6)  INT/363.

(7)  INT/370.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/19


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens zur Umsetzung der Technologieinitiative ‚Clean Sky‘“

KOM(2007) 315 endg. — 2007/0118 (CNS)

(2008/C 44/04)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 11. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 10. Juli 2007 mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 25. Oktober), Herrn DANTIN zum Hauptberichterstatter zu bestellen und verabschiedete mit 97 bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Beschluss zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens „Clean Sky“. Er ist der Auffassung, dass eine Neubelebung der Investitionen in FuE durch eine öffentlich-private Finanzierung geeignet ist, den Unternehmen eine sichere Bezugsgröße zu bieten, die gegenwärtige Aufsplitterung der Gemeinschaftsfinanzierung zu überwinden und die allzu häufig zerstreuten Forschungen zu koordinieren und damit ihre Effizienz zu erhöhen.

1.2

Der Ausschuss begrüßt die Wahl des Sektors, die der Lissabon-Strategie entspricht und es ermöglicht, eine technisch innovative Branche mit einer großen Anzahl an hoch qualifizierten Arbeitskräften zu dynamisieren und zu den dringend notwendigen Fortschritten im Bereich Umweltqualität beizutragen.

1.3

Mit ihrer befürwortenden Stellungnahme zu diesem Vorschlag möchte der Ausschuss die Bedeutung unterstreichen, die die vorgeschlagene Strategie für die Investitionen und die Koordinierung der Forschungstätigkeiten der Union hat. Sie ist davon überzeugt, dass diese Strategie ein starker Antrieb für die Schaffung eines europäischen Forschungsraumes und ein wichtiger Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen in diesem Bereich ist.

1.4

Da jedoch vielfältige Finanzierungen und Beteiligungen und beträchtliche gemeinschaftliche Geldmittel im Spiele sind, wäre es natürlich angebracht, die Verwendung und Zuordnung der Forschungsergebnisse insbesondere im Hinblick auf das geistige Eigentum und die Frage der Patente präziser festzulegen.

1.5

Schließlich hält der Ausschuss für erforderlich:

eine konkrete Vereinfachung der Verfahren, vor allem wegen der negativen Rolle, die die komplizierten Verwaltungsverfahren in den früheren FuE-Programmen gespielt haben; da sich diese Verfahren gerade in der Erarbeitung befinden, wird der Ausschuss besonders darauf achten, dass alle Beteiligten die Möglichkeit erhalten, an der Wahl der Ziele und der Untersuchung der Endergebnisse mitzuwirken;

ein Informationsprogramm, mit dessen Hilfe die erforderlichen Finanzmittel mobilisiert werden können;

ein berufsbildendes Programm, mit dem die Qualifikationen der Beschäftigten mit den Anforderungen der von „Clean Sky“ geschaffenen Arbeitsplätzen in Einklang gebracht werden, um die notwendigen Voraussetzungen für eine Festigung der industriellen Führerschaft auf diesem strategischen Gebiet zu schaffen.

2.   Einleitung

2.1

Mit dem hier behandelten Vorschlag für eine Verordnung soll eine der ersten öffentlich-privaten Forschungspartnerschaften im Bereich FuE ins Leben gerufen werden. Sie legt eine der ersten gemeinsamen Technologieinitiativen (GTI) fest und betrifft den Bereich Luftfahrttechnik und Luftverkehr. Sie soll „Clean Sky“ heißen.

2.2

Die gemeinsamen Technologieinitiativen sollen der Industrie, den Forschungseinrichtungen, den Mitgliedstaaten und der Kommission ganz oder teilweise ermöglichen, ihre Ressourcen für gemeinsam ausgesuchte Forschungsprogramme zu nutzen.

2.3

Entgegen der herkömmlichen Strategie, die Projekte einzelfallbezogen öffentlich zu finanzieren, geht es bei den gemeinsamen Technologieinitiativen um groß angelegte Forschungsprogramme mit gemeinsamen strategischen Forschungszielen. Dieser neue Ansatz dürfte es ermöglichen, eine kritische Masse für Forschung und Innovation in Europa zu schaffen, die wissenschaftliche Gemeinschaft in wichtigen strategischen Bereichen zu festigen und die Finanzierung der Projekte zu harmonisieren, damit die Ergebnisse der Forschung rascher genutzt werden können. Die Technologieinitiativen sind auf bestimmte Bereiche bezogen, in denen die aktuellen Instrumente weder die erforderliche Größenordnung noch Geschwindigkeit besitzen, um Europa an der Spitze der weltweiten Konkurrenz zu halten oder dort zu positionieren. Es handelt sich um Bereiche, in denen eine einzelstaatliche, europäische und privatwirtschaftliche Finanzierung der Forschung zu einem großen Mehrwert führen kann, insbesondere durch Anreize zur Erhöhung der privatwirtschaftlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung.

2.4

Hauptziel der Technologieinitiative im Bereich Luftfahrttechnik und Luftverkehr, die unter dem Namen „Clean Sky“ laufen soll, ist es, so rasch wie möglich saubere Technologien für den Luftverkehr in der EU zu entwickeln, um sie so früh wie möglich einsetzen zu können. Neben der Vorgabe, die Wettbewerbsfähigkeit dieser Branche aufrecht zu erhalten, sollen diese Technologien mittels eines dauerhaften Wirtschaftswachstums zur Verwirklichung der strategischen Prioritäten der EU in den Bereichen Umwelt und Sozialpolitik beitragen.

3.   Hintergrund und allgemeine Überlegungen

3.1

Dieses Programm ist deshalb notwendig und legitim, weil in den nächsten 20 Jahren eine Verdopplung des Luftverkehrs vorauszusehen ist und weil die Schaffung eines umweltverträglichen Verkehrssystems für Passagiere wie für Fracht eine unabdingbare Voraussetzung zur Sicherung des Wirtschaftswachstums und des Ausbaus des Wohlstands in Europa ist.

3.2

Die Wahl der europäischen Größenordnung ist zweckmäßig, da die Maßnahmen der interessierten Parteien in den verschiedenen Mitgliedstaaten nicht die optimale Dimension bezüglich der notwendigen wirtschaftlichen Ressourcen und wissenschaftlichen Beiträge aufweisen.

3.3

Die direkte Beteiligung der Mitgliedstaaten ist ein zentrales Element sowohl für die erforderlichen Finanzierungen als auch für die zahlreichen Entscheidungen, die auf einzelstaatlicher Ebene getroffen werden, seien es die Einladungen, an den Programmen teilzunehmen, oder die ständige Kontrolle über alle Schritte der Programme oder die Evaluierung der Ergebnisse.

3.4

Der Luftfahrtsektor steht in Kürze vor großen Herausforderungen wie etwa seine Umweltfolgen, die seine Entwicklung hemmen könnten.

3.5

Die Verringerung der Auswirkungen des Luftverkehrs auf den Klimawandel und die Lärmminderung sind absolute Prioritäten. Dazu sind in nächster Zeit erhebliche technische Änderungen erforderlich, damit die in den Gemeinschaftsverordnungen vorgesehenen Senkungen umgesetzt werden können (die europäische Technologieplattform für Luftfahrtforschung ACARE hat in ihrem strategischen Forschungsfahrplan das Ziel einer 50 %igen Senkung der CO2-Emissionen, eine 80 %ige Senkung der Stickoxide und eine 50 %ige Lärmverringerung bis zum Jahr 2020 festgelegt).

3.6

Die europäische Luftfahrtindustrie, die europaweit derzeit drei Millionen Beschäftigte hat, ist darüber hinaus wegen staatlicher Investitionen in anderen Regionen der Erde, vor allem in den USA, einem rauen Wettbewerb ausgesetzt; dort sind die Mittel für Forschungen in diesem Sektor um das Dreifache höher als in Europa.

3.7

Ein öffentlicher Beitrag ist auch deshalb sinnvoll, weil ein Merkmal dieses Sektors die langen Amortisierungsfristen sind; dies kann zu Marktstörungen wegen fehlender Investitionen in die FuE der Luftfahrttechnik führen.

3.8

Die Aufnahme von Luftfahrttechnik und Luftverkehr in das „Spezifische Kooperationsprogramm“ (vgl. Ziffer 4.3) ist durch die Absicht gerechtfertigt, Gesundheit und Lebensqualität der gegenwärtigen und künftigen Generationen zu verbessern, die Umweltfolgen der Flugzeuge auf ein Minimum zu reduzieren, die Luftqualität vor Ort zu verbessern, die Lärmbelästigung in der Umgebung von Flughäfen zu verringern und die Verkehrsbedingungen für die Passagiere zu verbessern.

4.   Vorschlag der Kommission

4.1

Der Vorschlag für eine Verordnung zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens „Clean Sky“ (KOM(2007) 315 endg.) ergibt sich aus dem Beschluss Nr. 1982/2006/EG über das 7. Rahmenprogramm, das einen Gemeinschaftsbeitrag zur Gründung von langfristigen öffentlich-privaten Partnerschaften auf europäischer Ebene im Forschungsbereich vorsieht.

4.2

Diese Partnerschaften nehmen die Form von „gemeinsamen Technologieinitiativen“ (GTI) an und gehen aus den Arbeiten der früheren „europäischen Technologieplattformen“ hervor.

4.3

In der Entscheidung 2006/971/EG des Rates über das spezifische Programm „Zusammenarbeit“ wird unterstrichen, dass es notwendig ist, öffentlich-private Partnerschaften einzurichten, und es werden sechs Bereiche ermittelt, in denen die Schaffung gemeinsamer Technologieinitiativen als geeignet erscheint, um die europäische Forschung neu zu beleben. Es handelt sich um folgende Themenbereiche:

Wasserstoff und Brennstoffzellen;

Luftfahrttechnik und Luftverkehr;

innovative Arzneimittel (1);

eingebettete Computersysteme (2);

Nanoelektronik (3);

GMES — globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung.

4.4

Im Rahmen dieser allgemeinen Strategie sieht die Verordnung, die Gegenstand des vorliegenden Kommissionsvorschlags [KOM(2007) 315 endg.] ist, die Durchführung der „gemeinsamen Technologieinitiative“ im Bereich Luftfahrttechnik und Luftverkehr durch die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens namens „Clean Sky“ vor.

4.5

Die Ziele des gemeinsamen Unternehmens „Clean Sky“ sind in Artikel 3 der Satzung im Anhang zu dem vorliegenden Kommissionsvorschlag klar und ausführlich aufgeführt und umfassen einen breit angelegten und anspruchsvollen Tätigkeitsbereich, der in Artikel 3 der Verordnung wie folgt zusammengefasst wird:

Beschleunigung der Entwicklung umweltfreundlicher Luftverkehrstechnologien in der Union mit Blick auf eine frühestmögliche Einsetzbarkeit;

Schaffung einschneidender Neuerungen für das Luftverkehrssystem, die sich auf die Einbeziehung fortschrittlicher Technologien stützen und das Ziel verfolgen, die Umweltauswirkungen des Luftverkehrs zu verringern, indem die Lärm- und Schadstoffemissionen reduziert und die Kraftstoffeffizienz der Luftfahrzeuge verbessert werden.

4.5.1

Damit soll „Clean Sky“ die Integration und Koordination zwischen den verschiedenen Forschungsvorhaben unter Ausnutzung von Größenvorteilen gewährleisten und sich in sechs verschiedenen technischen Bereichen entfalten, den so genannten „Integrierten Technologiedemonstrationssystemen“ (ITD):

das ITD Intelligentes Starrflügelflugzeug;

das ITD Umweltfreundliche Flugzeuge für den regionalen Luftverkehr;

das ITD Umweltfreundliche Drehflügler;

das ITD Nachhaltige und umweltfreundliche Motoren;

das ITD für den umweltfreundlichen Betrieb;

das ITD Öko-Design.

Die technischen Ziele für jede ITD wurden bereits festgelegt.

4.6

Das gemeinsame Unternehmen „Clean Sky“ soll eine internationale Organisation im Sinne von Artikel 22 der Richtlinie 2004/17/EG und Artikel 15 Buchstabe c) der Richtlinie 2004/18/EG sein. Ihr Sitz soll in Brüssel sein und ihre Tätigkeiten enden am 31. Dezember 2017, sofern der Rat keine Verlängerung beschließt.

4.7   Rechtsgrundlage

4.7.1

Der Vorschlag besteht aus einer Verordnung des Rates, dem als Anhang die Satzung des gemeinsamen Unternehmens beigefügt ist. Er beruht auf Artikel 171 des EG-Vertrags. Das gemeinsame Unternehmen wird eine Körperschaft der Gemeinschaft sein. Obwohl seine Haushaltsmittel unter die Bestimmungen von Artikel 185 der Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates fallen, muss den Besonderheiten dieser Initiative Rechnung getragen werden, da es sich um öffentlich-private Partnerschaften handelt, zu denen der private Sektor einen bedeutenden, dem des öffentlichen Sektors wenigstens entsprechenden Beitrag leistet.

4.8   Mitglieder

Die Gründungsmitglieder der gemeinsamen Technologieinitiative „Clean Sky“ sind:

die Europäische Gemeinschaft, vertreten durch die Kommission;

12 Leiter integrierter Technologiedemonstrationssysteme (ITD) und bis zu 74 assoziierte Mitglieder; die Beitrittsregeln für sie liegen im Anhang zu der vorliegenden Verordnung in Artikel 2 der Satzung vor;

jede öffentliche oder private Rechtsperson mit Sitz in einem Mitgliedstaat oder einem mit dem 7. Rahmenprogramm assoziierten Staat kann eine Mitgliedschaft in dem gemeinsamen Unternehmen unter folgenden Voraussetzungen beantragen: — als ITD-Leiter verpflichten sie sich, Beiträge zu entrichten, die ihrem Anteil an den Gesamttätigkeiten der Initiative entsprechen und mit diesen in Einklang stehen; — als assoziierte Mitglieder leisten sie einen anteilmäßigen Beitrag zum Budget des ITD, an dem sie beteiligt sind und mit dessen Anforderungen der Beitrag in Einklang stehen muss.

4.9   Finanzierungsquellen

4.9.1

Die laufenden Kosten des gemeinsamen Unternehmens werden zu gleichen Teilen in bar einerseits von der Europäischen Gemeinschaft, die sich mit 50 % an den Gesamtkosten beteiligt, und andererseits von den Mitgliedern aufgebracht, die die anderen 50 % beisteuern.

4.9.2

Der Höchstbeitrag der Gemeinschaft zum gemeinsamen Unternehmen „Clean Sky“, der die Betriebskosten und die Forschungstätigkeiten abdecken soll, beläuft sich auf 800 Mio. EUR, die aus den Haushaltsmitteln für das Thema „Verkehr“ des spezifischen Programms „Zusammenarbeit“ des 7. Rahmenprogramms gezahlt werden, im Einklang mit Artikel 54 der Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates.

5.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

5.1

Der EWSA befürwortet den Beschluss zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens „Clean Sky“, der sich aus den Bestimmungen zum 7. Rahmenprogramm ergibt. Er hält die Ankurbelung der Investitionen in FuE für ein angemessenes Mittel, um den europäischen Unternehmen einen sicheren Bezugsrahmen bereitzustellen, und zwar mithilfe eines neuen Instruments, das es ermöglicht, die derzeitige Aufsplitterung der Gemeinschaftsfinanzierung zu überwinden und eine ungleiche Programmverteilung zu verhindern, was eine Bewertung der erzielten Ergebnisse fast unmöglich machte.

5.2

Die vorgelegte Initiative steht mit den Politiken und Zielen der Union in Einklang und entspricht den Leitlinien der Strategie von Lissabon, wonach Wissen und Innovation in der Gemeinschaft zu Wachstum und Beschäftigung beitragen. Die Initiative umfasst Maßnahmen zum Gemeinschaftssystem für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen und dürfte substantielle Fortschritte bei der Umsetzung der strategischen Forschungsagenda der Technologieplattform ACARE im Umweltbereich mit sich bringen.

5.3

Das Gemeinschaftsunternehmen „Clean Sky“, das auf einer öffentlich-privaten Partnerschaft beruht, bildet nach Ansicht des Ausschusses ebenso wie die übrigen Technologiedemonstrationssysteme, die aus dem 7. Rahmenprogramm hervorgegangen sind, einen Ankerpunkt für die Schaffung eines europäischen Forschungsraumes und einen entscheidenden Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen.

5.4

Der EWSA nimmt zum vorliegenden Vorschlag befürwortend Stellung, möchte jedoch vor allem auf die Bedeutung der vorgeschlagenen innovativen Strategie für die Union im Bereich Investitionen und Koordinierung der Forschungstätigkeiten aufmerksam machen.

5.5

Angesichts der eingerichteten vielfältigen Finanzierungssysteme und der vorgesehenen erheblichen Gemeinschaftsbeträge hält es der Ausschuss gleichwohl für sinnvoll, die Verwendung und Zuordnung der Forschungsergebnisse genauer zu bestimmen. Die Frage der Patente und des geistigen Eigentums, die in Artikel 20 der Satzung nur als Grundsatzerklärung gestreift wird, verdient eine präzisere und ausdrücklichere Behandlung; andernfalls besteht die Gefahr, dass diese Frage zu einem der heiklen Punkte für die Verwirklichung und Arbeitsweise der ITD „Clean Sky“ wird.

5.6

Um die gesteckten Ziele zu erfüllen und das Potenzial dieses neuen Instruments voll auszuschöpfen, hält der EWSA jedoch Folgendes für erforderlich:

eine wirkliche Vereinfachung der Verfahren während der verschiedenen FuE-Aktivitäten von der Auswahl der Maßnahmen bis hin zur Verbreitung der Ergebnisse, indem „Clean Sky“ die Hauptverantwortung für diese Aufgaben übertragen wird. Die Verwaltungskomplexität sowie die Ungewissheit über die Finanzierung und die institutionellen Ansprechpartner waren einige der Gründe für das Scheitern früherer FuE-Programme;

ein groß angelegtes Informationsprogramm über die Möglichkeiten des Unternehmens „Clean Sky“, insbesondere über die Fähigkeit, die angesichts der neuen Finanzierungsformen erforderlichen Ressourcen zu mobilisieren;

die Einführung geeigneter Berufsbildungsprogramme, um über hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu verfügen, die die für „Clean Sky“ erforderlichen FuE-Kenntnisse mitbringen, die für die industrielle Zukunft der EU hohe strategische Bedeutung haben werden. Mit dem Einsatz dieser hochgradig technischen Spitzenqualifikationen, die für die zu schaffenden FuE-Arbeitsplätze notwendig sind, wird darüber hinaus die Abwanderung von Wissenschaftlern gebremst. Gleichzeitig werden diese Qualifikationen eine der notwendigen Bedingungen sein, um die weltweite Führungsposition der EU in diesen strategischen Sektoren sowohl unter industrie- als auch umweltrelevanten Gesichtspunkten sicherzustellen.

Brüssel, den 25. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  CESE 1184/2007 (INT/363).

(2)  CESE 1185/2007 (INT/364).

(3)  CESE 1199/2007 (INT/370).


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Gründung des gemeinsamen Unternehmens ENIAC“

KOM(2007) 356 endg. — 2007/0122 (CNS)

(2008/C 44/05)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 10. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Am 10. Juli 2007 beauftragte das Ausschusspräsidium die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit der Vorbereitung der Arbeiten.

Aufgrund der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 25. Oktober) Herrn DANTIN zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 106 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt den Beschluss zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens ENIAC (1).

1.1.1

Er ist der Auffassung, dass eine Neubelebung der Investitionen in FuE durch eine öffentlich-private Finanzierung geeignet ist, den Unternehmen eine sichere Bezugsgröße zu bieten, die gegenwärtige Aufsplitterung der Gemeinschaftsfinanzierung zu überwinden und die allzu häufig zerstreuten Forschungen zu koordinieren und damit ihre Effizienz zu erhöhen.

1.2

Der Ausschuss begrüßt die Wahl des Sektors, der wegen seines Entwicklungs- und technischen Innovationspotenzials große Zukunftsaussichten mit hoch qualifizierten Arbeitsplätzen eröffnet, was unmittelbar zur Verwirklichung der Ziele von Lissabon bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit und zu den Zielen von Barcelona bezüglich des Prozentanteils des BIP für die Forschung, aber auch zu anderen Aspekten der Gemeinschaftspolitik wie etwa Umwelt, Verkehr, Energie und Gesundheit beiträgt.

1.3

Mit seiner befürwortenden Stellungnahme zu diesem Vorschlag möchte der Ausschuss die Bedeutung unterstreichen, die die vorgeschlagene Strategie für die Investitionen und die Koordinierung der Forschungstätigkeiten der Union hat. Er ist davon überzeugt, dass diese Strategie ein starker Antrieb für die Schaffung eines europäischen Forschungsraumes und ein wichtiger Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen in diesem Bereich ist.

1.4

Im Hinblick auf dieses innovative Instrument, das sich — was die Verwendung der durch ENIAC eingeführten und zur Produktionsreife gebrachten Forschungsprodukte betrifft — als komplex erweisen kann, begrüßt der EWSA, dass den Bestimmungen über das geistige Eigentum Aufmerksamkeit geschenkt wird.

1.5

Der Ausschuss nimmt ebenfalls mit Befriedigung zur Kenntnis, dass insbesondere auf die Gefahren einer Verlagerung der Nanoelektronik-Produktion in andere Weltregionen geachtet wird. Der Ausschuss unterstützt deshalb die Idee, ein spezifisches sektorales Konzept zu entwickeln.

1.6

Um die Möglichkeiten dieses neuen Konzepts maximal auszunutzen, hält der Ausschuss für erforderlich:

eine konkrete Vereinfachung der Verfahren, vor allem wegen der negativen Rolle, die die komplizierten Verwaltungsverfahren in den früheren FuE-Programmen gespielt haben; da sich diese Verfahren gerade in der Erarbeitung befinden, wird der Ausschuss besonders darauf achten, dass alle Beteiligten die Möglichkeit erhalten, an der Wahl der Ziele und der Untersuchung der Endergebnisse mitzuwirken;

ein Informationsprogramm, mit dessen Hilfe die erforderlichen Finanzmittel mobilisiert werden können;

ein berufsbildendes Programm, mit dem die Qualifikationen der Beschäftigten mit den Anforderungen der von ENIAC geschaffenen Arbeitsplätzen in Einklang gebracht werden, um die notwendigen Voraussetzungen für eine Festigung der industriellen Führerschaft auf diesem strategischen Gebiet zu schaffen.

2.   Einleitung

2.1

Mit dem hier behandelten Vorschlag für eine Verordnung soll eine der ersten öffentlich-privaten Forschungspartnerschaften ins Leben gerufen werden. Er legt eine der ersten gemeinsamen Technologieinitiativen (GTI) fest und betrifft den Bereich der Nanotechnologie. Sie soll ENIAC heißen.

2.2

Die gemeinsamen Technologieinitiativen sollen der Industrie, den Forschungseinrichtungen, den Mitgliedstaaten und der Kommission gestatten, ihre Mittel insgesamt oder teilweise für ausgesuchte Forschungsprogramme einzusetzen.

2.3

Entgegen der herkömmlichen Strategie, die Projekte einzelfallbezogen öffentlich zu finanzieren, geht es bei den gemeinsamen Technologieinitiativen um groß angelegte Forschungsprogramme mit gemeinsamen strategischen Forschungszielen. Dieser neue Ansatz dürfte es ermöglichen, eine kritische Masse für Forschung und Innovation in Europa zu schaffen, die wissenschaftliche Gemeinschaft in wichtigen strategischen Bereichen zu festigen und die Finanzierung der Projekte zu harmonisieren, damit die Ergebnisse der Forschung rascher genutzt werden können. Die Technologieinitiativen sind auf bestimmte Bereiche bezogen, in denen die aktuellen Instrumente weder die erforderliche Größenordnung, noch die nötige Dynamik besitzen, um Europa an der Spitze der weltweiten Konkurrenz zu halten oder dort zu positionieren. Es handelt sich um Bereiche, in denen eine einzelstaatliche, europäische und privatwirtschaftliche Finanzierung der Forschung zu einem großen Mehrwert führen kann, insbesondere durch Anreize zur Erhöhung der privatwirtschaftlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung.

2.4

Hauptziel der Technologieinitiative im Bereich Nanoelektronik, die den Namen ENIAC erhalten soll, ist es, zur Entwicklung wesentlicher Kompetenzen beizutragen, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Gebiet zu stärken. Zu diesem Zweck soll mit dem vorliegenden Vorschlag ein Rechtsrahmen für die Gründung der Technologieinitiative ENIAC geschaffen werden.

3.   Hintergrund und allgemeine Überlegungen

3.1

Die konstante Zunahme an elektronischen Komponenten in den innovativen Produkten der Spitzentechnologien macht die Nanotechnologie zu einem strategischen Sektor für Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum in Europa.

3.2

Die Nanoelektronik-Branche stellt in den verschiedensten Bereichen unerlässliche Ausrüstungsgegenstände für die wichtigsten Wirtschaftszweige her wie etwa Telekommunikation, Konsumgüter, Multimediadienste, Bildungswesen, Verkehr, Gesundheitswesen, Sicherheit und Umwelt.

3.3

Prognosen zufolge dürfte der Marktumfang der Nanoelektronik (der neben den Chipherstellern auch Ausrüstungs- und Materialhersteller umfasst) eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von etwa 15 % aufweisen. Um eine solch hohe Wachstumsrate aufrecht zu erhalten, bedarf es aller erforderlichen Aufmerksamkeit.

3.4

Eine Initiative auf EU-Ebene soll also dafür Sorge tragen, die weltweite Führerschaft in den genannten Branchen mit Hilfe von FuE-Programmen zu erhalten und auszubauen, die gestatten, zum Zwecke einer zunehmend stärkeren Wettbewerbsfähigkeit und der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, die hohe Fachkompetenz und Spitzenqualifikationen erfordern, das dafür notwendige Ziel einer industriellen Nutzung zu erreichen und noch weiter gehende technologische Ziele zu verfolgen.

3.5

Die Entscheidung für ein gemeinsames öffentlich-privates Unternehmen dürfte einen qualitativen Sprung für die FuE des Nanoelektronik-Sektors bedeuten. Denn es ist unerlässlich, die derzeitige Zersplitterung der aktuellen Forschungsprogramme in den einzelnen Mitgliedstaaten zu überwinden, die nicht die kritische Masse erreichen und nicht die Finanzmittel mobilisieren können, die für die geeigneten Programme erforderlich wären.

3.6

Die Wahl der europäischen Größenordnung ist geradezu zwingend, da sie die einzige Dimension ist, in der die Nanotechnologie-Branche den schwierigen Herausforderungen begegnen kann, denen sie sich stellen muss.

3.7

Eine Bekräftigung der gemeinschaftlichen Dimension dürfte darüber hinaus zu einer Vereinfachung der Verwaltung führen, indem die verschiedenen einzelstaatlichen Verfahrensweisen durch eine gemeinschaftliche und einheitliche ersetzt werden und die Fristen bis zum Abschluss eines FuE-Vertrags gegenüber der aktuellen Situation auf Gemeinschaftsebene (siehe EUREKA) verkürzt werden, wobei im Übrigen auch unterschiedliche Evaluierungs- und Kontrollverfahren vermieden werden.

3.8

Die Gründung eines öffentlich-privaten Unternehmens unter direkter Beteiligung der Mitgliedstaaten und der einschlägigen Unternehmen der Branche ist eine Neuerung gegenüber den derzeitigen Beteiligungsverfahren gemäß den FuE-Gemeinschaftsprogrammen. Ferner gestatten die erheblichen Finanzmittel, die von dem Programm auf Gemeinschaftsebene bereit gestellt werden sollen, die Schaffung der kritischen Finanzmasse, die erforderlich ist, um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen, die für das Programm aufgestellt wurden.

3.9

Die Mitwirkung von Mitgliedstaaten und Unternehmen und ihr unmittelbares Engagement in Form von finanziellen Beiträgen in Höhe von mindestens 50 % der Forschungskosten werden als Multiplikatoren wirken und Anreize für neue Finanzierungen und gewichtige Beiträge zum Ausbau des europäischen Forschungsraumes geben.

3.10

Die direkte Beteiligung der Mitgliedstaaten ist unerlässlich, um Investitionen zu mobilisieren, aber auch und vor allem, damit die Entscheidungen weiterhin auf nationaler Ebene getroffen werden, insbesondere die Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen und die ständige direkte Überwachung aller Schritte der Programme.

3.11

Ein weiterer unverzichtbarer Faktor ist die direkte Beteiligung der Industrie, da die Ergebnisse dieses ehrgeizigen FuE-Programms zur Verwirklichung wichtiger Ziele beitragen können, die für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie des Sektors von Belang sind und folglich positive Auswirkungen auf die Beschäftigung in diesem Bereich haben.

4.   Hintergrund

4.1

Bezugpunkt für die Forschungsprogramme ist das siebte Forschungsrahmenprogramm. Ihm liegt die Überzeugung zugrunde, dass eine Ankurbelung der Investitionen in FuE für eine wettbewerbsfähige und dynamische Industrie unerlässlich ist.

4.2

Die Gründung des gemeinsamen Unternehmens ENIAC-GTI trägt unmittelbar zur Verwirklichung der Ziele von Lissabon bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit und des Barcelona-Ziels in Bezug auf die Forschungsausgaben bei. Indirekt wirkt sie sich auch auf andere Gemeinschaftspolitiken wie Umwelt, Verkehr, Energie und Gesundheitswesen aus.

4.3

Der Bezugsrahmen für die Gemeinschaftsmaßnahmen, auf die sich die Initiative ENIAC-GTI gründet, wird insbesondere durch den Aktionsplan für Europa 2005-2009 „Nanowissenschaften und Nanotechnologien“ (KOM(2005) 243 endg.) und die Arbeiten des wissenschaftlichen Ausschusses für aufkommende und neu erkannte Gesundheitsrisiken (SCENHIR) gebildet.

5.   Vorschlag der Kommission

5.1

Der Vorschlag für eine Verordnung über die Gründung des gemeinsamen Unternehmens ENIAC [KOM(2007) 356 endg.] ergibt sich aus dem Beschluss Nr. 1982/2006/EG über das 7. Rahmenprogramm, das einen Gemeinschaftsbeitrag zur Gründung von langfristigen öffentlich-privaten Partnerschaften auf europäischer Ebene im Forschungsbereich vorsieht.

5.2

Diese Partnerschaften nehmen die Form von „gemeinsamen Technologieinitiativen“ (GTI) an und gehen aus den Arbeiten der früheren „europäischen Technologieplattformen“ hervor.

5.3

In der Entscheidung des Rates 2006/971/EG über das spezifische Programm „Zusammenarbeit“ (2) wird unterstrichen, dass es notwendig ist, öffentlich-private Partnerschaften einzurichten, und es werden sechs Bereiche ermittelt, in denen die Schaffung gemeinsamer Technologieinitiativen als geeignet erscheint, die europäische Forschung neu zu beleben. Es handelt sich um folgende Themenbereiche:

Wasserstoff und Brennstoffzellen;

Luftfahrttechnik und Luftverkehr (3);

innovative Arzneimittel (4);

eingebettete Computersysteme (5);

Nanoelektronik;

GMES — globale Umwelt- und Sicherheitsüberwachung.

5.4

Im Rahmen dieser allgemeinen Strategie sieht die Verordnung, die Gegenstand des vorliegenden Kommissionsvorschlags [KOM(2007) 356 endg.] ist, die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens ENIAC im Bereich der Nanoelektronik vor.

5.5

Das gemeinsame Unternehmen ENIAC soll eine internationale Einrichtung mit Rechtspersönlichkeit im Sinne von Artikel 22 der Richtlinie 2004/17/EG und von Artikel 15 Buchstabe c) der Richtlinie 2004/18/EG sein. Sie hat ihren Sitz in Brüssel und ihre Tätigkeiten enden am 31. Dezember 2017, sofern der Rat keine Verlängerung beschließt.

5.6   Rechtsgrundlage

Der Vorschlag besteht aus einer Verordnung des Rates, dem als Anhang die Satzung des gemeinsamen Unternehmens beigefügt ist. Er beruht auf Artikel 171 des EG-Vertrags. Das gemeinsame Unternehmen wird eine Körperschaft der Gemeinschaft. Obwohl seine Haushaltsmittel unter die Bestimmungen von Artikel 185 der Verordnung Nr. 1605/2002 des Rates fallen, muss den Besonderheiten dieser Initiative Rechnung getragen werden, da es sich um öffentlich-private Partnerschaften handelt, zu denen der private Sektor einen bedeutenden, dem des öffentlichen Sektors wenigstens entsprechenden Beitrag leistet.

5.7   Satzung

Die Gründungsmitglieder der gemeinsamen Technologieinitiative ENIAC-GTI sind: die Europäische Gemeinschaft, vertreten durch die Kommission, und AENEAS (eine Vereinigung von Unternehmen und sonstigen FuE-Einrichtungen). In der Satzung werden Organisationen aufgeführt, die Mitglied des gemeinsamen Unternehmens ENIAC werden können, darunter die mit dem siebten Rahmenprogramm assoziierten Länder, die keine EU-Mitgliedstaaten sind, und alle sonstigen Rechtspersonen, die in der Lage sind, einen nennenswerten finanziellen Beitrag zum Erreichen der Ziele des gemeinsamen Unternehmens ENIAC zu leisten.

5.8   Finanzierungsquellen

5.8.1

Die laufenden Kosten des gemeinsamen Unternehmens werden nach Artikel 4 durch folgende Beiträge finanziert:

Beitrag der AENEAS von höchstens 20 Mio. EUR oder höchstens 1 % der Gesamtkosten der Projekte — je nachdem, welcher Betrag höher ist — bis zu einem Höchstbetrag von 30 Mio. EUR;

Finanzbeitrag der Gemeinschaft von höchstens 10 Mio. EUR;

Sachleistungen der ENIAC-Mitgliedstaaten.

Die FuE-Tätigkeiten des gemeinsamen Unternehmens ENIAC im Zeitraum bis zum 31. Dezember 2017 werden aus folgenden Beiträgen finanziert:

Finanzbeitrag der Gemeinschaft von höchstens 440 Mio. EUR zur Finanzierung von Projekten;

Finanzbeiträge der ENIAC-Mitgliedstaaten, die sich insgesamt mindestens auf das 1,8-fache des Gemeinschaftsbeitrags belaufen;

Sachleistungen der an den Projekten beteiligten Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen mindestens in Höhe der öffentlichen Mittel.

5.8.2

Für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2013 beläuft sich der Beitrag der Gemeinschaft zu dem gemeinsamen Unternehmen auf 450 Mio. EUR. Er stammt aus Haushaltsmitteln des spezifischen Programms „Zusammenarbeit“ zur Umsetzung des Siebten Rahmenprogramms für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration gemäß Artikel 54 Absatz 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates.

5.9   Ziele

Nach Aussage der Kommission soll das gemeinsame Unternehmen ENIAC folgende Ziele erreichen:

Definition und Umsetzung einer „Forschungsagenda“ für die Entwicklung der Schlüsselkompetenzen für Nanoelektronik, um die Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit der europäischen Unternehmen zu stärken und das Entstehen neuer Märkte ermöglichen;

Unterstützung bei der Durchführung der FuE-Tätigkeiten, vor allem durch Zuweisung von Mitteln an die Teilnehmer an ausgewählten Projekten;

Förderung einer öffentlich-privaten Partnerschaft, die die auf privater, nationaler und Gemeinschaftsebene unternommenen Anstrengungen mobilisieren und bündeln und die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor intensivieren soll;

Gewährleistung der Effizienz und Nachhaltigkeit der gemeinsamen Technologieinitiative für Nanoelektronik;

Koordinierung und Erzielen von Synergieeffekten in der europäischen FuE; dazu gehört auch die schrittweise Einbindung in das gemeinsame Unternehmen von verbundenen Tätigkeiten, die derzeit im Rahmen zwischenstaatlicher FuE-Initiativen (EUREKA) durchgeführt werden.

6.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

6.1

Der EWSA befürwortet den Beschluss zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens ENIAC und des entsprechenden Vorschlags für eine Verordnung, möchte jedoch vor allem auf die Bedeutung der vorgeschlagenen Strategie für die EU im Bereich Investitionen und Koordinierung der Forschungstätigkeiten aufmerksam machen.

6.2

Wie der Ausschuss bereits in Stellungnahmen zu anderen Verordnungen, die aus der Entscheidung des Rates 2006/971/EG über das „spezifische Programm Zusammenarbeit“ resultieren, bemerkt hat, hält er eine Wiederankurbelung der Forschungsinvestitionen für ein geeignetes Mittel, um den europäischen Unternehmen eine sichere Bezugsgröße zu bieten, die gegenwärtige Aufsplitterung der Gemeinschaftsfinanzierung zu überwinden und eine ungleiche Programmverteilung zu verhindern.

6.3

Die vorgelegte Initiative steht mit den Politiken und Zielen der EU in Einklang und entspricht den Leitlinien der Strategie von Lissabon, wonach Wissen und Innovation in der Gemeinschaft zu Wachstum und Beschäftigung beitragen. Die Nanotechnologie hat in der Tat einen hohen Stellenwert und ist heutzutage der Motor für Innovationen in zahlreichen strategischen Bereichen, die für Entwicklung und Wachstum in der EU entscheidend sind (Mobilkommunikation, Verkehr, Berechnungen, Automatisierung der Produktionsprozesse, Gesundheitswesen usw.). Die Gründung eines gemeinsamen Unternehmens kann ein Instrument dafür sein, dass die EU ihre Fähigkeiten wahrt und weiterentwickelt, Güter zu konzipieren und herzustellen, die ihren hohen Normen bezüglich der Qualität, Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit entsprechen. Diese Gründung ist ein Ankerpunkt für die Schaffung eines europäischen Forschungsraumes und ein entscheidender Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen.

6.4

Der EWSA nimmt erfreut zur Kenntnis, dass im Abschnitt „Folgenabschätzung“ des Vorschlags für eine Verordnung für diese GTI den Gefahren einer Verlagerung der Nanoelektronik-Produktion in andere Weltregionen große Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dieser Punkt ist deshalb so wichtig, weil jene Produktion einen hohen Mehrwert erzeugt, was Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum bedeutet; gleichzeitig werden dabei teilweise die Investitionen amortisiert, die die EU für die Entwicklung des Sektors aufwenden will. Der Ausschuss befürwortet deshalb den Gedanken eines spezifischen sektoralen Konzepts zur Unterstützung dieser Schlüsselindustrie.

6.5

Im Hinblick auf dieses innovative Instrument, das sich — was die Verwendung der durch ENIAC eingeführten und zur Produktionsreife gebrachten Forschungsprodukte betrifft — als komplex erweisen kann, begrüßt der EWSA die Bemühungen um eine Präzisierung der Bestimmungen über das geistige Eigentum in Artikel 23 der Satzung, ferner, dass mit dem in der Verordnung genannten Aktionsplan der Problembereich öffentliche Gesundheit und Sicherheit in gebührender Weise berücksichtigt wird.

6.6

Um die gesteckten Ziele zu erfüllen und das Potenzial dieses neuen Instruments voll auszuschöpfen, hält der EWSA Folgendes für erforderlich:

eine wirkliche Vereinfachung der Verfahren während der verschiedenen FuE-Aktivitäten von der Auswahl der Maßnahmen bis hin zur Verbreitung der Ergebnisse, indem ENIAC die Hauptverantwortung für diese Aufgaben übertragen wird. Die Verwaltungskomplexität sowie die Ungewissheit über die Finanzierung und die institutionellen Ansprechpartner waren einige der Gründe für das Scheitern früherer FuE-Programme;

ein groß angelegtes Informationsprogramm über die Möglichkeiten des Unternehmens ENIAC, insbesondere über die Fähigkeit, die angesichts der neuen Finanzierungsformen erforderlichen Ressourcen zu mobilisieren;

die Einführung geeigneter Berufsbildungsprogramme, um über hoch qualifizierte Arbeitskräfte zu verfügen, die die für ENIAC erforderlichen FuE-Kenntnisse mitbringen, welche sich für die industrielle Zukunft der EU als äußerst strategisch erweisen werden. Mit dem Einsatz dieser hochgradig technischen Spitzenqualifikationen, die für die zu schaffenden FuE-Arbeitsplätze notwendig sind, wird darüber hinaus die Abwanderung von Wissenschaftlern gebremst. Gleichzeitig werden diese Qualifikationen eine der notwendigen Bedingungen sein, um die weltweite industrielle Führung der EU in diesen sowohl industrie- als auch umweltrelevanten strategischen Sektoren sicherzustellen.

Brüssel, den 25. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ENIAC = European Nanoelectronic Initiative Advisory Council.

ENIAC hieß auch der erste Computer, der aus elektronischen Bauteilen zusammengesetzt war (1945-1946).

(2)  ABl. L 400 vom 30.12.2006, S. 1.

(3)  INT/369.

(4)  INT/363.

(5)  INT/364.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/27


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches derselben“

KOM(2007) 303 endg. — 2007/0113 (COD)

(2008/C 44/06)

Der Rat beschloss am 28. Juni 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 4. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 129 gegen 3 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Stellungnahme

1.1

Auf der Grundlage seiner vorherigen Stellungnahmen zum Grünbuch „Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz“ (1) und zur Mitteilung der Kommission zur Umsetzung der Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (2) unterstützt der EWSA die Initiative der Kommission, die Richtlinie 94/47/EG (3) vom 26.10.1994 wie in diesem Vorschlag (4) empfohlen zu überarbeiten, wobei die hier vorgebrachten Anmerkungen und Empfehlungen berücksichtigt werden sollten.

1.2

Was die Ausweitung des Geltungsbereichs der Richtlinie, die Definition und Beschreibung neuer Produkte, die Verschärfung der Informationspflichten vor und bei Vertragsabschluss und die Vereinheitlichung der Widerrufsfrist sowie das grundsätzliche Verbot von Zahlungen aller Art während dieser Frist betrifft, stimmt der Ausschuss im Wesentlichen mit dem Vorschlag der Kommission überein.

1.3

Der Ausschuss schließt sich dem Minimalansatz des Kommissionsvorschlags an, wonach es im Einklang mit den im Vertrag verankerten Grundsätzen den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, hinsichtlich des Verbraucherschutzes über den Vorschlag hinauszugehen. Folgt man der Argumentation der Kommission, wie sie im Grünbuch zur Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz zum Ausdruck kommt, wäre jedoch nach Ansicht des Ausschusses gerade in diesem Bereich eine maximale oder Vollharmonisierung angezeigt, da es sich hier um ein Recht „sui generis“ handelt, bei dem erhebliche nationale Unterschiede in der konzeptionellen Gestaltung und Beschreibung seiner vielfältigen Rechtsnatur bestehen, was in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen zu sehr unterschiedlichen Folgen führt, insbesondere was die Mindest- und Höchstvertragsdauer, die Annullierung bzw. Nichtigkeit des Vertrags und seine Auflösung bzw. Kündigung betrifft.

1.4

Der Ausschuss kann nicht nachvollziehen, wenn die Kommission einerseits einräumt, dass die meisten in diesem Bereich auftretenden Probleme grenzüberschreitender Natur sind und daher aufgrund der unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften durch die einzelnen Mitgliedstaaten nicht in geeigneter Weise gelöst werden können, jedoch letztlich nur einige wenige Aspekte dieser Rechte rechtlich verankert und die Regelung der anderen Fälle einmal mehr dem freien Ermessen der Mitgliedstaaten überlässt, was am derzeitigen Stand der aufgezählten Probleme so gut wie nichts ändert.

1.5

Der EWSA stimmt zwar dem verfolgten Ansatz der „Mindestharmonisierung“ zu, vertritt jedoch in Übereinstimmung mit anderen Gemeinschaftsinstitutionen (5) die Auffassung, dass das Niveau für den Schutz der Verbraucherrechte zu niedrig angesetzt wurde. Die Erfahrung zeigt, dass die allermeisten Mitgliedstaaten die Minimalklausel nicht nutzen, sondern vielmehr die Mindestbestimmungen wörtlich übernehmen (6), womit kein ausreichender Verbraucherschutz erreicht wird. Der Ausschuss ersucht daher die Kommission, im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip in der vorgeschlagenen Richtlinie weitere, ebenfalls wichtige Aspekte zu regeln, um so ein höheres Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten.

1.6

Der EWSA schlägt vor, die fraglichen Rechte und den Inhalt des Hauptvertrags und der ergänzenden Verträge (insbesondere der nicht verbundenen Kreditverträge) in einigen Bestimmungen rechtlich besser zu regeln, damit der Verbraucherschutz gestärkt und in angemessener Weise garantiert wird.

1.7

Der EWSA unterstreicht, wie bereits in früheren Stellungnahmen (7), die Notwendigkeit einer wirksamen Information der Vertragsparteien, insbesondere der weniger gut informierten Verbraucher. Deshalb sollte seiner Ansicht nach nicht von vornherein die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass die Mitgliedstaaten bei schwerer Verletzung der in der Richtlinie vorgesehenen Rechte die entsprechenden Praktiken, die im Kern zu definieren sind, strafrechtlich ahnden, wobei die Strafen angemessen sein und dem Abschreckungscharakter genügen müssen.

1.8

Der EWSA fordert die Kommission auf, die auf das Konsultationspapier  (8) eingegangenen Antworten sorgfältig zu prüfen und dabei insbesondere die Antworten aus den Mitgliedstaaten, die nicht in dem Bericht (9) über die Umsetzung der Richtlinie in 15 Mitgliedstaaten und in der Vergleichsstudie für 25 Mitgliedstaaten (10) untersucht wurden, unter Beachtung der zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede zu berücksichtigen.

1.9

Der EWSA schlägt insbesondere eine Reihe von Änderungen (11) vor und unterbreitet Empfehlungen zur Verbesserung rechtstechnischer Aspekte des Vorschlags und zur Konsolidierung und Harmonisierung von bereits in anderen Richtlinien (insbesondere in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (12)) verwendeten Begriffen, Konzepten und Verfahren. Diese sollten Berücksichtigung finden, um die Sicherheit und das Vertrauen der Verbraucher in diese Art von Verträgen zu stärken, die ja so oft mit aggressiven Marketing- und Vertriebspraktiken einhergehen (13).

2.   Kurze Zusammenfassung des Vorschlags für eine Richtlinie

2.1

Mit diesem Richtlinienvorschlag strebt die Kommission eine Überprüfung der Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien an und knüpft dabei an die Schlussfolgerungen des Rates vom 13.4.2000 zum Bericht über die Umsetzung der Richtlinie (14) und an die Empfehlungen des Europäischen Parlaments in seiner Entschließung vom 4.7.2002 (15) an.

2.2

Die Kommission hatte die Überarbeitung der Richtlinie bereits in der Mitteilung „Verbraucherpolitische Strategie 2002-2006“ (16) angekündigt. Sie ist Teil der Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Verbraucherschutz gemäß dem entsprechenden Grünbuch (17).

2.3

Im Hinblick auf die Ermittlung von Problemen bei der Umsetzung der Richtlinie schätzt die Kommission ein, dass im Zuge der Marktentwicklung in diesem Bereich in großem Umfang neue Produkte eingeführt wurden, die an sich die Nutzung von Ferienunterkünften beinhalten, jedoch nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.

2.4

In dem 1999 von der Kommission vorgelegten Bericht über die Umsetzung der Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (18) wurde bereits auf unzählige Mängel bei der Umsetzung in nationales Recht hingewiesen. Der Rat verabschiedete die Schlussfolgerungen dieses Berichts im April 2000 (19) und formulierte eine Reihe von Punkten, die bei der Überprüfung der Richtlinie berücksichtigt werden sollten.

2.5

Auch in der 2001 vorgelegten Stellungnahme des EP-Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik (20) wurde hervorgehoben, dass in der Richtlinie „das akzeptable Mindestniveau an Verbraucherschutzmaßnahmen“ festgelegt worden war.

2.6

In seiner Entschließung vom 4. Juli 2002 empfahl das Europäische Parlament der Kommission, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen das größtmögliche Schutzniveau gewährleistet werden kann.

2.7

Aus diesen Gründen hält die Kommission die gesonderte Überarbeitung dieser Richtlinie für dringend notwendig und sogar für prioritär, vor allem angesichts „der Probleme der Verbraucher, insbesondere beim Wiederverkauf und bei neuen Produkten“, „die ähnlich vermarktet werden wie die Teilzeitnutzungsrechte, mit denen sie auch wirtschaftlich vergleichbar sind“, „wie Travel Discount Clubs und Wiederverkaufsverträge“.

2.8

In der Begründung des Vorschlags für eine Überprüfung der Richtlinie betont die Kommission insbesondere die Notwendigkeit, die Bestimmungen über die vorvertraglichen und vertraglichen Informationen auf den neuesten Stand zu bringen, das Anzahlungsverbot während der Rücktritts- bzw. Widerrufsfrist zu vereinheitlichen, diese Frist an sich zu harmonisieren und die Möglichkeit von strafrechtlichen Sanktionen zu erwägen.

2.9

Die wichtigsten beteiligten Kreise wurden zwischen 2004 und 2006 in entsprechenden Sitzungen konsultiert.

2.10

Die Kommission hat Beschwerden im Zusammenhang mit Teilzeitnutzungsrechten und insbesondere mit neuen Produkten wie Ferienclubangeboten und bestimmten Verträgen für Ferienunterkünfte (Discountangebote, Tausch und Wiederverkauf) erhalten und veröffentlichte daraufhin ein Konsultationspapier (21). Diese Fragen wurden auch in der Sitzung der Ständigen Arbeitsgruppe der nationalen Sachverständigen zur Überarbeitung des Besitzstandes im März 2006 erörtert.

2.11

Der Vorschlag zur Überarbeitung ist Teil des Programms der Kommission zur Aktualisierung und Vereinfachung des Gemeinschaftsrechts (22).

2.12

Nach Ansicht der Kommission sollte als Rechtsgrundlage für diesen Vorschlag nach wie vor nur Artikel 95 des Vertrags (Verwirklichung des Binnenmarktes) herangezogen werden. Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips will sich die Kommission auch nicht zur Rechtsnatur der Teilzeitnutzungsrechte äußern, womit die unterschiedlichen Auffassungen der Mitgliedstaaten respektiert werden.

2.13

Andererseits legt die Kommission den Schwerpunkt auf die grenzüberschreitenden Aspekte und stellt fest, dass „der überwiegende Teil der Verbraucherbeschwerden […] grenzüberschreitende Probleme [betrifft]“. In dem Vorschlag für eine Richtlinie werden nur bestimmte Aspekte der Teilzeitnutzung behandelt, „die sich als die problematischsten erwiesen haben und daher ein Handeln der Gemeinschaft erfordern“. Alle anderen Fragen und damit auch die Rücktritts- und Kündigungsrechte, selbst wenn sie mit dem Widerrufsrecht im Zusammenhang stehen, werden aus der Richtlinie 94/47/EG herausgenommen und den einzelstaatlichen Rechtsordnungen überlassen.

3.   Wesentliche Bemerkungen zu dem Vorschlag

3.1   Allgemeine Bemerkungen

3.1.1

Der EWSA begrüßt die Initiative der Kommission, bemängelt jedoch, dass sie erst jetzt erfolgt, während die Probleme bereits 1999 festgestellt wurden und man schon vor geraumer Zeit entsprechende Lösungen hätte finden können.

3.1.2

Der Ausschuss verweist zudem darauf, dass er einige der jetzt aufgezeigten Probleme bereits zur Sprache gebracht hat, so in seiner in der Phase der Ausarbeitung der Richtlinie vorgelegten Stellungnahme vom 24. Februar 1993 (23).

3.1.3

Nach Auffassung des EWSA sollte nicht Art. 95, sondern Art. 153 EG-Vertrag als Rechtsgrundlage herangezogen werden, da es sich um einen Bereich handelt, der nicht nur den Binnenmarkt betrifft, sondern auch die Verbraucherschutzpolitik.

3.1.4

Der EWSA begrüßt die Ausweitung des Geltungsbereichs des Richtlinienvorschlags auf bestimmte Formen von beweglichem Eigentum, mit der in angemessener Weise auf die ständige Weiterentwicklung des Marktes reagiert wird.

3.1.5

Der Ausschuss begrüßt die in den Begriffsbestimmungen des Richtlinienvorschlags vorgenommenen Änderungen (24), da sie besser den in diesem Sektor vertriebenen neuen Produkten entsprechen.

3.1.6

Der EWSA begrüßt die Beibehaltung des generellen Anzahlungsverbots, das es dem Verbraucher ermöglicht, sein Widerrufsrecht wirksam und ohne finanziellen Druck auszuüben. Er ist zudem der Ansicht, dass der Bereich der Tausch- und Wiederverkaufsverträge durch die Ausdehnung der Bestimmungen auf Dritte angemessen abgedeckt wird.

3.1.7

Der EWSA begrüßt die Ausdehnung der Bedenkzeit auf 14 Tage, womit die entsprechende Frist vereinheitlicht wird. Es wäre seiner Ansicht nach jedoch besser gewesen, die Frist in Werktagen statt in Kalendertagen zu berechnen, wie er bereits in früheren Stellungnahmen gefordert hat (25). Bekanntlich hat der Rat bei Verabschiedung der Richtlinie 97/7/EG eine Erklärung abgegeben, in der die Kommission aufgefordert wird, die Möglichkeit einer Harmonisierung der Fristberechnungsmethode für die in den Verbraucherschutzrichtlinien vorgesehene Bedenkzeit zu prüfen.

3.1.8

Wie bereits in früheren Stellungnahmen gefordert (26) und unbeschadet der Bestimmungen von Art. 1 Abs. 3 des Richtlinienvorschlags hält es der EWSA für unbedingt erforderlich, dass die Kommission Natur, Mängel und Wirkungen der Rechte auf Widerruf, Rücktritt und Kündigung genauer beschreibt, da sonst die angestrebte Annäherung der Rechtsvorschriften nicht erreicht wird, weil jeder Mitgliedstaat eigene Vorschriften erlässt, was die Entwicklung der grenzüberschreitenden Beziehungen entsprechend beeinträchtigt.

3.1.9

Da die Richtlinie eine Annäherung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über diese Art von Rechten bezweckt, sollte die Kommission nach Ansicht des Ausschusses im Gegensatz zu dem, was sie im 4. Erwägungsgrund aussagt, und ungeachtet der zwischen den Ländern bestehenden Unterschiede noch weiter gehen und die Rechtsnatur (27) dieser Rechte definieren, d.h. ob es sich um dingliche Rechte oder schuldrechtliche Ansprüche handelt. Andernfalls kann der Richtlinienvorschlag nicht zur Lösung der Probleme beitragen, die bei der Festlegung der wesentlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts und — im Falle des dinglichen Rechts — für die logischerweise notwendige Grundbucheintragung aufgetreten sind.

3.1.9.1

Der EWSA ruft die Kommission deshalb dazu auf, eine Definition der Rechtsnatur von Teilzeitnutzungsrechten als dingliches Recht oder als persönliches Schuldverhältnis (d.h. Anspruch auf Erbringung einer Dienstleistung) festzulegen, was unweigerlich Folgen im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Bestimmungen der Brüsseler Verordnung und der Rom-Konvention (Rom I) hat, da sich die angestrebten Ziele der Harmonisierung und des Vertrauens der Verbraucher und Unternehmen ohne eine solche Definition nicht verwirklichen lassen. Zudem hat der EWSA in seiner bereits angeführten Stellungnahme (28) schon einen Beitrag zu dieser Definition geleistet, indem er feststellte, dass „es sich um ein persönliches bzw. dingliches Recht und nicht um ein Mietverhältnis [handelt], denn bei der Miete liegt keine Übertragung vor. Das übertragene Recht erstreckt sich auf einen ungeteilten Teil einer Sache, z.B. eine ungeteilte Wohnung, und hat bzw. kann die Rechtsnatur eines dinglichen Immobiliarrechts haben“.

3.1.10

Unbeschadet der notwendigen rechtlichen Ausgestaltung dieses Rechts, ggf. als Recht „sui generis“, — oder gerade deswegen — begrüßt der EWSA, dass der Richtlinienvorschlag unabhängig davon, ob es sich um bewegliche Güter oder Immobilien handelt, einige zentrale Elemente dieses Rechts nennt und es als Nutzungsrecht für eine Unterkunft (was eine Übernachtung impliziert) gegen ein entsprechendes „Entgelt“ und für eine Mindestdauer von einem Jahr definiert.

3.1.11

Der EWSA ersucht die Kommission trotz allem, neben den in Art. 2 des Vorschlags aufgelisteten Produkten eine Klausel vorzusehen (mit der notwendigen Definition der zentralen Elemente) für mögliche neue Produkte (29), die ggf. später (nach Inkrafttreten der Richtlinie) auf den Markt kommen und für die die in der Definition der neuen Produkte enthaltenen Voraussetzungen nicht erfüllt werden können.

3.1.12

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Möglichkeit, dass der Verbraucher eine Gelderstattung oder Zahlung leisten muss, weil er fristgemäß von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht, eine klare Aushöhlung dieses Rechts darstellt, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass der Verbraucher keine Gründe angeben oder Zahlungen leisten muss. Art. 5 Abs. 5 und 6 sollte daher gestrichen werden.

3.1.13

Der EWSA macht auf den Verweis auf die jüngst verabschiedete Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (30) aufmerksam, den er begrüßt. Er merkt jedoch an, dass in Art. 14 und 15 der genannten Richtlinie keinerlei Verweis auf die hier behandelte Richtlinie enthalten ist und ein solcher Verweis auch in dem entsprechenden Richtlinienvorschlag, der derzeit geprüft wird, nicht vorgesehen ist.

3.1.14

Der EWSA stimmt zwar der Mindestharmonisierung zu, seines Erachtens fällt die vorgeschlagene Richtlinie aber restriktiver aus als die derzeit geltende. Die in dem Vorschlag vorgesehene Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten strengere Verbraucherschutzmaßnahmen ergreifen, erstreckt sich nur auf das Widerrufsrecht (Zeitpunkt, Modalitäten und Ausübung), während sie in Art. 11 (31) der geltenden Richtlinie für einen größeren Bereich vorgesehen ist. Der Ausschuss fordert daher die Kommission auf, diese Bestimmung in ähnlicher Form beizubehalten.

3.1.15

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Kommission ein System wirksamer Strafen vorsehen sollte, nicht nur zur Abschreckung gegenüber Verletzungen der in der Richtlinie vorgesehenen Pflichten, sondern auch aus Gründen der Rechtssicherheit (32). Der EWSA unterstützt die Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten (und nicht die Kommission) innerhalb eines zuvor von der Kommission abgesteckten Rahmens (33) strafrechtliche Sanktionen einführen, die angemessen und im Hinblick auf die Verletzungen, insbesondere auf schwere Verstöße, hinreichend abschreckend wirken.

3.1.16

Der Ausschuss begrüßt die Aufnahme einer Klausel, die die regelmäßige Revision vorsieht und bisher nicht in der Richtlinie enthalten war. Damit soll verhindert werden, dass die Bestimmungen zu früh überholt sind.

3.1.17

Obgleich gegen einige Mitgliedstaaten (34), die konkrete Bestimmungen der Richtlinie nicht richtig umgesetzt haben, Klagen angestrengt wurden, bringt der EWSA seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass die Kommission nicht stärker tätig geworden ist, insbesondere was die Nichteinhaltung der Frist für die Umsetzung in nationales Recht (30.4.1997) betrifft, die nur von zwei Mitgliedstaaten (35) eingehalten wurde. Der Ausschuss fordert daher die Kommission auf, bei der neuen Richtlinie so schwere Verstöße bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts unnachsichtiger zu verfolgen.

3.2   Besondere Bemerkungen

3.2.1

Nach Ansicht des EWSA fällt die in Art. 2 Abs. 1 Buchstabe g) enthaltene Definition, die im Zusammenhang mit Art. 7 steht, zu restriktiv aus, da sich der akzessorische Charakter von Verträgen aus ihrer Komplementarität ergibt. Zu berücksichtigen gilt es eben diese Komplementarität und nicht die Subordination der Verträge, zumal es sich im Rahmen solcher Geschäfte gerade bei den meisten Kreditverträgen um extrinsisch verknüpfte Verträge handelt, die aufgrund ihrer Rechtsnatur rechtlich eigenständige Verträge bleiben und damit nicht unter die vorgeschlagene Definition fallen.

3.2.2

Der EWSA ist nicht mit dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 einverstanden, insbesondere im Hinblick auf das schriftliche Informationsmaterial, das der Verbraucher nur „auf Anfrage“ und „sofern zutreffend“ erhält. Da sich dieser Artikel auf die vorvertragliche Information bezieht, auf deren Grundlage die Willensbildung des Verbrauchers für den Vertragsabschluss erfolgt, sollte eine Pflicht zur Aushändigung dieses Informationsmaterials bestehen. Der Ausschuss ersucht daher die Kommission, in diesem Sinne eine Bestimmung aufzunehmen.

3.2.3

Der EWSA appelliert an die Kommission, Art. 3 Abs. 4 und Art. 4 Abs. 1 sowie Anhang I Buchstabe l), Anhang III Buchstabe f) und Anhang IV Buchstabe d) durch eine Vorschrift zu ersetzen, die weitgehend den Bestimmungen von Art. 4 der derzeit geltenden Richtlinie (36) entspricht, da diese einen besseren Schutz gewährleisten, und zwar nicht nur in Bezug auf die vorgeschriebene Abfassung in der Sprache des Mitgliedstaates des Verbrauchers, sondern auch wegen der Pflicht zur Aushändigung einer beglaubigten Übersetzung des Vertrags in der Sprache des Mitgliedstaates, in dem die Immobilie belegen ist, was insbesondere im Hinblick auf mögliche Grundbuchformalitäten von Bedeutung ist.

3.2.3.1

Der EWSA rechnet nämlich damit, dass die Vertreiber solcher Rechte sonst generell auf Standardverträge zurückgreifen werden, in denen der Verbraucher lediglich erklärt, dass die jeweilige Sprache die von ihm gewählte Vertragssprache ist, ohne dass er diese selbst festlegen oder darüber verhandeln kann, was seinen wirtschaftlichen Interessen schwer schaden könnte.

3.2.4

Der EWSA fordert die Kommission auf, den Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 dahingehend zu ändern, dass die Formulierung „außer die Vertragsparteien vereinbaren ausdrücklich etwas anderes“ gestrichen wird, da es hier um wesentliche Informationen geht, für die die Vertragsfreiheit der Parteien nicht gelten darf. Die Praxis hat gezeigt, dass eine solche Klausel die Vertreiber dazu verleitet, dem Verbraucher einen Standardvertrag vorzulegen, den dieser nur noch abzeichnet.

3.2.4.1

Der EWSA ist auch der Ansicht, dass die Kommission die Umstände, auf die der Gewerbetreibende keinen Einfluss hat und die gemäß Art. 4 Abs. 2 Vertragsänderungen bewirken können, aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit genauer definieren und klassifizieren sollte.

3.2.4.2

Ebenfalls zu Art. 4 ersucht der Ausschuss die Kommission, die Form der Mitteilung dieser Informationen festzulegen, die angemessen, objektiv und klar (37) und in „einer einfach lesbaren Schriftgröße“ (38) übermittelt werden müssen.

3.2.5

Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission die Formulierung „macht der Gewerbetreibende den Verbraucher ausdrücklich auf […] aufmerksam“ in Art. 4 Abs. 3 genauer fassen, da deren rechtliche Bedeutung nicht klar ist.

3.2.6

Da in Art. 5 Abs. 1 zwei verschiedene Stichdaten für den Beginn der Widerrufsfrist festgelegt sind, ersucht der EWSA die Kommission um eine einheitliche Regelung, wonach der Verbraucher das Geschäft auch bei Vorliegen eines verbindlichen Vorvertrags innerhalb von 14 Tagen nach Unterzeichnung des endgültigen Vertrags widerrufen kann, da das Objekt ja in der Zwischenzeit nicht genutzt wurde.

3.2.7

Der EWSA bekräftigt seine in früheren Stellungnahmen vorgebrachte Forderung, die Kommission möge die Form der Benachrichtigung über die Ausübung des Widerrufsrechts so festlegen, dass beide Parteien einen Nachweis über diese Mitteilung haben. Der Wortlaut der derzeit geltenden Richtlinie ist hier angemessener (39).

3.2.8

Nach Einschätzung des EWSA sollte der Titel von Art. 8 durch die Formulierung „Unveräußerlichkeit der Rechte“ ersetzt werden, da die „ratio legis“ nicht in der Unabdingbarkeit der Richtlinie, sondern darin liegt, dass diese Rechte unabhängig vom anzuwendenden Recht nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt werden dürfen.

3.2.9

In Bezug auf Art. 9 des Richtlinienvorschlags (Rechtsbehelfe bei Gericht oder Verwaltungsbehörden) hält der Ausschuss die Bestimmungen von Art. 11 und 12 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (40) für besser geeignet, da sie umfassender und vollständiger sind, und ersucht daher die Kommission, Art. 9 des Richtlinienvorschlags durch ähnlich geartete Bestimmungen zu ersetzen.

3.2.10

Der EWSA macht die Kommission auf den Wortlaut der einzelnen Sprachfassungen ihres Vorschlags aufmerksam, da bestimmte Aspekte einer sorgfältigeren Übersetzung bedürfen (41).

4.   Nicht behandelte Fragen

4.1

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass es neben den bereits angesprochenen Versäumnissen weitere Fragen gibt, die bei der Überarbeitung der Richtlinie nochmals überprüft werden sollten und die in dem Vorschlag nicht behandelt wurden:

Dies gilt insbesondere für folgende Punkte:

a)

Regelung der Beweislast;

b)

Vermeidung der Risiken der Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung des Vertrags;

c)

Aufnahme einer Bestimmung, welche die Verwendung von Verträgen über Teilzeitnutzungsrechte (für Unterkünfte) auf touristisch oder für Freizeitaktivitäten genutzte Gebäude oder Teile davon beschränkt (42), was zu einer Verbesserung der Qualität beitragen und die missbräuchliche Nutzung dieser Verträge im Immobiliensektor vermeiden würde;

d)

Regelung von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren für die Ausübung der entsprechenden Geschäftstätigkeit unter Nachweis der technischen und finanziellen Leistungsfähigkeit;

e)

Festlegung von finanziellen Sicherheiten im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses nach dem Vorbild anderer Gemeinschaftsvorschriften (43) und nicht nur für im Bau befindliche Unterkünfte;

f)

Festlegung der vorherigen Registrierung im Land der Vermarktung und/oder im Sitz-Mitgliedstaat des Gewerbetreibenden (44);

g)

Einrichtung eines Systems der europaweiten Zertifizierung dieser Gewerbetreibenden und parallel dazu Schaffung eines Frühwarnsystems zwischen den Mitgliedstaaten zur Meldung von Verstößen mit Verlust der Zertifizierung und zur Informierung der Verbraucher (45);

h)

Festlegung zusätzlicher Informationspflichten (in den Anhängen) über die freie und unbelastete Übertragung der Rechte, da sonst die Rechte der Verbraucher z.B. im Falle der Zwangsvollstreckung aus einer Hypothek beeinträchtigt würden (46);

i)

Festschreibung (in Anhang II) des Rechts des Verbrauchers auf Besichtigung des Objekts (bei Immobilien), um die Übereinstimmung mit dem Bauprojekt zu überprüfen;

j)

Festschreibung des Schutzes personenbezogener Daten bei Übertragung der Rechte an Dritte.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 256 vom 27.10.2007, Berichterstatter: Herr ADAMS.

(2)  ABl. C 175 vom 27.7.2007, Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ.

(3)  Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien (ABl. L 280 vom 29.10.1994, S. 83). — Stellungnahme des EWSA (veröffentlicht im ABl. C 108 vom 19.4.1993, S. 1).

(4)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches derselben, KOM(2007) 303 endg. vom 7.6.2007.

(5)  Bericht der Kommission von 1999 über die Anwendung der Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (SEK(1999) 1795 endg.) und Bericht des Europäischen Parlaments von 2002 (RR\470922DE.doc, PE 298.410).

(6)  Dänemark, Finnland, Niederlande, Irland, Italien, Luxemburg, Schweden, Deutschland und Österreich.

(7)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zur Umsetzung der Richtlinie 1997/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz“, ABl. C 175 vom 27.7.2007.

(8)  Konsultationspapier zur Überprüfung der Timesharing-Richtlinie:

http://ec.europa.eu/consumers/cons_int/safe_shop/timeshare/consultation_paper010606_en.doc.

(9)  Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.1994 (SEK(1999) 1795 endg.).

(10)  EG-Verbraucherrechtskompendium, Rechtsvergleichende Studie, D. Teilzeitwohnrechterichtlinie (94/47), erstellt von Hans Schulte-Nölke, Andreas Börger und Sandra Fischer.

(11)  Namentlich Änderungen an Art. 2 Abs. 1 Buchstabe g), Art. 3 Abs. 2 und 4, Art. 4 Abs. 1, 2 und 3, Art. 5 Abs. 1, 5 und 6, Art. 8 und Art. 9 sowie Anhang I Buchstabe l), Anhang III Buchstabe f) und Anhang IV Buchstabe d).

(12)  Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149 vom 11.6.2005, S. 22). Stellungnahme des EWSA veröffentlicht in: ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 81.

(13)  Wie sowohl in der Stellungnahme des WSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der Erwerber bei Verträgen über die Nutzung von Immobilien als Teilzeiteigentum“ (Berichterstatter: Herr ATÁIDE FERREIRA, ABl. C 108 vom 19.4.1993, S. 1) als auch in der Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Aktionsplan der Gemeinschaft zur Förderung des Fremdenverkehrs“ (Berichterstatter: Herr CUNHA, Mitberichterstatter: Herr FRANDI (ABl. C 49 vom 24.2.1992) dargestellt wird.

(14)  SEK(1999) 1795 endg.

(15)  Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Beobachtung der Gemeinschaftspolitik im Bereich des Schutzes der Erwerber von Teilnutzungsrechten an Immobilien (Richtlinie 94/47/EG) (doc. P5_TA(2002)0369, ABl. C 271 E vom 12.11.2003, S. 578).

(16)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Verbraucherpolitische Strategie 2002-2006 (KOM(2002) 208 endg., ABl. C 137 vom 8.6.2002, S. 2). Stellungnahme des EWSA veröffentlicht in: ABl. C 95 vom 23.4.2003, S. 1.

(17)  KOM(2006) 744 endg. Stellungnahme des EWSA, ABl. C 256 vom 27.10.2007.

(18)  SEK(1999) 1795 endg.

(19)  Tagung des Rates zu Verbraucherschutzfragen am 13. April 2000 in Luxemburg.

(20)  PE 298.410 RR\470922DE.doc.

(21)  Konsultationspapier zur Überprüfung der Timesharing-Richtlinie:

http://ec.europa.eu/consumers/cons_int/safe_shop/timeshare/consultation_paper010606_en.doc.

(22)  KOM(2006) 629 endg.

(23)  ABl. C 108 vom 19.4.1993, S. 1.

(24)  „Erwerber“ wurde in „Verbraucher“ geändert.

(25)  Abl. C 175 vom 27.7.2007, Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ, zum Thema „Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz“.

(26)  Siehe vorhergehende Fußnote.

(27)  Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Portugals vom 4.3.2004.

(28)  Stellungnahme des EWSA zur Richtlinie 94/47/EG, Berichterstatter: Herr ATAÍDE FERREIRA (ABl. C 108 vom 19.4.1993, S. 1).

(29)  Wie dies z.B. im entsprechenden portugiesischen Gesetz erfolgt (Art. 45 Abs. 3 des D.L 180/99 vom 22.5.1999): „Die im vorstehenden Absatz genannten Rechte an Ferienunterkünften umfassen insbesondere auch Schuldverhältnisse aus Verträgen über Urlaubs-Discountkarten und Ferienklubs, Tourismuskarten und ähnliche Formeln.“

(30)  Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 (ABl. L 149 vom 11.6.2005, S. 22). Stellungnahme des EWSA veröffentlicht in: ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 81.

(31)  Art. 11 der Richtlinie 94/47/EG: „Diese Richtlinie lässt das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, unbeschadet der ihnen aus dem Vertrag erwachsenden Verpflichtungen vorteilhaftere Vorschriften zum Schutz des Erwerbers in dem unter die Richtlinie fallenden Bereich zu erlassen oder beizubehalten“.

(32)  Im Bericht von 1999 über die Umsetzung der Richtlinie 94/47/EG wurde festgestellt, dass bei Verletzung ein und desselben Rechts in verschiedenen Mitgliedstaaten die unterschiedlichsten Strafen verhängt wurden, u.a. Bußgelder, Annullierung des Vertrags, Verlängerung der Bedenkzeit, Verbot der Geschäftstätigkeit und der damit verbotenen Werbung usw.

(33)  ABl. C 256 vom 27.10.2007 und Stellungnahmeentwurf CESE 867/2007 fin (Berichterstatter: in beiden Fällen Herr RETUREAU) über den strafrechtlichen Schutz des geistigen Eigentums und der Umwelt.

(34)  Spanien, Schweden, Luxemburg und Irland.

(35)  Vereinigtes Königreich und Bundesrepublik Deutschland.

(36)  Dort heißt es:

„Die Mitgliedstaaten sehen in ihren Rechtsvorschriften vor: […]

dass der Vertrag und das in Artikel 3 Absatz 1 genannte Schriftstück nach Wahl des Erwerbers in der oder einer zu den Amtssprachen der Gemeinschaft zählenden Sprache des Mitgliedstaats, in dem der Erwerber seinen Wohnsitz hat, oder des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger er ist, abgefasst sein müssen. Der Mitgliedstaat, in dem der Erwerber seinen Wohnsitz hat, kann jedoch vorschreiben, dass der Vertrag auf jeden Fall zumindest in seiner oder seinen zu den Amtsprachen der Gemeinschaft zählenden Sprache(n) abgefasst ist; und

dass der Verkäufer dem Erwerber eine beglaubigte Übersetzung des Vertrages in der oder einer zu den Amtssprachen der Gemeinschaft zählenden Sprache des Mitgliedstaats aushändigen muss, in dem die Immobilie belegen ist.“

(37)  Wie dies z.B. in Art. 8 des portugiesischen Verbraucherschutzgesetzes festgelegt ist.

(38)  Entscheidung des Tribunal da Relação de Lisboa (etwa: Oberlandesgericht Lissabon (AdÜ)) vom 3.5.2001.

(39)  „und so, dass dies […] nachgewiesen werden kann“.

(40)  Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken (ABl. L 149 vom 11.6.2005, S. 22), Stellungnahme des EWSA veröffentlicht in: ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 81.

(41)  So die portugiesische Fassung von: Art. 2 Buchstabe b), die keinen Sinn ergibt; Anhang I, der genau das Gegenteil von dem besagt, was er eigentlich besagen soll; Art. 7 Abs. 1, wo „dissolvido“ aus offensichtlichen rechtstechnischen Gründen sowie wegen der Kohärenz mit der Überschrift dieses Artikels durch „resolvido“ ersetzt werden sollte.

(42)  Bereits angeführte Stellungnahme des EWSA zur Richtlinie 94/47/EG, ABl. C 108 vom 19.4.1993, S. 1.

(43)  Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. L 158 vom 23.6.1990, S. 59; Stellungnahme des EWSA: veröffentlicht in ABl. C 102 vom 24.4.1989, S. 27.

(44)  Bereits angeführte Stellungnahme des EWSA zur Richtlinie 94/47/EG, ABl. C 108 vom 19.4.1993, S. 1.

(45)  Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und. des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen. im Binnenmarkt (ABl. L 376 vom 27.12.2006, S. 36); Stellungnahme des EWSA veröffentlicht in: ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 113.

(46)  Bereits angeführte Stellungnahme des EWSA zur Richtlinie 94/47/EG, ABl. C 108 vom 19.4.1993, S. 1.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/33


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über nichtselbsttätige Waagen“ (kodifizierte Fassung)

KOM(2007) 446 endg. — 2007/0164 (COD)

(2008/C 44/07)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 5. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 153 Ja-Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/33


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Beleuchtungseinrichtungen für das hintere Kennzeichen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern (Kodifizierte Fassung)“

KOM(2007) 451 endg. — 2007/0162 (COD)

(2008/C 44/08)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 5. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 144 Stimmen bei einer Gegenstimme und 7 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Funkentstörung (elektromagnetische Verträglichkeit) von land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschinen (Kodifizierte Fassung)“

KOM(2007) 462 endg. — 2007/0166 (COD)

(2008/C 44/09)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 5. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 153 Stimmen bei einer Gegenstimme und 8 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/34


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Fortschrittsbericht Biokraftstoffe — Bericht über die Fortschritte bei der Verwendung von Biokraftstoffen und anderen erneuerbaren Kraftstoffen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“

KOM(2006) 845 endg.

(2008/C 44/10)

Die Kommission beschloss am 10. Januar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. September 2007 an. Berichterstatter war Herr IOZIA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 142 gegen 13 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Ausschuss schenkt den mit der Energieeffizienz, dem Klimawandel und der Reduzierung der Treibhausgase verbundenen Themen größte Beachtung und stimmt generell den Schlussfolgerungen der Frühjahrstagung des Europäischen Rates vom 8./9. März zu, in denen die drei Pfeiler der europäischen Energiepolitik bekräftigt worden sind:

Sicherstellung der Versorgungssicherheit;

Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Verfügbarkeit von Energie zu erschwinglichen Preisen;

Förderung der Umweltverträglichkeit und Bekämpfung des Klimawandels.

1.2

In dem Fortschrittsbericht Biokraftstoffe stellt die Kommission fest, dass sich ohne verbindliche Ziele kein zufrieden stellender Anteil von Biokraftstoffen erreichen lässt. Da sich das Ziel eines Marktanteils von 5,75 % bis 2010 als nicht realisierbar erwiesen hat, muss zur Erfüllung der Forderungen des Rates ein erreichbares Ziel gesetzt werden — nach Ansicht der Kommission ein Marktanteil von 10 % bis 2020 —, indem von der in Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2003/30/EG vorgesehenen Möglichkeit, der so genannten „Überprüfungsklausel“, Gebrauch gemacht wird. Eigenartigerweise hebt die Kommission die Vorteile auf der Grundlage eines Szenarios mit einem Biokraftstoffanteil von 14 % hervor, während das erklärte Ziel 10 % sind, und zeigt unrealistische Ergebnisse auf, die als eine Art „Verschönerung“ der Mitteilung dienen.

1.3

Es spricht Vieles gegen den Einsatz der Biokraftstoffe der ersten Generation, die nicht ganz den europäischen Zielen entsprechen. Ihre Produktions- und Umweltkosten sind nämlich hoch, außerdem geht den Menschen und Tieren dadurch Getreide als Nahrungsmittel verloren und laut der FAO sind sie für den Anstieg der Getreidepreise auf den Weltmärkten mitverantwortlich.

1.4

Der Einsatz der Biokraftstoffe der ersten Generation birgt daher ethische Probleme in sich wie die Konkurrenz zwischen Nahrungsmittel und Kraftstoff, die die Kommission zu bagatellisieren scheint. Der Ausschuss unterstreicht, dass eine engere Zusammenarbeit mit internationalen Institutionen und Agenturen erforderlich ist, die im Bereich Landwirtschaft und Ernährung tätig sind, z.B. die FAO und das WFP (Welternährungsprogramm).

1.5

Weder in der Mitteilung der Kommission noch in der dazugehörigen Folgenabschätzung sind nennenswerte Hinweise auf Risikofaktoren zu finden.

Was Biodieselkraftstoff anbelangt, so werden insbesondere folgende Probleme betont:

begrenzte Wirtschaftlichkeit,

hohe Kosten (0,4-0,7 EUR/l),

Stabilitätsprobleme (enthält Oxidgruppen) mit entsprechenden Lagerungsproblemen.

Hinsichtlich Bioethanol werden hingegen die nachstehenden Probleme festgestellt:

begrenzte Wirtschaftlichkeit (wenn auch in geringerem Maße als Biodiesel),

erhöhter Wasser- und Düngemittelverbrauch,

nicht für die Beförderung der derzeit für Kraftstoffe auf Erdölbasis verwendeten Pipelines geeignet (Korrosionsgefahr).

1.6

Der Ausschuss betont, dass neben den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen auch die mit der Entwicklung der Biokraftstoffe verbundenen technischen Probleme sorgfältig geprüft werden müssen. Insbesondere stellt sich die Frage der Ergiebigkeit der für die Gewinnung von Biokraftstoffen verwendeten Rohstoffe: aus einer Tonne Zuckerrüben lassen sich ca. 400 Liter Bioethanol gewinnen (ca. 1 500 Mcal). Dieses Verhältnis erscheint wenig vorteilhaft und die Effizienz ist gering, wenn man die für die Umwandlung der Biomasse in Biokraftstoff erforderliche Energie betrachtet. Es wäre erheblich sinnvoller, die Biomasse direkt für die Erzeugung elektrischer Energie oder von Heizwärme bzw. im Seeverkehr und im ÖPNV einzusetzen.

1.7

Der Ausschuss betont, dass aus streng ökologischer Sicht den mit der Abholzung und der Lagerung der Rohstoffe verbundenen Risiken Rechnung getragen werden muss. Den damit einhergehenden biologischen und biochemischen Risiken muss entschieden und gewissenhaft entgegengewirkt werden.

1.8

Darüber hinaus wirft der Ausschuss die Frage der „wissenschaftlichen Ethik“ auf. Der Planet Erde ist ein offenes System, das sich unaufhaltsam auf einen Gleichgewichtszustand zubewegt, der zugleich sein Ende bedeuten wird. Es ist Aufgabe der Wissenschaft, diesen Niedergang aufzuhalten, und Sache der Politik, die diesbezüglichen Aktivitäten und Studien zu fördern.

1.9

Der Ausschuss empfiehlt, eine Analyse im Bereich der Verbrennungschemie durchzuführen, um zu prüfen, ob bei Verbrennungsvorgängen, an denen andere Moleküle als Kohlenwasserstoff beteiligt sind, freie Radikale entstehen oder freigesetzt werden, die für den oxidativen Stress verantwortlich sind, der als pathologische Vorstufe zu schwereren Erkrankungen gilt. Diese Empfehlung ist deswegen gerechtfertigt, weil nur wenige einschlägige Daten vorliegen.

1.10

Der Ausschuss hält es für unerlässlich, besonderes Augenmerk auf die Pflege und den Schutz der Böden zu richten. Sie müssen geschützt werden, weil sie unser Überleben sichern. Der immer stärker absinkende Grundwasserspiegel und die fortschreitende Verschlechterung der Grundwasserqualität sind auf unvernünftige Flächennutzungsstrategien zurückzuführen, die zu Bodenverarmung führen. Es muss für einen Fruchtwechsel gesorgt werden, um die Revitalisierung der Böden zu fördern.

1.11

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission und allen europäischen Institutionen, besonders auf das Problem des Wasserbedarfs für die Biokraftstoffherstellung zu achten. Unter den zahlreichen negativen Folgen des Klimawandels kann der Rückgang der Wasserressourcen dramatische Ausmaße annehmen, vor allem in einigen Regionen. Den Berechnungen neuester Studien des Internationalen Wasserwirtschaftsinstituts (International Water Management Institute — IWMI) zufolge werden je nach Produktart und Produktionsgebiet für die Herstellung von einem Liter Biokraftstoff mindestens 1 000 und bis zu 4 000 Liter Wasser benötigt.

1.12

Ungeachtet dieser Probleme, die durch die Ergreifung von Maßnahmen zur Überwachung und Zertifizierung der Verfahren zur Herstellung von Biokraftstoffen abgemildert werden könnten, eventuell mit Hilfe von Systemen zur Rückverfolgbarkeit der Produkte, ist der Ausschuss der Auffassung, dass Forschung und Entwicklung im Bereich der Biokraftstoffe der zweiten und auch der dritten Generation, wie Biobutanol, weiter vorangetrieben werden müssen. Der niedrige Dampfdruck des Biobutanols und seine hohe Toleranz gegenüber Wasserverunreinigungen in Ottokraftstoffgemischen ermöglichen seinen Einsatz in bestehenden Kraftstoffliefer- und -vertriebskanälen. Biobutanol kann Benzin in höheren Konzentrationen als bisherige Biokraftstoffe beigemischt werden, ohne dass die Fahrzeuge nachgerüstet werden müssen. Darüber hinaus bietet es einen günstigeren Kraftstoffverbrauch als Benzin-Ethanol-Gemische und verbessert so die Energieeffizienz und den Kraftstoffverbrauch pro Liter. Dank der Nutzung von Abfällen und biochemischen Prozessen, um die natürlichen Verfahren zum Zelluloseabbau zu fördern, die komplex und kostenintensiv sind, sind die Kraftstoffe der neuen Generation energieeffizient und umweltfreundlich.

1.13

Der Ausschuss prüft auch die Möglichkeiten, die die Entwicklung der Biokraftstoffe der europäischen Wirtschaft bieten könnte, indem sie zur Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Agenda beiträgt. Zwar ist dieser Maßnahmenbereich ausdrücklich im 7. Rahmenprogramm vorgesehen, doch sollte für ein besseres Zusammenspiel der verschiedenen betroffenen Akteure gesorgt werden: Landwirte, Verarbeitungsindustrie, aber auch Umwelt- und Landschaftsschutzorganisationen und Arbeitnehmerverbände, die immer größeres Interesse daran zeigen, die Fragen der nachhaltigen Entwicklung mit immer fortschrittlicheren Modellen der sozialen Verantwortung von Unternehmen zu verbinden.

1.14

Die Möglichkeiten, die die Landwirtschaft in der Entwicklung der Biokraftstoffe sieht, müssen gefördert werden, vorausgesetzt die Landwirte setzen sich dafür ein, unsere Naturschätze zu schützen und unsere gemeinsamen Ressourcen wie das Wasser und die Nahrungsmittel für Mensch und Tier zu schonen. Es ist Aufgabe der Landwirtschaftsverbände, für die Verbreitung der von der internationalen Gemeinschaft für die Produktion von und den Handel mit Biokraftstoff aufgestellten Regeln in der Landwirtschaft zu sorgen. Die Verbreitung der Praktiken der Zertifizierung und der Rückverfolgbarkeit sowie die Konformitätskontrolle sind Themen, bei denen ein entscheidender Beitrag von den verschiedenen Landwirtschaftsorganisationen erwartet wird, sowohl auf europäischer als auch auf einzelstaatlicher und lokaler Ebene. Der Ausschuss ist bereit, in dieser Frage und anderen mit der Energieeffizienz, der Reduzierung der Treibhausgase und dem Klimawandel zusammenhängenden Fragen mit den nationalen WSR zusammenzuarbeiten: Letztere haben bereits mehrfach starkes Interesse gezeigt und sind aktiv an der Erarbeitung einiger EWSA-Stellungnahmen beteiligt.

1.15

Was die steuerliche Behandlung anbelangt, insbesondere die Verbrauchsteuern für Biokraftstoffe und die Vergünstigungen, die den Landwirten, der Autoindustrie zur Finanzierung der erforderlichen Forschungsarbeiten, den Verbrauchern für die bei nicht für Biokraftstoff ausgelegten Fahrzeugen notwendigen Umbaumaßnahmen und den Biokraftstofferzeugern selbst gewährt werden, so liegt auf der Hand, dass die Liste der Kandidaten für staatliche Förderung endlos ist. In Deutschland, wo vor kurzem die Steuervergünstigungen deutlich reduziert worden sind, ist es zu einem sofortigen Rückgang des Verbrauchs und ebenso prompten Protesten seitens der Industrie gekommen. Für die Tätigung von Investitionen sind Sicherheit und Stabilität vonnöten, im Biokraftstoffbereich gibt es aber noch so gut wie keine Märkte. Es bleibt jedoch eine Tatsache, dass etwaige Fördermaßnahmen keine Wettbewerbsverzerrungen bewirken dürfen.

1.16

Der Verkehrssektor unterliegt nicht dem Emissionshandelssystem. Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, die Möglichkeit zu prüfen, das System der Emissionszertifikate auf diesen Sektor auszudehnen, da sie einen weiteren Anreiz dafür bieten können, die Suche nach neuen Lösungen zur Reduzierung schädlicher Emissionen effizienter zu gestalten. In einer auf Ersuchen von Vizepräsident Jacques Barrot erarbeiteten einschlägigen Sondierungsstellungnahme will der Ausschuss eine Arbeitshypothese aufstellen.

1.17

Der Ausschuss stimmt der Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Strategie für Biomasse und Biokraftstoffe zu. Darin fordert das Parlament die Kommission auf, eine obligatorische und umfassende Zertifizierung einzuführen, die eine in allen Phasen nachhaltige Erzeugung von Biokraftstoffen erlaubt, und die Entwicklung und den Einsatz des GMES-Systems der globalen Umwelt- und Sicherheitsüberwachung zur Überwachung der Flächennutzung für die Erzeugung von Bioethanol zu unterstützen, um die Vernichtung der Regenwälder und andere negative Umweltfolgen zu verhindern.

1.18

In Anbetracht der in dieser Stellungnahme beschriebenen Probleme legt der Ausschuss der Kommission dringend nahe, das 10 %-Ziel immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und sich nicht zu scheuen, Vorschläge zu seiner Anpassung zu unterbreiten, wenn die Probleme nicht auf zufriedenstellende, nachhaltige Weise gelöst werden können.

2.   Mitteilung der Kommission

2.1

In der Einleitung zu ihrem „Fortschrittsbericht Biokraftstoffe“ unterstreicht die Kommission, dass für den Zeitraum 2005 bis 2020 allein im Verkehrssektor ein Anstieg der jährlichen Treibhausgasemissionen (in diesem Fall ausschließlich CO2) um 77 Mio. Tonnen pro Jahr prognostiziert wird, d.h. sie machen mehr als 60 % des auf 126 Mio. Tonnen pro Jahr geschätzten Gesamtanstiegs der Emissionen aus.

2.2

Als ein weiterer kritischer Faktor wird die nahezu völlige Abhängigkeit des Verkehrssektors von Erdöleinfuhren hervorgehoben. Öl ist die Energiequelle, bei der in puncto Versorgungssicherheit das Risiko am größten ist. Durch einen deutlich höheren Einsatz von Biokraftstoffen dürfte sich diese Abhängigkeit verringern.

2.3

Die Vorteile der Entwicklung der Biokraftstoffe hinsichtlich der Verringerung der Treibhausgase gehen verloren, wenn beispielsweise bereits bestehende Kulturen umgestellt oder für den Anbau Flächen mit einer besonders reichen Artenvielfalt wie Regenwälder genutzt werden.

2.4

Im Jahr 2001 betrug der Marktanteil der Biokraftstoffe lediglich 0,3 % und nur 5 Mitgliedstaaten verfügten über Erfahrungen mit der Nutzung von Biokraftstoffen. In der Richtlinie 2003/30/EG werden diesbezüglich keine Auflagen gemacht, doch wird das Ziel vorgegeben, bis 2010 einen Marktanteil von 5,75 % aller Otto- und Dieselkraftstoffe zu erreichen, und das Zwischenziel eines Marktanteils von 2 % bis 2005 aufgestellt.

2.5

In der besagten Richtlinie wird der Kommission in einer entsprechenden Überprüfungsklausel (Artikel 4 Absatz 2) die Möglichkeit eingeräumt, im Falle einer starken und ungerechtfertigten Abweichung von der Zielvorgabe von 2 % einen Vorschlag mit verbindlichen einzelstaatlichen Zielen zu unterbreiten.

2.6

Die Gemeinsame Agrarpolitik spielt eine wesentliche Rolle, insbesondere seit der Reform von 2003, die dank der Entkoppelung der Zahlungen an Landwirte von den angebauten Kulturen eine Umstellung stillgelegter Flächen auf Non-Food-Pflanzen ermöglichte, die häufig der Erzeugung von Biokraftstoffen dienen.

2.7

Neben Maßnahmen zur Förderung der Holzenergie und den im Rahmen der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums vorgesehenen Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien wird im Jahr 2007 eine Prämie für so genannte „Energiepflanzen“ vergeben (1).

2.8

Zwar wurden beim Einsatz von Biokraftstoff erhebliche Fortschritte erzielt, doch haben lediglich zwei Länder die Zielvorgaben erfüllt, woraus sich ein Gesamtergebnis von 1 % im Jahr 2005 mit einem Marktanteil von jeweils 1,6 % und 0,4 % bei Biodiesel und Bioethanol ergibt. Auf dieser Grundlage gelangt die Kommission zu dem Schluss, dass das Ziel von 5,75 % bis 2010 nicht erreicht werden wird.

2.9

Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich konkrete Ergebnisse entweder durch Steueranreize ohne mengenmäßige Beschränkung erreichen lassen oder dadurch, dass den Lieferanten die Verpflichtung auferlegt wird, einen bestimmten Prozentsatz von Biokraftstoffen zu vermarkten. Die Kommission hält die Verpflichtungen für die wirkungsvollste Lösung.

2.10

Die Kommission erklärt in ihrer Mitteilung Folgendes: „Es bedarf dringend eines klaren Signals seitens der Union, dass sie fest entschlossen ist, ihre Abhängigkeit vom Öl im Verkehrsbereich zu reduzieren.“ Sie sieht die Nutzung der Biokraftstoffe als einzig gangbaren Weg; sie sind eine Absicherung gegen hohe Ölpreise.

2.11

Dieses Signal muss die Form rechtsverbindlicher Zielvorgaben annehmen, damit in glaubhafter Weise Druck auf die Erdölerzeuger ausgeübt wird, die allein im Verkehrssektor auf dem EU-Markt 300 Mio. Tonnen absetzen.

2.12

Die Strategie, in den 27 Mitgliedstaaten die gemeinsame Forschung und die technologische Entwicklung zu fördern, hat die größten Aussichten auf Erfolg. Ein Marktanteil von 10 % bis 2020 ist ein realistisches Ziel.

2.13

Ein sicherer Rechtsrahmen mit geringerem administrativem Aufwand, der Zwischenziele — beispielsweise für 2015 — vorgibt, ist erforderlich, damit die Kraftfahrzeughersteller ihre Konstruktionsprozesse anpassen können.

2.14

Bei der Analyse der wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen werden verschiedene Szenarien aufgestellt, die einerseits von der Entwicklung der Ölpreise, den Einfuhren und der Wettbewerbsfähigkeit der Agrarpreise abhängen und andererseits von der Entwicklung neuer Technologien, dank derer die Biokraftstoffe der „zweiten Generation“ gefördert werden könnten, die zu einer Senkung der Umweltkosten beitragen würden.

2.15

Hinsichtlich der Kosten dürfte ein hypothetischer Anstieg in der Biokraftstoffnutzung auf 14 % bei einem Ölpreis von 48 USD pro Barrel zu einem zusätzlichen Kostenaufwand von 11,7 bis 17,2 Mrd. EUR im Jahr 2020 führen; bei einem Ölpreis von 70 USD pro Barrel beliefen sich die Kosten auf 5,2 bis 11,4 Mrd. EUR. Die Neutralitätsschwelle für Biodiesel und Bioethanol liegt bei 69 bis 76 EUR bzw. 63 bis 85 EUR pro Barrel (Anm. d. Verf.: 92,76-102,18 und 84,76-114,28 USD/Barrel, Wechselkurs vom 25.5.2007 von 1,3444 USD für 1 EUR).

2.16

Die Reduzierung der Kosten für die Lagerung von Vorräten bringt bei einem Szenario von 14 % bis 2020 Einsparungen von bis zu 1 Mrd. EUR (Anm. d. Verf.: bei einem Szenario von 10 % 720 Mio.). Neben der angestrebten Vermarktung von Biokraftstoffen der zweiten Generation stellt ein Mix aus Versorgungsquellen in Drittländern und in EU-Mitgliedstaaten die beste Lösung dar.

2.17

Das vorgenannte Szenario hätte positive Auswirkungen auf die Beschäftigung (im Falle einer vorwiegend heimischen Produktion des Bioethanols würden 144 000 neue Arbeitsplätze geschaffen (Anm. d. Verf.: 100 000 Arbeitsplätze bei einem Szenario von 10 %) und das BIP der EU (Anstieg um 0,23 %). Durch den positiven Effekt der Forschungsergebnisse, insbesondere im Bereich der Biokraftstoffe der zweiten Generation, könnte schließlich bei erneuerbaren Energien eine Wettbewerbsfähigkeit auf hohem Niveau gesichert werden.

2.18

Auf der Basis der „Well-to-wheel“-Berechnungsmethode geht die Kommission davon aus, dass dank der heute verwendeten besseren und wirtschaftlich rentableren Techniken die Treibhausgasemissionen um etwa 35 bis 50 % zurückgehen werden. Die Gewinnung von Ethanol aus Zuckerrohr in Brasilien ermöglicht eine Verringerung dieser Emissionen um 90 %. Die Biodieselproduktion aus Palmöl und Soja bringt Treibhausgaseinsparungen von 50 bzw. 30 %. Die Biokraftstoffproduktion der zweiten Generation dürfte Einsparungen von 90 % bringen. Dem 14 %-Szenario zufolge dürfte die Treibhausgasreduzierung etwa 101 bis 103 Mio. Tonnen CO2eq ausmachen (Anm. d. Verf.: 71-75 Mio. Tonnen CO2eq bei einem Szenario von 10 %).

2.19

Was die ökologischen Auswirkungen anbelangt, wird in der Mitteilung davon ausgegangen, dass ein Biokraftstoffanteil von 14 % beherrschbar ist, sofern für den Anbau keine unangemessenen Flächen wie etwa Regenwald oder Habitate mit hohem Naturwert genutzt werden.

2.20

Die Kommission schließt ihren Bericht mit der Feststellung, dass die Entwicklung der Biokraftstoffe erhebliche Vorteile in Bezug auf die Treibhausgasemissionen und eine höhere Versorgungssicherheit bringen wird. Mit Hilfe einer gezielten Anreiz-/Förderpolitik dürfte dem Risiko der Umwandlung von Flächen mit großer biologischer Vielfalt oder der Anwendung ungeeigneter Systeme für die Herstellung von Biokraftstoffen begegnet und die Entwicklung der Biokraftstoffe der zweiten Generation gefördert werden können.

2.21

Zur Verwirklichung der vorgesehenen Ziele muss Folgendes geschehen:

Überarbeitung der Dieselnorm (EN590) und voraussichtlich der Benzinnorm (EN228), um die Möglichkeit der Beimischung von Biokraftstoff zu fossilen Kraftstoffen zu verbessern;

Durchführung (preiswerter) Anpassungen bei Neufahrzeugen;

Entwicklung der BtL-Technik (Biomass to liquid — Umwandlung von Biomasse in flüssige Biokraftstoffe);

Einführung des Holz- und Rapsanbaus;

kontinuierliche Überwachung der Umweltauswirkungen.

2.22

Schließlich schlägt die Kommission vor, die Biokraftstoffrichtlinie zu überarbeiten, die Mindeststandards für den Biokraftstoffanteil im Jahr 2020 auf 10 % festzusetzen und die Verwendung umweltverträglicher Biokraftstoffe mit einer guten Wirkungsbilanz sicherzustellen.

3.   Biokraftstoffe — einige technische Details

3.1

Die Herstellung von Biodiesel erfolgt durch die Pressung ölhaltiger Raps-, Soja- und Sonnenblumensamen und eine chemische Reaktion, die so genannte Umesterung, bei der die ursprünglichen alkoholischen Bestandteile (Glycerin) durch Methylalkohol (Methanol) substituiert werden. Bioethanol ist ein Alkohol (Ethanol oder Ethylalkohol), der durch die Gärung verschiedener Agrarprodukte mit hohem Kohlenhydrat- und Zuckergehalt wie Getreide (Mais, Hirse, Weizen, Gerste), zuckerhaltige Pflanzen (Mangold und Zuckerrohr), Obst, Kartoffeln und Trester gewonnen wird. Auch durch die chemische Synthese von Molekülen biologischen und fossilen Ursprungs gewonnene Erzeugnisse fallen in die Kategorie Biokraftstoffe. Das wichtigste Beispiel hierfür ist Ethyltertiärbutylether (ETBE), der durch eine Reaktion von Bioethanol und Isobuten entsteht.

3.2

Ethanol besitzt hervorragende Kraftstoffeigenschaften: es hat eine hohe Oktanzahl und kann ohne größere bauliche Veränderungen am Motor anderen Kraftstoffen beigemischt werden (E5, E10), während bei einem höheren Ethanolanteil (E85) speziell dafür ausgelegte Motoren erforderlich sind.

3.3

Die größten Risiken treten bei der Beimischung von Ethanol zu Benzin auf. Schon ein geringer Ethanolanteil lässt die Dampfspannung (ca. 10 kPa) und somit die Verdunstungsemissionen deutlich ansteigen. Aufgrund der Affinität von Ethanol zu Wasser kann die Qualität des Endprodukts beeinträchtigt werden. Eine Vermischung von herkömmlichem, aus Kohlenwasserstoff gewonnenem Benzin und ethanolhaltigem Benzin ist zu vermeiden. Bei ethanolhaltigem Benzin sollte auf eine gesonderte Logistik- und Lieferkette zurückgegriffen werden.

3.4

Biodiesel kann im Gemisch mit Dieselkraftstoff bei Dieselmotoren eingesetzt werden. In den europäischen Ländern wird es in einem Verhältnis von bis zu 5 % (B5) Diesel in handelsüblicher Qualität zugesetzt und die Mischung bringt keinerlei Kompatibilitätsprobleme. Dieselkraftstoff mit einem hohen Biodieselanteil (über 8-10 %) kann bei Fahrzeugen mit Dichtungen aus nicht geeigneten Kunststoffen zu Problemen führen. Die größten Probleme treten bei den Ruß- und Feinstaubfiltern auf, die umfangreichen und kostspieligen Umbaumaßnahmen unterzogen werden müssten. Aus diesem Grunde haben einige Fahrzeughersteller bereits die Fahrzeugeigenschaften angepasst und andere die Fahrzeuggarantie auf B5-Mischungen beschränkt. Da Biodiesel hygroskopisch ist, sich wie ein Lösungsmittel verhält und eine geringe Lagerungsstabilität aufweist, können bei Mischungen mit hohem Biodieselanteil besondere Vorsichtsmaßnahmen bei Fahrzeug und Vertriebssystem erforderlich sein.

3.5

Die Kommission trägt schlagkräftige Argumente für die Notwendigkeit vor, sich entschlossener für die Entwicklung der Biokraftstoffe einzusetzen. Realistischerweise zieht sie nicht die Möglichkeit in Betracht, dass die derzeitige Benzinproduktion (weltweit 1,2 Mrd. Tonnen 2004) durch Biobrennstoffe (46 Mio. Tonnen 2005, davon 3 Mio. in der EU, wie aus der nachstehenden Tabelle hervorgeht) ersetzt werden könnte, sondern verfolgt das Ziel, innerhalb von wenig mehr als 13 Jahren im Wege einer Richtlinie und der Festlegung von Zielen für die einzelnen Mitgliedstaaten einen Biokraftstoffanteil an den heutigen Kraftstoffen von mindestens 10 % zu erreichen.

2005

Mio. Liter

USA

16 130

Brasilien

15 990

China

3 800

Indien

1 700

Europäische Union

2 900

Sonstige

5 480

3.6

Wasserstoff, der bereits von einigen europäischen Fahrzeugherstellern zumindest versuchsweise als Energieträger eingesetzt wird, wird noch immer meistens unter hohem Energieaufwand durch Elektrolyse gewonnen — vor allem wird hier unter dem vorwiegenden Einsatz fossiler Brennstoffe erzeugte elektrische Energie verwendet — oder aus Erdgas oder anderen fossilen Brennstoffen isoliert. Hier kommt es zu keiner Verringerung der Treibhausgasemissionen. Zwar wurden in der Forschung im Bereich der Gewinnung von Wasserstoff aus Biomasse — auch auf biotechnologischem Wege — oder aus erneuerbaren Energien Fortschritte erzielt, doch hängt die Möglichkeit, wasserstoffbetriebene Fahrzeuge zu vertreiben und zu vermarkten auch von den hohen Kosten für die Anschaffung der Brennstoffzellen ab. Damit sich der Wasserstoff zu einer wirtschaftlich tragbaren alternativen Energie entwickelt, müssen aber die Herstellungskosten gesenkt werden. Ein derzeit an der University of New South Wales durchgeführtes Forschungsprojekt hofft, dieses Ziel dank des Einsatzes besonderer Sonnenkollektoren mit einer Titanoxidkeramik-Beschichtung erreichen zu können. Titan ist im Bereich Solarwasserstoff weit verbreitet: es besitzt die richtigen Halbleitereigenschaften und ist wasserbeständig. Ohne entsprechende Aufbereitung ist es allerdings in natürlichem Zustand noch nicht effizient genug.

4.   Allgemeine Bemerkungen

Einige Schwachstellen

4.1

Die Kommission legt zwar die möglichen Vorteile dar, lässt aber die mit der Entwicklung von Biokraftstoffen verbundenen Probleme und Risiken außer Acht, auch wenn sie hier und da gewisse Andeutungen macht. Der Ausschuss ist hingegen der Auffassung, dass der Vorschlag der Kommission sorgfältig und aufmerksam analysiert werden sollte, um zu vermeiden, dass zur Lösung eines Problems andere schwerwiegendere geschaffen werden bzw. nur die Vorteile, aber nicht auch die Nachteile aufgezeigt werden. Es ist eigenartig, dass von dem irrealistischen Szenario ausgegangen wird, bis 2020 einen Anteil von 14 % zu erreichen, um den Nutzen des Vorschlags zu belegen! Der Nutzen nimmt sich im Falle der Verwirklichung des Ziels von 10 % objektiv gesehen bescheidener aus.

4.2

Weder in der Mitteilung der Kommission noch in der dazugehörigen Folgenabschätzung sind nennenswerte Hinweise auf Problempunkte auszumachen. So sollte die Frage der Entsorgung der bei der Herstellung von Biokraftstoffen anfallenden Abfallprodukte im Allgemeinen auf den neuesten Stand gebracht und vor dem Hintergrund der modernen Biobrennstoffzellensysteme und der bei der Herstellung eingesetzten elektronischen Technologien überprüft werden.

4.3

Was Biodieselkraftstoff anbelangt, so wird insbesondere Folgendes betont:

begrenzte Wirtschaftlichkeit;

hohe Kosten (0,4-0,7 EUR/l);

Stabilitätsprobleme (enthält Oxidgruppen) mit entsprechenden Lagerungsproblemen.

4.4

Hinsichtlich Bioethanol wird hingegen Folgendes festgestellt:

begrenzte Wirtschaftlichkeit (wenn auch in geringerem Maße als Biodiesel);

erhöhter Wasser- und Düngemittelverbrauch;

nicht für die Beförderung der derzeit für Kraftstoffe auf Erdölbasis verwendeten Pipelines geeignet (Korrosionsgefahr).

Die Vorteile indessen liegen in der Möglichkeit, den Fruchtwechsel zu erweitern, indem die traditionellen Lebens- und Futtermittelkulturen abwechselnd mit anderen spezifischen Kulturen angebaut werden, die für die Biomasseherstellung zur Energieerzeugung bestimmt sind. Bei dieser Entwicklung muss besonderes Augenmerk auf den regionalen Anbau gerichtet werden. In jedem Fall unterliegt der europäische Anbau Vorschriften über Bodenschutz und die Verwendung von Düngemitteln.

4.5

Für die Herstellung von Biokraftstoffen sind geeignete Kulturpflanzen erforderlich, die in großen Mengen angebaut werden müssen. Ihnen fallen daher andere Nutzpflanzen zum Opfer, die wichtiger sind, um den Bedarf der ärmsten Länder an Nahrungsmitteln zu möglichst niedrigen Preisen zu decken. Die Hypothese, auf die Zellulose als Ausgangsbasis für die Herstellung von Biokraftstoff zurückzugreifen, ist sicher interessant, aber es ist zu bedenken, dass der Produktion eine chemische und physische Vorbehandlung vorangehen muss (eine Art Zerlegung der Zellulosemasse), um die Zellulose für die biologische Umwandlung reaktionsfähig zu machen. Schließlich ist auf die bei diesen Verfahren anfallenden Abfälle und die Altkatalysatoren zu verweisen, durch die das Problem der anschließenden Abfallentsorgung verstärkt wird.

4.6

Für einen Einsatz im großen Maßstab könnte die Verwendung von Glyzerin als Brennstoff in Betracht gezogen werden, entweder im Roh- oder Reinzustand oder mit anderen Brennstoffen vermischt. Zu den Nachteilen dieser Alternative gehören jedoch die Kosten für das Glyzerin bei Verwendung im Reinzustand, die Kosten für die Umwandlung bei Verwendung im Rohzustand, der niedrige Heizwert und in jedem Fall die Notwendigkeit, die giftigen Substanzen unschädlich zu machen, die bei der Verbrennung entstehen (in erster Linie Acrolein, auch als Acrylaldehyd bekannt).

4.7

Eine andere Lösungsmöglichkeit bestünde darin, Organismen genetisch zu verändern, die bestimmte Nutzpflanzen besonders für die biologische Umwandlung geeignet machen, wodurch die Ergiebigkeit erhöht und somit der Energiebedarf bei der Herstellung gesenkt wird. Die Gentechnik könnte auch herangezogen werden, um Organismen genetisch zu verändern, die den Einsatz von Zellulose vereinfachen.

4.8

Vom technischen Standpunkt aus stellt sich auch die Frage der Ergiebigkeit der für die Gewinnung von Biokraftstoffen verwendeten Rohstoffe. So wird beispielsweise darauf verwiesen, dass sich aus einer Tonne Zuckerrüben ca. 400 Liter Bioethanol (ca. 1 500 Mcal) gewinnen lassen. Kann ein solches Verhältnis als ausreichend für eine insgesamt positive Bilanz erachtet werden, wenn man die möglichen Risiken und Nachteile bedenkt, die sich aus dieser Energieform für die Umwelt ergeben?

4.9

Ein weiterer Aspekt, der nicht unterschätzt werden darf, betrifft einerseits die Gewinnungsverfahren und deren Selektivität und andererseits die Gärungsverfahren, die relativ kostspielig sind, wenn sie auf ein qualitativ hochwertiges Endprodukt ausgerichtet werden. Andererseits könnten eventuelle Verunreinigungen des Brennstoffs bei dessen Verwendung infolge von Sekundärreaktionen und Qualitätsverlusten sowie im Hinblick auf die Eigenschaften der Abfälle und Rückstände zu wirtschaftlichen Schäden führen, die seine Vorteile bei weitem überwiegen.

Der Umweltschutz

4.10

Aus streng ökologischer Sicht muss außerdem den mit der Abholzung (wie in Malaysia und Indonesien zur Herstellung von Palmöl oder in Malawi und Uganda zum Anbau des Jatrophastrauches in für die Nahrungsmittelsproduktion bestimmten Gebieten oder in besonders schützenswerten Regenwaldgebieten) und der Lagerung der Rohstoffe verbundenen Risiken Rechnung getragen werden. Den damit einhergehenden biologischen und biochemischen Risiken muss äußerst gewissenhaft und entschieden entgegengewirkt werden.

4.11

Auch ein „ethischer“ Aspekt kommt ins Spiel, der genauer evaluiert werden müsste: die Konkurrenz zwischen Nahrungsmittel und Kraftstoff. Der Preis für Edelrohstoffe wie Weizen, Mais, und Reis steigt aufgrund der wachsenden Nachfrage seitens der „Biokraftstoffdestillerien“ unaufhaltsam (Bericht von FAO und WFP 2007). Der Preis der „Tortillas“ in Mexiko ist um 60 % gestiegen, was zu beträchtlichen Unruhen und Protestdemonstrationen geführt hat. Die steigenden Sojapreise treiben in China den Fleischpreis in die Höhe, der seit Jahresbeginn um 43 % gestiegen ist, sowie den Preis für Eier, der sich um 16 % erhöht hat. Mais ist um 40 % teurer geworden, Hafer um 20 %. In Indien haben sich Getreide um 10 % und Weizen um 11 % verteuert. Auch in den USA wird es Preissteigerungen geben: dem amerikanischen Landwirtschaftsministerium zufolge wird Geflügel um 10 % teurer, bei den Eiern werden die Preise um 21 % zulegen und Milch wird 14 % mehr kosten. Wenn in der Zukunft der Wert von Getreide als Brennstoff über dem von Getreide als Nahrungsmittel liegt, wird sich der Markt der Energiewirtschaft zuwenden. Die Nahrungsmittelpreise werden weiterhin mit dem Erdölpreis steigen, wodurch auch in Europa die Gefahr einer Lebensmittelknappheit zunimmt.

4.12

Da es immer mehr Produktionsanlagen gibt (allein in den USA befinden sich weitere 79 Werke im Bau, die zu den 116 gegenwärtig in Betrieb befindlichen hinzukommen), wird es zu einem exponentiellen Wachstum des Getreidekonsums kommen, der vom EPI (Earth Policy Institute) auf ca. 139 Mio. Tonnen geschätzt wird, doppelt so hoch wie vom amerikanischen Landwirtschaftsministerium. Wenn man bedenkt, dass eine Tonne Mais 110 Gallonen Ethanol (416,19 Liter) ergibt (wenig mehr als vier Tankfüllungen eines SUV), so nimmt das Problem wirklich beunruhigende Formen an.

4.13

Der Ausschuss hat in einer unlängst verabschiedeten Stellungnahme (2) ferner die Notwendigkeit unterstrichen, die biologische Vielfalt zu schützen, insbesondere die Regenwälder, die nicht nur ansonsten unweigerlich zum Aussterben verurteilten Tieren Lebensraum bieten, sondern auch die einzige und letzte grüne Lunge der Erde sind. Dem Intensivanbau von Zuckerrohr in Brasilien und von Palmen in Malaysia und Indonesien, für den täglich Hunderte Hektar Wald geopfert werden, um Monokulturen anbauen zu können, muss Einhalt geboten werden.

4.14

Darüber hinaus stellt sich die Frage der „wissenschaftlichen Ethik“. Der Planet Erde ist ein offenes System, das sich unaufhaltsam auf einen Gleichgewichtszustand zubewegt, der zugleich sein Ende bedeuten wird. Es ist Aufgabe der Wissenschaft, diesen Niedergang aufzuhalten, und Sache der Politik, die diesbezüglichen Aktivitäten und Studien zu fördern.

4.15

Die entstehenden Kosten müssen genau ermittelt werden, nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die Umwelt- und Gesundheitskosten. Es müssen bedeutende Anstrengungen unternommen werden, um die Auswirkungen möglichst gründlich zu evaluieren und zu untersuchen.

4.16

Hinsichtlich der Verbrennungschemie muss genau untersucht werden, ob bei Verbrennungsvorgängen, an denen andere Moleküle als Kohlenwasserstoff beteiligt sind, aufgrund des oxidativen Stresses der Prozesse freie Radikale entstehen oder freigesetzt werden (d.h. eine der Hauptursachen von Krebserkrankungen). Es gibt bis heute keine eindeutigen Belege für einen Zusammenhang zwischen deren Zunahme und der Biokraftstoffherstellung.

4.17

Grundlegende Bedeutung kommt der Pflege und dem Schutz der Böden zu. Sie müssen geschützt werden, weil sie unser Überleben sichern. Der immer stärker absinkende Grundwasserspiegel und die fortschreitende Verschlechterung der Grundwasserqualität sind auf unvernünftige Flächennutzungsstrategien zurückzuführen, die zu Bodenverarmung führen. Es sollte für einen Fruchtwechsel gesorgt werden, um die Revitalisierung der Böden zu fördern.

Die Ernährungssicherheit

4.18

Dieser Frage hat der Ausschuss für Welternährungssicherheit (CFS) der FAO auf seiner 33. Tagung in Rom vom 7. bis 10. Mai 2007 ein wichtiges Kapitel gewidmet. In Ziffer 45 seines Berichts heißt es: Die Bioenergie bringt sowohl Chancen als auch Risiken im Hinblick auf die vier Dimensionen der Ernährungssicherheit Verfügbarkeit, Zugang, Stabilität und Verwendung mit sich. Die Auswirkungen der Bioenergie auf die Ernährungssicherheit werden von der Größenordnung und der Art des in Erwägung gezogenen Systems, der Struktur der Rohstoff- und Energiemärkte und den agrar-, energie-, umwelt- und handelspolitischen Entscheidungen abhängen. Der technologische Wandel im Bioenergiesektor geht schnell voran und stellt eine weitere große Quelle der Ungewissheit in Bezug auf die Ernährungssicherheit dar.

4.19

In diesem Bericht unterstreicht die FAO außerdem, dass im Jahr 2006 die Getreidepreise sprunghaft gestiegen sind, insbesondere die Weizen- und Maispreise, die im November den höchsten Stand der letzten zehn Jahre erreicht haben. Schlechte Ernteerträge in den Haupterzeugerländern in Verbindung mit einer rasch steigenden Nachfrage nach Biokraftstoff waren die wichtigsten Einflussfaktoren der Getreidemärkte. Auch die Reisbranche war von Versorgungsengpässen geprägt.

4.20

Auch China hat in jüngster Zeit Maßnahmen zur Reduzierung der Ethanolproduktion aus Mais ergriffen wie Asia Times Online am 21. Dezember 2006 berichtet. „Das vorrangige Interesse Chinas ist es, die 1,3 Mrd. Einwohner des Landes zu ernähren; erst nachdem wir dieses Ziel erreicht haben, werden wir die Herstellung von Biokraftstoff unterstützen“, erklärte Wang Xiaobing, Leiter des Landwirtschaftsministeriums.

4.21

In Italien erschien am 20. Juli 2007 in der Zeitung La Repubblica ein Artikel mit der Überschrift „Krieg zwischen Biokraftstoff und Spaghetti. Preissteigerung beim Mais für Biokraftstoff verteuert Teigwaren um 20 %“. Der Preis für Hartweizen, Hauptzutat für italienische Teigwaren, hat um mehr als 30 % zugenommen, nachdem die Landwirte diese Kulturpflanze aufgegeben haben und auf den Anbau von Mais zur Bioethanolerzeugung umgestiegen sind. Der Preis für ein Scheffel (27 kg) Weizen ist an der Börse von Chicago zwischen dem 3. April 2007 und dem 14. Juni 2007 von 3,6404 USD auf 5,64 USD gestiegen. Als größte Verbraucher (28 kg pro Kopf pro Jahr) und Erzeuger (3,2 Mio. Tonnen) der Welt reagieren die Italiener sehr sensibel auf derartige Preisschwankungen.

Das Wasser

4.22

Auch das Problem des Bedarfs an Wasser für die Herstellung von Biokraftstoffen ist vernachlässigt worden. Jüngsten Studien des IWMI zufolge, die am 10. Mai 2007 veröffentlich wurden, werden beispielsweise in Sri Lanka je nach Pflanzenart und der eingesetzten Produktionstechnik zur Herstellung von einem Liter Ethanol 1 000 bis 4 000 Liter Wasser benötigt. In Brasilien wird die für einen Liter Ethanol erforderliche Wassermenge auf 2 200 Liter geschätzt, während es in Indien, wo es im Gegensatz zu Brasilien an reichlichen Niederschlägen mangelt und auf künstliche Bewässerung zurückgegriffen werden muss, für denselben Liter Ethanol 3 500 Liter Wasser für die Bewässerung bedarf! Diese Zahlen werden von dem 2003 in Delft gegründeten internationalen Institut „UNESCO-IHE Institute for Water Education“, das mit der örtlichen Universität zusammenarbeitet, bestätigt sowie durch jüngste Studien der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität von Colorado, die derzeit eine besondere Maissorte mit einem geringeren Wasserbedarf entwickelt. Die hier aufgeführten Daten können auch auf der Website www.waterfootprint.org eingesehen werden.

4.23

In Europa sind vor allem die südlichen Regionen von Wasserproblemen betroffen, wo bereits seit vielen Jahren Wasserknappheit herrscht und aufgrund der steigenden Temperaturen und der dadurch zunehmenden Verdunstung die Probleme künftig noch verschärft werden, während zumindest vorerst die nördlichen Regionen nicht hiervon betroffen zu sein scheinen.

Die Kosten

4.24

Die nachfolgende Tabelle (die von Dipl.-Ing. Mario Marchionna von ENI auf einer kürzlich vom italienischen Verband für Verfahrenstechnik AIDIC organisierten Tagung vorgelegt wurde) zeigt einen Vergleich der Kosten zwischen fossilen Kraftstoffen und Biokraftstoffen bei gleichem Energiewert.

Kostenvergleich zwischen Biokraftstoffkomponenten

(bei gleichem Energiewert)

Bezugspreis: Brent = 70 (56) USD/Barrel

Kraftstoff

€c/l Äquivalent

Benzin (3)

39 (31)

Bioethanol

EU

75

Brasilien

39

USA

47

Italien

(Val Padana)

70-75

Diesel (4)

46 (37)

Biodiesel

EU

78

Malaysia

48

USA

60

Italien

78

4.25

Um in der EU ausreichend Biokraftstoffe zur Erreichung des Ziels von 10 % bis 2020 erzeugen zu können, müssten Schätzungen der Kommission zufolge 18 Mio. Hektar Anbaufläche bereitgestellt werden, und zwar

7 Mio. Hektar nicht bewirtschafteter Flächen,

7 Mio. Hektar durch die Umstellung von bislang für den Getreideanbau genutzten Flächen und die Zahlung von Exportsubventionen,

4 Mio. Hektar, die der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen werden müssten.

Vorteile für die armen Länder?

4.26

Die Kommission erklärt, dass ein verstärkter Einsatz von Biokraftstoffen große Vorteile bringen könnte, insbesondere den Entwicklungsländern, die ihre für den Export bestimmte Produktion steigern können. Die afrikanischen Landwirte zeigen sich jedoch über die wirtschaftliche Rentabilität der bisher getätigten Investitionen besorgt. Die Zeitung African Agriculture veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom Mai 2007 einen Artikel über Jatropha (hierbei handelt es sich um ein pflegeleichtes Strauchgewächs mit ölhaltigen Samen, die auf den Menschen toxisch wirken, aus denen sich aber ein Biodiesel von annehmbarer Qualität herstellen lässt). In dem Artikel, der passenderweise die Überschrift „Ist die Aufregung um Jatropha eine Fata Morgana?“ trägt, werden kritische Fragen vorgetragen.

4.27

Auch die afrikanischen Umweltorganisationen melden sich zu Wort, wie die Wochenzeitung The East African Business (eine vom größten kenianischen Verlag, Nation media group, veröffentlichte Online-Zeitung) in ihrer Ausgabe vom 7. Mai 2007 berichtet. In Uganda nimmt die Abholzung jährlich um 2,2 % zu, gegenüber einem weltweiten Durchschnitt von 0,2 % pro Jahr. Bei diesem Tempo besteht das Risiko, dass das Land bis 2040 vollkommen entwaldet ist. Daher hat eine Gruppe von Aktivisten der Zivilgesellschaft die Koalition „Save Mabira“ gebildet, die nach dem Wald benannt wurde, den die Regierung Ugandas der Sugar Corporation of Uganda Ltd. zu überlassen gedenkt, um über mehr Flächen für den Anbau von Zuckerrohr für die Bioethanolerzeugung zu verfügen. Ein Viertel des größten Urwaldes des Landes, d.h. 7 100 Hektar, werden der Produktion von ein paar Tonnen Bioethanol geopfert, die vielleicht ausgerechnet für die europäischen umweltfreundlichen Busse bestimmt sind!

4.28

Die Kommission äußert sich diesbezüglich so gut wie gar nicht; sie erwähnt nur kurz, dass die Nutzung von für die Nahrungsmittelherstellung bestimmten Kulturen und von Flächen mit hohem Naturwert auf irgendeine Weise verhindert werden muss, und sieht in Maßnahmen zur Bildung wirtschaftlicher Negativanreize die Lösung. Offen gesagt ist in diesem Zusammenhang der Optimismus der Kommission schwer nachzuvollziehen. Der Ausschuss ist über diese Umweltrisiken sehr besorgt, die mit einer Verbreitung von GVO-Kulturen einhergehen, die akzeptabler erscheinen könnten, wenn sie zu diesem Zweck eingesetzt würden. Es besteht die echte Gefahr einer Verbreitung der GVO und erst nach Abschluss sämtlicher wissenschaftlicher Untersuchungen zu ihrer Gefährlichkeit, kann über ihren Einsatz nachgedacht werden, wobei die in der EU noch verbleibende biologische Vielfalt geschützt werden muss.

4.29

Der Ausschuss hält eine engere Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen, die sich weltweit für den Kampf gegen den Hunger einsetzen, insbesondere der FAO und dem WFP (Welternährungsprogramm) für unerlässlich. Er bedauert, dass es die Kommission nicht für zweckmäßig erachtet, zu diesen internationalen Einrichtungen, die sich ernsthaft mit diesem Thema befassen, ohne all die mit der Entwicklung von Biokraftstoffen verbundenen Probleme und Risiken, insbesondere in Bezug auf den Wasserverbrauch zu verschweigen, Kontakt aufzunehmen, als sie die Folgenabschätzung in die Wege geleitet hat.

Der Europäische Rat

4.30

Der Ausschuss nimmt die Schlussfolgerungen der Frühjahrstagung des Europäischen Rates vom 8./9. März 2007 zur Kenntnis, in denen der Energiepolitik für Europa große Beachtung geschenkt wird, die die folgenden drei Hauptziele verfolgt:

Gewährleistung der Versorgungssicherheit;

Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Verfügbarkeit von Energie zu erschwinglichen Preisen;

Förderung der Umweltverträglichkeit und Bekämpfung des Klimawandels.

4.31

Der Europäische Rat pflichtet den Vorschlägen der Kommission im Energiebereich im Allgemeinen und in Bezug auf die Biokraftstoffe im Besonderen bei und greift sie auf, auch wenn die Formulierung in Bezug auf die Verpflichtung, ein Ziel von 10 % zu erreichen, durchaus Zweifel aufkommen lässt: „Der verbindliche Charakter dieses Ziels ist angemessen, vorausgesetzt, die Erzeugung ist nachhaltig, Biokraftstoffe der zweiten Generation stehen kommerziell zur Verfügung und die Richtlinie über die Kraftstoffqualität wird entsprechend geändert, damit geeignete Mischungsverhältnisse möglich werden.“

4.32

Es ist von äußerster Wichtigkeit zu verstehen, inwiefern sich die Mitgliedstaaten diese an die Verbindlichkeit geknüpften Bedingungen tatsächlich zunutze machen können. Besonders der Verweis auf die Verfügbarkeit von Biokraftstoffen der zweiten Generation erweist sich derzeit als wirklich problematisch. Die Umstellung der vorhandenen, der im fortgeschrittenen Baustadium befindlichen und der für die nächsten Jahre geplanten Industrieanlagen, die mit Verfahren Biokraftstoffe der ersten Generation herstellen, die sich von den für die Biokraftstoffe der zweiten Generation erforderlichen Verfahren stark unterscheiden, ist äußerst kostspielig. Wenn keine Biokraftstoffe der zweiten Generation verfügbar sind, bedeutet dies, dass der Beschluss des Rates nicht bindend ist. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit müssten neben den vorhandenen Richtlinien weitere europäische Rechtsvorschriften erlassen werden, um sicherzustellen, dass bei der Biomasseerzeugung die festgelegten Anforderungen genau erfüllt werden und der den Biokraftstoffen vorbehaltene Anbau nicht in Wettbewerb mit dem Anbau von Lebens- und Futtermittelpflanzen tritt. Was die erforderlichen Änderungen der Richtlinie über die Kraftstoffqualität anbelangt, ist das Verfahren ziemlich komplex, und es obliegt den Normungsinstituten, sich darum zu kümmern, insbesondere dem CEN, der die mit den spezifischen Techniken verbundenen Probleme analysieren muss.

Die Biokraftstoffe der zweiten Generation

4.33

Was die Biokraftstoffe der zweiten Generation angeht, so bieten sich bereits mehrere Möglichkeiten zur Ethanolherstellung: ein biologisches Gärungs- und Destillationsverfahren oder die thermochemische Vergasung von Biomasse zur Gewinnung von Synthesegas (H2 und CO), aus dem sich durch Fermentation Ethanol und über einen kombinierten Kreislauf oder Kraft-Wärme-Kopplung Energie gewinnen lässt. Eine erste Anlage mit einer Kapazität von 180 000 t/Jahr wird noch dieses Jahr in Porvoo in Finnland in Betrieb genommen und eine andere ist am selben Standort für Ende 2008 vorgesehen. Diese Verfahren weisen jedoch eine sehr geringe Energieeffizienz auf, wenn sie nicht gar negativ ist, wie es in manchen Fällen vorkommt. Daher wurde die Möglichkeit erforscht, auf fotochemische Prozesse unter Nutzung des Sonnenlichts als Energiequelle und unter Einsatz geeigneter Katalysatoren zur Verstärkung seiner Eigenschaften zurückzugreifen. Biobutanol ist eine mögliche Lösung für die Biokraftstoffe der neuen Generation. Der niedrige Dampfdruck des Biobutanols und seine hohe Toleranz gegenüber Wasserverunreinigungen in Ottokraftstoffgemischen ermöglichen seinen Einsatz in bestehenden Kraftstoffliefer- und -vertriebskanälen. Biobutanol kann Benzin in höheren Konzentrationen als bisherige Biokraftstoffe beigemischt werden, ohne dass die Fahrzeuge nachgerüstet werden müssen. Darüber hinaus bietet es einen günstigeren Kraftstoffverbrauch als Benzin-Ethanol-Gemische und verbessert so die Energieeffizienz und den Kraftstoffverbrauch pro Liter. Für seine Erzeugung können die Infrastruktur und die Produktionsanlagen für die Bioethanolherstellung genutzt werden.

4.34

Im 7. Rahmenprogramm sind umfangreiche Mittel für die Entwicklung dieser Technologien bereitgestellt, die sehr interessante Wesensmerkmale aufweisen und die Herstellung „sauberer“ Biokraftstoffe ermöglichen:

Diese enthalten weder Schwefel noch Aromate oder polyzyklische Kohlenwasserstoffe;

sie sind stabil;

sie verursachen sehr wenig Emissionen;

sie haben eine äußerst hohe Cetanzahl (85-100);

sie haben einen höheren Grenzwert in Bezug auf den Einsatz bei niedrigen Temperaturen als einige andere Biokraftstoffarten;

sie können dem handelsüblichen Dieselkraftstoff in einem sehr hohen Mischungsverhältnis (bis zu 60 %) zugesetzt werden;

sie besitzen bereits definierte technische Eigenschaften und sind in der Liste der Biokraftstoffe unter Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 2003/30/EG aufgeführt.

Nach Ansicht des EWSA müsste Europa mehr Finanzmittel für Forschungsanstrengungen im Bereich Biokraftstoffe der zweiten Generation bereitstellen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der Ausschuss stimmt den Zielen der Energiepolitik für Europa zu. Um sie zu verwirklichen, müssen die für die Investitionen erforderlichen finanziellen Mittel beschafft werden, wobei die europäischen Finanzinstitute einzubeziehen sind.

5.2

Nach Meinung des Ausschusses muss besonderes Augenmerk auf die Forschung im Bereich Biokraftstoffe, insbesondere Biokraftstoffe der zweiten Generation gerichtet werden, ohne andere Möglichkeiten wie die Entwicklung des Solarwasserstoffs oder die Aufbereitung von Biomasse außer Acht zu lassen.

5.3

Der Ausschuss empfiehlt, besonders darauf zu achten, dass die biologische Vielfalt gewahrt wird und ausschließlich Non-food-Kulturen für die Herstellung von Biokraftstoffen genutzt werden, um angesichts der Millionen von Menschen, denen es an Nahrungsmitteln fehlt und die verhungern müssen, die Gefahr eines Wettbewerbs zwischen Nahrungsmitteln und Brennstoffen auszuräumen. In den Schlussfolgerungen des weiter oben genannten Berichts der FAO wird Folgendes festgestellt: Die Tatsache, dass weltweit nicht weniger als 854 Mio. Menschen an Unterernährung leiden, zeugt davon, dass die bislang bei der Verwirklichung der Ziele des Welternährungsgipfels und der Millenniumsentwicklungsziele erzielten Fortschritte nicht ausreichen. Zwar wären zahlreiche Länder, insbesondere in Subsahara-Afrika, in der Lage, die Zahl der hungernden Menschen zu senken, doch wird diese Möglichkeit durch steigende Lebensmittelpreise, eine mögliche Verknappung des Angebots auf den Getreidemärkten, Konflikte, Krankheiten und den Klimawandel bedroht. Die amerikanischen Forscher Ford Runge und Benjamin Senauer von der Universität von Minnesota rechnen angesichts der Entwicklung der Preise von Getreide für Nahrungsmittelzwecke damit, dass die Zahl der weltweit hungernden Menschen nicht wie erwartet bis 2025 auf 600 Millionen zurückgehen, sondern sich auf 1,2 Milliarden verdoppeln wird!

5.4

Der Ausschuss schlägt zur Verwirklichung der Ziele Umweltschutz und Verringerung der Treibhausgase, Optimierung des Energieverbrauchs und Nutzung alternativer Energieträger sowie Unabhängigkeit und Sicherheit bei der Energieversorgung eine differenzierte Behandlung (Steueranreize, administrative Anreize usw.) der Produkte vor, die mehr als andere und in erheblichem Maße dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen.

5.5

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die heute verfügbaren Technologien bislang einen sehr hohen Energie-, Wasser- und Flächenbedarf haben (der Anbau von Raps auf einem Drittel der Gesamtfläche Italiens würde pro Hektar eine Biodieselmenge ergeben, die lediglich ausreichen würde, um 10 % des Gesamtverbrauchs des Landes an Erdölprodukten und 40 % des Dieselkraftstoffverbrauchs zu ersetzen).

5.6

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Vorschlag für eine neue Richtlinie mit einer gründlichen und umfassenden wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Bewertung einhergehen sollte, die zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht so strukturiert zu sein scheint wie es das Thema verdiente.

5.7

Um die bei der Bekämpfung der Umweltverschmutzung erzielten Erfolge nicht zunichte zu machen, ist es von grundlegender Bedeutung, die Biokraftstoffe aus nationalen „Null-Kilometer“-Agrarerzeugnissen herzustellen. Sie dürfen nicht über lange Entfernungen von einem Land zum andern transportiert werden, womit ein entsprechender Verbrauch an fossilen Brennstoffen einherginge. Die Energieerzeugung aus Agrarabfällen ist problematisch, weil die Abfälle an weit auseinander liegenden Orten anfallen, was einen kostspieligen Transport zu den Verarbeitungsanlagen notwendig macht, und weil sie einen hohen Wassergehalt aufweisen, der die Verarbeitung großer Volumen mit sich bringt. Aus diesen Gründen sollte diese Art von Biomasse vorzugsweise vor Ort verarbeitet werden.

5.8

Der Ausschuss hält es für erforderlich, die Forschung im Bereich der Biobrennstoffzellen-Technologien zu fördern, bei denen Biokatalysatoren eingesetzt werden, um chemische Energie in elektrische Energie umzuwandeln. Dieses Verfahren zur Erzeugung von Energie ermöglicht es, alle Elektronen zurückzugewinnen, die die Pflanze, aus der die Biomasse gewonnen wird, während der Photosynthese aufgenommen hat (24 Elektronen pro zu CO2 und Wasser oxidiertem Glukosemolekül).

5.9

Der Ausschuss pflichtet den Überlegungen des Europäischen Parlaments bei, das in der am 14. Dezember 2006 verabschiedeten Entschließung zu der Strategie für Biomasse und Biokraftstoffe in den Erwägungsgründen hervorhebt, dass „der Verkehrssektor für mehr als 20 % der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich ist, obgleich dieser Sektor nicht in den Mechanismus für den Emissionshandel einbezogen ist“. In diesem Zusammenhang empfiehlt der Ausschuss, die Möglichkeit zu prüfen, das Modell der weißen Zertifikate auf die Autoindustrie auszudehnen.

5.10

In dieser Entschließung ersucht das Europäische Parlament die Kommission, „eine obligatorische und umfassende Zertifizierung einzuführen, die eine in allen Phasen nachhaltige Erzeugung von Biokraftstoffen erlaubt und Standards für den Anbau und die Verarbeitung sowie für die Bilanz der Treibhausgase während des gesamten Lebenszyklus umfasst und die für die innerhalb der Europäischen Union erzeugten als auch eingeführten Biokraftstoffe gilt“, und „die Entwicklung und den Einsatz des GMES-Systems der globalen Umwelt- und Sicherheitsüberwachung zur Überwachung der Flächennutzung für die Erzeugung von Bioethanol zu unterstützen, um die Vernichtung der Regenwälder und andere negative Umweltfolgen zu verhindern“. Der Ausschuss befürwortet und unterstützt die Vorschläge des Europäischen Parlaments.

5.11

Der Ausschuss betont, dass in einigen erst kürzlich der EU beigetretenen Mitgliedstaaten der Fahrzeugbestand besonders stark überaltert ist und sich aus technisch veralteten Gebrauchtfahrzeugen der reichen Märkte zusammensetzt. Das Pro-Kopf-Einkommen ist in diesen Ländern recht niedrig, was auch auf große Bevölkerungsteile der Länder mit höherem Pro-Kopf-Einkommen zutrifft. Daher ist es überhaupt nicht denkbar, diesen EU-Bürgern, für die das Auto ein unentbehrliches Arbeitsinstrument ist, Verpflichtungen und Kosten aufzuerlegen.

5.12

Nach Meinung des Ausschusses könnten Biokraftstoffe derzeit zwar den Kraftstoffmarkt stützen, aber keine strukturierte Antwort auf dessen Erfordernisse bieten. In jedem Fall muss ihre Produktion streng überwacht werden, um den in der vorliegenden Stellungnahme dargelegten ökologischen und sozialen Risiken vorzubeugen. In Anbetracht der in dieser Stellungnahme beschriebenen Probleme sollte die Kommission das 10 %-Ziel nach Ansicht des Ausschusses immer wieder auf den Prüfstand stellen und sich nicht scheuen, Vorschläge zu seiner Anpassung zu unterbreiten, wenn die Probleme nicht nachhaltig auf zufriedenstellende Weise gelöst werden können.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Bislang scheinen die Zahlen dieselben wie im vergangenen Jahr zu sein, ohne jeglichen Anstieg, und die Kommission hat vor kurzem Zweifel geäußert, dass diese Prämie im Jahr 2008 beibehalten wird.

(2)  Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission: Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010und darüber hinausErhalt der Ökosystemleistungen zum Wohl der Menschen“, ABl. C 97 vom 28.4.2007.

(3)  = Für Benzin wird der Indikator Platts CIF High für den Mittelmeerraum herangezogen

(4)  = Für Dieselkraftstoff wird der Indikator Platts CIF High für den Mittelmeerraum herangezogen


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/44


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Ergebnisse der Überprüfung der Strategie der Gemeinschaft zur Minderung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen“

KOM(2007) 19 endg.

(2008/C 44/11)

Die Kommission beschloss am 7. Februar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 5. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr RANOCCHIARI.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24. Oktober 2007 mit 142 Stimmen bei einer Gegenstimme und 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1

Der EWSA unterstützt die Initiative der Europäischen Kommission zur Überprüfung der Strategie der Gemeinschaft zur Minderung der durch den Straßenverkehr verursachten CO2-Emissionen.

1.2

Die Kommission hat den Vorschlag unterbreitet, die CO2-Emissionen von Personenkraftwagen durch technische Verbesserungen an den Fahrzeugmotoren bis 2012 auf 130 g/km zu verringern. Der Rat hat zu diesem Vorschlag seine Zustimmung signalisiert. Damit das Gesamtziel von 120 g/km bis 2012 verwirklicht werden kann, muss eine weitere Senkung um 10 g/km, sofern dies technisch möglich ist, durch alternative technische Maßnahmen und einen erhöhten Einsatz von Biokraftstoffen erreicht werden.

1.3

Der EWSA vertritt den Standpunkt, dass diese ehrgeizige Initiative nur dann Erfolg haben kann, wenn sie mit ausgewogenen und diversifizierten Maßnahmen umgesetzt wird und der Zeitplan der Tatsache Rechnung trägt, dass die Hersteller die gewählten technischen Lösungen für sämtliche produzierten Modelle anpassen müssen — ein sehr komplexer Vorgang, der mit uneinheitlichen Kosten verbunden ist. Verbesserungen beim CO2-Ausstoß der Kraftfahrzeuge müssen mit anderen Worten für die Hersteller wirtschaftlich tragbar und technisch machbar und für die potenziellen Käufer erschwinglich sein.

1.4

In Anbetracht dessen hält es der EWSA zwar für zweckmäßig, die Hersteller zu schnelleren Fortschritten bei der Verringerung des Verbrauchs und der Emissionen anzuspornen, weist aber zugleich auf die Notwendigkeit hin, weitere Möglichkeiten zu prüfen, um dieses Ziel mithilfe eines in sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht möglichst effektiven und effizienten Rechtsrahmens zu verwirklichen.

1.5

Der EWSA empfiehlt daher die Durchführung einer umfassenden und vertieften Folgenabschätzung, um die Kosten und den Nutzen der verschiedenen in Frage kommenden Lösungen von den kraftfahrzeugtechnischen Veränderungen bis hin zu den anderen Möglichkeiten zu ermitteln: Anpassung der Infrastrukturen, alternative Kraftstoffe, steuerliche Anreize, verschiedene Informationsmaßnahmen zur Förderung einer umweltverträglichen Fahrweise (was in städtischen Ballungsgebieten besonders wichtig ist (1)) sowie Beeinflussung der Nachfrage durch eine an den CO2-Emissionen orientierte Besteuerung. Zu den empfehlenswerten Maßnahmen gehört nach Auffassung des Ausschuss auch die Verwendung von Reifen mit geringem Rollwiderstand, durch die nach Aussage der Industrie der Verbrauch um 3 %-4 % gesenkt werden kann. In die gleiche Richtung geht auch der Vorschlag der Kommission, Systeme für die Reifendrucküberwachung einzuführen.

1.6

Durch einen intelligenten und wohldurchdachten Mix aller zu Gebote stehenden Maßnahmen können die Zielvorgaben für die Verringerung der CO2-Emissionen erreicht werden, ohne die Erneuerung des Fahrzeugbestands zu bremsen, indem durch eine entsprechende Begrenzung und Verteilung der finanziellen Belastung vermieden wird, dass die potenziellen Käufer von Neuwagen abgestraft werden.

1.7

Der EWSA hofft außerdem, dass ein Rechtsinstrument gewählt wird, das den Wettbewerb zwischen den Herstellern möglichst wenig beeinflusst, indem es keine verbindlichen Grenzen für die Modelle festlegt, die die Hersteller auf den Markt bringen dürfen, sondern die Nachfrage der Käufer auf Modelle mit niedrigeren Emissionswerten lenkt. Die Vorgaben für die Verringerung der CO2-Emissionen sollten mit den bestehenden Differenzierungen innerhalb der Produktpaletten korreliert werden, wobei für die CO2-Emissionen diejenigen Parameter zugrunde zu legen sind, die als die aussagekräftigsten und am stärksten verbrauchabhängigen eingestuft werden.

1.8

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass der gewählte Parameter geeignet ist, die Verbraucher auf die ihren tatsächlichen Bedürfnissen entsprechenden Fahrzeugkategorien hinzulenken, damit ein für ihren täglichen Bedarf unnötiger Verbrauch und Schadstoffausstoß vermieden wird.

1.9

Vor diesem Hintergrund erscheint es dem EWSA befremdlich, dass die Kommission auch für leichte Nutzfahrzeuge eine Rechtsetzungsmaßnahme beabsichtigt. Diese für die gewerbliche Nutzung bestimmten Fahrzeuge werden von den potenziellen Käufern sorgfältig ausgewählt, da ihr Verbrauch und damit ihr CO2-Ausstoß erhebliche Auswirkungen auf die Geschäftskosten hat. Bei den auf dem Markt angebotenen Fahrzeugen werden daher bereits jetzt die effizientesten Lösungen verwendet, d.h. fast ausschließlich Dieselmotoren. Der EWSA empfiehlt daher, dass die Kommission vor einer diesbezüglichen Entscheidung in jedem Fall eine Folgenabschätzung auf der Grundlage einer aktuellen Erhebung der Schadstoffemissionen der leichten Nutzfahrzeuge durchführen sollte; eine derartige Erhebung ist derzeit nicht verfügbar.

1.10

Der EWSA ist außerdem der Auffassung, dass sich das Tätigwerden der Mitgliedstaaten neben den vorgenanten Maßnahmen auf weitere Bereiche erstrecken sollte (Straßen, intelligente Ampelanlagen usw.), nicht zuletzt durch die Bestückung der eigenen Dienstfahrzeugflotte mit sauberen Fahrzeugen und durch ihr Engagement sowohl beim Aufbau von Infrastrukturnetzen, die den Zugang zum Vertrieb von weniger umweltschädlichen Kraftstoffen wie Erdgas ermöglichen, als auch durch die Förderung des Kaufs von erdgas- oder LPG-betriebenen Kraftfahrzeugen, wozu sich der EWSA bereits in früheren Stellungnahmen geäußert hat (2).

2.   Einleitung

2.1

1995 wurde eine Strategie der Gemeinschaft zur Minderung der CO2-Emissionen auf den Weg gebracht, in deren Rahmen Maßnahmen in Bezug sowohl auf das Angebot der Automobilhersteller als auch die Nachfrage der Verbraucher vorgesehen waren.

2.2

Auf der Angebotsseite unterzeichneten die europäischen Hersteller 1998 eine freiwillige Verpflichtung, die eine Verringerung der durchschnittlichen CO2-Emissionen der Fahrzeuge auf 140 g/km bis 2008 zum Ziel hatte. Im darauf folgenden Jahr verpflichteten sich die japanischen und koreanischen Hersteller, dasselbe Ziel bis zum Jahr 2009 zu verwirklichen.

2.3

Gleichzeitig sah die Strategie der Europäischen Kommission auf der Nachfrageseite eine entsprechende Information der Verbraucher über CO2-Emissionen vor, um sie im Sinne vernünftiger Entscheidungen zu beeinflussen, wobei auch die Kfz-Besteuerung gezielt eingesetzt werden sollte.

2.4

In der Praxis wurden auf der Angebotsseite erhebliche Verbesserungen verzeichnet, die jedoch für sich allein nicht ausreichen, um das Ziel zu erreichen, da die Unterstützung durch die beiden anderen Instrumente — Information/Beeinflussung der Verbraucher und Besteuerung — ausgeblieben ist. Dies räumt die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung selbst ein und stellt fest, dass „der größte Teil der CO2-Reduzierung auf Verbesserungen der Fahrzeugtechnik zurückzuführen ist“.

2.5

Die durchschnittlichen CO2-Emissionen der Pkw sanken von 1995 bis 2005 von 186 g/km um ca. 13 % auf 161 g/km, und bei 30 % der im Jahr 2004 auf den Markt gebrachten Fahrzeuge lag der Ausstoß unter 140 g/km.

2.6

Demgegenüber haben sich die Verbraucherpräferenzen im gleichen Zeitraum auf größere, schwerere, leistungsfähigere Mehrzweckfahrzeuge verlagert, teils weil diese für sicherer gehalten werden, teils weil ein großer Teil der Bevölkerung aus den städtischen Zentren weggezogen ist. Die Information über die Emissionen, das sogenannte labelling (Hinweis auf den Kraftstoffverbrauch), hat sich somit kaum auf die Verbraucherentscheidungen ausgewirkt.

2.7

Das andere Instrument zur Beeinflussung der Nachfrage — die auf eine Verringerung der CO2-Emissionen ausgerichtete Besteuerung — wurde noch nicht europaweit eingesetzt (3), sondern nur auf nationaler Ebene in weniger als der Hälfte der Mitgliedstaaten und mit Maßnahmen, die sich im Hinblick auf die Minderung der CO2-Emissionen in einigen Fällen paradoxerweise negativ ausgewirkt haben. Ein Beispiel ist die Anhebung der Dieselsteuer, die die in den letzten Jahren zu beobachtende Umstellung auf Diesel in vielen Mitgliedstaaten mit einem größeren Diesel-Pkw-Bestand gebremst hat.

2.8

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die für 2008/2009 angestrebten Ziele anscheinend nicht verwirklicht werden können, teils wegen externer Faktoren, die die durch kfz-technische Verbesserungen infolge freiwilliger Verpflichtungen bewirkte Ausstoßverringerung gebremst haben, teils weil die vorgesehenen Instrumente nicht eingesetzt wurden. Die Kommission hat sich daher für eine Überarbeitung der Strategie entschieden und diese Mitteilung vorgelegt, zu der sich der EWSA äußern soll. Sie legt darin Leitlinien dar, denen bis Ende des ersten Halbjahrs 2008 ein spezifischer Legislativvorschlag folgen soll.

3.   Die Mitteilung der Europäischen Kommission

3.1

Die Kommission schlägt in ihrer Mitteilung vor, das EU-Ziel vom 120 g/km bis 2012 durch eine Kombination von gemeinschaftlichen und einzelstaatlichen Maßnahmen zu verwirklichen.

3.2

Dazu wird die Kommission bis Mitte 2008 einen Rechtsrahmen vorschlagen, der auf eine verbindlich vorgeschriebene Senkung der CO2-Emissionen ausgerichtet ist, um das Ziel von durchschnittlich 130 g/km für Neufahrzeuge durch technische Verbesserungen der Fahrzeugmotoren zu erreichen.

3.3

Eine weitere Senkung um 10 g/km oder eine gleichwertige Verringerung, sofern dies technisch möglich ist, soll durch andere technische Verbesserungen und einen erhöhten Einsatz von Biokraftstoffen erreicht werden. Es handelt sich insbesondere um folgende Maßnahmen:

a)

Einführung von Mindeststandards für die Effizienz von Klimaanlagen;

b)

verpflichtender Einsatz genauer Reifendrucküberwachungssysteme;

c)

Einführung von EU-weit gültigen Obergrenzen für den Reifenrollwiderstand für die Reifen von PKW und leichten Nutzfahrzeugen;

d)

Einsatz von Gangwechselanzeigen, unter Berücksichtigung des Ausmaßes, in dem Konsumenten von diesen Einrichtungen in wirklichen Fahrsituationen Gebrauch machen;

e)

Fortschritte im Kraftstoffverbrauch leichter Nutzfahrzeuge (Lieferwagen) mit dem Ziel, 175 g/km CO2 bis 2012 und 160 g/km CO2 bis 2015 zu erreichen;

f)

erhöhter Einsatz von Biokraftstoffen unter Maximierung ihrer Umweltleistung.

3.4

Die Kommission erkennt an, dass der rechtliche Rahmen für die Umsetzung des Durchschnittsziels für Neufahrzeuge so konzipiert werden muss, dass wettbewerbsneutrale, sozial ausgewogene und nachhaltige Verminderungsziele festgesetzt werden, die der Vielfalt der europäischen Automobilhersteller gerecht werden und nicht zu einer ungerechtfertigten Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Automobilherstellern führen.

3.5

Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang auf, ihre Besteuerung von Kraftfahrzeugen so anzupassen, dass der Kauf von kraftstoffsparenden Autos in der gesamten EU gefördert wird und die Hersteller die bevorstehenden Kraftstoffeffizienzvorschriften einhalten können.

3.6

Als eine effiziente Möglichkeit, die Kosten zu senken, die den Herstellern für die Einhaltung der Vorschriften entstehen, regt die Kommission außerdem eine Differenzierung der Besteuerung über die gesamte Fahrzeugpalette des Automarktes an, um eine allmähliche Umstellung auf Fahrzeuge mit einem geringeren CO2-Ausstoß zu fördern.

3.7

Es wird die Rolle von Steueranreizen erwähnt, die ein wichtiges Instrument sein könnten, um die Verbraucher zum Kauf der saubersten leichten Nutzfahrzeuge auf dem Markt zu motivieren. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Forderung, potenzielle Käufer besser über den Kraftstoffverbrauch von Kraftfahrzeugen zu informieren (die Kommission wird 2007 einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 1999/94/EG über den Hinweis auf den Kraftstoffverbrauch annehmen).

3.8

Die Kommission weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten eine umweltschonende Fahrweise (Ecodriving) zwecks Senkung des Schadstoffausstoßes mit Hilfe von entsprechenden Schulungs- und Sensibilisierungskampagnen fördern müssen.

3.9

Und schließlich werden die Automobilhersteller aufgefordert, bis Mitte 2007 eine freiwillige Verpflichtung zu einem EU-weiten Verhaltenskodex für die Vermarktung von Autos und die entsprechende Werbung einzugehen, der auf die Förderung nachhaltiger Verbrauchsmuster ausgerichtet ist.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der EWSA schließt sich voll und ganz der Einschätzung an, dass die Strategie der Gemeinschaft zur Minderung der durch den Straßenverkehr verursachten CO2-Emissionen, die ca. 20 % der Gesamtemissionen ausmachen, überprüft werden muss.

4.2

Der EWSA weist aber auch auf die Komplexität dieser Überprüfung hin, deren Ziel eine weitere Verringerung der CO2-Emissionen sein muss, ohne dass dabei jedoch die Wettbewerbsfähigkeit der Automobilbranche auf dem äußerst hart umkämpften Weltmarkt unterminiert wird.

4.3

Es ist zu bedenken, dass allein in Europa zwei Millionen Menschen unmittelbar in der Automobilindustrie beschäftigt sind, zu denen weitere zehn Millionen Arbeitnehmer in der Zulieferindustrie hinzukommen. Dieser Industriezweig ist für 3,5 % des BIP der EU und Nettoausfuhren in Höhe von 33,5 Mrd. EUR verantwortlich; und nicht zuletzt bringen die Kfz-Steuern pro Jahr 365 Mrd. EUR in die Kassen der Mitgliedstaaten.

4.4

Nicht von ungefähr wollte die Kommission mit der Mitteilung CARS 21 (4) die Leitlinien der Industriepolitik in der Automobilindustrie abstecken, die „eine bedeutende Rolle in der europäischen Wirtschaft [spielt]“.

Mit diesem Dokument reagiert die Kommission auf den im Dezember 2005 vorgelegten Schlussbericht und die Empfehlungen der hochrangigen Gruppe CARS 21, in der neben der Kommission auch die Industrie und die wichtigsten Organisationen der Zivilgesellschaft vertreten waren. In dem Dokument wird darauf hingewiesen, dass die Verwirklichung von ehrgeizigen Zielen in komplexen Bereichen, zu denen sicherlich auch die Verringerung der CO2-Emissionen zählt, zur Vermeidung von negativen Folgen für die industrielle Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung einen integrierten Ansatz erfordert, bei dem alle Beteiligten einen Beitrag zum nämlichen Ziel des öffentlichen Nutzens leisten.

4.5

Der EWSA teilt die von einigen Seiten geäußerte Besorgnis, dass ein zu starkes Durchschlagen der Maßnahmen auf die industriellen Kosten die strategischen Entscheidungen zugunsten einer Verlagerung der Produktion ins außereuropäische Ausland beeinflussen und somit eine direkte oder indirekte Gefährdung von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie zur Folge haben könnte.

4.6

Angesichts dieser Überlegungen unterstreicht der EWSA zwar, dass es zweckmäßig ist, die Hersteller zu schnelleren Fortschritten bei der Verringerung des Verbrauchs und der Emissionen anzuhalten, weist aber zugleich auf die Notwendigkeit hin, weitere Möglichkeiten zu prüfen, um dieses Ziel mithilfe eines in sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht möglichst effektiven und effizienten Rechtsrahmens zu verwirklichen.

4.6.1

Mit Blick auf die Optimierung der künftigen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zur Verringerung der durch den Straßenverkehr verursachten CO2-Emissionen empfiehlt der EWSA folgende Maßnahmen:

Infrastruktur und Reifen: Eine Verbesserung der Straßenverkehrsinfrastrukturen ist angebracht, da durch einen besseren Straßenbelag die Reibung und die Lärmbelästigung verringert und die Befahrbarkeit verbessert wird. Darüber hinaus kann die Einführung fortschrittlicher computergestützter Verkehrsleitsysteme zur Verhinderung von Staus und unnötigen Wartezeiten an Ampelanlagen wesentlich zur Senkung der CO2-Emissionen beitragen. In dieser Hinsicht hat sich auch die Verwendung von Reifen mit einem geringen Rollwiderstand als nutzbringend erwiesen, durch die der Verbrauch um ca. 3 %-4 % gesenkt wird; in die gleiche Richtung geht auch der Vorschlag der Kommission, Systeme für die Reifendrucküberwachung einzuführen.

alternative Kraftstoffe: hauptsächlich die auch im CARS 21-Schlussbericht genannten Biokraftstoffe. Sobald die technische Machbarkeit und die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Biokraftstoffe der ersten Generation überprüft sind (5), könnten diese (bis zur Einführung der weniger belastenden Biokraftstoffe der zweiten Generation) zusammen mit den in Europa immer weiter verbreiteten alternativen Kraftstoffen (Erdgas, mittelfristig Biogas und langfristig hoffentlich Wasserstoff) bei der Verringerung der CO2-Emissionen eine maßgebliche Rolle spielen.

Schulung, Information, Beeinflussung des Kaufverhaltens: Es sollten Schulungsmaßnahmen für die gesamte Handels- und Vertriebskette der Automobilindustrie gefördert und unterstützt werden, um die Käufer bei ihren Entscheidungen sachkundig zu Lösungen mit einem niedrigeren CO2-Ausstoß hinlenken zu können. Außerdem muss das Verhalten der Käufer auch unmittelbar durch eine CO2-abhängige Besteuerung und durch Anreize für umweltschonende Fahrweise (Ecodriving) beeinflusst werden.

4.6.2

Diese Maßnahmen hätten außerdem den Effekt, dass die durch die Verringerung der CO2-Emissionen verursachte finanzielle Belastung auf mehrere Schultern verteilt und daher die Erneuerung des Fahrzeugbestands nicht dadurch unterminiert wird. Nebenbei bemerkt können laut ECCP (6) mittels Ecodriving die CO2-Emissionen in Europa bis 2010 (2006-2010) um 50 Millionen Tonnen gesenkt werden, und eine gemeinsame TNO/IEEP-Studie (7) kommt zu dem Schluss, dass Ecodriving nicht nur eine gangbare, sondern auch eine wirkungsvolle Lösung ist und messbare Erfolge bringt.

4.6.3

Auf der anderen Seite würde der durchschnittliche Verkaufspreis der Fahrzeuge um ca. 3 600 EUR steigen, wenn das Ziel von 120 g/km allein über die Kfz-Technik erreicht werden soll. Der Vollständigkeit halber ist hinzuzufügen, dass denselben Quellen (8) zufolge dem Käufer für die Erreichung von 130 g/km auf jeden Fall erhebliche Mehrkosten in Höhe von ca. 2 500 EUR entstehen würden.

4.6.4

In Europa, wo der Fahrzeugbestand nach Aussage der Kommission durchschnittlich alle 12 Jahre erneuert wird, liegt es auf der Hand, dass ein so erheblicher Preisanstieg den Erneuerungszyklus weiter verlangsamen würde. Außerdem ist auch klar, dass ein derartiger Preisanstieg insofern soziale Folgen hätte, als es für die weniger wohlhabenden Bevölkerungsgruppen noch schwieriger würde, sich ein Auto zu leisten.

4.7

Der EWSA teilt im Übrigen nicht die Auffassung der Kommission, dass durch ergänzende Technologien der CO2-Ausstoß um 10 g/km gesenkt werden könnte, da weder als sicher vorausgesetzt werden kann, dass sich Biokraftstoffe auf dem Markt durchsetzen können, noch dass sie den erwarteten Beitrag von 5 g/km leisten können. Der EWSA hält es in diesem Zusammenhang für unverzichtbar, eine Reihe von Maßnahmen durchzuführen, die zuverlässig überwacht werden können, wie z.B. Ecodriving und Infrastrukturmaßnahmen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Im Einklang mit den bereits dargelegten allgemeinen Bemerkungen und angesichts der laufenden Parlamentsdebatte hofft der EWSA, dass das künftige Legislativinstrument nicht nur die Erneuerung des Fahrzeugbestands ermöglicht, indem es potenzielle Käufer nicht vom Erwerb von Neufahrzeugen abhält, sondern darüber hinaus auch geeignet ist, um die Nachfrage in maßgeblicher Weise auf Modelle mit einem niedrigeren Schadstoffausstoß hinzulenken.

5.2

Da noch keine umfassende und vertiefte Folgenabschätzung für die Kosten-Nutzenbewertung der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten vorliegt, behält es sich der EWSA vor, sich in einer späteren Stellungnahme zu den zweckmäßigen und realisierbaren Grenzwerten für die Verringerung der CO2-Emissionen zu äußern, empfiehlt aber einstweilen, bei diesem künftigen Legislativinstrument gebührend zu berücksichtigen, dass der Produktionszyklus in der Automobilindustrie bekanntermaßen komplex ist und eine Vorlaufzeit (9) von bis zu 7 Jahren erfordert.

5.3

Angesichts des Zeitbedarfs für den Erlass von Rechtsvorschriften im Mitentscheidungsverfahren geht der EWSA davon aus, dass der endgültige Text mit den zu erfüllenden Anforderungen nicht vor 2009 vorliegen wird. Was die besagten Produktionszyklen angeht, die in dieser Branche üblich sind, wäre 2015 der frühestmögliche Termin, auch in Anbetracht der Tatsache, dass dieser Termin mit dem Inkrafttreten der EURO-6-Norm für die Verringerung von Schadstoffemissionen zusammenfallen würde, die wie im Falle der CO2-Emissionen bauliche Veränderungen an den Fahrzeugen erfordern.

5.4

Das Ziel bis 2012 verwirklichen zu wollen birgt hingegen die Gefahr, dass dies technisch nicht realisierbar ist und daher ganz klar negative Folgen für die europäische Automobilindustrie und ihren Beschäftigungsstand hätte.

5.5

Der EWSA spricht sich einstweilen für ein wettbewerbsneutrales Rechtsinstrument aus, das keine verbindlichen Grenzen für die Modelle festlegt, die die Hersteller auf den Markt bringen dürfen, sondern die Nachfrage der Käufer auf Modelle mit niedrigeren Emissionswerten lenkt. Die Vorgaben für die Verringerung der CO2-Emissionen sollten mit den bestehenden Differenzierungen innerhalb der Produktpaletten korreliert werden, wobei für die CO2-Emissionen diejenigen Parameter zugrunde zu legen sind, die als die aussagekräftigsten und am stärksten verbrauchabhängigen eingestuft werden.

5.6

Der gewählte Parameter muss deshalb garantieren, dass der Beitrag der verschiedenen Segmente zur Verringerung des Schadstoffausstoßes und die daraus resultierende unvermeidliche Verteuerung der Fahrzeuge nicht deren Erschwinglichkeit einschränkt — d.h. es muss dem Kunden möglich sein, ein seinem Geldbeutel entsprechendes Neufahrzeug zu erstehen.

5.6.1

Ein möglicher Parameter ist das Fahrzeuggewicht (wie dies der ACEA vorschlägt, der Verband europäischer Automobilhersteller), da dieses in unmittelbarem Zusammenhang mit den CO2-Emissionen steht. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass die Fahrzeuge zwischen 1996 und 2005 um 32 kg schwerer geworden sind und der CO2-Ausstoß infolgedessen um 6,6 g/km zugenommen hat. Das Gewicht wird als Referenzparameter im Rahmen der Strategie zur CO2-Reduzierung in Japan zugrunde gelegt, wo 2006 beschlossen wurde, bis 2015 eine Verringerung auf 138 g/km zu erreichen. Der ACEA befürwortet diesen Parameter, da er in Richtung einer weltweiten Harmonisierung der CO2-Politik geht.

5.6.2

Außerdem ist hervorzuheben, dass derzeit weitere Parameter im Gespräch sind, die verwendet werden könnten, um die Produktpaletten zu definieren und zu differenzieren. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der Vorschlag des EP-Berichterstatters Chris DAVIES zu nennen, der auf den „footprint“ verweist (Grundfläche des Fahrzeugs, berechnet anhand von Radstand und Spurweite (10)).

5.6.3

Der EWSA für sein Teil ist der Auffassung, dass die Einführung eines Parameters wie z.B. des Fahrzeugvolumens (Länge × Breite × Höhe des Fahrzeugs) eine zweckmäßige Lösung sein könnte, um die Verbraucher auf diejenigen Fahrzeugtypen hinzulenken, die ihren tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen, wodurch ein unnötiger CO2-Ausstoß aufgrund eines Missverhältnisses zwischen dem Nutzungsbedarf und dem Fahrzeugvolumen vermieden werden könnte. Mit anderen Worten wird jemand, der einen Komfort-Geländewagen (SUV) wirklich braucht, um mehr Personen und mehr Fracht befördern zu können, bereit sein, mehr zu zahlen; braucht er ihn jedoch nicht, wird er es als zweckmäßiger empfinden, sich in einem niedrigeren Segment umzusehen.

5.7

Was den Vorschlag des EP-Berichterstatters Chris DAVIES angeht, unter der Bezeichnung Carbon Allowance Reduction System (CARS) einen Mechanismus für die Festlegung von Abzügen und Gutschriften bei Überschreitung bzw. Unterschreitung der festgelegten Grenzwerte einzuführen, eignet sich nach Auffassung des EWSA ein solches System nicht für den Handel mit CO2-Quoten auf einem Markt, der sich auf den Automobilsektor beschränkt.

Angesichts der ehrgeizigen Ziele erscheint es unrealistisch, dass in ausreichendem Umfang Quoten für den Handel mit Emissionsrechten zur Verfügung stehen, um das Funktionieren des Systems zu gewährleisten.

5.7.1

Der EWSA hält es hingegen für möglich, ein „offenes“ Emissionshandelssystem (das den Handel mit anderen Sektoren ermöglicht) anzuwenden, was den Vorteil hätte, eine umfassende Verringerung der CO2-Emissionen mit einer angemessenen Flexibilität zu gewährleisten, wobei allerdings Obergrenzen für den Erwerb von Emissionsrechten durch die Automobilhersteller festzulegen wären. Der EWSA befürwortet somit ein offenes System, das in Bezug auf seine wirtschaftlichen Auswirkungen nach Maßgabe der auf dem Emissionsmarkt bis zum Jahr 2015 eintretenden Veränderungen definiert und angepasst werden muss, und weist darauf hin, dass diese wirtschaftlichen Auswirkungen die Erschwinglichkeit für den Endkunden nicht in Frage stellen dürfen.

5.8

Was die Textpassage in der Kommissionsmitteilung über die Einführung eines Verhaltenskodexes für die Vermarktung von Autos und die entsprechende Werbung betrifft, macht der EWSA darauf aufmerksam, dass es in fast allen Mitgliedstaaten bereits Vereinbarungen — zumeist sehr verbindliche Vereinbarungen — zur Festlegung entsprechender Verhaltensregeln gibt. Der EWSA ist jedoch grundsätzlich mit einer Harmonisierung dieser Vereinbarungen einverstanden und hat daher nichts gegen den von der Kommission vorgeschlagenen EU-weiten Verhaltenskodex für die Automobilhersteller einzuwenden.

5.9

Der EWSA stellt außerdem fest, dass die Kommission in ihrer Mitteilung die Absicht bekundet, auch ein Rechtsinstrument zur Verringerung der CO2-Emissionen leichter Nutzfahrzeuge zu schaffen.

5.9.1

Für leichte Nutzfahrzeuge (Fahrzeuge der Kategorie N1 und entsprechende Fahrzeuge für die Personenbeförderung) ist nach Auffassung des EWSA eine derartige Maßnahme nicht notwendig, da sie für die gewerbliche Nutzung bestimmt sind und daher ihr Verbrauch und ihr CO2-Ausstoß für potenzielle Käufer eine wichtige Rolle bei der Kaufentscheidung spielen, weil sie erhebliche Auswirkungen auf ihre Geschäftskosten haben. Bei den auf dem Markt angebotenen Fahrzeugen werden daher bereits jetzt die effizientesten Lösungen verwendet, d.h. fast ausschließlich Dieselmotoren.

5.9.2

Der EWSA empfiehlt daher, dass die Kommission vor einer diesbezüglichen Entscheidung in jedem Fall eine Folgenabschätzung auf der Grundlage einer aktuellen Erhebung der Schadstoffemissionen der leichten Nutzfahrzeuge durchführen sollte; eine derartige Erhebung ist derzeit nicht verfügbar.

5.9.3

Ziele für den Ausstoß in g/km für gewerbliche Fahrzeuge ohne genaue Kenntnis der diesbezüglichen Daten festzulegen birgt überdies die Gefahr, dass die Beförderungskapazität der einzelnen Fahrzeuge verringert wird, was bedeuten würde, dass entweder mehr Fahrzeuge für die Beförderung derselben Frachtmenge eingesetzt werden müssen bzw. ein Fahrzeug einer höheren Kategorie und mit größeren Abmessungen notwendig ist, was zu einem Anstieg der Gesamtemissionen führen würde.

5.10

Der EWSA hält es im Übrigen für zweckmäßig, das Thema CO2-Ausstoß von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen unter Berücksichtigung des Gesamtlebenszyklus dieser Produkte von der Herstellung über die Nutzung bis hin zur Entsorgung umfassend zu beleuchten. In Anbetracht der obigen Ausführungen weist er außerdem darauf hin, dass auf die Abstimmung und Kohärenz zwischen Rechtsetzungs- und Regelungsinitiativen für die Automobilindustrie, die Auswirkungen auf den auf den CO2-Ausstoß haben, geachtet werden muss, um Widersprüche zwischen Initiativen zu verschiedenen Themen und dadurch bedingte Verzögerungen bei der Umsetzung zu vermeiden.

5.11

Der EWSA vertritt den Standpunkt, dass die Initiativen der künftigen Forschungsrahmenprogramme vorrangig und unverzüglich auf Projekte zur Ermittlung technisch machbarer und wirtschaftlich tragbarer Lösungen für die Verringerung der globalen CO2-Emissionen (nicht allein im Verkehrsbereich) ausgerichtet werden müssen, wobei die Belastung über den gesamten Lebenszyklus der verschiedenen Emissionsquellen zur berücksichtigen ist. Nach Auffassung des EWSA müssen die Forschungsvorhaben ein breites Spektrum abdecken und kurz-, mittel- und langfristige Lösungen aufzeigen, wobei das Ziel der Erschwinglichkeit sowohl für den Hersteller als auch für den Endkunden nicht aus den Augen verloren werden darf, um die Erneuerung des Fahrzeugbestands in Richtung einer nachhaltigen Mobilität zu fördern.

5.12

Der EWSA ist außerdem der Auffassung, dass sich das Tätigwerden der Mitgliedstaaten neben den vorgenanten Maßnahmen auf weitere Bereiche erstrecken sollte (Straßen, intelligente Ampelanlagen usw.), nicht zuletzt durch die Bestückung der eigenen Dienstfahrzeugflotte mit sauberen Fahrzeugen und durch ihr Engagement sowohl beim Aufbau von Infrastrukturnetzen, die den Zugang zum Vertrieb von weniger umweltschädlichen Kraftstoffen wie Erdgas ermöglichen, als auch durch die Förderung des Kaufs von erdgas- oder LPG-betriebenen Kraftfahrzeugen.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe Stellungnahme „Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten“, ABl. C 168 vom 20.7.2007.

(2)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Entwicklung und Förderung alternativer Kraftstoffe für den Straßenverkehr in der EU“, ABl. C 195 vom 18.8.2006, S. 75-79.

(3)  Der Vorschlag für eine Richtlinie über die Besteuerung von Personenkraftwagen (KOM(2005) 261 endg.), demzufolge die Pkw-Besteuerung umstrukturiert und ganz oder teilweise an den CO2-Ausstoß gekoppelt werden sollte, wurde nicht angenommen.

(4)  „Ein wettbewerbsfähiges Kfz-Regelungssystem für das 21. Jahrhundert“ (KOM(2007) 22 endg.) vom 7.2.2007. Der EWSA hat dazu eine Stellungnahme ausgearbeitet (Berichterstatter: Herr DAVOUST).

(5)  Dieses Thema wird derzeit in der Stellungnahme TEN/286 „Fortschrittsbericht Biokraftstoffe“ behandelt.

(6)  European Climate Change Programme (Europäisches Programm zur Klimaänderung). Im Rahmen des EPPC hat die von der Kommission hinzugezogene Beratungsorganisation (TNO) für die verschiedenen in Frage kommenden Maßnahmen Schätzungen für die Kosten und die potenziellen CO2-Ausstoßsenkungen vorgelegt.

(7)  IEEP, Institut für eine europäische Umweltpolitik — Beratungsorganisation TNO.

(8)  Siehe Fußnote 6.

(9)  Die Zeit, die die Industrie benötigt, um jede neue Auflage umzusetzen, die mit baulichen Veränderungen am Fahrzeug verbunden ist.

(10)  Radstand: Abstand zwischen Vorder- und Hinterachse; Spurweite: Abstand zwischen dem rechten und dem linken Rad einer Achse.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/49


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/54/EG hinsichtlich der Anwendung bestimmter Vorschriften auf Estland“

KOM(2007) 411 endg. — 2007/0141 (COD)

(2008/C 44/12)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 17. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 47 Absatz 2, Artikel 55 und Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 150 gegen 2 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/50


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäschen Parlaments und des Rates über die Auswahl und Genehmigung von Systemen, die Satellitenmobilfunkdienste (MSS) erbringen“

KOM(2007) 480 endg. — 2007/0174 (COD)

(2008/C 44/13)

Der Rat beschloss am 7. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Am 25. September 2007 beauftragte das Ausschusspräsidium die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft mit der Vorbereitung der einschlägigen Arbeiten.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 25. Oktober), Herrn OPRAN zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 119 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag für eine Entscheidung des Europäschen Parlaments und des Rates über die Auswahl und Genehmigung von Systemen, die Satellitenmobilfunkdienste (MSS) erbringen, und empfiehlt seine Annahme sowie sein unverzügliches Inkrafttreten.

1.2

Der Ausschuss befürwortet ausdrücklich das Hauptziel dieses Vorschlags für eine Entscheidung, das in Titel I Artikel 1 Absatz 1 dargelegt wird: die Schaffung eines einheitlichen, auf Gemeinschaftsebene koordinierten Verfahrens für die Auswahl von Satellitenmobilfunkbetreibern sowie die Genehmigungserteilung durch die Mitgliedstaaten an diese Betreiber.

1.3

Nach Ansicht des Ausschusses ist die unverzügliche Annahme dieser Entscheidung erforderlich, da

a.

die Satellitenkommunikationssysteme wesensbedingt große Teile Europas und der EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig abdecken;

b.

nur ein relativ eng begrenztes Frequenzspektrum für diese Art der Kommunikation zur Verfügung steht;

c.

in den Mitgliedstaaten derzeit unterschiedliche Auswahl- und Genehmigungsverfahren gelten;

d.

die verfügbaren Funkfrequenzen derzeit nur ineffizient genutzt werden.

1.4

Der Ausschuss betont, dass die Einrichtung und Nutzung von Satellitenkommunikationssystemen schon allein aufgrund des erfassten Gebiets eine wesentliche Initiative ist, um den Aufschwung der europäischen Raumfahrtindustrie und die Entwicklung spezifischer Anwendungen für den Kommunikationsbereich sicherzustellen; außerdem reiht sich diese Initiative in die Lissabon-Strategie zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung ein, indem sie insbesondere direkt zur Schaffung neuer Arbeitsplätze vor dem Hintergrund eines verschärften Wettbewerbs beiträgt.

1.5

Der Ausschuss stellt mit Genugtuung fest, dass auf europäischer Ebene wichtige technische Ressourcen in diesem Bereich vorhanden sind, ein weiteres Faktum, das für diesen Vorschlag für eine Entscheidung spricht. So sind drei der weltweit größten Satellitensystembetreiber in Europa angesiedelt, und 40 % der Einnahmen der europäischen Raumfahrtindustrie stammen aus der Satellitenkommunikation.

1.6

Der Ausschuss begrüßt den von der Europäischen Kommission bei der Ausarbeitung dieses Vorschlags erzielten Konsens, wurde der Vorschlag doch bereits im Entwurfsstadium von allen konsultierten Akteuren, namentlich Vertretern der Satellitenbranche, Telekommunikationsbetreibern, der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und nationalen Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten mitgetragen.

1.7

Nach Ansicht des Ausschusses wurde in der endgültigen Fassung dieser Entscheidung außerdem den im Rahmen der Konsultation vorgebrachten abweichenden Standpunkten in ausgewogenem Maße Rechnung getragen. So gab es insbesondere in Bezug auf die Auswahlmethoden und -kriterien, die Notwendigkeit einer flexibleren Handhabung der erforderlichen Frist für die Erteilung der Genehmigung wie auch des Geltungszeitraums dieser Genehmigung seitens der Mitgliedstaaten sowie eine effizientere Koordinierung der nationalen Genehmigungsverfahren unterschiedliche Auffassungen.

1.8

Der Ausschuss empfiehlt, die Entscheidung in der vorliegenden Form anzunehmen, wobei im Kontext der Anwendung der Bestimmungen über die Auswahl und die Erteilung von Genehmigungen eine Regelung zum Schutz der privaten Interessen der Bürger und zur Wahrung der Privatsphäre der Nutzer von Satellitenmobilkommunikationsendgeräten vorgesehen werden sollte.

2.   Einleitung

2.1

Der Aufbau und die Inbetriebnahme eines europaweiten Satellitenkommunikationssystems bietet eine innovative alternative Plattform für verschiedene Arten vom Standort des Endnutzers unabhängiger Telekommunikations-, Rundfunk- und Mehrfachübertragungsdienste sowie für weitere Dienste, wie den Hochgeschwindigkeits-Internet-/Intranetzugang, mobile multimediale Dienste, den Katastrophenschutz, das Krisenmanagement im zivilen Bereich (Naturkatastrophen oder durch Menschen verursachte Katastrophen), die Gewährleistung der inneren Sicherheit, Anwendungen wie Flottenmanagement, medizinische Fernbetreuung, usw.

2.2

Dieses System ist derart angelegt, dass es die Entwicklung des Binnenmarktes vorantreiben, die Wettbewerbsfähigkeit durch die Ausweitung des Angebots an europaweiten Diensten fördern und Anreize für wirksame Investitionen bieten kann, insbesondere durch die Einführung neuer Dienste, um die flächendeckende kommunikationstechnische Versorgung der Gebiete in Randlage und der Meeresgebiete sicherzustellen.

2.3

Die Konzipierung eines Gemeinschaftsverfahrens für die Auswahl von Satellitenmobilfunkbetreibern und die Festlegung von Bestimmungen für die auf nationaler Ebene koordinierte Erteilung der Genehmigungen an die ausgewählten Betreiber sind insbesondere für europaweite Systeme unerlässlich. Durch die Harmonisierung der Auswahlkriterien für Satellitenmobilfunksysteme ist die Durchführung einer gemeinsamen Politik auf europäischer Ebene in diesem Bereich möglich. Die von den Mitgliedstaaten vorgenommene Auswahl unterschiedlicher Satellitenmobilfunkbetreiber, die unterschiedliche Satelliten verwenden, könnte komplexe funktechnische Störungssituationen herbeiführen oder gar die reibungslose Funktionsweise des gesamten Systems beeinträchtigen, wenn einem Betreiber in jedem Mitgliedstaat, in dem er agiert, andere Funkfrequenzen zugewiesen werden. Aufgrund dieser potenziellen Gefahren müssen Bestimmungen über die gleichzeitige Frequenzzuteilung und harmonisierte Genehmigungsbedingungen auf Gemeinschaftsebene festgelegt werden, ohne besondere nationale Bedingungen, die im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehen, zu berühren, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten abgestimmte Genehmigungsansätze verfolgen.

2.4

Die Satellitenkommunikation, die ein wesentlicher Bestandteil des Binnenmarktes ist, macht nicht an Staatsgrenzen Halt und muss daher auf internationaler Ebene geregelt werden, zumal sie erheblich zur Verwirklichung bestimmter von der Europäischen Union verfolgter Ziele wie die geografische Ausdehnung der Breitbandversorgung beiträgt.

3.   Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates

3.1

Mit der aufgrund von Artikel 95 EG-Vertrag vorgeschlagenen Entscheidung soll ein rechtlicher Rahmen für die Auswahl und Genehmigung von Satellitenmobilfunkdiensten geschaffen werden. Diese Auswahl soll im Einklang mit den allgemeinen Zielen und anhand eines im Vorschlag dargelegten vergleichenden Auswahlverfahrens erfolgen. Zuständig ist die Europäische Kommission, die dabei vom Kommunikationsausschuss unterstützt wird. Die Genehmigung (Frequenznutzungsrechte) der ausgewählten Betreiber soll auf nationaler Ebene nach bestimmten einheitlichen Mindestbedingungen, die im Vorschlag festgelegt sind, erfolgen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Die Europäische Kommission schlägt vor, dass bei der Umsetzung der Entscheidung die Bewertung folgender Aspekte berücksichtigt wird:

Die Auswahl der Betreiber der Satellitenmobilfunksysteme erfolgt in einem Gemeinschaftsverfahren.

Die Erteilung der Genehmigungen an die ausgewählten Betreiber der Satellitenmobilfunksysteme erfolgt durch die Mitgliedstaaten.

Die Erteilung der Genehmigungen an die Betreiber der zugehörigen Bodenkomponenten der Satellitenmobilfunksysteme erfolgt durch die Mitgliedstaaten.

4.2

Nach Meinung des Ausschusses sollte die Auswahl der ersten zwei bis drei Satellitenmobilfunkbetreiber, die europaweite Dienste im 2-GHz-Frequenzband anbieten, und die Erteilung einer Genehmigung an diese Betreiber Ende 2008/Anfang 2009 abgeschlossen sein.

4.3

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die Bereitstellung der europaweiten Dienste für Privat- und Geschäftskunden und der Satellitenmobilfunkdienste (MSS), zu denen insbesondere der Hochgeschwindigkeits-Internetzugang, mobile Multimediadienste, Katastrophenschutz sowie innere Sicherheit und Verteidigung zählen, vor Ablauf des ersten Quartals 2011 erfolgen muss.

4.4

Der Abschluss der Vorbereitungen für die Einführung und Inbetriebnahme von europäischen Satellitennavigationssystemen muss zu den obersten Prioritäten der Europäischen Kommission zählen.

4.4.1

Der Ausschuss nimmt jedoch mit Bedauern zur Kenntnis, dass in diesem wichtigen Bereich die europäischen Satellitennavigationsprogramme GALILEO und EGNOS bereits fünf Jahre Verspätung gegenüber dem ursprünglich festgelegten Zeitplan aufweisen und mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, weswegen jetzt die Europäische Kommission gefordert ist, einen Ausweg aus der derzeitigen Sackgasse zu finden.

4.4.2

Immer mehr moderne Wirtschafttätigkeiten stützen sich auf Ortungsdaten in Echtzeit.

4.4.3

Der Ausschuss betont, dass die Verwirklichung des Satellitennavigationssystems GALILEO von entscheidender Bedeutung für die Umsetzung einer Vielzahl von Gemeinschaftsmaßnahmen in so unterschiedlichen Bereichen wie Verkehrsmanagement, Gefahrenguttransport, Notrufdienste, Seeverkehr und Binnenschifffahrt, Luftverkehr, Katastrophenschutz und humanitäre Aufgaben, Landwirtschaft, Fischerei und Umweltüberwachung, Verteidigung und innere Sicherheit sowie Sicherung von Finanz- und Bankgeschäften ist.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der Vorschlag für eine Entscheidung des Europäschen Parlaments und des Rates über die Auswahl und Genehmigung von Systemen, die Satellitenmobilfunkdienste (MSS) erbringen, enthält in Titel I „Ziel, Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen“, in Titel II „Auswahlverfahren“ und in Titel III „Genehmigung“ Vorschläge für Verfahren und besondere Maßnahmen, um das gesetzte Ziel zu erreichen.

5.2

Der Ausschuss empfiehlt, die Entscheidung in der vorliegenden Form anzunehmen, wobei Verfahren für die primäre Zuweisung der Frequenzen festgelegt werden sollten, die von Satellitenmobilfunkdiensten in geografischen Zonen genutzt werden, in denen verschiedene Kommunikationssysteme nebeneinander bestehen, was zu funktechnischen Störungen führen kann.

5.3

Nach Ansicht des Ausschusses trägt die Entscheidung der Kommission (2007/98/EG) vom 14. Februar 2007 zur harmonisierten Nutzung von Funkfrequenzen in den 2-GHz-Frequenzbändern für die Einrichtung von Satellitenmobilfunksystemen erheblich zur Verwirklichung der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Ziele des in dieser Stellungnahme behandelten Vorschlags für eine Entscheidung bei. Im Zusammenhang mit der in dieser Entscheidung enthaltenen Verpflichtung, dass „die Mitgliedstaaten diese Frequenzbänder für Systeme, die Satellitenmobilfunkdienste in der Gemeinschaft erbringen, ab 1. Juli 2007 zur Verfügung stellen“, sollten die erforderlichen Verfahren für die Überwachung und Bewertung der korrekten Durchführung dieser Maßnahme festgelegt werden.

Brüssel, den 25. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/52


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Vorlage „Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle — Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 95/50/EG in Bezug auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse“

KOM(2007) 509 endg. — 2007/0184 (COD)

(2008/C 44/14)

Der Rat beschloss am 25. September 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Da der Ausschuss dem Inhalt des Vorschlags vollkommen zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 153 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

 

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/53


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 98/70/EG im Hinblick auf die Spezifikationen für Otto-, Diesel- und Gasölkraftstoffe und die Einführung eines Systems zur Überwachung und Verringerung der Treibhausgasemissionen bei der Verwendung von für den Straßenverkehr bestimmten Kraftstoffen, zur Änderung der Richtlinie 1999/32/EG des Rates im Hinblick auf die Spezifikationen für von Binnenschiffen gebrauchte Kraftstoffe und zur Aufhebung der Richtlinie 93/12/EWG“

KOM(2007) 18 endg. — 2007/0019 (COD)

(2008/C 44/15)

Der Rat beschloss am 14. März 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 und 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 4. Juli 2007 an. Berichterstatter war Herr OSBORN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober (Sitzung vom 24. Oktober) mit 74 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt ausdrücklich das Vorhaben der EU, den Klimawandel durch den Abbau der Treibhausgasemissionen in den Griff zu bekommen. Im Verkehrsbereich muss nach Ansicht des Ausschusses das „Übel an der Wurzel angepackt“, d.h. es muss der Druck angegangen werden, der jahrelang zu einem steten allgemeinen Verkehrszuwachs geführt hat.

1.2

Nach Meinung des Ausschusses besteht im Verkehrsbereich noch ein erheblicher Spielraum für die Verbesserung der Energieeffizienz in der Leistung aller Verkehrsträger. Er bedauert, dass die Kommission ihre ursprünglichen Absichten in Bezug auf die Motoreneffizienz abgeschwächt und dadurch den Druck auf die Fahrzeugindustrie zur Erreichung besserer Werte vermindert hat.

1.3

Der Ausschuss steht grundsätzlich positiv zur Verbreitung von Biokraftstoffen in der Europäischen Union. Seiner Meinung nach müssen jedoch die Auswirkungen von Biokraftstoffen auf die CO2-Emissionen insgesamt sehr sorgfältig geprüft werden, und außerdem müssen das Tempo der Verbreitung von Biokraftstoffen und ihr Verhältnis im Vergleich zu anderen Kraftstoffen im Auge behalten werden.

1.4

In diesem Zusammenhang sollte die Kommission konkrete Angaben darüber machen, wie sie das 10 %-Ziel für den Anteil von Biokraftstoffen bis 2020 angesichts der Vorgaben des Rates für die Verwirklichung dieses Ziels zu erreichen gedenkt, und bereit sein ihr Konzept zu ändern, wenn sich herausstellt, dass es hinsichtlich der Senkung der CO2-Emissionen hinter den Erwartungen zurückbleibt oder andere unerwünschte Auswirkungen auf die Struktur der weltweiten Landwirtschaft oder die Artenvielfalt mit sich bringt.

1.5

Der Ausschuss räumt ein, dass es dennoch sinnvoll ist, die Kraftstoffspezifikationen gemäß dem Richtlinienvorschlag zu ändern, um die Herstellung und die Inverkehrbringung einer neuen Art von Kraftstoff mit hohem Biokraftstoffanteil zu ermöglichen, sofern die Bedenken über potenzielle umweltschädliche Auswirkungen berücksichtigt werden.

1.6

Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich den Vorschlag zur Verpflichtung der Kraftstoffindustrie, die Lebenszyklustreibhausgasemissionen der von ihnen in Verkehr gebrachten Kraftstoffe zu überwachen und darüber Bericht zu erstatten sowie diese Emissionen im Zeitraum 2010-2020 jährlich um 1 % zu senken. Er spricht sich eindeutig dafür aus, diese Maßnahme auf europäischer Ebene anzusiedeln anstatt sie den Mitgliedstaaten anheim zu stellen.

1.7

Der Ausschuss befürwortet die vorgeschlagenen geringfügigen Änderungen in Bezug auf den Schwefelgehalt in Kraftstoffen. Er schlägt vor, die in zwei Stufen geplante Verringerung der Schwefelemissionen in der Binnenschifffahrt direkt in einer einzigen Stufe auf das Endniveau (Schwefelgehalt von 10 mg/kg) vorzunehmen, damit Reeder nicht gezwungen sind, ihre Schiffe in zwei getrennten Schritten an die neuen Anforderungen anzupassen.

2.   Einleitung

2.1

Mit der Kraftstoffqualitätsrichtlinie 98/70/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (und den anschließenden Richtlinien zur Änderung dieser Richtlinie) wurden umweltbezogene Spezifikationen auf Gemeinschaftsebene für Otto- und Dieselkraftstoffe in erster Linie in Bezug auf die Begrenzung ihres Schwefelgehalts und für Ottokraftstoffe in Bezug auf ihren Blei- und Aromatengehalt eingeführt. Die Richtlinie beinhaltet ebenfalls einen Grenzwert für den Schwefelgehalt in Gasölen, die für nicht zur Beförderung auf der Straße bestimmte mobile Maschinen und Geräte verwendet werden.

2.2

In der Richtlinie 1999/32/EG des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/12/EG sind Grenzwerte für den Schwefelgehalt bestimmter flüssiger Kraftstoffe festgelegt, wobei insbesondere auf von Binnenschiffen verwendete Kraftstoffe eingegangen wird.

2.3

Mit diesem Richtlinienvorschlag würden die erlaubten Spezifikationen geändert, um die Inverkehrbringung einer neuen Art von „Kraftstoff mit hohem Biokraftstoffanteil“ mit einem Ethanol-Anteil von bis zu 10 % zu ermöglichen. Ferner würde der erlaubte Schwefelgehalt in Kraftstoffen geringfügig weiter gesenkt.

3.   Wichtige EU-Maßnahmen

3.1

Die Gemeinschaft hat sich vor kurzem Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen in Höhe von 20 % bis 2020 gemessen am Niveau von 1999 gesetzt.

3.2

Auf den Landverkehr entfallen derzeit fast 20 % dieser Emissionen. Er muss seinen Beitrag zur Erreichung dieser Reduktionsziele leisten. Durch die Annahme einer umfassenden neuen Strategie zur Minderung der CO2-Emissionen von neuen Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen in der Europäischen Union hat die Europäische Kommission einen Aspekt der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen aufgegriffen. So kann die EU das seit langem geltende Ziel erreichen, die durchschnittlichen CO2-Emissionen von Neuwagen bis 2012 auf 120 g/km zu begrenzen.

3.3

Auf der Kraftstoffseite soll mit der Biokraftstoff-Richtlinie (Richtlinie 2003/30/EG) ein weiterer Beitrag zum Abbau der Netto-CO2-Emissionen durch die Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen oder anderen erneuerbaren Kraftstoffen im Verkehrssektor geleistet werden. Die Gemeinschaftsstrategie für Biokraftstoffe wurde in der Mitteilung der Kommission „Eine EU-Strategie für Biokraftstoffe“ weiter ausgearbeitet, zu der der Ausschuss am 24. Oktober 2007 eine Stellungnahme abgegeben hat.

3.4

Im März 2007 hat der Europäische Rat ein in kosteneffizienter Weise einzuführendes verbindliches Mindestziel in Höhe von 10 % für den Anteil von Biokraftstoffen am gesamten verkehrsbedingten Benzin- und Dieselverbrauch in der EU bis 2020, das von allen Mitgliedstaaten erreicht werden muss, vereinbart.

3.5

Mit diesem Richtlinienvorschlag soll diese Strategie unterstützt werden. Die wichtigste Änderung ist die nunmehr erlaubte Beimischung eines höheren Ethanol-Anteils in einer neuen Art von Kraftstoff, um so die vom Rat geforderte rasche Verbreitung von Biokraftstoffen zu ermöglichen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Die Europäische Union hat richtigerweise eine weltweite Führungsrolle in der Frage des Klimawandels übernommen und strenge Ziele für die Verringerung von Treibhausgasemissionen bis 2012 und 2020 festgelegt.

4.2

Der Ausschuss unterstützt ausdrücklich diese Ziele und den allgemeinen Ansatz der Europäischen Kommission, ein umfassendes Aktionsprogramm auszuarbeiten. Er ist jedoch der Ansicht, dass im Verkehrswesen die Gefahr bestehen könnte, die Prioritäten in der falschen Reihenfolge festzulegen.

4.3

Im Verkehrsbereich muss nach Ansicht des Ausschusses das „Übel an der Wurzel angepackt“, d.h. der Druck angegangen werden, der zu einem steten Verkehrszuwachs in den letzten zwei Jahrhunderten geführt hat. Mit der vom Europäischen Rat 2006 angenommenen Strategie für nachhaltige Entwicklung hat sich die EU zu dem Ziel verpflichtet, das Wirtschaftswachstum von der Nachfrage nach Verkehrsleistungen abzukoppeln. Dies sollte die oberste Priorität sein. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission erneut auf, eine grundlegende und umfassende Untersuchung in Auftrag zu geben, wie dieses Ziel erreicht werden kann.

4.4

Gleichfalls Priorität sollte auch die Forderung nach einer erheblich verbesserten Kraftstoffeffizienz von Pkw und anderen Kfz sein. Der Vorschlag eines Grenzwertes von CO2-Emissionen in Höhe von 120 gr/km ist ein sinnvoller Schritt. Nach Meinung des Ausschusses dürfte es möglich sein, in diesem Bereich noch mehr zu erreichen und rascher voranzugehen; außerdem wäre es besser gewesen, am ursprünglichen Vorschlag festzuhalten, in dem von den Kfz-Herstellern verlangt wird, diesem Ziel nachzukommen. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, stärker in diese Richtung zu drängen.

4.5

In Bezug auf Biokraftstoffe räumt der Ausschuss ein, dass ihre Verwendung in mancher Hinsicht durchaus sinnvoll sein kann. Nach seinem Dafürhalten müssen aber die Auswirkungen auf die Umwelt, den sozialen Bereich, die Landwirtschaft und die Beschäftigung in Europa sowie weltweit stärker in die Überlegungen einbezogen werden. Der Ausschuss erarbeitet zur Zeit eine eigene Stellungnahme zu diesem Thema.

4.6

Der Anbau von Getreide zur Herstellung von Biokraftstoffen kann eine sinnvolle Form der Bodennutzung sein, sofern dadurch nicht andere Nutzungsformen verdrängt werden, die hinsichtlich der Reduzierung der Treibhausgasemissionen ebenso günstig oder noch vorteilhafter sind. Für die angewendeten landwirtschaftlichen Praktiken in Europa ist durch die Anwendung des „Cross Compliance-Systems“ ein hoher Umweltstandard gesichert, und im Prinzip ließe sich dieses System eventuell zu einem Instrument ausbauen, mit dem dafür gesorgt werden kann, dass Energiepflanzen unter dem Blickwinkel der CO2-Effizienz auf optimale Weise angebaut werden. Allerdings werden Transport und Raffinerieverfahren für die Herstellung von Biokraftstoffen sowie für die Herstellung von herkömmlichen Treibstoffen in einer Vergleichsrechnung einander gegenübergestellt werden müssen. Außerdem müssen die Auswirkungen von Biokraftstoffen auf die CO2-Emissionen insgesamt sehr sorgfältig geprüft werden und werden möglicherweise nicht in allen Fällen positiv sein.

4.7

Ganz allgemein könnte eine massive Ausweitung des Anbaus von Getreide zur Erzeugung von Biokraftstoffen in Europa und anderen Teilen der Welt weitere erhebliche Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion, den Schutz der Wälder und die Erhaltung der Artenvielfalt und sonstige Bereiche nach sich ziehen, die ebenfalls sorgfältig untersucht werden müssen. Auch diese Frage wird in einer eigenen Stellungnahme ausführlich behandelt.

4.8

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die optimale Ausrichtung der Entwicklung des Biomasse-Marktes ständig beobachtet werden muss. Maßnahmen zur Förderung der Entwicklung dieses Marktes, die in diesem Richtlinienvorschlag oder in anderen Vorschlägen enthalten sind, sollten auf alle Fälle dem Markt die Möglichkeit eröffnen, den optimalen Weg hin zu den energiesparendsten und kohlestoffeffizientesten Lösungen einzuschlagen.

4.9

Angesichts dieser Vorbehalte in Bezug auf den Umfang und das Tempo der Entwicklung von Biokraftstoffen ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Europäische Kommission und die Europäische Union das 10 %-Ziel für den Anteil von Biokraftstoffen bis 2020 im Auge behalten sollten und bereit sein sollten es im Bedarfsfalle abzuändern.

4.10

Der Ausschuss beurteilt den Richtlinienvorschlag aus dieser allgemeinen Sichtweise. Er spricht sich grundsätzlich nicht gegen die Änderung der Kraftstoffqualitätsrichtlinie aus, um die Beimischung geeigneter Biokraftstoffe zu ermöglichen. Seiner Auffassung nach sollte jedoch ausdrücklich sichergestellt werden, dass die Beimischung von Biokraftstoffen in Kraftstoffen nicht zu negativen Umweltauswirkungen wie die Freisetzung gefährlicherer flüchtiger organischer Verbindungen (VOC) führt. Außerdem sollten die zu erwartenden Auswirkungen auf die Netto-CO2-Emissionen unter Berücksichtigung einer fallspezifischen Lebenszyklusanalyse sehr sorgfältig ermittelt werden, um eine bestmögliche Nutzung des CO2-Reduktionspotentials zu erreichen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1   Ausweitung der Verwendung von Biokraftstoffen

5.1.1

Der Ausschuss erkennt an, dass eine gewisse Ausweitung der Verwendung von Biokraftstoffen erforderlich sein dürfte. Daher ist es sinnvoll, die Kraftstoffspezifikationen gemäß dem Richtlinienvorschlag zu ändern, um die Herstellung und Inverkehrbringung einer neuen Art von Kraftstoff mit hohem Biokraftstoffanteil zu ermöglichen, sofern die Bedenken über potentielle umweltschädliche Auswirkungen berücksichtigt werden.

5.1.2

Der Ausschuss plädiert für weitere Überlegungen zu dem Vorschlag, die Grenzwerte für den Dampfdruck zu lockern, um einen höheren Druck für den neuen Ottokraftstoff mit hohem Biokraftstoffanteil zu erlauben. Höherer Dampfdruck bedeutet höhere Kraftstoffflüchtigkeit und höhere Freisetzung von ungewünschten flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) sowohl an der Zapfsäule wie auch durch Verdunstung und Austritt aus dem Tank und aus anderen Fahrzeugteilen. Durch geeignete technische Maßnahmen kann dieses Problem deutlich reduziert werden.

5.1.3

Der Ausschuss schlägt vor, dass die Europäische Kommission diesen Aspekt vor der Umsetzung der Richtlinie noch eingehender beleuchtet. Verschiedentlich wurde angedacht, dass die Ausweitung der Verwendung von Biokraftstoffen vielleicht auch ohne die Festlegung höherer Druckgrenzwerte möglich sein könnte. Andernfalls sollten die höheren Druckgrenzwerte zumindest an weitere Maßnahmen im Tankstellenbereich (wie von der Europäischen Kommission beabsichtigt) und an die Einschränkung der Verwendung durchlässiger Komponenten im Motordesign gekoppelt sein, um einer Zunahme der Netto-VOC-Emissionen bei einer stärkeren Verwendung von Biokraftstoffen vorzubeugen.

5.2   Überwachung der Lebenszyklustreibhausgasemissionen

5.2.1

Der Ausschuss begrüßt ausdrücklich den Vorschlag zur Verpflichtung der Kraftstoffindustrie, die Lebenszyklustreibhausgasemissionen der von ihnen in Verkehr gebrachten Kraftstoffe zu überwachen und darüber Bericht zu erstatten sowie diese Emissionen im Zeitraum 2010-2020 jährlich um 1 % zu senken. Auch wenn die Kraftstoffindustrie in den letzten Jahren immer energieeffizienter arbeitet, so besteht nach wie vor Spielraum für deutliche Verbesserungen. So wird immer noch viel zu viel Gas an der Quelle abgefackelt. So wird eine wertvolle Ressource verschwendet; außerdem entstehen dabei Millionen von Tonnen an CO2 und anderen Schadstoffen. Innerhalb des Kraftstoffsektors selbst gibt es große Diskrepanzen zwischen der Energieeffizienz der unterschiedlichen Raffinerieverfahren und Pipelinetransportarten und den dabei auftretenden Freisetzungen und Verlusten; es könnte viel getan werden, um die Normen innerhalb der gesamten Industrie denjenigen der effizientesten Betreiber anzupassen.

5.2.2

Die vorgeschlagene Verpflichtung zur Überwachung für die Kraftstoffindustrie ist so angelegt, dass die stufenweise Aufnahme von Biokraftstoffen in den Energiemix als Beitrag zur Verwirklichung des übergeordneten Ziels des Emissionsabbaus seitens der Industrie gesehen werden kann. Der Ausschuss befürwortet eine Strategie, die das ökologische, markttechnische und beschäftigungspolitische Potenzial der Biotreibstoffe nutzt und so den bestmöglichen Gesamteinsparungseffekt von CO2 bewirkt, zeigt sich jedoch besorgt, dass dieser Vorschlag Kraftstoffunternehmen dazu verleiten könnte, Möglichkeiten für die Verbesserung der Energieeffizienz ihrer Verfahren zu Gunsten eines übereilten Ausbaus der Biokraftstofferzeugung zu vernachlässigen.

5.2.3

Sollte dieser Vorschlag angenommen werden, sind zahlreiche Aspekte hervorzuheben. Es wird von besonderer Bedeutung sein sicherzustellen, dass die Lebenszyklusanalyse von Biokraftstoffen und Erdölprodukten sorgfältig durchgeführt und nicht als Formalität abgehandelt wird. Unterschiedliche Arten und Quellen von Biokraftstoffen werden unterschiedliche Auswirkungen auf das CO2-Gesamtgleichgewicht haben. Biokraftstoffe erzielen dabei grundsätzlich bessere Werte in Bezug auf die CO2-Lebenszyklusemissionen als fossile Brennstoffe. Die besten Lösungen sollten von der Europäischen Union gefördert werden.

5.2.4

Um die CO2-Vorteile auch wirklich zu erzielen, muss jede Quelle gesondert analysiert und bewertet werden, da unterschiedliche Biokraftstoffverwendungen unterschiedliche CO2-mässige Auswirkungen haben.

5.2.5

Die Nutzung von Biomasse für die Erzeugung von Biokraftstoffen oder Strom wird in dem vorliegenden Richtlinienvorschlag zu Recht positiv bewertet. Dies sollte zu einer positiven Weiterentwicklung des Biomasse-Marktes führen.

5.2.6

In dem Richtlinienvorschlag wird die Frage, nach welchen Kriterien die Überwachung erfolgen soll bzw. wie die Anforderungen überwacht und durchgesetzt werden sollen, völlig ausgeklammert. Da der Großteil der betroffenen Unternehmen weltweit tätig sind und einen kohärenten Ansatz für die ihnen auferlegten Anforderungen brauchen werden, spricht sich der Ausschuss eindeutig für die Festlegung dieser Normen sowie ihre Überwachung und Durchsetzung auf europäischer Ebene aus, anstelle sie der unterschiedlichen Auslegung und Umsetzung durch die Mitgliedstaaten anheim zu stellen.

5.3   Schwefelgehalt von Kraftstoffen

5.3.1

Der Ausschuss befürwortet die vorgeschlagene Bestätigung des Jahres 2009 als verbindlichen Zeitpunkt für die Einführung eines Schwefelhöchstgehalts von 10 mg/kg in Dieselkraftstoff. Er stimmt ferner der vorgeschlagenen Verringerung des höchstzulässigen Schwefelgehalts von zur Verwendung in mobilen Maschinen und Geräten sowie land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen bestimmten Gasölen zu. Mit diesen Vorschlägen wird der höchstzulässige Schwefelgehalt mit den bereits im Straßenverkehr geltenden Anforderungen in Einklang gebracht. Außerdem wird damit zur weiteren Verringerung des Schwefel- und Partikelausstoßes beigetragen.

5.3.2

In Bezug auf die Binnenschifffahrt schlägt die Europäische Kommission eine Verringerung der Schwefelemissionen in zwei Stufen vor. Nach Meinung des Ausschusses wäre es besser, die Verringerung direkt in einer einzigen Stufe auf das vorgeschlagene Endniveau vorzunehmen, damit Reeder nicht dazu gezwungen sind, ihre Schiffe in zwei getrennten Schritten an die erforderlichen Änderungen anzupassen. Es wäre vielleicht auch angemessen, Erleichterungen für historische Schiffe oder Schiffs-Oldtimer in Betracht zu ziehen, da bei diesen Schiffen die erforderlichen technischen Veränderungen nicht ohne weiteres vorgenommen werden können.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/56


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Weiterentwicklung der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete ab 2010“

(2008/C 44/16)

Das Plenum des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Weiterentwicklung der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete ab 2010“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 1. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr KIENLE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 143 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss vertritt die Auffassung, dass die von Natur benachteiligten Gebiete öffentlich und politisch eine besondere Aufmerksamkeit brauchen und verdienen. Das gilt ohne Einschränkung auch für die in dieser Stellungnahme besprochenen „Sonstigen benachteiligte Gebiete“ (Zwischengebiete).

1.2

Der EWSA hält die Mittel der Ausgleichszulage, die von der EU und den Mitgliedstaaten gemeinsam finanziert werden, für ein unverzichtbares Instrument zum Erhalt der Kulturlandschaft und der Landwirtschaft an ökonomisch, ökologisch und auch sozial besonders sensiblen Standorten.

1.3

Der Zweck der Ausgleichszulage geht deutlich über den Erhalt traditioneller Bewirtschaftungsformen hinaus. Der wichtigste Ansatzpunkt für benachteiligte Gebiete sollte auch künftig der Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile der Landwirte sein.

1.4

Der EWSA empfiehlt für die anstehenden Überlegungen der Europäischen Kommission zur Neuabgrenzung der Fördergebiete, dass die EU die Rahmenbedingungen und die methodischen Alternativen für die Abgrenzung der Gebiete festlegt. Die Wahl des Systems zur Abgrenzung der Gebiete und die Festlegung der Gebiete sollte weiterhin in der Verantwortung der Mitgliedstaaten und Regionen bleiben.

1.5

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass eine größere Verlässlichkeit der Zulagengewährung im Zeitablauf erforderlich ist. Bei möglichen Veränderungen der Fördergebiete müssen strukturelle Brüche vermieden werden.

1.6

Der EWSA ist der Meinung, dass die Begrifflichkeiten „benachteiligte Gebiete“ oder „Ausgleichszulage“ gegenüber der Öffentlichkeit sehr schwer zu kommunizieren sind und hält es daher für wünschenswert, sie zu ersetzen.

2.   Anlass und Vorgeschichte der Stellungnahme

2.1

Die Europäische Kommission soll nach den Vorgaben des Rates im Jahr 2008 einen Vorschlag für eine überarbeitete Abgrenzung der so genannten „Sonstigen benachteiligten Gebiete“ (Zwischengebiete) vorlegen. Die Umsetzung soll 2010 erfolgen.

2.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hatte am 13. September 2006 bereits eine Initiativstellungnahme zum Thema „Zukunftsperspektiven der Landwirtschaft in Gebieten mit bestimmten naturbedingten Nachteilen“ (1) verabschiedet. Diese Stellungnahme bezog sich dezidiert auf Berg- und Inselgebiete sowie Regionen in äußerster Randlage, nicht jedoch auf die Kategorie der „Sonstigen benachteiligten Gebiete (Zwischengebiete)“ und „Gebiete mit spezifischen Nachteilen (Kleine Gebiete)“.

2.3

Der EWSA hatte deshalb ausdrücklich darauf verwiesen, dass er sich in einer weiteren — hier vorliegenden — Stellungnahme mit diesen Gebieten beschäftigen will. Die vorliegende Initiativstellungnahme bringt sich daher in die Diskussion um eine mögliche Neuabgrenzung der benachteiligten Gebiete ein.

2.4

Das Erfordernis einer Überprüfung der Gebietskulisse ergibt sich auch auf Grund eines Berichts des Europäischen Rechnungshofs (Sonderbericht Nr. 4/2003). Kritische Bemerkungen bezogen sich insbesondere auf folgende Punkte: Die Mitgliedstaaten benutzen ein breites Spektrum unterschiedlicher Indikatoren bei der Klassifizierung als benachteiligtes Gebiet; es gibt nicht genügend zuverlässige Informationen zu den Auswirkungen der Maßnahmen; es gibt keine einheitliche Anwendung der „guten landwirtschaftlichen Praxis“. Die Hauptergebnisse des Rechnungshofs zielen auf die Abgrenzung der „Sonstigen benachteiligten Gebiete“ und auf Fragen der Ausgleichszulage ab.

2.5

Im November 2006 legte die Generaldirektion Landwirtschaft der EU-Kommission einen Evaluationsbericht des Institute for European Environmental Policy (IEEP) über die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten vor.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Für den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sind die von der Natur benachteiligten Gebiete geradezu substanzieller Bestandteil des „Europäischen Landwirtschaftsmodells“. Gebiete mit naturbedingten Nachteilen brauchen öffentlich und politisch eine besondere Aufmerksamkeit, damit spezifische und auf die realen Erfordernisse dieser Gebiete abgestimmte Maßnahmen ergriffen werden können.

3.2

Durch die Abgrenzung als „Benachteiligtes Gebiet“ sollen diejenigen Gebiete identifiziert werden, in denen die landwirtschaftliche Flächennutzung wegen standortbedingter Bewirtschaftungsnachteile von der Aufgabe bedroht ist. Dahinter steht die Erkenntnis, dass eine nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung eine wichtige Voraussetzung für attraktive ländliche Räume darstellt. Im Sinne der Multifunktionalität werden damit über die unternehmerische Tätigkeit des Landwirtes zugleich öffentliche Leistungen beim Erhalt und bei der Pflege der Landschaft erbracht.

3.3

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass der Begriff der „Benachteiligten Gebiete“ durchaus ambivalent ist, denn häufig handelt es sich hier um Regionen mit besonders reicher und vielfältiger Natur und Landschaft und besonderen Fähigkeiten und Traditionen der Menschen. Diese Potenziale können aber häufig wegen besonders schwieriger Lage- und Standortbedingungen wirtschaftlich nicht genutzt werden. Auch für die Landwirte bestehen innerhalb wie außerhalb des Sektors vielfach nur unzureichende wirtschaftliche Alternativen.

3.4

Für den EWSA stellt die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete ein ebenso einzigartiges wie unverzichtbares Instrument zum Erhalt der Kulturlandschaft und der Landwirtschaft an ökonomisch, ökologisch und auch sozial besonders sensiblen Standorten dar. Die Ausgleichszulage verfolgt das Ziel, über die Förderung einer aktiven, marktorientierten Landwirtschaft die Inwertsetzung der großen Potenziale schöner europäischer Kulturlandschaften zu erreichen. Damit geht der Zweck der Ausgleichszulage deutlich über den Erhalt traditioneller Bewirtschaftungsformen hinaus. Der wichtigste Ansatzpunkt der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete sollte auch künftig der Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile der Landwirte in Gebieten mit besonders schwierigen Bewirtschaftungsbedingungen sein. Hinzu kommt seit 2007 die Bindung der Ausgleichszulage an die Einhaltung von Regelungen zur Lebensmittelsicherheit sowie zum Umwelt- und Tierschutz (Cross Compliance).

3.5

Seit dem Jahre 1975 wurde ausgehend von den Berggebieten ein umfassendes europäisches System zur Abgrenzung der benachteiligten Gebiete entwickelt. Heute gibt es drei Typen von benachteiligten Gebieten: Die Berggebiete, die sonstigen benachteiligten Gebiete (Zwischengebiete) und die Gebiete mit spezifischen Nachteilen (kleine Gebiete). Bei den letztgenannten beiden Gebietstypen gibt es zwischen den Mitgliedstaaten große Unterschiede und Differenzierungen sowohl bei der Abgrenzung der Gebiete als auch hinsichtlich der Höhe der gewährten Zahlungen. Mit den erheblichen finanziellen Mitteln für die Ausgleichszulage ist es in hohem Maße gelungen, gerade auch in sensiblen ländlichen Gebieten eine lebendige Landwirtschaft aufrechtzuerhalten.

3.6

Für den EWSA hat die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete einen festen Platz innerhalb der Programme zur ländlichen Entwicklung (sog. ELER nach der Verordnung (EG) Nr. 1698/2005). Die Tatsache, dass die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete von der EU und von den Mitgliedstaaten gemeinsam finanziert wird, unterstreicht die Notwendigkeit einer sinnvollen Mischung aus einheitlichen Vorgaben der EU und nationalen bzw. regionalen Spielräumen bei der Ausgestaltung dieser Maßnahme im Detail.

3.7

Der EWSA erinnert daran, dass im Jahr 2005 ein Kommissionsarbeitspapier „Methodik für die Neudefinition von ‚Sonstigen benachteiligten Gebieten (Zwischengebiete)‘“ vielerorts in den Mitgliedstaaten auf großes Unverständnis und Ablehnung gestoßen war. Kernpunkt der damaligen Überlegungen war der Versuch einer zentral einheitlichen Definition der benachteiligten Gebiete über die Kriterien Grünlandanteil und Getreideertrag, aber ohne die Möglichkeit, regionale Gegebenheiten zu berücksichtigen. Die massiven Bedenken und Gegenargumente gegen diesen damaligen Ansatz müssen bei der weiteren Diskussion Berücksichtigung finden.

3.8

Der Evaluationsbericht des IEEP vom November 2006 macht darauf aufmerksam, dass das Förderinstrument der Ausgleichszulage in seinen Wechselwirkungen zur Betriebsprämie und zu den Agrarumweltmaßnahmen gesehen werden muss. Zugleich wird eine stärkere Profilierung der Ausgleichszulage im Sinne eines Ausgleiches von standortbedingten Bewirtschaftungsnachteilen empfohlen. Die Höhe der gewährten Ausgleichszulage sollte besser an die auszugleichenden Nachteile angepasst werden.

3.9

Der EWSA weist darauf hin, dass die vom Europäischen Rechnungshof gesehene Gefahr einer „Überkompensation“ im Evaluationsbericht des IEEP insgesamt nicht festgestellt wird. Der erhebliche Einkommensabstand der Landwirte in benachteiligten Gebieten im Vergleich zu nicht benachteiligten Gebieten wird durch die Ausgleichszulage zwar vermindert, aber nicht nivelliert. Je nach Mitgliedstaat ermitteln die Evaluatoren einen Beitrag der Ausgleichszulage zu den landwirtschaftlichen Einkommen zwischen unter 10 und 50 Prozent.

3.10

Für den EWSA leistet die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete einen sehr wichtigen Beitrag zur Fortführung der Landwirtschaft an ertragsschwachen Standorten sowie in dünn besiedelten Gebieten. Die Existenzfähigkeit der Betriebe ergibt sich zunächst aus den Erträgen aus landwirtschaftlicher Erzeugung und deren Verkauf am Markt, den Einkommen aus der Diversifizierung sowie aus den Maßnahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik. Um insbesondere den jungen Landwirten in benachteiligten Gebieten eine Perspektive bei der Übernahme der landwirtschaftlichen Betriebe zu geben, ist eine langfristige politische Verlässlichkeit des Instrumentes der Ausgleichszulage erforderlich.

3.11

Aus Sicht des EWSA sollte das System der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete im Sinne einer klaren Profilierung dieser Maßnahme weiter getrennt von den Agrarumweltmaßnahmen entwickelt werden. Mittelfristig ist auch zu klären, wie der Ausgleich in Gebieten mit umweltspezifischen Einschränkungen weiterentwickelt werden soll. Die im Evaluationsbericht des IEEP genannte geringe Anwendung dieser Maßnahmen ist nach Einschätzung des EWSA auch darauf zurückzuführen, dass viele Mitgliedstaaten bzw. Regionen in diesen Gebieten die Agrarumweltmaßnahmen vorzugswürdig halten.

Überlegungen zur Neuabgrenzung der Fördergebiete

3.12

Aus Sicht des EWSA sollten bei der Neuabgrenzung der Fördergebiete für die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten die folgenden Aspekte berücksichtigt werden:

3.12.1

Die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete sollte weiterhin auf die Erhaltung einer lebendigen und standortangepassten Landwirtschaft auch in Gebieten mit schwierigen Bewirtschaftungsbedingungen konzentriert sein.

3.12.2

Angesichts der bisherigen Diskussion sollte die anstehende Überprüfung auf die „Sonstigen benachteiligten Gebiete“ (Zwischengebiete) beschränkt bleiben. Da insbesondere die Berggebiete objektiv abgegrenzt sind, sollte von der Europäischen Kommission nochmals ausdrücklich klargestellt werden — auch um Verunsicherung bei den Landwirten zu vermeiden — welchen Umfang die Überprüfung der benachteiligten Gebiete haben soll.

3.12.3

Die benachteiligten Gebiete sollten anhand objektiver und nachvollziehbarer Kriterien abgegrenzt werden, allerdings in einem Rahmen, in dem die lokalen Bedingungen in jedem Mitgliedstaat umfassend berücksichtigt werden können.

3.12.4

Die Erfahrungen aus der im Jahre 2005 versuchten Revision der Ausgleichszulage machen deutlich, dass ein zentraler Ansatz für eine Abgrenzung der benachteiligten Gebiete ungeeignet ist, vor allem weil kein einheitliches europäisches System für die Klassifizierung der Ertragsfähigkeit landwirtschaftlicher Flächen besteht.

3.12.5

Empfohlen wird daher ein subsidiärer Ansatz: Die EU sollte die Rahmenbedingungen und die methodischen Alternativen für die Abgrenzung der Gebiete festlegen. Die Wahl des Systems zur Abgrenzung der Gebiete und die Festlegung der Gebiete sollte wie bisher in der Verantwortung der Mitgliedstaaten bzw. der Regionen bleiben. Die dazu bisher praktizierten kooperativen Verfahren zwischen Europäischer Kommission und Mitgliedstaaten sollten weiter fortgeführt werden.

3.12.6

Die Mitgliedstaaten bzw. Regionen sollten bei der Abgrenzung der Gebiete zunächst Kriterien einer natürlichen, naturräumlichen und/oder klimatischen Benachteiligung bei der Landbewirtschaftung heranziehen. Ergänzend können unter bestimmten Umständen sozioökonomische Kriterien hinzukommen, wenn diese soziale oder strukturelle Probleme der Landwirtschaft in ihrem jeweiligen regionalen Umfeld widerspiegeln (z.B. starke Abwanderung, starke Überalterung der regionalen Bevölkerung bzw. der landwirtschaftlichen Erwerbstätigen, besonders schwieriger Zugang zu öffentlicher Infrastruktur, dünne Besiedlung). Darüber hinaus ist zu prüfen, inwieweit Gebiete im Umland von Flughäfen, Erdölspeichern, Mülldeponien, Militärobjekten und in Schutzzonen von Hochspannungsleitungen berücksichtigt werden.

Umgekehrt dürfen sozioökonomische Kriterien, z.B. in Regionen mit hoher touristischer Wertschöpfung, nicht dazu führen, dass landwirtschaftliche Flächen mit Bewirtschaftungsnachteilen aus der Einstufung als benachteiligte Gebiete herausfallen.

3.12.7

Auch und gerade in benachteiligten Gebieten ist die Förderung und Qualifizierung des Humankapitals eine zentrale Standortfrage. Die Mitgliedstaaten sollten daher in der Gestaltung der Förderpolitik darauf achten, dass die Maßnahmen der Bildung und Beratung die flächenbezogenen Fördermaßnahmen nutzbringend für die ländlichen Räume ergänzen.

3.12.8

Die Europäische Kommission, die Mitgliedstaaten und die Regionen werden gebeten, den Beitrag der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete zur Zielerreichung, das heißt zum Erhalt einer aktiven Landwirtschaft in einer attraktiven Landschaft, besser als bisher nachzuweisen. Ein solches Monitoring fehlt bisher und sollte eingerichtet werden.

3.12.9

Die Europäische Kommission sollte weiterhin prüfen, inwieweit der Klimawandel Auswirkungen auf die benachteiligten Gebiete haben kann.

Überlegungen zur Gewährung der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete

3.13

Die Europäische Kommission hat bisher nicht eindeutig erkennen lassen, ob bei der Überprüfung der Ausgleichszulage neben der Abgrenzung der benachteiligten Gebiete auch weitere Veränderungen hinsichtlich der Gewährung des Ausgleichszulage für benachteiligten Gebiete vorgesehen sind.

Wenn die Europäische Kommission dies beabsichtigt, gilt es aus Sicht des EWSA folgendes zu beachten:

3.13.1

Der Gewährung der Ausgleichszulage in Form einer Flächenzahlung ist grundsätzlich sinnvoll, in begründeten Fällen sollten Regelung zur Tierhaltung getroffen werden können, wenn dies für die betreffende Region typisch für den Erhalt der Landbewirtschaftung ist (z.B. Rinder- oder Schafhaltung in Grünlandgebieten).

3.13.2

Auch bei der Gewährung der Ausgleichszulage ist eine sinnvolle Mischung zwischen dem europäischen Rahmen und den nationalen bzw. regionalen Regelungen anzustreben, damit ausreichend auf örtliche Gegebenheiten Rücksicht genommen werden kann.

3.13.3

Auch wenn der pauschale Vorwurf einer „Überkompensation“ anhand von Buchführungsergebnissen der landwirtschaftlichen Betriebe widerlegt werden kann, erscheint dennoch eine innere Differenzierung bei der Gewährung der Ausgleichszulage erforderlich. Wenn der Betrag der Ausgleichszulage je Hektar einen gewissen Mindestbetrag übersteigt, sollten die Mitgliedstaaten bzw. Regionen die Höhe der Ausgleichszulage nach dem Grad der Benachteiligung staffeln.

3.13.4

Im Sinne einer nachhaltigen Fortführung der landwirtschaftlichen Betriebe ist eine größere Verlässlichkeit der Zulagengewährung im Zeitablauf erforderlich. In einigen Mitgliedstaaten schwanken die Zahlungen deutlich von Jahr zu Jahr in Abhängigkeit von der nationalen Haushaltslage.

3.14

Der EWSA weist darauf hin, dass mögliche Veränderungen der Fördergebiete mit erheblichen Risiken für die Agrarstruktur und für den Erhalt der Kulturlandschaft verbunden sind. Für möglicherweise aus der Förderung herausfallende Gebiete sollte eine Risiko- und Folgenabschätzung vorgenommen werden. Die Landwirte werden im Allgemeinen sehr schwer in der Lage sein, Ausfälle bei der Ausgleichszulage durch andere betriebliche Maßnahmen, zum Beispiel eine Intensivierung der Produktion, auszugleichen. Daher sollten neben ausreichenden Übergangsfristen auch Härtefallklauseln vorgesehen werden, um strukturelle Brüche in den landwirtschaftlichen Betrieben zu vermeiden.

3.15

Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass der Begriff der „benachteiligten Gebiete“ gegenüber der Öffentlichkeit sehr schwierig zu kommunizieren ist. „Benachteiligte Gebiete“ können besonders wertvolle und schöne Kulturlandschaften darstellen, deren Eigenheit ist, dass sie aus landwirtschaftlicher Sicht besonders schwierig zu bewirtschaften sind. Die Menschen in den benachteiligten Gebieten sind häufig besonders stolz auf die Geschichte, die Tradition und die landschaftliche Schönheit „ihrer“ Region, woraus sich auch große Potenziale für die regionale Entwicklung ergeben. Leider ist der Begriff der „Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete“ überhaupt nicht dazu geeignet, zur Identifikation der Menschen mit „ihrer“ Region beizutragen. Es ist zu überlegen, ob der Begriff der „benachteiligten Gebiete“ durch einen anderen ersetzt werden kann, der diese Potenziale und Besonderheiten besser wiedergibt. Dies könnte dazu beitragen, die Akzeptanz für die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete zu erhöhen.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 93.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/60


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Health Check und Zukunft der GAP nach 2013“

(2008/C 44/17)

Die Europäische Kommission ersuchte mit Schreiben vom 10. Mai 2007 an Herrn DIMITRIADIS den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um die Ausarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu dem Thema: „Health Check und Zukunft der GAP nach 2013“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 1. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr KIENLE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 25. Oktober) mit 116 gegen 2 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt, dass er zu einem frühen Zeitpunkt von der Europäischen Kommission zur Ausarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Health Check und zur Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 aufgefordert wurde.

1.2.

Mit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik von 2003 ist ein tiefgreifender Paradigmenwechsel erfolgt. Regulierende Eingriffe in die Agrarmärkte wurden stark eingeschränkt, die Koppelung von Direktzahlungen an die Produktion ist seither nur mehr die Ausnahme, auch wurde trotz der Erweiterung der EU der finanzielle Aufwand für die GAP verringert. Die EU hat damit für die weitere Liberalisierung des internationalen Agrarhandels wesentlich mehr Vorleistungen erbracht als irgendein anderer Mitbewerber.

1.3

Die Landwirte, aber auch Unternehmen in der Verarbeitungsindustrie haben gegenwärtig eine schwierige Anpassungsphase zu bewältigen. Nach Ansicht des EWSA gibt es eine große Bereitschaft, auf die neuen Rahmenbedingungen unternehmerisch und marktorientiert zu reagieren, wenn im Rahmen der Reformen gemachte Zusagen eingehalten werden und ausreichende Rechts- und Planungssicherheit geboten wird. Dies gilt umso mehr, als weltweit eine kräftige Nachfrage nach Nahrungsmitteln und regenerativen Energien besteht und die Versorgungssicherheit eine neue Wertschätzung erfährt.

1.4

Der EWSA hält es für richtig, dass als vordringliche Aufgabe des Health Check die Vereinfachung der Verwaltungsvorschriften für die Administration der Prämien und der Durchführung der Cross-Compliance-Auflagen angesehen wird sowie die Prüfung einer eventuell notwendigen Anpassung der bestehenden Bestimmungen an die zukünftigen Herausforderungen (siehe Ziffer 6.3).

1.5

Im Zusammenhang mit der Diskussion um die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 hält der EWSA eine Anpassung der Ziele der GAP (Artikel 33 des EG-Vertrages) an die heutigen Gegebenheiten und Herausforderungen für notwendig.

1.6

Die EU bekennt sich zum Europäischen Modell der Landwirtschaft bzw. zur Multifunktionalität. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass dies nicht ohne weiteres mit einer immer weiteren Liberalisierung in Einklang zu bringen ist, zumal die Erwartungen der europäischen Gesellschaft an die Landwirtschaft hoch sind und bleiben.

1.7

Durch die Liberalisierung des Agrarhandels ist mit einer stärkeren Volatilität und Instabilität der Agrarmärkte zu rechnen. In die gleiche Richtung wirkt der Klimawandel. Daher muss die EU auch in Zukunft über Instrumente der Stabilisierung von Agrarmärkten verfügen. Der EWSA befürwortet jedoch ebenfalls, dass alternativen Systeme diskutiert und entwickelt werden.

1.8

Allgemein wird das Auslaufen der Quotenregelung bei Milch zum 31. März 2015 erwartet. Der EWSA weist aber darauf hin, dass viele von der Natur benachteiligte Regionen auf die Milcherzeugung angewiesen sind, weshalb zeitgerechte Vorschläge zur Sicherung der Produktion in diesen Gebieten zu erarbeiten sind.

1.9

Darüber hinaus verweist der EWSA auf seine aktuelle Stellungnahme zur „Weiterentwicklung der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete ab 2010“ (1), die die Notwendigkeit einer gezielten Förderung der von der Natur benachteiligten Gebiete zum Gegenstand hat.

1.10

Der EWSA ist davon überzeugt, dass die Direktzahlungen an die landwirtschaftlichen Betriebe auch künftig unverzichtbar sind. Um die öffentliche Akzeptanz zu erreichen und zu sichern, müssen Direktzahlungen funktionsorientiert begründet werden können.

1.11

Für die Sicherung der Multifunktionalität der Landwirtschaft erhält die 2. Säule (Politik für den ländlichen Raum) eine noch größere Bedeutung. Der EWSA tritt daher für eine verstärkte finanzielle Ausstattung der 2. Säule ein. Beispiele belegen, dass sich mit gezielter Förderung Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum sichern oder neu schaffen lassen.

2.   Einleitung

2.1

Die EU kann 2007 mit Stolz auf 50 Jahre erfolgreiche europäische Integration zurückblicken. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist seit Inkrafttreten der Römischen Verträge am 1. Januar 1958 wichtiger Teil dieser beispiellosen Entwicklung. Bis heute handelt es sich bei der Agrarpolitik um den einzigen vollständig vergemeinschafteten Bereich.

2.2

Deshalb ist es erfreulich, dass die EU-Bürger der Landwirtschaft und der GAP überwiegend positiv gegenüberstehen. Dies geht aus einer repräsentativen Umfrage eindeutig hervor (2). Diese positive Grundstimmung sollte genutzt werden, um die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass die Mittel, die durch die GAP bereitgestellt werden, gesellschaftspolitisch gut investiert sind. Die Politik ist aufgerufen, mit entsprechenden Maßnahmen und Programmen gute Argumente zu liefern.

2.3

Mit der Agrarreform 2003 (seither ergänzt durch Reformen in weiteren Marktbereichen) wurde die GAP in einem Ausmaß verändert, das weit über alle vorangegangenen Reformen hinausgeht.

2.3.1

Begründet wurde die Reform mit der Notwendigkeit einer stärkeren Marktorientierung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft. Ebenso sollte es leichter fallen, die GAP im Rahmen der WTO-Verhandlungen zu verteidigen sowie den veränderten Erwartungen der Gesellschaft an die landwirtschaftliche Produktion besser zu entsprechen.

2.4

Wiederholt hat die Politik im Zusammenhang mit der Agrarreform die Versicherung abgegeben, dass die Landwirte und die nachgelagerten Unternehmen (Verarbeitung und Vermarktung) nach Abschluss der Reform wieder auf die Planbarkeit der Instrumente der GAP vertrauen können. Auf dieses Erfordernis hat der EWSA mehrfach mit Nachdruck hingewiesen.

2.5

Der Europäische Rat hat die Europäische Kommission im Dezember 2005 bei der Einigung über das EU-Budget 2007-2013 aufgefordert, im Jahr 2008/09 eine alle Aspekte der Gemeinschaftspolitiken erfassende Prüfung der Ausgaben und Einnahmen durchzuführen.

2.5.1

Bereits vorher ist eine Überprüfung der Maßnahmen der GAP-Reform, genannt „Health-Check“, geplant. Wie von Kommissionsseite versichert wird, soll damit keine neuerliche Reform erfolgen. Vielmehr soll geprüft werden, in welchem Ausmaß die Ziele der GAP-Reform erreicht werden und inwieweit Anpassungen erforderlich sind.

2.6

Es soll bereits im Herbst 2007 eine breite Diskussion eingeleitet werden. Für den 20. November wird eine „Mitteilung“ mit konkreten Vorschlägen von der Kommission in Aussicht gestellt. Die entsprechenden Legislativvorschläge sind für das 1. Halbjahr 2008 geplant (3). Unabhängig vom Health Check soll überlegt werden, in welcher Form die GAP für die Zeit nach 2013 weiter entwickelt werden soll.

3.   GAP-Reform 2003 ein tief greifender Paradigmenwechsel

3.1

Den bereits im Rahmen der Agenda 2000 beschlossenen Änderungen der GAP folgte mit der Agrarreform vom Juni 2003 ein tief greifender Paradigmenwechsel:

3.1.1

Die einzelbetrieblichen Zahlungen werden von Bindungen an die Produktion entkoppelt. Die „Entkoppelung“ ist das Kernstück der Reform. Derzeit sind etwa 85 % entkoppelt.

3.1.2

Die Direktzahlungen („Einheitliche Betriebsprämie“) wurden mit der Einhaltung bestimmter Standards im Bereich Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit, Tier-/Pflanzengesundheit und Tierschutz („Cross Compliance“) verknüpft.

3.1.3

Regulierende Eingriffe auf die Agrarmärkte durch Interventionen, Lagerhaltung oder Exporterstattungen wurden stark eingeschränkt.

3.1.4

Die noch bestehenden Instrumente zur Mengensteuerung (z.B. Produktionsquoten) sollen schrittweise abgebaut werden.

3.1.5

Die finanziellen Aufwendungen für die GAP werden trotz Erweiterung und neuen Aufgaben im Zeitraum 2007-2013 im Vergleich zu 2006 um 7,8 % reduziert.

3.2

Der EWSA verweist darauf, dass damit 2008 der Anteil der Ausgaben für die GAP am Gesamthaushalt der EU mit 43,6 % (Haushaltsvorentwurf der Kommission) erstmalig nicht mehr der größte Haushaltstitel sein wird. Auch sei daran erinnert, dass die Ausgaben für marktstützende Maßnahmen 1997 noch 35 Mrd. EUR und damit 85 % des Agrarbudgets betrugen. Im Jahr 2007 sind hierfür nur noch 5,7 Mrd. EUR (13 %) vorgesehen. Der Aufwand für Exporterstattungen ist für 2007 auf maximal 1 Mrd. EUR begrenzt, während 1997 noch 6 Mrd. EUR aufgewendet wurden (4).

3.3

Die Reduktion der Ausgaben für die GAP bei gleichzeitiger Ausweitung von Anspruchsberechtigten (im Wesentlichen als Folge der EU-Erweiterung) bedeutet, dass es bei verschiedenen Maßnahmen zu Kürzungen kommen kann.

3.4

Ein wesentlicher Erwägungsgrund für die Reform der GAP war aus Sicht der Kommission die Stärkung der Position der EU bei der Verteidigung des europäischen Agrarmodells bei den WTO-Verhandlungen. Die EU hat mit der GAP-Reform eine enorme Vorleistung erbracht. Die Kommission betont, dass die bisher erfolgten Angebote für die Doha-Runde im Rahmen der WTO im Einklang mit der GAP-Reform 2003 stehen. Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen.

3.5

Mit Sorge stellt der EWSA fest, dass die GAP zunehmend auseinanderdriftet. Die Unterschiede in der nationalen Umsetzung der GAP sind durch die Reform 2003 wesentlich größer geworden. Das hat aber auch Bedeutung für den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt.

4.   Europäische Landwirtschaft passt sich neuen Rahmenbedingungen an

4.1

Die GAP ist gemäß der Beschlüsse des Europäischen Rates von 2003 und 2005 über das EU-Budget in den finanziellen Gesamtrahmen der EU eingebunden. Es gibt klare politische Festlegungen, die bis 2013 Gültigkeit haben. Die Landwirte benötigen nun die erforderliche Zeit, um sich an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen.

4.2

Als Folge der Senkung von institutionellen Preisen, der Einschränkung von marktstützenden Maßnahmen und durch die weitere Öffnung der Märkte für Importe ist das Niveau der Erzeugerpreise zwischen 2000 und 2005 in der EU-15 real weiter zurückgegangen (5).

4.3

Mit der Entkoppelung hat die Kommission die Erwartung verknüpft, dass damit nicht nur eine Stabilisierung der Einkommen erreicht wird (6), sondern ein Beitrag zur Verbesserung der Einkommenssituation in der Landwirtschaft (7) geleistet werden kann. Aus der Einkommensentwicklung in den Jahren 2005 und 2006 lässt sich noch keine Bestätigung dafür ableiten. Allerdings können in 2007 Einkommenszuwächse erwartet werden, nicht zuletzt wegen der derzeitigen Hausse für Agrarrohstoffe auf dem Weltmarkt.

4.4

Der EWSA hat in seiner Stellungnahme „Überprüfung der GAP 2003“ (8) deutlich aufgezeigt, dass für den Nachweis der Cross-Compliance-Standards der Dokumentations- und Eigenaufwand für die Betriebe stark zunehmen wird. Vielfach sind auch teure Investitionen notwendig, etwa in der Viehhaltung. Erfahrungen zeigen bereits, dass sich Landwirte mit kleineren und wirtschaftlich schwächeren Betrieben teilweise nicht in der Lage sehen, die notwendigen Aufwendungen zu tätigen und daher aufgeben.

4.5

Mit der Entkoppelung der Direktzahlungen sollen die Landwirte die Marktchancen optimal nutzen. Marktgerechte Anpassungen erfordern häufig Investitionen, die teilweise sehr kapitalintensiv sein können, teilweise aber auch nur sehr geringe Finanzinvestitionen, hingegen viel Beratungsunterstützung erfordern. Für betriebliche Umstellungen und Investitionen sind in der 2. Säule Unterstützungen vorgesehen. Die Bereitschaft der Agrarwirtschaft — und voran der landwirtschaftlichen Betriebsübernehmer —, sich auf veränderte Bedingungen einzustellen und notwendige Investitionen zu tätigen, wird wesentlich von der Verlässlichkeit der Politik mitbestimmt.

5.   Die europäische Landwirtschaft muss ihr Potenzial nutzen

5.1

Seit einigen Monaten vollziehen sich auf den Weltagrarmärkten starke Veränderungen, die Folge einer weltweit kräftigen Nachfrage nach Nahrungsmitteln als auch nach nachwachsenden Rohstoffen (aus Land- und Forstwirtschaft) und regenerativen Energien sind. Den Landwirten stehen damit generell mehr Anbau- und Vermarktungsalternativen zur Verfügung. Die europäische Landwirtschaft wird hieraus — wie auch die Landwirtschaft in Entwicklungsländern — deutlichen Nutzen ziehen. Der EWSA legt jedoch besonderen Wert darauf, dass die verstärkte Nutzung der Produktionspotenziale in der Land- und Forstwirtschaft im Sinne der Nachhaltigkeit und der ökologischen Erfordernisse erfolgt. Der EWSA macht zugleich darauf aufmerksam, dass von der zu erwartenden wesentlich höheren Volatilität der Märkte auch erhebliche Risiken ausgehen.

5.2

Die Nutzung der vorhandenen Potenziale bedeutet weniger Abhängigkeit bei wichtigen Gütern des täglichen Bedarfs. Außerdem kann damit ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung der Wertschöpfung in ländlichen Gebieten, sowie zur Beschäftigung in sämtlichen Stufen der Produktion, Verarbeitung und Vermarktung geleistet werden.

5.3

Die Versorgung mit billiger fossiler Energie wurde lange Jahre als Vorteil angesehen. Die enorme Abhängigkeit wie auch die starke Verteuerung hat inzwischen zu einer kritischen Reflektion geführt, was dies bei wichtigen Produkten des täglichen Bedarfs bedeuten kann. Die Versorgungssicherheit — bei Energie wie bei Nahrung — wird desto mehr eine neue Wertschätzung und Bedeutung erhalten, als klar wird, dass sie nicht allein durch Importe gewährleistet werden kann.

5.4

Der UNO-Weltklimabericht bestätigt die Warnungen, die Wissenschafter schon über die Auswirkungen der globalen Erwärmung festgestellt haben. Selbst wenn die globale Erwärmung etwas niedriger gehalten werden kann, ist mit gravierenden Auswirkungen zu rechnen: Zunahme extremer Witterungsverhältnisse, Dürre, Wasserknappheit etc. Die Land- und Forstwirtschaft in vielen Ländern wird davon in besonderem Ausmaß betroffen sein.

5.5

Der EWSA begrüßt das verstärkte Problembewusstsein in der EU, das u.a. in der Erklärung des 50. Jahresvertrages der Unterzeichnung der „Römischen Verträge“ (Berliner Erklärung) zum Ausdruck kommt. Der in dieser Erklärung von den Staats- und Regierungschefs bekundete Wille, eine „führende Rolle“ bei der Bekämpfung von Armut und Hunger einzunehmen und beim „Klimaschutz gemeinsam vorzugehen“, ist aus Sicht des EWSA mit allen Mitteln zu unterstützen. Die Landwirtschaft der EU-15 hat ihren Anteil an klimawirksamen Emissionen im Zeitraum zwischen 1990 und 2004 um 16 % reduziert (9), sie ist aber ebenso gefordert, Anstrengungen für eine weitere Senkung zu unternehmen.

5.6

Der Zwang, die CO2-Emissionen massiv zu reduzieren, muss auch zu einem Umdenken in der Versorgung mit Gütern, wie Agrarprodukte, führen. Die starke Ausweitung der Transporte ist eine der wesentlichen Ursachen für die Zunahme des CO2-Ausstoßes. Aus Umweltsicht fragwürdige Transporte (z.B. Äpfel und Spargel mit Flugzeugen aus Südamerika) werden selbst bei massiv steigenden Energiepreisen nur bedingt ökonomisch unter Druck geraten. Das Thema einer stärkeren Versorgung mit Lebensmitteln und Energie ohne lange Transportwege muss zwingend einen neuen Stellenwert erhalten. Dass dies im Sinne der Umwelt wie der Beschäftigung gerade in ländlichen Räumen möglich ist, belegen viele erfolgreiche Beispiele.

5.7

Der Beschluss der Staats- und Regierungschefs in Brüssel im März 2007, dass bis 2020 20 % des Energieverbrauchs in der EU aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden müssen, ist ein wichtiger Beitrag für die Reduktion der CO2-Emissionen. Erst durch eine verstärkte Nutzung von Biomasse ist das Ziel erreichbar. Der EWSA hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Land- und Forstwirte willens und in der Lage sind, Biomasse als Rohstoff in wesent-lich höherem Umfang zur Verfügung zu stellen. Durch Produktivitätssteigerung und Nutzung brachliegender Flächen ist ein erhebliches Potenzial gegeben, wie verschiedene Untersuchungen zeigen (10).

5.7.1

Die Flächenstilllegung hat sich als Instrument zur Entlastung der Getreidemärkte bewährt. Durch die Reform 2003 und den Bedarf von Agrarrohstoffen für die Erzeugung von Biotreibstoffen haben sich die Voraussetzungen jedoch verändert. Der EWSA unterstützt daher die Pläne für die Abschaffung der Flächenstilllegung. Allerdings muss gewährleistet sein, dass keine ökologisch negativen Effekte eintreten bzw. diese ausgeglichen werden. Die Kommission sollte möglichst umgehend entsprechende Studien und Vorschläge vorlegen.

6.   Health Check

6.1

Mit den Beschlüssen über die Reform der GAP 2003 sowie mit der Einigung über das EU-Budget 2007-2013 (Finanzielle Vorausschau) wurden auch Vorgaben für Überprüfungen gemacht. Die vorgesehene Überprüfung der GAP-Reform wird als „Health Check“ bezeichnet. Die Mitteilung hierzu wird am 20. November 2007 erwartet und die entsprechenden legislativen Vorschläge im Frühjahr 2008. Der EWSA wird damit befasst werden.

6.2

Der EWSA weist darauf hin, dass der Europäische Rat sowohl im Dezember 2002 und bei den Beschlüssen zur Finanziellen Vorausschau 2005 Festlegungen traf, wonach das EU-Agrarbudget bis 2013 und ebenso die agrarpolitischen Maßnahmen bis 2013 Gültigkeit haben. Dies war sicherlich auch eine Reaktion darauf, dass das Vorgehen beim vorherigen Mid-term Review vielfach als Vertrauensbruch empfunden wurde — angekündigt war eine Überprüfung, tatsächlich beschlossen aber wurde die tiefgreifendste Reform seit Bestehen der GAP.

6.3

Der Health Check soll eine Überprüfung darstellen, inwieweit die Ziele der Reform der GAP erreicht werden. Vor allem soll geprüft werden, wo eine Anpassung bestehender Vorschriften notwendig ist, um

Vereinfachungen und Erleichterungen in der Durchführung zu erreichen bzw.

Hindernisse für eine zielorientierte Umsetzung von vereinbarten Reformmaßnahmen zu beseitigen.

Nach Auffassung des EWSA ist die gesamte Wertschöpfungskette zu berücksichtigen, d.h. Produktion, Verarbeitung und Vermarktung.

6.4

Nach Meinung des EWSA sollte die Priorität beim Health Check bei der eingehenden Überprüfung der Verwaltungsvorschriften für die Betriebsprämie sowie die Durchführung der Cross Compliance haben. Die bisher seitens der Kommission bekannt gewordenen Hinweise laufen auf solche konkreten Vereinfachungen hinaus. Damit Cross Compliance nicht ständiger Unruheherd bleibt, ist es nach Meinung des EWSA jedoch auch wichtig, dass die Landwirte zum Prinzip des Cross Compliance stehen.

6.5

In der Landwirtschaft werden Zweifel geäußert, dass im Rahmen des Health Check nicht doch auch substantielle Reformen, etwa im System der entkoppelten Direktzahlungen oder bei bereits reformierten Marktordnungen, angestrebt werden. Der EWSA kann nur dazu raten, dass solche Zweifel durch klare Aussagen der Kommission beseitigt werden.

6.6

Den Landwirten wurde mit der GAP-Reform 2003 die Zusicherung gegeben, dass auf die durch die Reform veränderten Rahmenbedingungen bis einschließlich 2013 vertraut werden kann. Das muss im Prinzip für sämtliche Reformmaßnahmen Gültigkeit haben.

6.7

Der EWSA unterstützt aber das Anliegen der Kommission, dass rechtzeitig über notwendige Maßnahmen im Zusammenhang mit der „Zukunft der GAP nach 2013“ eine frühzeitige umfassende Meinungsbildung erfolgen soll. Das betrifft etwa das Auslaufen der Milchquotenregelung zum 31. März 2015 oder auch die notwendigen Konsequenzen als Folge der Abschaffung der Exporterstattungen. Ebenso notwendig ist es, noch vor Beginn der Diskussionen über die nächste Finanzielle Vorausschau glaubhaft darzustellen, warum auch nach 2013 eine funktionsfähige GAP mit entsprechender finanzieller Ausstattung im Gesamtinteresse der EU notwendig ist.

6.8

Der EWSA verweist zudem auf die Erwartungshaltung in den neuen Mitgliedstaaten, dass nach 2013 die Instrumente der GAP auch dort voll zur Anwendung kommen. Der Health Check bietet sich für eine Überprüfung an, ob diesbezüglich noch Handlungsbedarf besteht.

7.   Überlegungen zur Zukunft der GAP

7.1

Grundlage für die GAP sind die in Artikel 33 des EG-Vertrages festgelegten Ziele: der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung gewährleisten, die Märkte stabilisieren, eine regelmäßige Versorgung sicherstellen, für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preise Sorge tragen und die Produktivität der Landwirtschaft steigern.

7.1.1

Wichtig für die Ausrichtung der GAP sind darüber hinaus die nachträglich festgelegten Vertragsbestimmungen zum Umweltschutz, Verbraucherschutz oder zur Kohäsion.

7.1.2

Der EWSA tritt dafür ein, dass die im EG-Vertrag festgelegten Ziele der GAP an die veränderten heutigen Realitäten angepasst werden. Wesentlich ist, dass die Ziele der GAP mit der multifunktionalen Aufgabenstellung der europäischen Landwirtschaft in Einklang stehen und den neuen Herausforderungen gerecht werden.

7.1.3

Die GAP hat bisher im erfolgreichen europäischen Integrationsprozess eine entscheidende und unverzichtbare Funktion ausgeübt. Überlegungen in Richtung Renationalisierung wichtiger Elemente der GAP sind kein brauchbarer Ansatz zur Bewältigung der auf die europäische Landwirtschaft zukommenden neuen Herausforderungen. Die fortschreitende Globalisierung und die wahrscheinlichen Folgen des Klimawandels erfordern noch mehr gemeinsames Handeln.

7.1.4

Der andauernde Zielkonflikt, in dem sich die europäische Landwirtschaft befindet (siehe Stellungnahme des EWSA „Die Zukunft der GAP“) (11) wird sich verschärfen: Einerseits hohe Ansprüche an die Produktion, andererseits die Erwartung, dass die landwirtschaftlichen Betriebe international wettbewerbsfähig sind.

7.1.5

Die weitere Liberalisierung der Agrarmärkte (WTO, bilaterale Abkommen) bedeutet noch stärkeren Wettbewerb. Die Zunahme extremer Witterungsverhältnisse bringt mehr Unsicherheit in die Agrarproduktion. Die Gesellschaft erwartet aber weiterhin Versorgungssicherheit mit qualitativ hochwertigen und sicheren Lebensmitteln, einen sorgsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen, Sensibilität im Umgang mit Tieren und die Erhaltung schöner Landschaften. Die Sicherung all dieser Leistungen ist eine ständige Herausforderung für die GAP, da der Markt diese nur teilweise, wenn überhaupt, honoriert.

7.2   Europäisches Agrarmodell — Bekenntnis und Realität

7.2.1

Das Europäische Agrarmodell ist ein Teil des eigenständigen europäischen Weges in der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. Die Landwirte sollen auch bei sich ändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Lage sein, die von der Gesellschaft erwarteten multifunktionalen Leistungen nachhaltig zu erbringen.

7.2.2

Der EWSA hat in seiner Stellungnahme „Eine Politik zur Konsolidierung des Europäischen Agrarmodells“ (12) betont, dass das Festhalten am Europäischen Agrarmodell und die Notwendigkeit der Anpassung der europäischen Landwirtschaft an die sich ändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kein Gegensatz ist. Er betonte ferner, dass über die WTO-Handelsrunde hinaus der erforderliche agrarpolitische Spielraum für die EU gewährleistet bleiben muss.

7.2.3

Das Bekenntnis zum Europäischen Agrarmodell gilt nach wie vor. Besonders eindrucksvoll ist die einstimmige Willenserklärung der Agrarminister 1997 in Luxemburg dass die europäische Landwirtschaft:

nachhaltig und wettbewerbsfähig sein muss,

in der Lage sein soll, die Landschaft zu pflegen und Naturräume zu erhalten,

einen wesentlichen Beitrag zur Vitalität des ländlichen Raumes leisten soll,

den Anliegen und Anforderungen der Verbraucher in Bezug auf die Qualität und die Sicherheit der Lebensmittel, den Umweltschutz und den Tierschutz entsprechen soll.

Ebenso wichtig ist der Verweis auf den Europäischen Rat von Luxemburg im selben Jahr, wo festgestellt wurde, dass „die europäische Landwirtschaft ein multifunktionaler, nachhaltiger und wettbewerbsfähiger Wirtschaftssektor sein muss, der sich auf das gesamte Gebiet der Union, einschließlich der Regionen mit spezifischen Problemen erstreckt“.

7.2.4

Der EWSA stellt jedoch kritisch fest, dass die Diskrepanz zwischen den Bekenntnissen zum Europäischen Agrarmodell bzw. der Multifunktionalität der europäischen Landwirtschaft und der täglichen Realität für die landwirtschaftlichen Betriebe eher größer wird.

7.2.5

Durch die Erweiterungen 2004 und 2007 sind Betriebsstrukturen und Produktionsbedingungen in der EU-Landwirtschaft noch unterschiedlicher geworden. Es gibt noch weniger nur eine Ausprägung der Landwirtschaft, sondern eine noch größere Vielfalt. Das stellt nach Meinung des EWSA das europäische Agrarmodell als notwendige Grundlage zur Sicherung der Multifunktionalität der europäischen Landwirtschaft nicht in Frage.

7.2.6

Das Europäische Agrarmodell hat nach Auffassung des EWSA nur dann eine gute Zukunft, wenn eine Balance zwischen den ökonomischen, sozialen und ökologischen Anliegen gesichert werden kann. Wie bereits in der Stellungnahme des EWSA „Die Zukunft der GAP“ festgehalten wurde, ist es nicht möglich, eine Landwirtschaft haben zu wollen,

die in der Lage ist, zu (häufig verzerrten) Weltmarktbedingungen produzieren zu können (möglichst ohne finanzielle Unterstützung);

die gleichzeitig sämtliche Erwartungen bezüglich Produktion (Qualität, Sicherheit, Schonung der natürlichen Ressourcen, artgerechte Tierhaltung etc.) erfüllt und auch die europäischen Kosten bewältigt;

und die zudem einen modernen Arbeitsmarkt mit attraktiver Entlohnung gewährleistet, der sich durch ein hohes Arbeitsplatz- und Sicherheitsniveau sowie ein hohes Niveau bei der Ausbildung und der weiteren Qualifikation auszeichnet.

7.2.7

Für den EWSA ist klar: Die weit reichenden Liberalisierungsschritte durch WTO und bilaterale Handelsabkommen verstärken den Wettbewerbsdruck. Die strengen Regeln und Standards in der EU für die landwirtschaftliche Produktion wie auch für die Verarbeitung sind meist mit Kosten verbunden, die Mitbewerber aus Drittländern nicht kennen, abgesehen von sonstigen Kostenvorteilen, die diese haben. Diese Fakten stehen in einem eindeutigen Spannungsverhältnis zur multifunktionalen Aufgabenstellung der europäischen Landwirtschaft und sind Schlüsselfragen für die Ausrichtung bzw. das Instrumentarium auch einer künftigen GAP.

7.3   Die wichtigen Instrumente der GAP sind auch in Zukunft notwendig

7.3.1

Die in Artikel 33 des EG-Vertrages festgelegten Ziele verpflichten zum Handeln. Wie bereits die vergangenen Jahre deutlich gemacht haben, ist weltweit mit einer Zunahme extremer Witterungsverhältnisse zu rechnen. Das hat großen Einfluss auf die landwirtschaftliche Produktion mit der Wahrscheinlichkeit einer stärkeren Instabilität der Märkte. Umso wichtiger ist es sorgfältig zu erwägen, welche Instrumente erhalten bzw. weiterentwickelt werden sollen.

7.3.2

Der EWSA betont, dass die Reform der GAP 2003 keineswegs mit der Maßgabe beschlossen wurde, wichtige Elemente der GAP nach wenigen Jahren überhaupt zu erübrigen. Es ist nicht anzunehmen, dass sich die Wettbewerbssituation der europäischen Landwirtschaft oder die Ansprüche der Gesellschaft an die landwirtschaftliche Produktion in den nächsten fünf Jahren derart gravierend verändern, dass die Begründungen für die GAP bzw. für die Instrumente der GAP ihre Relevanz verlieren. Im Gegenteil, an die GAP werden neue Anforderungen gestellt werden.

7.3.3

Dies gilt besonders auch für die Politik zur Förderung des ländlichen Raumes (2. Säule). Der EWSA hat sich wiederholt nachdrücklich für eine ausreichende Finanzierung ausgesprochen. Die Maßnahmen der 2. Säule werden jedoch die Maßnahmen der 1. Säule für Marktstabilisierung und die Direktzahlungen nicht ersetzen können. Letztere werden auch über das Jahr 2013 hinaus eine wichtige Funktion für die GAP haben. Dementsprechend wäre der EWSA auch gegen die Verwendung von Mitteln aus dem Fonds zur Entwicklung des ländlichen Raums (2. Säule) für Maßnahmen im Zusammenhang mit Risiko- und Krisenmanagement (siehe KOM(2005) 74 endg.).

7.3.4

Der EWSA bekräftigt seinen Standpunkt, dass zur Erfüllung gemeinschaftlicher Aufgaben die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Umso wichtiger ist es, in Vorbereitung auf die 2009 zu führende Diskussion über das künftige EU-Budget der Öffentlichkeit die künftigen Anforderungen an eine wirkungsvolle Gemeinsame Agrarpolitik verständlich zu machen.

7.3.5

Der EWSA hat sich wiederholt mit Nachdruck für eine funktionierende GAP ausgesprochen. Forderungen nach Abschaffung der GAP werden weiterhin eine Außenseitermeinung sein. Dennoch gilt es, Tendenzen entgegenzuwirken, die auf eine Renationalisierung wichtiger Teile der GAP hinauslaufen, aber aus gutem Grund ausschließlich als Gemeinschaftsaufgabe wahrgenommen werden.

7.4   Gemeinsame Marktorganisationen

7.4.1

Erfahrungsgemäß sind die Agrarmärkte im Besonderen für Preisschwankungen anfällig. Große Preisschwankungen lösen häufig falsche Signale aus, die zu großen Verlusten führen können, die aber auch für die Verbraucher längerfristig nicht von Vorteil sind.

7.4.2

Künftig wird nach Ansicht des EWSA verstärkt zutreffen, was 1997 im Auftrag der Europäischen Kommission namhafte Agrarökonomen in der Studie „Towards a common agricultural and rural policy for Europe“ (13) als Begründung zur Marktstabilisierung im Agrarbereich gesagt haben:

hohes Risiko durch die Abhängigkeit von der Witterung;

die räumlich stark disperse Verteilung vieler kleiner Betriebe, die mit einem umfangreichen, nicht mobilen Anlagekapital und Grundbesitz bei stark eingeschränkten Dispositionsmöglichkeiten belastet sind;

eine ziemlich starre Bindung an jahreszeitlich und biologisch vorgegebene Entwicklungs- bzw. Wachstumsprozesse;

die Verpflichtung zum regelmäßigen Produktangebot bei Gütern des täglichen Bedarfs.

7.4.3

Diese Begründungen für Markt stabilisierende Maßnahmen sind durch die zwischenzeitliche Entwicklung auf den internationalen Agrarmärkten nicht obsolet geworden. Es ist eher mit neuen Herausforderungen zu rechnen. Der EWSA empfiehlt daher, dass künftig jeder Schritt einer Liberalisierung oder Beseitigung bestehender Instrumente für die Marktstabilisierung genau geprüft und mögliche Auswirkungen ausreichend analysiert werden.

7.4.4

Mit den Agrarreformen 1999 und 2003 wurden wesentliche Schritte in Richtung Liberalisierung der gemeinsamen Marktorganisationen gesetzt: Senkung institutioneller Preise (z.B. Interventions- und Richtpreise), Beseitigung von Interventionsregelungen, Reduktion von Lagerkostenzuschlägen und Entkoppelung von produktionsbezogenen Direktzahlungen. Dieser Reformprozess wurde 2004 bei Tabak, Oliven, Baumwolle, Hopfen, 2005 bei Zucker und 2007 bei Obst und Gemüse fortgesetzt. Die Marktordnung für Wein steht in Diskussion.

7.4.5

Bei einem Abschluss der WTO-Doha-Runde wird sich eine neue Situation für die EU-Agrarmärkte ergeben. Das ist auch dann der Fall, wenn der Abschluss bereits auf der Grundlage der bisher gemachten Zugeständnisse erfolgt: z.B. Abschaffung der Exporterstattungen bis 2013, Reduktion der noch bestehenden Zollsätze zwischen 35 % und 60 %. Das führt nach Berechnungen der Kommission zu einem Verlust von rd. 20 Mrd. EUR für die europäische Landwirtschaft.

7.4.6

Das Bekenntnis zur Multifunktionalität und die Verpflichtungen entsprechend Artikel 33 des EG-Vertrages erfordern nach Meinung des EWSA auch in Zukunft Maßnahmen,

mit denen den Risiken der zunehmenden Instabilität der Agrarmärkte begegnet werden kann,

die gewährleisten können, dass die Produktion mit hohen Standards nicht durch Importprodukte, die den EU-Anforderungen nicht entsprechen, ad absurdum geführt wird,

und die dazu beitragen, dass ein vielfältiges Nahrungsmittelangebot auch in Zukunft gewährleistet ist.

7.4.7

Der EWSA weist darauf hin, dass die EU-Märkte bereits seit Jahren weltweit zu den offensten zählen. Auch für die Entwicklungs- und Schwellenländer ist die EU bei weitem der offenste Absatzmarkt. Diese Länder liefern zollfrei oder zu niedrigen Zollsätzen mehr Agrarprodukte in die EU als in die USA und nach Kanada, Japan, Australien und Neuseeland zusammen. Es ist eine Diskussion darüber notwendig, dass Agrarprodukte bzw. Nahrungsmittel importiert werden, die unter Bedingungen produziert und verarbeitet werden, die die Gesellschaft in der EU nicht akzeptieren würde.

7.4.8

Nach Meinung des EWSA müssen die Gemeinschaftspräferenz und funktionierende Instrumente für Markt entlastende Maßnahmen, etwa in Form von Lagerhaltung, auch in Zukunft zur Verfügung stehen, wenn das die Marktentwicklung notwendig macht. Lagerhaltung hat auch die Funktion einer Krisenvorsorge. Bisher wurden keine überzeugenden Alternativen aufgezeigt, mit denen sich die Landwirte gegen die Instabilität der Agrarmärkte schützen können. Der EWSA spricht sich dafür aus, auf der Basis der in einigen Ländern wie USA und Kanada gemachten Erfahrungen mögliche Modelle mit einem passenden Zuschnitt für europäische Verhältnisse zu beraten. Es ist zu gewährleisten, dass in der EU weiterhin qualitativ hochwertige und sichere Lebensmittel hergestellt werden; dies kann nur gelingen, wenn die Landwirte über ein Einkommen verfügen, durch das ihnen die Möglichkeit und die Motivation gegeben wird, in der Landwirtschaft tätig zu bleiben.

7.4.9

Die EU hat bisher nicht erreicht, dass die „Nicht handelsbezogenen Anliegen“ (Umwelt- und Sozialstandards, Tierschutz) in der WTO-Doha-Runde verhandelt wurden. Der EWSA erwartet, dass die Kommission dies mit mehr Nachdruck bei den derzeit stattfindenden WTO-Verhandlungen einfordert. Direktzahlungen werden allein nicht ausreichen, eine Produktion mit hohen Standards längerfristig zu gewährleisten. Solange in einem weltweiten Wettbewerb die Produktionsbedingungen und Normen große Differenzen aufweisen, bleibt ein angemessener Außenschutz unverzichtbar. Dieser darf nicht durch eine kurzatmige Politik ausgehöhlt werden, wie das etwa durch das jüngste EU-Angebot an die AKP-Staaten (zollfreie Einfuhr) zu befürchten ist. Künftig sollte die EU weitere Handelserleichterungen, insbesondere im Rahmen von bilateralen Abkommen, bei Agrarprodukten von der Einhaltung von Mindeststandards abhängig machen.

7.4.10

Die zwischenzeitlich sehr restriktive Handhabung des Marktordnungsinstruments „Exporterstattungen“ zeigt deutlich, was die vorgeschlagene Abschaffung künftig in kritischen Marktsituationen bedeuten kann. Der EWSA erwartet, dass die Kommission endlich eine umfassende Analyse vorlegt, mit welchen Konsequenzen für das EU-Agrarsystem durch die Abschaffung der Exporterstattungen zu rechnen ist.

7.4.11

Ein verstärktes Bewusstsein über die anspruchsvollen Standards bei der Erzeugung von Lebensmitteln in allen Stufen kann mithelfen, die Markterlöse zu verbessern. Das wird in Zukunft für die europäische Agrarwirtschaft an Bedeutung gewinnen. Der EWSA tritt dafür ein, dass Informations- und Werbekampagnen wirkungsvoll mit EU-Mitteln unterstützt werden. Ebenso notwendig ist, dass sich die Kommission mit Nachdruck in den WTO-Verhandlungen für einen ausreichenden Schutz geografischer Angaben in der Produktkennzeichnung einsetzt.

7.4.12

Der EWSA hat sich in seiner Stellungnahme „Die Zukunft der GAP“ ausführlich mit dem Themenkomplex „Angebotssteuerung“ auseinandergesetzt. Er hat festgestellt, dass Mengenregulative eine wichtige Funktion ausüben können. Unbestreitbar wurde aber die Milchquote in den letzten Jahren immer mehr ausgehöhlt.

7.4.13

Die Kommission hat in einer Studie im Jahr 2002 (14) festgestellt, dass der Ausstieg aus der Milchquote bei den Landwirten in der EU (15) Einkommensrückgänge von mehr als 7 Mrd. EUR bewirken würde. Die Milchmenge würde um 12 % steigen, die Preise um über 35 % fallen. Es würde zu betrieblichen und regionalen Verschiebungen in der Milchproduktion kommen. Bevor nicht Klarheit darüber herrscht, wie diese Entwicklungen kompensiert werden könnten, sollten keine endgültigen Entscheidungen über Mengensteuerungssysteme im Milchbereich gefällt werden.

7.4.14

Gemäß Beschluss des Europäischen Agrarrates für die Reform der GAP im Jahre 2003 läuft die Quotenregelung bei Milch im Jahr 2015 aus. Nach Aussage der Kommission soll dieser Beschluss in keiner Weise verändert werden. Im Europäischen Agrarrat ist allerdings auch keine qualifizierte Mehrheit für eine Verlängerung zu sehen. Auf Grund der großen Bedeutung der Milchproduktion, insbesondere auch für die Aufrechterhaltung der Bewirtschaftung in vielen benachteiligten Regionen, sollte Klarheit über die Auswirkungen und notwendigen Konsequenzen eines Auslaufens der Quotenregelung bestehen. Der EWSA hält es daher für dringend erforderlich, ein Zukunftsprogramm speziell für die von einem Wegfall der Milchquotenregelung benachteiligten Regionen zu erarbeiten, um dort die Produktion zu sichern.

7.4.15

Ohne Land- und Viehwirtschaft laufen viele Regionen mit naturbedingten Nachteilen Gefahr, ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit zu verlieren. Nach Ansicht des EWSA sollte daher die Zukunft des Agrarsektors nach 2013 für die einzelnen Regionen und Bereiche eingehend untersucht werden, damit der Sektor für die Herausforderungen und Veränderungen, die dann auf ihn zukommen, gerüstet ist.

7.5   Direktzahlungen für die landwirtschaftlichen Betriebe

7.5.1

Die Direktzahlungen haben sich seit der GAP-Reform 1992 zu einem zentralen und unverzichtbaren Instrument der GAP entwickelt, zumal das Markteinkommen allein vielfach nicht ausreicht, um eine angemessene Lebenshaltung und die Bewirtschaftung zu sichern. Damit wurde auch dem Erfordernis Rechnung getragen, dass die landwirtschaftlichen Betriebe

durch erfolgte Preissenkungen bei den möglichen Markterlösen für einen großen Teil der Produkte nicht mehr die notwendige Kostendeckung erzielen;

durch die Bewirtschaftung des Landes unter Beachtung von strengen Produktionsauflagen häufig kostenaufwendiger arbeiten, als dies bei einer entsprechenden Produktion außerhalb der EU der Fall ist und gemeinwirtschaftliche Leistungen erbringen, die von der Gesellschaft verlangt werden;

in benachteiligten Regionen einen Ausgleich für naturbedingte Erschwernisse bekommen.

7.5.2

Der EWSA hält für die Zukunft das Prinzip einer funktionsorientierten Konzeption der Direktzahlungen und einer nachhaltigen Absicherung dieser Instrumente der GAP für unabdingbar. Jede Art der Direktzahlungen muss im Interesse einer allgemeinen Akzeptanz eine ausreichende Begründung haben.

7.5.3

Deshalb möchte der EWSA, dass zwischen den verschiedenen Arten der Direktzahlungen klar unterschieden wird. Die Direktzahlungen, die 1992 als Folge von Preiskürzungen eingeführt wurden, haben künftig die Funktion einer Leistungsabgeltung, die keine Deckung in den Marktpreisen findet. Sie haben eine andere Funktion als jene im Rahmen von spezifischen Umweltprogrammen, mit denen auch in Zukunft besondere Umweltleistungen durch Anreize über die 2. Säule abgegolten werden oder jene, die naturbedingte Nachteile ausgleichen sollen (Ausgleichszulage).

7.5.4

Diese seit der GAP-Reform 2003 weitgehend entkoppelten Direktzahlungen haben gegenwärtig und nach Auffassung des EWSA insbesondere in Zukunft eine Schlüsselfunktion bei der Sicherung der multifunktionalen Aufgabenstellung der europäischen Landwirtschaft. Die Beachtung strenger Produktionsauflagen, etwa aus Gründen des Umwelt- und des Tierschutzes bzw. Sicherheit der Nahrungsmittel, ist mit Kosten verbunden, die Mitbewerber aus Drittstaaten vielfach nicht haben. Es sind jedoch damit Leistungen verbunden, die die Gesellschaft erwartet, aber unter den gegebenen Wettbewerbsbedingungen vom Markt nur unzureichend honoriert werden. Der Ausgleich über zielgerichtete Direktzahlungen, nun in Form der Einheitlichen Betriebsprämie, muss aus Sicht des EWSA eine unbestrittene Aufgabe der Säule 1 bleiben.

7.5.5

Die früher produktbezogenen Prämien sind bereits in Form der „einheitlichen Betriebsprämie“ zu 85 % entkoppelt. Die Auszahlung ist an die Einhaltung der Auflagen im Rahmen von Cross Compliance gebunden. Der EWSA begrüßt, dass die Kommission Vorschläge für die Bewältigung der in der Praxis eingetretenen Schwierigkeiten gemacht hat.

7.5.6

Für die Zukunft ist entscheidend, dass diese Zahlungen weder in der grundsätzlichen Konzeption noch im Umfang in Frage gestellt werden und eine ausreichende finanzielle Grundlage gesichert bleibt. Wichtig ist, dass diese Zahlungen gegenüber der Gesellschaft gut und ausreichend begründet werden können. Nur so können die Agrarzahlungen überhaupt in ihrem jetzigen Umfang auch nach 2013 gehalten werden.

7.6   Politik für die Entwicklung ländlicher Gebiete

7.6.1

90 % der EU-Fläche sind ländliche Gebiete. Der größte Teil der Flächennutzung entfällt auf die Land- und Forstwirtschaft. Die Nahrungsmittelkette mit einem Anteil von knapp 15 % an der Wertschöpfung in der EU ist laut Eurostat der drittgrößte Bereich für die Beschäftigung.

7.6.2

Im Newsletter der Kommission „Beschäftigung und Wachstum durch ländliche Entwicklung“ (März 2006) wird festgestellt, dass ohne die GAP viele ländliche Gebiete in der EU vor großen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Problemen stünden. Es wird betont, dass insbesondere die Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung eine wichtige Rolle bei der Förderung und Erhaltung des Wohlstands in den ländlichen Gebieten spielen können. Der EWSA verweist auf seine Stellungnahme „Entwicklung des ländlichen Raums — ELER“ (15), in welcher u.a. Folgendes festgestellt wird: „Will man die wirtschaftliche und soziale Zukunftsfähigkeit dieser Gebiete sichern, so muss der Beitrag der gemeinsamen Agrarpolitik und ihrer beiden Säulen zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen in ganz Europa berücksichtigt werden, insbesondere indem innovative, wettbewerbsfähige landwirtschaftliche und nicht landwirtschaftliche Tätigkeiten entwickelt werden.“

7.6.3

Der EWSA hält de Ergebnisse der von der Kommission in Auftrag gegebenen Untersuchung „Study on Employment in Rural Areas“ (Mai 2006) für alarmierend. Darin wird angenommen, dass im Zeitraum 2000 bis 2014 in der EU 15 die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft um 4-5 Mio. zurückgeht, in den neuen Mitgliedstaaten (inklusive Rumänien und Bulgarien) um weitere 3-6 Mio.

7.6.4

Der EWSA betont, dass eine umfassende Politik für die ländlichen Räume einen Sektor übergreifenden Ansatz notwendig macht. Die als 2. Säule der GAP konzipierte Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes hat auf Grund der thematischen Programmatik eine eigenständige Rolle zu erfüllen und kann daher nicht andere Instrumente für die Entwicklung und Stärkung der ländlichen Regionen ersetzen. Die EU-Beschäftigungsstrategie ist unteilbar und muss die Erhaltung und Vermehrung der Arbeitsplätze in der Land- und Forstwirtschaft mit einschließen.

7.6.5

Der EWSA verweist auf eine neue Studie der Umweltstiftung Euronatur „Arbeit und Einkommen in und durch die Landwirtschaft“. Am Beispiel der Region Hohenlohe wurde der Beweis erbracht, dass trotz internationalisierten Agrarmärkten, verstärktem Wettbewerb und konzentrierter Verarbeitung, nicht nur Arbeitsplätze in der Landwirtschaft erhalten, sondern durch Diversifizierung in Produktion und Vermarktung neu geschaffen werden können. Mit dem gezielten Einsatz von Fördermitteln kann eine hohe ökonomische und strukturelle Wirkung im Sinne von Beschäftigung im ländlichen Raum erzielt werden.

7.6.6

Die „EU-Politik zur Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes“ hat einen unmittelbaren Bezug zur GAP und versteht sich als Instrument für die Land- und Forstwirtschaft. Der EWSA sieht in der Nachhaltigkeit dieser Konzeption und in einer kohärenten Umsetzung der beiden Säulen der GAP eine wichtige Zielsetzung. Die Strategieelemente Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, Honorierung der Umweltleistungen der Land- und Forstwirtschaft und die Brückenfunktion zur Verbesserung der Strukturen des ländlichen Raumes haben eine unverzichtbare Komplementärfunktion zu den Instrumenten der 1. Säule der GAP.

7.6.7

Die Finanzierung der Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes unterscheidet sich von der 1. Säule formell durch einen eigenen Fonds, was die Bedeutung der durch die Reform neu ausgerichteten Politik unterstreichen soll. Die Ergebnisse der Verhandlungen über die „Finanzielle Vorausschau“ 2007-2013 haben zu einer unbefriedigenden finanziellen Ausstattung der 2. Säule geführt, was der EWSA in mehreren Stellungnahmen kritisiert hat. Nach Auffassung des EWSA müssen die verschiedenen Funktionen der GAP aufrechterhalten werden. Weitere Schritte der Modulation von Direktzahlungen der 1. Säule müssen mit diesem Erfordernis in Einklang stehen. Wenn in der Folge Finanzmittel von der 1. Säule auf die 2. Säule übertragen werden, dann nur unter der Bedingung, dass mit diesen Finanzmitteln Maßnahmen zur Sicherung der multifunktionalen Aufgabenstellung der Landwirtschaft unterstützt werden. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Beschäftigung im ländlichen Raum geleistet.

7.6.8

Der EWSA tritt dafür ein, dass die finanziellen Mittel für Maßnahmen der 2. Säule nach 2013 spürbar aufgestockt werden. Er spricht sich auch dafür aus, dass bereits jetzt jene Mittel, die die EU derzeit auf Grund der Marktlage bei Exporterstattungen und anderen Markt entlastenden Maßnahmen einspart, gezielt für Projekte zur Förderung der ländlichen Gebiete zur Verfügung gestellt werden.

7.6.9

Der EWSA fordert die Kommission auf, mehr Klarheit darüber zu schaffen, wie die Abgrenzung zwischen dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung ländlicher Räume (ELER) und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) konkret aussieht. Der EWSA sieht mit Sorge, dass die 2. Säule mehr und mehr als Finanztopf für alle denkbaren Investitionen betrachtet wird.

7.6.10

Der EWSA begrüßt durchaus, dass mit der Achse 3 der ELER-Verordnung auch Maßnahmen finanziert werden können, die außerhalb des Bereichs der Land- und Forstwirtschaft liegen, meint jedoch, dass diese einen erkennbaren und nicht nur konstruierbaren Bezug zur Primärproduktion haben sollten. Überlegungen, z.B. die Breitbandverkabelung oder das Projekt GALILEO zu finanzieren, werden vom EWSA zurückgewiesen. Hierfür könnten die klassischen Regionalentwicklungsfonds genutzt werden.

7.6.11

Bei der Umsetzung der Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raumes ist nach Auffassung des EWSA folgendes zu berücksichtigen: Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen in den Mitgliedsstaaten muss ein Gestaltungsspielraum im Sinne der Subsidiarität möglich sein. Die damit in einem Zusammenhang stehende nationale Mitfinanzierung der Programme ist ein wichtiges Element der Mitverantwortung für eine zielgerechte Umsetzung der einzelnen Maßnahmen.

Brüssel, den 25. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  NAT/356.

(2)  Eurobarometer 276, „Europäer, Landwirtschaft und Gemeinsame Agrarpolitik — 2006“

(http://ec.europa.eu/agriculture/survey/index_de.htm).

88 % der Befragten erklären, dass die Landwirtschaft und die ländlichen Gebiete für die Zukunft Europas wichtig sind, 49 % äußerten sich positiv zur Entkoppelung, mehr Befragte glauben, dass der Budgetanteil für die GAP angemessen ist (45 %), zu hoch (16 %), zu gering (15 %). 58 % der Befragten glauben, dass die für die Landwirtschaft aufgewendeten Mittel unverändert bleiben (32 %) oder erhöht (26 %) werden sollten.

(3)  Rede von Kommissarin Mariann Fischler Boel am 7. Mai 2007 im Europäischen Parlament (SPEECH/07/288).

(4)  Quelle: EU-Kommission, Haushaltspläne.

(5)  EuroStat: „Producer price indices“: Pflanzliche Produkte — 9,3 %, tierische Erzeugnisse — 15,8 %.

(6)  DG Agri, Memo/03/10.

(7)  Halbzeitbewertung der Gemeinsamen Agrarpolitik, KOM(2002) 394.

(8)  ABl. C 208 vom 3.9.2003, S. 64 — NAT/178.

(9)  EEA Report No 9/2006 „Greenhouse gas emission trends and projektions in Europe 2006“.

(10)  Mitteilung der Kommission „Eine EU-Strategie für Biokraftstoffe“; SEK(2006) 142.

Nachhaltige Biomassenutzungsstrategien im europäischen Kontext (Institut für Energetik und Umwelt, Leipzig).

How much bionergy can Europe produce without harming the environment? (European Environment Agency, EEA Report No 7/2006).

(11)  ABl. C 125 vom 27.5.2002, S. 87-99 — NAT/122.

(12)  ABl. C 368 vom 20.12.199, S. 76-86 — NAT/028.

(13)  European Economy Nr. 5/97.

(14)  SEK(2002) 789, Arbeitsdokument der Kommission „Bericht über die Milchquote“.

(15)  ABl. C 234 vom 22.9.2005, S. 32-40 — NAT/256.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/69


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Klimawandel und Lissabon-Strategie“

(2008/C 44/18)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 25./26. April 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu erarbeiten: „Klimawandel und Lissabon-Strategie“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz (Beobachtungsstelle für nachhaltige Entwicklung) nahm ihre Stellungnahme am 1. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr EHNMARK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Klimawandel entwickelt sich für uns zu einer Schicksalsprobe. Er gefährdet nicht nur unser Wohlergehen, sondern auch unser Überleben. Der Klimawandel ist eine wahrhaft globale Bedrohung, und er beschleunigt sich, da der Ausstoß von Emissionen weiterhin ansteigt.

1.2

Wissenschaftler geben uns einen Zeitraum von 10-15 Jahren, um den Anstieg dieser Emissionen einzudämmen. Das Fazit liegt auf der Hand: Es gilt keine Zeit zu verlieren.

1.3

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert die Europäische Kommission dringend auf, Programme und Maßnahmen einzuleiten, damit die im März dieses Jahres vom Europäischen Rat aufgestellten ehrgeizigen Ziele Wirklichkeit werden. Die Bürger warten auf eindeutige Signale für Prioritäten und Maßnahmen. Europa sollte nicht nur bei der Planung, sondern auch bei der Umsetzung eine Vorreiterrolle einnehmen.

1.4

Die Eindämmung des Klimawandels erfordert äußerst breit gefächerte und nachhaltige Bemühungen. Da sich der Klimawandel auf praktisch alle Teile der Gesellschaft auswirken wird, müssen sowohl der öffentliche als auch der private Sektor Verantwortung übernehmen.

1.5

Der EWSA unterstreicht, dass transparente Maßnahmen gebraucht werden, die den Bürgern die Einhaltung ermöglichen und sie zu neuen Ansätzen inspirieren. Die Maßnahmen müssen über einen Bottom-up-Ansatz geplant und umgesetzt werden.

1.6

Der EWSA betont, dass anhaltende Bemühungen um eine Kommunikation mit den Bürgern und der lokalen Ebene ebenso wie deren Konsultation erforderlich sind.

1.7

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, umfassende Klimaschutzbemühungen in die Lissabon-Strategie für Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze aufzunehmen. Die Lissabon-Strategie enthält bereits eine Verpflichtung zur nachhaltigen Entwicklung. Jetzt ist der Zeitpunkt für eine Einbeziehung des Klimaschutzes gekommen.

1.8

Wenn die EU die Lissabon-Strategie als Instrument nutzt und sie „vergrünt“, so kann sie hierbei auf eine vorhandene Struktur mit etablierten Verfahren und einem gut funktionierenden Koordinierungssystem zurückgreifen. Die EU muss die Effizienz so weit wie möglich steigern und wo immer möglich Synergieeffekte nutzen.

1.9

Der EWSA legt einen Fahrplan für die Einbeziehung der Klimawandelthematik in die Lissabon-Strategie vor. Von besonderer Bedeutung ist, ob bzw. dass es im Rahmen der Lissabon-Strategie gelingt, einen breiten Konsens über gemeinsame Ziele und Maßnahme zu erzielen.

1.10

Der EWSA betont, dass einige integrierte Leitlinien für Klimaschutzmaßnahmen aufgestellt werden und in die Lissabon-Strategie aufgenommen werden müssen. Diese Leitlinien werden den gleichen Bewertungs- und Vergleichsverfahren unterzogen werden wie die anderen Leitlinien der Strategie, einschließlich der Methode der offenen Koordinierung.

1.11

Durch den Klimawandel können sich bestehende soziale Verzerrungen und Unterschiede in der EU und anderswo verstärken. Klimaänderungen stellen unsere Solidaritätsfähigkeit auf den Prüfstand. Das Ziel muss darin bestehen, die Anpassung an den Klimawandel und seine Eindämmung ohne Arbeitsplatzverluste und soziale Verzerrungen zu bewältigen. Die Bekämpfung des Klimawandels darf nicht zur Folge haben, dass zunehmend mehr Menschen in Armut leben. Der EWSA unterstreicht, dass die Lissabon-Strategie so fortgesetzt muss, dass Wettbewerbsfähigkeit, sozialer Zusammenhalt und Klimaschutzmaßnahmen ineinander greifen.

1.12

Die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen muss auf einer Kombination von öffentlichen und privaten Mitteln aufbauen. Hier kommt der Europäischen Investitionsbank eine Schlüsselrolle zu. Im EU-Haushalt sollte herausgestellt werden, wo Mittel für Klimaschutzmaßnahmen vorgesehen sind. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, dass die Kommission Instrumente für die Schaffung eines „grünen“ BIPs entwickeln sollte.

1.13

Die Bekämpfung des Klimawandels kann positive Wettbewerbseffekte erzeugen. Auf dem Weltmarkt wird insbesondere im Verkehrsbereich nach neuen, energiesparenden Lösungen gesucht. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung sollten aufgestockt werden. Das lebenslange Lernen ist wichtiger denn je.

1.14

Die vor uns liegende Arbeit kann als Nagelprobe für unsere partizipative Demokratie beschrieben werden. Die Bürger erwarten, dass sie gefragt werden. Den Sozialpartnern kommt hierbei eine äußerst wichtige Rolle zu, da sie die Brücke zwischen den Bürgern und den Regierungen bilden. Der soziale Dialog auf allen Ebenen ist ein Schlüsselinstrument. Die organisierte Zivilgesellschaft wird nicht zuletzt im Bereich der Sozialwirtschaft eine wichtige Rolle spielen.

1.15

Der EWSA wird sich auch weiterhin engagiert für den Klimaschutz einsetzen. Er ist bereit, konkrete Beiträge zu leisten, wie er sie auch schon für die Lissabon-Strategie beisteuert. Der EWSA wird sich bei seinen Bemühungen am Geiste der Solidarität zwischen Völkern und Generationen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU, orientieren.

1.16

Die vor uns liegenden Bemühungen erfordern eine engagierte und flexibel reagierende politische Führung.

2.   Ein energisches Klimaschutzprogramm der EU

2.1

Der Europäische Rat nahm im März dieses Jahres ein energisches und ehrgeiziges Klimaschutzprogramm an. Der Aktionsplan beinhaltet ein Ziel von 20 Prozent erneuerbaren Energien im Energiemix der EU, eine Reduzierung des Treibhausgasausstoßes um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 (und eine Reduzierung um 30 Prozent unter bestimmten Bedingungen) sowie das langfristige Ziel, die Treibhausgasemissionen in der EU bis zum Jahr 2050 um bis zu 60-80 Prozent zu senken. Zudem beschloss die EU, die Energieeffizienz in der EU bis 2020 um 20 Prozent zu steigern. Mit diesem Aktionsplan hat die EU weltweit bei den Klimaschutzbemühungen eine Vorreiterrolle übernommen.

2.2

Weniger deutlich war der Europäische Rat in Bezug auf die Instrumente für die Umsetzung der Ziele. Die Europäische Kommission wurde um die Vorlage von Vorschlägen für künftige Beschlüsse ersucht. Zusätzlich leitete die Kommission eine öffentliche Anhörung über mögliche Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ein.

2.3

Diese Dringlichkeit kam auch in einigen Aussagen zum Ausdruck. Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte beispielsweise zu Beginn des Jahres, dass die EU weiterhin eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einnehmen und möglichen Mitstreitern Anreize bieten müsse. Die Führungsrolle erwachse aus der Verpflichtung der EU, die Emissionen bis 2020 um 20 Prozent zu senken; der Anreiz entstehe dadurch, dass wir eindeutig klar stellen, dass wir noch weiter gehen werden, wenn sich andere anschließen. Schließlich gehe es hier um die Erwärmung der Erde und nicht nur um die Erwärmung der Europäischen Union.

2.4

„Die Energie und Klimaschutzvorschläge der Kommission bilden einen wesentlichen Bestandteil der Lissabon-Agenda für Wachstum und Beschäftigung“, so Kommissionspräsident Barroso. In der im Jahr 2000 beschlossenen Lissabon-Strategie wurde das Ziel aufgestellt, die EU „zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der Welt zu machen — einer Wirtschaft, die fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“. Die Energiepolitik wurde 2006 vom Europäischen Rat zu einem der vier Schwerpunktbereiche der Lissabon-Strategie erklärt. Auch in Leitlinie 11 der integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung für den laufenden Dreijahreszeitraum wird den Mitgliedstaaten empfohlen, das Potenzial erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz für Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen.

2.5

Die EU muss zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenhalt und der rasch größer werdenden Bedrohung durch den Klimawandel gelangen. In dieser Stellungnahme soll untersucht werden, wo mögliche Synergieeffekte und Konflikte bei der Bekämpfung des Klimawandels vorliegen.

2.6

Die Kosten für eine Stabilisierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 auf dem heutigen Stand wurden vor kurzem mit über 200 Mrd. US-Dollar beziffert (1). In einem vor kurzem veröffentlichten Bericht der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen werden die Kosten wie folgt aufgeschlüsselt:

—   Industrie: 38 Mrd. US-Dollar

—   Gebäude, v.a. Dämmung: 50 Mrd. US-Dollar

—   Verkehr: 90 Mrd. US-Dollar

—   Abfall: 1 Mrd. US-Dollar

—   Landwirtschaft: 30 Mrd. US-Dollar

—   Forstwirtschaft: 20 Mrd. US-Dollar

—   Technische Forschung: 35-45 Mrd. US-Dollar.

Diese Zahlen belegen eindeutig die Notwendigkeit eines effizienten Managements sowie den Koordinierungsbedarf. Hierzu sollten, wie im vergangenen Jahr im Stern-Bericht hervorgehoben wurde, die hohen Kosten für ein passives Abwarten addiert werden. Denn je länger wir warten, desto höher wird der Preis sein.

2.7

Die Finanzierung der vor uns liegenden Arbeit ist eine große Herausforderung. Der EWSA fordert die Europäische Kommission zu Konsultationen der öffentlichen und privaten Akteure auf, um Prioritäten festzulegen. Der Europäischen Investitionsbank und den Strukturfonds kommt bei der Koordinierung der Finanzlösungen eine Schlüsselrolle zu.

2.8

Die nächste Überprüfung der Lissabon-Strategie steht auf dem Europäischen Rat im März 2008 an, der neue Planungszeitraum läuft dann bis 2011. Diese Überprüfung gibt Gelegenheit, Synergieeffekte herauszustellen.

3.   Die wesentliche Herausforderung: Realisierung möglicher Synergieeffekte

3.1

Die Lissabon-Strategie hat wesentlich dazu beigetragen, dass die 27 Mitgliedstaaten gemeinsame Ziele aufgestellt haben. Das allein ist schon als Erfolg zu werten. Durch den Klimawandel sind einige neue Themen auf die europäische Agenda gelangt. Ein erhebliches Potenzial für Synergieeffekte ist vorhanden.

3.2

Die wissensbasierte Gesellschaft wurde schon von Beginn an als ein Eckpfeiler der Lissabon-Strategie betrachtet.

3.3

Die Innovationspolitik, die Unterstützung für Innovationszentren und neue Initiativen zur Förderung des Wissenstransfers von der Forschung auf die Produktentwicklung sind Teil der Lissabon-Strategie und des EU-Klimaschutzprogramms. Europa ist zwar auf dem rasch wachsenden Markt für energieeffiziente Produkte in vielen Bereichen führend, doch ist es u.U. in der Fertigungsindustrie anfällig für Konkurrenz ausländischer Hersteller, insbesondere bei kleinen und kraftstoffsparenden Fahrzeugen. Es ist wichtig, dass sich der Dienstleistungssektor mit der Einführung ehrgeiziger Klimaschutzmaßnahmen entsprechend weiter ausdehnt.

3.4

Beim Klimaschutz geht es auch um die Energiepolitik. Europa muss in seiner Energieaußenpolitik mit einer Stimme sprechen. Durch gemeinsames Handeln verfügt es über eine so große Verhandlungsmacht, dass seine Interessen — Klimaschutz, Energiesicherheit, bezahlbare Energie — nicht übergangen werden können.

3.5

Durch den Klimawandel können sich bestehende soziale Verzerrungen und Unterschiede verstärken. Eine ehrgeizige Bildungspolitik kann solchen Entwicklungen entgegenwirken.

3.6

Die Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen auf die Beschäftigung werden sich in den kommenden Jahren zu einem zentralen Thema entwickeln. Das Ziel muss darin bestehen, die Anpassung an den Klimawandel und Klimaschutzmaßnahmen möglichst ohne große Arbeitsplatzverluste zu bewältigen. Eine industrialisierte Landschaft im Wandel wird eine stärkere Nachfrage nach lebenslangem Lernen erzeugen und zu Änderungen der Arbeitsorganisation, der Arbeitsplätze und des Einkommens führen.

3.7

Für erfolgreiche Klimaschutzbemühungen ist eine beständige und tatkräftige Unterstützung vor Ort erforderlich. Projekte zur Schaffung CO2-neutraler Dörfer erzeugen viel Aufmerksamkeit. Unerlässlich ist der Erfahrungsaustausch. Die Nachfrage nach Niedrigenergiehäusern wird steigen, ebenso wie die Nachfrage nach Renovierung und Dämmung von Häusern.

3.8

Auch der Landwirtschaft kommt eine Rolle im Rahmen des Klimawandels und der Lissabon-Strategie zu, da sich die landwirtschaftliche Tätigkeit aufgrund des Klimas ändern wird und weil der Sektor zu einer Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels beitragen kann. Mehr als je zuvor muss die Agrarforschung dazu angehalten werden, ihre Arbeiten künftig auf einen geringeren Einsatz von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln bzw. eine Anpassung der Bodenbearbeitungstechniken auszurichten und dabei einen optimalen Ertrag zu wahren — bzw. dafür zu sorgen, dass in Zukunft neue und besser an den Klimawandel angepasste Varietäten zur Verfügung stehen. Nicht vergessen werden darf der gesamte Bereich der nicht zu Nahrungszwecken bestimmten landwirtschaftlichen Rohstofferzeugung. Eine an den Sektor angepasste Fortbildung sollte ins Auge gefasst werden.

3.9

Die Nutzung der Strukturfonds wird von Klimaproblemen, wie der Versteppung und steigenden Meeresspiegeln, beeinflusst werden. Ein weiterer Faktor sind die Menschen, die in Gebieten in Randlage leben, wo die steigenden Energiepreise sehr ernstzunehmende Probleme schaffen werden. Die Aufrechterhaltung von Lebensbedingungen ist ein Thema, bei dem die im Rahmen der Lissabon-Strategie geschaffenen Netze einen wertvollen Beitrag in Form eines Erfahrungsaustauschs leisten können.

3.10

Alle genannten Beispiele verdeutlichen den Umfang und die Dringlichkeit, die Chancen zu nutzen, die die koordinierten Maßnahmen der Lissabon-Strategie und des europäischen Klimaschutzprogramms bieten.

4.   Eine neue Definition von Wachstum

4.1

Sowohl mit Blick auf die Wirtschaft als auch auf den Klimaschutz ist es wichtig, dass Maßnahmen im Rahmen des Ziels „nachhaltiges Wachstum“ der Lissabon-Strategie erlassen werden. Im neuen Dreijahresprogramm der Lissabon-Strategie sollte daher die Definition von „Wachstum“ sorgfältig überprüft werden. Wachstum, das CO2-neutral ist bzw. sogar eine positive CO2-Bilanz aufweist, sollte gefördert werden.

4.2

Der Ausschuss hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es nicht mehr um ein rein quantitatives Wachstum gehen kann, sondern dass ein „neuer Wachstumsgedanke“ gebraucht wird, bei dem qualitative, an Nachhaltigkeitskriterien orientierte Ziele im Vordergrund stehen. Diese Nachhaltigkeitskriterien beinhalten selbstverständlich eine Abkopplung des Wachstums vom Treibhausgasausstoß. Er wiederholt daher seinen Aufruf an die Kommission und den Rat:

zu klären, ob nicht genau am Indikator „Bruttoinlandsprodukt“ als Messlatte für Wohlfahrt und Wohlstand auch eine Konfliktlinie zwischen Nachhaltigkeits- und Lissabon-Strategie verläuft, und

darzustellen, wie ein den Nachhaltigkeitsprinzipien angepasster neuer „Wohlstandsindikator“ konkret aussehen müsste, der z.B. „intelligentes Wachstum“ oder „grünes BIP“ genannt werden könnte.

5.   Konfliktbereich Verkehr?

5.1

Der Zielkonflikt ist vor allem im Verkehrsbereich spürbar. In der Lissabon-Strategie wird die Bedeutung adäquater Verkehrskorridore und Verkehrsnetze betont. Dies hat dazu geführt, dass der Schwerpunkt vieler Arbeiten auf dem Ausbau des Straßenverkehrs lag, was allerdings in krassem Widerspruch zur Abschwächung des Klimawandels steht.

5.2

Einhergehend mit dem gegenwärtigen Wirtschaftswachstum in den EU-Mitgliedstaaten steigt das Verkehrsvolumen auf den Straßen rasch an; einige Berechnungen sagen ein Wachstum von bis zu 40 Prozent im Zeithorizont bis 2020 voraus. Auch das zunehmende Verkehrsvolumen im Luftverkehr trägt hierzu bei. Bislang wurde das Verkehrswachstum noch nicht vom Anstieg der Treibhausgasemissionen abgekoppelt, und eine Patentlösung ist nicht in Sicht. Biokraftstoffe werden fossile Brennstoffe in der nahen Zukunft nicht ersetzen können, und durch wahrscheinliche technische Verbesserungen bei der Kraftstoff- und Motoreffizienz allein kann die vorhergesagte Zunahme des Verkehrsvolumens höchstwahrscheinlich nicht kompensiert werden.

5.3

Der neue Dreijahresplan für die Lissabon-Strategie sollte Verkehrsthemen auch von der Klimawandelperspektive her angehen. Das Ziel sollte ein adäquates Verkehrssystem für die EU sein — dieses Verkehrssystem muss jedoch auch die Auswirkungen auf das Klima stärker berücksichtigen. Das nur marginale Wachstum des Schienenverkehrs ist ein sehr ernstes Warnzeichen. Dies machte im vergangenen Jahr auch das Verkehrsweißbuch deutlich, dessen Schwerpunkt auf dem Straßen- und Luftverkehr und nicht auf dem Schienen- und Binnenschiffsverkehr lag. Bei den Strukturfonds ist zu erkennen, dass erhebliche Mittel so eingesetzt werden, dass sie nicht zu einem Rückgang der Treibhausgasemissionen führen, sondern eher den gegenteiligen Effekt haben.

5.4

In den nächsten 20 bis 50 Jahren (ein Zeitrahmen, den der Europäische Rat für Klimafragen gesteckt hat) muss Europa zu effizienten und klimafreundlichen Verkehrsstrukturen gelangen. Warum gibt es zum Beispiel keine Bestimmungen für einen Transport von mehr dringenden Gütern mit Hochgeschwindigkeitszügen?

5.5

Ein zunehmendes Verkehrsvolumen bedeutet auch, dass ältere Lkw — mit „dreckigen“ Motoren — im Einsatz bleiben, obwohl sie größere Treibhausgasmengen ausstoßen. Die Kommission sollte eine Konsultation über Verfahren für eine Modernisierung alter Lkw-Flotten — und letztlich für die Stilllegung veralteter und ineffizienter Fahrzeuge — einleiten. Ferner sind Maßnahmen auf der Nachfrageseite erforderlich. Anreize sind nötig, damit sich das Gesamtverkehrsaufkommen verringert und der Umstieg auf nachhaltigere Verkehrsträger erfolgt.

6.   Ein Fahrplan für die Einbeziehung der Klimawandelproblematik in die Lissabon-Strategie

6.1

Die Klimaschutzziele der EU erfordern einen umfassenden Einsatz vieler Institutionen und Akteure. Es liegt auf der Hand, dass die Arbeitsverfahren und Erfahrungen der Lissabon-Strategie genutzt werden sollten.

6.2

Vor allem ist wichtig, dass die Lissabon-Strategie mit ihrem auf drei Säulen beruhenden Ansatz die Klimaschutzziele in ihr Programm einbezieht, um Fortschritte in vorrangigen Bereichen zu beschleunigen.

6.3

Ein Fahrplan für integrierte Klimaschutzbemühungen der EU sowie für Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel enthielte folgende Punkte:

6.4

Die Europäische Kommission sollte die derzeitigen Programme überprüfen, um das Thema Klimaschutz im aktuellen Haushalt herauszustellen. Im nächsten Planungszeitraum müssen im Haushalt erhebliche Mittel für den Klimaschutz veranschlagt werden. Wahrscheinlich müssen jedoch schon im laufenden Planungszeitraum Mittel übertragen werden. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Hauptverantwortung für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel bei der nationalen Ebene liegt.

6.5

Die Europäische Kommission wird bis Anfang Dezember Legislativvorschläge zu erneuerbaren Energien und Emissionen vorlegen. Auf diese Weise kann der Europäische Rat im März 2008 im Rahmen der Festlegung der Leitlinien für den nächsten Dreijahreszeitraum der Lissabon-Strategie die erforderlichen Beschlüsse treffen. Diese Gelegenheit ist für die Förderung einer gemeinsamen Umsetzung von wesentlicher Bedeutung.

6.6

Besonders wichtig ist, dass es der Europäischen Kommission gelingt, die erforderliche Koordinierung zwischen ihren Referaten und Diensten zu schaffen. Der EWSA hat bereits mehrfach betont, dass die interne Koordinierung innerhalb der Kommission äußerst bedeutsam ist.

6.7

Auf der Grundlage der Vorschläge der Kommission und der Ratsbeschlüsse sollte eine größere Informations- und Kommunikationskampagne eingeleitet werden, um die Bürger stärker für diese Thematik zu sensibilisieren und um Initiativen auf lokaler und regionaler Ebene zu fördern.

6.8

Vor dem Hintergrund der anstehenden Vorschläge zu erneuerbaren Energien und Emissionen betont der EWSA die Bedeutung eines engen und kontinuierlichen Dialogs mit den Sozialpartnern und der organisierten Zivilgesellschaft. Der EWSA empfiehlt, den sozialen Dialog als eines von vielen Foren für Information und Konsultation zu nutzen. Unerlässlich ist es, auch die organisierte Zivilgesellschaft in die Überlegungen einzubinden.

6.9

Als Zusammenfassung der einzelnen Vorschläge für den Fahrplan sind folgende Punkte herauszustellen:

Bewertung operativer Ziele für die Dreijahreszeiträume;

Einbeziehung der Klimaschutzthematik in die Grundzüge der Wirtschafts- und Sozialpolitik;

Aufnahme der Klimaschutzthematik in die jährlichen nationalen Reformprogramme zu den Fortschritten im Rahmen der Strategie;

Einbeziehung der Akteure, insbesondere auf nationaler und lokaler Ebene;

vergleichende Berichte der Kommission über erreichte Fortschritte;

Erweiterung des Einsatzes der Methode der offenen Koordinierung um die Klimaschutzthematik;

aktive Einbindung von Massenmedien und Stakeholder-Organisationen, um die Bürger aktuell über erzielte Fortschritte zu informieren;

gezielte Unterstützung für innovative Projekte, insbesondere für Gemeinden, die eine CO2-neutrale Entwicklung anstreben (siehe Beispiele aus England).

6.10

Beispiele für ein mögliches Klimaschutz-Benchmarking im Rahmen der Lissabon-Strategie:

Erhöhung des Anteils des Schienen- und Binnenschiffsverkehrs um zwei Prozentpunkte pro Jahr;

Steigerung des Einsatzes von Energiesparleuchten in öffentlichen Gebäuden um einen bestimmten Prozentsatz pro Jahr;

Veranstaltung eines jährlichen Schulinformations- und -kommunikationstags für alle Schüler.

7.   Die Rolle der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft

7.1

Der Klimawandel und die Lissabon-Strategie sind gemeinsam wichtige Herausforderungen für die Europäische Union. Maßnahmen und Programme müssen unbedingt von der Basis aus entworfen und beschlossen und dürfen nicht von oben vorgegeben werden. Die Sozialpartner und die organisierte Zivilgesellschaft müssen sowohl hierin als auch in die Planung und Umsetzung eingebunden werden.

7.2

Der EWSA ist bereit, über sein Netz zu den Akteuren einen Beitrag zu leisten.

8.   Gebraucht wird politische Führungsstärke

8.1

Der Europäische Rat hat einen energischen Beschluss über Ziele zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes gefasst.

8.2

Die praktischen Auswirkungen dieses Beschlusses auf unsere Gesellschaften und den Alltag unserer Bürger sind eine der großen Herausforderungen von morgen. Welche Art von Gesellschaft wollen wir? Wie kann sich das europäische Sozialmodell an die mannigfaltigen Herausforderungen des Klimawandels anpassen? Wie kann es den Forderungen nach Wettbewerbsfähigkeit, sozialem Zusammenhalt und nachhaltiger Entwicklung in einer globalisierten Umgebung gleichzeitig gerecht werden? Diese Themen sollten in der weiteren Debatte über die von den Bürgern gewünschte Art von Gesellschaft aufgegriffen werden.

8.3

Der EWSA hat in einigen Stellungnahmen der vergangenen Jahre die Notwendigkeit politischer Führungsstärke im Rahmen der Bemühungen um den Klimaschutz und die nachhaltige Entwicklung gefordert. Diese Forderung ist heute so aktuell wie eh und je.

8.4

Der Klimawandel schreitet rasch voran. Die Unruhe unter den Bürgern wächst. Gebraucht wird eine konstruktive politische Führung, nicht nur auf europäischer und nationaler Ebene, sondern auch und vor allem auf kommunaler und lokaler Ebene.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC): „Analysis of existing and planned investment and financial flows relevant to the development of effective and appropriate international response to climate change“.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/74


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verschuldung und soziale Ausgrenzung in der Überflussgesellschaft“

(2008/C 44/19)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Verschuldung und soziale Ausgrenzung in der Überflussgesellschaft“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 25. Oktober) mit 59 Stimmen bei einer Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Da gemeinschaftliche Leitvorgaben fehlen, haben die einzelnen Mitgliedstaaten eigene rechtliche Lösungsansätze für die Prävention von Überschuldung, die Behandlung dieses Problems, die Schuldenbereinigung sowie die Begleitung und Betreuung der betroffenen Bürger und Familien entwickelt.

1.2

Angesichts der besorgniserregenden Zunahme der Überschuldung während der letzten Jahrzehnte und unter besonderer Berücksichtigung der Erweiterung der Europäischen Union sowie der in jüngster Zeit zu beobachtenden weltweiten Verschärfung der Lage hat sich der EWSA, der diese Entwicklung mit den sozialen Folgen der Überschuldung — Ausgrenzung und Verlust an sozialer Gerechtigkeit — und den negativen Auswirkungen auf die Verwirklichung des Binnenmarktes bereits seit langem verfolgt, entschlossen, die öffentliche Debatte über dieses Problem mit der Zivilgesellschaft und den anderen Gemeinschaftsinstitutionen wieder anzustoßen, damit auf Gemeinschaftsebene geeignete Maßnahmen im Hinblick auf eine genaue Definition des Phänomens, seine Überwachung sowie seine soziale, wirtschaftliche und rechtliche Behandlung festgelegt und durchgeführt werden.

1.3

Die Vielfalt der Systeme, die nicht nur in Europa, sondern auch im Rest der Welt in verschiedenen Ländern geschaffen wurden, führt in Verbindung mit dem Fehlen derartiger Systeme in anderen Ländern zum einen zu Chancenungleichheit und damit sozialer Ungerechtigkeit und zum andern zu Störungen bei der Vollendung des Binnenmarktes; daher ist ein dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehorchendes Tätigwerden der Europäischen Union erforderlich, für das die notwendige Rechtsgrundlage im Primärrecht gegeben ist.

1.4

In der vorliegenden Stellungnahme werden die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Überschuldung erörtert, die verschiedenen einzelstaatlichen Lösungen analysiert, die festgestellten Probleme und Mängel beschrieben, der Gesamtumfang des Phänomens abgeschätzt, Überlegungen zu den Lücken im Kenntnisstand und bei den Methoden angestellt sowie der Versuch unternommen, Ansätze und Bereiche für ein eventuelles Handeln auf Gemeinschaftsebene aufzuzeigen.

1.5

Überdies wird die Einrichtung einer europäischen Beobachtungsstelle für Verschuldung vorgeschlagen, die die Entwicklung des Phänomens auf europäischer Ebene verfolgen, als Dialogforum für alle interessierten Parteien dienen und Maßnahmen zu seiner Prävention und Eindämmung vorschlagen, koordinieren und bewerten soll.

1.6

Der Ausschuss ist sich jedoch bewusst, dass eine Angleichung dieser Art und in diesem Umfang nur dann möglich ist, wenn die Kommission, das Europäische Parlament und der Rat im engen Dialog mit der organisierten Zivilgesellschaft, die die wichtigsten betroffenen Parteien vertritt (Familien, Arbeitnehmer, Verbraucher, Finanzinstitute usw.), dieses Thema zu einem prioritären Handlungsbereich machen.

1.7

Daher ist zu begrüßen, dass sich die Kommission neuerdings wieder diesem Thema zuzuwenden scheint, und es wird nachdrücklich empfohlen, die notwendigen Maßnahmen in Form von Grundlagenstudien, Konsultationen sowie geeigneten legislativen und anderen Vorschlägen folgen zu lassen. Als Erstes sollte ein Grünbuch veröffentlicht werden, in dem die Problemstellung umrissen wird und mittels einer erweiterten öffentlichen Konsultation alle interessierten Kreise zu Wort kommen.

1.8

Außerdem appelliert der Ausschuss an das Europäische Parlament und den Rat, sich die in dieser Stellungnahme dargelegten wichtigen Anliegen der Zivilgesellschaft zu eigen zu machen und diese als Prioritäten in ihre politische Agenda aufzunehmen.

2.   Einleitung

2.1

Es ist an sich unumstritten, dass Kredite den Unionsbürgern eine Verbesserung ihrer Lebensqualität und den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen ermöglichen, die sie sich andernfalls nicht oder erst viel später leisten könnten, wie z.B. Wohneigentum oder ein eigenes Fahrzeug. Bei einer unverträglichen Belastung — d.h. wenn schwerwiegende Arbeitsplatzprobleme vorliegen, der monatliche Schuldendienst einen vernünftigen Anteil des verfügbaren monatlichen Einkommens überschreitet, zu viele Kredite gleichzeitig laufen und kein Polster an Ersparnissen vorhanden ist, um kurzfristige Einkommensausfälle abzufedern — können Kredite jedoch zu Überschuldung führen.

2.2

Die Überschuldung mit ihren sozialen Folgen ist im Übrigen kein neues Phänomen. Ihre Ursprünge lassen sich gar bis in die klassische Antike zurückverfolgen, genauer gesagt bis zur Agrarkrise im Griechenland des 6. Jahrhundert v. Chr., auf die Solon seinerzeit (594/593 v. Chr.) mit einem Schuldenerlass für die Kleinbauern reagierte, damit diejenigen, die wegen ihrer Schulden als Sklaven verkauft worden waren, wieder freikamen und wieder als freie Bürger am gesellschaftlichen und produktiven Leben Athens teilhaben konnten (1).

2.3

Es kann jedoch nicht bestritten werden, dass das Phänomen gerade in unserer Zeit immer weiter um sich greift, besorgniserregende Formen annimmt und als soziale Frage die Gemüter in einer Gesellschaft beschäftigt, die durch starke Unterschiede geprägt ist, in der die Disparitäten immer größer werden und die Solidarität abgenommen hat.

2.4

In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage der finanziellen Ausgrenzung besondere Bedeutung; unter diesem Begriff ist die soziale Ausgrenzung derjenigen zu verstehen, denen aus unterschiedlichen Gründen der Zugang zu den grundlegenden Finanzdienstleistungen verwehrt ist (2).

2.5

In der vorliegenden Stellungnahme sollen die wichtigsten Ursachen und das Ausmaß des Problems sowie die am häufigsten eingesetzten Abhilfemaßnahmen aufgezeigt und die Gründe dargelegt werden, die für das Bemühen um eine Lösung auf Gemeinschaftsebene sprechen.

3.   Ausmaß des Problems

3.1   Soziale Ausgrenzung und finanzielle Ausgrenzung

3.1.1

Laut einer Eurobarometer-Umfrage vom Februar 2007 (3) fühlen sich rund 25 % der europäischen Bürger von Armut bedroht, und 62 % glauben, dass jeder irgendwann im Leben von dieser Gefahr betroffen werden kann.

3.1.2

Gemäß dem von der Europäischen Kommission vorgelegten gemeinsamen Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2007 lebten 16 % der Bürger der EU-15 im Jahr 2004 unterhalb der Armutsgrenze (60 % des Durchschnittseinkommens in den einzelnen Ländern) (4).

3.1.3

Qualitativ betrachtet bedeutet Armut, dass die für die Befriedigung der wesentlichen Bedürfnisse des Einzelnen notwendigen materiellen Ressourcen nicht bzw. nicht in ausreichendem Umfang vorhanden sind; sie ist das am deutlichsten sichtbare Merkmal der sozialen Ausgrenzung und drängt das Individuum an den Rand der Gesellschaft — es fühlt sich abgelehnt und kapselt sich ab.

3.1.4

Ausmaß und Form der sozialen Ausgrenzung hängen in jedem Land von verschiedenen Variablen ab, wie z.B. dem System der sozialen Sicherheit, dem Verhalten des Arbeitsmarktes, dem Funktionieren des Justizsystems und den informellen Solidaritätsnetzwerken. Einwanderer, ethnische Minderheiten, ältere Menschen, Kinder unter 15 Jahren, Personen mit niedrigem Einkommen und niedrigem Bildungsstand, Behinderte und Arbeitslose sind diejenigen Bevölkerungsgruppen, die am stärksten von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind.

3.1.5

In den meisten europäischen Ländern deuten die Konsumtrends darauf hin, dass die Ausgaben für Lebensmittel, Getränke und Tabak, Bekleidung und Schuhe im Verhältnis zurückgehen, während die Ausgaben für Wohnraum, Transport- und Kommunikationsmittel, Gesundheit, Kultur und andere Güter und Dienstleistungen, z.B. in den Bereichen Gesundheitsfürsorge, Reisen und Dienstleistungen des Hotel- und Gaststättengewerbes, steigen (5).

3.1.5.1

Diese Umschichtung der Ausgaben schlägt sich in der Inanspruchnahme von Krediten nieder. Der Verbraucherkredit im weiten Sinne, der den Erwerb sowohl von Verbrauchsgütern als auch von Wohneigentum umfasst, ist heutzutage eng an die veränderten Konsummuster gekoppelt, deren Trends und Schwankungen er in starkem Maße folgt. Die im Verhältnis steigenden Ausgaben im Zusammenhang mit Wohnkomfort (6), Beförderungsmitteln und Reisen werden daher häufig über Kredite finanziert.

3.1.5.2

Zum Anstieg des kreditfinanzierten Konsums trägt außerdem bei, dass dieser den negativen Beigeschmack von Armut oder schuldhaftem Verhalten in der Lebensführung oder im Geschäftsgebaren — insbesondere in den katholisch geprägten Ländern, die sich hier von Ländern mit protestantischer Tradition unterscheiden — verloren hat, und dass er insbesondere in den Großstädten weit verbreitet ist. Die intensive und systematische Werbung der Finanzinstitute um neue Kunden leistet dieser allgemeinen Verbreitung Vorschub. Außerdem ermöglicht der Verbraucherkredit die Zurschaustellung eines gewissen Status und die Kaschierung der tatsächlichen sozialen Schicht, indem ein Lebensstil gewählt werden kann, der dem einer höheren Schicht entspricht. Die Kreditzahlung ist für viele Familen sogar eine übliche Form der Verwaltung des Familienbudgets (insbesondere mittels Kreditkarten), deren Gefahren bekannt sind; es gibt darüber jedoch keine ausreichenden Informationen und auch noch keine befriedigenden Zahlenangaben, und es fehlt an wirkungsvollen Abhilfemaßnahmen.

3.1.6

Diese sozialen und kulturellen Determinanten werden zudem durch wirtschaftliche und finanzielle Faktoren unterstützt, wie z.B. den starken Rückgang der Zinssätze in den letzten zehn Jahren, die rückläufige Sparbereitschaft, die relativ niedrigen Arbeitslosenquoten und das Wirtschaftswachstum (trotz der Krise Ende der 90er Jahre, die jedoch nicht so gravierende Ausmaße wie in früheren Zeiten angenommen hat). Hinzu kommt die Deregulierung des gesamten Kreditwesens seit Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre (7), die zu einer starken Expansion und zahlenmäßigen Zunahme der kreditgewährenden Einrichtungen, von denen einige nicht den Finanzaufsichtsvorschriften unterliegen, und zu einem steigenden Wettbewerb zwischen diesen Einrichtungen geführt hat, wodurch die Beziehungen zwischen Bank und Kunde unpersönlicher wurden.

3.1.7

Durch das Zusammenwirken dieser Faktoren wird die europäische Gesellschaft immer stärker von der Gewährung von Krediten abhängig, damit die wesentlichen Bedürfnisse ihrer Bürger erfüllt werden können. Die zunehmende Verschuldung in sämtlichen Mitgliedstaaten ist hierfür ein klarer Beweis (8).

3.1.8

Bei einer verträglichen Belastung — d.h. wenn keine schwerwiegenden Arbeitsplatzprobleme vorliegen, der monatliche Schuldendienst einen vernünftigen Anteil des verfügbaren monatlichen Einkommens nicht überschreitet, nicht zu viele Kredite gleichzeitig laufen und ein gewisses Polster an Ersparnissen vorhanden ist, um kurzfristige Einkommensausfälle abzufedern — können Kredite den europäischen Bürgern eine Verbesserung der Lebensqualität und den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen ermöglichen, die sie sich andernfalls nicht oder erst viel später leisten könnten, wie z.B. Wohneigentum oder ein eigenes Fahrzeug.

3.1.9

Keiner, der einen Kreditvertrag abschließt, ist jedoch gegen die Gefahr gefeit, dass es im persönlichen oder familiären Leben einmal etwas weniger gut läuft und die eingegangenen Verpflichtungen daher nicht pünktlich erfüllt werden können. Auf diese Weise kann aus einer normalen Verschuldung, die der Einzelne im Griff hat, aus verschiedenen Gründen eine Überschuldung werden, die außer Kontrolle gerät.

3.2   Begriffsbestimmung und Maßstab für Überschuldung

3.2.1

Der Begriff Überschuldung bezeichnet eine Situation, in der es der betroffenen Person auch auf lange Sicht nicht möglich ist, ihre gesamten Schulden zu begleichen bzw. in der die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass sie zum Zeitpunkt der Fälligkeit dazu nicht in der Lage sein wird (9). In den einzelnen Mitgliedstaaten werden zur Bezeichnung dieses Sachverhalts sehr unterschiedliche Begriffe gebraucht, und eine Definition auf Gemeinschaftsebene steht noch aus (10). Aus diesem Grund ist der Schritt der Kommission zu begrüßen, die hierzu unlängst eine Studie in Auftrag gegeben hat (11).

3.2.2

Nicht nur das Konzept selbst ist weder eindeutig noch problemlos abzugrenzen, auch in der Frage des Maßstabs für Überschuldung gibt es unterschiedliche Ansätze. In einer ebenfalls von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie (12) wurden hierfür drei Formeln oder Modelle beschrieben: das administrative (13), das subjektive (14) und das objektive Modell (15).

3.2.3

Eine der Hauptschwierigkeiten bei der Einschätzung des Umfangs der Überschuldung in Europa ist das Fehlen zuverlässiger statistischer Angaben und die Unmöglichkeit des Vergleichs der vorhandenen Daten, weil unterschiedliche Methoden, Konzepte und Messintervalle verwendet werden. Dies wird einer derjenigen Bereiche sein, denen die Kommission größte Aufmerksamkeit schenken sollte und in denen sie die notwendigen Arbeiten zur Erfassung und Aufbereitung zuverlässiger und vergleichbarer Daten durchführen muss.

4.   Wichtigste Ursachen der Überschuldung

4.1

In zahlreichen soziologischen Studien, die in verschiedenen Mitgliedstaaten durchgeführt wurden, werden folgende Hauptursachen der Überschuldung festgestellt:

a)

Arbeitslosigkeit und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen;

b)

Veränderungen der Familienstruktur wie z.B. Scheidung, Tod des Ehepartners, Geburt eines nicht geplanten Kindes, unerwartete Hilfsbedürftigkeit alter oder gebrechlicher Verwandter, Krankheit oder Unfall;

c)

Scheitern einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, Konkurs kleiner Familienunternehmen mit persönlicher Haftung;

d)

zu starke Konsumanreize und Verlockung zu schnellen Krediten, Glücksspielen und Börsenspekulationen sowie die Weckung eines überhöhten Statusdenkens durch Werbung und Marketing;

e)

steigende Zinsen, die vor allem auf Kredite mit langer Laufzeit wie den Wohnungsbaukredit negativ durchschlagen;

f)

mangelhafte Verwaltung des Familienbudgets;

g)

seitens des Kunden absichtliche Verheimlichung von Informationen, die für die Finanzinstitute wichtig sind, um seine Solvenz beurteilen zu können;

h)

zu starke Inanspruchnahme von Kreditkarten, Revolvingkrediten und durch Finanzierungsgesellschaften gewährten Personalkrediten mit hohen Zinssätzen;

i)

Beschaffung von Krediten zu Wucherzinsen auf dem informellen Markt, insbesondere durch Personen mit geringem Einkommen;

j)

Verwendung von Krediten zur Abzahlung bestehender Kredite, wodurch ein Schneeballeffekt entsteht;

k)

der Umstand, dass sozial isoliert lebende Menschen mit Behinderungen und Menschen mit begrenzten kognitiven Fähigkeiten leicht Opfer aggressiver Kreditunternehmen werden können;

l)

die mangelnde Bereitschaft bestimmter Finanzinstitute, mit ihren weniger wohlhabenden Kunden im Falle finanzieller Schwierigkeiten die Rückzahlung ihrer Schulden neu auszuhandeln.

Die soziologische Analyse des Phänomens zeigt also, dass die so genannten passiven Ursachen überwiegen, wenn auch in einigen Ländern die Bedeutung des schlechten Wirtschaftens herausgestellt wird (16). Diese Feststellung legt den Schluss nahe, dass die Betreffenden Schwierigkeiten haben, ihr Budget umsichtig und nachhaltig zu verwalten (17).

4.2

Finanzielle Ausgrenzung äußert sich üblicherweise in einem erschwerten oder völlig versperrten Zugang zum Markt für grundlegende Finanzdienstleistungen; dies betrifft insbesondere die Eröffnung eines Girokontos, den Besitz von elektronischen Zahlungsmitteln, die Möglichkeit zur Durchführung von Banküberweisungen und zum Abschluss von Kreditversicherungen.

4.3

Die finanzielle Ausgrenzung erstreckt sich a fortiori auf den Zugang zu günstigen Krediten, die den Erwerb von für die Haushalte unverzichtbaren Gütern und Dienstleistungen (Wohnraum, Elektrogeräte, Transportmittel, Bildung), den Schritt in die Selbstständigkeit oder die Führung eines kleinen Einpersonen- oder Familienunternehmens ermöglichen.

4.4

Heutzutage ist der Zugang zu einem Bankkonto, zu bestimmten Arten von Krediten und zu elektronischen Systemen, die Transaktionen ermöglichen, wiederum eine unverzichtbare Voraussetzung für den Zugang zu wesentlichen Gütern und Dienstleistungen. Für die Arbeit, das Führen eines Kleinbetriebs, für Wohnung, Haushaltseinrichtung, Transportmittel, Information und sogar Lebensmittel, Bekleidung und Freizeitaktivitäten ist der Zugang zu Krediten und Bankdienstleistungen erforderlich, denen daher eine besondere soziale Verantwortung vergleichbar der eines öffentlichen Versorgungsauftrags zukommt.

4.5

Hier verschwimmt die Trennlinie zwischen dem immer größer werdenden verarmenden Teil der Mittelschicht und den definitiv Ausgegrenzten, den Obdachlosen, Bettlern, Sozialhilfeabhängigen. Genau an dieser Armutsgrenze erhalten die Prävention und die Behandlung der Überschuldung sowie die Schuldenbereinigung ihre volle Relevanz, denn es muss verhindert werden, dass sozial und wirtschaftlich integrierte bzw. wiedereingliederungsfähige Menschen unwiederbringlich in den Teufelskreis von Armut und sozialer Ausgrenzung geraten.

5.   Prävention und Behandlung der Überschuldung

5.1   Prävention

In den nationalen Systemen liegt der Schwerpunkt im Allgemeinen auf Maßnahmen zur Prävention der Überschuldung, als da wären:

a)

Möglichst umfassende und breit zugängliche Informationen über Finanzdienstleistungen generell, ihre Kosten und ihre Funktionsweise.

b)

Finanzerziehung schon frühzeitig im Rahmen der schulischen Lehrpläne und in anderen Bereichen der allgemeinen und beruflichen Bildung als Prozess des lebenslangen Lernens, der an die Bedürfnisse und Kompetenzen der jeweiligen Zielgruppen angepasst ist, die sich im Lauf des Lebens und in Abhängigkeit von der Kultur, dem Wertesystem, den soziodemografischen und wirtschaftlichen Merkmalen, den Verbrauchsmustern und der Verschuldungssituation der Betroffenen ändern können; es ist zu erwähnen, dass in einigen Ländern die „Medien“ und insbesondere die Fernsehsender mit öffentlichem Versorgungsauftrag mit der Unterstützung von Verbraucherverbänden und Finanzinstituten Informationssendungen zum Themenkreis Kredite und Verschuldung gestalten, die häufig zur Hauptsendezeit ausgestrahlt werden. Darüber hinaus sollten die Strukturen der Erwachsenenbildung, wie sie in manchen Ländern von Familienbildungsstätten wahrgenommen werden, genutzt werden.

c)

Auf- und Ausbau von Finanzberatungsnetzwerken, die den Bürgern dabei helfen, ihr Budget ausgewogen zu verwalten und die geeignetsten Finanzierungsmöglichkeiten für die jeweiligen Konsumbedürfnisse auszuwählen; auf diese Weise wird das Informationsgefälle gegenüber den Finanzinstituten verringert, und es werden auch — mit Hilfe von Ex-ante-Simulationen — nachhaltige Schuldenbereinigungspläne erstellt.

d)

Sparanreize (steuerliche, soziale und erzieherische Anreize) als erste Verteidigungslinie für Haushalte, auf die finanzielle Schwierigkeiten zukommen, und als Gegengewicht zur ungebremsten Werbung für Kredite.

e)

Verwendung von Credit-Scoring -Systemen der Kreditinstitute oder von unter Vertrag genommenen Fachfirmen zur Bewertung des Kreditrisikos der Kunden; dies ermöglicht es, durch die Bewertung vielfältiger Variabler das Insolvenzrisiko zu ermitteln und objektive Grenzen für die Verschuldung des Einzelnen oder des Haushalts festzulegen (18).

f)

Gewährleistung von angemessenen, in effiziente Systeme der sozialen Sicherheit eingebetteten Renten, Frührenten und anderen Sozialleistungen für diejenigen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, durch den Staat als notwendige Voraussetzung, um die gesellschaftliche Ausgrenzung derjenigen zu verhindern, die nicht auf private Pensionsfonds zurückgreifen können (19).

g)

Verfügbarkeit wesentlicher Kreditversicherungen zur Absicherung des finanziellen Risikos (20).

h)

Sozialkredit, Kleinstkredit und erschwinglicher Kredit

Initiativen wie der Kleinstkredit, Sparkassen, Kreditgenossenschaften, die Sozialhilfefonds in Deutschland und in den Niederlanden, die Postbanken und der Sozialkredit sind zusammen mit weiteren neuen Initiativen in den Mitgliedstaaten beachtenswerte Beispiele für die Vergabe erschwinglicher Kredite an Personen, die von Ausgrenzung bedroht sind. Kleinstkredite z.B. tragen dazu bei, Kleinunternehmen und selbstständige Beschäftigung zu finanzieren und dadurch einige Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt und die Erwerbstätigkeit einzugliedern. Die fachmännische Betreuung der Empfänger von Kleinstkrediten (in organisatorischen, buchhalterischen und kaufmännischen Fragen) durch die Finanzinstitute ist empfehlenswert und verschiedentlich bereits üblich (21).

i)

Verantwortungsvolle Kreditvergabe, d.h. eine stärkere Berücksichtigung der spezifischen Erfordernisse und Lebensbedingungen der einzelnen Schuldner durch die Finanzinstitute und die Suche nach dem jeweils geeignetsten Finanzierungsinstrument bzw. sogar die Verweigerung weiterer Kredite im Falle einer drohenden Überschuldung (22).

j)

Kreditauskunfteien

Die Zusammenarbeit mit Kreditauskunfteien, die entweder die gesamte finanzielle Vorgeschichte der Kunden (Positivdaten) oder nur Informationen über Zahlungsschwierigkeiten (Negativdaten) speichern, ermöglicht den Kreditinstituten einen Überblick über die Verschuldung eines Kunden und eine fundiertere Entscheidung über die Gewährung eines Kredits. Dennoch birgt das System — insbesondere was die Positivdaten angeht — Risiken in Bezug auf den Datenschutz und ist wirkungslos bei „unverschuldeter“ oder „passiver“ Verschuldung, weil künftige Verschuldungsfaktoren nicht vorhersagbar sind und weil sonstige, nicht durch Finanzgeschäfte verursachte Schulden (z.B. unbezahlte Rechnungen über Grunddienstleistungen und Steuerschulden) nicht erfasst werden.

k)

Die Selbst- und Ko-Regulierung, die in die Ausarbeitung von Verhaltenskodizes durch die Finanzinstitute mündet, insbesondere in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit Verbraucherschutzorganisationen, kann dazu beitragen, bestimmte missbräuchliche Praktiken zu verhindern und eine stärkere Berücksichtigung des sozialen Blickwinkels bei der Tätigkeit der Kreditinstitute zu fördern. Derartige Maßnahmen sind auch hilfreich für eine verstärkte Kontrolle der Arbeitsweise der Inkassobüros, da so als Ergänzung zu einem strengen und effektiv angewandten Rechtsrahmen Regeln für den Umgang mit den Schuldnern festgelegt werden können.

l)

Verhütung missbräuchlicher Kreditpraktiken

Verschiedene einzelstaatliche Behörden, Verbraucherorganisationen und andere NGO sowie Kreditinstitute haben Regeln und Verfahren vereinbart, um Praktiken zur Ausschaltung der Konkurrenz und Wucher zu verhindern, die die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen gefährden. Dazu gehören z.B.: Kreditabschlüsse per Telefon oder Mobiltelefon mit hohen Zinsen; Kreditverträge, die mit Verträgen über den Erwerb von Gütern und Dienstleistungen gekoppelt sind, deren sich der Kreditnehmer nicht bewusst ist; Gewährung von Krediten für den Erwerb von Wertpapieren manchmal von derselben Bank; drakonische Strafklauseln; Kreditkarten oder Kundenkarten in Verbindung mit unkomplizierten Kreditmöglichkeiten; Forderung nach dinglichen und gleichzeitig persönlichen Sicherheiten für Verbraucherkredite über niedrige Beträge; unvollständige oder wenig genaue Informationen; Werbung, die sich an Jugendliche richtet. Neben den positiven Auswirkungen im Sinne einer verantwortungsvollen Kreditvergabe tragen derartige Maßnahmen zur Verringerung der Wettbewerbsverzerrungen auf dem Kreditmarkt und zur Stärkung der sozialen Verantwortung der Kreditinstitute bei.

m)

Überwachung und Kontrolle der Werbung für Kredite

Obgleich es sich um eine legitime Strategie zur Förderung des Absatzes von Finanzprodukten handelt, ist angesichts der Art und Weise, wie Werbung betrieben wird, eine aufmerksame Überwachung durch die zuständigen Behörden gerechtfertigt. Auch Werbeinhalte, -kanäle und -techniken müssen strengen und harmonisierten Regeln unterworfen werden, um zu verhindern, dass bei den Verbrauchern der Eindruck erweckt wird, ein Kredit sei risikofrei, leicht erhältlich und nicht mit Kosten verbunden. In diesem Bereich müssen auch Selbst- und Ko-Regulierungsinitiativen sowie gute unternehmerische Praktiken gefördert werden. Diese Initiativen müssen den Kreditnehmern vollständige Klarheit über die Kreditbedingungen sichern und den Kreditgebern eine besondere Verantwortung für diejenigen Personen auferlegen, die aufgrund psychischer Beeinträchtigungen nicht in der Lage sind, die Konsequenzen des Eingehens einer Schuldvereinbarung zu überblicken.

5.2   Behandlung der Überschuldung und Schuldenbereinigung

Für die Behandlung der Überschuldung und die Schuldenbereinigung werden normalerweise zwei Modelle oder Paradigmen angewandt:

5.2.1

Das Modell des „Fresh Start“ nach nordamerikanischem Vorbild wird in einigen europäischen Ländern angewandt. Es beruht auf den Grundsätzen der sofortigen Verwertung der pfändbaren Vermögensgegenstände des Schuldners und der unmittelbaren Befreiung von den Restschulden mit Ausnahme derer, die von Rechts wegen nicht erlassen werden dürfen. Grundlegende Merkmale des Modells sind die begrenzte Haftung des Schuldners, die Risikoteilung mit den Gläubigern, die möglichst schnelle Wiederherstellung der Fähigkeit des Schuldners zur Teilnahme am wirtschaftlichen Leben und am Konsum sowie die klare Nichtstigmatisierung der Überschuldung (23).

5.2.2

Das Modell der Erziehung, das in einigen Ländern Europas vorherrscht, basiert auf der Vorstellung, dass der Schuldner gefehlt hat und ihm geholfen werden muss, er jedoch nicht von der Erfüllung seiner Verpflichtung entbunden werden darf (pacta sunt servanda). Im Mittelpunkt dieses Modells, das von der „Schuld“ des Überschuldeten ausgeht, auch wenn dieser durch Nachlässigkeit oder reine Unachtsamkeit in diese Lage geraten ist, steht die Neuverhandlung über die Schulden mit den Gläubigern mit dem Ziel, einen Gesamtplan für die Schuldenbereinigung festzulegen. Dieser Schuldenbereinigungsplan kann entweder vor Gericht oder aber außergerichtlich ausgehandelt werden, wobei den Schuldenberatungs- und Mediationsstellen eine entscheidende Rolle zukommt (24).

6.   Gründe, die für einen Ansatz auf Gemeinschaftsebene sprechen

6.1   Hintergrund

6.1.1

Nicht zum ersten Mal wird das Thema Überschuldung auf Gemeinschaftsebene und unter einem gemeinschaftlichen Blickwinkel in den Institutionen der Europäischen Union behandelt. Bereits am 13. Juli 1992 hat der Rat in seiner Entschließung zu den künftigen Prioritäten für die Entwicklung der Verbraucherschutzpolitik die Untersuchung der Überschuldung als Priorität festgehalten. Obwohl das Phänomen der Überschuldung auf Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten immer größere Ausmaße angenommen hat und daher in sämtlichen Mitgliedstaaten gezielte legislative und administrative Maßnahmen ergriffen wurden, geriet die Behandlung dieses Problems auf Gemeinschaftsebene praktisch in Vergessenheit.

Dem EWSA fiel das Verdienst zu, im Mai 1999 erneut die Debatte über dieses Thema zu eröffnen, zunächst mit einem Informationsbericht mit dem Titel „Die Überschuldung privater Haushalte“, dem 2002 eine Initiativstellungnahme zum gleichen Thema folgte, auf deren Schlussfolgerungen und Empfehlungen an dieser Stelle verwiesen sei (25).

6.1.2

Während der Ausarbeitung dieser Dokumente hat der Rat „Verbraucherschutz“ am 13. April 2000 das Thema wieder aufgegriffen und die Kommission und die Mitgliedstaaten auf die Notwendigkeit eines gemeinsamen Ansatzes in diesem Bereich hingewiesen. Im Anschluss daran nahm der Rat seine Entschließung über den Verbraucherkredit und die Verschuldung der Verbraucher an (26), in der er angesichts des raschen Voranschreitens dieses Phänomens die Kommission auffordert, sich um die Schließung der Informationslücken hinsichtlich des tatsächlichen Ausmaßes der Überschuldung in Europa zu bemühen und gründlichere vertiefte Überlegungen zur Möglichkeit einer Harmonisierung der Maßnahmen zur Prävention und Behandlung von Überschuldung anzustellen (27).

6.1.3

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission diesen Auftrag des Rates bislang nicht erfüllt hat. Lediglich in ihrem ursprünglichen Vorschlag zur Revision der Verbraucherkreditrichtlinie (2002) (28), wurde die Frage der verantwortungsvollen Kreditvergabe am Rande gestreift (29), bevor sie dann in der endgültigen Fassung (2005) (30), die während des deutschen Ratsvorsitzes bestätigt wurde (31), ganz ausgespart wurde. Dies lässt vermuten, dass die Kommission im Zusammenhang mit dem Verbraucherkredit wohl schwerlich neue Maßnahmen zur Prävention, geschweige denn zur Behandlung von Überschuldung vorlegen wird (32).

6.1.4

Neuere — wenn auch spärliche — Hinweise in einigen Dokumenten der Kommission und sogar in Erklärungen ihres Präsidenten könnten jedoch möglicherweise auf einen Sinneswandel dahingehend hindeuten, dass diesem Phänomen wieder Beachtung geschenkt werden soll (33).

6.1.5

Besondere Erwähnung gebührt aufgrund ihrer Bedeutung die von den Justizministern am 8. April 2005 angenommene Entschließung des Europarates zum Bemühen um rechtliche Lösungen für die Probleme der Verschuldung in einer Kreditgesellschaft  (34). In dieser Entschließung werden Bedenken gegen den leichten Zugang zu Krediten angemeldet, der in bestimmten Fällen um den Preis der Überschuldung der Haushalte erkauft wird und zur Überschuldung der Einzelnen und der Familien führt, womit eindeutig der Weg zur Schaffung eines geeigneten Instruments gewiesen wird, in dem legislative und administrative Maßnahmen festgelegt und praktische Lösungen vorgeschlagen werden  (35).

6.1.6

Zum andern scheint durch neuere wissenschaftliche Arbeiten (36) und von der Kommission eigens in Auftrag gegebene Studien (37) erneut das Bewusstsein für dieses Problem geweckt worden zu sein, das in letzter Zeit von den Staats- und Regierungschefs und Ministern einiger Mitgliedstaaten (38) angesprochen wurde.

6.2   Möglichkeit, Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit von Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene

6.2.1

Der EWSA tritt bereits seit langem für gemeinschaftliche Maßnahmen in diesem Bereich ein und bekräftigt an dieser Stelle, dass diese nicht nur möglich und wünschenswert, sondern sogar notwendig und unabdingbar sind.

6.2.2

Der EWSA ist sich dessen bewusst, dass gemäß den Bestimmungen des Vertrags — solange der Verfassungstext nicht angenommen ist (39) — spezifische Aspekte rein sozialer Art, zu denen die Überschuldung als Ursache der sozialen Ausgrenzung gehört, nicht in die Zuständigkeit der EU fallen.

6.2.2.1

Verschiedene Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sehen allerdings entweder geteilte Zuständigkeiten oder von der Kommission zu gestaltende Maßnahmen vor, die die Politik der Mitgliedstaaten in diesem Bereich unterstützen und fördern (40).

6.2.2.2

Hinzu kommt, dass einige Bereiche, in denen ein gemeinschaftliches Handeln möglich wäre, gegenwärtig zur dritten Säule gehören und unter die justizielle Zusammenarbeit fallen (41).

6.2.2.3

Und schließlich erfordert und rechtfertigt die Verwirklichung des Binnenmarktes, die mittlerweile eindeutig auf die Bürger und die Verbraucher ausgerichtet ist (42), die Harmonisierung bestimmter Aspekte im Zusammenhang mit der Überschuldung, ihren sozialen Folgen sowie ihrer Prävention und Behandlung auf Gemeinschaftsebene, um Wettbewerbsverzerrungen und Störungen des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes zu verhindern.

6.3   Wichtigste Handlungsbereiche auf Gemeinschaftsebene

6.3.1   Ein einheitliches Überschuldungskonzept

6.3.1.1

Die Harmonisierungsbemühungen sollten in erster Linie auf die Definition des Begriffs sowie der qualitativen und quantitativen Parameter des Phänomens abzielen, um eine adäquate, in ganz Europa — und idealerweise in der ganzen Welt — einheitliche Darstellung und Beobachtung der zugrunde liegenden sozialen Realitäten auf der Grundlage der Erhebung und Verarbeitung vergleichbarer statistischer Daten, die die Festlegung einer wirtschaftlichen Matrix zu ihrer Quantifizierung ermöglichen, sicherzustellen.

6.3.1.2

Auf der Grundlage dieses Konzepts und der festgelegten Methodik sollte die Kommission die Durchführung einer sich auf den gesamten Gemeinschaftsraum erstreckenden Studie in Auftrag geben, die eine Bewertung der wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Überschuldung ermöglicht (43).

6.3.2   Schadensvermeidung und -begrenzung

6.3.2.1

Es müssen darüber hinaus spezifische und gleichzeitig harmonisierte Legislativmaßnahmen zur Vorhersage und Prävention von Überschuldungssituationen sowie zur Begrenzung der Folgen erarbeitet werden.

Die Rechtsvorschriften sollten insbesondere folgende Aspekte betreffen:

a)

umfassende vorvertragliche und vertragliche Informationen und Kundenbetreuung nach Vertragsabschluss;

b)

Gemeinsame Verantwortung bei der Kreditvergabe ausgehend von der Voraussetzung, dass der Kreditantragsteller den Kreditgeber wahrheitsgemäß über seine Lage informiert und der Kreditgeber wiederum alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um den Kreditantragsteller richtig zu beurteilen und gebührend zu beraten (44);

c)

Möglichkeit der kostenlosen Kreditumschuldung;

d)

Kontrolle von Werbung, Marketing und Werbemitteilungen bezüglich Verbraucherkrediten;

e)

Parameter des Kreditscorings und Verbot gänzlich automatisierter Entscheidungen;

f)

Garantie einer Basisbankdienstleistung sowie der weltweiten Verwendbarkeit und Übertragbarkeit von Bankkonten sowie der Möglichkeit des weltweiten Einsatzes elektronischer Zahlungsmittel (Bankkarten);

g)

Definition der Parameter für Kleinstkredite und andere Formen von Sozialkrediten sowie Förderung von „alternativen“ Finanzinstituten für diese Segmente;

h)

Ermittlung und Sanktionierung unlauterer Handelspraktiken und missbräuchlicher Klauseln speziell im Zusammenhang mit der Kreditvergabe;

i)

Rücktrittsrecht;

j)

Abgrenzung der Forderung nach persönlichen Sicherheiten;

k)

Regelungen betreffend die Provision;

l)

Regelungen betreffend die Kreditvermittler;

m)

Stärkung der Befugnisse und der Überwachungsmaßnahmen der für die betreffenden Finanzdienstleistungen zuständigen nationalen Behörden;

n)

Festlegung der Parameter zur Bestimmung der Formen von Wucherei;

o)

Aufnahme einer Bestimmung in die Verbraucherkreditrichtlinie, die die Banken dazu verpflichtet, Beschwerden innerhalb einer bestimmten Frist zu beantworten.

Zusätzlich dazu sollten langfristig Gesetze zu folgenden Aspekten erarbeitet werden:

a)

einheitliches Sozialversicherungssystem;

b)

Garantie der Nachhaltigkeit der Rentensysteme und ihre einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten (mögliche Definition eines „28. Systems“);

c)

Festlegung eines einheitlichen Kreditauskunftsystems mit umfassendem Schutz der personenbezogenen Daten, einschließlich der Einschränkung der zugriffsberechtigten Personen und der Zwecke der Verwendung der Informationen (Beschränkung auf die Kreditvergabe);

6.3.2.2

Gleichzeitig sollte die Kommission zu vorbildlichen Verfahren auf diesem Gebiet anregen, indem sie die Annahme des Europäischen Verhaltenskodex — eines Systems der Selbst- und Koregulierung — im Rahmen genau definierter und wirksam angewandter verbindlicher Regelungen fördert.

6.3.2.3

Die Kommission sollte zudem auf eigene Initiative und in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten spezifische Informationsprogramme, gezielte Bildungsmaßnahmen für den praktischen Umgang mit Krediten sowie Begleitungs- und Beratungsprojekte in diesem Bereich entwickeln, indem sie auf das Instrument der „Pilotvorhaben“, die in anderen Bereichen bereits zu sehr positiven Ergebnissen geführt haben, zurückgreift (45).

6.3.2.4

Schließlich schlägt der EWSA vor, eine Europäische Beobachtungsstelle für Überschuldung einzurichten, die in Zusammenarbeit mit bereits existierenden einzelstaatlichen Stellen und in den Mitgliedstaaten noch zu schaffenden Einrichtungen als Dialogforum für alle interessierten Parteien dient, die Entwicklung des Phänomens auf europäischer Ebene untersucht und überwacht, seine Folgen bewertet und die für seine Prävention am besten geeigneten Maßnahmen vorschlägt. Der EWSA erbietet sich, als Dach und institutioneller Rahmen für diese Beobachtungsstelle zu dienen, zumindest bis über ihre Autonomie entschieden ist.

6.3.3   Behandlung der Überschuldung und Schuldenbereinigung

6.3.3.1

Angesichts der Vielfalt der einzelstaatlichen Systeme mit unterschiedlichen Ursprüngen, Grundsätzen und Methoden (46) sollte die Kommission ihre Bemühungen vornehmlich nicht auf Harmonisierungsversuche konzentrieren, sondern auf die Festlegung eines Bezugsrahmens und eines Bündels an Grundprinzipien, die allen zivilprozessrechtlichen Regelungen über Zwangsvollstreckungen oder die Eintreibung von Schulden von Privatpersonen zugrunde liegen müssen. Die Kommission sollte die Übernahme dieser Grundprinzipien fördern und ihre Anerkennung vorschreiben.

6.3.3.2

Unter diesen Grundprinzipien sind folgende hervorzuheben:

schnelle schuldner- und gläubigernahe Lösungen, für die keine Kosten oder nur minimale, die Nutzung dieser Möglichkeiten nicht behindernde Kosten anfallen, und die die Schuldner und ihre Familien nicht stigmatisieren;

Maßnahmen, die nicht nur den berechtigten Interessen der Gläubiger Rechnung tragen, sondern auch ihrer Verantwortung im Zusammenhang mit der Überschuldung von Familien;

Lösungen, die einen Konsens und die Unterzeichnung freiwilliger, außergerichtlicher Zahlungsvereinbarungen begünstigen, die es Schuldnern u.U. ermöglichen, die für das Wohl ihrer Familie unerlässlichen Güter (z.B. ihre Wohnung) zu behalten;

flexible Maßnahmen, die es den Schuldnern in besonders gravierenden Fällen ermöglichen, für die Verwertung ihrer pfändbaren Güter mit anschließender Restschuldbefreiung zu optieren, wobei die Situation von Dritten, die für die Schuldner als Bürgen fungiert haben, gebührend zu berücksichtigen ist;

fachkundige Begleitung der Schuldner während der Umsetzung von Zahlungsplänen nach der Insolvenz, um eine Wiederholung zu verhindern und den Schuldnern zu helfen, ihr Konsum- und Schuldenverhalten zu ändern, sodass sie einen Neuanfang schaffen können.

6.3.3.3

An all diesen Arbeiten sollten sich jedoch auch die Betroffenen selbst und ihre Vertreter beteiligen können. Deshalb empfiehlt der EWSA, im Rahmen der Veröffentlichung eines Grünbuchs, in dem die Problemstellung umrissen wird, zunächst eine öffentliche Anhörung zu veranstalten. Anschließend sollten dieses Phänomen auf europäischer Ebene quantifiziert sowie die verschiedenen Mittel und Systeme zur Prävention, Begleitung und Unterstützung in Überschuldungsfällen analysiert werden. Schließlich sollten Leitlinien für integrierte Gemeinschaftsmaßnahmen von den betreffenden Generaldirektionen unter Einbeziehung der Gebietskörperschaften und der Organisationen der Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten erarbeitet werden (47).

7.   Die öffentliche Anhörung

7.1

Der EWSA organisierte am 25. Juli 2007 eine öffentliche Anhörung zum Thema dieser Stellungnahme, an der zahlreiche Fachleute aus diesem Bereich teilnahmen.

7.2

Die Standpunkte, die auf dieser sehr gut besuchten und in die Erstellung verschiedener sehr nützlicher Dokumente mündenden Veranstaltung vorgetragen wurden, ließen ganz klar eine starke Unterstützung für die Zielsetzungen dieser Stellungnahme erkennen, in die viele der in diesem Rahmen geäußerten Anregungen eingeflossen sind.

Brüssel, den 25. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Wie Aristoteles in seiner Schrift „Der Staat der Athener“ berichtet (insbesondere in Ziffer 6, wo es heißt: „Nachdem er Herr über die Staatsangelegenheiten geworden war, befreite er das Volk für die Gegenwart und die Zukunft, indem er die Darlehen, für die mit dem eigenen Körper gehaftet wurde, verbot; er gab Gesetze und verfügte einen Erlass der Schulden, sowohl der privaten als auch der öffentlichen Schulden; das wird Lastenabschüttelung (‚seisáchtheia‘) genannt, da man tatsächlich eine drückende Last abschüttelte (Reclam, Universal-Bibliothek Nr. 3010, 1993)). Die Analogie der Situation dürfte den interessanten Beitrag von Udo REIFNER „Renting a slave — European Contract Law in the Credit Society“ auf der Konferenz zum Thema Privatrecht und kulturelle Unterschiede in Europa am 27. August 2006 an der Universität Helsinki beeinflusst haben. Es sei daran erinnert, dass in den meisten europäischen Ländern bis zum 20. Jh. Schulden mit Kerker bestraft wurden.

(2)  Zu diesem Thema siehe den vor kurzem veröffentlichten Beitrag von Georges GLOUKOVIEZOFF mit dem Titel „From Financial Exclusion to Overindebtedness: The Paradox of Difficulties for People on Low Incomes?“ in „New Frontiers in Banking Services“, Luisa ANFERLONI, Maria Debora BRAGA und Emanuele Maria CARLUCCIO, Springer.

(3)  Siehe Special Eurobarometer 273, European Social Reality, 2007.

(4)  Gemeinsamer Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2007, vom Rat am 22.2.2007 angenommen (KOM(2007) 13 endg. vom 19.1.2007).

(5)  Siehe Eurostat — Les nouveaux consommateurs, Larousse 1998.

(6)  Ohne jedoch die tiefgreifenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten von Ausgaben zu vergessen, auch im Hinblick auf die Grundrechte.

(7)  In den neu beigetretenen Ländern fand diese Entwicklung erst in den 90er Jahren statt.

(8)  Siehe hierzu die Angaben im Bulletin der französischen Nationalbank Nr. 144 vom Dezember 2005.

URL: http://www.banque-france.fr/fr/publications/telechar/bulletin/etu144_1.pdf.

(9)  Nach der exemplarischen Definition von Udo REIFNER bedeutet Überschuldung, objektiv zahlungsunfähig zu sein, oder genauer gesagt, dass das verfügbare Einkommen nach Abzug der Lebenshaltungskosten nicht mehr ausreicht, um Schulden bei Fälligkeit zurückzuzahlen (in „Überschuldung von Verbrauchern in Deutschland am Beispiel von Konsumentenkrediten“).

(10)  Das Konzept der Überschuldung, das den verschiedensten Regelungsinitiativen zugrunde liegt, wird in der Hauptsache aus den Rechtsvorschriften abgeleitet, in denen die Bedingungen für den Zugang zu einer außergerichtlichen oder gerichtlichen Umschuldung festgelegt werden. So besteht diese Möglichkeit nach französischem Recht für Schuldner, die nach Treu und Glauben handeln und eindeutig nicht in der Lage sind, ihre gesamten fälligen oder fällig werdenden Schulden, die im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit entstanden sind, zu bezahlen (Artikel L.331-2 des Code de la Consommation). Desgleichen gilt nach finnischem Recht (1993) als überschuldet oder insolvent ein Schuldner, der nicht in der Lage ist, seine Schulden zu begleichen, sobald sie fällig werden, wobei es sich um eine dauerhafte und nicht nur zufällige oder vorübergehende Zahlungsunfähigkeit handeln muss. Andere Länder hingegen beschränken sich darauf, eine Reihe von prozeduralen und persönlichen Voraussetzungen für den Zugang zu Schuldenbereinigungsmaßnahmen festzulegen, ohne sich an eine Definition der Überschuldung zu wagen. Dies gilt für das belgische (Gesetz vom 5. Juli 1998, geändert durch das Gesetz vom 19. April 2002) und das US-amerikanische Recht (Bankruptcy Code in der geänderten Fassung von 2005).

(11)  „Common operational European definition of over-indebtedness (Vertrag Nr. VC/2006/0308 vom 19.12.2006)“; die Studie wird von der Europäischen Kommission — GD Beschäftigung, Sozialfragen und Chancengleichheit — finanziert und vom „Observatoire de l'Épargne Européenne“ durchgeführt.

(12)  „Study of the Problem of Consumer Indebtedness: Statistical Aspects (Contract No. B5-1000/00/000197)“, erstellt von OCR Macro im Auftrag der GD SANCO.

(13)  Beim administrativen Modell sind die offiziellen Statistiken über die formalen Insolvenzverfahren der Maßstab für die Überschuldung. Hierbei bleibt ein Teil der Fälle unberücksichtigt, da nicht alle Schuldner, die Zahlungsschwierigkeiten haben, den offiziellen Rechtsweg einschlagen. Darüber hinaus ist aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher rechtlicher Lösungen in den europäischen Ländern ein genauer Vergleich unmöglich.

(14)  Das subjektive Modell basiert darauf, wie die betroffene Person oder Familie die eigene Solvenz wahrnimmt. Als überschuldet werden diejenigen Familien eingestuft, die nach eigenem Bekunden große Schwierigkeiten haben, all ihre Schulden zu bezahlen, bzw. dazu nicht mehr in der Lage sind. Auch dieses Kriterium bereitet in der praktischen Anwendung Schwierigkeiten, was die Vergleichbarkeit der Daten in Frage stellt. Immer mehr Autoren machen auf die Fehleinschätzungen der Betroffenen — zu viel Optimismus, Unterschätzung der Risiken und hyperbolische Diskontierung — aufmerksam, wenn es um die Bewertung ihrer finanziellen Belastbarkeit und die Aufnahme eines Kredits geht.

(15)  Beim objektiven Modell wird als Maßstab für die Zahlungsunfähigkeit die wirtschaftlich-finanzielle Lage des Haushalts zugrunde gelegt, d.h. das Verhältnis zwischen Gesamtverschuldung und verfügbarem Einkommen bzw. verfügbarem Einkommen plus Vermögen. Dieses Modell wird in der Regel von den Finanzinstituten und auch in einigen einzelstaatlichen Rechtsordnungen zugrunde gelegt. Zwar ist auch dieses Modell nicht frei von Problemen — so stellt sich z.B. die Frage, bis zu welchem Punkt das Verhalten des Schuldners, seine Ehrenhaftigkeit und sein gutgläubiges Handeln beim Zugang zu Schuldenbereinigung und Schuldenerlass einen Einfluss haben sollen —, aber immerhin ermöglicht es dieses Kriterium, einige Vergleiche anzustellen und einen gemeinsamen Rechtsrahmen zu erarbeiten.

(16)  Den Daten der Bank von Frankreich für 2004 zufolge wird geschätzt, dass 73 % der an die Überschuldungskommissionen übergebenen Fälle auf passive Ursachen zurückzuführen sind (Banque de France, 2004).

(17)  Zu den Faktoren der Überschuldung siehe den Informationsbericht „Die Überschuldung privater Haushalte“ des EWSA vom 26. Juni 2000 (Berichterstatter: Herr ATAÍDE FERREIRA), in dem das Thema ausführlich behandelt wurde.

(18)  Da es sich um ein wichtiges Instrument für das Risikomanagement der Finanzinstitute handelt, müssen die Scoring-Systeme hinsichtlich ihrer Zusammensetzung transparenter gestaltet und mit subjektiven Analyseinstrumenten kombiniert werden, um eine genaue und realistische Bewertung der finanziellen Belastbarkeit der Schuldner zu ermöglichen und zu verhindern, dass die Kreditvergabe sich nur auf automatisierte Modelle stützt. Darüber hinaus müssen die Variablen des Rechenmodells durch die zuständigen Behörden überwacht werden. Erwägenswert wäre auch, wie in den Vereinigten Staaten oder in England den Schuldnern Zugang zu den bei der Kreditauskunft über sie gespeicherten Daten zu gewähren, damit ihnen klar wird, wie sie ihr Risikoprofil verbessern können.

(19)  Es müssen Finanzpraktiken verhindert werden, bei denen die Renten der am stärksten darauf angewiesenen Personen missbräuchlich als Garantien für Kredite herangezogen werden, die in keinem Verhältnis zu ihren Rückzahlungsmöglichkeiten stehen. So wurde z.B. in Brasilien im Jahr 2004 eine Kreditart für ältere Menschen mit der Bezeichnung „crédito consignado“ geschaffen (Kredit gegen Hinterlegung). Dieser Spezialkredit wird bis zu einer Höhe von 30 % der Pension/Rente von dieser abgezogen, bevor sie an die Betroffenen ausgezahlt wird. Da niedrigere Zinsen als die marktüblichen berechnet werden, können Rentner Kredite aufnehmen. Dies scheint jedoch für die Bezieher der niedrigsten Renten finanzielle Probleme mit sich zu bringen, so dass sie andere Zahlungen zurückstellen und nicht mehr über ausreichende Mittel zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse verfügen.

(20)  Die Versicherungen spielen bei der sozialen Ausgrenzung eine ambivalente Rolle. Eine obligatorische Lebensversicherung kann Personen mit gesundheitlichen Problemen vom Zugang zu Krediten ausschließen. Eine Lebensversicherung kann aber andererseits verhindern, dass die betreffende Person bei einer Erkrankung die versicherten Güter verliert und dadurch in Armut und Ausgrenzung gerät.

(21)  In Frankreich und Belgien werden Kleinstkredite für Verbraucher (als soziale Kleinstkredite bezeichnet) probeweise von verschiedenen Bankennetzen in Zusammenarbeit mit Verbänden gewährt. Bislang war das Experiment recht erfolgreich, aber für eine endgültige Bilanz ist es noch zu früh. Für Belgien ist die Credal anzuführen, eine belgische Sozialkreditgenossenschaft, die aus einer öffentlich-privaten Partnerschaft zwischen der Regierung der Region Wallonien und verschiedenen Finanzinstituten entstanden ist.

(22)  Siehe z.B. das „Protocollo sullo sviluppo sostensibile e compatibile del sistema bancario“, das am 16. Juni 2004 in Rom von der „Associazione Bancaria Italiana“, der „Federazione Autonoma Lavoratori del Credito e del Risparmio Italiani (Falcri)“, der „Federazione Italiana Bancari e Assicurativi (Fiba-Cisl)“, der „Federazione Italiana Sindacale Lavoratori Assicurazioni e Credito (Fisac-Cgil)“ und der „Uil Credito, Esattorie e Assicurazioni (Uil C.A.)“ unterzeichnet wurde.

(23)  Eine umfassende kritische Beschreibung dieses Modells findet sich in den Schriften von Karen Gross, die in Europa wohlbekannt ist, insbesondere in „Failure and Forgiveness. Rebalancing the bankrupcy system“, New Haven, Yale University Press (1997).

(24)  In einigen Rechtssystemen, wie z.B. im französischen und im belgischen Recht, wurden die Gesetze über die Insolvenzverfahren für Privatpersonen reformiert und Alternativen vorgesehen, die auf der Verwertung von Vermögensgegenständen beruhen. In den schwierigsten Fällen, in denen sich ein Schuldenbereinigungsplan als nicht praktikabel erweist, ist die Liquidierung von Vermögenswerten und im Anschluss daran eine Entschuldung möglich. Anders als im amerikanischen Recht gibt es jedoch keinen unmittelbaren Schuldenerlass. Der Schuldner muss eine Wohlverhaltensphase bestehen, während der er einen Teil seiner Einkünfte für die Begleichung der Restschuld aufwendet. Erst danach können ihm seine Schulden erlassen werden, sofern er sich ehrenhaft und redlich verhalten hat. Im französischen Recht ist eine Entschuldung gleich zu Beginn des Verfahrens ausnahmsweise möglich, wenn der Richter zu dem Schluss gelangt, dass keine Hoffnung auf eine Besserung der Lage des Betroffenen besteht, aber diese Möglichkeit wurde bisher nur selten genutzt.

(25)  Berichterstatter war in beiden Fällen das ehemalige Mitglied Manuel ATAIDE FERREIRA.

(26)  Entschließung vom 26. November 2001, ABl. C 364 vom 20.12.2001.

(27)  Laut der Entschließung des Rates „Verbraucherfragen“ vom 26. November 2001 gelangten die Minister in ihren Feststellungen und Empfehlungen u.a. zu dem Schluss, „dass die unterschiedliche präventive wie auch soziale, rechtliche und wirtschaftliche Behandlung der Überschuldung in den einzelnen Mitgliedstaaten zu beträchtlichen Unterschieden zwischen den europäischen Verbrauchern wie auch den Kreditgebern führen kann“ und dass daher „Überlegungen auf Gemeinschaftsebene ins Auge gefasst werden könnten, die darauf abzielen, das Maßnahmenpaket zur Förderung grenzüberschreitender Kreditgeschäfte um Maßnahmen zu ergänzen, um der Überschuldung während der gesamten Dauer eines einzigen Kreditzyklus vorzubeugen“.

(28)  KOM(2002) 443 endg. vom 11.9.2002.

(29)  Im Übrigen in sehr fragwürdigen Begriffen, wie der EWSA in seiner Stellungnahme zu diesem Vorschlag festgehalten hat (CES 918/2003 vom 17. Juli 2003), Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ). Siehe auch „La presencia del sobreendeudamiento en la propuetesta de directiva sobre el credito a los consumidores“ von Manuel Angel LOPES SANCHEZ, in „Liber Amicorum Jean Calais Auloy“, S. 62.

(30)  KOM(2005) 483 endg./2 vom 23.11.2005.

(31)  Es sind jedoch einige Anstöße zu einer öffentlichen Debatte über dieses Thema hervorzuheben, die von verschiedenen Gemeinschaftsinstitutionen — u.a. der Kommission — unterstützt wurden, zu nennen wären insbesondere folgende: eine öffentliche Anhörung mit der Unterstützung des schwedischen Ratsvorsitzes am 18. Juni 2000 in Stockholm; am 2. Juli 2001 wurde in Zusammenarbeit mit dem „Consiglio Nazionale dei Consumatori e degli Utenti (CNCU)“ (italienischer Verbraucherrat) eine wichtige Konferenz zum Thema „Wettbewerbsregeln und Bankensysteme in der EU im Vergleich“ veranstaltet, auf der der Leiter des Referats Finanzdienstleistungen der GD Gesundheit und Verbraucherschutz die Leitlinien des neuen Vorschlags zur Änderung der Verbraucherkreditrichtlinie erläuterte und die für die Gemeinschaft relevanten Aspekte der Überschuldung erörtert wurden; die GD Gesundheit und Verbraucherschutz ergriff ebenfalls die Initiative und führte am 4. Juli 2001 in Brüssel eine Anhörung mit Regierungssachverständigen zur Erörterung der Änderungsvorschläge zu der Verbraucherkreditrichtlinie durch, in der die für die Überschuldungsprävention maßgeblichen Einzelaspekte herausgestellt wurden; während des belgischen EU-Vorsitzes fand am 13./14. November 2001 in Charleroi ein wichtiges Kolloquium zum Thema „Verbraucherkredite und gemeinschaftsweite Harmonisierung“ statt, auf dem insbesondere der belgische Wirtschafts- und Forschungsminister nachdrücklich auf die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte des Problems sowie deren Wechselwirkungen mit der Entwicklung der Finanzdienstleistungen und des grenzüberschreitenden Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt hinwies und ein Sachverständiger der Kommission die wesentlichen Punkte einer Überarbeitung der Verbraucherkreditrichtlinie darlegte, bei der bestimmte Anliegen hinsichtlich der Verbraucherinformation im Zusammenhang mit der Überschuldungsprävention stehen; am 29. November 2002 fand in Madrid mit der Unterstützung der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) und der Sozialdemokratischen Fraktion des Europäischen Parlaments eine Konferenz zur Überschuldung der Verbraucher und zu den Schutzmechanismen in Europa statt („Jornada sobre el sobreendeudamiento de los consumidores: Mecanismos de Proteccion en Europa“).

(32)  Merkwürdigerweise finden sich in anderen Texten wie z.B. dem Vorschlag der Kommission zur Verwirklichung eines einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) verschiedentlich Überlegungen zur Überschuldungsprävention.

(33)  Dies gilt insbesondere für die Eurobarometer-Umfrage von Ende 2006, die vom Rat im Juli 2006 gebilligte Mitteilung „Eine bürgernahe Agenda“ sowie die Mitteilung der Kommission über den „Vorschlag für den Gemeinsamen Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2007“ (KOM(2007) 13 endg. vom 19. Januar 2007).

(34)  Die Entschließung wurde auf der 26. Justizministerkonferenz des Europarates am 7./8. April 2005 in Helsinki verabschiedet.

(35)  Im Anschluss an den ausgezeichneten „Report on Legal Solutions to Debt Problems in Credit Societies“ des Präsidiums des Europäischen Ausschusses für rechtliche Zusammenarbeit des Europarates vom 11. Oktober 2005 (CDCJ-BU(2005) 11 rev).

(36)  Die Wissenschaft scheint der Problematik des Verbraucherkredits und der Überschuldung besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Dies hat die unlängst (25.-28. Juli) von der Law and Society Association organisierte wissenschaftliche Konferenz in Berlin gezeigt, auf der Wissenschaftler aus Europa, Nord- und Südamerika, Asien und Australien in acht Workshops verschiedene Aspekte dieser Thematik erörterten.

(37)  Z.B.:„Consumer Over indebtedness and Consumer Law in the European Union“, Udo REIFNER, Johanna KIESILAINEN, Nik HULS und Helga SPRINGENEER (Vertrag Nr. B5-1000/02/000353, im Auftrag der GD SANCO, September 2003); „Study of the problem of consumer indebtedness: statistical aspects“, ORC Macro (Vertrag Nr. B5-1000/00/000197, im Auftrag der GD SANCO, 2001); „Credit Consumption and Debt Accumulation among Low Income Consumers: Key consequences and Intervention Strategies“ Deirdre O'LOUGHIN (November 2006); „Exclusion et Liens Financiers, L'exclusion bancaire des particuliers“ Bericht des Centre Walrass, Georges GLOUKOVIEZOEF; „EC Consumer Law Compendium: Comparative Analysis“, 2006, (Vertrag Nr. 17.020100/04/389299), erstellt von Hans SCHULTE-NÖLKE von der Universität Bielefeld im Auftrag der Europäischen Kommission; „Finanzielle Allgemeinbildung & verbesserter Zugang zu adäquaten Finanzdienstleistungen“, durchgeführt von ASB Schuldnerberatungen (Österreich) in Zusammenarbeit mit der GP-Forschungsgruppe des Instituts für Grundlagen- und Programmforschung (Deutschland), dem polnischen Verband für die Förderung der finanziellen Allgemeinbildung (SKEF, Polen) sowie der belgischen Beobachtungsstelle für Kredite und Verschuldung (Observatoire du Crédit et de l'Endettement, Belgien); das Projekt wurde von der GD Beschäftigung und Soziales kofinanziert (September 2005-September 2007).

(38)  Siehe z.B. die jüngsten Verlautbarungen von Tony BLAIR, Stephen TIMMS und Ruth KELLY vom September 2006.

(39)  Im Entwurf des Verfassungsvertrags wird in Artikel I-3 zu den Zielen der Union ausgesagt: „Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz […]“.

(40)  Siehe insbesondere die Artikel 2 und 34 EUV sowie die Artikel 2, 3, 136, 137 und 153 des EWG-Vertrags von Rom und späteren Vertrags von Amsterdam. Nicht zu vergessen die offene Koordinierungsmethode, die 2006 eingeführt wurde, um die Möglichkeiten der EU zur Unterstützung der Mitgliedstaaten bei ihren Bemühungen um einen stärkeren sozialen Zusammenhalt in Europa zu verbessern.

(41)  Siehe die Artikel 65 und 67 des Vertrags und die bereits recht umfangreichen Maßnahmen zur Definierung eines europäischen Raums des Rechts.

(42)  Dies wird in dem beachtenswerten Zwischenbericht für die Frühjahrstagung 2007 des Europäischen Rates (Kommissionsmitteilung „Ein Binnenmarkt für die Bürger“ (KOM(2007) 60 endg. vom 21. Februar 2007) sowie den Ausführungen des Präsidenten der Kommission in verschiedenen Reden und Interviews der letzten Zeit deutlich.

(43)  Die Daten für die Situation in Europa sind nicht mehr aktuell, denn sie stammen aus der bereits genannten Studie von ORC Macro aus dem Jahr 2001. Verschiedene Mitgliedstaaten geben jedoch an, dass die Zahl der von Überschuldung betroffenen Haushalte in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Die Daten über die Situation in Deutschland deuten darauf hin, dass 1989 nur 3,5 % der Haushalte mit massiven finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, während 2005 8,1 % der deutschen Haushalte überschuldet waren. In Frankreich ist die Zahl der in den Überschuldungskommissionen eröffneten Verfahren zwischen 2002 und 2006 um 6 % auf 866 213 gestiegen. Ebenfalls im Jahr 2004 liefen in Schottland über 3 000 Insolvenzverfahren. Obwohl das jährliche Wirtschaftswachstum Schwedens mit zu den höchsten in der EU zählt, lag die Zahl der Insolvenzverfahren im Jahr 2005 um 13,6 % über der Zahl für 2004 und um 30,7 % über der Zahl für 2003. Eine Ausnahme scheint Belgien zu sein, wo ein gut durchdachtes und gut angewandtes System Früchte zu tragen scheint, zu dem weitere Gesetzesänderungen neueren Datums beitragen (Gesetz und Königlicher Erlass vom 1. April 2007 zur Änderung des Gesetzes vom 24. März 2003 und des Königlichen Erlasses vom 7. September 2003 zur Schaffung einer Basisbankdienstleistung). In den USA wurden 2005 über 1 600 000 Insolvenzverfahren beantragt. In Australien handelte es sich bei 81 % der in den Jahren 2005/2006 eingeleiteten gerichtlichen Insolvenzverfahren um private Insolvenzen. 2006 wurden von den kanadischen Gerichten 106 629 Insolvenzverfahren verhandelt (Verwertung des Schuldnervermögens oder Vergleich).

(44)  Wie dies in den Abschnitten 79 bis 81 des südafrikanischen Kreditgesetzes Nr. 34/2005 vorbildlich geregelt ist.

(45)  Beispielhaft sind hier die Projekte im Bereich der Schlichtung und der außergerichtlichen Einigung bei verbraucherrechtlichen Streitigkeiten, die den Weg für mehrere heute in Europa tätige Netzwerke bereitet haben, worunter das 1994 gegründete Consumer DebtNet hervorzuheben ist, das derzeit unter der Bezeichnung European Consumer Debt Net (ECDN) neu gestaltet wird.

(46)  Es ist auch darauf hinzuweisen, dass es Mitgliedstaaten (z.B. Portugal) gibt, die bis heute über kein für diesen Zweck geeignetes System verfügen.

(47)  Der EWSA schloss seinen Informationsbericht von 2000 bereits mit der Empfehlung, dass die Kommission „als einen ersten Schritt in diese Richtung unverzüglich die Ausarbeitung eines Grünbuchs zur Überschuldung der Privathaushalte in Europa veranlassen sollte, in dem sie die bereits zu diesem Thema vorliegenden Studien bekannt macht, eine Bestandsaufnahme der Rechtsvorschriften und statistischen Unterlagen der Mitgliedstaaten und der Beitrittsanwärterstaaten vornimmt, den Begriff der Überschuldung eindeutig und einheitlich zu definieren versucht und Leitlinien für die weiteren Maßnahmen festlegt, die ihres Erachtens ergriffen werden müssen, um die im vorliegenden Bericht aufgezeigten Ziele zu erreichen“.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/84


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Unternehmergeist und Lissabon-Agenda“

(2008/C 44/20)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Unternehmergeist und Lissabon-Agenda“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Oktober 2007 an. Berichterstatterin war Frau SHARMA, Mitberichterstatter war Herr OLSSON.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 25. Oktober) mit 109 gegen 3 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

In der Lissabon-Agenda sollte Unternehmertum im weitesten Sinne — das eine innovative und kreative Einstellung stimulieren und fördern kann — als eines der wesentlichen Instrumente hervorgehoben werden, mit dessen Hilfe das Wachstum gesteigert, bessere Arbeitsplätze geschaffen, der soziale Zusammenhalt hergestellt und soziale Ausgrenzung bekämpft werden können.

In unserer globalen Gesellschaft ist es überaus wichtig, dass Unternehmergeist im Rahmen eines umfassenden Ansatzes auf allen Ebenen gefördert und entwickelt wird, wobei die spezifischen Eigenschaften jeder Ebene berücksichtigt werden müssen.

1.2

Im Rahmen der Bildung und Ausbildung in jeder Alters- und Leistungsstufe müssen die Kreativität und das Potenzial jedes Einzelnen gefördert werden. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt den Austausch vorbildlicher Verfahrensweisen und verweist auf die Beispiele der Strategie der norwegischen Regierung (1) und der Organisation „Junior Achievement Young Enterprise“ (JA-YE) für Unternehmertum in Bildung und Ausbildung, die anderen Ländern als Vorbild dienen können.

1.3

Öffentliche und private Akteure sollten ermutigt werden, Unternehmergeist im weitesten Sinne zu entwickeln, und zwar sowohl in den Kommunen, den Organisationen und bei Einzelpersonen.

1.4

Die Europäische Kommission sollte einen Rahmen für die Überprüfung der Fortschritte und die Verbreitung vorbildlicher Verfahrensweisen ausarbeiten und den Bürgern im Zusammenhang mit der Lissabon-Agenda den Wert von Unternehmergeist vermitteln. Der Austausch vorbildlicher Verfahrensweisen ist wichtig, und Fortschritte sollten in Rahmen jährlicher Bestandsaufnahme-Konferenzen überwacht werden.

1.5

Die Sozialpartner sollten die Vorteile der Förderung einer unternehmerischen Einstellung als einen möglichen Faktor, der zu mehr und besseren Arbeitsplätzen führen kann, anerkennen. Sie sollten ihre Bemühungen intensivieren und den sozialen Dialog stärken, um zu einer gemeinsamen Grundlage für umfassende Maßnahmen zu finden.

1.6

Bei der Entwicklung von Unternehmergeist zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele und sozialer Innovation müssen die Rolle der Sozialwirtschaft und der nichtstaatlichen Organisationen gefördert werden. Ihre besondere Rolle sollte auf europäischer Ebene in den neuen beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2008-2010 Anerkennung finden.

1.7

Der EWSA unterstützt die Initiative der GD Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit zur Einführung einer „Inclusive Entrepreneurship Strategy“ (Strategie für integrationsförderndes Unternehmertum) und beabsichtigt, sich aktiv an ihr zu beteiligen.

1.8

Die in den Medien dargestellten positiven Vorbilder und Tätigkeiten und das von ihnen vermittelte Bild von Unternehmen, Unternehmern und Bildungsstrategien zur Förderung von Kreativität und Innovation sind zur Gestaltung eines von Unternehmergeist geprägten Europas überaus wichtig. Außerdem ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Medien auch über Beispiele von Tätigkeiten berichten, die einerseits ein positives Bild der Schulen bzw. der Bildungsstrategien zur Förderung von Kreativität und den Voraussetzungen für innovatives Handeln, andererseits aber auch ein positives Bild der so handelnden Unternehmen und Unternehmer vermitteln.

1.9

Das Konzept des Unternehmergeistes muss in möglichst viele europäische Politikbereiche einfließen, damit es Auswirkungen auf die Ziele von Lissabon haben kann.

1.10

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss fordert die Kommissionsmitglieder Figel' und Verheugen auf, in einer gemeinsamen Initiative der GD Bildung und Kultur und der GD Unternehmen und Industrie durch Ausrufung des Jahres 2009 zum „Jahr der Kreativität, der Innovation und des Unternehmergeistes“ den Nutzen und Wert der von Unternehmergeist geprägten Fähigkeiten und Einstellungen im Zusammenhang mit der Lissabon-Agenda hervorzuheben.

2.   Einleitung

2.1

In dieser Initiativstellungnahme wird die Notwendigkeit hervorgehoben, Unternehmergeist im weitesten Sinne als wesentlichen Faktor der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung zu fördern, und die Frage behandelt, welchen Beitrag Humankapitel und Kreativität hinsichtlich der Ziele von Lissabon leisten können.

2.2

Die Definition der Europäischen Kommission für unternehmerische Kompetenz lautet:

„Unternehmerische Kompetenz ist die Fähigkeit, Ideen in die Tat umzusetzen. Dies erfordert Kreativität, Innovation und Risikobereitschaft sowie die Fähigkeit, Projekte zu planen und durchzuführen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Unternehmerische Kompetenz hilft dem Einzelnen in seinem täglichen Leben zu Hause oder in der Gesellschaft, ermöglicht Arbeitnehmern, ihr Arbeitsumfeld bewusst wahrzunehmen und Chancen zu ergreifen. Sie ist die Grundlage für die besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse, die Unternehmer benötigen, um eine gesellschaftliche oder gewerbliche Tätigkeit zu begründen“ (2).

2.3

Der Lissabon-Agenda zufolge ist es Ziel der EU, „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt“ zu werden, insbesondere zu einem Wirtschaftsraum, „der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“.

2.4

Trotz der großen Anstrengungen bezüglich der Ziele von Lissabon muss noch viel mehr getan werden. Die Förderung und Nutzung von Unternehmergeist auf der Ebene der Gesellschaft, der Bevölkerungsgruppen, der Organisationen und des Einzelnen ist ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in Europa auf soziale und ökologisch nachhaltige Weise voranzubringen.

2.5

Im Februar 2005 schlug die Kommission (3) eine Neubelebung der Lissabon-Strategie vor, die die Anstrengungen der Europäischen Union auf zwei wesentliche Ziele konzentriert: die Verwirklichung eines stärkeren und anhaltenden Wachstums und die Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen. In der Strategie wird u.a. die Bedeutung einer stärker unternehmerisch geprägten Denkweise und einer KMU-freundlicheren Gestaltung des Wirtschaftsumfelds hervorgehoben, etwa durch Herausbildung des Unternehmergeistes und entsprechende Schulung auf den einzelnen Bildungsebenen. Auch die Kommunikation, die Medien und die gesamte kreative Industrie im Allgemeinen sollten auch eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, Unternehmergeist zu fördern und Menschen — insbesondere Frauen und junge Leute — darin zu bestärken, sich für eine unternehmerische Laufbahn zu entscheiden (4).

Unternehmergeist besteht aus grundlegenden Fähigkeiten und Einstellungen, die durch lebenslanges Lernen gefördert werden können, und die alle drei Bestandteile der Lissabon-Strategie unterstützen:

1)

Europa und seinen Regionen als Investitionsstandort und Arbeitsmarkt mehr Attraktivität zu verleihen;

2)

den Schwerpunkt auf Wissen und Innovation zu legen;

3)

mehr und bessere Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen.

2.6

Diese Stellungnahme folgt einer Reihe wichtiger Stellungnahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Unterstützung der Lissabon-Strategie und des Unternehmertums, in denen verschiedene Aspekte des Unternehmertums beleuchtet werden, insbesondere eine Stellungnahme zum Thema „Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung“ (5) und die jüngste Stellungnahme zum Thema „Unternehmenspotenzial — insbesondere von KMU“ und zum Thema „Beschäftigungsfähigkeit“ (6).

2.7

Des Weiteren hat der Ausschuss mehrere Stellungnahmen zur Lissabon-Strategie erarbeitet, in denen Innovation und Kreativität — die entscheidenden Faktoren von Unternehmergeist — als wichtige Schlüsselkompetenzen zur Erreichung der Ziele von Lissabon hervorgehoben werden. Hierauf wird auch in den jüngsten Stellungnahmen (7) hingewiesen.

2.8

Diese werden durch die vorliegende Stellungnahme ergänzt, deren Schwerpunkt auf dem Mehrwert liegt, den eine innovative, kreative und von Unternehmergeist geprägte Einstellung für die Gesellschaft hat, sowie auf der Frage, wie diese Einstellung von den verschiedenen Akteuren gefördert werden kann. Die entsprechenden Fähigkeiten und Einstellungen sollten zur Aktivierung des Potenzials jedes Einzelnen frühzeitig gefördert und im Rahmen des in der Grundschule beginnenden lebenslangen Lernprozesses wach gehalten werden, wobei die allgemeine Entwicklung der Persönlichkeit sehr junger Schüler stets zu berücksichtigen ist.

2.9

Außerdem sollte die Stellungnahme im Zusammenhang mit dem derzeitigen Schwerpunkt des Arbeitsprogramms des aktuellen Präsidenten des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, nämlich dem „Unternehmertum mit menschlichem Antlitz“, gesehen werden, in dessen Rahmen das Unternehmertum aus dem Blickwinkel des gesellschaftlichen Fortschritts bezüglich Wirtschaft und Innovation und nicht lediglich als Gewinnstreben betrachtet wird. Dementsprechend plant der EWSA-Präsident für 2008 die Veranstaltung einer Konferenz des Ausschusses unter dem Titel „Unternehmertum mit menschlichem Antlitz“.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der EWSA nimmt die von der Europäischen Kommission gebrauchte Definition unternehmerischer Kompetenz zur Kenntnis, wobei er sowohl deren breiten Ansatz als auch die Notwendigkeit unterstreichen möchte, öffentliche und private Akteure dahingehend zu mobilisieren, dass sie diese Definition zur Realität werden lassen, damit die Ziele von Lissabon erreicht werden können.

3.2

Die Sicht auf unternehmerische Tätigkeit muss erweitert werden, da hierunter für gewöhnlich lediglich die Tätigkeit von Einzelpersonen verstanden wird, die Unternehmen zu wirtschaftlichen Zwecken gewinnbringend auf- und ausbauen.

3.3

Kommt Erfindergeist, Kreativität und Innovation innerhalb einer Gruppe, eines Unternehmens oder einer Gesellschaft zum Einsatz, so besteht das Ergebnis nicht lediglich aus der Summe des jeweiligen Unternehmergeistes der beteiligten Einzelpersonen. Daher sollte zwischen unterschiedlichen Ausprägungsgraden von Unternehmergeist unterschieden werden.

3.4

Gesellschaftliche und andere Triebkräfte des Unternehmertums müssen uneingeschränkt anerkannt werden. Unternehmergeist ist ein gesellschaftliches Phänomen, das sich „auf allen Bühnen des menschlichen Lebens abspielt“, d.h. ein allumfassendes kulturelles Konzept, bei dem es um gesellschaftliche Prozesse und Tätigkeiten geht, die aus persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen betrieben werden. Durch eine solche Betrachtung des Unternehmertums wird das Human- und Sozialkapital gefördert, das für eine innovative Gesellschaft und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich ist und eine bessere Integration der verschiedensten Gruppen fördert.

3.5

Das Bildungswesen muss diese Sicht unterstützen, indem es Unternehmergeist und eine entsprechend geprägte Kultur fördert.

3.6

Die Sozialpartner sollten sich intensiver um eine gemeinsame Grundlage für umfassende Maßnahmen zur Förderung von Kreativität, Innovation und Unternehmergeist bemühen, durch die mehr und bessere Arbeitsplätze geschaffen werden. Selbstverständlich sollten sie über den sozialen Dialog informieren und diesen fördern.

3.7

Die Europäische Kommission weist auf die wesentlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen in Bezug auf unternehmerische Kompetenz hin (8):

1)

„Zu den notwendigen Kenntnissen zählt, Chancen für persönliche, berufliche und/oder gewerbliche Tätigkeiten zu erkennen, einschließlich der ‚größeren Zusammenhänge‘, in denen Menschen leben und arbeiten, sowie ein umfassendes Verständnis der Funktionsweise der Wirtschaft und der Chancen und Herausforderungen, mit denen ein Arbeitgeber oder eine Organisation konfrontiert sind. Der Einzelne sollte sich außerdem der ethischen Stellung von Unternehmen bewusst sein und wissen, dass diese durch fairen Handel oder soziale Unternehmensführung Vorbildfunktion haben können.“

2)

„An Fähigkeiten gefordert ist aktives Projektmanagement (dazu zählen Planung, Organisation, Management, Führung und Delegation, Analyse, Kommunikation, Einsatzbesprechung, Beurteilung und Aufzeichnung) und die Fähigkeit, sowohl eigenständig als auch im Team zu arbeiten. Eine wesentliche Kompetenz ist die Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen sowie die Bewertung von Risiken und die Bereitschaft, gegebenenfalls Risiken einzugehen.“

3)

„Eine unternehmerische Einstellung ist gekennzeichnet durch Initiative, vorausschauendes Aktivwerden, Unabhängigkeit und Innovation im privaten und gesellschaftlichen Leben sowie im Beruf. Dazu gehören auch Motivation und Entschlossenheit, Ziele zu erreichen, ob nun persönlicher Art oder gemeinsame Ziele mit anderen und/oder bei der Arbeit.“

3.8

Der EWSA würde dem das Wissen des Einzelnen um den Wert der sozialen Verantwortung der Unternehmen und unternehmerischer — nicht zwangsläufig gewinnbringender — Tätigkeiten sowie dessen Verständnis hierfür hinzufügen, die sich darin zeigt, dass Unternehmen zum Kapazitätsaufbau vor Ort, zur Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen in den Arbeitsmarkt und zu anderen gesellschaftlichen Zielen beitragen. Hierbei ist es jedoch unerlässlich, dass ein geeignetes Umfeld für diese Gruppen geschaffen wird und ihnen die entsprechenden Kompetenzen vermittelt werden, damit sich ihr Unternehmergeist entfalten kann.

3.9

Benötigt wird eine innovative und kreative Einstellung zur Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen, von sozialem Zusammenhalt und zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung, damit die Herausforderungen der Globalisierung, einer alternden Bevölkerung, des Umweltschutzes und der Wissensgesellschaft bewältigt werden können. Eine solche Einstellung ist daher von großer Bedeutung für die Lissabon-Agenda.

3.10

Untersuchungen haben ergeben, dass statistisch gesehen eine maßgebliche Verbindung zwischen unternehmerischer Tätigkeit und Wirtschaftswachstum besteht und dass sie zu einer dynamischen Arbeitsmarktentwicklung mit niedrigeren Arbeitslosenzahlen führt. (9) Insbesondere für Minderheitengruppen außerhalb des Arbeitsmarktes ist unternehmerische Tätigkeit von großer Bedeutung.

3.11

Zur Herbeiführung dieser positiven Wechselwirkung ist es jedoch wichtig, dass unternehmerische Tätigkeit gefördert wird und in einen nachhaltigen Prozess zur Schaffung von Wohlstand und Arbeitsplätzen mündet.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Unternehmergeist in Unterricht und Bildung

4.1.1

Der EWSA wiederholt seine 2006 zugesagte Unterstützung für die wesentlichen Aspekte einer Förderung des Unternehmergeistes (10):

1)

Frühzeitige Grundsteinlegung für die Förderung des Unternehmergeistes;

2)

Zusatzprogramme für die Förderung des Unternehmergeistes in den nationalen Lehrplänen von der Grundschule bis zur Hochschule;

3)

konstruktive und wirksame Zusammenarbeit zwischen Schulen/Hochschulen, Unternehmen und den staatlichen Stellen;

4)

Einbeziehung der Lehrer begünstigt deren persönliche Entwicklung;

5)

Einbeziehung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei der Aufstellung von Bildungsprogrammen zur Förderung des Unternehmertums;

6)

umfassende Einbindung und Teilhabe der Zivilgesellschaft am Lernprozess;

7)

Berücksichtigung des weiblichen Unternehmertums im Unterricht im Hinblick auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern;

8)

Unternehmergeist muss gleichermaßen bei Menschen mit Behinderungen und anderen benachteiligten Gruppen gefördert werden;

9)

Ausweitung des Wissenstransfers zwischen den Bildungseinrichtungen, einschließlich der Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen, um Informationen auszutauschen und die Studienprogramme effizienter zu gestalten.

4.1.2

Die übergreifende Verantwortung für Unternehmergeist fördernde Bildungsmaßnahmen liegt nach wie vor bei den Bildungseinrichtungen.

4.1.3

Die Förderung von Unternehmergeist in Bildung und Unterricht kann folgendermaßen zusammengefasst werden:

Grundschulen: Entwicklung des Selbstvertrauens der Schüler, indem ihnen Verantwortung übertragen wird und sie lernen, diese zu tragen; Erforschung ihrer Kreativität durch Versuch und Irrtum, Austesten und Kennen lernen der vor Ort vorhandenen Ressourcen;

Sekundarstufe I: Entwicklung von Schlüsselkompetenzen wie Entscheidungsfindung, Teamfähigkeit, Problemlösung und Aufbau von Netzwerken;

Sekundarstufe II: praxisnahes Lernen und Anwendung des Erlernten unter Einsatz personeller und finanzieller Mittel sowie unter Berücksichtigung der Umwelt, ethischer Aspekte und für das Arbeitsleben relevanter Beziehungen durch die Gründung von Juniorunternehmen („Schülerfirmen“);

Hochschulen und Universitäten: Produktentwicklung, Erkennen von Geschäftsmöglichkeiten, Kunden- und Marktbeziehungen, Kreativität und Innovation sind integrale Bestandteile der Planung, Gründung und Führung eines Unternehmens.

4.1.4

Der EWSA möchte einige Ergebnisse verschiedener Studien herausstellen, aus denen hervorgeht, dass Ausbildung zu unternehmerischer Kompetenz

einen Beitrag zu einer stärker von Unternehmergeist geprägten Gesellschaft leistet;

eine Strategie ist, mit deren Hilfe die unternehmerischen Eigenschaften und Fähigkeiten junger Menschen entwickelt werden und sich ihre Einstellung gegenüber dem Unternehmertum ändert (11);

die Kreativität junger Menschen, ihre Fähigkeit zu Teamarbeit, ihren Verantwortungssinn und ihr Selbstvertrauen fördert (12);

die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Schüler und Studenten Unternehmer werden (13).

4.1.5

Der EWSA nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass im Programm „Jugend in Aktion“ (14) nicht auf das Unternehmertum eingegangen wird. Unternehmergeist und Unternehmertum werden jedoch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten für die Jugend von morgen spielen. Ihr Wert muss daher unbedingt in möglichst vielen Politikbereichen und Programmen der EU berücksichtigt werden.

4.2   Gesellschaftliche Überlegungen und Unternehmergeist

4.2.1

Ein weitgefasster Ansatz zum Unternehmertum ermöglicht die Förderung der Kreativität aller Menschen einschließlich der sozial Schwächsten. Die jedem Menschen innewohnende Kreativität und dessen Potenzial müssen erkannt und gefördert werden. Unternehmergeist kann als Kraft angesehen werden, die den Einzelnen in die Lage versetzt, zum Erreichen gemeinschaftlicher Ziele und zum sozialen Wandel beizutragen. Europa muss die Kreativität der Beschäftigten und seiner Bürger umfassend nutzen, um eine Einstellung zu fördern, die Europa sowohl sozial als auch wettbewerbsfähig macht. Durch Unternehmergeist wird das gesellschaftliche Engagement der Bürger gefördert.

4.2.2

Zur wirksamen Durchführung von Programmen ist es unerlässlich, alle interessierten Kreise in den Prozess der Ausbildung zu unternehmerischer Kompetenz einzubeziehen. Die norwegische Strategie kann als erfolgreiches Beispiel für das Zusammenarbeiten aller Akteure der Zivilgesellschaft für die Umsetzung der Ziele einer solchen Ausbildung dienen. In dem im Anhang dargestellten Beispiel (15) arbeitete die norwegische Regierung (sowohl das Ministerium für Bildung als auch das Ministerium für Handel und Industrie) sehr eng mit „JA-YE“ (16) und mit den Sozialpartnern von der lokalen bis zur nationalen Ebene zusammen, wodurch die gebündelten Fähigkeiten und die Einsatzbereitschaft von Arbeitgebern, Gewerkschaften, öffentlichen Verwaltungen und auch von Eltern in Anspruch genommen werden.

4.2.3

Innerhalb des öffentlichen Dienstes muss mehr Unternehmergeist gefördert werden; das Ziel sollte darin bestehen, nutzerfreundlichere und wirksamere Dienstleistungen zu erbringen. Dies kann jedoch nicht allein durch marktwirtschaftliches Denken und marktwirtschaftliche Mechanismen erreicht werden. Stattdessen muss das Ziel des öffentlichen Dienstes im Mittelpunkt stehen, nämlich im allgemeinen Interesse der Bürger zu handeln. Zusätzlich müssen die Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, eine bessere Arbeitsqualität zu liefern, indem sie in neuen Formen der Arbeitsorganisation ihren Unternehmergeist freisetzen können.

4.2.4

Die GD Beschäftigung der Europäischen Kommission hat eine Strategie für integrationsförderndes Unternehmertum („Inclusive Entrepreneurship“) vorgeschlagen (17), die den breiten Ansatz des Equal-Programms aufgreift und hierbei insbesondere den Bereich des integrativen Unternehmertums und der Sozialwirtschaft im Rahmen der neuen Strukturfonds 2007-2013 weiter verfolgen soll. Der EWSA unterstützt diese Initiative und beabsichtigt, sich daran aktiv zu beteiligen; er betont jedoch, dass sie durch eine dauerhaftere Struktur innerhalb der GD Beschäftigung getragen und finanziell ausreichend ausgestattet werden muss.

4.2.5

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss möchte seinen in einer früheren Stellungnahme (18) unterbreiteten Vorschlag aufgreifen, das Jahr 2009 zum Europäischen Jahr des Unternehmertums zu erklären. Wie der EWSA zwischenzeitlich erfahren hat, plant die GD Bildung und Kultur das Jahr 2009 jedoch bereits als Jahr der Innovation und Kreativität. Deshalb ruft der Ausschuss die Kommission dazu auf, in einer gemeinsamen Initiative der GD Bildung und Kultur und der GD Unternehmen und Industrie durch Ausrufung des Jahres 2009 zum „Jahr der Kreativität, der Innovation und des Unternehmergeistes“ auch den Nutzen und Wert der von Unternehmergeist geprägten Fähigkeiten und Einstellungen im Zusammenhang mit der Lissabon-Agenda hervorzuheben.

4.3   Wirtschaftliche Überlegungen und Unternehmergeist

4.3.1

Die Europäische Kommission (19) hält die Unterstützung neuer Unternehmensgründungen für einen wichtigen Bestandteil der Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten, einer besseren Wettbewerbsfähigkeit und des Wirtschaftswachstums in ganz Europa.

4.3.2

Unternehmerische Fähigkeiten wie Kreativität, Teamfähigkeit und Selbstvertrauen sind wichtige Voraussetzungen für einen Arbeitsmarkt, auf dem ein Wechsel der Laufbahn zur Normalität gehört, wo Unternehmen häufig umstrukturiert werden und sich die Technologie rasant weiterentwickelt. Arbeitgeber sind immer auf der Suche nach flexiblen, innovativen, entscheidungsfreudigen und anpassungsfähigen Arbeitnehmern (20).

4.3.3

Unternehmerinnen sowie Frauen, die den Sprung in die Selbständigkeit erwägen, stehen vor besonderen Hindernissen wirtschaftlicher, praktischer, sozialer und kultureller Art, die auf jahrhundertealter unbegründeter Diskriminierung beruhen. Diese Hindernisse können durch eine gleichberechtigte Teilnahme an Bildungs- und anderen Programmen zur Förderung unternehmerischer Tätigkeit abgebaut werden, was nicht dazu führt, dass die Zahl der von Frauen geführten Unternehmen wächst, sondern auch zur Gleichstellung von Mann und Frau am Arbeitsplatz beiträgt.

4.3.4

Zu den zahlreichen Motivationsfaktoren für Unternehmer zählen unter anderem der finanzielle Gewinn, Unabhängigkeit und Arbeitszufriedenheit. Unabhängig von den Beweggründen ist es von wesentlicher Bedeutung, dass sich potenzielle und reale Unternehmer der sozialen Verantwortung bewusst werden, die einen wesentlichen Bestandteil der Unternehmensführung ausmacht (21).

4.3.5

Neueinwanderer sind für jede Wirtschaft eine Herausforderung. Als Arbeitskräfte sind sie die unternehmerische Grundlage für die wirtschaftliche Tätigkeit. Sie haben Unternehmergeist (wie ihre Migration bewiesen hat), jedoch ist die Wahrscheinlichkeit in ihrem Fall am höchsten, dass sie im informellen Sektor arbeiten. Die Herausforderung besteht darin, diese Menschen durch wirtschaftliche Integration und Anerkennung ihrer unternehmerischen Tätigkeit in den formellen Arbeitsmarkt zu integrieren, was zukünftig eine größere Wertschätzung der verschiedenen Einwanderergruppen und eine wirksamere Integration mit sich bringt.

4.4   Unternehmergeist und das Mitspracherecht der Arbeitnehmer

4.4.1

Die heutigen Arbeitsmuster fördern eine Teilhabe am wirtschaftlichen Leben und ermöglichen es, vom Angestelltenverhältnis in die Selbständigkeit und umgekehrt zu wechseln. Unternehmerische Initiative sollte daher als lang- oder kurzfristige Option ins Auge gefasst werden, damit mehr Menschen die Gründung oder Führung eines Unternehmens erwägen. Die Verwaltungsverfahren sollten im Sinne dieser Flexibilität so einfach wie möglich gehalten werden, wobei die Behörden allerdings sicherstellen müssen, dass der erleichterte Übergang zwischen den unterschiedlichen Formen der Berufsausübung nicht zu Missbrauch führt. Es kommt darauf an, dass Arbeitnehmer und Arbeitslose nicht zu einer selbständigen Beschäftigung überredet oder gezwungen werden und dass von Skrupeln eher wenig geplagte Unternehmer sich nicht aus der Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern stehlen können.

4.4.2

Ein wichtiger Aspekt bezüglich der Förderung von Unternehmergeist in Betrieben besteht darin, Anreize für innovative Formen der Arbeitsorganisation, gute Unternehmensführung und flexible Arbeitszeitregelungen zu schaffen, die sowohl den Bedürfnissen der Unternehmen als auch denen der Beschäftigten gerecht werden (22).

4.4.3

Daher muss jeder Arbeitnehmer einen Sinn für selbständiges und eigenverantwortliches Handeln entwickeln. Dies setzt voraus, dass die Arbeitnehmer in die Definition von Arbeitsqualität und deren Verbesserung stärker einbezogen werden. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die meisten Unternehmer früher selbst Arbeitnehmer waren.

4.4.4

Angesichts der demografisch bedingten zunehmenden Überalterung der Bevölkerung in Europa muss die hochbegabte ältere Generation der europäischen Bevölkerung in einem Umfeld arbeiten können, das die Übertragung von beruflichen Fähigkeiten, Managementfähigkeiten und Unternehmensführungskompetenz ermöglicht (23).

4.5   Unternehmerische Einstellungen und Entwicklung von Fähigkeiten durch die Sozialwirtschaft, NGO und sozialwirtschaftliche Unternehmen

4.5.1

Die besondere Rolle und die Eigenschaften der Sozialwirtschaft wurden bereits in anderen Stellungnahmen des EWSA hervorgehoben. (24) Sozialwirtschaftliche Unternehmen garantieren einen Pluralismus der Unternehmenskultur und wirtschaftliche Vielfalt.

4.5.2

In aktuellen Forschungsarbeiten wurde die Rolle des Unternehmertums im gemeinnützigen Bereich hervorgehoben. Diese kamen zu dem eindeutigen Ergebnis, dass diesem Bereich ein hohes Maß an Unternehmergeist zugrunde liegt. Der unternehmerische Prozess geht mit gruppendynamischen Prozessen und sozialen Bewegungen verschiedener Art einher (25).

4.5.3

Auf sozialem/gesellschaftlichem Gebiet engagierte Unternehmer versuchen, durch organisierte Tätigkeiten innovative Lösungen für Probleme zu finden, die in Themenbereichen wie Umwelt, Armut, Menschenrechte, soziale Ausgrenzung, Bildung und Kultur angesiedelt sind, und bieten somit neue Ideen für weit reichende Veränderungen. Hinter diesen Initiativen stehen Werte wie Demokratie und Solidarität.

4.5.4

Sozial verantwortliches Unternehmertum fördert eine nachhaltige Entwicklung, Demokratie und Bürgerbeteiligung, Arbeitnehmerbeteiligung in Unternehmen, Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und die Wiederbelebung von Städten und Gemeinden. Außerdem fördert es den Unternehmergeist von Frauen, jungen Menschen, Einwanderern und ethnischen Minderheiten.

4.5.5

Sozialwirtschaftlichen Unternehmen kommt eine wichtige Rolle bei der sozialen und beruflichen Eingliederung von Gruppen zu, die geringe Aussichten auf einen Arbeitsplatz haben. Soziale Unternehmen bieten den am meisten benachteiligten Personen maßgeschneiderte Hilfen auf dem Weg zur Integration in den Arbeitsmarkt an. Für diese Aufgabe sind sie aufgrund ihres Ansatzes besser geeignet als andere Akteure. Ihre Konzentration auf die Befähigung des Einzelnen mittels Eigenverantwortung führt zu guten Ergebnissen bei der Eingliederung in die Gesellschaft.

4.5.6

Das Konzept des sozialen Unternehmens breitet sich in Europa immer mehr aus. Die spezifische Rolle dieser Unternehmen sollte auf europäischer Ebene im Rahmen der beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2008-2010 anerkannt werden.

4.6   Die Rolle der Medien

4.6.1

Die Medien haben eine wesentliche Funktion hinsichtlich der Beeinflussung der öffentlichen Wahrnehmung von Kleinst- und Kleinunternehmen, spezialisierten Handels-, Dienstleistungsunternehmen sowie traditionellen und handwerklichen Tätigkeiten und deren Rolle in der Gesellschaft. Sie sollten vorbildliche Verfahrensweisen und die Auswirkungen von Unternehmergeist auf Wachstum und Beschäftigung hervorheben.

4.6.2

Die verschiedenen Arten von Unternehmen und unternehmerischen Tätigkeiten sollten stärker betont werden. Die Bekanntmachung positiver Vorbilder, insbesondere aus unterrepräsentierten Bereichen, ethnischen Hintergründen, von Frauen, Menschen mit Behinderungen und Einwanderern muss in den verschiedenen Medien intensiviert werden.

Die Medien sollten Vorbilder und Tätigkeiten thematisieren, die ein positives Bild von Schulen und Bildungsstrategien vermitteln, durch die Kreativität und die Voraussetzungen für Innovation gefördert werden.

4.6.3

In jüngster Zeit wurde in einigen Mitgliedstaaten mittels Fernsehprogrammen ein Bewusstsein für Unternehmertum und den Wert neuer Ideen geschaffen. Hierfür gibt es zwei Beispiele im Vereinigten Königreich: In „Dragons' Den“ machen Unternehmer und Erfinder ihre Ideen einem Investorenteam schmackhaft und in „The Apprentice“ sucht eine führende Persönlichkeit der Unternehmenswelt eine(n) Auszubildende(n) (BBC). Beide Sendungen weckten das Interesse von Schülern daran, ein eigenes Unternehmen zu gründen sowie daran zu zeigen, wie aus einer Idee ein Unternehmen gemacht werden kann.

4.6.4

Eine Förderung und Herausstellung von Veranstaltungen wie den folgenden würde das Bewusstsein für den Nutzen von Unternehmertum und dessen Einfluss auf die Gesellschaft weiter steigern:

„Entrepreneurship in Education European Summit“ (Europäischer Gipfel zu Unternehmergeist in der Bildung), veranstaltet von JA-YE Europa, 5.-7. September 2006;

Konferenz zum Thema „Entrepreneurship Education in Europe: Fostering Entrepreneurial Mindsets through Education and Learning“ (Ausbildung zu unternehmerischer Kompetenz in Europa: Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung) — eine gemeinsame Initiative der Europäischen Kommission und der norwegischen Regierung, Oslo, 26./27. Oktober 2006;

Europäische Unternehmerpreise (von der Kommission ausgeschriebener neuer jährlicher Wettbewerb, der Initiativen zur Förderung der Unternehmertätigkeit würdigt und belohnt).

Brüssel, den 25. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  „See opportunities and make them work!“ — Strategy for entrepreneurship in education 2004-2008, Strategieplan, Ministerium für Handel und Industrie, Ministerium für Bildung und Forschung, Ministerium für lokale Verwaltung und regionale Entwicklung.

(2)  „Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen“ KOM(2005) 548 endg., Anhang, Ziffer 7.

(3)  „Mitteilung für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates — Zusammenarbeit für Wachstum und Arbeitsplätze — Ein Neubeginn für die Strategie von Lissabon“ KOM(2005) 24 endg.

(4)  „Schlussfolgerungen des Vorsitzes“, Europäischer Rat (Brüssel), 23./24. März 2006, Ziffer 31.

(5)  Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 19.7.2006 zum Thema „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung“, Berichterstatterin: Frau Jerneck (ABl. C 309 vom 16.12.2006).

(6)  Siehe die Stellungnahmen des EWSA zum Thema „Unternehmenspotenzial — insbesondere von KMU (Lissabon-Strategie)“, (Initiativstellungnahme), INT/324, Berichterstatterin: Frau Faes, und zum Thema „Beschäftigungsfähigkeit und Unternehmergeist — die Rolle der Zivilgesellschaft, der Sozialpartner und der regionalen und lokalen Einrichtungen unter Berücksichtigung des Gender Mainstreamings“ (Sondierungsstellungnahme), SOC/273, Berichterstatter: Herr Pariza Castaños.

(7)  Siehe die Stellungnahmen des EWSA zu den Themen:

„Unternehmenspotenzial — insbesondere von KMU (Lissabon-Strategie)“, (Initiativstellungnahme), INT/324, Berichterstatterin: Frau Faes;

„Investitionen in Wissen und Innovation (Lissabon-Strategie)“, (Initiativstellungnahme), INT/325, Berichterstatter: Herr Wolf;

„Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)“, (Initiativstellungnahme), SOC/251, Berichterstatter: Herr Greif;

„Festlegung einer Energiepolitik für Europa (Lissabon-Strategie)“, (Initiativstellungnahme), TEN/263, Berichterstatterin: Frau Sirkeinen.

(8)  „Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen“ KOM(2005) 548 endg.

(9)  Siehe:

The Global Entrepreneurship Monitor (GEM) 2004;

„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung“, KOM(2006) 33 endg.;

„The Challenge to Inspire: Enterprise Education for Young People“, Fourth Session of the Team of Specialists on Entrepreneurship in Poverty Alleviation: Youth Entrepreneurship. Athayde, R. 2004, Genf: Vereinte Nationen.

(10)  Siehe:

„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung“, KOM(2006) 33 endg.;

Stellungnahme des EWSA vom 19.7.2006 zum Thema „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung“, Berichterstatterin: Frau Jerneck (ABl. C 309 vom 16.12.2006);

Schlussfolgerungen der Konferenz zum Thema „Entrepreneurship Education in Europe: Fostering Entrepreneurial Mindsets through Education and Learning“ (Ausbildung zu unternehmerischer Kompetenz in Europa: Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung) — eine gemeinsame Initiative der Europäischen Kommission und der norwegischen Regierung, Oslo, 26./27. Oktober 2006.

(11)  Siehe:

„Entreprenørskap som strategi for regional utvikling“, Spilling, O., Roppen, J., Sanness, A., Simonsen, B., Steinsli, J. og Støylen, A. 2002, BI Discussion Paper 7/2002. Lillehammer: BI;

„Helping to create an entrepreneurial culture — A guide on good practices in promoting entrepreneurial attitudes and skills through education“, Europäische Kommission 2004,

http://ec.europa.eu/enterprise/entrepreneurship/support_measures/training_education/doc/entrepreneurial_culture_en.pdf.

(12)  Siehe:

„Helping to create an entrepreneurial culture — A guide on good practices in promoting entrepreneurial attitudes and skills through education“, Europäische Kommission 2004,

http://ec.europa.eu/enterprise/entrepreneurship/support_measures/training_education/doc/entrepreneurial_culture_en.pdf.

„Entreprenørskapsopplæring i skolen. Hovedkonklusjoner fra 3 års følgeforskning av Ungt Entreprenørskaps program: Program for nyskaping og entreprenørskap i opplæring og utdanning i Norge (2001-2005)“, Johansen, V. and Eide, T. 2006,

http://www.ostforsk.no/notater/pdf/132006.pdf.

„Erfaringer fra deltakelse i studentbedrift. Hvordan opplevde de tiden som etablerer av Studentbedrift og hva skjedde etterpå?“, Johansen, V. and Eide, T. 2006,

http://www.ostforsk.no/notater/pdf/162006.pdf.

(13)  Siehe:

„Hva hendte siden? Ungdomsbedrifter i den videregående skolen“, Luktvasslimo, M. 2003. NTF-notat 1/2003. Steinkjer: Trøndelag Forskning og utvikling AS;

„Ungdomsbedrifter og entreprenørskap — 2005“, Haugum, M. 2005. NTF-notat 4/2005. Steinkjer: Trøndelag Forskning og utvikling AS;

„Entrepreneurship in Education: The Practice in OECD Countries“, Stevenson, L. 2005, document at the conference „Fostering Entrepreneurship — The Role of Higher Education“, Italien: 2005;

„Erfaringer fra deltakelse i studentbedrift. Hvordan opplevde de tiden som etablerer av Studentbedrift og hva skjedde etterpå?“, Johansen, V. and Eide, T. 2006,

http://www.ostforsk.no/notater/pdf/162006.pdf.

(14)  http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/en/oj/2006/l_327/l_32720061124en00300044.pdf.

(15)  Siehe Anlage 1, Schaubild aus Junior Achievement Young Enterprise (JA-YE), Norwegen.

(16)  Junior Achievement Young Enterprise (JA-YE) Norwegen,

http://www.ja.org/near/nations/norway.shtml, http://www.ue.no.

(17)  Rede des Generaldirektors, Herrn van der Pas, auf dem vom deutschen Ratsvorsitz veranstalteten EQUAL-Politikforum „Unternehmergeist“ am 5.6.2007 in Hannover.

(18)  Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 19.7.2006 zum Thema „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung“, Berichterstatterin: Frau Jerneck (ABl. C 309 vom 16.12.2006).

(19)  „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung“, KOM(2006) 33 endg.

(20)  „The Challenge to Inspire: Enterprise Education for Young People“, Fourth Session of the Team of Specialists on Entrepreneurship in Poverty Alleviation: Youth Entrepreneurship. Athayde, R. 2004, Genf: Vereinte Nationen.

(21)  Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 15.9.2004 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Aktionsplan: Europäische Agenda für unternehmerische Initiative“, Berichterstatter: Herr Butters (ABl. C 074 vom 23.3.2005).

(22)  Siehe die aktuelle Stellungnahme des EWSA zum Thema „Nachhaltige Arbeitsproduktivität in Europa“ (Initiativstellungnahme), Berichterstatterin: Frau Kurki (SOC/266).

(23)  Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 15.9.2004 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Aktionsplan: Europäische Agenda für unternehmerische Initiative“, Berichterstatter: Herr Butters (ABl. C 074 vom 23.3.2005).

(24)  Siehe folgende Stellungnahmen des EWSA:

Stellungnahme vom 27.10.2004 zum Thema „Fähigkeit der Anpassung der KMU und der sozialwirtschaftlichen Unternehmen an die durch die wirtschaftliche Dynamik vorgegebenen Änderungen“, (Sondierungsstellungnahme), Berichterstatterin: Frau Fusco;

Stellungnahme vom 1.4.2004 zum Thema „Die wirtschaftliche Diversifizierung in den Beitrittsstaaten — die Rolle der KMU und der sozialwirtschaftlichen Unternehmen“, Berichterstatterin: Frau Fusco, Mitberichterstatter: Herr Glorieux.

(25)  Gawell 2004 „Entrepeneurial Process in Civil Society“.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/91


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „EU-Einwanderungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern“

(2008/C 44/21)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu erarbeiten über: „EU-Einwanderungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr PARIZA CASTAÑOS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 25. Oktober) mit 94 Ja-Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Seit 2006 hat sich eine neue Perspektive im Umgang mit dem Migrationsphänomen und der Migrationspolitik herausgebildet, insbesondere durch den hochrangigen Dialog der Vereinten Nationen zum Thema „Internationale Migration und Entwicklung“ (1). Die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Migration und Entwicklung hat zu einer neuen Wahrnehmung der Migration geführt. Dabei werden die Interessen der Herkunftsländer berücksichtigt und die in Europa dominierende Sicht überwunden, der zufolge die Migrationspolitik ausschließlich den Bedürfnissen und den Anliegen der Aufnahmegesellschaft Rechnung tragen muss.

1.2

Im Vorfeld des hochrangigen Dialogs der Vereinten Nationen wurde der im Oktober 2005 fertig gestellte Abschlussbericht der Weltkommission für internationale Migration (GCIM) vorgelegt. Darin wird bereits die Grundlage für eine mehrdimensionale Sicht des internationalen Migrationsphänomens geschaffen, bei der den Aspekten der Entwicklung der Herkunftsländer besondere Bedeutung zukommt. Auf diesen Bericht folgten noch zahlreiche weitere Arbeiten und Treffen auf Ebene der Vereinten Nationen sowie im Rahmen anderer internationaler Gremien.

1.3

Die Europäische Union hat sich an dieser Debatte beteiligt und bereits Schritte unternommen, um die Migrationspolitik im Zusammenhang mit der Entwicklungspolitik zu betrachten. Die Europäische Kommission hat bereits 2002 eine Mitteilung über die Einbeziehung von Migrationsbelangen in die Beziehungen zu Drittländern (2) veröffentlicht. Darin beschreibt sie eine umfassende Sichtweise des Migrationsphänomens und fordert, dieses nicht auf die Bekämpfung der irregulären Einwanderung zu reduzieren, sondern auch seine positiven Effekte zu berücksichtigen und es in Beziehung zu den Zielen der Armutsbekämpfung zu setzen. In der Mitteilung wird u.a. auf die Bedeutung der Überweisungen, der Abwanderung von Wissenschaftlern (Braindrain) aufgrund der Abwerbung durch reiche Länder (darunter die EU-Mitgliedstaaten) und die Rückkehr Bezug genommen, wobei die Ansicht vertreten wird, dass alle diese Fragen mit den Zielen der Entwicklung der Herkunftsländer in Verbindung stehen.

1.4

In der 2004 verabschiedeten Verordnung über die finanzielle Hilfe für Drittländer im Migrations- und Asylbereich (AENEAS) (3) wurde die Möglichkeit einer Finanzierung von Aktionen zur Migrationssteuerung erwogen, die den Interessen der Herkunftsländer Rechnung tragen sollte (in der Verordnung wird vor allem eine Finanzierung von Maßnahmen für die Bekämpfung der irregulären Einwanderung angestrebt).

1.5

Das bislang ausführlichste Dokument zu diesem Thema ist jedoch die Mitteilung über den Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung, die die Kommission Ende 2005 vorgelegt hat (4). Diese Mitteilung ist die Weiterführung der Mitteilung von 2002, konzentriert sich im Gegensatz zu dieser aber auf das, was Migration und Entwicklung verbindet, und lässt andere Aspekte, wie die Bekämpfung der irregulären Einwanderung, außen vor. Es werden u.a. neue Aspekte im Zusammenhang mit Themen wie Überweisungen, Stärkung der Rolle der Diaspora-Organisationen für die Entwicklung und Mobilität von Intelligenz (wie auch der Begrenzung der negativen Auswirkungen des Braindrain) beleuchtet.

1.6

Ergänzt wird diese Mitteilung durch ein speziell für den hochrangigen Dialog der Vereinten Nationen zum Thema „Internationale Migration und Entwicklung“ erarbeitetes Kommissionspapier (5).

1.7

In einer neuen Mitteilung (6) hat die Kommission diesen Ansatz weiterentwickelt und Maßnahmen für die zirkuläre Migration und Mobilitätspartnerschaften zwischen der EU und Drittstaaten vorgeschlagen. Dazu äußert sich der EWSA in Abschnitt 11 dieser Stellungnahme.

1.8

Auch das Europäische Parlament hat diesbezüglich eine Stellungnahme (7) ausgearbeitet. Sie hat dieselben Themen zum Gegenstand wie die Kommissionsmitteilungen, enthält jedoch weitergehende Vorschläge. So wird die Politik der „gewählten Migration“ dafür kritisiert, dass sie den Braindrain begünstige. Auch werden konkrete Maßnahmen für die Rückkehr hochqualifizierter Migranten vorgeschlagen, z.B. die Entwicklung von Programmen zum Auffangen der Lohnunterschiede bei den Migranten, die in ihr Land zurückkehren wollen, oder Maßnahmen zur Gewährleistung der Übertragung von Ruhegehalts- und Sozialversicherungsansprüchen für Rückkehrer. Des Weiteren geht das Parlament in seiner Stellungnahme u.a. auf die zirkuläre Migration von Fachkräften ein, plädiert für die Politik der gemeinsamen Entwicklung und schlägt Maßnahmen bezüglich Überweisungen vor.

1.9

Der EWSA leistet mit der vorliegenden Stellungnahme sowie der Initiativstellungnahme zum Thema „Migration und Entwicklung: Chancen und Herausforderungen“ (8) einen neuen Beitrag zur Einwanderungspolitik der EU, indem er eine neue Perspektive einbezieht: die der Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern.

2.   Die globale Dimension der Arbeitslosigkeit, der Armut und der Ungleichheit  (9)

2.1

In den letzten Jahrzehnten hat der materielle Wohlstand in der Welt — zumindest auf das BIP bezogen — in noch nie da gewesenen Maße zugenommen. Diese Prosperität zeichnet sich aber durch sehr große Unterschiede aus, denn zahlreiche Länder und hunderte Millionen Menschen haben keinen Anteil an diesem neuen Wohlstand gehabt.

2.2

Der Anstieg des BIP spiegelt nicht genau den wirklichen Entwicklungsgrad einer Gesellschaft wider. Der Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme/UNDP) (10) beruht auf einem umfassenderen Entwicklungskonzept, das über das BIP hinausgeht und u. a. die Lebenserwartung und das Bildungsniveau einbezieht. Gleichwohl bleiben andere offensichtlich relevante Indikatoren unberücksichtigt, wie Achtung der Menschenrechte, Demokratie, Zugang zu menschenwürdiger Arbeit oder Gleichheit.

2.3

Ein vorrangiges Problem ist der Mangel an Arbeitsplätzen bzw. an Mitteln, die den Lebensunterhalt sichern. Arbeitslosigkeit ist gemeinhin ein zentraler „Push-Faktor“, der Menschen dazu bewegt, an Orte zu ziehen, die bessere Lebensbedingungen bieten. 2006 lebten auf der Erde 6,7 Milliarden Menschen — bei einer jährlichen Wachstumsrate von 75 Millionen (hauptsächlich in den Entwicklungsländern). Im ILO-Bericht „Globale Beschäftigungstrends 2007“ wurde die Welterwerbsbevölkerung 2006 auf rund 2,9 Milliarden Menschen geschätzt (11). Im selben Jahr gab es schätzungsweise 195,2 Millionen Arbeitslose, d.h. etwa 6,3 % der Welterwerbsbevölkerung. Die Zahl der „Armen trotz Erwerbstätigkeit“ (working poor = Personen, die von umgerechnet 2 US-Dollar oder weniger pro Tag leben) stieg weiter an und belief sich 2007 bereits auf 1,37 Milliarden (12).

2.4

Die Notlage von Landwirten in Entwicklungsländern ist ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für die internationale Migration — jetzt und in Zukunft. Im Jahr 2000 waren 43 % aller Arbeitnehmer auf der Welt im Agrarsektor beschäftigt, wobei ihre Situation in armen Ländern üblicherweise schlechter ist als die Lage von Stadtbewohnern. Dies ist zum Teil das Ergebnis einer staatlichen Politik, die oft Maßnahmenpakete für strukturelle Anpassungen umfasst. Diese sollen die Agrarproduktion „modernisieren“ und stärker exportorientiert gestalten, haben aber durch die zunehmende Liberalisierung des Handels die Schwächung der Position von Kleinlandwirten und ihre Verdrängung aus der Agrartätigkeit bzw. in die chronische „Unterbeschäftigung“ oder ihre Abwanderung aus den ländlichen Regionen zur Folge. Tatsächlich wuchs im Zeitraum von 1980 bis 1999 der Anteil der Bevölkerung, die in städtischen Gebieten lebt, von 32 auf 41 % in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommensniveau (13).

2.5

Es ist zu betonen, dass kein automatischer Zusammenhang zwischen Einkommen und menschlicher Entwicklung besteht. Länder mit einem geringeren Einkommensniveau als andere können dank entsprechender öffentlicher Maßnahmen und dank des Fehlens von Konflikten einen höheren Index der menschlichen Entwicklung (14) haben.

2.6

In der heutigen globalisierten Welt liegen Norwegen und Niger mit ihren Indikatoren der menschlichen Entwicklung am weitesten auseinander. Norweger sind vierzigmal reicher als Nigrer und haben eine doppelt so hohe Lebenserwartung und eine fünfmal höhere Schulbesuchsquote.

2.7

Bei der Untersuchung der Tendenzen der menschlichen Entwicklung seit den 70er-Jahren ist festzustellen, dass die meisten Länder ihren Index der menschlichen Entwicklung verbessert haben. Die einzige Ausnahme ist Subsahara-Afrika: In dieser Region befinden sich 28 der 31 Länder mit dem niedrigsten Indikator der menschlichen Entwicklung.

2.8

Folgende Daten sind sicher ebenfalls interessant:

In den letzten drei Jahrzehnten ist die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt um sieben Jahre in den entwickelten Ländern und um neun Jahre in den Entwicklungsländern angestiegen. Einzige Ausnahme ist Subsahara-Afrika, wo die Lebenserwartung den niedrigsten Stand seit 30 Jahren erreicht hat; so ist sie in Botswana um 20 und in Sambia um 13 Jahre zurückgegangen.

Die Kindersterblichkeit nimmt in den entwickelten Ländern stärker ab als in den Entwicklungsländern.

Vor dem Hintergrund einer globalen wissensbasierten Wirtschaft ist die Tatsache zu sehen, dass die Schulbildung eines Kinds in einem Land mit hohem Einkommensniveau durchschnittlich über 15 Jahre beträgt. In Burkina Faso sind es weniger als vier Jahre. In den am wenigsten entwickelten Ländern haben 20 % der Kinder keinen Grundschulabschluss. Im Tschad, in Malawi oder in Ruanda liegt dieser Wert bei 40 %.

In Lateinamerika gibt es trotz neuer positiverer Tendenzen noch gravierende Probleme, die sich aus der Armut und der ungleichen Verteilung des Wohlstands ergeben.

2.9

Weltweit ist die Armut zurückgegangen (15), was aber weitgehend auf die Entwicklung, die in den letzten Jahren in China und Indien stattgefunden hat, zurückzuführen ist. 20 % der ärmsten Menschen verfügen über nur 1,5 % des weltweiten Einkommens, und ihre Tageseinkünfte liegen unter 1 US-Dollar. 40 % der Weltbevölkerung verfügt über nur 5 % des weltweiten Einkommens und lebt von weniger als 2 US-Dollar pro Tag. Andererseits zählen 90 % der Einwohner der OECD-Länder zu den 20 % der Weltbevölkerung mit den höchsten Einkommen. Am anderen Ende der Skala gehört jeder zweite Einwohner Subsahara-Afrikas zu den 20 % mit den geringsten Einkommen. Die 500 reichsten Menschen der Welt verfügen über ein höheres Einkommen (Vermögenswerte nicht eingerechnet) als die 416 Millionen ärmsten Menschen zusammen.

2.10

Armut, Arbeitslosigkeit und Ungleichheit sind gemeinsame Merkmale der Herkunftsländer von Migranten. Das Nichtvorhandensein menschenwürdiger Arbeit, Wirtschaftskrisen, fehlende Entwicklungsperspektiven, Katastrophen und Krankheiten, Kriege, Korruption und die Unfähigkeit mancher Regierungen, der Mangel an Freiheit und demokratischen Institutionen — all dies bringt viele Menschen dazu, ihr Land zu verlassen und dorthin zu gehen, wo sie bessere Zukunftsperspektiven sehen. Die Weltkommission für internationale Migration stellte in ihrem für die UNO angefertigten Bericht 2005 fest, dass viele große Migrationsströme, die unerwünscht und schwierig zu steuern sind, auf das Fehlen einer nachhaltigen Entwicklung und auf strukturelle Probleme in zahlreichen Ländern zurückzuführen sind.

2.11

Gleichzeitig nutzen kriminelle Vereinigungen, die auf dem Gebiet des Schleusens und des Menschenhandels tätig sind, diese Situation aus, um sich an der irregulären Einwanderung zu bereichern. Es ist deshalb wichtig, gegen solche skrupellosen verbrecherischen Banden, die aus der Notlage unschuldiger Menschen Vorteil ziehen, konzertiert vorzugehen. Ebenso wichtig ist es, dass wirkungsvolle Kontrollen an den Grenzen (einschließlich der Seegrenzen) zwischen Transit- und Bestimmungsländern angemessen koordiniert werden.

2.12

Die Förderung des Friedens und der Demokratie, des wirtschaftlichen und sozialen Wachstums sowie der menschlichen Entwicklung kann neben der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit einen wichtigen Beitrag zur Verringerung der unerwünschten Auswanderung leisten.

2.13

Allerdings sind es nicht die Ärmsten, die auswandern, denn ihre Mittellosigkeit macht diese Möglichkeit für sie unerreichbar. Vielmehr wandern jene aus, die über höhere (eigene oder familiäre) Einkünfte, ein höheres Bildungsniveau, mehr Dynamik und eine bessere körperliche Verfassung verfügen — und das sind sehr oft die Jüngeren. Auswanderung führt zumindest anfänglich zum Verlust an Humankapital der Herkunftsländer.

2.14

Armut und Perspektivlosigkeit sind in vielen — wenngleich nicht allen — Fällen die Gründe für die Auswanderung nach Europa. Die EU muss aktiv mit den Herkunftsländern in der Armutsbekämpfung zusammenarbeiten und in der Einwanderungspolitik einen umfassenden Ansatz verfolgen.

2.15

Der EWSA meint, dass die EU und die Mitgliedstaaten den Millenniums-Entwicklungszielen, die vor sieben Jahren von der UNO vereinbart wurden und bis 2015 erreicht werden sollen, einen neuen politischen Impuls verleihen sollten Diese Ziele müssen durch Initiativen zugunsten der menschenwürdigen Arbeit gemäß den ILO-Normen ergänzt werden.

2.16

Bisher gibt es nur langsame Fortschritte, und die internationale Gemeinschaft kommt den erforderlichen politischen Verpflichtungen nicht nach. Beispielsweise kommen nur wenige Mitgliedstaaten ihrer Zusage nach, 0,7 % ihres BIP für die Entwicklungshilfe zu verwenden. Die Zwischenbilanz, die der UN-Generalsekretär 2007 gezogen hat (16), ist ernüchternd: Die Fortschritte sind gering, und die Entwicklungshilfe wurde zwischen 2005 und 2006 sogar um 5,1 % gekürzt.

2.17

Der Ausschuss schlägt der Europäischen Kommission vor, eine genaue Agenda zur Förderung der acht Millenniumsziele zu verabschieden:

Kampf gegen Hunger: Halbierung der extremen Armut, d.h. Halbierung der Zahl der Menschen, die mit weniger als 1 Dollar täglich auskommen müssen.

Weltweite Bildung: Sicherstellung der Grundschulausbildung für alle Kinder.

Gleichstellung: Beseitigung der Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern und Förderung der Unabhängigkeit von Frauen.

Kindersterblichkeit: Verringerung der Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren um zwei Drittel.

Gesundheit der Mütter: Verringerung der Sterblichkeit von Frauen während der Schwangerschaft um drei Viertel.

Pandemien: Umkehrung der Tendenz bei der Verbreitung von Krankheiten wie Malaria oder AIDS.

Nachhaltigkeit: Halbierung der Zahl der Personen, die keinen Zugang zu Trinkwasser und Abwasserentsorgung haben.

Handel: Schaffung eines multilateralen Austauschsystems, gleichzeitig Gewährleistung der Korruptionsbekämpfung und der Förderung der guten Regierungsführung.

3.   Handel und Entwicklung

3.1

Die Öffnung des Handels ist unter verschiedenen Aspekten mit Wirtschaftswachstum, Entwicklung, Arbeitsplatzschaffung und Armutsbekämpfung verbunden. Das beste Beispiel hierfür sind die Verhandlungen, die derzeit in der Welthandelsorganisation (WTO) geführt werden. Die gegenwärtige Verhandlungsrunde (Doha-Runde) wird auch als Entwicklungsrunde bezeichnet. Dasselbe Ziel verfolgen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die als fester Bestandteil des Cotonou-Abkommens zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten ausgehandelt wurden, sowie die kürzlich vorgelegte Mitteilung der Europäischen Kommission „Auf dem Weg zu einer EU-Strategie für Handelshilfe“ (17).

3.2

In einigen Fällen wird die Öffnung des Handels mit der Entwicklung der ärmsten Länder und der Verringerung der unerwünschten Einwanderung verknüpft. In anderen Fällen wird die Auswanderung als Folge des Schutzes der Märkte der entwickelten Länder vor den Erzeugnissen der Entwicklungsländer betrachtet.

3.3

Die Frage ist, wie die Förderung des Handels zur Verringerung der Armut in der Welt beitragen kann. Der EWSA hält die vom Internationalen Arbeitsamt und der WTO gemeinsam erarbeitete Studie „Trade and employment: Challenges for policy research“ („Handel und Beschäftigung: Herausforderungen für die Politikforschung“) vom März 2007 in diesem Zusammenhang für ein zentrales Referenzwerk.

3.4

Im letzten Jahrzehnt, in dem die Handelshemmnisse merklich abgebaut wurden, ist die Armut weltweit zurückgegangen. Allerdings fand dieser Rückgang vornehmlich in China und Indien statt, und auch dort nur in bestimmten Regionen und gesellschaftlichen Bereichen. Die Erfahrungen der Länder, die ihre Volkswirtschaften geöffnet haben, sind unterschiedlich. Die Länder, die ihre Entwicklung auf den Textilexport gestützt haben, konnten die Armut nicht in signifikantem Maße reduzieren. In anderen Ländern ist lediglich die Schattenwirtschaft angewachsen. In Asien haben die Lohnunterschiede zwischen qualifizierten und nicht qualifizierten Arbeitnehmern ab-, in Lateinamerika hingegen zugenommen (18).

3.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass es, im Gegensatz zu dem, was die Führungseliten bestimmter Entwicklungsländer denken, keinen Widerspruch zwischen Entwicklung und Menschenrechten gibt. Untersuchungen zufolge (19) steigen die internationalen Investitionen und Exporte in den Ländern, die ihr politisches System demokratisieren, die Rechte der Arbeitnehmer stärken und den sozialen Schutz verbessern. Die Achtung der internationalen ILO-Normen für die Förderung der menschenwürdigen Arbeit, die Stärkung des sozialen Dialogs der Sozialpartner und des Dialogs mit den Organisationen der Zivilgesellschaft sind aus Sicht des EWSA unterstützenswerte Beispiele für gutes Regieren.

3.6

Eine stärkere Marktöffnung seitens der Industrieländer kann die Entwicklung begünstigen, auch wenn sie sich nicht immer günstig für alle Länder auswirkt, denn nur die Länder, die ein gewisses Entwicklungsniveau erreicht haben (mit starken nationalen Märkten, wirkungsvollen Exportinfrastrukturen und stabilen politischen Systemen), sind in der Lage, den Abbau von Zollschranken und nichttarifären Hemmnissen zu nutzen, um ihre Entwicklung voranzutreiben und die Armut zu verringern.

3.7

Die Folgen der Globalisierung für die Entwicklung der Länder sind sehr unterschiedlich und hängen von der Politik ab, die ein Land verfolgt: Fortschritte hinsichtlich der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte sowie Verbesserungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Infrastrukturen, Beschäftigungspolitik fördern das Wachstum und vermindern Armut und soziale Ungerechtigkeit.

3.8

Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU im Rahmen der WTO-Verhandlungen die Zunahme des internationalen Handels (insbesondere zwischen der EU, Afrika und Lateinamerika) wie auch die Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten in der Welt erleichtern sollte.

3.9

Die EU hat Assoziierungsabkommen mit verschiedenen Ländern und regionalen Ländergruppen geschlossen: den Ländern der Partnerschaft Europa-Mittelmeer, den AKP-Staaten, Russland und den östlichen Nachbarländern, den Ländern des Mercosur und der Andengemeinschaft, China, Indien usw. Der Ausschuss trägt durch seine Stellungnahmen und Gemischten Ausschüsse dazu bei, dass diese Abkommen über Handelsaspekte hinausgehen und unterschiedliche soziale Aspekte einschließen.

4.   Entwicklungszusammenarbeit

4.1

Auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit sollte die EU die Umsetzung öffentlicher Bildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen der Aufnahmeländer in Kooperation mit den Sozialpartnern und den Organisationen der Zivilgesellschaft unterstützen. Diese Maßnahmen sind — neben der Förderung des Friedens und des verantwortungsvollen Regierens — entscheidende Entwicklungsfaktoren.

4.2

Im Rahmen der Politik der Entwicklungszusammenarbeit wurde der Rolle der Migration als Mittel zur Bekämpfung der Armut bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

4.3

Die offizielle Entwicklungshilfe fußt auf den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit und der Verteilung des Reichtums. Ziele der Politik der Entwicklungszusammenarbeit sind die Bekämpfung der Armut und die Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens für alle. Auch wenn sie unmittelbar weder auf die Förderung der Migrationsbewegungen noch ihre Eindämmung abzielt, kann sie durch die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit zur Verminderung der Gründe für die unfreiwillige Auswanderung beitragen (20).

4.4

Es ist unannehmbar, die Entwicklungshilfepolitik als Druckmittel in den internationalen Migrationsverhandlungen einzusetzen, wie es einige europäische Regierungsführer auf dem Europäischen Gipfel von Sevilla in den Raum gestellt haben.

4.5

Nach Auffassung des EWSA kann die EU die Beteiligung der Diaspora-Gemeinschaften an den Kooperationsvorhaben fördern. Ihr Beitrag kann für die Formulierung von Vorschlägen und Ergebnisbewertungen sehr wichtig sein, da diese mitunter von Fachleuten aus den Geberländern erarbeitet werden, die die Situation der Aufnahmeorte nur teilweise kennen.

4.6

Demokratie und Menschenrechte, allgemeine und berufliche Bildung, Förderung der Unabhängigkeit von Frauen sowie Gesundheitswesen und Umweltschutz sind vorrangige Ziele der Zusammenarbeit der EU. Darüber hinaus hält der EWSA die Stärkung und Förderung der organisierten Zivilgesellschaft für äußerst wichtig.

4.7

Die EU könnte die Schaffung von Netzen und gemischten Ausschüssen, an denen sich die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft der Herkunfts- und der Aufnahmeländer beteiligen, finanziell unterstützen. Beispielsweise ist die Aufklärung der Bevölkerung ein Kernelement der Politik der Entwicklungszusammenarbeit: Die Öffentlichkeit in den Aufnahmeländern sollte über die Kultur, die Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie die sozialen und politischen Zustände in den Heimatländern der Auswanderer informiert werden.

5.   Eine europäische Einwanderungspolitik in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern

5.1

Es überrascht, dass die EU-Mitgliedstaaten die „Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen“, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in ihrer Entschließung 45/158 am 18. Dezember 1990 angenommen wurde und seit dem 1. Juli 2003 in Kraft ist, immer noch nicht ratifiziert haben. Der EWSA (21) schlägt erneut vor, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten diese Konvention ratifizieren. Der Ausschuss unterstützt die vom Europäischen Rat auf seinen Tagungen in Tampere und Den Haag festgesetzten Ziele und erklärt, dass die Achtung der Menschenrechte und der Gleichbehandlung die Grundlage der europäischen Einwanderungspolitik sein muss.

5.2

Der EWSA schlägt der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat vor, im Bereich der Außenpolitik einen internationalen Rechtsrahmen für die Migration anzuregen, der auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte und dem Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte gründet. Dieser internationale Rechtsrahmen sollte Folgendes umfassen:

Internationale Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen;

Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW);

Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD);

Übereinkommen über die Rechte des Kindes (CRC);

Übereinkommen der ILO über Wanderarbeiter (C 97 und C 143);

Erklärung der ILO über die Grundprinzipien und Grundrechte am Arbeitsplatz;

Multilateraler Rahmen der ILO für die Migration von Arbeitnehmern;

Erklärung von Durban und Aktionsprogramm der UN-Weltkonferenz von 2001 gegen Rassismus.

5.3

Gegenwärtig stehen im Mittelpunkt der Migrationspolitik vornehmlich Zweckmäßigkeitserwägungen, die der EWSA unterstützt hat, die allerdings ausschließlich den Interessen der europäischen Länder als Aufnahmeländer entsprechen: Bekämpfung der irregulären Einwanderung und des Menschenhandels, Erfüllung der Erfordernisse unserer Arbeitsmärkte und unserer Wirtschaftsentwicklung. Unter diesen Aspekten werden sodann die Probleme des Zusammenlebens und der Identität betrachtet und die Zulassungspolitik definiert, mit der hochqualifizierte Migranten angezogen und gleichzeitig andere abgewiesen werden sollen. Diesen Erwägungen entsprechend gestalten wir Europäer die Einwanderungspolitik einmal offener, einmal restriktiver — wobei wir aber immer nur die Folgen der Einwanderung für die europäischen Gesellschaften im Blick haben.

5.4

Dennoch verfolgen die EU und die meisten Mitgliedstaaten eine sehr aktive Politik der Entwicklungszusammenarbeit. Zudem hat die EU Nachbarschafts- und Assoziierungsabkommen mit zahlreichen Ländern geschlossen. Früher wurde diese Politik jedoch ohne ausreichende Verknüpfung mit der Einwanderungspolitik umgesetzt, als würde es sich hier um zwei ganz unabhängige Politikbereiche handeln, weil man irrigerweise annahm, dass eine Migrationspolitik ohne die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern möglich sei.

5.5

Es liegen zahlreiche Untersuchungen über die Auswirkungen der Migration auf die Entwicklungsländer vor. Aus allen Berichten lässt sich der allgemeine Schluss ziehen, dass Migranten einen positiven Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Herkunftsländer leisten, auch wenn es für einige Länder bestimmte negative Folgen gibt. Zu den positiven Folgen zählt die Bedeutung der Geldsendungen in die Heimatländer, zu den negativen gehören hingegen der Braindrain und der Verlust an Humanressourcen.

5.6

Der EWSA befürwortet einen neuen Ansatz in der europäischen Politik: Die Lenkung der Einwanderungspolitik sollte in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern erfolgen, damit die Migration ein Entwicklungsfaktor für diese Länder wird. Das setzt voraus, dass viele Aspekte dieses Politikbereichs überdacht werden — einschließlich jener, die die Zulassungskriterien und die Möglichkeiten der Mobilität der Einwanderer betreffen.

6.   Migration ist sowohl für die Herkunfts- als auch für die Aufnahmeländer positiv

6.1

Die Vorteile der Einwanderung für die Aufnahmeländer wurden in anderen Stellungnahmen des EWSA ausführlich dargestellt. Im Falle der europäischen Länder ist die Einwanderung den Erfordernissen des Arbeitsmarkts, die sich aus der demografischen Entwicklung ergeben, gerecht geworden (22). Einwanderer erhalten Arbeitsplätze, die mit einheimischen Arbeitnehmern nicht besetzt werden können, und tragen zur Wirtschaftsentwicklung, zur Arbeitsplatzschaffung und zum sozialen Fortschritt bei. Wie der UN-Generalsekretär in seinem Bericht anlässlich des hochrangigen Dialogs über internationale Migration und Entwicklung feststellte, begünstigen Einwanderer das Wirtschaftswachstum in den Aufnahmeländern, indem sie die Rentabilität von Wirtschaftstätigkeiten aufrechterhalten, die ohne sie ausgelagert würden; sie fördern das Wirtschaftswachstum auch dadurch, dass sie die Zahl der Erwerbstätigen und der Verbraucher erhöhen sowie ihre eigenen unternehmerischen Fähigkeiten einbringen (23). Der Ausschuss hat auch vorgeschlagen, dass die EU die Integrationspolitik verstärkt (24). Die Migration kann für alle positiv sein: für die Migranten, für die Aufnahmegesellschaft und für die Herkunftsländer.

6.2

Den Entwicklungsländern ermöglicht die Auswanderung den Wegzug überzähliger Arbeitskräfte und damit die Verringerung der Arbeitslosigkeit; gleichzeitig ist sie ein bedeutender Mechanismus zur Bekämpfung der Armut angesichts der Höhe der Überweisungen von Auswanderern an ihre Familienangehörigen. Andererseits spielen die Auswanderer nach ihrer Rückkehr eine immer wichtigere Rolle als wirtschaftliche Impulsgeber, indem sie Unternehmen gründen oder kleine Geschäfte fördern sowie neue Kenntnisse und Techniken vermitteln. Indes gibt es auch negative Effekte, z.B. den Verlust der am besten ausgebildeten und dynamischsten jungen Menschen.

6.3

Der EWSA schlägt vor, durch die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern die positiven Wirkungen zu erhöhen und die negativen zu begrenzen. Das ist eine der Herausforderungen der heutigen Zeit. Im Abschlussbericht der Weltkommission für internationale Migration wurde darauf hingewiesen, dass die gegenwärtige Herausforderung in der Erarbeitung von Maßnahmen besteht, die die Vorteile der Migration in den Herkunftsländern vervielfachen und die negativen Folgen begrenzen. Es wurde auch festgestellt, dass die Migration Teil der nationalen, regionalen und globalen Entwicklungsstrategien sein muss und dass zur Verwirklichung dieses Ziels die Aufnahmeländer klar anerkennen müssen, dass die Migration auch für sie von Nutzen ist (25).

6.4

Migration kann kein Motor der Entwicklung sein, wenn sie von anderen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren losgelöst ist. Aus diesem Grund hält es der EWSA für angebracht, dass die EU einen neuen Ansatz für die Einwanderungs- und Entwicklungspolitik in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern wählt. Dabei sollte sie die Entwicklung durch Prozesse des strukturellen Wandels fördern, die Demokratie und verantwortungsvolles Regieren begünstigen und dazu beitragen, Ungleichheiten zu beseitigen sowie das Humankapital und die für eine nachhaltige Entwicklung notwendige Infrastruktur zu verbessern.

7.   Positive Effekte der Heimatüberweisungen

7.1

Geldüberweisungen sind Teil der persönlichen Mittel von Einwanderern; für einige Herkunftsländer haben sie als Einkommensquelle aber inzwischen sehr große Bedeutung erlangt. Die Zahlen sprechen für sich: Nach Schätzungen der Weltbank erhielten die Entwicklungsländer 2005 Überweisungen von Einwanderern in Höhe von 167 Mrd. Dollar (ebenfalls der Weltbank zufolge beliefen sie sich 1995 auf 69 Mrd.). Nach Angaben des UN-Generalsekretärs überwiesen die Einwanderer im Jahr 2006 264 Mrd. Dollar in die Heimat. Dieser Betrag entspricht fast dem Vierfachen der offiziellen Entwicklungshilfe. In einigen Ländern übersteigt er zudem die Summe der ausländischen Investitionen.

7.2

Die Überweisungen leisten einen ständigen und beständigen Beitrag zur Sicherung des Familienunterhalts. Die Einwanderer und ihre Familien spielen bei diesen internationalen Geldtransfers die Hauptrolle. In Europa schicken 60-70 % der Einwanderer ihren Angehörigen Geld. Dieses wird dann überwiegend in den unmittelbaren Verbrauch investiert, allerdings nicht nur in materielle Güter: Ein Großteil der Überweisungen wird für Bildung und Gesundheit ausgegeben — und damit letztlich für die Verbesserung des Humankapitals. Die Wirtschaft der Orte, an denen die Überweisungen eingehen, profitiert vom Verbrauchsanstieg und von den Investitionen in kleine Geschäfte. Die Zunahme des im Umlauf befindlichen Gelds ist auch der Entwicklung des Finanzsektors förderlich. Zudem tragen die eingehenden europäischen Devisen zum finanziellen Gleichgewicht der Herkunftsländer bei.

7.3

Neben diesen positiven Effekten können aber auch Probleme auftreten: Einige Konsumgüter werden teurer, was die Schwierigkeiten für Familien, die keine Überweisungen erhalten, verstärkt. Bestimmte Anbauflächen und Produktionsbereiche (die mit der geringsten Rentabilität) werden, ebenso wie bestimmte Arbeitsplätze, aufgegeben, weil das Einkommen, das sie erzeugen, im Vergleich zu den Geldsendungen sehr gering ist.

7.4

Diese Probleme dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Indes gelangt die Weltkommission für internationale Migration zu dem Schluss, dass Geldsendungen insgesamt ein wichtiger positiver Faktor für die Entwicklungsländer sind: „Offiziell geleistete Rücküberweisungen können eine wichtige Quelle für den Devisenverkehr der Empfängerländer sein, den Finanzsektor ankurbeln, dabei helfen, Investitionen zu fördern und Kapital für staatliche Kredite bereitzustellen“  (26).

7.5

Es ist notwendig, informelle Wege für Geldtransfers einzuschränken, da sie mit höheren Kosten und Risiken verbunden sind. Oft entstehen informelle Netze infolge des Fehlens wettbewerbsfähiger Finanzinstitute in entlegenen Gebieten. Zur Erhöhung der positiven Wirkungen für die Herkunftsländer ist es nach Auffassung des EWSA erforderlich, die Kosten für die Finanzvermittlung von Überweisungen zu senken. Diese Kosten sind im Vergleich zu denen anderer internationaler Finanztransaktionen vielfach überhöht. Berechnungen von Fachleuten zufolge schwanken die Kosten von Region zu Region erheblich: Beispielsweise kosten Geldtransfers von Spanien in die Länder Lateinamerikas und der Karibik 2 %; von Europa in die meisten Länder Afrikas sind es hingegen 8-10 %. Die europäischen Finanz- und Aufsichtsbehörden müssen auf ein ethisches und sozial verantwortliches Verhalten der europäischen Banken drängen, um die Überweisungskosten zu senken. Darüber hinaus sollte die Effizienz der Banken in den Herkunftsländern, die in vielen Fällen unzureichende Strukturen und Garantien aufweisen, verbessert werden. Europa muss Abkommen zwischen den Finanzsektoren auf beiden Seiten anregen, die von den Regierungen und internationalen Organisationen vermittelt werden und auf geringere Endkosten der Transfers abzielen. Durch Abkommen über die soziale Verantwortung können die Banken ihrerseits Systeme bewährter Verfahren fördern.

7.6

Die Kommission hat die Erarbeitung einer Richtlinie angekündigt, die die Finanzdienstleister dazu verpflichtet, hinsichtlich der Bearbeitungsgebühren, die sie von ihren Kunden verlangen, für mehr Transparenz zu sorgen. Für die Überweisungen sollte diese Richtlinie sehr strenge Regelungen vorsehen, um den derzeitigen Auswüchsen ein Ende zu bereiten. Die Regulierungsbehörden der Finanzsysteme müssen auch darauf achten, dass bei den Transaktionen keine unangemessenen Wechselkurse zugrunde gelegt werden, die zu Wucher mit den Endkosten für die Überweisungen führen.

7.7

Der EWSA schlägt vor, die Geldüberweisungen zur Förderung von Investitionen in wirtschaftliche und soziale Tätigkeiten zu nutzen. Die Banken können in Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden neue Kreditsysteme im Zusammenhang mit den Überweisungen entwickeln, um Wirtschaftsaktivitäten und unternehmerische Initiativen zu finanzieren. Dazu muss der örtliche Finanzsektor über die entsprechende Struktur und Solvenz verfügen.

7.8

Ausgaben für Bildung und Gesundheit sind die wichtigsten Investitionen der Familien, die Geldüberweisungen erhalten. Es sollten Finanz-, Versicherungs- und Kreditinstrumente rund um die Überweisungen gefördert werden, um möglichst große Fortschritte in Bildung und Gesundheit zu erreichen.

8.   Diasporagemeinschaften als transnationale Netze

8.1

Vor dem Hintergrund der Globalisierung hat die internationale Migration in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Die Zahl der Migranten hat sich sprunghaft erhöht (27), wie auch die Zahl der Herkunftsländer, der Aufnahmeländer und der Länder, die sowohl Herkunfts- als auch Aufnahmeländer sind. Dieser Migrationszuwachs wurde durch sinkende Preise im Verkehrs- und Kommunikationssektor begünstigt. Heute ist es einfacher (abgesehen von den Grenzkontrollen), weltweit zu reisen, sogar zwischen den entlegensten Stellen der Erde.

8.2

Preiswerte Reisen (insbesondere Flugreisen) ermöglichen zusammen mit den heutigen Telekommunikationssystemen eine noch nie dagewesene Zunahme der Kommunikation und der Verbindungen von Mensch zu Mensch zwischen den Ausgangs- und Zielorten der Migranten. Personen, die ausgewandert sind und sich auf verschiedene Zielorte verteilt haben, verfügen heute über ein engeres und besser funktionierendes Beziehungsnetz als noch vor einigen Jahren.

8.3

Die Netzwerke von Auswanderern spielen eine immer wichtigere Rolle in den Migrationsprozessen: Sie unterstützen die Menschen bei ihren Migrationsplänen, erleichtern ihre Reise und ihren Transit und helfen ihnen bei der Ankunft im Bestimmungsland sowie bei der Wohnungs- und Arbeitssuche.

8.4

Auswanderer fördern das Geschäftsleben in ihren Herkunftsorten. Beispielsweise importieren viele der Geschäfte, die Einwanderer in ihren Aufnahmeländern gegründet haben, Produkte aus den Herkunftsländern und unterstützen damit deren Herstellung und Vermarktung. Die Zunahme der Reisen kommt den dortigen Transportunternehmen zugute. Sobald sich die Einwanderer wirtschaftlich gut in ihrem Aufnahmeland etabliert haben, tätigen sie oftmals Direktinvestitionen in ihrem Heimatland: Auf diese Weise entstehen derzeit viele Unternehmen in bestimmten Regionen Chinas oder im IT-Sektor in Indien und Pakistan. Darüber hinaus unterstützen zahlreiche Einwanderer die Wirtschaft und den Handel in Afrika und Lateinamerika.

8.5

Immer mehr internationale Unternehmen stellen Personen mit Migrationshintergrund ein, um sich in den Herkunftsländern geschäftlich zu etablieren. Zahlreiche europäische Konzerne rekrutieren ihre Führungskräfte und Fachleute aus den Reihen der Einwanderer mit dem Ziel der Internationalisierung ihrer Tätigkeiten.

8.6

Die in der Diaspora lebenden und in transnationalen Netzen organisierten Migranten können auch dazu beitragen, dass ein Teil der Überweisungen in Wirtschaftsaktivitäten und Unternehmensprojekte gelenkt wird. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit kann die EU mit den Migrantennetzen kooperieren, denn über diese Netze bietet sich die Möglichkeit, die Hilfszahlungen effizient zu steuern und die Investitionsfähigkeit der Diasporagemeinschaften zu vergrößern.

8.7

Bestimmte lokale Diasporagemeinschaften, die sich zu Netzen zusammengeschlossen haben, tätigen Investitionen in ihren Herkunftsländern. Es gibt in diesem Bereich Modellprojekte, wie das Programm „tres por uno“ („drei für einen“) in Mexiko, bei dem die Verbände von Migranten, die aus derselben Gegend stammen, in Vorhaben zur Entwicklung ihrer Heimatorte investieren, wobei jeder Dollar, den sie überweisen, durch einen weiteren auf jeder der drei Ebenen Zentralregierung, Bundesstaat und Gemeinde ergänzt wird (28).

8.8

Die EU sollte die transnationalen Netze der Diasporagemeinschaften unterstützen, da dies eine Möglichkeit zur Förderung der Entwicklung der Herkunftsländer darstellt. Die in einem Netz zusammengeschlossenen Verbände einer bestimmten Herkunftsstadt können gemeinsam für die Steuerung eines Teils der Investitionen sorgen, welche durch europäische und nationale Beiträge eventuell noch aufgestockt werden.

8.9

Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten müssen in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern und den Organisationen der Zivilgesellschaft günstige Bedingungen fördern, die es den Diasporagemeinschaften erlauben, die Wirkung ihrer Entwicklungsarbeit zu verbessern. Der Ausschuss schlägt vor, einen Teil der öffentlichen Gelder der EU und der Mitgliedstaaten für die von den Diasporagemeinschaften geförderten Entwicklungsmaßnahmen einzusetzen. Öffentlich-private Partnerschaften sind grundlegend für den entwicklungspolitischen Erfolg der wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen. Hier einige Beispiele für bewährte Verfahren:

8.9.1

IntEnt (mit Sitz in den Niederlanden) hat in den letzten zehn Jahren fast 2 000 Unternehmer der Diaspora in Surinam, Ghana, Marokko, den Antillen und der Türkei unterstützt und dabei 12,5 Mio. EUR für die Gründung von 200 Unternehmen mobilisiert, die in diesen Herkunftsländern 840 Personen eingestellt haben.

8.9.2

Seit seiner Gründung 1986 in Marseille unterstützt Migrations & Développement mehrere Organisationen marokkanischer Einwanderer (einschließlich junger Franzosen marokkanischer Herkunft), um Hilfsgelder für ihre Heimatorte in Marokko verfügbar zu machen. Tausende Einwanderer der Diaspora haben eine Reihe von Projekten finanziell unterstützt; 300 von ihnen waren unmittelbar an der Umsetzung der Projekte beteiligt, die mehr als 50 000 Menschen in Marokko zugute kamen.

8.9.3

Britische Diaspora-Organisationen stehen in vorderster Linie der Kampagne „RemitAid“ (29) für die Steuerabzugsfähigkeit kollektiver Überweisungen zwecks Entwicklungsförderung in den Herkunftsländern. Im Rahmen von „RemitAid“ werden Entwicklungsinitiativen der Diasporagemeinschaften durch einen gemeinsamen Fonds gefördert, der sich aus den Rückerstattungen der Steuern auf Überweisungen speist (ähnlich wie das System „gift aid“, bei dem Spenden für karitative Zwecke in Großbritannien steuerlich begünstigt werden).

8.9.4

Die philippinische Organisation für Migration und Entwicklung (Philcomdev) ist ein vor kurzem geschaffenes Netz von Organisationen von Einwanderern und ihren Angehörigen, Nichtregierungsorganisationen, Genossenschaften, Gewerkschaften, Mikrofinanzorganisationen, Sozialunternehmen sowie in- und ausländischer Netze, die auf dem Gebiet der Migration und der Entwicklung ihres Heimatlandes tätig sind.

8.10

Im Rahmen der europäischen Entwicklungshilfe sollten auch der Export von Produkten aus den Herkunftsländern nach Europa und ihr Vertrieb über Systeme des „fairen Handels“ seitens der Diasporanetzwerke gefördert werden.

8.11

Der EWSA schlägt vor, auch die Direktinvestitionen sowohl einzelner Migranten als auch ihrer Verbände zu fördern. Beispielsweise eröffnen Investitionen in Projekte im Tourismus- oder Agrarsektor in vielen Herkunftsorten große Entwicklungsmöglichkeiten. Kredite, die Migranten oder ihren Diasporaverbänden für Geschäftsvorhaben oder Direktinvestitionen in den Herkunftsländern gewährt werden, stellen eine Form der Unterstützung dar, die die europäischen Länder im Zuge der Kooperationspolitik ausbauen sollten.

9.   Wiedergewinnung von Humankapital durch Rückkehr und zirkuläre Migration

9.1

Ein Teil der internationalen Migranten sind (hoch-)qualifizierte Arbeitnehmer. Damit verbunden ist einer der nachteiligsten Effekte der Migration für die Entwicklungsländer: die Abwanderung von Fachleuten. Nicht alle Herkunftsländer leiden gleichermaßen unter den Folgen dieses sog. Braindrains; für einige ist er aber ein wirkliches Desaster. Im SOPEMI-Bericht wird festgestellt, dass zwischen 33 und 55 % der gut ausgebildeten Personen aus Angola, Burundi, Ghana, Kenia, Mauritius, Mosambik, Sierra Leona, Tansania und Uganda in OECD-Ländern leben (30). Zu den in dieser Hinsicht am stärksten betroffenen Sektoren zählen das Gesundheits- und das Bildungswesen in Afrika.

9.2

In einigen Herkunftsländern sind die Folgen der Abwanderung von Akademikern und hochqualifizierten Arbeitnehmern weniger nachteilig. Beispielsweise wirkt sich der Wegzug von IT-Fachleuten aus Indien und Pakistan nicht negativ aus, da diese Länder ein sehr effizientes System zur Ausbildung und Schulung von Informatikern besitzen und Abgänge verkraften können.

9.3

Wenn sie nicht in großem Umfang stattfindet, kann die Abwanderung von Spitzenkräften sogar vorteilhaft für das Herkunftsland sein, da durch die fortlaufenden Prozesse der Rückkehr bzw. der Zirkulation neue Fachkenntnisse, Technologien und Unternehmensprojekte ins Land gelangen. Das trifft z.B. auf Länder wie Brasilien und Indien zu. Dennoch bedeutet der Braindrain für zahlreiche Länder einen nicht wiedergutzumachenden Verlust von Spezialisten und qualifizierten Arbeitnehmern.

9.4

Der Braindrain nutzt hingegen den europäischen Aufnahmeländern. Seit 2002 ist das Einwanderungsrecht in mehreren europäischen Ländern geändert worden, um den Zuzug hochqualifizierter Arbeitnehmer zu erleichtern.

9.5

Auch die Europäische Unon beabsichtigt, eine Politik der selektiven Einwanderung zu fördern: Der „Strategische Plan zur legalen Einwanderung“ (31) sieht eine spezifische Richtlinie für die Aufnahme hochqualifizierter Arbeitnehmer vor. Zu dieser von der Kommission im September vorgelegten Richtlinie wird der Ausschuss Stellung nehmen. Es ist jedoch nicht vorgesehen, eine allgemeine Richtlinie für die Aufnahme zu erarbeiten. Trotz der Kritik seitens des EWSA und des Europäischen Parlaments (32) wird sich die Politik der „selektiven Einwanderung“ in Europa verbreiten, auch auf die Gefahr hin, dass dies die Schwierigkeiten in einigen Ländern noch verschärft. Der Ausschuss ist aber der Auffassung, dass diese gesetzliche Regelung für alle vorteilhaft sein sollte: sowohl für die Herkunfts- und Aufnahmeländer als auch für die Migranten selbst.

9.6

Zur Gewährleistung der Kohärenz zwischen der Migrationspolitik und der Politik der Entwicklungszusammenarbeit ist es erforderlich, dass die Aufnahmeländer das Problem des Braindrains entschlossen und konsequent angehen. In diesem Zusammenhang muss als erstes berücksichtigt werden, dass sich die Schwierigkeiten, die durch die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitnehmer im Herkunftsland bewirkt werden, in Vorteile verwandeln könnten, wenn diese Arbeitnehmer mit neuen Kenntnissen zurückkehren, die für die Unternehmen, die Wirtschaft oder den öffentlichen Dienst ihres Lands von Nutzen sind. Rückkehrer können Vermittler nicht nur von Fachwissen und Techniken, sondern auch von Investitionen sein.

9.7

Unter diesem Aspekt betrachtet, wirkt sich die Förderung der Rückkehr positiv auf die Entwicklung der Herkunftsländer aus. Es geht dabei um eine völlig freiwillige Rückkehr, die stattfindet, wenn ein qualifizierter Arbeitnehmer günstige Bedingungen für die Fortsetzung seiner Berufstätigkeit in seinem Herkunftsland vorfindet. Die Herausforderung besteht somit darin, diese günstigen Bedingungen zu schaffen.

9.8

Die Förderung der freiwilligen Rückkehr qualifizierter Arbeitnehmer setzt voraus, dass dieser Schritt nicht mit dem Verlust ihrer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis (oder der neu erworbenen Staatsangehörigkeit) in Europa verbunden ist. Nur auf diese Weise wird eine zirkuläre Migration ermöglicht.

9.9

Die Rückkehr kann auch durch die Übertragung erworbener Sozialansprüche der Rückkehrer auf das Herkunftsland gefördert werden. Es muss sichergestellt werden, dass die Übertragung von Renten- und Sozialversicherungsansprüchen (einschließlich der Gesundheitsversorgung) reibungslos funktioniert. Im Bericht des UN-Generalsekretärs anlässlich des hochrangigen Dialogs der Vereinten Nationen über internationale Migration und Entwicklung wird darauf hingewiesen, dass die große Mehrheit der internationalen Migranten mit Schwierigkeiten bei der Übertragung von Rentenansprüchen konfrontiert ist; obwohl zahlreiche bilaterale Abkommen geschlossen wurden, wird vorgeschlagen, einen internationalen Rahmen zu erarbeiten, der mehr Sicherheit bietet. Das ILO-Übereinkommen Nr. 157 (1982) über die Einrichtung eines internationalen Systems zur Wahrung der Rechte in der Sozialen Sicherheit wurde von nur drei Ländern (Spanien, Philippinen und Schweden) ratifiziert (33). Der Ausschuss schlägt vor, dass auch die anderen Mitgliedstaaten das ILO-Übereinkommen Nr. 157 ratifizieren.

9.10

Im Rahmen der europäischen Politik der Entwicklungszusammenarbeit sollten Programme verabschiedet werden, um den Braindrain zu verhindern und die freiwillige Rückkehr qualifizierter Arbeitnehmer zu erleichtern sowie in den Herkunftsländern in Sektoren und Aktivitäten, in denen ein hoher Bedarf an qualifizierten Arbeitnehmern herrscht, zu investieren.

9.11

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, dass die Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern Verhaltenskodizes für die Steuerung der Aufnahme hochqualifizierter Migranten erarbeiten sollten.

9.12

Die EU sollte eine sehr aktive Rolle bei der Ausbildung junger Menschen in den Herkunftsländern von Migranten übernehmen. Diese Länder verlieren einen Großteil ihres am besten ausgebildeten Humankapitals, wovon die Gesellschaft in den europäischen Ländern profitiert. Die Bildungszusammenarbeit ist eine gerechte Möglichkeit zur Entschädigung dieser Länder, die damit in Zukunft das Humankapital zur Verfügung haben werden, das sie für ihre Entwicklung benötigen

9.13

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der Übereinkommen und Kooperationsvereinbarungen, die europäische Hochschulen, Krankenhäuser, Unternehmen sowie Technologie- und Forschungszentren mit den Herkunftsländern eingehen können, damit einige hochqualifizierte Fachleute ihrem Beruf in den Herkunftsländern mit Gehältern, Sozialansprüchen und Arbeitsmitteln, die den europäischen vergleichbar sind, nachgehen können.

10.   Eine Politik für die Aufnahme von Einwanderern in Einklang mit den Entwicklungszielen: ein Beitrag zur Entwicklung

10.1

Die Europäische Union und die Mitgliedstaaten sollten ihre Aufnahmepolitik ändern, um die legale Einwanderung durch flexible und transparente Verfahren zu ermöglichen. In seiner Stellungnahme zum einschlägigen Grünbuch der Kommission (34) hat der EWSA bereits festgestellt, dass es einer offenen Politik für die Aufnahme sowohl hoch- als auch geringqualifizierter Arbeitnehmer bedarf. Obwohl er die Position einiger Regierungen versteht, hat der Ausschuss auch vorgeschlagen, dass die Mitgliedstaaten den Übergangszeitraum, der die freie Wahl des Wohnsitzes und des Arbeitsplatzes der Bürger bestimmter neuer Mitgliedstaaten einschränkt, aufheben sollten.

10.2

Die irreguläre Einwanderung muss durch innereuropäisch ausgerichtete Maßnahmen eingedämmt werden, z.B. die Bekämpfung der Anstellung irregulärer Einwanderer mittels eines gemeinschaftlichen Rechtsakts (35) (den der Ausschuss in einer anderen, derzeit in Erarbeitung befindlichen Stellungnahme erörtern wird), die Grenzkontrolle und die Bekämpfung des Menschenhandels sowie die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern. Die EU muss Solidarität bekunden und sich die Kosten mit den südeuropäischen Ländern teilen, die den Massenansturm irregulärer Einwanderer bewältigen und zahlreiche Maßnahmen im Zusammenhang mit Seerettung, Erstversorgung und humanitärer Hilfe durchführen müssen. In Ausnahmefällen sollte auch die Situation der zahlreichen Personen legalisiert werden, die sich „ohne Papiere“ in der EU aufhalten, von ihren Arbeitgebern ausgebeutet werden und nicht an Integrationsmaßnahmen teilnehmen können.

10.3

Im Rahmen einer flexibleren Aufnahmepolitik sollten Systeme für die zeitlich begrenzte Migration und die zirkuläre Migration hochqualifizierter wie auch weniger qualifizierter Arbeitnehmer gefördert werden.

10.4

Damit eine Regelung für die zeitlich begrenzte Einwanderung realistisch ist, muss das Gemeinschaftsrecht die Möglichkeit sehr flexibler kurzzeitiger Aufenthaltstitel in Kombination mit Rückkehrverfahren und Garantien für die Wiederaufnahme in den Folgejahren vorsehen. Dies wird dazu führen, dass viele Einwanderer die legalen Wege nutzen und nicht nach Ablauf ihrer Aufenthaltsgenehmigung in Europa bleiben.

10.5

Der EWSA fordert die EU und die Mitgliedstaaten auf, mit den Herkunftsländern Abkommen über Verfahren für die zirkuläre Migration zu schließen, um die Mobilität der Migranten durch flexible und transparente Verfahren zu erleichtern. Diese Abkommen müssen ausgewogen sein und den Interessen beider Seiten dienen, damit die Migration auch ein Entwicklungsfaktor für die Herkunftsländer sein kann.

10.6

Mechanismen für die befristete Aufnahme, die Übereinkommen im Bereich der Ausbildung und der Anerkennung beruflicher Qualifikationen einschließen, können ebenfalls nützlich sein, denn sie ermöglichen es den Einwanderern, die im Rahmen einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung in Europa arbeiten, ihre beruflichen Qualifikationen zu verbessern und so nach der Rückkehr ihre Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt zu erweitern und zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ihrer Heimatländer beizutragen.

10.7

Die derzeitige Starrheit der europäischen Rechtsvorschriften stellt ein großes Hindernis für die zirkuläre Migration dar. Zur Erleichterung der Mobilität von Migranten, der Rückkehr und der Entwicklung von Unternehmensinitiativen in den Herkunftsländern müssen die europäischen Einwanderungsgesetze die langfristige Beibehaltung des Rechtes auf unbefristeten Aufenthalt vorsehen.

10.8

Zu diesem Zweck schlägt der EWSA vor, die Richtlinie über eine langfristige Aufenthaltsberechtigung zu ändern und den Zeitraum, in dem das Recht auf Daueraufenthalt gilt, von derzeit einem Jahr auf fünf Jahre zu erweitern. In seiner einschlägigen Stellungnahme (36) hat der EWSA die Auffassung vertreten, dass ein Zeitraum von einem Jahr (oder zwei Jahren, wie von der Kommission ursprünglich vorgeschlagen) für viele Einwanderer zu kurz ist, um sich nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland der Herausforderung eines beruflichen Neueinstiegs zu stellen.

10.9

Da die EU derzeit einen globalen Ansatz für die Einwanderungspolitik unter Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen Einwanderungs- und Entwicklungspolitik fördert, muss jede in einem Mitgliedstaat langfristig aufenthaltsberechtigte Person in ihr Herkunftsland zurückkehren und sicher sein können, dass sie ihre Aufenthaltsberechtigung mindestens fünf Jahre lang behält.

11.   Förderung der zirkulären Migration und der Mobilitätspartnerschaften

11.1

Im Mai hat die Europäische Kommission eine wichtige Mitteilung (37) zum Thema „Zirkuläre Migration und Mobilitätspartnerschaften zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten“ veröffentlicht. Auch wenn der Ausschuss die vorliegende Initiativstellungnahme von sich aus abgibt, will er damit gleichzeitig auch zu der von der Kommission angeregten Debatte beitragen. In mehreren Absätzen der Stellungnahme unterbreitet der EWSA Vorschläge zu bestimmten Fragen, die die Kommission in ihrer Mitteilung aufwirft.

11.2

Die Mitteilung ist in zwei Teile gegliedert: Im ersten Teil wird die Zweckmäßigkeit der Entwicklung von Mobilitätspartnerschaften mit Drittstaaten beleuchtet; im zweiten wird die zirkuläre Migration eingehender untersucht.

11.3

Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag, Mobilitätspartnerschaften zu entwickeln, in deren Rahmen die EU und die Mitgliedstaaten Möglichkeiten für die legale Einwanderung durch flexible und transparente Verfahren anbieten. Die Partnerschaften sollen sich auf Verpflichtungen sowohl der Herkunftsländer von Migranten als auch der EU-Mitgliedstaaten gründen.

11.4

Die für die Aufnahmeländer vorgesehenen Verpflichtungen betreffen die Bekämpfung der irregulären Einwanderung und sind sehr präzise (Rückübernahme, Grenzkontrolle, Sicherheit der Reisedokumente, Bekämpfung der illegalen Einreise und des Menschenhandels usw.). Es ist wichtig, dass diese Länder den ihnen aus dem Cotonou-Abkommen erwachsenden internationalen Verpflichtungen nachkommen, insbesondere den Bestimmungen des Artikels 13. Da einige Länder aufgrund innerer Schwächen große Schwierigkeiten haben werden, diese Bedingungen zu erfüllen, schlägt der Ausschuss vor, im Sinne der Flexibilität die Mobilitätspartnerschaften den Eigenheiten der einzelnen Herkunftsländer anzupassen.

11.5

Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten können u.a. in folgende vier Kategorien eingeteilt werden:

11.5.1

Erstens: Verpflichtungen zur Verbesserung der Möglichkeiten für die legale Migration unter Beachtung der vom EWSA unterstützten Gemeinschaftspräferenz für Unionsbürger. Der EWSA ist damit einverstanden, dass mehrere Mitgliedstaaten (im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit) den Herkunftsländern ein gemeinsames Angebot unterbreiten, und zwar als Angebot der EU in Form von Quoten und Instrumenten zur Anpassung an die europäischen Arbeitsmärkte.

11.5.2

Zweitens: Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten leisten den Drittstaaten technische und finanzielle Unterstützung zur Steuerung der legalen Migrationsströme. Der Ausschuss hält die Gemeinschaftsmittel, die im Rahmen des einschlägigen Programms für Migration und Asyl zur Verfügung stehen, für unzureichend und schlägt deshalb der Kommission, dem Parlament und dem Rat vor, diese Mittel in Zukunft deutlich aufzustocken.

11.5.3

Drittens: Der Ausschuss begrüßt auch, dass die Mobilitätspartnerschaften in Übereinkunft mit den Herkunftsländern auch dazu dienen können, dem Zuzug bestimmter Berufsgruppen entgegenzuwirken und damit einen Braindrain zu verhindern (wie etwa im Falle des medizinischen Personals in einigen europäischen Ländern). Die Abkommen müssen zudem die zirkuläre Migration und die Rückkehr der Einwanderer mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung fördern.

11.5.4

Viertens: Die EU und die Mitgliedstaaten werden die Verfahren zur Erteilung von Visa für Kurzaufenthalte verbessern. Der EWSA hat bereits in mehreren Stellungnahmen erklärt, dass es notwendig ist, die Organisation der konsularischen Dienste der EU-Mitgliedstaaten in den Herkunftsländern zu verbessern, die Zusammenarbeit der Delegationen der Kommission mit den Mitgliedstaaten in Migrationsfragen zu gewährleisten und das EURES-Netz zu nutzen, um die tatsächlichen Stellenangebote in der EU zu ermitteln. Der Ausschuss unterstützt den Vorschlag der Kommission, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten durch die Eröffnung gemeinsamer Antragsbearbeitungsstellen für Visa zu stärken, die gemeinsamen konsularischen Vorschriften über die Ausstellung eines Visums für mehrfache Einreisen für Drittstaatsangehörige, die häufig reisen müssen, zu stärken und die Visumserteilung für bestimmte, in den Mobilitätsabkommen definierte Personengruppen zu erleichtern.

11.6

Die Kommission spricht sich für die Erleichterung der zirkulären Migration aus. Nach Auffassung des EWSA sind die derzeitigen Rechtsvorschriften im Bereich der Einwanderung äußerst rigide und weder für die Einwanderer und die Herkunftsländer noch für die europäischen Aufnahmeländer zufrieden stellend. In mehreren Stellungnahmen hat der EWSA flexiblere Rechtsvorschriften vorgeschlagen, um Regelungen der zirkulären Migration zu erleichtern, die dem Willen des Einzelnen Rechnung tragen. Die Grundrechte der Einwanderer müssen voll und ganz geschützt werden, insbesondere die Sozial- und Arbeitnehmerrechte sowie das Recht auf Zusammenleben mit der Familie.

11.7

Die Kommission schlägt zwei Formen der zirkulären Migration vor: jene der Drittstaatsangehörigen, die in der EU wohnhaft sind, damit sie in ihrem Herkunftsländern Aktivitäten entwickeln können und gleichzeitig ihr Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat behalten dürfen; und jene der Personen, die in einem Drittstaat wohnhaft sind, damit sie in die EU einwandern können, um zu arbeiten, zu studieren oder eine Ausbildung zu machen (oder eine Kombination dieser drei Gründe) — wobei sie, wenn ihre Aufenthaltsgenehmigung ausläuft, in ihr Heimatland zurückkehren und gleichzeitig die Möglichkeit behalten, im Rahmen vereinfachter Aufnahmeverfahren wieder in die EU einzureisen.

11.8

Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass ein System der zirkulären Migration nur entstehen kann, wenn die Migranten (mit oder ohne befristete Aufenthaltsgenehmigung), die in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind, die Möglichkeit behalten, in den europäischen Staat, in dem sie wohnhaft gewesen waren, auf legale Weise wieder einzureisen. Zur Ausweitung der zirkulären Migration ist es vor allem notwendig, Mechanismen zu schaffen, die eine flexible Rückkehr in das europäische Aufenthaltsland gewährleisten.

11.9

Der EWSA stimmt dem Vorschlag der Kommission zu, einen EU-Rechtsrahmen zur Förderung der zirkulären Migration zu erarbeiten. Dazu wird es erforderlich sein, einige geltende Richtlinien zu ändern und angemessene Kriterien für die Erarbeitung neuer, im Legislativprogramm vorgesehener Richtlinien zu vereinbaren. Zu diesen Richtlinien zählen:

11.9.1

Vorschlag für eine Richtlinie über die Zulassung hochqualifizierter Migranten: Der Ausschuss hält den Vorschlag der Kommission für zielführend, die Aufnahmeverfahren für Personen, die sich bereits für einen bestimmten Zeitraum rechtmäßig in der EU aufgehalten haben (zwecks Arbeit, Studium oder einer sonstigen Ausbildung auf hohem Qualifikationsniveau), weiter zu erleichtern;

11.9.2

Vorschlag für eine Richtlinie über die Zulassung saisonal beschäftigter Migranten: Der Ausschuss schlägt vor, eine mehrjährige Aufenthalts- bzw. Arbeitsgenehmigung für saisonal beschäftigte Migranten zu erarbeiten, die es ihnen erlaubt, während eines Zeitraums von fünf aufeinander folgenden Jahren (die um fünf weitere Jahre verlängert werden können) zurückzukehren, um Saisonarbeit zu verrichten;

11.9.3

Vorschlag für eine Richtlinie über die Zulassung bezahlter Auszubildender: Der Ausschuss ist der Ansicht, dass es für die Ausbildung von Drittstaatsangehörigen und die Entwicklung ihrer Länder positiv ist, ihnen die Möglichkeit, für einen bestimmten Zeitraum zur Ausbildung nach Europa zu kommen, zu erleichtern und auf diese Weise zur Mobilität von Fachkräften und zum Transfer von Know-how beizutragen; um die zirkuläre Bewegung zu verstärken, könnte der Vorschlag für ehemalige Auszubildende die Möglichkeit vorsehen, für einen begrenzten Zeitraum (1-5 Jahre) erneut nach Europa zu kommen, um ihre Ausbildung zu vervollständigen und ihre Kenntnisse auf den neuesten Stand zu bringen.

11.9.4

Der EWSA schlägt der Kommission vor, mehrere geltende Richtlinien zur Förderung der zirkulären Migration zu ändern: Richtlinie 2003/109/EG betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen: In dieser Richtlinie ist derzeit festgelegt, dass einem Drittstaatsangehörigen die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten entzogen wird, wenn er sich während eines Zeitraums von 12 aufeinander folgenden Monaten nicht im Hoheitsgebiet der Gemeinschaft aufgehalten hat. Die Kommission schlägt vor, diesen Zeitraum auf zwei oder drei Jahre zu erweitern; der Ausschuss hält jedoch einen Zeitraum von fünf Jahren für angemessener.

11.9.5

Richtlinie 2004/114/EG über die Bedingungen für die Zulassung von Drittstaatsangehörigen zur Absolvierung eines Studiums oder zur Teilnahme an einem Schüleraustausch, einer unbezahlten Ausbildungsmaßnahme oder einem Freiwilligendienst und Richtlinie 2005/71/EG über ein besonderes Zulassungsverfahren für Drittstaatsangehörige zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung: Der Ausschuss billigt die Änderung dieser Richtlinie zur Einführung von Aufenthaltsgenehmigungen für mehrfache Einreisen, die es ihrem Inhaber ermöglichen, sich während längerer Zeiträume nicht im Hoheitsgebiet der EU aufzuhalten, ohne seine Aufenthaltsberechtigung zu verlieren. Er hält es auch für sinnvoll, die optionalen Klauseln dieser Richtlinien, die es den Mitgliedstaaten anheim stellen, vereinfachte oder beschleunigte Zulassungsverfahren für Personen vorzusehen, die sich zuvor als Forscher oder Studenten in der EU aufgehalten haben, in ein Recht auf ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für diese Personengruppe umzuwandeln, sofern sie nach Ablauf ihrer Aufenthaltsgenehmigung in ihr Heimatland zurückkehren. Darüber hinaus ist der Ausschuss damit einverstanden, die beiden Richtlinien miteinander zu verknüpfen und für Drittstaatsangehörige, die sich zuvor als Studenten in der EU aufgehalten haben und nach Abschluss ihres Studiums ordnungsgemäß in ihr Heimatland zurückgekehrt sind, ein erleichtertes (d.h. an weniger Bedingungen geknüpftes) Zulassungsverfahren für Forscher vorzusehen. Dieses Konzept könnte dahingehend erweitert werden, dass Studenten einen Zulassungsantrag als Forscher stellen können, während sie sich noch in dem Mitgliedstaat aufhalten, in dem sie ihr Studium absolvieren, sofern sie den Antrag vor Ablauf ihrer Aufenthaltsgenehmigung zu Studienzwecken stellen

11.10

Nach dem Dafürhalten des EWSA muss sichergestellt werden, die mit der zirkulären Migration angestrebten Ziele und der langfristige Nutzen tatsächlich erreicht werden, und zwar durch Anreize zur Förderung der zirkulären Migration, Gewährleistung der erfolgreichen Rückkehr, Bewertung der Anwendung der Verfahren und Verminderung der Gefahr der Abwanderung von Fachkräften durch die Zusammenarbeit mit den Drittstaaten.

11.11

Die zirkuläre Migration von Fachkräften erfordert die Lösung eines der größten Probleme, mit dem viele Einwanderer in Europa konfrontiert sind: die Nichtanerkennung von Hochschul- und Berufsabschlüssen. Die Mobilität dieser Personen zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland wird sich durch die Anerkennung ihrer Abschlüsse in Europa verbessern. Der Ausschuss schlägt vor, trotz der bestehenden Schwierigkeiten die Verhandlungen über Abkommen zur Anerkennung von Abschlüssen zwischen der EU und den Ländern, aus denen der Großteil der Migranten stammt, fortzusetzen.

11.12

Damit ein System der zirkulären Migration vernünftig funktioniert, ist es auch erforderlich, die von den Einwanderern erworbenen Renten- und Sozialversicherungsansprüche zu sichern. Zu diesem Zweck sollten Gegenseitigkeitsabkommen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den Herkunftsländern ausgehandelt sowie das ILO-Übereinkommen Nr. 157 ratifiziert werden.

11.13

Der Ausschuss schlägt vor, dass die EU diese Kapitel in die künftigen Mobilitätspartnerschaften einbringt, um die Anerkennung von Berufsabschlüssen und die Gewährleistung von Rentenansprüchen zu erleichtern.

12.   Das Globale Forum für Migration und Entwicklung

12.1

Am 10./11. Juli 2007 fand in Brüssel die Regierungskonferenz „Globales Forum für internationale Migration und Entwicklung“ unter Leitung des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon statt. Mit dieser Konferenz, an der mehr als 800 Delegierte aus über 140 Ländern teilnahmen, wurde der Gipfel der Vereinten Nationen vom September 2006 fortgesetzt.

12.2

Der EWSA beteiligte sich am Tag der Zivilgesellschaft (9. Juli) durch den Berichterstatter für diese Stellungnahme. Die Schlussfolgerungen, die der EWSA weitgehend unterstützt, sind auf der Website der Konferenz zu finden (38). Es ist vorgesehen, dass der Ausschuss am nächsten Globalen Forum, das 2008 in Manila stattfindet, teilnimmt.

12.3

Der Ausschuss fordert die Regierungen der Europäischen Union und die Kommission auf, ihre Anstrengungen im Rahmen der Vereinten Nationen aktiv fortzusetzen, damit die Migrationsfrage einen wichtigen Platz in der internationalen Agenda erhält, damit die Menschenrechte von Migranten durch einen internationalen Rechtsrahmen garantiert werden und damit die von den Herkunfts- und Aufnahmeländern gemeinsam durchgeführte Steuerung der Migrationsströme zum wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt auf der ganzen Welt beiträgt.

12.4

Mit dem vorliegenden Dokument nimmt der Ausschuss erstmals zur zirkulären Migration Stellung. Diese Stellungnahme wird künftig durch weitere ergänzt werden.

Brüssel, den 25. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  14./15.9.2006.

(2)  KOM(2002) 703 endg. vom Dezember 2002.

(3)  Verordnung (EG) Nr. 491/2004 vom 10.3.2004.

(4)  KOM(2005) 390 endg. vom 1.11.2005.

(5)  KOM(2006) 409 endg. vom 14.7.2006.

(6)  KOM(2007) 248 endg. vom 16.5.2007.

(7)  2005/2244 (INI).

(8)  Auf der Plenartagung am 12./13. Dezember verabschiedete Initiativstellungnahme des EWSA zum Thema „Migration und Entwicklung: Chancen und Herausforderungen“, Berichterstatter: Herr SHARMA.

(9)  Die Angaben stammen aus dem Bericht über die menschliche Entwicklung 2006 des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) und dem Bericht A Fair Globalisation: Creating Opportunities for All (Eine faire Globalisierung: Chancen für alle schaffen) der Weltkommission über die soziale Dimension der Globalisierung (unter der Schirmherrschaft der ILO) (2004).

(10)  Der letzte (kürzlich veröffentlichte) „Bericht über die menschliche Entwicklung“ bezieht sich auf das Jahr 2006 (obwohl die Daten tatsächlich von 2004 stammen).

(11)  ILO: Global Employment Trends 2007 (Genf).

(12)  Informationen aus „Schlüsselindikatoren des Arbeitsmarkts“ (ILO).

(13)  Ebenda.

(14)  Letzter „Bericht über die menschliche Entwicklung“.

(15)  Bericht des UNDP über die menschliche Entwicklung 2006.

(16)  Siehe den Bericht der Vereinten Nationen 2007 im Internet unter:

www.un.org.

(17)  „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Auf dem Weg zu einer EU-Strategie für Handelshilfe — der Beitrag der Kommission“ (KOM(2007) 163 endg.).

(18)  O.g. Bericht der ILO und der WTO.

(19)  Bericht der unabhängigen Evaluierungsgruppe der Weltbank „Annual Review of Development Effectiveness 2006. Getting Results“ und Berichte der OECD über Handel und Beschäftigung.

(20)  Oxfam-Intermon: „Migraciones y desarrollo: el papel de la cooperación“, in: Estudios Nr. 8 (2001).

(21)  Stellungnahme des EWSA vom 30.6.2004 zu der „Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte von Wanderarbeitnehmern“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 302 vom 7.12.2004.

(22)  Stellungnahme des EWSA vom 9.6.2005 zu dem „Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 286 vom 17.11.2005.

(23)  Dokument der Vereinten Nationen A/60/871, 2006 „International migration and development. Report of the Secretary-General“:

http://www.un.org/Docs/journal/asp.ws.asp?m=A/60/871.

(24)  Initiativstellungnahme des EWSA vom 21.3.2002 zum Thema „Einwanderung, soziale Eingliederung und Rolle der organisierten Zivilgesellschaft“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS, Mitberichterstatter: Herr MELÍCIAS), ABl. C 125 vom 27.5.2002; Initiativstellungnahme des EWSA vom 13.9.2006 zum Thema „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 318 vom 23.12.2006; und die gemeinsam mit der Europäischen Kommission im September 2002 veranstaltete Konferenz zum Thema „Integration“.

(25)  Weltkommission für internationale Migration, 2005: „Migration in einer interdependenten Welt. Neue Handlungsprinzipien“,

http://www.gcim.org/mm/File/German %20report.pdf.

(26)  Weltkommission für internationale Migration, 2005: „Migration in einer interdependenten Welt. Neue Handlungsprinzipien“,

http://www.gcim.org/mm/File/German %20report.pdf.

(27)  1990 gab es 155 Mio. Migranten; 2005 waren es bereits 191 Millionen.

(28)  Dokument der Vereinten Nationen A/60/871, 2006 (siehe oben).

(29)  Siehe www.remitaid.org.

(30)  Siehe SOPEMI 2005, OECD.

(31)  KOM(2005) 669 endg. vom 21.12.2005.

(32)  2005/2244(INI) und Stellungnahme des EWSA vom 8.6.200 zum „Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 286 vom 17.11.2005.

(33)  Dokument der Vereinten Nationen A/60/871, 2006 (siehe oben).

(34)  Siehe die Stellungnahme des EWS vom 10.12.2003 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Einwanderung, Integration und Beschäftigung“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 80 vom 30.3.2004.

(35)  Siehe den Entwurf einer Richtlinie vom 16.5.2007 über „Mindeststrafen für Arbeitgeber illegal sich aufhaltender Drittstaatsangehöriger“ (KOM(2007) 249 endg.).

(36)  Siehe die Stellungnahme des EWSA vom 3.10.2001 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend den Status der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen“ (Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS), ABl. C 36 vom 8.2.2002.

(37)  „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Zirkuläre Migration und Mobilitätspartnerschaften zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten“ (KOM(2007) 248 endg.).

(38)  Die Schlussfolgerungen stehen auf Englisch (http://smooz.gfmd-civil-society.org/gfmd/files/Final_CSD.pdf) und Spanisch (http://smooz.gfmd-civil-society.org/gfmd/files/Final_CSD_espanol.pdf) zur Verfügung.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/103


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz“

KOM(2007) 46 endg. — 2007/0020 (COD)

(2008/C 44/22)

Der Rat beschloss am 19. März 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 25. Oktober) mit 77 gegen 4 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen die vorliegende Stellungnahme.

1.   Zusammenfassung der Stellungnahme

1.1

Der Ausschuss billigt den Vorschlag für eine Verordnung und seine Rechtsgrundlage, denn er entspricht den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit und ermöglicht es gleichzeitig, Statistiken zu sammeln, die für die Umsetzung der Gemeinschaftsstrategie im Bereich Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz nützlich sind; diese Gemeinschaftsstrategie braucht nun einen klaren Rechtsrahmen.

1.2

Der Ausschuss betont, wie wichtig es vor allem aufgrund der Mobilität der Arbeitnehmer ist, folgende Begriffe klar zu definieren und gemeinsame Anerkennungssysteme zu erarbeiten:

Arbeitsunfälle und Wegeunfälle;

Berufskrankheiten, die durch die Arbeitsbedingungen und/oder -stoffe entstehen;

teilweise oder dauerhafte Arbeitsunfähigkeit und Invalidität, die durch Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten verursacht werden, und die verlorenen Arbeitstage.

1.3

Bei der Erhebung der Zahl der pro Unfallkategorie betroffenen Personen hält es der Ausschuss für nützlich, Geschlecht und Alter der Verunglückten und möglichst auch die Art ihres Beschäftigungsverhältnisses zu berücksichtigen. Die vertrauliche Behandlung der erhobenen personenbezogenen Daten sollte oberstes Gebot sein.

1.4

Nach Ansicht des Ausschusses sollte die Zusammenarbeit mit der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) und der WHO (Weltgesundheitsorganisation) ausgebaut werden. Die vorgeschlagene Verordnung stellt für den Ausschuss ein ausgesprochen nützliches Mittel dar, um Art und Definitionen der zu erfassenden Daten sowie die entsprechenden Erhebungs- und Analysemethoden aufeinander abzustimmen.

2.   Vorschlag der Kommission

2.1

Die vorliegende Verordnung befasst sich nur mit statistischen Tätigkeiten, die sich auf Artikel 285 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft stützen. Mit ihr sollen keine politischen Maßnahmen für die beiden Bereiche öffentliche Gesundheit und Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz vorgegeben werden; dies geschieht gemäß Artikel 152 bzw. 137 des EG-Vertrags.

2.2

Gemeinschaftsstatistiken werden nach den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 322/97 des Rates vom 17. Februar 1997, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates, erstellt (1).

2.3

Die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (2) und die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 (3), mit der die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft diesen Vorschriften unterworfen werden, erlauben die Verarbeitung personenbezogener Gesundheitsdaten aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses, sofern geeignete Garantien vorgesehen werden.

2.4

Die politischen Maßnahmen und Strategien der Gemeinschaft und der einzelnen Mitgliedstaaten in den Bereichen öffentliche Gesundheit und Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz stellen ein wichtiges öffentliches Interesse dar, und die Verordnungen (EG) Nr. 322/97 und (Euratom, EWG) Nr. 1588/90 des Rates vom 11. Juni 1990 über die Übermittlung von unter die Geheimhaltungspflicht (4) fallenden Informationen an das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaften (Eurostat) bieten die erforderlichen Garantien für den Schutz natürlicher Personen bei der Erstellung von Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz.

2.5

Der Beschluss 1786/2002/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit (2003-2008) (5), die Entschließung des Rates vom 3. Juni 2002 über eine neue Gemeinschaftsstrategie für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz (2002-2006) (6) und die Mitteilung der Kommission vom 20. April 2004„Modernisierung des Sozialschutzes für die Entwicklung einer hochwertigen, zugänglichen und zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege: Unterstützung der einzelstaatlichen Strategien durch die ‚offene Koordinierungsmethode‘“ (7) erfordern ein hochwertiges statistisches Informationssystem, um in beiden Bereichen die Ergebnisse der politischen Maßnahmen zu bewerten und weitere Tätigkeiten zu überwachen. Im Rahmen künftiger Programme und Strategien wird dies fortgesetzt und weiterentwickelt.

2.6

In ihrer nichtlegislativen Mitteilung SEK(2007)214, 215, 216 (8)„Die Arbeitsplatzqualität verbessern und die Arbeitsproduktivität steigern: Gemeinschaftsstrategie 2007-2012 für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz“ betont die Kommission, dass die Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz ganz oben auf der politischen Agenda der Union stehen sollten. Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer sind maßgebend für die Steigerung der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und tragen zu einer besseren Nachhaltigkeit der Sozialversicherungssysteme bei, indem sie die unfall- und krankheitsbedingten Kosten senken. Es geht darum, das Wohlbefinden am Arbeitsplatz für die Bürgerinnen und Bürger Realität werden zu lassen und so zur Umsetzung der Bürgeragenda vom 10. Mai 2006 beizutragen.

2.7

Bisher wurden statistische Angaben aufgrund von „Gentlemen's Agreements“ mit den Mitgliedstaaten im Rahmen der statistischen Fünfjahresprogramme der Gemeinschaft (derzeit: Entscheidung 2367/2002/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 über das Statistische Programm der Gemeinschaft 2003-2007 (9)) und der dazugehörigen jährlichen Arbeiten erhoben.

2.8

Im Bereich der Statistik zur öffentlichen Gesundheit werden die Entwicklung und Umsetzung in den drei Teilbereichen (Todesursachen, Gesundheitswesen und Gesundheitsumfragen, Behinderung und Morbidität) insbesondere mithilfe einer partnerschaftlichen Struktur zwischen Eurostat und führenden Ländern (derzeit mit dem Vereinigten Königreich als Hauptkoordinator und Bereichsleitern aus Estland, Luxemburg und Dänemark) sowie den Mitgliedstaaten ausgerichtet und organisiert. In diesem Rahmen wurde bereits viel methodische Arbeit geleistet, einschließlich der Erstellung von Leitlinien, und es wurde mit der Erhebung von Daten begonnen.

2.9

Der derzeitige Ansatz hat jedoch folgende Schwachstellen: Zunächst sollte den Mitgliedstaaten, auch wenn Qualität und Vergleichbarkeit der Daten etwas besser geworden sind, für die Durchführung der bereits vorhandenen Datenerhebungen eine solide Grundlage bereitgestellt werden.

2.10

Mit einem Rechtsrahmen ließen sich die Fortschritte in Richtung höherer Qualitäts- und Vergleichbarkeitsstandards für alle einschlägigen Routineerhebungen konsolidieren. Ein solcher Rechtsrahmen würde mittelfristig eine höhere Nachhaltigkeit und Stabilität der europäischen Anforderungen sicherstellen und klare Ziele für Standards vorgeben, die Vergleiche auf EU-Ebene ermöglichen.

2.11

Zudem haben die meisten neuen Mitgliedstaaten mitgeteilt, dass sie die Anforderungen der EU in den Bereichen öffentliche Gesundheit und Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz ohne einen derartigen europäischen Rechtsrahmen nicht erfüllen können.

2.12

Schließlich brauchen alle Mitgliedstaaten genauere Vorstellungen vom Zeitplan und den einzelnen Etappen für die Implementierung neuer statistischer Werkzeuge, die derzeit entwickelt werden, sowie für die in Vorbereitung befindlichen Maßnahmen zur Steigerung der Qualität. Die vorgeschlagene Verordnung ist ein geeigneter Rahmen für die Erstellung genauer Pläne für die Vorgehensweise in den verschiedenen Teilbereichen der Gesundheits- und Sicherheitsstatistik.

2.13

Daher ist die Kommission (Eurostat) der Ansicht, dass jetzt ein solides Fundament zu errichten ist, indem ein Basisrechtsakt für die Bereiche öffentliche Gesundheit und Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz bereitgestellt wird. Die im Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates erfassten Themenbereiche stehen in Verbindung mit laufenden Tätigkeiten und Entwicklungen, die zusammen mit den Mitgliedstaaten in den einschlägigen Eurostat-Gruppen oder — für den Bereich der öffentlichen Gesundheit — im Rahmen der Partnerschaft im Bereich Statistik der öffentlichen Gesundheit durchgeführt werden. In erster Linie soll eine konsolidierte und solide Grundlage für Erhebungen geschaffen werden, die bereits stattgefunden haben, deren Methodik derzeit ausgearbeitet oder deren Durchführung vorbereitet wird.

2.14

Gemäß dem Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der öffentlichen Gesundheit (2003-2008) (10) wird der statistische Teil des Informationssystems über die öffentliche Gesundheit in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten erforderlichenfalls unter Nutzung des Gemeinschaftlichen Statistikprogramms entwickelt, um Synergien zu fördern und Doppelarbeit zu vermeiden.

2.15

Nach dem geänderten Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein zweites Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit (2007-2013) (11) muss die bisherige Tätigkeit zur Entwicklung eines EU-Gesundheitsüberwachungssystems erweitert werden; dabei soll erforderlichenfalls, das Statistikprogramm der Gemeinschaft verwendet werden. In der Gemeinschaftsstrategie für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz (2002-2006) (12) werden die Kommission und die Mitgliedstaaten ersucht, die derzeit laufenden Arbeiten zur Harmonisierung der Statistiken über Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu intensivieren, damit vergleichbare Daten vorliegen, anhand deren sich Wirkung und Effizienz der im Rahmen der neuen Gemeinschaftsstrategie getroffenen Maßnahmen objektiv beurteilen lassen.

3.   Bemerkungen des Ausschusses

3.1

Der Ausschuss billigt den Vorschlag für eine Verordnung und seine Rechtsgrundlage, denn er entspricht den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit und erlaubt es gleichzeitig, Statistiken zu sammeln, die für die Umsetzung der Gemeinschaftsstrategie im Bereich Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz nützlich sind, diese Gemeinschaftsstrategie braucht nun einen klaren Rechtsrahmen.

3.2

Der Ausschuss betont, wie wichtig es vor allem aufgrund der Mobilität der Arbeiter ist, folgende Begriffe klar zu definieren und gemeinsame Anerkennungssysteme zu erarbeiten:

Arbeitsunfälle (die sich am Arbeitsplatz ereignen) und Wegeunfälle (die sich auf dem Weg zwischen Wohnort und Arbeitsplatz und zurück und während langer Pausen außerhalb der Arbeitsstätte ereignen) und im Falle einer mit Reisen verbundenen Arbeit (Dienstleistungen);

Berufskrankheiten, die durch die Arbeitsbedingungen und/oder -stoffe entstehen (Staub, chemische Produkte, Vibrationen, schädigender Lärm, Muskel-, Skelett- und periartikuläre Erkrankungen, die durch Tragen schwerer Lasten und repetitive Tätigkeiten verursacht werden);

Teilweise oder dauerhafte Arbeitsunfähigkeit und Invalidität, die durch Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten verursacht werden, und die verlorenen Arbeitstage.

3.3

Bei der Erhebung der Zahl der pro Unfallkategorie betroffenen Personen hält es der Ausschuss für nützlich, Geschlecht und Alter der Verunglückten, den Wirtschaftszweig und möglichst auch die Art der vertraglichen Bindung zum Arbeitsplatz (unbefristeter Arbeitsvertrag, atypisches Beschäftigungsverhältnis, Leiharbeit, selbständige Arbeit) zu berücksichtigen. Nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften sollte die vertrauliche Behandlung der erhobenen personenbezogenen Daten oberstes Gebot sein.

3.4

Nach Ansicht des Ausschusses sollte die Zusammenarbeit mit der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) und der WHO (Weltgesundheitsorganisation) ausgebaut werden, da sie in einen interessanten Meinungsaustausch münden kann, und zwar auf theoretischer Ebene (Ursachenforschung bei Krankheiten und Unfällen, Ergonomie und Rehabilitation) ebenso wie hinsichtlich der methodischen Vorgehensweise bei Datenerhebungen und statistischen Methoden.

3.5

Die vorgeschlagene Verordnung stellt für den Ausschuss ein ausgesprochen nützliches Mittel dar, um Art und Definitionen der zu erfassenden Daten sowie die Erhebungs- und Analysemethoden dieser Daten aufeinander abzustimmen und die Qualität, Kompatibilität und Vergleichbarkeit der Daten dauerhaft zu verbessern.

Brüssel, den 25. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. L 52 vom 22.2.1997, S. 61. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31997R0322:DE:HTML Verordnung geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 284 vom 31.10.2003, S. 1, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2003:284:0001:0053:DE:PDF).

(2)  ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31995L0046:DE:HTML Richtlinie geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 (ABl. L 284 vom 31.10.2003, S. 1).

(3)  ABl. L 8 vom 12.1.2001, S. 1.

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2001:008:0001:0022:DE:PDF.

(4)  ABl. L 151 vom 15.6.1990, S. 1. Verordnung zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 322/97.

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31990R1588:DE:HTML.

(5)  ABl. L 271 vom 9.10.2002, S. 1.

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2002:271:0001:0011:DE:PDF.

(6)  ABl. C 161 vom 5.7.2002, S. 1.

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2002:161:0001:0004:DE:PDF.

(7)  KOM(2004) 304 endg. vom 20.4.2004.

(8)  SEK(2007) 214 vom 21.2.2007.

(9)  ABl. L 358 vom 31.12.2002, S. 1. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2002:358:0001:0027:DE:PDF Entscheidung geändert durch Entscheidung Nr. 787/2004/CE des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 138 vom 30.4.2004, S. 12, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2004:138:0012:0016:DE:PDF).

(10)  Siehe Fußnote 5.

(11)  KOM(2006) 234 endg. vom 24.5.2006.

(12)  Siehe Fußnote 6.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/106


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern“

KOM(2007) 159 endg. — 2007/0054 (COD)

(2008/C 44/23)

Der Rat beschloss am 7. Mai 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Am 24. April 2007 beauftragte das Präsidium des Ausschusses die Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft mit der Vorbereitung der Arbeiten zu diesem Thema.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 25. Oktober) Herrn RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO zum Hauptberichterstatter (1) und verabschiedete mit 64 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss befürwortet die Änderungen der Anhänge der Verordnung Nr. 1408/71 in der Überzeugung, dass diese dazu dienen, den Inhalt der Verordnung zu verbessern, und den von ihrer Anwendung betroffenen Bürgern der EU zugute kommen. Insbesondere befürwortet er diejenigen Änderungen, mit denen bestimmte Leistungen in die Koordinierung einbezogen werden, die zuvor Ausnahmeregelungen unterlagen oder nicht auf andere Mitgliedstaaten übertragbar waren.

1.2

Gleichzeitig möchte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss als Vertreter der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft auf die Langsamkeit des Legislativprozesses hinweisen, dem der Vorschlag für die Durchführungsverordnung zur Verordnung Nr. 883/2004 unterliegt. Die vorliegende Stellungnahme wäre nicht notwendig, wenn die genannte Verordnung in Kraft getreten wäre. Daher fordert der Ausschuss das Europäische Parlament und den Rat auf, den Entscheidungsprozess nach Kräften zu beschleunigen und zu ermöglichen, dass die neue Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit so rasch wie möglich in Kraft tritt.

2.   Einleitung

2.1

Die Verordnung Nr. 1408/71 wurde seit ihrer Verabschiedung im Juni 1971 mehrfach geändert, um ihren Inhalt anzupassen und zu aktualisieren. Diese Änderungen waren unter anderem auf Änderungen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und der zwischen den Mitgliedstaaten geschlossenen bilateralen Abkommen, auf die verschiedenen Erweiterungen und die Anpassung des Inhalts an mehrere Urteile des Gerichtshofs zur sozialen Sicherheit zurückzuführen.

2.2

Seit der EWSA im Januar 1967 seine erste Stellungnahme zu dieser Verordnung (2) verabschiedete, hat er im Namen der wirtschaftlichen und sozialen Akteure und als Vertreter der Zivilgesellschaft in fast jährlichem Rhythmus zu allen Änderungen des verfügenden Teils und der Anhänge Stellung genommen. Auf diese Weise hat sich der Ausschuss aktiv an der Weiterentwicklung eines Instruments beteiligt, das von ausschlaggebender Bedeutung ist, um in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Freizügigkeit von Personen im Allgemeinen und von Arbeitnehmern im Besonderen zu garantieren. Damit wurde sichergestellt, dass die Ansprüche auf bestimmte Leistungen des Systems der sozialen Sicherheit beim Überschreiten der Binnengrenzen der EU erhalten bleiben.

2.3

Die größte Änderung in ihrer Geschichte erfuhr die Verordnung im Jahr 2004. Um den Wortlaut zu vereinfachen und den Inhalt zu verbessern, verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat nach einer breit angelegten institutionellen Debatte eine neue Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (3) mit der Nummer 883/2004, die die geltende Verordnung ersetzen sollte. Da jedoch die zugehörige Durchführungsverordnung noch nicht verabschiedet wurde, ist die vorgenannte Verordnung noch nicht in Kraft getreten, so dass die Verordnung Nr. 1408/71 weiterhin uneingeschränkt gilt.

2.4

Der Ausschuss hat Stellungnahmen sowohl zur Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (4) als auch zum Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der vorgenannten Verordnung (5) abgegeben. Letzterer befindet sich noch im langwierigen Prozess der Erörterung zwischen den zuständigen Institutionen.

2.5

Da es sich um einen lebendigen und dynamischen Rechtsakt handelt, müssen die von den Mitgliedstaaten eingeführten gesetzlichen Änderungen weiterhin in die Verordnung Nr. 1408/71 aufgenommen werden, damit sie ihre Gültigkeit nicht verlieren und so nicht den Ansprüchen von Personen entgegenstehen, die sich von einem Mitgliedstaat in einen anderen begeben. Das letztendliche Ziel dieser Änderungen besteht darin, die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit auf den neuesten Stand zu bringen und zu verbessern und damit die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu erleichtern.

2.6

Auf rechtlicher Ebene führt der Vorschlag zur Aufhebung und Änderung einiger Bestimmungen der Anhänge der Verordnung; außerdem gilt er für den Europäischen Wirtschaftsraum.

3.   Inhalt des Vorschlags

3.1

Der Verordnungsvorschlag betrifft ausschließlich verschiedene Anhänge der Verordnung Nr. 1408/71 und berührt folglich nicht den verfügenden Teil, der vollständig unverändert bleibt.

3.2

Die eingeführten Änderungen spiegeln die von folgenden Mitgliedstaaten vorgelegten Vorschläge wider: Österreich, Dänemark, Frankreich, Holland, Ungarn, Irland und Polen. Außer im Fall Frankreichs sind alle Änderungen auf gesetzliche Änderungen auf einzelstaatlicher Ebene zurückzuführen.

3.3

Die Änderungen betreffen folgende Anhänge und Staaten:

3.3.1

Anhang I Teil I, in dem die Begriffe „Selbstständiger“ und „Arbeitnehmer“ für den Fall definiert werden, dass sie nicht nach den nationalen Rechtsvorschriften bestimmt werden können. Dieser Anhang wird wegen gesetzlicher Änderungen in Irland geändert.

3.3.2

Anhang I Teil II, in dem der Begriff „Familienangehöriger“ für den Fall definiert wird, dass die nationalen Rechtsvorschriften keine Unterscheidung von anderen Personen ermöglichen. Dies betrifft ebenfalls Irland wegen gesetzlicher Änderungen.

3.3.3

Anhang II Teil I, in dem die Sondersysteme für Selbständige aufgeführt sind, die nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fallen. Der Wortlaut im Teil über Frankreich wird aus Gründen geändert, die mit ergänzenden Versicherungen zusammenhängen.

3.3.4

Anhang II Teil II, in dem die besonderen Geburts- oder Adoptionsbeihilfen aufgeführt sind, die nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fallen. Der Wortlaut wird in dem Polen betreffenden Abschnitt ersetzt, um die Geburtszulage in die Koordinierung einzubeziehen.

3.3.5

Anhang II a, in dem die beitragsunabhängigen und daher nicht in einen anderen Mitgliedstaat übertragbaren Sonderleistungen erfasst sind. Dies betrifft erneut Irland wegen gesetzlicher Änderungen.

3.3.6

Anhang III Teil A, in dem diejenigen Abkommen aufgeführt sind, die trotz Bestehens der Verordnung weiterhin anzuwenden sind. Dies betrifft Ungarn bezüglich seiner Abkommen mit Deutschland und Österreich wegen Änderungen der ungarischen Rentengesetzgebung.

3.3.7

Anhang IV Teil A, der eine Liste derjenigen in der Verordnung angesprochenen Rechtsvorschriften enthält, nach denen die Höhe der Leistungen bei Invalidität nicht von der Dauer der Versicherungszeiten abhängt. Dies betrifft erneut Irland sowie Holland wegen gesetzlicher Änderungen.

3.3.8

Anhang IV Teil C, der die Fälle aufführt, in denen auf die doppelte Berechnung der Leistung verzichtet werden kann, da diese nicht zu einem höheren Ergebnis führen würde. Der Eintrag „Ungarn“ ist zu streichen, da das Land wegen gesetzlicher Änderungen nicht mehr von dieser Bestimmung betroffen ist. Außerdem wird der Österreich betreffende Wortlaut angepasst, da sich das Rentengesetz geändert hat.

3.3.9

Anhang VI enthält besondere Verfahren für die Anwendung der Rechtsvorschriften bestimmter Mitgliedstaaten. Wegen Änderungen ihrer jeweiligen Rechtsvorschriften wird der Dänemark, Holland und Österreich betreffende Wortlaut geändert.

3.3.10

Anhang VIII, in dem die Systeme aufgelistet sind, die für Waisen Familienbeihilfen oder zusätzliche oder besondere Beihilfen vorsehen. Dies betrifft Irland wegen gesetzlicher Änderungen.

4.   Bemerkungen

4.1

Das Plenum des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses verabschiedete in seiner Sitzung vom 13./14. Dezember 2006 eine Stellungnahme zu anderen Änderungen zur Verordnung Nr. 1408/71 (6). In dieser Stellungnahme äußerte der Ausschuss die Hoffnung, dass es sich um die letzte Änderung handle, zu der er Stellung nehmen sollte, und dass die neue Durchführungsverordnung zur Verordnung Nr. 883/2004 ohne weitere Verzögerung angenommen werde. Sechs Monate später liegen erneute Änderungen zu den Anhängen der Verordnung Nr. 1408/71 vor, weil die Durchführungsverordnung immer noch nicht verabschiedet wurde.

4.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die Änderungen der Anhänge der Verordnung in der Überzeugung, dass diese dazu dienen, den Inhalt der Verordnung zu verbessern, und dass sie den von ihrer Anwendung betroffenen EU-Bürgern zugute kommen. In diesem Zusammenhang bringt er seine besondere Zustimmung zu denjenigen Änderungen zum Ausdruck, mit denen Leistungen in die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit einbezogen und damit aus den Anhängen herausgenommen werden, die Ausnahmen von der allgemeinen Anwendung der Leistungen vorsehen.

4.3

Derzeit erörtern die europäischen Institutionen mehrere Verordnungsvorschläge bezüglich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Zum einen wird der Vorschlag für eine Verordnung zur Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004, zu der der EWSA bereits eine Stellungnahme abgegeben hat, Abschnitt für Abschnitt vom Rat geprüft, der dies während des portugiesischen Vorsitzes fortsetzen wird, während im Parlament die erste Lesung im Gange ist. Zum anderen durchläuft der Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung des Inhalts von Anhang XI der Verordnung Nr. 883/2004 einen ähnlichen Prozess, nachdem der EWSA seine diesbezügliche Stellungnahme (7) abgegeben hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei der Verabschiedung der Koordinierungsverordnung mehrere ihrer Anhänge ohne Inhalt blieben, da dieser erst mit der Verabschiedung nachfolgender Verordnungen festgelegt wird. Schließlich liegt der Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung Nr. 1408/71 vor, der Gegenstand dieser Stellungnahme ist.

4.4

Objektiv gesehen und angesichts der im vorstehenden Absatz beschriebenen Lage befinden wir uns in einem Rechtsetzungsstau, in dem weiter Änderungen zu einer fast aufgehobenen Verordnung verabschiedet werden und Anhänge zur neuen Koordinierungsverordnung, die erst noch in Kraft treten muss, fehlen, wobei die neue Durchführungsverordnung einen Annahmeprozess durchläuft, der bedauerlicherweise an den langwierigen Entscheidungsprozess bezüglich der Koordinierungsverordnung erinnert. Aus diesen Gründen fordert der EWSA das Europäische Parlament und den Rat einmal mehr auf, die anhängigen Verfahren für die endgültige Verabschiedung beider Verordnungen voranzutreiben. Zur Erinnerung sei darauf hingewiesen, dass bereits 1992 auf der Tagung des Europäischen Rates von Edinburgh die Notwendigkeit einer allgemeinen Überprüfung der Rechtsvorschriften mit dem Ziel einer Vereinfachung der Koordinierungsvorschriften anerkannt wurde. Obwohl seit dieser Erklärung 15 Jahre vergangen sind, werden nach vor dieselben, nicht vereinfachten Rechtsvorschriften angewandt.

4.5

Die Vielschichtigkeit der Vorschriften für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit führt dazu, dass die Bürger in der Regel weder deren Inhalt, noch ihre Rechte kennen. Daher sollten die Umstände, die zur vorliegenden Stellungnahme geführt haben, genutzt werden, um zu fordern, dass die Behörden der Mitgliedstaaten für ihre Bürger in wirksamer Weise klare und genaue Angaben zur Verfügung stellen, die ihnen ermöglichen, sich darüber zu informieren, welches ihre Rechte auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit sind, wenn sie sich — aus welchen Gründen auch immer — von einem Mitgliedstaat der EU in einen anderen begeben. Mangelndes Wissen auf diesem Gebiet macht sich vor allem auch bei Kurzreisen touristischer oder beruflicher Natur bemerkbar, wenn ein plötzlicher Krankheitsausbruch den Betreffenden ernstliche Probleme verursacht, weil sie weder ihre Rechte kennen, noch wissen, wie sie rasch Hilfe finden können.

4.6

Zur Fortsetzung dieses Ansatzes und im Einklang mit Ziffer 4.5 der bereits erwähnten Stellungnahme zu Anhang XI der Verordnung Nr. 883/2004 sollte der EWSA eine Initiativstellungnahme ausarbeiten, um zu prüfen, welche Probleme in der Europäischen Union bei der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen für Bürger bestehen, die sich von einem Mitgliedstaat in den anderen begeben, und welche Vorschläge für ein wirksames Funktionieren der Koordinierungsmechanismen vorgelegt werden könnten.

Brüssel, den 25. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Vorbehaltlich der Zustimmung des Plenums.

(2)  ABl. C 64 vom 5.4.1967.

(3)  ABl. L 166 vom 30.4.2004.

(4)  Stellungnahme des EWSA vom 27. Januar 2000 zum Thema „Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“; Berichterstatter: Herr Rodríguez García-Caro (ABl. C 75 vom 15.3.2000).

(5)  Stellungnahme des EWSA vom 26. Oktober 2006 zum Thema „Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit — Modalitäten für die Durchführung“; Berichterstatter: Herr Greif (ABl. C 324 vom 30.12.2006).

(6)  Stellungnahme des EWSA vom 13. Dezember 2006 zur „Änderung der Verordnung Nr. 1408/71“; Berichterstatter: Herr Rodríguez García-Caro (ABl. C 325 vom 30.12.2006).

(7)  Stellungnahme des EWSA vom 14. März 2007 zum Thema „Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit — Anhang XI“; Berichterstatter: Herr Greif (ABl. C 161 vom 13.7.2007).


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/109


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Misshandlung alter Menschen“

(2008/C 44/24)

Mit Schreiben der Vizepräsidentin der Kommission, Margot WALLSTRÖM, vom 16. Mai 2007 ersuchte die Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Stellungnahme zur: „Misshandlung alter Menschen“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Oktober 2007 an. Berichterstatterin war Frau HEINISCH.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober 2007) mit 144 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (proklamiert in Nizza am 7. Dezember 2000) anerkennt und achtet in Artikel 25 das Recht alter Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben. In Europa nimmt die 65-jährige und ältere Bevölkerung erheblich zu. Mit dieser demografischen Veränderung positiv umzugehen und das Phänomen der Hochaltrigkeit weder als gesellschaftliche Belastung noch als individuelle Bedrohung zu empfinden, ist die Herausforderung der Zukunft.

1.2

Zu dieser Herausforderung gehört auch die Befassung mit der Misshandlung alter Menschen, ein stark vernachlässigtes Thema, das immer noch verharmlost und verdrängt wird. Besondere Risiken bestehen für die alten Menschen, die pflegeabhängig sind und/oder sich in häuslicher Abgeschiedenheit oder in Pflegeinstitutionen befinden. Daher bittet der EWSA die EU-Ratspräsidentschaften nachdrücklich, sich des Themas „Misshandlung alter Menschen“, insbesondere in der Situation der Pflege, anzunehmen.

Adressaten: EU-Ratspräsidentschaften; Kommission; Regierungen der Mitgliedstaaten.

1.3

Die Hauptverantwortung für die Verhinderung der Misshandlung alter Menschen liegt bei den Mitgliedstaaten. Da die Problematik jedoch in allen Mitgliedstaaten vorhanden ist, hält der EWSA eine gesamteuropäische Strategie für erforderlich.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Misshandlung alter Menschen eine Verletzung der Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union darstellt, regt der EWSA an, durch die Kommission auf der Basis der vorhandenen vertraglichen Regelungen eine umfassende Strategie zur Verhinderung dieser Misshandlungen zu erarbeiten.

Grundlage dieser gesamteuropäischen Strategie muss eine EU-weite Studie zu „Misshandlungen alter Menschen, insbesondere in der Situation der Pflege“ sein. Mit dem Ziel einer Bestandsaufnahme sollten neben Aussagen zu Prävalenzraten auch Aussagen zu den verschiedenen Formen der Misshandlungen, ihren Ursachen und Risikofaktoren gemacht werden. Erfasst werden sollte sowohl der häusliche als auch der institutionelle Bereich der Pflege.

In dieser Studie sollte das Ausmaß der Gefährdung alter Menschen, ihre rechtliche Situation, ihre Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten in Beziehung zu den für die Misshandlung von Kindern geltenden Bedingungen gesetzt werden.

Erhoben werden sollten in dieser Studie auch der Stand der Implementation der Charta der Grundrechte der Europäischen Union mit dem Ziel des Schutzes alter Menschen in den Mitgliedstaaten.

Adressaten: Europäisches Parlament, Kommission; Generaldirektion Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit.

1.4

Die Misshandlung alter Menschen, insbesondere in der Situation der Pflege, kann nur auf der entsprechenden nationalen Ebene wirksam verhindert werden. Deshalb muss jeder Mitgliedstaat im Rahmen der Entwicklung einer gesamteuropäischen Strategie einen Nationalen Aktionsplan für die Verhinderung dieser Misshandlungen erarbeiten, für den die nötigen Mittel in jedem Mitgliedstaat zur Verfügung gestellt werden müssen. In den Nationalen Aktionsplänen sollte insbesondere berücksichtigt werden:

Die Enttabuisierung der Misshandlung alter Menschen in der Pflege durch eine entsprechende Sensibilisierung — etwa durch die Durchführung von Informations- und Aufklärungskampagnen — der allgemeinen Öffentlichkeit für die Situation der Pflegebedürftigen und der Pflegenden.

Der Erlass von Rahmenrichtlinien und gesetzlicher Grundlagen, die der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entsprechen.

Die Erstellung von nationalen Berichten zur Prävention von Misshandlungen alter Menschen in der häuslichen und stationären Pflege. Erfasst werden sollte in diesen Berichten auch, ob in den Mitgliedstaaten (Mindest)Standards für die Pflege verbindlich gelten, ob institutionalisierte Formen der Kontrolle geschaffen worden sind und wie erfolgreich diese Regelungen für den Schutz alter Menschen in der häuslichen und institutionellen Pflege sind.

Die Verbesserung des Informationsstandes, der Handlungskompetenzen und der Zusammenarbeit aller direkt mit der Situation „Pflege“ befassten Akteure und Institutionen. Dazu gehören auch entsprechende Schulungen und Initiativen für besonders relevante Berufsgruppen: medizinisches Personal, Pflegekräfte, Polizei, sowie die Schaffung von Melderechten bei Missständen für die Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen.

Die Schaffung eines flächendeckenden, niedrigschwelligen und (auch) vertraulich zugänglichen Beratungsangebots, um Informationsdefizite über die Situation „Pflege“ bei allen (potenziell) Beteiligten und Betroffenen frühzeitig zu beseitigen.

Die Schaffung von Entlastungsangeboten für pflegende Angehörige und von Ansprech- und Unterstützungsmöglichkeiten für professionelle Pflegekräfte.

Die Schaffung von Netzwerken für die Zusammenarbeit, die Schulung und den systematischen Informationsaustausch aller direkt mit der Situation „Pflege“ befassten Akteure und Institutionen.

Adressaten: Mitgliedstaaten.

1.5

Der EWSA hält einen nationalen und EU-weiten Austausch über Verfahrensweisen und Modelle von „Good Practice“ mit dem Ziel der Qualitätssicherung und Entwicklung von Standards im Bereich der Pflege für unbedingt erforderlich.

Adressaten: Mitgliedstaaten: EUCPN.

2.   Begründung

2.1   Alter und Misshandlungsrisiko

2.1.1

Bevölkerungsprognosen gehen davon aus, dass in Europa bis 2050 die 65-jährige und ältere Bevölkerung erheblich zunehmen wird (um 58 Mio. oder 77 %); relativ am stärksten von allen Altersgruppen wird dabei die Zahl der Hochaltrigen (80 Jahre alt und älter) ansteigen. Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf das tägliche Leben in vielen Bereichen und stellt nahezu alle Politikfelder vor besondere Herausforderungen.

2.1.2

Nicht nur, aber auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, wird die Befassung mit der Misshandlung alter Menschen immer dringlicher. Denn diese Misshandlungen sind ein stark vernachlässigtes Thema, das immer noch verharmlost und verdrängt wird. Entsprechend unzureichend und lückenhaft ist auch die bisherige empirische Datenlage.

2.1.3

Zwar liegt das kriminalstatistisch registrierte Gewaltrisiko von Männern und Frauen ab 60 Jahren deutlich unter dem jüngerer Jahrgänge und auch in Opferbefragungen berichten ältere Menschen seltener als jüngere über Gewalterfahrungen. Kriminalstatistiken wie Opferbefragungen sind jedoch wenig geeignet, die spezifischen Gewaltrisiken alter Menschen zu erfassen und deutlich zu machen.

2.1.4

Das gilt vor allem für die Misshandlungsrisiken alter Menschen im sozialen Nahraum durch Personen, die sie kennen und zu denen ein Vertrauensverhältnis besteht, möglicherweise auch ein Abhängigkeitsverhältnis. Diesen Raum haben Wissenschaft, Politik und Praxis in den vergangenen Jahrzehnten als einen Bereich „entdeckt“, in dem in beträchtlichem Ausmaß Gewalt stattfindet. In erster Linie geschah dies jedoch mit Blick auf Kinder und Frauen als Betroffene (1), aber nur selten in Hinblick auf die Misshandlung alter Menschen.

2.1.5

Nach einer Definition der „Action on Elder Abuse“, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) übernommen worden ist und sich in Forschung und Politik durchgesetzt hat, wird unter der Misshandlung alter Menschen jede einzelne oder sich wiederholende Handlung oder das Unterlassen einer angemessenen Handlung verstanden, die/das zu Schaden oder Gefahr für einen älteren Menschen führen kann (2).

2.1.6

Die verfügbaren Befunde lassen Rückschlüsse auf häufige, zum Teil massive Misshandlungen alter Menschen zu, die jedoch, von Ausnahmen abgesehen, im Dunkelfeld verbleiben (3). Eine 2006 in England, Schottland, Wales und Nordirland durchgeführte repräsentative Befragung von über 2 000 Personen im Alter von 66 Jahren und älter, die in privaten Haushalten (einschließlich Einrichtungen des betreuten Wohnens) leben (4), kommt zu folgenden Ergebnissen: Insgesamt berichten 2,6 % der Befragten von Misshandlungen durch ein Familienmitglied, einen Freund oder einen Pflegemitarbeiter in den letzten zwölf Monaten. Werden auch Misshandlungen durch Nachbarn und Bekannte berücksichtigt, erhöht sich der Anteil auf 4 %. Die häufigste Form der Misshandlung war die Vernachlässigung, gefolgt von der finanziellen Ausnutzung, der psychischen und physischen Misshandlung und — am seltensten — der sexuellen Misshandlung. Frauen berichten häufiger von Misshandlungen als Männer. Diese Befunde sind mit denen aus anderen westlichen Gesellschaften vergleichbar und entsprechen in etwa den für das Ausmaß häuslicher Gewalt festgestellten Häufigkeiten. Für Spanien kommt eine Studie aus dem Jahr 2004 zu dem Ergebnis, dass die Misshandlungsrate von alten Menschen fast ebenso hoch ist wie die von Kindern.

2.2   Misshandlung alter Menschen in der Pflege

2.2.1

Der Begriff „Pflege“ wird weit verstanden und reicht von Hilfe und Unterstützung im Haushalt bis hin zur (stationären) Intensivpflege.

2.2.2

Besondere Risiken bestehen für die alten Menschen, die pflegeabhängig sind und/oder sich in häuslicher Abgeschiedenheit oder in Pflegeinstitutionen befinden. Ihre Situation, ihre spezifischen Gefährdungen und die Möglichkeiten der Prävention und Intervention stehen deshalb im Mittelpunkt der Sondierungsstellungnahme.

2.2.3

Mit Ausnahme der allerhöchsten Altersgruppen sind es noch Minderheiten Älterer, die Pflege benötigen: Ende 2003 waren in Deutschland 1,6 % der 60-64-Jährigen pflegebedürftig und 9,8 % der 75-79-Jährigen, aber 60,4 % der 90-94-Jährigen (5). Berechnungen zufolge wird es nicht nur mehr ältere Menschen geben (s.o.), sondern vor allem auch mehr gebrechliche und pflegebedürftige. Erwartet wird ein Anstieg der Pflegebedürftigen um 116-136 %; ein Anstieg der Personen in Pflegeheimen sogar um 138-160 %. Insbesondere im hochaltrigen Bereich (ab 80 Jahren) werden die Risiken ansteigen, die Hilfe- und Pflegebedürftigkeit mit sich bringen (6).

2.2.4

Misshandlungen alter Menschen in der Pflege werden im Sinne der Gerontologie verstanden und umfassen nicht nur die körperliche Misshandlung Pflegebedürftiger, sondern alle Handlungen und Unterlassungen, die gravierende negative Auswirkungen auf die Lebenssituation und Befindlichkeit der älteren Menschen haben (7). Formen dieser Misshandlungen sind (8):

unmittelbare körperliche Gewalt (Schlagen, Schütteln, Kneifen, Anwendung körperlicher Zwangsmaßnahmen, mechanische Fixierung, Entzug von körperlichen Hilfsmitteln usw.);

mittelbare körperliche Gewalt (unberechtigte Medikamentengabe, etwa zur Ruhigstellung usw.);

sexueller Missbrauch (Missachtung der individuellen Schamgrenzen, nicht einverständliche Intimkontakte usw.);

emotionale oder psychische Gewalt (verbale Aggression, Missachtung oder Ignorierung, emotionale Kälte, soziale Isolierung, Bedrohung mit körperlicher oder anderer Gewalt oder anderen Übeln, Beschimpfungen, Demütigungen usw.);

finanzielle oder andere materielle Ausnutzung (unbefugte Verfügung über das Vermögen, Immobilienverkauf ohne Zustimmung, Überredung oder Nötigung zu Geldgeschenken, Entwenden von Geld und vermögenswerten Gegenständen bis hin zur Erpressung von geldwerten Vorteilen, alte Menschen als Zielgruppe von Geschäftemachern usw.);

Vernachlässigung (Unterlassen von notwendigen Hilfen im Alltag, hygienischen und allgemeinen Versorgungsleistungen, insbesondere Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug bis hin zur Entstehung von so genannten Liegegeschwüren — Dekubitus — durch mangelhafte Pflege bei Bettlägerigkeit usw.);

drohen mit Verlassen bzw. der Abschiebung in ein Heim;

Missbrauch durch Teilnahme an Versuchsreihen ohne Zustimmung bzw. gegen den Willen.

2.2.5

Zur Misshandlung alter Menschen kann es sowohl bei der häuslichen als auch bei der institutionellen Pflege kommen. Belastbare Daten zur Verbreitung von Gewalthandlungen gegenüber Pflegebedürftigen liegen für Europa nicht vor. In das insgesamt hoch eingeschätzte Dunkelfeld von Vernachlässigung, Misshandlung und Gewalt in der Pflege gibt es nur vereinzelte Einblicke.

2.2.5.1

Für die häusliche Pflege veranschlagen vorliegende Studien den Anteil von Pflegebeziehungen mit Gewaltvorkommnissen gegenüber Pflegebedürftigen zwischen 5 und 25 % (9).

2.2.5.2

In einer deutschen Studie (10) zu Misshandlungen und Vernachlässigungen von Bewohnern in Altenheimen und Altenpflegeheimen gaben über 70 % der befragten Pflegekräfte an, als gewalttätig oder problematisch einzustufende Handlungen oder Unterlassungen selbst begangen oder bei anderen Pflegekräften beobachtet zu haben (11).

2.3   Erkennen von Misshandlungen in der Pflege

2.3.1

Die Wahrnehmung von Misshandlungen erweist sich in der Praxis oft als schwierig. Als wesentliche Ursachen für ein Verkennen von Misshandlungen sind zu nennen: eine hohe Schamgrenze bei den Opfern; eine Abhängigkeit von Hilfe, Pflege und Zuwendung durch die Personen, die misshandeln und die auch daraus resultierende Angst vor Rache bzw. einer Verschlimmerung der Situation; ein faktisches Unvermögen zur Äußerung des Misshandlungserlebens, bedingt durch Krankheit, insbesondere bei hirnorganischem Abbau; Unsicherheiten im Umgang mit dem Verdacht auf Misshandlung.

2.4   Zur Situation in der häuslichen Pflege

2.4.1

Derzeit ist noch die Privatwohnung der alltägliche Lebensraum der weit überwiegenden Zahl alter Menschen. In vielen europäischen Ländern werden die pflegebedürftigen Älteren in der häuslichen Umgebung gepflegt, in Deutschland etwa zwei Drittel. Nur rund 7 % der 65-Jährigen und Älteren leben in Heimen. Familiäre Pflege wird in erster Linie durch die Ehepartner geleistet, an zweiter Stelle durch Töchter und Schwiegertöchter. Zwar ist die ganz überwiegende Zahl dieser Pflegesituationen frei von Misshandlungen, aber sie kommen vor (siehe Ziffer 2.2.5.1).

2.4.2

Häusliche Pflege bringt vielfältige Belastungen mit sich, insbesondere auch für die Gesundheit der Pflegenden, ihr Wohlbefinden und ihre Sozialkontakte. Die Familien müssen zum Teil große Einschränkungen hinnehmen, um alte Angehörige zu pflegen. Verschärft wird die Problematik durch eine unzureichende Vorbereitung auf die Pflegesituation und eine ungenügende Unterstützung während der Pflegezeit. Besondere Belastungen bringt die Pflege demenziell erkrankter alter Menschen mit sich.

2.4.3

Misshandlungen in der häuslichen Pflege gehen jedoch nicht nur auf die Überlastung der Pflegenden zurück, sondern auf eine Vielzahl von Risikofaktoren. Zu ihnen gehören die Qualität der Beziehung vor Eintritt der Pflegebedürftigkeit, Suchtmittelabhängigkeit und psychische Störungen der Pflegeperson, das Erleben sozialer Isolation und unzureichender sozialer Unterstützung, aber auch aggressives Verhalten der Pflegebedürftigen selbst (12).

2.5   Zur Situation in der institutionellen Pflege

2.5.1

Zwar wird derzeit nur ein kleiner Teil der pflegebedürftigen alten Menschen in Institutionen gepflegt, doch wird mit einem deutlichen Anstieg der Personen in Pflegeheimen gerechnet, insbesondere der Hochaltrigen (siehe Ziffer 2.2.3). Bereits heute zeichnet sich ein Trend weg von der häuslichen, hin zur Pflege in stationären Pflegeeinrichtungen oder durch ambulante Pflegedienste ab.

2.5.2

Im überwiegenden Teil der Pflegeheime kommt es nicht zu Misshandlungen. Das gilt vor allem für die Heime, die in den Mitgliedstaaten anerkannt und kontrolliert werden und die sorgfältig die in dem jeweiligen Staat geltenden Gesundheitsvorschriften beachten.

2.5.3

Einige Pflegeheime haben jedoch einen schlechten Ruf. Zwar gibt es kaum systematische Untersuchungen über Misshandlungen in Pflegeeinrichtungen, doch machen Überprüfungen, etwa durch die Medizinischen Dienste der Krankenversicherungen, deutlich, dass Missstände in Pflegeheimen keine Einzelfälle sind (13).

2.5.3.1

Festgestellt werden Pflegeschäden und Pflegemängel — etwa bei der Ernährungs- und Flüssigkeitsversorgung — die Verordnung von Psychopharmaka in zu hoher Dosierung, gravierende Mängel beim Umgang mit Medikamenten und freiheitseinschränkenden Maßnahmen.

2.5.4

Auch findet man in schlecht geführten Pflegeheimen anstelle einer Bewohnerorientierung oft Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit. Rigide Zeitabläufe stehen oft der Selbstbestimmung und Selbstständigkeit von Pflegeheimbewohnern entgegen.

2.5.5

Mangel an Zeit und Arbeitsüberlastung des Pflegepersonals lassen nicht nur die Pflegebedürftigen leiden, sondern machen auch die Pflegenden unzufrieden. Vorzeitiger Ausstieg aus dem Pflegeberuf und der Mangel an qualifizierten Bewerbern verschärfen die Personalproblematik in Pflegeheimen. Bestrebungen, die „Altenpflege“ zu fördern, attraktiver zu machen, sind derzeit kaum erkennbar.

2.6   Analyse und Vorschläge des EWSA

2.6.1

Die Misshandlung alter Menschen ist, wo oder in welchem Umfang sie auch immer auftreten mag, inakzeptabel, und sie darf nicht länger ignoriert werden. Der Ausschuss fordert die EU-Ratspräsidentschaften, die Europäische Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Ursachen für die Misshandlung zu bekämpfen und alten Menschen, ob sie nun weiterhin zu Hause oder in einer Pflegeeinrichtung leben, den erforderlichen Schutz zu gewähren.

2.6.2

Die Vorschläge des EWSA richten sich vor allem auf folgende Bereiche:

2.6.2.1   Dimension der Menschenrechte

Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (proklamiert in Nizza am 7. Dezember 2000) anerkennt und achtet in Artikel 25 das Recht alter Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.

Um dies zu erreichen, hält der EWSA eine neue Sicht des Altenbildes für grundsätzlich erforderlich. Dem Phänomen der Altersdiskriminierung ist stärkere Beachtung zu schenken: Hierin liegt häufig auch die Ursache für Misshandlungen von älteren, pflegebedürftigen Menschen. Die Herausforderung sollte aber darin bestehen, die älteren Menschen gesellschaftlich zu integrieren und ihre Pflege als gemeinsame Aufgabe zu begreifen.

Der Ausschuss weist darauf hin, dass alte Menschen das Recht haben, dort zu leben, wo sie möchten, ohne befürchten zu müssen, dass ihnen Leid zugefügt wird. Die Diskriminierung alter Menschen ist inakzeptabel. Der Schutz alter Menschen sollte, wo immer sie leben, in Anwendung der Grundrechtecharta gewährleistet werden.

Der Ausschuss hebt hervor, wie wichtig es für alte Menschen ist, selbst entscheiden zu können, wo sie im Hinblick auf die Unterstützung, die sie benötigen, leben möchten. Aus diesem Grunde fordert der Ausschuss die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, dafür Sorge zu tragen, dass verschiedene Wohnformen und Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung stehen, die auf die Bedürfnisse alter Menschen abgestimmt sind — häusliche Pflege, betreutes Wohnen, Altenheime oder Altenpflegeheime.

Alte Menschen müssen die Möglichkeit haben, ohne Angst Vorfälle oder Besorgnisse zu melden. Gleiches gilt für Verwandte und andere Pflegekräfte: Es müssen Wege geschaffen werden, auf denen sie ihre Anliegen äußern können, ohne befürchten zu müssen, dass sie dadurch ihren Verwandten schaden bzw. dass dies negative Auswirkungen auf ihre Stellung oder ihre Arbeitsplatzsicherheit hat. Es muss garantiert werden, dass alle derartigen Meldungen vertraulich behandelt und die Probleme effizient gelöst werden.

2.6.2.2   Verbesserung der Datenlage und Forschungsbedarf

Der Ausschuss schlägt vor, EU-weit eingehendere Untersuchungen durchzuführen, um das Ausmaß der Misshandlung alter Menschen zu ermitteln und festzustellen,

wie weit die Misshandlung alter Menschen im Allgemeinen verbreitet ist und welche Formen der Misshandlung in häuslicher und stationärer Pflege auftreten;

wodurch Misshandlungen hervorgerufen werden. Dabei muss insbesondere berücksichtigt werden, welchem Stress die pflegenden Familienangehörigen ausgesetzt sind und welche Unterstützung sie erhalten;

in welchem Maße die Charta der Grundrechte in Bezug auf den Schutz alter Menschen implementiert wird;

in welchem Umfang in den Mitgliedstaaten Standards für die Pflege alter Menschen festgelegt wurden und wie ihre Einhaltung überprüft wird.

2.6.2.3   Enttabuisierung und Sensibilisierung

Der Ausschuss fordert die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen zu ergreifen und durch nationale Medienkampagnen mit praktischer Unterstützung von öffentlich-rechtlichen Einrichtungen und Wohlfahrtsverbänden das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu schärfen, um das Problemfeld „Misshandlung alter Menschen“ zu enttabuisieren.

Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass die Medien bei der Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseins eine maßgebliche Rolle spielen können. Sie sollten eine gute Informationspolitik betreiben und sich dieses Themas in konstruktiver Weise annehmen.

2.6.2.4   Information, Aufklärung, Ausbildung und Prävention

Der Ausschuss fordert die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, die nötigen Schritte zu unternehmen, um

alte Menschen und ihre Angehörigen besser über die Misshandlung alter Menschen zu informieren;

sicherzustellen, dass professionelle Pflegekräfte gefahrlos Fälle von Misshandlung alter Menschen melden können und dass ihnen in angemessener Weise Rat und Hilfestellung zuteil wird;

zu gewährleisten, dass alle Angehörigen eines medizinischen oder Pflegeberufes sowie die Polizei dazu ausgebildet werden, Misshandlungen zu erkennen, und in der Lage sind, das Notwendige zu veranlassen;

zu gewährleisten, dass Gesundheits- und Sozialdienstnetze in die Lage versetzt werden, Notaufnahmezentren, Hilfsgruppen und Telefondienste für eine unabhängige, vertrauliche Beratung einzurichten;

dafür Sorge zu tragen, dass pflegende Familienangehörige mit ausreichenden Informationen über die Symptome und den Verlauf von Krankheiten (z.B. Demenz) versorgt werden, damit sie genau wissen, in welchem Umfang Pflege vonnöten ist. Auch muss ihnen angemessene Hilfestellung — u.a. in Form von Schulungen — gewährt werden;

zu gewährleisten, dass pflegende Familienangehörige Zugang zu angemessener Tagespflege, Urlaubsvertretungen und medizinischer Unterstützung erhalten, um den Stress einer unter Umständen rund um die Uhr erforderlichen Pflege abzumildern;

zu gewährleisten, dass pflegende Familienangehörige, Männer und Frauen, die Möglichkeit einer beruflichen Auszeit erhalten, ohne dass dies negative Auswirkungen auf ihre berufliche Entwicklung hat.

Produkte und Dienstleistungen aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) werden zahlreichen älteren Menschen die Möglichkeit bieten, länger dort zu leben, wo es ihnen am besten gefällt und dabei ihre Selbstständigkeit und einen hohen Lebensstandard zu bewahren. IKT kann ihnen helfen, Dinge des täglichen Lebens zu erledigen und sie kann erforderlichenfalls auch dazu eingesetzt werden, ihre Gesundheit und Aktivität zu überwachen und somit den Bedarf an institutioneller Pflege zu verringern. IKT wird die Sicherheit älterer Menschen erhöhen und ihnen den Zugang zu sozialen und medizinischen Dienstleistungen sowie Notdiensten sichern und auf diese Weise dafür sorgen, dass sie auch weiterhin in hohem Maße unabhängig, selbstständig und in Würde leben können.

2.6.2.5   Netzwerkbildung

Der Ausschuss fordert die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, für die Vernetzung verschiedener Einrichtungen zu sorgen, damit Zusammenarbeit, Ausbildung und ein systematischer Informationsaustausch gewährleistet werden (14).

2.6.2.6   Institutionalisierte Kontrolle der Pflege

Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, auf hoher Ebene Stellen zur Überwachung und Überprüfung zu schaffen. Dadurch sollen qualitativ hochwertige Dienstleistungen und Einrichtungen für alte Menschen sichergestellt werden, die sich auf klar formulierte und veröffentlichte Pflegestandards stützen können. Diese Stellen sollten auch befugt sein, Abhilfemaßnahmen zu treffen, deren Ergebnisse öffentlich zugänglich gemacht werden.

2.6.2.7   Erhöhung der Entdeckung von Misshandlungen

Der Ausschuss hält es für wichtig, dass die Möglichkeiten zum unauffälligen Aufspüren von Misshandlungen alter Menschen in häuslicher oder stationärer Pflege unter Beteiligung der zuständigen Einrichtungen erweitert werden. Man muss sich darauf verlassen können, dass jedem gemeldeten Fall von Misshandlung nachgegangen und dass Abhilfe geschaffen wird. Dieser Prozess kann auch ein polizeiliches oder gerichtliches Vorgehen beinhalten.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Siehe dazu die Initiativstellungnahme des EWSA vom 16.3.2006 zum Thema „Häusliche Gewalt gegen Frauen“ (ABl. C 110 vom 9.5.2006) und die ergänzende Stellungnahme vom 14.12.2006 zum Thema „Kinder als indirekte Opfer häuslicher Gewalt“ (ABl. C 325 vom 30.12.2006), Berichterstatterin für beide Stellungnahmen: Frau HEINISCH.

(2)  Toronto Declaration on the global prevention of elderly abuse: „Elder Abuse is a single or repeated act, or lack of appropriate action, occurring within any relationship where there is an expectation of trust which causes harm or distress to an older person. It can be of various forms: physical, psychological/emotional, sexual, financial or simply reflect intentional or unintentional neglect.“ (WHO 2002) (http://www.who.int/ageing/projects/elder_abuse/alc_toronto_declaration_en.pdf.); Action on Elder Abuse (www.elderabuse.org.uk).

(3)  Ein internationales Symposium, das im Mai 2006 in Köln unter der Schirmherrschaft von Kommissar Vladimir Spidla (Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit) durchgeführt worden ist, berichtet über zwischen 5 und 20 % schwankende Prävalenzraten für „Gewalt gegen Ältere“ in den verschiedenen Staaten (Bericht über das Symposium „Gewalt und Vernachlässigung gegenüber alten Menschen in häuslicher und institutioneller Pflege“ in: forum kriminalprävention 4/2006 und 1/2007).

(4)  UK Study of Abuse und Neglect of Older People (June 2007)

(www.natcen.ac.uk).

(5)  Statistisches Bundesamt (2005): Pflegestatistik 2003 — Deutschlandergebnisse. Wiesbaden.

(6)  Landespräventionsrat Nordrhein-Westfalen (2006): Gefahren für alte Menschen in der Pflege.

(7)  Diese Definition entspricht der Toronto Declaration on the global prevention of elderly abuse (WHO 2002, s. Fußnote 2).

(8)  Landespräventionsrat Nordrhein-Westfalen (s. Fußnote 6), Toronto Declaration (s. Fußnote 2) und UK-Study (s. Fußnote 4).

(9)  Görgen, Thomas (2005a): Nahraumgewalt im Alter. Opferrisiken und Optionen für gewaltpräventives Handeln. forum kriminalprävention 3/2005, S. 13-16. Angaben zu einzelnen europäischen Ländern finden sich bei Walentich/Wilms/Walter (2005): Gewalt gegen ältere Menschen in der häuslichen und institutionellen Pflege. Bewährungshilfe 2/2005, S. 166-182.

(10)  Görgen, Thomas (2005b): „As if I just didn't exist“Elder abuse and neglect in nursing homes. In: M. Cain & A. Wahidin (eds): Ageing, crime and society.

(11)  Angaben zur Häufigkeit von einzelnen Gewaltphänomenen wie Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Psychopharmaka-Missbrauch finden sich bei Rolf Hirsch (2005): Aspekte zur Gewalt gegen alte Menschen in Deutschland. Bewährungshilfe 2/2005, S. 149-165.

(12)  Görgen 2005a (s. Fußnote 9).

(13)  Der zweite Bericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen in Deutschland zur „Qualität in der ambulanten und stationären Pflege“ von 2007 stellt bei 10 % der untersuchten Heimbewohner gesundheitliche Schädigungen und damit einen unzureichenden Pflegezustand fest

(http://presseportal.de/pm/57869).

(14)  Beispielhaft dafür ist etwa die „Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter — Handeln statt Misshandeln e.V. (Hrsg.): Alte Menschen in Not — Wir können helfen“. Info-Broschüre. Bonn. 2006. Informationen zu dieser und anderen Initiativen finden sich auch im International Network for the Prevention of Elder Abuse (www.inpea.net).


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/115


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/96/EG hinsichtlich der Anpassung der Sonderregelungen für die Besteuerung gewerblich genutzten Gasöls und der Koordinierung der Besteuerung von unverbleitem Benzin und Gasöl“

KOM(2007) 52 endg. — 2007/0023 (CNS)

(2008/C 44/25)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 19. April 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 93 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 8. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr BURANI.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 151 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Inhalt des Richtlinienvorschlags

1.1

Mit dem Richtlinienvorschlag soll die für alle EU-Mitgliedstaaten geltende Richtlinie 2003/96/EG (1) (Energiesteuerrichtlinie) auf dem Gebiet der Kraftstoffbesteuerung geändert werden. Konkret werden die Mindestsätze für die Verbrauchsteuer auf Gasöl schrittweise erhöht, mit dem Ziel, sie nach einer Phase zeitlich gestaffelter Erhöhungen (in der Richtlinie heißt es „Koordinierung“) bis zum 1. Januar 2014den Verbrauchsteuern auf Benzin anzugleichen: 380 EUR pro 1 000 Liter für beide Kraftstoffe. Für Mitgliedstaaten, für die keine Übergangszeiten gelten, wurde diese Frist verlängert.

1.2

Innerhalb dieses allgemeinen Rahmens sind einige Unterscheidungen, zeitlich begrenzte Ausnahmeregelungen und Anpassungen der Bestimmungen vorgesehen. Zunächst wird zwischen „gewerblich genutztem Gasöl“ (für LKW über 7,5 Tonnen und für Busse) (2) und „Gasöl für den privaten Gebrauch“ unterschieden (in Ermangelung genauerer Angaben ist davon auszugehen, dass damit der von allen anderen Fahrzeugen verwendete Dieselkraftstoff gemeint ist). Die Mitgliedstaaten dürfen den Steuersatz für das gewerblich genutzte Gasöl reduzieren, soweit die in der Richtlinie festgelegten gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträge eingehalten werden und der Steuersatz nicht unter dem am 1. Januar 2003 geltenden nationalen Steuersatz liegt. Auf keinen Fall darf die Besteuerung von Gasöl für den privaten Gebrauch und von Benzin geringer ausfallen als die Besteuerung von gewerblich genutztem Gasöl.

1.3

Gewerblich genutztes Gasöl kann ferner mit einem Steuersatz besteuert werden, der unter dem am 1. Januar 2003 geltenden nationalen Steuersatz liegt, sofern der betreffende Mitgliedstaat ein System von Straßenbenutzungsgebühren einführt oder bereits anwendet und die Summe der verminderten Verbrauchsteuer und der Straßenbenutzungsgebühren ungefähr der am 1. Januar 2003 geltenden nationalen Besteuerung entspricht (jedoch nicht geringer als diese ausfällt).

1.4

Alternativ dazu sind Steuerermäßigungen für gewerblich genutztes Gasöl möglich, indem das gewerblich genutzte Gasöl differenziert besteuert wird, und zwar im Wege der Einführung (oder Beibehaltung) einer Erstattungsregelung, die nicht diskriminierend wirkt und so gestaltet ist, dass alle Wirtschaftsbeteiligten, die in dem betreffenden Mitgliedstaat Dieselkraftstoff getankt haben, die Erstattungsregelung unter gleichen, transparenten und einfachen Bedingungen in Anspruch nehmen können.

1.5

Der „Fahrplan“ für die Angleichung der Benzin- und Dieselkraftstoffbesteuerung sieht Folgendes vor:

für Benzin einen Steuerbetrag von 359 EUR pro 1 000 Liter ab dem 1. Januar 2004 und von 380 EUR ab dem 1. Januar 2014;

für Gasöl gestaffelt ansteigende Steuerbeträge: 302 EUR ab dem 1. Januar 2004, 330 EUR ab dem 1. Januar 2010, 359 EUR ab dem 1. Januar 2012 und schließlich 380 EUR ab dem 1. Januar 2014.

1.6

Darüber hinaus sind zahlreiche Ausnahmeregelungen vorgesehen, die im Folgenden zusammengefasst werden:

Für Mitgliedstaaten, die bereits bis zum Jahr 2012 Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen (ES, AT, BE, LU, PT, EL, PL), endet die Übergangszeit im Jahr 2016. Diese Mitgliedstaaten können folgende Steuerbeträge erheben:

302 EUR bis zum 1. Januar 2007, um 330 EUR bis zum 1. Januar 2012, 359 EUR bis zum 1. Januar 2014 und den gemeinschaftlichen Steuerbetrag von 380 EUR zum 1. Januar 2016 zu erreichen.

Für Mitgliedstaaten, die bis zum Jahr 2013 Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen (LV und LT, und mit gewissen Abweichungen auch BG und RO), endet die Übergangszeit im Jahr 2017.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Eines der Ziele des Richtlinienvorschlags ist die Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen, die infolge der Unterschiede zwischen den in den verschiedenen Ländern praktizierten Tankstellenabgabepreisen für Kraftstoffe, und insbesondere für gewerblich genutztes Gasöl, auf dem Markt entstehen. Die Unterschiede sind oftmals beträchtlich. So kostete am 18. Mai 2007 ein Liter Gasöl in Lettland 0,82 EUR, im Vereinigten Königreich 1,41 EUR, in Deutschland 1,12 EUR, in Luxemburg 0,90 EUR, in Italien 1,18 EUR und in Österreich 0,98 EUR. Mit Blick auf die Steuerangleichung scheint der Kommissionsvorschlag somit seine Berechtigung zu haben.

2.2

Der besondere Grund, der die Kommission zur Vorlage dieses Richtlinienvorschlags veranlasst hat, lässt sich jedoch nur im Zuge eines Vergleichs mit der Richtlinie voll nachvollziehen, die die Kommission zu ändern beabsichtigt: die Richtlinie 2003/96/EG vom 27. Oktober 2003 (Energiesteuerrichtlinie). Das Hauptaugenmerk liegt auf gewerblich genutztem Gasöl  (3), da man davon ausgeht, dass sich dieses auf den Preis der Güterbeförderung auswirkt. Nach Auffassung der Kommission sind Gasöl und Benzin für den privaten Gebrauch für diesen Zweck weniger relevant, auch wenn es in Grenzregionen zu bisweilen nicht unerheblichen Wettbewerbsverzerrungen kommt.

2.2.1

Die Maßnahmen hinsichtlich des gewerblich genutzten Gasöls stehen im Einklang mit dem Weißbuch über Verkehrspolitik, doch würden sie nach Ansicht der Kommission aufgrund der Angleichung der Mindeststeuerbeträge auch indirekt dazu beitragen, die Unterschiede zwischen Gasöl für nicht gewerbliche Zwecke und Benzin zu reduzieren.

2.3

Gemäß der Energiesteuerrichtlinie können die Mitgliedstaaten gewerblich genutztes Gasöl und Gasöl für den Privatgebrauch unterschiedlich besteuern, indem sie eine Erstattungsregelung anwenden. Diese ist für Verkehrsunternehmen aus Hochsteuerländern sicherlich von Vorteil, verwaltungstechnisch jedoch sowohl für den Fiskus als auch die Unternehmen kostspielig. Aufgrund der Modalitäten gab es bei der Inanspruchnahme dieser Erleichterung allerdings mehr Probleme als Vorteile. Abgesehen von der vorgeschriebenen Anwendung von Straßenbenutzungsgebühren (die in diesem Richtlinienvorschlag beibehalten wird) wird eine zusätzliche Voraussetzung festgelegt. So muss der am 1. Januar 2003für Gasölkraftstoff geltende nationale Steuerbetrag mindestens doppelt so hoch sein wie der am 1. Januar 2004 geltende Mindeststeuerbetrag. In der Praxis erfüllen nur wenige Länder diese Voraussetzung (darunter das Vereinigte Königreich). Für die anderen Länder bestand (und besteht) die einzig mögliche Lösung darin, das Gasöl für den privaten Gebrauch höher zu besteuern — sicherlich eine nicht sehr willkommene Option. Letztlich wurden die Unterschiede nicht weniger, und die Hochsteuerländer konnten in keiner Weise den Abstand zu den anderen Ländern verringern. Mit dem vorliegenden Richtlinienvorschlag wird diese Prozedur vereinfacht, so dass sie in der Praxis für mehr Mitgliedstaaten zugänglich sein wird. Das Konzept bleibt im Wesentlichen jedoch unverändert.

2.4

In diesem Zusammenhang stellt der EWSA fest, dass es in allen Mitgliedstaaten, neben den Verbrauchsteuern, eine Reihe anderer Steuern und Abgaben gibt, die den Gesamtsteueranteil auf bis zu 85 % des Tankstellenabgabepreises (bisweilen sogar mehr) anheben. Die Verbrauchsteuer macht zwischen 30 und 60 % des Preises aus. Der Unterschied ist auf variierende Mehrwertsteuersätze bzw. andere Belastungen (vorwiegend lokale Steuern) zurückzuführen, auf die die Kommission keinen Einfluss hat. Letztlich werden auch nach der vorgesehenen Angleichung 2016 weiterhin zahlreiche nicht angeglichene Abgaben bestehen bleiben. Darüber hinaus liegen die industriellen Kosten für Gasöl unter den industriellen Kosten für Benzin. Somit werden die Tankstellenabgabenpreise zwischen Benzin und Gasöl und zwischen den verschiedenen Ländern weiterhin variieren, auch wenn die Unterschiede (möglicherweise) geringer ausfallen als jetzt — es sei denn, es kommt zu spekulativen Aktionen, auf die man ein Auge haben sollte. Weder die Energiesteuerrichtlinie noch der vorliegende Richtlinienvorschlag stellen einen nennenswerten Beitrag zur Angleichung der Wettbewerbsbedingungen dar.

2.5

Im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit erscheint die Tragweite des Richtlinienvorschlags somit recht begrenzt. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass die Kommission nicht befugt ist, in die anderen Bestandteile der Kraftstoffpreise einzugreifen. Doch selbst dann erscheint der Vorschlag unvollständig: Erwogen werden sollte auch ein Verbrauchsteuer-Höchstsatz, der es ermöglichen würde, die Verlagerung des Verbrauchs von einem Land in ein anderes künftig einzudämmen. Der EWSA hat diesen Ansatz in der Vergangenheit unterstützt, unlängst auch in seiner Stellungnahme zur Angleichung der Verbrauchsteuersätze auf Alkohol (4), die zahlreiche konzeptionelle Ähnlichkeiten zum hier erörterten Vorschlag aufweist.

2.5.1

Auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Studien hat die Kommission diese Lösung verworfen: Die Festlegung eines Höchstsatzes würde nämlich die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten einschränken. Nach Auffassung des EWSA könnte auf der Grundlage einer solchen Argumentation auch die Verpflichtung zur Einführung eines Mindestsatzes als Verletzung der Steuerhoheit angesehen werden.

2.6

Trotz dieser Einschränkungen ist der Vorschlag der Kommission ein Schritt in Richtung Harmonisierung — rein steuerlicher Art und zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen. In dieser Hinsicht erfüllt die Kommission lediglich ein Mandat, das mit der Lissabon-Strategie im Einklang steht. Als Nebeneffekt würde die Erhöhung der Verbrauchsteuer auf Gasöl nach Auffassung der Kommission zur Bekämpfung des „Tanktourismus“ beitragen; d.h. der Gewohnheit, nach Möglichkeit in anderen Ländern aufzutanken, in denen die Gasölpreise niedriger sind. Es handelt sich hierbei um ein allgemein bekanntes Phänomen. Am häufigsten wird in diesem Zusammenhang Luxemburg genannt, doch ist dieses Phänomen allen Grenzregionen gemein, in denen Preisunterschiede bestehen. Luxemburg ist jedoch das deutlichste Beispiel: 2004 betrug hier der jährliche Gasölverbrauch 4 500 Liter pro Person, während er sich im benachbarten Belgien auf 750 Liter belief (5). Der EWSA stimmt gewiss zu, dass diese Überlegungen begründet sind. Doch macht er darauf aufmerksam, dass dem Vergleich des Pro-Kopf-Verbrauchs sehr unterschiedliche Einwohnerzahlen zugrunde liegen. So hat Belgien 10,5 Millionen Einwohner, Luxemburg 460 000.

2.7

Von dieser Tatsache ausgehend vertritt die Kommission die (durch verschiedene Untersuchungen gestützte) These, dass zahlreiche Spediteure Umwege fahren würden, um billiger zu tanken. Diese Umwegfahrten (Millionen von Kilometern!) gingen mit einem erhöhten Kraftstoffverbrauch und einer entsprechenden Umweltverschmutzung einher. Die Beseitigung der Anreize für Tanktourismusfahrten würde zum Wegfall der Umwegfahrten und zu einer Reduzierung der Umweltverschmutzung führen. Dies ist eine attraktive und sicherlich beliebte These, die jedoch nicht der Realität entspricht — zumindest nicht in Bezug auf das vorgenannte Beispiel. Wirft man einen kurzen Blick auf die Landkarte, so wird deutlich, dass für einen beachtlichen Teil des Nord-Süd- und Ost-West-Verkehrs (für den nördlichen Teil Europas) Luxemburg gezwungenermaßen ein Transitland ist. Diejenigen, die beim Tanken sparen und Umwege in Kauf nehmen wollen, müssen außer dem Zeitverlust, dem Kraftstoffverbrauch und eventuellen Straßenbenutzungsgebühren für die Umwegfahrt auch die Wartezeiten an den Tankstellen  (6) und ein starkes Verkehrsaufkommen, insbesondere zu bestimmten Tageszeiten, berücksichtigen. Allerdings kann es insbesondere in Ländern an der Peripherie der EU durchaus auch Situationen der Art geben, wie sie die Kommission entworfen hat.

2.8

Allgemein scheint es, dass die Einschätzung der Reduzierung der Tanktourismusfahrten auf das rechte Maß zurückgeführt werden muss: der Zeitfaktor ist bei der Kostenberechnung von wesentlicher Bedeutung. Den Ersparnissen an der Tanksäule stehen höhere Lohnkosten und Lieferverzögerungen gegenüber. Drei bis vier Stunden Verspätung bedeuten oftmals, dass die Ware nicht mehr am geplanten Tag ein- bzw. ausgeladen werden kann, was wiederum mit einer zusätzlichen Übernachtung einhergeht. Während die Tatsache, dass Lastwagen im Transitverkehr auf ihrer im Vorfeld festgelegten Fahrstrecke Tanktourismus betreiben, durchaus relevant ist, wurde den Umwegfahrten aus Gründen der Ersparnis beim Tanken nach Auffassung des EWSA zumindest in Bezug auf den Lastwagenverkehr eine zu große Bedeutung eingeräumt. Eine Untersuchung des gesamten durch Tanktourismus verursachten Verkehrsaufkommens könnte zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen. In diesem Fall sollten allerdings — wie der folgende Abschnitt zeigen wird — andere Überlegungen angestellt werden.

2.8.1

Eine Schlussfolgerung, auf die der EWSA die Entscheidungsträger aufmerksam machen möchte, ist, dass der eventuellen Gesamtreduzierung der Umweltverschmutzung als Folge geringerer Anreize für den Tanktourismus möglicherweise zu große Bedeutung beigemessen wurde.

3.   Bemerkungen zur Zweckmäßigkeit des Vorschlags

3.1

Der EWSA begrüßt den Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung der Verbrauchsteuern, insoweit diese als steuerliche Maßnahme zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen zu betrachten ist; als solche fällt sie unter die Zuständigkeiten und Aufgaben der Kommission und steht im Einklang mit der Lissabon-Strategie. Vorbehalte sind jedoch gegen eine Reihe von damit zusammenhängenden Fragen anzumelden, von denen einige ein reifliches Nachdenken über die Zweckmäßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen geboten erscheinen lassen.

3.2

Die Kommission weist darauf hin, dass die Gasölpreisunterschiede in den EU-Mitgliedstaaten Wettbewerbsverzerrungen auf den Transportgewerbemärkten verursachen, da der Kraftstoff durchschnittlich zwischen 20 und 30 % der Betriebskosten eines Unternehmens ausmacht. Laut einer vom französischen Verkehrsministerium durchgeführten Studie, auf die die Kommission verweist, kann „die Entwicklung zwischen 1997 und 2001 zu zwei Dritteln drei Faktoren zugeschrieben werden […]: Unterschiedliche Gasölbesteuerung, Unterschiede in der Einkommensteuer und eine unterschiedliche Lohnentwicklung zwischen zwei vorgegebenen Ländern. Dabei erschien die unterschiedliche Gasölbesteuerung als wichtigste Determinante, die allein zu etwa 40 % die beobachteten Marktanteilsveränderungen verursacht“ (7).

3.2.1

Ohne die Gültigkeit der vorgelegten Daten und der von der Kommission konsultierten ökonometrischen Studien in Zweifel ziehen zu wollen, ist anzumerken, dass der erhebliche Preisunterschied zwischen den einzelnen Ländern (insbesondere was die zuletzt beigetretenen Länder betrifft) dazu führt, dass sich die relative Höhe der Kraftstoffkosten als Faktor dieser Unterschiede verringert. Durch den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten sind die Unterschiede vielleicht größer geworden, gleichzeitig hat sich aber der relative Wert des Faktors „Kraftstoff“ deutlich verringert. Unter dem Gesichtspunkt der Annäherung der Wettbewerbsbedingungen würde die Wirkung der Richtlinie daher hinter den Erwartungen zurückbleiben. Diese These wird von der Kommission nicht geteilt, die der Meinung ist, dass im Vergleich zwischen alten und neuen Mitgliedstaaten die Kraftstoffkosten zu einem wichtigen Faktor der Wettbewerbsverzerrung geworden sind; der EWSA merkt an, dass — wenn dies der Fall wäre — ernsthaft darüber nachgedacht werden müsste, ob es zweckmäßig wäre, die Kosten für wachsende Volkswirtschaften in die Höhe zu treiben.

3.2.2

Selbst wenn eine Angleichung der Kraftstoffkosten erreicht würde — was nicht der Fall sein wird, da die zusätzlichen Kosten von Land zu Land unterschiedlich sind (siehe Ziffer 2.4) -, umfassen die Verkehrskosten neben den Kraftstoffkosten noch zahlreiche weitere massiv zu Buche schlagende Faktoren, von denen keiner „harmonisierbar“ ist, zumindest nicht in naher Zukunft: Neben den drei in der französischen Studie angeführten Faktoren wären auch noch die Fahrzeugkosten (wo die Differenz bis zu 20 % betragen kann), die Kfz-Steuern, die Versicherungskosten, die Immobilien- und Ausstattungskosten usw. zu nennen. Angesichts all dieser Unterschiede leistet die Harmonisierung der Verbrauchsteuern auf Gasöl nur einen recht bescheidenen Beitrag zur Verringerung der Wettbewerbsverzerrungen.

3.2.3

Der Bericht, der dem Richtlinienvorschlag beigefügt ist, geht nicht auf die Auswirkungen ein, die der Anstieg der Kraftstoffkosten auf öffentliche oder private Personenbeförderungsunternehmen und den Tourismus generell hätte. Die in dem Begleitdokument (SEK(2007) 170/2, S. 24 und 26) zitierten ökonometrischen Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass sich der Anstieg der Kraftstoffkosten nicht auf das gewerbliche Verkehrsaufkommen auswirken würde, aber einen leichten Rückgang im privaten Verkehrsaufkommen (weniger als 1 % über einen Zeitraum von 23 Jahren) mit einer entsprechenden Verringerung der Umweltbelastung zur Folge hätte. Die Kommission hat gründliche ökonometrische Untersuchungen durchgeführt, deren Schätzungen zufolge die Kraftstoffkosten nach und nach um 0,1 % bis 1 % steigen würden und dieser Anstieg von der Inflationsrate absorbiert würde: eine beruhigende These, die allerdings nicht dem Unterschied zwischen realer und gefühlter Inflation Rechnung trägt. Außerdem gibt es einen auf dem Markt wohlbekannten „Multiplikatoreffekt“, durch den selbst minimale Kostenerhöhungen zu überproportionalen Preisanstiegen führen. Die Kraftstoffpreise bilden mit die Basis der Preispyramide. Eine Anhebung der Ölsteuern wird die Preise sämtlicher Waren und Dienstleistungen steigen lassen und zu höheren Inflationsraten in der Gemeinschaft sowie zu einer Abnahme der Mobilität, zum Verlust von Arbeitsplätzen und zu einem Umsatzrückgang führen.

3.2.3.1

Im Hinblick auf die Besteuerung bemerkt die Kommission, dass die Energiesteuern im Allgemeinen (wie die Verbrauchsteuern im besonderen Fall der Kraftstoffe) infolge der Inflation seit der Jahrhundertwende prozentual gesunken sind, sowohl als BIP-Anteil als auch als Anteil an den Gesamtsteuereinnahmen. Die vorgeschlagene Erhöhung der Verbrauchsteuern würde somit lediglich eine Anpassung der Steuereinnahmen zwecks Berücksichtigung der voraussichtlichen Inflationsrate (von 2,2 %) bis 2017 bedeuten. Unter fiskalischen Gesichtspunkten ist sicherlich nichts dagegen einzuwenden, aber für die Beförderungsunternehmen und die Bürger bedeutet dies eine Erhöhung der Kraftstoffkosten zusätzlich zu den allgemeinen Inflationskosten.

3.2.4

Die Erstattungsregelung, die nach Aussage der Kommission nicht als Vorzugsbehandlung für die Beförderungsunternehmen als solche, sondern zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen gedacht ist, wurde bereits von einigen Mitgliedstaaten als Lösung gewählt, ist jedoch — wie bereits erwähnt — sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für die Steuerbehörden mit großem Aufwand verbunden. Neben der bereits zuvor geäußerten Kritik hält es der EWSA für fraglich, ob diese Lösung mit der vom Rat als Wachstumsfaktor genannten Vereinfachung der Verwaltungsverfahren vereinbar ist.

3.2.5

Anlass zu Zweifel gibt außerdem auch die der Erstattungsregelung zugrunde liegende Bestimmung, dass die Steuerbeträge die festgelegten Mindestsätze unterschreiten dürfen (vgl. Ziffer 2.3), sofern der betreffende Mitgliedstaat Straßenbenutzungsgebühren für schwere Lastfahrzeuge einführt oder bereits eingeführt hat — mit anderen Worten Mautgebühren oder „Vignetten“. Beide Lösungen würden für die Steuerbehörden in jedem Fall entgangene Einnahmen bedeuten: Die Maut- und Vignetteneinnahmen fließen in die Kassen der Autobahnbetreiber oder kommen anderen Posten der öffentlichen Haushalte zugute. Der Ausgleichsmechanismus wäre definitiv weder für die Beförderungsunternehmen (die Mautgebühren gleichen die niedrigeren Steuererhöhungen aus) noch für den Fiskus von Vorteil. Noch schlimmer: Von der Einführung von Mautgebühren oder deren Erhöhung wären auch alle anderen Straßenbenutzer betroffen, sofern nicht differenzierte Gebühren oder spezielle Vignetten eingeführt werden, was wiederum entsprechende administrative Komplikationen mit sich bringen würde, die für den Transitverkehr aus anderen Mitgliedstaaten eine noch größere Belastung wären.

3.2.6

Überaus komplizierte Verfahren für die Verwaltung der Steuern öffnen Korruption und Betrug Tür und Tor. Sie verstoßen gegen das Grundprinzip der Marktwirtschaft, da für dasselbe Produkt zwei unterschiedliche Preise gelten.

3.3

Der EWSA möchte eine allgemeine Bemerkung von einiger Wichtigkeit anfügen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen schrittweise eingeführt und binnen sieben Jahren — in einigen Mitgliedstaaten binnen zehn Jahren — abgeschlossen werden. Die internationale Situation lässt weder in Bezug auf die Preise noch die Menge eine Verbesserung bei der Rohölversorgung erwarten. Unter diesen Bedingungen erscheint eine programmierte Erhöhung der Kraftstoffkosten als eine unbesonnene Maßnahme, die sich negativ auf die Verkehrskosten innerhalb der Union auswirken könnte. Sie würde auch keine spürbaren Vorteile unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung der Umweltverschmutzung bringen, da — wie die Kommission selbst ausführt — der Kraftstoffverbrauch nicht sinken dürfte (die Frage der Abweichungen von der üblichen Route wurde bereits im Zusammenhang mit dem „Tanktourismus“ angesprochen).

3.4

Da gerade von Zukunft die Rede ist: Ein Aspekt, der berücksichtigt werden muss, ist die schrittweise Markteinführung von alternativen Kraftstoffen, die generell befürwortet wird, da sie sowohl unter Umweltschutzgesichtspunkten als auch als Beitrag zur Verringerung der Abhängigkeit von der externen Energieversorgung eine gangbare Alternative zu konventionellen Kraftstoffen darstellt. Eine Preiserhöhung bei den konventionellen Kraftstoffen könnte ein Ansporn für die Erforschung und Produktion alternativer Kraftstoffe sein, allerdings unter der Voraussetzung, dass die künftige gemeinsame Steuerpolitik bekannt ist. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keinen einheitlichen Ansatz in den verschiedenen Ländern, obwohl ein genereller Konsens darüber besteht, dass die Produktion derartiger Alternativen gefördert werden muss. Die Kommission und die Regierungen müssten mit anderen Worten — über die allgemein gehaltenen Ermunterungen hinaus — kundtun, ob sie einheitliche steuerliche und nichtsteuerliche Maßnahmen für Biokraftstoffe einzuführen gedenken, und ob diese Biokraftstoffe künftig als sinnvolle „Konkurrenz“ zu herkömmlichen Kraftstoffen zu betrachten sind oder ob sie genau wie andere Kraftstoffe behandelt und folglich auch besteuert werden. Die Kraftfahrzeughersteller und der Markt dürfen darüber nicht im Unklaren gelassen werden.

3.4.1

Ein besonderes Kapitel sind auch die Flüssiggase, die gegenwärtig hauptsächlich für Pkw und im öffentlichen Personenverkehr verwendet werden, jedoch dank technologischer Innovationen künftig auch gewerblich zum Einsatz kommen könnten. Derartige Kraftstoffe werden in einigen Ländern steuerlich begünstigt. Ihr Verbrauch ist im Moment noch gering, aber ebenso wie bei den Biokraftstoffen könnte sich der Markt entwickeln und darf daher auf keinen Fall im Ungewissen gelassen werden. Noch weniger verbreitet ist der elektrische Antrieb: Auch wenn er kaum über bestimmte eng gesteckte Anwendungsmöglichkeiten hinaus Verbreitung finden dürfte, sollte sich die Kommission doch zweckmäßigerweise mit der Frage beschäftigen, welche Steuerpolitik im Hinblick auf alle alternativen Kraftstoffe betrieben werden soll.

3.5

Und schließlich bliebe das Bild ohne die Berücksichtigung der Globalisierung unvollständig: Über die Erwägungen in Bezug auf den internen Wettbewerb hinaus müsste die EU ihrer Wettbewerbsposition im Vergleich mit den hoch industrialisierten Ländern und den Ländern mit sich rasch entwickelnden Volkswirtschaften größere Aufmerksamkeit widmen. Wie bereits erwähnt, liegt der durchschnittliche Kraftstoffpreis an den Tankstellen in der EU weit über dem in den meisten anderen Ländern. Eine Maßnahme — mit sehr ungewisser Wirkung — zur Abschwächung des internen Wettbewerbs, die sich jedoch in einem allgemeinen Kostenanstieg niederschlägt, würde letztendlich eine Abkehr von unserem wichtigsten Ziel bedeuten — nämlich der Verbesserung unserer bereits prekären Wettbewerbsposition.

3.5.1

Die künftige Erhöhung des Steuersatzes für Gasöl wird sowohl positive als auch negative Aspekte und Folgen haben, wobei jedoch in der Gesamtbilanz eindeutig die negativen Auswirkungen überwiegen werden. Die Erhöhung der Steuersätze für Gasöl wird zu Einbußen bei der Wettbewerbsfähigkeit und bei den Arbeitsplätzen führen. Langfristig wird der Vorschlag das Wirtschaftspotenzial der EU einschränken und gefährden und die Verwirklichung des Zusammenhalts — eines der wichtigsten Ziele der EU — aufgrund der abnehmenden Mobilität der Menschen behindern.

4.   Schlussfolgerungen

4.1

Da der Richtlinienvorschlag im Einklang mit der EU-Politik zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen steht, ist an sich nichts gegen ihn einzuwenden. Es muss allerdings bedacht werden, dass diese Lösung keine grundlegende Verbesserung bringt, da aufgrund der Unterschiede bei den anderen Belastungen, auf die die Kommission keinen Einfluss nehmen kann, die Kostenunterschiede für die Beförderungsunternehmen in den verschiedenen Ländern weiterhin groß bleiben werden.

4.2

Besondere Aufmerksamkeit schenkt die Kommission der Bekämpfung der Umweltverschmutzung als einem wichtigen Nebeneffekt der Verringerung des „Tanktourismus“. Nach Auffassung des EWSA wird dieser Effekt bei weitem überschätzt: Während zum einen die Kraftstoffnachfrage unverändert bleibt, spielen die Abweichungen von der üblichen Route mit dem Zweck, in den Genuss niedrigerer Preise zu kommen, schon jetzt keine entscheidende Rolle.

4.2.1

In der Folge wird der „Tanktourismus“ zunehmen und weiter um sich greifen. Er wird sich von einem Binnenproblem der EU (Deutschland, Frankreich und Belgien) zu einem Problem an den Außengrenzen (Österreich, Ungarn, Slowenien, Estland, Litauen, Polen, Rumänien, Bulgarien und Griechenland) entwickeln.

4.3

In Bezug auf die Steuereinnahmen wären die Vorteile nicht unerheblich: Für den Zeitraum 2007-2030 hat die Kommission diese mit 35,6 Mrd. EUR (für die EU-25) beziffert — eine stattliche Summe, die eine Stärkung und Ausweitung der Umverteilungsfunktion der Verwaltung bewirken würde und erklärt, weshalb die Finanzbehörden vieler Mitgliedstaaten den Vorschlag positiv aufnehmen. Aber gerade diese Zahl zeigt, ohne dass weitere Kommentare erforderlich wären, welcher Kostenanstieg im Widerspruch zu der EU-Politik zur Verringerung des Verwaltungsaufwands auf die Unternehmen und die Verbraucher zukommen würde.

4.4

Abschließend ist festzuhalten, dass der Richtlinienvorschlagmit den verschiedenen vom Ausschuss dargelegten Vorbehaltenunter dem Blickwinkel der Steuerharmonisierung, der Wettbewerbsgrundsätze und der Verringerung der Umweltbelastung gerechtfertigt ist. Der EWSA ist jedoch der Auffassung, dass die endgültige Entscheidung der Gesetzgeber erst nach gebührender Prüfung der Nebenaspekte und der Auswirkungen auf die verschiedenen Politikfelder der EU unter Zugrundelegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes getroffen werden sollte, wobei im Einzelnen folgende Punkte sorgfältig berücksichtigt werden sollten:

der generelle Kostenanstieg (insbesondere in den zuletzt beigetretenen Ländern) und die Eindämmung der Inflation;

die industriepolitischen Konsequenzen der Angleichung der Diesel- und Benzinpreise und die eventuelle Verlagerung der Verbrauchernachfrage von Dieselfahrzeugen auf Benzinfahrzeuge oder umgekehrt;

die gemeinsame Steuerpolitik im Hinblick auf alle bereits als Motorkraftstoff genutzten oder potenziell nutzbaren Energieträger;

die Bedingungen in den Randregionen, für die die Kosten der Güterbeförderung — sowohl bei der Einfuhr als auch bei der Ausfuhr — ein nicht zu vernachlässigendes Hemmnis für Wachstum und Beschäftigung darstellen. Für einige dieser Regionen wird ihre Wettbewerbsposition im Vergleich zu den benachbarten Drittländern geprüft werden müssen;

die Auswirkungen des Kostenanstiegs auf die externe Wettbewerbsfähigkeit der EU im Vergleich zu ihren Konkurrenten, insbesondere den Vereinigten Staaten, wo die Kraftstoffkosten und die Unternehmenssteuern deutlich niedriger sind;

die Folgen für die Beschäftigung: während im Moment beklagt wird, dass die Beförderungsunternehmen einiger Länder unter der Konkurrenz der Unternehmen aus anderen Ländern leiden, könnte sich mit der Verabschiedung der Richtlinie — sofern diese, entgegen den Erwartungen des EWSA, die von der Kommission vorhergesehene entscheidende Wirkung haben sollte — künftig der gegenteilige Effekt einstellen;

die Auswirkungen auf die Gesamtproduktivität und die Leistungsfähigkeit des Transportgewerbes, die nach Auffassung des EWSA bestenfalls neutral sein könnten;

die Vereinbarkeit der „nicht diskriminierenden“ Erstattungsregelung mit den politischen Maßnahmen zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Richtlinie des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Energiesteuerrichtlinie).

(2)  Eine präzisere und ausführlichere Definition ist Artikel 7 Absatz 3 der Energiesteuerrichtlinie zu entnehmen.

(3)  „Gewerblich genutztes Gasöl“ ist Gasöl, das für die Güterbeförderung genutzt wird, und zwar insbesondere in Kraftfahrzeugen, die ein zulässiges Gesamtgewicht von nicht weniger als 7,5 Tonnen aufweisen.

(4)  ABl. C 175 vom 27.7.2007 zu den Verbrauchsteuersätzen auf Alkohol.

(5)  Quelle: Eurostat — IEA.

(6)  In Luxemburg gibt es nur vier Autobahntankstellen, jeweils zwei pro Fahrtrichtung.

(7)  Richtlinienvorschlag, „Allgemeiner Hintergrund“, S. 3.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/120


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf bestimmte befristete Bestimmungen über die Mehrwertsteuersätze“

KOM(2007) 381 endg. — SEK(2007) 910

(2008/C 44/26)

Der Rat beschloss am 27. Juli 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 8. Oktober 2007 an. Berichterstatter war Herr BURANI.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 154 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Begründung

1.   Der Inhalt des Richtlinienvorschlags

1.1

Die Kommission hat eine breite Debatte über den Einsatz ermäßigter Steuersätze angestoßen und zum Auftakt eine einschlägige Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament veröffentlicht (1). Damit wollte sie in erster Linie den Boden für eine neue Richtlinie bereiten und ebenso nachhaltige wie dauerhafte allgemeine Lösungen im Bereich der ermäßigten Steuersätze suchen. Unter „ermäßigten Steuersätzen“ sind jene zu verstehen, die unter dem MwSt-Normalsatz (15 %) liegen.

1.2

In der Mitteilung, die am selben Tag wie der Richtlinienvorschlag veröffentlicht wurde, erklärt die Kommission, „einen gangbaren Weg in dieser Frage zu finden, wird viel Zeit in Anspruch nehmen“. Bis dahin stellt sich das Problem der befristeten Ausnahmeregelungen, die den jüngeren Mitgliedstaaten gewährt wurden und zwischen Juni 2007 und dem 1. Januar 2010 auslaufen (Artikel 123-130 der „MwSt-Richtlinie“) (2). Die einfachste Lösung, für die sich die Kommission mit der Veröffentlichung des in dieser Stellungnahme zu erörternden Richtlinienvorschlags entschied, besteht darin, eine Verlängerung bis Ende 2010 vorzuschlagen — wobei es sich um eine selektive Verlängerung handelt, die nur für bestimmte Waren oder Dienstleistungen gilt. So würde das Ende der Geltungsdauer dieser Ausnahmeregelungen zusammenfallen mit dem Auslaufen des MwSt-Normalsatzes von 15 % und der Erprobungsphase des ermäßigten MwSt-Satzes für bestimmte arbeitsintensive Dienstleistungen.

1.3

Die Verlängerung wird für die Lieferung von Waren oder die Erbringung von arbeitsintensiven Dienstleistungen (Wohnungsbau, Gaststättengewerbe, u.a.) und in einigen Ländern für Waren mit besonderer sozialer Bedeutung (Lebensmittel, Bücher und Fachzeitschriften, Pharmaprodukte u.a.) gewährt. Dies wird damit gerechtfertigt, dass der ermäßigte MwSt-Satz auch nach der Festlegung neuer Regelungen höchstwahrscheinlich für alle Länder gültig bleibt. Ausnahmeregelungen, die das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes behindern, werden nicht verlängert (landwirtschaftliche Vorleistungen).

1.4

Von der Verlängerung ausgenommen sind u.a. Produkte wie Kohle und Heizenergie, weil die für sie in den einzelnen Beitrittsakten geltenden Ausnahmereglungen 2007 oder 2008 auslaufen und keine Verlängerungen vorsehen. Andererseits ist die Besteuerung von Energieträgern ein Kapitel für sich und wird derzeit geprüft. Die künftigen Lösungen müssen für alle gelten.

2.   Allgemeine Erwägungsgründe

2.1

Die Richtlinie 2006/112/EG enthält für die vor 2001 beigetretenen Mitgliedstaaten eine Reihe von Ausnahmeregelungen  (3). Diese Ausnahmeregelungen haben eine zeitlich unbeschränkte Gültigkeit, oder besser gesagt gelten bis zum Inkrafttreten der „ endgültigen Mehrwertsteuerregelung für innergemeinschaftliche Umsätze“. Unter den gegebenen Umständen und im Lichte der bisherigen Erfahrungen ist kurz- oder mittelfristig nicht mit einer endgültigen Regelung zu rechnen; das bedeutet, dass die den „alten“ Mitgliedstaaten gewährten Ausnahmeregelungen praktisch unbefristet verlängert werden, während die „Neuen“ durch die in den Beitrittsverhandlungen vereinbarten Fristen benachteiligt würden. Außerdem dürfen einige Mitgliedstaaten ermäßigte Steuersätze für lokal erbrachte Dienstleistungen (4) bis Ende 2010 anwenden, andere hingegen haben diese Möglichkeit nicht: eine untragbare Situation.

2.2

Der Richtlinienvorschlag ist eine Art „Übergangslösung“, die im Wesentlichen eine Gleichstellung der jüngeren Mitgliedstaaten mit den übrigen bis mindestens 31. Dezember 2010 ermöglicht. Die Kommission hofft, dass der Rat bis dahin eine neue Richtlinie annehmen wird, die sämtliche Ausnahmeregelungen neu ordnet, wie es in der Mitteilung gewünscht wird.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der EWSA begrüßt die Arbeit der Kommission, und zwar sowohl den Richtlinienvorschlag, den er vorbehaltlos begrüßt, als auch die Veröffentlichung einer Mitteilung, in der eine Strukturierung der „Ausnahmeregelungen“ angekündigt wird, die mit den Grundsätzen des Binnenmarktes und mit der Lissabon-Strategie im Einklang steht. Der Ausschuss wird sich zu der Mitteilung in einer gesonderten Stellungnahme äußern und so einen konstruktiven Beitrag zur Diskussion leisten.

3.2

Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen darf man wohl befürchten, dass das allgemeine Interesse, nämlich rasch einen Konsens über den Richtlinienvorschlag zu erlangen, der Wahrung besonderer Interessen und Politiken unterworfen werden könnte: der EWSA hofft, dass sich diese Befürchtung als unbegründet erweist. Hinsichtlich der technischen Korrektheit ist der Vorschlag einwandfrei: nur die politischen Aspekte werden bei den späteren Entscheidungen eine Rolle spielen. Der EWSA möchte die Entscheidungsträger darauf aufmerksam machen, dass der Markt und die Bürger transparente, gerechte und zügig beschlossene Gesetze brauchen.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  KOM(2007) 380 endg. vom 5.7.2007.

(2)  Richtlinie des Rats 2006/112/EG vom 28.11.2006.

(3)  Artikel 109 — 122 der MwSt-Richtlinie.

(4)  Siehe Anhang IV zur MwSt-Richtlinie.


16.2.2008   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/121


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Kroatien auf dem Weg zum Beitritt“

(2008/C 44/27)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu erarbeiten: „Kroatien auf dem Weg zum Beitritt“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 3. Oktober 2007 an. Berichterstatterin war Frau SIGMUND.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 439. Plenartagung am 24./25. Oktober 2007 (Sitzung vom 24. Oktober) mit 155 gegen 2 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Am 20. April 2004 gab die Kommission ihre positive Stellungnahme zum Antrag Kroatiens auf Beitritt zur Europäischen Union ab; am 20. Dezember 2004 beschloss der Europäische Rat die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen im März 2005, die dann auf Oktober 2005 verschoben wurden.

1.2

Der gemeinsame Screening-Prozess wurde im Oktober 2006 erfolgreich abgeschlossen, und die bilateralen Beitrittsverhandlungen konnten eröffnet werden. Mittlerweile wurden bereits substantielle Fortschritte bei den politischen und wirtschaftlichen Kriterien sowie bei der Übernahme des Besitzstandes erzielt.

1.3

Der Ausschuss begrüßt den zügigen Verlauf der Verhandlungen und die breit angelegte Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft Kroatiens an diesem Prozess, betont aber, dass der Beitrag aller betroffenen repräsentativen zivilgesellschaftlichen Organisationen, insbesondere eine umfassende Einbeziehung der Sozialpartner bei der Verhandlung aller relevanten Kapitel unerlässlich ist. In diesem Zusammenhang verweist der Ausschuss auf seine Stellungnahme vom 31. März 2004 und die dort in Ziffer 5.5 getroffenen Feststellungen, die unverändert Geltung haben und daher unterstrichen werden (1).

1.4

Die vorliegende Stellungnahme verzichtet darauf, bestehendes statistisches Material einer neuerlichen Bewertung zu unterziehen, sondern befasst sich vorrangig mit der Situation der organisierten Zivilgesellschaft in Kroatien durch Analyse von deren Grundlagen, Möglichkeiten und Herausforderungen.

2.   Allgemeine Bemerkungen zur Rolle der Zivilgesellschaft

2.1

Die Geschichte der Entstehung der organisierten Zivilgesellschaft in den so genannten „alten“ Mitgliedstaaten unterscheidet sich sehr wesentlich von der Bildung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten in den so genannten „neuen“ Mitgliedstaaten, deren Situation zeitversetzt auch für Kroatien gilt: Während im ersteren Fall zivilgesellschaftliche Initiativen auf Grund von Bedarf bzw. Bedürfnissen oder zur Durchsetzung bestimmter Interessen nach dem „Bottom-up“-Prinzip im Staat entstanden, gab es zivilgesellschaftliches Engagement im zweiten Fall zwar für eine Idee, ein Anliegen, aber meist in erster Linie gegen den übermächtigen Staat (dies gilt allerdings nicht für die Sozialpartner, da bei diesen stets die Interessenvertretung im Vordergrund stand). In dieser Genesis liegt auch die Ursache dafür, dass in all diesen Staaten mehr oder weniger großer Nachholbedarf in jenen Bereichen bestand, wo es um die wesentlichen Elemente zivilgesellschaftlichen Handelns ging wie Vertrauen, Solidarität, Transparenz oder Autonomie.

2.2

Der Ausschuss hat sich 1999 erstmals mit der Frage der Beschreibung der organisierten Zivilgesellschaft befasst und wesentliche Definitionsmerkmale formuliert (2). Wesentlich im Zusammenhang mit der Analyse der Situation und Rolle der Zivilgesellschaft in Kroatien ist seine Feststellung, dass die Sozialpartner in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter — auch aus historischen Gründen — der „harte Kern“ der zivilgesellschaftlichen Akteure sind. Gemeinsames Kennzeichen aller Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft ist neben der Interessenvertretung die Gemeinwohlverpflichtung, was sie klar von den ebenfalls Interessen vertretenden Lobbyisten unterscheidet. Diese komplexe und offene Definition der organisierten Zivilgesellschaft erscheint dem Ausschuss gerade im Hinblick auf die Situation in Kroatien von großer Bedeutung, da er feststellen konnte, dass in Kroatien fallweise „Nichtregierungsorganisationen“ mit „Zivilgesellschaft“ als Begriff gleichgestellt werden. Der Ausschuss warnt ausdrücklich an einem Festhalten dieser aus seiner Sicht unvollständigen Definition, da sie von vornherein die Sozialpartner per definitionem von der Teilnahme an jeder Form zivilgesellschaftlicher Aktivität ausschließen würde.

2.3

Der Tätigkeitsbereich der Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft umfasst neben der Interessenvertretung die Teilnahme am öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozess in grundsätzlich jeder Form. Neben zahlreichen pragmatischen Formen der Teilhabe sind aber der soziale Dialog und der zivile Dialog die wesentlichsten Ausdruckformen partizipativer Demokratie. Während der soziale Dialog schon wegen der im seinem Rahmen behandelten Themen strikt auf die Sozialpartner beschränkt und nicht erweiterbar ist, können am zivilen Dialog alle Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft teilnehmen, sofern sie die notwendigen Repräsentativitätskriterien erfüllen. Während der soziale Dialog klar beschreibbar ist, fehlt eine entsprechende Definition des zivilen Dialogs noch. Dem Wesen des zivilen Dialogs am nächsten kommt eine Beschreibung nach Jürgen HABERMAS, wonach der zivile Dialog als Element partizipativer Demokratie ein interaktiver Diskurs ist, in den durchaus normative Inhalte einfließen können. In Analogie zum sozialen Dialog kann der zivile Dialog sowohl vertikal, also zwischen Staat und organisierter Zivilgesellschaft stattfinden, als auch horizontal zwischen den Akteuren der organisierten Zivilgesellschaft untereinander. Der Ausschuss unterstreicht die Bedeutung der begrifflichen Trennung von sozialem und zivilem Dialog; der zivile Dialog ergänzt den sozialen Dialog, aber er ersetzt ihn nicht.

Auf europäischer Ebene ist der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss der institutionelle Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft der Mitgliedstaaten; er ist damit ein „Haus für den zivilen Dialog“, nicht aber die Stätte des sozialen Dialogs.

2.4.

Der Frage der Repräsentativität der zivilgesellschaftlichen Akteure kommt nach Ansicht des Ausschusses besondere Bedeutung zu, da sie in Zusammenhang mit der demokratischen Legitimation der Akteure steht. Es genügt demnach nicht, eine ausreichende Menge der Betroffenen oder Interessierten zu vertreten, also quantitativ repräsentativ zu sein, eine zivilgesellschaftliche Organisation muss darüber hinaus bzw. sogar in erster Linie qualitativ repräsentativ sein, d.h. durch Fachwissen, Erfahrung und bestimmte Fähigkeiten imstande sein, konstruktiv am Geschehen teilzuhaben. Unter den weiteren qualitativen Anerkennungskriterien einer zivilgesellschaftlichen Organisation sind gerade in jungen Demokratien Elemente wie Transparenz, demokratische Entscheidungsstrukturen, Nachhaltigkeit, wirtschaftliche Unabhängigkeit und Autonomie von besonderer Bedeutung. Sowohl zur Frage der Zusammensetzung der organisierten Zivilgesellschaft als auch zur Frage der Repräsentativität ihrer Vertreter hat sich der Ausschuss in mehreren Stellungnahmen geäußert und neben einer Aufstellung der zivilgesellschaftlichen Akteure auch eine beispielhafte Liste von Repräsentativitätskriterien erstellt (3).

3.   Situationsbericht

3.1   Die sozioökonomische Situation in Kroatien

3.1.1

Die ökonomische Situation in Kroatien ist stabil, aber regional ganz unterschiedlich. Das stete Wirtschaftswachstum von rund 4,8 %, das in den letzten Jahren (2002-2006) zu verzeichnen war, wird sich Prognosen zufolge in ähnlichem Maße auch in den kommenden beiden Jahren fortsetzen, allerdings darf die bleibend hohe Disparität in der regionalen Wirtschaftsentwicklung nicht unerwähnt bleiben. Die durchschnittliche Verbraucherpreisinflationsrate betrug 2006 3,2 %, was einen durchschnittlichen Anstieg um 0,8 % seit 2002 darstellt, doch konnte insgesamt die Preisstabilität gewährleistet werden. Es sind jedoch auch negative Entwicklungen in Bezug auf das Handelsbilanzdefizit und die Auslandsverschuldung sowie eine zunehmende Verschuldung des Staatshaushaltes zu verzeichnen. Im Zuge der Bekämpfung der Verschuldung wächst die Erkenntnis in Kroatien, dass eine verstärkte Investitionstätigkeit und öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) wünschenswert sind.

Der Ausschuss weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass entsprechende Maßnahmen der öffentlichen Hand nicht nur für den Beitritt zur Union notwendig sind, sondern auch längerfristig als Signal zur Bereitschaft der Erfüllung der Konvergenzkriterien für den Beitritt zur dritten Stufe der Europäischen Währungsunion gesehen werden können.

3.1.2

Hinsichtlich der sozialen Lage besteht trotz anerkennenswerter Fortschritte in den letzten Jahren noch Handlungsbedarf, wie bei der Beseitigung von Problemen auf dem Arbeitsmarkt:

die Langzeitarbeitslosigkeit liegt weit über dem Durchschnitt der EU, und die Beschäftigungsquote ist insgesamt relativ niedrig. Dies erzeugt ein ungünstiges zahlenmäßiges Verhältnis zwischen Beschäftigten und Empfängern bestimmter Lohnersatzleistungen;

die bereinigte Arbeitslosenrate (laut Arbeitskräfteerhebung) geht beständig zurück. Im ersten Quartal diesen Jahres betrug sie 11,2 %, gegenüber 11,8 % im 1. Halbjahr 2006;

die Rate der Jugendbeschäftigung ist sehr niedrig;

der abnehmenden formellen Arbeitslosigkeit steht eine hohe Rate informeller Beschäftigung gegenüber;

die Gefahr der Prekarisierung, d.h. die Zunahme schlecht bezahlter und unsicherer Arbeitsplätze bei der Schaffung neuer Beschäftigung ist möglich bzw. absehbar;

Weiters besteht Handlungsbedarf bei nach wie vor relativ niedrigen durchschnittlichen Haushaltseinkommen.

3.1.3

Ein Bericht der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin (4) zeichnet ein Bild der sozialen Situation in Kroatien und enthält u.a. folgende Empfehlungen: „Für ein stetiges Wachstum und die Schaffung qualitativ hochwertiger Arbeitsplätze ist eine regional ausgewogene Entwicklung nötig. Der beschäftigungspolitische Schwerpunkt muss von Einkommensbeihilfen auf Schulungsmaßnahmen verlagert werden, damit Arbeitslose stärker für eine Beschäftigung befähigt und motiviert werden. Für Familien, die sich den freien Wohnungsmarkt nicht leisten können, muss erschwinglicher Wohnraum bereitgestellt werden. Nötig sind Anreize, um Kindern und Jugendlichen den Schulbesuch zu ermöglichen, und erschwingliche Kinderbetreuungsmöglichkeiten, um die Präsenz von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu fördern und Eltern zu helfen, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Die allgemeine politische Botschaft muss lauten, dass die Verbesserung der Lebensbedingungen und die soziale Integration eine vorrangige Aufgabe für alle Bereiche der Politikgestaltung und –umsetzung ist, um so ein vielschichtiges und umfassendes Gesamtkonzept sicherzustellen, durch das Armut, Ungleichheit und soziale Ausgrenzung verhindert und vermindert werden.“

3.1.4

Es wurden zahlreiche Initiativen zur Förderung des Wachstums von KMU auf den Weg gebracht — einerseits von der kroatischen Regierung, andererseits aber auch dank der Aktivitäten nationaler und internationaler Geldgeber und der Zivilgesellschaft.

Der Ausschuss hält es für wichtig, ein günstiges Umfeld für Unternehmen zu schaffen — insbesondere für KMU, die vor allem in benachteiligten Regionen Arbeitsplätze schaffen und das Wachstum ankurbeln. In diesem Zusammenhang begrüßt der Ausschuss die zunehmende Initiative des im Rahmen des kroatischen Arbeitgeberverbands (HUP) tätigen Verbands der KMU.

3.1.5

Die Landwirtschaft stellt nach Ansicht des Ausschusses einen Schlüsselbereich im Rahmen der Beitrittsverhandlungen dar. Träger der landwirtschaftlichen Produktion sind kleinbäuerliche Familienbetriebe mit einer Durchschnittsgröße von 2,4 ha, die ca. 80 % der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke und des Viehbestandes besitzen. Viele landwirtschaftlich nutzbare Gebiete sind wegen noch nicht beseitigter Kriegsschäden (z. B. Verminung) nicht verwendbar; auch ungeklärte Besitzverhältnisse stellen in manchen Fällen ein Problem dar. Die kroatische Landwirtschaft ist derzeit wenig wettbewerbsfähig und befindet sich im Umbruch. Der Bedarf nach einer allumfassenden Reform der kroatischen Agrarpolitik — auch im Zusammenhang mit dem angestrebten Beitritt zur EU —, liegt auf der Hand. Das Landwirtschaftsministerium hat dementsprechend bereits strategische Entwicklungsprojekte gestartet, die auf eine Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Produktion abzielen. Fortschritte konnten auch bei der Implementierung von Programmen über ländliche Entwicklung, Qualitätspolitik und ökologische Landwirtschaft erzielt werden. Handlungsbedarf besteht weiterhin bei einer umfassenden Strategie zur Lebensmittelsicherheit.

Dringend erforderlich ist weiters die Schaffung von geeigneten Strukturen, um die gemeinsame Agrarpolitik umzusetzen, ebenso wie die Einrichtung einer politisch unabhängigen Interessenvertretung, die nicht nur aus politischen Gründen (Garantie der Ausübung von Mitspracherechten), sondern auch aus praktischen Erwägungen (Hilfe in der Administration der gemeinschaftlichen Geldmittel im Rahmen der Heranführungsstrategie in der Beitrittsphase und Mitarbeit an deren Verwaltung und Verteilung nach dem Beitritt) notwendig sind.

3.1.6

Die Alterung der Bevölkerung als kennzeichnender Prozess für alle europäischen Staaten ist eine Herausforderung für die Gestaltung der Sozialpolitik. Der demografische Wandel stellt auch für Kroatien ein Problem dar, auch wenn die durchschnittliche Lebenserwartungsrate in Kroatien — in erster Linie im Vergleich mit den so genannten „alten“ Mitgliedstaaten — niedriger ist als in vielen anderen europäischen Staaten. Das kroatische Sozialversicherungssystem ist nicht darauf ausgerichtet, auf die zunehmende Alterung der Bevölkerung reagieren zu können. Internationale Finanzinstitutionen haben einen starken Einfluss auf Reformen des Sozialversicherungssystems ausgeübt.

Im Übrigen ist die Vertretung der Interessen älterer Bevölkerungsschichten auch im politischen Bereich ein relativ neues Phänomen in der Republik Kroatien.

3.1.7

Die Migrationsrate Kroatiens ist relativ niedrig, wobei die Einwanderungsrate ca. dreimal so hoch ist wie die Auswanderungsrate. Jedoch nehmen sowohl die Ein- als auch die Auswanderung ab und bilden keinen wesentlichen statistischen Faktor.

3.2   Die politische Situation in Kroatien

3.2.1

Die bevorstehenden Parlamentswahlen (im November 2007) haben nach Ansicht des Ausschusses keinen Einfluss auf die politisch stabile Lage in Kroatien. Die Ergebnisse von Meinungsumfragen über den möglichen Ausgang der Wahlen fallen zwar sehr unterschiedlich aus, doch sind die wichtigsten Parteien pro-europäisch eingestellt, weshalb eine Abweichung von der pro-europäischen Ausrichtung der kroatischen Politik unwahrscheinlich ist. Alle Parteien verfolgen das gleiche Ziel, und zwar den EU-Beitritt Kroatiens 2009.

3.2.2

Derzeit werden im öffentlichen Sektor mehrere Reformen durchgeführt: eine Reform des öffentlichen Dienstes mit dem Ziel, eine effizientere und qualitativ hochwertigere öffentliche Verwaltung zu schaffen, sowie eine Reform des Justizwesens, um die Altlasten an liegen gebliebenen Fällen aufzuarbeiten und die Anwendung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit zu fördern.

3.2.3

Im Einklang mit internen und externen Bewertungen nimmt die Korruptionsbekämpfung für den EU-Beitritt Kroatiens einen prominenten Platz auf der Agenda ein. Der zivile Sektor wird zunehmend in behördliche Strafverfahren eingebunden, womit die Forderungen nach Transparenz und Rechtmäßigkeit in Bezug auf die Parteienfinanzierung und öffentliche Ausschreibungen sowie nach dem Zugang zu Informationen und der Vermeidung von Interessenkonflikten erfüllt werden. Diese Bemühungen werden jedoch durch das fehlende Vertrauen in die Institutionen untergraben; mittelfristig wird eine breit angelegte öffentliche Informationskampagne aber sicherlich Fortschritte bringen.

Hier spielt die organisierte Zivilgesellschaft weiter eine wichtige Rolle und trägt zur Korruptionsbekämpfung bei. In diesem Zusammenhang haben sich bei einem regionalen Partnerschaftsprojekt zur „Entwicklung von lokalen zivilen Initiativen durch Aufbau von Kapazitäten auf mehreren Ebenen“ zehn Vereinigungen aus acht kroatischen Städten zu dem multidisziplinären Netzwerk „BURA“ zusammengeschlossen.

3.2.4

Im Bereich des Minderheitenschutzes sind noch weitere Anstrengungen erforderlich, u.a. die Förderung und der Schutz von Minderheitenrechten; sie sollten zur Eingliederung von Minderheiten im Alltag führen. In diesem Zusammenhang begrüßt der Ausschuss, dass der Beschäftigungsplan 2007 der kroatischen Regierung explizit auf das Recht der nationalen Minderheiten auf Gleichbehandlung in der Beschäftigung im öffentlichen Dienst eingeht und es implementiert. In diesem Zusammenhang ist auf die nationalen Minderheitenräte hinzuweisen, die 2007 gewählt wurden. Bei der Eingliederung der Roma-Minderheit in das Schulwesen ist ein Erfolgsmuster erkennbar. Neben dem Schutz der Minderheitenrechte bedarf es jedoch nach wie vor auch einer besonderen Sensibilisierung für den Abschluss der Rückführung und Eingliederung von Flüchtlingen und Binnenflüchtlingen respektive für die Wiederansiedlung von Rückflüchtlingen, um einen Wiederaufbau nicht nur der Infrastruktur, sondern auch der Gesellschaft zu gewährleisten. Im Ganzen ist aber festzustellen, dass im Prinzip gute Schritte in die richtige Richtung getan werden.

3.3   Die organisierte Zivilgesellschaft in Kroatien

3.3.1

Der Rechtsrahmen für die Zivilgesellschaft in Kroatien beruht in erster Linie auf folgenden Grundlagen:

Das Vereinigungsgesetz bietet den übergeordneten Rahmen für Vereinigungen im zivilen Sektor und stellt eine relativ gute rechtliche Grundlage für den Großteil der Akteure der Zivilgesellschaft dar (5);

das Arbeitsgesetz regelt die Einrichtung und die Arbeitsweise (einschl. des Rahmens von Tarifvertragsverhandlungen) von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und ihren jeweiligen Dachverbänden;

das Gesetz über die Freiwilligentätigkeit regelt den Begriff, die Grundsätze, Bedingungen und die Praxis der Freiwilligentätigkeit als Möglichkeit für freiwilliges Engagement auch im Rahmen zivilgesellschaftlicher Organisationen als Organisatoren solcher Tätigkeit;

das Gesetz über Schenkungen und Stiftungen (6) stellt eine wichtige Grundlage insbesondere für die Finanzierung des zivilen Sektors dar;

zu den weiteren Grundlagen zählen das Gesetz über die Institutionen, über den Sozialschutz sowie eine Reihe von Gesetzen und Bestimmungen in den Bereichen Finanzierung, Besteuerung und humanitäre Arbeit, die auch den zivilen Sektor berühren. In diesem Bereich spielen die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter — neben ihrer Rolle als Sozialpartner — auch eine wichtige Rolle.

3.3.2

Eine Evolution in der Entwicklung der kroatischen Zivilgesellschaft ist auch anhand der Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen erkennbar: Im Mittelpunkt der bislang auf den Schutz und die Förderung der Menschenrechte und humanitäre Tätigkeiten ausgerichteten Arbeit des zivilen Sektors stehen nunmehr immer stärker die Gestaltung der Sozialpolitik und die sozialen Rechte.

Auch Umweltorganisationen haben formale und informelle Netze zu spezifischen Aktionen gebildet und so ihre Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln unter Beweis gestellt.

Die Tendenz zu stärkerer Vernetzung und Bildung von organisierten Gruppen ist auch bei den Jugendorganisationen, Behindertenverbänden und Frauenorganisationen zu beobachten.

Die kroatischen Verbraucherschutzorganisationen bemühen sich zwar um eine Durchsetzung der Verbraucherrechte, doch reichen die finanziellen und personellen Mittel nicht aus, um Verbraucherschutz, Verbraucherinformation und verbraucherpolitische Lobbyarbeit beständig auszuüben.

3.3.3

Im Rahmen zivilgesellschaftlicher Aktivitäten in Kroatien verdient der soziale Dialog der Sozialpartner auf verschiedenen Ebenen besondere Beachtung.

Der institutionelle Rahmen für einen tripartiten sozialen Dialog (Arbeitgeber und Gewerkschaften als Partner der Regierung) ist im Rahmen des kroatischen Wirtschafts- und Sozialrates formell gut entwickelt. Er hat jedoch bisher kaum konkrete Ergebnisse gebracht. Eine der Ursachen liegt in der noch nicht endgültig gelösten Problematik der Zersplitterung der Interessenverbände, nicht nur auf Arbeitnehmerseite. Eine weitere Bündelung der Interessen auf der Ebene der verschiedenen Organisationen wäre aus Sicht des Ausschusses — auch was die Repräsentativität einzelner Verbände betrifft — wünschenswert. Eine weitere Ursache ist im konkreten Arbeitsablauf zu suchen: so sind z.B. die Fristen zur Abgabe von Stellungnahmen der Sozialpartner meist zu kurz (in vielen Fällen nur 3-4 Tage), und auch Rückmeldungen, warum bestimmte Vorschläge nicht berücksichtigt wurden, erfolgen nicht.

Ein autonomer bipartiter sozialer Dialog wird zwar auf Ebene der Unternehmen bereits geführt. Auf dieser Ebene wirkt er sich am stärksten auf die Beziehungen sowohl zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern als auch zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern aus, und zwar in Form zahlreicher abgeschlossener Tarifverträge und auch über die Betriebsräte. Der autonome bipartite soziale Dialog hat aber noch großes Entwicklungspotenzial, wenn man z.B. an die Lösung des Problems der Gewerkschaftsvertretung bei einem einzigen Arbeitgeber und die Einrichtung der Arbeitnehmervertretung in den Tarifverhandlungen denkt. Daneben sind die Interessensvertretung und gewerkschaftliche Organisierung in den KMU relativ gering ausgeprägt.

Auf sektorieller Ebene fehlt sozialer Dialog zumeist. Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass die Vertretung weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber vollständig geklärt ist und dass es Probleme bei der Abgrenzung der Sektoren und Branchen als Tarifverhandlungseinheiten gibt. Aufgrund der Bedeutung von Branchentarifverhandlungen für die Beeinflussung der Gesamtwirtschaftslage sollte der soziale Dialog auf dieser Ebene im Mittelpunkt stehen.

Da der soziale Dialog immer noch von der Regierung im Rahmen eines tripartiten sozialen Dialogs geführt wird, liegt der Schwerpunkt auf dreiseitigen Konsultationen. Ohne Entwicklung eigenständiger bipartiter Beziehungen auf nationaler und sektorieller Ebene und ohne die Förderung von Tarifverhandlungen in den einzelnen Branchen wird es jedoch schwer sein, ein strukturiertes und ausgewogenes Beziehungsgeflecht zwischen den Sozialpartnern zu entwickeln. In diesem Zusammenhang sollten auch die Statistiken über den Umfang der Tarifbindung und die Mitgliederzahlen öffentlich zugänglich gemacht werden.

3.3.4

Wie in vielen europäischen Ländern fehlt auch in Kroatien noch das Verständnis für die verschiedenen Formen des zivilen Dialogs. Obwohl die kroatische Regierung bereits sinnvolle und funktionierende Rahmenbedingungen für diesen zivilen Dialog geschaffen hat, besteht dieser derzeit erst in Ansätzen. Bislang ist es nur selten vorgekommen, dass bei einer spezifischen Problematik durch eine breit gestreute Interessenvertretung auch wirklich ein umfassenderer Konsens im zivilen Sektor erzielt werden konnte. Das Engagement für den Entwurf für ein Gesetz über die Unterrichtung der Öffentlichkeit sowie in Umweltfragen in Bezug auf das Družba-Adria Pipeline-Projekt und den Bau eines Terminals für Flüssigerdgas (LNG) an der adriatischen Küste geben jedoch Anlass zu Optimismus.

3.3.5.

Der Ausschuss betont in diesem Zusammenhang, dass ein strukturierter ziviler Dialog in Ergänzung zum sozialen Dialog ein unverzichtbares Element partizipativer Demokratie ist. Er darf sich allerdings nicht nur auf die Möglichkeit der Konsultation beschränken, sondern muss vor allem — gemäß dem einem zivilgesellschaftlichen Handeln inhärenten Bottom-up-Prinzip — das Recht auf Partizipation garantieren.

3.3.6.

In jedem Fall ist der in Kroatien bereits bestehende institutionelle Rahmen zur Schaffung eines modernen Modells partizipativer Demokratie viel versprechend:

3.3.6.1.

Die Behörde für die Zusammenarbeit mit NGO der kroatischen Regierung ( „Ured Vlade Republike Hrvatske za udruge“ ) war 1998 die erste öffentliche Einrichtung, die die Aufgabe hatte, eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft aufzubauen. Mittlerweile verwaltet diese Behörde auch die nicht unerheblichen Förderungsmittel für die kroatische Zivilgesellschaft (85,94 Mio. HRK), schlägt gesetzliche Lösungen für den Sektor vor und koordiniert die Aktivitäten der nationalen, regionalen und lokalen Akteure. 2006 gewährte sie den zivilgesellschaftlichen Organisationen in Kroatien finanzielle Unterstützung in Gesamthöhe von 321.626.823,06 HRK (ca. 44,1 Mio. EUR).

Die Behörde ist auch für die Überwachung und Umsetzung der im Juli 2006 angenommenen nationalen Strategie für die Schaffung eines Förderumfelds für die Entwicklung der Zivilgesellschaft zuständig.

In der Strategie werden die Lage der Zivilgesellschaft und die Ziele in zehn Bereichen dargelegt:

werteorientierte Beziehungen zwischen dem Staat und dem zivilen Sektor;

sozialer Zusammenhalt und Integration;

Einbindung der Bürger in die Politikgestaltung;

Bewusstseinsbildung für demokratische Bürgerschaft und Menschenrechte;

Rechtsrahmen für die Arbeit und die Entwicklung der Zivilgesellschaft;

institutioneller Rahmen für die Förderung der Entwicklung der Zivilgesellschaft;

Finanzierungssystem für die Unterstützung der Entwicklung der Zivilgesellschaft;

Regionalentwicklung;

Entwicklung von freiwilligen und wohltätigen Aktivitäten, Einrichtung von Stiftungen;

Entwicklung der Zivilgesellschaft im internationalen Zusammenhang.

Der von der Regierung am 1. Februar 2007 angenommene Aktionsplan („Operativni Plan“) sieht präzise Maßnahmen für den Zeitraum 2007 bis 2011 vor und listet auch die verantwortlichen Institutionen auf.

3.3.6.2.

Der Rat für die Entwicklung der Zivilgesellschaft ( „Savjet za razvoj civilnog društva“ ) wurde 2002 gebildet und ist ein sektorenübergreifendes Beratungsgremium für die kroatische Regierung; seine Aufgabe ist die Ausarbeitung von Strategien zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und zum Monitoring der Durchführung der Kooperationsprogramme der Regierung mit dem Sektor. Der Rat ist paritätisch mit 10 Vertretern der zuständigen Regierungsstellen und 10 Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft, sowie 3 Experten besetzt. Die zweite Amtszeit dieses Rates endete offiziell im Juli 2006, wurde jedoch von der Regierung bis 1. Februar 2007 verlängert. In der konstituierenden Sitzung des neuen Rates am 16. Februar 2007 wurde ein neuer Vorsitzender ernannt. Bis zur ersten Julihälfte 2007 fanden bereits fünf Sitzungen statt.

3.3.6.3.

Die Nationale Stiftung für die Entwicklung der Zivilgesellschaft ( „Nacionalna zaklada za razvoj civilnoga društva“ ) wurde 2003 durch das kroatische Parlament eingerichtet und agiert außerhalb der nationalen und lokalen Verwaltungsstrukturen. Hauptaufgabe dieser Stiftung ist die Bereitstellung von finanziellen Mitteln und Know-how für Programme zur Förderung der Nachhaltigkeit von gemeinnützigen Organisationen, der sektorübergreifenden Zusammenarbeit, von Bürgerinitiativen, von freiwilligen Aktivitäten usw. Die Stiftung wird aus dem Staatshaushalt, über Einnahmen aus staatlichen Glücksspielen und über ausländische Zuschüsse (z.B. durch die Europäische Kommission) finanziert. In die Leitung dieser innovativen Struktur teilen sich gleichberechtigt behördliche Vertreter, Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft sowie Sachverständige.

4.   Analyse

4.1

Der Ausschuss anerkennt und würdigt die Bemühungen Kroatiens, die Beitrittsverhandlungen zügig fortzusetzen und sieht auch gute Voraussetzungen dafür, dass dieser Rhythmus durch die Wählerkampagnen vor der Wahl im Herbst 2007 nicht unterbrochen wird.

Der Ausschuss weist aber darauf hin, dass die vorzunehmenden Maßnahmen im Gesetzgebungsbereich, aber auch in der Verwaltungsreform, möglichst einfach, übersichtlich und vor allem nachhaltig sein müssen. Die Initiative der kroatischen Regierung, das „one-stop-shop“-System zur Registrierung von Gesellschaften in Kroatien einzuführen, ist nach Ansicht des Ausschusses ein sehr wesentlicher Schritt in diese Richtung. In diesem Zusammenhang begrüßt der Ausschuss auch nachdrücklich die Umsetzung des „Hitrorez“-Projekts, das auf die Verringerung der Zahl unwirksamer und überholter Gesetze und Rechtsvorschriften abzielt und in dessen Rahmen bereits 420 für Unternehmen relevante Vorschriften zur Aufhebung vorgeschlagen wurden. Es wird allerdings darauf zu achten sein, dass diese legislativen Maßnahmen nicht zu einem Abbau berechtigter Schutzrechte der Arbeitnehmer führen und in jedem Fall das bereits erreichte Niveau der Gewährleistung von sozialen und kollektiven Menschenrechten erhalten bleibt. Im Übrigen ist der Ausschuss ist der Ansicht, dass klarere und einfachere Vorschriften auch ein zusätzliches Mittel zur Korruptionsbekämpfung sein können und Kroatien mit diesem Maßnahmenpaket als Vorbild für die Region angesehen werden kann.

Auch im Rahmen des Verfahrensrechts wird es notwendig sein, noch eine Vereinfachung vorzunehmen. Allerdings dürfen neue legislative Maßnahmen nicht von nicht angepassten Gesetzen derogiert werden, da dadurch gerade in der ersten sensiblen Phase der Mitgliedschaft negative Effekte wie z.B. unerwünschte Rechtsunsicherheit erzielt würden.

Die lange Dauer der Gerichtsverfahren stellt nach Ansicht des Ausschusses ein noch zu lösendes Problem dar; oft werden gerade sozial schwächere Prozessparteien durch manchmal über Jahre gehende Verfahren benachteiligt oder aber abgeschreckt, entsprechende Verfahren einzuleiten. Ein Lösungsansatz im Bereich von Verfahren im Beschäftigungsbereich wäre im Interesse kürzerer und vereinfachter Verfahren die Schaffung von Arbeits- und Schiedsgerichten.

Auch im Bereich des Grunderwerbs erscheinen noch Maßnahmen in Richtung von mehr Transparenz notwendig, um ausländischen Investoren die notwendige Planungssicherheit zu geben. Ein wichtiger Schritt zur Erreichung dieses Ziels ist der von der kroatischen Regierung eingeleitete Prozess zur Digitalisierung und Online-Verfügbarmachung der kroatischen Grundbücher.

4.2

In diesem Zusammenhang anerkennt der Ausschuss die besonders schwierige Lage Kroatiens, da das Land gleichzeitig mit der Vorbereitung auf den Beitritt auch noch mit der Aufarbeitung der Folgen des Heimatkrieges („Domovinski rat“) befasst ist.

4.3

Die formelle Erfüllung der Beitrittskriterien darf nach Ansicht des Ausschusses nicht alleiniges Ziel der Beitrittsverhandlungen sein. Die aktive Rolle und der Beitrag der qualitativ und quantitativ repräsentativen Akteure der organisierten Zivilgesellschaft wird gerade in der letzten Phase der Zeit vor dem Beitritt in vielen Bereichen wesentlich für die Einstellung der Bürger Kroatiens zum Beitritt sein und nach dem Beitritt werden diese Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft sowohl im Rahmen des bereits bestehenden sozialen Dialogs als auch als Akteure im zivilen Dialog wesentlich dazu beitragen, dass die Normen des übernommenen gemeinschaftsrechtlichen Besitzstandes (Acquis communautaire) tatsächlich in allen Bereichen umgesetzt bzw. angewendet werden. Nicht unerwähnt darf auch bleiben, dass starke und nachhaltig effiziente zivilgesellschaftliche Organisationen gerade in der ersten Zeit nach dem Beitritt Kroatiens zur EU wichtige Funktionen im Rahmen der Implementierung des Acquis communautaire, aber auch des Monitorings haben werden. Eine ebenso bedeutende Rolle wird ihnen im administrativen Bereich, z.B. bei der Handhabung der gemeinschaftlichen Fördermittel zukommen. In manchen Bereichen (z.B. KMU und Freie Berufe, Landwirtschaft) fehlen solche diesen Ansprüchen genügende horizontal angelegte und auf Dauer eingerichtete Strukturen noch. Die Stärkung der allen Repräsentativitätskriterien entsprechenden zivilgesellschaftlichen Akteure ist demnach nicht ausschließlich ein im Rahmen der Beitrittsverhandlungen zu verfolgendes Ziel, sondern eine Maßnahme, die ihre positiven Auswirkungen insbesondere auch nach dem Beitritt Kroatiens zur EU haben wird.

5.   Schlussbemerkungen

5.1

Die kroatische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2009 die notwendigen Voraussetzungen für einen Beitritt zu EU zu schaffen. Der Ausschuss ist entschlossen, Kroatien bei diesen Bemühungen im Rahmen seiner Kompetenzen nachdrücklich zu unterstützen.

Der Ausschuss hat in den beiden letzten Beitrittsphasen wichtige Erfahrungen gesammelt, die er nun nach Maßgabe konkreter Möglichkeiten im Rahmen des laufenden Erweiterungsverfahrens mit Kroatien im beiderseitigen Interesse und zum gegenseitigen Nutzen einsetzen möchte.

5.2

Nach Ansicht des Ausschusses sollte diese Zusammenarbeit möglichst pragmatisch, problembezogen und unbürokratisch erfolgen. Sie muss von der gemeinsamen Überzeugung getragen sein, dass die organisierte Zivilgesellschaft nicht nur ein wichtiger beratender Partner im Meinungs- und Willensbildungsprozess des Beitrittsverfahrens ist, sondern darüber hinaus eine wesentliche und vor allem nachhaltige Rolle nach dem Beitritt spielen wird. Effiziente Organisationen der Zivilgesellschaft, die die wesentlichen qualitativen und quantitativen Repräsentationskriterien erfüllen, sind unerlässlich, wenn es darum geht, das partizipative Element einer modernen Demokratie mit Leben zu erfüllen. Sie werden für Kroatien als neuer Mitgliedstaat der EU auch bei der Umsetzung und praktischen Anwendung der angepassten Gesetzgebung unverzichtbar sein. Bei der Bewältigung dieser aktuellen und künftigen Aufgaben bietet der Ausschuss seine Hilfe und seine Zusammenarbeit an, die in etwa in folgender Form stattfinden könnte:

sektorielle Treffen mit Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft Kroatiens zum Zweck des Informations-, Meinungs- und Erfahrungsaustausches

Teilnahme von EWSA-Mitgliedern an Seminaren oder anderen Initiativen im Rahmen von IPA(Instrument für Heranführungshilfe)

Kooperationen mit den Organisatoren einer kroatischen Informations- und Kommunikationskampagne zum Beitritt mit gemeinsamer Erarbeitung von Fallbeispielen, die die Konsequenzen des Beitritts für bestimmte Gruppen diesen verständlich und transparent aufzeigen. In diesem Zusammenhang versteht es sich von selbst, dass hier nicht nur der rationale Aspekt beleuchtet werden darf, sondern auch die emotionale Seite angesprochen werden muss. Erfahrungsgemäß basieren ablehnende Einstellungen in der Phase vor dem Beitritt oft auf Ängsten, die meist auf Uninformiertheit beruhen. Eine Integration der Mitglieder des Ausschusses in entsprechende Kampagnen hat auch den Vorteil, dass die Mitglieder des Ausschusses aus Organisationen kommen, die in vielen Fällen vergleichbar sind mit kroatischen zivilgesellschaftlichen Verbänden. Sie sind daher glaubwürdig und können auf „gleicher Augenhöhe“ mit der Zielgruppe kommunizieren.

Brüssel, den 24. Oktober 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Stellungnahme des EWSA vom 31.3.2004 zum Thema „Der Antrag Kroatiens auf Beitritt zur EU“ (Berichterstatter: Herr STRASSER), Ziffer 5.5: „Eine erfolgreiche Heranführung der kroatischen Wirtschaft an die Bedingungen des europäischen Binnenmarktes setzt voraus, dass von der Zivilgesellschaft die notwendigen Reformen, Liberalisierungsschritte und Anpassungen an das EU-Recht mitgetragen werden. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass die kroatische Bevölkerung über die Bedeutung und die Auswirkungen der Integration laufend und ausreichend informiert und die repräsentativen Organisationen der Zivilgesellschaft in die politischen Entscheidungsprozesse eingebunden werden.“ (ABl. C 112 vom 30.4.2004, S. 68).

(2)  „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“.

(3)  Stellungnahme des EWSA vom 22.9.1999 zum Thema „Die Rolle und der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zum europäischen Einigungswerk“ (Berichterstatterin: Frau SIGMUND) (ABl. C 329 vom 17.11.1999, S. 30).

Stellungnahme des EWSA vom 25.4.2001 zum Thema „Die organisierte Zivilgesellschaft und europäische GovernanceBeitrag des Ausschusses zur Erarbeitung des Weißbuchs“ (Berichterstatter: Frau SIGMUND und Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO) (ABl. C 193 vom 10.7.2001, S. 117).

Stellungnahme des EWSA vom 14.2.2006 zum Thema „Die Repräsentativität der europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft im Rahmen des zivilen Dialogs“ (Berichterstatter: Herr OLSSON) (ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 41).

(4)  „Quality of life in Croatia: Key findings from national research“, Dublin 2007.

(5)  Laut verfügbaren Daten sind derzeit rund 27 000 Vereinigungen in Kroatien registriert.

(6)  Derzeit gibt es rund 90 Stiftungen in Kroatien.