ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 309

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

49. Jahrgang
16. Dezember 2006


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

II   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006

2006/C 309/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Wettbewerbsvorschriften und Verbraucherschutz

1

2006/C 309/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Mehr Forschung und Innovation — In Wachstum und Beschäftigung investierenKOM(2005) 488 endg.

10

2006/C 309/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004KOM(2005) 567 endg. — 2005/0227 (COD)

15

2006/C 309/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen UmfeldsKOM(2005) 535 endg.

18

2006/C 309/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex)KOM(2005) 608 endg. — 2005/0246 (COD)

22

2006/C 309/6

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005-2010KOM(2005) 629 endg.

26

2006/C 309/7

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Genehmigung des Beitritts der Europäischen Gemeinschaft zu der am 2. Juli 1999 in Genf abgeschlossenen Genfer Akte des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und ModelleKOM(2005) 687 endg. — 2005/0273 (CNS) und dem — Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 6/2002 und (EG) Nr. 40/94, mit der dem Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Genfer Akte des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle Wirkung verliehen wirdKOM(2005) 689 endg. — 2005/0274 (CNS)

33

2006/C 309/8

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Regeln für die Beteiligung von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen an Maßnahmen des Siebten Rahmenprogramms sowie für die Verbreitung der Forschungsergebnisse (2007-2013)KOM(2005) 705 endg. — 2005/0277 (COD)

35

2006/C 309/9

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates (Euratom) über die Regeln für die Beteiligung von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen an Maßnahmen des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft sowie für die Verbreitung der Forschungsergebnisse (2007-2011)KOM(2006) 42 endg. — 2006/0014 (CNS)

41

2006/C 309/0

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf den Seeverkehr und zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 auf Kabotage und internationale TrampdiensteKOM(2005) 651 endg./2 — 2005/0264 (CNS)

46

2006/C 309/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Flugverkehrssicherheit

51

2006/C 309/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über AbfälleKOM(2005) 667 endg. — 2005/0281 (COD)

55

2006/C 309/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Aktionsplan 2006-2008 zur Vereinfachung und Verbesserung der gemeinsamen FischereipolitikKOM(2005) 647 endg.

60

2006/C 309/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Thematische Strategie für eine nachhaltige Nutzung natürlicher RessourcenKOM(2005) 670 endg. — [SEK(2005) 1683 + SEK(2005) 1684]

67

2006/C 309/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Bekämpfung der San-José-SchildlausKOM(2006) 123 endg. — 2006/0040 (CNS)

71

2006/C 309/6

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses über Risiken und Probleme der Rohstoffversorgung der europäischen Industrie

72

2006/C 309/7

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische System Integrierter Sozialschutzstatistiken (ESSOSS)KOM(2006) 11 endg. — 2006/0004 (COD)

78

2006/C 309/8

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialauschusses zum Thema Die Beziehungen zwischen der EU und der Andengemeinschaft

81

2006/C 309/9

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Zukunft der Nördlichen Dimension

91

2006/C 309/0

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Europäische Nachbarschaftspolitik

96

2006/C 309/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft (//EG, Euratom)KOM(2006) 99 endg. — 2006/0039 (CNS)

103

2006/C 309/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Befreiung der von aus Drittländern kommenden Reisenden eingeführten Waren von der Mehrwertsteuer und den VerbrauchsteuernKOM(2006) 76 endg. — 2006/0021 (CNS)

107

2006/C 309/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und BildungKOM(2006) 33 endg.

110

2006/C 309/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Weißbuch über eine europäische KommunikationspolitikKOM(2006) 35 endg.

115

2006/C 309/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen

119

2006/C 309/6

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Rolle der Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Kohäsionspolitik und der Politik der regionalen Entwicklung

126

2006/C 309/7

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens für die Errichtung des europäischen Flugverkehrsmanagementsystems der neuen Generation (SESAR)KOM(2005) 602 endg. — 2005/0235 (CNS)

133

2006/C 309/8

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Zukunft der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

135

DE

 


II Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006

16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Wettbewerbsvorschriften und Verbraucherschutz“

(2006/C 309/01)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juli 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Wettbewerbsvorschriften und Verbraucherschutz“

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2006 an. Berichterstatterin war Frau SÁNCHEZ MIGUEL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 134 Ja-Stimmen ohne Gegenstimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der freie Wettbewerb bringt für alle Marktteilnehmer und insbesondere für die Verbraucher Vorteile. Die Verstöße gegen die auf diesem Gebiet bestehenden Rechtsvorschriften haben sich jedoch besonders nachteilig auf die Konkurrenten ausgewirkt; daher wird mit den Wettbewerbsregeln auch die Ahndung der Verstöße bezweckt, um so die wirtschaftlichen Folgen des mangelnden Wettbewerbs zwischen den einzelnen Unternehmen abzumildern.

1.2

Den Verbrauchern standen bislang keine geeigneten, aus dem Wettbewerbsrecht abgeleiteten Rechtsinstrumente zur Verfügung, um an Rechtsstreitigkeiten wegen verbotener Wettbewerbshandlungen mitzuwirken und den Ersatz der ihnen dadurch entstandenen wirtschaftlichen Schäden zu fordern. Erst durch die tiefgreifenden Veränderungen im Binnenmarkt und insbesondere im Zuge der Liberalisierung von Wirtschaftssektoren mit öffentlichem Versorgungsauftrag wurde eine Debatte über die Notwendigkeit von Instrumenten angestoßen, mittels derer sich die Verbraucher in die Wettbewerbspolitik einbringen können.

1.3

Ein erster Schritt war die Einsetzung eines Verbindungsbeauftragten für Verbraucherfragen in der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, der in Wettbewerbsangelegenheiten, die nach seinem Ermessen relevant sind, zwischen dieser Generaldirektion und den Verbraucherorganisationen vermitteln sollte. Eine Bilanz nach drei Jahren zeigt, dass dieser Beauftragte mangels geeigneter Mittel für die Wahrnehmung seiner Aufgaben nur beschränkt wirksam war.

1.4

Unterdessen ist es in den wichtigsten liberalisierten Sektoren zunehmend zu einer klaren Einschränkung des freien Wettbewerbs unter Ausgrenzung von Mitbewerbern und unter Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Rechte der Verbraucher gekommen. Einer der Gründe für diese negativen Auswirkungen liegt in der Tatsache, dass die meisten Mitgliedstaaten die Liberalisierung in einer nationalen Dimension konzipierten und zum Protektionismus zugunsten ihrer eigenen Unternehmen zurückkehrten. Die Kommission sollte für die Beseitigung dieser Auswirkungen sorgen und benötigt die dazu erforderlichen Mittel.

1.5

Artikel 153 Absatz 2 des EG-Vertrags bietet der Kommission die Rechtsgrundlage für die Definition eines horizontalen Vorgehens für den Verbraucherschutz im Rahmen der Gemeinschaftspolitiken, insbesondere der Wettbewerbspolitik. Dies könnte in der Form geschehen, dass in den Bestimmungen zur Anwendung von Artikel 81 und 82 EGV neben den Belangen der Mitbewerberunternehmen, die durch die Verletzung von Wettbewerbsvorschriften beeinträchtigt werden, auch die Interessen der Verbraucher Berücksichtigung finden. Die Mitgliedstaaten ihrerseits müssen dieses Ziel auch in ihren nationalen Rechtsvorschriften vorsehen.

1.6

In diesem Sinne müssten Rechtsansprüche definiert werden, die den Schadensersatz für Verbraucher garantieren, wenn diese durch verbotene Wettbewerbshandlungen in ihren Rechten — insbesondere wirtschaftlicher Art — beeinträchtigt werden.

1.7

Zudem müssen die Mechanismen zur Information und Konsultation der Verbraucher gestärkt werden. Will die Generaldirektion Wettbewerb an dem Verbindungsbeauftragten festhalten, dann sollte sie ihn mit den für seine Arbeit erforderlichen Mitteln ausstatten. Die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz sollte überdies die ihr angegliederten Gremien einschalten, um in Wettbewerbsangelegenheiten, die unmittelbar mit Verbraucherinteressen zusammenhängen, wirksamer zu werden. In diesem Sinne ist der Ausschuss der Ansicht, dass im Europäischen Wettbewerbsnetz durch Anpassung seiner Tätigkeit auch den Informationen und Anmerkungen Platz eingeräumt werden könnte, die nationale oder auf EU-Ebene aktive Verbraucherorganisationen im Hinblick auf eine bessere Wirksamkeit der Wettbewerbspolitik auf den Märkten und zur Anerkennung ihrer wirtschaftlichen Rechte vorbringen.

2.   Die derzeitige Ausrichtung der europäischen Wettbewerbspolitik

2.1

Der freie Wettbewerb ist ein Grundprinzip der Marktwirtschaft und geht von der freien Initiative aller Wirtschaftsteilnehmer und grundsätzlich aller am Markt teilnehmenden Einzelpersonen aus. Die Notwendigkeit von Regeln, die den freien Wettbewerb auf dem Markt und die Rechte aller Marktteilnehmer miteinander in Einklang bringen, mündete in die Vorschriften des Vertrags zur Regelung des Wettbewerbs. Bereits in Hochzeiten der Liberalisierung hat die Europäische Kommission angesichts neuer, nicht in den Wettbewerbsvorschriften vorgesehener wirtschaftlicher Realitäten erklärt (1), dass es zwischen den Interessen der Unternehmen und der Verbraucher eine Ausgewogenheit geben müsse. Zudem sprach sie sich dafür aus, die Wirksamkeit der auf Freiwilligkeit basierenden Instrumente zu verbessern und den Dialog zwischen den Verbrauchern und der Wirtschaft zu fördern, um so das Verbrauchervertrauen in den Markt zu stärken, denn Wettbewerb allein reiche zu seiner Verwirklichung nicht aus.

2.2

Die derzeitige Situation weist einige neue Elemente auf, wie aus dem Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik 2004 (2) sowie aus der Rede der EU-Kommissarin KROES (3) hervorgeht. In beiden wird die Notwendigkeit hervorgehoben, vor allem in den Sektoren tätig zu werden, die für den Binnenmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit im Sinne des Lissabon-Programms wesentlich sind, dabei jedoch besonders die Verbraucherinteressen und vor allem die Auswirkungen von Kartellen und Monopolstellungen auf die Rechte der Verbraucher zu berücksichtigen. Dieser Standpunkt kann als erster Schritt auf dem Weg zur Berücksichtigung des Verbraucherschutzes als marktregulierende Maßnahme gesehen werden, die nicht wie bisher rein angebotsseitig, sondern auf der Seite der Nachfrage wirkt.

2.3

Es ist deutlich herauszustellen, dass es in die Zuständigkeit der EU fällt, die Wettbewerbspolitik in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten festzulegen, und zwar nicht nur deshalb, weil sie für den Binnenmarkt und folglich für grenzüberschreitende Transaktionen relevant ist, sondern auch, weil sie die Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften anstrebt, damit einzelstaatliche Politiken protektionistischen Gepräges, mit denen die eigenen Märkte bevorteilt und die Mitbewerber benachteiligt werden, verhindert werden können. In diesem Zusammenhang kommt den Gemeinschaftsinstitutionen und insbesondere der Kommission eine grundlegende Rolle zu. Die Kommission ist nicht nur für die Ausarbeitung von Legislativvorschlägen zur Regelung des Wettbewerbs, sondern auch für die Fusionskontrolle und die Kontrolle staatlicher Beihilfen zuständig, wobei das allgemeine Interesse dem Partikularinteresse der einzelnen Mitgliedstaaten vorgeht.

2.4

Im Zuge der Liberalisierung von Sektoren mit öffentlichem Versorgungsauftrag und der Regulierung der Finanzdienstleistungen sucht man zunehmend nach Schnittpunkten zwischen der Wettbewerbspolitik und anderen von der Kommission gestalteten Politikfeldern, insbesondere der Verbraucherpolitik. So heißt es in dem Bericht der Kommission über den Wettbewerb 2004, dass mit der entschiedenen Umsetzung der Wettbewerbspolitik unter anderem das Ziel verfolgt wird, die Interessen der Verbraucher und ihr Vertrauen in den Binnenmarkt zu stärken.

2.5

Die Untersuchung der einzelnen Vorschriften, in denen die europäische Wettbewerbspolitik zum Ausdruck kommt, zeigt, dass diese Grundsatzerklärung sich kaum konkret niedergeschlagen hat. Vielmehr hält man an der Position aus früheren Phasen unverändert fest. Im Jahr 2003 wurde anlässlich des Europäischen Wettbewerbstags die Einsetzung eines „Verbindungsbeauftragten für Verbraucherfragen“ in der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission bekannt gegeben (4). Der Beauftragte kann in den einzelnen Unterbereichen der Wettbewerbspolitik tätig werden und dort die Interessen der Verbraucher geltend machen. Zudem werden Informationsbroschüren (5) veröffentlicht, in denen die Verbraucher über den Inhalt der Wettbewerbspolitik und deren potenzielle Auswirkungen auf ihre Interessen unterrichtet und beraten werden.

2.6

Der Verbindungsbeauftragte soll vor allem (6)

Anlaufstelle für Verbraucherverbände, aber auch für einzelne Verbraucher sein (7);

regelmäßige Kontakte zu den Verbraucherverbänden herstellen, insbesondere zur Europäischen Beratenden Verbrauchergruppe;

Verbraucherverbände auf Wettbewerbsangelegenheiten aufmerksam machen, bei denen ihr Standpunkt von Bedeutung ist, und sie beraten, wie sie ihre Sicht zum Ausdruck bringen können;

in verbraucherrelevanten Fragen Kontakte zu den nationalen Wettbewerbsbehörden unterhalten.

2.7

Diese Ausrichtung der Wettbewerbspolitik auf die Mitberücksichtigung von Verbraucherinteressen sollte Querschnittscharakter haben, damit sich nicht ausschließlich die Generaldirektionen Wettbewerb und Gesundheit/Verbraucherschutz darum zu kümmern haben. Dafür müssten die Maßnahmen in den einzelnen Politikfeldern laufend aufeinander abgestimmt werden, und zwar nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch zwischen der europäischen und der nationalen Ebene. Ziel ist dabei ein marktwirtschaftlicher Wettbewerb, von dem alle wirtschaftlichen und sozialen Akteure und die Verbraucher profitieren.

3.   Verbraucherrelevante wettbewerbspolitische Maßnahmen der EU

3.1

Es kann festgestellt werden, dass die Wettbewerbspolitik in ihrer letzten Phase eine umfassende Weiterentwicklung erfahren hat, die nicht nur auf die einschneidende Wirkung der sog. Globalisierung der Wirtschaft, sondern auch auf die Notwendigkeit zurückgeführt werden kann, die Liberalisierung der Dienstleistungssektoren mit anderen gemeinwirtschaftlichen Zielen wie der Gewährleistung von Angebotsvielfalt und der Versorgungssicherheit in Einklang zu bringen. Die Wettbewerbspolitik soll eine wichtige Rolle im Hinblick auf die in der Lissabon-Strategie aufgestellten Ziele der Wettbewerbsfähigkeit spielen. Dabei geht es vor allem um das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft und vor allem der Fusionsprozesse, von denen der Erfolg der europäischen Wirtschaft gegenüber unseren internationalen Wettbewerbern wesentlich abhängt, ohne dass dadurch die Rechte der Verbraucher und vor allem der europäischen Verbraucher beeinträchtigt werden.

3.2

Um zu sehen, wo und inwiefern die Wettbewerbspolitik verbraucherrelevant ist, sind die Vorschriften zu untersuchen, die den Wettbewerb regeln, d.h. die einschlägigen Artikel des Vertrags sowie die daraus abgeleiteten Vorschriften. Letztere wurden entweder in jüngster Zeit geändert oder sollen demnächst verabschiedet werden.

3.3   Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Praktiken

3.3.1

Vereinbarungen zwischen Unternehmen sind Teil der Beziehungen zwischen den Marktteilnehmern und dienen dem vollen Funktionieren des Marktes. Sie dienen nicht immer zu Konkurrenzzwecken, ganz im Gegenteil. Bereits zur Zeit der Schaffung des gemeinsamen Marktes wurde die Notwendigkeit gesehen, Vereinbarungen, welche den freien Wettbewerb verhindern, einschränken oder verfälschen, zu verbieten. Das Gleiche gilt für Unternehmenszusammenschlüsse, meistens in Form von Kartellen, d.h. Bündnissen zwischen Unternehmen ohne sichtbare Koordination untereinander. Beschränkt oder verhindert diese Tätigkeit inhaltlich den freien Wettbewerb, so fällt sie unter das Verbot.

3.3.2

Die Rechtsgrundlage sowohl für Vereinbarungen als auch für Beschlüsse zwischen Unternehmen ist vertraglicher Art; aus ihr erwachsen Verpflichtungen zwischen den Parteien. In beiden Fällen sind die jeweiligen Vereinbarungen bzw. Beschlüsse nur gültig, wenn die geltenden Rechtsvorschriften eingehalten werden. Das Problem, das hier interessiert, sind ihre Wirkungen Dritten gegenüber und insbesondere ihre Wirkung im Hinblick auf die Regeln, die für den Wettbewerb auf dem Markt gelten.

3.3.3

Ziel des Gesetzgebers ist letztendlich das Verbot des Ergebnisses, nämlich einer Einschränkung des Wettbewerbs. Doch die Bestimmungen gehen noch weiter: entsprechende Vereinbarungen bzw. Beschlüsse können für nichtig erklärt werden, mit den damit verbundenen praktischen Folgen wie Schadensersatz für die Schäden, die den Konkurrenten und der Wirtschaft an sich durch die Beeinträchtigung des Marktes entstanden sind.

3.3.4

Aufgrund der Vielschichtigkeit der auf den nationalen Märkten wie auf dem Binnenmarkt eingetretenen Fälle, auf die die Bestimmungen von Artikel 81 des Vertrags Anwendung finden, sah sich die Kommission veranlasst, ein so genanntes Modernisierungspaket (8) zu verabschieden. Damit sollen einerseits die Vorschriften des Vertrags an die Rechtsprechung der Gerichte angepasst und zugleich der hohen Zahl der bei der Anwendung dieser Vorschriften aufgetretenen Fälle Rechnung getragen werden.

3.3.5

Gegenstand einer Überarbeitung waren auch die Vorschriften über Gruppenfreistellungen (9). In dieser Verordnung gibt es neue Vorschriften über die Freistellung für Vereinbarungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Markterfordernisse und insbesondere Vorschriften über die Freistellung für Vereinbarungen im Technologiebereich. Es bedarf klarer Vorschriften, mit denen zulässige Vereinbarungen zwischen Unternehmen gefördert und ihnen zugleich Grenzen gesetzt werden und mit denen dafür gesorgt wird, dass durch diese Freistellungen auf keinen Fall die Verbraucherinteressen beeinträchtigt werden.

3.4   Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung

3.4.1

Nach Artikel 82 des Vertrags ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen verboten. Hierbei handelt es sich um eine Bestimmung, die nicht die beherrschende Stellung an sich ausschließt — es besteht sogar eher die Tendenz einer Förderung wirtschaftlicher Konzentrationen, die die europäischen Unternehmen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig machen -, sondern die darauf abstellt, dass durch diese erworbene Vormachtstellung nicht den anderen Mitbewerbern die eigenen Bedingungen auferlegt werden und so der Wettbewerb verhindert wird. In diesem Fall geht es in der in diesem Artikel enthaltenen Bestimmung nicht um den Ursprung dieser beherrschenden Stellung, im Gegensatz zu Artikel 81, in dem sehr wohl der Ursprung der Vereinbarung bzw. des Beschlusses zum Zweck der Nichtigerklärung berücksichtigt wird.

3.4.2

Eine marktbeherrschende Stellung hat andere Auswirkungen als aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen und scheint sich nicht auf den Wettbewerb auszuwirken, insoweit der Wettbewerb schon durch die Marktsituation an sich, d.h. durch das Fehlen von Konkurrenten bzw. deren unwesentlichen Markanteil, einschränkt ist. Falls jedoch der Verbraucher zum Leidtragenden der Bedingungen wird, die das marktbeherrschende Unternehmen diktiert, ist ein Eingreifen zu Gunsten des Verbrauchers nötig (10).

3.4.3

Die Kommission interveniert in diesem Sinne seit längerem in den wichtigsten Sektoren, in denen sich aufgrund der späten Liberalisierung in den meisten Mitgliedstaaten eine vorherrschende Stellung herausgebildet hat, so im Telekommunikationssektor (11), oder in denen aufgrund bedeutender technologischer Neuerungen kein wirklicher Wettbewerb zustande kam, wie im Beispiel von Microsoft (12). In beiden Fällen wurde der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung festgestellt. In dem erstgenannten Fall lag eine missbräuchliche Festlegung der Preise für Telekommunikationsdienstleistungen (13) vor. Zudem handelte es sich um eine maßgebliche Entscheidung, da sie einen grundsätzlich staatlich geregelten Wirtschaftssektor betraf. Deshalb war die Kommission der Ansicht, dass hier Handlungsbedarf bestand, obgleich die Preise einer sektoriellen Regulierung unterlagen.

3.4.4

In dem zweiten Fall (Microsoft) lagen die Dinge nicht so einfach, da es sich um ein nordamerikanisches Unternehmen mit einem Beinahe-Monopol für seine EDV-Systeme handelt. Dessen ungeachtet entschied die Kommission, dass eine Verletzung von Artikel 82 wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für PC-Betriebssysteme vorlag, weil Auskünfte über die Interoperabilität verweigert wurden und insbesondere, weil deshalb Windows Media Player und Windows nur zusammen vertrieben wurden. Die Kommission verhängte nicht nur hohe Geldstrafen wegen schwerer Rechtsverletzung, sondern machte eine Reihe von Maßnahmen zur Auflage, die in der Offenbarung der Betriebssysteme sowie in dem getrennten Vertrieb der einzelnen Systeme des Windows-Pakets für PC bestanden.

3.5   Fusionskontrolle

3.5.1

Im EG-Vertrag war kein konkreter Artikel vorgesehen, in dem die Vorschriften für die Fusionskontrolle geregelt sind. Die Gründe dafür lagen anfangs darin, dass es kaum Transaktionen dieser Art gab, und später in der Tatsache, dass die Behörden der Mitgliedstaaten selbst Unternehmenszusammenschlüsse förderten, um ihre eigenen Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen. Kam es im Ergebnis dieser Fusionen zu marktbeherrschenden Stellungen, fanden Artikel 81 und 82 Anwendung, wobei jedoch keine Fusionskontrolle vorab erfolgte, sondern nur eine im Falle des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung.

3.5.2

Um diese Lücke zu füllen und eine wirksame Kontrolle zu ermöglichen, erließ der Rat unter Berufung auf Artikel 83 und 308 des EG-Vertrags, wonach er sich zur Erreichung seiner Ziele zusätzliche Befugnisse geben kann, eine Reihe von Verordnungen, bis hin zu der derzeit geltenden Verordnung Nr. 139/2004 (14), mit der die Verordnung (EG) Nr. 1310/97 (15) geändert und verbessert und vor allem die Rechtsprechung in der Rechtssache Gencor/Kommission (16) in die Vorschriften aufgenommen wurde.

3.5.3

In der neuen Verordnung werden u.a. Aspekte betreffend die Zuständigkeiten geändert, so wird z.B. die Verweisung von bestimmten Fällen an die nationalen Wettbewerbsbehörden ermöglicht, wenn die Kommission oder mindestens drei Mitgliedstaaten diese Fälle für geeignet halten. Dies entlastet die EU-Wettbewerbsbehörden in ihrer Arbeit erheblich. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Fälle dann nicht an die Mitgliedstaaten zurückverwiesen werden dürfen, wenn ein wesentlicher Teil des Binnenmarktes davon betroffen ist, da die Einschränkung des Wettbewerbs und die Auswirkungen auf die Beteiligten, insbesondere der Schutz der Verbraucherinteressen, besser auf Gemeinschaftsebene geregelt bzw. gewährleistet werden können.

3.5.4

Die Änderungen materiellrechtlicher Aspekte beschränken sich nicht nur auf die in Artikel 1 festgelegten quantitativen Schwellenwerte, sondern umfassen auch die begrifflichen Änderungen in Artikel 2, wobei klarer wird, wann eine marktbeherrschende Stellung und vor allem eine wesentliche Einschränkung des Wettbewerbs vorliegt.

3.5.5

Weitere nicht minder wichtige Aspekte, die einer umfangreichen Änderung unterzogen wurden, betreffen Verfahrensfragen. So wurden die Fristen für die Verweisung der Fälle an die Mitgliedstaaten verlängert, was es den Betroffenen erleichtert, in Übereinstimmung mit den einzelstaatlichen Vorschriften tätig zu werden. Das trifft auch für die Frist für die antragstellenden Parteien zu, die als zu kurz angesehen werden kann, da sie nur 15 Werktage beträgt, gleich zu Beginn des Verfahrens. Dies würde es den Antragstellern unmöglich machen, von Einwendungen und Argumenten, die der Kommission gegebenenfalls zu der gemeldeten Transaktion übermittelt werden, Kenntnis zu erhalten. Es muss ebenfalls festgestellt werden, dass es in dem gesamten Verfahren keinerlei Bestimmung gibt, die den Verbrauchern eine Beteiligung am Verfahren ermöglicht. Mehr noch, die Bestimmung, wonach bei der Bewertung von Fusionen unter anderem die Interessen der Arbeitnehmer der betroffenen Unternehmen sowie die Frage der Arbeitsplätze berücksichtigt werden müssen, ist nicht mehr in der Rechtsvorschrift enthalten.

3.6   Tatbestände von Wettbewerbsbeschränkungen

3.6.1

Sowohl in Artikel 81 als auch in Artikel 82 hat der gemeinschaftliche Gesetzgeber die verbotenen Praktiken in nicht erschöpfender Weise aufgezählt, wobei es in Artikel 81 um Absprachen und abgestimmte Verhaltensweisen und in Artikel 82 um die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung geht. Zunächst muss festgestellt werden, dass es sich dabei nicht um geschlossene Auflistungen handelt, sondern um für diese Verhaltensweisen typische häufige Praktiken. Das bedeutet, dass es weitere Praktiken geben kann, die die gleichen Auswirkungen haben und damit ebenso unter das Verbot fallen.

3.6.2

Die Aufzählung der Tatbestände in den beiden Artikeln ähnelt sich stark:

Festsetzung von Preisen;

Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen;

Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen;

Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern;

die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen.

3.6.3

Grundsätzlich können die verschiedenen Praktiken je nach Ausgangssituation in zwei Tatbestände unterteilt werden:

a)

Wettbewerbsmissbrauch, unter den zahlreiche wettbewerbswidrige Praktiken fallen, wie zum Beispiel die Lieferverweigerung, die Festsetzung von Preisen, die unter den tatsächlichen Kosten liegen, Treueprämien, Preisdiskriminierung. Diese Verhaltensweisen haben die wirtschaftliche Folge, dass der Wettbewerb auf dem Markt oder auf einem wesentlichen Teil davon eingeschränkt bzw. verhindert wird.

b)

Missbrauch oder unlauterer Wettbewerb gegenüber Unternehmen, die hinsichtlich des Kaufes von Gütern und Dienstleistungen von einem oder mehreren anderen marktbeherrschenden Unternehmen abhängen. Dazu gehören zum Beispiel unfaire Preispraktiken, Diskriminierung, Ineffizienz oder Nachlässigkeit bzw. Säumigkeit und auch der Missbrauch gewerblicher Schutzrechte.

3.6.4

Einer der häufigsten Tatbestände ist die Festlegung von Preisen im weitesten Sinne (einschließlich Rabatten, Skonti, Margen, Zahlungsbedingungen und Preisnachlässen). Darunter fallen auch die Nichterstellung von Kostenvoranschlägen, die Nichteinhaltung von Preislisten, der Verkauf zu anderen als den angebotenen Preisen. In all diesen Fällen sind die Verbraucher betroffen und ungeachtet besonderer Vorschriften zum Schutz ihrer Rechte der Macht der marktbeherrschenden Unternehmen, die oft die einzigen Anbieter am Markt sind, ausgesetzt.

3.7   Entwicklung des Wettbewerbs in einzelnen liberalisierten Sektoren

Die im EG-Vertrag geregelte Wettbewerbspolitik richtet sich an den traditionellen Wirtschaftssektoren in Europa aus, womit sich auch die entsprechenden Anwendungsvorschriften parallel zu den neuen wirtschaftlichen Realitäten, die mehr Wettbewerbsfähigkeit verlangten, entwickelt haben. Die Verfahrensweisen, mit denen die Liberalisierung wichtiger Sektoren des Marktes vollzogen wurde, haben negative Folgen für die Verbraucher gehabt, da sie in den meisten Fällen mit dem Übergang von einem Unternehmen der öffentlichen Hand zu einem auf dem jeweiligen Markt dominierenden Unternehmen und schwierigen Wettbewerbsbedingungen für die Konkurrenz verbunden waren.

3.7.1   Energiewirtschaft

3.7.1.1

In den letzten Jahren gab es erhebliche Fortschritte bei der Liberalisierung der europäischen Energiewirtschaft (Strom und Gas), die bis vor kurzem zum öffentlichen Sektor gehörte und deshalb in Bezug auf die Leistungsbedingungen und Preise der staatlichen Intervention unterlag. Nach den Plänen der Kommission sollten die Märkte bis Juli 2004 für alle gewerblichen Kunden und bis Juli 2007 für die privaten Haushalte geöffnet werden. Ersteres konnte nicht vollständig erreicht werden, und nach dem jetzigen Stand der Dinge ist eine völlige Liberalisierung für die privaten Haushalte nicht durchführbar.

3.7.1.2

Die Lage ist kompliziert; die privatisierten Energienetze erbringen mangelhafte Leistungen, insbesondere die Elektrizitätsnetze, die kaum in die Wartung und Instandhaltung investieren, was sich erheblich auf die Kunden auswirkt und häufig zu Versorgungsausfällen führt.

3.7.1.3

Die geltende Stromhandelsverordnung (17) fördert durch einen Ausgleichsmechanismus zugunsten von Fernleitungsnetzbetreibern und durch diskriminierungsfreie, transparente und entfernungsunabhängige Entgelte den grenzüberschreitenden Stromhandel und kann dadurch zu mehr Wettbewerb auf dem Binnenmarkt beitragen.

3.7.1.4

Einige Zeit später hat die Kommission im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes eine Arbeitsgruppe für Energie eingesetzt, die eine Vereinbarung über die Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsvorschriften auf die Energiemärkte erarbeiten und zur Diskussion stellen soll.

3.7.2   Telekommunikation

3.7.2.1

Im Telekommunikationssektor erfolgte im Jahr 2002 eine Neufassung (18) der einschlägigen Rechtsvorschriften, die vor allem auf die neuen Vorschriften über die elektronische Kommunikation, die die Nutzung von Netzen an die neuen Technologien anpassten, zurückzuführen ist. Die Ergebnisse der Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten waren unterschiedlich. Im neunten Bericht (19) der Kommission über die Umsetzung des Reformpakets für den Telekommunikationssektor ging es vor allem um die Überführung in einzelstaatliches Recht sowie um die Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörden (NRB).

3.7.2.2

Dem neunten Bericht zufolge ist die Anzahl der Betreiber gleich geblieben, obgleich einige von ihnen lediglich ihre Position auf dem ursprünglichen Markt gehalten haben. Der Wettbewerbsdruck hat sich von Auslands- und Ferngesprächen in das Segment der Ortsgespräche verlagert, wobei sich die Zahl der traditionellen Betreiber zunehmend verringert. Bei den Gesprächsgebühren haben die Verbraucher davon profitiert, nicht jedoch bei bestimmten Fällen von Missbrauch ursprünglicher Positionen im Hinblick auf den Abschluss neuer Verträge.

3.7.2.3

Die Telekommunikationsmärkte werden beobachtet, um zu ermitteln, inwieweit der Wettbewerb in ihnen ausgeprägt ist. Dadurch können die Betreiber in einer marktbeherrschenden Stellung in einem gewissen Maße kontrolliert und ihnen bestimmte Auflagen erteilt werden, um eine missbräuchliche Durchsetzung von Bedingungen und Preisen gegenüber den Verbrauchern zu verhindern. Die Kommission hat die Umsetzung der Richtlinie 2002/77/EG in den einzelnen Mitgliedstaaten umfassend beobachtet und kontrolliert (20) mit dem Ziel, die festgestellten Mängel, die nicht nur den Wettbewerb einschränken, sondern auch die Verbraucherinteressen beeinträchtigen, zu korrigieren.

3.7.3   Verkehr

Im Verkehrssektor müssen die eingesetzten Verkehrsarten einzeln betrachtet werden. Hier sollen hauptsächlich der Luftverkehr, der Schienenverkehr und der Seeverkehr untersucht werden, in denen umfangreiche Änderungen erfolgten, die insbesondere dem Schutz der Passagiere im Luftverkehr und der Gewährleistung der Sicherheit im Seeverkehr dienten.

3.7.3.1   Luftverkehr

3.7.3.1.1

Im Jahre 2003 nahm die Kommission einen Dialog mit den Akteuren der zivilen Luftfahrtindustrie auf, um eine einheitliche Position zu Fragen der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Bereich der Allianzen/Fusionen im Luftverkehrsbereich zu erarbeiten. Im gleichen Jahr erwies sich eine Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 erforderlich, um den Luftverkehr zwischen EU-Ländern und Drittstaaten im Hinblick auf die Schaffung eines offenen Luftverkehrsbereichs (Open Skies) zu regeln. Dadurch wurde es möglich, auch im Bereich der Allianzen zwischen Fluggesellschaften aus der EU und aus Drittstaaten (insbesondere aus den USA) zu intervenieren. In diesem Zeitraum prüfte die Kommission eine Reihe von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, wobei mehrere davon als nicht mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar (21) angesehen werden und bei anderen der Inhalt sowie die Dauer der Vereinbarung geändert wurde.

3.7.3.1.2

Im gleichen Zeitraum wurde die Verordnung über die Rechte der Passagiere verabschiedet (22).

3.7.3.2   Schienenverkehr

3.7.3.2.1

In der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 wird den nationalen Wettbewerbsbehörden die Zuständigkeit zur Durchsetzung der kartellrechtlichen Bestimmungen im Schienenverkehrssektor übertragen. Die Aufgabe für die europäischen und nationalen Wettbewerbsbehörden besteht seitdem darin, in Zusammenarbeit mit der GD Energie und Verkehr Themen von gemeinsamem Interesse im Zusammenhang mit der begonnenen Liberalisierung der Eisenbahn aufzeigen.

3.7.3.2.2

Mit dem so genannten ersten Eisenbahnpaket von Richtlinien zur Liberalisierung dieses Sektors sollte ein freier grenzüberschreitender Schienengüterverkehr erreicht und ein Referenzrahmen für die Zugangsbedingungen für Fracht- und Passagierdienstleistungen durch Festlegung von Strecken, Wegeentgelten usw. geschaffen werden.

3.7.3.2.3

Das zweite Eisanbahnpaket schließt die Liberalisierung der nationalen Güterverkehrsmärkte ein und liberalisiert auch die nationale und internationale Personenbeförderung.

3.7.3.2.4

Das übergeordnete Ziel besteht darin, ein gemeinsames Konzept für die Anwendung der kartellrechtlichen Bestimmungen im Schienenverkehrssektor zu erstellen, um zu vermeiden, dass nationale Wettbewerbsbehörden und die Kommission einander widersprechende Entscheidungen treffen.

3.7.3.3   Seeverkehr

3.7.3.3.1

Der Seeverkehr gehört zu den Sektoren, in denen es die meisten Gruppenfreistellungen gibt, die insbesondere für Linienkonferenzen und Seeverkehrskonsortien gelten. Diese fallen unter die Verordnung (EG) Nr. 823/2000, die derzeit überarbeitet wird (23). Damit sollen Bestimmungen zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag erlassen werden. In der genannten Verordnung wird es den Konsortien und Linienkonferenzen ermöglicht, die darin festgelegten Höchstgrenzen zu überschreiten, wenn die betreffende Vereinbarung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens bei der Kommission angemeldet und eine Genehmigung erhalten wurde.

3.7.3.3.2

In der Praxis haben einige Konsortien diese Freistellungen für nicht darin vorgesehene Praktiken wie zum Beispiel die Festlegung von Preisen benutzt, weshalb sich die Kommission zum Eingreifen veranlasst sah (24) und die Vereinbarungen inhaltlich einschränkte. In ähnlicher Weise entschied das Gericht erster Instanz (EuGeI) (25) über die Absprache bestimmter Seeverkehrsunternehmen, auf die Gewährung von Preisnachlässen auf die veröffentlichten Sätze der Gebühren und Zuschläge bei ihren Kunden zu verzichten.

3.8   Auswirkungen der Liberalisierung verschiedener Sektoren auf die Verbraucher

3.8.1

Die Verfahren zur Liberalisierung der zuvor genannten Sektoren wurden auf nationaler Ebene vollzogen und wirkten sich dadurch im Hinblick auf den Binnenmarkt negativ aus. Durch die Bildung von Oligopolen gibt es für die Verbraucher keinen effektiven Wettbewerb mehr, der die Preise nach unten drückt und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen fördert. Die Kommission sollte zudem untersuchen, welche Folgen die Unternehmenskonzentrationen in den liberalisierten Sektoren bislang insbesondere für die Verbraucher hatten.

3.8.2

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass sich aufgrund fehlender Transparenz, hoher und nicht gerechtfertigter Preise für Großkunden und private Verbraucher und der vertikalen Integration von Unternehmen kein wirklicher Wettbewerb auf den liberalisierten Märkten eingestellt hat. Es ist vielmehr so, dass die Bedingungen der Verträge mit den Verbrauchern in vielen Fällen gegen die Vorschriften für derartige Standardverträge verstoßen.

3.8.3

Das Problem stellt sich in Bezug auf die Instrumente, die den Verbrauchern zur Verfügung stehen, um ihre Rechte gegenüber diesen Unternehmen geltend zu machen, insbesondere im Hinblick auf Klageansprüche unter Berufung auf wettbewerbsrechtliche Vorschriften und vor allem auf Artikel 81 und 82 des EG-Vertrags. Die bei den Wettbewerbsbehörden, also der Kommission und den nationalen Behörden, eingereichten Klagen wurden vor allem von Unternehmern vorgebracht, und der EuGH hat noch nicht über eine Klage einer Privatperson entschieden.

3.8.4

Mit dem von der Kommission vorgelegten „Grünbuch: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts“ (26) muss ein Instrument für die Verbraucher geschaffen werden. Der EWSA wird sich dazu noch in einer eigenen Stellungnahme äußern.

4.   Verbraucherschutz und Wettbewerbspolitik

4.1

Die Rechte und Pflichten der Verbraucher sind natürlich in einem besonderen Rechtsrahmen geregelt (27). In Artikel 153 Absatz 2 des EG-Vertrags heißt es: „Den Erfordernissen des Verbraucherschutzes wird bei der Festlegung und Durchführung der anderen Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen Rechnung getragen.“ Die Verbraucherschutzpolitik hat somit Querschnittscharakter und muss daher in alle die Verbraucher betreffenden Bereiche einbezogen werden. Im Fall der Wettbewerbspolitik besteht hier überhaupt kein Zweifel, da diese Politik auf den Markt gerichtet ist und die Verbraucher Teil des letzteren sind und dort die Nachfrage repräsentieren.

4.1.1

In diesem Abschnitt soll es um die Frage gehen, welche der anerkannten Verbraucherrechte auf welche Weise von der Wettbewerbspolitik und insbesondere von den Auswirkungen von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht im Binnenmarkt betroffen sind. Es geht auch darum, die Verbraucher als direkt Beteiligte der Wettbewerbspolitik zu betrachten, damit bei konkreteren Interventionen der Kommission zur Wiederherstellung der Regeln des Marktes auch die Verbraucherinteressen Berücksichtigung finden.

4.2   Wirtschaftliche Rechte

4.2.1

Unter den wirtschaftlichen Rechten der Verbraucher ist die Tatsache zu verstehen, dass dem Verbraucher oder Benutzer kein messbarer wirtschaftlicher Schaden oder Nachteil entsteht, der es ihm unmöglich macht, die erworbenen Güter oder Dienstleistungen zu den mit dem Unternehmen vereinbarten Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Das Grundprinzip, nach dem sich dieser gesamte Bereich regelt, ist der Grundsatz von Treu und Glauben sowie das Prinzip der Ausgewogenheit zwischen den Parteien. Jede dem zuwiderlaufende Handlung oder Klausel kann als missbräuchlich und verbraucherschädlich angesehen werden.

4.2.2

Das Verhältnis zwischen der Wettbewerbspolitik und der Wahlfreiheit des Verbrauchers stand im Mittelpunkt der Gemeinschaftsvorschriften und war Gegenstand sowohl des früheren Artikels 85 Absatz 3 als auch des geltenden Artikels 81 EG-Vertrag. Darin ist festgelegt, dass Vereinbarungen und Absprachen, die den Wettbewerb einschränken, nur dann genehmigt werden können, wenn sie auch den Verbrauchern zugute kommen. Ein typisches Beispiel für solche zulässigen Vereinbarungen ist die Gebietsaufteilung unter Wettbewerbern, um trotz fehlender Rentabilität in einigen Gebieten den gesamten Markt bedienen zu können.

4.2.3

Der Schutz des Marktes erfolgt aus der Sicht des Verbraucherschutzes dadurch, dass kontrolliert wird, ob horizontale Absprachen wie zum Beispiel freiwillige Vereinbarungen, Preisabsprachen, zentrale Beschaffungsstellen, Aufteilung des Marktes usw. oder vertikale Absprachen wie Verträge aller Art zur Regelung der Beziehungen zwischen Erzeugern, Importeuren usw. vorliegen. Gegenstand der Kontrolle ist auch der Missbrauch von marktbeherrschenden Stellungen, der es Mitbewerbern erschwert oder unmöglich macht, am Markt teilzunehmen, sowie die Festlegung von zu hohen oder zu niedrigen Preisen, ausschließenden Preisen oder die diskriminierende Bevorteilung bestimmter Kunden gegenüber anderen.

4.2.4

In ihrem Jahresbericht führt die Kommission regelmäßig eine große Zahl von Entscheidungen in Fällen von Absprachen und Missbrauch marktbeherrschender Stellungen sowie eine Reihe von Urteilen des EuGH auf, die in vielen Fällen Änderungen in der Auslegung der Rechtsvorschriften mit sich bringen und sogar die Änderung der Vorschriften selbst erforderlich machen.

4.2.5

In den letzten Jahren ist die Zahl der von der Kommission untersuchten Angelegenheiten allmählich zurückgegangen, was zum großen Teil mit dem energischen Durchgreifen der nationalen Wettbewerbsbehörden auf den jeweiligen Märkten und ganz besonders mit dem endgültigen Wegfall des Meldesystems zusammenhängt. Im Bereich der GD Wettbewerb erging in 24 Sachen eine förmliche Entscheidung, eine äußert geringe Zahl, vergleicht man sie mit den Fusionsfällen, wo es nicht weniger als 231 förmliche Entscheidungen gab (28). Das kann auf das in der geänderten Verordnung geregelte System zurückgeführt werden, wobei diese Zahl in einer späteren Phase, wenn die nationalen Wettbewerbsbehörden die Zuständigkeit für die meisten Fälle übernehmen, zurückgehen wird.

4.2.6

Von den untersuchten Fällen betrafen mehrere direkt die Verbraucher oder hatten für diese eine besondere Relevanz. Die Einzelentscheidungen betrafen die Bereiche Mobilfunk, Fernsehrechte und Luftfahrt (29). Bei den sektorbezogenen Initiativen gab es Interventionen im Transportwesen, bei den freien Berufen, im Automobilsektor oder im Bereich Medien (30). Bei den einen wie bei den anderen betrafen die untersuchten Fälle missbräuchliche Preispraktiken und kam Artikel 82 wegen Behinderungsmissbrauch bei Preisen zur Anwendung (31).

4.3   Recht auf Unterrichtung und Mitwirkung

4.3.1

Die Wirksamkeit der Verbraucherpolitik hängt von der Mitwirkung der Verbraucher in den sie betreffenden Politikfeldern ab, weshalb die Verbraucher auch in die Bereiche einbezogen werden sollten, die ihnen bislang verwehrt waren. In der verbraucherpolitischen Strategie (32) war bereits das Ziel vorgesehen, die Verbraucherverbände in geeigneter Weise in die Gemeinschaftspolitik in den einzelnen Bereichen einzubeziehen. Ein Jahr später wurde dann auch der Verbindungsbeauftragte für Verbraucherfragen in der GD Wettbewerb eingesetzt.

4.3.2

Die Verbraucherverbände verfügen mit dem Verbraucherausschuss bereits über ein Forum für die Mitwirkung an der Verbraucherpolitik im engeren Sinne, doch weitere Maßnahmen sind notwendig, um eine Beteiligung auch in anderen Politikbereichen zu ermöglichen. Derzeit besteht die Herausforderung darin, die Möglichkeit und Fähigkeit zu entwickeln, in allen Phasen des Beschlussfassungsprozesses der EU die Beiträge der Verbraucher in die einzelnen Gemeinschaftsinitiativen einzubringen. Es müssen Mindestanforderungen gefunden werden, die ihre Beteiligung in den beratenden Gremien ermöglichen, wie das bereits bei der Landwirtschaft und ganz besonders bei den neu geschaffenen Gremien im Bereich Verkehr, Energie, Telekommunikation und möglichen weiteren der Fall ist.

4.3.3

In dem Bereich, der uns hier beschäftigt, gibt es keine offizielle Form der Beteiligung oder Mitwirkung. Selbst zu Themen, die dem Vertrag zufolge für die Verbraucher relevant sind, nämlich Freistellungen für Absprachen nach Artikel 81 Absatz 3 sowie der Missbrauch mit einer Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher nach Artikel 82 b), werden die Verbraucher nicht konsultiert. Es ist somit Aufgabe der GD Wettbewerb und der Verbraucherverbände, Verfahren für die Beteiligung und Konsultation der Verbraucher in binnenmarktrelevanten Entscheidungen einvernehmlich festzulegen, so wie das im Weißbuch zum Regieren in Europa (33) gefordert wird.

4.3.4

Ebenso sollte die Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz über die ständige beratende Gruppe tätig werden, welche sich in Wettbewerbsangelegenheiten einschalten könnte, die die Rechte der Verbraucher betreffen.

4.3.5

Das Rechte der Verbraucher, in Wettbewerbsfragen unterrichtet zu werden, wurde durch die Einsetzung des Verbindungsbeauftragten für Verbraucherfragen gestärkt. Die europäischen Verbraucherverbände werden regelmäßig informiert, nationalen Verbraucherorganisationen und einzelnen Verbrauchern steht eine Internetseite (34) zur Verfügung, auf der auch ein Musterantrag (35) enthalten ist, mit dem die Verbraucher von Unternehmen, die gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen, Schadenersatz verlangen können.

5.   Gremien

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Verbraucher ihr Recht auf Information und Einbeziehung nur geltend machen können, wenn einerseits ihre rechtmäßige Vertretung durch Verbraucherorganisationen sichergestellt ist und andererseits ein Gremium festgelegt wird, über das ihre Einbeziehung tatsächlich erfolgt, in der Form, wie in den nachfolgenden Absätzen dargelegt wird.

5.1   Verbrauchergremien

5.1.1

Die Verbraucherverbände unterliegen einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften, in denen die Mindestanforderungen für ihre Anerkennung und Legitimation geregelt sind. Sie sind somit legitimiert, die Rechte der durch verbotene Praktiken beeinträchtigten Verbraucher wahrzunehmen.

5.1.2

Auf europäischer Ebene sind die bei der GD SANCO registrierten Verbände voll anerkannt. Diese Verbände sind auch die Ansprechpartner für die Information und Konsultation und beteiligen sich in allen Bereichen, die bisher als in ihre Zuständigkeit fallend erachtet wurden.

5.1.3

Bei der Inanspruchnahme dieser etwas ausgrenzenden Legitimation tritt das Problem auf, dass bei Wettbewerbsfragen oft eine geografisch und thematisch begrenzte Verletzung konkreter Verbraucherrechte vorliegt. Es bedarf einer umfassenden Debatte über den Begriff der Legitimation, bevor hier etwas unternommen werden kann.

5.2   Das Europäische Wettbewerbsnetz

5.2.1

In der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (36) sowie in dem so genannten Modernisierungspaket wurden die Mittel für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden innerhalb des Europäischen Wettbewerbsnetzes (EWN) (37) festgelegt. Dieses Netz nahm seine Tätigkeit im Jahr 2003 auf, als in einer Arbeitsgruppe die grundsätzlichen Fragen wie die Arbeitsweise und die Kommunikation zwischen den einzelnen Behörden behandelt wurden. Nunmehr ist das Netz voll funktionsfähig und umfasst 14 Untergruppen, die sich mit sektorspezifischen Problemen (38) befassen.

5.2.2

In der Verordnung 1/2003 werden dem EWN Mittel für die gegenseitige Unterstützung und Interventionen nach Vorgaben der zuständigen Wettbewerbsbehörden sowie für die Beschaffung der zur Lösung der Fälle notwendigen Informationen zugewiesen. Das Netz führt auch die von den nationalen Behörden beantragten Inspektionen durch, deren Ergebnisse nach einem festgelegten Verfahren übermittelt werden, damit sie für alle Betroffenen zugänglich sind.

5.2.3

Von besonderer Bedeutung ist die Tätigkeit des EWN im Rahmen des Kronzeugenprogramms. Die Mitgliedstaaten haben eine Erklärung unterzeichnet, in der sie sich zur Einhaltung der in der genannten Benachrichtigung festgelegten Regeln verpflichten. Damit haben die für Kartellsachen zuständigen nationalen Gerichte ein praktisches Instrument an der Hand und sorgen zugleich für die Aktualisierung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (39).

5.2.4

Durch die zwischen ihnen erforderliche Kommunikation erhalten das EWN, die Wettbewerbsbehörden und die Gerichte Kenntnis von den Klagen und Anträgen zu Absprachen und Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sowie über das anwendbare Verfahren. So kann schneller als bislang entschieden werden, wer für die Untersuchung des Falles zuständig ist.

5.2.5

Die Tätigkeit des EWN dient auch der Ermittlung von Wettbewerbsverstößen, wobei sich durch diese nahezu präventive Tätigkeit die negativen Auswirkungen auf die Wettbewerber und Verbraucher verringern. Bemerkenswert ist auch die Mitwirkung des EWN an Freistellungsverfahren, bei denen eingeschätzt werden muss, ob die Freistellung den Verbrauchern zugute kommt und auch ob ein Teil der Vereinbarung die konkreten Vorteile enthalten muss, die für die Verbraucher erwartet werden.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Verbraucherpolitischer Aktionsplan 1999-2001.

(2)  SEK(2005) 805 endg. vom 17.6.2005. Stellungnahme des EWSA, ABl. C 110 vom 9.5.2006, S. 8.

(3)  Gehalten am 15. September 2005 in London auf dem „European Consumer and Competition Day“.

(4)  Am 6. Dezember 2003 gab Kommissionsmitglied MONTI in Rom die Einsetzung von Juan RIVIÈRE Y MARTÍ in dieses Amt bekannt.

(5)  Europäische Wettbewerbspolitik und die Verbraucher. Amt für Veröffentlichungen, Luxemburg.

(6)  Siehe „XXXIII. Bericht über die Wettbewerbspolitik — 2003“, Seite 6ff., SEK(2004) 658 endg. vom 4.6.2004, Stellungnahme des EWSA veröffentlicht im ABl. C 221 vom 8.9.2005.

(7)  Der Verbindungsbeauftragte ist per E-Mail erreichbar unter comp-consumer-officer@cec.eu.int.

(8)  Verordnung (EG) 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, zuletzt geändert durch die Verordnung 411/2004 des Rates vom 26. Februar 2004, ABl. L 68 vom 6.3.2004; Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die Kommission (ABl. L 123 vom 27.4.2004, S. 18). Zudem wurde eine Reihe von Mitteilungen und Leitlinien veröffentlicht, mit denen die Verfahren für die Beziehungen zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden und der Kommission beziehungsweise zwischen der Kommission und den Justizbehörden geregelt werden.

(9)  Verordnung (EG) 772/2004 der Kommission vom 27. April 2004 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des EG-Vertrags auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen (ABl. L 123 vom 27.4.2004, S. 11).

(10)  Mangels einer entsprechenden Definition im Vertrag musste der EuGH den Begriff der marktbeherrschenden Stellung in seiner Rechtsprechung abgrenzen. Danach ist dies eine wirtschaftliche Stellung eines oder mehrerer Unternehmen, die es diesen erlaubt, unabhängig von ihren Wettbewerbern, Kunden und den Verbrauchern zu agieren und so einen effektiven Wettbewerb auf dem Markt zu verhindern.

(11)  Sache COMP/C-1/37.451, 37.578, 37.579 — Deutsche Telekom; ABl. L 263, 14.10.2003, S. 9.

(12)  Sache COMP/C-3/37.792. Microsoft.

(13)  Die Deutsche Telekom hatte die Preise für den Zugang zu ihrem Festnetz für Breitband-Internetanschlüsse erheblich herabgesetzt.

(14)  Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. L 24 vom 29.1.2004); Verordnung (EG) Nr. 802/2004 (1) der Kommission vom 7. April 2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 (ABl. L 133 vom 30.4.2004, S. 1).

(15)  Die Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 (ABl. L 395 vom 30.12.1989, S. 1) sowie die aufgrund der Beitrittsakte Österreichs, Finnlands und Schwedens darin aufgenommenen Änderungen wurden durch die genannte Verordnung geändert. Damit ist die neue Verordnung eine Neufassung aller entsprechenden Rechtsvorschriften sowie der Änderungen der Artikel, die durch die Rechtsprechung ausgelegt werden.

(16)  Rechtssache T-102/96, in der der EuGH die Kriterien der „marktbeherrschenden Stellung“ und der „wesentlichen Verminderung des Wettbewerbs“ begrifflich abgrenzte, so dass die Vorschriften nunmehr auch auf solche Situationen Anwendung finden, von denen nicht sicher war, dass sie unter die Verordnung fallen.

(17)  Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel; ABl. L 176 vom 15.7.2003, S.1.

(18)  Richtlinie 2002/77/EG (ABl. L 249 vom 17.9.2002, S. 21).

(19)  KOM(2003) 715 endg.

(20)  Siehe die umfassende Übersicht über die Kontrollmaßnahmen im XXXIII. Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik- 2003, Seite 41 ff.

(21)  Die Kommission hat die Vereinbarung zwischen Air France und Alitalia in der ursprünglichen Form nicht gebilligt und forderte betroffene Dritte auf, dazu Stellung zu nehmen. Die Allianz zwischen British Airways und Iberia wurde von der Kommission gebilligt, allerdings nur für die Dauer von sechs Jahren.

(22)  Verordnung (EG) 261/2004 (ABl. L 46 vom 17.2.2004, S. 1).

(23)  ABl. C 233 vom 30.9.2003, S. 8.

(24)  Sache Wallenius/Wilhelmsen/Hyundai, 2002.

(25)  Sache IV/34.018 (ABl. L 268 vom 20.10.2000, S. 1).

(26)  KOM(2005) 672 endg. vom 19.12.2005.

(27)  Siehe dazu die Stellungnahme des EWSA — INT/263-AC 594/2006, Berichterstatter: Herr PEGADO LIZ.

(28)  Siehe den bereits zitierten Jahresbericht für 2003, S. 191 ff.

(29)  Siehe Kasten 3 im Jahresbericht 2003, S. 29, Preismissbrauch im Telekommunikationssektor; Kasten 2 im Jahresbericht 2004, S. 28, Verwendung von Netzen für den Rundfunk, und Verkauf von Sportübertragungsrechten im Jahresbericht 2004, S. 43.

(30)  Siehe Jahresbericht 2004,Verkehr, S. 54; freie Berufe, Jahresbericht 2003, S. 60; Vertrieb von Kraftfahrzeugen, Jahresbericht 2004, S. 46.

(31)  Die Sache British Telecommunications (ABl. L 360) war besonders bemerkenswert, denn hier lag noch ein staatliches Monopol vor.

(32)  Mitteilung der Kommission „Verbraucherpolitische Strategie 2002-2006“, KOM(2002) 208 endg.

(33)  KOM(2001) 248 endg.

(34)  Internetseite:

http://europa.eu.int/comm/consumers/redress/compl/index_en.htm.

(35)  Siehe Anhang.

(36)  Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, geändert durch Verordnung (EG) Nr. 411/2004 des Rates vom 26. Februar 2004 (ABl. L 68 vom 6.3.2004, S. 1).

(37)  Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden (ABl. C 101 vom 27.4.2004).

(38)  Im Jahr 2004 wurden 298 Fälle bearbeitet, davon wurden 99 von der Kommission und 199 von den nationalen Wettbewerbsbehörden an das Netz verwiesen.

(39)  Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrags (ABl. C 101 vom 27.4.2004, S. 54).


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/10


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Mehr Forschung und Innovation — In Wachstum und Beschäftigung investieren“

KOM(2005) 488 endg.

(2006/C 309/02)

Die Europäische Kommission beschloss am 12. Oktober 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2006 an. Berichterstatterin war Frau FUSCO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 152 Ja-Stimmen bei 3Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Vorgeschichte und Zusammenfassung der Mitteilung der Kommission

1.1

Ziel der Mitteilung der Kommission ist es, entsprechend den Beschlüssen des Europäischen Rates von Lissabon im März 2000, der das Ziel festlegte, die Union bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu macheneinem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“, im Rahmen der Umsetzung des Lissabon-Programms einen gemeinsamen Ansatz  (1) für Forschung und Innovation vorzulegen. Das von der Kommission in ihrer Mitteilung „Hin zu einem europäischen Forschungsraum“  (2) entwickelte Konzept wurde ebenfalls vom Europäischen Rat von Lissabon bestätigt.

1.2

Im März 2002 legte der Europäische Rat auf seinem Gipfeltreffen in Barcelona das Ziel fest, die Investitionen der EU in Forschung und Entwicklung (FuE) bis 2010 auf 3 % und den privaten Finanzierungsanteil von FuE-Vorhaben auf zwei Drittel anzuheben. Im März 2003 forderte der Europäische Rat von Brüssel diesbezüglich konkrete Schritte.

1.3

In ihrer Mitteilung vom 30. April 2003„In die Forschung investieren: Aktionsplan für Europa“ definiert die Kommission in Übereinstimmung mit einer früheren Mitteilung „Mehr Forschung für Europahin zu 3 % des BIP“  (3) vom September 2002 die auf einzelstaatlicher sowie europäischer Ebene zu ergreifenden Maßnahmen. Die ersten offiziellen Zahlen für Forschung und Entwicklung zeigen, dass die Forschungs- und Entwicklungsausgaben in der EU-25 im Jahr 2003 fast stagniert haben und 1,93 % des BIP betrugen. Nur Finnland und Schweden haben das Ziel tatsächlich erreicht.

1.4

Im März 2005 hat der Europäische Rat die erneuerte Lissabon-Strategie (4) vorgelegt. Der gemeinsame politische Wille zu deren Umsetzung wurde aufgrund der dringenden Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit angesichts eines globalen Wettbewerbs zu verbessern, im Oktober 2005 auf dem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU in Hampton Court erneut bekräftigt.

1.5

Die Kommission legt nach ihrem Einschwenken auf die erneuerte Lissabon-Strategie eine erste Mitteilung zur europäischen Informationsgesellschaft 2010 (5) vor, in der sie die Mitgliedstaaten dazu auffordert, als Beitrag zur Erreichung der in der Mitteilung zu „i2010“ formulierten Ziele bis Mitte Oktober 2005 im Rahmen der nationalen Reformprogramme ihre jeweiligen Prioritäten bezüglich der Informationsgesellschaft zu setzen.

1.6

Die Wahl der vorgeschlagenen Optionen und Maßnahmen ist auf den starken Kontrast zwischen den Gegebenheiten innerhalb und außerhalb der EU zurückzuführen: Einerseits der weltweite scharfe Wettbewerb, andererseits die Starrheit und Fragmentierung der nationalen Märkte in der EU, obwohl es eigentlich eines gemeinsamen europäischen Raumes und der Mobilität gut qualifizierter Arbeitnehmer bedarf. Da sich die Kommission ihrer in diesem Bereich beschränkten Kompetenzen bewusst ist, versucht sie in erster Linie, die Rolle eines „Katalysators“zu spielen.

1.7

Die Mitteilung zielt auf eine Stärkung der Verbindungen zwischen Forschung und Innovation ab, wobei die Forschungspolitik mehr auf die Entwicklung neuer Kenntnisse und ihre Anwendungen sowie auf die Rahmenbedingungen für die Forschung ausgerichtet ist, und die Innovationspolitik stärker auf die Umwandlung von Wissen in wirtschaftlichen Wert und kommerziellen Erfolg abstellt. Im Sinne einer besseren Rechtsetzung würden alle Maßnahmen mit möglichen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit einer Folgenabschätzung unterzogen werden.

1.8

Im Begleitdokument zu dieser Mitteilung (6) werden drei politische Optionen erwogen, wobei sich die Kommission für Letztere entscheidet:

untätig bleiben;

eine Politik der Integration;

ein gemeinsamer Ansatz.

1.9

Der von der Kommission vorgeschlagene Aktionsplan umfasst vier Teile:

Forschung und Innovation im Mittelpunkt der EU-Politik;

Forschung und Innovation im Mittelpunkt der EU-Finanzierung;

Forschung und Innovation im Mittelpunkt der Unternehmen;

verbesserte Forschungs- und Innovationspolitiken.

1.10

Es werden 19 Aktionen in drei Hauptbereichen vorgeschlagen: Politik und Rechtsetzung; Finanzierung und Steuern (7) und die Rolle privater Akteure (8).

1.11

Obgleich die Kommission mit der vorliegenden Mitteilung den bereits mit der vorhergehenden Mitteilung aus dem Jahre 2003 eingeschlagenen Weg fortzusetzen scheint, hebt sie nun hervor, dass die Mitgliedstaaten Forschung und Innovation zu vorrangigen Bereichen ihrer nationalen Reformprogramme (NRP) machen sollten. Gezielte finanzielle Unterstützung der Gemeinschaft für Forschungs- und Innovationsmaßnahmen von europäischem Interesse, Anleitungen zur koordinierten Politikentwicklung und verbesserte Plattformen für den Erfahrungsaustausch in allen Bereichen, in denen grenzüberschreitende Zusammenarbeit einen erheblichen Mehrwert schafft, werden die NRP unterstützen. Darüber hinaus wird die Förderung von FuE im Rahmen des Stabilitätspaktes berücksichtigt, der für diese Art von Ausgaben eine Überschreitung der 3 %-Defizitgrenze erlaubt.

1.12

Selbst wenn dieser nicht Gegenstand der vorliegenden Konsultation ist, berücksichtigt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss auch den Bericht von Esko Aho, bezieht sich die Kommission doch unter der „Mehr in Wissen und Innovation investieren“ betitelten Ziffer 3.1 ihrer Mitteilung an die Frühjahrstagung 2006 des Europäischen Rates nicht auf die Mitteilung KOM(2005) 488 endg., sondern auf den Esko-Aho-Bericht. Der EWSA bedauert, dass dieser bislang weder Gegenstand einer Konsultation noch einer Bewertung gewesen ist, und wird ihn daher im Rahmen der vorliegenden Stellungnahme mitbehandeln.

1.13

Im Oktober 2005 wurde in Hampton Court eine vierköpfige Gruppe unter dem Vorsitz von Esko Aho eingesetzt. Deren im Hinblick auf die Frühjahrstagung 2006 des Europäischen Rates im Januar 2006 der Kommission vorgelegter Bericht enthält Empfehlungen zur Beschleunigung der Umsetzung von Initiativen zur Förderung von FuE auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene. Der Bericht beruht zwar auf der hier erörterten Mitteilung, schlägt jedoch eine stärkere Integration vor [Option 2 in SEK(2005) 1289]. Der Bericht wurde am 13. März 2006 dem Rat „Wettbewerb“ sowie dem Europäischen Rat von Brüssel vorgelegt, der auf die Bedeutung des Aho-Berichts verwies und die Kommission ersuchte, diesen Bericht bis September 2006 zu bewerten (9).

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nimmt die von der Kommission vorgelegte Mitteilung mit Zufriedenheit zur Kenntnis. Diese baut auf der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung auf und versucht, die gesamte Bandbreite der Bereiche Forschung und Innovation einschließlich nichttechnologischer Innovation abzudecken. Die Kommission skizziert darin über das 3 %-Ziel von Barcelona (10) hinausgehende Maßnahmen, erläutert die im Lissabon-Programm der Gemeinschaft eingegangenen Verpflichtungen und gibt eine detaillierte Beschreibung der dort laufenden und geplanten Maßnahmen zur Unterstützung von Forschung und Innovation (11).

2.2

Wie in der Mitteilung der Kommission erwähnt, wird der weltweite Wettbewerb um Investitionen in Forschung und Innovation zunehmend schärfer, wobei auch Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien zu den Konkurrenten zählen. „Bei den Investitionen in die Forschung beträgt der sich rasch vergrößernde Rückstand der Europäischen Union zu den USA bereits mehr als 120 Mrd. EUR jährlich (...).“ (12). Europa ist einem derart starken Wettbewerb ausgesetzt, dass keiner der Mitgliedstaaten im Alleingang Erfolg haben kann. Nur mit Hilfe von grenzüberschreitenden Synergien kann es gelingen, die Forschungs- und Innovationsleistung zu steigern und sie auch tatsächlich in mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze in der EU umzuwandeln. Darüber hinaus werden Forschung und Innovation benötigt, um die EU-Wirtschaft zukunftsfähiger zu machen, indem für Wirtschaftswachstum, soziale Entwicklung und Umweltschutz Lösungen gefunden werden.

2.3

Aufgrund des Aktionsplans hat die Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten begonnen, auf einzelstaatlicher Ebene Maßnahmen zur Stimulierung von FuE im privatwirtschaftlichen Bereich zu ergreifen und Zielvorgaben zu setzen, um die Forschungsinvestitionen in der EU bis 2010 auf 2,6 % des BIP zu steigern. Steuerlichen Anreizen kommt dabei besondere Bedeutung zu (13). Anstatt zuzunehmen, stagniert die Forschungstätigkeit in der EU indessen auf mehr oder weniger gleichbleibendem Niveau, und zwar auch im Privatsektor. Die Lage ist besorgniserregend.

2.4

Die Begründung der Maßnahmen stößt eine Debatte über Produktivitätsvergleiche zwischen den EU-Mitgliedstaaten und anderen Ländern an.

2.4.1

Erstens wird der Begriff Produktivität unterschiedlich definiert (Verhältnis zwischen der Menge der erzeugten Güter bzw. erbrachten Dienstleistungen und der Menge der beim Produktionsprozess eingesetzten Faktoren). Bei der am häufigsten herangezogenen Berechnungsmethode wird nur ein Faktor — die Arbeit — berücksichtigt und für den Industriebereich die Produktion pro Stunde je Arbeiter angegeben. Dieser Wert lässt sich einfach errechnen, gibt jedoch die Wirklichkeit nur teilweise wieder, da die Rolle des Kapitals für den Produktionsprozess dabei völlig unberücksichtigt bleibt.

2.4.2

Zweitens darf beim Vergleich zwischen Europa und den USA nicht verallgemeinert werden, vielmehr muss auf die erheblichen Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen und Ländern und selbst innerhalb eines Landes wie den USA eingegangen werden. Es gibt in Europa wettbewerbsfähige Wirtschaftszweige und Staaten, die erhebliche Produktivitätszuwächse erzielen. Was die EU insgesamt betrifft, so zeigen nach O'Mahony und van Ark (2003) die Kosten pro Arbeitseinheit im verarbeitenden Gewerbe, dass diese im Hochtechnologie-Bereich weniger wettbewerbsfähig als die USA ist, in anderen Bereichen aber sehr wohl mithalten kann. Die schärfsten Konkurrenten in den traditionellen Wirtschaftszweigen sind jedoch nicht die USA, sondern die Drittländer, die mit ihren Niedriglöhnen massiven Druck auf die EU ausüben. Dosi, Llerena und Labini (2005) vertreten einen kritischeren Ansatz und sind der Auffassung, dass die Notwendigkeit einer europäischen Industriepolitik kein Tabuthema sein sollte.

2.4.3

Drittens ist die Gesamtfaktorproduktivität am besten zur Messung der Produktivität geeignet, wobei das BIP entsprechend den Unterschieden bei sämtlichen in die Berechnung einfließenden Einsatzmengen (inputs) angepasst wird (Calderon, 2001), und gewährleistet einen besseren Vergleich zwischen den einzelnen Ländern. Um die Produktivitätsunterschiede zwischen den einzelnen Ländern zu erklären, wurden die für den Anstieg der Arbeitsproduktivität und/oder der Gesamtfaktorproduktivität entscheidenden Faktoren im Rahmen empirischer Untersuchungen in drei Gruppen gegliedert. Calderon kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Unterschiede bei der Gesamtfaktorproduktivität der einzelnen Länder angesichts der zwischen ihnen bestehenden Verflechtungen offensichtlich auf die Geschwindigkeit bei der Verbreitung von Technologie (durch den Handel, Auslandsdirektinvestitionen oder Wanderbewegungen) zurückzuführen sind (14).

2.4.4

Kommt es also auf die Geschwindigkeit bei der Verbreitung neuer Technologien an, so spielen die innovativen KMU, die gleichzeitig neue Märkte schaffen, eine entscheidende Rolle. Aus dem selben Grund könnten strategische Entscheidungen bezüglich der Prioritäten im Bereich Forschung und Entwicklung die schnellere Verbreitung von Wissen begünstigen.

2.4.5

Darüber hinaus ist es weder für Europa noch die USA einfach, eine ausreichende Zahl qualifizierter Arbeitnehmer und die Standorte für die Investitionen der Unternehmen sicherzustellen; EU und USA stehen dabei vor allem in direktem Wettbewerb mit China, wo 75.000 hochqualifizierte Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich fehlen.

2.5

Es scheint zwei wichtige übergreifende Gesichtspunkte zu geben, die die politischen Entscheidungen beeinflussen. Einerseits sei dringend Innovation auf der organisatorischen Ebene erforderlich — eine Voraussetzung für technische Innovation (Lam 2005 und OECD 2005) -, was auch für die europäischen Institutionen gelte (Sachwald 2005; Sapir et al. 2003; Esko Aho 2006); andererseits sei die Tatsache, dass die Unternehmen in Europa nicht ausreichend in FuE sowie Innovation investierten, auf ein Fehlen „innovationsfreundlicher“ Märkte zurückzuführen, auf denen neue Produkte und Dienstleistungen eingeführt werden könnten (Esko Aho 2006). Der EWSA merkt hierzu jedoch an, dass Unternehmergeist und Risikobereitschaft bei alledem unverzichtbar sind.

2.6

Das Versagen des Marktes als Triebkraft für Innovation wird in der Fachliteratur seit Arrow (1962) und Dasgupta und Stiglitz (1980) weitgehend anerkannt. Die Rahmenprogramme der Kommission beruhen weitgehend auf der Überzeugung, dass es sinnvoll sei, FuE in den Unternehmen auf Mikro-Ebene aktiv zu unterstützen, und zwar mit einem Mix aus Förderung von FuE und Zusammenarbeit bei der Überwindung der schwierigsten Hürden (Hilfe bei der Suche nach Partnern, Förderung gemeinsamer Vorgehensweisen, die u.a. Vorteile im Bereich der Markteinführung, des „Downstreamings“ und des Größeneffekts bringen). Es ist jedoch nicht gelungen, mit diesen Programmen eine nachhaltige Innovationsdynamik in der gesamten EU in Gang zu setzen.

2.7

Der EWSA begrüßt daher, dass die Kommission den Schwerpunkt auf die Meso-Ebene, die Sektor-Ebene und die grenzüberschreitende Ebene legt. Die Partnerschaftsinstrumente, Netze, Cluster, Agglomerationen, Foren und Dialoge zeigen, wie wichtig Verbindungen (linkages), externe Effekte und Rückwirkungen (spillovers) zwischen Unternehmen und Organisationen sowie der Standortfaktor für Innovationen sind. Mit Hilfe dieser Kooperationsräume wird es leichter sein, die für das Niveau der Innovationsinvestitionen entscheidenden Faktoren sowie Engpässe zu identifizieren.

2.8

In der Mitteilung wird jedoch nicht angegeben, welche Finanzmittel für die Umsetzung des Ansatzes und der vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden sollten, obwohl zu diesem Zweck erhebliche finanzielle Ressourcen und Koordinierungskapazitäten erforderlich wären. Darüber hinaus weist die Kommission auf der selben Seite ihrer Mitteilung an die Frühjahrstagung 2006 des Europäischen Rates, auf der sie das einzige Mal auf die vorliegende Mitteilung Bezug nimmt, auch darauf hin, dass „Legislativvorschläge […] erst dann konkrete Wirkung [zeitigen], wenn sie vom Rat und vom Parlament verabschiedet worden sind. Außerdem hängen viele der Finanzierungsmaßnahmen von der endgültigen Annahme und Umsetzung der finanziellen Vorausschau 2007-2013 ab“. Das heißt, dass selbst die vorgeschlagenen Maßnahmen nur als Anregungen zu verstehen sind.

2.9

Der EWSA fordert die Kommission dazu auf, so schnell wie möglich Angaben zur Höhe der für die in dieser Mitteilung beschriebenen Maßnahmen vorgesehenen Haushaltsmittel zu machen und einen klaren Fahrplan für deren Weiterverfolgung und Bewertung einschließlich eines konkreten Datums, z.B. 2008, zu erarbeiten. Außerdem ist der Ausschuss der Auffassung, dass die Kommission einen Bericht vorlegen sollte, der alle in direktem Bezug zu der vorliegenden Mitteilung stehenden Berichte von Sachverständigengruppen berücksichtigt, und eine Bewertung sämtlicher dort ausgesprochener Empfehlungen vornehmen sollte. Diese Angaben müssten im Einklang mit den gewählten Optionen und Maßnahmen stehen. Um die Bemühungen zur Überwindung der derzeitigen Fragmentierung zu unterstützen, wäre außerdem die Erstellung einer Übersicht mit allen für die Koordinierung der in der Mitteilung KOM(2005) 488 vorgeschlagenen Maßnahmen auf regionaler, einzelstaatlicher und europäischer Ebene Verantwortlichen wünschenswert. Mit der Erstellung der Trendcharts, in denen die Forschungs- und Innovationseinrichtungen in den einzelnen Ländern beschrieben werden, hat die Kommission bereits gezeigt, wie bei der Erstellung einer solchen Übersicht sinnvoll vorgegangen werden kann. Eine interessante Möglichkeit böten auch die in den USA in den Bereichen Forschung und Innovation durchgeführten Versuche mit „virtuellen Agenturen“.

2.10

Darüber hinaus hat der EWSA festgestellt, dass die wichtigsten Begriffe (Forschung, Innovation, Wissen und Technologie) in der vorliegenden Mitteilung nicht definiert werden. Dabei wurden die europaweiten Bemühungen um die Ausarbeitung derartiger Definitionen von der Kommission unterstützt, Eurostat und OECD haben den Begriff „Innovation“ definiert. In dem jüngsten, dem Verhältnis von Innovations-Input und -Output gewidmeten „European Innovation Scoreboard“ wird das Konzept der „Innovationseffizienz“ erläutert und FuE als Innovations-Input eingestuft. Außerdem müsste besser zwischen Maßnahmen zur Förderung von Forschung und Innovation per se und jenen zur Verbesserung der Voraussetzungen für die Schaffung von Innovationen (z.B.: Ausbildung, Aufnahme und Rahmenbedingungen für mobile Arbeitskräfte; Unterstützung für KMU und benachteiligte Regionen bei der Einführung von IKT, da es für diese überdurchschnittlich schwieriger als für andere Akteure ist, die hierzu erforderlichen Mittel aufzubringen) unterschieden werden, d.h. einerseits zwischen Innovation im Sinne der Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen auf den Märkten und, andererseits, Innovation als Prozess. Innovation im ersteren Sinne stellt zwar eine notwendige Voraussetzung dar, ist aber für sich alleine genommen nicht in der Lage, dynamisches endogenes Wachstum zu generieren.

2.11

Der EWSA verfolgt die diesbezügliche Entwicklung aufmerksam mit und hat zu dem in der vorliegenden Mitteilung anvisierten umfangreichen Themenbereich bereits mehrere Stellungnahmen verabschiedet. Aus Platzmangel können diese hier nur kurz erwähnt werden: Die Stellungnahme zum europäischen Forschungsraum (CESE 595/2000), in der bereits sämtliche Themen der neuen Mitteilung behandelt wurden, und zwar insbesondere unter Ziffer 7 „Forschung und technische Innovation“ sowie unter Ziffer 8 „Personalaustausch zwischen Forschungseinrichtungen und der Industrie“.

2.12

In der Stellungnahme CESE 724/2001 zum Thema Wissenschaft und Gesellschaft wurde die entscheidende Rolle der Grundlagenforschung bei den meisten großen Entdeckungen hervorgehoben. In seiner Stellungnahme zur Grundlagenforschung in Europa (15) und zu dem Wirkungsgeflecht Grundlagenforschung/angewandte Forschung unterstreicht der EWSA in Ziffer 2.5 die Frage der Patente und mahnt die Einführung eines europäischen Gemeinschaftspatents an, in dessen Rahmen für den Zeitraum zwischen der Publikation einer wissenschaftlichen Veröffentlichung über eine Entdeckung und der Anmeldung eines Patents auf eine daraus entwickelte Anwendung wie in den USA eine sogenannte „Neuheitsschonfrist“ (engl. grace period) eingeführt werden sollte. Dieses Gemeinschaftspatent sollte schnell und kostengünstig zu erhalten sein. Der Ausschuss bedauert, dass es sich aus linguistischen Gründen verzögert.

2.13

In seiner Stellungnahme zu Forschern im europäischen Forschungsraum (16) befürwortet der EWSA die „Charta der Europäischen Forscher“ und schließt sich unter Ziffer 5.4 dem Standpunkt der Kommission an, wonach der Austausch zwischen akademischem Bereich und Industrie eine unabdingbare Notwendigkeit von entscheidender Bedeutung sei, spricht sich aber auch dafür aus, verstärkt das Wissen von Experten mit mehrjähriger Forschungserfahrung zu nutzen und gleichzeitig die Übertragbarkeit/Anerkennung der verschiedenen Komponenten der sozialen Sicherheit, die Wohnsituation und den familiären Zusammenhalt (Ziffer 5.5.5) sicherzustellen. Erwähnt seien auch die Stellungnahme zum Thema Wissenschaft und Technologie (17), die Stellungnahme zum 7. Forschungsrahmenprogramm, in der vom EWSA auf dessen große Bedeutung sowie seine Finanzierung und Aufgliederung in Teilprogramme hingewiesen wurde (18), die gesonderten Stellungnahmen zu neun Forschungsbereichen (19).

2.14

In seiner Stellungnahme zu Wettbewerbsfähigkeit und Innovation 2007-2013 (20) zeigt der EWSA den wichtigen Beitrag kleiner und mittlerer Unternehmen sowie der Sozialpartner zur Innovation (21)auf. Sie müssen fest eingebunden werden, um eine erfolgreiche Innovation zu ermöglichen. In der derzeit erarbeiteten Stellungnahme zu dem politischen Rahmen zur Stärkung des verarbeitenden Gewerbes in der EU wird die sektorbezogene Herangehensweise begrüßt, aber auch darauf hingewiesen, dass es entsprechender Mittel für die Koordinierung bedarf, die jedoch nicht vorhanden seien. Ferner wird gefordert, der Qualifikation von Arbeitnehmern, nach wie vor ein sektorübergreifendes Thema, genügend Aufmerksamkeit zu widmen. Eine solche stärker integrierte Industriepolitik wäre überaus wichtig, da etwa 34 Millionen Menschen in der EU im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt sind, und mehr als 80 % der FuE-Ausgaben der Privatwirtschaft in der EU in diesem Bereich getätigt werden.

3.   Spezifische Bemerkungen

3.1

Der EWSA begrüßt insbesondere die Bemühungen der Kommission zur Schaffung eines wettbewerbsfähigen europäischen Systems des geistigen Eigentums und zur Aufstellung von Regeln für die Verbreitung von Forschungsergebnissen (2007-2013). Ferner empfiehlt er, der Behandlung von Patenten auf Innovationen mit Hilfe der unter Ziffer 2.7 beschriebenen Instrumente besonderes Augenmerk zu widmen.

3.2

Ein besseres System zur Verbreitung von Wissen ist von entscheidender Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit. In diesem Zusammenhang sei auf das Projekt „Innovation Relay Centres“ und den Vorschlag der Kommission verwiesen, im Rahmen der Durchführung des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation Gutscheine für eine Beratung bezüglich ihrer Innovationsstrategie durch Spezialisten an KMU einzusetzen. Grenzübergreifende Cluster wären bei der Verbreitung von Wissen überaus hilfreich; auf ihre Bedeutung soll in einer künftigen Mitteilung über Cluster in Europa hingewiesen werden. Außerdem sollen ab 2006 Cluster in einer Datenbank erfasst werden.

3.3

Außerdem weist der EWSA auf die Wichtigkeit der sozialen Dimension der Innovation sowie der Aufwertung der Humanressourcen als Quelle von Forschung und Innovation hin und hofft, dass diesen Aspekten in der nächsten Ausgabe des Oslo-Handbuchs (OECD-Eurostat) Rechnung getragen wird, indem dort auch Statistiken u.a. mit Indikatoren zur Messung der Innovationskraft von qualifizierten Arbeitskräften, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen sowie gemeinsamer Einrichtungen von Privatwirtschaft, staatlichen Stellen und Hochschulen aufgeführt werden.

3.4

Im Zusammenhang mit staatlichen Innovationsbeihilfen, die eine starke Hebelwirkung auf die Forschungsausgaben der Unternehmen hätten, begrüßt der EWSA die den KMU beigemessene Aufmerksamkeit und fordert die Kommission auf, die Schaffung von Arbeitsplätzen dann als Investitionen in Forschung und Innovation zu betrachten, wenn die geschaffenen Arbeitsplätze genau für diese Zwecke bestimmt sind. Darüber hinaus betont der EWSA, dass auch die Gründung von innovativen KMU (start-ups) unterstützt werden muss, wobei auf Instrumente wie Risikokapital zurückzugreifen und der Europäische Investitionsfonds einzubinden ist.

3.5

Für Innovationen ist es angesichts des in Ziffer 2.4.5 genannten weltweiten Wettbewerbs wichtig, dass auf sämtlichen Ebenen entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. In ihrer Mitteilung konzentriert sich die Kommission hauptsächlich auf wissenschaftliche Arbeitskräfte. Es wäre aber auch notwendig, nicht-wissenschaftliche qualifizierte Arbeitskräfte zu fördern. Außerdem müssen Angebot und Nachfrage im Bereich der sektorbezogenen Qualifikationen und Fertigkeiten ausgewogener aufeinander abgestimmt werden. Um rasche und effiziente Lösungen zu erzielen, bedarf es der Mitwirkung sämtlicher Sozialpartner und Interessengruppen. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, die Debatte über dieses Thema einzuleiten.

3.6

Um Mobilität zu erzielen, müssten außerdem Fortschritte bei der Erarbeitung gemeinsamer europäischer Kompetenzchartas für die einzelnen Branchen bzw. Bereiche gemacht werden, wobei die Frage der Qualität in der Bildung (Werte, Chancengleichheit) nicht zu kurz kommen darf. Da die GD Beschäftigung und die GD Bildung und Kultur auch für Fragen im Zusammenhang mit Humanressourcen zuständig sind, sollten in der vorliegenden Mitteilung auch deren Initiativen im Bereich Forschung und Innovation berücksichtigt werden, sodass die gesamte Palette an Projekten abgedeckt wird.

3.7

Der EWSA hält die Kommission dazu an, Forschung und Innovation nach Möglichkeit in allen Branchen der EU-Wirtschaft zu fördern, da nicht nur der Hochtechnologiebereich mit Schwierigkeiten bei der Wettbewerbsfähigkeit zu kämpfen hat. Das strategische Management zur Bewältigung der Veränderungen infolge eines massiven Umstiegs auf neue Technologien in kleineren und mittleren Betrieben könnte in die vorgeschlagenen Maßnahmen miteinbezogen werden. Auch hier ist eine Einbindung der Sozialpartner und Interessengruppen angezeigt.

3.8

Der EWSA kommt ebenso wie der Bericht von Esko Aho zu dem Schluss, dass Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet wird, wobei der Grund hierfür wohl in der im Vergleich zu den USA und Japan enger gefassten Definition des Begriffs KMU liegt. Ein besonderer Schwerpunkt auf der Finanzierung innovativer KMU ist nach Auffassung des EWSA notwendig, um eine innovative europäische Wirtschaft mit sozialem Zusammenhalt zu schaffen. Es ist nicht weiter überraschend, dass die Region Paxis der Emilia Romagna als eine der innovativsten gilt, obwohl andere Innovationsindikatoren für Italien weniger günstig ausfallen. Überdies müssen die Dienstleistungen zur Unterstützung von Unternehmen auf die speziellen Bedürfnisse von KMU in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen (Kooperativen, andere Unternehmen der Sozialwirtschaft usw.) zugeschnitten werden.

3.9

Der Ausschuss würde eine Erwähnung der gemeinsam mit anderen Teilen der Welt durchgeführten Projekte im Bereich Forschung und Innovation durch die Kommission begrüßen, hat sie doch bei den TrendCharts und mehreren anderen Initiativen bereits eine globale Betrachtungsweise angewandt. Im Anschluss an die Mitteilung KOM(2001) 346 vom 25. Juni 2001 über die „internationale Dimension des europäischen Forschungsraums“ wurde im INCO-Teil des 6. Forschungsrahmenprogramms die Beteiligung von Drittländern ausdrücklich unterstützt, was auch für das 7. Rahmenprogramm gelten soll. Diese Projekte könnten im Rahmen eines eigenen Teilprogramms noch besser zur Geltung gebracht werden. Außerdem sollte die Rolle, die die Städte und Metropolen bei der Innovation spielen, eingehender untersucht werden.

3.10

Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Zeitplanung von Technologieinvestitionen, Liberalisierung und Restrukturierung zu überdenken, da Unternehmen, insbesondere die größten, gezwungen sind, gleichzeitig die Veränderungen im Bereich der Kontrolle zu bewältigen und ihren Bedarf an Investitionen in Forschung und Entwicklung zu stillen (z.B. in den Bereichen Energie, Verkehr und Industrienetze).

3.11

Darüber hinaus weist der EWSA darauf hin, dass es notwendig sein könnte, einen ausgewogenen Mittelweg zwischen der auf gemeinsames Marketing und gemeinsame Lizenzvergabe für neue Produkte und Dienstleistungen abzielenden Innovationsförderung für Unternehmen einerseits und dem Wettbewerbsrecht andererseits zu finden.

3.12

Der EWSA ist der Auffassung, dass Innovation die Wettbewerbsfähigkeit und den sozialen Zusammenhalt stärkt, jedoch kein Selbstzweck ist. Er fordert die Kommission daher auf, Statistiken zu erstellen und Studien zu fördern, damit der Zusammenhang zwischen Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und sozialem Zusammenhalt besser dargestellt, die Ergebnisse transparent und effizient bewertet und den Bürgerinnen und Bürgern Europas auf überzeugende Art und Weise dargelegt werden können. Um mit Dosi, Llerena und Labini zu sprechen: Es bedarf ehrgeiziger, in technischer Hinsicht kühner Projekte, die sich aufgrund ihres sozialen und politischen Mehrwerts rechtfertigen lassen.

3.13

Von Innovation als einem System ausgehend fordert der EWSA die Kommission ferner dazu auf, sich mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) abzustimmen, damit die Synergien zwischen den Programmen der EIB, dem Europäischen Investitionsfonds, dem 7. Forschungsrahmenprogramm und dem Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation genutzt werden können, um das System Innovation dynamisch zu gestalten und gut zu strukturieren.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  SEK(2005) 1289; Begleitdokument zur Mitteilung KOM(2005) 488 endg.; Folgenabschätzung, in der die Kommission die dritte Option des gemeinsamen Ansatzes wählt.

(2)  ABl. C 204 vom 18.7.2000.

(3)  KOM(2002) 499 endg.

(4)  „Zusammenarbeit für Wachstum und Arbeitsplätze. Ein Neubeginn für die Strategie von Lissabon“ [KOM(2005) 24 endg.] vom 2. Februar 2005 sowie „Gemeinsame Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung: Das Lissabon-Programm der Gemeinschaft“ [KOM(2005) 330 endg.] vom 20. Juli 2005.

(5)  KOM(2005) 229 endg. und SEK(2005) 717 vom 1. Juni 2005: „i2010 — Eine europäische Informationsgesellschaft für Wachstum und Beschäftigung“ zur Förderung des Wachstums und der Beschäftigung in den Bereichen Informationstechnologie und Medien. Sie konzentriert sich auf jenen Sektor der EU-Volkswirtschaften, dem 40 % der Produktivitätssteigerung und 25 % des BIP-Wachstums zu verdanken sind.

(6)  SEK(2005) 1289, Folgenabschätzung.

(7)  Mobilisierung öffentlicher und privater Mittel für Schlüsseltechnologien; Steueranreize; europäische Strukturfonds; Zugang von KMU zu Finanzmitteln.

(8)  Partnerschaften zwischen Hochschulen und Industrie; Innovationspole und Cluster; proaktive Unterstützungsdienste für Unternehmen und innovative Dienstleistungen.

(9)  Europäischer Rat (Brüssel) 23./24. März 2006 — Schlussfolgerungen des Vorsitzes.

(10)  INI/2006/2005: 12.10.2005; auf der Grundlage der Analyse der Mitteilung KOM(2005) 488 endg. durch das Europäische Parlament.

(11)  SEK(2005) 1253, Begleitdokument zu KOM(2005) 488 endg., Schritte der Umsetzung.

(12)  KOM(2003) 226 endg., Ziffer 2.

(13)  In den acht Mitgliedstaaten, in denen sie bereits zum Einsatz kommen, sind ihnen 13 % der Direktinvestitionen in die Forschung zu verdanken.

(14)  Ebenda, Calderon 2001, S. 19.

(15)  ABl. C 110 vom 30.4.2004.

(16)  ABl. C 110 vom 30.4.2004.

(17)  ABl. C 157 vom 26.6.2005.

(18)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(19)  Nanotechnologie, biotechnologische Gesundheitsforschung, Informationstechnologie, Energieforschung (einschließlich Fusionsforschung), Raumfahrt- und Sicherheitsforschung.

(20)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(21)  „98 % der Unternehmen in Europa sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Sie stellen 55 % der Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft zur Verfügung. Das Potenzial von KMU für Innovationen bei Produktionsprozessen und Produkten sowie bei Dienstleistungen ist erheblich.“.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004“

KOM(2005) 567 endg. — 2005/0227 (COD)

(2006/C 309/03)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 10. Januar 2006, den Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr BEDOSSA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 150 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Der „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/93/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004“ ist zu begrüßen.

1.2

In einer Zeit, in der die Wissenschaft — gerade im Bereich der Biotechnologie — immer schneller voranschreitet, scheint es wichtig, zur Klärung beizutragen und Genauigkeit und Sachverstand zu liefern.

1.3

Mit diesem Kommissionsvorschlag wird bezweckt, die neuartigen Therapien als „zusammenhängendes Ganzes“ zu betrachten, die derzeitige „Regulierungslücke zu schließen“ und eine spezifische Bewertung der neuartigen Therapien durch die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) zu unterstützen. Dadurch soll ermöglicht werden,

rasch auf die Forderungen der Patienten und die Erwartungen der von der Forschung und Entwicklung der regenerativen Medizin betroffenen Branchen zu reagieren;

ein hohes Gesundheitsschutzniveau für die Patienten in Europa zu gewährleisten;

umfassende Rechtssicherheit herbeizuführen und dabei ein gutes Maß an technischer Flexibilität zu berücksichtigen, um sich an den Stand der wissenschaftlichen und technologischen Weiterentwicklung anzupassen.

1.4

Um den Besonderheiten von Arzneimitteln für neuartige Therapien Rechnung zu tragen, muss ein umfassender und solider Rechtsrahmen gewählt werden, der in allen Mitgliedstaaten Anwendung findet.

1.5

Dabei fiel die Wahl auf eine Verordnung, da sie als das angemessenste Rechtsinstrument erscheint; umso mehr, als die Probleme der öffentlichen Gesundheit, die sich in der Europäischen Union heute in Bezug auf Arzneimittel für neuartige Therapien stellen, ohne eine einschlägige rechtliche Regelung nicht gelöst werden können.

1.6

Dieser Verordnungsentwurf enthält jedoch einige Aspekte, die aufgrund der angegebenen Begriffsbestimmung zu Anwendungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Entwurf für eine Richtlinie über Medizinprodukte führen können. In der endgültigen Fassung müssen zahlreiche Fragestellungen, die Zweifel aufwerfen können, geklärt werden:

Wo liegt der Nutzen dieser neuen Vorschriften, da doch Arzneimittel für neuartige Therapien — Gentherapeutika und somatische Zelltherapeutika — bereits im Rahmen spezieller Arzneimittelrichtlinien geregelt sind?

Die Begriffsbestimmungen, insbesondere die in Artikel 2 b enthaltenen, erscheinen schwer verständlich und haben eher eine nebensächliche Funktion.

Die Anwendung des Arzneimittelrechts der Gemeinschaft kann durch nationale Vorschriften im Arzneimittelbereich durchaus verhindert werden.

Es wäre im vorliegenden Fall sinnvoller gewesen, einen flexibleren Ansatz zu wählen und im Wege der gegenseitigen Anerkennung zu verfahren.

Die autologen Produkte nicht industrieller Herkunft im Klinikbereich werfen auch die Frage der in der EU verwendeten Borderline-Produkte anderer Herkunft auf.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Bei der artikelweisen Prüfung des Verordnungsvorschlags ergeben sich einige Bemerkungen, Fragestellungen und Empfehlungen. In Bezug auf Artikel 2 „Begriffsbestimmungen“ (1):

2.2

Die Bestimmung der Begriffe „Gentherapeutika“ und „somatische Zelltherapeutika“ stellt im Allgemeinen kein Problem dar, zumal es die Distanz und die Erfahrung ermöglicht haben, zu einem entsprechenden Konsens zu gelangen; diese Produkte werden als Arzneimittel eingestuft und sind als solche bereits auf Gemeinschaftsebene geregelt.

2.2.1

Die Bestimmung des Begriffs „Produkt aus Gewebezüchtungen“ erscheint allerdings komplexer. In der derzeitigen Fassung von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b), in dem es heißt, dass ein Produkt aus Gewebezüchtungen „bearbeitete Zellen oder Gewebe enthält oder aus ihnen besteht“, zählen ohne den Zusatz „als festen Bestandteil“ auch solche Medizinprodukte zu den innovativen Arzneimitteln, die ein ergänzendes Produkt aus Gewebezüchtungen enthalten. Dadurch werden die Bestimmungen des Vorschlags für eine Richtlinie über Medizinprodukte, der derzeit erörtert wird, ausgehöhlt.

2.2.2

Auch die Formulierung des zweiten Spiegelstrichs in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b) könnte zu Problemen bei der Anwendung und insbesondere zu Überschneidungen mit der Richtlinie über Medizinprodukte führen. Da Produkte aus Gewebezüchtungen in den Anwendungsbereich der Arzneimittelverordnung fallen, sollte auf deren primäre Eigenschaften zur Behandlung bzw. Vorbeugung von Krankheiten sowie zur Beeinflussung der physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung hingewiesen werden, anstatt sich auf die Eigenschaften zur „Regeneration, Wiederherstellung oder zum Ersatz menschlichen Gewebes“ zu beschränken. Diese Eigenschaften können nämlich auch manchen Medizinprodukten zugeschrieben werden.

2.3

Trotz der Anstrengungen, die unternommen wurden, um zu einer möglichst präzisen Definition zu gelangen, tritt der Unterschied gegenüber den Zelltherapeutika (Rückenmarks-, Stammzellen- oder Nabelschnurbluttransplantate, Transplantate erwachsener oder embryonaler Stammzellen usw.) nicht deutlich zutage.

2.4

In dem Bemühen um Klärung dieses Begriffs schlägt der Ausschuss vor, als Orientierungshilfe solche Produkte heranzuziehen, die derzeit als Produkte aus Gewebezüchtungen gelten. Dadurch könnte das Verständnis verbessert werden, vor allem da die Debatten und Kontroversen gerade zum Thema embryonale Stammzellen ohnehin allgemein bekannt sind.

2.5

Die ethischen Aspekte stellen mit Ausnahme der humanen embryonalen Stammzellen (HESC) kein Problem mehr dar.

2.6

Bei der zentralen Kontroverse geht es um die Art der Gewinnung dieser Stammzellen. So wirft insbesondere die Herstellung dieser Zellen durch Zellkerntransfer (d.h. durch Klonen) beträchtliche ethische Fragen auf, und in der Europäischen Union ist bis heute diesbezüglich kein wirklicher Konsens erzielt worden. Die Vorbehalte, die gemeinhin geäußert werden, beziehen sich auf die Gefahr des reproduktiven Klonens, des Eizellenhandels und der Vermarktung von Teilen des menschlichen Körpers.

2.7

Diese Praktiken werden im Europäischen Übereinkommen über Bioethik (Übereinkommen von Oviedo, 1998) und vom Internationalen Komitee für Bioethik (UNESCO, 1997) ausdrücklich verurteilt.

2.8

In Ermangelung eines Konsens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist der Einsatz von HESC folglich eine einzelstaatliche Zuständigkeit.

2.9

Die in den Erwägungsgründen vorgenommene Präzisierung (2) ist somit von wesentlicher Bedeutung, da sie den tatsächlichen Stand der Debatte eindeutig berücksichtigt und darauf verweist, dass dieser Text mit Vorschriften über Arzneimittel für neuartige Therapien auf Gemeinschaftsebene „nicht mit Entscheidungen der Mitgliedstaaten über die Zulässigkeit der Verwendung spezifischer Arten menschlicher Zellen, etwa embryonaler Stammzellen, oder tierischer Zellen kollidieren“ sollte.

2.10

Der Text sollte „die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften ebenfalls unberührt lassen, die den Verkauf, die Bereitstellung und die Verwendung von Arzneimitteln verbieten oder einschränken, die diese Zellen enthalten, aus ihnen bestehen oder gewonnen werden.“

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Die Harmonisierung der Grundsätze im Vergleich zu allen anderen modernen biotechnologischen Arzneimitteln, die derzeit auf Gemeinschaftsebene geregelt sind, erfordert ein zentralisiertes Zulassungsverfahren, d.h. eine einheitliche wissenschaftliche Beurteilung von Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln für neuartige Therapien.

3.2

Naturgemäß sind für diese neuartigen Therapien — im Vergleich zu denen der herkömmlichen Medizin — jedoch spezielle präklinische und klinische Verfahren erforderlich, insbesondere in Hinblick auf Fachwissen, Risikomanagementpläne und Pharmakovigilanz nach Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen.

3.3

In dem uns zur Stellungnahme vorgelegten Verordnungsentwurf wird zu Recht auf die Notwendigkeit hingewiesen, in den Ausschüssen für Humanarzneimittel (CHMP (3)) ein spezifisches Fachwissen für die Beurteilung dieser Produkte zu entwickeln und dabei insbesondere Patientenvereinigungen in die Beurteilungsgruppen einzubeziehen.

3.4

Der Vorschlag, einen Ausschuss für neuartige Therapien (CAT (4)) einzusetzen, der vom EMEA-Ausschuss für Humanarzneimittel zur Beurteilung von Daten über Arzneimittel für neuartige Therapien konsultiert werden muss, bevor er sein endgültiges wissenschaftliches Gutachten abgibt, ist von entscheidender Bedeutung.

3.5

Durch die Einsetzung dieses Ausschusses für neuartige Therapien wird es möglich, die besten derzeit in der Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Sachverständigen im Bereich der Arzneimittel für neuartige Therapien sowie ausgewählte Vertreter der Beteiligten — so rar das bekanntermaßen ist — an einen Tisch zu bringen.

3.6

Die Einsetzung des Ausschusses ist daher vollkommen gerechtfertigt, da sie es ermöglicht, neben den wissenschaftlichen Verfahren auch Normen für die gute klinische Praxis und die gute Herstellungspraxis festzulegen und die Beurteilung der Produkte bis zur Genehmigung für das Inverkehrbringen und darüber hinaus zu begleiten.

3.7

Der Verweis auf den Grundsatz, wonach „grundsätzlich in Arzneimitteln für neuartige Therapien enthaltene Humanzellen oder –gewebe aus freiwilligen und unentgeltlichen Spenden stammen“ sollten, ist insofern von Bedeutung, als er eine Möglichkeit darstellt, um das beständige Streben nach Anhebung der Sicherheitsstandards für Gewebe und Zellen zu unterstützen, die Gefahr der Vermarktung von Teilen des menschlichen Körpers zu verhindern und zum Schutz der menschlichen Gesundheit beizutragen.

3.8

Die beratende Rolle der EMEA ist erwiesen und wird auf sämtlichen Ebenen entscheidend sein — angefangen von der Herstellung von Arzneimitteln für neuartige Therapien und guter Herstellungspraxis über Regeln in Bezug auf die Zusammenfassung der Produktmerkmale, die Etikettierung und die Packungsbeilage mit den technischen Angaben bis hin zu der sich aus dem wissenschaftlichen Fortschritt ergebenden Abgrenzung gegenüber anderen Fachgebieten (wie Kosmetika oder Medizinprodukte).

3.8.1

Es wird argumentiert, dass die angewandten Verfahren einerseits hohe Kosten nach sich ziehen können, während nationale Zulassungen wirtschaftlicher sind, und andererseits die Frage der Übergangszeiten aufwerfen, die auf einzelstaatlicher Ebene länger sind (5 Jahre) als auf Gemeinschaftsebene (2 Jahre). Dieses politische Risiko eines dezentralisierten nationalen Verfahrens kann sich zugangshemmend auswirken, insofern einige Mitgliedstaaten Zugang zu Arzneimitteln für neuartige Therapien haben, andere jedoch nicht.

3.9

Auch der wirtschaftliche Aspekt wird in diesem Vorschlag sachgerecht angegangen (5). Mit Blick auf den weltweiten Wettbewerb in der Gesundheitsindustrie ist es enorm wichtig, dass sich die Europäische Union sowohl im Binnenmarkt als auch außergemeinschaftlich behauptet.

3.10

Die wirtschaftlichen Unwägbarkeiten der rasanten Entwicklungen in der Wissenschaft und die beträchtlichen Kosten der Studien ziehen erhebliche Verzögerungen für umfassende und nachhaltige Investitionen im Bereich der Arzneimittel im Allgemeinen und der Arzneimittel für neuartige Therapien im Besonderen nach sich.

3.11

Außerdem werden diese Studien, die zum Nachweis der Qualität und der nichtklinischen Sicherheit von Arzneimitteln für neuartige Therapien erforderlich sind, häufig von kleinen und mittleren Unternehmen durchgeführt, die sich oftmals nicht auf frühere Erfahrungen im pharmazeutischen Bereich stützen (in der Regel handelt es sich um „Spin-off“-Unternehmen biotechnologischer Labors oder Hersteller von Medizinprodukten).

3.12

Der Vorschlag, dass „unabhängig von einem konkreten Zulassungsantrag“ ein System zur Beurteilung und Zertifizierung der Ergebnisse durch die Agentur als Unterstützung und Anreiz für die Durchführung solcher Studien eingeführt werden soll, erscheint geeignet.

3.12.1

Mit der Gewebezüchtung (dem so genannten Tissue Engineering) lassen sich Produkte herstellen, die von KMU, „Start-up“- oder „Spin-off“-Unternehmen, d.h. nicht von der pharmazeutischen Industrie, entwickelt wurden. Daraus ergeben sich folgende Feststellungen:

Welche Bereiche soll diese Verordnung abdecken, um einsatzfähig zu werden? Wird sie nicht große Diskussionen auslösen — und das, obwohl die angewandten Technologien vielversprechend sind?

Aus der Zusammensetzung des CAT ergibt sich das Problem seiner Abhängigkeit vom CHMP, obwohl er aus einem Vertreter je Mitgliedstaat besteht.

Der angewandte Rechtsrahmen erscheint wenig angemessen, da es sich hier um nicht konventionelle pharmazeutische Produkte handelt, die die Änderung weiterer Texte erforderlich machen.

Die vorsichtige Formulierung des Gebrauchs von Stammzellen kann in den betroffenen Ländern zu einem Veto führen, da der Wortlaut „angemessen“ sein muss; bekanntlich steckt der Teufel im Detail.

3.13

Das Ziel, die Beurteilung künftiger, auf denselben Daten basierender Zulassungsanträge zu erleichtern, ist zu befürworten und anzustreben.

3.14

Hier sollte jedoch aufmerksam vorgegangen und eine solche Bestimmung bei Bedarf angepasst werden, um den rasanten Entwicklungen der wissenschaftlichen Datenlage (beispielsweise der Geltungsdauer und der Speicherbedingungen der Daten) Rechnung zu tragen, die Gesundheit der Patienten ständig zu schützen sowie generell die ethischen Regeln zu befolgen.

3.15

Der vorgesehene Bericht über die Durchführung dieser Verordnung „auf der Grundlage der gewonnenen Erfahrungen“ könnte Gelegenheit zu einer Debatte in den betreffenden Gremien bieten, insbesondere dem Ausschuss für neuartige Therapien (CAT) und dem Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP).

3.15.1

Dass der CAT dem CHMP untergeordnet ist, d.h. ein neuer, aus Sachverständigen bestehender Mechanismus den Anweisungen des CHMP unterliegt, macht die Verfahren sehr schwerfällig und kann möglicherweise zu unnötigen Widersprüchlichkeiten führen.

3.16

Allgemeiner gesagt könnte die vorgesehene Veröffentlichung dieses Berichts (Kapitel 8 Artikel 25) nicht nur „umfassende Informationen über die verschiedenen Arten der gemäß dieser Verordnung zugelassenen Arzneimittel für neuartige Therapien“ enthalten, sondern auch Informationen und Ergebnisse in Bezug auf die in Kapitel 6 (Artikel 17, 18 und 19) vorgesehenen Anreize: „Wissenschaftliche Beratung“, „Wissenschaftliche Empfehlung zur Einstufung als neuartige Therapie“ und „Zertifizierung von qualitätsbezogenen und präklinischen Daten“.

4.   Fazit

4.1

Insgesamt ist der Verordnungsvorschlag relevant und zweckdienlich. Er ermöglicht es, im Dienste des Patienten die wissenschaftlichen Entwicklungen zu verfolgen sowie die Begriffsbestimmungen und die Voraussetzungen für die Anwendung von Arzneimitteln für neuartige Therapien festzulegen.

4.1.1

Vom Standpunkt des Patienten aus ist es zwar legitim, mit diesen neuen Technologien die große Hoffnung auf Beseitigung menschlichen Leidens zu verbinden und einer berechtigten Erwartung zu entsprechen, insbesondere durch den Einsatz der regenerativen Medizin, doch muss die Überwachung der entsprechenden Forschungsarbeiten auf entscheidenden Praxistests beruhen, deren Protokolle dem Patienten absolute Sicherheit garantieren müssen. Auch stellt sich das Problem der nicht verwendeten Abfälle, ein wenig beachteter ökologischer Aspekt. In diesem Sinne sollte ein Hauptziel (Ziffer 2.1 der Begründung) neben einem hohen Gesundheitsschutzniveau auch die medizinische Qualitätssicherung sein.

4.2

Dieser Text ist vor allem im Bereich der Gentherapeutika und der somatischen Zelltherapeutika von Bedeutung. Die vorsichtigen Formulierungen der Begriffsbestimmungen als auch der praktischen Anwendung von Produkten aus Gewebezüchtungen zeigen deutlich, dass der Verordnungsentwurf — da die ethische Debatte nicht abgeschlossen ist und es sich dabei im Grunde um eine bestimmte Lesart des Humanismus handelt — nicht darauf abzielt, den Ausgang dieser Debatte zu bestimmen oder zu ihr etwas beizutragen, was über die Diskussionen in den einzelnen Staaten hinausgeht.

4.2.1

Dieser Verordnungsentwurf schafft die Voraussetzungen für die Vermeidung eines Regelungsgefälles zwischen dem Richtlinienentwurf über Medizinprodukte und diesem Verordnungsentwurf. Der allgemeine Grundsatz der Risikoabschätzung erstreckt sich auf das Anwendungsgebiet der Arzneimittel für neuartige Therapien und der Medizinprodukte. Eine Komplikation kann im Zusammenhang mit kombinierten Arzneimitteln entstehen (d.h. Medizinprodukte, die Elemente aus der Gewebezüchtung enthalten): In diesem Fall ist sowohl die Qualität als auch die Sicherheit zu gewährleisten, und im Rahmen der Bewertung muss auch die Wirksamkeit der Verwendung eines neuartigen Arzneimittels in dem spezifischen Medizinprodukt untersucht werden.

4.3

Der Ausschuss befürwortet den „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004“, hebt jedoch die Kritikpunkte hervor, für die klare Lösungen gefunden werden sollten, die eine wirksame Anwendung der Richtlinie gewährleisten.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2005) 567 endg..

(2)  KOM(2005) 567 endg., Erwägungsgrund 6.

(3)  CHMP: Committee for Medicinal Products for Human Use.

(4)  CAT: Committee for Advanced Therapies.

(5)  Vgl. KOM(2005) 567 endg., Erwägungsgrund 23.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/18


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds“

KOM(2005) 535 endg.

(2006/C 309/04)

Die Europäische Kommission beschloss am 9. Dezember 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr CASSIDY.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 146 Ja-Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

1.1

Diese Stellungnahme erfolgt auf Befassung durch die Kommission im Nachgang zu ihrer Mitteilung vom März 2005 „Bessere Rechtsetzung für Wachstum und Arbeitsplätze in der Europäischen Union“  (1).

1.2

Vereinfachung sollte zu einem hochqualitativen Regelungsrahmen führen und diesen verständlicher und „benutzerfreundlicher“ gestalten.

1.3

Vereinfachung sollte die Durchsetzung der EU-Rechtsetzung erhöhen und dadurch ihre Legitimität stärken.

1.4

Nach Ansicht des Ausschusses tragen die Mitgliedstaaten eine hohe Verantwortung für die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Umsetzung der EU-Maßnahmen in das einzelstaatliche Recht und deren Durchsetzung. Der Ausschuss erkennt an, dass die Interinstitutionelle Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ (2) einen „Verhaltenskodex“ für Mitgliedstaaten zur besseren Umsetzung und Anwendung von EU-Richtlinien vorsieht. Wichtig ist, dass der sich daraus ergebende Regelungsrahmen auf einzelstaatlicher Ebene für die Unternehmen, Arbeitnehmer, Konsumenten und sämtliche Akteure der Zivilgesellschaft inhaltlich ausgewogen und gleichzeitig so einfach wie möglich gestaltet ist.

1.5

Der Ausschuss wünscht, dass soziale und wirtschaftliche Akteure ähnlich wie bei dem Modell der SLIM-Ausschüsse in das „Komitologieverfahren“ der Vereinfachung der Rechtsetzung eingebunden werden, jedoch systematischer und eher im Vorfeld dieser Verordnung als nachträglich, wie es bei den SLIM-Vorhaben der Fall war.

1.6

Der Ausschuss wünscht mehr Beratung zwischen der Kommission und den Betroffenen, ähnlich wie jene, die zu der vorliegenden Mitteilung geführt hat. Er ist überzeugt, dass dies ein materieller Beitrag für die unter Ziffer 3 d genannte „Koregulierung“ (3) sein würde. Er bedauert jedoch, dass auf die „Selbstregulierung“ (4) überhaupt nicht eingegangen wird, obwohl sich der Ausschuss dafür seit einiger Zeit einsetzt (5).

1.6.1

Der Ausschuss erkennt im Zusammenhang mit Selbstregulierung aber auch die Gefahr, dass keine Regelungen getroffen werden, die die handelnden Akteure verpflichten, sondern dass die Akteure selber freiwillige Vereinbarungen treffen, an die sie sich halten können oder auch nicht.

1.7

Der Europäische Gerichtshof spielt eine zunehmend wichtige Rolle bei der Auslegung von EG-Richtlinien und muss den manchmal unklaren Wortlaut von Richtlinien, der durch das „Mitentscheidungsverfahren“ verursacht wird, deuten. Der EuGH ist auch zunehmend gefordert, Orientierungshilfe für nationale Gerichte in Bereichen zu geben, in denen sich ihre Tätigkeit gegenseitig ergänzt. Der Ausschuss nimmt die Fortschritte zur Kenntnis, die der EuGH erzielt hat, indem die Zahl der anhängigen Verfahren, die auf die Nichtübermittlung bzw. unkorrekte Anwendung von EG-Richtlinien seitens der Mitgliedstaaten und die Unvereinbarkeit mit den EG-Richtlinien zurückzuführen sind, um 12 % verringert wurde.

1.8

Der Ausschuss würdigt die Bedeutung dieser Mitteilung der Kommission zur Umsetzung des Lissabon-Programms, dessen erschreckend geringer Fortschritt auf das zögerliche Verhalten der Regierungen der Mitgliedstaaten zurückzuführen ist, den Verpflichtungen, die sie in Lissabon übernommen haben, nachzukommen.

1.9

Insbesondere begrüßt der Ausschuss die Verpflichtung der Kommission, die Informationstechnologien extensiver zu nutzen, und hofft, dass die Kommission sicherstellt, dass alle Regelungen, die für verbesserte Informationstechnologien getroffen werden, mit den nationalen Regelungen vereinbar sind (bzw. die nationalen Regelungen mit denen der EU vereinbar sein sollten!).

1.10

Der Ausschuss hat die Gemeinsame Erklärung der sechs Ratsvorsitze „Fortschritte der Reform der Rechtsetzung in Europa“ vom 7. Dezember 2004 (6) stets unterstützt und hofft auch auf die Unterstützung dieser Erklärung durch die kommenden Ratsvorsitze (7).

1.11

Der Ausschuss nimmt die Berichte des Europäischen Parlaments über bessere Rechtsetzung zur Kenntnis, insbesondere den Gargani-Bericht zum Thema „Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds“  (8).

1.12

Der Ausschuss erkennt an, dass die gegenwärtige Kommission entschlossene Anstrengungen unternimmt, auf die sektoralen Initiativen SLIM und BEST aufzubauen. Die Rahmenaktion vom Februar (Februar 2003 — Dezember 2004) führte zu einer Überprüfung von ca. 40 Politikbereichen und zur Annahme von etwa 40 Vereinfachungsvorschlägen der Kommission. Derzeit werden noch 9 Vereinfachungsvorschläge im Rahmen dieses Programms erörtert.

1.13

Der Ausschuss stellt fest, dass die Erweiterung der Europäischen Union auf 25 Mitgliedstaaten auch mit einer stärkeren regulatorischen Belastung sowohl für die Kommissionsdienststellen als auch für die Verwaltungen der neuen Mitgliedstaaten verbunden ist.

1.14

Vereinfachung und bessere Rechtsetzung sind einander ergänzende Maßnahmen, die sowohl den Rat und das Parlament als auch die Kommission einbeziehen und gegebenenfalls den Ratschlag des EWSA und des AdR erfordern.

1.15

Der Ausschuss bekräftigt seine häufig in früheren Stellungnahmen zum Ausdruck gebrachte Ansicht, dass es wichtig ist, die regulatorischen und finanziellen Belastungen für Unternehmen, insbesondere KMU, zu verringern.

2.   Einleitung

2.1

Seit 1995 auf Ersuchen des Europäischen Rates eine Arbeitsgruppe beauftragt wurde, Möglichkeiten einer Vereinfachung der Gemeinschaftsvorschriften zu prüfen, hat der Ausschuss eine Reihe von Stellungnahmen zum Thema Vereinfachung verabschiedet.

In diesen Stellungnahmen schlussfolgerte der EWSA:

Der Ausschuss sollte mit dem Ausschuss der Regionen und den Wirtschafts- und Sozialräten in den Mitgliedstaaten den Dialog aufnehmen.

Die Vereinfachung bedarf keiner neuen Ideen; notwendig ist vielmehr die effektive Umsetzung der Vorstellungen, die bereits von den Europäischen Institutionen und dem Europäischen Rat in Lissabon entwickelt wurden.

Legislativvorschläge sollten an folgenden Kriterien gemessen werden:

Sind die Bestimmungen verständlich und benutzerfreundlich?

Ist die Absicht, die hinter den Bestimmungen steckt, eindeutig?

Stehen die Bestimmungen mit dem geltenden Recht in Einklang?

Muss der Anwendungsbereich der Bestimmungen unbedingt so weit sein wie geplant?

Sind die Fristen zur Erfüllung der Vorschriften realistisch und lassen sie der Wirtschaft und anderen Betroffenen genügend Zeit sich anzupassen?

Welche Kontrollverfahren wurden vorgesehen, um eine einheitliche Anwendung zu gewährleisten und um Wirksamkeit und Kosten zu überprüfen?

Die Idee einer stärkeren Selbst- und Koregulierung findet große Unterstützung durch die Betroffenen.

Bisher wurden die Möglichkeiten für ein weniger ausführliches und penibles Regelwerk, das auch Raum für Koregulierung und Selbstregulierung lässt, nicht hinreichend ausgelotet  (9).

2.2

Es besteht ein notwendiger Zusammenhang zwischen Vereinfachung und Verbesserung der Durchführung sowie Durchsetzung des EU-Rechts. In der jüngsten Mitteilung der Kommission sind offenbar einige der Schlussfolgerungen der bisherigen Stellungnahmen des EWSA berücksichtigt worden, und es wird eingeräumt, dass „Vereinfachung […] kein neues Thema“ ist. Die einschlägigen Mitteilungen der Kommission reichen bis zum Jahre 1997 zurück, während der EWSA schon zwei Jahre zuvor zum ersten Mal eine Vereinfachung gefordert hatte.

3.   Wesentlicher Inhalt der Mitteilung der Kommission

3.1

In der Mitteilung wird eingeräumt, dass sowohl auf Ebene der Gemeinschaft als auch der Mitgliedstaaten eine Vereinfachung erforderlich ist, um Erleichterungen und größere Kosteneffizienz für Bürger und Wirtschaftsakteure zu schaffen.

3.2

Ein wesentlicher Teil der neuen Vereinfachungsstrategie auf EU-Ebene ist die Überarbeitung des Acquis. In der Mitteilung wird ein ehrgeiziges fortlaufendes Programm für 3 Jahre von 2005 bis 2008 dargelegt, das auf der praktischen Erfahrung der Betroffenen beruht, sowie ein Konzept auf der Grundlage von kontinuierlichen umfassenden sektorbezogenen Beurteilungen.

3.3

Dem Vereinfachungskonzept der Kommission liegen folgende fünf Instrumente (10) zugrunde:

a)

Aufhebung — Abschaffung irrelevanter bzw. überholter Rechtsvorschriften;

b)

Kodifizierung — Konsolidierung der Bestimmungen eines Rechtsakts und aller seiner Änderungen in einem neuen Rechtsakt, ohne inhaltliche Änderungen vorzunehmen;

c)

Neufassung — Konsolidierung wie oben, jedoch mit inhaltlicher Änderung;

d)

Änderung des Regelungskonzepts — Ermitteln eines in rechtlicher Hinsicht effizienteren Konzepts als das aktuelle, z.B. Ersetzen von Richtlinien durch Verordnungen;

e)

stärkere Nutzung von Informationstechnologien — Erleichterung des Einsatzes von IT zur Effizienzverbesserung (11).

3.4

In der Mitteilung erkennt die Kommission an, dass sie nur mit der Unterstützung anderer EU-Institutionen und vor allem der Mitgliedstaaten erfolgreich sein kann. Wesentlich wäre, dass Letztere die Notwendigkeit erkennen, sich bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts möglichst eng an den im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens vereinbarten ursprünglichen Richtlinien zu orientieren und unnötige Bürokratie (sog. „gold plating“) zu vermeiden.

3.5

In der Mitteilung wird das Ergebnis einer breit angelegten Konsultation der Mitgliedstaaten und Betroffenen zusammengefasst. Als Schlussfolgerung dieses Verfahrens wird festgestellt, dass die Vorschläge der EU folgenden Anliegen gerecht werden sollten:

deutlichere und besser verständliche Formulierung von Rechtsakten;

Aktualisierung und Modernisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen;

Senkung der Verwaltungskosten;

bessere Kohärenz des Acquis;

Verbesserung der Verhältnismäßigkeit  (12) des Acquis .

Letzteres dürfte aus Sicht der Betroffenen der wohl folgenträchtigste Aspekt sein.

Anhang 2 der Kommissionsmitteilung enthält eine Liste von 222 Maßnahmen zur Vereinfachung. Das Vereinfachungsprogramm der Kommission bezieht sich auf den Zeitraum 2005 bis 2008.

3.6

Die erste gesellschaftsrechtliche Richtlinie (68/151/EWG) wurde 2003 vereinfacht, aktualisiert und modernisiert, um das Potenzial moderner Informationstechnologien voll zu nutzen und die Transparenz bezüglich der Aktiengesellschaften zu erhöhen. Die modifizierte Richtlinie könnte jedoch gegebenenfalls gut in ein Neufassungs- oder Kodifizierungsvorhaben einbezogen werden. Ende des letzten Jahres wurde eine öffentliche Konsultierung eingeleitet, um die Ansichten der Betroffenen zu einer solchen Option einzuholen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

„Vereinfachung“ darf grundsätzlich nicht als ein Mittel missverstanden werden, um eine Deregulierung „durch die Hintertür“ zu erzielen. Administrative Vereinfachung darf nicht zur Unterwanderung bzw. Aushöhlung bestehender Sozial-, insbesondere Arbeitnehmerschutz-, Konsumentenschutz- und Umweltschutznormen führen.

4.2

Der Ausschuss begrüßt die Mitteilung und unterstützt die Kommission, wenn diese darauf hinweist, dass der Erfolg der Vereinfachung der rechtlichen Rahmenbedingungen ebenso von den Mitgliedstaaten und ihren Regulierungsagenturen wie von den Europäischen Institutionen abhängt.

4.2.1

Es wäre hilfreich, einen Verhaltenskodex zu erstellen, wie dies bereits in früheren Stellungnahmen (13) des EWSA vorgeschlagen wurde (Siehe auch Anlage I).

4.2.2

Der Ausschuss erinnert an die Tatsache, dass der Erfolg des Vereinfachungsprozesses nicht allein von der Fähigkeit der Kommission abhängt, Vorschläge zu unterbreiten, sondern auch von der Kapazität der Mitgesetzgeber, in einem angemessenen Zeitrahmen die von der Kommission vorgelegten Vereinfachungsvorschläge anzunehmen.

4.2.3

Es sollte an folgende unter Ziffer 36 der Interinstitutionellen Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ formulierte Auflage erinnert werden: „Binnen sechs Monaten nach dem Wirksamwerden dieser Vereinbarung werden das Europäische Parlament und der Rat, die als Rechtsetzungsbehörde für die abschließende Annahme der Vorschläge für vereinfachte Rechtsakte zuständig sind, ihre Arbeitsmethoden ändern und beispielsweise Ad-hoc-Strukturen schaffen, die speziell für die Vereinfachung von Rechtsakten zuständig sind.“

4.3

In der Mitteilung wird die Bedeutung der Vereinfachungsinitiative für KMU und Verbraucher anerkannt. Schlecht verfasste nationale und EU-Rechtsvorschriften lassen die Verbraucher in Ungewissheit bezüglich ihrer Rechte und Möglichkeiten, den Rechtsweg zu beschreiten.

4.4

Der Ausschuss begrüßt auch die Anstrengungen der Kommission, das Verfahren der Folgenabschätzungen zu verbessern, nicht nur hinsichtlich überflüssiger Auflagen für Unternehmen, sondern auch der Auswirkungen auf Verbraucher, benachteiligte Gruppen (wie zum Beispiel Menschen mit Behinderungen) und die Umwelt. Im Sinne des erklärten Ziels im Rahmen des Lissabon-Prozesses, „mehr Wachstum und Beschäftigung“ zu schaffen, wären Folgeabschätzungen für die Arbeitnehmer und auch auf die Beschäftigung im Allgemeinen sehr zu begrüßen. Besonders begrüßt er den Vorschlag, mehr Gebrauch von Anlaufstellen („one-stop-shops“) zu machen, und den Verweis auf virtuelle oder eigene Tests im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugen im Kontext bestimmter Richtlinien.

4.5

Es wäre sachdienlich, wenn die Kommission eine Folgenabschätzung zur Begründung der Rücknahme von Vorschlägen erstellte, wie dies jetzt auch bei neuen Vorschlägen geschieht.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der Mitteilung zufolge muss das Verfahren der Anpassung der Richtlinien an den technischen Fortschritt („Komitologieverfahren“) transparenter gestaltet werden, worauf das Europäische Parlament häufig dringt. Allerdings tragen hierfür auch die Mitgliedstaaten eine Verantwortung. Die Arbeit im Rahmen des Komitologieverfahrens wird durch „nationale Experten“ durchgeführt, wobei es ausreichend Anlass zu der Vermutung gibt, dass diese „Experten“ dabei die Standpunkte ihrer Regierung nicht berücksichtigen (ein Beispiel hierfür ist die Vogelrichtlinie von 1979, deren technische Anhänge von „Experten“ hinzugefügt wurden, nachdem die Minister die Richtlinie im Rat gebilligt hatten).

5.2

Die Bedeutung der Vereinfachung für Verbraucher, Sozialpartner und andere Betroffene sollte hervorgehoben werden. Konflikte zwischen einzelstaatlichen Umsetzungsvorschriften und den ursprünglichen EG-Richtlinien, auf denen sie aufbauen, erhöhen die Arbeitsbelastung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der die Rolle der „Auslegung“ übernimmt, jedoch zunehmend selbst Details aufklären muss, bei denen sich herausstellte, dass sie übersehen wurden oder für die die Abfassung eines angemessenen Textes durch die Anforderung zur Einstimmigkeit im Rat gescheitert ist, zum Beispiel im Steuerwesen. Es ist jedoch problematisch, wenn dem EuGH zunehmend die Rolle des politischen Entscheiders zukommt. Dafür mangelt es ihm an klaren politischen Grundlagen und es übersteigt auch sein Mandat. Somit trifft er Entscheidungen, die eigentlich von demokratisch gewählten Instanzen zu treffen sein würden.

5.3

Der EWSA anerkennt die Bemühungen der Kommission und die Tatsache, dass es zwar mehrere hundert Aufhebungen und Ungültigkeitserklärungen von Vorschriften gab, die den Umfang des Acquis in erheblichem Maße verringert haben dürften, jedoch nicht notwendigerweise die Belastung für Unternehmen, Arbeitnehmer, Verbraucher oder andere Betroffene abgebaut haben. Der Ausschuss räumt ein, dass es noch Bereiche gibt, in denen mehr Rechtsvorschriften auf EU-Ebene notwendig sind, um die Umwelt sowie die Rechte der Arbeitnehmer, Verbraucher und benachteiligter Personen (z.B. von Menschen mit Behinderungen und anderer Minderheiten) zu schützen und sicherzustellen, dass sie die Vorteile des Binnenmarkts in vollem Maße in Anspruch nehmen können.

5.3.1

Andererseits wird bis jetzt weitgehend das Verfahren der Aktualisierung bestehender Rechtsvorschriften angewendet. Zwar können dadurch bestimmte notwendige Änderungen angebracht und die Rechtsvorschriften auf diese Weise aktualisiert werden, das Ziel der Vereinfachung wird jedoch nicht immer erreicht. Vielmehr überschneiden sich die Maßnahmen manchmal, so dass alte und neue Vorschriften nebeneinander existieren, was in manchen Mitgliedstaaten Verwirrung unter den Betroffenen hervorruft. Bei den durchführenden Behörden in den Mitgliedstaaten können Bedenken entstehen, ob sie im Einklang mit ihren Rechtsinstituten handeln.

5.3.2

Die Merkmale der Vereinfachung eines jeden Vereinfachungsvorschlags des fortlaufenden Programms sollten in der entsprechenden Begründung und gegebenenfalls in der beigefügten Folgenabschätzung verdeutlicht werden. Die Dienststellen der Kommission sollten diese Vorschläge während des interinstitutionellen Entscheidungsfindungsprozesses aufmerksam verfolgen, damit das Ausmaß der Vereinfachung gewährleistet bleibt, wie dies in interinstitutionellen Vereinbarungen gefordert wird (über die „Kodifizierungstechnik“ (14), „Neufassung von Rechtsakten“ (15) und „Bessere Rechtsetzung“ (16)).

5.4

Der Ausschuss verweist nochmals auf seine zahlreichen Stellungnahmen zur Notwendigkeit einer besseren Rechtsetzung und Vereinfachung, insbesondere auf die jüngste Stellungnahme zum Thema „Bessere Rechtsetzung“  (17), die auf ein Ersuchen des britischen Ratsvorsitzes um eine Sondierungsstellungnahme zurückgeht.

5.5

Der Ausschuss bekräftigt seinen schon mehrfach zum Ausdruck gebrachten Wunsch, dass der Prozess einer besseren Rechtsetzung und Vereinfachung im Einklang mit der gemeinsamen Erklärung der EU-Ratsvorsitze 2004-2006 fortgesetzt werden sollte (18).

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2005) 97 endg. vom 16.3.2005.

(2)  ABl. C 321 vom 31.12.2003.

(3)  ABl. C 321 vom 31.12.2003.

(4)  ABl. C 321 vom 31.12.2003.

(5)  Informationsbericht „Aktueller Stand der Koregulierung und der Selbstregulierung im Binnenmarkt“, CESE 1182/2004 fin, 11.1.2005, Berichterstatter: Herr VEVER.

(6)  Eine gemeinsame Erklärung des irischen, niederländischen, luxemburgischen, britischen, österreichischen und finnischen Ratsvorsitzes der Europäischen Union.

(7)  2007: Deutschland — Januar bis Juni; Portugal — Juli bis Dezember; 2008: Slowenien — Januar bis Juni; Frankreich — Juli bis Dezember.

(8)  A6-0080/2006, verabschiedet am 16.5.2006.

(9)  Informationsbericht zum Thema „Aktueller Stand der Koregulierung und der Selbstregulierung im Binnenmarkt“, CESE 1182/2004 fin, 11.1.2005, Berichterstatter: Herr VEVER.

(10)  Aktionsplan „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“ (KOM(2002) 278 endg.) und„Kodifizierung des Acquis communautaire“ (KOM(2001) 645 endg.).

(11)  Die Kommission schlägt vor, eine Initiative im Bereich elektronische Behördendienste mit der Lancierung eines e-Government-Aktionsplans im Jahr 2006 zu ergreifen.

(12)  Verordnungen sollten in einem angemessenen Verhältnis zu ihren Zielsetzungen stehen.

(13)  ABl. C 125 vom 27.5.2002.

ABl. C 14 vom 16.1.2001.

(14)  ABl. C 102 vom 4.4.1996.

(15)  ABl. C 77 vom 28.3.2002.

(16)  ABl. C 321 vom 31.12.2003.

(17)  CESE 1068/2005, ABl. C 24 vom 31.1.2006, Berichterstatter: Herr RETUREAU.

(18)  Fortschritte der Reform der Rechtsetzung in Europa — Eine gemeinsame Erklärung des irischen, niederländischen, luxemburgischen, britischen, österreichischen und finnischen Ratsvorsitzes der Europäischen Union vom 7.12.2004.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex)“

KOM(2005) 608 endg. — 2005/0246 (COD)

(2006/C 309/05)

Der Rat beschloss am 17. Januar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr BURANI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 152 Stimmen gegen 1 Stimme bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung: Leitprinzipien des neuen Zollkodex

1.1

Das 2002 vom Rat angenommene Gemeinschaftsprogramm Zoll 2007 sah unter anderem eine Generalüberholung des Zollkodex der Gemeinschaften in seiner derzeitigen Fassung [Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates] vor, der aufgrund der Entwicklung der Märkte sowie der Informationstechnologien, aufgrund der Annahme verschiedener Verträge und insbesondere infolge der sukzessiven Erweiterungen der Union veraltet ist.

1.2

Es wurde deshalb ein grundlegend modernisierter Zollkodex vorgeschlagen, weil der alte Zollkodex, der immer noch in Kraft ist, „weder mit der radikalen Veränderung des Umfelds Schritt gehalten (hat), in dem der internationale Handel abgewickelt wird, (...) noch mit der Verlagerung des Schwerpunkts der Arbeit des Zolls“. Der zu erörternde Vorschlag befindet sich in Einklang mit der Gemeinschaftspolitik, insbesondere mit den Grundsätzen des Binnenmarkts und des Verbraucherschutzes sowie mit der Lissabon-Strategie. Er bildet die Grundlage für weitere Maßnahmen zur Vereinfachung der Zollverfahren und Arbeitsabläufe sowie für die Anpassung der Vorschriften über gemeinsame Normen für IT-Systeme der Mitgliedstaaten.

1.2.1

Dieses Maßnahmenbündel ermöglicht nach Auffassung der Kommission die Berücksichtigung der Leitlinien des Rates zur Initiative „e-Governement“ sowie die Umsetzung der Initiative „bessere Rechtssetzung“ und einer Reihe konkreter Ziele wie z.B. die Erhöhung der Sicherheit an den Außengrenzen, die Verminderung von Betrugsrisiken sowie eine stärkere Kohärenz mit anderen Gemeinschaftspolitiken, insbesondere dem Steuerwesen.

1.3

Der neue Zollkodex wurde im Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie konzipiert, die darauf abzielt, Europa zu einem Anziehungspunkt für Investitionen und Beschäftigung zu machen. Er steht ferner mit der von der Kommission vorgeschlagenen und im Dezember 2003 vom Rat angenommenen Schaffung eines einfachen und papierlosen Arbeitsumfelds in Einklang. Das Mandat des Rates wird außerdem auch in dem parallelen Vorschlag für eine Entscheidung über „ein papierloses Arbeitsumfeld für Zoll und Handel“ [KOM(2005) 609 vom 30.11.2005] berücksichtigt, zu dem sich der EWSA in einer gesonderten Stellungnahme äußern wird.

1.4

Die Änderungen im neuen Zollkodex sind weder rein formaler Natur, noch dienen sie ausschließlich der Aktualisierung: Von weitaus größerer Bedeutung ist der Wandel bei der Ausrichtung der Zollpolitik. Im Laufe der letzten 20 Jahre verlagerten sich die Aufgaben der Zollbehörden zusehends von der Zollerhebung auf neue Zuständigkeiten bei nichtzolltariflichen Maßnahmen, insbesondere im Bereich Sicherheit, Kontrolle der illegalen Zuwanderung, Bekämpfung von Markenpiraterie, Geldwäsche, Drogenhandel sowie Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutz — und bei der Erhebung der Mehrwertsteuer und der Verbrauchsteuern. Gleichwohl wird im Kommissionsdokument unter dem Aspekt der Sicherheit nicht ausdrücklich auf eine zusätzliche Aufgabe eingegangen, die hingegen sicherlich von den Zollbehörden wahrgenommen werden muss: die der wichtigen Unterstützung bei der Kontrolle des Waffenhandels und der Bekämpfung des Terrorismus. Dieses Versäumnis schlägt sich in einer mangelhaften Auslegung der Informationssysteme, auf die unten in Ziffer 3.1.3.1 eingegangen wird, nieder.

1.5

Eine weitere Neuerung betrifft die Verwendung von IT-Verfahren bei der Zollabwicklung. Im derzeit gültigen Kodex sind solche Verfahren zwar vorgesehen — und werden von fast allen Mitgliedstaaten auch umfassend angewandt -, aber es gibt immer noch keine Verpflichtung zur Nutzung dieser Systeme, weder für die einzelstaatlichen Zollbehörden, noch für die Nutzer. Im neuen Zollkodex sind sie hingegen zwingend vorgeschrieben — ein notwendiger Schritt im Blick auf die Abkehr von papiergestützten Verfahren, die Gegenstand der unter Ziffer 1.3 oben erwähnten parallelen Initiative sind.

1.6

Der neue Zollkodex ist mit den anderen Politikbereichen der Kommission vereinbar und entspricht den in den Bereichen Durchführbarkeit, Transparenz und Folgenabschätzung vorgesehenen Verfahren. Der Ausschuss begrüßt, dass die interessierten Bereiche der Zivilgesellschaft konsultiert wurden, die sich weitgehend positiv geäußert haben. Der Ausschuss teilt die Auffassung der Kommission in puncto Berücksichtigung der Rechtsgrundlage, Subsidiaritätsprinzip und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, behält sich indes vor, weiter unten einige Anmerkungen in Sachen Folgenabschätzung vorzubringen.

1.7

Die Kommission hat vier unterschiedliche Ansätze in der Sache untersucht und sich schließlich für eine Lösung entschieden, die eine verstärkte Zusammenarbeit der einzelstaatlichen elektronischen Zollsysteme vorsieht. Diese Entscheidung wird nach Auffassung der Kommission gerechtfertigt durch die erforderliche Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips sowie die bei den Mitgliedstaaten festgestellte geringe Bereitschaft, eine auf einem zentralisierten europäischen System basierende Lösung zu akzeptieren. Der EWSA nimmt diese durch Sachzwänge bedingte Entscheidung zur Kenntnis, hält aber gleichwohl fest, dass letztere Option eine zuverlässigere, einfachere und für die Nutzer weniger kostspielige Lösung darstellen würde. Was das Subsidiaritätsprinzip betrifft, würde dies vielmehr auf europäischer als auf einzelstaatlicher Ebene zum Ausdruck kommen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Ausschuss äußerte sich im Februar vergangenen Jahres zu einem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Zollkodex (1), in dem bereits Neuerungen bezüglich der Beseitigung papiergestützter Verfahren und zur integrierten Zollverwaltung an den Außengrenzen vorgeschlagen wurden. Der Ausschuss begrüßt, dass die in jenem Vorschlag aufgestellten Grundsätze, zu denen er sich weitgehend positiv äußerte, auch in dem jetzt vorliegenden Vorschlag beibehalten und in konkrete Bestimmungen eingeflossen sind, die er erneut im Großen und Ganzen begrüßt.

2.2

Die Gesamtheit der neuen Vorschriften trägt den Rechten und Bedürfnissen der Wirtschaftsbeteiligten in erhöhtem Maße Rechnung, was sich u.a. in einer Reihe von Vorschriften niederschlägt, um eventuelle, durch die Verfahren verursachte Schäden gegebenenfalls zu berücksichtigen. Ausdruck hierfür ist sowohl die Vereinfachung der Rechtsvorschriften, als auch die Zusammenfassung der zollrechtlichen Bestimmungen, die von gegenwärtig 13 auf die drei Grundverfahren Einfuhr, Ausfuhr und besondere Verfahren reduziert werden. Im Zuge der redaktionellen Arbeit konnten dann zwei Drittel der Artikel des derzeitigen Zollkodex geändert, zusammengelegt oder in die Durchführungsvorschriften übernommen und somit von 258 auf 200 verringert werden.

2.2.1

Der Ausschuss bescheinigt der Kommission die erfolgreiche Durchführung eines heiklen und mühsamen Unterfangens unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze des Binnenmarkts sowie der gewissenhaften Wahrung der Rechte und der Bedürfnisse der Wirtschaftsakteure. Er weist gleichwohl darauf hin, dass das Fehlen von Durchführungsvorschriften, für deren Erarbeitung ebenfalls die Kommission zuständig ist, zur Zeit bei verschiedenen Bestimmungen Raum für gewisse Unsicherheiten gibt. Er wünscht deshalb, dass zügig neue Durchführungsbestimmungen vorbereitet und angenommen werden.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1   Titel I: Allgemeine Bestimmungen

3.1.1

In Artikel 3 werden die einzelstaatlichen Gebiete aufgezählt, die zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehören. Der Artikel gibt keinen Anlass zu besonderen Bemerkungen, bis auf die Unsicherheit, die durch folgende Formulierung hervorgerufen wird: „Bestimmte zollrechtliche Bestimmungen können im Rahmen von Rechtsvorschriften über bestimmte Bereiche oder von internationalen Übereinkünften außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft gelten“. Im Sinne der Rechtssicherheit ist es nicht möglich, dass in einer Rechtsvorschrift von „bestimmten Vorschriften“ die Rede ist, ohne im Text selbst oder im Anhang anzugeben, welche Vorschriften gemeint sind. Aus rechtlichen Gründen und auch aufgrund der gebotenen Transparenz muss ausdrücklich und exakt angegeben werden, auf welche Gebiete und welche Rechtsvorschriften Bezug genommen wird. Viel zu oft entgehen dem Bürger — und auch den Sachverständigen — die bei zahlreichen Gelegenheiten eingeräumten und vielfältigen Ausnahmen und Sonderregelungen, die häufig regelrecht und nicht immer nur zeitlich begrenzte Wettbewerbsbeschränkungen darstellen.

3.1.2

Der Austausch sowie der Schutz von Daten und Informationen (Artikel 5, 6 und 7) bedürfen im Allgemeinen keiner besonderen Bemerkungen, da die vorgeschlagene Regelung dem üblichen, von den öffentlichen Verwaltungen gewährten Schutz der Privatsphäre der Bürger und der Vertraulichkeit von Geschäftsvorgängen entspricht. Der Ausschuss begrüßt insbesondere die in Artikel 8 enthaltenen Bestimmungen, denen zufolge die Zollverwaltungen gehalten sind, Informationen über die Anwendung der Zollvorschriften zu geben und die Transparenz zu fördern, indem sie den Wirtschaftsbeteiligten die Rechtsvorschriften, die Verwaltungserlasse und die Antragsformblätter kostenlos — über das Internet — zur Verfügung stellen.

3.1.2.1

Zu Artikel 5 Absatz 1, in dem die Verwendung EDV-gestützter Verfahren für jedweden Austausch von Daten, Begleitunterlagen, Entscheidungen und Anzeigen zwischen den Wirtschaftsbeteiligten und den Zollbehörden verfügt wird, ist Folgendes anzumerken: Diese Bestimmung ist vollkommen richtig, wenn sie auf Unternehmen oder professionelle Wirtschaftsbeteiligte angewandt wird. Sie kann hingegen Schwierigkeiten verursachen, wenn der Importeur (oder weniger häufig der Exporteur) eine Privatperson und nicht unbedingt ein „Wirtschaftsbeteiligter“ ist. In einer Zeit, in der das Volumen der über das Internet oder postalisch abgewickelten Käufe in Drittstaaten exponential ansteigt, ist dieses Problem überhaupt nicht zweitrangig. Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass dieser Aspekt z.Zt. im Rahmen des Komitologie-Verfahrens überprüft wird und empfiehlt, Privatpersonen ausdrücklich in den Kreis derjeniger aufzunehmen, die gemäß Artikel 93 berechtigt sind, eine summarische Eingangsanmeldung abzugeben. Die Bestimmung in Artikel 94, derzufolge die Zollbehörden die summarische Eingangsanmeldung nur in Ausnahmefällen auch in Papierform annehmen können, ist ebenfalls zu ändern. Als Alternative — oder ergänzend — könnte erwogen werden, die Möglichkeit der gelegentlichen vereinfachten Zollanmeldung (immer in Papierform) nach Artikel 127 auf Privatpersonen auszuweiten.

3.1.2.2

Bezüglich der elektronischen Datenverarbeitung im Allgemeinen möchte der Ausschuss auf die hohen Kosten des neuen integrierten EDV-gestützten Verfahrens hinweisen. Diese Kosten müssen kurzfristig getragen werden, wohingegen der Nutzen (insbesondere bezüglich qualitativer Verbesserungen) großteils erst mittel-/langfristig spürbar sein wird. Einige Mitgliedstaaten scheinen bereits beunruhigt zu sein, was sowohl die zu tragenden Kosten als auch die Verpflichtung zur Einhaltung der Fristen für die Einführung der neuen Systeme betrifft. Andere Mitgliedstaaten wiederum — vor allem diejenigen, die auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung am weitesten vorangeschritten sind -, halten die Umstellung ihrer erst vor kurzem eingeführten Systeme zur Angleichung an das Gemeinschaftssystem für besonders aufwändig. Der Ausschuss greift diese Bedenken, die von der Kommission nicht übergangen werden können, auf: Er ist gleichwohl der Auffassung, dass es im europäischen Interesse liegt, über ein effizientes und modernes Zollsystem zu verfügen, und dass dies einige vereinzelte Opfer wert ist. Diese könnten eventuell mit einer Hilfestellung ausgeglichen werden, die auf konkrete Fälle und genau belegte Erfordernisse beschränkt werden sollte.

3.1.3

In Artikel 10 wird verfügt, dass die Mitgliedstaaten „ein System der elektronischen Datenverarbeitung für die gemeinsame Erfassung und Pflege“ der Aufzeichnungen über alle erteilten Bewilligungen und alle Wirtschaftsbeteiligten in „Zusammenarbeit mit der Kommission entwickeln, pflegen und nutzen“. Fragen bezüglich Art und Funktionsweise des Systems werden mit Artikel 194 ausgeräumt: Jeder Mitgliedstaat behält sein eigenes Informationssystem bei und garantiert die Interoperabilität mit den Systemen anderer Mitgliedstaaten gemäß den von der Kommission mit Unterstützung des Ausschusses für den Zollkodex festgelegten Vorschriften und Normen. Der Zeitpunkt für das Inkrafttreten des Systems wurde auf den 30. Juni 2009 festgelegt. Nach Auffassung des Ausschusses ist ein System, das — nach Gewährleistung der Interoperabilität — auf dem Austausch und der Aktualisierung von Informationen nationaler Datenbanken beruht, kostspielig und schwer zu verwalten. Vor allem ist es äußerst unwahrscheinlich, dass ein solches System binnen der vorgesehenen Frist funktionstüchtig sein kann. In der Folgenabschätzung werden die zusätzlichen Kosten für die Einführung des Systems mit 40 bis 50 Mio. EUR angegeben: eine von verschiedenen Sachverständigen als optimistisch angesehene Einschätzung.

3.1.3.1

Der Entwurf dieses Systems — zumindest in der dargelegten Fassung — weist allerdings einen offensichtlichen Mangel von zentraler Bedeutung auf: Das Fehlen eines jedweden Verweises auf strukturierte Zugangsmöglichkeiten zu den Informationssystemen seitens der mit der Bekämpfung des Terrorismus und des organisierten Verbrechens befassten Stellen, natürlich unter Beachtung der Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre und der Vertraulichkeit geschäftlicher Vorgänge. Dieser Aspekt wurde vom Ausschuss bereits mehrfach und bei verschiedenen Gelegenheiten verdeutlicht. Der Rat weist seit Jahren darauf hin, dass eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden wie Kriminalpolizei, Steuerfahndung, Zoll, Geheimdienste, OLAF und Europol erforderlich ist, leider aber bisher ohne nennenswerte Ergebnisse.

3.1.4

Von besonderem Interesse ist Artikel 11, der sich mit der Rolle des Zollvertreters befasst. Laut dem Artikel kann dieser in Vertretung eines Wirtschaftsbeteiligten „Handlungen (vornehmen) und die Förmlichkeiten (erfüllen), die in den zollrechtlichen Vorschriften vorgesehen sind.“ Dabei handelt er entweder im Namen und im Auftrag einer anderen Person (unmittelbarer Zollvertreter), oder im eigenen Namen (mittelbarer Zollvertreter). In Absatz 2 wird ohne weitere Präzisierung verfügt, dass der Zollvertreter im Zollgebiet der Gemeinschaft ansässig sein muss. Der Ausschuss weist jedoch darauf hin, dass die Kommission in der einleitenden Begründung bekräftigt, dass „die Vorschriften über die Vertreter (…) geändert und die bisherigen Beschränkungen aufgehoben worden (sind)“, da weder mit einem elektronischen Arbeitsumfeld noch mit den Grundsätzen des Binnenmarkts vereinbar. Daraus müsste hervorgehen, dass der Zollvertreter über eine Einmalzulassung (Gemeinschaftszulassung) verfügt, die ihn zur Ausübung seiner Tätigkeit im gesamten Gebiet der Gemeinschaft und in Vertretung eines jeden Wirtschaftsbeteiligten unabhängig von dessen Niederlassungslandes berechtigt. Es wäre angezeigt, diesen Artikel neu zu fassen und deutlicher zu formulieren, wobei eventuell auf eine gesonderte Regelung zur Schaffung eines Berufsverzeichnisses, einer Liste o.Ä. nach dem Modell des „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“, der in der nächsten Ziffer zur Sprache kommt, verwiesen werden könnte.

3.1.5

Eine weitere wichtige Funktion übt der zugelassene Wirtschaftsbeteiligte aus (Artikel 4 und 13 bis 16). Dabei handelt es sich in der Praxis um ein Unternehmen (seltener um eine einzelne Person), das Nachweise bezüglich der Zuverlässigkeit, der Zahlungsfähigkeit und besonderer beruflicher Befähigungen vorlegt, um bei den Zollbehörden der Mitgliedstaaten zugelassen zu werden und eine Reihe von Erleichterungen in puncto Kontrollen und Verfahren in Anspruch nehmen zu können. Die Kommission behält sich unter Verweis auf den bereits genannten Artikel 196 vor, die Maßnahmen zur Bewilligung des Status eines zugelassenen Wirtschaftsakteurs genauer zu beschreiben. Der Ausschuss nimmt diese Bestimmungen zur Kenntnis, die sicherlich auf die Erleichterung des internationalen Handels und zur Schaffung eines günstigen Umfelds für den Warenverkehr abzielen. Er weist aber darauf hin, dass den Bedingungen für die Bewilligung des Status und den Regelungen zur Vermeidung eventuellen Missbrauchs eine große Bedeutung zukommt. Ferner ist es nicht eindeutig, ob dem zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten tatsächlich eine gemeinschaftsweite Einmalzulassung („passaporto europeo“) bewilligt wird.

3.1.6

Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Harmonisierung der Zollverfahren stellt Artikel 22 dar. Danach wird den Mitgliedstaaten — wenngleich auf sehr flexible Art und Weise — auferlegt, bei Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften der Gemeinschaft verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen zu ergreifen. Der Ausschuss teilt voll und ganz die Auffassung, dass eine harmonisierte Regelung in diesem heiklen Bereich notwendig ist. Allerdings bleibt zu sehen, wie die Mitgliedstaaten den Versuch aufnehmen werden, ihnen im Bereich des Strafrechts Regeln oder Leitlinien aufzuerlegen. In diesem Bereich ist mit Widerstand oder zumindest mit Vorbehalten zu rechnen.

3.1.7

Die Artikel 24, 25 und 26 betreffen die Einlegung von verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfen (in Artikel 23 wird der strafrechtliche Bereich ausgeschlossen), für die ein zweistufiges Verfahren vorgesehen wird: auf der ersten Stufe bei einer Zollbehörde und auf der zweiten Stufe bei einer höheren unabhängigen Stelle, die ein Gericht oder ein gleichwertiges Fachgremium sein kann. Im Falle von Sanktionen hat die Einlegung eines Rechtsbehelfs im Allgemeinen keine zahlungsaufschiebende Wirkung („solve et repete“), außer die Zollbehörden sind der Auffassung, dass dem Rechtsbehelfsführer bei der Vollziehung der Entscheidung ein „nicht wieder gutzumachender Schaden drohen würde“. Der Ausschuss nimmt dieses Zeichen für die Aufmerksamkeit gegenüber den Erfordernissen der Bürger mit Zufriedenheit zur Kenntnis.

3.1.8

In Artikel 27 wird der selbstverständliche Grundsatz aufgestellt, dass die Zollbehörden jederzeit sämtliche Prüfungen physischer, verwaltungstechnischer, buchführungsspezifischer oder statistischer Natur durchführen können. Ferner wird die Einführung eines elektronischen Systems für das Risikomanagement zur Ermittlung und Abschätzung der Risiken und zur Entwicklung „der für die Risikoabwehr erforderlichen Maßnahmen“ vorgesehen. Dieses System, das die Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit der Kommission bis spätestens 30. Juni 2009 aufbauen sollten, wird ebenfalls durch die von der Kommission auf der Grundlage von Artikel 196 anzunehmenden Vorschriften geregelt. Der Ausschuss begrüßt jedenfalls diese Initiative und hofft, dass die Kommission die Bereitschaft aller Mitgliedstaaten zur Einführung eines solchen — voraussichtlich kostspieligen und nicht einfach zu verwaltenden — Systems sondiert hat.

3.1.9

Laut Artikel 30 entfallen zollamtliche Prüfungen und Formalitäten für auf innergemeinschaftlichen Flügen und innergemeinschaftlichen Seereisen mitgeführtes Handgepäck und aufgegebenes Gepäck, unbeschadet der im Zusammenhang mit Verboten oder Beschränkungen von den Mitgliedstaaten vorgeschriebenen Kontrollen. D.h., dass die Ausnahme nur für diejenigen Länder gilt, die keine Verbote oder Beschränkungen vorsehen. Da Beschränkungen immer und überall bestehen, und sei es auch nur für verbrauchsteuerpflichtige Waren, wird die allgemeine Bestimmung praktisch ausgehölt. Somit bleibt die Befugnis der Zollbehörden, ständig Kontrollen — des aufgegebenen Gepäcks oder des Handgepäcks — durchzuführen, letztlich unangetastet.

4.   Titel II bis VIII: Zollformalitäten und -verfahren

4.1

In den Titeln II bis VIII werden die Zollformalitäten und -verfahren behandelt, wobei zu einem großen Teil der Inhalt des derzeit gültigen Zollkodex übernommen wird. Der EWSA möchte diese Materie nicht im Einzelnen untersuchen, da sie bereits im Rahmen der vor der Abfassung des Textes durchgeführten Anhörungen der interessierten Parteien ausführlich erörtert wurde. Er beschränkt sich daher darauf, einige Artikel zu kommentieren, die von besonderem Interesse sind.

4.2

Artikel 55 legt fest, dass eine Zollschuld auch bei Schmuggel oder unerlaubtem Handel entsteht (definiert als „Waren, die Einfuhr- oder Ausfuhrverboten oder -beschränkungen gleich welcher Art unterliegen“): die Zölle sind in jedem Fall zu entrichten, unbeschadet weiterer verwaltungs- und strafrechtlicher Sanktionen. Eine Zollschuld entsteht jedoch nicht durch vorschriftswidriges Verbringen von Falschgeld sowie von Suchtstoffen, die nicht in den legalen Wirtschaftskreislauf eingehen; derartige Transaktionen werden offenkundig ausschließlich unter strafrechtlichem Blickwinkel betrachtet, außer in denjenigen Fällen, in denen die Rechtsprechung eines Mitgliedstaats vorsieht, dass die Einfuhrabgaben als Grundlage für die Festsetzung von Geldstrafen herangezogen werden. Obgleich der Europäische Gerichtshof eine andere Meinung vertritt, sollten nach Auffassung des EWSA den Zollbehörden nicht die ihnen rechtmäßig zustehenden Einnahmen entgehen, indem auf die Festlegung einer Steuerschuld — neben den verwaltungs- und strafrechtlichen Sanktionen — verzichtet wird; dies sollte zumindest für die Suchtstoffe gelten, wobei deren Wert auf der Grundlage des jeweiligen Marktpreises zu berechnen wäre. Dass eine Drogeneinfuhr strafbar ist, ändert nichts an der Tatsache, dass es sich immer noch um eine (wenn auch unerlaubte) Einfuhr handelt. Um es kurz zu sagen: Die Ausklammerung von Falschgeld ist nachvollziehbar, die von Suchtstoffen jedoch nicht.

4.3

Gemäß Artikel 61 können die Zollbehörden vom Zollschuldner die Leistung einer Sicherheit für die Zahlung seiner Zollschuld verlangen. In Artikel 64 ist anschließend festgelegt, dass eine solche Sicherheit in Form einer Bürgschaft geleistet werden kann, und laut Artikel 66 kommt als Bürge „eine in der Gemeinschaft akkreditierte Bank oder sonstige amtlich anerkannte Finanzinstitution“ in Frage. Diese Bestimmung ist insofern wichtig, als anerkannt wird, dass jede Bank oder Finanzinstitution aus jedem Mitgliedstaat gegenüber den Zollbehörden eines anderen Mitgliedstaats eine gültige Bürgschaft leisten kann: Dieser wichtige Grundsatz ist bereits geltendes Recht, seine Anwendung wird von den Zollbehörden verschiedener Länder jedoch häufig behindert. Verständnisprobleme bereitet jedoch noch die Bedeutung des Begriffs „in der Gemeinschaft akkreditierte ... oder sonstige amtlich anerkannte“, der nach Ansicht des EWSA überflüssig und irreführend ist, da die in der Gemeinschaft niedergelassenen Banken und Finanzinstitute bereits die Einmalzulassung („Europapass“) besitzen, wodurch weitere Präzisierungen hinfällig werden.

4.4

Ebenfalls zum Thema Bürgschaften sieht Artikel 83 vor, dass die Kommisssion — ebenfalls nach dem Verfahren gemäß Artikel 196 — Maßnahmen in Bezug auf die Sicherung der Zahlung durch Bürgen „im Rahmen eines besonderen Verfahrens“ treffen kann. Es fehlen jedoch Angaben zu Inhalt und Geltungsumfang dieses besonderen Verfahrens. Wenn damit auf die Forderung nach Haftbarmachung des Bürgen „auf erste Anforderung“ Bezug genommen wird, hat man es sicherlich nicht mit etwas Neuem zu tun, da diese Art von Sicherheit bereits existiert und auch in anderen Verordnungen (z.B. der Haushaltsordnung der EU) vorgesehen ist; wird dabei jedoch an andere Formeln gedacht, sollten diese besser präzisiert werden, da die Kosten einer Bürgschaft sowohl vom Risiko als auch den Modalitäten der Haftbarmachung des Bürgen abhängen.

4.5

Artikel 83 sieht außerdem vor, dass für den Zeitraum zwischen dem Ablauf der Zahlungsfrist und dem Tag der tatsächlichen Zahlung Verzugszinsen auf den Abgabenbetrag berechnet werden; Artikel 84 behandelt den umgekehrten Fall, wenn die Zollbehörde dem Einführer oder Ausführer Geld schuldet: Für diesen Fall ist in der Regelung ausdrücklich vorgesehen, dass für die ersten drei Monate keine Zinsen zu zahlen sind. Der EWSA weist mit Nachdruck auf diese offensichtliche und nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung von Behörden und Bürgern hin.

5.   Titel IX: Ausschuss für den Zollkodex und Schlussbestimmungen

5.1

Die Bestimmungen dieses Titels sind von grundlegender Bedeutung, um die Struktur des Kodex und seine Tragweite zu verstehen. Dreh- und Angelpunkt ist Artikel 196, demzufolge die Kommission bei der Durchführung der Rechtsvorschrift „von dem Ausschuss für den Zollkodex (nachstehend“ Ausschuss „genannt) unterstützt“ wird, für dessen Tätigwerden „die Artikel 4 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8“ gelten. Dies bedeutet in der Praxis, dass die Kommission — wenn auch mit Unterstützung des Ausschusses für den Zollkodex — Bestimmungen für die gesamte Materie des Zollkodex erlassen kann, was den üblichen Gemeinschaftsverfahren entspricht. Der EWSA hat nichts dagegen einzuwenden, hält es jedoch für notwendig, dass die erlassenen Bestimmungen den Bedürfnissen der Benutzer Rechnung tragen und flexibel genug sind, um zu gegebener Zeit an den technischen und technologischen Fortschritt sowie die Entwicklung der Handelsgepflogenheiten angepasst werden zu können.

5.2

Aufgrund der ihr durch den vorgenannten Artikel 196 übertragenen Befugnisse trifft die Kommission (Artikel 194) Maßnahmen zur Festlegung

der Vorschriften und Normen für die Interoperabilität der Zollsysteme;

„der Fälle und Voraussetzungen, in beziehungsweise unter denen die Kommission befugt ist, Entscheidungen zu erlassen, in denen sie Mitgliedstaaten ersucht, eine Entscheidung zu widerrufen oder zu ändern“;

„weiterer Durchführungsmaßnahmen, die erforderlich sind, unter anderem wenn die Gemeinschaft Verpflichtungen im Rahmen von internationalen Übereinkünften übernimmt, die eine Anpassung des Zollkodex erforderlich machen“.

5.2.1

Die Kommission verfügt somit über recht weitreichende Befugnisse, zu denen auch die Möglichkeit gehört, selbst (zweiter Spiegelstrich) diejenigen Fälle und Voraussetzungen festzulegen, in beziehungsweise unter denen sie die Mitgliedstaaten ersuchen kann, eine Entscheidung zu widerrufen oder zu ändern. Der EWSA weist darauf hin, dass bei den im ersten und dritten Spiegelstrich vorgesehenen Aspekten die Kommission ihre institutionelle Koordinierungs- und Durchführungsfunktion für die vom Rat verabschiedeten oder bestätigten Beschlüsse wahrnimmt, wohingegen es sich bei dem im zweiten Spiegelstrich genannten Fall um eine unübliche Art von Befugnisausübung handelt — auch wenn sie alles in allem aufgrund der Umstände gerechtfertigt ist und der EWSA sicherlich nichts dagegen einzuwenden hat.

5.2.2

Der EWSA stellt generell fest, dass der Wille, alle wie auch immer gearteten Tätigkeiten der Bürger — einschließlich Handelstätigkeiten und Zolltransaktionen — zu kontrollieren, den freien Handel beeinflusst und auf politische Entscheidungen zurückgeht, die je nach den Zuständigkeitsbereichen von der EU und den Mitgliedstaaten gemeinsam getroffen werden. Die Kommission ist dabei natürlich für die Ausführung dieser Entscheidungen zuständig.

5.2.3

Der EWSA gibt zu bedenken, dass die Reform im Zollbereich nicht das unverzichtbare Gleichgewicht zwischen der Freiheit des Handels und der Sicherheit der Benutzer und der Endverbraucher gefährden darf. Die Qualifikation der Zollbediensteten und der Beschäftigten der Einführer/Ausführer muss berücksichtigt werden.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. C 110 vom 30.4.2004.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/26


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005-2010“

KOM(2005) 629 endg.

(2006/C 309/06)

Die Kommission beschloss am 1. Dezember 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: „Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005-2010“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr IOZIA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 152 gegen 1 Stimme bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Vorschläge

1.1

Der EWSA befürwortet den Vorschlag der Kommission, in den kommenden fünf Jahren im Wege der Umsetzung und Ergänzung der geltenden Rechtsvorschriften eine „dynamische Konsolidierung“ des Finanzdienstleistungsgewerbes zu ermöglichen und dabei zu viele regulatorische Maßnahmen, d.h. das so genannte „Goldplating“, zu vermeiden, wobei dem Geist der Lissabon-Strategie entsprochen werden muss und den Besonderheiten des europäischen Sozialmodells Rechnung zu tragen ist.

1.2

Der EWSA teilt die Auffassung, dass es wesentlich ist, die Rolle und die Arbeit der Aufsichtsbehörden sorgfältig zu bewerten und im Einklang mit den Bestimmungen über die Ausschüsse der Stufe 3 des Lamfalussy-Prozesses die bestmögliche Koordinierung zu fördern.

1.2.1

Nach Auffassung des EWSA ist es zum derzeitigen Zeitpunkt noch verfrüht, die Einsetzung einer einzigen europäischen Aufsichtsbehörde, die in Zukunft zur Erleichterung der Integration der Märkte beitragen könnte, in Erwägung zu ziehen. Er hält es zum heutigen Zeitpunkt hingegen für zweckmäßig, den europäischen Behörden die Benennung einer Hauptaufsichtsbehörde (des Herkunftslandes des Mutterkonzerns) vorzuschlagen, die damit betraut würde, auch die Tätigkeit jener Tochtergesellschaften und verbundenen Unternehmen zu überwachen, die in einem anderen Mitgliedstaat beaufsichtigt werden. Die Vorteile für Unternehmen europäischen Ausmaßes sowie für die Verbraucher wären offenkundig.

1.3

Die Verbesserung der Effizienz bei Finanztransaktionen bildet die Grundlage für den zunehmenden Einfluss der Finanzgeschäfte auf die Wirtschaft (man spricht schon von einer Verlagerung der Wirtschaftstätigkeit auf die Finanzen). Dieses Phänomen hat zur Folge, dass sich im Finanzsektor ein erhebliches wirtschaftliches und beschäftigungsrelevantes Entwicklungspotenzial auftut, doch kann es sich auch negativ auf die Gesamtwirtschaft auswirken. Durch den großen Einfluss der vom „shareholder value“ getriebenen Aktienmärkte können die Ziele der Unternehmen durchkreuzt werden. Der kommerzielle und finanzielle Druck, der auf den Führungsgremien der Unternehmen lastet, kann langfristig zu Problemen führen und in unüberlegte Unternehmensübernahmen münden, von denen nach den bisherigen Beobachtungen schon ein beträchtlicher Teil innerhalb kurzer Zeit zu einer Zerstörung von Vermögenssubstanz geführt hat.

1.3.1

Andererseits darf nicht vergessen werden, dass es im Finanzdienstleistungssektor infolge der Konsolidierungsprozesse zumindest kurz- und mittelfristig zu einem Beschäftigungsrückgang kommen und dies zu einer zunehmenden Verunsicherung der Beschäftigten führen wird. Der EWSA betont, dass im Rahmen der Konsolidierungsprozesse die sozialen Auswirkungen berücksichtigt werden müssen, und spricht sich dafür aus, dass die Mitgliedstaaten angemessene Maßnahmen zur sozialen Abfederung ergreifen und Ausbildungs- und Umschulungspläne unterstützen, die für die Erreichung der Ziele von Lissabon unerlässlich sind.

1.4

Der EWSA befürwortet die Ziele der Vereinfachung, Kodifizierung und Klärung, die der Erreichung einer „besseren Gesetzgebungspraxis“ dienen, und begrüßt in diesem Zusammenhang die Selbstverpflichtung der Kommission, regelmäßige, häufige und offene Konsultationen mit allen Interessengruppen durchzuführen und jedem Vorschlag eine zuverlässige Folgenabschätzung vorangehen zu lassen, bei der auch die Wirkung sozialer und ökologischer Aspekte sowie externer Faktoren auf die Gesamtwirtschaft berücksichtigt wird.

1.4.1

Der EWSA dringt darauf, die Arbeiten im Zusammenhang mit dem Aktionsplan für Finanzdienstleistungen einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und auch außerhalb von Fachkreisen darüber zu diskutieren.

1.5

Der EWSA begrüßt die von der Kommission vorgeschlagene Initiative, eine Mitteilung/Empfehlung bezüglich der OGAW zu veröffentlichen, in der nach Wegen zur Beseitigung der derzeitigen Hindernisse beim freien Verkehr dieser Finanzinstrumente gesucht wird.

1.6

Von entscheidender Bedeutung wird es sein, die Information und die Finanzkultur zu verbessern und das Bewusstsein der Verbraucher zu stärken. Die Absicht der Kommission, mit den europäischen Verbraucherverbänden spezifische Aktionen durchzuführen, ist begrüßenswert. Im Hinblick auf die Mitgliedstaaten sollte die Kommission jedoch aktiver werden und sie dazu bewegen, zwingendere Formen der Beteiligung der Interessengruppen auf nationaler Ebene einzuführen. Der EWSA ist bereit, an diesen Initiativen mitzuwirken und sich diesbezüglich mit den Verbraucherorganen und den nationalen Wirtschafts- und Sozialräten ins Benehmen zu setzen.

1.7

Gemäß den geltenden Aufsichtsbestimmungen, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variieren, sind die Unternehmen zur Abschlussprüfung und Rechnungslegung verpflichtet. Die Einführung der internationalen Rechnungslegungsnormen IFRS könnte einen geeigneten Rahmen bilden, um diese Informationspflicht auf europäischer Ebene zu vereinheitlichen. Der EWSA weist darauf hin, dass die Zusammensetzung des IASB (ein privates internationales Normungsgremium) die weltwirtschaftliche Realität nicht vollständig widerspiegelt, und spricht sich dafür aus, dass sich das Gremium für eine internationalen Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, beispielsweise mit der Europäischen Kommission, öffnet.

1.8

Was die vorgeschlagenen Richtlinien zum Privatkundengeschäft betrifft, so wird der EWSA gesondert Stellung nehmen zur Verbraucherkreditrichtlinie, die so bald wie möglich verabschiedet werden sollte, und zu der Richtlinie über die Zahlungsdienstleistungen, die er in einer in Ausarbeitung befindlichen Stellungnahme bewertet. In Bezug auf die Hypothekarkredit-Richtlinie stimmt der EWSA zwar den Zielsetzungen zu, bringt jedoch ernsthafte Bedenken hinsichtlich der kurzfristigen Realisierbarkeit eines integrierten Kreditmarktes zum Ausdruck. Im Hinblick auf die Clearing- und Abrechnungssysteme hingegen würde der EWSA die Verabschiedung einer Rahmenrichtlinie begrüßen.

1.9

Hinsichtlich der Einführung der sogenannten 26. Regelung im Finanzdienstleistungsbereich hat die Kommission ihre Skepsis zum Ausdruck gebracht. Der EWSA nimmt dies zur Kenntnis und erklärt sich bereit zu prüfen, wann die vorschlagenden Gremien die Voraussetzungen für eine effektive Durchführbarkeit schaffen, bei der den tatsächlichen Vorteilen für die Verbraucher sowie ihren Interessen in jedem Fall Rechnung zu tragen ist.

1.10

Was zukünftige Initiativen anbelangt, so verweist der EWSA

auf den Nutzen von Maßnahmen im Zusammenhang mit den OGAW, die auf eine Angleichung der Regulierungsstandards für die fondsgebundenen Lebensversicherungen an die anderen Finanzprodukte abzielen,

auf die Bedeutung der Gewährleistung des Rechts auf ein Bankkonto sowie

auf die Notwendigkeit der Beseitigung der Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Nutzung von Bankkonten.

1.11

Der EWSA ist überzeugt, dass die Qualität der europäischen Standards im Bereich der Regulierung der Finanzdienstleistungen sehr hoch ist und dass die EU durchaus als Bezugspunkt für alle anderen Länder dienen kann. Neben dem Dialog mit den neuen Industrieländern (zum Beispiel Indien, Brasilien und China) müsste Europa im Einklang mit dem Kommissionsvorschlag auch einen Dialog mit den Entwicklungsländern aufnehmen, die auf eine beträchtliche Unterstützung angewiesen sind, um ihren Finanzdienstleistungsmarkt ausbauen zu können.

1.12

Der EWSA unterstützt alle europäischen und nationalen Institutionen bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus. Auch jetzt, da die Kommission betont, dass das Finanzsystem umfassend und kontinuierlich mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten muss, unterstützt und bekräftigt der EWSA diesen Appell an die Finanzinstitute, aber auch an die zuständigen Behörden, die bekannt machen sollten, welche Maßnahmen sie im Anschluss an die von den Finanzvermittlern erhaltenen Informationen ergriffen haben.

2.   Vorbemerkung

2.1

Im Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005-2010 werden einige Ziele zur Förderung der dynamischen Konsolidierung des Finanzdienstleistungsgewerbes festgelegt, da ein effizienter Finanzmarkt ein entscheidendes Element bei der Verfolgung einer Entwicklungs- und Wirtschaftswachstumsstrategie ist. Das Motto des Weißbuchs lautet „dynamische Konsolidierung“ und steht für das Ziel der Beseitigung der Hindernisse, die einem freien Finanzdienstleistungs- und Kapitalverkehr ungeachtet der bereits mit dem FSAP 1999-2005 (Aktionsplan für Finanzdienstleistungen) erzielten beachtlichen Ergebnisse nach wie vor im Wege stehen.

2.2

Da die Gesetzgebung für das Funktionieren der Finanzmärkte eine wesentliche Rolle spielt, ist es durchaus gerechtfertigt, dass im Weißbuch nachdrücklich die Notwendigkeit herausgestellt wird, die geltenden Rechtsvorschriften anzuwenden und zu stärken und gleichzeitig zu viele regulatorische Maßnahmen, insbesondere durch die Mitgliedstaaten (das so genannte „Goldplating“), zu vermeiden.

2.3

Im Rahmen der Analyse des Rechtsrahmens müssen Überlegungen zu den Grenzen, den Aufgaben und der Koordinierungsverantwortung von Aufsichtsbehörden in der EU angestellt werden: Zum derzeitigen Zeitpunkt mag die Aufsicht auf nationaler Ebene zwar noch die beste Form der Schutzes und der Garantie für die Verbraucher und Investoren darstellen. Zwei wichtige Probleme, die mit einem solchen Ansatz einhergehen, dürfen jedoch nicht außer Acht gelassen werden.

2.3.1

Eine mangelnde Integration der Aufsicht auf supranationaler Ebene schränkt die Integration der Märkte stark ein. Deshalb muss eine enge Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten gefördert und gestärkt werden. Das Risikomanagement der großen europäischen Banken, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, erfolgt auf der Ebene der Gruppe auf einer konsolidierten Grundlage. Die Aufsichtsbehörden müssen in der Lage sein, das Risikoprofil dieser großen europäischen Gruppen richtig zu bewerten.

2.3.2

Die Beibehaltung erheblicher Vorrechte der nationalen Aufsichtsbehörden darf nicht als Anlass dazu dienen, jene Barrieren zu erhöhen, die einer „dynamischen Konsolidierung“ auf EU-Ebene entgegenstehen und für deren schrittweise Beseitigung im Weißbuch plädiert wird.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

In einer unlängst veröffentlichten Stellungnahme hat sich der EWSA zum Grünbuch zur Finanzdienstleistungspolitik (2005-2010) geäußert. Da im Weißbuch zahlreiche Vorschläge aus dem Grünbuch enthalten sind, bekräftigt der EWSA seine in jener Stellungnahme (1) zum Ausdruck gebrachten Bemerkungen und fasst sie in dieser Stellungnahme zusammen.

3.1.1

Im Weißbuch wird herausgestellt, dass das Finanzdienstleistungsgewerbe wirtschaftlich und im Hinblick auf die Beschäftigung ein hohes Wachstumspotenzial hat. Der Ausschuss ist allerdings der Auffassung, dass über diese wesentliche Prämisse des Dokuments sorgfältig, wirklichkeitsnah und unter Berücksichtigung verschiedener bereits hinlänglich belegter Tatsachen nachgedacht werden muss.

3.2

Der Konsolidierungsprozess des Sektors kann die Effizienz steigern und Skaleneffekte bewirken, die letztendlich den Inhabern von Anteilen des Risikokapitals der Vermittler (dank einer höheren Rendite des investierten Kapitals) sowie jenen, die die Finanzdienstleistungen in Anspruch nehmen (dank niedrigerer Preise für die Dienstleistungen), zugute kommen können.

3.3

Gleichzeitig gibt es jedoch umfassende empirische Belege für einen durch die Konsolidierungsprozesse bedingten Beschäftigungsrückgang im Finanzdienstleistungssektor, der zu einer zunehmenden Verunsicherung der Beschäftigten führt. Es lässt sich nicht leugnen, dass in den Geschäftsplänen bei Zusammenschlüssen und Übernahmen der Schwerpunkt insbesondere auf Einsparungen durch geringere Personalkosten gelegt wird. Kurzfristig führen die Konsolidierungsprozesse zu einem Nettoverlust von Arbeitsplätzen; andererseits ist einzuräumen, dass sie den Weg ebnen für einen Ausbau von Dienstleistungen und Bereichen innovativer Aktivitäten, die sich wiederum positiv auf die Beschäftigungslage auswirken. Der Abbau der Hürden, die die Finanzdienstleister daran hindern, in vollem Umfang von den Synergien grenzüberschreitender Zusammenschlüsse zu profitieren, würde es den Banken ermöglichen, ihre Leistungen kostengünstiger zu produzieren, was eine kundenfreundlichere Preispolitik ermöglichen und somit die Nachfrage ankurbeln würde. Dies würde wiederum Investitionsanreize für die Finanzvermittler schaffen, was sich auch auf die Beschäftigungslage positiv auswirken würde. Mit Ausnahme von spezifischen Bereichen wie dem Callcenter und dem Back Office sind diese neuen Arbeitsplätze in der Regel für qualifiziertere und besser bezahlte Berufssparten interessant.

3.4

Selbst wenn angenommen wird, dass die Konsolidierung des Sektors keine Nettoverluste an Arbeitsplätzen zur Folge hat, möchte der Ausschuss nachdrücklich betonen, dass zwischen dem Verlust bestehender und der Schaffung neuer Arbeitsplätze eine zeitliche und durch Umschulung zu überwindende Qualifikationslücke entstehen wird, die nicht übersehen werden darf. In dem Moment, in dem nicht länger der Erhalt des Arbeitsplatzes, sondern die Möglichkeit, Arbeit zu finden, im Vordergrund steht, müssen die Mitgliedstaaten neben der Bereitstellung angemessener Maßnahmen zur sozialen Abfederung den Schwerpunkt vorrangig auch auf die Förderung von Weiterbildungs- und Umschulungsprogrammen legen.

3.5

Wenn die Arbeitnehmer das Gefühl haben, dass ihre Qualifikationen und Kompetenzen auch in einem sich rasch verändernden wirtschaftlichen Umfeld gebraucht werden, werden sie die geringere Sicherheit ihres Arbeitsplatzes, die die „dynamische Konsolidierung“ des Sektors mit sich bringt, bereitwilliger akzeptieren. Aufgrund dieser Feststellung muss die berufliche Bildung nicht nur als ein Instrument zur Eindämmung der sozialen Instabilität gesehen werden, sondern auch als ein wesentliches und unabdingbares Element des langfristigen Erfolgs der „dynamischen Konsolidierung“ und der Lissabon-Strategie im Allgemeinen, die darauf abzielt, die europäische Wirtschaft zur wichtigsten wissensbasierten Wirtschaft der Welt zu machen. Aus diesem Grund muss ein angemessenes soziales Netz zur Abschwächung der oftmals schwerwiegenden Folgen solcher Übergangsphasen geschaffen werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Bessere Gesetzgebungspraxis

4.1.1

Die drei Leitgrundsätze der besseren Gesetzgebungspraxis sind die Vereinfachung, die Kodifizierung und die Bemühung um Klarheit. Es ist wichtig, auf diesem Weg fortzuschreiten, um die erforderliche Kohärenz zwischen dem Inhalt der Maßnahmen, einer unkomplizierten Durchführung und einer einheitlichen Übernahme in das einzelstaatliche Recht zu gewährleisten.

4.1.2

Der EWSA begrüßt die Kommissionsvorschläge zur „besseren Gesetzgebungspraxis“. Insbesondere begrüßt er die Selbstverpflichtung der Kommission, häufige und offene Konsultationen mit allen Beteiligten durchzuführen und jedem Vorschlag eine Folgenabschätzungsstudie über das Kosten-Nutzen-Verhältnis im weitesten Sinne vorangehen zu lassen, wobei auch dem Einfluss der sozialen und ökologischen Dimension sowie externer Faktoren auf die Gesamtwirtschaft Rechnung getragen wird. Von wesentlicher Bedeutung sind ferner auch die zusammen mit dem Rat und dem Parlament zu unternehmenden Anstrengungen zur Verbesserung der Qualität der Rechtsvorschriften.

4.1.3

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission bezüglich der Herausforderung, die sowohl die korrekte und fristgemäße Übernahme der europäischen Rechtsvorschriften durch die 25 Mitgliedstaaten als auch die anschließende korrekte Umsetzung darstellt, auch mit Blick auf die künftigen Erweiterungen. Ferner ist er — ebenso wie die Kommission — der Ansicht, dass das „Goldplating“ (d.h. die einseitige Verabschiedung weiterer Bestimmungen, die dem Grundsatz des Binnenmarktes widersprechen) vermieden werden muss. Die unbegründete Vielfalt an nationalen Vorschriften zum Schutz der Verbraucher stellt in der Tat eines der Haupthindernisse bei der Integration der Finanzdienstleistungen in der Europäischen Union dar.

4.1.4

Auch der EWSA hält es für wesentlich, ex post zu prüfen, ob mit den Vorschriften tatsächlich das gesteckte Ziel erreicht wurde und ob die Entwicklung der Märkte zumindest in den Sektoren, die in den Rahmen des sogenannten „Lamfalussy-Prozesses“ fallen, den Vorhersagen entspricht.

4.1.5

Bei der Überprüfung der Kohärenz zwischen den gemeinschaftlichen und den nationalen Rechtsvorschriften müssen zunächst die relevantesten Sektoren unter die Lupe genommen werden, bzw. solche, in denen die Probleme im Zusammenhang mit der Harmonisierung und Konsolidierung von Rechtsvorschriften erheblich sein können, wie im Falle der Vertriebs- und Werbemaßnahmen der OGAW (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren). Vorbedingung für mehr Wettbewerb und Effizienz in diesem Sektor ist u.a. ein größerer Spielraum in den Bereichen Vertrieb und Vermarktung, in denen aufgrund eines noch nicht klar festgelegten Rechtsrahmens große Hindernisse verzeichnet werden. Besonders zweckmäßig ist deshalb die Initiative der Kommission, im Jahr 2006 eine entsprechende Mitteilung bzw. Empfehlung und im November ein Weißbuch zur Vermögensverwaltung auszuarbeiten.

4.1.6

Die Kommission wird vorschlagen, die sechzehn geltenden Versicherungsrichtlinien in einer einzigen Versicherungsrichtlinie zusammenzufassen. Der EWSA unterstützt diesen Kodifizierungsvorschlag und hält ihn für ein hervorragendes Beispiel, das auch in anderen Bereichen nachgeahmt werden sollte, indem Rechtsakte verabschiedet werden, die die bisher auf mehrere Richtlinien verteilte Materie zusammenfassen, vereinfachen und neu strukturieren.

4.1.7

Der EWSA hält im Falle einer unkorrekten Übernahme bzw. Umsetzung des Gemeinschaftsrechts die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren ebenfalls für zweckmäßig. Er stellt jedoch fest, dass die Kommission in letzter Zeit unter einem sehr großen Einfluss des Rates stand und immer seltener auf solche Maßnahmen zurückgegriffen hat.

4.1.8

Trotz der Verbesserungen und Rationalisierungen im Privatkundengeschäft darf das Problem der Unterrichtung, der Bildung und des Bewusstseins der Verbraucher nicht ausgeblendet werden; dies sind nämlich die wesentlichen Elemente eines funktionierenden Rechtsrahmens. Die Absicht, gemeinsam mit den Verbraucherverbänden und Vertretern des Finanzsektors spezifische Aktionen auf europäischer Ebene durchzuführen, ist deshalb sehr zweckdienlich, wobei die Kommission verstärkt darauf hinwirken sollte, dass solche Praktiken auf nationaler Ebene, wenn nicht vorgeschrieben, dann zumindest nachdrücklich empfohlen werden. Der europäische Verbrauchernewsletter ist grundsätzlich eine sehr gute Initiative. Allerdings muss man sich vor Augen halten, dass sich die Informationsinstrumente durch eine echte Verbrauchernähe auszeichnen müssen. Der EWSA ersucht die Kommission, beim Rat und beim Parlament darauf hinzuwirken, dass nach dem Vorbild der Vorhaben auf europäischer Ebene verbindlichere Formen der Beteiligung der Interessengruppen auf nationaler Ebene ins Auge gefasst werden. Die Entwicklung von FIN-NET (ein Instrument, das die große Mehrheit der Verbraucher bislang nicht kennt) geht in die richtige Richtung. Im Hinblick auf eine Überarbeitung der Funktion dieses Instruments empfiehlt der EWSA, die Verbraucherverbände und die Organisationen der Zivilgesellschaft sowie die Sozialpartner einzubeziehen, und erklärt sich bereit, sich beispielsweise bei den nationalen Verbraucherorganen und den Wirtschafts- und Sozialräten gezielt für diese Initiative einzusetzen.

4.1.9

Nach Auffassung des EWSA darf die Kommission, wenn sie der Verbreitung von Informationen, insbesondere unter den Verbrauchern, Investoren und Beschäftigten des Finanzgewerbes, Bedeutung beimisst, das Problem der Sprache, in der die Dokumente verfasst werden, nicht unterschätzen. Die Kommission muss diesem Problem ihre Aufmerksamkeit schenken und die erforderlichen Anstrengungen unternehmen, um zumindest die wichtigsten Dokumente in möglichst vielen Sprachen verfügbar zu machen.

4.1.10

Der EWSA begrüßt, dass die Verbraucher und Beschäftigten von Banken und Finanzunternehmen Beachtung finden und regelmäßig zu Themen konsultiert werden, die für sie von Belang sind. Der Mehrwert der Integration der Märkte liegt in der Zufriedenheit der Verbraucher, wobei jedoch auch den Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen auf die Gesellschaft Beachtung geschenkt werden muss. In der Vergangenheit trugen die Richtlinien im Finanzbereich diesem Ansatz jedoch nicht immer Rechnung. Mit den Anregungen im Abschnitt „Allgemeine Bemerkungen“ soll dieser Perspektive besonderer Nachdruck verliehen werden.

4.1.11

In Bezug auf die Interaktion mit anderen Bereichen der europäischen Wirtschaftspolitik hat der EWSA bereits betont, dass die Mehrwertsteuerregelung für verschiedene Teile der großen europäischen Bankengruppen ein Hindernis bei der Stärkung der Finanzdienstleistungen darstellen kann (2), und nimmt die Absicht der Kommission, einen Legislativvorschlag in diesem Bereich zu unterbreiten, erfreut zur Kenntnis. Die potenziellen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen eines — durchaus erstrebenswerten — Prozesses der Harmonisierung der Mehrwertsteuerregelungen müssen jedoch mit besonderer Sorgfalt untersucht werden. Der EWSA hat allerdings bereits darauf hingewiesen, dass die derzeitige Situation ein Hindernis für die volle Integration und den vollen Ausbau des Finanzmarktes darstellen kann. Darüber hinaus möchte der Ausschuss erneut auf das Problem der Auslagerung aufmerksam machen, das durch eine fehlende Harmonisierung der steuerlichen Rahmenbedingungen übermäßig verschärft werden könnte und negative Auswirkungen auf die Beschäftigung, die Qualität der Dienstleistungen und die gesamte Zuverlässigkeit des Systems hätte. Nach Auffassung des EWSA sollte dieses Thema auch vor dem Hintergrund der oftmals alles andere als guten Ergebnisse der Auslagerungspraktiken sorgfältig beleuchtet werden.

4.2   Die richtigen Regulierungs- und Aufsichtsstrukturen

4.2.1

Das Ziel einer stärkeren Koordinierung zwischen den Marktaufsichtsbehörden ist zweifelsohne begrüßenswert. Eine allmähliche Stärkung der Rolle der Ausschüsse der Stufe 3 könnte die Erreichung dieses Ziels erleichtern, wobei die Kompetenzen der Mitglieder im Rahmen des „Lamfalussy-Prozesses“ zu harmonisieren sind; auf diese Weise könnte der europäische Rechtsrahmen vervollständigt werden. Dadurch würde sowohl eine Entlastung der Kommission als auch eine Reduzierung des Risikos eines „Goldplating“ vonseiten der Mitgliedstaaten und der Aufsichtsbehörden ermöglicht.

4.2.2

Nach Auffassung des EWSA ist es zum derzeitigen Zeitpunkt noch verfrüht, die Einsetzung einer einzigen europäischen Aufsichtsbehörde, die für die Koordinierung zuständig wäre, in Erwägung zu ziehen. Gleichwohl müssen die nationalen Aufsichtsbehörden aktiv und kontinuierlich zusammenarbeiten und versuchen, gemeinsame Verhaltens- und Maßnahmeregeln aufzustellen. Das daraus resultierende größere gegenseitige Vertrauen wäre ein erster Schritt im Rahmen eines Prozesses, der in Zukunft in der Einrichtung einer europäischen Aufsichtsbehörde für große Finanz-, Banken- und Versicherungsgruppen, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, münden würde. Zunächst ist es wichtig, eine Hauptaufsichtsbehörde zu benennen, die im Herkunftsland des Mutterkonzerns angesiedelt wäre und damit betraut würde, über die in anderen europäischen Ländern tätigen Tochtergesellschaften und verbundenen Unternehmen zu wachen. Multinationale Unternehmen und Aufsichtsbehörden könnten vom Binnenmarkt effektiv profitieren, weil sie dadurch eine mehrfache Rechnungslegung und Berichterstattung vermeiden würden und nicht unterschiedlichen nationalen Bestimmungen Rechnung tragen müssten.

4.2.3

Die Methode, die beispielsweise in der Marktmissbrauchsrichtlinie zum Tragen kommt, sollte gefördert werden. Dank eines sehr ausführlichen Richtlinienentwurfs war die Umsetzung in einzelstaatliches Recht sehr einheitlich, und den Regulierungsbehörden konnte eine wichtige Verantwortung auferlegt werden. Diese wurde auf europäischer Ebene mitgetragen, indem ermittelt wurde, welche spezifischen Maßnahmen von einer auf die andere Aufsichtsbehörde zu übertragen waren.

4.2.4

Die Verabschiedung der IFRS (International Financing Reporting Standards) bot eine gute Gelegenheit, die Rechnungslegung der Unternehmensführung zu vereinheitlichen und sie an moderne Standards anzupassen. Dies könnte auch die Gelegenheit zur Vereinheitlichung der Informationen sein, die die Vermittler den entsprechenden Aufsichtsbehörden vorlegen müssen. Angesichts der Verabschiedung der IFRS gibt es nach Auffassung des EWSA keine Rechtfertigung mehr für Aufschübe bzw. Verzögerungen bei der Erreichung dieses Ziels, das eine wesentliche Voraussetzung bildet für eine effiziente und erfolgreiche europaweite Koordinierung und Zusammenarbeit bei der Aufsichtstätigkeit. Erforderlich wäre allerdings eine Anpassung an die entsprechenden Ziele des europäischen Projekts „Solvabilität II“. Die Unternehmen, die ihre Abschlüsse und ihre konsolidierten Abschlüsse noch nicht an die IFRS angepasst haben, sollten allerdings gegenüber solchen, die diese Verpflichtung eingeführt haben, nicht benachteiligt werden.

4.3   Aktuelle und künftige Rechtsetzungsinitiativen

4.3.1   Laufende Vorhaben

4.3.1.1

Im Hinblick auf das Privatkundengeschäft wurden drei sehr wichtige Initiativen auf den Weg gebracht. In Bezug auf die Initiative im Bereich der Hypothekarkredite hat der EWSA (3) bereits einige ernste Zweifel an der konkreten Möglichkeit der Marktintegration zum Ausdruck gebracht. Diese hängen mit den rechtlichen Implikationen und den grundlegenden Schwierigkeiten zusammen, die in einer jüngst erarbeiteten Stellungnahme dargelegt wurden. Der EWSA wartet auf die Leitlinien der Kommission sowie ihre Antworten auf die vorgebrachten Einwände.

4.3.1.2

Die von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen der Verbraucherkreditrichtlinie, die dem Parlament zur Prüfung vorliegen, tragen zur Verbesserung des vorhergehenden Vorschlags bei, obgleich sie die Verbraucher nicht in vollem Umfang zufrieden stellen. Der EWSA sieht dem Ausgang dieser Erörterung mit Interesse entgegen und hofft auf eine rasche Verabschiedung der Richtlinie.

4.3.1.3

Auch der Zahlungsverkehrsdienstleistungsrichtlinie kommt eine bedeutende Rolle zu. Im Hinblick auf die grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrsdienstleistungen besteht noch ein Mangel an Transparenz. Das Finanzsystem sollte sich den von der GD Wettbewerb erarbeiteten Wettbewerbs-, Transparenz- und Vergleichbarkeitsregeln unterwerfen. Die Einrichtung eines einheitlichen europäischen Zahlungsverkehrsraums (SEPA) bis zum Jahr 2010 ist ein hochgestecktes, begrüßenswertes Ziel, das dem grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr mehr Effizienz verleihen und den Bürgern Sicherheit geben wird. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass einige Mitgliedstaaten bereits über effiziente und kostengünstige Systeme verfügen (beispielsweise das Lastschriftverfahren). Bei der Verwirklichung des SEPA gilt es, die Interessen der Verbraucher zu berücksichtigen und einen zusätzlichen Nutzen zu bieten. Der EWSA arbeitet gerade an einer Stellungnahme zu den Zahlungsverkehrsdienstleistungen, in der er seine Standpunkte umfassend darlegt.

4.3.1.4

Die Überprüfung der Regelungen für qualifizierte Beteiligungen mithilfe der Überarbeitung von Artikel 16 der Bankenrichtlinie und Artikel 15 der Versicherungsrichtlinie ist eine überaus wichtige Maßnahme, mit der verhindert wird, dass einige Aufsichtsbehörden unter dem Vorwand einer sorgfältigen Verwaltung der Finanzsysteme die ausgewogene Entwicklung des Binnenmarktes behindern können. Nach Auffassung des EWSA lässt sich die Stabilität eines Systems am wirksamsten durch eine Stärkung seiner Effizienz gewährleisten und nicht durch Beschränkungen beim Übergang der Kontrolle über ein Unternehmen.

4.3.1.5

Das Fehlen regulatorischer Rahmenvorschriften hat im Bereich der Clearing- und Abrechnungssysteme zum Fortbestehen hoher Kosten und regelrechten Missbrauchs beigetragen. Die grenzübergreifende Clearing- und Abrechnungsinfrastruktur ist kostenaufwändiger und weniger effizient als entsprechende nationale Einrichtungen. Der EWSA würde die Verabschiedung einer Rahmenrichtlinie begrüßen, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Akteure auch gegenüber der internationalen Konkurrenz zu steigern. Ein effizienter und geordneter Markt zieht Investitionen an, und Europa braucht Investitionen, wenn es das Ziel des Wirtschafts- und Beschäftigungswachstums tatsächlich erreichen will.

4.3.2   Aktuelle Überlegungen

4.3.2.1

Der EWSA teilt das Urteil der Kommission bezüglich der ungerechtfertigten Hemmnisse, die der uneingeschränkten Verwirklichung des freien Kapitalverkehrs und den grenzübergreifenden Investitionen im Wege stehen.

4.3.2.2

Die Kommission zeigt sich skeptisch bezüglich der sogenannten 26. Regelung im Bereich der Finanzdienstleistungen. Andererseits lässt der Grundsatz der minimalen Harmonisierung zu viel Raum für Differenzen. Das Herkunftslandprinzip war ein hervorragendes Mittel zur Liberalisierung und Wettbewerbsförderung in der EU. Dieses Prinzip wird von den Mitgliedstaaten umso mehr akzeptiert werden, je größer das gegenseitige Vertrauen in die Qualität der internen Gesetzgebung der einzelnen Mitgliedstaaten ist. Vor diesem Hintergrund trägt das Ziel der vollen Harmonisierung der Vorschriften dazu bei, das vorgenannte Vertrauensverhältnis, das das Fundament einer schrittweise entstehenden Aufsichtskultur bildet, zu nähren und zu festigen. Demzufolge sollten die wichtigsten Vertragsklauseln im Finanzdienstleistungsbereich harmonisiert werden. Der EWSA macht darauf aufmerksam, dass bislang noch kein Beweis für die (effektive) Durchführbarkeit der 26. Regelung erbracht wurde und dass die Kommission auf jeden Fall eine tiefgehende Untersuchung hinsichtlich der Durchführung einleiten sollte. In einer seiner früheren Stellungnahmen stellte der EWSA fest, dass „[die 26. Regelung] erst als eine echte Option in Betracht käme, nachdem in einer eingehenden Untersuchung der Rechtsvorschriften und Verträge aller 25 Mitgliedstaaten festgestellt wurde, dass das ‚parallele‘ Instrument nicht gegen die Vorschriften und gesetzlichen Regelungen eines von ihnen verstößt. Auf keinen Fall dürfen die Standardisierungsregeln das Angebot neuer Produkte behindern und sich somit in eine Innovationsbremse verwandeln (4).

4.3.3   Künftige Initiativen

4.3.3.1

In einer jüngst erarbeiteten Stellungnahme zum Grünbuch vom Juli 2005 hat der EWSA den Nutzen von Maßnahmen hinsichtlich der OGAW herausgestellt (5): „Investmentfonds konkurrieren mit Finanzprodukten wie den anteilsgebundenen Lebensversicherungen, die von den Anlegern ähnlich wahrgenommen werden, obwohl sie auf recht unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen beruhen. Das kann Verzerrungen in den Entscheidungen der Anleger bewirken, verbunden mit negativen Folgen auf der Kostenebene und hinsichtlich der Risiken der getätigten Anlagen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass das Problem nicht mit einem Rabatt-Wettbewerb durch Lockerung der Auflagen und der bei Fondsanlagen geforderten Garantien gelöst werden kann. Vielmehr wäre es wünschenswert, eine Anhebung der Regulierungsstandards anzustreben, durch die Finanzprodukte, bei denen sich wirklich zeigt, dass sie als eine direkte Alternative zu Investmentfonds aufgefasst werden, vergleichbaren regulatorischen Anforderungen unterworfen werden wie Investmentfonds.“ Die Ungleichmäßigkeit der Auflagen für Fonds und fondsgebundene Lebensversicherungen, die erst unvollständige Entwicklung des europäischen Passes aufgrund der Hindernisse, die einige Aufsichtsbehörden weiterhin in den Weg legen, die mangelnde Transparenz bei den Kosten, insbesondere im Kündigungsfall, die Zersplitterung des Marktes und die entsprechenden hohen Kosten sind nur einige der aufgeführten Probleme. Der EWSA nimmt jedenfalls mit Sorge wahr, dass in einigen Mitgliedstaaten Kapitalschutzfonds eingeführt werden, ohne dass die Verwaltungsgesellschaften dazu verpflichtet werden, über ein angemessenes Eigenkapital zu verfügen. Dies könnte bei einer besonders ungünstigen Marktentwicklung zu einem unzureichenden Verbraucherschutz führen. Der EWSA ruft die Kommission auf, diesen Mangel zu beheben und angemessene Auflagen für die Eigenkapitalausstattung der Gesellschaften, die Kapitalschutzfonds anbieten, festzulegen und ein spezifisches und angemessenes Aufsichtsmaß zu bestimmen. Das Streben nach einer größeren Effizienz der OGAW ist dem EWSA ein besonderes Anliegen, nicht zuletzt deshalb, weil die OGAW als wesentlicher Bestandteil der Pensionsfondssysteme einen wichtigen Beitrag zur Lösung eines zu Beginn des Weißbuchs angeführten Problems liefern können: der Finanzierung des enormen Defizits im Bereich der Altersversorgung, von dem die meisten europäischen Volkswirtschaften betroffen sind.

4.3.3.2

Der EWSA stimmt mit der Kommission überein, was die Bedeutung (nicht nur in finanzieller Hinsicht) des Rechts auf ein Bankkonto anbelangt. In der modernen Wirtschaft verleiht ein Bankkonto den einzelnen Bürgern de facto eine Art wirtschaftliches Bürgerrecht. In einigen Mitgliedstaaten ist ein solches Bürgerrecht gesetzlich anerkannt, und der Zugang zu den grundlegenden Dienstleistungen des Finanzsystems wird gegen geringe Gebühren gewährleistet. In anderen Staaten wächst im Hinblick auf dieses Thema das Bewusstsein der Unternehmen, die für wenige Euro pro Monat in Verbindung mit einem Bankkonto ein „Paket“ an Diensten anbieten.

4.3.3.3

Das Ziel der Beseitigung der Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Nutzung von Bankkonten ist erstrebenswert und könnte zur Reduzierung der Bankgebühren beitragen. Dank der Möglichkeit, Online-Bankkonten zu eröffnen, ließe sich das Ziel der innereuropäischen Kontenmobilität tatsächlich erreichen. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass nicht alle Verbraucher in der Lage sind, die Informationstechnologien zu bedienen. Die Kommission sollte eine Lösung in Aussicht stellen, die auch für diese in der Regel den sozial schwächsten Bevölkerungsgruppen angehörenden Personen zufrieden stellend ist. Es sei betont, dass nur die Konsolidierung einer echten und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden dieser Möglichkeit konkrete Formen verleihen kann. Am 26. Mai 2006 hat die Kommission beschlossen (6), eine Expertengruppe damit zu betrauen, die Frage der grenzüberschreitenden Nutzung von Bankkonten zu analysieren und damit den im Weißbuch enthaltenen Vorschlägen Folge zu leisten.

4.4   Die internationale Dimension

4.4.1

Das ehrgeizige Ziel der Kommission, wonach die EU bei der Standardsetzung auf internationaler Ebene eine führende Rolle spielen muss, ist mit Sicherheit zu begrüßen. Im Einklang mit den Empfehlungen der Doha-Runde fordert der EWSA ferner, dass Europa die am meisten entwickelten Länder bei ihren Bemühungen anführt, den weniger entwickelten Staaten sowohl im Hinblick auf die Gesetzgebung als auch die Umsetzung der geschlossenen Vereinbarungen und angenommenen Standards eine angemessene technische und finanzielle Hilfestellung zu leisten. Beim Fortschreiten der internationalen Integration müssen auch die Bedürfnisse der schwächsten Volkswirtschaften, die auf Investitionen angewiesen sind, berücksichtigt werden. Der EWSA spricht sich dafür aus, dass die Kommission diesen Bedürfnissen bei den Verhandlungen und dem Dialog mit den anderen an der Spitze der Entwicklung stehenden Ländern Rechnung trägt.

4.4.2

Der EWSA engagiert sich aktiv für den Kampf gegen die kriminelle Nutzung der Finanzsysteme und unterstützt die Kommission und die anderen europäischen Institutionen bei der Bekämpfung jeglicher Form von Kriminalität, die im Übrigen oftmals mit dem internationalen Terrorismus zusammenhängt. Es gibt zahlreiche Formen der Wirtschaftskriminalität: Betrug in Unternehmen und im Handel, Geldwäsche, Steuerumgehung oder Korruption. Für die kriminellen Zwecke werden oftmals die Kanäle der Finanzdienstleistungen genutzt. Der EWSA appelliert an die Finanzinstitute, die zuständigen Behörden bestmöglich zu unterstützen. Diese sollten wiederum den Hinweisen der Finanzinstitute in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Werden die Finanzinstitute nämlich über die Folgemaßnahmen unterrichtet, die die Behörden aufgrund der ihnen übermittelten Informationen über verdächtige Transaktionen ergreifen, so werden sie auch motivierter sein, weiterhin die erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen und zu intensivieren.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(2)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(3)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(4)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(5)  ABl. C 110 vom 17.5.2006.

(6)  2006/355/EG: Beschluss der Kommission vom 16. Mai 2006 zur Einsetzung einer Expertengruppe „Kundenmobilität bei Bankkonten“ (ABl. L 132 vom 19.5.2006,).


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/33


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Genehmigung des Beitritts der Europäischen Gemeinschaft zu der am 2. Juli 1999 in Genf abgeschlossenen Genfer Akte des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle“

KOM(2005) 687 endg. — 2005/0273 (CNS)

und dem

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 6/2002 und (EG) Nr. 40/94, mit der dem Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Genfer Akte des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle Wirkung verliehen wird“

KOM(2005) 689 endg. — 2005/0274 (CNS)

(2006/C 309/07)

Der Rat beschloss am 17. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 308 und 300 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Der Rat beschloss am 14. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 308 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 6/2002 und (EG) Nr. 40/94, mit der dem Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Genfer Akte des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle Wirkung verliehen wird“

KOM(2005) 689 endg. — 2005/0274 (CNS).

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr CASSIDY.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 155 gegen 3 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme

1.   Zusammenfassung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen des EWSA

Da die beiden Vorschläge der Kommission in Zusammenhang stehen, werden sie für die Erwägungen des EWSA in einer einzigen Stellungnahme behandelt.

Der EWSA unterstützt in vollem Umfang die Vorschläge der Kommission.

2.   Hauptelemente der Kommissionsvorschläge

2.1

Mit diesen Vorschlägen sollen durch den Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zur Genfer Akte des Haager Abkommens das gemeinschaftliche System für eingetragene Geschmacksmuster und das Haager System über die internationale Eintragung gewerblicher Muster verknüpft werden. Der erste Vorschlag besteht darin, der Akte beizutreten, mit dem zweiten Vorschlag sollen, um dieses zu ermöglichen, die entsprechenden Verordnungen geändert werden.

2.2

Das Haager System basiert auf dem Haager Abkommen über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle. Dieses Abkommen besteht aus drei Akten: der Londoner Akte von 1934, der Haager Akte von 1960 und der Genfer Akte von 1999. Bei diesen drei Akten handelt es sich um eigenständige Texte, deren materiellrechtliche Bestimmungen parallel gelten. Die Vertragsparteien können entweder nur einer oder zwei oder allen drei Akten beitreten. Sie werden automatischMitglied des Haager Verbandes, dem gegenwärtig 42 Vertragsstaaten, darunter 12 EU-Mitgliedstaaten, angehören. Das Haager System basiert auf dem Haager Abkommen über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle (1).

2.3

Der Beitritt würde es den Schöpfern von Mustern und Modellen ermöglichen, neue und originale Muster und Modelle mit einer einzigen Anmeldung in einem Land, das die Genfer Akte unterzeichnet hat, in der ganzen Europäischen Gemeinschaft schützen zu lassen. Antragsteller verfügten damit über eine weitere Möglichkeit, ihre Muster und Modelle schützen zu lassen; dieser Schutz würde dann auf nationaler Ebene, auf Gemeinschaftsebene durch das Gemeinschaftsgeschmacksmustersystem und auf internationaler Ebene durch das Haager System gelten.

2.4

Das Ergebnis wäre ein einfacheres, wirtschaftlich effizienteres und kostenwirksameres System. Nach dem Haager System müssen die Antragsteller ihre Unterlagen nicht in Übersetzung vorlegen, müssen nicht an Büros und Vertreter in verschiedenen Ländern jeweils Gebühren zahlen, und sie brauchen auch nicht die unterschiedlichen Fristen zu beachten, die für die Erneuerung der jeweiligen einzelstaatlichen Anmeldung gelten. Eine einzige Anmeldung bei einer einzigen Stelle und unter Entrichtung einer einzigen Gebühr führt somit zu mehrfach international eingetragenen Rechten an Mustern und Modellen in den genannten Ländern des Genfer Abkommens.

2.5

Das Gemeinschaftsgeschmacksmustersystem ermöglicht Schöpfern von Mustern und Modellen, neue und originale Muster und Modelle, die optische Charakteristika aufweisen, durch die Gewährung ausschließlicher Rechte an eingetragenen Mustern und Modellen schützen zu lassen, die einheitlich sind und überall in der EG gelten. Zwar verfügt auch jeder Mitgliedstaat über eingetragene Rechte an Mustern und Modellen, doch stellt das Gemeinschaftsgeschmacksmuster für jedes auf dem europäischen Markt tätige Unternehmen eine wirtschaftliche und bequeme Lösung, einen für die gesamte EU gültigen, einheitlichen Schutz zu erwirken.

2.6

In dem System des Haager Abkommens über die internationale Eintragung gewerblicher Muster und Modelle, das vom Internationalen Büro der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) verwaltet wird, ist vorgesehen, dass mit einer einzigen Anmeldung eines Geschmackmusters und der Entrichtung einer einzigen Gebühr die Eintragung in allen genannten Unterzeichnerstaaten für ihre Mustern und Modelle zu erlangen ist. Das Haager System kann von jedem Bewohner oder Angehörigen eines Staates, der Unterzeichner des Abkommens ist, bzw. von jedem Unternehmen, das in einem solchen Staat ansässig ist, in Anspruch genommen werden. Zur Zeit werden bei der WIPO keine Anträge über Büros in einzelnen Staaten eingereicht. Durch die direkte Einreichung von Anträgen bei der WIPO wird vermieden, dass es zu unklaren Situationen und Überschneidungen kommt und dass möglicherweise zu viele Gebühren an das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt die gezahlt werden.

2.7

Einer der Vorteile des Haager Systems besteht darin, dass die Änderung des Schutzes von Mustern und Modellen sowie die Verlängerung eines abgelaufenen Schutzes erleichtert werden.

2.8

Die Genfer Akte des Haager Abkommens trat am 23. Dezember 2003 in Kraft. Neben einigen weiteren Änderungen, die den Zugang zu dem System verbessern sollen, ermöglicht sie den Beitritt zwischenstaatlicher Organisationen wie der EG zum Haager System. Zur Zeit gehören der Genfer Akte 19 Staaten an, darunter die Schweiz, Singapur und die Türkei. Mehrere Unterzeichnungen/Ratifizierungen durch Mitgliedstaaten stehen noch aus.

2.9

Die Genfer Akte ermöglicht die Anmeldung in einer der beiden Sprachen des Abkommens, Englisch und Französisch.

2.10

Die Vereinigten Staaten werden der Akte voraussichtlich im November 2006 beitreten. Durch den Beitritt der EU und der USA könnten weitere bedeutende Handelspartner (China, Japan, Korea) ebenfalls zu einem Beitritt bewogen und somit eine Anmeldung in mehreren wichtigen Ländern ermöglicht werden.

2.11

Mit dem Vorschlag wird eine Verknüpfung hergestellt zwischen der EG, die im Rahmen des Genfer Aktes als ein Staat gilt, und dem Haager System, das hierdurch an Bedeutung gewinnt.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der Vorschlag für einen Beschluss des Rates (KOM(2005) 687 endg.) gibt der EG die Möglichkeit, innerhalb des Haager Abkommens hinsichtlich des Gemeinschaftsgeschmacksmustersystems als ein Staat zu handeln. Durch die Änderungen der Verordnungen (EG) Nr. 6/2002 (Verordnung über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster) wird der Beitritt zur Genfer Akte ermöglicht.

3.2

Mit der Änderung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 (Verordnung über die Gemeinschaftsmarke) kann das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM) in Alicante Gebühren für Muster und Modelle annehmen, die nach der Genfer Akte angemeldet wurden.

3.3

Rechtsgrundlage für den Vorschlag zur Änderung der beiden Gemeinschaftsverordnungen ist Artikel 308 des EG-Vertrages.

3.4

Das Europäische Parlament wird konsultiert. Die beiden Vorschläge unterliegen nicht dem Mitentscheidungsverfahren.

3.5

Die Abstimmung im Rat muss einstimmig erfolgen.

4.   Kosten

4.1

Da der Vorschlag Änderungen von Verordnungen mit unmittelbarer Geltung in den Mitgliedstaaten betrifft, werden keine zusätzlichen Kosten erwartet.

4.2

Zur Zeit sind mit der Anmeldung von Mustern und Modellen in jedem Land, in dem diese angemeldet werden, Anmeldegebühren und Verlängerungsgebühren verbunden. Die nationalen Gebühren liegen nach Schätzungen in der Regel unter 100 EUR. Bei einer internationalen Anmeldung sind jedoch zudem die Kosten des Währungsumtauschs sowie die damit verbundenen Schwierigkeiten zu berücksichtigen.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Diese sind: Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Lettland. Luxemburg, die Niederlande, Slowenien, Spanien und Ungarn. Die EU selbst ist gegenwärtig nicht Mitglied des Haager Systems.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Regeln für die Beteiligung von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen an Maßnahmen des Siebten Rahmenprogramms sowie für die Verbreitung der Forschungsergebnisse (2007-2013)“

KOM(2005) 705 endg. — 2005/0277 (COD)

(2006/C 309/08)

Der Rat beschloss am 1. März 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 167 und 172 Absatz 2 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Aufgaben beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr WOLF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 152 gegen 1 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Der Vorschlag der Kommission umfasst die Anforderungen, Regeln und Prozeduren, mittels welcher Unternehmen, Universitäten, Forschungszentren oder andere Rechtspersonen in den Genuss einer Förderung durch das Siebte FTE-Rahmenprogramm kommen können.

1.2

Der Ausschuss begrüßt den größten Teil des vorgeschlagenen Regelwerks und sieht darin Verbesserungen sowie das Potenzial für eine deutliche Vereinfachung der administrativen Prozeduren. Bezüglich der noch nicht vorliegenden kommissionsinternen Durchführungsbestimmungen empfiehlt der Ausschuss, im Sinne der angestrebten Vereinfachung, auch bei diesen auf eine stärkere Vereinheitlichung und konsistente Umsetzung — z.B. in den anzuwendenden Kriterien — zu achten.

1.3

Da die kommissionsinternen Durchführungsbestimmungen bisher nicht vorliegen, sind jedoch einige spezielle Auswirkungen des vorgeschlagenen Regelwerks noch nicht zu beurteilen. In solchen Fällen (z.B. Erstattung der Zusatzkosten) empfiehlt der Ausschuss, zumindest vorerst die bisherige Regelung beizubehalten, um eine mögliche Schlechterstellung der betroffenen Zuwendungsempfänger zu vermeiden.

1.4

Der Ausschuss begrüßt die neuen für die jeweiligen Aufgabenbereiche und Zuwendungsempfänger vorgesehenen Fördergrenzen. Er begrüßt insbesondere auch, dass dies zu Verbesserungen bei der Förderung von KMU führt.

1.5

Der Ausschuss empfiehlt die Gleichstellung aller mit öffentlichen Mitteln grundfinanzierter Forschungseinrichtungen, unabhängig von ihrer jeweiligen Rechtsform.

1.6

Der Ausschuss empfiehlt, den zukünftigen Vertragspartnern mehr Freiheit in der Vertragsgestaltung einzuräumen, aber auch in der Wahl der Instrumente. Dies betrifft insbesondere die Zugangsrechte zu neuen Kenntnissen und Schutzrechten („foreground“) und/oder zu bestehenden Kenntnissen und Schutzrechten („background“) der Vertragspartner. Hier sollten kostenlose Zugangsrechte zwar als Option angeboten, aber nicht — wie für bestimmte Fälle vorgeschlagen — ausnahmslos vorgeschrieben werden.

1.7

Für weitere Details wird auf Kapitel 4 verwiesen.

2.   Einleitung

2.1

Mit ihrem Vorschlag zum Siebten FTE-Rahmenprogramm (2007-2013) (1), abgekürzt RP7, hatte die Kommission die Ziele, Inhalte, Themen sowie den Budgetrahmen der vorgesehenen Förderung von Forschung, technologischer Entwicklung und Demonstration während dieser Periode dargelegt. Dazu, sowie zu den vorbereitenden und ergänzenden Vorschlägen der Kommission, insbesondere zu den sog. Spezifischen Programmen (2), hat der Ausschuss bereits Stellungnahmen (3) verabschiedet.

2.2

Der hier zu behandelnde Vorschlag der Kommission umfasst nunmehr die Anforderungen, Regeln und Prozeduren, mittels welcher Unternehmen, Universitäten, Forschungszentren oder andere Rechtspersonen an den Maßnahmen des Siebten FTE-Rahmenprogramms beteiligt werden können, das heißt in den Genuss einer Förderung durch dieses Programm kommen.

2.3

Ein wesentlicher Punkt dabei ist die Absicht der Kommission, die mit ihrer Forschungsförderung verbundenen administrativen Prozeduren zu vereinfachen. Diese Absicht hat der Ausschuss bereits in bisherigen Stellungnahmen begrüßt und bestärkt; er hat seinerseits erneut empfohlen, die administrativen Verfahren zu vereinfachen, den damit verbundenen Aufwand zu reduzieren, und somit die Effizienz der Europäischen Forschungsprogramme zu erhöhen. „Der gegenwärtige Arbeits- und Kostenaufwand für Antrags- und Bewilligungsverfahren ist zu groß und stellt die Nutzer aus Wissenschaft und Industrie vor Probleme. Eine Beteiligung am Europäischen Forschungsprogrammeinschließlich Risiko der Antragstellungmuss sich für die Teilnehmer lohnen. Dies gilt insbesondere auch für kleinere Akteure wie KMU oder kleinere Forschungsgruppen aus Universitäten und Forschungszentren  (4) . Die vorgeschlagenen Beteiligungsregeln sollen also erklärtermaßen auch zu der beabsichtigten Vereinfachung führen.

2.4

Der hier zu behandelnde Vorschlag der Kommission beschreibt somit das maßgebliche Regelwerk für das Ziel, die von der Gemeinschaft für Forschung und Entwicklung (RP7) zur Verfügung gestellten Mittel so wirksam, erfolgreich und gerecht wie möglich einzusetzen.

2.5

Die vorgeschlagenen Regeln für die Beteiligung von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen sollen also einen kohärenten und transparenten Rahmen für eine effiziente Durchführung des Siebten Rahmenprogramms und einen leichten Zugang dazu für sämtliche Teilnehmer gewährleisten. Dadurch soll ein breites Spektrum von Unternehmen, Forschungszentren und Universitäten gefördert und auch die Beteiligung von Akteuren aus den Gebieten in äußerster Randlage der Gemeinschaft ermöglicht werden.

3.   Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1

Die von der Kommission vorgeschlagenen Regeln zur Beteiligung am Siebten Rahmenprogramm sollen viele Aspekte dieser Vereinfachung verwirklichen und dabei auf jenen Prinzipien aufbauen, die im Sechsten Rahmenprogramm (RP6) aufgestellt wurden. Einige wichtige Punkte werden in diesem Kapitel verkürzt zusammengefasst.

3.2

Der Kommissionsvorschlag umfasst: einführende Bestimmungen, Teilnahmebedingungen für indirekte Maßnahmen und dazugehörige Verfahren, finanziellen Beitrag der Gemeinschaft, Regeln für die Verbreitung und Nutzung der Ergebnisse, Zugangsrechte zu bestehenden und neuen Kenntnissen und Schutzrechten und Europäische Investitionsbank.

3.3   Teilnahmebedingungen für indirekte Maßnahmen

3.3.1

An indirekten Maßnahmen müssen wenigstens drei Rechtspersonen teilnehmen, von denen jede ihren Sitz in einem Mitgliedstaat oder assoziierten Land hat und von denen keine zwei ihren Sitz in demselben Mitgliedstaat oder assoziierten Land haben.

3.3.2

Für Koordinierungs- und Unterstützungsmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Unterstützung der Aus- und Weiterbildung und der Laufbahnentwicklung von Forschern ist Mindestteilnahmebedingung die Teilnahme einer Rechtsperson.

3.3.3

Für indirekte Maßnahmen zur Unterstützung der Pionierforschung, die im Rahmen des Europäischen Forschungsrates gefördert werden, ist Mindestteilnahmebedingung die Teilnahme einer Rechtsperson, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat oder einem assoziierten Land hat.

3.4   Finanzieller Beitrag der Gemeinschaft

3.4.1

Bei Forschungs- und Technologieentwicklungstätigkeiten darf der finanzielle Beitrag der Gemeinschaft bis zu 50 % der gesamten erstattungsfähigen Kosten betragen.

3.4.1.1

Für öffentliche Einrichtungen, Hochschulen und Sekundarschulen, Forschungsorganisationen (5) und KMU darf der diesbezügliche finanzielle Beitrag der Gemeinschaft bis zu 75 % der gesamten erstattungsfähigen Kosten betragen.

3.4.2

Bei Demonstrationstätigkeiten darf der finanzielle Beitrag der Gemeinschaft bis zu 50 % der gesamten erstattungsfähigen Kosten betragen.

3.4.3

Für Tätigkeiten im Rahmen von Maßnahmen der Pionierforschung, Koordinierungs- und Unterstützungsmaßnahmen oder von Maßnahmen zur Förderung der Ausbildung und Laufbahnentwicklung von Forschern, darf der finanzielle Beitrag der Gemeinschaft bis zu 100 % der gesamten erstattungsfähigen Kosten betragen.

3.4.4

Für Verwaltungskosten, Prüfbescheinigungen und andere Tätigkeiten, die nicht von den Absätzen 1, 2 oder 3 des Artikels 33 erfasst werden, darf der finanzielle Beitrag der Gemeinschaft bis zu 100 % der gesamten erstattungsfähigen Kosten betragen.

3.4.5

Für Exzellenznetze wird ein besonderer Pauschalbetrag vorgeschlagen. Der Pauschalbetrag wird durch die Beteiligungsregeln als ein Festbetrag definiert, der aus der Anzahl der in das Exzellenznetzwerk zu integrierenden Forscher und der Dauer der Maßnahme abgeleitet wird.

3.5   Weitere Regeln

Die Regeln geben die Verfahren für die Veröffentlichung von Aufforderungen zur Einreichung von Projektvorschlägen an sowie Verfahren für Einreichung, Bewertung, Auswahl und Förderung von Vorschlägen.

Der in früheren Rahmenprogrammen entwickelte Bewertungsprozess wird ohne wesentliche Änderungen fortgeführt. Die Kommission wird ein Modell für die Finanzhilfevereinbarung vorbereiten, das Rechte und Pflichten der Teilnehmer untereinander und gegenüber der Kommission festlegt.

Drei Formen von Finanzhilfen werden vorgeschlagen: Erstattung zulässiger Kosten, Pauschalbeträge und Finanzierung nach Pauschalsätzen. Für Maßnahmen der Pionierforschung wird der Wissenschaftliche Rat des Europäischen Forschungsrates passende Fördermodalitäten vorschlagen.

3.6

Hinsichtlich der Verbreitung, Nutzung und Zugangsrechte (Eigentum, Schutz, Veröffentlichung, Verbreitung und Nutzung, Zugangsrechte zu neuen und bestehenden Kenntnissen und Schutzrechten) soll größtmögliche Kontinuität gewahrt werden. Änderungen sollen den Teilnehmern mehr Flexibilität während der Projektabwicklung gewähren. Die Möglichkeit, bestehende Kenntnisse und Schutzrechte auszuschließen und Bedingungen außerhalb der Bestimmungen der Beteiligungsregeln festzulegen, bleibt bestehen. Die Kohärenz der Bestimmungen für Verbreitung und Veröffentlichung wurde verbessert.

3.7

Wie bereits im 6. FTE-Rahmenprogramm (RP6) werden Teilnehmer eines Konsortiums die Verantwortung zur vollen Durchführung der ihnen zugewiesenen Aufgaben haben, selbst wenn einer der Teilnehmer die ihm zugewiesenen Aufgaben nicht erfüllt. Jedoch soll das im RP6 für die meisten Maßnahmen eingeführte Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung nicht fortgesetzt werden. Abhängig von einer Bewertung der Risiken für den Gemeinschaftshaushalt, die der europäischen Forschungsförderung innewohnen, könnte ein Mechanismus eingeführt werden, der das finanzielle Risiko von Nicht-Rückzahlung geschuldeter Beträge durch ausfallende Teilnehmer abdeckt. Aus diesem Grund sollen Bankgarantien nur noch in Ausnahmefällen gefordert werden, dort wo die Vorfinanzierung mehr als 80 % der Finanzhilfe ausmacht.

4.   Bemerkungen des Ausschusses

4.1

Vereinfachung. Der Ausschuss unterstützt das außerordentlich wichtige Ziel einer Vereinfachung all jener Prozeduren, die bisher von der Kommission angewandt oder seitens der Kommission von den FTE-Akteuren gefordert worden sind. Der Ausschuss versteht seine weiteren Bemerkungen als einen konstruktiven Beitrag dazu, und er ist sich bewusst, dass die Verwirklichung dieses Ziels angesichts der generellen Haushaltsvorschriften und der auch vom Ausschuss unterstützten Forderung nach Transparenz keine einfache Aufgabe ist. Besonders wünschenswert wäre es, mit ausgewählten Pilotprojekten im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten noch weiter vereinfachte administrative Verfahren zu erproben; die dabei gewonnenen Erfahrungen könnten eine Entscheidungshilfe für zukünftige Maßnahmen sein.

4.1.1

Verbesserungen. Der Ausschuss anerkennt das Bemühen der Kommission, dieses Ziel zu erreichen und eine bestmögliche gemeinschaftliche Forschungsförderung zu gewährleisten. Dementsprechend sieht er in vielen Punkten der vorgelegten Vorschläge deutliche Verbesserungen gegenüber den bisherigen Verfahrensweisen, wie z.B. in der Erstattung der Kosten (Artikel 30 und 31) sowie in den Zuwendungsformen, oder auch in den Zuwendungsvereinbarungen, Verträgen und Ernennungsschreiben (Artikel 18 und 19); bei letzteren allerdings nur dann, wenn auch die Zahlungs- und vor allem die Berichtsmodalitäten vereinfacht werden. In diesem Zusammenhang weist der Ausschuss auch auf seine früheren Empfehlungen zur Vereinfachung hin (6), welche auch die inhaltliche oder terminliche Abstimmung der von der Kommission geforderten Prozeduren mit denen anderer Zuwendungsgeber oder Aufsichtsorgane betreffen (7).

4.1.2

Vereinheitlichung. Dem Ziel Vereinfachung dient zudem das Bestreben, die seitens der Kommission angewendeten oder geforderten Verfahren (z.B. der Kostenerfassung oder der Bonitätsprüfung) stärker zu vereinheitlichen. Dem kann der Ausschuss im Hinblick auf einen gemeinschaftlichen Binnenmarkt und auch auf eine verbesserte Rechtssicherheit voll zustimmen (8). Leider wird eine vollständige Vereinheitlichung nicht gelingen, solange die diversen Zuwendungsempfänger in den verschiedenen Mitgliedstaaten — z.B. die Universitäten — ihrerseits kein einheitliches oder dementsprechendes Abrechnungssystem zur Anwendung bringen.

4.2

Weitere Regeln und Maßnahmen. Vereinfachung und Vereinheitlichung erfordern aber noch weitere Maßnahmen seitens der Kommission, die bisher in dem vorgelegten Vorschlag erst angekündigt sind, wie z.B. in Artikel 16.4 „Die Kommission verabschiedet und veröffentlicht Regeln zur einheitlichen Prüfung der Existenz, des rechtlichen Status und der finanziellen Leistungsfähigkeit der Teilnehmer an indirekten Maßnahmen“. Da diese weiteren Regeln, im folgenden Text „kommissionsinterne Durchführungsbestimmungen“ genannt, noch nicht vorliegen, kann in einigen Fällen derzeit nicht beurteilt werden, wie sich die davon abhängigen Vorschläge der Kommission auswirken werden.

4.2.1

Einheitliche Auslegung und Kriterien. Der Ausschuss spricht zudem seine Erwartung aus, dass eine einheitliche Auslegung der kommissionsinternen Durchführungsbestimmungen, insbesondere der die Projekte betreffenden rechtlichen und finanziellen Bestimmungen, in allen betroffenen Kommissionsdienststellen gewährleistet sein wird, sodass diese Regeln ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Vereinfachung und Vereinheitlichung sein und zu keiner Schlechterstellung der jeweiligen FTE-Akteure gegenüber bisherigen Verfahrensweisen führen werden. Generell empfiehlt der Ausschuss dort, wo der vorliegende Vorschlag der Kommission noch Interpretationsspielraum offen lässt, diesen zu Gunsten der Rechtssicherheit durch weitere Präzisierungen in den kommissionsinternen Durchführungsbestimmungen zu schließen.

4.2.2

Unterstützungsmaßnahmen. Die von der Kommission bereits angebotenen oder vorgeschlagenen „Helpdesks“ und „clearing houses“ sollen gewährleisten, dass die seitens der Kommission gelieferten Informationen kohärent und einheitlich sind. Der Ausschuss sieht darin eine wichtige und nützliche Maßnahme. Ebenso sollte aber darauf geachtet werden, dass auch bei den kommissionsinternen Verfahren und den jeweiligen Anforderungen und Entscheidungen seitens der „Project-Officer“ eine einheitliche Vorgehensweise gewährleistet ist.

4.2.3

Berichtswesen. So gilt es z.B. auch zu vermeiden, dass — von wohlbegründeten Ausnahmen abgesehen — von den Project-Officers neben den in den Regularien vorgesehenen Berichten zusätzliche Zwischenberichte angefordert werden oder dass die identische Information in mehreren Berichten in jeweils anderer Form gegeben werden muss (9). Wichtig ist also auch eine Vereinheitlichung des Berichtswesens; es geht nämlich um Inhalte und nicht um Formalitäten.

4.2.4

Zwischenbegutachtung (Midterm-Assessment). Gleichwohl empfiehlt der Ausschuss, angesichts der vorgesehenen 7-jährigen Laufzeit des Siebten Rahmenprogramms nach Hälfte der Laufzeit eine Zwischenbegutachtung sowohl des Programms als auch der Beteiligungsregeln durchzuführen, um ggf. erforderliche Anpassungen vornehmen zu können.

4.2.5

Project-Officers. Eine wichtige Voraussetzung für Vereinfachung, Vereinheitlichung und generell für effektive administrative Prozeduren ist zudem, dass die Project-Officers, auch im Sinne der erforderlichen Kontinuität (siehe nächste Ziffer), über eine hervorragende fachspezifische Expertise und auch Kenntnis der beteiligten Akteure verfügen; es wäre unzureichend, sich seitens der Project-Officers auf eine rein administrative Funktion ohne tiefe Sach- und Milieukenntnis zu beschränken. Der Ausschuss verweist auf seine wiederholten Empfehlungen (10) dazu (11).

4.3

Kontinuität. Da jede Neuregelung eine Unterbrechung der Kontinuität mit zusätzlichen (Reibungs-)Verlusten zur Folge hat, gilt es sorgfältig abzuwägen, ob die seitens der Kommission vorgeschlagenen Änderungen tatsächlich deutlich verbesserte Wirkungen erzielen werden, denen gegenüber die genannten Verluste nicht ins Gewicht fallen, oder ob man die bisherige Regelung beibehalten sollte. Der Ausschuss erkennt an, dass im Vorschlag der Kommission viele jener Regeln, die sich bewährt haben, beibehalten werden sollen. Bei einigen Änderungsvorschlägen ist allerdings nicht ersichtlich, ob damit tatsächlich eine Verbesserung gegenüber bisher geltenden Regeln erreicht werden kann. Hier empfiehlt der Ausschuss im Sinne der Kontinuität zu handeln.

4.4

Finanzieller Beitrag der GemeinschaftKostenerstattung und Förderformen. Vorbehaltlich einer befriedigenden Klärung der noch offenen Fragen (z.B. bei Ziffer 4.5) erkennt der Ausschuss in den dementsprechenden Vorschlägen der Kommission weitgehend Verbesserungen, die er unterstützt.

4.4.1

KMU. Der Ausschuss begrüßt insbesondere, dass (Artikel 33-1, zweiter Satz) die Fördergrenzen z.B. für KMU (12) von 50 % auf 75 % erhöht werden sollen. Er sieht darin auch einen Erfolg seiner früheren Empfehlungen, mehr und bessere Anreize für eine stärkere Beteiligung von KMU am Siebten FTE-Rahmenprogramm zu schaffen und so auch eine verstärkte Vernetzung zwischen KMU und Forschungsinstituten zu bewirken (13).

4.4.2

Hochschulen etc. Desgleichen begrüßt der Ausschuss, dass die Fördergrenzen auch bei öffentlichen Einrichtungen, Hochschulen, Sekundarschulen und Forschungsorganisationen bei 75 % liegen sollen (ebenfalls Artikel 33-1, zweiter Satz). Er empfiehlt hier eine klarere Strukturierung des Artikels 33, um besser zwischen den auf Gewinnerzielung ausgerichteten Vertragspartnern und solchen des gemeinnützigen Interesses unterscheiden zu können.

4.4.3

Durchschnittsätze für Personalkosten. In der Möglichkeit, seitens der Teilnehmer für Personalkosten Durchschnittssätze anzusetzen (Artikel 31-3(a)), sieht der Ausschuss einen Vorteil im Hinblick auf Vereinfachung.

4.4.4

Managementkosten. Ebenso wird begrüßt, auch im Sinne der erforderlichen Kontinuität, an der bisherigen 100 %igen Erstattung der Managementkosten festzuhalten. Der Vorschlag, die bisherige Obergrenze von 7 % für diese Kostenart uneingeschränkt wegfallen zu lassen, erscheint jedoch problematisch, falls nicht auf anderem Wege strengste Maßstäbe an die jeweils erforderlichen Managementkosten angelegt werden. Zwar ist es zutreffend, dass sich die bisherige 7 %-Grenze gerade wegen des hohen bisher geforderten Aufwands an Administration, Koordination etc. als zu niedrig erwiesen hat und daher angehoben werden sollte. Andererseits sollte jedoch vermieden werden, dass eine unbegrenzte Erstattung aller Verwaltungskosten zu einer unerwünschten Aufblähung des Managementaufwands führt, statt zu dessen Reduktion.

4.5

Zusatzkosten bei Universitäten. Gemäß Vorschlag der Kommission soll die bisher bestehende Möglichkeit wegfallen, bei Universitäten und ähnlichen Forschungsorganisationen 100 % der sog. Zusatzkosten oder Mehrkosten (Additional Cost) (14) angerechnet zu bekommen. Obwohl statt dessen andere Abrechnungsmodelle angeboten werden, hält der Ausschuss den vorgeschlagenen Wegfall für problematisch. Diese Institutionen verfügen nämlich in der Regel nicht über eine geeignete analytische Buchführung zur Ermittlung der Vollkosten (Full Cost) (15). Zudem kann bei der von der Kommission als eine mögliche Alternative vorgeschlagenen „Flat-Rate“ noch nicht beurteilt werden, ob daraus nicht eine deutliche Schlechterstellung resultiert, da die dafür vorgesehenen kommissionsinternen Durchführungsbestimmungen noch nicht existieren (siehe oben). Der Ausschuss empfiehlt daher, für diese Einrichtungen, soweit sie nicht über eine Vollkostenabrechnung verfügen, die bisherige Regelung einer 100 %-igen Erstattung der Zusatzkosten — beizubehalten, zumindest so lange nicht gewährleistet ist, dass andere Abrechnungsmodelle (16) zu keiner Schlechterstellung gegenüber der bisherigen Regelung führen.

4.6

Rechtsform der Forschungsorganisationen. Nach Meinung des Ausschusses sind Forschungsorganisationen, deren Grundfinanzierung vom Staat getragen wird, unbeschadet ihrer Rechtsform in jeder Hinsicht (und in allen Artikeln wie z.B. Artikel 33-1 und Artikel 38-2) gleich zu behandeln. Das bedeutet z.B., dass auch nach privatem Recht gegründete gemeinnützige Forschungsorganisationen oder Forschungszentren, deren Grundfinanzierung vom Staat getragen wird (17), den nach öffentlichem Recht gegründeten Organisationen gleichzustellen sind. Schließlich liegt die Wahl der — aus Sicht der Mitgliedstaaten — bestgeeigneten Rechtsform derartiger Forschungseinrichtungen im Rechtsetzungsprivileg der Mitgliedstaaten und sollte keinesfalls zu Differenzierungen seitens der gemeinschaftlichen Forschungsförderung führen.

4.7

Geistiges Eigentum. Bei den vorgeschlagenen Regelungen (Artikel 39 bis 43) sollte sichergestellt werden, dass Rechte am geistigen Eigentum, welche auf mit Steuergeldern der EU finanzierten Forschungsergebnissen beruhen, nicht unkontrolliert auf Firmen im außereuropäischen Ausland übertragen werden können.

4.7.1

„Open Source“-Software. Software, die im Rahmen von gemeinschaftlich geförderten Forschungsprojekten entwickelt wird, hat derzeit im Allgemeinen nur dann eine Chance für weite Verbreitung und Nutzung, und damit das Potenzial für darauf aufbauende kommerzielle Versionen oder Services, wenn sie als „Open Source“ angeboten wird. Für diese Zwecke sollte dem Konsortium größtmöglicher Gestaltungsspielraum bei Lizenzbedingungen eingeräumt werden.

4.8

Zugangsrechte. Bei den Zugangsrechten (Artikel 48 bis 52) (18) zu neuen Kenntnissen und Schutzrechten („foreground“) und/oder zu bestehenden Kenntnissen und Schutzrechten („background“) der Vertragspartner handelt es sich nicht um Zugangsrechte zu allen Kenntnissen und Schutzrechten eines Vertragspartners (z.B. Universität oder Forschungszentrum), sondern nur zu jenen Kenntnissen und Schutzrechten, welche auf den Arbeiten bzw. Vorarbeiten der am jeweiligen gemeinsamen Projekt beteiligten Organisationseinheit(en) oder Gruppe(n) beruhen und für die anderen Teilnehmer erforderlich sind, um ihre Arbeiten im Rahmen der indirekten Maßnahme durchzuführen. Der Ausschuss begrüßt daher Artikel 48, welcher es ermöglicht, diesen Sachverhalt bei jedem Projekt gesondert zu klären und durch eine Positiv- und/oder Negativ-Liste  (19) zwischen den Vertragspartnern festzulegen. Durch Positiv-Listen lässt sich zudem vermeiden, die Existenz solchen „backgrounds“ zu offenbaren, dessen Vertraulichkeit gewährleistet werden soll. Um den Projektbeginn nicht unnötig zu verzögern, wäre es jedoch sinnvoll, für diese Festlegungen eine Frist von z.B. bis zu 6 Monaten nach Projektbeginn zuzulassen.

4.9

Unentgeltliche Zugangsrechte zu Kenntnissen und Schutzrechten. Der Ausschuss hat Bedenken gegen Regelungen, die ausnahmslos einen unentgeltlichen Zugang zu Kenntnissen und Schutzrechten einräumen sollen. Er empfiehlt generell, den Projektpartnern möglichst viel Spielraum für die jeweilige bestgeeignete Vereinbarung zu gewähren. So kann es z.B. sinnvoll sein, auch den FTE-Akteuren unentgeltliche Zugangsrechte einzuräumen.

4.9.1

Bestehende Kenntnisse und Schutzrechte zur Durchführung einer Maßnahme. Der Vorschlag, Zugangsrechte zu bereits bestehenden Kenntnissen und Schutzrechten, soweit sie für die Durchführung einer indirekten Maßnahme erforderlich sind, seitens der FTE-Akteure immer unentgeltlich zu gewähren, wird grundsätzlich begrüßt. Dennoch kann eine ausschließliche Regelung dieser Art in Einzelfällen die betreffenden Akteure in Schwierigkeiten bringen. Der Ausschuss empfiehlt daher, den letzten Satz von Artikel 50-2 zu modifizieren (20).

4.9.2

Bestehende Kenntnisse und Schutzrechte zur Nutzung neuer Kenntnisse und Schutzrechte. Der Vorschlag, Zugangsrechte zu bereits bestehenden Kenntnissen und Schutzrechten, soweit sie für die Nutzung neuer Kenntnisse und Schutzrechte erforderlich sind, seitens der FTE-Akteure immer unentgeltlich zu gewähren, ist jedoch sehr problematisch. Bereits bestehende Kenntnisse und Schutzrechte wurden mit eigenen Mitteln der FTE-Akteure, oder mit Mitteln früherer Zuwendungsgeber bzw. mit den öffentlichen Mitteln des jeweiligen Mitgliedstaates erworben, und sie unterliegen den damit verbundenen Verpflichtungen und Auflagen (21). Falls die von der Kommission vorgeschlagene Regelung zur Anwendung käme, bestünde die Gefahr, dass sich gerade besonders potente FTE-Akteure, und solche mit hohem Know-how-Potenzial, nicht beteiligen können oder wollen und somit von einer Beteiligung ausgeschlossen würden. Der Ausschuss empfiehlt daher, Artikel 51-5 ersatzlos zu streichen oder zu modifizieren (22).

4.9.3

Pionierforschung. Wenngleich es sich bei der Pionierforschung vorwiegend um F&E-Arbeiten auf dem Gebiet der Grundlagenforschung handeln wird, hat der Ausschuss mehrfach darauf hingewiesen, dass in vielen Fällen (23) die Grenzen zwischen Grundlagenforschung und Anwendung fließend sind. Daher sind hier die gleichen, oben genannten negativen Auswirkungen zu erwarten. Dies sollte unbedingt vermieden werden und dementsprechend im Regelwerk Berücksichtigung finden. Der Ausschuss empfiehlt daher, Artikel 52-1 ersatzlos zu streichen oder entsprechend zu modifizieren (24).

4.9.4

Spezielle Gruppen. Im Kommissionsvorschlag fehlt eine Definition der Arbeiten für Spezielle Gruppen. Die Ausführungen hierzu sollten keinesfalls mit denen der Pionierforschung vermischt oder gar gleichgesetzt werden.

4.10

Freie Wahl der Instrumente. Der Ausschuss wiederholt seine Empfehlung (25), dass Projekte nicht von vornherein auf bestimmte Instrumente festgelegt werden sollen, sondern „dass die Antragsteller die Instrumente an die für die jeweilige Aufgabe erforderliche optimale Struktur und Größe der Projekte anpassen können müssen. Nur dadurch lässt sich vermeiden, dass Projekte kreiert werden, deren Größe und Struktur sich nach den vorgeschriebenen Instrumenten richtet statt nach den optimalen wissenschaftlich-technischen Erfordernissen. Die Instrumente müssen den Arbeitsbedingungen und Zielsetzungen von Forschung und Entwicklung dienen und keinesfalls umgekehrt.“ Insoweit sollten insbesondere auch die Specific Targeted Research Projects (STREPs) weiterhin zur Verfügung gestellt werden, weil diese vor allem für die Beteiligung von KMU und kleinerer Forschungsgruppen besonders geeignet sind.

4.11

Wegfall der gesamtschuldnerischen Haftung. Der Ausschuss begrüßt, dass das Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung wegfallen soll; er erinnert daran, dass er bereits in seinen entsprechenden Empfehlungen (26) zum 6. Rahmenprogramm auf die Problematik einer gesamtschuldnerischen Haftung hingewiesen hatte.

4.11.1

Risikofonds. Der Ausschuss unterstützt demgemäß auch den zur Absicherung möglicher Ausfälle einzurichtenden Risikofonds, in dem (Artikel 38-1) ein kleiner Prozentsatz der Fördermittel für indirekte Maßnahmen eingezahlt werden soll. Allerdings wäre es empfehlenswert, wenn die Kommission die vorgesehene Spanne des — je nach Risikoeinschätzung festzulegenden — Prozentsatzes bei Veröffentlichung der Ausschreibung bekannt geben würde. Der Ausschuss begrüßt auch, dass etwaige Überschüsse aus der vorgesehenen Rücklage dem Rahmenprogramm wieder als zweckbestimmte Einnahme zugeführt werden.

4.11.2

Befreiung. Der Ausschuss empfiehlt jedoch, alle Forschungseinrichtungen, deren Grundfinanzierung vom Staat getragen (27) wird, davon (gemäß Artikel 38-2) zu befreien, und zwar unbeschadet ihrer Rechtsform.

4.11.3

Projektabbruch. Der Ausschuss weist zugleich auf die (in Artikel 18-4) vorgeschlagene technische gesamtschuldnerische Haftung der Projektpartner hin. Nach Meinung des Ausschusses muss auch einem Konsortium die Entscheidung über einen möglichen Abbruch des Projekts für den Fall eingeräumt werden, dass die Weiterführung des Projekts aus wissenschaftlich-technischem Grund oder wegen unzumutbaren finanziellen Aufwands nicht mehr sinnvoll oder zumutbar ist. Die Artikel 18-4 und 18-5 sollten diesbezüglich modifiziert werden.

4.12

Programmausschüsse. Gemäß Vorschlag der Kommission sollen die Programmausschüsse zur Verkürzung der Prozeduren von der Aufgabe entlastet werden, die zur Förderung vorgeschlagenen Projekte zu verabschieden. Nach Meinung des Ausschusses sollte dies allerdings nur dann der Fall sein, wenn die Kommission dem Votum der Gutachter bei der Projektauswahl folgt. Andernfalls, sowie bei der Verabschiedung der Arbeitsprogramme und der Budgetzuteilung, sollten die dafür zuständigen Programmausschüsse weiterhin ihre Zustimmung erteilen. Eine Kompromisslösung könnte sein, dem Programmausschuss nach Abschluss der Evaluierung einen „Implementierungsplan für die Umsetzung der Ausschreibung“ („call implementation plan“) vorzulegen, der vom Programmausschuss beraten und formell entschieden wird. Dies würde keine Zeitverzögerung zur Folge haben, da der Programmausschuss nicht mehr über einzelne Projekte entscheiden würde.

4.13

Finanzhilfevereinbarung. Der hiefür relevante Artikel 19-8 bezieht sich auf die Charta für Forscher und den Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern. Der Ausschuss weist darauf hin, dass diese Charta nur den Charakter einer Empfehlung besitzt und daher nicht auf diesem Wege Verbindlichkeit erlangen darf. Er erinnert zudem daran, dass er zwar viele Elemente der Charta begrüßt, aber gleichzeitig, insbesondere wegen Überregulierung und einiger nicht fassbarer Kriterien, eine Überarbeitung empfohlen hatte (28).

4.14

Europäische Investitionsbank. Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag (und die dazu vorgeschlagenen Regularien), der Europäischen Investitionsbank eine Finanzhilfe zur Abdeckung von Risiken für Kredite zu gewähren, die den Forschungszielen des Siebten FTE-Rahmenprogramms dienen. Solche Darlehen sollten insbesondere für Demonstrationsvorhaben (z.B. im Bereich der Energieforschung oder Sicherheitsforschung) zur Anwendung kommen.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2005) 119 endg.

(2)  KOM(2005) 439, 440, 441, 442, 443, 444, 445 endg.

(3)  ABl. C 65 vom 17.3.2006 und CESE 583/2006.

(4)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(5)  Im Kommissionsvorschlag wird der Begriff „Forschungsorganisation“ in Artikel 2.1 definiert; an anderer Stelle werden auch die Begriffe „Forschungseinrichtung“ bzw. „Forschungszentrum“ synonym benutzt.

(6)  ABl. C 110 vom 30.4.2004.

ABl. C 157 vom 28.6.2005.

ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(7)  ABl. C 157 vom 28.6.2005. Vermeidung überlappender oder paralleler Instanzen.

(8)  Über den Rahmen des hier vorliegenden Vorschlags der Kommission hinausgehend wäre es sogar wünschenswert, die Zahlungsprozeduren aller gemeinschaftlichen Fördermaßnahmen — einschließlich CIP-Programm oder Strukturfonds stärker zu vereinheitlichen.

(9)  Siehe auch die beiden vorherigen Fußnoten.

(10)  Z.B. Ziffer 9.8.4, ABl. C 204 vom 18.7.2000.

(11)  Siehe Fußnote 6.

(12)  Wie auch für öffentliche Einrichtungen, Hochschulen, Sekundarschulen und Forschungsorganisationen.

(13)  In diesem Zusammenhang verweist der Ausschuss auf seine Empfehlung, im Patentrecht wieder eine Neuheitsschonfrist (Engl: grace period) einzuführen, wobei es allerdings nicht erforderlich wäre, mit der wissenschaftlichen Veröffentlichung einen Prioritätsanspruch zu verbinden. Siehe CESE 319/2004 Ziffer 2.5 ff., ABl. C 110 vom 30.4.2004.

(14)  AC-Kostenmodell: Abrechnung der erstattungsfähigen direkten Mehrkosten der Vertragspartner, zuzüglich einer Pauschale für indirekte Kosten, nach dem Mehrkostenmodell (Additional Cost model, AC). Im Sechsten FTE-Rahmenprogramm (RP6) entspricht die Pauschale 20 % aller direkten Mehrkosten, abzüglich der Kosten für Unterverträge.

(15)  FC-Kostenmodell: Abrechnung der erstattungsfähigen direkten und indirekten Kosten der Vertragspartner nach dem Vollkostenmodell (Full Cost model, FC); mit dem Sonderfall FCF-Modell: Abrechnung der erstattungsfähigen direkten Kosten der Vertragspartner, zuzüglich einer Pauschale für indirekte Kosten, nach dem Vollkostenmodell mit Pauschale (Full Cost Flat rate model, FCF). Die Pauschale beträgt 20 % aller direkten Kosten, abzüglich der Kosten für Unterverträge. Die gesamten Kosten errechnen sich bei allen drei Kostenmodellen im RP6 (FC, FCF und AC) einfach als Summe von direkten Kosten und indirekten Kosten.

(16)  Der mögliche Pauschalbetrag (flat rate) zur Deckung der indirekten Kosten (overhead) in Artikel 32 sollte jedenfalls bei FTE-Tätigkeiten mit mindestens 20 % der erstattungsfähigen direkten Kosten, abzüglich der Unterverträge, festgelegt werden. Diese Regelung galt bereits im Sechsten FTE-Rahmenprogramm für FCF- und AC-Abrechner und sollte beibehalten werden, um der Kontinuität und vor allem auch den unterschiedlich entwickelten Buchhaltungssystemen der teilnehmenden Organisationen gerecht zu werden.

(17)  In Deutschland z.B. Forschungsorganisationen wie die Helmholtz-Gemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Leibniz-Gemeinschaft oder die Max-Planck-Gesellschaft. In den Niederlanden z.B. The Netherlands Organisation for Scientific Research (NWO) — Nederlandse Organisatie voor Wetenschappelijk Onderzoek (NWO).

(18)  Der Ausschuss weist darauf hin, dass in der deutschen Version des Vorschlags der Kommission bei den Artikeln 50-1 und 51-1 gegenüber der englischen Fassung Übersetzungsfehler vorliegen. Die vorliegende Stellungnahme des Ausschusses bezieht sich hier auf die wohl richtige englische Fassung!

(19)  Positiv-Liste: Aufstellung all jener Kenntnisse oder Kenntnisbereiche, die zugänglich gemacht werden sollen. Negativ-Liste: Aufstellung all jener Kenntnisse oder Kenntnisbereiche, die NICHT zugänglich gemacht werden sollen.

(20)  Ein möglicher Vorschlag des letzten Satzes von Artikel 50-2 wäre: „However, RTD Performers shall grant access rights to background on a royalty-free basis, unless for justified exceptions otherwise agreed by all participants before their accession to the grant agreement“.

(21)  Z.B. in Deutschland auch dem Gesetz über Arbeitnehmererfindungen.

(22)  Ein möglicher Vorschlag wäre: „RTD-Performers shall grant access rights to background needed to use the foreground generated in the indirect action on a royalty-free basis unless otherwise agreed by all participants before their accession to the grant agreement“.

(23)  Z.B. Mikrobiologie, Laser, IKT.

(24)  So könnte Artikel 52-1 z.B. folgend lauten: „In the case of frontier research actions, access rights to foreground for the implementation of the project shall be granted royalty-free. Access rights to foreground for use shall be under fair and reasonable conditions or royalty-free as agreed by all participants before their accession to the grant agreement“.

(25)  Ziffer 3.4, ABl. C 157 vom 28.6.2005.

(26)  ABl. C 94 vom 18.4.2002.

(27)  S.o.: Gleichstellung aller öffentlich grundfinanzierten Forschungsinstitutionen.

(28)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/41


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates (Euratom) über die Regeln für die Beteiligung von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen an Maßnahmen des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft sowie für die Verbreitung der Forschungsergebnisse (2007-2011)“

KOM(2006) 42 endg. — 2006/0014 (CNS)

(2006/C 309/09)

Der Rat beschloss am 8. März 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 7 und 10 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 156 gegen 3 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt die Kommissionsvorschläge bezüglich der Regeln für die Beteiligung von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen an der Durchführung des siebten Rahmenprogramms für Forschung, Entwicklung und Ausbildung im Nuklearbereich sowie für die Verbreitung der Forschungsergebnisse für den Zeitraum 2007-2011.

1.2

Die Vorschläge zielen darauf ab, die Verfahren und Methoden zu vereinfachen und zu rationalisieren, um die Lissabon-Strategie in der auf den Gipfeln des Europäischen Rates von 2005 und vom März 2006 festgelegten Form konkret umzusetzen und den Bedürfnissen der unterschiedlichen Forschungsakteure und Endnutzer zu entsprechen. Eine abschließende Bewertung des Erfolgs dieser Maßnahmen ist jedoch erst nach Festlegung von entsprechenden Durchführungsvorschriften möglich.

1.3

Bis einschließlich Kapitel III stimmen die Vorschläge der Kommission fast völlig mit den für das 7. Rahmenprogramm für Forschung, Entwicklung und Ausbildung im nichtnuklearen Bereich (1) vorgelegten Vorschlägen überein, bloß mit anderer Nummerierung (2). Der Ausschuss verweist daher auf seine diesbezügliche Stellungnahme und bekräftigt und unterstreicht die darin enthaltenen Bemerkungen (3), die bis zum Kapitel III auch für den hier behandelten Vorschlag gelten.

1.4

Nach Auffassung des Ausschusses ist das europäische Programm im Bereich der Kernfusion ein Musterbeispiel für eine echte Bündelung gemeinschaftlicher Bemühungen und eine umfassende Koordinierung von Maßnahmen im Rahmen des EFDA-Übereinkommens (European Fusion Development Agreement) und der Assoziationsverträge.

1.4.1

Ein solches Programm spielt für die EU im Bereich der Fusionsenergieforschung eine vorrangige Rolle. Es wird mithilfe ständiger gemeinschaftlicher Unterstützung in Form von Finanzmitteln und Humankapital verwirklicht und gewinnt dank der Aktionen im Rahmen des Projekts ITER/DEMO (4) ein hohes Maß an ökologischer Nachhaltigkeit.

1.5

Der Ausschuss ist überzeugt, dass die Kernenergie (5), mit der in der heutigen Europäischen Union rund ein Drittel der Elektrizität erzeugt wird (6), zur Unabhängigkeit und Sicherheit bei der Energieversorgung (7) sowie zur nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung in Europa unter Einhaltung der Vereinbarungen von Kyoto beiträgt. Die Voraussetzungen hierfür sind allerdings die Anwendung immer besserer, effizienterer und sichererer Standards bei der Behandlung und Entsorgung von Abfällen sowie die Entwicklung einer wettbewerbsfähigen europäischen Forschung und Industrie im Bereich der nuklearen Technologie und der Dienstleistungen.

1.6

Der Ausschuss hält die angegebene Höhe der Gemeinschaftsmittel für die Aktivitäten in den Bereichen Forschung, Ausbildung, Demonstration, Koordinierung und Unterstützung sowie für die Exzellenznetze und für den für die Fusionsenergieforschung vorgesehenen Finanzrahmen für angemessen.

1.6.1

Nach Auffassung des EWSA ist es notwendig, dass die Erforschung und der Einsatz umweltfreundlicher und sicherer Technologien unter Berücksichtigung der Erfordernisse und Gegebenheiten der einzelnen Mitgliedstaaten gefördert werden. In diesem Sinn plädiert der EWSA dafür, die Entscheidung verschiedener Mitgliedstaaten zu respektieren, die in der Kernenergie nicht die Lösung bei der Deckung ihres zukünftigen Energiebedarfs sehen und dies auch in den Forschungsprogrammen berücksichtigen.

1.7

Der EWSA unterstreicht die Tragweite von Maßnahmen zur Förderung der Aus- und Weiterbildung und der Laufbahnentwicklung von Forschern und betont, dass solche Maßnahmen für den privaten Sektor, für die Zivilgesellschaft und für die Bürger von besonderer Bedeutung sind.

1.8

Nach Auffassung des Ausschusses muss für das 7. Rahmenprogramm (Euratom) und seine spezifischen Programme unbedingt ein einfacher, anschaulicher, verständlicher, klarer und transparenter Regelungsrahmen gewährleistet werden, der vor allem den potenziellen (insbesondere kleineren) Teilnehmern Sicherheit in Bezug auf die Prinzipien und Kriterien für den Zugang, die Bewertung und die Auswahl sowie das Verfassen von Verträgen und das Projektmanagement geben kann.

1.8.1

Der EWSA bedauert, dass diesem Aspekt im Verordnungsvorschlag nicht immer Rechnung getragen wird, und ist der Auffassung, dass die Effizienz solcher Regelungen nach einem angemessenen Zeitraum von unabhängigen Fachleuten überprüft und der entsprechende Bericht dem Rat und dem Ausschuss vorgelegt werden muss.

1.9

Nach Ansicht des Ausschusses ist die Nutzung und Verbreitung der Forschungsergebnisse unerlässlich, um den europäischen Akteuren einen besseren Gegenwert für die investierten Mittel zu gewährleisten. Der Ausschuss erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass stets eine sorgfältige Abwägung zwischen dem Schutz der gemeinschaftlichen Interessen, der spezifischen Interessen der Mitgliedstaaten (auch im Bereich Verteidigung) und der Rechte an geistigem und gewerblichem Eigentum einerseits und den ebenso relevanten Risiken andererseits, die im Falle einer unzureichenden Verbreitung von wissenschaftlichen und technischen Informationen in diesem Bereich entstehen könnten, vorgenommen werden muss.

1.9.1

Der Ausschuss hält es für unverzichtbar, das IPR-HELPDESK auszubauen, um eine gezielte und vorausschauende Unterstützung der potenziellen Teilnehmer an Förderverträgen und für die indirekten Maßnahmen zur Unterstützung der Aus- und Weiterbildung und der Laufbahnentwicklung von Forschern sowie beim Aufsetzen und Abschluss von Konsortialvereinbarungen zu garantieren.

2.   Begründung

2.1

Der Ausschuss begrüßt, dass er mit diesem Thema frühzeitig befasst wurde, und ist sich seiner alleinigen Zuständigkeit für die Beratung in Fragen, die den Euratom-Vertrag betreffen, sehr wohl bewusst. Da es sich bei der Kernenergie um ein gesellschaftlich brisantes Thema handelt, das adäquate Formen der Information und Konsultation erfordert, misst der Ausschuss dieser Zuständigkeit große Bedeutung bei.

2.2

Im Hinblick auf die Beteiligung der Bürger ist die Atomenergie aufgrund der damit verbundenen schwerwiegenden Risiken und Abfallentsorgungsprobleme ein äußerst schwieriges Thema.

2.2.1

Nach Auffassung des Ausschusses sollte klar die Absicht zum Ausdruck kommen, die Modelle für die Leistungs- und Sicherheitsbewertung auf diesem Gebiet durch geeignete Mechanismen für eine kontinuierliche Information, Konsultation und Ausbildung zu optimieren.

2.2.2

Es gilt, die Entscheidungsstrukturen zu verbessern, damit die geeignetsten strategischen Entscheidungen getroffen und die Ängste der Bürger bezüglich der Nutzung der Kernenergie und ihrer langfristigen Folgen berücksichtigt werden.

2.3

Der Ausschuss hat zu den von der Kommission vorgeschlagenen Lösungen zur Vereinfachung der administrativen Prozeduren (8) und zur Reduzierung des damit verbundenen Aufwands bereits im Zusammenhang mit den am 6. April 2005 angenommenen Vorschlägen für Beschlüsse über das 7. Rahmenprogramm EG und das 7. Rahmenprogramm Euratom Stellung genommen (9).

2.3.1

Die Kommission führte als „kritische Erfolgsfaktoren“ zehn Handlungsschwerpunkte zur Vereinfachung der Verfahren hinsichtlich des Zugangs, der Beteiligung und der Verwaltung des 7. RP auf. In diesem Zusammenhang hob der Ausschuss Folgendes hervor: „Der gegenwärtige Arbeits- und Kostenaufwand für Antrags- und Bewilligungsverfahren ist zu groß [ist] und stellt die Nutzer aus Wissenschaft und Industrie vor Probleme. Eine Beteiligung am Europäischen Forschungsprogramm […] muss sich für die Teilnehmer lohnen“ und die Risiken, die mit einer Antragstellung einhergehen, kompensieren (10).

2.3.2

Ferner hob der Ausschuss die Notwendigkeit einer umfassenderen Einbindung der KMU in den Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsprozess hervor und betonte, dass „für die Erfolgschancen solcher KMU, die eigens zur Entwicklung und Vermarktung neuartiger High-Tech-Produkte gegründet wurden, […] vor allem eine ausreichende Ausstattung mit Startkapital und 'Venture-Capital' nötig [ist] ...“. „Allerdings müssen auch hier die Verfahren eine realisierbare und den KMU angemessene Größenordnung haben.“ (11)

2.3.3

Zu den von den Kommissionsdienststellen aufgeführten Punkten im Bereich der Vereinfachung der Verfahrensvorschriften zählen:

eine begrenzte Palette an Finanzierungsmodellen, die an die Instrumente des 6. RP anknüpfen und eine große praktische Flexibilität gewährleisten;

eine effiziente, vollständige und rechtzeitige sowie eindeutig und einheitlich auslegbare Bekanntmachung der Ziele und der sowohl für das 7. RP EG als auch für das 7. RP Euratom geltenden Modalitäten;

die Rationalisierung der von den Teilnehmern zu machenden Angaben mit einer Ausweitung des Zwei-Phasen-Verfahrens für die Einreichung von Vorschlägen und einer systematischen Nutzung elektronischer Mittel für die Einreichung von Vorschlägen;

der Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft ohne überzogene Belastungen für die Teilnehmer, indem die Vorabkontrolle auf ein Minimum reduziert wird und auf der Grundlage einheitlicher im Vorfeld festgelegter Kriterien erfolgt;

die operationelle Unabhängigkeit von Konsortien mit Hilfe von äußerst flexiblen Verträgen mit einer umfassenden Verwendung von Pauschalsätzen, und zwar auf der Grundlage von im Voraus festgelegten anzurechnenden Kosten und unabhängigen externen Prüfungen;

beschleunigte Auswahlverfahren, wobei das Ausschussverfahren durch eine einfachere, auf dem Informationsverfahren basierende Vorgehensweise ersetzt wird;

ein effizienterer Einsatz der für die FuE vorgesehenen Haushaltsmittel und eine bessere Abstimmung mit den Mitteln für die anderen im Rahmen der Lissabon-Strategie vorgesehenen Politikbereiche; Senkung der Kosten für die gemeinschaftliche Verwaltung (Management) von Projekten im Rahmen der FuE-Aktivitäten;

ein umfassender Einsatz der „Flat-rate“-Mittel innerhalb eines vereinfachten Rahmens gemeinschaftlicher Finanzierungsformeln;

Abschaffung der bestehenden, zu komplexen Kostenberichtsmodelle sowie klare Definitionen der förderfähigen Kosten;

Festlegung des Gemeinschaftsbeitrags pro Tätigkeitsbereich (Forschung, Entwicklung, Demonstration, Aus- und Weiterbildung, Verbreitung und Nutzung der Ergebnisse, Wissenstransfer u.a.). Diese Sätze werden an einzelne Aktivitäten geknüpft, wobei für jeden Tätigkeitsbereich ein Höchstsatz vorgesehen wird, der sich auf das Konsortium und nicht auf die einzelnen Teilnehmer bezieht.

2.4

Die hier behandelte Verordnung enthält im Vergleich zur vorhergehenden Verordnung (12) verschiedene Änderungen, so beispielsweise im Hinblick auf die Zielsetzung des Vorschlags, die Begriffsbestimmungen, die Vertraulichkeit, die Bewertung, Auswahl und Gewährung, die Formen der Finanzhilfe, die Kostenerstattung, den Höchstsatz des Finanzbeitrags der Gemeinschaft, die Risiken der Konsortien, die Verbreitung, Nutzung und Zugangsrechte, die spezifischen Bestimmungen über das EFDA-Übereinkommen und das Übereinkommen über die Mobilität des Personals.

2.4.1

In Bezug auf jene Abschnitte des Vorschlags, die auch in dem analogen Vorschlag hinsichtlich des 7. Rahmenprogramms EG (Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates für die Beteiligung von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen an Maßnahmen des Siebten Rahmenprogramms sowie für die Verbreitung der Forschungsergebnisse (2007-2013) (13) enthalten sind, verweist der Ausschuss auf seine diesbezügliche Stellungnahme (14), die zur Zeit erarbeitet wird.

2.5

Der Ausschuss ist mit den vorgesehenen Höchstgrenzen für die Förderung der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiet der Kernforschung einverstanden. Insbesondere begrüßt er die Tatsache, dass für KMU, öffentliche Einrichtungen, Hochschulen und Sekundarschulen sowie Forschungsorganisationen (15) die Obergrenze für den finanziellen Beitrag der Gemeinschaft von 50 % auf 75 % angehoben wurde und dass Koordinierungs- und Unterstützungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung und Laufbahnentwicklung von Forschern bis zu 100 % der gesamten förderfähigen Kosten gefördert werden können.

2.5.1

Der Ausschuss empfiehlt im Übrigen, die verschiedenen Arten von Tätigkeiten unter Angabe des jeweils vorgesehenen Höchstfördersatzes und eventueller Möglichkeiten der Kumulierung mit anderen Formen der Gemeinschaftsförderung (Strukturfonds usw.) — insbesondere für Forschungsinfrastrukturen — in einer Tabelle zusammenzufassen und diese dem Legislativvorschlag als Anhang beizufügen.

3.   Allgemeine Bemerkungen zu den Regeln für die Beteiligung am 7. Euratom-Rahmenprogramm

3.1

Nach Auffassung des Ausschusses sollten die Regeln für die Beteiligung am 7. Rahmenprogramm (Euratom) und an seinen spezifischen Programmen unbedingt in einem einfachen, anschaulichen, verständlichen, klaren und transparenten und in allen EU-Amtssprachen vorliegenden Rahmen festgelegt werden. Dadurch erhalten die potenziellen (insbesondere kleineren) Teilnehmer verlässliche Informationen über die Prinzipien und Kriterien für die Verfügbarkeit, die Teilnahmebedingungen, die Einreichung und Bewertung der Projektvorschläge, die einzelnen Formen der Förderung und die vertraglichen Verpflichtungen, die Sätze und die Verteilungssysteme bei einer Kofinanzierung durch die Gemeinschaft, den Schutz des gewerblichen und geistigen Eigentums und die Verwertung und Verbreitung der neuen Kenntnisse sowie über spezielle Regelungen für den Themenbereich „Fusionsenergieforschung“.

3.1.1

Der Ausschuss empfiehlt insbesondere, die Auswahl- und Vergabekriterien für indirekte Maßnahmen gem. Artikel 14 mit Ausnahme eventueller spezifischer Kriterien wieder ausdrücklich in den Text aufzunehmen. Diese allgemeinen Kriterien sind:

die wissenschaftliche und technologische Qualität und der Innovationsgrad;

die Fähigkeit, die indirekte Maßnahme erfolgreich durchzuführen und Ressourcen und Kompetenz effektiv einzusetzen;

die Relevanz für die Ziele des spezifischen Programms und des Arbeitsprogramms;

der zusätzliche Nutzen infolge der Gemeinschaftsunterstützung, einschließlich der notwendigen Menge mobilisierter Ressourcen und ihres Beitrags zur Gemeinschaftspolitik;

die Güte des Plans zur Nutzung oder Verbreitung der Kenntnisse, potenzielle Auswirkung auf die Innovation sowie Kompetenz in der Verwaltung des geistigen Eigentums;

die Einhaltung ethischer Grundsätze und die Gleichstellung von Frauen und Männern.

3.2

Der Ausschuss hat sich bereits zu den allgemeinen Fragen der Vereinfachung und Rationalisierung der Rahmenprogramme für die Forschung im Nuklearbereich geäußert, so in seinen Stellungnahmen zum 7. RP Euratom und zu den beiden spezifischen Programmen, welche die Kernenergie und insbesondere die Fusionsenergieforschung beziehungsweise die Forschungsaktivitäten der Gemeinsamen Forschungsstelle betreffen. Überdies wird im Ausschuss derzeit eine Stellungnahme zu den Regeln für die Teilnahme am 7. Rahmenprogramm für Forschung im nichtnuklearen Bereich erarbeitet (16).

3.3

In Bezug auf die Vorschriften für das Euratom-Programm möchte der Ausschuss insbesondere die Notwendigkeit einer radikaleren Vereinfachung der Formalitäten für die Antragstellung betonen.

3.3.1

Der Ausschuss begrüßt zudem die Tatsache, dass die seinerzeit im 6. Euratom-Rahmenprogramm vorgesehene gesamtschuldnerische Haftung, die potenziell eine erhebliche Hürde für die Beteiligung kleiner und mittlerer Einheiten (Unternehmen, Hochschulen usw.) war, aus dem hier behandelten Vorschlag gestrichen und durch einen noch festzulegenden Betrag in Höhe von ca. 1 % des Gemeinschaftsbeitrags (17) ersetzt wurde, der zum Zweck der Risikoabdeckung in den Konsortien von der Gemeinschaft einbehalten werden kann (Artikel 37). Im Nuklearbereich kann ein großer Teil der Forschungsaktivitäten nämlich auch kleineren und mittleren Einrichtungen übertragen werden, für die eine solche Haftungsvorschrift eine beträchtliche Hürde für die Teilnahme dargestellt hätte.

3.4

Der EWSA äußert Vorbehalte angesichts der großen Zahl möglicher Ausnahmen von den Teilnahmeregeln (die in über fünfzig Artikeln festgelegt sind) sowie in Bezug auf die zahlreichen Möglichkeiten, in den jährlichen Arbeitsprogrammen, den spezifischen Programmen und den Aufrufen zur Einreichung von Projektvorschlägen unterschiedliche Kriterien und Regelungen festzulegen. Diese Ausnahmeregelungen betreffen insbesondere die Teilnehmerzahl und zusätzliche Bedingungen für die Teilnahme (Artikel 11); die Grundsätze für die Bewertung, Auswahl und Gewährung (Artikel 14 Absatz 1); die Ausnahmen von der Pflicht zur Veröffentlichung von Ausschreibungen (Artikel 13); die Bewertungskriterien mit der Möglichkeit, zusätzliche spezifischen Kriterien festzulegen (Artikel 14 Absatz 2) sowie den finanziellen Beitrag der Gemeinschaft für Exzellenznetze (Artikel 34 Absatz 1 und 3).

3.4.1

In Bezug auf die Exzellenznetze bringt der Ausschuss seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass der Beitrag pauschal festgelegt wird, was sich als fiktiv und realitätsfern herausstellen könnte. Dies würde der Entwicklung von Exzellenznetzen schaden, die für das Erreichen der konkreten Programmziele notwendig sind.

3.5

Der Ausschuss betont, dass die notwendige Flexibilität bei der Festlegung und Handhabung der Erfordernisse der einzelnen Maßnahmen nicht auf Kosten der Klarheit, Gewissheit und Transparenz der geforderten Teilnahmebedingungen, der festgelegten Bewertungs- und Auswahlkriterien und verlässlicher Rahmenregelungen für die vorgeschlagene Förderung bzw. Beteiligung an einer Förderung gehen darf.

3.6

Ist in dem Vertrag über die Gewährung einer Finanzhilfe vorgesehen, dass das Forschungskonsortium für die Durchführung bestimmter Arbeiten oder für die Ausdehnung bestimmter Aktivitäten auf Ausschreibungen zurückgreifen kann, dann sollten diese Ausschreibungen nach Ansicht des Ausschusses den von der Kommission festgelegten Vorschriften entsprechen, um ein Höchstmaß an Transparenz und Zugänglichkeit der Information zu gewährleisten.

3.7

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung der Bestimmungen zur Überwachung der Programme und der indirekten Maßnahmen der Forschung, Demonstration, Koordinierung und Ausbildung im Nuklearbereich. Er regt zudem an, für diese Aufgaben sowie für die Durchführung von Ausschreibungen, für die Bewertung, Auswahl und Kontrolle von Verträgen sowie für die wirtschaftliche Prüfung der zur Förderung zugelassenen Projekte eine Obergrenze für die darauf entfallenden Ausgaben festzulegen, die insgesamt einen Betrag von 7-10 % der für das 7. Euratom-Rahmenprogramm bereitgestellten Gesamtmittel nicht überschreiten sollten. Dadurch sollen so viele Mittel wie möglich für die vorrangigen und eigentlichen Aktivitäten in den Bereichen Forschung, Demonstration und Ausbildung sowie für die Erzielung konkreter und in marktgängige Anwendungen überführbarer Ergebnisse (als dem letztendlichen Ziel eines gemeinschaftlichen Forschungsrahmenprogramms) aufgewendet werden.

3.7.1

In diesem Zusammenhang empfiehlt der EWSA, dass die Erhebung, Speicherung und Verwaltung der Daten dieser Überwachung im Rahmen einer in IDABC (18) integrierten Datenbank erfolgen.

3.8

Der Ausschuss begrüßt die Vorschläge der Kommission in Bezug auf die möglichen Formen der Förderung durch die Erstattung förderfähiger Kosten, Pauschalbeträge und die Finanzierung auf der Grundlage von Pauschalsätzen. Er empfiehlt jedoch, möglichst geeignete Methoden auch im Hinblick auf die Vereinfachung der förderfähigen Kosten festzulegen und dem Vorschlag für eine Verordnung eine Übersicht beizufügen, um diese für potenzielle Nutzer verständlicher zu machen.

3.9

In Bezug auf die verschiedenen, in Artikel 32 und 34 beschriebenen Formen des finanziellen Beitrags der Gemeinschaft empfiehlt der Ausschuss, diese in einer dem Legislativvorschlag als Anhang beigefügten Tabelle zusammenzufassen, und zwar unter Angabe des jeweils vorgesehenen Höchstfördersatzes und eventueller Möglichkeiten der Kumulierung mit anderen Formen der Förderung durch die Struktur- und Kohäsionsfonds, die Europäische Investitionsbank und den Europäischen Investitionsfonds — insbesondere für Forschungsinfrastrukturen, wobei auch die in der Jeremie-Initiative (19) vorgesehenen Maßnahmen für eine einfachere Beteiligung kleinerer Akteure am 7. Euratom-Rahmenprogramm berücksichtigt werden sollten.

3.10

Im Hinblick auf die vorgeschlagenen Regeln für die Verbreitung und Nutzung und die Zugangsrechte zu den Kenntnissen hält es der Ausschuss für unverzichtbar, über die Unterscheidung zwischen bestehenden und neuen Kenntnissen und die Ausnahmen im militärischen und Sicherheitsbereich hinaus das IPR-HELPDESK auszubauen, um eine umfassende und vorausschauende Unterstützung der potenziellen Teilnehmer an Förderverträgen (vgl. Artikel 18 Absatz 5 und 6 sowie Artikel 19 und 21) und für die indirekten Maßnahmen zur Unterstützung der Aus- und Weiterbildung und der Laufbahnentwicklung von Forschern sowie beim Aufsetzen und Abschluss von Konsortialvereinbarungen zu unterstützen, in denen ergänzende Verbreitungs- und Nutzungsregeln für Ergebnisse und Rechte an geistigem Eigentum (Artikel 23) festgelegt werden.

3.11

In Bezug auf den Themenbereich „Fusionsenergieforschung“ hat der Ausschuss in den beiden bereits zitierten Stellungnahmen die Bedeutung der Forschung im Bereich kontrollierte Kernfusion, des Projekts ITER (Internationaler Thermonuklearer Versuchsreaktor), des vorbereitenden Programms DEMO und der magnetischen Einschlusskonzepte (20) herausgestellt.

3.11.1

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass der für diesen Bereich vorgeschlagene jährliche Basissatz für den finanziellen Beitrag der Gemeinschaft über die gesamte Laufzeit des siebten Euratom-Rahmenprogramms nicht mehr als 20 % betragen sollte. Der Ausschuss sieht darin den erforderlichen Anreiz dafür, dass die Mitgliedstaaten einen wesentlichen eigenen Beitrag zu einem gut koordinierten (siehe Ziffer 1.4) Gemeinschaftsprogramm leisten und dadurch der unverzichtbare Grundstock, die Verankerung und die Beteiligung für die gemeinsamen Vorhaben ITER und DEMO gegeben sind. Dieser Satz ist zwar für den Anfang wahrscheinlich ausreichend, doch ob das auch über die gesamte Laufzeit des Programms sein wird und den Anreiz für einen annehmbaren notwendigen Finanzbeitrag der Mitgliedstaaten bieten kann, ist fraglich. Der Ausschuss empfiehlt daher, dass dieser Satz vorausschauend auf 25 % angehoben wird, was nur der Hälfte bzw. einem Drittel (in Bezug auf Artikel 32 Absatz 1) dessen entspricht, was die Gemeinschaft andernfalls als Finanzbeitrag leisten müsste. Der Ausschuss ist zudem der Auffassung, dass diese Obergrenzen grundsätzlich angewandt werden sollten.

3.11.2

In Bezug auf die Höchstgrenze der Förderung (40 %) für Ausgaben bei speziellen Kooperationsprojekten im Rahmen der Assoziationsverträge, wobei vorrangig solche Maßnahmen Unterstützung erhalten, die für ITER/DEMO relevant sind oder im Rahmen des Übereinkommens über die Mobilität des Personals zwischen den Assoziierten erfolgen, wirft der Ausschuss die Frage auf, ob dieser Satz auf lange Sicht ausreicht, um den gewünschten Beitrag der Mitgliedstaaten zur Finanzierung der angestrebten Projekte oder Maßnahmen zu gewährleisten. Der Ausschuss verweist auf Artikel 52 Absatz 2.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Aus Sicht des Ausschusses stellt sich die Frage, warum im Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 „Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen“ die Bestimmung weggefallen ist, wonach einer solchen Aufforderung eine Aufforderung zur Interessensbekundung vorangehen kann, die es ermöglicht, die Ziele und Erfordernisse der Maßnahmen genau festzustellen und abzuschätzen sowie unnötige Verwaltungskosten zu vermeiden, sei es für die Erstellung von Anträgen, die gar nicht berücksichtigt werden können, oder für die Auswahl und Bewertung solcher Anträge durch die Kommission und die dafür zuständigen unabhängigen Gutachter.

4.2

Die Aufforderungen zur Interessensbekundung könnten mit der Veranstaltung von Informationstagen für Antragsteller einhergehen, um die potenziellen Benutzer aus Wissenschaft und Wirtschaft bei der Festlegung der gemeinschaftlichen Maßnahmen auf dem Gebiet der Nuklearforschung stärker einzubeziehen.

4.3

Der EWSA verweist nachdrücklich auf die Gefahren, die eine unzureichende Verbreitung der wissenschaftlichen und technischen Informationen in diesem Sektor birgt. Nach Ansicht des Ausschusses müssen hier zwar einige Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, es kommt jedoch darauf an, sich nicht abzuschotten. Konkret könnte das so aussehen, dass die Inhalte und das Verfahren für die Informationsverbreitung in einem genau definierten technischen Protokoll, das sowohl den Erfordernissen der Sicherheit und Zuverlässigkeit genügt als auch ein Höchstmaß an Transparenz garantiert, festgehalten werden.

4.4

Nach Ansicht des Ausschusses sollten die Regelungen über die Prüfung des Vorliegens der erforderlichen Voraussetzungen und über den rechtlichen Status der Teilnehmer umfassend bekannt gemacht und verbreitet werden. In gleicher Weise sollten klare, verständliche und für alle Forschungsakteure geltende Regeln für das vorgesehene vereinfachte 2-Phasen-Verfahren der Antragstellung und für die Kriterien und Voraussetzungen der beiden Bewertungsabschnitte aufgestellt werden.

4.4.1

Diese Regeln sollten nicht nur den Bewertungssachverständigen, sondern auch den Antragstellern zur Verfügung stehen und eindeutigen und einheitlichen Kriterien und Erwägungen genügen.

4.5

Nach Auffassung des EWSA wäre es zudem zweckmäßig, nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch für die Vertreter der Zivilgesellschaft und für alle Bürger Maßnahmen zur Weiterbildung und Information über die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Nuklearenergie durchzuführen sowie die Instrumente und Verfahren für die Entwicklung von verlässlichen und stichhaltigen Modellen für die Bewertung der Zuverlässigkeit und Sicherheit der Kernkraft zu stärken.

4.6

Im Hinblick auf die Nutzung der Forschungsergebnisse, ihre Verbreitung und den Schutz des geistigen und gewerblichen Eigentums sollten nach Ansicht des Ausschusses nicht nur die Regelungen und Schutzbestimmungen Anwendung finden, die im Verordnungsvorschlag, in den Finanzhilfevereinbarungen, den Konsortialvereinbarungen, in Artikel 24 und den anderen einschlägigen Bestimmungen des Euratom-Vertrags  (21) sowie in den Assoziationsverträgen, im EFDA-Übereinkommen (European Fusion Development Agreement), in dem Gemeinschaftsunternehmen für ITER und den entsprechenden internationalen Abkommen sowie schließlich auch in multilateralen Übereinkommen wie dem Übereinkommen über die Mobilität des Personals enthalten sind, sondern auch ein überarbeiteter „Leitfaden für den Antragsteller IPR-Euratom“ erstellt und so umfassend wie möglich verbreitet werden, in dem die Bedingungen und Möglichkeiten für die potenziellen Teilnehmer an Aktivitäten in den Bereichen Forschung, Demonstration, Ausbildung und Entwicklung im Rahmen des 7. RP Euratom klar und transparent zusammengefasst werden.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2005) 705 endg.

(2)  Es gibt jedoch einige Ausnahmen, so die Bestimmungen zur Pionierforschung.

(3)  Zum Beispiel die Bemerkungen zur Rechtsform der Forschungsorganisationen, zu den Zugangsrechten zu den Kenntnissen, zu den Rechten am geistigen Eigentum, zur Erstattung der Kosten, zu den Finanzierungsformen, zur Vereinfachung, zur Gewährung von Beihilfen, zu den allgemeinen Grundsätzen der Europäischen Charta für Forscher und zum rechtlichen Status der Forschungsinstitute.

(4)  Vgl. auch Ziffer 3.11.

(5)  Vgl. ABl. C 110 vom 30.4.2004, Berichterstatter: Herr Cambus.

(6)  Energieproduktion 2004 in der EU-25: Kernenergie: 31,2 %, Erdgas: 24,3 %, Rohöl: 17,1 %, Steinkohle: 13,1 %, Braunkohle: 10,2 %, Primärelektrizität: 4,1 %. Energieverbrauch in demselben Zeitraum: Rohöl: 39,2 %, Erdgas: 25,4 %, Kernenergie: 14,8 %, Steinkohle: 13,7 %, Braunkohle: 4,9 %, Primärelektrizität: 2,0 % (Eurostat, Energie, 5/2006).

(7)  Im Jahr 2004 beliefen sich die Bruttoenergieimporte (Grad der Energieabhängigkeit) in der EU-25 auf 53,8 %, wobei 33,2 % auf Erdöl und Mineralölprodukte entfielen. Energieabhängigkeitsgrad der vier größten EU-Mitgliedstaaten: Italien mit 87,7 %, Deutschland mit 64,6 %, Frankreich mit 54,3 % und Vereinigtes Königreich mit 5,2 %. Dänemark ist der einzige energieunabhängige EU-Mitgliedstaat. Das Land verzeichnet einen Überschuss von 53,5 %. (Eurostat, Energie, 5/2006).

(8)  Vgl. ABl. C 65 vom 17.3.2006, Berichterstatter: Herr Wolf.

(9)  KOM(2005) 119 endg. — SEK(2005) 430/431 vom 6.4.2005.

(10)  Vgl. ABl. C 65 vom 17.3.2006, Ziffer 1.11, Berichterstatter: Herr Wolf.

(11)  Vgl. ABl. C 65 vom 17.3.2006, Ziffern 1.12 und 4.15.2, Berichterstatter: Herr Wolf.

(12)  Verordnung (Euratom) 2322/2003 des Rates.

(13)  KOM(2005) 705 endg. vom 23.12.2005.

(14)  Vgl. CESE 557/2006 (INT/309), Berichterstatter: Herr Wolf.

(15)  Vgl. CESE 557/2006, Ziffer 4.6 (INT/309), Berichterstatter: Herr Wolf.

(16)  Vgl. Fußnote 9.

(17)  Vgl. CESE 557/2006, Ziffer 4.11.2 (INT/309), Berichterstatter: Herr Wolf.

(18)  Vgl. ABl. C 80 vom 30.3.2004, Stellungnahme zu IDABC (Interoperable Delivery of European eGovernment Services to Public Administrations, Businesses and Citizens).

(19)  Vgl. ABl. C 110 vom 9.5.2006, Berichterstatter: Herr Pezzini.

(20)  Vgl. ABl. C 65 vom 17.3.2006, Ziffer 6.1 ff, Berichterstatter: Herr Wolf.

(21)  Vgl. Fußnote 10.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 über die Einzelheiten der Anwendung der Artikel 85 und 86 des Vertrages auf den Seeverkehr und zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 auf Kabotage und internationale Trampdienste“

KOM(2005) 651 endg./2 — 2005/0264 (CNS)

(2006/C 309/10)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 10. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 83 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 30. Mai 2006 an. Berichterstatterin war Frau BREDIMA-SAVOPOULOU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am (5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 156 Stimmen 1 Gegenstimme und 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

In Bezug auf Trampdienste und Kabotage stimmt der Ausschuss dem Vorschlag zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (1) (wettbewerbsrechtliche Durchführungsvorschriften) auf diese Sektoren zu. Er begrüßt die laufenden Diskussionen zwischen der Europäischen Kommission und der Schifffahrtsindustrie über die Anwendung von Artikel 81 und 82 auf Trampdienste. In Ermangelung von Beschwerden oder rechtlichen Präzedenzfällen im Trampdienst-Sektor sind weitere Informationen über die Erbringung von Trampdiensten und Vereinbarungen in diesem Sektor erforderlich. Der Ausschuss unterstützt daher die Initiative der Europäischen Kommission, eine Studie über die wirtschaftlichen und juristischen Wesensmerkmale von Trampdiensten zu erstellen. Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, (vor Aufhebung der Freistellung von den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1/2003) Leitlinien zur Selbstbewertung unterschiedlicher Formen von Kooperationsvereinbarungen im Trampdienst-Sektor in Bezug auf deren Vereinbarkeit mit dem EU-Wettbewerbsrecht auszuarbeiten.

1.2

Im Zusammenhang mit Linienkonferenzen nimmt der Ausschuss den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Kenntnis, die Gruppenfreistellung für diese Konferenzen abzuschaffen, da sie die vier kumulativen Voraussetzungen von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag nicht mehr erfüllen. Nach Ansicht der Europäischen Kommission wird diese Abschaffung zu niedrigeren Transportpreisen führen, ohne jedoch die Zuverlässigkeit der Dienste auf den Routen zu beeinträchtigen, sowie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie stärken. Der Ausschuss behält sich eine Stellungnahme in Bezug auf die Nachhaltigkeit der vorgeschlagenen Abschaffung der Linienkonferenzen vor.

1.3

Der Ausschuss empfiehlt, dass die Europäische Kommission bei der Abschaffung der Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen neben reinen Wettbewerbsfaktoren auch den Faktor Sicherheit (Qualitätsverlust in der Schifffahrt als Ergebnis des Ausflaggens aus der EU) berücksichtigt.

1.4

Der Ausschuss empfiehlt, dass die Europäische Kommission bei der Abschaffung der Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen neben reinen Wettbewerbsfaktoren auch den Faktor „Mensch“ (Auswirkungen auf die Beschäftigungslage für die europäischen Seeleute) berücksichtigt.

1.5

Der Ausschuss nimmt die Absicht der Europäischen Kommission zur Kenntnis, geeignete Leitlinien zum Wettbewerb in der Seeschifffahrt zu erstellen, um einen reibungslosen Übergang zu einer vollen Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln zu gewährleisten. Diese Leitlinien sollen bis Ende 2007 veröffentlicht werden. Vor ihrer Veröffentlichung wird die Europäische Kommission — als Zwischenschritt der Erarbeitung der Leitlinien — im September 2006 ein „Arbeitspapier“ zu den Linienkonferenzen vorlegen. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, diese Leitlinien in enger Zusammenarbeit mit den einschlägigen Akteuren zu erarbeiten und die betreffenden EU-Institutionen entsprechend zu unterrichten.

1.6

Dieser Kommissionsvorschlag ist das Ergebnis einer 2003 eingeleiteten Überprüfung, in die alle beteiligten EU-Institutionen und Akteure eingebunden waren. Die Europäische Kommission hat außerdem drei Studien bei unabhängigen Beraterfirmen in Auftrag gegeben, in denen die möglichen Auswirkungen der Abschaffung der Gruppenfreistellung untersucht wurden. Die Ergebnisse können auf der Website der Generaldirektion Wettbewerb eingesehen werden.

1.7

Der Ausschuss nimmt ferner zur Kenntnis, dass der Kommissionsvorschlag für die Abschaffung der Gruppenfreistellungen für Linienkonferenzen allein auf Artikel 83 EG-Vertrag (Wettbewerbspolitik) beruht, während sich die Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 auf zwei Rechtsgrundlagen stützt, und zwar Artikel 83 (Wettbewerbspolitik) und Artikel 80 Absatz 2 (Verkehrspolitik). Der Ausschuss würde es begrüßen, wenn der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments sich zu der Frage äußerte, ob die Verkehrsaspekte an die Wettbewerbsaspekte gekoppelt sind. Außerdem möchte er gerne wissen, ob der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments den in seinem früheren Bericht (2) dargelegten Standpunkt zur doppelten Rechtsgrundlage beibehält.

1.8

Im Vorgriff auf mögliche künftige Rechtskollisionen, die aufgrund von unterschiedlichen Rechtsinstrumenten in anderen Rechtssystemen entstehen könnten, fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, eine Bestimmung zur Lösung derartiger Probleme in ihre Leitlinien aufzunehmen. Mit einer derartigen Bestimmung können Spannungen abgebaut und für alle Beteiligten akzeptable Lösungen auf internationaler Ebene gefunden werden.

1.9

Der Ausschuss hält fest, dass die Europäische Kommission die weltweit nicht einheitliche Anwendung des Wettbewerbsrechts und die daraus resultierenden Unterschiede ebenso anerkennt wie die zunehmende Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden.

1.10

Der Ausschuss begrüßt, dass die Europäische Kommission mit ihrem Handeln zwei Ziele verfolgt, und zwar den Ausbau der bilateralen Zusammenarbeit mit den wichtigsten EU-Handelspartnern und die Prüfung der Möglichkeiten, die multilaterale Zusammenarbeit in Wettbewerbsfragen auszudehnen. Der Ausschuss ruft die Europäische Kommission daher auf, ihre Bemühungen zu intensivieren, um sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit und der Dialog dazu beitragen, eventuelle Probleme aufgrund der Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 in der EU zu ermitteln und diese auf konstruktive Weise unter Wahrung der Besonderheiten der unterschiedlichen Rechtssysteme zu lösen. Denn ein kohärentes Vorgehen im Zusammenhang mit Linienkonferenzen in den verschiedenen Ländern ist von grundlegender Bedeutung für den internationalen Handel.

1.11

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, die Ergebnisse des Dialogs und der Zusammenarbeit mit ihren wichtigsten Handelspartnern bei der Erarbeitung der Leitlinien zum Wettbewerb in der Seeschifffahrt zu berücksichtigen.

1.12

Der Ausschuss merkt an, dass folgende Elemente in der Begründung des Kommissionsvorschlags aufgeführt wurden, und bekräftigt, dass diese bei der Erarbeitung der Leitlinien für den Wettbewerb in der Seeschifffahrt aufgegriffen werden müssen:

Es wird anerkannt, dass der Seeverkehr für die wirtschaftliche Entwicklung der EU eine Schlüsselstellung inne hat, wird doch der EU-Außenhandel zu 90 % und der innereuropäische Warenverkehr zu 43 % über den Seeverkehr abgewickelt.

Der anhaltende Trend zur Containerisierung hat seit Annahme der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 einen erheblichen Wandel des Linienschifffahrtsmarktes nach sich gezogen und zu einer Zunahme der Zahl und Größe von Vollcontainerschiffen sowie zur wachsenden Bedeutung der globalen Routennetze geführt, was wiederum zur zunehmenden Verbreitung neuer operationeller Vereinbarungen beigetragen hat, die mit der abnehmenden Bedeutung der Linienkonferenzen einherging.

Das seit 150 Jahren bestehende Linienkonferenzsystem unterliegt immer noch multi- und bilateralen Vereinbarungen, deren Vertragsparteien die einzelnen Mitgliedstaaten und die Europäische Union sind. Der Ausschuss hält fest, dass die Europäische Kommission anerkennt, dass infolge dieser Vereinbarungen die Anwendung der sich auf die Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen beziehenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 4056/86, d.h. Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe b) und c), Artikel 3 bis 8 und Artikel 28, um zwei Jahre verschoben werden sollte, um diese Vereinbarungen mit Drittstaaten aufzukündigen bzw. zu überarbeiten.

1.13

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Europäische Kommission auch die Interessen der KMU bei der Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 berücksichtigen sollte. KMU sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft und spielen im Zusammenhang mit der überarbeiteten Lissabon-Strategie eine grundlegende Rolle. Die Märkte sollten für sämtliche derzeitige und potentielle künftige Mitbewerber, einschl. kleine und mittlere Schifffahrtsunternehmen, zugänglich bleiben.

1.14

Der Ausschuss bekräftigt, dass trotz der möglichen positiven Auswirkung einer Konsolidierung für die europäische Industrie (Effizienzsteigerung, Skalenerträge, Kosteneinsparungen) Vorsicht geboten sein muss, um zu vermeiden, dass diese Konsolidierung, die der Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 folgen könnte, dazu führt, dass es weniger Teilnehmer, d.h. weniger Wettbewerb auf den einschlägigen Märkten gibt.

1.15

Der Ausschuss regt an, dass die beiden betroffenen Parteien auf europäischer Ebene, d.h. Verlader und Schifffahrtsunternehmen, im Rahmen einer neuen Regelung Themen von gemeinsamen Interesse und von Bedeutung für beide Branchen erörtern.

2.   Einleitung

2.1   Aktuelle Trends und geltende Rechtsvorschriften

2.1.1

Der Seeverkehr hat eine Schlüsselstellung für die wirtschaftliche Entwicklung der EU, wird doch der EU-Außenhandel zu 90 % und der innereuropäische Warenverkehr zu 43 % über den Seeverkehr abgewickelt. Er ist seit der Antike eine der internationalen und globalisierten Tätigkeiten schlechthin und kann im Wesentlichen in zwei Arten von Diensten unterteilt werden: Linienfracht- und Trampdienste, die wie Busse und Taxis zu See sind. Der Anteil der EU-Schiffe an der Weltflotte beträgt 25 %, und EU-Schifffahrtsunternehmen kontrollieren insgesamt 40 % der Weltflotte, von der weitere 40 % unter der Flagge von Ländern des Pazifikraums fahren. Die EU-Schifffahrt und ihre Kunden (Charterer/Verlader) agieren in einem stark wettbewerbsbestimmten Umfeld auf überseeischen und europäischen Märkten.

2.1.2

In der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 werden die Einzelheiten der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften (Artikel 81 und 82 EG-Vertrag) auf die Linienfrachtdienste zur See aus der und in die EU festgelegt. Trampdienste sind jedoch vom Anwendungsgebiet der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 ausgenommen. Ursprünglich erfüllte die Verordnung zweierlei Aufgaben. Sie enthielt Verfahrensvorschriften für die Durchsetzung der Wettbewerbsregeln der EG im Seeverkehr. Nach dem 1. Mai 2004, als die Linienfrachtdienste Gegenstand der allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Durchführungsvorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 wurden, entfiel diese Aufgabe. Die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 findet jedoch weder auf Trampdienste noch auf Kabotage Anwendung. Außerdem enthielt die Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 spezifische substanzielle Wettbewerbsvorschriften für den Seeverkehr, insbesondere eine Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen, die es diesen gestattete, unter bestimmten Bedingungen Preise festzulegen und die Transportkapazität zu regeln.

2.2   Die Linienkonferenzen

2.2.1

Seit Annahme der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 hat sich der Linienschifffahrtsmarkt erheblich gewandelt. Der anhaltende Trend zur Containerisierung hat zu einer Zunahme der Zahl und Größe von Vollcontainerschiffen sowie zur wachsenden Bedeutung der globalen Routennetze als Reaktion auf weltweite Handelsmuster geführt, was wiederum zur zunehmenden Verbreitung neuer operationeller Vereinbarungen beigetragen hat, die mit der abnehmenden Bedeutung der Linienkonferenzen und einer erheblichen Zunahme an starken Drittanbietern einherging. In anderen Teilen der Welt, beispielsweise in den Vereinigten Staaten, wurden mit der Annahme des Ocean Shipping Reform Act (OSRA) im Jahr 1999 die Bestimmungen für Linienkonferenzen auf den amerikanischen Routen dahingehend geändert, dass vertrauliche Dienstleistungsverträge zulässig sind. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bedienen weltweit tätige Linienschifffahrtsunternehmen vor allem die Ost-West- sowie die Nord-Süd-Routen, wohingegen kleine und mittlere Schifffahrtsunternehmen in erster Linie auf den Nord-Süd-Routen und im europäischen Kurzstreckenseeverkehr tätig sind.

2.2.2

Der UNCTAD-Verhaltenskodex für Linienkonferenzen (3) war ursprünglich darauf ausgerichtet, das Linienkonferenzsystem für die Routen zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern zu regeln. 13 EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegen haben diesen Verhaltenskodex ratifiziert, angenommen oder sind ihm beigetreten, Malta hat ihn unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Er wurde in mehrere EU-Vereinbarungen mit Drittländern wie auch in den Acquis communautaire aufgenommen (Verordnung (EG) Nr. 954/79, Verordnung (EWG) Nr. 4055/86, Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 und Verordnung (EWG) Nr. 4058/86) (4). Trotz seiner faktischen Redundanz für die Hochseeschifffahrt ist der UNCTAD-Verhaltenskodex rechtlich gesehen immer noch gültig.

2.2.3

Die Verkehrsnutzer (Verlader und Spediteure) haben das Konferenzsystem grundsätzlich in Frage gestellt, weil es ihrer Auffassung nach keine ihren Bedürfnissen entsprechenden angemessenen, effizienten und zuverlässigen Dienste hervorbringt. Nach Ansicht des ESC (5) wird insbesondere die Aufhebung der Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen eine bessere Partnerschaft zwischen den Kunden und den Dienstleistern ermöglichen, die auf logistische Lösungen abzielt, mit denen zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen beigetragen wird. Außerdem würden die Kunden auch von geringfügig niedrigeren Preisen profitieren, wenn die Frachtraten für die Güterbeförderung in die EU gesenkt werden. Die Schifffahrtsunternehmen vertreten jedoch die Meinung, dass Linienkonferenzen zur Dienstleistungssicherheit beigetragen haben. Darüber hinaus hätten sie — sowohl weltweit wie auch auf regionaler Ebene — dank der Linienkonferenzen (saisonal, geografisch oder klimatisch bedingte) Ungleichgewichte auf den meisten Routen ausgleichen können. Mittlerweile sind weltweit tätige Schifffahrtsunternehmen (Mitglieder des ELAA (6)) in einen Dialog mit der Europäischen Kommission eingetreten und unterstützen diese bei der Entwicklung eines alternativen, den EU-Wettbewerbsregeln entsprechenden Systems.

2.2.4

Im Jahr 2003 leitete die Europäische Kommission eine Überprüfung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 ein, um festzustellen, ob sich eine zuverlässige Linienschifffahrt auch durch weniger restriktive Maßnahmen als horizontale Preisfestlegung und Kapazitätsregulierung erreichen lässt. Hierfür legte die Europäische Kommission im März 2003 ein Konsultationspapier vor und veranstaltete im Dezember 2003 öffentliche Anhörung mit den betroffenen Akteuren. Im Juni 2004 veröffentlichte die Europäische Kommission außerdem ein Diskussionspapier und anschließend im Oktober 2004 — nach umfassender Konsultation der betroffenen Akteure — ein Weißbuch, zu dem das Europäische Parlament (am 1. Dezember 2005) (7) und der Ausschuss (am 16. Dezember 2004) (8) Stellung genommen haben. Beide kamen zu dem Schluss, dass vielmehr eine Überarbeitung denn eine Aufhebung der Verordnung angezeigt wäre. Im Dezember 2005 legte die Europäische Kommission schließlich ihren Vorschlag für eine Verordnung zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 vor.

2.3   Trampdienste

2.3.1

Obwohl knapp 80 % der gesamten Beförderung von Trocken- oder Flüssigschüttgut auf dem Seeweg weltweit über Trampdienste erfolgt, ist dieser riesige Wirtschaftssektor für die meisten eine große Unbekannte. Die grundlegenden Merkmale der Trampdienste sind: weltweit wettbewerbsfähige Märkte, dem perfekten Wirtschaftsmodell nahe, schwankende und unvorhersehbare Nachfrage, viele Kleinunternehmen, weltweite Handelsmuster, einfacher Marktzugang und -ausstieg, äußerst kosteneffizient sowie flexibel in Bezug auf die Entwicklung der Märkte und der Anforderungen der Verlader. Der Trampdienstleistungsmarkt ist sehr zersplittert und hat alles in allem zur Zufriedenheit der Charterer bzw. Verlader gearbeitet, ohne große Schwierigkeiten in Bezug auf die internationalen oder gemeinschaftsinternen Wettbewerbsbestimmungen nach sich zu ziehen. Das Fehlen von Beschwerden über diese Branche ist ein weiterer Beweis dafür, dass es sehr wohl einen starken und zufrieden stellenden Wettbewerb gibt. Aus den vorstehend genannten Gründen ist in Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 festgehalten, dass sie keine Anwendung auf die Trampdienste findet. Artikel 81 und 82 EG-Vertrag gelten unmittelbar für diesen Sektor. Internationale Trampdienste (und Kabotage) fallen außerdem nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (wettbewerbsrechtliche Durchführungsvorschriften).

2.4   Der Kommissionsvorschlag

2.4.1

Angesichts der seit 1986 zu verzeichnenden Strukturveränderungen des Marktes und der Industrie kommt die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass die vier kumulativen Voraussetzungen von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag für die Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen nicht mehr erfüllt sind. Daher schlägt sie die vollständige Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86, insbesondere die Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen (Artikel 3 bis 8, 13 und 26), vor. Einige redundante Bestimmungen werden auch aufgrund der allgemeinen Politik der EU zur Vereinfachung der Rechtsetzung der Gemeinschaft aufgehoben (Artikel 2 und 9). Nach Ansicht der Europäischen Kommission wird diese Abschaffung zu niedrigeren Transportpreisen führen, ohne jedoch die Zuverlässigkeit der Dienste auf den Routen zu beeinträchtigen, sowie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie stärken.

2.4.2

Die Europäische Kommission beabsichtigt, vor Abschaffung der Gruppenfreistellung geeignete Leitlinien für den Wettbewerb in der Seeschifffahrt aufzustellen, um einen reibungslosen Übergang zu einer vollen Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln zu gewährleisten. Sie will diese Leitlinien bis Ende 2007 veröffentlichen. Vor Veröffentlichung dieser Leitlinien wird sie im September 2006 ein „Arbeitspapier“ zu den Liniendiensten veröffentlichen.

2.4.3

Der Kommissionsvorschlag zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 enthält ferner den Vorschlag, die Verordnung (EWG) Nr. 1/2003 dahingehend zu ändern, dass internationale Tramp- und Kabotagedienste in den Geltungsbereich dieser Verordnung aufgenommen werden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Nach Ansicht des Ausschusses verdient diese Thematik einen ausgewogenen Ansatz, in dem folgende Faktoren berücksichtigt werden: Nutzen des Wettbewerbs für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, sich ändernde Muster des Welthandels und ihre Auswirkungen auf die Erbringung von Verkehrsdienstleistungen, internationale Auswirkungen im Verkehrsbereich für die wichtigsten EU-Handelspartner wie auch die Entwicklungsländer, Standpunkte der weltweit tätigen wie auch der kleinen und mittleren Verlader und Schifffahrtsunternehmen.

3.2   Trampdienste und Kabotage

3.2.1

Trampdienste werden auf einem weltweiten Markt unter perfekten Wettbewerbsbedingungen erbracht. Dieses einzigartige sowohl in der Praxis als auch in der Theorie anerkannte Merkmal des Trampsektors wurde von der EU in ihrer Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 bekräftigt. Der Ausschuss kann die Notwendigkeit nachvollziehen, diesen Sektor in den Anwendungsbereich der wettbewerbsrechtlichen Durchführungsbestimmungen gemäß Verordnung (EG) Nr. 1/2003 aufzunehmen, und unterstützt daher diesen Vorschlag. Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission, eine Studie über die wirtschaftlichen und juristischen Wesensmerkmale von Trampdiensten zu erstellen. Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, (vor Aufhebung der Ausnahme von den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1/2003) Leitlinien zur Selbstbewertung unterschiedlicher Formen von Kooperationsvereinbarungen im Trampdienstsektor in Bezug auf deren Vereinbarkeit mit dem EU-Wettbewerbsrecht auszuarbeiten. Das Ausbleiben von Beschwerden und rechtlichen Präzedenzfällen in diesem Sektor ist ein Beweis dafür, dass es sehr wohl einen perfekten Wettbewerb gibt. Um rechtliche Maßstäbe für die Selbstbewertung der Trampdienste unter EU-Wettbewerbsrecht bereitzustellen, sind weitere Informationen über ihre Erbringung und Vereinbarungen in diesem Bereich erforderlich. Der Ausschuss begrüßt außerdem die fortlaufenden Diskussionen zwischen der Europäischen Kommission und der Schifffahrtsindustrie über die Anwendung von Artikel 81 und 82 auf Trampdienste.

3.2.2

Im Zusammenhang mit Seekabotagediensten stimmt der Ausschuss dem Vorschlag der Europäischen Kommission zu, Kabotage in den Anwendungsbereich der wettbewerbsrechtlichen Durchführungsbestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 aufzunehmen. Der Großteil der Vereinbarungen in diesem Sektor würden weder den innereuropäischen Handel beeinträchtigen noch Wettbewerbsbeschränkungen nach sich ziehen.

3.2.3

Daher befürwortet der Ausschuss den Ansatz der Europäischen Kommission für die künftige Behandlung von Kabotage und Trampdiensten.

3.3   Die Linienkonferenzen

3.3.1

Im Zusammenhang mit Linienkonferenzen nimmt der Ausschuss den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Kenntnis, die Gruppenfreistellung für diese Konferenzen abzuschaffen, da sie die vier kumulativen Voraussetzungen von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag nicht mehr erfüllen. Nach Ansicht der Europäischen Kommission wird diese Abschaffung zu niedrigeren Transportpreisen führen, ohne jedoch die Zuverlässigkeit der Dienste auf den Routen zu beeinträchtigen, sowie die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie stärken. Der Ausschuss behält sich eine Stellungnahme in Bezug auf die Nachhaltigkeit der vorgeschlagenen Abschaffung der Linienkonferenzen vor.

3.3.2

Der Ausschuss nimmt die Absicht der Europäischen Kommission zur Kenntnis, geeignete Leitlinien zum Wettbewerb in der Seeschifffahrt zu erstellen, um einen reibungslosen Übergang zu einer vollen Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln zu gewährleisten. Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, diese Leitlinien in enger Zusammenarbeit mit den einschlägigen Akteuren zu erarbeiten und die betreffenden EU-Institutionen entsprechend zu unterrichten.

3.3.3

Dieser Kommissionsvorschlag ist das Ergebnis einer 2003 eingeleiteten Überprüfung, in die alle beteiligten EU-Institutionen und Akteure eingebunden waren. Die Europäische Kommission hat außerdem drei Studien bei unabhängigen Beraterfirmen in Auftrag gegeben, in denen die möglichen Auswirkungen der Abschaffung der Gruppenfreistellung untersucht wurden. Die Ergebnisse können auf der Website der Generaldirektion Wettbewerb eingesehen werden.

3.3.4

Der Ausschuss nimmt ferner zur Kenntnis, dass der Kommissionsvorschlag für die Abschaffung der Gruppenfreistellungen für Linienkonferenzen allein auf Artikel 83 EG-Vertrag (Wettbewerbspolitik) beruht, während sich die Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 auf zwei Rechtsgrundlagen stützt, und zwar Artikel 83 (Wettbewerbspolitik) und Artikel 80 Absatz 2 (Verkehrspolitik) EG-Vertrag.

3.3.5

Der Ausschuss hält fest, dass die Europäische Kommission die weltweit nicht einheitliche Anwendung des Wettbewerbsrechts und die daraus resultierenden Unterschiede ebenso anerkennt wie die zunehmende Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden.

3.3.6

Der Ausschuss begrüßt, dass die Europäische Kommission mit ihrem Handeln zwei Ziele verfolgt, und zwar den Ausbau der bilateralen Zusammenarbeit mit den wichtigsten EU-Handelspartnern und die Prüfung der Möglichkeiten, die multilaterale Zusammenarbeit in Wettbewerbsfragen auszudehnen. Der Ausschuss ruft die Europäische Kommission daher auf, ihre Bemühungen zu intensivieren, um sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit und der Dialog dazu beitragen, eventuelle Probleme aufgrund der Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 in der EU zu ermitteln und diese auf konstruktive Weise unter Wahrung der Besonderheiten der unterschiedlichen Rechtssysteme und -sprechungen zu lösen. Denn ein kohärentes Vorgehen im Zusammenhang mit Linienkonferenzen in den verschiedenen Ländern ist von grundlegender Bedeutung für den internationalen Handel.

3.3.7

Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, die Ergebnisse des Dialogs und der Zusammenarbeit mit ihren wichtigsten Handelspartnern bei der Erarbeitung der Leitlinien zum Wettbewerb in der Seeschifffahrt zu berücksichtigen.

3.3.8

Der Ausschuss merkt an, dass folgende Elemente in der Begründung des Kommissionsvorschlags aufgeführt wurden, und bekräftigt, dass diese bei der Erarbeitung der Leitlinien für den Wettbewerb in der Seeschifffahrt aufgegriffen werden müssen:

Es wird anerkannt, dass der Seeverkehr für die wirtschaftliche Entwicklung der EU eine Schlüsselstellung inne hat, wird doch der EU-Außenhandel zu 90 % und der innereuropäische Warenverkehr zu 43 % über den Seeverkehr abgewickelt.

Der anhaltende Trend zur Containerisierung hat seit Annahme der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 einen erheblichen Wandel des Linienschifffahrtsmarktes nach sich gezogen und zu einer Zunahme der Zahl und Größe von Vollcontainerschiffen sowie zur wachsenden Bedeutung der globalen Routennetze geführt, was wiederum zur zunehmenden Verbreitung neuer operationeller Vereinbarungen beigetragen hat, die mit der abnehmenden Bedeutung der Linienkonferenzen einherging.

Das seit 150 Jahren bestehende Linienkonferenzsystem unterliegt immer noch multi- und bilateralen Vereinbarungen, deren Vertragsparteien die einzelnen Mitgliedstaaten und/oder die Europäische Union sind. Der Ausschuss hält fest, dass die Europäische Kommission anerkennt, dass infolge dieser Vereinbarungen die Anwendung der sich auf die Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen beziehenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 4056/86, d.h. Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe b) und c), Artikel 3 bis 8 und Artikel 28, um zwei Jahre verschoben werden sollte, um diese Vereinbarungen mit Drittstaaten aufzukündigen bzw. zu überarbeiten.

3.3.9

Der Ausschuss empfiehlt, dass die Europäische Kommission bei der Abschaffung der Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen neben reinen Wettbewerbsfaktoren auch den Faktor „Mensch“ (Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt für die europäischen Seeleute) berücksichtigt. Er fordert die Europäische Kommission außerdem auf, das Ausmaß der Auswirkungen zu bewerten, insbesondere im Rahmen einer Konsultierung des Ausschusses für den sozialen Dialog im Seeverkehrssektor.

3.3.10

Der Ausschuss empfiehlt, dass die Europäische Kommission bei der Abschaffung der Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen neben reinen Wettbewerbsfaktoren auch den Faktor Sicherheit (Qualitätsverlust in der Schifffahrt als Ergebnis des Ausflaggens aus der EU) berücksichtigt.

3.3.11

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Europäische Kommission auch die Interessen der KMU bei der Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 berücksichtigen sollte. KMU sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft und spielen im Zusammenhang mit der überarbeiteten Lissabon-Strategie eine grundlegende Rolle. Die Märkte sollten für sämtliche derzeitige und potentielle künftige Mitbewerber, einschl. kleine und mittlere Schifffahrtsunternehmen, zugänglich bleiben.

3.3.12

Der Ausschuss bekräftigt, dass trotz der möglichen positiven Auswirkungen einer Konsolidierung für die europäische Industrie (Effizienzsteigerung, Skalenwirtschaft, Kosteneinsparungen) Vorsicht geboten sein muss, um zu vermeiden, dass diese Konsolidierung, die der Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 folgen könnte, dazu führt, dass es weniger Teilnehmer, d.h. weniger Wettbewerb auf den einschlägigen Märkten gibt.

3.3.13

Der Ausschuss regt an, dass die beiden betroffenen Parteien auf europäischer Ebene, d.h. Verlader und Schifffahrtsunternehmen, im Rahmen einer neuen Regelung Themen von gemeinsamen Interesse und von Bedeutung für beide Branchen erörtern.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Rechtsgrundlage

4.1.1

Der Ausschuss stellt fest, dass sich die Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 auf zwei Rechtsgrundlagen stützt, und zwar Artikel 80Absatz 2 (Verkehrspolitik) sowie Artikel 81 bis 83 (Wettbewerbspolitik) EG-Vertrag, während der Kommissionsvorschlag allein auf Artikel 81 und 82 EG-Vertrag beruht. Er verweist darauf, dass die einfache Rechtsgrundlage auch vom juristischen Dienst des Rates verfochten wird. Der Ausschuss würde es begrüßen, wenn der Juristische Dienst des Europäischen Parlaments sich zu der Frage äußerte, ob die Verkehrsaspekte an die Wettbewerbsaspekte gekoppelt sind. Außerdem möchte er gerne wissen, ob der Juristische Dienst den in seinem diesbezüglichen Bericht von Dezember 2005 dargelegten Standpunkt zur doppelten Rechtsgrundlage beibehält.

4.2   Rechtskollision

4.2.1

Die Europäische Kommission schlägt die Aufhebung von Artikel 9 der Verordnung (EWG) Nr. 4056/86 vor, da ihrer Meinung nach durch die Abschaffung der Gruppenfreistellung für Linienkonferenzen keinerlei Gefahr einer internationalen Rechtskollision besteht. In der Begründung heißt es, dass eine Rechtskollision nur dann entstehen würde, wenn ein Gericht etwas anordnet, das ein anderes verbietet. Der Europäischen Kommission ist nicht bekannt, dass irgendwo eine solche Verpflichtung für Linienschifffahrtsunternehmen besteht.

4.2.2

Im Vorgriff auf mögliche künftige Rechtskollisionen, die aufgrund von unterschiedlichen Rechtsinstrumenten in anderen Rechtssystemen entstehen könnten, fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, eine Bestimmung zur Lösung derartiger Probleme in ihre Leitlinien aufzunehmen. Mit einer derartigen Bestimmung können Spannungen abgebaut und für alle Beteiligten akzeptable Lösungen auf internationaler Ebene gefunden werden.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1 vom 4. Januar 2003, S. 1), Stellungnahme des EWSA: ABl. C 155 vom 29. Mai 2001, S. 73.

(2)  A6-0314/2005 vom 1. Dezember 2005.

(3)  Für weitere Informationen zum UNCTAD-Verhaltenskodex für Linienkonferenzen und die Verordnung (EG) Nr. 954/79 siehe Ausschussstellungnahme ABl. C 157 vom 28. Juni 2005, S. 130.

(4)  Siehe das vom UNCTAD-Sekretariat veröffentlichte Dokument über den Status multilateraler Abkommen:

http://www.unctad.org/en/docs/tbinf192.en.pdf (S. 4).

(5)  ESC = Europäischer Dachverband der Verlader (European Shippers' Council).

(6)  ELAA = Europäischer Linienverkehrsbranchenverband (European Liner Affairs Association).

(7)  A6-0314/2005 vom 1. Dezember 2005.

(8)  Stellungnahme des EWSA: ABl. C 157 vom 28. Juni 2005, S. 130.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/51


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Flugverkehrssicherheit“

(2006/C 309/11)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. Januar 2006, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Flugverkehrssicherheit“

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 30. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr McDONOGH.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 115 gegen 2 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

Die Mitglieder der Kabinenbesatzung sollten über ein von einer zuständigen Behörde ausgestelltes Befähigungszeugnis oder eine Lizenz verfügen, um ihre Berufsbefähigung (Kenntnisse in den Bereichen Sicherheit, medizinische Versorgung, Fluggastbetreuung usw.) sowie ihre technische Qualifikation für jeden Flugzeugtyp, auf dem sie eingesetzt werden, sicherzustellen.

1.2

Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) muss eine sorgfältige Prüfung vornehmen, ehe sie Zulieferern von Ausrüstungskomponenten das Recht einräumt, das Design von Komponenten eigenständig ohne Rücksprache mit der EASA oder dem Flugzeughersteller festzulegen.

1.3

Nichteuropäische Luftfahrtunternehmen sollten von der EASA anerkannt werden, ehe sie die Genehmigung zum Einflug in den Luftraum der EU erhalten.

1.4

Es sollte nur eine einzige Behörde geben, die Bestimmungen erlassen kann, und zwar die EASA. Auf diese Weise sollten der Weg für eine weitere Harmonisierung der Bestimmungen für Flughäfen geöffnet und tunlichst Wettbewerbsverzerrungen zwischen Flughäfen in der EU und Flughäfen in Drittstaaten vermieden werden. Die Stellung der EASA sollte gestärkt werden. So sollten ihr mehr Befugnisse übertragen werden, beispielsweise die Befugnisse der Europäischen Zivilluftfahrtkonferenz (ECAC).

1.5

Die EASA sollte untersuchen, wie die Kommunikation, die Datenverbindungen und die Bordavioniksysteme wie der „elektronische Pilotenkoffer“ (Electronic Flight Bag, EFB) vor unerlaubten Zugriffen geschützt und bewahrt werden können.

1.6

Die EASA muss sicherstellen, das jedwede neue Entwicklung in der Luftfahrt wie Light Business Jets (LBJ) einheitlichen Bestimmungen unterliegt, um sicherzustellen, dass die Eigentümer und Piloten die erforderliche Zahl an Flugstunden aufweisen, ehe sie den Flugbetrieb aufnehmen dürfen. Diese Art von Jets können in 25.000 Fuß Höhe oder mehr fliegen und sollten daher den für größere kommerzielle Jets geltenden Wartungs- und Betriebsnormen entsprechen müssen.

1.7

Die EASA muss erst über die erforderlichen Protokolle verfügen, ehe die Fluggenehmigung für unbemannte Fluggeräte außerhalb eines geschlossenen Luftraumes auch nur in Erwägung gezogen werden kann.

1.8

Sowohl bei der Cockpit-Crew als auch der Kabinenbesatzung sollten stichprobenartig Drogen- und Alkoholtests durchgeführt werden.

1.9

Die EASA sollte außerdem sicherstellen, dass die nationalen Regulierungsbehörden über die erforderliche Sachkenntnisse sowie über ausreichend Human- und Finanzressourcen verfügen.

1.10

Des Weiteren sollte die EASA eine eingehende wissenschaftliche Studie über die Auswirkungen von Müdigkeit, Stress und tiefen Venenthrombosen (TVT) auf die Cockpit-Crew und die Kabinenbesatzung durchführen.

1.11

Darüber hinaus sollten auch die Politik und die Verfahren für die Erteilung einer Privatpilotenlizenz und einer Zulassung als Verkehrsflugzeug überarbeitet werden.

1.12

Die EASA sollte für die Einführung einer europäischen Lizenz für die allgemeine Luftfahrt Sorge tragen, die mit Vermerken und Angaben betreffend den zugelassenen und zu fliegenden Flugzeugtyp versehen ist.

1.13

Bei der Verhängung eines Flugverbots für Luftfahrtunternehmen im europäischen Luftraum muss die Sicherheit der Besatzung und der Fluggäste sowie der in den Überfluggebieten lebenden Bevölkerung gegenüber politischen Überlegungen vorgehen.

2.   Einleitung

2.1

In Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und ihren Sachverständigen wurde eine „schwarze Liste“ von 96 Luftfahrtunternehmen erstellt und veröffentlicht. 93 dieser Unternehmen sollen mit vollkommenem Flugverbot und die 3 restlichen mit Betriebsbeschränkungen belegt werden. Frankreich erwägt seinerseits die Einführung eines neuen Systems für eine Sicherheitskennzeichnung, die in der Werbung zur Anwendung kommen könnte.

2.2

Europa steht bereits seit Anfang 2004 unter Druck, strengere Rechtsvorschriften über die Flugverkehrssicherheit zu erlassen, als bei dem Absturz einer Chartermaschine von Flash Airlines ins Rote Meer 148 Menschen, größtenteils französische Touristen, ums Leben kamen. Dieser Unfall hat die fehlende Zusammenarbeit zwischen den Regierungen in Bezug auf den Austausch von Flugsicherheitsinformationen verdeutlicht, da erst in der Folge bekannt wurde, dass Flash Airlines von den Schweizer Luftfahrtbehörden mit Flugverbot belegt worden war.

2.3

Eine abgestimmte Vorgehensweise und die Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Betriebsnormen für Luftfahrtunternehmen ist daher von grundlegender Bedeutung, soll diese „schwarze Liste“ die gewünschte Wirkung zeitigen. Die Mitgliedstaaten müssen verhindern, dass ein Mitgliedstaat aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen entscheidet, eines der aufgelisteten Luftfahrtunternehmen als „grenzwertig annehmbar“ einzustufen und diesem die Landeerlaubnis für seine Flughäfen erteilt, während die übrigen Mitgliedstaaten dieses Luftfahrtunternehmen weiterhin für ein Sicherheitsrisiko halten.

2.4

Brüssel wurde jedoch gebeten, bei einigen derartiger Meinungsverschiedenheiten einzugreifen, beispielsweise als die Türkei über die Entscheidung einiger europäischen Regierungen unter Federführung der Niederlande erbost war, der türkischen Billigfluglinie Onur Air vorrübergehend aus Sicherheitsgründen Landeverbot zu erteilen. Griechenland seinerseits steht unter Druck, Fortschritte bei seinen Ermittlungen im Falle des Absturzes der Helios-Maschine auf dem Weg von Larnaca (Zypern) nach Athen zu machen.

2.5

Die Einhaltung allgemeiner Wartungsnormen, Aus- und -weiterbildung der Besatzung, Flug- und Ruhezeiten der Besatzung, Kerosineinsparungspraktiken, Lärmschutz und Flugsicherung geben Anlass zur Besorgnis.

2.6

Aufgrund des immer stärkeren Wettbewerbs in der Luftfahrt und der prekären finanziellen Lage zahlreicher Luftfahrtunternehmen stehen die Besatzungen unter immer größerem Druck, auch unter Bedingungen abzuheben, unter denen sie normalerweise nicht fliegen würden, und Flugzeuge zu fliegen, die nicht wirklich lufttüchtig sind. Der Druck zur Durchführung der Flüge wird auch dadurch verstärkt, dass die Luftfahrtunternehmen den Fluggästen bei Verspätungen gemäß den Gemeinschaftsvorschriften eine Übernachtungsmöglichkeit oder eine Entschädigung anbieten müssen. All dies hat negative Auswirkungen auf die Sicherheit. Außerdem drücken zahlreiche nationalen Luftfahrtbehörden bei der Durchsetzung so mancher Vorschrift gerne beide Augen zu, wenn es sich um die eigene nationale Fluglinie handelt.

2.7

Obwohl in zahlreichen europäischen Ländern aufgrund von Sicherheitsbedenken ein Flugverbot für ein ganz bestimmtes Luftfahrtunternehmen verhängt wurde, darf dieses immer noch die Flughäfen von Brüssel und Paris anfliegen. Die Schweiz mit ihrem unerbittlichen Festhalten an der traditionellen Wahrung des Geschäftsgeheimnisses hat zwar ein Flugverbot für 23 Luftfahrtunternehmen in seinem Luftraum verhängt, doch wurden weder die Namen noch die Zahl der Unternehmen öffentlich zugänglich gemacht.

3.   Auswirkungen von Müdigkeit und Sicherstellung der Leistungsfähigkeit

3.1

In der Vergangenheit wurde immer wieder Müdigkeit als Ursache für zahlreiche Flugzeugabstürze genannt. Sie ist ein ständiges Problem für die Besatzung von Flugzeugen jedweder Größe. Aber wie kann ein Pilot erkennen, ob er zu müde ist, um einen Flug durchzuführen? Welche Rolle spielen Schlafrhythmus, Dehydration, Ernährung und Krankheit, um Müdigkeit zu erkennen und darauf zu reagieren?

3.2

Piloten, die mehrere Zeitzonen überqueren, sind häufig Opfer von Müdigkeit und Beeinträchtigung des Urteilsvermögens. Sie sollten eigentlich die Möglichkeit haben, während Langstreckenflügen Ruhezeiten einzulegen, aber hierfür bedarf es angemessener Ausstattung wie Flachbetten usw.

3.3

Es gibt zahllose Beweise dafür, dass Müdigkeit ein Faktor bei der Gewährleistung der Sicherheit ist. In einem vor Kurzem veröffentlichten Bericht der amerikanischen Verkehrssicherheitsbehörde (National Transportation Safety Board, NTSB) über einen verheerenden Flugzeugabsturz in Kirksville, Missouri, am 19. Oktober 2004 wird betont, dass aufgrund der in keiner Weise als optimal zu bezeichnenden verfügbaren Ruhezeiten während der Übernachtung, der frühen Anwesenheitsmeldepflicht, der langen Diensttage, der Anzahl der Flüge und der schwierigen Bedingungen — manueller Instrumentenanflug ohne vertikale Führung bei tiefhängender Bewölkung und schlechter Sicht — im Laufe der langen Diensttage es durchaus möglich sei, dass die Müdigkeit zur Beeinträchtigung des Leistungs- und Urteilsvermögens des Piloten beigetragen haben.

3.4

Kein Pilot mit einem Minimum an Erfahrung kann von sich weisen, dass er gelegentlich mit Müdigkeitsanfällen zu kämpfen hatte oder dass die Müdigkeit seine Leistung beeinträchtigt hat. Die Schlafqualität während der Ruhezeiten ist von großer Wichtigkeit.

3.5

Die Ernährungsgewohnheiten sind ebenfalls von wesentlicher Bedeutung. So wird jeder Pilot — vom blutigen Anfänger bis hin zum erfahrenen Piloten kurz vor der Pensionierung — bestätigen, dass sein Lieblingsgetränk Kaffee ist. Kaffee hat zwar eine stimulierende Wirkung und kann vorrübergehend eine erhöhte Wachsamkeit auslösen, doch tritt bei fehlender Kaffeezufuhr Müdigkeit als Symptom auf. Außerdem hat Kaffee eine diuretische Wirkung, d.h. der Körper gibt mehr Flüssigkeit ab, als ihm zugeführt wird, was zu Flüssigkeitsverlust und in der Folge zu Müdigkeit führt.

3.6

Langeweile ist ein wesentliches Problem im Zusammenhang mit der Müdigkeit auf Langstreckenflügen, da das Fluggerät nahezu während der gesamten Flugdauer automatisch gesteuert wird. Um die Besatzung wach zu halten, haben einige Luftfahrtunternehmen, insbesondere auf transsibirischen Flügen, die stündliche Neuprogrammierung des Autopilots verpflichtend eingeführt.

3.7

Ein Großteil der Flugzeugabstürze ist auf Pilotenfehler zurückzuführen, wobei Müdigkeit als eine der Hauptursachen zu nennen ist.

3.8

Es ist vorgesehen, dass die EASA das Lizenzvergabeverfahren übernimmt und die derzeitige Arbeitsgemeinschaft europäischer Luftfahrtverwaltungen (Joint Aviation Authorities, JAA), in diesem Bereich ablöst, die Verwendung von in den USA erworbenen und von Piloten in Europa als Flugberechtigung eingesetzten Lizenzen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation ICAO sollte dadurch jedoch nicht beeinträchtigt werden.

4.   Kabinenbesatzung

4.1

Sämtliche Verbesserungen hinsichtlich der Anforderungen in Zusammenhang mit den Ruhezeiten für die Cockpit-Crew sollten nach Möglichkeit auch für die Kabinenbesatzung gelten, da diese zur Verbeugung von Sicherheitsrisiken und im Notfall über ihre vollen Kräfte verfügen muss.

4.2

Die Kabinenbesatzung sollte eine angemessene Erste-Hilfe-Schulung erhalten, ihre Muttersprache perfekt beherrschen sowie zumindest das von der ICAO festgelegte Niveau 4 in Englisch aufweisen, um bei einem Notfall die Kommunikation mit den Fluggästen zu erleichtern.

5.   Flugsicherung

5.1

Der Ausschuss hat seinen Standpunkt zum Thema Flugsicherung und den damit verbundenen Problemen bereits dargelegt (1). Das vorgeschlagene europäische Flugverkehrsmanagementsystem der neuen Generation (SESAR) dürfte, sofern es wirklich eingeführt wird, zur Verbesserung der Sicherheit beitragen. Dieser Sachverhalt, der Gegenstand einer weiteren Ausschussstellungnahme (2) ist, ändert aber nichts an der Tatsache, dass Europa ein einheitliches Flugsicherungssystem braucht, das grenzüberschreitend alle Länder abdeckt und bei dem Eurocontrol als übergeordnete Regulierungsbehörde nach dem Vorbild beispielsweise der amerikanischen Federal Aviation Administration (FAA) anerkannt wird. Die Vergabe des ersten Auftrags im Rahmen des Eurocontrol-Programms TMA2010+ wird befürwortet.

5.2

Es bedarf an der Einführung von Normen und integrierter Systeme in ganz Europa im Interesse der Sicherheit.

5.3

Es wäre wünschenswert, entsprechende Befähigungsnachweise auch für die Flugsicherungs-Techniker (ATSEP) einzuführen.

6.   Fluggerätwartung

6.1

In einigen Mitgliedstaaten scheint es bei der Anpassung ihrer nationalen Bestimmungen an die europäischen Normen unter Teil 66 der Verordnung über die Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit von Luftfahrzeugen Schwierigkeiten zu geben. Wartungslizenzen werden von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der von der Arbeitsgemeinschaft europäischer Luftfahrtverwaltungen (Joint Aviation Authorities, JAA) festgelegten Anforderungen vergeben, die in nationales Recht aufgenommen wurden, um sie rechtlich verbindlich zu machen. Im EASA-System hingegen sind die Bestimmungen für die Lizenzvergabe Gegenstand von Gemeinschaftsrecht. Ihre Umsetzung scheint eine langwierige Angelegenheit und könnte die Einlegung von Rechtsmittel nach sich ziehen.

6.2

Alle 25 EU-Mitgliedstaaten haben 2005 die Ausnahmemöglichkeit in Anspruch genommen, um die Frist für die Einhaltung dieser europäischen Normen unter Teil 66 bis September 2005 zu verlängern. Die von der EASA für die Umsetzung der Sicherheitsnormen festgesetzten Fristen müssen eingehalten werden, oder es sollten zumindest Fristen mit allen Partnern vereinbart werden, um zu verhindern, dass die Fristen bzw. Übergangszeiträume verlängert werden müssen.

6.3

Der Ausschuss wirft die Frage auf, ob es eine Bestimmung dahingehend gibt, dass die EASA gegebenenfalls die Vergabe von Wartungsverträgen seitens Billigfluglinien an Wartungsunternehmen in Drittstaaten kontrollieren darf.

6.4

Für die Bodeninspektion muss ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, insbesondere bei der Flugzeugabfertigung. Die bei Kurzstreckenflügen hierfür im Schnitt vorgesehenen 25 Minuten können sicherlich nicht als unbedingt ausreichend angesehen werden.

6.5

Außerdem müssen ausreichend Mittel bereitgestellt werden und qualifizierte Mitarbeiter zur Verfügung stehen, die für die Wartungsarbeiten ausschließlich zugelassene Komponenten einsetzen.

6.6

Zur Überprüfung der Einhaltung der Normen sollten stichprobenartige Kontrollen und Untersuchungen seitens der nationalen Luftfahrtsbehörden durchgeführt werden.

7.   Luftfahrtunternehmen

7.1

Die Erteilung der Betriebserlaubnis an eine Fluggesellschaft sollte an die Bedingung geknüpft sein, dass das Luftverkehrsunternehmen finanziell gesund und ordentlich finanziert ist. Die Mitgliedstaaten sollten außerdem zur regelmäßigen Überprüfung der Finanzgebarung verpflichtet sein, um sicherzustellen, dass keine kleineren Einsparungen hier und da vorgenommen werden.

7.2

Sie müssen über ausreichende Erfahrung und ein kompetentes Management verfügen.

8.   Zuständigkeiten der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA)

8.1

Die Europäische Kommission beabsichtigt, die Zuständigkeiten der EASA im Bereich Regulierung von Flughäfen, Flugverkehrsmanagement und Flugnavigationsdiensten (einschl. Sicherheit und Interoperabilität) auszuweiten.

8.2

Der Ausschuss begrüßt die Einrichtung der EASA gemäß Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 und ist überzeugt, dass ein europäischer Verfahrensrahmen und von einer einzigen Behörde vergebene Zulassungen für Luftfahrzeuge und Ausrüstungen sicherlich zur Verbesserung der Luftverkehrssicherheit und -effizienz in Europa beitragen.

8.3

Der EASA wird auch die Möglichkeit eröffnet, die Frage der Normen und bewährten Verfahren aufzugreifen sowie auf die Widersprüche einzugehen, die durch die „Empfohlene Praktik“ und die „Standardpraktiken“ in den Anhängen des ICAO-Übereinkommens hervorgerufen werden.

9.   Erteilung von Lizenzen für die allgemeine Luftfahrt

9.1

Inhaber von Privatpilotlizenzen (PPL), die mit einer von der amerikanischen FAA ausgestellten Lizenz im europäischen Luftraum fliegen, sollten über einen EASA-Vermerk auf ihrer Lizenz verfügen müssen.

9.2

Jedes für den allgemeinen Flugverkehr zugelassene Luftfahrzeug muss den von der EASA festgelegten EU-Normen entsprechen, ehe es den europäischen Luftraum benutzen darf.

10.   Sicherheit der Avionik

10.1

Die EASA sollte Richtlinien bzw. Regeln zum Schutz spezieller Ausrüstungsgegenstände und Netzwerke vor „unrechtmäßigen Eingriffen“ gemäß der ICAO-Definition erlassen.

10.2

Neben dem verstärkten Einsatz von Ethernet (LAN) und Internet (IP) gibt es u.a. folgende weitere durchaus anfällige Bereiche:

verstärkter Einsatz von Datenvernetzungstechnologien am Boden und in der Luft zur Kommunikation seitens der Fluggäste, der Luftfahrtunternehmen und der Flugsicherheit;

immer weiter verbreitete Anwendung von Daten- und Softwareübertragung mittels Netzwerken an Bord und zwischen Bodenstellen zum Zwecke der Datengenerierung, -verbreitung, -speicherung oder -aktualisierung;

Vervielfachung von Software-Viren und Hackerangriffen sowie Suche nach vertraulichen Daten über mit einander verbundene Netzwerke.

11.   Unbemannte Fluggeräte

11.1

Die EASA muss über die erforderlichen Regulierungsbefugnisse in diesem Industriesektor nicht nur für die Bestimmung der Lufttüchtigkeit und das Design, sondern auch die Zulassung der Bodenunternehmen, Startsysteme usw. verfügen.

11.2

Sämtliche Bestimmungen für konventionelle Luftfahrzeuge müssen auch auf unbemannte Fluggeräte Anwendung finden, und es sollten alle Luftraumnutzer konsultiert werden, sofern diese Art von Luftraumnutzung Auswirkungen auf sie haben könnte.

12.   Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA)

12.1

Die EASA ist die gesamteuropäische Regulierungsbehörde. Sie legt die Grundsätze und Regeln für die Flugsicherheit in der EU fest. Sie verfügt weder über ausreichende Finanz- noch Humanressourcen und hat keinerlei Vollzugsbefugnis.

12.2

Für die Umsetzung der Regeln und Bestimmungen ist die EASA auf die zahlreichen nationalen Regulierungsbehörden angewiesen.

12.3

Dies kommt der Selbstregulierung gleich. Eine nationale Regulierungsbehörde wird wohl kaum ein Luftfahrtunternehmen in seiner Gerichtsbarkeit verurteilen, solange nicht ein äußerst ernsthaftes Problem vorliegt.

12.4

Die nationalen Regulierungsbehörden sind außerdem für sämtliche Luftfahrzeuge zuständig, die in ihrem Land registriert sind bzw. deren Luftfahrtunternehmen über eine Niederlassung in ihrem Land verfügt. Diese Luftfahrzeuge und Besatzungen sind oftmals in anderen EU-Ländern stationiert bzw. operieren von anderen EU-Ländern aus. Dadurch ist es schwer, eine wirkliche Regulierung vorzunehmen.

12.5

Die Anforderung der EASA an die nationalen Regulierungsbehörden zur Durchführung ihrer Beschlüsse könnte aufgrund unterschiedlicher Auslegungen zu einer uneinheitlichen Umsetzung der Regeln und Bestimmungen in der EU führen. Dies könnte wiederum das „Ausflaggen“ von Luftfahrtunternehmen in Länder nach sich ziehen, in denen die Auslegung von Bestimmungen lascher gehandhabt wird.

12.6

Die Europäische Zivilluftfahrt-Konferenz (ECAC) verfügt über das Recht, die Einhaltung der Bestimmungen vor Ort zu kontrollieren. Der EASA sollte dieses Recht ebenfalls eingeräumt werden.

12.7

Die EASA wird derzeit über die Einkünfte an Gebühren für die Ausstellung von Zulassungen finanziert, weswegen für 2006 mit einem Verlust von 15 Mio. EUR gerechnet wird. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die erforderlichen Mittel von den einzelnen Mitgliedstaaten bereitgestellt werden, um die Zukunft der EASA zu sichern.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Gemeinschaftliche Fluglotsenzulassung“ (Berichterstatter: Herr McDonogh), ABl. C 234 vom 22. September 2005, S. 17.

(2)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Gemeinsames Unternehmen — SESAR“ (Berichterstatter: Herr McDonogh), CESE 379/2006.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/55


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Abfälle“

KOM(2005) 667 endg. — 2005/0281 (COD)

(2006/C 309/12)

Der Rat beschloss am 24. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 24. Mai 2006. an. Berichterstatter war Herr BUFFETAUT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 114 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der EWSA befürwortet die Absicht der Kommission, die Rechtsvorschriften im Bereich Abfall zu modernisieren, zu vereinfachen und anzupassen. Insbesondere befürwortet er den Ansatz und den Geist der Strategie für Abfallvermeidung und -recycling. Das Streben nach einer allgemeinen und einheitlichen Anwendung der Rechtsvorschriften muss unterstützt werden, um Verzerrungen auf dem Abfallmarkt hinsichtlich Umwelt, öffentliche Gesundheit und Wettbewerb zu vermeiden. Er unterstreicht, wie wichtig Klarheit und Genauigkeit der Begriffsbestimmungen und Anhänge sind, um Klagen und Gerichtsverfahren zu vermeiden. Er bedauert jedoch, dass der Richtlinienvorschlag im Bereich der Abfallvermeidung nicht weit genug geht. Er betont, dass jedwedes Streben nach einer echten nachhaltigen Entwicklung vor dem Hintergrund der Verknappung und Verteuerung der Rohstoffe eine wirksame Politik der Vermeidung und Rückgewinnung von Abfall voraussetzt, wobei er gleichzeitig empfiehlt, auf europäischer Ebene Instrumente zu entwickeln, um die gesteckten Ziele sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht zu erreichen. In dieser Hinsicht weist der Vorschlag eine echte Schwäche auf. Darüber hinaus scheint die Kommission der Ansicht zu sein, dass durch eine Erleichterung der Verfahren zum Erhalt einer Genehmigung für den Betrieb von Abfallbehandlungsanlagen das Recycling gefördert würde. Dieser Ansatz ist falsch und wird negative Umweltfolgen und Gesundheitsrisiken mit sich bringen. Außerdem verstößt er gegen die Grundsätze des Århus-Übereinkommens für die Information der Öffentlichkeit über Abfälle. Die Genehmigung beinhaltet technische Elemente in Bezug auf den Umweltschutz; sie ist öffentlich und geht mit Informations- und Kontrollauflagen einher. Sie stellt keineswegs ein Hindernis für die Weiterentwicklung von Abfallbehandlung und -recycling dar, sondern bietet ganz im Gegenteil die erforderlichen Garantien im Hinblick auf die Überwachung der Einhaltung der Normen und des Einsatzes der besten verfügbaren Technik durch die Behörden.

1.2

Ebenso erscheinen dem EWSA die Einführung des Begriffs des Lebenszyklus in die Abfallpolitik sowie der bei der Reduzierung des Volumens der deponierten Abfälle, der Rückgewinnung von Kompost und Energie, dem eigentlichen Recycling und der Abfallvermeidung verfolgte Ansatz durchaus zweckmäßig.

1.3

In Bezug auf den Vorschlag für eine Richtlinie ist der EWSA der Ansicht, dass ein zu kompromisslos geäußerter Wunsch nach Subsidiarität im Widerspruch zu dem Streben nach einer Gesetzgebung stehen könnte, die EU-weit allgemein und einheitlich angewandt wird.

1.4

Er fordert nachdrücklich, dafür Sorge zu tragen, dass die Zusammenführung bzw. Aufhebung der Richtlinie über gefährliche Abfälle nicht zu einer Lockerung der Vorschriften und einem geringeren Schutz der öffentlichen Gesundheit führt, und ist der Auffassung, dass der Richtlinienvorschlag in seinem jetzigen Wortlaut hier keine ausreichende Sicherheit bietet. Es sollte zumindest darauf verwiesen werden, dass bei dieser Art von Abfall Gemische aus gefährlichen Abfällen und Ausnahmen von der Genehmigungspflicht nicht zulässig sind. Es ist die Einstufung als „gefährlich“ oder „nicht gefährlich“, die insbesondere für die zu ergreifenden Vorsichtsmaßnahmen und die besonderen Auflagen für den Transport und die Behandlung der Abfälle maßgeblich ist. Jegliche Verharmlosung auf diesem Gebiet kann nicht als Fortschritt im Umweltschutzbereich betrachtet werden.

1.5

Er unterstreicht, dass es solche Recyclingmethoden zu fördern gilt, die nicht der Umwelt schaden und eine wirksame Rückgewinnung von Stoffen ermöglichen.

1.6

Er hegt starke Zweifel hinsichtlich der Eignung des Ausschussverfahrens zur Festlegung gewisser spezieller Kriterien, anhand derer bestimmt wird, ab wann Abfälle nicht mehr als solche anzusehen sind.

1.7

Seines Erachtens sind einige Definitionen nach wie vor ungenau (insbesondere die Begriffe „Erzeuger“ und „Verwertung“). Um zu erreichen, dass die Verbrennungsrichtlinie einheitlich auf sämtliche Abfälle angewandt wird, die entweder durch Verbrennung oder durch Mitverbrennung thermisch verwertet werden, wäre es sinnvoll klarzustellen, was einerseits unter der Rückgewinnung von „Stoffen“ zu verstehen ist, die zur „Verwertung von Stoffen“ führt und bei bestimmten Abfallströmen möglicherweise dazu, dass der Abfall am Ende kein Abfall mehr ist, und andererseits unter energetischer Verwertung, bei der diese Möglichkeit nicht besteht. Was die Abfallverbrennung betrifft, ist es wünschenswert, einen hohen Grad an energetischer Verwertung als Voraussetzung für die Einstufung als Verwertung zu fördern, es ist jedoch erstaunlich, dass eine solche Bestimmung nur für die Verbrennung und nicht auch für andere Verfahren zur energetischen Verwertung gilt. In diesem Fall sollte die Abfallverbrennung nur dann als Verwertung angesehen werden, wenn sie ein hohes Maß an Energieeffizienz erreicht.

1.8

Er bedauert sehr, dass keinerlei Vorschläge für EU-weit vereinheitlichte Finanzinstrumente gemacht werden.

1.9

Er beklagt das Fehlen jeglicher Auflagen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und die Gesundheit der Arbeitnehmer der Branche.

2.   Einleitung

2.1

Die Abfallpolitik gehört zu den ältesten Umweltpolitiken der Europäischen Union, denn die derzeit geltende Rahmenrichtlinie wurde 1975 erlassen. In dreißig Jahren haben sich jedoch der allgemeine wirtschaftliche und soziale Kontext, die Verfahrensweisen, die Technik, die nationale und kommunale Politik und das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Abfallproblematik erheblich verändert. Die von ihrer Struktur her seit 1975 unverändert gebliebene Abfallgesetzgebung hat sich in den 90er Jahren mit der Änderung der Rahmenrichtlinie 1991 und der anschließenden Verabschiedung einer Reihe von Richtlinien über bestimmte Abfallbehandlungsverfahren und die Bewirtschaftung bestimmter Abfallströme weiterentwickelt.

2.2

Die geltenden Rechtsvorschriften mussten sich im Laufe der Zeit in der Praxis bewähren; dabei sind Lücken oder Ungenauigkeiten zutage getreten, und Rechtsstreitigkeiten und die Rechtsprechung haben gezeigt, dass es Schwierigkeiten bei der Auslegung gibt und die Rechtsvorschriften äußerst komplex sind, was teilweise auf ihre Zerstückelung in verschiedene, sich aufeinander beziehende Texte zurückzuführen ist.

2.3

Gleichzeitig ist eine wahre Abfallwirtschaft entstanden. Die Bewirtschaftung und die stoffliche Verwertung (Recycling) von Abfällen haben sich zu vollwertigen Wirtschaftszweigen entwickelt, die eine hohe Wachstumsrate aufweisen und einen Umsatz von schätzungsweise mehr als 100 Mrd. EUR in der EU-25 erwirtschaften.

2.4

Schließlich hat die EU eine Erweiterung hinter sich, und weitere stehen noch bevor. In den neu beigetretenen Mitgliedstaaten herrscht auf diesem Gebiet eine recht schwierige Situation, insbesondere weil dort sehr viel Abfall in die Deponierung gelangt. Es ist also nur natürlich, dass die Europäische Kommission erneut Überlegungen zur Abfallfrage anstellen möchte, ohne jedoch die geltenden Rechtsvorschriften durch eine völlige Neugliederung inhaltlich in Frage zu stellen.

2.5

Aus diesem Grund hat die Kommission jüngst eine Mitteilung über eine thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling (1) veröffentlicht und eine neue Abfallrichtlinie vorgeschlagen (2). In dem Strategiepapier legt sie die politischen Leitlinien und ihre allgemeine Philosophie dar, während mit der Richtlinie eine Umsetzung in konkrete Rechtvorschriften vorgeschlagen wird.

3.   Eine neue Politik

3.1

Die Kommission geht in ihren der thematischen Strategie zugrunde liegenden Überlegungen davon aus, dass in den letzten dreißig Jahren im Bereich Abfall zwar deutliche Fortschritte gemacht wurden, das Abfallvolumen aber dennoch weiterhin zunimmt, Abfälle in unzureichendem Maße stofflich und anderweitig verwertet werden und sich die entsprechenden Märkte nur mit Mühe entwickeln. Neben den spezifischen Rechtsvorschriften über Abfälle haben im Übrigen die IPPC-Richtlinien eine klare positive Rolle gespielt.

3.2

Darüber hinaus trägt die Abfallbehandlung in gewissem Maße zur Umweltbelastung bei und verursacht wirtschaftliche Kosten.

3.3

Allerdings bleibt das Gemeinschaftsrecht in bestimmten Fragen weiterhin unklar, was zu Rechtsstreitigkeiten und einer unterschiedlichen Anwendung von Land zu Land führt.

3.4

Wie werden heutzutage Siedlungsabfälle entsorgt? Für Siedlungsabfälle, die ca. 14 % des gesamten Abfallaufkommens ausmachen, liegen die besten Statistiken vor: zu 49 % werden sie deponiert, zu 18 % verbrannt, zu 33 % dem Recycling bzw. der Kompostierung zugeführt. Zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen jedoch große Unterschiede: in manchen werden 90 % der Abfälle auf Deponien gelagert, in anderen nur 10 %. Ähnliche Unterschiede sind im Übrigen bei anderen Abfallkategorien festzustellen.

3.5

Trotz der erheblichen Fortschritte, die erzielt worden sind, steigt das Abfallvolumen in der Europäischen Union insgesamt an, und die absolute Menge der deponierten Abfälle geht nicht oder nur sehr wenig zurück, obwohl Recycling und Verbrennung zunehmen. In puncto Abfallvermeidung ist festzustellen, dass die getroffenen Maßnahmen zu keinen greifbaren Ergebnissen geführt haben.

3.6

Es liegt also auf der Hand, dass die Ziele der derzeitigen EU-Abfallpolitik, nämlich Abfallvermeidung und Förderung von Wiederverwendung, Recycling und Verwertung zur Minderung der Umweltbelastung und als Beitrag zu einer besseren Nutzung der Ressourcen, zwar nach wie vor gelten, aber die Effizienz der entsprechenden Maßnahmen erhöht werden muss.

3.7

Aus diesem Grund schlägt die Kommission verschiedene Wege für Maßnahmen vor, die gleichzeitig das Instrumentarium der Rechtsetzung, die inhaltlichen Überlegungen und auch die Konzeption dessen, was eine Abfallpolitik leisten soll, die Verbesserung der Informationen und die Festlegung gemeinsamer Standards betreffen. Sie spricht sich daher in der Strategie für Abfallvermeidung und -recycling dafür aus:

auf die Weiterentwicklung zu einer Recyclinggesellschaft hinzuarbeiten, die soweit wie möglich das Entstehen von Abfall vermeidet und die volle stofflich-energetische Verwertung der in den Abfällen enthaltenen Ressourcen anstrebt,

auf die allgemeine Anwendung der Rechtsvorschriften zu setzen, um für eine einheitliche Auslegung und Umsetzung zu sorgen und sicherzustellen, dass die in den geltenden Rechtsvorschriften festgelegten Ziele fristgerecht von den Mitgliedstaaten erreicht werden,

die geltenden Rechtsvorschriften zu vereinfachen und auf den neuesten Stand zu bringen,

den Begriff des Lebenszyklus in die Abfallpolitik einzuführen, um seinem potenziellen Beitrag zur Verringerung der Umweltwirkungen der Ressourcennutzung Rechnung zu tragen,

eine ehrgeizigere und wirkungsvollere Politik der Abfallvermeidung zu betreiben,

die Bereitstellung von Informationen und die Verbreitung von Wissen im Bereich der Abfallvermeidung zu verbessern,

gemeinsame Bezugsstandards als Rahmen für den europäischen Recyclingmarkt zu entwickeln,

die Recyclingpolitik weiterzuentwickeln.

3.8

Die Kommission geht davon aus, dass dieser Wandel bei den Rechtsvorschriften und der Konzipierung der Abfallpolitik zu einer Abnahme des Volumens der deponierten Abfälle, einer besseren Rückgewinnung von Kompost oder Energie aus Abfällen und einer qualitativen und quantitativen Verbesserung des Recyclings führen wird. Daher erhofft sie sich eine umfassendere Verwertung der Abfälle und in deren Folge eine Verbesserung der so genannten „Abfallbewirtschaftungsrangfolge“ sowie einen Beitrag der Abfallpolitik zu einer besseren Ressourcennutzung.

Welchen ersten Niederschlag finden diese Ziele der thematischen Strategie in den Rechtsvorschriften?

4.   Der Vorschlag für eine Abfallrichtlinie: ein neuer Ansatz ohne umwälzende Änderungen

4.1

In Artikel 1 des Vorschlags werden die von der Kommission verfolgten Ziele aufgeführt, die zweigeteilt und eng miteinander verknüpft sind:

einerseits „werden Maßnahmen festgelegt, mit denen die Umweltfolgen aus der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen, bezogen auf den Einsatz von Ressourcen, insgesamt reduziert werden sollen“,

andererseits wird aus denselben Gründen jedem Mitgliedstaat das vorrangige Ziel vorgegeben, die Erzeugung von Abfällen und deren Gefährlichkeit zu vermeiden oder zu verringern und an zweiter Stelle Maßnahmen zur Verwertung von Abfällen „durch Wiederverwendung, Recycling und sonstige Verwertungsverfahren“ zu ergreifen.

4.2

Zur Erreichung dieses Ziels ist nach Ansicht der Kommission keine grundlegende Überarbeitung des geltenden Rechtsrahmens erforderlich. Vielmehr sollten Änderungen vorgenommen werden, um den bestehenden Rahmen zu verbessern und vorhandene Lücken zu schließen. Der Richtlinienvorschlag ist nur ein Teilaspekt der Umsetzung der Strategie, und zu einem späteren Zeitpunkt werden weitere, sich hieraus ergebende Vorschläge formuliert werden. Auf jeden Fall stützt sich die europäische Abfallpolitik notwendigerweise auf den Grundsatz der Subsidiarität. Damit sie wirksam sein kann, muss eine Reihe von Maßnahmen ergriffen werden, angefangen bei der europäischen bis hin zur kommunalen Ebene, auf der ein Großteil der praktischen Umsetzung erfolgt. Die Kommission ist der Ansicht, dass die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips keineswegs eine Schmälerung des ökologischen Selbstanspruchs bedeutet.

4.3

Folglich ist der Richtlinienvorschlag als Überarbeitung der Richtlinie 75/442/EWG anzusehen. Er führt die Richtlinie über gefährliche Abfälle (91/689/EWG) mit der Rahmenrichtlinie zusammen und hebt sie damit auf. Er hebt auch die Altölrichtlinie (75/493/EWG) auf, wobei jedoch die besondere Verpflichtung zur Sammlung in die Abfallrahmenrichtlinie übernommen wird.

4.4

Die wichtigsten Änderungen sind:

Einführung eines Umweltziels,

Klarstellung der Begriffe „Verwertung“ und „Beseitigung“,

Klärung der Bedingungen für das Vermischen gefährlicher Abfälle,

Einführung eines Verfahrens zur Klärung, ab welchem Zeitpunkt Abfall für bestimmte Abfallströme nicht mehr als Abfall anzusehen ist,

Einführung von Mindestanforderungen bzw. eines Verfahrens zur Aufstellung von Mindestanforderungen für bestimmte Abfallbewirtschaftungsverfahren,

Einführung einer Verpflichtung zur Entwicklung einzelstaatlicher Abfallvermeidungsprogramme.

4.5

Es stellt sich also die Frage, ob die vorgeschlagenen Änderungen der Vorschriften es ermöglichen werden, die allgemeinen, in der Strategie festgelegten Ziele zu erreichen, die derzeitigen Mängel zu beheben und Unklarheiten auszuräumen.

5.   Allgemeine Bemerkungen

5.1

Dieser neue Vorschlag für eine Abfallrichtlinie wurde seit langem erwartet und sollte für alle Beteiligten — die Mitgliedstaaten, die NRO, die Bürger und die betroffenen Branchen — die Grundlage der europäischen Umweltpolitik im Bereich der Abfallbewirtschaftung sein. Aus diesem Blickwinkel sollte der EWSA seine Analyse vornehmen. Mit dem neuen Text verbindet sich die Erwartung einer Verbesserung der derzeitigen Situation, indem die seit 1991 gesammelten Erfahrungen, die Schwächen der bisherigen Rechtsetzung und die in Europa zu formulierende Strategie einer nachhaltigen Entwicklung berücksichtigt werden. Diese Strategie erfordert angesichts der Verknappung der Rohstoffe und Energiequellen eine Politik der Bewirtschaftung, der Rückgewinnung, des Recycling und der Verwertung von Abfällen voraussetzt.

5.2

Oftmals wurde die mangelnde Genauigkeit und Klarheit der geltenden Rechtsvorschriften (insbesondere der Anhänge und Definitionen) bemängelt. Ebenso wurde häufig bedauert, dass die Richtlinien und Verordnungen innerhalb der Union uneinheitlich umgesetzt werden und die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Ansätze verfolgen. Die Überarbeitung der Verordnung über die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen hat kürzlich die dadurch entstehenden Probleme aufgezeigt.

5.3

Welche Haltung kann der EWSA zu dem für die Rahmenrichtlinie vorgeschlagenen Text einnehmen, und in welcher Weise kann er sich damit auseinander setzen? Man darf sich fragen, ob die Kommission hier nicht weniger Ehrgeiz an den Tag legt als bei der 2003 veröffentlichten Mitteilung „Eine thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling“ (3). Der im Hinblick auf die Subsidiarität verfolgte Ansatz mutet etwas minimalistisch an und kann zu Abweichungen in der Umsetzung der Rechtsvorschriften führen. Auch darüber, was die betroffenen Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft in diesem Bereich tun können, hüllt sie sich in Schweigen.

5.4   Zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften:

5.4.1

Es wird die Zusammenführung der Richtlinie über gefährliche Abfälle mit der Rahmenrichtlinie vorgeschlagen. In diesem Zusammenhang muss sichergestellt sein, dass gefährliche Abfälle deutlich strenger überwacht werden als andere Abfälle, vor allem angesichts der Tatsache, dass gleichzeitig die Rechtsvorschriften für chemische Stoffe (REACH) für sämtliche in den Verkehr gebrachten Stoffe gelten werden. Die Altölrichtlinie wiederum wird schlicht und einfach aufgehoben, da sich dieser Rechtsakt in der Praxis im Hinblick auf die Aufarbeitung des Altöls nicht als ökologisch sinnvoll erwiesen hat. Die Bestimmungen in Bezug auf die Sammlung von Altöl werden hingegen übernommen.

5.4.2

Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Kommission seit der Festlegung der Kriterien für den Gefährlichkeitsgrad noch immer nicht die erforderlichen Begleitdokumente vorgelegt hat: genormte Tests und Konzentrationsgrenzwerte für eine korrekte Anwendung des Abfallverzeichnisses.

5.4.3

Die in dem Text unterbreiteten Vorschläge zu Ausnahmeregelungen für die Durchführung von Verwertungstätigkeiten erscheinen gewagt und sollten für bestimmte Wirtschaftszweige nochmals überdacht werden. Die Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Vermischung gefährlicher Abfälle mit natürlichen Substanzen für die Herstellung von Tierfutter sind nur allzu gut in Erinnerung. Solche Probleme könnten generalisiert auftreten, falls auf die Rückverfolgbarkeit und die für eine korrekte Bewirtschaftung dieser Abfälle erforderlichen Kontrollen verzichtet wird. Schließlich sollte die Kommission die Frage prüfen, ob die vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen (Unterabschnitt 2 — Ausnahmen) nicht gegen die Bestimmungen des Århus-Übereinkommens in Bezug auf die Information der Öffentlichkeit und ihre Beteiligung im Bereich der Abfallbehandlung verstoßen.

6.   Besondere Bemerkungen

6.1   Genauere Begriffsbestimmungen

6.1.1

Der geltenden Richtlinie fehlte es in mehrfacher Hinsicht an guten Definitionen. Die Zahl der beim Europäischen Gerichtshof erhobenen Klagen ist ausreichender Beweis hierfür. Bringt der neue Text hier eine Verbesserung? Das darf in verschiedener Hinsicht bezweifelt werden.

6.1.2

Die aus der Vorfassung übernommene Definition des Begriffs „Erzeuger“ (4) ist zu ändern. Wie kann derjenige, der nur eine Veränderung der Natur von Abfällen bewirkt, als deren neuer „Erzeuger“ angesehen werden? Er ist ganz einfach ein „Abfallverwerter“ und muss als solcher der Rückverfolgbarkeitskette zugeordnet werden. Sonst wird der „Herabstufung“ von Abfall und der Aufweichung der Verantwortung des tatsächlichen Abfallerzeugers Tür und Tor geöffnet. Außerdem sollte zumindest die erweiterte Herstellerverantwortung (für in Verkehr gebrachte Erzeugnisse) erwähnt werden.

6.1.3

Die Kommission hat im Rahmen der Verordnung über die grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen (5) auf „vorläufigen Maßnahmen“ bestanden, für die genauso wenig eine Definition zu finden ist wie für die in dieser Verordnung verwendeten Begriffe „Händler“ und „Makler“.

6.1.4

Zwar wird „Recycling“ definiert, doch ist die Definition des Begriffs „Rückgewinnung“ im Verhältnis zu „Verwertung“ unklar. Es wäre sinnvoll klarzustellen, was einerseits unter der zur „Verwertung von Stoffen“ führenden Rückgewinnung von „Stoffen“ und andererseits unter energetischer Verwertung zu verstehen ist. Im ersten Fall ist der Abfall am Ende des Behandlungszyklus möglicherweise kein Abfall mehr, während dies für die energetische Verwertung nicht gilt. Die energetische Verwertung von Abfällen unterliegt unter Umweltschutzaspekten der Verbrennungsrichtlinie. Sollten die Abfälle nicht mehr als Abfälle eingestuft werden, würden die Umweltschutzregeln für sie nicht mehr gelten.

6.2   Gegenstand

6.2.1

Gegenstand der Richtlinie ist der Schutz von Umwelt und Gesundheit und muss dies auch weiterhin bleiben.

6.2.2

Die Kommission neigt generell dazu, der Marktöffnung große Bedeutung beizumessen, die lediglich einer der Aspekte einer Abfallpolitik ist.

6.2.3

Nach Ansicht des EWSA muss eindeutig die Frage geklärt werden, welche Gestalt der rechtliche Rahmen anzunehmen hat, damit die Marktmechanismen durch ein Vorantreiben der Konzepte Ökoeffizienz und ökologische Bewirtschaftung für unsere Produktions- und Dienstleistungstätigkeiten auf eine umweltfreundliche Ausrichtung der Abfallbewirtschaftung hinwirken können. Die Abfallbewirtschaftung ist ein regulierter und reglementierter Markt mit den vorrangigen Zielen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes sowie der Erhaltung der Ressourcen, sie trägt also wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen Rechnung. Der Umweltschutz ist ein wesentliches Element, das der Schaffung von Arbeitsplätzen dient und die Wettbewerbsfähigkeit verbessert und gleichzeitig Innovationsmöglichkeiten und neue Marktchancen eröffnet. Man darf sich fragen, ob die Subsidiarität hier der ideale Ansatz ist. Es ist darüber hinaus symptomatisch, dass die Kommission in ihrer Mitteilung über die thematische Strategie selbst die Auffassung äußert, dass „manche Verwertungsanlagen […] Umweltbelastungen verursachen können“. Sie schlägt aber dennoch vor, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen sollen, dass sämtliche Abfälle einer Verwertung zugeführt werden. Es muss also klargestellt werden, dass mit Hilfe gemeinsamer, auf europäischer Ebene entwickelter Anforderungen ein echter Recyclingmarkt angeregt werden sollte.

6.2.4

Sie „vergisst“ darüber hinaus, im Hinblick auf die „Rangfolge“ wie in der vorherigen Richtlinie darauf zu verweisen, dass eine ordnungsgemäße Abfallbeseitigung der Umwelt zuträglich sein kann, auch wenn sie diesem Zweck dienende operative Bestimmungen beibehält. Dies führt dazu, dass der neue Text in dieser Hinsicht weniger klar ist als der frühere.

6.2.4.1

Die Rahmenrichtlinie muss die Grundlage für eine effiziente, zweckdienliche Abfallbewirtschaftung bleiben, und zwar in allen Branchen. Wie sie umgesetzt und mit welchen Mitteln die Recyclingstrategie gefördert werden soll, ist noch näher festzulegen.

6.2.5

Die Kommission hatte die Einführung von Finanzinstrumenten zur Unterstützung und Förderung einer wirksamen Abfallbewirtschaftung und eines wirksamen Managements des Abfallrecyclings und der Abfallverwertung als überlegenswert vorgeschlagen. Die EU-weite Einführung derartiger Instrumente hätte in der Tat unter der Voraussetzung, dass sie einheitlich sind, befürwortet werden können. Es werden jedoch keine diesbezüglichen Vorschläge gemacht, da diese nur schwer eine einstimmige Zustimmung im Rat gefunden hätten. Die Entscheidung, von derartigen Vorschlägen abzusehen, ist sicherlich realistisch, zeugt aber dennoch von einer gewissen Zaghaftigkeit der Kommission, die die Entwicklung einer Methode der offenen Koordinierung hätte vorschlagen können.

6.3   Gefährliche Abfälle

6.3.1

Die Frage der Zusammenführung bzw. Aufhebung der Richtlinie über gefährliche Abfälle wurde unter grundsätzlichen Gesichtspunkten bereits im Abschnitt „Allgemeine Bemerkungen“ angesprochen.

6.3.2

In dem Artikel über die Trennung gefährlicher Abfälle ist seltsamerweise nur vom Mischen die Rede.

6.3.3

Gefährliche Abfälle müssten mehr noch als alle anderen Abfallarten strengen Bestimmungen und Rückverfolgbarkeitsanforderungen unterliegen. Die Rechtsvorschriften müssen ihren Eintrag in die Umwelt ganz klar verbieten. Darüber hinaus muss verhindert werden, dass durch die Zusammenführung bzw. Aufhebung der Richtlinie über gefährliche Abfälle das Gesundheitsschutzniveau gesenkt wird. Zumindest könnte deutlich gesagt werden, dass jede „gefährliche Abfälle enthaltende Mischung“ grundsätzlich selbst als gefährlich eingestuft wird, es sei denn, das Ergebnis der Vermischung ist eine tatsächliche chemische Entgiftung. Jegliche Verdünnung muss verboten sein.

6.4   Vernetzung der Beseitigungsanlagen

6.4.1

In dem Vorschlag wird angeregt, dass die Mitgliedstaaten in Absprache miteinander ein Netz an Beseitigungsanlagen einrichten. Wie kann erwartet werden, dass in diesem Bereich Investitionen getätigt werden, wenn die Mitgliedstaaten gar nicht über die erforderlichen Instrumente verfügen, um diese Anlagen voll auszulasten? Ein Betreiber könnte durchaus Abfälle zur Verwertung in ein anderes Land „exportieren“. Die diesbezüglichen Regeln müssen also ganz besonders klar formuliert sein und dürfen nicht zu unliebsamen Ergebnissen führen.

6.4.2

Der Grundsatz der Entsorgungsnähe muss im Licht des Prinzips der Abfallentsorgungsautarkie untersucht und erläutert werden. Diese beiden Prinzipien hängen im Hinblick auf eine nachhaltige Abfallbewirtschaftung untrennbar miteinander zusammen.

6.5   Abfallvermeidung

6.5.1

Den Mitgliedstaaten wird in der Richtlinie keinerlei Verpflichtung in Bezug auf die sozialen Fragen der Abfallvermeidung auferlegt, also die Berücksichtigung der möglichen Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen und die Gesundheit der Arbeitnehmer und die Durchführung echter Informationskampagnen. Die Abfallvermeidung geht auch die Bürger an. Außerdem wäre es wünschenswert, die Überlegungen in zwei Richtungen voranzutreiben: in qualitativer und quantitativer Hinsicht, denn im wirtschaftlichen Bereich bringt die Qualität, die gewiss weniger dogmatisch gesehen wird als die Quantität, Fortschritt und Leistungsfähigkeit hervor.

6.6   Die Anhänge

6.6.1

Bis auf die Einführung einer Bewertung der Energieeffizienz, die sich einzig auf Verbrennungsanlagen für die Behandlung von Siedlungsabfällen bezieht, wurden hier nur wenige Änderungen vorgenommen. Eigenartigerweise wird auf die Auflagen für „kombinierte Verbrennungsanlagen“ überhaupt nicht eingegangen. Darüber hinaus kann die Verbrennung von Siedlungsabfällen nur dann als Verwertung angesehen werden, wenn sie ein hohes Maß an Energieeffizienz erreicht. Zwar ist bei bestimmten Abfällen keine Rückgewinnung möglich, doch muss vermieden werden, dass rudimentäre und für die Rückgewinnung von Nutzenergie nur wenig geeignete Verbrennungsanlagen von den für die Rückgewinnung geltenden Bestimmungen profitieren können. Denn dann würde die Verbrennung zu einer Bequemlichkeitslösung, was dazu führen könnte, dass Abfälle, deren Entstehung von vornherein vermieden werden sollte, exportiert werden.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2005) 666 endg.

(2)  KOM(2005) 667 endg.

(3)  KOM(2003) 301 endg.

(4)  Richtlinie 91/156/EWG des Rates vom 18. März 1991 zur Änderung der Richtlinie 75/442/EWG über Abfälle.

(5)  Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/60


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Aktionsplan 2006-2008 zur Vereinfachung und Verbesserung der gemeinsamen Fischereipolitik“

KOM(2005) 647 endg.

(2006/C 309/13)

Die Kommission beschloss am 23. Januar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 24. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr SARRÓ IPARRAGUIRRE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 164 Ja-Stimmen ohne Gegenstimme bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA unterstützt, wie er der Kommission bereits in seinen früheren Stellungnahmen signalisiert hatte, den Prozess der Vereinfachung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und begrüßt die Veröffentlichung des Aktionsplans 2006–2008 zur Vereinfachung und Verbesserung der gemeinsamen Fischereipolitik. Zweck der vorliegenden Stellungnahme ist es, einen Beitrag zu der außerordentlichen Arbeit zu leisten, die die Kommission in Angriff nehmen will und die von höchster Bedeutung für die Verbesserung der Rechtsvorschriften für die gemeinsame Fischereipolitik ist.

1.2

Für den Erfolg dieses Vereinfachungsprozesses hält der Ausschuss eine enge Zusammenarbeit mit dem Fischereisektor für erforderlich; dazu muss die Verbindung zu den die Kommission beratenden Gremien gefördert und gestärkt werden, das heißt, zu den Regionalen Beiräten, dem Beratenden Ausschusses für Fischerei und Aquakultur der Europäischen Union (BAFA) und dem Ausschuss für den sozialen Dialog im Fischereisektor.

1.3

Der EWSA hält es für die dringendste Aufgabe der Europäischen Kommission, das geltende Recht zu konsolidieren. Erst danach sollte die Kommission versuchen, die in der Mitteilung genannten Ziele zu erreichen, die der Ausschuss vollständig teilt:

a)

Verbesserung der Verständlichkeit der vorhandenen Rechtstexte durch Vereinfachung und erleichterte Zugänglichkeit;

b)

Senkung der Verwaltungslast und Kosten der öffentlichen Verwaltungen;

c)

Verringerung des bürokratischen Aufwands und sonstiger Auflagen für die Fischer.

1.4

Der EWSA hält darüber hinaus die Wahl der beiden Bereiche und der Rechtsvorschriften, auf die sich der Aktionsplan konzentriert, für richtig, nämlich die Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen und die Überwachung der Fischereitätigkeiten. Später muss die Kommission die Vereinfachung und Verbesserung in den übrigen Teilen der Fischereipolitik fortsetzen.

1.5

In Bezug auf Blatt 1 (TAC/Fangquoten und Fischereiaufwand) hält der Ausschuss die vorgeschlagenen Maßnahmen für angemessen, nämlich die getrennte Behandlung der verschiedenen Aspekte der Politik der Bestandserhaltung, ihre Regelung für homogene Gruppen und ihre Umsetzung in mehrjährigen Bewirtschaftungsplänen. Er schätzt jedoch ein, dass der Zeitraum zwischen der Vorlage der wissenschaftlichen Gutachten und der Dezembertagung des Rates, auf der die TAC/Fangquoten sowie weitere wichtige Bewirtschaftungsmaßnahmen festgelegt werden, zu kurz ist und nicht für die erforderlichen Konsultationen und Absprachen ausreicht. Daher ersucht der Ausschuss um eine Verlängerung des Zeitraums zwischen der Veröffentlichung der wissenschaftlichen Gutachten und der endgültigen Beschlussfassung.

1.6

In Bezug auf Blatt 2, das den Vorschlag enthält, die technischen Maßnahmen zu vereinfachen, hegt der EWSA Bedenken, dass die Europäische Kommission Kompetenzen übernimmt, die gegenwärtig dem Rat zustehen.

1.7

In Bezug auf die ebenfalls auf Blatt 2 genannte Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten lokal geltende technische Maßnahmen erlassen, vertritt der EWSA die Ansicht, dass der Rat auch Anträgen der Mitgliedstaaten stattgeben sollte, die darauf abzielen, eine Ungleichbehandlung und Diskriminierung der Fischer der verschiedenen Mitgliedstaaten zu verhindern.

1.8

Der Ausschuss stimmt mit der Kommission bezüglich der in den Blättern 3, 4 und 5 vorgesehenen Maßnahmen zur Vereinfachung der Erhebung und Verarbeitung von Daten und für eine verbesserte Wirksamkeit der Kontrollen überein. Hinsichtlich dieses letzten Punktes hält er die Koordination zwischen der Kommission und der Gemeinschaftsagentur für die Fischereikontrolle für außerordentlich wichtig. Was die Verwendung der Informationstechnologien angeht, hält der EWSA für ihre praktische Umsetzung eine Übergangsfrist für erforderlich, um das Verfahren in Absprache mit Technikern, anderen Fachleuten und den Mitgliedstaaten festlegen, die volle Wahrung von Geschäftsgeheimnissen garantieren, das Vertrauen und die Unterstützung der Beteiligten gewinnen, das Verfahren in der Praxis testen und für eine Beteiligung an den zusätzlichen Kosten für das neue zu verwendende Material sorgen zu können, damit diese Reform zur Vereinfachung Erfolg hat.

1.9

Der EWSA begrüßt ausdrücklich den in Blatt 6 enthaltenen Vorschlag der Kommission, alle Vorschriften zur Vorlage von unnötigen oder wenig nützlichen Meldungen zu streichen, um den bürokratischen Aufwand für die Fischer und die Mitgliedstaaten zu verringern.

1.10

Der Ausschuss hält die in Blatt 7 aufgeführten Vereinfachungsmaßnahmen für erforderlich und empfiehlt der Kommission, ein Musterabkommen zu entwickeln, das als Grundlage für Fischereiabkommen mit Drittstaaten dienen kann, wie auch die Ausstattung mit EDV und die Vergabe der Fischereilizenzen auf elektronischem Wege ins Auge zu fassen.

1.11

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die Bekämpfung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei (IUU-Fischerei), die ja eines der Ziele der GFP ist, auch im Aktionsplan als Ziel genannt werden sollte, um so möglichst einfache und wirksame Verfahren zur Bekämpfung der IUU-Fischerei festlegen zu können. Dabei muss nach Auffassung des Ausschusses vorrangig beim Zugang zu den Märkten der Endverbraucher angesetzt werden, wobei die Befugnisse des Staates, in dem der betreffende Hafen liegt, gestärkt und Umladungen des Fanggutes auf hoher See verboten werden müssen.

1.12

Schließlich ist der EWSA der Ansicht, dass die Arbeiten für den Aktionsplan 2006-2008 von großer Tragweite sind, weshalb sie möglicherweise nicht innerhalb von drei Jahren abgeschlossen werden können. Deshalb empfiehlt er der Kommission eine Überprüfung des Planes bis Ende 2007.

2.   Vorbemerkung

2.1

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts widmet sich die Europäische Union der umfangreichen Aufgabe, ihr gesamtes rechtliches Umfeld zu verbessern, um es effizienter und transparenter zu gestalten.

2.2

Die Entwicklung der Europäischen Union während der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat dazu geführt, dass ihr rechtliches Umfeld zu einem umfassenden Korpus gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften herangewachsen ist, der den gemeinschaftlichen „Besitzstand“ darstellt.

2.3

Dieser gemeinschaftliche „Besitzstand“ hat sich aufgrund der vielfältigen Vorschriften im Rahmen der unterschiedlichen Gemeinschaftspolitiken nach und nach vergrößert und bildet so in seiner Gesamtheit den Regelungsrahmen der Gemeinschaftspolitik.

2.4

Gegenwärtig ist die Kommission entsprechend dem Mandat des Europäischen Rates bemüht, in Abstimmung mit den Gemeinschaftsorganen das Regelungsumfeld der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zu vereinfachen und zu verbessern.

2.5

Diese Vereinfachung und Verbesserung der Rechtsvorschriften der Europäischen Union fügt sich voll und ganz in die überarbeitete Strategie von Lissabon für Wachstum und Beschäftigung in Europa ein und konzentriert sich deshalb auf diejenigen Elemente des gemeinschaftlichen Besitzstands, die auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen der Europäischen Union Einfluss haben.

2.6

Wenn man bedenkt, dass die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Europa 99 % aller EU-Unternehmen ausmachen und zwei Drittel der Beschäftigten stellen, so ist die Vereinfachung und Verbesserung der EU-Rechtsvorschriften für sie äußerst wichtig, damit die legislativen und verwaltungstechnischen Belastungen, denen sie derzeit ausgesetzt sind, abgebaut werden.

2.7

Die Kommission beabsichtigt, im Rahmen dieser Strategie zur Vereinfachung und Verbesserung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften ein dauerhaftes und fortlaufendes Vereinfachungsprogramm in den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt, Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, Fischerei, Steuerpolitik, Zoll, Statistik und Arbeitsrecht aufzustellen.

2.8

In der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Aktionsplan 2006-2008 zur Vereinfachung und Verbesserung der gemeinsamen Fischereipolitik“, die Gegenstand der vorliegenden Stellungnahme ist, wird dieses dauerhafte und fortlaufende Programm im Bereich der Fischerei in Angriff genommen, und zwar als Mehrjahresprogramm 2006-2008 zur Vereinfachung und Verbesserung der GFP.

2.9

Als Vertretungsorgan der organisierten Zivilgesellschaft begrüßt der EWSA, der der Kommission bereits in anderen Stellungnahmen seine Unterstützung bei der Vereinfachung des Gesetzgebungsprozesses auf EU-Ebene zugesichert hat, die Veröffentlichung dieses Aktionsplans und möchte mit der Vorlage dieser Stellungnahme einen Beitrag zu der hervorragenden Arbeit der Kommission leisten und sie zur Fortsetzung ihrer Mehrjahresplanung ermutigen.

3.   Hintergrund

3.1

Der Europäische Rat von Lissabon vom 23. und 24. März 2000 erteilte der Kommission das Mandat zur Erarbeitung eines Aktionsplans zugunsten einer „Strategie für weitere koordinierte Maßnahmen zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Regelwerks“. Dieses Mandat wurde später vom Europäischen Rat von Stockholm (23. und 24. März 2001), Laeken (8. und 9. Dezember 2001) und Barcelona (15. und 16. März 2002) bestätigt.

3.2

Die Kommission legte zu diesem Zweck ein Weißbuch zum Europäischen Regieren vor, das im Juli 2001 angenommen wurde (1). Es enthielt auch ein Kapitel zur Verbesserung der Regelungsqualität. Zu diesem Dokument fand ein umfassender Konsultationsprozess statt, der am 31. März 2002 abgeschlossen wurde.

3.3

In der vom Wirtschafts- und Sozialausschuss erarbeiteten Stellungnahme zu dieser Mitteilung heißt es: „Der Ausschuss unterstützt die Vorschläge des Weißbuches, den europäischen Gesetzgebungsprozess zu vereinfachen und zu beschleunigen, denn die Gemeinschaftsvorschriften sind komplex und werden zuweilen den geltenden nationalen Vorschriften hinzugefügt, ohne diese tatsächlich zu vereinfachen und zu harmonisieren“. (2)

3.4

In diesem Zusammenhang schlug die Kommission im Juni 2002 einen Aktionsplan zur Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds vor, den sie wiederum den übrigen Gemeinschaftsorganen zur Diskussion vorlegte (3).

3.5

Der Aktionsplan sieht klar vor, dass nach Abschluss der drei Hauptphasen des Rechtsetzungsweges — Vorlage des Vorschlags für einen Rechtsakt durch die Kommission, legislative Diskussion zwischen Europäischem Parlament und Rat und Anwendung durch die Mitgliedstaaten — eine interinstitutionelle Vereinbarung erzielt wird, um die Qualität des Gemeinschaftsrechts zu verbessern.

3.6

Die in den Vorjahren begonnene Vereinfachung des EU-Rechts wird ab Februar 2003 durch die Mitteilung der Kommission „Aktualisierung und Vereinfachung des Acquis communautaire“ (4) vorangetrieben. Die Kommission leitete ausgehend von dieser Mitteilung ein umfangreiches und noch heute angewendetes Programm zur Ermittlung der Rechtsvorschriften ein, die vereinfacht, konsolidiert und kodifiziert werden können.

3.7

Die im März 2005 veröffentlichte Mitteilung der Kommission „Bessere Rechtsetzung für Wachstum und Arbeitsplätze in der Europäischen Union“ (5) trieb die interinstitutionelle Vereinbarung „Bessere Rechtsetzung“ voran, die am 16. Dezember 2003 vom Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission unterzeichnet worden war. Ihr Hauptziel bestand darin, die Qualität der EU-Rechtsvorschriften und ihre Umsetzung in nationales Recht zu verbessern (6).

3.8

Im Oktober 2005 veröffentlichte die Kommission schließlich zur Umsetzung des Programms von Lissabon die Mitteilung „Eine Strategie zur Vereinfachung des ordnungspolitischen Umfelds“ (7), durch die mit fortlaufenden Vereinfachungsprogrammen die Aktionspläne für die verschiedenen Gemeinschaftspolitiken in Gang gesetzt wurden.

3.9

Parallel zu den intensiven Bemühungen, die Vereinfachung und Verbesserung des gemeinschaftlichen Besitzstands insgesamt und seines Regelungsumfelds in die Wege zu leiten, übermittelte die Kommission an den Rat und das Europäische Parlament die Mitteilung „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds der Gemeinsamen Fischereipolitik“ (8).

3.10

Diese Mitteilung und der von der Kommission vorgelegte „Aktionsplan 2006-2008 zur Vereinfachung und Verbesserung der gemeinsamen Fischereipolitik“ sind die Grundlage für die Erarbeitung dieser Stellungnahme.

3.11

Der EWSA ist sich bewusst, dass die Vereinfachung und Verbesserung des gesamten Gemeinschaftsrechts äußerst kompliziert ist, und ermutigt die Kommission, den eingeschlagenen Kurs fortzusetzen, wobei er sie auffordert, die festgelegten Fristen strikt einzuhalten, um ihre erklärten Ziele zu erreichen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1   Gemeinschaftliche Fischereivorschriften 1983 — 2002

4.1.1

Die gemeinschaftlichen Fischereivorschriften waren Teil der Gemeinsamen Fischereipolitik von 1983. Die für die damalige Fischereipolitik geltenden Regeln waren unzureichend, da im Bereich Fischereibewirtschaftung wissenschaftliche Schlussfolgerungen im Wesentlichen einfach nur in gesetzliche Bestimmungen umgewandelt wurden, wobei so gut wie keine Abstimmung mit dem gemeinschaftlichen Fischereisektor erfolgte und ein langwieriger Entscheidungsprozess zwischen Kommission, Rat und Europäischem Parlament nötig war, der eine Belastung darstellte und ein äußerst komplexes Fischereirecht hervorbrachte.

4.1.2

Bei der Bewertung der Vergangenheit wie der Gegenwart ist zu berücksichtigen, dass die Fischereivorschriften zum einen sehr unterschiedliche Fischereien und zum anderen verschiedene Komponenten umfassen: Strukturen, Erhaltung und Umwelt, Ressourcen außerhalb der EU, Märkte und Überwachung. Diese Vielfalt führt zwangsläufig zu einer Fülle von Verordnungen oder gegebenenfalls zu sehr umfangreichen und schwer auszulegenden Verordnungen.

4.1.3

Zudem erschwert der Ende jedes Jahres stattfindende Entscheidungsprozess des Rates im Zusammenhang mit der jährlichen Festlegung der zulässigen Gesamtfangmenge (TAC) und der Fangquoten die Durchführung aller erforderlichen Konsultationen und die Beibehaltung angemessener Fristen zwischen Entscheidung und Inkrafttreten, was wiederum zahllose Änderungen der veröffentlichten Verordnungen zur Folge hat.

4.1.4

Die zwangsläufige Anhäufung von Änderungen in den verschiedenen Rechtsvorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik hat zur Folge, dass diese Texte für den Durchschnittsbürger, den Fischer, nur schwer verständlich sind, zumal die verschiedenen Rechtsbestimmungen von Experten verfasst werden und sich oftmals auf wissenschaftliche Schriften stützen, die nur schwer nachvollziehbar sind.

4.1.5

Bisweilen führen die Verhandlungen im Rat und im Europäischen Parlament auch zu einem Text, der letztlich komplizierter als die ursprünglichen Vorschläge ist.

4.1.6

Einige Bestimmungen sind schließlich in Verordnungen aufgenommen worden, die rechtlich und politisch auf einer höheren Ebene angesiedelt sind als unbedingt erforderlich, wodurch ihre Änderung und Vereinfachung erschwert wird.

4.1.7

Nach Ansicht des EWSA bestehen die Ursachen für diese Situation zwar auch heute oftmals noch fort, sind jedoch der Kommission inzwischen bekannt, weshalb diese die erforderlichen Schritte ergreift, um sie zu beheben, wie sie es bereits 1992 mit der Änderung der GFP von 1983 und mit dem nun nach der Reform der GFP vom 31. Dezember 2002 vorliegenden Aktionsplan 2006-2008 getan hat.

4.2   Geltendes Fischereirecht der Gemeinschaft

4.2.1

In der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik vom 31. Dezember 2002 (9) wird die Vereinfachung der GFP auf natürliche Weise berücksichtigt, da bereits verschiedene Maßnahmen zur Außerkraftsetzung und Reglementierung, Obsoleterklärung und systematischen Überprüfung ihres rechtlichen Umfelds eingeleitet worden waren.

4.2.2

Der Vorschlag für eine Verordnung zur Errichtung eines Europäischen Fischereifonds (10), zu dem dieser Ausschuss bereits eine positive Stellungnahme abgegeben hat, ist ein gutes Beispiel für die Planung dieser Vereinfachungsinitiative, da die Vorschriften aus den vier Verordnungen, in denen die Mehrjährigen Ausrichtungsprogramme (MAP) und das Finanzinstrument für die Ausrichtung der Fischerei (FIAF) zusammengefasst waren, nunmehr durch eine einzige Verordnung entweder ersetzt oder verändert werden.

4.2.3

In den Jahren 2004 und 2005 hat die Kommission schrittweise eine Reihe von Rechtsakten auf den Weg gebracht, die bei der Reform und Vereinfachung der GFP dienlich sein werden. Hervorzuheben sind:

der Europäische Fischereifonds;

die Europäische Fischereiaufsichtsbehörde;

die Einsetzung von regionalen Beiräten;

finanzielle Maßnahmen der Gemeinschaft zur Durchführung der Gemeinsamen Fischereipolitik und im Bereich des Seerechts.

Außerdem hat ein umfassender Gedankenaustausch mit zahlreichen Kontakten und Beratungen stattgefunden, der schließlich zur Vorlage der bereits erwähnten Mitteilung zur „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds der Gemeinsamen Fischereipolitik“ führte.

4.2.4

Aus dieser Mitteilung geht hervor, dass es zur Verbesserung des Regelungsumfelds der Gemeinsamen Fischereipolitik nicht genügt, die Zahl ihrer Verordnungen zu reduzieren, sondern dass parallel dazu Folgendes geschehen muss:

Verbesserung der Klarheit existierender Texte, deren Vereinfachung sowie bessere Zugänglichkeit;

Verringerung der Belastung der öffentlichen Verwaltung;

Verringerung von Verwaltungslasten und Verpflichtungen der Berufsträger.

4.2.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die Kommission vor einer eventuellen Verbesserung der Klarheit der Texte unbedingt um deren Konsolidierung bemühen muss. Die ständige Bezugnahme auf andere Verordnungen aus früheren Jahren erschwert in hohem Maße das Verständnis der Texte.

4.2.6

Nach der letztgenannten Mitteilung zeigt sich, dass sich bestimmte Bereiche der Gemeinsamen Fischereipolitik nur äußerst schwer umsetzen lassen, etwa die Überwachung der Fangtätigkeit wegen der Anwendungsunterschiede bei den Mitgliedstaaten und die Maßnahmen zur Bestandserhaltung aufgrund der kombinierten Umsetzung verschiedener Bewirtschaftungsinstrumente.

4.2.7

Auch wenn das Fischereimanagement der Gemeinschaft als solches zwangsläufig komplex ist, macht die Untersuchung insgesamt deutlich, dass das bestehende Regelwerk im Laufe der Zeit kompliziert geworden ist.

4.2.8

Nach Ansicht des EWSA muss die Kommission bei der Verbesserung und Vereinfachung der Rechtsvorschriften für die Gemeinsame Fischereipolitik einen besonderen Akzent auf die Überwachung der Fangtätigkeit und auf die Maßnahmen zur Bestandserhaltung setzen. Insofern gilt es, die Tätigkeit der unlängst eingerichteten Europäischen Fischereiaufsichtsbehörde weiter zu stärken.

4.3   Aktionsplan 2006-2008 zur Vereinfachung und Verbesserung der gemeinsamen Fischereipolitik

4.3.1

Ausgehend von all den Arbeiten, die den zahlreichen vorgenannten Mitteilungen zugrunde lagen, forderte der Rat die Kommission zur Vorlage eines mehrjährigen Aktionsplans mit all den dargelegten Schritten auf, mit denen sich eine Vereinfachung und Verbesserung der GFP erreichen ließe. Als Reaktion auf diese Forderung legte die Kommission im Dezember 2005 die Mitteilung „Aktionsplan 2006-2008 zur Vereinfachung und Verbesserung der gemeinsamen Fischereipolitik“ (11) vor.

4.3.2

Der von der Kommission vorgelegte Aktionsplan 2006-2008 umfasst

eine Methode zur Vereinfachung und Verbesserung der GFP;

die Nennung der Initiativen, die vorrangig vereinfacht und verbessert werden müssen.

4.3.3

Der Ansatz des Aktionsplans ist einfach. Es werden insgesamt die Bereiche genannt (Überwachung, Fischereiaufwand, Finanzierung usw.), in denen eine Vereinfachung und Verbesserung der Rechtstexte stattfinden soll. Für jeden einzelnen Bereich wird angegeben, welche Maßnahmen erforderlich sind, wer in den Vereinfachungsprozess einzubeziehen ist und innerhalb welcher Fristen dieser im Zeitraum 2006-2008 erfolgen muss. Schließlich werden für jeden Bereich drei Kategorien von Rechtsakten festgelegt:

Rechtsakte, deren Überarbeitung bereits eingeleitet ist;

Rechtsakte, die in den kommenden Jahren neu zu erarbeiten sind;

bereits geltende Rechtsakte, die vorrangig vereinfacht werden müssen.

4.3.4

Auf diese letzteren, bereits geltenden Rechtsakte konzentriert sich im Zeitraum 2006-2008 die einleitende Phase des Plans zur Vereinfachung der GFP. Bei ihnen handelt es sich grundsätzlich um Rechtsvorschriften, die die Maßnahmen zur Bewirtschaftung und zur Überwachung der Fischereiaktivitäten betreffen.

4.3.5

Der EWSA hält die Auswahl dieser beiden Bereiche für prioritäre Maßnahmen des Aktionsplans für richtig, denn die Komplexität der geltenden Rechtsvorschriften hat weitgehend dort ihre Ursache. In einem weiteren Schritt wird die Kommission die Vereinfachung und Verbesserung der übrigen Teile der Fischereipolitik vornehmen müssen.

4.3.6

Die Rechtsakte, deren Überarbeitung bereits eingeleitet ist und bei denen bestimmte Vereinfachungsprinzipien umgesetzt wurden, werden diesem Plan zur Verbesserung der Rechtsetzung entsprechend weiter bearbeitet, so etwa beim Europäischen Fischereifonds oder bei den Bestimmungen über die Genehmigung der Fischerei in den Gewässern eines Drittlandes im Rahmen eines Fischereiabkommens. Beide bereits von der Kommission vereinfachten Rechtsakte sind vom EWSA im Zuge einer Stellungnahme positiv bewertet worden.

4.3.7

Der Aktionsplan sieht vor, dass bei den in den kommenden Jahren neu zu erarbeitenden Rechtsakten die Ziele der Vereinfachung systematisch einzuhalten sind.

4.3.8

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Aktionsplan 2006-2008 vom Gesamtkonzept her richtig ist, weshalb er ihn unterstützt. Allerdings werden für die Umsetzung der im Anhang zum Aktionsplan aufgeführten Maßnahmen große Vereinfachungsbemühungen vonnöten sein, um sie in den vorgesehenen Fristen zum Abschluss zu bringen. Von entscheidender Bedeutung ist deshalb eine gemeinsame, auf gegenseitigem Verständnis beruhende Anstrengung im Verbund mit den Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament und dem Fischereisektor über dessen regionale Beiräte sowie mit dem Beratenden Ausschuss für Fischerei und Aquakultur (BAFA) und dem Ausschuss für den sozialen Dialog im Fischereisektor.

4.3.9

Die Umsetzung des Aktionsplans konzentriert sich in erster Linie auf folgende Bereiche und Rechtsakte:

Erhaltung der Fischbestände:

TAC/Fangquoten, Fischereiaufwand

Technische Maßnahmen zum Schutz junger Meerestiere

Erhebung und Verwaltung von Daten für die GFP

Überwachung der Fischereitätigkeiten:

Fischereiüberwachung — Regelwerk

Fischereiüberwachung — Umstellung auf EDV

Meldepflicht

Genehmigung der Fischerei außerhalb der Gemeinschaftsgewässer.

4.3.10

Jeder einzelne dieser sieben Rechtsakte wird im Anhang zum Aktionsplan in Form eines ÜBERSICHTSBLATTS erläutert, in dem die geplanten Vereinfachungsmaßnahmen zur Verbesserung des geltenden Regelungswerks und des entsprechenden Verwaltungsumfelds aufgeführt sind. Es enthält zu den jeweiligen Maßnahmen den vorgesehenen Zeitraum mit Angabe der beteiligten Akteure und ein Verzeichnis der zu vereinfachenden Rechtsinstrumente sowie der für die Vereinfachung nützlichen Bezugsdokumente.

4.3.11

Der EWSA möchte der Kommission mitteilen, dass er nach einer gründlichen Prüfung der sieben einzelnen Blätter zu der Ansicht gelangt ist, dass die Reform und die Vereinfachung richtig angegangen werden und dass der Aktionsplan 2006-2008 — wenn die gesetzten Fristen eingehalten und alle auf den einzelnen Blättern aufgeführten Schritte befolgt werden — das gemeinschaftliche Fischereirecht in deutlicher Weise verbessern wird.

4.3.12

Auf Blatt 1 des Aktionsplans werden Vereinfachungsmaßnahmen zu TAC/Fangquoten und Fischereiaufwand vorgeschlagen. Im Wesentlichen geht es um die Vereinfachung der jährlichen Rechtsakte des Rates, in denen die Fangmöglichkeiten für das Folgejahr festgelegt werden, indem die Architektur der Vorschriften über die Nutzung von Fischereiressourcen so geordnet wird, dass Entscheidungen auf homogene Gruppen ausgerichtet werden und für sie mehrjährige Bewirtschaftungspläne festgelegt werden.

4.3.13

Der EWSA ist der Auffassung, dass die in Blatt 1 aufgeführten Vereinfachungsmaßnahmen richtig sind, da eine differenzierte Behandlung der verschiedenen Aspekte der Bestandserhaltungspolitik, ihre Einteilung in homogene Gruppen und ihre Umsetzung in mehrjährigen Bewirtschaftungsplänen unbedingt erforderlich ist.

4.3.13.1

Dessen ungeachtet schätzt der Ausschuss ein, dass der zu kurze Zeitraum zwischen der Vorlage der wissenschaftlichen Gutachten und der Dezembertagung des Rates, auf der die TAC/Fangquoten sowie weitere wichtige Bewirtschaftungsmaßnahmen wie z.B. die Beschränkung der Fischereiintensität festgelegt werden, eine Hürde für die Durchführung der erforderlichen Konsultationen und Absprachen darstellt. Die im Zuge dieses übereilten und komplizierten Beschlussfassungsverfahren erlassenen Vorschriften könnten technische oder rechtliche Mängel aufweisen, die dann Verordnungen zur Änderung erforderlich machen würden. Dies verkompliziert jedoch die Vorschriften und ihrer Anwendung. Eine unzureichende Konsultation der Fachleute und der anderen Beteiligten tut der Verständlichkeit, Akzeptanz und Anwendung der Vorschriften und damit ihrer Wirksamkeit Abbruch.

4.3.13.2

Der EWSA ist überdies der Ansicht, dass das Verfahren zur Festlegung der Verwaltungsmaßnahmen für die regionalen Fischereiorganisationen ebenfalls den Mangel eines zu kurzen Zeitraums zwischen Vorlage des wissenschaftlichen Gutachtens und Sitzung des beschlussfassenden Organs aufweist. Diese zu kurze Frist wirkt sich in der gleichen Form aus, wie in der vorstehenden Ziffer dargelegt wurde.

4.3.13.3

Die von der Kommission vorgeschlagene Ausrichtung „auf homogene Gruppen“ hält der Ausschuss für richtig, soweit damit eine Ausrichtung „auf homogene Fischereien“ und zweistufige Rechtsvorschriften, nämlich eine horizontale Rahmenverordnung und eine Durchführungsverordnung für jede Fischerei, gemeint ist.

4.3.13.4

Nach Ansicht des Ausschusses zeigt die Erfahrung, dass die Pläne zur Bestandserholung und die mehrjährigen Bewirtschaftungspläne mit einer umfassenden Konsultation und Absprachen verbunden sind. Diese Plänen werden nach ihrer Verabschiedung den Entscheidungsprozess im Anwendungszeitraum vereinfachen. Dabei muss jedoch nach Auffassung des EWSA die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Rat und Kommission beachtet und Möglichkeiten für eine spätere Überprüfung vorgesehen werden, da sich die Kriterien für die Bewertung des Zustandes der jeweiligen Bestände weiterentwickeln.

4.3.14

Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass das Verfahren zur Festlegung der Bewirtschaftungsmaßnahmen, das ein Garant für die Vereinfachung der Vorschriften und die Verbesserung ihrer Wirksamkeit ist, erfordert, dass die wissenschaftlichen Gutachten und Empfehlungen (der Regionalen Beiräte und des Beratenden Ausschusses für Fischerei und Aquakultur der Europäischen Union (BAFA) für Gemeinschaftsgewässer bzw. der wissenschaftlichen Beiräte der regionalen Fischereiorganisationen für andere Gewässer) zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegt werden, damit eine wirkliche Konsultation der regionalen beratenden Organe und der Beratenden Ausschuss für Fischerei und Aquakultur möglich ist. Möglicherweise muss das Paket „TAC/Quoten“ auch auf mehrere Ratstagungen aufgeteilt werden und das Bewirtschaftungsjahr dem jährlichen biologischen Zyklus angeglichen und dabei eine bessere Anpassung an den Markt berücksichtigt werden. Es handelt sich dabei also um einen umfassenden Prozess, der sich nicht nur auf das „Frontloading“ beschränkt. Der EWSA ist der Ansicht, dass dieser Prozess in all seinen Aspekten geprüft und möglichst umfassend mit den Mitgliedstaaten, den Fachleuten und den sonstigen Beteiligten abgestimmt werden sollte.

4.3.15

Mit Blatt 2 sollen die geltenden Rechtsvorschriften zum Schutz von jungen Meerestieren über die schrittweise Gruppierung der technischen Maßnahmen nach Fischereien reformiert werden. Der EWSA begrüßt diesen Ansatz nach Fischereien, hält ihn jedoch vorrangig im Bereich der technischen Maßnahmen für anwendbar. Das von der Kommission vorgeschlagene System beruht auf der Umstrukturierung des Rechtsinstruments, das diese Maßnahmen regelt, wobei der Rat knapp die allgemeine Ausrichtung und die Kommission ausführlicher die technischen Aspekte regeln soll. Der EWSA hat Bedenken hinsichtlich einer Vereinfachung, die dazu führt, dass die Kommission als Gesetzgeber fungiert und Befugnisse übernimmt, die nach derzeitiger Lage dem Ministerrat zustehen. Insofern glaubt der Ausschuss, dass die endgültige Entscheidung vom Rat getroffen werden sollte, auch wenn die Rechtsvorschriften gemäß dem Vereinfachungsvorschlag erarbeitet werden.

4.3.16

Was die Möglichkeit betrifft, die Mitgliedstaaten, wie in Blatt 2 vorgesehen, zum Ergreifen bestimmter lokal geltender technischer Maßnahmen zu ermächtigen, so ist der EWSA der Ansicht, dass eine solche Ermächtigung zu Ungleichheiten und Diskriminierungen bei den Fischern der verschiedenen EU-Mitgliedstaaten führen könnte, wenn diese Möglichkeit missbraucht oder nicht vernünftig kontrolliert wird, was der notwendigen Harmonisierung der Vorschriften der Gemeinsamen Fischereipolitik zuwiderlaufen würde. Aus diesem Grund sollten die entsprechenden Ersuchen der Mitgliedstaaten auch vom Rat genehmigt werden.

4.3.17

Zur praktischen Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen ist nach Ansicht der Kommission Folgendes erforderlich: Ausweitung der vorherigen Konsultation des Sektors, Bewertung der Ergebnisse der durchgeführten technischen Maßnahmen, Präzisierung einiger technischer Begriffe, Erstellung von Broschüren und Informationsmaterial, Einsatz von Informationstechnologie und Streichung von Meldeverpflichtungen für die Fischer. Der EWSA, der alle diese Maßnahmen für notwendig hält, möchte die Kommission darauf hinweisen, dass der Einsatz von Informationstechnologie zur Erhebung und Verwaltung von Daten logischerweise einen Anpassungsprozess mit Finanzhilfen erforderlich macht, der es gestattet, die Schiffe auf diese neuen Technologien einzustellen. Deshalb ist nach seiner Auffassung eine angemessene Übergangszeit notwendig, um das Verfahren in Absprache mit Technikern, anderen Fachleuten und den Mitgliedstaaten festlegen, die volle Wahrung von Geschäftsgeheimnissen garantieren, das Vertrauen und die Unterstützung der Beteiligten gewinnen, das Verfahren in der Praxis testen und für eine Beteiligung an den zusätzlichen Kosten für das neue zu verwendende Material sorgen zu können, damit diese Reform zur Vereinfachung Erfolg hat.

4.3.18

Blatt 3 sieht die Reduzierung des derzeitigen Rechtsrahmens in Bezug auf die Erhebung und Verwaltung von Daten für die GFP vor. Bei dieser Vereinfachung soll analog zu Blatt 2 der Aufbau des jetzigen Rechtsinstruments im Wege einer Ratsverordnung mit allgemeinem Ansatz und einer Durchführungsverordnung der Kommission über die technischen und administrativen Aspekte geändert werden. Der EWSA bekräftigt erneut seine bereits unter Ziffer 4.3.15 geäußerten Bedenken hinsichtlich der Befugnisse, die der Kommission zustehen sollen.

4.3.19

Bestandteil der Vereinfachungsbestrebungen der Kommission ist gemäß Blatt 3 auch die Erarbeitung eines mehrjährigen Programms zur Erhebung und Verwaltung von Daten, mit dem die Verwaltungslasten der Mitgliedstaaten verringert werden sollen. Der Ausschuss hält den Vorschlag der Kommission vorbehaltlich der in Ziffer 4.3.17 gemachten Anmerkungen für sinnvoll und notwendig.

4.3.20

In Blatt 4 wird eine Reform des geltenden Regelwerks auf dem Gebiet der Überwachung vorgeschlagen, was durch eine Überarbeitung der geltenden Verordnungen und ihre Anpassung an die Reform der GFP geschehen soll. Der EWSA erachtet die Überarbeitung der Überwachungsverordnungen zum Zweck der Harmonisierung der verschiedenen Vorschriften als äußerst wichtig, um unterschiedliche Auslegungen zu vermeiden. Alle Überwachungs- und Kontrollbestimmungen müssen im Hinblick auf die Inspektionen, ihre Durchführungsmethoden und die Formen ihrer praktischen Umsetzung eindeutig sein. Der Ausschuss fordert die Kommission allerdings auf, bei der Vereinfachung der Überwachungsvorschriften stets zu berücksichtigen, dass die Europäische Fischereiaufsichtsbehörde existiert.

4.3.21

Die Kommission schlägt in Blatt 5 die Überarbeitung aller Bestimmungen über die EDV-Umstellung der Fischereiüberwachung vor. Vorgesehen ist die Erarbeitung von Verordnungen, sobald der Rat über den Vorschlag der Kommission über die elektronische Erfassung und Übermittlung von Daten über Fangtätigkeiten und die Fernerkundung (12) entschieden hat. Ebenfalls beabsichtigt ist die EDV-Umstellung der Verwaltung von Fischereiabkommen mit Drittländern hinsichtlich der Fanglizenzen sowie der betreffenden Fang- und Aufwandsmeldungen. Der EWSA hält diese Umstellung der Überwachungssysteme auf EDV zwar für notwendig, bekräftigt aber, wie bereits unter Ziffer 4.3.17 geschehen, dass für den Einsatz der Informationstechnologien eine Übergangszeit gewährt werden muss.

4.3.22

Blatt 6 sieht die Vereinfachung des gesamten Regelwerks der GFP zwecks Streichung von Bestimmungen vor, in denen die Vorlage von Berichten vorgeschrieben ist, die für die ordnungsgemäße Umsetzung der GFP nicht oder nur von geringem Nutzen sind. Der EWSA ist der Auffassung, dass in diesem Vereinfachungsprozess jede Verpflichtung zur Vorlage solcher Berichte gestrichen werden muss, um so den Verwaltungsaufwand der Betroffenen und der Mitgliedstaaten zu verringern.

4.3.23

Gegenstand von Blatt 7 ist schließlich die Vereinfachung der Genehmigung der Fischerei außerhalb der Gemeinschaftsgewässer durch eine Reform der Bestimmungen über die Verwaltung von Fischereiabkommen mit Drittländern. Hierbei geht es um die Änderung des jetzigen Aufbaus, sodass grundlegende Prinzipien in das Ermessen des Rates und die technischen und administrativen Aspekte in das Ermessen der Kommission gestellt werden. Der Ausschuss hält diese Vereinfachung für erforderlich und schlägt der Kommission vor, die Entwicklung eines Musterabkommens als Grundlage für die Aushandlung von Fischereiabkommen mit Drittländern sowie die Ausstattung mit EDV und die Erteilung der Fanglizenzen auf elektronischem Wege in Erwägung zu ziehen.

4.3.24

Nach Ansicht des EWSA erfordern die Vereinfachung und Verbesserung der GFP für die Flotten, die außerhalb der EU-Hoheitsgewässer operieren, zudem einen Ansatz nach Fischereien und eine konsequente Sonderbehandlung im Hinblick auf alle Aspekte, nämlich Flottenstärke, Fanggenehmigungen, Fanglizenzen, Zulassungen, Meldepflichten usw. Der Ausschuss vertritt hier die Auffassung, dass Fischereifahrzeuge, die die Flagge eines EU-Mitgliedstaats führen und außerhalb der EU-Hoheitsgewässern operieren, an die im jeweiligen Gebiet erzielten Fänge angepasste Rechte und Pflichten haben sollten. Er ersucht daher die Kommission, dieses Ziel in ihren Aktionsplan aufzunehmen, der sich nicht nur auf das Kapitel „Fischereiabkommen“ (oder Assoziierungsabkommen) beschränken darf. In diesem Zusammenhang betont der Ausschuss, dass die von den europäischen Sozialpartnern akzeptierte Sozialklausel eingehalten werden muss.

4.3.25

Abschließend äußert der EWSA die Ansicht, dass die Bekämpfung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei (IUU-Fischerei), die ja eines der Ziele der GFP (insbesondere in ihrer auswärtigen Dimension) ist, auch im Aktionsplan als Ziel genannt werden sollte, um so möglichst einfache und wirksame Verfahren zur Bekämpfung der IUU-Fischerei festlegen zu können. Dabei muss nach Auffassung des Ausschusses vorrangig beim Zugang zu den Märkten der Endverbraucher angesetzt werden, wobei die Befugnisse des Staates, in dem der betreffende Hafen liegt, gestärkt und Umladungen des Fanggutes auf hoher See verboten werden müssen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Der Aktionsplan 2006-2008 ist in der Form, wie er in der Mitteilung der Kommission enthalten ist, für die Verbesserung der gemeinschaftlichen Fischereivorschriften von wesentlicher Bedeutung. In den Bereichen Überwachung und Bestandsbewirtschaftung konnten keine weiteren wichtigen Rechtsakte gefunden werden, die den von der Kommission vorgeschlagenen Rechtsakten hinzugefügt werden müssten. Daher ermutigt der Ausschuss die Kommission, sie möglichst rasch umzusetzen.

5.2

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass unter allen Rechtsakten, die verbessert und vereinfacht werden sollen, vor allem der Bereich „TAC/Fangquoten, Fischereiaufwand“ für die Entwicklung mehrjähriger Bewirtschaftungspläne von Bedeutung ist.

5.3

Die Umsetzung des Aktionsplans 2006-2008 kann es erforderlich machen, dass die Kommission neue Durchführungsverordnungen erarbeitet, was nach Ansicht des EWSA nicht zwangsläufig zu Problemen führen muss. Wichtig ist vielmehr, dass die Verordnungen, auch wenn sie den gemeinschaftlichen Besitzstand vergrößern, entschlackt werden, auf die betroffenen Fischereien ausgerichtet, leicht verständlich und so weit es geht konsolidiert sind.

5.4

In Bezug auf den letztgenannten Aspekt möchte der Ausschuss die Kommission darauf hinweisen, wie schwer die gegenwärtigen Fischereivorschriften mit ihren unzähligen Verweisen auf andere Verordnungen, Richtlinien und Mitteilungen auszulegen sind. Die Konsolidierung der Texte ist für ein leichteres Lesen und besseres Verständnis unerlässlich.

5.5

Von großer Bedeutung ist auch die Koordinierung zwischen der Kommission und der Europäischen Fischereiaufsichtsbehörde bei der Anwendung der Vorschriften zur Überwachung. Um zu erreichen, dass die EU-Vorschriften zur Fischereiüberwachung nicht mehr von den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt werden, was von den Fischern oft moniert wird, ist es erforderlich, dass die Europäische Fischereiaufsichtsbehörde tätig wird und die Kriterien vereinheitlicht.

5.6

Der Ausschuss ist schließlich der Auffassung, dass die Umstellung des gemeinschaftlichen Fischereirechts auf EDV wichtig ist, um auf die Gemeinschaftstexte elektronisch zugreifen zu können. Der Einsatz neuer Informationstechnologien an Bord von Fischereifahrzeugen ohne zusätzliche Kosten für die Fischer sollte allerdings allmählich und in Schritten erfolgen, da sich einige EDV-Konzepte als für Schiffe ungeeignet erweisen könnten.

5.7

Der Ausschuss ermutigt die Kommission dazu, alle eventuell auftretenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit diesem Aktionsplan 2006-2008 zu überwinden, da er nach seiner Überzeugung unerlässlich ist und für den Fischereisektor der Gemeinschaft von Nutzen sein wird.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2001) 428 endg. vom 30. Juli 2001.

(2)  ABl. C 125 vom 27. Mai 2002, S. 61 (KOM(2001) 428 endg. „Europäisches Regieren — Ein Weißbuch“).

(3)  KOM(2002) 278 endg. vom 5. Juni 2002 — Aktionsplan „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“.

(4)  KOM(2003) 71 vom Februar 2003.

(5)  KOM(2005) 97 vom März 2005.

(6)  ABl. C 321 vom 31. Dezember 2003 und Berichtigung ABl. C 4 vom 8. Januar 2004.

(7)  KOM (2005) 535 vom Oktober 2005 „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Eine Strategie zur Vereinfachungdes ordnungspolitischen Umfelds“.

(8)  KOM(2004) 820 vom 15. Dezember 2004.

(9)  Verordnung (EG) Nr. 2371/2002 des Rates.

(10)  KOM(2004) 497 endg.

(11)  KOM(2005) 647 endg. vom 8.12.2005.

(12)  KOM(2004) 724 endg.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/67


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Thematische Strategie für eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“

KOM(2005) 670 endg. — [SEK(2005) 1683 + SEK(2005) 1684]

(2006/C 309/14)

Die Europäische Kommission beschloss am 21. Dezember 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe „Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz“ nahm ihre Stellungnahme am 24. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr RIBBE.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 157 gegen 2 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Ausschusses

1.1

Der EWSA begrüßt die Vorlage der Kommissionsmitteilung „Thematische Strategie für eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“ im Grundsatz und unterstützt die darin beschriebene Zielrichtung, die Ressourcenproduktivität und -effizienz zu verbessern, d.h. das Wirtschaftswachstum weiter vom Ressourcenverbrauch abzukoppeln und gleichzeitig die Umweltwirkungen der eingesetzten Ressourcen ebenfalls zu reduzieren.

1.2

Der EWSA verweist erneut auf seine bereits vor zwei Jahren der Kommission übermittelte Meinung, dass eine entsprechende Strategie der Kommission sich intensiv auch der Frage der nicht erneuerbaren Ressourcen widmen muss. Es ist ein zentraler Kritikpunkt des EWSA, dass das Kommissionsdokument dies nicht tut.

1.3

Aus Sicht des EWSA wären in der Strategie ebenfalls eindeutige Aussagen zu nicht erneuerbaren Ressourcen notwendig, die sicher über den geplanten Zeithorizont dieser Strategie (25 Jahre) hinausgehen müssten. Der EWSA hält deshalb eine Ergänzung der Strategie und eine Verlängerung des Zeitraums auf 50 bis 100 Jahre für angebracht, wobei dann selbstverständlich Zwischenschritte formuliert werden müssen.

1.4

Auf der anderen Seite muss gesehen werden, dass für die Erhaltung bestimmter natürlicher Ressourcen (wie z.B. der Fischbestände) absolut keine Zeit mehr verschwendet werden kann, so dass hier sofort konkrete Aktionen unerlässlich sind.

1.5

Für den Erfolg einer wirklichen Strategie ist es unerlässlich, zunächst klare und greifbare Ziele zu benennen, die dann mit konkreten, ebenfalls klar zu benennenden Instrumenten erreicht werden sollen (was die eigentliche Strategie darstellt). Doch sowohl klare Ziele als auch konkrete Instrumente sucht man im Kommissionspapier vergebens, was sicher auch daran liegt, dass es für die Vielzahl natürlicher Ressourcen eine alle und alles umfassende Strategie gar nicht geben kann. Dafür sind vielmehr eigene, sektorspezifische Strategien nötig, woran die Kommission ja z.T. auch arbeitet.

1.6

Der EWSA kann deshalb die Kommissionsmitteilung nicht als eine wirkliche Strategie, sondern mehr als eine sehr begrüßenswerte und richtige Grundsatzphilosophie ansehen, deren Umsetzung nicht durch die vorgeschlagenen Datenbanken und einzusetzenden Expertengremien zu schaffen sein wird.

2.   Hauptelemente und Hintergrund der Stellungnahme

2.1

Am 1.10.2003 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament mit dem Titel „Entwicklung einer thematischen Strategie für die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen“ (1). In ihr wurden die Grundlagen für eine entsprechende Strategie erörtert und ein erster Konsultationsprozess mit den betroffenen bzw. interessierten Gesellschaftskreisen initiiert.

2.2

Der EWSA hat damals mit seiner Stellungnahme vom 28. April 2004 zur nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen (2) den Vorschlag der Kommission, eine entsprechende Strategie zu erarbeiten, im Grundsatz begrüßt.

2.3

Am 21.12.2005 legte die Kommission diese „Thematische Strategie für eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“ dem Rat, dem Europäischen Parlament, dem EWSA und dem AdR vor. Das entsprechende Kommissionspapier (3) ist Gegenstand dieser Stellungnahme.

2.4

Der EWSA begrüßt selbstverständlich auch dieses Mal die Vorlage der „Strategie“, die er auch im Zusammenhang mit der Strategie für nachhaltige Entwicklung sieht. Eine europäische Strategie zur Erhaltung der diversen erneuerbaren und nicht erneuerbaren natürlichen Ressourcen ist aus Sicht des EWSA zwingend erforderlich, um den sich stellenden Herausforderungen dauerhaft zu begegnen. Die Mitteilung geht eindeutig in die richtige Richtung, die beschriebenen Initiativen und Aktionen reichen dem EWSA aber nicht aus.

3.   Bemerkungen zu den Inhalten der Kommissionsmitteilung

3.1

In der von der Kommission vorgenommenen Analyse der zu lösenden Probleme unterscheiden sich beide Kommissionsmitteilungen verständlicherweise nicht. Es wird dargestellt, dass

das Funktionieren unserer Wirtschaft vom Vorhandensein und somit der Verfügbarkeit sowohl regenerativer wie auch nicht regenerativer natürlicher Ressourcen abhängig ist,

die natürlichen Ressourcen für unsere Lebensqualität von Bedeutung sind,

die derzeitigen Muster der Ressourcennutzung in ihrer jetzigen Form nicht beibehalten werden können, auch wenn „sich die Materialeffizienz in Europa signifikant verbessert hat“,

folglich eine noch stärkere Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcennutzung bzw. Ressourcenverbrauch zwingend notwendig ist und

eine ineffiziente Ressourcennutzung und eine Übernutzung erneuerbarer Ressourcen das Wachstum langfristig bremsen.

3.2

Wesentlich stärker wird allerdings im vorgelegten Papier hervorgehoben, dass es nicht nur um eine Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourceneinsatz geht, sondern zusätzlich auch um eine Reduktion der Umweltfolgen des (verminderten bzw. zu vermindernden) Ressourceneinsatzes; also eine Art Doppelstrategie, die die Kommission schon vor Jahren, vor dem Beschluss der Nachhaltigkeitsstrategie, mit dem „Faktor-10-Konzept“ beschrieben hat.

3.3

Ein Beispiel dazu: Durch einen höheren Wirkungsgrad produzieren moderne Kohlekraftwerke eine Kilowattstunde Strom heute mit einem geringen Ressourceneinsatz. Um die Umweltbelastung aber weiter zu reduzieren werden derzeit Anstrengungen unternommen, z.B. die Klimarelevanz jeder eingesetzten Tonne Kohle weiter zu reduzieren, z.B. durch die Entwicklung sog. „klimaneutraler“ Kraftwerke, in denen das entstehende CO2 gebunden und anschließend unterirdisch gelagert wird.

3.4

Die hier vorgelegte „Strategie“ beschreibt, dass dieser Effizienzansatz für die Nutzung aller natürlichen Ressourcen zum Prinzip erhoben werden soll, was der EWSA sehr begrüßt.

Kritische Bemerkungen des EWSA

3.5

Doch obwohl der EWSA vollkommen hinter diesem Ansatz der Kommission steht, muss er zur vorgelegten „Strategie“ doch durchaus einige sehr kritische Bemerkungen machen:

3.6

Die Kommission stellt in ihrer vorgelegten Mitteilung dar, dass zwischen erneuerbaren und nicht erneuerbaren Ressourcen unterschieden werden muss und dass die vorrangigen Probleme eher bei den erneuerbaren Ressourcen (z.B. Fischbestände, Süßwasser) zu suchen sind.

3.7

Sie verweist darauf, dass die Ressourcennutzung bereits zentraler Gegenstand in den europäischen umweltpolitischen Debatten der letzten dreißig Jahre war (und noch heute ist) und dass „in den siebziger Jahren, nach den ersten Ölkrisen, ... die Knappheit der natürlichen Ressourcen und die Grenzen des Wachstums Anlass zu großer Besorgnis“ gaben. Jedoch habe sich „die Knappheit ökologisch als weniger problematisch als vorhergesagt herausgestellt. Es gibt noch fossile Brennstoffe und der Markt hat die Knappheit über die Preise reguliert“.

3.8

In der Tat liegt das ökologische Problem nicht primär darin, ob beispielsweise eine nicht regenerative Ressource knapp, noch verfügbar oder nicht mehr verfügbar ist. Das ökologische Problem geht — und genau hier setzt auch die Kommission an — von den Folgen der Nutzung bzw. von Übernutzungen (z.B. auf unser Klima) aus. Ökologisch ist es folglich nicht als Problem anzusehen, wenn die in Form von Öl oder Kohle bzw. Gas gespeicherte Sonnenenergie ausgeht. Der EWSA weist aber darauf hin, dass die sich einstellende Nichtverfügbarkeit nicht erneuerbarer Ressourcen sich aber als dramatisches Problem für unsere Wirtschaft und damit auch als soziales Problem — mit erheblichen Auswirkungen für den Lebensstandard der Menschen — erweisen wird. Es geht somit nicht nur um die Frage der ökologischen Konsequenz der Ressourcennutzung, sondern es muss schlichtweg auch um den potenziellen Zugang jetziger und zukünftiger Generationen zu natürlichen Ressourcen gehen. Es ist deshalb im Rahmen der Nachhaltigkeitsdebatte eine der zentralen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte, die Verfügbarkeit von Ressourcen auch für zukünftige Generationen zu gewährleisten. Die Frage der Verknappung von Ressourcen ist somit nach Meinung des EWSA keine ausschließlich ökologische Frage, sondern eine der Nachhaltigkeit, die bekanntlich ökologische, soziale und wirtschaftliche Kriterien beinhaltet.

3.9

Der Hinweis der Kommission auf den „Markt“, der auf knapper werdende Angebote mit höheren Preisen reagiert, ist vollkommen richtig. Die teilweise dramatischen Ölpreiserhöhungen der letzten Monate, die auch die europäische Wirtschaft schwer getroffen haben, sind natürlich nicht allein auf das langfristig absehbare Versiegen entsprechender nicht erneuerbarer Ressourcen zurückzuführen, sondern haben mit der Marktmacht teilweise monopolistischer Anbieter sowie mit politischen Instabilitäten in den Ländern, in denen diese Ressourcen vorrangig vorkommen, zu tun.

3.10

Der EWSA möchte auf seine Bemerkungen verweisen, die er bereits vor zwei Jahren in seiner Stellungnahme zum Entwurfspapier formuliert hat: Es ist ein falsches politisches Signal an die Gesellschaft, jetzt eine „Strategie“ vorzulegen, die auf nur 25 Jahre angelegt ist und sich nicht bzw. nur völlig unzureichend der längerfristig durchaus absehbaren Verknappung bzw. dem Ende bestimmter, zentraler, nicht erneuerbarer Ressourcen (wie beispielsweise der fossilen Brennstoffe) widmet. Aus Sicht des EWSA stellt die Verfügbarkeit von nicht erneuerbaren Ressourcen ein entscheidendes Kriterium dar, um Verantwortung gegenüber den geforderten Nachhaltigkeitskriterien zu übernehmen.

3.11

Der EWSA erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass zahlreiche Wirtschaftsbereiche nicht nur generell auf die Verfügbarkeit fossiler Energieträger, sondern auch auf deren „billige“ Bereitstellung angewiesen sind. Jene Volkswirtschaften, die entsprechend aufgebaut sind, werden zukünftig mit den größten Anpassungsproblemen konfrontiert sein. Insofern unterschreibt der EWSA abermals die Aussage der Kommission, dass „eine ineffiziente Ressourcennutzung ... das Wachstum bremsen wird“.

3.12

Steigende Ressourcenpreise lassen sich zunächst durch Effizienzmaßnahmen noch einigermaßen ausgleichen. In vielen Sektoren aber, z.B. im Verkehrs- und Energiebereich, können Verknappungen bzw. extrem hohe Preise eventuell größere strukturelle Veränderungen notwendig werden lassen. Da dies mit extrem hohen Investitionen verbunden sein kann, sollten notwendige Weichenstellungen so frühzeitig wie irgend möglich erfolgen, um Fehlallokationen zu vermeiden.

3.13

Ein Beispiel für entsprechend strategisch langfristiges Denken ist die Ankündigung der schwedischen Regierung, sowohl aus der Kernenergie auszusteigen als auch die Abkehr vom Erdöl anzugehen. Selbstverständlich ist ein solcher Weg nur langfristig vorstellbar, aber er muss frühzeitig begonnen werden, um später Brüche für Wirtschaft und Gesellschaft zu vermeiden.

3.14

Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass die EU-Strategie entsprechende Fragestellungen aktiv aufgreifen sollte; sie tut es aber leider nicht. Er stellt sich die Frage, ob dies daran liegt, dass der von der EU-Kommission für die Strategie angedachte 25-Jahreszeitraum nicht doch (viel) zu kurz ist. Der EWSA kann nicht akzeptieren, dass die Kommission darauf verweist, dass innerhalb dieses Zeitraums vermutlich nicht mit gravierenden Verknappungen bei nicht erneuerbaren Ressourcen zu rechnen ist, weshalb die Frage der nicht erneuerbaren Ressourcen quasi ausgeklammert wird. Es sind klare Aussagen der Kommission zu den nicht erneuerbaren Ressourcen notwendig, die über den jetzigen Zeitpunkt der Strategie hinausgehen. Es wäre deshalb notwendig, von vornherein den Zeitraum der Strategie zu verlängern, z.B. auf 50 oder gar 100 Jahre, was im Hinblick auf Ressourcennutzung ein vergleichsweise geringer Zeitraum ist. Natürlich müssen dann bei einem so langen Zeitraum für die langfristigen Ziele Zwischenschritte formuliert werden. Der EWSA verweist darauf, dass die Kommission ein solches Vorgehen im Jahre 2005 in einer Mitteilung (4) angekündigt hat.

3.15

Als übergeordnetes Ziel der Strategie nennt dann die Kommission im Papier die „Verringerung der durch die Nutzung natürlicher Ressourcen in einer wachsenden Wirtschaft entstehenden negativen ökologischen Auswirkungen“. Es gibt sicherlich niemanden in Europa, der einer so generellen, aber auch so unkonkreten Zielsetzung widersprechen würde.

3.16

Bewusst verzichtet die Kommission darauf, „im jetzigen Anfangsstadium ... der Strategie ... quantitative Ziele“ vorzugeben. Der EWSA hält dies für grundlegend falsch. Zum einen stehen wir nicht am Anfangsstadium, die Probleme sind seit Jahren, teilweise Jahrzehnten bekannt. Zum anderen hat der EWSA an vielen anderen Stellen bereits darauf hingewiesen, dass es für eine wirklich erfolgreiche Strategie unerlässlich ist, klare Ziele zu benennen. Eine Strategie ist ein Plan zur Erreichung vorgegebener Ziele! Wenn Ziele fehlen bzw. völlig unverbindlich formuliert oder allgemein gehalten sind, fehlt der Politik auch die Orientierung, welche politischen Steuerungsinstrumente an welcher Stelle anzusetzen sind.

3.17

Aus Sicht des EWSA handelt es sich deshalb bei der vorgelegten „Thematischen Strategie für eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“ nicht wirklich um eine Strategie, sondern vielmehr um eine — dies soll ausdrücklich betont werden — sehr richtige Grundsatzphilosophie, für die gesonderte Umsetzungsstrategien bei den jeweiligen natürlichen Ressourcen erst noch erarbeitet werden müssen.

3.18

Der EWSA erkennt auch gern an, dass es kaum gelingen kann, in nur einer Strategie alle natürlichen Ressourcen umfassend und erschöpfend zu behandeln. Die Materie ist viel zu komplex. Deshalb ist hier die Integration dieser richtigen Grundsatzphilosophie in gesonderte Strategien bzw. in die allgemeine Politik unerlässlich. Genau deshalb hat ja die Kommission, quasi zeitgleich zur Vorlage dieser „Strategie“, eine Thematische Strategie für Abfallvermeidung und -recycling (5) (indirekt auch eine natürliche Ressource) vorgelegt und eine Thematische Strategie für den Schutz des Bodens angekündigt. Zielführende strategische Entscheidungen müssen maßgeblich in den jeweiligen Sektorpolitiken verankert werden.

3.19

Hierdurch könnte von allen Beteiligten deutlicher erkannt werden, wo welche Strategie ansetzt. Durch konkrete Beispiele ließen sich Querverbindungen zu anderen Strategien und Politikbereichen auf der EU-Ebene und den Mitgliedstaaten erstellen und damit Verantwortlichkeiten eindeutiger festmachen, wodurch eine Umsetzung der strategischen Zielrichtungen besser gewährleistet werden könnte.

3.20   Vier Initiativen zur Erreichung der Ziele

Die Kommission nennt in ihrer Mitteilung insgesamt vier neue Initiativen, mit denen die Schaffung der Grundlagen für die Strategie der nächsten 25 Jahre erreicht werden sollen:

„Aufbau der Wissensbasis“, was die Einrichtung eines „Datenzentrums für politische Entscheidungsträger“ beinhaltet;

„Fortschrittsmessung“, worunter die Entwicklung von diversen Indikatoren bis zum Jahr 2008 verstanden wird;

die „interne Dimension“, bei der die Kommission vorschlägt, dass einerseits die einzelnen Mitgliedstaaten nationale Maßnahmen und Programme für die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen entwickeln, dass andererseits ein „hochrangiges Forum ... aus leitenden Beamten“ geplant ist, das in den Mitgliedstaaten für die „Konzipierung der Politik auf dem Gebiet der natürlichen Ressourcen verantwortlich“ ist; dieses Forum soll ferner aus Vertretern der Kommission und „gegebenenfalls“ (was immer darunter zu verstehen ist) Verbraucherorganisationen, im Umweltschutz tätiger nicht staatlicher Organisationen, Industrie, Akademia etc. bestehen;

die „globale Dimension“, bei der vorgesehen ist, ein „internationales Gremium ... zu gründen“.

3.21

Der EWSA zweifelt nicht am Sinn und der Nützlichkeit entsprechender Datenbanken bzw. neuer Gremien. Je mehr wir wissen und je mehr Menschen, besonders politisch verantwortliche Menschen, sich mit der Materie befassen, desto besser.

3.22

Dennoch muss der EWSA bei der Kommission nachfragen, ob diese glaubt, damit tatsächlich eine wirklich politikbeeinflussende „Strategie“ erarbeitet zu haben. Denn mit den beschriebenen Maßnahmen lassen sich die beschriebenen Probleme keineswegs lösen.

3.23

Vielmehr erweckt man mit solchen Ankündigungen den Eindruck, als müsse man zunächst die Wissensbasis erweitern, um somit die Grundlagen für politisches Handeln zu schaffen. Der EWSA erkennt hierin weniger eine Strategie konsequenten Handelns, als vielmehr eine Strategie des Hinauszögerns politischer Entscheidungen. Die Kommission sollte alles tun, damit ein solcher Eindruck nicht entstehen kann.

3.24

Seit Jahren ist beispielsweise bekannt, dass die natürliche Ressource „Fisch“ absolut übernutzt wird. Die Kommission reagiert auf diese bedrohliche Situation jährlich mit der sicherlich absolut gerechtfertigten Forderung, geringere Fangquoten vorzusehen, um z.B. die Überfischung des Kabeljaus abzuwenden (6). Ohne Erfolg. Weder mit einer neuen Wissensdatei noch mit neuen Gremien wird sich dieses Problem zukünftig lösen lassen!

3.25

Der EWSA erwartet deshalb, dass bei bestimmten natürlichen Ressourcen nicht weiter immer nur geredet wird, sondern das endlich Taten folgen, z.B. für die Erhaltung der Fischbestände.

3.26

Der EWSA möchte mit dieser Aussage nochmals klar machen, dass er die von der Kommission im Rahmen der Strategie vorgeschlagenen so genannten „Instrumente“ keinesfalls für ausreichend hält.

3.27

Bereits in seiner Stellungnahme zum vorbereitenden Dokument der Kommission, als auch in diversen anderen Stellungnahmen des Ausschusses, beispielsweise zu Fragen der nachhaltigen Entwicklung oder aber zu energie- bzw. verkehrspolitischen Themen hat der EWSA die Kommission aufgefordert,

einerseits klare, d.h. quantifizierbare Ziele zu benennen, die die Politik erreichen will,

andererseits die Instrumente — auch und gerade jene mit fiskalischer Wirkung — deutlich zu benennen, mit denen die Ziele erreicht werden sollen. Die Kommission wurde beispielsweise mehrfach vom Ausschuss gebeten, darzulegen, wie sie die vielfach diskutierte Internalisierung der externen Kosten erreichen will.

3.28

Bislang hat die Kommission hier auch nicht den Hauch eines Hinweises gegeben. Von konkreten Zielen, wie z.B. dem „Faktor-10-Konzept“ (7) ist man ebenso abgerückt wie von der Beschreibung und Erörterung von Instrumenten.

3.29

Der EWSA hält es folglich für erforderlich, dass die Kommission klar herausstellt, mit welchen politisch steuernden Instrumenten und notwendigen Maßnahmen sie klar definierte Ziele erreichen will, wann immer sie von einer „Strategie“ spricht.

3.30

Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf seine im Mai 2006 verabschiedete Stellungnahme zur „Überprüfung der Strategie für nachhaltige Entwicklung — ein Aktionsprogramm“ (8), in der er dieses Problem ebenfalls anspricht.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2003) 572 endg. vom 1.10.2003.

(2)  ABl. C 117 vom 30.4.2004.

(3)  KOM(2005) 670 endg. vom 21.12.2005.

(4)  KOM(2005) 37 endg., vergleiche entsprechende Hinweise in der EWSA-Stellungnahme zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Überprüfung der Strategie für nachhaltige Entwicklung — Ein Aktionsprogramm“ (CESE 361/2006).

(5)  KOM(2005) 666 endg.

(6)  Was allerdings noch nicht dazu geführt hat, dass der bedrohte Kabeljau von den Speiseplänen der Kantinen der europäischen Institutionen verschwunden wäre.

(7)  Vgl. KOM(1999) 543 vom 24.11.1999, S. 16 Ziffer 4.4: Effiziente Nutzung und Bewirtschaftung von Ressourcen sowie Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission „Die Umwelt Europas: Orientierungen für die Zukunft — Gesamtbewertung des Programms der Europäischen Gemeinschaft für Umweltpolitik und Maßnahmen im Hinblick auf eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung — Für eine dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung“, ABl. Nr. C 204 vom 18.7.2000, S. 59-67.

(8)  KOM(2005) 658, NAT/304 — Entwurf einer Stellungnahme zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Überprüfung der Strategie für nachhaltige Entwicklung — Ein Aktionsprogramm“ (CESE 361/2006).


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/71


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Bekämpfung der San-José-Schildlaus“

KOM(2006) 123 endg. — 2006/0040 (CNS)

(2006/C 309/15)

Der Rat beschloss am 2. Mai 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 37 und 94 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 24. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr SIECKER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 166 gegen 2 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Mit dem vorliegenden Vorschlag soll die Richtlinie 69/466/EWG des Rates vom 8. Dezember 1969 zur Bekämpfung der San-José-Schildlaus kodifiziert werden. Die neue Richtlinie ersetzt die verschiedenen Rechtsakte, die Gegenstand der Kodifizierung sind. Der Vorschlag behält den materiellen Inhalt der kodifizierten Rechtsakte vollständig bei und beschränkt sich darauf, sie in einem Rechtsakt zu vereinen, wobei nur insoweit formale Änderungen vorgenommen werden, als diese aufgrund der Kodifizierung selbst erforderlich sind.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Ausschuss erachtet es für sehr hilfreich, sämtliche Texte in einer Richtlinie zusammenzufassen. Im Zusammenhang mit dem „Europa der Bürger“ ist es dem Ausschuss — wie auch der Kommission — ein wichtiges Anliegen, das Gemeinschaftsrecht zu vereinfachen und klarer zu gestalten, damit es für die Bürger besser verständlich und zugänglicher wird und sie die spezifischen Rechte, die es ihnen zuerkennt, besser in Anspruch nehmen können.

2.2

Es ist gewährleistet, dass diese kodifizierte Fassung keine materiellen Änderungen aufweist und lediglich dazu dienen soll, das Gemeinschaftsrecht klar und transparent zu machen. Der Ausschuss befürwortet diese Zielsetzung voll und ganz und unterstützt angesichts der genannten Gewährleistung den Vorschlag.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/72


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses über „Risiken und Probleme der Rohstoffversorgung der europäischen Industrie“

(2006/C 309/16)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juli 2005, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Risiken und Probleme der Rohstoffversorgung der europäischen Industrie“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 22. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr VOSS, Mitberichterstatter Herr GIBELLIERI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 157 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung und Empfehlungen

1.1

Die Empfehlungen sind als Leitlinien für politische Entscheidungen zur Umsetzung einer zukunftsfähigen Ressourcen-, Forschungs- Entwicklungs- und Außenpolitik sowohl auf EU-Ebene als auch auf einzelstaatlicher zu verstehen. Die Realisierung der Lissabon-Ziele, wonach die Europäische Union bis zum Ende des Jahrzehnts zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum entwickelt werden soll, erfordert eine innovative Industriepolitik, im Einklang mit sozialen und ökologischen Vorgaben, die die Bereitschaft für strukturelle Veränderungen bedingt. Der notwendige industrielle Wandel muss proaktiv und als integrative Strategie einer nachhaltigen Entwicklung gestaltet werden. Dies bedeutet sowohl den Wertschöpfungsprozess materialeffizienter zu gestalten und sparsam mit allen Ressourcen umzugehen als auch den schrittweisen Ersatz endlicher Ressourcen durch erneuerbare. Im Zuge beider Strategien entwickelt sich eine neue industrielle Perspektive, die auf technologischen Innovationen beruht. Hochwertige und sichere Arbeitsplätze in Industrie und industrienahen Dienstleistungen sind die Folge.

1.2

Die Sicherung der Rohstoffversorgung liegt in Marktwirtschaften vorrangig in der Verantwortung der Wirtschaft. Gleichwohl kommt der Politik die Aufgabe zu, Rahmenbedingungen für eine hohe Versorgungssicherheit mit zu gestalten und in den Politikfeldern der Industrie-, Forschungs-, Arbeitsmarkt- und Umweltpolitik auf eine nachhaltige Rohstoffversorgung hinzuwirken. Denn durch eine verstärkte Förderung neuer Technologien werden nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplatzsituation positiv beeinflusst, sondern auch die Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft wird gefördert.

1.3

Lebenszyklusanalysen, als Basis einer nachhaltigen Rohstoffpolitik, tragen dazu bei, dass mineralische und metallische Rohstoffe effizient gewonnen und mit geringem Umwelteinfluss verarbeitet werden, Recyclingprozesse weiterentwickelt werden und die Nutzung begrenzt verfügbarer und den Treibhauseffekt fördernder Rohstoffe — soweit technisch möglich — durch den verstärkten umweltschonenden Einsatz von kohlenstoffarmen, erneuerbaren und klimaneutralen Energieträgern schrittweise substituiert wird oder für ihren Verbrauch effiziente Technologien mit niedrigem Kohlenstoffausstoß eingesetzt werden. Dies ist vor allem durch eine zielgerichtete Politik der EU und der Regierungen der Mitgliedstaaten zu erreichen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass beide Strategien — Effizienzsteigerungs- und Substitutionsstrategie — die Chance bieten, die Importabhängigkeit bei der Rohstoffversorgung zu verringern.

1.4

Angesichts des signifikanten Wachstums des weltweiten Rohstoffverbrauchs können Engpässe bei der Rohstoffversorgung in Zukunft zumindest bei einzelnen Rohstoffen auftreten. Die Veränderungen auf dem Weltmarkt erfordern eine proaktive Politik der Wirtschaft der EU und deren Mitgliedstaaten. Zur Sicherung der Rohstoffversorgung, die vorrangig in der Verantwortung der Industrie liegt, können die Institutionen der EU durch eine aktive Handels-, Forschungs- und Außenpolitik und die Mitgliedstaaten durch ihre nationale Rohstoff- und Energiepolitik beitragen, um eine Verlagerung der Produktion ins Ausland zu verhindern. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss fordert die Mitgliedstaaten der EU auf, die Grundlinien einer europäischen Rohstoff- und Energiepolitik mit zu formulieren und ihre Verantwortung für eine nachhaltige Rohstoffpolitik in Europa wahrzunehmen.

1.5

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss vertritt die Auffassung, dass die EU in enger Kooperation mit den Mitgliedstaaten und allen Interessengruppen dafür Sorge tragen muss, dass die Rohstoffversorgung der europäischen Industrie nicht gefährdet wird und die Rohstoffe auf dem Weltmarkt zu angemessenen Preisen zur Verfügung stehen. Um diese Ziele zu erreichen, sollte die Europäische Union Maßnahmen ergreifen, um unfairen Wettbewerbspraktiken und protektionistischen Bestrebungen sowohl im Rahmen multilateraler Organisationen wie WTO, OECD und ILO als auch bilateral zu begegnen. Ein zentrales Instrument zur Durchsetzung der Ziele ist der intensive Dialog mit den politischen und industriellen Akteuren, die Einfluss auf die Rohstoffmärkte haben.

1.6

Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass die europäische Industrie alle Voraussetzungen dafür hat, sich den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen offensiv zu stellen, die durch die strukturellen Veränderungen im globalen Wettbewerb auftreten. Europa ist ein wettbewerbsfähiger Industriestandort und wird ein solcher bleiben und sich gleichzeitig zu einem nachhaltigen Wirtschaftsraum entwickeln, wenn eine ganzheitliche innovative Politik verfolgt wird, die auf wirtschaftliche Prosperität unter gleichgewichtiger Berücksichtigung sozialer und umweltrelevanter Effekte achtet.

1.7

Abschließend gilt es zu betonen, dass durch den hohen Industrialisierungsgrad Europas die Rohstoffversorgung für das Erreichen der Lissabon-Ziele eine bedeutende Rolle spielt. Die relativ hohe Abhängigkeit Europas von Importen fossiler, metallischer und mineralischer Rohstoffe birgt Risiken, die nicht nur in der Versorgungssicherheit, sondern auch in der Entwicklung der Rohstoffpreise angesichts des weltweiten Verbrauchs liegen. Vorsorge kann durch Wirtschaft und Politik dadurch getroffen werden, dass aktiv Maßnahmen zur Erhöhung der Ressourceneffizienz, der Förderung technologischer Innovationen im Rohstoff- und Recyclingbereich, der Substitution nicht erneuerbarer durch erneuerbare Rohstoffe und der Diversifikation des Rohstoffangebots bei Forcierung innereuropäischer Rohstoffquellen betrieben werden. Hinsichtlich der Kohle wird es auch darum gehen, ob eine klimaneutrale „Clean Coal“-Perspektive umgesetzt werden kann. Die reine Absicherung der Mengenverfügbarkeit zu konkurrenzfähigen Preisen hingegen würde zu kurz greifen. Bezüglich der externen Dimension muss es ein globales politisches Ziel sein, die zunehmende Nutzung fossiler Energieträger signifikant zu begrenzen. Die Rolle der Europäischen Union bei diesem Prozess wird in den nächsten Monaten festzulegen sein.

2.   Problembeschreibung

2.1

Rohstoffe stehen am Beginn einer verzweigten Wertschöpfungskette. Sie sind in Zeiten wachsender Globalisierung Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit und die Entwicklungs- und Wachstumsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft. Dies gilt für Energieträger und viele metallische, mineralische und biologische Rohstoffe, die für die Industrie unverzichtbare Primärinputs darstellen. Europa weist bei vielen Rohstoffen eine Importabhängigkeit auf, die bislang zu wenig beachtet wurde, aber bei steigenden Rohstoffpreisen bewusster wahrgenommen wird. Preisexplosionen bei fossilen Energieträgern und bei Koks und Stahl sind anschauliche Beispiele.

2.2

Oft bestehen nur vage Vorstellungen über die Wichtigkeit einzelner Rohstoffe. Dies mag daran liegen, da Rohstoffe bezogen auf den gesamten Faktoreinsatz nur eine untergeordnete Bedeutung haben, obwohl Rohstoffe im Unterschied zu anderen Produktionsfaktoren meist kurzfristig nicht substituierbar sind. Versorgungsdefizite oder gar Lieferausfälle führen daher oft zu entsprechenden Produktionskürzungen. Preisbewegungen auf den Rohstoffmärkten schlagen nahezu ungebremst auf die Kosten der nachgelagerten Produktionsbereiche durch und beeinflussen damit die gesamte Wirtschaft. Hierbei sind auch soziale Aspekte nicht zu vernachlässigen.

2.3

Durch das rasante Wachstum der Wirtschaft in anderen Regionen der Erde (China, Indien etc.) hat sich der Verbrauch an Energieträgern und Industrierohstoffen im letzten Jahrzehnt drastisch gesteigert.

2.4

Wichtig zu erwähnen ist auch die regionale Verteilung der Rohstoffe und die Diskrepanz zwischen Ort der Reserve und Verbrauchsort. Besonders Europa ist in diesem Zusammenhang eine Region, die bereits heute einen hohen Importbedarf an Rohstoffen und fossilen Energieträgern aufweist und dessen Importabhängigkeit in Zukunft noch weiter steigen wird.

2.5

Der Treibstoff der europäischen Wirtschaft ist die Energieversorgung. Wegen der Endlichkeit vieler Quellen, der dramatischen Preissteigerungen, des Einflusses kriegerischer oder politischer Ereignisse auf die Versorgungssicherheit und der im Weltzusammenhang oft unwirksamen nationalen „Energiepolitiken“ lebt Europa mit einem sehr hohen Versorgungsrisiko.

3.   Die weltweite Situation

3.1

Nachfolgend soll exemplarisch, obwohl das Gesagte für viele Rohstoffe zutrifft, vor allem die Situation bei den Energieträgern analysiert werden, weil hier kritische Entwicklungen sehr aktuell sind (Ölpreisschwankungen, Lieferstopp von russischem Erdgas), eine besonders gute Datenlage besteht und politische Maßnahmen bereits diskutiert werden.

3.2

Die Welt-Erdölförderung stieg 2004 auf 3.847 Megatonnen. Bis Ende 2004 wurden weltweit seit Beginn der industriellen Erdölförderung insgesamt ca. 139 Gigatonnen Erdöl gewonnen, die Hälfte davon innerhalb der letzten 22 Jahre. Damit sind bereits über 46 % der bisher nachgewiesenen Reserven an konventionellem Erdöl gefördert.

3.3

In diesem Zusammenhang muss die Rolle Chinas besonders erwähnt werden, da China in den letzten 20 Jahren vom Rohöl-Nettoexporteur zum Nettoimporteur wurde und in Zukunft bedingt durch das rasante Wirtschaftswachstum vermehrt auf die weltweit verfügbaren Ressourcen zugreifen wird.

3.4

Weiters haben noch andere Ereignisse wie der Irak-Krieg, die Wirbelstürme in Amerika, Investitionsstaus, die zu Engpässen bei den Förder- und Transportkapazitäten führten, streikbedingte zeitweilige Lieferausfälle sowie Spekulationen dazu beigetragen, dass sich die Preise für Erdöl und zeitverzögert für Erdgas deutlich erhöht haben. Trotzdem sind die realen — also die um die Inflationsrate bereinigten — Preise gegenwärtig noch immer niedriger als Anfang der achtziger Jahre.

3.5

Neben diesen Preisbewegungen ist natürlich auch die Frage der Verfügbarkeit von fossilen Energieträgern zu stellen. Ende 2004 betrug das Gesamtpotenzial an konventionellem Erdöl ca. 381 Gigatonnen. Regional entfallen auf die Länder des Nahen Ostens ca. 62 % der Weltreserven, ca. 13 % auf Amerika und knapp 10 % auf die GUS. Dabei ist zu beachten, dass in Nordamerika bereits fast zwei Drittel des erwarteten Gesamtpotenzials gefördert sind, während in der GUS dieser Anteil bei gut einem Drittel und im Nahen Osten nur bei einem knappen Viertel liegt.

3.6

Kaum anders sieht die Situation bei Erdgas aus. Das weltweite Gesamtpotenzial an konventionellem Erdgas beträgt etwa 461 Billionen Kubikmeter, was vom Energieinhalt her in etwa dem Gesamtpotenzial an Erdöl entspricht. Mehr als die Hälfte der Erdgasreserven ist in drei Ländern konzentriert (Russland, Iran und Katar). Als zusätzliche Erdgasressourcen werden ca. 207 Billionen Kubikmeter erwartet. Bis jetzt sind knapp 18 % der bisher nachgewiesenen Erdgasreserven gefördert. Der Erdgasverbrauch erreichte 2004 mit ca. 2,8 Billionen Kubikmeter einen historischen Höchstwert. Größte Erdgasverbraucher waren die USA, gefolgt von Russland, Deutschland, Großbritannien, Kanada, Iran und Italien.

3.7

Von Kohle sind noch die größten Reserven vorhanden. Gemessen am weltweiten Kohleverbrauch im Jahr 2004, reichen die Reserven an Steinkohle ab Anfang 2005 noch 172 Jahre, die an Braunkohle noch 218 Jahre. 2004 hatte Kohle einen Anteil von 27 % am weltweiten Primärenergieverbrauch. Nur der Verbrauch von Erdöl lag noch darüber. Dabei entfielen 24 % auf Steinkohle und 3 % auf Braunkohle. Bei der Stromerzeugung 2004 war Kohle mit einem Anteil von etwa 37 % der weltweit wichtigste Energierohstoff.

3.8

Die Verteilung der Steinkohlevorkommen ist ausgeglichener als bei Erdöl und Erdgas. Zwar verfügt auch hier Russland über einen erheblichen Teil der globalen Vorräte, gleichzeitig besitzen aber die mit Erdöl und Erdgas deutlich schlechter ausgestatteten Regionen Nordamerika, Asien, Australien und Südafrika bedeutende Steinkohlevorkommen. In der Spitze ist die Konzentration der weltweiten Kohlereserven allerdings beträchtlich. Fast drei Viertel der Reserven entfällt auf nur 4 Länder, nämlich die USA, Russland, China und Indien. Bei Kohle verfügt indessen auch die EU — anders als bei Öl und Gas — über beträchtliche Vorkommen. Wobei jedoch auf erhebliche Unterschiede bei den Qualitäten hinzuweisen ist. Bei Kokskohle, die nur aus wenigen Regionen geliefert wird und für die ein weltweit relativ gleichmäßiger Bedarf existiert, werden ca. 35 % der gesamten Produktion international gehandelt. Insgesamt werden derzeit jedoch nur 16 % der Weltkohleproduktion weltweit gehandelt. Beim Exportangebot ist die Länderkonzentration ebenfalls beträchtlich und auch die Unternehmenskonzentration nimmt immer mehr zu. Speziell das Exportangebot an Kokskohle stammt zu über 60 % nur aus Australien, beim Koks kommen 50 % aller Exporte allein aus China.

3.9

Die preisliche Entwicklung von Kohle erfolgte in den letzten Jahrzehnten vergleichbar mit Erdöl und Erdgas aber auf einem deutlich niedrigeren Niveau je Energieinhalt. Gerade unter dem Rohstoffgesichtspunkt darf nicht vernachlässigt werden, dass der Rohstoff Kohle nicht nur als Energieträger und unverzichtbares Reduktionsmittel für die Roheisenerzeugung genutzt werden kann, sondern sehr vielseitig für Treibstoffe, für diverse chemische Verwendungen oder in der Baustoffindustrie Einsatz finden kann. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass Kohle aus Umweltschutzgründen möglichst mit modernen, sauberen und effizienten Technologien genutzt wird, wozu auch wegen des sehr hohen Treibhausgasemissionsfaktors Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 zu zählen sind.

3.10

Um die Brisanz der Versorgungssicherheit noch zu verdeutlichen, sind die im November 2005 im World Energy Outlook der Internationalen Energieagentur (IEA) gemachten Aussagen des nach wie vor stark steigenden weltweiten Energieverbrauchs zu beachten. Bei unverändertem Verbraucherverhalten würde nämlich die weltweite Energienachfrage bis 2030 um mehr als die Hälfte auf 16,3 Milliarden Tonnen Öleinheiten steigen. Die Vorfälle zur Jahreswende 2006, als durch den Gaslieferstopp Russlands an die Ukraine auch verringerte Gaslieferungen nach Mittel- und Westeuropa kamen, mag ein erster Hinweis auf mögliche zukünftige Versorgungsszenarien sein, wenn in Europa die Energieimportabhängigkeit noch weiter zunehmen wird. Weshalb auch die Umsetzung der beiden Grünbücher der Kommission „Versorgungssicherheit“ und „Energieeffizienz“ sowie eine breite und konstruktive Debatte über das neue Grünbuch für eine europäische Energiestrategie als ein vorrangiges Ziel anzusehen ist.

3.11

In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass diese IEA-Vorausschätzung dem Klimaschutz entgegen läuft. Statt der aus Klimaschutzgründen notwendigen Reduktion der Treibhausgasemissionen würde die IEA-Projektion bis zum Jahr 2030 eine Steigerung der CO2-Emissionen um nicht weniger als 52 % bedeuten. Es muss daher eine globale politische Aufgabe sein, die zunehmende Nutzung fossiler Energieträger und den daraus resultierenden Kohlenstoffausstoß signifikant zu begrenzen. Die Rolle der Europäischen Union in diesem Prozess wird in den nächsten Monaten zu etablieren sein.

3.12

Als mögliche Lösung des Treibhausproblems wird von verschiedensten Seiten die Kernenergie genannt. Neben der Risikofrage ist auch die Versorgungssicherheit zu hinterfragen. Die Reserven an Uran sind weltweit auf wenige Länder verteilt. Die wichtigsten Förderregionen für Uran liegen heute in Australien, Nordamerika, in einigen afrikanischen Staaten sowie den GUS-Staaten. Spekulative Vorkommen werden darüber hinaus für China und die Mongolei erwartet. Ein Ausbau der friedlich genutzten Atomenergie besonders in China könnte innerhalb von 30 Jahren zu einem Engpass an Uran führen.

3.13

Rund 12 % des Erdöls werden für die Erzeugung von petrochemischen Produkten verwendet. Eine wichtige petrochemische Produktgruppe stellen Kunststoffe dar. Im Jahr 2004 wurden weltweit 224 Mio. Tonnen Kunststoff produziert. Davon kamen 23,6 % aus Westeuropa. Nach aktuellen Prognosen wird der Kunststoff-Verbrauch weltweit weiter steigen: Bis 2010 rechnet man mit einer Steigerung des Pro-Kopf-Verbrauchs um jährlich 4,5 %. Wichtigste Wachstumsmärkte sind Osteuropa und Südostasien.

3.14

Neben den fossilen Energieträgern stellen für die europäische Wirtschaft auch Erze wichtige Rohstoffe dar. Besonders herauszuheben dabei ist Eisenerz. Im Jahr 2004 wurden weltweit über eine Milliarde Tonnen Stahl erzeugt. Im Vergleich zu anderen Werkstoffen wird deutlich mehr Stahl erzeugt. Auf Erz bezogen zeigt sich, dass im Jahr 2004 1,25 Mrd. Tonnen Eisenerz verbraucht wurde, wogegen die nächstgrößeren Erzverbrauchsmengen mit 146 Mio. Tonnen Bauxit, 15,5 Mio. Tonnen Chromerz, 9 Mio. Tonnen Zinkerz und 8,2 Mio. Manganerz um ein bzw. zwei Zehnerpotenzen geringer waren.

3.15

Die als wirtschaftlich gewinnbar eingestuften Eisenerz-Reserven wurden 2005 von der US-amerikanischen Geologischen Gesellschaft auf eine Eisenmenge von ca. 80 Mrd. Tonnen geschätzt, dem mehr als Hundertfachen des aktuellen Bedarfs. Bezieht man die heute als nicht wirtschaftlich eingestuften Reserven ein, so erhöht sich das Gesamtvolumen der Reserven jedoch auf ca. 180 Mrd. Tonnen Eisen. Trotz dieser großen Reserven wird davon ausgegangen, dass Eisenerz auch in Zukunft auf hohem Preisniveau gehandelt werden wird. Ein Grund hierfür liegt sicherlich darin, dass drei große Firmen (CVRD, BHP and Rio Tinto) mit einem Marktanteil von gut 75 % des weltweit produzierten Eisenerzes den Markt beherrschen. Weiters ist auch mit Engpässen im Seetransport zu rechnen, was zu erhöhten Transportkosten und somit zu höheren Erzeinstandspreisen für die europäische Stahlindustrie führt.

3.16

Bei der Sicherstellung der europäischen Eisen- und Stahlproduktion ist auch die Verfügbarkeit von Koks und Kokskohle zu berücksichtigen. Der Export von Kokskohle aus den USA wird abnehmen, was die Marktstellung von Kanada und Australien ausweiten wird. Um jedoch eine weltweite Versorgung sicherzustellen, bedarf es eines kontinuierlichen Ausbaus der Kapazitäten in diesen Ländern. China wird bedingt durch den Ausbau von Kokereien verstärkt als Lieferant von Koks auftreten, obwohl es auch in anderen Ländern zum Aufbau neuer Kokereikapazitäten für den Heimmarkt kommt.

3.17

Schrott ist für die Stahlproduktion ein ebenfalls wichtiger Rohstoff. Der weltweite Handel mit Schrott hat sich in den letzten Jahren deutlich vergrößert. Durch die lange Haltbarkeit der Stahlprodukte kann aber der Schrottbedarf mit dem Angebot nicht mithalten, wodurch der bereits heute stark angespannte Schrottmarkt noch deutlich zunehmen wird. Es wird davon ausgegangen, dass sich trotz der Tatsache, dass in den letzten Monaten eine Entspannung festgestellt werden konnte, die Preise für Schrott, welche sich zwischen 2002 und 2004 um einen Faktor 3 vergrößert haben, längerfristig wieder erhöhen werden.

3.18

Andere metallische Rohstoffe, wie Mangan, Chrom, Nickel, Kupfer, Titan und Vanadium sind wichtige Legierungsmaterialien, die die Eigenschaften des Grundmaterials stark beeinflussen. Diese Metalle müssen ebenso wie Palladium, ein wichtiger Rohstoff für den High-Tech-Bereich, nach Europa importiert werden.

3.19

Für die dargestellten Rohstoffe aber auch für viele andere gilt, dass derzeit die Rohstoffe in ausreichender Menge verfügbar sind, die gegenwärtig beobachtbaren Preissteigerungen daher keine mittelfristige Erschöpfung der Ressourcen signalisieren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Angebots- und Nachfrageverschiebungen ausgeschlossen und Preisbewegungen zufällig sind. Denn kurzfristig ist das Angebot an Rohstoffen wegen der langen Realisierungszeiten kapitalintensiver Explorationsprojekte wenig flexibel. In Situationen hoher Rohstoffnachfrage sind Verknappungen und Preissteigerungen daher durchaus möglich. Ähnliches gilt auch für Transportkapazitäten, die ebenfalls die Verfügbarkeit von (Import)rohstoffen limitieren. Global ausreichende Reserven und Ressourcen begrenzen zwar die Risiken von mengenmäßigen Versorgungsstörungen, bieten jedoch keinen Schutz vor kurz- und mittelfristig spürbaren Preissteigerungen. Politische Interventionen sowie Mono- oder Oligopolverhalten marktmächtiger Unternehmen dürfen für eine umfassende Beurteilung von Liefer- und Preisrisiken auf den internationalen Rohstoffmärkten nicht außer Acht gelassen werden.

3.20

Dies gilt umso mehr, da sich ein großer Teil der Förderung nicht nur wichtiger Energieträger, sondern auch metallischer Rohstoffe auf bestimmte Regionen der Erde und Unternehmen konzentriert und diese Konzentration seit Anfang der neunziger Jahre zumindest für metallische Rohstoffe deutlich zugenommen hat. So konnte Chile seinen Anteil an der Kupfererzproduktion im Vergleich zu 1990 fast verdreifachen und Bauxit wird zu fast 40 % in Australien gefördert. Auch Brasilien konnte seine Bedeutung als Bauxit-Lieferant erheblich steigern, sodass es inzwischen zum zweitgrößten Bauxitförderland aufgestiegen ist und damit die wichtige Stellung Südamerikas bei der Förderung von Metallerzen unterstreicht. Dies gilt auch für Eisenerze, die zu ca. 30 % in Brasilien gefördert werden. Nur Schweden weist als einziger EU-Mitgliedstaat eine nennenswerte Förderung von Eisenerzen auf, die jedoch lediglich einen Anteil an der gesamten Weltproduktion von ca. 1,6 % ausmacht.

4.   Die Europäische Industrie

4.1

Die Industrie ist durch ihren Beitrag zur Beschäftigung und Wertschöpfung nach wie vor von großer Bedeutung für die Wirtschaft in der EU. Sie ist das wichtigste Glied in der Wertschöpfungskette bei der Erstellung von Sachgütern. Ohne die Präsenz von industriell gefertigten Gütern ergeben viele Dienstleistungen keinen Sinn. Die industrielle Produktion wird deshalb ihren Stellenwert als Quelle des Wohlstands nicht verlieren. Eine gesicherte Rohstoffversorgung für die Industrie ist daher unumgänglich. Bei fossilen und vielen metallischen Rohstoffen gibt es eine Ungleichverteilung zwischen Vorkommen und Verbrauch. Dies kann durch Oligopolstrukturen bei den Lieferländern zu Marktverzerrungen auch in Europa führen. Um die zukünftige Importabhängigkeit Europas zu reduzieren, müssen, wie im Grünbuch Versorgungssicherheit für Energie gefordert, entsprechende Maßnahmen für alle Rohstoffe gesetzt werden.

4.2

Statistiken zeigen, dass es innerhalb der europäischen Industriebetriebe deutliche Unterschiede sowohl in der Rohstoff- als auch in der Energieeffizienz gibt. Daher kann gesagt werden, dass europaweit Einsparungspotenziale vorhanden sind, die vorrangig realisiert werden sollten, um die Gesamtabhängigkeit zu reduzieren und die Entwicklungstätigkeit zu verstärken.

4.3

Eine Branche sieht trotz der Importabhängigkeit ihrer Rohstoffe die Zukunft positiv. Die europäische Stahlindustrie ist am Weltmarkt konkurrenzfähig, da sie den Strukturwandel bereits bewältigt und hieraus die richtigen Lehren gezogen hat. Durch diesen Konsolidierungsprozess wurde eine Struktur erreicht, die es den Unternehmen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ermöglicht, angemessene Gewinne zu realisieren. Der notwendige Strukturwandel steht anderen Ländern wie China und Indien noch bevor.

4.4

Gerade in der EU verfügt die Stahlindustrie über intakte, leistungsfähige Wertschöpfungsketten, in denen Stahl eine zentrale Rolle spielt. Hinzu kommen Vorteile im Bereich der Infrastruktur und der Logistik. Auf einem relativ engen Raum mit guter verkehrstechnischer Anbindung an das internationale Schienen-, Wasser- und Straßennetz treffen auf dem europäischen Stahlmarkt Anbieter und Kunden zusammen, was entsprechende Wettbewerbsvorteile ergibt.

4.5

Darüber hinaus haben die europäischen Stahlunternehmen umfangreiche Anstrengungen unternommen und große Summen in Umweltschutz und Energieeffizienz investiert. Sie haben nach den USA die höchste Recyclingrate, setzen viel Schrott bei der Produktion ein und sparen somit Ressourcen. Auch der Reduktionsmittelverbrauch im Hochofen ist deutlich niedriger als in vielen außereuropäischen Ländern.

4.6

Trotz dieser positiven Stimmung in der europäischen Stahlindustrie soll jedoch bedacht werden, dass bedingt durch die Importabhängigkeit der Rohstoffe sowie die hohen Energiepreise und verstärkten Umweltschutzmaßnahmen besonders der Bereich der Flüssigphase mittelfristig nicht mehr in Europa realisiert, sondern in Regionen verlegt werden könnte, die eine sichere Rohstoffversorgung und günstige Energiepreise anbieten können. Da dies nicht nur bei Eisen, sondern auch bei Aluminium und anderen Metallen festzustellen ist, kann es in Europa zu deutlichen Arbeitsplatzverlusten kommen, die nur durch Forschung und Entwicklung in den Bereichen Ressourcen- und Energieeffizienz sowie durch innovative Produktentwicklungen und industrielle Dienstleistungen kompensiert werden können. Eine Verlagerung der Flüssigphase in Ländern mit geringeren Umweltstandards und niedrigeren Energiepreisen trägt nämlich weltweit nicht zu einer „Nachhaltigen Entwicklung“ bei, sondern verschlechtert nur die europäische Position.

5.   Alternative Rohstoffszenarien sowie technologische Trends

5.1

Wenn die Weltwirtschaft wie bisher in erster Linie durch die Nutzung fossiler Rohstoffe wächst, dann ist davon auszugehen, dass vor einem Versiegen der Rohstoffquellen verstärkte Klimaschutzprobleme durch erhöhten Ausstoß von Treibhausgasen zu erwarten sind. So rechnet die IEA in ihrer Studie „Welt-Energie-Ausblick 2006“ bis 2030 mit einer Steigerung der weltweiten CO2-Emissionen um mehr als 52 % gegenüber 2004. Dem gegenüber stehen Schätzungen, dass die CO2-Emissionen der Industrieländer weltweit um 80 % bis 2050 reduziert werden müssen, um die Klimaänderungen dauerhaft in einem für Mensch und Umwelt verträglichen Maß halten zu können. Technologien, die einen deutlich geringeren Ausstoß an Treibhausgasen ermöglichen, sind also gefragt.

5.2

Oft wird als erste Option zur Verringerung von Treibhausgasen der verstärkte Einsatz von erneuerbarer Energie angesehen. Die EU ist in diesem Zusammenhang Vorreiter, wenn sie im Weißbuch Erneuerbare Energie (1) für das Jahr 2010 einen Anteil von 12 % der Primärenergie aus erneuerbaren Energieträgern zum Ziel erklärt. Um jedoch dieses Ziel zu erreichen, bedarf es nicht nur neuer Anlagen in den Bereichen Biomasse, Wind- und Solarenergie. Es muss vor allem auch darum gehen, das bisherige Wachstum des Energieverbrauchs deutlich zu verringern. Einsparpotenziale sind auf allen Ebenen der Wertschöpfung und des Verbrauchs sowie der Entsorgung zu nutzen. Die gezielte Förderung des technischen Fortschritts bietet so die Chance, dass in Zukunft weniger Treibhausgase emittiert werden, und erhöht auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie.

5.3

Die Europäische Umweltagentur kommt im Jahr 2005 zum Ergebnis, dass im Jahr 2030 zwischen 230 und 300 Mtoe/Jahr (dies entspricht 9,6 bzw. 12,6 x 1019 Joule) Biomasse ohne negative Beeinflussung der Umwelt und einer weitgehenden Selbstversorgung der EU mit agrarischen Produkten zur Verfügung gestellt werden kann. Dies wären ca. 20 % des derzeitigen Primärenergieeinsatzes in der EU-25. Dabei würden pro Jahr 100 Mtoe aus Abfällen, 40 bis 60 Mtoe aus forstlichen Produkten sowie 90 bis 140 Mtoe aus landwirtschaftlichen Produkten gewonnen werden. Neben der Energiegewinnung aus biogenen Rohstoffen könnten auch eine breite Palette an Produkten, die derzeit aus Preisgründen nur ein Nischendasein führen, erzeugt werden. Intelligente Rohstoff- und Verarbeitungskombinationen und neue Verwertungsstrategien könnten z.B. Biokunststoffe bereits bald konkurrenzfähig machen.

5.4

Eine steigende Nutzung nachwachsender Rohstoffe ist weltweit erforderlich. Bisher wurden in der Forschungs- und Technologieförderung die regenerativen Energie- und Rohstoffträger zu wenig berücksichtigt. Unter den gegenwärtigen Preis-Kostenverhältnissen muss über verschiedene Markteinführungsmaßnahmen eine breitere Markt- und Technikentwicklung abgesichert werden.

5.5

Beim Potenzial der landwirtschaftlichen Biomasse ist zu berücksichtigen, dass sich die verfügbare Ackerfläche pro Kopf der Erdbevölkerung dramatisch entwickelt. Heute steht für den Anbau von Getreide etwa genau so viel Fläche zur Verfügung wie 1970 — doch damals gab es knapp drei Milliarden Menschen weniger, was bedeutet, dass 1970 weltweit rund 0,18 ha Ackerfläche pro Kopf bebaut wurden, heute sind es noch knapp 0,11 ha. Der Trend wird verstärkt, denn durch Erosion, Versalzung oder Austrocknung gehen jährlich rund 7 Mio. ha landwirtschaftlicher Nutzfläche verloren und mehr als ein Viertel aller genutzten Böden gelten als gefährdet.

5.6

Nach Schätzungen der FAO werden die Entwicklungsländer in den kommenden 20 Jahren ihre Getreideeinfuhren verdoppeln müssen. Deshalb wird Getreide künftig knapp und teurer werden. Daher wird der Futterbedarf der Nutztiere sowie die Nachfrage nach erneuerbaren Rohstoffen in der ersten Welt verstärkt in Konkurrenz zum Nahrungsbedarf der Entwicklungsländer treten. Der Futterbedarf der Nutztiere könnte durch Reduktion des hohen Fleischkonsums verringert werden, was zu einer größeren Verfügbarkeit an Nahrungskalorien führen würde, da bei der Verfütterung ca. 90 % des Energieinhaltes verloren geht. Es wird also insbesondere darum gehen, eine bessere Nutzung der lignuzellulosehaltigen Pflanzen- und Pflanzenbestandteile sowie Beiprodukte (Holz, Stroh, Gräser um klassische zu nennen) zu forcieren. Wegen des hohen Entwicklungs- und Forschungsbedarfs der hier ansteht ist auch im Forschungsrahmenprogramm der EU ein Paradigmenwechsel hin zu einer erneuerbaren Energie- und Rohstoffbasis und Effizienz dringend erforderlich.

5.7

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die Umstellung auf erneuerbare Energieträger und Industrierohstoffe nur ein Teil der Problembewältigung sein kann. Es wird darauf ankommen, dass Technologien zum Einsatz kommen, die deutlich weniger Energie und Rohstoffe als heute verwenden, um die vergleichbare Dienstleistung zu erbringen. So konnte in der Stahlindustrie in den letzten vier Jahrzehnten der Energieverbrauch sowie der CO2-Ausstoß um rd. 50 % reduziert werden. Um weitere Einsparpotenziale zu ermöglichen, plant das von der europäischen Stahlindustrie gemeinsam mit Forschungsorganisationen initiierte Konsortium ULCOS (Ultra Low CO2 Steelmaking) eine deutliche Reduktion der Emissionen und damit einen Durchbruch in Richtung eines energieeffizienteren Stahlerzeugungsprozesses. Bereits heute ermöglicht ein in den 80er Jahren entwickeltes Reduktionsverfahren geringere Ansprüche an die Kohlequalität und eine Verringerung der CO2-Emissionen um bis zu 30 % gegenüber dem Hochofenprozess.

5.8

Effizienzsteigerung ist die Erfolg versprechende Strategie zur Kostensenkung, zum Ressourcenschutz und zur Arbeitsplatzsicherung. Denn im verarbeitenden Gewerbe stellen die Materialkosten mit durchschnittlich 40 % der Gesamtkosten den größten Kostenfaktor dar. Der effiziente Einsatz von Rohstoffen trägt bei gleicher Wirtschaftsleistung sowohl zur Kostensenkung als auch durch geringeren Ressourcenverbrauch zur Umweltentlastung bei. Unternehmen können durch staatliche Initiativen und Programme, die Anreize zur Effizienzverbesserung bieten, wie beispielsweise Forschungsprojekte und Wettbewerbe, dazu animiert werden, dieses Potenzial zu nutzen. Gerade in kleinen und mittleren Unternehmen ist das Bewusstsein über mögliche Effizienz- und Einsparpotenziale beim Materialeinsatz zu wecken und zwar über die Förderung geeigneter Managementmethoden wie EMAS und ISO 14001.

5.9

Die Nutzung der in der Europäischen Union verfügbaren Rohstoffvorkommen, insbesondere der Kohlevorkommen, muss auf hohem technischen Niveau erfolgen. Ein weiterer Ausbau der Kapazitäten kann auch aus Gründen des Klimaschutzes nur dann befürwortet werden, wenn dabei auch die Perspektive „Clean Coal“ realisiert wird.

5.10

Technologische Innovationen bei der Entwicklung neuer Werkstoffe mit verbesserten Eigenschaften in Produktion, Verarbeitung und Nutzung sowie steigende Recyclingquoten bieten einen weiteren Ausweg aus der Abhängigkeit bei der Einfuhr von Rohstoffen. In diesem Bereich sind substanzielle Erhöhungen der Rohstoffeffizienz mit innovativen Produktentwicklungen zu kombinieren. Diese Perspektive führt zu Veränderungen der Marktnachfrage bei verschiedenen Rohstoffen. Damit kann ein durch Forschungsinitiativen induziertes industrielles Wachstumspotenzial entstehen, das sowohl industrie- als auch beschäftigungs- und umweltpolitische Vorteile gegenüber herkömmlichen Verfahren bietet.

5.11

Neben direkter Einsparung in der Industrie soll jedoch bedacht werden, dass große Einsparpotenziale in den Bereichen Haushalt und Verkehr bestehen. Niedrig- und Passivenergiehäuser ermöglichen große Einsparungen von Primärenergie sowohl beim Heizen als auch beim Kühlen. Kombiniert mit effizienten Bereitstellungstechnologien wie Brennwertkessel oder Wärmepumpen können dabei Potenziale von bis zu 90 % gegenüber dem derzeitigen Durchschnitt erreicht werden. Auch im Individualverkehr sind Einsparungen durch Optimierung der Antriebstechnologien sowie des Benutzerverhaltens um einen Faktor 4 keine Illusion.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Mitteilung der Kommission — Energie für die Zukunft: erneuerbare Energieträger — Weißbuch für eine Gemeinschaftsstrategie und Aktionsplan.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/78


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische System Integrierter Sozialschutzstatistiken (ESSOSS)“

KOM(2006) 11 endg. — 2006/0004 (COD)

(2006/C 309/17)

Der Rat beschloss am 10. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Aufgaben beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Juni 2006 an. Berichterstatterin war Frau SCIBERRAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 162 Ja-Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

Der EWSA weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie die soziale Dimension der Lissabon-Strategie stärken wollen, dem Ziel, den Sozialschutz zu modernisieren und zu verbessern, mithilfe der neuen Rahmenregelung ein größeres politisches Gewicht einräumen müssen. Die soziale Dimension ist ein wesentliches Element, wenn es darum geht, die durch die Globalisierung und die alternde Bevölkerung entstehenden Herausforderungen zu meistern. Die einzelnen Zielsetzungen der Lissabon-Strategie, insbesondere nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum, mehr und bessere Arbeitsplätze und engerer sozialer Zusammenhalt müssen sowohl unterstützt als auch langfristig gefördert werden (1).

1.2

Der Ausschuss ist überzeugt, dass das Europäische System Integrierter Sozialschutzstatistiken (ESSOSS) wichtig ist, um der offenen Koordinierungsmethode im Bereich der sozialen Eingliederung und der Renten gerecht zu werden.

1.3

Es ist ein analytischer Ansatz notwendig, der sich auf zuverlässige und vergleichbare Indikatoren stützt. Dies ist maßgeblich, um den bei der Verwirklichung der Ziele erreichten Fortschritt oder den mangelnden Fortschritt zuverlässig darstellen zu können. Der Ausschuss ist überzeugt, dass zusätzlich zu der statistischen Straffung qualitative Indikatoren entwickelt werden müssen.

1.4

Für den einen oder anderen Mitgliedstaat kann es schwierig sein, die Erhebung der notwendigen Statistiken zu finanzieren. Folglich muss die Kapazität der Mitgliedstaaten zur Informationserfassung berücksichtigt werden. Außerdem sollten die Kosten, die im Zusammenhang mit einem solchen nicht finanzierten Auftrag auf jeden Mitgliedstaat zukommen, und seien sie noch so gering, im voraus abgeschätzt werden. Der Ausschuss nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, dass die Kommission finanzielle Unterstützung für die Mitgliedstaaten zum Ausbau der bestehenden Systeme vorsieht.

1.5

Ebenso ist es von Bedeutung, dass auf der Grundlage der menschlichen Bedürfnisse qualitative Kriterien, wie z.B. Zugänglichkeit des Sozialschutzes, Qualität und Einbeziehung der Nutzer, bei der Wahl der Indikatoren berücksichtigt werden (2).

1.6

Genaue statistische Erhebungen sind auch für die Regierungen der Mitgliedstaaten von Bedeutung, damit diese die gegenwärtigen Systeme der sozialen Sicherheit an die Bedürfnisse der jeweiligen Gesellschaft anpassen und auf die Bedürfnisse derjenigen Teile der Gesellschaft eingehen können, die von den gegenwärtigen Sozialschutzsystemen nicht erfasst werden.

1.7

Solche Erhebungen helfen auch bei der Erarbeitung gezielter Programme für die schutzbedürftigen und ausgegrenzten sozialen Gruppen, insbesondere zur Beseitigung der Kinderarmut, und bei der Sensibilisierung für solche Programme.

1.8

Die politische Zusammenarbeit im Bereich Sozialschutz ist in den letzten Jahren in allen Mitgliedstaaten einen riesigen Schritt vorangekommen. Das Ziel der vorgeschlagenen Aktion, die Sozialschutzstatistiken der Gemeinschaft zu harmonisieren, kann nur von der Gemeinschaft erreicht werden, nicht jedoch von den Mitgliedstaaten allein.

1.9

Die Ergebnisse der Lissabon-Strategie können anhand der Indikatoren und der Evaluierung der Wirtschaftsleistung sowie des Beschäftigungs- und Wachstumsprogramms beurteilt werden. Diese Indikatoren müssen mit jenen des Sozialschutzes verbunden werden. So können die Ergebnisse der gesamten Lissabon-Strategie am besten bewertet werden.

2.   Einleitung

2.1

Um die Ziele der Lissabon-Strategie zu erreichen, muss die Dimension des Sozialschutzes analysiert werden, und die verschiedenen Zielsetzungen und Elemente dieser Dimension müssen sichtbar und vergleichbar gemacht werden. Der neue Rahmen der Kommission für die offene Koordinierung im Bereich des Sozialschutzes ist in diesem Prozess ein Instrument für die Mitgliedstaaten und die EU. Nach Ansicht des Ausschusses in seiner Stellungnahme zur Strategie für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik (3) müssen für dieses Instrument geeignete Indikatoren geschaffen werden.

2.2

Die Sozialschutzsysteme haben sich in allen Mitgliedsländern entsprechend den historischen und sonstigen spezifischen Gegebenheiten herausgebildet, wodurch in den einzelnen Ländern verschiedene Systeme entstanden sind.

2.3

Unter Sozialschutz versteht man alle Maßnahmen öffentlicher oder privater Stellen, um die durch eine genau festgelegte Zahl von Risiken oder Bedürfnissen entstehenden Belastungen privater Haushalte und Einzelpersonen zu decken (4).

2.4

Der Sozialschutz hat sich seit Beginn der neunziger Jahre beträchtlich weiterentwickelt; damals war Verwirrung entstanden aufgrund des Erscheinens zweier Empfehlungen des Rates, von denen die erste (92/442) auf die Harmonisierung der Ziele und der Politik im Bereich des Sozialschutzes gerichtet war und die zweite (92/441) auf die Festlegung gemeinsamer Kriterien zur Bereitstellung ausreichender Mittel in den Systemen aller EU-Mitgliedsländer abzielte (5).

2.5

Weitere Mitteilungen zum Sozialschutz führten dazu, das Thema auf die Europäische Agenda zu setzen, und „trugen positiv zu einer gemeinsamen Vorstellung über den sozialen Schutz in Europa bei“ (de la Porte 1999 a) (6).

2.6

Daraus ergab sich dann die Notwendigkeit eines effektiven Benchmarking, das auf Zusammenarbeit (bereits im Gange) und Koordinierung vor allem durch Meinungsaustausch und Empfehlungen bewährter Verfahrensweisen gestützt ist.

2.7

Das sensibelste Thema blieb die Festlegung gemeinsam vereinbarter Indikatoren. Die bestehenden Systeme vergleichbarer Statistiken mussten überarbeitet werden. Merkmale, Ursachen und Entwicklung sozialer Ausgrenzung waren zu analysieren, und die Qualität der Daten bedurfte einer Verbesserung.

2.8

Die Ergebnisse der Lissabon-Strategie können anhand der Indikatoren und der Evaluierung der Wirtschaftsleistung sowie des Beschäftigungs- und Wachstumsprogramms beurteilt werden. Diese Indikatoren müssen mit jenen des Sozialschutzes verbunden werden. So können die Ergebnisse der gesamten Lissabon-Strategie am besten bewertet werden.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

3.1

Die Sozialschutzsysteme haben in der EU ein hohes Entwicklungsniveau. Für die Organisation und Finanzierung dieser Systeme sind die Mitgliedstaaten zuständig.

3.2

Die EU muss bei der Sicherung des Sozialschutzes sowohl für Bürger in jedem einzelnen Mitgliedstaat als auch für Bürger, die aufgrund der EU-Regelungen von ihrem Recht auf allgemeine Freizügigkeit Gebrauch machen, eine spezifische Rolle wahrnehmen, indem sie einzelstaatliche Sozialschutzsysteme koordiniert.

3.3

Deshalb ist es dringend notwendig, gemeinsame Indikatoren zu vereinbaren, was wiederum die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Weiterentwicklung eines Schlüsselinstruments wie ESSOSS erfordert. Durch einen Rechtsrahmen für ESSOSS wird, wie es in dem Kommissionsvorschlag heißt, „der Nutzen der bestehenden Datenerhebung in Bezug auf Aktualität, Erfassungsbereich und Vergleichbarkeit verbessert.“

3.4

Der Europäische Rat vom Oktober 2003 (7) vereinbarte im Zusammenhang mit der Straffung der offenen Koordinierungsmethode, dass ein jährlicher Gemeinsamer Bericht über soziale Eingliederung und Sozialschutz das Herzstück der Berichterstattung bilden solle (8).

3.5

Die Mitteilung der Kommission „Ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union“ verdeutlicht die Notwendigkeit, einen neuen Rahmen festzulegen, der die offene Koordinierungsmethode zu einem wirkungsvolleren und eine stärkere Außenwirkung entfaltenden Prozess macht (9).

3.6

Der Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Europäische System Integrierter Sozialschutzstatistiken (ESSOSS) unterstreicht die Bedeutung der sozialen Dimension als eine der Säulen der Lissabon-Strategie.

3.7

Ziel der Verordnung ist es, einen Rahmen für die Datenerfassung über den von den Mitgliedstaaten gewährten Sozialschutz zu schaffen, bei der gegenwärtig in jedem Staat noch unterschiedliche Methoden und Definitionen angewendet werden, wodurch ein Vergleich der Daten nicht möglich ist. Diese fehlende Vergleichbarkeit schmälert den Nutzen solcher Daten für die Analyse der Sozialschutzsysteme in der Europäischen Union.

3.8

Die Ziele des Kommissionsvorschlags können besser erreicht werden, wenn die diesbezüglichen Statistiken und Analysen EU-weit auf der Grundlage einer harmonisierten Datenerhebung in den einzelnen Mitgliedstaaten erstellt bzw. durchgeführt werden.

3.9

Der Ausschuss stimmt der Auffassung zu, dass ein Rechtsrahmen für ESSOSS zum Erreichen der in der Lissabon-Strategie dargelegten Ziele wie Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und soziale Eingliederung und folglich zur Verbesserung der Sozialschutzsysteme in den einzelnen Mitgliedstaaten beitragen wird.

3.10

Die offene Koordinierungsmethode, durch die die Durchführung der Arbeiten an der Sozialschutzkomponente erleichtert wird (10), setzt auch die Notwendigkeit verlässlicher und vergleichbarer Statistiken im Bereich der Sozialpolitik voraus.

3.11

Der Vorschlag der Kommission für die Verordnung enthält folgende wesentliche Elemente:

das ESSOSS-Kernsystem, das die Finanzströme im Bereich der Einnahmen und Ausgaben des Sozialschutzes abdeckt;

die Erweiterung des Kernsystems durch die Module über die Rentenempfänger und die Nettosozialdienstleistungen.

4.   Die Methodik von ESSOSS

4.1

Die Ende der 70er Jahre entwickelte Methodik von ESSOSS war eine Reaktion auf die Notwendigkeit der Schaffung eines speziellen Instruments zur statistischen Überwachung des Sozialschutzes in den Mitgliedstaaten der EU (11).

4.2

Das ESSOSS-Handbuch von 1996 enthält ein äußerst detailliertes System zur Klassifizierung sozialer Leistungen.

4.3

Die überarbeitete Methodik in dem ESSOSS-Handbuch erhöht die Flexibilität — ein Merkmal, das die von Eurostat erstellten Statistiken bis zu einem gewissen Grade vermissen lassen.

4.4

Eine Möglichkeit der Erhöhung der Flexibilität ist der Übergang zu einem Kernsystem und zu Modulen (12).

4.5

Das Kernsystem entspricht den jährlich von Eurostat veröffentlichten Standardinformationen zum Bereich Einnahmen und Ausgaben für Sozialschutz.

4.6

Die Module decken zusätzliche statistische Informationen über bestimmte Aspekte des Sozialschutzes ab. Die von den Modulen abzudeckenden Themen werden durch die Anforderungen der Kommission und der einzelnen Mitgliedstaaten bestimmt (13).

4.7

Obwohl mit den Zielsetzungen von ESSOSS eine umfassende Beschreibung des Sozialschutzes in den Mitgliedstaaten geliefert wird, umfasst die Methodik von ESSOSS keine Statistiken zu solch wichtigen Themen wie Gesundheitswesen, Wohnen, Armut, soziale Ausgrenzung und Einwanderung. Diesbezüglich gibt es umfangreiche statistische Erhebungen von Eurostat und einen umfassenden Informationsaustausch zum Sozialschutz unter den Mitgliedstaaten auf der Grundlage von MISSOC (14). Ein Rechtsrahmen für ESSOSS würde jedoch eine noch umfassendere und realistischere Beschreibung des Sozialschutzes in den Mitgliedstaaten gewährleisten.

5.   Tendenzen im Bereich des Sozialschutzes

5.1   Wohnungswesen

5.1.1

Die Erschwinglichkeit von Wohneigentum und Mietwohnraum ist ein Bereich, in dem Bewertungen durchgeführt werden müssen. Es sind umfangreiche Erhebungen zur wahren Erschwinglichkeit von Wohneigentum und Mietwohnraum erforderlich.

5.1.2

Durch solche Themen wird die Bedeutung der Erhebung sozialer und wirtschaftlicher Statistiken in den Mitgliedstaaten für das Wohl der Bürgerinnen und Bürger hervorgehoben. Nachhaltigkeitsindikatoren sollten regelmäßig ausgewertet werden, da sie als Warnung dienen.

5.2   Renten

5.2.1

In diesem Bereich werden in vielen EU-Ländern Statistiken geführt.

5.2.2

Die Feststellung der voraussichtlichen demografischen Veränderungen wird jedoch dadurch erschwert, dass die Einwanderungszahlen schwer zu schätzen sind. Es könnte von Bedeutung sein, die voraussichtliche Einwanderungszahl und die wahrscheinliche Auswirkung auf die staatlichen Rentensysteme einzubeziehen. Je genauer die Daten bezüglich der Zuwanderungsströme sind, desto besser können die Statistiken zu angemessenen Entscheidungen führen.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Stellungnahme des EWSA vom 20.4.2006 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Zusammenarbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union“, Berichterstatter: Herr OLSSON. (ABl. C 185 vom 8.8.2006).

(2)  Siehe Fußnote 1.

(3)  Stellungnahme des EWSA vom 20.4.2006 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Zusammenarbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union“, Berichterstatter: Herr OLSSON. (ABl. C 185 vom 8.8.2006).

(4)  Social Benchmarking policy making, Caroline de la Porte.

(5)  Definition aus dem ESSOSS-Handbuch (1996).

(6)  Social Benchmarking policy making, Caroline de la Porte.

(7)  Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Brüssel vom 16. und 17. Oktober 2003.

(8)  KOM(2006) 11 endg. — 2006/0004 (COD).

(9)  KOM(2005) 706 endg.

(10)  KOM(2003) 261 endg.

(11)  KOM(2003) 261 endg.

(12)  ESSOSS-Handbuch 1996.

(13)  ESSOSS-Handbuch 1996.

(14)  MISSOC-Handbuch 2004.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/81


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialauschusses zum Thema „Die Beziehungen zwischen der EU und der Andengemeinschaft“

(2006/C 309/18)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juli 2005, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Die Beziehungen zwischen der EU und der Andengemeinschaft“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 1. Juni 2006 an. Berichterstatter war Herr MORENO PRECIADO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 156 gegen 2 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1.   Einleitung

1.1

In der Abschlusserklärung des Dritten Treffens der organisierten Zivilgesellschaft EU-Lateinamerika/Karibik wurde der Aufbau einer echten Partnerschaft auf der Grundlage eines Geflechts von Abkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und den verschiedenen Instanzen der Region befürwortet und die Aufnahme von Verhandlungen mit der Andengemeinschaft (CAN) gefordert (1).

1.2

In der vom dritten Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU und der Länder Lateinamerikas und der Karibik (2) angenommenen Erklärung von Guadalajara wurde der Abschluss eines Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Andengemeinschaft (entsprechend den bereits mit Mexiko und Chile bestehenden Abkommen und dem Abkommen, über das derzeit mit dem MERCOSUR verhandelt wird), das die Schaffung einer Freihandelszone einschließt, zum gemeinsamen strategischen Ziel erklärt.

1.3

Darüber hinaus wurde auf dem Gipfeltreffen EU-Lateinamerika/Karibik beschlossen, im Rahmen einer gemeinsamen Bewertung den Stand der wirtschaftlichen Integration der Andengemeinschaft einzuschätzen. Diese Bewertung begann im Januar 2005.

1.4

Bis jetzt haben die EU-Mitgliedstaaten das Wirtschafts- und Handelspotenzial der Andengemeinschaft nicht genutzt, und obwohl die EU nach den USA der zweitgrößte Handelspartner ist, fallen die Zahlen zum Warenaustausch eher bescheiden aus. Die Bemühungen der Andengemeinschaft um eine Vertiefung der Integration wirken sich (trotz der in diesem Dokument aufgezeigten Schwierigkeiten und Beschränkungen) vorteilhaft auf die Aussichten eines Assoziierungsabkommens aus. Wie dies schon in anderen Bereichen zu beobachten war, könnte ein solches Abkommen erheblich zur Steigerung des Handelsaustauschs zwischen der EU und der Andengemeinschaft beitragen.

1.5

Darüber hinaus unterhält der EWSA im Rahmen seiner Beziehungen zur Zivilgesellschaft in den Andenstaaten regelmäßige Kontakte zu den zwei Gremien, die die gesellschaftlichen Akteure der gesamten Region vertreten: dem Beratenden Arbeitnehmerrat der Andenstaaten (CCLA) und dem Beratenden Arbeitgeberrat der Andenstaaten (CCEA).

1.6

Der EWSA veranstaltete am 6./7. Februar 2006 in Lima in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretariat der CAN eine Anhörung, an der der Beratende Arbeitgeberrat und der Beratende Arbeitnehmerrat sowie andere Andenvereinigungen der Zivilgesellschaft teilnahmen. Ihre wertvollen Beiträge wurden in dieses Dokument eingearbeitet. Die Teilnehmer befürworteten die Aufnahme von Verhandlungen mit der EU, mahnten jedoch auch, dass bei der Assoziierung mit der EU den Asymmetrien zwischen beiden Regionen Rechnung getragen und Entwicklungsmodelle vermieden werden sollten, die Abhängigkeiten schaffen. Außerdem sollte die soziale Verschuldung der Region abgebaut sowie ein effektiver sozialer Zusammenhalt gefördert werden.

1.7

Mit dieser Stellungnahme soll den Behörden der Standpunkt der organisierten Zivilgesellschaft zu den Beziehungen zur Andengemeinschaft übermittelt werden, so wie er in der Abschlusserklärung des Vierten Treffens der Zivilgesellschaft EU-Lateinamerika/Karibik im April 2006 in Wien (darin wurde bekräftigt, dass die Europäische Union unbedingt einen Beitrag zur Stärkung der Integrationsprozesse in Lateinamerika leisten müsse) und in den Empfehlungen des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der EU und Lateinamerikas und der Karibik im Mai 2006 in Bezug auf ein mögliches Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Andengemeinschaft dargelegt ist, die in der Schlusserklärung festgehalten sind:

„Eingedenk des in der Erklärung von Guadalajara vereinbarten gemeinsamen strategischen Ziels begrüßen wir den Beschluss der Europäischen Union und der Andengemeinschaft, im Jahr 2006 einen Prozess einzuleiten, der zur Aushandlung eines Assoziierungsabkommens führen soll, das einen politischen Dialog, Kooperationsprogramme und ein Handelsabkommen umfasst.“

2.   Die Lage in den fünf Andenländern

2.1

Es ist nicht leicht, in so knapper Form die Lage von fünf Ländern darzustellen, die sich, obwohl sie in derselben geografischen Region — dem Andenraum — gelegen sind, in ihrem wirtschaftlichen Niveau, ihren demografischen Gegebenheiten, ihrem politischen Kurs usw. sehr stark voneinander unterscheiden. Daher enthält dieses Dokument lediglich Angaben zu einigen der derzeit bemerkenswertesten Aspekte in Bezug auf jedes der Länder.

2.2

Bolivien ist das ärmste der fünf Andenländer und zählt zu den am wenigsten entwickelten Ländern Lateinamerikas. Dies ist teilweise auf den fehlenden Zugang zum Meer zurückzuführen, aber es gibt noch weitere Faktoren, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, etwa die geringe Einwohnerzahl — die durch Abwanderung immer weiter absinkt -, der Mangel an geeignetem Land für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft, die historische Abhängigkeit von einigen wenigen natürlichen Ressourcen, die Ausgrenzung der indigenen Völker, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sowie zunehmende Spannungen zwischen dem traditionellen politischen Machtzentrum auf dem Altiplano und den aufstrebenden Wirtschaftsgebieten in den östlichen Ebenen. Zwar ist es dem Land gelungen, in einem demokratischen Rahmen zu Lösungen zu finden, doch wirkte sich die lang andauernde Unsicherheit nachteilig auf seine wirtschaftliche Entwicklung aus. Die neue Regierung, die im Januar 2006 die Amtsgeschäfte aufnahm, nimmt tiefgreifende Reformen in Angriff, mit denen unter Gewährleistung der Rechtssicherheit für Investitionen, der Einhaltung der internationalen Verpflichtungen und der bilateralen Abkommen, die abgeschlossen wurden, eine Entwicklungsperspektive eröffnet werden soll.

2.3

Die Lage in Ecuador bietet in vielerlei Hinsicht ein ähnliches Bild wie die in Bolivien — mit einem indigenen Bevölkerungsanteil und erheblichen politischen und kulturellen Unterschieden zwischen der Küstenebene und der Hochebene. Obwohl das Land in den letzten Jahren weniger stark unter dem offenen sozialen Konflikt gelitten hat, war die politische Instabilität sogar noch größer. 49 % (3) der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Die Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte haben in Verbindung mit der „Dollarisierung“ der Wirtschaft zu einem hohen Armutsindex sowie zur Abwanderung von 10 % der Erwerbsbevölkerung beigetragen. Die Rücküberweisungen von Emigranten beliefen sich 2004 auf 1.740 Mio. Dollar und waren somit die zweitgrößte Einnahmequelle nach dem Erdöl.

2.4

In Peru verlief die Entwicklung anders, weil das Land in den Achtzigern und Anfang der 1990er-Jahre erst eine Phase des Terrorismus durchgemacht hat und anschließend unter der Präsidentschaft von Fujimori eine autoritäre und korrupte Regierung hatte. Trotz der hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten gelang es der derzeitigen Regierung nicht, einen soliden Weg der politischen und sozialen Reformen einzuschlagen, und sie hat kaum Rückhalt bei der Bevölkerung. Was die CAN betrifft, so meldete Peru zu verschiedenen Aspekten der subregionalen Integration Vorbehalte an, obwohl das Generalsekretariat der CAN seinen Sitz in Lima hat.

2.5

Die Entwicklungen in Venezuela (4) werden in der gesamten Region und auch in anderen Teilen der Welt verfolgt, da es in den letzten Jahren aufgrund der erbitterten Rivalität zwischen den Anhängern und den Gegnern des Präsidenten Chávez zu erheblichen politischen und sozialen Spannungen kam. Die venezolanische Wirtschaft hängt in zunehmendem Maße von den Erdölexporten ab. Der hohe internationale Erdölpreis gestattet es der Regierung, eine aktive internationale Politik zu betreiben und über umfangreiche Finanzmittel zur Umsetzung innenpolitischer Maßnahmen zu verfügen.

2.6

Obwohl Kolumbien in hohem Maße unter politischer und sozialer Gewalt leidet — zu der noch der Drogenhandel erschwerend hinzukommen -, konnte das Land seinen demokratischen institutionellen Rahmen aufrechterhalten, was in Lateinamerika eher die Ausnahme darstellt. Neben diesen politischen Bemühungen ist auch der wirtschaftliche Fortschritt beachtlich. Aber trotz des relativen Rückgangs der Gewalt in Kolumbien werden nach wie vor Gewerkschafter, Journalisten, Unternehmer und Mitglieder anderer Menschenrechtsorganisationen ermordet und entführt.

3.   Die Integration der Andenländer

3.1   Institutionelle Entwicklung

3.1.1

Die Andengemeinschaft ist das älteste Integrationssystem in Südamerika. Mit der Unterzeichnung des Abkommens von Cartagena riefen ihre Gründerstaaten — Bolivien, Kolumbien, Chile, Ecuador und Peru — 1969 den so genannten Andenpakt ins Leben. Drei Jahre später schloss sich Venezuela dem Pakt an, während Chile 1976 austrat. In den fünf derzeitigen Mitgliedstaaten (Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela) leben insgesamt 120 Mio. Einwohner; das Gesamt-BIP liegt bei etwa 265.000 Mio. Dollar. Das Binnenmarktvolumen beträgt insgesamt etwa 8,6 Milliarden Dollar.

3.1.2

Diese Integrationsgruppe hat sich im Laufe ihrer 35-jährigen Geschichte von einem protektionistisch ausgerichteten System (der Importsubstituierung), wie es in den 1960er- und 1970er-Jahren sehr verbreitet war, zu einem auf „offenen Regionalismus“ ausgerichteten System entwickelt. Darüber hinaus hat sie mehrere institutionelle Reformen mit dem Ziel durchlaufen, die Integration mehr und mehr zu vertiefen, die 1997 in der Gründung der Andengemeinschaft gipfelte. Daher verfügt die CAN über eine hoch entwickelte institutionelle Struktur und recht umfassende Gemeinschaftsregelungen.

3.1.3

Das mit dem Protokoll von Trujillo 1996 geschaffene System der Andenintegration (Sistema Andino de Integración — SAI) (5) zielt auf eine Koordinierung zwischen den Organen ab, um die Andenintegration zu vertiefen und zu stärken. Das System besteht aus zwischenstaatlichen und gemeinschaftlichen Institutionen mit Exekutiv-, Legislativ-, Rechtsprechungs-, Beratungs- und Kontrollaufgaben.

3.1.4

Die zwei wichtigsten Entscheidungsorgane des Systems, der Außenministerrat und die Kommission der Andengemeinschaft, haben zwischenstaatlichen Charakter. Der Kommission der Andengemeinschaft obliegt die legislative Tätigkeit in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Investitionen. Der Außenministerrat der Andengemeinschaft befasst sich mit all den Angelegenheiten, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Kommission fallen, insbesondere mit politischen, sozialen, ökologischen und migrationspolitischen Themen und Fragen der Freizügigkeit sowie mit der Koordinierung des außenpolitischen Handelns der verschiedenen Gemeinschaftsorgane.

3.1.5

Das höchste politische Organ des SAI ist der Rat der Präsidenten der Andenländer, der aus den Staatschefs der Mitgliedstaaten besteht. Er gibt mit seinen Erklärungen und Leitlinien den anderen Organen und Institutionen des SAI die Richtung vor. Der Vorsitz des Rates der Präsidenten der Andenländer wechselt jeweils in der Jahresmitte in alphabetischer Reihenfolge; von der Rotation sind auch die anderen zwischenstaatlichen Institutionen betroffen.

3.1.6

Eine herausragende Rolle unter den Gemeinschaftsorganen und -institutionen des SAI spielt das Generalsekretariat der Andengemeinschaft (Secretaría General de la Comunidad Andina — SG-CAN) mit Sitz in Lima (Peru) (6). Das SG-CAN bietet den zwischenstaatlichen Institutionen fachliche Unterstützung. Es verfügt in einigen spezifischen Bereichen über legislative Befugnisse (Verabschiedung von Entschließungen), ein Initiativrecht sowie weitere spezifische Befugnisse.

3.1.7

Auch der Gerichtshof der Andengemeinschaft und das Andenparlament sind Gemeinschaftsorgane. Der Beratende Arbeitgeberrat sowie der Beratende Arbeitnehmerrat, die Andine Finanzkorporation (Corporación Andina de Fomento — CAF) und der Lateinamerikanische Reservefonds (Fondo Latinoamericano de Reservas — FLAR), die Konvention Simón Rodríguez und die Konvention Hipólito Unanue sowie die Universidad Andina Simón Bolívar gelten als anerkannte ergänzende Institutionen.

3.2   Der derzeitige Stand der Andenintegration

3.2.1

Bei der Bewertung der Andenintegration sollten zwei Fakten berücksichtigt werden. Einerseits ist die CAN, obwohl sie seit mehr als drei Jahrzehnten funktioniert, nach wie vor ein System, das aus fünf Entwicklungsländern besteht (mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von 2.364 EUR gegenüber 20.420 EUR in der derzeitigen, aus 25 Mitgliedstaaten bestehenden EU), mit allem, was dies im Hinblick auf das institutionelle Gefüge und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bedeutet.

3.2.2

Während aufgrund der bisher geschilderten Situation bei den normalerweise für die Integration charakteristischen Aspekten — d.h. in allen mit dem Aufbau eines gemeinsamen Marktes zusammenhängenden Bereichen -, in der CAN kaum Fortschritte erzielt wurden, konnte andererseits in anderen Bereichen ein recht hoher Entwicklungsstand erreicht werden. Sah man sich bei dem Bestreben, bei der Handelsintegration Fortschritte zu erzielen, mit Schwierigkeiten konfrontiert, so wurden andere Dimensionen der CAN — die kulturelle, die soziale, die finanzielle Dimension usw. — gestärkt.

3.2.3

Um zu verstehen, wie die CAN in der Praxis funktioniert, muss man im Regelfall die wirtschaftliche Integration als Ausgangspunkt ansetzen. Hierzu lässt sich sagen, dass die Entwicklung der CAN unregelmäßig verlaufen ist. Erst 1993 gelang es, eine Freihandelszone einzurichten, der Peru jedoch zunächst nicht beitrat. Die geplante Einführung eines gemeinsamen Außenzolls (Arancel Externo Común — AEC) für alle Mitgliedstaaten ist bis jetzt noch nicht gelungen, obwohl bei der Harmonisierung des Handels Fortschritte erzielt wurden. In diesem Zusammenhang und im Interesse eines größtmöglichen Nutzens für beide Seiten ist es im Rahmen des künftigen Assoziierungsabkommens EU-CAN ganz wichtig, dass die CAN-Länder eine echte Zollunion entwickeln.

3.2.4

Aufgrund der begrenzten Fortschritte in der Regelungsstruktur verharrte der innergemeinschaftliche Handel auf niedrigem Niveau, wobei von Jahr zu Jahr starke Schwankungen zu verzeichnen waren. In den 1990er-Jahren wurde im Handel zwischen den Mitgliedstaaten der Andengemeinschaft ein erheblicher Anstieg verzeichnet. Der Anteil am gesamten Handelsaufkommen erhöhte sich von 4,1 % im Jahr 1990 auf 14,2 % im Jahr 1998 (7). Allerdings ist auch der letztgenannte Stand niedrig im Vergleich zum Handelsaufkommen innerhalb der Gruppe in den 1970er-Jahren, und er liegt unter dem lateinamerikanischen Durchschnitt (20,2 %). Darüber hinaus ist der Handel innerhalb der CAN seit 1998 rückläufig (10,4 % im Jahr 2004), obgleich 2005 ein Anstieg einsetzte.

3.2.5

Der Binnenhandel der Andengemeinschaft war geringer als der Handel mit den Vereinigten Staaten (46,6 % des gesamten Handelsaufkommens im Jahr 2004) und lag etwa auf dem gleichen Niveau wie der Handel mit der Europäischen Union (11,0 % im Jahr 2004). Bei drei der fünf derzeitigen Mitgliedstaaten der CAN machen die Ausfuhren in den subregionalen Markt weniger als 12 % der Ausfuhren insgesamt aus.

3.2.6

Bei der Integration sind einige Fortschritte erzielt worden, obwohl es zahlreiche Schwierigkeiten gab, die teilweise auf mangelnden politischen Willen, zweifellos aber auch auf andere Gründe wie die Struktur der Märkte, die unterschiedlichen Wirtschaftsmodelle, den unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand, die geografische Lage, die den innergemeinschaftlichen Handel erschwert, sowie innenpolitische Probleme zurückzuführen sind. Es ist jedoch hervorzuheben, dass die CAN ihren Integrationskurs über mehr als drei Jahrzehnte beibehalten konnte. Der Mangel an modernen Kommunikations- und Verkehrsinfrastrukturen zwischen den fünf Andenländern stellt eines der größten Hindernisse für die Verwirklichung eines innergemeinschaftlichen Marktes und die Entwicklung der CAN im Allgemeinen dar.

3.2.7

Ferner sei auf darauf hingewiesen, dass die Andenländer der CAN der praktischen Koordinierung ihrer Außenbeziehungen nur begrenzt zugeneigt sind. So haben sich Bolivien und Venezuela dem Mercosur angenähert, während Peru und Kolumbien Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten unterzeichnet haben.

3.2.8

Diese unterschiedlichen Entwicklungen wurden verschärft durch den am 22. April 2006 angekündigten Austritt Venezuelas aus der Andengemeinschaft. Dies alles und die Unterzeichnung der NAFTA-Verträge hat die CAN in eine tiefe politische Krise gestürzt, die im Rahmen eines außerordentlichen Gipfeltreffens genauer zu analysieren ist.

3.3   Herausforderungen des sozialen Zusammenhalts

3.3.1

Wie jedoch bereits dargelegt, beschränkt sich die CAN nicht auf die handelspolitische Integration. Von Anfang an gab es weitergehende Bestrebungen, die politische und die soziale Dimension in den Prozess der Andenintegration einzubeziehen. Dieser Wunsch ist der jüngsten Geschichte des Kampfes für Demokratie in einigen Ländern der Subregion geschuldet, aber auch der Notwendigkeit, dass sich die Andenregion auf der lateinamerikanischen Bühne und über diese hinaus mehr Gehör verschaffen muss. Dies entspricht auch der wirtschaftlichen und sozialen Realität der Region.

3.3.2

Die Daten über den mangelnden sozialen Zusammenhalt sind bedrückend: 50 % der Andenbevölkerung — das sind etwa 60 Mio. Menschen — leben unterhalb der Armutsgrenze. Die fünf Länder der CAN zählen zu den Ländern, in denen die Ungleichheit (gemessen am Gini-Index) weltweit am größten ist, und das betrifft nicht nur das Einkommen, sondern auch andere Formen der Ausgrenzung wegen ethnischer Zugehörigkeit, Rasse, Herkunftsort usw.

3.3.3

In diesem Zusammenhang sind die hohen Zahlen bei der informellen Beschäftigung, der Einwanderung aus anderen Ländern der Gemeinschaft und aus Drittländern (bei der ein hoher Frauenanteil zu verzeichnen ist) und andere Phänomene wie die Ausgrenzung der indigenen Bevölkerung, die in dieser Region die Mehrheit (Bolivien) oder sehr große Minderheiten (Ecuador und Peru) stellt, hervorzuheben. Darüber hinaus trägt die Tatsache, dass in dieser Region der größte Teil des weltweit konsumierten Kokains produziert wird, zu Schattenwirtschaft und zu einem hohen Verschleppungs-, Gewalt- und Korruptionsaufkommen bei, was im Fall von Kolumbien zu einem lang andauernden bewaffneten Konflikt geführt hat.

3.3.4

Angesichts dieser Situation kann die Liberalisierung des Handels nicht das einzige Instrument zur Förderung des Zusammenhalts zwischen den Andenländern sein. Daher wird im Rahmen der neuen strategischen Leitlinien („Nuevo Diseño Estratégico“) unter Leitung des Generalsekretariats der CAN (8) dem Zollabbau ein geringerer Stellenwert eingeräumt, dafür aber anderen Anliegen wie zum Beispiel der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, dem geistigen Eigentum, der Beseitigung nichttarifärer Hemmnisse, der Infrastruktur, dem freien Personenverkehr, der Energieversorgung, dem Umweltschutz und der Sicherheit größere Bedeutung beigemessen.

3.3.5

Zu den Schwerpunkten dieses neuen, auf die Integration im Interesse der Entwicklung und der Globalisierung ausgerichteten strategischen Kurses zählt die soziale Entwicklung. Daher ist eine der herausragendsten Initiativen, die in letzter Zeit in der Andengemeinschaft auf den Weg gebracht wurden, der im September 2004 angenommene integrierte Plan zur sozialen Entwicklung (Plan Integrado de Desarrollo Social — (PIDS) (9), der auf die Bekämpfung von Armut, Ausgrenzung und sozialer Ungleichheit in der Region abzielt. Mittelfristig könnte der PIDS die Grundlage für eine globale Strategie des sozialen (und wirtschaftlichen) Zusammenhalts sein. Für die CAN ist die Methode der offenen Koordinierung, die die EU auf sozialem Gebiet anwendet, von Interesse. Auch die Idee eines Sozialfonds, den gemeinschaftlichen Strukturfonds vergleichbar, findet Anklang. Damit ist die CAN die erste Subregion, die Aspekte des europäischen Sozialmodells zu übernehmen beabsichtigt.

3.3.6

Jedenfalls ist die soziale Dimension ein Thema, das seit 1999 (10), immer häufiger in politischen Erklärungen und Beschlüssen der Andengemeinschaft auftaucht, und in den letzten fünf Jahren wurden erstmals auch konkrete Initiativen auf den Weg gebracht.

3.3.7

Im Rahmen des Dialogs der Präsidenten der Andenstaaten über Integration, Entwicklung und sozialen Zusammenhalt wurde anerkannt, dass die Volkswirtschaften der Andenstaaten im Zuge ihrer Internationalisierung einen Prozess der Diversifizierung der Produktion sowie der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in Gang setzen müssen, der Mikrounternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen einschließt, die kooperative Arbeit und die Gemeinwesenarbeit fördert und mit Hilfe von Raumentwicklungskonzepten geeignete Bedingungen für die lokale Entwicklung und die Regionalisierung schafft.

3.3.8

Gemäß dem Generalsekretariat der CAN lauten die großen Ziele für die Andengemeinschaft Globalisierung und Integration, Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit sowie soziale Integration und sozialer Zusammenhalt bei gleichzeitiger Stärkung der demokratischen Politikgestaltung. Die noch ausstehende Sozialagenda erstreckt sich auf all diese Themen und wird tragfähig sein, sofern sie bei den Verhandlungen mit Dritten über die Liberalisierung des Handels als Priorität des Andenblocks aufrechterhalten wird, vor allem bei Verhandlungen, bei denen definitionsgemäß die Gefahr besteht, dass es zu größeren Asymmetrien in der Region und innerhalb der Gesellschaften der Andenstaaten kommt, die durch die Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit oder des Geschlechts gekennzeichnet sind.

4.   Die Beteiligung der Zivilgesellschaft im institutionellen Rahmen der Andenstaaten

4.1   Der Beratende Arbeitnehmerrat und der Beratende Arbeitgeberrat der Andenstaaten

4.1.1

Der Prozess der Andenintegration dauert zwar schon mehrere Jahrzehnte an, aber erst in der letzten Etappe der CAN wurden mit der Bildung des Beratenden Arbeitnehmerrats und des Beratenden Arbeitgeberrats der Andenstaaten die Organe der formellen Beteiligung der Zivilgesellschaft gestärkt. Bis dahin waren die Unternehmer und die Gewerkschaften als Akteure der Andenintegration kaum in das Geschehen auf regionaler Ebene eingebunden. Allerdings waren sie über die einzelstaatlichen Regierungen an der Andenintegration beteiligt.

4.1.2

Der Beratende Arbeitnehmerrat der Andenstaaten (CCLA) wurde durch den Beschluss 441 (11) eingesetzt und besteht aus jeweils vier Vertretern aus jedem Andenland. Diese Vertreter und ihre Stellvertreter werden unter den höchsten Leitungsmitgliedern der für jedes Land benannten repräsentativen Arbeitnehmerorganisationen gewählt. Im CCLA sind die repräsentativsten Gewerkschaftszentralen und -verbände der einzelnen Andenländer vertreten. Derzeit gibt es in den fünf Ländern 16 Gewerkschaftszentralen (12).

4.1.3

Der Beratende Arbeitgeberrat der Andenstaaten (CCEA) wurde durch den Beschluss 442 eingesetzt und wird von den in der Andenregion tätigen Arbeitgeberverbänden gebildet. Er besteht aus jeweils vier Vertretern, die unter den höchsten Leitungsmitgliedern der repräsentativen Arbeitgeberorganisationen jedes einzelnen Andenlandes gewählt werden.

4.1.4

Die Aufgaben der zwei beratenden Gremien wurden durch den Beschluss 464 (13) neu festgelegt, in dem es heißt, dass sie gegenüber dem Rat der Außenminister der Andenstaaten (Consejo Andino de Ministros de Relaciones Exteriores — CAMRE), der Kommission oder dem Generalsekretariat Stellungnahmen abgeben und an den Tagungen des CAMRE und der Kommission sowie an den Treffen von Regierungssachverständigen oder Arbeitsgruppen, die mit dem Prozess der Andenintegration zusammenhängen, mit Stimmrecht teilnehmen können.

4.1.5

Der CCLA hat bisher zahlreiche Stellungnahmen erarbeitet, einige davon im Zusammenhang mit der Sozialagenda und der außenpolitischen Agenda der CAN, von denen insbesondere die kürzlich abgegebene Stellungnahme Nr. 27 (14) über die „Folgemaßnahmen nach der Unterzeichnung eines eventuellen Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Andengemeinschaft“ hervorzuheben ist, in der der CCLA betont, dass er die Erwartungen mit Blick auf die Fortschritte bei einem politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bündnis mit der EU teilt.

4.1.6

Der CCEA hob seinerseits in einer seiner Erklärungen (15) hervor, dass das Thema der Assoziierung mit der EU von grundlegender Bedeutung ist, und empfahl eine sehr gut konzipierte Öffentlichkeitsarbeit in Bezug auf die Verhandlungen mit der EU, um diese nicht zu beeinträchtigen.

4.1.7

Sowohl der CCLA als auch der CCEA haben die Notwendigkeit anerkannt, die Koordinierung mit anderen Akteuren der Zivilgesellschaft in der Andenregion einerseits und mit dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss andererseits zu vertiefen, um gemeinsame Positionen abzustimmen und Initiativen zur Gewährleistung grundlegender Arbeitsstandards in allen Abkommen zwischen der EU und der CAN auf den Weg zu bringen.

4.2   Weitere Partizipationsinstrumente

4.2.1

Abgesehen von den erwähnten Foren zur institutionellen Vertretung der Zivilgesellschaft verfügt die CAN über andere sozialpolitische Partizipationsmechanismen wie etwa die Konvention Simón Rodríguez (1973), die ein aus drei Parteien (Arbeitsministern, Arbeitgebern und Arbeitnehmern) bestehendes Diskussions-, Beteiligungs- und Koordinierungsforum für die Erörterung von Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik auf regionaler Ebene ist. Sie ist eines der so genannten Sozialabkommen (16).

4.2.2

Die Konvention Simón Rodríguez war ein erstes Instrument der Andenintegration im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, das die Aspekte der arbeits- und sozialpolitischen Entwicklung unmittelbar umfasste. Obwohl die Konvention nicht ohne Erfolge blieb und Gegenstand beständigen Interesses aller Gruppen war, die sich für Fortschritte in diesen Bereichen einsetzten, ist letztendlich festzustellen, dass der Verlauf des Integrationsprozesses durch widrige Umstände vor allem institutioneller Art stark beeinträchtigt wurde und die Umsetzung der Konvention 1983 zum Stillstand kam.

4.2.3

Ihre derzeitige Form erhielt die Konvention im Ersatzprotokoll zur Konvention Simón Rodríguez, das am 24. Juni 2001 vom Rat der Präsidenten der Andenländer unterzeichnet wurde. Die Konvention hat folgende Ziele:

a)

Vorschläge für Initiativen im Zusammenhang mit arbeits- und sozialpolitischen Themen, die einen wirksamen Beitrag zur Entwicklung der Sozialagenda der Subregion darstellen und zur Tätigkeit der übrigen Organe des Systems der Andenintegration (SAI) beitragen, und Diskussion darüber.

b)

Festlegung und Koordinierung von Gemeinschaftspolitiken in den Bereichen Beschäftigungsförderung, allgemeine und berufliche Bildung, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, soziale Sicherheit, Arbeitsmigration sowie zu anderen von den Andenländern festzulegenden Themen.

c)

Vorschläge für und Konzipierung von Maßnahmen zur Kooperation und Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Arbeits- und Sozialpolitik im Andenraum.

4.3   Die Rolle der NRO und der zivilgesellschaftlichen Organisationen

4.3.1

Die andine Dimension spielt auch bei den sozialen Entwicklungen auf nationaler und globaler Ebene eine Rolle, die abgesehen von den Realitäten der Arbeitswelt noch weitere Formen der gesellschaftlichen Interessenvertretung im Zusammenhang mit konkreten Themen wie Menschenrechte, Rechte der Urbevölkerungen, Rechte der Frau, Kultur, Umweltschutz, Verbraucher, landwirtschaftliche Familienbetriebe und Kleinbauern usw. hervorgebracht haben.

4.3.2

Die Interessen bestimmter Gruppen werden in zahlreichen Interessensvertretungsorganisationen vertreten, die bei der regionalen Integration schon sehr engagiert sind und mit Blick auf die künftige Assoziierung EU-CAN noch an Bedeutung gewinnen.

4.3.3

Darüber hinaus sei auf die Bedeutung anderer Formen von Organisationen der Zivilgesellschaft hingewiesen, seien es Verbände oder Bewegungen wie die der indigenen Völker und Nichtregierungsorganisationen (NRO), Plattformen und Netzwerke von NRO, Koalitionen oder Aktionsplattformen, Forschungszentren, Universitäten usw.

4.3.4

Die soziale Dynamik der Bewegungen und der so genannten „nicht organisierten“ Zivilgesellschaft ist in der Andenregion sehr stark, beschränkt sich jedoch in Bezug auf Organisation und Maßnahmen oftmals auf die nationale Dimension oder findet keinen Zugang zum offiziellen System der Andenintegration und keine Möglichkeit, sich im Rahmen dieses Systems zu beteiligen. Daher hat das Generalsekretariat der Andengemeinschaft die bevorstehende Schaffung eines subregionalen Netzwerks akademischer Einrichtungen und NRO angekündigt.

4.3.5

Um die Einbeziehung dieser anderen Akteure in die formelle Dynamik des Prozesses der Andenintegration zu erleichtern, hat die CAN mehrere Arbeitsgruppen gebildet, so zum Beispiel die Arbeitsgruppe zur Frage der Rechte der indigenen Völker, die im Rahmen des SAI als beratendes Gremium fungiert (17) und die aktive Beteiligung der indigenen Völker an Angelegenheiten im Zusammenhang mit der subregionalen Integration im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Bereich fördern soll. Die Themen, mit denen sich diese Arbeitsgruppe befasst, betreffen so heikle Aspekte wie den Grundbesitz der Gemeinschaft und der indigenen Völker, bäuerliche Erzeugung und bäuerliche Gemeinschaften, wirtschaftliche Entwicklung, soziale Gerechtigkeit und politische Beteiligung, kulturelle Identität und Institutionalisierung usw.

4.3.6

Darüber hinaus wurde die Arbeitsgruppe der Andengemeinschaft für die Rechte der Verbraucher (18) geschaffen, die im Rahmen des Systems der Andenintegration als beratendes Gremium fungiert und die aktive Beteiligung der für die Wahrung der Rechte der Verbraucher in den Mitgliedstaaten der CAN zuständigen öffentlichen und privaten Einrichtungen an den Prozessen der sozialen Konzertierung und der Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit der regionalen Integration in ihrem jeweiligen Interessenbereich fördern soll.

4.3.7

Für die Arbeit dieser beratenden Gremien (19) sind im Haushalt der Andengemeinschaft keine Mittel vorgesehen. Das bedeutet, dass nur diejenigen Organisationen teilnehmen können, die in der Lage sind, selbst personelle und finanzielle Ressourcen für die Teilnahme an den Tagungen der Arbeitsgruppen und den Organen der CAN bereitzustellen.

5.   Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Andengemeinschaft

5.1   Die ersten Abkommen zwischen der EU und der CAN

5.1.1

Das erste Abkommen über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Lateinamerika wurde 1983 mit dem Andenpakt geschlossen, dreizehn Jahre nach dem Entstehen dieser Integrationsgruppe.

5.1.2

Dieses Abkommen gehörte zur so genannten „zweiten Generation der Kooperationsabkommen“. Im Unterschied zur ersten Generation, die überwiegend auf die Handelsbeziehungen (ohne Präferenzregelung) ausgerichtet war, schlossen die umfassenderen Abkommen dieser neuen Generation auch politische und die Zusammenarbeit betreffende Aspekte ein, ein Element, das in den nachfolgenden Abkommen zentrale Bedeutung erlangen sollte. Darüber hinaus zeigten diese Abkommen deutlich, welche Bedeutung die Europäische Gemeinschaft der regionalen Integration in Lateinamerika beimaß.

5.1.3

Die Dynamik der Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika in den 1980er-Jahren führte bald dazu, dass ab 1991 eine neue Generation von Abkommen notwendig wurde. So unterzeichnete die EU 1993 ein Rahmenabkommen der dritten Generation mit der Andengruppe. Das Neue an diesem Abkommen bestand darin, dass es eine „Demokratieklausel“ als Ausdruck des gemeinsamen Engagements für Demokratie sowie eine „Ausweitungsklausel“ mit Blick auf die mögliche Ausweitung der Kooperationsbereiche enthielt.

5.1.4

Parallel dazu führte in den 1990er-Jahren ein Thema — die Bekämpfung des Drogenhandels — dazu, dass die Beziehungen zur Andengemeinschaft zunehmende Bedeutung erlangten. Die EU wollte ein anderes Konzept anbieten als die USA, die vor allem auf repressive Maßnahmen setzten. Hierfür standen ihr zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Einerseits wurde auf Ersuchen der Andenländer selbst vereinbart, das Allgemeine Präferenzsystem (APS) für diese Länder durch eine Sonderregelung zur Drogenbekämpfung — das so genannte APS „Drogen“ — auszuweiten, die die zollfreie Einfuhr von 90 % der Produkte aus den Andenländern in die EU ermöglichte. Andererseits wurde beschlossen, einen hochrangigen Dialog zum Thema Drogen einzurichten.

5.1.5

Das Abkommen von 1993 wurde bald durch den neuen Rahmen für die Beziehungen übertroffen, für den sich die EU ab Mitte der 1990er-Jahre einsetzte, und zwar durch die Verhandlungen von Abkommen der vierten Generation mit den Ländern des Mercosur sowie mit Chile und Mexiko. Diese Texte wurden als erster Schritt in Richtung auf Assoziierungsabkommen ausgearbeitet, die ein Freihandelsabkommen einschließen würden. Die CAN strebte ein ähnliches Abkommen an, aber die EU hielt es für besser, schrittweise auf dieses Ziel zuzugehen und zunächst ein Interimsabkommen abzuschließen. Dieser Vorschlag wurde auf dem zweiten Gipfeltreffen EU — Lateinamerika und Karibik angenommen, das im Mai 2002 in Madrid stattfand.

5.2   Das Abkommen von 2003 — ein „Zwischenschritt“

5.2.1

Am 15. Dezember 2003 wurde ein Abkommen über politischen Dialog und Zusammenarbeit zwischen der EU und der CAN unterzeichnet. Dieser Text war ein Fortschritt im Vergleich zum vorausgegangenen Abkommen, obwohl er den Erwartungen der Andenländer nicht ganz gerecht wurde (20). Für die Andenländer besteht im Zusammenhang mit der darin verankerten Regelung unter anderem das Problem, dass sie den Zugang zum EU-Binnenmarkt nicht verbessert hat. Das Abkommen beinhaltet jedoch eine wichtige Neuerung: die Institutionalisierung des politischen Dialogs. Darüber hinaus umfasst es neue Bereiche für die biregionale Zusammenarbeit (Migration, Terrorismus usw.) und stärkt die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in diese Zusammenarbeit (21).

5.3   Handel zwischen der EU und der CAN

5.3.1

Wie aus der nachstehenden Tabelle zu entnehmen ist, ist in den Handelbeziehungen zwischen der EU und der CAN eine gewisse Stagnation eingetreten. Obwohl die EU für die CAN derzeit der zweitgrößte Handelspartner ist, entfallen nur 12-13 % des Außenhandels dieser Region auf die EU, während der Handel mit den USA 40 % ausmacht. Der Anteil der Ausfuhren der Andenländer in die EU an den Gesamtausfuhren sank von 19 % (1994) auf 12 % (2004) ab. Der Anteil der Ausfuhren der EU am Importaufkommen der CAN verringerte sich von 19 % im Jahr 1994 auf 13 % im Jahr 2004.

HANDEL DER EU MIT DER CAN

(Millionen Euro)

 

Einfuhren (Einf.)

Ausfuhren (Ausf.)

Bilanz

(für die UE)

Einf.+Ausfuhr

Volumen

Jährl. Änderung

(%)

Anteil an den Gesamt-Einfuhren der EU

Volumen

Jährl. Änderung

(%)

Anteil an den Gesamt-Ausfuhren der EU

2000

8.153

 

0,82

7.020

 

0,82

-1.134

15.173

2001

8.863

8,7

0,90

7.908

12,6

0,89

-955

16.771

2002

8.853

-0,1

0,94

7.085

-10,4

0,79

-1.768

15.938

2003

7.911

-10,6

0,84

5.586

-21,2

0,64

-2.325

13.497

2004

8.904

12,6

0,87

5.988

7,2

0,62

-2.916

14.892

Durchschn. jährl. Wachstum

 

2,2

 

 

-3,9

 

 

-0,5

Quelle: Eurostat

5.3.2

Die EU ist zwar die wichtigste Quelle für Direktinvestitionen in der CAN, doch sind die Finanzströme seit dem Jahr 2000 kontinuierlich zurückgegangen, nämlich von mehr als 3,3 Mrd. Dollar auf knapp 1 Mrd. Dollar im Jahr 2003.

5.3.3

Mit Blick auf die künftigen Perspektiven der Handelsbeziehungen ist das derzeitige Szenario ungewiss. Das neue APS, das 2006 in Kraft getreten ist, bringt offenbar keine nennenswerten Fortschritte beim Zugang zum Markt der EU, begünstigt jedoch eine größere Zahl von Produkten, und die Verlängerung der Regelung auf zehn Jahre führt zu einer größeren Voraussagbarkeit (die sich vorteilhaft auf die Investitionstätigkeit auswirken kann). So würde ein Assoziierungsabkommen sehr viel überzeugendere Fortschritte in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und der Andengemeinschaft mit sich bringen.

5.4   Der Weg zu einem Assoziierungsabkommen

5.4.1

In den Beziehungen zwischen der EU und der CAN wurden beachtliche Fortschritte erzielt, aber sie könnten auf dem derzeitigen Stand stagnieren, der von nicht sehr dynamischen Wirtschaftsbeziehungen und einer relativ starken Zusammenarbeit mit einem institutionalisierten politischen Dialog, aber ohne gemeinsame Agenda gekennzeichnet ist. Daher schlägt der EWSA trotz der derzeitigen Schwierigkeiten vor, möglichst bald zu einem Assoziierungsabkommen zu gelangen, und zwar nach dem Beispiel der mit Chile und Mexiko unterzeichneten Abkommen sowie des derzeit mit den Ländern des Mercosur verhandelten Abkommens.

5.4.2

Bestandteil eines solchen Abkommens wären ein Freihandelsabkommen, ein erweiterter politischer Dialog sowie neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Es sollte darüber hinaus eine ehrgeizigere soziale Dimension beinhalten und mehr Möglichkeiten für eine Beteiligung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft bieten.

5.4.3

Ferner sollte es nicht weniger wichtige Aspekte umfassen, wie die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, die Rechtssicherheit der Investitionen und die Entwicklung eines echten Binnenmarktes, in dem die Unternehmen mit gewissen Garantien tätig sein können.

5.4.4

Die Europäische Union hat auf dem dritten biregionalen Gipfel, der im Mai 2004 in Guadalajara (Mexiko) stattfand, schließlich eingewilligt, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, stellte jedoch eine Reihe von Vorbedingungen (z.B. dass ein Freihandelsabkommen in jedem Fall die Ergebnisse der Entwicklungsrunde von Doha und eine ausreichende regionale Wirtschaftsintegration der Andenländer berücksichtigen muss), die einer gemeinsamen Bewertung durch die EU und die CAN unterzogen werden sollen.

5.5   Die sozialen Inhalte der Assoziierung EU-CAN

5.5.1

Im Interesse einer vollständigen Assoziierung müssen sich die Verhandlungspartner für die Einhaltung der grundlegenden sozialen und Arbeitsrechte sowie für den Schutz der Demokratie und der Menschenrechte einsetzen und Mechanismen zur Förderung all dieser Rechte schaffen, indem sie ausdrücklich ihre Entschlossenheit bekunden, Drogenhandel und Korruption zu bekämpfen und in ihrem Streben nach wirtschaftlicher Entwicklung der Gerechtigkeit und dem sozialen Zusammenhalt Rechnung zu tragen.

5.5.2

Die Gestaltung des künftigen Abkommens sollte dem erklärten Ziel einer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Assoziierung entsprechen. So wäre es wünschenswert, als Ausgleich zu den Abschnitten, die den Handelsbeziehungen und dem politischen Dialog gewidmet sind, ein Kapitel über soziale Fragen in den Text aufzunehmen.

5.5.3

Dieses Kapitel über soziale Fragen sollte die Rechte der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf der Grundlage der vorgenannten Kriterien umfassen und ausdrücklich auf die Vereinigungsfreiheit, den Dialog und die Konzertierung zwischen den Sozialpartnern verweisen (22).

5.5.4

Die offensichtliche Unsicherheit, was die Ausübung der Menschenrechte und insbesondere die Ausübung der Presse- und Vereinigungsfreiheit in einigen Andenländern betrifft, erfordert einen nachdrücklicheren Beitrag der EU.

5.5.5

Das Abkommen sollte die Unterzeichner zur biregionalen Förderung der sozialen Rechte über technische Zusammenarbeit und andere Hilfsprogramme verpflichten.

5.6   Zusammenarbeit

5.6.1

Die EU hat auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit mit den Andenländern eindeutig eine führende Rolle gespielt. Etwas mehr als ein Drittel der Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit Lateinamerika entfiel auf die CAN und ihre Mitgliedstaaten. Bolivien und Peru zählten zwischen 1994 und 2002 zu den drei Ländern, die die meiste offizielle Hilfe von der EU erhielten.

5.6.2

Die Europäische Kommission arbeitet derzeit eine neue Strategie der subregionalen Zusammenarbeit für die CAN sowie eine spezifische Strategie für jedes der fünf Andenländer aus, um im Zeitraum 2007-2013 zielgerichtet tätig zu werden.

5.6.3

Der Entwurf des Regionalen Strategiepapiers der Europäischen Kommission für die Andengemeinschaft (2007-2013) beruht auf drei Ebenen: regionale Integration, sozialer Zusammenhalt und Drogenbekämpfung.

6.   Die Beteiligung der Zivilgesellschaft an den Beziehungen zwischen der EU und der CAN

6.1

In dieser Stellungnahme sollen den Organen der EU die grundlegenden Kriterien mit Blick auf die soziale Dimension und die Beteiligung der Zivilgesellschaft dargelegt werden, die nach Auffassung des EWSA im Rahmen der derzeitigen Beziehungen zur CAN festgelegt und vom künftigen Verhandlungsausschuss für das Assoziierungsabkommen geprüft werden sollten.

6.2

Obwohl bislang noch keine Stellungnahmen oder Entschließungen des EWSA zu den Beziehungen mit der CAN vorliegen, stützen wir uns bei der Festlegung der Kriterien der sozialen Dimension und der Beteiligung der Zivilgesellschaft auf folgende Grundlagen:

a)

die einschlägigen Festlegungen im Abkommen über politischen Dialog und Zusammenarbeit, insbesondere in Artikel 42 (Zusammenarbeit im sozialen Bereich), Artikel 43 (Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft an der Zusammenarbeit) und Artikel 44 (Zusammenarbeit im Bereich Gleichstellung), die den Zielen des künftigen Assoziierungsabkommens angepasst werden,

b)

einige Dokumente und Erklärungen betreffend die Beziehungen zu Lateinamerika im Allgemeinen, die vom EWSA selbst oder von der Zivilgesellschaft beider Regionen erstellt wurden.

6.3

In diesem Sinne sei auf die stillschweigende Verpflichtung der Teilnehmer am dritten Treffen der organisierten Zivilgesellschaft EU-Lateinamerika hingewiesen, die „fordern, dass die Abkommen mit der EU auch die soziale Dimension, die Förderung und Stärkung der sozialen Organisationen sowie der Organe in hohem Maße einschließen, die es der Zivilgesellschaft erlauben, mitzuwirken und ihre Standpunkte zur Geltung zu bringen“ und „ihre Entschlossenheit bekräftigen, die Beziehungen zwischen den bestehenden beratenden Organen Lateinamerikas untereinander sowie zwischen dem EWSA und diesen Organen voranzutreiben“ (23).

6.4

Andererseits haben die EU- und die CAN-Staaten die Grundsätze und Werte übernommen, die in der Verfassung der ILO und in ihren wichtigsten Instrumenten für den sozialen Bereich verankert sind, wie zum Beispiel in der Erklärung über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit (1998), der Dreiseitigen Grundsatzerklärung zu multinationalen Unternehmen und Sozialpolitik (1977, geändert 2000) und der Entschließung betreffend die gewerkschaftlichen Rechte und ihre Beziehungen zu den bürgerlichen Freiheiten (1970). Darüber hinaus zählen beide Blöcke zu den Unterzeichnern der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) und gehören dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte an (1976).

6.5

Der EWSA und der Beratende Arbeitgeberrat sowie der Beratende Arbeitnehmerrat der Andenländer müssen die Stützpfeiler dieses gemeinsamen Handelns der andinen und der europäischen Zivilgesellschaft und ihrer Einbeziehung in die Verhandlungen beider Blöcke sowie in die künftigen Konsultations- und Beteiligungsstrukturen bilden, die nach Auffassung des EWSA im Rahmen des künftigen Assoziierungsabkommens errichtet werden sollten.

6.6

In diesem Sinne haben die drei Einrichtungen mit der Unterzeichnung eines Plans für die interinstitutionelle Zusammenarbeit einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zur Institutionalisierung ihrer Beziehungen unternommen. Dieser Plan wird einen qualitativen Sprung bei der Verständigung zwischen dem EWSA und dem Beratenden Arbeitgeberrat sowie dem Beratenden Arbeitnehmerrat darstellen, die darauf abzielt, die Zusammenarbeit zu verstärken und zu festigen.

6.7   Der Plan für die interinstitutionelle Zusammenarbeit sieht vor,

1.

die Beteiligungsinstanzen der organisierten Zivilgesellschaft der Andengemeinschaft zu unterstützen;

2.

zum Dialog zwischen den Zivilgesellschaften der Andengemeinschaft und der Europäischen Union beizutragen;

3.

die Bedeutung der Einbeziehung einer sozialen Dimension in das künftige Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der CAN zu fördern;

4.

die Initiative des CCEA und des CCLA zur Bearbeitung des Vorschlags betreffend die Einrichtung eines Wirtschafts- und Sozialrates der Andengemeinschaft (Consejo Económico y Social Andino — CESA) zu unterstützen;

5.

eine stärkere Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Organisationen der Andengemeinschaft zu erreichen, die den Organisationen der Gruppe III des EWSA entsprechen.

6.

die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Regionen zu intensivieren.

6.8

Der Beratende Arbeitgeberrat sowie der Beratende Arbeitnehmerrat der Andengemeinschaft haben ihrerseits den Behörden der CAN gemeinsam den Vorschlag unterbreitet (24), einen Diskussionsprozess einzuleiten, um die Einrichtung des Wirtschafts- und Sozialrates der Andengemeinschaft (Consejo Económico y Social Andino — CESA) möglichst rasch zum Abschluss zu bringen.

6.9

Der EWSA begrüßt diese Initiative und den diesbezüglichen Konsens und vertritt die Auffassung, dass die Anerkennung und die Einsetzung des erforderlichen gemischten beratenden Ausschusses zur Einbeziehung der Organisationen der Zivilgesellschaft der EU und der CAN in den institutionellen Rahmen des künftigen Assoziierungsabkommens erleichtert würden, wenn der Wirtschafts- und Sozialrat der Andengemeinschaft (CESA) eine plurale Zusammensetzung aufwiese und Vertreter der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und verschiedener Interessengruppen der organisierten Zivilgesellschaft einschließen würde.

6.10

Die Europäische Kommission führte am 3. März 2005 eine erste Konferenz über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und der CAN durch, an der verschiedene soziale Organisationen teilnahmen und auf der auch der EWSA vertreten war. Angesichts der möglichen Aufnahme von Verhandlungen erscheint es ratsam, dies zu wiederholen und zu vertiefen und künftig auch die bestehenden Vertretungsinstanzen der zivilgesellschaftlichen Organisationen der Andengemeinschaft einzubinden (CCLA, CCEA, Arbeitsgruppe der Andengemeinschaft für die Rechte der Verbraucher und Arbeitsgruppe der Andengemeinschaft zur Frage der indigenen Völker).

6.11

Nach Ansicht des EWSA ist es für die Entwicklung der biregionalen Partnerschaft notwendig, dass die Organisationen der verschiedenen Bereiche der Zivilgesellschaft der EU und der CAN ihre bilateralen Beziehungen und ihr gemeinsames Vorgehen festigen und die Vorstöße, die in diese Richtung bereits unternommen wurden, ausbauen (25).

7.   Schlussfolgerungen und Vorschläge für den wirtschaftlichen und sozialen Bereich

7.1

Im Einklang mit früheren Stellungnahmen des EWSA sei darauf hingewiesen, dass die demokratische Stabilität in dem Maße gestärkt wird, in dem sich die staatlichen Institutionen und die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft konsolidieren, das soziale Wohlergehen verbessert, die Ungleichheiten verringert, Wirtschaftsentwicklung und -wachstum gefördert werden, große Bevölkerungsteile, die traditionell ausgegrenzt sind, in die Gesellschaft eingegliedert werden und die Schaffung von Räumen für einen erweiterten politischen Dialog auf lokaler, nationaler und regionaler Ebene gefördert wird.

7.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Aufnahme von (unabhängig vom Ergebnis der Doha-Runde zu führenden) Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Andengemeinschaft für die gemeinsamen Interessen beider Regionen von Vorteil wäre, und fordert die Parteien auf, weiter in dieser Richtung tätig zu werden.

7.3

Der EWSA ist der Ansicht, dass mit diesem Abkommen eine vollständige und ausgewogene Assoziierung Gestalt annehmen sollte, die die Einrichtung einer Freihandelszone sowie einen Dialog zu Fragen der Politik und der Zusammenarbeit einschließt. Die soziale Dimension dieser Assoziierung sollte ausgehend von der Verpflichtung zur Erfüllung der Abkommen der ILO über die Grundrechte und den anderen in dieser Stellungnahme genannten Dokumenten in den Bestimmungen des künftigen Abkommens ausdrücklich berücksichtigt werden.

7.4

Im wirtschaftlichen Bereich sollte das Abkommen:

a)

die Rolle der Unternehmen in der Andengesellschaft als ausschlaggebenden Faktor für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung aufwerten;

b)

die Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation und Entwicklung sowie Ausbau der Infrastrukturen fördern;

c)

Investitionen fördern und ihre Rechtssicherheit gewährleisten;

d)

den Zugang zu Finanzierung, insbesondere für KMU, und sonstige Maßnahmen zur Steigerung des Wirtschaftswachstums unterstützen;

e)

die Entwicklung der Sozialwirtschaft fördern;

f)

die Errichtung einer echten Zollunion der Andengemeinschaft anregen.

7.5

Im sozialen Bereich sollte das Abkommen insbesondere Förderung und Schutz bieten für:

a)

die allgemeine und die berufliche Bildung und die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen als Entwicklungsinstrument für die wissenschaftliche Forschung und höhere Bildung;

b)

die Gleichheit und Nichtdiskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, einer Behinderung, usw.;

c)

die Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Arbeit im Rahmen von Programmen zur Förderung der Einkommensgleichstellung und sonstiger sozialer und beschäftigungsspezifischer Aspekte;

d)

die Integration von Zuwanderern und die Achtung ihrer Rechte, einschließlich Garantien für die Rücküberweisung an ihre Herkunftsländer. Auf dieser Grundlage sollten die EU und die CAN gemeinsam eine Zuwanderungspolitik konzipieren;

e)

Programme zur Abschaffung der Kinderarbeit;

f)

den sozialen Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und die Stärkung ihrer Organisationen;

g)

andere Formen beruflicher und gesellschaftlicher Zusammenschlüsse (von Landwirten, Verbrauchern usw.) und sämtlicher Organisationen der Zivilgesellschaft;

h)

würdevolle Arbeitsbedingungen im Bereich des Gesundheits- und Umweltschutzes am Arbeitsplatz, auch unter schrittweiser Eliminierung der informellen Arbeit.

7.6

Die Europäische Union sollte ihre bereits beachtlichen Maßnahmen im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Andenländern, die sich vorteilhaft auf die Bedingungen in diesen Ländern auswirken, mit Blick auf ein Assoziierungsabkommen verstärken, und zwar im Einklang mit der Tatsache, dass der soziale Zusammenhalt in der jüngsten Mitteilung der Kommission als Priorität eingestuft wird (26). Der EWSA schließt sich dem Vorschlag der Kommission an, dass die Europäische Investitionsbank ihre Finanzierungslinie für Lateinamerika erweitern und einen Großteil der betreffenden Mittel für kleine und mittlere Unternehmen bereitstellen sollte. In diesem Zusammenhang und mit Blick auf andere Belange könnte die Andine Finanzkorporation (Corporación Andina de Fomento — CAF) ein nützlicher Partner sein.

7.7

Der EWSA fordert die Kommission darüber hinaus auf, eingehend den Vorschlag des Europäischen Parlaments zur Errichtung eines biregionalen Solidaritätsfonds zu prüfen, der vor allem den Andenländern (und den mittelamerikanischen Ländern) zugute käme. Er ist ferner der Auffassung, dass das IBERPYME-Programm beispielhaft für die Förderung der Unternehmertätigkeit ist und die gewonnenen Erfahrungen auch auf ein ähnliches Projekt zwischen der EU und der CAN übertragen werden könnten.

7.8

In Anbetracht der Schwierigkeiten der Andengemeinschaft bei der Umsetzung der zwanzig Projekte des integrierten Plans zur sozialen Entwicklung (Plan Integrado de Desarrollo Social — PIDS) sollte im Rahmen der Programmplanung der Europäischen Kommission technische oder finanzielle Zusammenarbeit angeboten werden, haben doch die Minister der EU die Andengemeinschaft zu diesem Plan beglückwünscht und ihn als ein sehr nützliches Instrument für die Förderung des sozialen Zusammenhalts in der Andengemeinschaft bezeichnet (27).

7.9

Der EWSA hält den Beschluss des CCLA und des CCEA, einen Wirtschafts- und Sozialrat der Andengemeinschaft (Consejo Económico y Social Andino — CESA) zu errichten, der sich ähnlich zusammensetzt wie der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, für sehr bedeutsam und wird ihn mit den Mitteln unterstützen, die im Plan für die interinstitutionelle Zusammenarbeit vereinbart werden.

7.10

Der EWSA hält es für erforderlich, einen Gemischten Ausschuss EWSA-CCLA/CCEA (und zu gegebener Zeit EWSA-CESA) einzurichten, was im Rahmen der Möglichkeiten des 2003 geschlossenen Abkommens über politischen Dialog und Zusammenarbeit noch vor der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens erfolgen könnte.

7.11

Die Europäische Kommission und das Generalsekretariat der CAN sollten gemeinsam die regelmäßige Durchführung eines Dialogforums der andinen und der europäischen Zivilgesellschaft fördern, wobei der EWSA und die zwei Beratungsgremien der Andengemeinschaft (CCLA und CCEA) Koordinierungsaufgaben wahrnehmen könnten. Im Rahmen eines solchen Forums könnten die verschiedenen sozialen Verbände und Organisationen beider Regionen ihre Ansichten über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Andengemeinschaft darlegen.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Mexiko-Stadt, 13.-15. April 2004. Eine andere, seltener verwendete Bezeichnung ist „Comunidad Andina de Naciones“.

(2)  Guadalajara (Mexiko), 28./29. Mai 2004.

(3)  United Nations Statistic Division Millenium Indicators (15.10.2003).

(4)  Bei der Erstellung dieses Dokuments (und seiner Indikatoren) wurde Venezuela als Mitglied der Andengemeinschaft betrachtet.

(5)  Grundsätzlich bezeichnet der Begriff „Andengemeinschaft“ (CAN) sämtliche Organe und Institutionen einschließlich der Mitgliedstaaten, während das System der Andenintegration (SAI) die Beziehungen zwischen den Anden-Institutionen betrifft. In der Praxis gibt es jedoch anscheinend keine klare Unterscheidung zwischen dem SAI und der CAN.

(6)  Artikel 30 Buchstabe a) des Abkommens.

(7)  Daten aus dem Bericht der Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL)„Panorama de la Inserción Internacional de América Latina y el Caribe 2004. Tendencias 2005“, Santiago de Chile, 2005.

(8)  Siehe unter anderem: „Integración para la Globalización“, Reden des Generalsekretärs der Andengemeinschaft, Allan Wagner Tizón, anlässlich seiner Amtsübernahme, Lima, 15. Januar 2004 (abrufbar unter:

http://www.comunidadandina.org/index.asp).

(9)  Der betreffende Beschluss ist abrufbar unter:

http://www.comunidadandina.org/normativa/dec/DEC601.pdf.

(10)  Art. 1 und Kap. XVI des Abkommens von Cartagena über Integration und wirtschaftliche und soziale Zusammenarbeit; Sozialcharta der Andengemeinschaft, vom Andenparlament 1994 angenommen, aber noch nicht von den Regierungen ratifiziert; Erklärung von Cartagena der XI. Tagung des Rats der Präsidenten der Andenländer, mit der der Rat der Außenminister aufgefordert wurde, einen Vorschlag zur Beteiligung der Zivilgesellschaft zusätzlich zur Beteiligung des Beratenden Arbeitgeberrats und des Beratenden Arbeitnehmerrats gemäß den Beschlüssen 441 und 442 vorzulegen; Dialog zwischen den Präsidenten der Andenländer über Integration, Entwicklung, sozialen Zusammenhalt, Cusco, 2004.

(11)  Cartagena de Indias, Kolumbien, 26. Juli 1998.

(12)  Marcos-Sánchez, José, La experiencia de participación de la sociedad civil en el proceso de integración andino, I. EU-CAN-Zivilgesellschaftsforum, Brüssel, Belgien, März 2005.

http://europa.eu.int/comm/external_relations/andean/conf_en/docs/jose_marcos-sanchez.pdf.

(13)  Cartagena de Indias, Kolumbien, 25. Mai 1999.

(14)  CCLA, Lima, Peru, 7. April 2005.

(15)  VII. ordentliche Tagung des CCEA (Lima, April 2005).

(16)  Bei den anderen Abkommen handelt es sich um die Konvention Andrés Bello zur Bildungspolitik in der Andenregion und die Konvention Hipólito zur Gesundheitspolitik.

(17)  Beschluss 524 vom 7. Juli 2002.

(18)  Beschluss 539: Arbeitsgruppe der Andengemeinschaft für die Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Wahrung der Rechte der Verbraucher, Bogotá, Kolumbien, 11. März 2003.

(19)  Außerdem wurde eine beratende Arbeitsgruppe aus lokalen Gebietskörperschaften eingesetzt.

(20)  Einige Autoren bezeichneten das Abkommen als Abkommen der „dritten Generation plus“ oder der „vierten Generation minus“, um zu verdeutlichen, dass es vom Status her zwischen dem Abkommen von 1993 und den Abkommen mit dem Mercosur sowie mit Chile und Mexiko angesiedelt war: Javier Fernández und Ana Gordon, „Un nuevo marco para el refuerzo de las relaciones entre la Unión Europea y la Comunidad Andina“, Revista de Derecho Comunitario Europeo, Jahrgang 89, Nr. 17, Januar-April 2004.

(21)  In Artikel 52 Absatz 3 dieses Abkommens ist festgelegt, dass ein Gemischter Beratender Ausschuss eingesetzt wird, „der den Gemischten Ausschuss bei der Förderung des Dialogs mit sozialen und wirtschaftlichen Organisationen der organisierten Zivilgesellschaft unterstützt“.

(22)  Dieses Anliegen ist in der Stellungnahme des EWSA zum Thema „Sozialer Zusammenhalt in Lateinamerika und der Karibik“ dargelegt, in der es in Absatz 6.8.3 heißt: „Die Stärkung repräsentativer wirtschaftlicher und sozialer Organisationen, die Verpflichtungen eingehen können und unabhängig sind, ist eine wesentliche Vorbedingung für einen fruchtbaren sozialen und zivilgesellschaftlichen Dialog und damit letztlich für die Entwicklung der Staaten Lateinamerikas [...]“ (ABl. C 110 vom 30.04.2004, S. 55).

(23)  Absätze 4 und 5 der Schlusserklärung des Treffens.

(24)  Fünftes gemeinsames Treffen des Beratenden Arbeitgeberrats der Andenstaaten und des Beratenden Arbeitnehmerrats der Andenstaaten am 2./3. November 2004 in Lima, Peru.

(25)  Am 7. April 2003 unterzeichneten der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und der CCLA eine Erklärung über die Aufnahme regulärer Beziehungen, in der ein Partnerschaftsabkommen angekündigt wurde. Am 17. Februar 2005 veranstalteten das Netzwerk ALOP lateinamerikanischer NRO und die Universidad Católica de Lima ein Treffen von NRO aus der EU und aus der CAN.

(26)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Eine verstärkte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika“, Strategie für eine verstärkte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika, Brüssel, KOM (2005)636 endg.

(27)  Ministertagung EU-CAN (Luxemburg, 26. Mai 2005).


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/91


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Zukunft der Nördlichen Dimension“

(2006/C 309/19)

Im Rahmen der Maßnahmen, die während des finnischen EU-Vorsitzes umgesetzt werden sollen, ersuchte die finnische Ministerin für Außenhandel und Entwicklung, Mari KIVINIEMI, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss mit Schreiben vom 17. November 2005 um die Erarbeitung einer Stellungnahme zum Thema „Die Zukunft der Nördlichen Dimension“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten des Ausschusses zu diesem Thema beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 1. Juni 2006 an. Berichterstatter war Herr HAMRO-DROTZ.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 162 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Zusammenfassung

Auf dem Ministertreffen der Länder der Nördlichen Dimension (EU, Island, Norwegen und Russland) wurden im November 2005 Leitlinien für die Fortsetzung der ND-Politik beschlossen, die als Basis für die Ausarbeitung einer gemeinsamen Politik für die Zeit ab 2007 dienen sollen.

In seiner Eigenschaft als künftiger Ratsvorsitz ersuchte Finnland den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Ausarbeitung einer Stellungnahme zum Themenkomplex Stärkung der ND-Politik und Einbindung der Zivilgesellschaft.

Der EWSA unterstützt die vorgeschlagenen Leitlinien und ersucht Finnland als amtierenden Ratsvorsitz, nachdrücklich darauf hinzuarbeiten, dass die neue Politik auf den Wege gebracht wird.

Als Schwerpunkte empfiehlt der EWSA:

bereits begonnene gemeinschaftliche Vorhaben in den Bereichen Umwelt und Gesundheit;

Infrastruktur, Verkehr und Logistik;

den Bereich Energie und die mit ihm verbundenen Sicherheitsfragen;

die Stärkung der Zivilgesellschaft und ihrer Kooperationsnetze sowie Verbesserung der öffentlichen Informationstätigkeit.

In Bezug auf letztgenannten Punkt soll dem Umstand besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, dass in Russland konstruktive und offene Beziehungen mit der Zivilgesellschaft sowie ein funktionierender sozialer und gesellschaftlicher Dialog geschaffen werden müssen. Auch die Entwicklung grenzübergreifender Netze und die öffentliche Informationstätigkeit müssen unterstützt werden.

Der EWSA betont, dass für die ND-Projekte eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung stehen und der Antragsprozess klar, schnell und einfach sein muss.

Der EWSA unterstreicht, dass für die Verwaltung der ND starke gemeinsame Mechanismen aufgebaut werden müssen und außerdem entschieden werden muss, wo die Verwaltungsgeschäfte angesiedelt sein sollen. Angeregt wird, dass diese Aufgabe von den bestehenden Regionalorganisationen wahrgenommen werden könnte, die einen natürlichen Ausgangspunkt bilden.

Der EWSA schlägt vor, die Zivilgesellschaft nach Vorbild des Barcelona-Prozesses im Mittelmeerraum und über einen beratenden Ausschuss in den offiziellen ND-Mechanismus einzubinden. Der EWSA ist bereit, sich hier aktiv einzubringen.

1.   Hintergrund

Im November 2005 fand eine Ministerkonferenz der EU-Mitgliedstaaten mit den Partnerstaaten der Nördlichen Dimension (Island, Norwegen und Russland) statt, auf der die neuen Leitlinien für die Fortführung der Nördlichen Dimension ab 2007 beschlossen wurden. („Guidelines for the development of a political declaration and policy framework document“) (1).

Von den Akteuren der Nördlichen Dimension wurde eine gemeinsame Redaktionsgruppe eingesetzt, die die Vorarbeiten auf Grundlage der genannten Leitlinien leisten soll. Die Gruppe soll ihre Arbeit im September 2006 abschließen; die Beteiligten beabsichtigen, zu einem späteren Zeitpunkt im Herbst dieses Jahres auf der Grundlage dieser Dokumente einen Beschluss über die Weiterführung der Nördlichen Dimension zu fassen.

Finnland hat den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Vorfeld seines Ratsvorsitzes und unter Berufung auf dessen frühere Arbeiten im Zusammenhang mit der Politik der Nördlichen Dimension im November 2005 um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zur Zukunft der Politik der Nördlichen Dimension ersucht. In dieser Stellungnahme sollen insbesondere Überlegungen und Empfehlungen dazu geäußert werden, wie diese Politik von 2007 an gestärkt und wie die Zivilgesellschaft besser in diese Politik und ihre Umsetzung einbezogen werden könnte.

Ein kurzer Abriss von Hintergrundinformationen zur Nördlichen Dimension und zu früheren Beiträgen des EWSA befindet sich im Anhang.

2.   Empfehlungen des EWSA zur Entwicklung der Nördlichen Dimension

Der EWSA verabschiedete im Juli 2005 eine Stellungnahme zur Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und Russland (2) und im September 2005 eine Stellungnahme zur Zukunft der EU-Politik der Nördlichen Dimension (3). Die darin enthaltenen Schlussfolgerungen und Empfehlungen sind weiterhin gültig und aktuell, werden aber in der vorliegenden Stellungnahme nicht erneut aufgegriffen. Diese Stellungnahme ist als Ergänzung der genannten Stellungnahmen gedacht, auf die ebenfalls verwiesen wird, wenn die entsprechenden Empfehlungen der jetzigen Stellungnahme den Partnern der Nördlichen Dimension unterbreitet werden.

Der EWSA hat zur Vorbereitung der Stellungnahme eine Informationsreise nach St. Petersburg unternommen, um die Meinung der dortigen Akteure zur Weiterführung der Nördlichen Dimension einzuholen. Die norwegischen und isländischen Partner wurden bei Kontakten im Rahmen des EWSA und des EWR gehört.

2.1   Der EWSA unterstützt eine regionale, öffentlichkeitswirksame gemeinsame ND-Politik der EU, Islands, Norwegens und Russlands

Die Bedeutung Nordeuropas hat sowohl auf europäischer als auch auf weltweiter Ebene kontinuierlich zugenommen — hier sei etwa auf die in dieser Region befindlichen Energievorkommen oder die Belange des Umwelt- und Klimaschutzes verwiesen. Nordeuropa braucht eine enge multilaterale regionale Zusammenarbeit, in die auch Drittstaaten einbezogen werden. Dadurch erfahren die bilateralen Beziehungen der Länder der Region wie auch die Beziehungen der Union zu Drittstaaten eine Ergänzung. Die Entwicklung der regionalen Zusammenarbeit kommt Stabilität, Wirtschaftswachstum, Wohlstand, Beschäftigung und nachhaltiger Entwicklung in der Region und in ganz Europa zugute.

Es liegt auf der Hand, dass die Politik der Nördlichen Dimension in der Europäischen Union und den Partnerländern mehr bekannt gemacht werden muss. Sie muss in den Institutionen der EU und des EWR, in einzelstaatlichen Behörden und in der Zivilgesellschaft zu einer öffentlichkeitswirksamen, klar strukturierten Politik entwickelt werden.

Der EWSA fordert Finnland auf, sich während seines EU-Ratsvorsitzes intensiv dieses Themas anzunehmen, und sich darum zu bemühen, dass zielorientierte Entscheidungen getroffen werden und ein politisches Engagement für eine dynamische Politik eingegangen wird. Im Zuge der EU-Erweiterung sind der Union Mitgliedstaaten beigetreten, die der Entwicklung der ND ein willkommenes Potenzial zuführen können. Der EWSA stimmt den vorgeschlagenen Leitlinien zu, denen zufolge die Nördliche Dimension zur ständigen Politik werden soll.

Der Ausbau der Nördlichen Dimension zu einer gemeinsamen Politik der EU, Islands, Norwegens und Russlands wird befürwortet. Es wäre zweckmäßig, sie in die bereits vorhandenen zentralen Instrumente der Zusammenarbeit einzubetten: die Nördliche Dimension sollte ein regionaler Aspekt der vier gemeinsamen Räume der EU und Russlands sein, in den auch Island und Norwegen unter gleichzeitiger Beachtung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einzubeziehen sind.

Auf dem Gipfeltreffen EU-Russland im Mai 2006 wurde festgehalten, dass über die Aufnahme von Verhandlungen über die Erneuerung des Vertrags EU-Russland nachgedacht werde. Dies würde weitere Möglichkeiten für die Entwicklung der regionalen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf Basis einer dynamischen ND-Politik eröffnen. Im Rahmen einer gemeinsamen ND-Politik würde auch die Möglichkeit geschaffen, eine stringentere EU-Ostsee-Strategie zu verfolgen, zu der das Europäische Parlament eine Empfehlung vorbereitet.

Der EWSA begrüßt die von dem Beratenden EWR-Ausschuss im Juni 2006 verabschiedete Entschließung und den Bericht zum Thema „The future of the Northern Dimension Policy“, die unter Berücksichtigung der EWSA-Stellungnahme vorbereitet wurden.

Dem Grundsatz der gemeinsamen Verantwortung für die Nördliche Dimension kommt eine zentrale Bedeutung zu, die es von Anfang an hervorzuheben gilt. Den ND-Ländern außerhalb der EU sollte eine entscheidende Rolle eingeräumt werden; sie sollten gleichberechtigt an der Planung, Umsetzung und Kontrolle der ND-Politik teilnehmen können.

Dafür bedarf es tragfähiger Mechanismen — benötigt wird ein gemeinsamer ständiger Verwaltungsausschuss, dem Untergruppen in erforderlicher Anzahl zugeordnet sind sowie eine funktionierende Verwaltung. Die Partner sollten sich jährlich treffen, um die Umsetzung der Zusammenarbeit im Rahmen der Nördlichen Dimension zu bewerten und den Kurs abzustecken.

Da die Aktivitäten im Rahmen der Nördlichen Dimension oft vor Ort durchgeführt werden, sind bei ihrer Planung und Umsetzung reibungslos funktionierende Kontakte zwischen den lokalen, subregionalen und nationalen Gebietskörperschaften und den Regionalorganisationen wichtig.

2.2   Vom EWSA empfohlene Schwerpunkte

Nach Auffassung des EWSA sollten die bisherigen Erfahrungen aus der Zusammenarbeit in den Schwerpunktbereichen bei der Weiterführung der Nördlichen Dimension als Ausgangspunkt dienen. Die positiven Erfahrungen aus konkreten öffentlich-privaten Partnerschaftsprojekten sollten künftig genutzt werden.

2.2.1   Stärkere Unterstützung für bereits bestehende Kooperationsprojekte im Umwelt- und Gesundheitsbereich

Bei der bereits aufgenommenen Umweltzusammenarbeit im Rahmen der Nördlichen Dimension sind vor allem die Verringerung der Verschmutzung der Ostsee und des Finnischen Meerbusens, die unverzügliche Eindämmung der durch Nuklearabfälle hervorgerufenen Verschmutzungsgefahr auf der Halbinsel Kola sowie die Förderung gemeinsamer grenzüberschreitender Umweltschutzvorhaben im Raum Pskov in den Mittelpunkt zu rücken.

In der Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich gilt die vorrangige Aufmerksamkeit der Seuchenbekämpfung, besonders der Eindämmung von HIV/AIDS.

Der EWSA fordert die Partner der ND zu mehr Engagement in diesen Schwerpunktbereichen im Rahmen der bereits eingeleiteten Partnerschaftsvorhaben (NDEP und das Vodokanal-Projekt in St. Petersburg sowie NDPHS) auf. Diese Vorhaben müssen zielstrebig vorangetrieben und ausgebaut werden; zudem muss sichergestellt werden, dass sie in der EU stärkere Beachtung finden.

2.2.2   Entwicklung von Infrastruktur, Verkehr und Logistik als Voraussetzung für die Förderung von Unternehmensgeist, Investitionen und Wirtschaftswachstum

Voraussetzung für Unternehmensgeist, Investitionen und Wirtschaftswachstum ist das Vorhandensein eines funktionierenden Verkehrs- und Logistiksystems auf dem Gebiet der Nördlichen Dimension. Deshalb muss im Rahmen der ND erörtert werden, wie Verkehr und Logistik gemeinsam entwickelt werden können, sodass leistungsfähigere Verkehrsverbindungen entstehen, die den Erfordernissen des wachsenden Güter- und Personenverkehrs in Nordeuropa gerecht werden. Die Verkehrskorridore zu Land, zur See und in der Luft sollten gemeinsam weiterentwickelt und miteinander über die Staatsgrenzen hinweg verbunden werden. Besonderes Augenmerk ist dabei der Sicherheit im Güterverkehr (Seetransport) sowie der Zusammenarbeit der Grenzschutzbehörden zu widmen (Zollabfertigungsverfahren, Standards, Gesundheitsnormen, Visaverfahren usw.), damit der legale Grenzübertritt vereinfacht wird. Im Rahmen der ND müssen auch effiziente Verfahren gefunden werden, um illegale Grenzübertritte (Menschenhandel, Schmuggel, illegale Einwanderung u.Ä.) zu unterbinden.

Ein neues als öffentlich-private Partnerschaft angelegtes Vorhaben im Infrastruktur-, Verkehrs- und Logistikbereich ist bei der Umsetzung der ND-Politik notwendig. Der Ausschuss schlägt vor, dass die Partner alles daran setzen werden, um ein solches gemeinsames Vorhaben zu entwickeln.

2.2.3   Entwicklung der Sicherheit und Zusammenarbeit im Energiesektor

Die EU-Erweiterung und die internationalen Trends im Energiesektor unterstreichen die Bedeutung einer verstärkten Zusammenarbeit im Energiebereich in Nordeuropa immer mehr. Der EWSA ruft zu einer Koordinierung der regionalen Zusammenarbeit und einem europäisch-russischen Energiedialog auf, um Energieversorgung sowie Energiesicherheit zu verbessern. Der Ausschuss empfiehlt die Einrichtung einer ND-Energiepartnerschaft im Rahmen der neuen Nördlichen Dimension, bei der der Nutzung natürlicher Ressourcen, der Energieeffizienz, erneuerbaren Energieträgern und der Sicherheit des Energietransports sowie Umweltaspekten Vorrang eingeräumt werden.

Da das von der Nördlichen Dimension erfasste Gebiet reich an Energieressourcen ist, weist seine Bedeutung über die ND-Länder hinaus — die EU als Ganzes wird dadurch beeinflusst. Dem Gebiet kommt eine potenziell entscheidende Rolle für die künftige Sicherheit der Versorgung der EU mit Öl und Gas zu, weshalb sich alle EU-Staaten mit ihm befassen sollten. Die gesteigerte Beachtung, die Nordeuropa in der neuen „Energiepolitik für Europa“ (EPE) zuteil wird, verweist auf die Bedeutung der Nördlichen Dimension. Die Kommission verweist in ihrem aktuellen Grünbuch zum Thema Energie (4) insbesondere auf Russland und Norwegen im Rahmen einer neuen, kohärenten auswärtigen EU-Energiepolitik als wichtige Partner.

Für die ausgeglichene Entwicklung der europäischen Energieinfrastruktur ist die Nördliche Dimension ein wichtiges Element. Auf dem die Nördliche Dimension umfassenden Gebiet sind zur Sicherung eines künftig ausreichenden Energieversorgungsniveaus bedeutende Investitionen sowohl in die Infrastruktur als auch in den Energietransport und in die Erschließung der Gasvorkommen der Region fällig. Verstärkte Investitionen sorgen für Wirtschaftswachstum, eine verbesserte Arbeitsmarktsituation und eine Wirtschaftsbelebung auch in Branchen, die nicht unmittelbar mit der Ausbeutung der marinen Vorkommen beschäftigt sind. Gleichwohl muss die Ausbeutung der enormen Gas- und Erdölvorkommennachhaltig erfolgen — die strengsten Umweltnormen müssen eingehalten und die Anliegen der örtlichen Bevölkerung berücksichtigt werden.

Ein koordiniertes Überwachungssystem für die marinen Ökosysteme des Nordens ist unabdingbar — es sollte Teil der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Rahmen der Nördlichen Dimension sein. Wichtig ist, dass bei der Erschließung der Gas- und Ölvorkommen eine lebensfähige Fischerei und eine intakte Meeresumwelt erhalten bleiben. Die höchstmöglichen Sicherheitsstandards für den Seetransport von Öl und Gas in der ND-Region müssen gewährleistet werden, was umso dringlicher erscheint, als künftig von einem höheren Transportaufkommen bei Flüssiggas (LNG) auszugehen ist.

Das von der norwegischen Regierung am 31. März 2006 vorgeschlagene neue Überwachungssystem für die marinen Ökosysteme im Norden, das eine stärkerer Koordinierung vorsieht, ist in diesem Zusammenhang begrüßenswert. Der Ausschuss begrüßt die vom gemeinsamen parlamentarischen EWR-Ausschuss im Mai verabschiedete Entschließung „Europe's High North: Energy and Environmental Issues“, deren Schlussfolgerungen den in dieser Stellungnahme dargelegten Grundsätzen entsprechen.

Was die ND-Zusammenarbeit im Bereich Energie angeht, so betont der Ausschuss, dass die stark ansteigenden Energietransporte auf dem Finnischen Meerbusen und der Ostsee hinsichtlich ihrer Organisierung und Sicherheit sowie in puncto Minimierung der Risiken für die Umwelt wachsam verfolgt werden müssen.

2.2.4   Förderung der Zivilgesellschaft, der Kooperationsnetzwerke und der öffentlichen Information

2.2.4.1   Stärkung der Zivilgesellschaft, der gemeinsamen demokratischen Werte, der Menschenrechte und eines offenen sozialen und gesellschaftlichen Dialogs

Eine gelungene Zusammenarbeit zwischen den Partnern der Nördlichen Dimension setzt die Anwendung gemeinsamer Werte in allen ND-Ländern voraus. Demokratischer Pluralismus, eine lebendige Zivilgesellschaft, ein offener sozialer und gesellschaftlicher Dialog und eine funktionierende Marktwirtschaft ergänzen sich gegenseitig. Darauf muss besonders in Russland, wo ein aktives Wirken der Zivilgesellschaft und der demokratischen Institutionen erforderlich ist, mit größerer Zielstrebigkeit hingearbeitet werden.

Der Ausschuss hat in seiner den Beziehungen zwischen der EU und Russland gewidmeten Stellungnahme vom Juli 2005 die Verhältnisse in Russland einer eingehenden Betrachtung unterzogen. Der Ausschuss hat angemerkt, dass sich durch das neue Gesetz, das die Akteure der Zivilgesellschaft betrifft, die Verhältnisse noch weiter verschlechtert haben. Sie müsste später bei der Anwendung des Gesetzes korrigiert werden. Sollten die russischen Behörden eine überzeugende Politik und ein überzeugendes praktisches Vorgehen an den Tag legen, um ein konstruktives und offenes Verhältnis zu den Akteuren der Zivilgesellschaft im Land aufzubauen, wird die enge Zusammenarbeit mit Russland eine breite Unterstützung erfahren. So wäre es wichtig, dass sich die in Russland gegründete „Civic Chamber“ zu einem glaubwürdigen Instrument für einen funktionierenden gesellschaftlichen Dialog entwickelt. Die Kapazität der Akteure der russischen Zivilgesellschaft muss verbessert werden, damit sie auch besser in der Lage sind, einen konstruktiven Dialog zu führen.

Antworten auf diese Fragen müssen auch im Rahmen der regionalen Zusammenarbeit der Nördlichen Dimension, an der Russland teilnimmt, gefunden werden.

2.2.4.2   Förderung grenzübergreifender zivilgesellschaftlicher Netzwerke

Ein funktionierender und offener grenzüberschreitender Dialog muss gestärkt werden, sollen Fortschritte in den oben erwähnten Bereichen erzielt werden. Hierbei kommt der Zivilgesellschaft eine entscheidende Bedeutung und Rolle zu; unumgänglich ist, dass die zivilgesellschaftlichen Kreise selbst die Initiative zum Ausbau ihrer Beziehungen und der Zusammenarbeit auf ihren Tätigkeitsfeldern ergreifen. Die gemeinsame Verantwortung für die Nördliche Dimension kann nicht nur bei den Regierungen angesiedelt werden, vielmehr muss sie auch von der Zivilgesellschaft und ihren Akteuren in den jeweiligen Partnerländern übernommen werden. Eine befriedigende Umsetzung der ND-Politik kann nur dann erzielt werden, wenn die zivilgesellschaftlichen Akteure aktiv miteinbezogen werden.

Im Rahmen der ND-Politik sollten zielstrebig alle Möglichkeiten unterstützt werden, Netzwerke für den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren der Zivilgesellschaft in den einzelnen ND-Ländern und Teilregionen, beispielsweise in Nordwest-Russland, ins Leben zu rufen. Dabei könnte die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Mensch zu Mensch einen Schwerpunkt der Politik bilden. Gefördert werden müssen Mobilität, die Entwicklung der Humanressourcen, der Austausch von Erfahrungen, Können und Wissen sowie die gegenseitige Anerkennung von Bildungsabschlüssen. Die grenzüberschreitende Kooperation muss alle Akteure der Zivilgesellschaft, Unternehmer, KMU sowie sonstige Unternehmen und Arbeitnehmer, Jugendliche und Studierende, Frauen, Vertreter von Wissenschaft und Kultur, Angehörige von Minderheiten ebenso wie Gruppen, die sich für den Umweltschutz stark machen, Interessengruppen der Land- und Forstwirtschaft und Verbraucher mit einbinden. Bei den grenzübergreifenden Beziehungen sollte darauf hingewirkt werden, dass konkrete Partnerschaften und Initiativen für Gemeinschaftsprojekte zwischen diesen Akteuren entstehen.

Die Ergreifung von Initiativen für gemeinsame Vorhaben im Rahmen der Nördlichen Dimension sollte für die Beteiligten unkompliziert sein.

Ziel der Entwicklung funktionierender dreiseitiger Beziehungen und der Arbeitsmärkte im gesamten ND-Raum sollte der Ausgleich zwischen fairem Unternehmenswettbewerb und angemessenen Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer sein. In vielen Ländern sind diese Beziehungen und der Arbeitsmarkt bereits gut entwickelt, sodass die hier vorhandene Kompetenz mit Organisationen in Ländern geteilt werden sollte, die diesbezüglich einen Entwicklungsrückstand aufweisen. Die Nördliche Dimension wäre hier ein angemessenes Rahmeninstrument zur Initiierung grenzüberschreitender Projekte. Die Sozialpartner sollen in jedem der beteiligten Länder darüber wachen, dass ihre Interessen bei Initiativen und Rechtsetzungsmaßnahmen, die dem wirtschaftlichen und sozialen Wandel sowie der Verbesserung der Beschäftigungslage dienen, gewahrt bleiben. Damit dies geschehen kann, sollten sie bei allen Gesprächen rund um Arbeitsmarktthemen einbezogen werden.

2.2.4.3

Die Nördliche Dimension leidet an einer überaus unzulänglichen öffentlichen Wahrnehmbarkeit. Über sie ist in allen Ländern sehr wenig bekannt, was sowohl für die EU als auch für die ND Länder außerhalb der Union gilt. Eine Zielstellung der ND-Partner sollte daher darin bestehen, die Informationstätigkeit und die Informationskanäle auszubauen. Angemessene Informationen über die Nördliche Dimension für die Öffentlichkeit sind unverzichtbar, da nur auf diese Weise das Interesse für sie innerhalb der Zivilgesellschaft zunehmen kann und ihre Akteure angespornt werden, sich in diesem Prozess zu engagieren und einen eigenen Beitrag beizusteuern. Auch sollten die Akteure der Zivilgesellschaft in der Gesellschaft selbst als Wissensvermittler herangezogen werden, weshalb entsprechende Mittel in die notwendigen Aufklärungs- und Schulungsmaßnahmen investiert werden müssten.

Ganz offensichtlich wird auf dem Gebiet der Nördlichen Dimension eine zentrale Anlaufstelle benötigt, die die angesprochene Informationstätigkeit übernimmt und die praktische Koordinierung der Netzwerke, die Kontakte und die Finanzierung betreut. Die ND-Partner sollten einen Beschluss zur Gründung einer solchen Stelle fassen. Der EWSA schlägt vor, dazu das unlängst geschlossene Büro der Europäischen Kommission in St. Petersburg wieder zu eröffnen, dem die zur Nördlichen Dimension gehörenden operativen Maßnahmen überantwortet werden sollten. Es wäre auch zu erwägen, die Verwaltungsgeschäfte der ND einem der Sekretariat der in Ziffer 2.4 genannten Regionalgremien zu übertragen.

2.2.5   Die Beziehungen mit der weißrussischen Zivilgesellschaft bedürfen der Aufmerksamkeit

Bei den Gesprächen über die Entwicklung der Politik der Nördlichen Dimension stand die Frage im Raum, ob diese nicht in gewissem Maße auch auf Weißrussland ausgedehnt werden könnte. Zwar wäre dies geographisch betrachtet sinnvoll, doch erlauben die dortigen politischen Verhältnisse derzeit keine offizielle Zusammenarbeit. Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass die aufgeworfenen Fragen — vor allem diejenigen unter Ziffer 2.2.4. — ganz besonders auch für Weißrussland Gültigkeit haben.

Durch die Förderung der Verbindungen der zivilgesellschaftlichen Akteure mit den entsprechenden weißrussischen Akteuren eröffnen sich nach Auffassung des Ausschusses Einflussmöglichkeiten. Der Ausschuss wird seinerseits auf die Konsolidierung seiner Kontakte hinarbeiten und regt an, derartige Aktivitäten auch im Rahmen der Nördlichen Dimension zu fördern.

Der EWSA erarbeitet derzeit eine gesonderte Stellungnahme zu den Beziehungen EU-Weißrussland.

2.3   Notwendige Konsultation mit der Zivilgesellschaft als Teil des Kooperationsmechanismus der Nördlichen Dimension — Bereitschaft des EWSA zur Mitarbeit

Für die Nördliche Dimension gilt es einen funktionierenden Konsultationsmechanismus aufzubauen, damit die wichtigsten zivilgesellschaftlichen Akteure mit ihren Ansichten, Empfehlungen und Kenntnissen auf die Umsetzung und Kontrolle der ND Einfluss nehmen können.

Nach Auffassung der EWSA könnte eine jährliche Konferenz der zivilgesellschaftlichen Akteure in der Art, wie die seit Jahren im Rahmen der Mittelmeerzusammenarbeit stattfindende Konferenz, ein funktionsfähiges Konzept sein. In der Zusammenarbeit Europa-Mittelmeer wurden gute Erfahrungen gesammelt, wie auch mit dem Konsultativausschuss für die Zusammenarbeit im Rahmen des EWR. Daneben sollte im Rahmen des unter Ziffer 2.1 Absatz 4 vorgeschlagenen ND-Verwaltungsausschusses eine beratende Untergruppe der Zivilgesellschaft eingesetzt werden, die regelmäßig an der politischen Kontrolle beteiligt wird und die vorstehend erwähnten jährliche Zusammenkünfte vorbereitet.

Diese Regelung böte den für die ND Verantwortlichen die Möglichkeit, aus den Beiträgen der einzelnen Akteure der Zivilgesellschaft zur Umsetzung der ND in wirtschaftlichen und sozialen Fragen Nutzen zu ziehen.

Bereits zu früheren Zeitpunkten hat der EWSA zwei Konferenzen veranstaltet, zu denen er zivilgesellschaftliche Akteure aus den ND-Ländern eingeladen hatte. Über die Jahre hat der Ausschuss seine Kontakte mit den zentralen Akteuren in allen der EU nicht angehörenden ND-Staaten ausgebaut. Damit kann der Ausschuss auf praktische Erfahrungen im Felde der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit in diesem Raum verweisen, die unmittelbar nutzbar gemacht werden könnten.

Der EWSA ist bereit, seinen Beitrag zur „Teilhabe“ der zivilgesellschaftlichen Akteure bei der Umsetzung der künftigen ND-Politik zu leisten. Der Ausschuss beabsichtigt die Gründung einer eigenen Kontaktgruppe und könnte federführend jährliche Treffen der Akteure der Zivilgesellschaft organisieren. Dadurch würde auch der existierenden Zusammenarbeit im EWR-Rahmen Rechnung getragen. Diese Zusammenkünfte sollen Leitlinien für die Umsetzung der Nördlichen Dimension vorgeben, und zwar vornehmlich zu den unter Ziffer 2.2.4 aufgeführten Fragestellungen, die für die Funktionsfähigkeit der Zivilgesellschaft relevant sind. Der Ausschuss schlägt vor, dieses System in den offiziellen ND-Kooperationsmechanismus zu integrieren.

2.4   Die regionalen Organisationen als natürlicher Ausgangspunkt für die Verwaltung der ND-Zusammenarbeit

Der EWSA begrüßt den Gedanken, dass die bereits vorhandenen regionalen Organisationen, insbesondere der Ostseerat (CBSS), der Euro-Arktische Barentsrat (BEAC), der Nordische Ministerrat (NMR) sowie der Arktisrat eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Nördlichen Dimension spielen sollten. Die immer engere Koordinierung und die Zusammenarbeit zwischen ihnen sowie zwischen ihnen und dem in Ziffer 2.1 vorgeschlagenen ND-Verwaltungsausschuss sollten zielbewusst gefördert werden, da sie den natürlichen Ausgangspunkt für eine ganzheitliche Verwaltung der ND bilden.

Die Zivilgesellschaft hätte in diesem Rahmen über ihre regionalen Kooperationsnetze (z.B. das Netzwerk der Gewerkschaftsvereinigungen BASTUN, der Arbeitgeberverbände BAC, der Handelskammern BCCA sowie der verschiedenen NGO-Kreise) sowie über deren Verbindungen zu den genannten Gremien viele Möglichkeiten zur Teilnahme an der Zusammenarbeit.

2.5   Transparenz bei der Finanzierung der ND-Maßnahmen erforderlich

Die Schwerpunktbereiche sollen zu konkreten Vorhaben öffentlich-privater Partnerschaften der ND, mit eindeutig definierten Partnern, Aktionsprogrammen, Zeitplänen und Haushalten entwickelt werden.

Auch wenn die Partnerländer zu einem bestimmten Schwerpunktthema noch kein Partnerschaftsvorhaben erarbeitet haben, sollten sie beispielsweise jährlich versuchen, möglichst präzise Maßnahmenprogramme einschließlich deren Umsetzung und Finanzierung zu vereinbaren.

Was die von zivilgesellschaftlichen Akteuren vorgeschlagenen Maßnahmen betrifft (siehe besonders Ziffer 2.2.4), ist es umso wichtiger, dass ein Verfahren entwickelt wird, mit dem kleinere Maßnahmen in einem möglichst unkomplizierten Antragsverfahren finanziert werden. Technische Hilfe ist dabei bei der Abfassung der Anträge erforderlich. Nicht minder wichtig ist, dass der Bearbeitungs- und Entscheidungsprozess zu Projektvorschlägen einfach und reibungslos vonstatten geht und nicht zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Nach Ansicht des EWSA könnten Vertreter der Zivilgesellschaft eine gewisse Teilverantwortung für den Ablauf dieses Verfahrens übernehmen.

Das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI) sollte EU-seitig eine wichtige Quelle zur Finanzierung der NDMaßnahmen sein. Ein entsprechend hoher Anteil aus den Mitteln der ENPI müsste für ND-Vorhaben und -Maßnahmen und auch die notwendigen Mittel zur Steuerung der ND müssten bereitgestellt werden.

Finanzmittel aus Russland und der Finanzierungsmechanismus Norwegen-EWR sind unumgänglich für die Umsetzung der regionalen und grenzüberschreitenden ND-Zusammenarbeit. Auch die anderen internationalen und nationalen Finanzquellen, die bisher bereits für ND-Vorhaben genutzt wurden (EBWE, EIB, NIB u.a.) werden weiter dringend gebraucht, um auch künftig die Umsetzung einer sinnvollen und ergebnisreichen gemeinsamen ND-Politik gewährleisten zu können.

In der Zivilgesellschaft müssen leicht verständliche Informationen über die zur Verfügung stehenden Finanzierungsmöglichkeiten, die Finanzquellen und das Verfahren zur Beantragung solcher Mittel für eigene Projektvorschläge verbreitet werden.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  http://europa.eu.int/comm/external_relations/north_dim/doc/guidelines05.pdf.

(2)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Beitrag der Zivilgesellschaft zu den Beziehungen zwischen der EU und Russland“, ABl. C 294 vom 25.11.2005, S. 33.

(3)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Nördliche Dimension und ihr Aktionsplan“, ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 34.

(4)  Grünbuch der Europäischen Kommission zum Thema „Eine europäische Strategie für nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energie“, 8. März 2006.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/96


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Europäische Nachbarschaftspolitik“

(2006/C 309/20)

Mit Schreiben des Kommissionsmitglieds FERRRERO-WALDNER vom 22. April 2005 ersuchte die Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Stellungnahme zu folgendem Thema: „Europäische Nachbarschaftspolitik“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 4. Mai 2006 an. Berichterstatterin war Frau CASSINA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) mit 160 gegen 2 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Vorbemerkung

Der EWSA hat bereits zwei Teilbewertungen der Europäischen Nachbarschaftspolitik vorgenommen, von denen eine den Ländern Mittel- und Osteuropas und die andere dem Mittelmeerraum galt (1). In dieser Stellungnahme wird auf den Inhalt dieser beiden Dokumente nur andeutungsweise Bezug genommen; den Institutionen der Europäischen Union und den betreffenden Staaten werden diese Dokumente zusammen mit der vorliegenden Stellungnahme zur Kenntnisnahme übermittelt.

0.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

0.1

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik eine Politik von größter strategischer Bedeutung ist, deren Potenzial im Hinblick auf Frieden, Stabilität, gemeinsame Werte und politische Maßnahmen, Förderung des Austauschs mit den Nachbarländern auf allen Ebenen durch eine kohärente und verantwortungsvolle Umsetzung genutzt werden muss.

0.2

Insbesondere unterstreicht der EWSA die Notwendigkeit, Folgendes aufeinander abzustimmen:

die Außenpolitik der Mitgliedstaaten und die Europäische Nachbarschaftspolitik,

die übrigen Maßnahmen im Bereich der EU-Außenbeziehungen und die Europäische Nachbarschaftspolitik,

die Außen- und Innenpolitik der Partnerländer und die Europäische Nachbarschaftspolitik,

die Maßnahmen der an der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik beteiligten verschiedenen Generaldirektionen der Kommission,

die Haushaltsentscheidungen der EU und die strategische Bedeutung der Europäischen Nachbarschaftspolitik,

die Anwendung des Grundsatzes des differenzierten Herangehens (das zu einer positiven Dynamik des Wettbewerbs zwischen Ländern und Regionen führen kann) und die Möglichkeit der Schaffung von Synergien innerhalb von und zwischen Regionen (durch die Zusammenarbeit und besseres Verständnis gefördert werden),

die als vorrangig erachteten konkreten Maßnahmen und die wichtigsten verfolgten Ziele.

0.3

Der EWSA ersucht alle beteiligten institutionellen Akteure, bei ihrem Handeln der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der Grundsatz der gemeinsamen Verantwortung (oder Eigenverantwortung) ein verstärktes Zurückgreifen auf demokratische Werte impliziert, die geachtet und gefördert, nicht nur formell geteilt werden müssen: die gemeinsame Verantwortung muss Leitprinzip der Beziehungen nicht nur zwischen der EU und den Partnerländern, sondern auch innerhalb der EU selbst und in den Partnerländern zwischen den nationalen Behörden und den Vertretern der Zivilgesellschaft sein. Daher kann eine erfolgreiche und zufrieden stellende Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik nur erfolgen, wenn die Organisationen der Zivilgesellschaft, insbesondere die sozialen und berufsständischen Akteure, deren beratende Rolle und Verhandlungsfähigkeit ausdrücklich anerkannt und gefördert werden müssen, systematisch einbezogen werden. Daher muss Folgendes sichergestellt werden:

klare, transparente, dokumentierte und zeitgerechte Informationen über die Beschlüsse hinsichtlich der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik,

Stellen, Instrumente und Mechanismen zur Beratung und Mitwirkung an der Fassung solcher Beschlüsse, um einen wirksamen zivilgesellschaftlichen Dialog führen zu können,

harmonisierte Informationen, Instrumente und Daten zur Bewertung des Erreichten, auch in Form der Verpflichtung, zu diesem Zweck regelmäßig Initiativen durchzuführen,

Ausbildungsmöglichkeiten, die es diesen Organisationen ermöglichen, an der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik mitzuwirken und auch durch den Zugang zu den Gemeinschaftsressourcen und -programmen einen qualitativ hochwertigen Beitrag zu leisten,

Möglichkeiten zum Aufbau von Netzen zwischen den Organisationen der verschiedenen Länder und Regionen für den Dialog, die Zusammenarbeit und die Überwachung der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik.

0.4

Der EWSA verpflichtet sich, Beziehungen zu den beratenden Organen und/oder den sozialen und wirtschaftlichen Organisationen der Partnerländer aufzubauen, zu pflegen und auszubauen, ihnen stets Gehör zu schenken und mit dem Europäischen Parlament und dem Ausschuss der Regionen zusammenzuarbeiten, um zu einer partizipativen, erfolgreichen und mit den Zielen Frieden, Stabilität, Sicherheit sowie gemeinsame und nachhaltige Entwicklung im Einklang stehenden Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik beizutragen.

1.   Einleitung

1.1

Im Laufe des europäischen Integrationsprozesses hat die Gemeinschaft die Situation in den benachbarten Ländern aus mindestens zwei wichtigen Gründen regelmäßig berücksichtigt:

Der Hauptgrund — zugleich der tiefere politische Grund, aus dem sich die europäischen Länder zum Zusammenschluss in einer Gemeinschaft veranlasst sahen — liegt in der Notwendigkeit von Frieden, Freiheit und Stabilität sowohl im Innern als auch außerhalb des Gemeinschaftsgebietes.

Der zweite Grund betrifft die Integration der Volkswirtschaften und Märkte und besteht in der Notwendigkeit, eine größere Handelszone zu gewährleisten, als sie die Mitgliedstaaten allein darstellen, und sich auf diese Weise mit Ländern auseinander zu setzen, die ein der Gemeinschaft vergleichbares Wirtschaftswachstum und Humanentwicklungsniveau aufweisen oder erreichen, damit der Handel mit diesen Ländern zum gegenseitigen Vorteil gereicht und nicht durch Wettbewerbsverzerrungen, Dumping und/oder eine protektionistische Abschottung der Märkte durch die eine oder andere Seite beeinträchtigt wird.

1.2

Während der langen Teilung der Welt in zwei Blöcke führten die Verschiedenartigkeit der Volkswirtschaften in Ost- und Westeuropa, vor allem jedoch die Unterschiedlichkeit der politischen Systeme leider dazu, dass Handel und Austausch (nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene, sondern auch und vor allem zwischen den Menschen, Kulturen und Gesellschaften) auf ein Mindestmaß und die Kontakte zwischen den Völkern auf beiden Seiten Europas mehr als 40 Jahre lang auf diplomatische oder oberflächliche Beziehungen zwischen Organisationen und Gebietskörperschaften beschränkt blieben. Dies führte dazu, dass sich die Klischees aus den Zeiten des kalten Krieges verfestigten und die vorgebliche demokratische Legitimation, über die die Regierungen des Ostblocks weder verfügten noch verfügen konnten, international begünstigt wurde.

1.3

Im gleichen Zeitraum baute die Europäische Gemeinschaft jedoch die Beziehungen zu denjenigen Nachbarländern in Europa weiter aus, die entweder demokratisch geprägt oder im Übergang von einer Diktatur zur Demokratie begriffen (Griechenland, Spanien und Portugal) waren, und durchlief nicht weniger als vier Erweiterungsprozesse (2). Zu den Ländern, die keine Beitrittsaussichten gehabt hätten oder der Gemeinschaft nicht beitreten wollten, wurden feste Beziehungen geknüpft und dazu Abkommen geschlossen. Dazu gehören die 1960 gegründete Europäische Freihandelsassoziation (EFTA), seit 1994 der Europäische Wirtschaftsraum (EWR), aber auch zahlreiche bilaterale Abkommen (insbesondere mit Ländern des Mittelmeerraums).

1.4

Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre erlangten die Nachbarländer im südlichen und östlichen Mittelmeerraum nach und nach eine große Bedeutung für die Europäische Gemeinschaft. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Ministerkonferenz 1995 in Barcelona, auf der eine strategische Partnerschaft auf der Grundlage von Assoziationsabkommen und regionalen Projekten aus der Taufe gehoben wurde. Das Ziel war die Schaffung einer Freihandelszone und eines gemeinsamen Raumes des Friedens, der Sicherheit und des Wohlstandes bis zum Jahr 2010.

1.5

Das Ereignis, das jedoch die geopolitische Lage der Europäischen Gemeinschaft von Grund auf änderte — einer Gemeinschaft, welche mittlerweile ihre Märkte erfolgreich integriert hatte und die Einführung einer gemeinsamen Währung anging -, war die Befreiung der Länder Mittel- und Osteuropas vom Sowjetsystem und ihr Übergang zur Demokratie und Marktwirtschaft.

1.6

Die mit der Erweiterung am 1. Mai 2004 vollzogene Wiedervereinigung Europas ist wohl der größte politische Erfolg unseres Kontinents seit dem Kriegsende. Sie macht die EU zu einer Region, die reich an Humanressourcen, Kulturgütern, geschichtlichem Erbe, Wirtschaftspotenzial und Sozialkapital ist und sich deutlich vom Europa der Vergangenheit abhebt. Dieser grundlegende quantitative und qualitative Wandel der EU macht es erforderlich, die neue Realität voll zu erfassen, sie zu nutzen, zu fördern und geltend zu machen und dazu alle gemeinschaftlichen Politikbereiche und somit auch die Beziehungen zu den Nachbarländern entsprechend anzupassen. Die Europäische Nachbarschaftspolitik ist das Ergebnis dieser auch vom EWSA völlig geteilten Überzeugung. Der Ausschuss hat durch seine nachhaltige Zusammenarbeit und den Dialog mit den Organisationen der Zivilgesellschaft in den Kandidatenländern zu diesen Errungenschaften beigetragen.

2.   Die Anfangsphase der Europäischen Nachbarschaftspolitik

2.1

Die Notwendigkeit, eine Nachbarschaftspolitik zu entwickeln, wurde bereits auf der Tagung des Rates (Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen) im November 2002 und vom Europäischen Rat auf seiner Kopenhagener Tagung im Dezember 2002 festgestellt. Dort erging die Aufforderung an die EU, die Beziehungen zu den Nachbarländern auf der Grundlage gemeinsamer Werte auszubauen und zu verstärken, um neue Teilungen in Europa zu verhindern und sowohl im Innern als auch außerhalb der Gemeinschaft Stabilität und Wohlstand zu fördern. Zunächst standen die Beziehungen zu Russland, zur Ukraine, zu Weißrussland und Moldawien sowie zu den Mittelmeer-Partnerländern im Mittelpunkt dieser Bemühungen.

2.2

In den Jahren 2003 und 2004 veröffentlichte die Kommission jeweils eine Mitteilung und im Jahr 2004 auch einen Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung eines Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (3).

2.3

Neben den oben genannten Ländern wurde die Europäische Nachbarschaftspolitik im Jahr 2004 auf ausdrücklichen Wunsch von drei Ländern des Südkaukasus (Armenien, Aserbaidschan und Georgien) auf diese Länder ausgedehnt. Bereits zuvor hatte Russland wissen lassen, dass es sich nicht an der Europäischen Nachbarschaftspolitik beteiligen, jedoch die Beziehungen zur EU im Rahmen der spezifischen „strategischen Partnerschaft“ fortsetzen werde. Die Europäische Nachbarschaftspolitik schließt auch nicht die Balkanstaaten ein, die dem Stabilitätspakt des Balkans angehören und/oder Bewerberländer sind wie Kroatien, und auch nicht die Türkei (die früher in die Politik der Partnerschaft Europa-Mittelmeer fiel und heute ein Bewerberland ist, das am 3. Oktober 2005 in Beitrittsverhandlungen mit der EU eingetreten ist).

2.4

Die Nachbarschaftspolitik zielt darauf ab, in einer Reihe wichtiger Bereiche gemeinsam mit den Nachbarländern Politik zu betreiben, und setzt ein vorrangiges Engagement der EU und der Partnerländer für gemeinsame Werte voraus (Grundsatz der gemeinsamen Verantwortung). Dazu gehören Rechtstaatlichkeit, verantwortungsvolles Regieren, die Achtung der Menschenrechte und der Rechte von Minderheiten, die Durchsetzung des Prinzips der Gleichstellung der Geschlechter, Marktwirtschaft und nachhaltige Entwicklung. Von den Partnerländern wird auch ein besonderes Engagement im Kampf gegen den Terrorismus, gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, für die Einhaltung des Völkerrechts und für die friedliche Beilegung von Konflikten verlangt.

2.5

In Abstimmung mit den Partnerländern werden nationale Aktionspläne (NAP) aufgestellt, die einerseits den Besonderheiten und Forderungen der einzelnen Beteiligten Rechnung tragen (Grundsatz des differenzierten Herangehens), zugleich aber gemeinsame Prioritäten aufweisen, die sich auf die Förderung der im vorstehenden Absatz genannten Werte beziehen. Die NAP werden von den jeweiligen Assoziationsräten gebilligt und von den Partnerländern und der EU gemeinsam umgesetzt. Die Umsetzung der nationalen Aktionspläne wird von der EU durch regelmäßige Berichte der Kommission überwacht, um die Strategie gegebenenfalls an die Ergebnisse der einzelnen Partnerländer anpassen zu können.

2.6

Bis zum Ende der laufenden Finanzplanung (Ende 2006) werden die Mittel aus den Programmen TACIS und MEDA bereitgestellt. In der finanziellen Vorausschau 2007-2013 dagegen soll für die Europäische Nachbarschaftspolitik ein einheitliches Finanzierungsinstrument vorgesehen werden (das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument). Die Höhe der bereitzustellenden Mittel muss noch festgelegt werden, der Kommissionsvorschlag dürfte jedoch doppelt so hoch sein wie die derzeit im Rahmen der beiden genannten Programme bereitgestellten Mittel.

2.7.

Der EWSA muss zu seinem Bedauern feststellen, dass die Kommission bisher weder in ihren Dokumenten noch in den Verhandlungen über die Aufstellung der NAP Elemente vorgeschlagen hat, die der gemeinschaftlichen Entwicklung eigen sind und die den Integrationsprozess unterstützt und demokratischer und partizipativer gestaltet haben: insbesondere fehlen die Konzepte des „sozialen Dialogs“ und der „beratenden Funktion“. Der EWSA hat die Kommission bereits mehrfach auf diese Lücken hingewiesen und erwartet, dass sich alle Gemeinschaftsinstitutionen dafür einsetzen, dass diese Konzepte bei der Umsetzung der NAP zur gängigen Praxis werden.

3.   Der Begriff der Nachbarschaft und die damit zusammenhängenden Probleme

3.1

Der Begriff der Nachbarschaft scheint intuitiv zwar ziemlich klar, nicht so klar ist jedoch, wie eine auf dieser Intuition aufbauende Politik, die zugleich sehr ehrgeizige Ziele verfolgt, mit der notwendigen strategischen Stringenz betrieben werden kann. Die EU als solche hat sich eine gemeinsame Außenpolitik gegeben, die allerdings noch begrenzt ist, da die Mitgliedstaaten viele Kompetenzen in diesem Bereich eifersüchtig hüten und ausüben. Das Problem besteht darin zu begreifen, dass eine EU-Außenpolitik nicht den Mitgliedstaaten die Kompetenz für eigene internationale Strategien entzieht, sondern diese sogar ergänzen und ihnen einen Mehrwert verleihen kann, wenn die Mitgliedstaaten den Willen entwickeln, gemeinsam zu handeln und sich mit Instrumenten zur Abstimmung ihrer außenpolitischen Maßnahmen auszustatten, damit ein in sich schlüssiges und wirkungsvolles Handeln aller Beteiligten in einem bestimmten Gebiet gewährleistet werden kann. Im Fall der Europäischen Nachbarschaftspolitik kann dieses Ziel erreicht werden, sofern die Mitgliedstaaten und die EU mit Bestimmtheit für Kohärenz mit der Gemeinschaftsebene sorgen, den Partnern gegenüber geschlossen auftreten und die gleichen Ziele und ähnliche Vorschläge vertreten.

3.2

Der Begriff der Nachbarschaftspolitik darf nach Ansicht des EWSA nicht rein geografisch interpretiert werden. Aus der Definition der Nachbarschaftspolitik in den verschiedenen in Fußnote 3 genannten Dokumenten ergibt sich vielmehr eine stark durch gemeinsame Werte, Kulturen und Vorhaben (4) (oder die Suche danach) geprägte Bedeutung des Begriffs. Es handelt sich um eine Nachbarschaft, die zwar geografische, aber vor allem politische und wertbezogene Merkmale aufweist. Demnach kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass später weitere Länder in die Europäische Nachbarschaftspolitik einbezogen werden.

3.3

Im Zusammenhang mit dem Grundsatz der gemeinsamen Verantwortung für die durchzuführenden Aktionen könnte sich daraus ein Problem ergeben, dass in Bezug auf die Partnerländer der Nachbarschaftspolitik nie von Beitritt die Rede ist. Die Aussicht auf einen möglichen Beitritt wäre sicher viel motivierender; es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die Inhalte, Verfahren und proportional auch die für die nationalen Aktionspläne bereitgestellten Mittel weitgehend, wenn nicht gar völlig denen des Beitrittsprozesses für die neuen Mitgliedstaaten bei der letzten Erweiterung entsprechen. Auch der Mechanismus für die Durchführung von Entwicklungsmaßnahmen in den Partnerländern sollte sich an den mit der Strukturpolitik gemachten Erfahrungen orientieren und sich auf eine sehr enge Partnerschaft zwischen der EU und den Partnerländern stützen. Ein methodologisches Merkmal der Nachbarschaftspolitik ist das schrittweise Vorgehen, das es ermöglicht, die eingesetzten Methoden und Instrumente zu kontrollieren, aber vor allem alle wesentlichen Entwicklungen zu bewerten, die möglicherweise zu einer Änderung der bisherigen Zielsetzungen führen könnten. Bereits in der „neuen Phase“ der Nachbarschaftspolitik sind noch intensivere Beziehungen zu Partnerländern vorgesehen, welche die nationalen Aktionspläne am besten umsetzen. Hierbei handelt es sich um eine Art „Prämie“, die zu einer Vertiefung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen und hoffentlich auch derjenigen zwischen den Gesellschaften beitragen dürfte, womit den — mitunter sogar enthusiastischen — Erwartungen der Bürger der Partnerländer entsprochen wird. Zum heutigen Zeitpunkt jede Möglichkeit des Beitritts durch starre Rahmenbedingungen auszuschließen, hält der EWSA daher für ebenso falsch wie falsche Hoffnungen zu wecken.

3.4

Die Kommission veröffentlichte im März 2005 eine Mitteilung mit Empfehlungen für die Länder, für die noch keine nationalen Aktionspläne verabschiedet wurden (5): es handelt sich hierbei um die drei Länder des Südkaukasus sowie Ägypten und den Libanon. Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung am 25. April 2005 das Dokument gebilligt und seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die nationalen Aktionspläne bald fertig gestellt werden können, damit die zuständigen Organe (Assoziationsräte) sie schnellstmöglich billigen und die Pläne selbst in die Umsetzungsphase treten können. Darüber hinaus hat der Rat auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, den Grundsatz der Differenzierung anzuwenden, jedoch gleichzeitig die Erklärung der drei Länder des Südkaukasus hervorgehoben, die beabsichtigen, möglichst großen Nutzen aus den Instrumenten der Europäischen Nachbarschaftspolitik zu ziehen, um die regionale Zusammenarbeit zu stärken (siehe auch Ziffer 4).

4.   Probleme auf einzelnen Gebieten

4.1

Die Europäische Nachbarschaftspolitik zeichnet sich durch stark bilateral geprägte Beziehungen (EU/Partnerländer) aus. Die Gebiete, in denen sie zur Anwendung kommt (die sich grob als die Länder Mittel- und Osteuropas, des Mittelmeerraums und des südlichen Kaukasus definieren lassen) weisen allerdings eigene Besonderheiten auf, weshalb die Umsetzung der Nachbarschaftspolitik besonders auf die Nutzung gebietsbedingter Synergien und auf die Beachtung der internen Beziehungen innerhalb eines Gebietes abstellen sollte: dieses Ziel kann mit Hilfe gezielter Maßnahmen und Anreize erreicht werden, die die Entwicklung von Beziehungen und Zusammenarbeit nicht nur innerhalb eines bestimmten Gebietes, sondern auch zwischen verschiedenen Gebieten erleichtern und fördern. Davon würden nicht nur die Länder dieser drei Gebiete profitieren — die häufig ausdrücklich hierum bitten -, sondern dies würde auch zu Stabilität, Sicherheit und Frieden in der gesamten Europäischen Union und in den über das Anwendungsgebiet der Nachbarschaftspolitik hinausgehenden Ländern beitragen. Auf jeden Fall sind Flexibilität und Pragmatismus wichtig, um ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Bilateralismus und der Förderung der innergebietlichen und gebietsübergreifenden Zusammenarbeit zu gewährleisten.

4.2

Das Verfahren zur Umsetzung der Nachbarschaftspolitik bedingt ein bestimmtes Maß an Wettbewerb zwischen den einzelnen Partnerländern. In dem Maße, in dem ein Land im Hinblick auf die gemeinsam mit der EU festgelegten Ziele Fortschritte verzeichnet, kann sich nämlich seine Situation als Partner der EU verbessern (stärkere Erleichterungen, stärkere Unterstützung für Schlüsselmaßnahmen, stärkere Öffnung der Märkte, Erleichterungen bei der Freizügigkeit usw.). Dieser Wettbewerb kann sich auch zwischen größeren Gebieten entwickeln, wobei in diesem Fall verhindert werden muss, dass sich in den Gebieten — oder den Ländern innerhalb eines Gebietes -, die mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, Enttäuschung und Resignation breit macht. Es gilt besonders, die Kontakte zwischen den einzelnen Ländern und Gebieten zu fördern, denn wenn jeder Akteur der Nachbarschaftspolitik das Gefühl hat, dass seine Anstrengungen sowohl ihm selbst als auch einer großen gemeinsamen Unternehmung zugute kommen, trägt dies zum gegenseitigen Verständnis bei und könnte noch ungeahnte Möglichkeiten der Zusammenarbeit eröffnen. Der Beitrag der Zivilgesellschaft kann bei dieser Dynamik ein kraftvoller Motor sein.

4.3

Gleichzeitig ist darauf hinzuweisen, dass in allen drei in die Europäische Nachbarschaftspolitik einbezogenen großen Gebieten offene oder latente Konflikte herrschen bzw. der Ausbruch von Konflikten droht. Weitere Spannungen treten auch in einigen Partnerländern auf, insbesondere dort, wo die Demokratie noch nicht gefestigt ist. Zwar ist es legitim, sich Gedanken über deren Auswirkungen innerhalb der EU zu machen, doch ist es noch wichtiger, sich um die Sicherheit und die Stabilität der Partnerländer und ihrer Bürger zu sorgen. Daher muss besonderes und beständiges Augenmerk auf die Durchführung gezielter Maßnahmen gerichtet werden, die im Rahmen der Durchführung der nationalen Aktionspläne speziell darauf ausgerichtet sind, Spannungen und Konflikte zu entschärfen, die Voraussetzungen für eine Überwindung der Schwierigkeiten zu schaffen und die Zusammenarbeit zwischen den Ländern, Volkswirtschaften und Völkern zu fördern. Selbstverständlich müssen bei diesen Maßnahmen unbedingt die Organisationen der Zivilgesellschaft, die ein unabdingbares Instrument für ein friedliches Zusammenleben sind, als Hauptakteure bei der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenarbeit einbezogen werden.

4.3.1

Es ist auch wichtig, die verschiedenen Initiativen der EU im Bereich der Außenbeziehungen so zu entwickeln, dass die Kohärenz mit den verschiedenen Elementen der Europäischen Nachbarschaftspolitik gewährleistet wird. In diesem Zusammenhang gestalten sich die Beziehungen zu Russland im Rahmen der strategischen Partnerschaft besonders schwierig, wie die jüngste Erdgaskrise zeigt. Es ist darüber hinaus sinnvoll, — nicht nur im Falle der Ukraine — sämtliche Auswirkungen, auch die sozialen und wirtschaftlichen, die die Anerkennung des Status als Marktwirtschaft sowohl auf das betreffende Land als auch auf die EU haben kann, genau zu prüfen.

4.3.2.

In diesem Zusammenhang wäre es scheinheilig, die Tatsache zu verschweigen, dass zu den Zielen der Europäischen Nachbarschaftspolitik auch die Gewährleistung guter Beziehungen zu Ländern gehört, die unsere Lieferanten für Energierohstoffe sind. Daran ist nichts Anstößiges, allerdings nur unter zwei Bedingungen: erstens darf die legitime Sorge um die Versorgungssicherheit nicht über die Ziele der kompatiblen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Partnerländer gestellt werden, und zweitens müssen die Mitgliedstaaten kohärenter vorgehen und eine echte Bereitschaft zur Zusammenarbeit untereinander unter Beweis stellen, um gemeinsam die ebenso heiklen wie strategischen Probleme zu lösen, die mit dem Energiesektor verbunden sind.

4.4

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen und Zielsetzungen spielt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten und den Partnerländern eine wesentliche Rolle. Die meisten neuen Mitgliedstaaten grenzen direkt an Länder an, die in die Europäische Nachbarschaftspolitik einbezogen sind, wodurch sie einerseits den Problemen ausgesetzt sind, die die Nachbarschaft mit sich bringen kann, und andererseits von den durch diese Nähe gebotenen Chancen profitieren. Daher muss bei der Europäischen Nachbarschaftspolitik darauf abgestellt werden, die Risiken der Instabilität (sowohl in politischer als auch wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht) auf ein Minimum zu reduzieren, vor allem aber darauf, die Umwandlung potenzieller Chancen in konkrete Maßnahmen und für beide Seiten nützliche Errungenschaften zu erleichtern. Dies wird sich auf das gesamte — heute weit geöffnete und homogene — Gemeinschaftsgebiet in Form eines Ausbaus und einer Verbesserung der Beziehungen, einer größeren Sicherheit und einer besseren Völkerverständigung positiv auswirken.

4.5

In der vorliegenden Stellungnahme soll nicht auf die spezifischen Gegebenheiten der einzelnen Länder oder Gebiete eingegangen werden, da der EWSA — wie eingangs erwähnt — bereits einige konkrete Beiträge zum Mittelmeerraum und zu den neuen Nachbarländern in Osteuropa vorgelegt hat. Im Februar 2006 führte die vom EWSA mit den Organisationen der ukrainischen Zivilgesellschaft in Kiew ergriffene Initiative zu einer regen Tätigkeit dieser Organisationen — die Begeisterung für die EU zeigen und hohe Erwartungen an die Europäische Nachbarschaftspolitik stellen — und zeigte, dass die mit der angeführten Stellungnahme zu den Nachbarländern in Osteuropa in Angriff genommene Arbeit konkrete Früchte zu tragen beginnt. Der EWSA ist entschlossen, sich stärker strukturierte und längerfristig angelegte Ziele in Bezug auf den Dialog und die Zusammenarbeit mit den Organisationen der ukrainischen Zivilgesellschaft zu setzen.

4.5.1

Im Hinblick auf Weißrussland ist der EWSA sehr über die jüngsten Ereignisse besorgt und verurteilt die Repression sowie die antidemokratischen Praktiken und Verfolgungen, die die bürgerlichen und sozialen Rechte verletzen. Der EWSA, der auch weiterhin immer engere Beziehungen zu den Organisationen der weißrussischen Zivilgesellschaft aufbauen wird, erarbeitet derzeit eine diesbezügliche Stellungnahme (6).

4.5.2

Leider fehlt es dem EWSA jedoch noch an einer unmittelbaren Analyse und auch an soliden Kontakten mit den Organisationen der Zivilgesellschaft der Länder des Südkaukasus. Dieser Mangel könnte kurzfristig behoben werden, indem vertiefende Arbeiten in Form eines Informationsberichts und eventuell einer spezifischen Stellungnahme aufgenommen werden.

5.   Methodologische und Finanzinstrumente

5.1

Die Methoden zur Umsetzung der nationalen Aktionspläne beinhalten einen kontinuierlichen Prozess des Dialogs und der Verhandlungen zwischen den offiziellen Stellen der EU und der beteiligten Länder. Zur Durchsetzung der Maßnahmen müssen alle Beteiligten die im Rahmen der EU üblichen Verfahren einsetzen. Der EWSA hat sich bereits seinerzeit im Zusammenhang mit dem MEDA-Programm zutiefst beunruhigt darüber gezeigt, dass die Empfänger und insbesondere die Organisationen der Zivilgesellschaft große Schwierigkeiten haben, an diese Finanzmittel heranzukommen (7). Die Mittelzuweisungen und Kontrollen müssen zwar strengen Kriterien entsprechen, um jeglichem Missbrauch von Geldern vorzubeugen, sie müssen aber auch unbedingt klar, transparent (z.B. durch Übersetzung der Formulare in die Sprache der Empfänger!), einfach gehalten und unmittelbar auf die politischen Ziele der Europäischen Nachbarschaftspolitik zurückführbar sein. Ein Übermaß an Formalitäten, um an die Fördergelder zu gelangen, die durch die Bürokratie noch zusätzlich verkompliziert werden, führt weder zu einer besseren Einhaltung der Prioritäten, noch erreicht man dadurch die notwendige Wirksamkeit der Aktionen. Vielmehr wird dadurch das „Geschäft mit der Kooperation“ angekurbelt, von dem sich die Consultingfirmen nähren. Letztendlich geht bei den Partnern der Reichtum ihrer Spezifizität und die Fähigkeit zur Initiative verloren. Die Institutionen der EU bestehen darauf, dass die Nachbarschaftspolitik als maßgeschneiderte Politik zu verstehen ist. Dieser Aspekt ist sehr wichtig; er muss aber auch bei den Verfahren und Methoden zur Umsetzung seinen Niederschlag finden, die systematisch und kontinuierlich an der wirtschaftlichen und sozialen Realität der einzelnen Länder auszurichten und somit für die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure nachvollziehbar zu machen sind.

5.1.1

Häufig ist es für die Organisationen der Zivilgesellschaft zumindest teilweise deshalb schwierig, Zugang zu den Programmen und den entsprechenden Mitteln zu bekommen, weil sie die Vorschriften und Verfahren nur unzureichend oder ungefähr kennen. Der Zugang zu einem Gemeinschaftsprogramm oder zu Maßnahmen im Rahmen einer von der EU geförderten Politik kann nicht mit einer Ausschreibung gleichgesetzt werden, bei der die Bieter gehalten sind, sich mit den für die Teilnahme erforderlichen Informations- und Organisationsinstrumenten auszustatten. Die Gemeinschaftsinstitutionen müssen hier eine klare Verantwortung übernehmen und die wirtschaftlichen und sozialen Organisationen bei der Entwicklung entsprechender Kapazitäten und Kompetenzen unterstützen. Bis vor einigen Jahren führte die Kommission noch eine derartige Maßnahme durch, die darin bestand, den Projektteilnehmern Kurse zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Diese Preise haben sich in letzter Zeit verdreifacht und sind damit für die meisten gesellschaftlichen Akteure, die sie benötigen würden, unerschwinglich geworden. Der EWSA hält die Verbreitung dieser Art von Know-how unter den Organisationen der Zivilgesellschaft für ebenso unerlässlich wie den Aufbau von Verwaltungskapazitäten in den Partnerländern bzw. Ländern der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Daher muss sie als eine unerlässliche, kostenlos zur Verfügung zu stellende Dienstleistung betrachtet werden, wenn die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik mitwirken soll.

5.2

Da sich die nationalen Aktionspläne auf sämtliche Politikfelder erstrecken, die in den Zuständigkeitsbereich der Kommissionsmitglieder fallen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik von allen GD verstanden und unterstützt wird, die im Verbund und verantwortungsvoll arbeiten müssen, um zu ihrem Erfolg beizutragen.

5.3

Das Verfahren zur regelmäßigen Bewertung kann nur dann wirksam sein, wenn es sich auf das Wesentliche beschränkt, Wiederholungen vermeidet und sich auf die vorrangigen Ziele konzentriert. Dadurch kann die organisierte Zivilgesellschaft, die ja ein für den Erfolg dieser wie jeder anderen Politik unersetzbarer Akteur ist, einen wirksameren und ergiebigeren Beitrag zur Durchführung und Bewertung der Europäischen Nachbarschaftspolitik leisten (siehe auch Ziffer 6). Von der Sache her ist hierbei den Kriterien Priorität einzuräumen, die herangezogen werden um nachzuweisen, dass das betreffende Partnerland im Hinblick auf die Demokratie Fortschritte erzielt und die Werte und Grundrechte geachtet hat. Im Hinblick auf die Vorgehensweise muss der Einrichtung eines Netzes für die Erhebung von Daten und für Statistiken Vorrang gegeben werden, das eine zuverlässige und möglichst vergleichbare Bewertung der Ergebnisse der einzelnen betroffenen Länder ermöglicht. Außerdem sollte eine gewisse Gleichzeitigkeit der Bewertungsberichte angestrebt werden; dies würde sowohl die Bewertung der besten Ergebnisse als auch die Ermittlung der Prioritäten, die einer größeren oder andersgearteten Unterstützung bedürfen, erleichtern.

5.4

Auch wenn die EU der wichtigste Handelspartner der Partnerländer der Europäischen Nachbarschaftspolitik ist, reichen die von der EU für die Zusammenarbeit bereitgestellten Haushaltsmittel bisweilen und im Falle einiger Länder nicht an die anderer Global Players heran; unsere Partner haben jedoch schon mehrfach gezeigt, dass der Beitrag und das Wirken der Gemeinschaft von großer qualitativer Bedeutung für ihre Entwicklung ist. Dadurch können bestimmte Errungenschaften gefestigt, nachhaltig Kapazitäten und eine Partnerschaft aufgebaut werden, in der jeder Akteur gleichberechtigt ist, Eigenverantwortung hat und nicht als Unterstützungsempfänger gilt, der dann mehr oder weniger gezwungen ist, in Ziele einzuwilligen, die nicht seine eigenen sind.

5.5

Die Erwartungen unserer Partner dürfen nicht enttäuscht werden. Das erfordert, dass alle Akteure der Gemeinschaft konkrete Verantwortung übernehmen, was vor allem für die Mitgliedstaaten gilt, die ja die größten Haushaltsbefugnisse besitzen. Es ist wichtig, die Europäische Nachbarschaftspolitik in der finanziellen Vorausschau 2007-2013 aufzuwerten, da sie für die innere Entwicklung und Sicherheit der EU wie auch für die Stärkung ihrer Rolle als Global Player große Bedeutung hat. Dann wird es auch leichter sein, privates Kapital zu mobilisieren, da die Investoren sich auf kohärente und sichere Rahmenbedingungen verlassen können.

6.   Die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Europäischen Nachbarschaftspolitik

6.1

Der EWSA ist davon überzeugt, dass der Erfolg der Europäischen Nachbarschaftspolitik stark davon abhängt, inwiefern alle institutionellen Akteure die Organisationen der Zivilgesellschaft an der Umsetzung der nationalen Aktionspläne zu beteiligen wissen. Dies hat der Ausschuss in seinen vorhergehenden Stellungnahmen, beispielsweise in allen Stellungnahmen zum Erweiterungsprozess (8), umfassend begründet. Die Kommission sollte nach Ansicht des Ausschusses ein deutlicheres Signal in diese Richtung aussenden, indem sie Kriterien, Verfahren und Instrumente für die Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft an der Umsetzung der NAP vorschlägt. Unbeschadet der Ausführungen in Ziffer 3.3 ist die im Zuge der Erweiterung gewonnene Erfahrung ein wichtiger Bezugspunkt sowohl bei der Einbindung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure der Kandidatenländer in den Verhandlungsprozess als auch im Hinblick auf die Führung eines Dialogs zwischen den Organisationen der Zivilgesellschaft der EU-Mitgliedstaaten und jenen der Kandidatenländer. Während dem erstgenannten Aspekt durchaus Rechnung getragen wurde (insbesondere in einigen ehemaligen Kandidatenländern, die heute der EU angehören), blieb der zweite Aspekt der freiwilligen Initiative von Organisationen, Stiftungen und beratenden Organen, insbesondere dem EWSA, überlassen. Bei der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik wird hingegen eine Strukturierung und Gewährleistung dieser Einbindung vonnöten sein.

6.2

Auf der Grundlage der Erfahrungen und Arbeiten des EWSA sowie der Vorschläge aus den in Fußnote 1 aufgeführten Stellungnahmen werden hier lediglich die Maßnahmen aufgelistet, die nach Auffassung des EWSA unerlässlich sind, um das Ziel einer effizienten Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik unter Beteiligung der Zivilgesellschaft zu erreichen.

6.3

Der EWSA fordert die Kommission auf:

intern für eine starke Kohärenz zwischen den verschiedenen GD zu sorgen, die sich mit den verschiedenen Aspekten der Europäischen Nachbarschaftspolitik beschäftigen, und die Nutzung von Synergien, vernetztes Arbeiten und die Förderung bewährter Praktiken anzuregen;

gegenüber den Regierungen der Partnerländer der Europäischen Nachbarschaftspolitik nachdrücklich zu bekräftigen, dass die Beteiligung von Organisationen der Zivilgesellschaft an der Umsetzung der nationalen Aktionspläne notwendig ist, und außerdem zu diesem Zweck ein Kriterium für die Einbeziehung der Organisationen der Zivilgesellschaft in die Bewertung der Ergebnisse der verschiedenen Partnerländer der Europäischen Nachbarschaftspolitik einzuführen;

den wirtschaftlichen und berufsständischen Akteuren das nötige Know-how zu vermitteln, um die für die Europäische Nachbarschaftspolitik vorgesehenen Ressourcen bestmöglich und ordnungsgemäß einzusetzen und um es den entsprechenden Akteuren zu ermöglichen, die Umsetzung der nationalen Aktionspläne in ihrem jeweiligen Land zu überwachen und Follow-up-Vorschläge zu unterbreiten;

klare und wirksame Kriterien vorzugeben, anhand derer bewertet werden kann, inwieweit gemeinsame Werte als maßgebliche Priorität bei der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik gegeben sind;

Informationen und Unterlagen über die im Rahmen der Assoziierungsabkommen vorgesehenen Sitzungen, die die Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik zum Gegenstand haben, zur Verfügung zu stellen (insbesondere die Sitzungskalender und die Tagesordnungen für die einzelnen Sitzungen), die Durchführung von Informationsveranstaltungen und Konsultationen vor und nach diesen Sitzungen zu fördern;

ein Instrument vorzuschlagen, das den Bürgern aus den Partnerländern, die zu Studien-, Ausbildungs- und Forschungszwecken bzw. zur Pflege von Kontakten mit Partnerorganisationen oder aus geschäftlichen Gründen in die EU einreisen wollen, den Erhalt des Visums erleichtert;

die Bemühungen des EWSA um Koordinierung der beratenden Organe und der an der Umsetzung der nationalen Aktionspläne beteiligten Organisationen der Zivilgesellschaft zu unterstützen, insbesondere durch die Finanzierung alljährlich stattfindender Gipfeltreffen der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbarer Einrichtungen (analog zu den Gipfeltreffen, die der EWSA im Rahmen der Partnerschaft Europa-Mittelmeer seit 10 Jahren veranstaltet), auf denen die Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik insgesamt bewertet und den beteiligten Organisationen die Möglichkeit gegeben wird, sich in einem übergreifenden Rahmen und nicht nur auf bilateraler und lokaler Ebene auszutauschen.

6.4

Der EWSA fordert die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten auf:

ein Verfahren für einen systematischen Vergleich festzulegen, damit die Kohärenz zwischen den einzelnen nationalen Außenpolitiken und der Europäischen Nachbarschaftspolitik sowie deren Effizienz gewährleistet wird, um eine kritische Masse nicht nur an Ressourcen, sondern vor allem an Initiativen zu erreichen, die zur Erzielung von für alle Beteiligten vorteilhaften Ergebnissen beitragen;

im Rahmen ihrer Außenpolitik eine Europäische Nachbarschaftspolitik in der Weise zu betreiben, dass der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft sowohl in den Partnerländern als auch auf nationaler Ebene zur Geltung gebracht wird, und zwar auch mithilfe gemeinsamer politischer Maßnahmen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der Schaffung von Partnerschaften und Netzen mit den in diesem Bereich tätigen Organisationen der Zivilgesellschaft;

für Kohärenz zwischen den im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik eingegangen Verpflichtungen und den von den internationalen multilateralen Organisationen ergriffenen Initiativen zu sorgen;

alle Informationen über die Standpunkte der nationalen Regierungen zu den Punkten der Tagesordnungen aller im Rahmen der Assoziierungsabkommen stattfindenden Sitzungen bereitzustellen;

sich um die Förderung und Erleichterung des Zugangs zu ihren jeweiligen Hochschulen für Studenten aus den Partnerländern zu bemühen;

auf nationaler Ebene regelmäßige (zwei mal jährlich stattfindende) Informationstage zu veranstalten, in deren Rahmen die Ergebnisse der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik und das Urteil der jeweiligen Regierung über die Fortschritte in diesem wichtigen politischen Bereich bekannt gegeben werden.

6.5

Der EWSA fordert die Regierungen der Partnerländer der europäischen Nachbarschaftspolitik auf:

eine starke Kohärenz zwischen ihrer jeweiligen bilateralen und multilateralen Außenpolitik und den im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik eingegangenen Verpflichtungen anzustreben;

die klare und kontinuierliche Information der Organisationen der Sozialpartner und der Berufsverbände ihrer Länder über die Fortschritte bei der Umsetzung der NAP zu gewährleisten, wobei auch der Zugang zu Dokumentation über die Entwicklungen bei der Umsetzung der NAP ermöglicht werden muss;

die Beratungsorgane — soweit vorhanden — systematisch zu Beschlüssen zu konsultieren, die im Zusammenhang mit der Umsetzung der NAP oder mit Blick auf Evaluierungen und eventuelle Folgephasen zur weiteren Verbesserung der Beziehungen zwischen dem betreffenden Land und der EU in Vorbereitung sind;

in denjenigen Partnerländern, in denen es keine Beratungsorgane gibt, geeignete Mechanismen zu schaffen, um die Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft an der Beschlussbildung im Rahmen der Durchführung der NAP und an der Überwachung der ergriffenen Maßnahmen zu fördern und zu koordinieren;

für die Konsultation und Partizipation der Zivilgesellschaft auch auf den nachgeordneten Ebenen zu sorgen, damit die Europäische Nachbarschaftspolitik auch zur Entwicklung und Ausgewogenheit des wirtschaftlichen und sozialen Gefüges im gesamten Staatsgebiet beitragen kann.

6.6

Der EWSA fordert die Organisationen der Zivilgesellschaft der Partnerländer der europäischen Nachbarschaftspolitik auf:

sich zu verpflichten, sich über die Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik in ihrem jeweiligen Land zu informieren, sie zu bewerten und daran mitzuwirken, entweder indem sie darauf dringen, dass ihnen ihre Regierungen Informationen zur Verfügung stellen und Möglichkeiten zur Mitwirkung bieten, oder indem sie gemeinsam mit dem EWSA auf die ermittelten Prioritäten hinweisen und diese bei den Gemeinschaftsinstitutionen bekannt machen;

für einen strukturierten Dialog zur Verfügung zu stehen, entweder mit dem EWSA oder mit den beratenden Organen der EU-Mitgliedstaaten und anderer Partnerländer der Europäischen Nachbarschaftspolitik, um ein weitgespanntes Netz zur Überwachung der Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik zu schaffen, dafür zu sorgen, dass die Organisationen einander besser kennen lernen, und die Verbreitung bewährter partizipativer Praktiken zu fördern.

6.7

Der EWSA verpflichtet sich seinerseits, die Umsetzung der Europäischen Nachbarschaftspolitik in den verschiedenen Regionen genau zu verfolgen und alle besonders wirksamen Formen der Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und dem Ausschuss der Regionen auszubauen, um zur Einbeziehung der Organisationen der Zivilgesellschaft in diese wichtige Politik beizutragen.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Eine Stellungnahme zum Thema „Größeres Europa — Nachbarschaft Ein neuer Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn“ (Berichterstatterin: Frau Alleweldt (ABl. C 80 vom 30.3.2004, S. 148-155); eine zweite zur „Rolle der Beratungsorgane und Berufsverbände bei der Umsetzung der Partnerschaftsabkommen und im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik“ (Beitrag zum Thema des Gipfeltreffens der Wirtschafts- und Sozialräte und vergleichbarer Einrichtungen am 16./17. November 2005 in Jordanien; Berichterstatterin: Frau Cassina; erarbeitet unter Mitwirkung der Wirtschafts- und Sozialräte Griechenlands, Israels und Tunesiens sowie einer Vertretung der wirtschaftlichen und sozialen Gruppen Marokkos).

(2)  1973: Dänemark, Vereinigtes Königreich und Irland; 1981: Griechenland; 1986: Spanien und Portugal und 1995: Österreich, Schweden und Finnland.

(3)  Vgl. KOM(2003) 104 endg. — Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Größeres Europa — Nachbarschaft: Ein neuer Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn — Brüssel, 11.3.2003.

KOM(2004) 373 endg. — Mitteilung der Kommission — Europäische Nachbarschaftspolitik — Strategiepapier — Brüssel, 12.5.2004.

KOM(2004) 628 endg. — Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit allgemeinen Bestimmungen zur Schaffung eines Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments — Brüssel, 29.9.2004.

(4)  Die Tatsache, dass Armenien, Aserbaidschan und Georgien (die nicht an die EU angrenzen) um Einbindung in die Nachbarschaftspolitik gebeten haben, ist ein konkreter Beweis hierfür.

(5)  KOM(2005) 72 endg. „Mitteilung der Kommission an den Rat“ Europäische Nachbarschaftspolitik — Empfehlungen für Armenien, Aserbaidschan und Georgien sowie für Ägypten und Libanon, Brüssel, den 2.3.2005.

(6)  Siehe Bericht von Herrn Stulik (REX/220).

(7)  Siehe Informationsbericht für den Gipfel Europa/Mittelmeer in Malta, REX/113 (Berichterstatter: Herr Dimitriadis), insbesondere Ziffer 35 und 36.1.

(8)  Zu den jüngsten gehört die Stellungnahme REX/208 der Fachgruppe Außenbeziehungen (Berichterstatter: Herr Pezzini).


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/103


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft (//EG, Euratom)“

KOM(2006) 99 endg. — 2006/0039 (CNS)

(2006/C 309/21)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 26. April 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 93 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Das Präsidium des Ausschusses beauftragte die Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt mit der Ausarbeitung dieser Stellungnahme.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 5. Juli) Frau CSER zur Hauptberichterstatterin und verabschiedete mit 84 gegen 2 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Stellungnahme

1.1

Gemäß Artikel 9 des Beschlusses des Rates über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft (1) war die Kommission verpflichtet, vor dem 1. Januar 2006 eine generelle Überprüfung des Eigenmittelsystems für den Zeitraum 2007-2013 vorzunehmen und hierzu geeignete Vorschläge zu unterbreiten. Das Europäische Parlament hat einen Antrag auf Überarbeitung der Kriterien zur Bestimmung der Beitragszahlungen gestellt. Die Kommission hat ihren Vorschlag im Einvernehmen mit dem Rat erarbeitet und zur Prüfung vorgelegt.

1.2

Die EU-Organe und -Einrichtungen haben den Vorschlag geprüft; der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat ihn unter Berücksichtigung seiner eigenen früheren Stellungnahmen bewertet (ECO/148) und wiederholt auf den wesentlichen Zusammenhang zwischen den gemeinschaftlichen Politikbereichen und der EU-Haushaltspolitik hingewiesen.

1.3

Der Ausschuss hat sich mit der künftigen Verwendung der Eigenmittel aus den drei Quellen und mit der Bewertung des in dem Kommissionsdokument formulierten Vorschlags zur Schaffung einer direkten Eigenmittelquelle der Europäischen Union befasst.

1.4

Der EWSA hat eine chronologische Übersicht über die Schaffung des Eigenmittelsystems und die fortlaufenden Anpassungen erstellt, die „vierte Einnahmequelle“ analysiert und die Korrektur zugunsten des Vereinigten Königreichs („VK-Korrektur“) sowie die allgemeine Korrektur bewertet.

1.5

Im Dezember 2005 hat der Europäische Rat unter britischem Vorsitz im Laufe der Überprüfung der Finanziellen Vorausschau für den Zeitraum 2007-2013 eine politische Einigung erzielt. Er hat seinen früheren Beschluss abgeändert und neue Leitlinien formuliert. Des Weiteren hat er die Kommission aufgefordert, einen neuen Beschluss zu erarbeiten und das beigefügte Arbeitsdokument zur „VK-Korrektur“ sowie ihren früheren Vorschlag zur allgemeinen Korrektur abzuändern.

1.6

Trotz des geänderten Kommissionsvorschlags bleibt der EWSA bei den Schlussbemerkungen seiner früheren Stellungnahmen, da in dem vorgelegten Vorschlag keine grundlegenden Veränderungen enthalten sind. Der Vorschlag ist lediglich das Ergebnis politischer Verhandlungen. Gleichwohl ist die Änderung der Methode zur Berechnung des seit 20 Jahren unveränderten „Britenrabatts“ von historischer Bedeutung, da sie ein erster Schritt hin zur Abschaffung dieses Korrekturmechanismus sein kann.

2.   Der Ansatz des EWSA als Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft

2.1

Der Ausschuss trägt als dynamischer, engagierter Akteur erheblich zur Überwindung der Kluft zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den europäischen Institutionen bei, und zwar sowohl auf Ebene der EU als auch auf der der Mitgliedstaaten. Der Ausschuss hat eine Mittlerfunktion, er nimmt zu den Zielen der Kommissionsdokumente zur Phase des Nachdenkens Stellung und fördert die aktive Mitwirkung der Bürger an der Umsetzung der Politik der Union in den einzelnen Bereichen (Aktionsplan, Plan D, Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik).

2.2

Gemäß diesen Dokumenten haben die Unionsbürger das Recht, über das Handeln und die Beweggründe der EU im Bilde zu sein. In seiner Stellungnahme zur Phase des Nachdenkens hat der EWSA die Erwartungen der Bürger formuliert, wie die Politik für die Zukunft der EU inhaltlich ausgestaltet werden soll. In diesem Zusammenhang begrüßt er die interinstitutionelle Vereinbarung vom 4. April 2006, die eine Aufstockung der Mittel des Finanzrahmens für den Zeitraum 2007-2013 gegenüber der ursprünglichen Vereinbarung des Europäischen Rates vorsieht. Der Ausschuss stellt jedoch fest, dass die Aufstockung begrenzt ausfällt und dass die Ziele mit dieser Finanziellen Vorausschau nicht so verwirklicht werden können, dass sie den Ambitionen voll gerecht werden. Er verweist in diesem Zusammenhang auf seine frühere Stellungnahme (2).

3.   Einleitung

3.1

Die Erweiterung von 2004 ist ein historisches Ereignis, denn sie hat ermöglicht, dass 450 Millionen Europäer nach 50 Jahren der Trennung wieder vereint sind. Für das institutionelle System eines Europa, das bis dato nur 15 Mitgliedstaaten zählte, hat die Erweiterung zudem ernsthafte Bemühungen um eine Erneuerung unverzichtbar gemacht. Die Annahme von Gemeinschaftsmaßnahmen für eine sich auf 25 und demnächst auf 27 Mitglieder erweiternde EU sowie die Bestimmung und Schaffung der notwendigen Mittel haben die Zusammenarbeit zwischen „alten“ und „neuen“ Ländern auf eine harte Probe gestellt. In diesem Prozess hätten die Kommissionsmitteilung von 2004 „Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen: Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union — 2007-2013“ sowie der darauf beruhende Kommissionsvorschlag zur Finanziellen Vorausschau 2007-2013 zur Verwirklichung der Ziele dieser gemeinsamen Zukunft beigetragen.

3.2

Der Annahme der Kommissionsmitteilung bildete die Ausgangsbasis für den Beschluss zur Finanziellen Vorausschau. Das Europäische Parlament hat sich in seiner Meinungsbildung von den Prioritäten der EU leiten lassen. In dem Beschluss des Europäischen Rates von Juni 2005 wurde eine strengere Hierarchisierung des Ausgabenbedarfs und der notwendigen Ausgaben vorgeschrieben.

3.3

Der EU-Haushalt ist kleiner als der jeweilige nationale Etat, für den durchschnittlich 45 % des Nationaleinkommens aufgewandt werden, während der Gemeinschaftshaushalt nur knapp über 1 % liegt. Die Kommission hat empfohlen, die Mittelobergrenze in der Finanziellen Vorausschau 2007-2013 bei 1,24 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) beizubehalten.

3.4

Es ist schlichtweg unrealistisch, mehr Europa für weniger Geld zu erwarten. Die neuen Gemeinschaftsmaßnahmen erfordern eine zusätzliche Finanzdeckung. Die Ausgaben für die in der neuen Finanziellen Vorausschau vorgeschlagenen Maßnahmen zugunsten des Zusatznutzens der EU wurden angesichts der dreifachen Anforderung Leistungsfähigkeit, Effizienz und Synergie festgelegt.

3.5

Zur Erreichung dieser Ziele sind die Leitlinien zugrunde zu legen, die mehr finanzielle Transparenz, gezieltere Ausgaben, eine größere Effizienz und eine korrektere Bewertung des Zusatznutzens der EU vorsehen.

3.6

Aufgrund der unzureichenden Transparenz der Eigenmittelstruktur, der begrenzten Finanzautonomie sowie der Komplexität und Undurchschaubarkeit des Systems werden Änderungen umso dringlicher. Der ausschließlich für Großbritannien — seit Mitte der 80er Jahre geltende — Anpassungsmechanismus hat zu Forderungen nach einer allgemeinen Korrektur beziehungsweise Änderung des Systems geführt.

4.   Die Finanzielle Vorausschau der EU zwischen 2007 und 2013 infolge des Beschlusses des Europäischen Rates vom Dezember 2005

4.1

Wie der Europäische Rat ebenfalls in den Schlussfolgerungen seiner Tagung vom Dezember 2004 anerkannt hat, besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Finanziellen Vorausschau und dem Problem der Eigenmittel, dem Korrekturmechanismus und der notwendigen Anpassung des bestehenden Systems.

4.2

Auf seiner Tagung im März 2005 hat der Europäische Rat die Ziele der Lissabon-Strategie bekräftigt und das Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum ins Zentrum dieser Strategie für die kommenden Jahre gerückt.

4.3

Auf dem informellen Gipfeltreffen von Oktober 2005 in Hampton Court wurde nicht über das europäische Gesellschaftsmodell, sondern über die Herausforderungen der Globalisierung beraten. Die neue Finanzielle Vorausschau der EU für 2007-2013 muss neue Prioritäten widerspiegeln: Forschung und Entwicklung, Innovation, Energie, Politik, Bildung (einschließlich Investitionen in das Hochschulwesen), Förderung der regionalen Einwanderung zu wirtschaftlichen Zwecken und Bewältigung des demografischen Wandels.

4.4

Auf seiner Tagung vom Dezember 2005 hat der Europäische Rat den Haushaltsrahmen der EU für den Zeitraum 2007-2013 gebilligt. Unter Berücksichtigung dieser politischen Einigung und auf der Grundlage des geänderten Kommissionsvorschlags wird in der zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission unterzeichneten interinstitutionellen Vereinbarung der Siebenjahresrahmen aufgestellt. Der Abschluss der Vereinbarung hing wesentlich von dem Ausgang des Dialogs mit dem Europäischen Parlament ab. Die Struktur des Finanzrahmens wird der doppelten Anforderung — Finanzierung der neuen Herausforderungen der EU einerseits und Deckung des erweiterungsbedingten Haushaltsbedarfs andererseits — nur teilweise gerecht.

4.5

Der Europäische Rat vom Dezember 2005 hat beschlossen, dass im Laufe der Revision der bis 2008/2009 fälligen mehrjährigen Finanziellen Vorausschau über sämtliche Einnahmen und Ausgaben der EU auch die Überprüfung des Eigenmittelsystems ebenfalls abgeschlossen werden soll. Diese Bestimmung wurde im Mai 2006 in die interinstitutionelle Vereinbarung aufgenommen.

4.6

Die Kommission hat die Erarbeitung eines Weißbuchs vorgeschlagen, in dem eine Zwischenbilanz über den Finanzrahmen sowie über die Einnahmen und Ausgaben gezogen wird. Es besteht die Forderung, das derzeitige Eigenmittelsystem der Europäischen Union durch transparentere, unabhängigere Einnahmen zu ersetzen. Die Kommission nimmt die Absicht des Europäischen Parlaments zur Kenntnis, eine Konferenz mit den nationalen Parlamenten zu veranstalten. Der EWSA bekundet seinen Wunsch, darin einbezogen zu werden.

5.   Das System der Eigenmittel

Während der zweijährigen Verhandlungen über die Finanzielle Vorausschau wurde der Gesamtheit des Eigenmittelsystems nur wenig Aufmerksamkeit zuteil.

5.1

Eine vollständige Bewertung dieses Systems ist unmöglich ohne eine Übersicht über die Entwicklung der Haushaltsmittel für die europäische Integration. Diese Entwicklung lässt sich in vier Zeiträume zwischen 1957 und 2006 untergliedern:

 

1957-1969: Zeitraum, in dem jede Gemeinschaft ihren eigenen Haushalt besitzt

 

1970-1987: Zeitraum der einheitlichen Jahreshaushalte

 

1988-1999: Zeitraum der beiden ersten von den gemeinschaftlichen Politikbereichen bestimmten Finanzrahmen

 

2000-2006: Zeitraum der vom Haushalt bestimmten gemeinschaftlichen Politikbereiche

Von Anfang an wurden die einzelnen Haushalte in der Geschichte der europäischen Integration von der Verwirklichung der gemeinsamen Ziele und der Wahrnehmung der Interessen der Mitgliedstaaten bestimmt.

Insgesamt lässt sich beobachten, dass in dem Zeitraum der beiden ersten Finanzrahmen die Verpflichtungsermächtigungen parallel zur Entwicklung der gemeinschaftlichen Politikbereiche aufgestockt wurden — mit entscheidenden Auswirkungen auf die Haushaltsrahmen der Gemeinschaft.

5.2

In der Debatte über die Agenda 2000 ist es den Nettozahlern des EU-Haushalts gelungen, unter dem Motto „Ausgabenstabilisierung“ die Verringerung des budgetären Handlungsspielraums zu erreichen. Sie haben diese Ausgabenstabilisierung damit begründet, dass die im Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehene Haushaltsdisziplin eingehalten werden müsse.

5.3

Seit dem Scheitern des Gipfeltreffens im Juni 2005 wurde die Überprüfung der Ausgaben und der Eigenmittel des Gemeinschaftshaushalts zu einer entscheidenden Frage. Allerdings waren die Eigenmittel bislang noch nicht Gegenstand einer eingehenden Debatte. Auf Initiative des britischen Ratsvorsitzes wurde eine Überprüfungsklausel auf der Grundlage des im Juni 2005 von der Europäischen Kommission unterbreiteten Vorschlags angenommen, den der luxemburgische Ratsvorsitz bereits in seine Schlussvorschläge integriert hatte. Zum Inhalt der Überprüfungsklausel und zum Reformzeitplan waren die Mitgliedstaaten geteilter Ansicht. Die im Rahmen der Überprüfung stattfindende Debatte über die Zukunft des Gemeinschaftshaushalts sorgte erneut für Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten, wobei die Positionen der Nettozahler vorherrschten. Es war offensichtlich, dass es vor 2013 keine großen Reformen geben würde.

5.4

Eine rein buchhalterische Prüfung des Verhältnisses der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt unter bloßer Berücksichtigung des Nettosaldos der zugewiesenen Ausgaben und der Beiträge ergibt erhebliche, zutiefst irreführende Unterschiede. Die Positionen der Direktempfänger oder Direktzahler sagen nichts aus über die auf europäischer Ebene erzielte Rendite, d.h. welchen Beitrag die gemeinschaftlichen Politikbereiche zum zusätzlichen Anstieg des Einkommens auf makroökonomischer Ebene im einheitlichen Binnenmarkt leisten.

5.5

Wie er bereits in seinen früheren Stellungnahmen unterstrichen hat, kann der EWSA diesen Ansatz nicht akzeptieren, nämlich dass die Positionen der Nettozahler Vorrang genießen vor den Gemeinschaftsmaßnahmen, die der Verwirklichung der Gemeinschaftsziele dienen.

5.6

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass sich die Rolle der Gemeinschaftsmaßnahmen bei der Festlegung des Haushalts mit der Haushaltsdisziplin auf europäischer Ebene vereinbaren lässt. Im ersten Delors-Paket war erstmals davon die Rede, sich eine Haushaltsdisziplin aufzuerlegen, was jedoch nicht ausschließt, dass die Gemeinschaftsmaßnahmen in dem Verhältnis zwischen den einzelnen Politikbereichen und dem EU-Haushalt eine entscheidende Rolle spielen.

5.7

Die steigenden Mittel aus dem Bruttonationaleinkommen (BNE-Mittel), die nach 2007 noch wichtiger werden, sind ein gutes Beispiel für Gerechtigkeit. Allerdings kann die Zunahme der BNE-Beiträge an sich offenbar die Tendenz fördern, dass die Position des Zahlers zunehmend eine entscheidende Rolle spielt. Die BNE-Mittel stammen nämlich — per Direkttransfer — aus dem Haushalt der Mitgliedstaaten und sollen nicht etwa die tatsächlichen EU-Eigenmittel sichern.

6.   Das Arbeitsdokument zur VK-Korrektur

6.1

Die Änderungen des Eigenmittelbeschlusses ermöglichten bis spätestens Anfang 2009 die Erarbeitung eines neuen Dokuments, das am 1. Januar 2007, spätestens jedoch Anfang 2009 — eventuell rückwirkend — in Kraft treten könnte. Gegenüber dem früheren Vorschlag wird darin der einheitliche MwSt-Abrufsatz von 0,30 % beibehalten, doch sind — abweichend — zwei Ausnahmen vorgesehen: Für den Zeitraum 2007–2013 wird der MwSt-Abrufsatz für Österreich auf 0,225 %, für Deutschland auf 0,15 % und für die Niederlande und Schweden auf 0,10 % reduziert. Für denselben Zeitraum können die Niederlande und Schweden in den Genuss einer Reduzierung ihres jährlichen BNE-Beitrags um brutto 605 Mio. EUR beziehungsweise 150 Mio. EUR kommen.

6.2

Spätestens ab 2013 wird sich das Vereinigte Königreich uneingeschränkt an der Finanzierung der Erweiterungskosten für die nach dem 30. April 2004 beigetretenen Länder — nicht jedoch an den marktbezogenen GAP-Ausgaben — beteiligen. Gegenüber dem derzeit geltenden Beschluss kann der zusätzliche Beitrag des Vereinigten Königreichs die Obergrenze von 10,5 Mrd. EUR für den Zeitraum 2007-2013 nicht überschreiten. Im Falle einer anderen Erweiterung als der Erweiterung durch den Beitritt Rumäniens und Bulgariens wird die Korrektur angepasst. In seinen Beschlüssen zur Überprüfung des Eigenmittelsystems hält der Rat erneut eine gründliche Revision des Finanzrahmens für notwendig, fordert eine Überprüfung der EU-Mittel — einschließlich der GAP und des Britenrabatts — und erwartet einen einschlägigen Bericht für 2008/2009.

6.3

Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass die Reduzierung des MwSt-Satzes vor der Berechnung der VK-Korrektur berücksichtigt, die BNE-Beiträge jedoch erst nach dieser Berechnung gesenkt werden. 17 Mitgliedstaaten plädieren für eine Umsetzung dieser beiden Maßnahmen nach der Berechnung der VK-Korrektur, während London weiterhin für deren vorherige Berücksichtigung eintritt. Der Vorschlag des Vereinigten Königreichs bedeutet eine Erhöhung des Betrags der VK-Korrektur und folglich auch der Belastungen für die anderen Mitgliedstaaten.

6.4

Der EWSA stimmt der Bemerkung des Rechnungshofs zu, dass jeglicher Korrekturmechanismus die Einfachheit und Transparenz des Eigenmittelsystems gefährdet. Der Rechnungshof hat zahlreiche Bemerkungen zu dem derzeitigen Eigenmittelsystem und seinen Mängeln formuliert und insbesondere hinsichtlich der Verwaltung, der Kohärenz und Transparenz festgestellt und hervorgehoben. Zugleich weist der Rechnungshof darauf hin, dass sich das Haushaltsungleichgewicht nicht mit einer Berechnungsregel lösen lasse.

6.5

Unter den bescheidenen Änderungen des Eigenmittelsystems ist die Anpassung der Methode zur Berechnung des Britenrabatts von besonderer Bedeutung. Die Vereinbarung vom Dezember 2005 sieht vor, dabei die den neuen Mitgliedstaaten zugewiesenen Ausgaben — mit Ausnahme der marktbezogenen GAP-Ausgaben und der Direktzahlungen an die Erzeuger — ab 2009 progressiv und nach 2011 vollständig herauszunehmen. So lässt sich verhindern, dass der Britenrabatt proportional zu den Erweiterungskosten steigt.

7.   Allgemeine Bemerkungen

7.1

Der Ausschuss teilt die Auffassung des Europäischen Parlaments, dass die MwSt- und die BNE-Mittel (ursprünglich zur Ergänzung der Eigenmittel der EU) im Laufe der Zeit zur wichtigsten Finanzierungsquelle des Gemeinschaftshaushalts geworden sind, und dass die Ergänzung des derzeitigen Eigenmittelsystems durch Ausnahmeregelungen die Komplexität des Systems, seine mangelnde Transparenz in den Augen der Bürger und seine Ungerechtigkeit nur verstärkt und so ein Finanzsystem geschaffen hat, das inakzeptable Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten verursacht.

7.2

Der EWSA stimmt der Einschätzung des Europäischen Parlaments zu, dass die sich erweiternde EU mit geeigneten, ihren wachsenden politischen Ambitionen entsprechenden Finanzmitteln ausgestattet werden muss. Die Finanzielle Vorausschau bildet einen Finanzrahmen, der die Entwicklung der Prioritäten der EU unter Berücksichtigung der Haushaltsdisziplin garantieren soll. Es handelt sich hierbei nicht um einen Siebenjahreshaushalt.

7.3

Der EWSA weist darauf hin, dass die 1993 für die 15 Mitgliedstaaten beschlossene Eigenmittelobergrenze unverändert blieb: Sie ist auf 1,31 % des BNE der EU insgesamt für die Verpflichtungsermächtigungen und auf 1,24 % desselben Betrags für die Zahlungsermächtigungen festgesetzt.

8.   Zusammenfassung

8.1

Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen lässt sich die vom Europäischen Rat im Dezember 2005 erzielte politische Einigung nach Ansicht des Ausschusses insgesamt so verstehen, dass die 2000 angelaufene vierte Etappe der Entwicklung des Gemeinschaftshaushalts, d.h. der Zeitraum der vom Haushalt bestimmten Gemeinschaftspolitik, bis 2013 verlängert wird.

8.2

Der Schlüssel für den nächsten Haushalt besteht in der Abkehr von der Dominanz der Positionen der Nettozahler; wir brauchen einen gemeinsamen Etat, der völlig oder großenteils von den Haushalten der Nationalstaaten unabhängig ist. Nur echte Eigenmittel können diese Unabhängigkeit garantieren.

8.3

Der EWSA erklärt, dass die Autonomie des Gemeinschaftshaushalts nur mit einem Eigenmittelsystem gewährleistet werden könnte, das entweder auf gemeinsamen Politikbereichen oder auf echten gemeinschaftlichen Eigenmitteln — beispielsweise einer Gemeinschaftssteuer — oder auf einer Kombination beider Optionen beruht. Mit Blick auf die Zukunft der EU könnte die passendste Lösung für die Gemeinschaftsmethode darin bestehen, dass die Gemeinschaftspolitik zur Schaffung von Ressourcen herangezogen wird.

8.4

Das Weiteren ist der Ausschuss trotz des — in der Finanzsouveränität begründeten — starken Widerstandes gegen eine Gemeinschaftssteuer der Ansicht, dass die Verwirklichung der gemeinsamen Ziele die Schaffung von Eigenmitteln erfordert, welche die BNE-Beiträge ersetzen.

8.5

Bei der Anpassung des Eigenmittelsystems ist dafür zu sorgen, dass die Grundsätze der Transparenz, Wirksamkeit, Flexibilität und verhältnismäßigen Finanzierung angewandt werden.

Wirksamkeit der Ressourcen: Die Mittel müssen sich erheblich auf die Höhe des Haushalts auswirken;

Transparenz und Einfachheit: Der Beitrag der Mitgliedstaaten zum EU-Haushalt muss für die Bürger leicht verständlich sein;

Ausgabeneffizienz: Die administrativen Erhebungskosten dürfen gegenüber dem Mittelumfang nicht zu hoch ausfallen;

Gleiche Bruttobeiträge: Die Belastungen müssen — unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lage der Bürger — gerecht auf die Mitgliedstaaten verteilt werden.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. C 253 vom 7.10.2000.

(2)  ABl. C 74 vom 23.3.2005.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/107


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Befreiung der von aus Drittländern kommenden Reisenden eingeführten Waren von der Mehrwertsteuer und den Verbrauchsteuern“

KOM(2006) 76 endg. — 2006/0021 (CNS)

(2006/C 309/22)

Die Kommission beschloss am 22. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. Juni 2006 an. Berichterstatter war Herr BURANI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5. Juli einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der Kommissionsvorschlag betrifft die Harmonisierung der Bestimmungen über die Einfuhr von MWSt- oder verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus Drittländern im Gepäck von Reisenden. Innerhalb bestimmter Grenzen konnten solche Waren schon immer steuerfrei eingeführt werden; die grundlegende Richtlinie ist 69/169/EWG vom 29. Mai 1969, die seither 17mal geändert wurde und nun durch diesen Kommissionsvorschlag ersetzt werden soll.

1.2

Dieses System soll „zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und in den Fällen, in denen in Anbetracht der Umstände, unter denen die Waren eingeführt werden, auf den normalerweise erforderlichen Schutz der Wirtschaft verzichtet werden kann“ (1) beibehalten werden. Der Kommission zufolge soll zwar das Grundprinzip beibehalten werden, aber die Zahl der zwischenzeitlichen Änderungen, die Erweiterung und der Verlauf der neuen Außengrenzen seien Grund genug, die ursprüngliche Richtlinie vollständig zu überarbeiten und zu ersetzen.

1.3

Das an sich simple Problem wird dadurch kompliziert, dass die Einfuhr „sensibler“ Waren wie Tabak und alkoholische Getränke geregelt werden muss. Zwar hat das Problem immer existiert, doch eröffnen sich mit der EU-Erweiterung neue Perspektiven, wobei die Grundfragen unverändert bleiben: die unterschiedliche geographische und soziale Lage der Mitgliedstaaten; die unterschiedlichen Ausrichtungen und starken Niveauunterschiede der Besteuerung. Das Endergebnis hängt davon ab, ob eine Einigung auf den Harmonisierungsvorschlag der Kommission gefunden werden kann.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Ursprünglich betraf die Richtlinie Personen, die innerhalb der EG reisten; seit 1993 sind die Beschränkungen des Warenverkehrs zwischen Mitgliedstaaten entsprechend den Grundsätzen des Binnenmarktes im Prinzip entfallen. Durch die Änderung der EU-Außengrenzen infolge der Erweiterung sind neue Aspekte hinzugekommen, die es zu berücksichtigen gilt; wie die Kommission feststellt, umfassen diese Außengrenzen nun u.a. Grenzen mit Russland, der Ukraine und Weißrussland.

2.1.1

Der EWSA nimmt dies zur Kenntnis, bemerkt jedoch dazu, dass im Osten außer den genannten Grenzen noch weitere vorhanden sind, die für die beigetretenen Länder ein Problem darstellen, weil erhebliche Preisunterschiede gegenüber einigen angrenzenden Drittstaaten bestehen; darüber hinaus sind durch den Beitritt Zyperns und Maltas neue Seegrenzen entstanden.

2.1.2

Die seinerseits bestimmten Mitgliedstaaten aufgrund besonderer Probleme zugestandenen Ausnahmeregelungen sind inzwischen alle ausgelaufen, mit Ausnahme der Sonderregelung für Finnland, das noch bis 2007 eine Einfuhrbegrenzung auf nicht unter 16 Liter Bier aus Drittstaaten anwenden darf. Der EWSA ist darüber erfreut, hat er sich doch stets gegen diese Ausnahmeregelungen ausgesprochen; in diesem Fall könnte eine einheitliche Regelung für alle 25 Mitgliedstaaten jedoch gewisse Probleme bereiten, wie weiter unten ausgeführt wird.

2.2

Dem Richtlinienvorschlag zufolge soll der Betrag der steuerfreien Einfuhren von derzeit 175 EUR für Flugpassagiere auf 500 EUR und für alle anderen Reisenden auf 220 EUR erhöht werden. In der einleitenden „Begründung“ rechtfertigt die Kommission diese Maßnahmen mit den Worten: „Flugreisen werden wegen der damit verbundenen Kosten und Anstrengungen weniger häufig unternommen als Reisen auf dem Landweg oder mit der Fähre. Außerdem liegt es in der Natur der Sache, dass sich Flugreisende auf Waren beschränken müssen, die sie kaufen und transportieren können, was beispielsweise sperrige Gegenstände ausschließt.“ Der wahre Grund scheint jedoch ein anderer zu sein; so heißt es im 4. Erwägungsgrund, „Die Schwellenwerte sollten den Schwierigkeiten der Mitgliedstaaten Rechnung tragen, die an Drittländer mit erheblich niedrigeren Preisen grenzen“.

2.2.1

Nach Auffassung des EWSA liegt die Diskrepanz zwischen der Aussage in der „Begründung“ und jener im 4. Erwägungsgrund vorwiegend an steuerlichen Gründen. Ansonsten hätte es keinen Sinn, von „sperrigen Gegenständen“ zu sprechen (s.o. Absatz), denn es gibt Waren, die nicht sperrig sind, aber einen hohen Wert haben (Photoapparate, Notebooks, Uhren, Schmuck usw.), die also von Flugpassagieren eingeführt werden dürften, aber nicht von Reisenden in Autos, Zügen oder auf Kreuzfahrten. Die Aussage, „Flugreisen werden wegen der damit verbundenen Kosten und Anstrengungen weniger häufig unternommen als Reisen auf dem Landweg oder mit der Fähre“, scheint sich auf Sonderfälle zu beziehen, nicht auf Reisen im Allgemeinen, denn Flugreisen (v.a. Billigflüge) gehören zum Alltag von Millionen Wirtschaftssubjekten und Reisenden, die sich alljährlich in Drittstaaten begeben.

2.2.2

Der EWSA hält es nicht für hinnehmbar, dass die Berücksichtigung von Sonderfällen zur Abfassung von Harmonisierungsvorschriften führt, die eine Diskriminierung zwischen Bürgern aufgrund des von ihnen benutzten Verkehrsmittels vornehmen. Obschon sich der EWSA, wie bereits oben unter Ziffer 2.1.2 erwähnt, schon mehrmals gegen Ausnahmeregelungen ausgesprochen hat und prinzipiell dagegen ist, ist er der Auffassung dass ein solches System in diesem Fall der einzig mögliche Weg ist, der jedoch nur gegangen werden sollte, wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten unter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nachweisen können, dass eine allgemeine Höchstgrenze von 500 EUR für ihre Steuereinnahmen einen untragbaren Verlust darstellen würde.

2.3

Beibehalten werden in dem Richtlinienvorschlag die Mengenbeschränkungen für Tabakwaren und Alkohol. Was Tabak betrifft, wird auf die von der EU am 30. Juni 2005 ratifizierte WHO-Konvention Bezug genommen, die empfiehlt, die Einfuhr von Tabakwaren durch internationale Reisende zu verbieten oder zu beschränken. Angesichts dieser Empfehlung schlägt die Kommission ein einheitliches System zur Reduzierung der Mengenbeschränkungen für diese Waren vor, „um die Gleichbehandlung aller in die Europäische Union einreisenden Bürger zu gewährleisten“.

2.3.1

Der EWSA erklärt sich einverstanden, jedoch mit gewissen Vorbehalten hinsichtlich der Begründungen bei Tabakwaren, die wie die übrigen mehr steuerlicher als gesundheitlicher Natur sind; dies zeigt sich daran, dass Artikel 9 Absatz 2 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, erheblich niedrigere Höchstmengen als die normalen Höchstmengen für die Einfuhr von Tabakwaren festzusetzen. Rauchen ist bekanntlich schädlich, aber nicht absurderweise je nach Wahl der einzelnen Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße.

2.4

Des Weiteren schlägt die Kommission die Abschaffung der Höchstmengen für Parfums, Kaffee und Tee vor. Es wurde berücksichtigt, dass Parfums nach EU-Recht nicht mehr verbrauchsteuerpflichtig sind und dass Kaffee in fünf, Tee in nur einem Mitgliedstaat verbrauchsteuerpflichtig ist. Diesbezüglich enthält die „Begründung“ die grundlegende Erwägung,„die Höchstmengen (…) abzuschaffen, da sie nicht mehr dem tatsächlichen Muster der Besteuerung (…) in de(n) 25 Mitgliedstaaten entsprechen (2). Mit anderen Worten sollen die Höchstmengen abgeschafft werden, weil nur noch wenige der 25 Mitgliedstaaten Verbrauchsteuern auf diese Waren erheben.

2.4.1

Der EWSA ist mit der Abschaffung dieser Höchstmengen einverstanden und merkt an, dass in diesem Fall die Regel angewandt wurde, der zufolge nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip die kollektiven Interessen Vorrang haben vor den individuellen.

2.5

Gerade aus der Sicht der Verhältnismäßigkeit lässt sich der Richtlinienvorschlag bisweilen kritisieren. Im Allgemeinen und mit Bezug auf die unter Ziffer 2.4 genannte Bestimmung macht der EWSA darauf aufmerksam, dass jede Initiative darauf beruhen sollte, dass ein bestimmtes Prinzip auf alle Aspekte der Regelung kohärent angewandt wird und nicht nur auf einige davon. Die Rechtfertigung dieser Aussage ergibt sich deutlicher aus den Bemerkungen zu den einzelnen Artikeln.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Artikel 2, 4, 5 und 7: Anwendung der Richtlinie. In diesen Artikeln wird festgelegt, dass die MWSt- und Verbrauchsteuerbefreiung für Waren gewährt wird, die „im persönlichen Gepäck eines Reisenden“ eingeführt werden, der ein Drittland durchquert hat; die Richtlinie findet nur Anwendung, sofern der Betroffene nicht nachweisen kann, dass die Waren in einem EU-Land erworben wurden und keine MWSt- oder Verbrauchsteuererstattung genießen. Bei der Berechnung des Warenwerts werden persönliche Gegenstände, die vorübergehend eingeführt oder nach vorübergehender Ausfuhr wiedereingeführt werden, nicht berücksichtigt.

3.1.1

Diese Bestimmung bestand zwar schon zuvor, bringt aber für den Reisenden weiterhin schwere Belastungen mit sich, denn er müsste insbesondere für teurere Waren, die sein Eigentum sind, die Rechnungen mitführen oder sich bei der Ausreise eine Bescheinigung über die vorübergehende Ausfuhr beschaffen.

3.1.2

Zwar ist sich der EWSA bewusst, dass es keine einfacheren Lösungen gibt; er hebt jedoch hervor, dass die Kommission den Mitgliedstaaten beispielsweise in der Durchführungsvorschrift zweckmäßigerweise empfehlen könnte, diese Bestimmung auf die geeignetsten Weisen zu veröffentlichen, nämlich durch Aushang an den Ausreisestellen und durch Aufnahme in die allgemeinen Hinweise, die von den Reisebüros, auf Flug- und Fährtickets verbreitet werden.

3.2

Artikel 8: Schwellenwerte. Der Gesamtwert der Waren, die steuerfrei eingeführt werden dürfen, beträgt 500 EUR bei Flugreisenden und 220 EUR bei allen anderen Reisenden. Es ist vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten diesen Betrag für Reisende unter 15 Jahren verringern können, jedoch nicht auf unter 110 EUR. Die Schwellenwerte gelten für alle Waren mit Ausnahme von Tabak und Alkohol, für die Mengenbeschränkungen gelten.

3.2.1

Der EWSA hat (in obiger Ziffer 2.2.2) bereits seine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, dass die Bürger je nach Verkehrsmittel diskriminiert werden. Grund für diese Unterscheidung ist offensichtlich die besondere Lage einiger Mitgliedstaaten, die an Drittstaaten grenzen, in denen die Preise viel niedriger sind, auch aufgrund starker Unterschiede in der steuerlichen Belastung. Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (s. Ziffern 2.4.1 und 2.5) mit Ausnahmebestimmungen in bestimmten Fällen bei nachgewiesener Notwendigkeit würde das Problem lösen.

3.2.2

Der EWSA bekräftigt daher — unter Verweis auf obige Ziffer 2.2.2 — seinen Vorschlag, den Schwellenwert von 500 EUR auf alle Reisenden auszuweiten, ungeachtet des verwendeten Verkehrsmittels. Ein hoher Schwellenwert hätte den Vorteil, dass die Zollämter v.a. bei hohem Verkehrsaufkommen nicht alle Reisenden kontrollieren müssten, sondern sich effizienter auf wirkliche Fälle von Schmuggel konzentrieren könnten. Hierzu ist zu bemerken, dass die Zollbeamten aufgrund ihrer Erfahrung und Professionalität relativ leicht in der Lage sind, eine grundlegende Unterscheidung vorzunehmen zwischen einem „Reisenden“ (der allenfalls eine Ordnungswidrigkeit begeht) und einem „Schmuggler“ (dessen Handlungen strafrechtlich verfolgt werden können). Ungelöst bleibt das Problem des Kleinschmuggels durch „gewohnheitsmäßige“ Reisende (die weder Touristen noch Grenzarbeitnehmer oder Grenzgänger sind), die Waren einführen, um damit Gewinne zu erzielen.

3.3

Artikel 9: Höchstmengen für Tabakwaren. Für die MWSt- und Verbrauchsteuerbefreiung von Tabakwaren gelten Höchstmengen. Die normalen Höchstmengen sind 200 Zigaretten oder 100 Zigarillos oder 50 Zigarren oder 250g Rauchtabak. Die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, reduzierte Höchstmengen festzulegen: 40 Zigaretten oder 20 Zigarillos oder 10 Zigarren oder 50 g Rauchtabak; diese reduzierten Höchstmengen können von den Mitgliedstaaten auf alle Reisenden oder lediglich auf Flugreisende angewandt werden.

3.3.1

Wie schon bei den Höchstbeträgen ist der EWSA nicht mit unterschiedlichen Höchstmengen einverstanden; er gibt zu bedenken, dass die reduzierten Höchstmengen Auto reisenden mit EU-Staatsangehörigkeit große Unannehmlichkeiten bereiten würden, die durch verschiedene (EU- und Dritt-)Staaten fahren und deren Zielort nicht das Land ist, das die reduzierten Höchstmengen anwendet. Berücksichtigt man das Ausmaß des Fremdenverkehrs und die Notwendigkeit, ihn zu fördern, anstatt ihn mit Maßnahmen zu behindern, die strenge Grenzkontrollen erfordern, so regt der EWSA an, eine spezifische Freistellung für diese Fälle einzuführen.

3.4

Artikel 10: Höchstmengen für Alkohol. Analog zu Tabakwaren werden auch für alkoholische Getränke die bereits geltenden Höchstmengen beibehalten, wobei eine Unterteilung in zwei Kategorien vorgenommen wird: a) 1 Liter destillierte Getränke und Spirituosen mit einem Alkoholgehalt von mehr als 22 % vol oder Ethylalkohol mit einem Alkoholgehalt von 80 % vol oder mehr; b) 2 Liter „Zwischenerzeugnisse“ und Schaumweine. Die Höchstmengen der beiden Kategorien sind nicht kumulierbar. Zusätzlich zu diesen Mengen dürfen 4 Liter nicht schäumender Wein und 16 Liter Bier MWSt- und verbrauchsteuerfrei eingeführt werden. Die Befreiungen gelten nicht für Reisende unter 17 Jahren.

3.4.1

Der EWSA ist mit den vorgeschlagenen Maßnahmen grundsätzlich einverstanden, macht jedoch auf einige nicht nebensächliche Details aufmerksam. Zur 1. Kategorie: Alkohol mit über 80 % vol findet sich im Handel gewöhnlich nur mit 98 oder 99 % vol; mit 1 Liter dieses Produkts können 3 Liter alkoholische Getränke mit 33 % vol hergestellt werden; die Gleichstellung mit 1 Liter destillierte Getränke und Spirituosen scheint daher willkürlich. Die Kategorie „Schaumweine“ umfasst sowohl hochwertige als auch Schaumweine (vins mousseux/spumante) verschiedener Qualität; nach Auffassung des EWSA sollte die Unterscheidung zwischen diesen und den „nicht schäumenden Weinen“ aufgegeben werden, da „Schaumweine“ nicht unbedingt höherwertig sind.

3.4.2

Einen ausdrücklichen Vorbehalt hat der Ausschuss hinsichtlich der Höchstmengen für Wein und Bier: es besteht ein deutliches Missverhältnis zwischen 4 Liter Wein und 16 Liter Bier zuungunsten von Reisenden aus Ländern, die gewöhnlich keine Biertrinker sind. Anstatt einer gemeinsamen Höchstmenge sollten getrennte und alternative Höchstmengen für die beiden Getränkearten festgelegt werden.

3.5

Für Kraftstoff ist eine Steuerbefreiung für den Inhalt des Fahrzeugtanks und 10 Liter in einem Reservekanister vorgesehen; Ausnahmen sind vorgesehen, wenn strengere einzelstaatliche Vorschriften gelten.

3.5.1

Der EWSA fordert die Kommission auf, diese Bestimmung grundlegend zu ändern. Erstens rechtfertigt die Entfernung der Tankstellen keine Steuerbefreiung für Kraftstoff in Reservekanistern zusätzlich zum Tankinhalt; diese Befreiung sollte schon allein wegen der Gefährlichkeit des Transports von Kraftstoff außerhalb des Tanks abgeschafft werden. Die Straßenverkehrsordnung vieler Länder verbietet diese Praxis. Das Verbot sollte auf etwaige Zusatztanks am Fahrzeug ausgeweitet werden; bei Lastwagen, die häufig über zwei Tanks verfügen, sollte das Verbot für Tanks gelten, die bei der Fahrzeugzulassung nicht vorhanden waren.

3.5.2

Zweitens können strengere einzelstaatliche Vorschriften, auch wenn sie durch Preisunterschiede zwischen Nachbarstaaten gerechtfertigt sind, aus den unter obiger Ziffer 3.3.1 genannten Gründen nicht ausgedehnt werden auf Reisende aus einem anderen Land als dem, das die strengeren Vorschriften anwendet. Sollten die strengeren Vorschriften als notwendig betrachtet werden, könnten sie wie in Artikel 14 des Richtlinienvorschlags vorgesehen lediglich für Personen mit Wohnsitz im Grenzgebiet und für Grenzarbeitnehmer gelten.

3.6

Artikel 14: Grenzgänger. Sonderbestimmungen sind wie bisher für Personen mit Wohnsitz im Grenzgebiet und für Grenzarbeitnehmer (Arbeitnehmer, die in einem EU-Land wohnen und im Grenzgebiet eines angrenzenden Drittlandes arbeiten, sowie Arbeitnehmer, die in einem Drittland wohnen und im Grenzgebiet eines angrenzenden EU-Landes arbeiten) vorgesehen. Den Mitgliedstaaten wird es freigestellt, die Schwellenwerte und/oder Höchstmengen für diese Personengruppen zu verringern. In der Richtlinie wird das „Grenzgebiet“ definiert als „eine in Luftlinie höchstens 15km breite Zone“; nach Ansicht des EWSA ist diese Begrenzung willkürlich und berücksichtigt nicht die geographischen, wirtschaftlichen und sozialen Merkmale jedes Grenzgebiets; daher sollte jedem Mitgliedstaat die Möglichkeit eingeräumt werden, seine eigenen Grenzgebiete je nach den Gegebenheiten festzulegen; u.a. würde eine stärkere Flexibilität einigen Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, dem besorgniserregenden Phänomen des „untypischen Schmuggels“ an den Landgrenzen der osteuropäischen Länder zu begegnen.

3.7

Die Richtlinie soll am 31. Dezember 2006 in Kraft treten, was nur bei einem raschen und reibungslosen Legislativverfahren möglich ist.

Brüssel, den 5. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Vgl. KOM(2006) 76 endg. — 2006/0021 (CNS), 1. Erwägungsgrund.

(2)  Vgl. ebenda, „Sachlicher Hintergrund des Vorschlags“, „Gründe für den Vorschlag und Ziele“, 4. Spiegelstrich.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/110


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung“

KOM(2006) 33 endg.

(2006/C 309/23)

Die Kommission beschloss am 5. April 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Juni 2006 an. Berichterstatterin war Frau JERNECK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 6. Juli) mit 122 gegen 16 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Kernpunkte der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Unternehmerische Initiative meint die Fähigkeit, Ideen in die Tat umzusetzen. Im Unternehmenstraining werden Innovation, Kreativität und Selbstvertrauen gefördert. Die Förderung des Unternehmergeistes in Unterricht und Bildung umfasst folgende Aspekte:

Frühzeitiger Beginn und Grundsteinlegung für die Förderung des Unternehmergeistes;

Zusatzprogramme in den nationalen Lehrplänen von der Grundschule bis zur Hochschule;

konstruktive und wirksame Zusammenarbeit zwischen Schulen/Hochschulen und Unternehmen;

die Einbeziehung der Lehrer begünstigt deren persönliche Entwicklung;

Einbeziehung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei der Aufstellung von Bildungsprogrammen zur Förderung des Unternehmergeistes;

umfassende Einbindung und Teilhabe der Zivilgesellschaft am Lernprozess;

im Hinblick auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern muss die Bedeutung von Unternehmerinnen in der Schule berücksichtigt werden;

Unternehmergeist muss gleichermaßen bei behinderten Menschen gefördert werden;

wichtig ist der Austausch vorbildlicher Praktiken; die Fortschritte könnten durch von der Kommission organisierte jährliche Treffern zur Bestandsaufnahme gemessen werden;

eine wichtige Rolle spielen das Wirken der Medien und das durch sie vermittelte Unternehmensbild;

ein mögliches Modell für die Mitgliedstaaten ist die kontinuierliche Heranführung an den Unternehmergeist über alle Stufen des Bildungssystems;

zentrale Anlaufstellen zur Erleichterung der Formalitäten für die Unternehmensgründung sind wichtig;

Europäisches Jahr des Unternehmergeistes auf Initiative der Kommission;

Unternehmergeist in Unterricht und Bildung kann dazu beitragen, Europa zu vermitteln und dem Bürger näher zu bringen.

1.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsdokuments

1.1

Im Februar 2005 schlug die Kommission eine Neuausrichtung der Lissabon-Strategie vor, die die Anstrengungen der Europäischen Union auf zwei wesentliche Ziele konzentriert: die Verwirklichung eines stärkeren und nachhaltigen Wachstums und die Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen. In der neuen Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung wird die Herausbildung einer stärker unternehmerisch geprägten Denkweise und die KMU-freundlichere Gestaltung des Wirtschaftsumfelds unterstrichen.

1.2

Integrierte Maßnahmen sollen ein positiveres Image der unternehmerischen Initiative in der Gesellschaft bewirken, nicht nur, um die Einstellungen zu ändern, sondern auch, damit die Europäer ihre Fertigkeiten verbessern und Hindernisse beseitigt werden, die Neugründungen, Übertragungen und Unternehmensausbau im Wege stehen.

1.3

Unternehmerische Initiative ist eine Schlüsselkompetenz für Wachstum, Beschäftigung und Selbstverwirklichung. Zwar wird in der Mitteilung anerkannt, dass die unternehmerische Kompetenz durch lebenslanges Lernen erworben und erhalten werden sollte, doch liegt der Schwerpunkt auf der Bildung von der Grundschule bis zur Hochschule, wozu auch die berufliche Bildung im Sekundarbereich (Erstausbildung) und technische Bildungseinrichtungen des Hochschulbereichs gehören.

1.4

Traditionell werden in Europa unternehmerisches Denken und Handeln sowie selbstständige Erwerbstätigkeit im Rahmen der formalen Bildung nicht besonders gefördert, und obwohl die Erziehung zu unternehmerischem Denken und Handeln bereits Gegenstand zahlreicher Initiativen ist, sind diese jedoch nicht immer Teil eines zusammenhängenden Ganzen. Die Vorschläge der Kommission, die auf Fakten und vorbildlichen Verfahren in Europa basieren, zielen darauf ab, Hilfe bei der Formulierung systematischerer Konzepte für die Erziehung zu unternehmerischem Denken und Handeln anzubieten und die Rolle des Bildungswesens bei der Schaffung einer stärker unternehmerorientierten Kultur in den europäischen Gesellschaften zu stärken. Handlungsbedarf besteht dabei hauptsächlich auf nationaler oder lokaler Ebene.

1.5

Diese Mitteilung wird als Referenz für die Überprüfung der Fortschritte auf politischer Ebene dienen, was hauptsächlich durch die Lissabon-Berichte geschieht, die die Mitgliedstaaten nach den Integrierten Leitlinien für Wachstum und Arbeitsplätze vorzulegen haben.

2.   Allgemeine Bemerkungen des EWSA

2.1

Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag der Kommission. Um das Wirtschaftswachstum zu fördern, das zur Erhaltung des Europäischen Sozialmodells notwendig ist, und um die Lissabon-Strategie erfolgreich umzusetzen, ist unternehmerische Initiative von Bedeutung. Europa braucht mehr Unternehmer, die über die entsprechenden Qualifikationen verfügen, um im Wettbewerb auf dem Markt erfolgreich zu bestehen. Die Erziehung zu unternehmerischem Denken und Handeln wird nach Auffassung der Kommission nicht nur mehr Existenzgründungen, innovative Konzepte und neue Arbeitsplätze bringen. Unternehmergeist sollte als Grundkompetenz und berufliche Option sowie als wesentlicher Beitrag zur Entfaltung der Persönlichkeit angesehen werden. Er fördert Kreativität und Innovation sowie das Selbstvertrauen und trägt zur Entwicklung von Eigenschaften wie Eigeninitiative und der Fähigkeit, Misserfolge zu bewältigen, bei. Es kommt darauf an, Initiativgeist zu vermitteln und nicht nur zu lernen, wie man Geschäftsmann bzw. Geschäftsfrau wird. Unternehmerische Bildung ermöglicht den Arbeitnehmern, ihr Arbeitsumfeld bewusst wahrzunehmen und Chancen zu ergreifen. Unternehmerische Initiative meint die Fähigkeit, Ideen in die Tat umzusetzen (1).

2.2

Der EWSA schließt sich der Auffassung an, dass eine stärkere unternehmerische Tätigkeit nur erreicht werden kann, wenn ein Wandel der Denkweise und Einstellung herbeigeführt wird, der schon in einem sehr frühen Alter einsetzen sollte. Unternehmergeist muss auch als lebensbegleitender Lernprozess begriffen werden, der schon in der Grundschule beginnt. Dort wird die Grundlage für besondere unternehmerische Fertigkeiten geschaffen, die die im Rahmen der formalen Ausbildung erworbene Allgemeinbildung und Kultur ergänzen, z.B. Kreativität, den Wunsch, sich um neue Erkenntnisse zu bemühen und sich weiterzubilden usw. Er kann in den einzelnen Abschnitten des persönlichen Lebens mehr Flexibilität bieten und trägt damit dazu bei, dass Frauen und Männer Beruf und Privatleben besser miteinander in Einklang bringen können. Dabei geht es auch um die Rolle der Familie und ihre Einstellung zum Unternehmertum.

2.3

Der Ausschuss begrüßt die Schlussfolgerungen der Frühjahrstagung des Europäischen Rates (2). Der Europäische Rat betont, dass ein insgesamt positives Unternehmensklima geschaffen werden muss, und fordert daher die Mitgliedstaaten auf, die entsprechenden Maßnahmen zu verstärken, u.a. durch Herausbildung des Unternehmergeists und entsprechende Schulung. Außerdem sollten in den Nationalen Reformprogrammen und in den Berichten Maßnahmen, mit denen das wirtschaftliche Umfeld für KMU verbessert wird und Menschen, insbesondere Frauen und junge Leute, motiviert werden, Unternehmer zu werden, ausdrücklich erwähnt werden.

2.4

Der Ausschuss begrüßt den Vorschlag zur Einrichtung von zentralen Anlaufstellen für eine schnelle und einfache Unternehmensgründung. Im Hinblick auf das allgemeine Wachstum und mehr Arbeitsplätze ist das eine wichtige Frage. Wie der Ausschuss bereits festgestellt hat, sind die Hürden für den Unternehmergeist vor und nach Unternehmensgründung allerdings viel höher als bislang angenommen. Wird der Akzent zu stark auf eine schnelle Eintragung neuer Unternehmen im Handelsregister gelegt, hat der Unternehmer möglicherweise keinen angemessenen Zeitraum mehr für Marktforschung, Planung, Aufbau von Kapazitäten und grundsätzliche Überlegungen im Vorfeld der Gründung eines neuen Unternehmens (3). In diesem Zusammenhang bekräftigt der Ausschuss seinen Standpunkt, dass nicht nur die Gründung, sondern auch die Übertragung von Unternehmen davon betroffen ist.

2.5

Fragen regulatorischer, steuerrechtlicher und finanzieller Art, die sich allesamt auf den Unternehmergeist auswirken, waren Gegenstand früherer Stellungnahmen des Ausschusses (4).

2.6

Der Ausschuss unterstützt und teilt die in der Mitteilung enthaltenen Vorschläge und Empfehlungen, möchte jedoch folgende Bemerkungen dazu machen:

3.   Besondere Bemerkungen des EWSA

3.1   Unternehmergeist im Bildungswesen

3.1.1

Die Herausbildung von Unternehmergeist ist ein lebensbegleitender Lernprozess, der frühzeitig beginnen und sich wie ein roter Faden durch das gesamte Bildungssystems ziehen muss. Der Grundstock für die Aneignung von Kompetenzen und Fähigkeiten, die eine spätere Selbstständigkeit und Unternehmensführung ermöglichen, sollte in der Primarschule gelegt und über die Sekundarschule bis zur Hochschule ausgebaut werden. Eine gründliche Ausbildung von hoher Qualität ermöglicht wiederum eine effiziente und gezielte Vorbereitung auf das Unternehmertum. Eine unlängst durchgeführte Untersuchung (5) zeigt, dass Programme für das „entrepreneurship training“ eine Schlüsselrolle spielen, um junge Leute zu bewegen, die Selbstständigkeit als künftige berufliche Option zu erwägen. Es hat sich auch herausgestellt, dass mit diesen Programmen die Fähigkeit der Studierenden zur Problembewältigung, ihr Selbstvertrauen und Bewusstsein für Zusammenarbeit und Teamwork entwickelt werden. Eine Studie der Universität Lund (6) zeigt, dass unternehmerische Fähigkeiten und Fertigkeiten hauptsächlich durch praktische Arbeitserfahrungen und nicht durch formale Vermittlung im Unterricht erlernt werden.

3.1.2

Die Entwicklung einer unternehmerischen Mentalität ist sowohl in der theoretischen wie auch in der berufspraktischen Ausbildung auf der Sekundar- und Hochschulebene wichtig und kann auch einen zusätzlichen Nutzen dadurch bringen, dass das Interesse in verschiedenen Bildungseinrichtungen geweckt wird. In diesem Zusammenhang weist der Ausschuss darauf hin, dass es unterschiedliche Unternehmenskulturen gibt, die es bei der Aufstellung von entsprechenden Bildungsplänen zu berücksichtigen gilt.

3.1.3

Eine der Lösungen liegt in der Entwicklung konkreter und frühzeitiger Kontakte zwischen Schulen, Unternehmen, der Regierung, den zuständigen Behörden und den lokalen Gebietskörperschaften. Die Bildungsbehörden und Unternehmen sollten bei der bestmöglichen Gestaltungsarbeit im Bildungsbereich zusammenarbeiten. Dabei sollten die Arbeitgeber und Arbeitnehmer öffentlichkeitswirksam und in angemessener Weise im Bildungsbereich mitwirken. Der Ausschuss stimmt mit der Kommission darin überein, dass die Bedeutung des Unternehmergeistes deutlich herausgestellt werden muss und fester Bestandteil der Lehrpläne sein sollte. Durch geeignete Maßnahmen zur Umsetzung muss dieser Prozess begleitet werden. Der Querschnittscharakter unternehmerischer Initiative erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Ministerien (Bildung, Industrie und Wirtschaft), um so ein abgestimmtes Konzept sicherzustellen.

3.1.4

Dabei sollten Vorhaben auf nationaler wie lokaler Ebene sowie der Austausch beispielhafter Praktiken unterstützt werden. Hier sollte die organisierte Zivilgesellschaft (einschließlich der Sozialpartner, Familienverbände usw.) konsultiert werden.

3.1.5

Bei diesem Prozess brauchen die Lehrkräfte uneingeschränkte Unterstützung. Es gilt, ihnen den Nutzen einer Erziehung zu unternehmerischer Initiative bewusst zu machen und Wege aufzuzeigen, wie entsprechende Programme von der Grundschule an umgesetzt werden können. In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, dass die Schulen nicht nur über personelle und finanzielle Mittel verfügen, sondern auch über genügend Handlungsspielraum, um diese wie andere ihnen übertragene Aufgaben bewältigen zu können. Die Lehrer müssen verstehen, dass zu einer umfassenden Ausbildung ihrer Schüler auch Elemente wie Selbstständigkeit, Wissensdrang und die Fähigkeit zur kritischen Bewertung gehören, durch die unternehmerische Fähigkeiten gefördert und entwickelt werden können. Im Hinblick auf dieses Ziel und in dem Bewusstsein, dass eine solche Bildung auch zur persönlichen Bereicherung beiträgt, müssen die Lehrkräfte unterstützt werden.

3.1.6

Der Ausschuss bedauert, dass in diesem Zusammenhang die Perspektive der Frau in der Mitteilung zwar in der Einleitung erwähnt, aber nicht weiterführend berücksichtigt wird. Der Anteil der Mädchen, die in den Oberschulen an unternehmerischen Aktivitäten im Kleinmaßstab teilnehmen, entspricht dem Anteil der Jungen und übersteigt diesen in einigen Ländern sogar. Untersuchungen (7) zufolge gründen dennoch eher Männer eine selbstständige Existenz und vertrauen stärker auf ihre unternehmerischen Fähigkeiten. Diese Tatsache sollte im Bildungssystem generell stärker berücksichtigt werden.

3.1.7

Menschen mit und ohne Behinderung sollten die gleichen Möglichkeiten zur unternehmerischen Initiative haben. Bei der Erziehung zu Unternehmergeist und der entsprechenden Ausbildung sollte dieser Frage durch geeignete Maßnahmen zu Gunsten der Betroffenen Rechnung getragen werden. Dabei sollten Behindertenverbände auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene einbezogen werden.

3.2   Verbreitung beispielhafter Vorgehensweisen und Kontrolle

3.2.1

In der Mitteilung der Kommission werden vorbildliche Praktiken genannt und zusammengetragen. Der Schwerpunkt sollte nun darauf gelegt werden, wie diese Ergebnisse, Vorschläge und Empfehlungen weiter umgesetzt und verbreitet werden können.

3.3   Verbreitung beispielhafter Vorgehensweisen

3.3.1

Der Ausschuss ist sich der Tatsache bewusst, dass es in den Mitgliedstaaten Beispiele für eine Erweiterung der Lehrpläne um Themen und Aktivitäten gibt, die auf die Herausbildung von Kompetenzen ausgerichtet sind, die für ein künftiges Unternehmertum erforderlich sind, und möchte zu den in der Mitteilung genannten Beispielen noch eine weitere Erfahrung hinzufügen. An der Erziehung zu Unternehmergeist sind sowohl Behörden als auch private Akteure beteiligt. Es muss überprüft werden, ob Bildungsexperimenten dieser Art, wie z.B. dem Stufenmodell für Unternehmergeist (8) breitere Geltung und eine höhere Wirksamkeit verliehen werden können. Dieses Modell, das auf verschiedenen Ebenen von der Grundschule bis zur Forschung Anwendung findet, hat sich als erfolgreiche Methode erwiesen, bei der die Erziehung von Menschen zur unternehmerischen Initiative frühzeitig beginnt und in den späteren Ausbildungsphasen fortgesetzt wird:

Siebenjährige machen einfache und praktische Neuerungen („Geniestreiche“);

Fünfzehnjährige: Unternehmen, Verbände und Behörden informieren und beteiligen sich aktiv in den Schulen;

Achtzehnjährige: wie werde ich Jungunternehmer und gründe meine eigene Firma;

Hochschule: besondere Fachbereiche und Programme für das Unternehmertum.

3.3.2

Die Einrichtung eines Forums für beispielhafte Vorgehensweisen ist eine wichtige Maßnahme. Bereits ergriffene Maßnahmen zur Ermittlung und für den Austausch vorbildlicher Praktiken sollten in den Mitgliedstaaten fortgeführt und von der Kommission koordiniert werden. Die jährlichen Konferenzen im Rahmen der Europäischen Charta für die KMU bilden einen wichtigen Teil dieser Aktivitäten. Der Ausschuss erwartet zudem mit Interesse die Konferenz, welche die Kommission im Herbst 2006 als Folgemaßnahme zu der Mitteilung zur Förderung der unternehmerischen Mentalität veranstalten wird. Er fordert, dass alle relevanten öffentlichen und privaten Akteure an dieser Konferenz beteiligt werden, und empfiehlt, dort verschiedene Modelle wie zum Beispiel das Modell der kontinuierlichen Heranführung an den Unternehmergeist über alle Bildungsstufen anhand von Fallstudien vorzustellen. Bei dieser Veranstaltung sollten erfolgreiche Modelle diskutiert werden, die bereits in der Grundschule die Bildung (mentaler, persönlicher) Voraussetzungen für eine künftige unternehmerische Kompetenz erleichtern und die zur Anpassung an die nationalen Kriterien und Lehrpläne der Mitgliedstaaten weiter entwickelt werden könnten. Der Ausschuss schlägt überdies vor, dass diese Art von Bilanzziehung zu einer jährlichen Veranstaltung wird, bei der die Umsetzung der Empfehlungen der Kommission bewertet wird.

3.3.3

Die Kommission stellt in ihrer Mitteilung einen Vergleich mit den USA an, wo unternehmerisches Handeln stärker als in Europa gefördert wird. Der Ausschuss hat in einer früheren Stellungnahme festgestellt, dass im Vergleich zu den USA weniger Europäer neue Unternehmen gründen und sehr viel mehr Menschen eine abhängige Beschäftigung der Selbstständigkeit vorziehen. Viele Beobachter vertreten die Auffassung, dass das europäische Gesellschaftsmodell einer der Hauptgründe für die Neigung zu einer abhängigen Beschäftigung ist. Dabei muss Folgendes berücksichtigt werden: a) ob diese Daten für einen Vergleich zwischen der EU und den Mitgliedstaaten bzw. für einen internationalen Vergleich ausreichen, b) die Auswirkungen dieses Vorziehens der abhängigen Beschäftigung gegenüber der Selbstständigkeit, c) ob dieses in direktem Zusammenhang mit dem Mangel an unternehmerischer Dynamik in Europa steht und d) ob die Lösungen für die europäische Gesellschaft akzeptabel sind (9).

3.3.4

Unternehmergeist ist für die Gesellschaft als Ganzes wichtig. Mit dem Ziel, das Bewusstsein für eine Kultur des unternehmerischen Denkens und für die Bedeutung des Unternehmertums für die gesamte Entwicklung eines Wandels zu stärken, schlägt der Ausschuss vor, das Jahr 2009 zum Europäischen Jahr des Unternehmergeistes zu erklären. In diesem Zusammenhang weist der Ausschuss darauf hin, dass die Halbzeitbewertung mehrerer einschlägiger EU-Programme im Jahr 2010 erfolgen wird. Ziel ist es, eine positive Einstellung der Öffentlichkeit zum Unternehmertum herbeizuführen. Ein Europäisches Jahr zu diesem Thema böte zugleich auch Gelegenheit, den Austausch vorbildlicher Praktiken zu konsolidieren und zu starken. Das Europäische Jahr des Unternehmergeistes könnte auch dazu beitragen, Europa zu vermitteln und dem Bürger näher zu bringen.

3.3.5

Wie der Ausschuss bereits betont hat, spielen die Medien eine maßgebliche Rolle bei der Vermittlung des Unternehmergeistes und des Verständnisses für ein Unternehmen und seine Funktionsweise. Im Allgemeinen konzentrieren sie sich jedoch sehr stark auf Großunternehmen und multinationale Konzerne. Es sollten Strategien konzipiert werden, die es ermöglichen, die Rolle des Unternehmers herauszustellen und so das Bild der Klein- und Kleinstunternehmen zu vermitteln sowie das Image des Spezialgewerbes, des Dienstleistungsbereichs und des Handwerks aufzuwerten (10).

3.4   Folgemaßnahmen

3.4.1

Da die Bereiche Erziehung und Ausbildung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, kommt der Frage der Folgemaßnahmen und Umsetzung größte Bedeutung zu. Der Ausschuss stellt fest, dass die in der Vergangenheit erstellten Berichte im Rahmen der Europäischen Charta für die KMU von den allgemeinen Berichten abgelöst werden, die im Zuge der Lissabon-Strategie (Integrierte Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung, Leitlinie Nr. 15) abgefasst werden. Der Ausschuss vertritt jedoch die Auffassung, dass dennoch nationale Bewertungsgremien eingerichtet werden könnten. Im Hinblick auf eine wirksame und langfristige Bewertung der Fortschritte sollte die Kommission qualitative und quantitative Zielvorgaben festlegen, dabei aber dem Subsidiaritätsprinzip und der besonderen Situation des jeweiligen Landes Rechnung tragen. Die im Abschlussbericht der Expertengruppe „Erziehung zu unternehmerischem Denken und Handeln“ (11) enthaltenen Vorschläge sind zutreffend.

3.4.2

Der Ausschuss weist darauf hin, dass eine Reihe von EU-Bildungsprogrammen einen finanziellen Beitrag zu den Bemühungen um die Stärkung des Unternehmergeistes leisten könnte. Das gilt insbesondere für die Programme Erasmus und Leonardo, für die Strukturfonds, hier vor allem für den Europäischen Sozialfonds, und für das künftige Rahmenprogramm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation. Diese Unterstützungsmaßnahmen werden jedoch offensichtlich nicht koordiniert. Gebraucht wird deshalb eine kohärente Strategie auf europäischer Ebene zur Stärkung des Unternehmergeistes. Dabei gilt es, die Verfahren und Mittel festzulegen und die Akteure auf allen Ebenen über die verschiedenen Möglichkeiten einer Gemeinschaftsfinanzierung zu informieren.

3.4.3

Der Ausschuss sieht Folgemaßnahmen zu den vorrangigen Initiativen vor, die der finnische Ratsvorsitz eingeleitet hat, um dem Aufruf des Europäischen Rates zur Mobilisierung des unternehmerischen Potenzials Folge zu leisten (12).

Brüssel, den 6. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2005)548 — Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen.

(2)  Tagung des Europäischenrates am 23./24. März 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes.

(3)  Stellungnahme des EWSA zu dem Grünbuch „Unternehmergeist in Europa“ (Berichterstatter: Herr Butters) (ABl. C 10 vom 14.1.2004, S. 58).

(4)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Aktionsplan: Europäische Agenda für unternehmerische Initiative“ (Berichterstatter: Herr Butters) (ABl. C 74 vom 23.3.2005, S. 1); Stellungnahme des EWSA zu dem Grünbuch „Unternehmergeist in Europa“ (Berichterstatter: Herr Butters) (ABl. C 10 vom 14.1.2004, S. 58).

(5)  „Enterprise 2010 the next generation“, Studie von Junior Achievement Young Enterprise, September 2005.

(6)  „Entrepreneurship, Career Experience and Learning — Developing our Understanding of Entrepreneurship as an Experiential Learning Process“ dissertation by Diamanto Politis 2005, Scxhool of Economics and Management, Lund University.

(7)  Global Entrepreneurship Monitor 2005, Executive report.

(8)  Wurde vom schwedischen Unternehmerverband eingeführt.

(9)  Stellungnahme des EWSA zu dem Grünbuch „Unternehmergeist in Europa“ (Berichterstatter: Herr Butters) (ABl. C 10 vom 14.1.2004, S. 58).

(10)  Vgl. hierzu auch die Stellungnahme des EWSA zu dem Grünbuch „Unternehmergeist in Europa“ (Berichterstatter: Herr Butters) (ABl. C 10 vom 14.1.2004, S. 58).

(11)  Abschlussbericht der Expertengruppe „Education for Entrepreneurship“ — „Making progress in promoting entrepreneurial attitudes and skills through Primary and Secondary education“, vorgelegt im Februar 2004.

(12)  Europäischer Rat in Brüssel am 23./24. März 2006, Schlussfolgerungen des Vorsitzes.


ANHANG 1

Folgende Änderungsanträge, auf die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurden im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Kernpunkte der Stellungnahme des EWSA, Spiegelstrich 14

Wortlaut wie folgt ändern:

 

Europäisches Jahr des Unternehmergeistes auf Initiative der Kommission;

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 48

Nein-Stimmen: 62

Stimmenthaltungen: 15

Ziffer 3.3.4

Text wie folgt ändern:

„Unternehmergeist ist für die Gesellschaft als Ganzes wichtig. Mit dem Ziel, das Bewusstsein für eine Kultur des unternehmerischen Denkens und für die Bedeutung des Unternehmertums für die gesamte Entwicklung eines Landes zu stärken, schlägt ruft der Ausschuss die Kommission auf vor, angemessene Maßnahmen einzuleiten das Jahr 2009 zum Europäischen Jahr des Unternehmergeistes zu erklären. In diesem Zusammenhang weist der Ausschuss darauf hin, dass die Halbzeitbewertung mehrerer einschlägiger EU-Programme im Jahr 2010 erfolgen wird. Ziel ist es, um eine positive Einstellung der Öffentlichkeit zum Unternehmertum herbeizuführen. Ein Europäisches Jahr zu diesem Thema böte zugleich auch Gelegenheit, und den Austausch vorbildlicher Praktiken zu konsolidieren und zu stärken. Das Europäische Jahr des Unternehmergeistes könnte auch dazu beitragen, Europa zu vermitteln und dem Bürger näher zu bringen.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 60

Nein-Stimmen: 73

Stimmenthaltungen: 13


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/115


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik“

KOM(2006) 35 endg.

(2006/C 309/24)

Die Europäische Kommission beschloss am 1. Februar 2006 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: „Weißbuch über eine europäische Kommunikationspolitik“

Der Ausschuss beschloss auf seiner 424. Plenartagung am 15./16. Februar 2006 gemäß Artikel 19 Absatz 1 seiner Geschäftsordnung, zur Vorbereitung seiner Arbeiten einen Unterausschuss einzusetzen.

Der mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Unterausschuss „Europäische Kommunikationspolitik“ nahm seine Stellungnahme am 22. Juni 2006 an. Berichterstatterin war Frau van TURNHOUT.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 6. Juli) mit 108 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Im Folgenden legt der Ausschuss seine Ansicht zu den fünf, von der Europäischen Kommission in ihrem Weißbuch genannten Punkten ausführlich dar. Letztendlich plädiert er nicht für eine zusätzliche Charta oder einen Verhaltenkodex, in denen allgemeine Grundsätze formuliert werden, sondern er ruft die Kommission erneut dazu auf, sich dem Problem der fehlenden Rechtsgrundlage für die Kommunikationspolitik zu stellen. Der Ausschuss macht auf ein zweifaches Problem bei der Finanzierung aufmerksam: die fehlenden finanziellen Mittel und die abschreckend komplizierten bürokratischen Verfahren für ihre Gewährung. Er begrüßt die praktischen Vorschläge zu Problemen wie der politischen Bildung bzw. bürgerschaftlichen Erziehung, weist darauf hin, dass die Hauptverantwortung für viele dieser Bereiche bei den Mitgliedstaaten liegt, und plädiert unter anderem dafür, dass die Bildungsminister über ein gemeinsames Konzept zur Geschichte der Europäischen Union beraten. Damit man die Bürger erreicht, braucht man zum einen deutliche und ansprechende Botschaften, eine klare Vision, die die Bürger annehmen können, zum anderen ein geeignetes Konzept und entsprechende Instrumente für die Kommunikation. Der Ausschuss ist bereit und willens, mit den anderen Institutionen zusammenzuarbeiten, und er nimmt zur Kenntnis, dass sich die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen auf zentraler Ebene in vieler Hinsicht positiv entwickelt hat. Dennoch ersucht der Ausschuss, der ausdrücklich einen dezentralen Ansatz unterstützt, die Kommission eindringlich, weiter der Frage nachzugehen, wie wirkliche Synergien und interinstitutionelle Zusammenarbeit auf dezentraler Ebene erleichtert werden können. Der Ausschuss schlägt vor, dass das nach dem Weißbuch angekündigte Addendum zu dem Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss dieses besondere Thema behandeln sollte.

2.   Begründung

2.1

Das Weißbuch der Europäischen Kommission über eine europäische Kommunikationspolitik (KOM(2006) 35 endg.) wurde am 1. Februar 2006 verabschiedet. Dies ist bereits das dritte Dokument der Kommission zum Thema Kommunikation innerhalb von sieben Monaten. Vorausgegangen waren folgende zwei Dokumente: der interne „Aktionsplan für eine bessere Kommunikationsarbeit der Kommission zu Europa“ (SEK(2005) 985 endg.), angenommen am 20. Juli 2005, und die Mitteilung „Beitrag der Kommission in der Zeit der Reflexion und danach: Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion“ (KOM(2005) 494 endg.), angenommen am 13. Oktober 2005. In dem Weißbuch werden die Organe und Einrichtungen der EU zur Stellungnahme „auf dem üblichen institutionellen Weg“ aufgefordert. Es wird eine Konsultation für sechs Monate angesetzt, nach deren Ablauf Bilanz gezogen werden soll, „damit für jeden Arbeitsbereich Maßnahmen vorgeschlagen werden können“.

2.2

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat seinerseits unlängst zwei Stellungnahmen zum Thema Kommunikation verabschiedet: erstens „Denkpause: Struktur, Themen und Rahmen für eine Bewertung der Debatte über die Europäische Union“ (CESE 1249/2005 (1)) vom 26. Oktober 2005, die dem Europäischen Parlament vorgelegt wurde, und zweitens die Stellungnahme zum „Plan D“ der Kommission (CESE 1499/2005) vom 14. Dezember 2005 (2). Beide Stellungnahmen enthalten eine Reihe praktischer Empfehlungen. Mit ihrer Sitzung am 6. April 2006 leitete die Gruppe Kommunikation des EWSA den Prozess der systematischen Überprüfung der Umsetzung dieser praktischen Empfehlungen ein.

2.3

Diese Stellungnahme zum Weißbuch sollte daher nicht alles durchgehen, was der Ausschuss bereits behandelt hat bzw. immer noch behandelt. Vielmehr sollte versucht werden, auf die fünf in dem Weißbuch genannten Hauptpunkte einzugehen. Hierbei handelt es sich um folgende:

Gemeinsame Grundsätze festlegen: Wie kommen wir voran?

Wie kann der Bürger erreicht werden?

Wie können die Medien effizienter in die Kommunikation über Europa einbezogen werden?

Wie kann die öffentliche Meinung in Europa noch besser eingeschätzt werden?

Die Aufgabe gemeinsam angehen.

2.4

Außer den beiden oben genannten Stellungnahmen des Ausschusses und dem Weißbuch der Kommission liegen dem Unterausschuss und seiner Berichterstatterin verschiedene zusätzliche Quellen als Grundlage vor:

die zusammenfassenden Berichte über die Debatten auf den Plenartagungen des EWSA seit Juni 2005, einschließlich der Debatte vom 20. April 2006, die speziell den im Weißbuch aufgeworfenen und oben bereits erwähnten Fragen gewidmet war,

die Empfehlungen der Arbeitsgruppen, die während des Stakeholder-Forums des EWSA am 7./8. November 2005 in Brüssel zum Thema „Die Kluft überbrücken“ abgegeben wurden,

die zusammenfassenden Berichte verschiedener Aussprachen in der Gruppe Kommunikation,

die am 17. Mai 2006 verabschiedete Initiativstellungnahme des Ausschusses für den Europäischen Rat im Juni 2006.

die Empfehlungen der Arbeitsgruppen, die während des Stakeholder-Forums des EWSA am 9./10. Mai 2006 in Budapest zum Thema „Die Kluft überbrücken“ abgegeben wurden.

2.5

Diese Stellungnahme zum Weißbuch ist entsprechend den fünf im Dokument hervorgehobenen Fragen in fünf Abschnitte unterteilt und beschränkt sich in jedem dieser Abschnitte auf die Behandlung einer bzw. einiger weniger Schlüsselfragen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1   Gemeinsame Grundsätze festlegen: Wie kommen wir voran?

3.1.1

Gerade bei der Vermittlung Europas ist die Rolle der Mitgliedstaaten entscheidend. In vielen anderen Bereichen sind es die Unternehmer, die Sozialpartner und Teile der Zivilgesellschaft, also kurz gesagt die dynamische Gesellschaft selbst, die erfolgreich eine ausschlaggebende Rolle wahrnimmt. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn es gilt, Europa einer möglichst breiten Basis zu vermitteln.

3.1.2

Die grundlegende Frage wäre hier, ob der Ausschuss dem folgenden Vorschlag der Kommission zustimmen kann oder nicht: „Die gemeinsamen Grundsätze und Standards, die für die Informations- und Kommunikationsarbeit zu europäischen Themen maßgeblich sein sollen, könnten in einem Rahmendokument — zum Beispiel einer Europäischen Charta oder einem Europäischen Verhaltenskodex zur Kommunikation — festgeschrieben werden. Dadurch sollten alle Beteiligten (EU-Institutionen, nationale, regionale und lokale Regierungen, Nichtregierungsorganisationen) sich dazu verpflichten, diese Grundsätze einzuhalten und für eine EU-Kommunikationspolitik im Interesse der Bürger zu sorgen.“

3.1.3

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die eigentliche Sorge der Europäischen Kommission in dieser Hinsicht das Fehlen einer echten Rechtsgrundlage für die Informations- und Kommunikationsarbeit der EU ist. Der Ausschuss hat sich zu diesem Thema bereits deutlich geäußert. In Ziffer 3.7 seiner auf Ersuchen des Europäischen Parlaments abgegebenen Stellungnahme vom 26. Oktober 2005 zur Phase des Nachdenkens heißt es insbesondere (3): „Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, die Vorlage eines Legislativvorschlags für eine echte Kommunikationspolitik in Betracht zu ziehen und auf diesem Weg das unausgesprochene Problem der fehlenden Rechtsgrundlage anzupacken, das zur Einrichtung derart zahlreicher informeller Mechanismen und einer inkohärenten Vorgehensweise geführt hat. Nach Meinung des Ausschusses würde schon die Vorlage eines derartigen Vorschlags eine Debatte anstoßen.“

3.1.4

In dem Weißbuch wird angekündigt, dass die Kommission „nach Ablauf der Konsultationsphase ... die Ergebnisse der Konsultation vorlegen und dann erwägen [wird], ob eine Charta, ein Verhaltenskodex oder ein anderes Instrument vorgeschlagen werden soll.“ Diese Formulierung gibt dem Ausschuss Anlass zur Sorge, denn er hat Bedenken hinsichtlich des Ansatzes, den die Kommission hier möglicherweise vorschlagen wird.

3.1.5

Die Kommission verweist auf „gemeinsame Grundsätze und Standards“ und stützt sich dabei auf die Verfahrensweise in einigen Mitgliedstaaten. Solche Grundsätze und Standards gehen jedoch über die Kommunikation und Information hinaus. Eine einfache Erklärung von Grundsätzen, die alle akzeptieren könnten, da sie ja de facto bereits jetzt zustimmen, würde keinen Mehrwert bringen. Andererseits könnte ein Verhaltenskodex oder eine Charta zu restriktiv erscheinen. Darüber hinaus sind solche Grundsätze bereits in verschiedenen grundlegenden Dokumenten enthalten. Beabsichtigt man andererseits jedoch, einen Verhaltenskodex für Medienakteure und andere Kommunikationsbereiche zu verfassen, könnte dies möglicherweise als Versuch der Manipulation der Debatte oder der Unterdrückung euroskeptischer Einstellungen angesehen werden. Außerdem dürfte das Ziel, alle Akteure zu verpflichten, unrealistisch sein, da aus den Referenden in Frankreich und den Niederlanden für alle Institutionen unter anderem die Lehre zu ziehen ist, dass eine wachsende Zahl von Akteuren den europäischen Integrationsprozess eben nicht automatisch unterstützt. Schließlich würde eine Unterzeichnung eines solchen Kodexes durch alle im Weißbuch genannten Akteure bedeuten, dass alle gleichermaßen für die Aufgaben im Bereich Kommunikation, denen sich die Europäische Union zu stellen hat, verantwortlich wären. Nach Auffassung des Ausschusses wäre es irreführend, einen solchen Eindruck zu vermitteln, da die Verantwortung in erster Linie bei den Regierungen der Mitgliedstaaten liegt und auch erkennbar liegen sollte.

3.1.6

Der Ausschuss hat Bedenken hinsichtlich der Absicht der Kommission, ein eigenes webgestütztes Bürgerforum einzurichten, um damit Meinungen zur Zweckmäßigkeit eines solchen Rahmendokuments einzuholen. Nicht alle Bürger Europas haben Zugang zu solch einem webgestützen Forum. Der Konsultationsprozess sollte unbedingt durch andere, traditionellere Medien unterstützt werden.

3.2   Wie kann der Bürger erreicht werden?

3.2.1

Der Ausschuss stellt fest, dass die finanziellen Mittel sehr beschränkt sind. Überdies besteht kein Zweifel, dass die nach der Verabschiedung der neuen Haushaltsordnung auferlegten Verfahren für die Gewährung von Mitteln aus den Fonds viele gut gemeinte Aktivitäten der Zivilgesellschaft erschweren bzw. im Keim ersticken.

3.2.2

Will man die Bürger wirklich erreichen, muss auf die Gründe ihrer Skepsis eingegangen werden: Erstens werden die Bürger immer kritischer hinsichtlich der Ergebnisse und Auswirkungen politischer Entscheidungen auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen. Zweitens fehlt es an einem politischen Diskurs, weshalb ein Bedarf an Kommunikation besteht. Das Konzept der Kommunikation muss jedoch geändert werden, damit etwas bewirkt werden kann.

3.2.3

Eine effiziente Kommunikation erfordert vor allem deutliche und ansprechende Botschaften, eine klare Vision, die die Bürger annehmen. Die Bürger wollen Europa als ein politisches Projekt mit einem sozioökonomischem Konzept, als ein europäisches Modell, das den sozialen Zusammenhalt wahrt und die Wettbewerbsfähigkeit steigert. Einige Ländern haben gezeigt, dass dies möglich ist.

3.2.4

Die Kommunikation ist zentralisiert und Europa zentriert. Sie findet überwiegend auf europäischer Ebene zwischen europäischen Akteuren und Institutionen sowie dem Projekt Europa bereits nahe stehenden Personen statt. Darüber hinaus werden Instrumente wie webgestützte Konsultationen eingesetzt, zu denen gewöhnlich nur ausgewählte Gruppen von Bürgern Zugang haben. Um die Bürger jedoch zu erreichen, müssen Maßnahmen zur Kommunikation entwickelt werden, die erstens zusätzliche Akteure einbeziehen, und zwar andere als nur die europäischen Institutionen und der EU bereits nahe stehende Personen. Zweitens müssen die Debatten dezentralisiert werden, d.h. auf staatlicher, regionaler und lokaler Ebene stattfinden, wobei die Entscheidungsträger und die Medien, die teilweise zuerst selbst überzeugt werden müssen, einzubeziehen sind.

3.2.5

In diesem Zusammenhang werden im Weißbuch eine Reihe praktischer Vorschläge, von der Verbesserung der politischen Bildung bzw. bürgerschaftlichen Erziehung bis hin zu gemeinsamen offenen Diskussionen, unterbreitet. Der Ausschuss unterstützt insbesondere die Argumente zugunsten der politischen Bildung bzw. bürgerschaftlichen Erziehung. Artikel 149 des EG-Vertrags legt jedoch klar die alleinige Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems fest, was auch im Weißbuch anerkannt wird. Aus diesem Grunde verbirgt sich hier eine Gefahr in zweierlei Hinsicht, wenn sich europäische Institutionen für eine verstärkte politische Bildung bzw. bürgerschaftliche Erziehung aussprechen. Einerseits laufen sie Gefahr, der Einmischung in die souveränen Angelegenheiten der Regierungen der Mitgliedstaaten beschuldigt zu werden. Andererseits würden sie indirekt die Verantwortung für etwas übernehmen, für das sie in Wirklichkeit gar nicht verantwortlich sind.

3.2.6

Schließlich ist es für die Europäische Union erforderlich, dass ihre Bürger sich als Schicksalsgemeinschaft sehen. Zu diesem Zweck wäre es erstrebenswert, wenn die EU im Rahmen der Bildungsprogramme der Mitgliedstaaten behandelt und sowohl unter historischem Aspekt als auch aus heutiger Sicht als gemeinsames politisches Projekt all ihrer Mitgliedstaaten und deren Bevölkerung erläutert würde. Dieses Thema sollte offen im Rat der Bildungsminister erörtert werden.

3.2.7

Dies bedeutet nicht, dass die EU-Institutionen nichts unternehmen sollten. Im Gegenteil, sie sollten sich alle mehr darauf konzentrieren, die Bürger Europas darüber zu informieren, wie die Europäische Union einen Mehrwert schafft. Es sollten Zielgruppen festgelegt und klare Erfolgsbeispiele der EU verbreitet werden.

3.2.8

Im Allgemeinen sollte den Bürgern das Gefühl vermittelt werden, dass sie an einem durchweg transparenten Rechtsetzungs- und Entscheidungsfindungsprozess Teil haben.

3.3   Wie können die Medien effizienter in die Kommunikation über Europa einbezogen werden?

3.3.1

In diesem Abschnitt schlägt die Kommission vor, dass die EU-Institutionen über bessere Kommunikationsinstrumente und -kapazitäten verfügen sollten, und untersucht Wege zur Überbrückung der „digitalen Kluft“. Der Ausschuss bedauert, dass der von der Kommission beabsichtigte Vorschlag zur Gründung einer Europäischen Presseagentur in der Endfassung des Weißbuches gestrichen wurde, hätte dies doch — ersten Reaktionen zufolge — eine umfassende Debatte über die Beziehung zwischen den in Brüssel ansässigen Medien und den EU-Institutionen ausgelöst.

3.3.2

Der Ausschuss unterstützt die in diesem Abschnitt dargelegten Maßnahmen. Er fordert die Kommission jedoch auf, zwischen Fachmedien und allgemeinen Medien zu unterscheiden. Fachmedien sind in der Regel gut informiert und bieten eine informative Berichterstattung. Außerdem möchte der Ausschuss betonen, dass das Fernsehen für die meisten Bürger Europas die Hauptinformationsquelle darstellt. Er fordert die Kommission auf, dies und die Art der schnellen Entwicklung des digitalen Fernsehens zu berücksichtigen, wenn sie eine allgemeine Strategie gleich welcher Art ausarbeitet. In diesem Zusammenhang betont der Ausschuss, dass es äußerst wichtig ist, mit den Bürgern in ihrer eigenen Sprache zu kommunizieren.

3.3.3

Der Ausschuss seinerseits wird seinen strategischen Kommunikationsplan weiter aktualisieren und umsetzen. Dies umfasst auch die ständige Prüfung seiner Kommunikationsmittel und ihrer Anwendung sowie die Sondierung innovativer Methoden (der Einsatz der „Open Space“-Methode während der Stakeholder-Foren zum Thema „Die Kluft überbrücken“ am 7./8. November 2005 in Brüssel und am 9./10. Mai 2006 in Budapest war ein anschauliches Beispiel hierfür).

3.4   Wie kann die öffentliche Meinung in Europa noch besser eingeschätzt werden?

3.4.1

Die Kommission schlägt vor, ein Netzwerk nationaler Sachverständiger aufzubauen und ein Europäisches Meinungsforschungsinstitut einzurichten. Der Ausschuss ist mit dem Grundtenor des Weißbuches in diesem Bereich einverstanden. Insbesondere stimmt er zu, dass die Europäische Union mit Eurobarometer bereits über ein funktionsfähiges Instrument verfügt, obwohl er überzeugt ist, dass die Kommission auch bestrebt sein sollte, Verbindungen und Synergien mit nationalen Meinungsforschungsorganisationen zu entwickeln.

3.4.2

Ferner ist der Ausschuss der Ansicht, dass die Kommission die bereits vorhandenen Einrichtungen für die Einschätzung der öffentlichen Meinung, wie etwa den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, noch nicht ausreichend nutzt. Diesbezüglich hat der Ausschuss erfreut die Absichtserklärungen zur Kenntnis genommen, die in dem neuen Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (unterzeichnet am 7. November 2005) niedergelegt sind. Der Gedanke einer systematischeren Nutzung des Ausschusses als Resonanzboden könnte in dem im Anschluss an das Weißbuch geplanten Addendum zum Protokoll über die Zusammenarbeit, das Kommissionspräsident Barroso am 7. November 2005 angekündigt hat, weiterentwickelt werden.

3.5   Die Aufgabe gemeinsam angehen

3.5.1

Die Kommission zählt hier eine Reihe neuer, strukturierter Formen der Zusammenarbeit auf. Sie verweist auf die Rolle, die der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bereits wahrnimmt, und verweist auf das am 7. November 2005 unterzeichnete neue Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen. Letztere funktioniert auf zentraler Ebene gut. Der Ausschuss ist jedoch der Ansicht, dass sehr viel mehr getan werden könnte, um Synergien zwischen den Ressourcen der Kommission und des Ausschusses auf dezentraler Ebene zu fördern. Auch dies ist wahrscheinlich ein Bereich, auf den im Anschluss an das Weißbuch in dem Addendum zum Protokoll vom 7. November 2005 eingegangen werden könnte.

4.   Erinnerung an frühere Empfehlungen des Ausschusses

4.1

Der Ausschuss erinnert an seine früheren Empfehlungen an die Kommission im Bereich Kommunikation, insbesondere an diejenigen, die in der Anlage zu seiner Stellungnahme „Denkpause: Struktur, Themen und Rahmen für eine Bewertung der Debatte über die Europäische Union“, (CESE 1249/2005 (4)) sowie in der Stellungnahme vom Mai „Beitrag zum Europäischen Rat am 15./16. Juni 2006 — Phase des Nachdenkens“, enthalten sind.

Brüssel, den 6. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 42-46.

(2)  ABl. C 65 vom 17.3.2006, S. 92-93.

(3)  „Denkpause: Struktur, Themen und Rahmen für eine Bewertung der Debatte über die Europäische Union“,ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 42-46.

(4)  ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 42-46.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/119


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“

(2006/C 309/25)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. Januar 2006 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Juni 2006 an. Berichterstatter war Herr EHNMARK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 6. Juli) mit 91 gegen 1 Stimme bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Das europäische Sozialmodell ist eine Realität, die durch Einigkeit bei den übergeordneten Zielen und durch Vielfalt bei der Umsetzung gekennzeichnet ist. Das Modell hat sich bewährt, indem es den europäischen Ländern beim Aufbau von Gesellschaften, die von Zusammenhalt, Solidarität und Wettbewerbsfähigkeit geprägt sind, nützliche Denkanstöße gegeben hat. In den kommenden Jahren wird das Modell mit großen neuen Herausforderungen konfrontiert werden. Die Aufgabe besteht heute darin, das Sozialmodell mit Inhalt zu füllen und sich auf die Zukunft vorzubereiten.

1.2

Die Stärke des europäischen Sozialmodells hat immer darin gelegen, wie Wettbewerbsfähigkeit, Solidarität und gegenseitiges Vertrauen zusammenspielen. In diesem Sinne ist das Modell sowohl eine Realität als auch eine Vision für die Zukunft. Es kann jedoch niemals als in irgendeinem Sinne „endgültig“ angesehen werden. Es muss dynamisch sein und auf neue Herausforderungen reagieren.

1.3

Das europäische Sozialmodell ist in der vorliegenden Analyse nicht auf die herkömmliche Bedeutung des Begriffs „sozial“ beschränkt. Da die verschiedenen Sektoren immer stärker miteinander verflochten sind, muss der Begriff „sozial“ sowohl mit wirtschaftlichen als auch ökologischen Fragen verknüpft werden. Nur wenn diese weit gefasste Definition anerkannt wird, kann das Sozialmodell die notwendigen Denkanstöße zur Bewältigung künftiger Herausforderungen liefern. Bei einer derart breiten Auslegung könnte das Modell auch als europäisches Gesellschaftsmodell bezeichnet werden, in dem der soziale Aspekt einer von mehreren Bestandteilen ist. In dieser Analyse wird jedoch von einem „Sozialmodell“ gesprochen.

1.4

Alle nationalen Systeme der EU sind von der Vereinbarkeit von wirtschaftlicher Effizienz und sozialem Fortschritt geprägt. Richtig konzipierte soziale und beschäftigungspolitische Strategien haben sowohl die soziale Gerechtigkeit als auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Produktivität positiv beeinflusst. Die Sozialpolitik ist ein produktiver Faktor.

1.5

Der EWSA zeigt eine Reihe von Kernelementen des europäischen Sozialmodells auf, angefangen bei der Rolle des Staates als die Instanz, die Maßnahmen gewährleistet und häufig auch durchführt, um über ein hohes Beschäftigungsniveau und hochwertige öffentliche Dienstleistungen den sozialen Zusammenhalt und die soziale Gerechtigkeit zu fördern. Weitere Kernelemente betreffen u.a. Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit, zur Bewältigung ökologischer Herausforderungen sowie zur Förderung von Forschung und Bildung.

1.6

Die Errungenschaften des über lange Zeit gewachsenen europäischen Sozialmodells auf wirtschaftlichem, sozialem und ökologischem Gebiet sind beachtlich. Das Entstehen eines wohlfahrtsstaatlichen Europas ist hierbei das greifbarste Ergebnis. Dies kann jedoch nicht über Schwächen des Modells wie eine kontinuierliche soziale Segregation, die anhaltende Armut in bestimmten Gebieten und eine fortdauernde hohe Arbeitslosigkeit, insbesondere unter den Jugendlichen, hinwegtäuschen.

1.7

Europa und dem europäischen Sozialmodell stehen erhebliche Herausforderungen bevor. Dazu gehören Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, die soziale Integration und die Bekämpfung der Armut sowie die Auswirkungen der Globalisierung. Weitere Herausforderungen betreffen Gleichstellungsfragen, die Migration und die demografische Entwicklung.

1.8

Wenn das europäische Sozialmodell bei der Gestaltung der europäischen Gesellschaft von morgen von Nutzen sein soll, muss es ein dynamisches Modell sein, das für Herausforderungen, Veränderung und Reform offen ist.

1.9

Der Bestand des europäischen Sozialmodells wird von der Unterstützung abhängen, die ihm die EU-Bürger entgegenbringen, und von dem inneren Gefühl, das ihnen dafür vermittelt werden kann. Die Analyse und die Schlüsselelemente des europäischen Sozialmodells sollten als Grundlage für eine Debatte und einen Dialog in den Mitgliedstaaten dienen und somit den Bürgern ein neues Mittel an die Hand geben, um ihre Ansichten darüber kundzutun, was für ein Europa und welche Art von Sozialmodell sie wollen.

1.10

Kurz gesagt ist die Hypothese dieser Stellungnahme, dass das europäische Sozialmodell das Bild eines für alle seine Bürger demokratischen, umweltfreundlichen, wettbewerbsfähigen, solidarischen, sozial inklusiven und wohlfahrtsstaatlichen Europas zeichnen sollte.

2.   Analyse und Bemerkungen

2.1   Hintergrund und Begriffsbestimmungen

2.1.1   Einleitung

2.1.1.1

Das europäische Sozialmodell und seine Merkmale sind zum Thema einer lebhaften Debatte geworden. Dies überrascht nicht, denn verschiedene Ereignisse der jüngsten Zeit haben die Diskussion angeschürt. Der Entwurf des Verfassungsvertrags hat keine Zustimmung in der Öffentlichkeit gefunden, und die darin enthaltenen Visionen sind Papier geblieben. Auch andere Entwicklungen und Ereignisse gaben Anlass zu einer Debatte über das europäische Sozialmodell: Europas schwächelnde Wirtschaftsleistung, das Unvermögen, das Beschäftigungsniveau zu erhöhen, die demografische Entwicklung, die fortschreitende Globalisierung und ihre Folgen sowie die intensive Debatte über den Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie. Der Beitritt neuer Mitgliedstaaten facht weitere Debatten über die Zukunft der EU an.

2.1.1.2

Mit dieser Stellungnahme leistet der EWSA seinen Beitrag zur aktuellen Debatte. Sie wird als Grundlage für die Fortführung des Dialogs mit den Sozialpartnern und der organisierten Zivilgesellschaft dienen.

2.1.1.3

Ausgangspunkt für die Stellungnahme ist die Anerkennung der Tatsache, dass es eine Reihe von Werten und Visionen gibt, aber auch eine soziale Wirklichkeit, die zusammen genommen als europäisches Sozialmodell bezeichnet werden können. In der Stellungnahme sollen nun die verschiedenen Inhalte dieses Modells untersucht und Ideen und Herausforderungen für seine Fortentwicklung skizziert werden.

2.1.1.4

Als eine Vision für Europa sollte sich das Sozialmodell in Symbiose mit anderen Visionen für Europa befinden, in erster Linie derjenigen der nachhaltigen Entwicklung und der Vision, Europa zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, der mehr und bessere Arbeitsplätze und sozialen Zusammenhalt bietet.

2.1.2   Definition und Anwendungsbereich des europäischen Sozialmodells

2.1.2.1

Die Analyse des europäischen Sozialmodells muss bei den Wertesystemen ansetzen, die sich in den europäischen Ländern entwickelt haben. Die Wertesysteme bilden die Grundlage für jedwede Diskussion über gemeinsame Merkmale eines Sozialmodells. Die Europäische Union gründet sich auf eine Reihe gemeinsamer Werte, wie Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte, Menschenwürde, Gleichheit, Solidarität, Dialog und soziale Gerechtigkeit. Die Tatsache, dass das Modell zum Teil auf einem rechtlichen Fundament gründet — wie die Sozialcharta zeigt -, macht deutlich, dass es sich um ein wertegestütztes Modell handelt.

2.1.2.2

In der vorliegenden Analyse wird das europäische Sozialmodell im weiteren Sinne untersucht. Das Sozialmodell kann nicht auf die herkömmliche Bedeutung des Begriffs „sozial“ beschränkt werden. Die Wechselbeziehung zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fragen erfordert eine breite Auslegung des Begriffs „Sozialmodell“.

2.1.2.3

Darüber hinaus wird in dieser Analyse des europäischen Sozialmodells ein doppelter Ansatz verfolgt: der Schwerpunkt liegt auf Werten und Visionen in Verbindung mit politischen Strategien, die zur Verwirklichung der Visionen von zentraler Bedeutung sind. Das Sozialmodell ist nicht auf die Formulierung von Visionen beschränkt; es geht natürlich auch um die Umsetzung der Visionen in eine politische Realität. Der Zweck des Modells besteht darin, nützliche Denkanstöße zu liefern und einen Rahmen für das Angehen neuer Fragestellungen vorzugeben.

2.1.2.4

Der nachfolgenden Analyse liegt unter anderem die Hypothese zugrunde, dass das heutige europäische Sozialmodell grundsätzlich aus drei Hauptbereichen besteht, nämlich wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen. Die konkrete Entwicklung des Sozialmodells vollzieht sich in der Interaktion zwischen diesen Bereichen — vor dem Hintergrund von Tendenzen wie der Globalisierung. Die Stärke des europäischen Sozialmodells hat immer darin gelegen, wie Wettbewerbsfähigkeit, Solidarität und gegenseitiges Vertrauen zusammenspielen. Mit Blick hierauf kann das europäische Sozialmodell niemals als in irgendeinem Sinne „endgültig“ angesehen werden. Es muss dynamisch sein und auf Herausforderungen von innen und außen reagieren.

2.1.2.5

Diese Vision könnte mit dem folgenden Satz zusammengefasst werden: Das europäische Sozialmodell zeichnet ein Bild eines für alle seine Bürger demokratischen, umweltfreundlichen, wettbewerbsfähigen, solidarischen, sozial inklusiven und wohlfahrtsstaatlichen Europas.

2.1.2.6

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Beziehung zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit bzw. sozialem Zusammenhalt hervorzuheben. Das europäische Sozialmodell fußt auf beidem. Trotz der Vielfalt der nationalen Systeme gibt es insofern ein eigenes europäisches Sozialmodell, als alle nationalen Systeme der EU-Mitgliedstaaten von der Vereinbarkeit zwischen wirtschaftlicher Effizienz und sozialem Fortschritt geprägt sind. Gleichzeitig stellt die soziale Dimension einen produktiven Faktor dar. Beispielsweise bringt eine gute Gesetzgebung im Bereich Gesundheitsschutz und Arbeit gute wirtschaftliche Ergebnisse mit sich. Richtig konzipierte, von den Sozialpartnern getragene sozial- und beschäftigungspolitische Maßnahmen können eine positive Wirkung sowohl auf die soziale Gerechtigkeit und den sozialen Zusammenhalt als auch auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Produktivität haben. Durch Arbeitslosengeld in Verbindung mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik wird die Wirtschaft gefestigt und eine aktive Anpassung an Veränderungen durch die Verbesserung der Qualifikationen und eine effiziente Arbeitssuche und Umschulung gefördert. Zielgerichtete staatliche Investitionen in die physische Infrastruktur und das Humankapital können wirtschaftlichen und sozialen Zielen dienen. Diese beiden Aspekte können und sollten einander wechselseitig verstärken. Durch eine aktive Einbeziehung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft kann der Zusammenhalt verbessert und gleichzeitig die wirtschaftliche Effizienz erhöht werden.

2.1.2.7

Man kann die Sache auch von der Warte aus betrachten, dass ein Verzicht auf ein soziales Europa sowohl wirtschaftliche als auch politische Kosten mit sich bringt. Eine im Auftrag der Europäischen Kommission erstellte Studie über die Kosten nicht sozial ausgerichteter Politik ergab, dass eine sozial ausgerichtete Politik im Hinblick auf die Allokationseffizienz, die Produktivität der Arbeitskräfte und die wirtschaftliche Stabilisierung beachtliche wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Sie kam zu dem Schluss, dass eine auf Investitionen in Human- und Sozialkapital gründende Sozialpolitik zu einer höheren wirtschaftlichen Effizienz beiträgt, da sie die Produktivität und die Qualität der Arbeitskräfte verbessert. Die Sozialpolitik ist daher ein produktiver Faktor, auch wenn ihre Kosten in der Regel sofort spürbar sind, während ihre Vorteile häufig erst langfristig ersichtlich werden (1).

2.1.2.8

Die einzelnen Länder und in einigen Fällen sogar Regionen Europas haben für sie spezifische historische Erfahrungen gemacht, Konflikte durchlebt und Formen der Konfliktlösung gefunden. Der soziale Konsens über das richtige „Wertegleichgewicht“ variiert auch in gewissem Maße, weist allerdings keine grundlegenden Unterschiede auf. Hierdurch sind unzählige institutionelle Formen entstanden, durch die die „Sozialverfassung“ der Länder Gestalt erhält — d.h. die Werte wurden in Rechte und rechtliche Ansprüche „gegossen“ — und in die die Marktwirtschaft sowie das rechtliche und verfassungsrechtliche System und der Staatsapparat eingebettet sind. In den europäischen Verträgen werden die dem Sozialmodell unterliegenden gemeinsamen Werte unterstrichen und es wird auch betont, wie wichtig die Wahrung der nationalen institutionellen Vielfalt ist.

2.1.2.9

Zu all dem kommen noch die Umweltfragen hinzu. Die rasch steigenden Energiepreise, die anhaltende Luftverschmutzung und die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Wohnungsbau, den Verkehr und das Berufsleben werden das Ausbalancieren zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Produktivität einerseits und sozialer Gerechtigkeit und sozialem Zusammenhalt andererseits erschweren. Gleichwohl gibt es auch hier Beispiele dafür, dass Schritte zur Förderung der Nachhaltigkeit mit der Verfolgung wirtschaftlicher und sozialer Ziele einhergehen können. Dies gilt auch für Fragen wie öffentliche Gesundheit und Sicherheit. Durch die Schädigung der Umwelt treten neue Gesundheitsprobleme auf, sowohl bei Heranwachsenden als auch bei Erwachsenen. Das Beispiel veranschaulicht die Notwendigkeit einer besseren Einbindung ökologischer Fragen in das europäische Sozialmodell.

2.1.2.10

Einige haben aus dieser institutionellen Vielfalt geschlossen, dass es das europäische Sozialmodell an sich gar nicht gibt. Entweder gibt es (mindestens) so viele Modelle wie Länder oder sie können bestenfalls in „Familien“ gegliedert werden.

2.1.2.11

Der EWSA will zwar keinesfalls diese Vielfalt unterbewerten, hält es aber aus folgenden Gründen für sinnvoll, von einem einzigen europäischen Sozialmodell zu sprechen:

1)

Im Gegensatz zu früheren Ansätzen, bei denen ausdrücklich versucht wurde, innerhalb des europäischen Kapitalismus Familien auszumachen, zeigen sich, global betrachtet, zwischen den europäischen Ländern als Gruppe und außereuropäischen modernen kapitalistischen Ländern (insbesondere den USA) erhebliche Unterschiede bei den Ergebnissen.

2)

Die Vielfalt der Institutionen ist um einiges bedeutender als die Unterschiedlichkeit der EU-weit erreichten sozialen Ergebnisse, da viele Institutionen einander in ihrer Funktion entsprechen.

3)

Die europäischen Volkswirtschaften sind immer stärker miteinander verflochten, weitaus mehr als dies der Fall in anderen Regionen ist, wodurch die Notwendigkeit entsteht, in zahlreichen Politikbereichen gemeinsame Ansätze zu verfolgen.

4)

Als ein einzigartiges Merkmal besitzen die Sozialmodelle der EU-Mitgliedstaaten insofern auch eine supranationale — nämlich europäische — Dimension, da die EU über einen fundierten „sozialen Besitzstand“ verfügt (2).

2.1.2.12

Der EWSA schlägt vor, die nachstehend aufgeführten Merkmale (die einer sozialen Wirklichkeit entsprechen und nicht eine bloße Gesamtheit von Werten sind, auch wenn sie unterschiedliche institutionelle Ausdrucksformen finden) als konstituierende Kernelemente eines europäischen Sozialmodells festzuhalten, die entweder bereits in den EU-Ländern verkörpert sind oder wo die Politik dies anstreben sollte:

1)

der Staat übernimmt Verantwortung für die Förderung von sozialem Zusammenhalt und sozialer Gerechtigkeit, indem er ein hohes Beschäftigungsniveau anstrebt, hochwertige öffentliche Dienstleistungen (Dienstleistungen von allgemeinem Interesse) erbringt oder gewährleistet und eine umverteilende Haushaltspolitik betreibt;

2)

die öffentliche Hand und/oder die Sozialpartner oder andere Einrichtungen stellen Sozialschutzsysteme bereit, die eine entsprechende Absicherung oder einen gebührenden Sozialschutz hinsichtlich der Lebensrisiken (wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter) bieten, und zwar auf einem Niveau, das Armut und soziale Ausgrenzung verhindert;

3)

grundlegende gesetzlich (oder quasi-gesetzlich) verbürgte Rechte — wie in internationalen Vereinbarungen widergespiegelt -, beispielsweise das Vereinigungs- und das Streikrecht;

4)

die Einbeziehung der Arbeitnehmer auf allen Ebenen in Verbindung mit Systemen der Arbeitsbeziehungen oder des autonomen sozialen Dialogs;

5)

ein starkes und klares Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen der Gesellschaft, insbesondere in der Bildung und im Berufsleben;

6)

erforderliche politische Maßnahmen zur Bewältigung von Migrationsproblemen, insbesondere im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung in den EU-Mitgliedstaaten;

7)

eine Sozial- und Arbeitsgesetzgebung, die die Chancengleichheit sicherstellt und benachteiligte Bevölkerungsgruppen schützt, einschließlich gezielter Maßnahmen zur Befriedigung der besonderen Bedürfnisse benachteiligter Gruppen (Jugendliche, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen);

8)

eine Reihe makroökonomischer und struktureller Maßnahmen zur Förderung eines nachhaltigen, nicht-inflationären Wirtschaftswachstums und des Handels unter gleichen Wettbewerbsbedingungen (Binnenmarkt), die Fördermaßnahmen für die Industrie und Dienstleistungserbringer, insbesondere für Unternehmer und KMU, beinhalten;

9)

erforderliche Programme zur Förderung von Investitionen in für Europas Zukunft wesentlichen Bereichen, insbesondere in lebenslanges Lernen, Forschung und Entwicklung, Umwelttechnologien usw.;

10)

die Förderung der sozialen Mobilität und die Gewährleistung gleicher Chancen für alle als eine dauernde Priorität;

11)

eine Verantwortung für die Einführung erforderlicher Strategien zur Bewältigung der ökologischen Probleme, insbesondere derjenigen in Bezug auf Gesundheit und Energieversorgung;

12)

ein breites Einvernehmen darüber, dass öffentliche und private Investitionen in Europa auf einem sehr hohen Niveau gehalten werden müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit und den sozialen und ökologischen Fortschritt zu fördern;

13)

Engagement für eine nachhaltige Entwicklung, damit nicht die kommenden Generationen in Form von Einschränkungen den Preis für die wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften der derzeitigen Generation zahlen müssen (Solidarität zwischen den Generationen);

14)

eine eindeutige Verpflichtung zur Solidarität mit den Entwicklungsländern und zur Unterstützung ihrer Reformprogramme in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umwelt.

2.2   Errungenschaften des europäischen Sozialmodells

2.2.1

Die Gründung der Europäischen Union und ihre erfolgreiche Erweiterung sind Ereignisse von historischer Tragweite. Einem von Kriegen und Konflikten zerrissenen Kontinent ist es gelungen, ein neues Kapitel aufzuschlagen und sich von einem latent kriegswilligen Nationalismus abzuwenden. Das europäische Sozialmodell muss in diesem Zusammenhang betrachtet werden.

2.2.2

Europa kann zu Recht auf die sozialen Ergebnisse stolz sein, die es mit Hilfe seiner vielfältigen Institutionen und Strategien hervorgebracht hat, die auf nationaler und zum Teil auf europäischer Ebene eingerichtet bzw. eingeführt wurden. Bei den wichtigsten Wohlfahrtsindikatoren, wie Armut und Ungleichheit, Lebenserwartung und Gesundheit, stehen europäische Länder weltweit mit am besten da.

2.2.3

Viele europäische Länder stehen an der Spitze internationaler Ranglisten für Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, auch wenn zwischen den EU-Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede bestehen. Es ist eine beachtliche Leistung, dass eine ganze Reihe von EU-Mitgliedstaaten bei der Wettbewerbsfähigkeit und bei Investitionen in die Forschung weltweit eine absolute Spitzenposition einnimmt. Die Vision einer wissensintensiven Gesellschaft mit Forschung und lebenslangem Lernen als Kernbestandteilen ist zu einem fest verankerten Teil des europäischen Modells geworden.

2.2.4

Europa hat bei der Umsetzung des Kyoto-Protokolls die größten Fortschritte zu verzeichnen — selbst wenn die Ergebnisse insgesamt enttäuschend bleiben. Außerdem ist es zu einer der weltweit führenden Regionen im Bereich der Investitionen in umweltfreundliche Technologien und die Entwicklung neuer Energielösungen für Wärme und Verkehr geworden.

2.2.5

Ein Vergleich von Indikatoren für den sozialen Zusammenhalt und die soziale Sicherheit sowie Beschäftigungs-/Arbeitslosenraten in den OECD-Ländern zeigt, dass die Länder, die ihren Bürgern und Arbeitnehmern ein hohes Maß an Sicherheit bieten, eher höhere Beschäftigungsquoten aufweisen — die nordischen Länder sind hierfür Paradebeispiele.

2.2.6

Es wird immer deutlicher, dass die politische Unterstützung einer weiteren europäischen Integration mit der Vorstellung verbunden ist, dass diese über eine bloße Marktintegration hinausgeht. Die Regierungen der Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen entwickeln mit der Aufhebung wirtschaftlicher Grenzen gemeinsam mit den Sozialpartnern auf nationaler und europäischer Ebene geeignete Mechanismen, die den sozialen Zusammenhalt und die soziale Gerechtigkeit unter den neuen Gegebenheiten sicherstellen und insbesondere verhindern, dass der Wettbewerb der Systeme innerhalb Europas zu einem Wettrennen nach unten führt, das die sozialen Standards deutlich senken würde.

2.2.7

Die EU-Erweiterung hat auf sehr konstruktive Art einen Beitrag zu der sich entwickelnden Charakteristik eines europäischen Sozialmodells geleistet. Durch die Erweiterung wurde die Union um eine große Gruppe von Ländern mit einer langen Geschichte kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und industrieller Errungenschaften bereichert. Sie hat die kulturelle Dimension des Sozialmodells deutlich aufgezeigt. Die kulturelle Dimension wird einer der Schlüsselmechanismen zur Förderung des Zusammenhalts in der EU sein.

2.2.8

Der soziale Dialog auf allen Ebenen hat sich zu einer wesentlichen Ausdrucksform des europäischen Sozialmodells entwickelt. Im Zuge des sozialen Dialogs hat sich ein Konsens darüber abgezeichnet, dass die ehrgeizigen Ziele der Lissabon-Strategie und des Sozialmodells als solches ohne eine Beteiligung der Sozialpartner äußerst schwer zu verwirklichen sein werden. Durch die europäische Herangehensweise bei der Arbeitnehmerbeteiligung wird sichergestellt, dass die dauernden strukturellen Veränderungen, die die Unternehmen durchlaufen, für alle Beteiligten erfolgbringend sind.

2.2.9

Die Sozialpartner haben bei der Umsetzung der EU-Politik eine entscheidende Rolle gespielt. Diese Rolle ist weltweit einzigartig. Es wurde sogar vorgeschlagen, dass die Sozialpartner auf EU-Ebene die Verantwortung für sämtliche Rechtsvorschriften in Bezug auf Fragen des Berufslebens übernehmen sollten.

2.2.9.1

Was die Grundarchitektur des europäischen Sozialmodells betrifft, lässt sich die tragende Rolle der Sozialpartner in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht hoch genug einschätzen. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei der Regulierungsfunktion der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände im Rahmen von Kollektiv- und Tarifverträgen zu. Auch das fest verankerte Recht auf Mitsprache der Repräsentanten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer innerhalb des Betriebes und der Unternehmen ist eine der Grundinstitutionen des europäischen Sozialmodells.

2.2.10

Die Mitwirkung der Bürger und ihrer Organisationen ist von großer Bedeutung für die Gestaltung des europäischen Sozialmodells. Die Organisationen der Zivilgesellschaft verleihen den Anliegen ihrer Mitglieder eine Stimme und sind außerdem häufig wichtige Erbringer sozialer Dienstleistungen. Die Zukunft des europäischen Sozialmodells und seine Dynamik werden davon abhängen, dass die organisierte Zivilgesellschaft stärker eingebunden wird, indem der zivile Dialog und somit die partizipative Demokratie ausgebaut wird.

2.2.11

Eine weitere Frage, die für die Herausarbeitung des Sozialmodells von Bedeutung ist, sind hochwertige öffentliche Dienstleistungen. Das Gesamtbild der Situation in der EU sieht so aus, dass der öffentliche Sektor als Garant und/oder Erbringer grundlegender, allen Bürgern gleichermaßen angebotener Dienstleistungen in der EU stärkere Unterstützung findet und ihm dort eine wichtigere Rolle zukommt als anderswo. In Bereichen wie allgemeine und berufliche Bildung, Gesundheitsfürsorge und Betreuung älterer Menschen spielt der öffentliche Sektor in allen Mitgliedstaaten eine maßgebliche Rolle. Gleichzeitig intensiviert sich die Debatte über die wechselnden Rollen des öffentlichen Sektors als Garant bzw. sowohl als Garant als auch als Erbringer spezieller Dienstleistungen.

2.2.12

In engem Zusammenhang mit dem öffentlichen Sektor steht die Schaffung sozialwirtschaftlicher Organisationen in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten. Der Sozialwirtschaft kommt eine doppelte Funktion zu: sie erfüllt wesentliche Aufgaben, insbesondere im Pflege- und Fürsorgesektor, während sie gleichzeitig Bürgern, die in der normalen Arbeitswelt nur schwer Fuß fassen können, wie Menschen mit Behinderungen, Arbeit bietet. Die Sozialwirtschaft ist in so gut wie allen EU-Ländern im Wachstum begriffen, zum Teil aufgrund der demografischen Entwicklung und dem Bedarf an Altenpflege. Die Sozialwirtschaft spielt eine wesentliche Rolle bei der Bekämpfung der Armut. Sie hat viele „Gesichter“ und nimmt zahlreiche verschiedene organisatorische Formen an, und sie will nicht notwendigerweise Teil des Wettbewerbssystems werden.

2.3   Schwächen und Herausforderungen

2.3.1

Zwar ist es richtig, die Errungenschaften des europäischen Sozialmodells hervorzuheben, doch wäre es falsch, sich nicht auch seine Schwächen und die Herausforderungen, denen es sich in einem sich wandelnden Umfeld stellen muss, einzugestehen. Stolz auf das Sozialmodell darf nicht mit Selbstzufriedenheit verwechselt werden.

2.3.2

Oft heißt es, dass ein Modell nicht als „sozial“ bezeichnet werden kann, wenn es ein Zehntel oder ein Zwölftel der Erwerbsbevölkerung zur Arbeitslosigkeit verdammt. In gewisser Weise trifft dies zu: Die Arbeitslosigkeit ist in großen Teilen der EU unannehmbar hoch und führt zu sozialer und wirtschaftlicher Not, stellt eine Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt dar und bedeutet eine Verschwendung von Produktionsmitteln. Der Hinweis auf die Herausforderungen impliziert jedoch häufig, dass sich Europa mit seiner Entscheidung für ein Sozialmodell gleichzeitig für eine hohe Arbeitslosigkeit entscheide, dass die Arbeitslosigkeit der Preis für den sozialen Zusammenhalt sei. Der EWSA weist diese Haltung zurück. Europa muss nicht zwischen sozialem Zusammenhalt und einer hohen Beschäftigungsquote wählen.

2.3.3

Von der Arbeitslosigkeit geht nach wie vor die größte Bedrohung für das europäische Sozialmodell aus, da durch sie die Kosten erhöht, Finanzierungsspielräume reduziert und Ungleichheiten und soziale Spannungen geschaffen werden. Die Senkung der Arbeitslosenquote bleibt die wichtigste Priorität. Dies gilt vor allem für die Jugendarbeitslosigkeit, die in vielen Ländern deutlich über der durchschnittlichen Arbeitslosenrate liegt und aufgrund des hohen Risikos, langfristig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und ganz allgemein aus der Gesellschaft ausgegrenzt zu werden, in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht besonders schädlich ist. Zur Lösung dieses Problems ist ein umfassendes Paket von angebotsseitigen Maßnahmen erforderlich, die mit einer auf die Erreichung einer größtmöglichen Produktionsleistung ausgerichteten nachfrageorientierten Politik einhergehen müssen.

2.3.4

Die geografische Ungleichheit und die Armut (wovon schätzungsweise 70 Mio. Bürger betroffen sind) sind nach wie vor in der gesamten Europäischen Union ausgeprägt und haben seit der Erweiterung zugenommen. Selbst in reichen europäischen Ländern leiden zu viele Menschen unter (relativer) Armut. Besonders skandalös ist die Kinderarmut, durch die Lebenschancen ruiniert und über Generationen hinweg Ungleichheiten verfestigt werden. Trotz der derzeitigen hoch gesteckten Ziele ist es nicht gelungen, mit Hilfe der Strategien für den sozialen Zusammenhalt in den EU-Mitgliedstaaten die Armut und die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Dies ist und bleibt eine große Aufgabe.

2.3.5

Es wird häufig davon ausgegangen, dass diese und andere Schwächen der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft in unserem Sozialmodell durch neue Herausforderungen in Form der wirtschaftlichen Globalisierung, des Aufkommens neuer Technologien und der Bevölkerungsalterung verschlimmert werden. Die höhere Lebenserwartung und der Geburtenrückgang werfen ernste Fragen in Bezug auf die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme auf — wofür die Rentensysteme ein Paradebeispiel sind. Der EWSA warnt davor, aus einer Reihe weit verbreiteter Überzeugungen allzu simple Schlussfolgerungen für die Politik zu ziehen:

Zwar trifft es zu, dass Globalisierung eine Zunahme des internationalen Handels mit Waren und Dienstleistungen bedeutet, doch ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass — wird die EU-25 als eine einzige wirtschaftliche Einheit betrachtet — nur knapp über 10 % der europäischen Produktion exportiert (oder importiert) werden. Dies macht die EU zu einer Wirtschaft, die nicht offener ist als die USA (die meist als deutlich unabhängiger von globalen Kräften angesehen wird). Die Mitgliedstaaten müssen gesellschaftlich-politische Entscheidungen in Bezug auf ihre Sozialfürsorgesysteme und erforderliche Reformen treffen. Ein schlecht konzipiertes Sozialschutzsystem ist mit einem möglichst großen Maß an Sicherheit für die Leistungsberechtigten zu reformieren, damit eine höhere Produktivität oder Beschäftigungsquote ermöglicht wird, nicht wegen der „Globalisierung“.

Ähnlich ist technologischer Wandel zu begrüßen, da er die Produktivität der Arbeit erhöht und zur Schaffung des Wohlstands beiträgt, der zur Finanzierung eines hohen Lebensstandards und Sozialschutzniveaus nötig ist. Die richtige Reaktion auf den technologischen Wandel ist die Investition in Arbeitnehmer und die Förderung von Anpassungsprozessen mit Hilfe einer gut gestalteten Sozialpolitik, um die europäischen Unternehmen und Arbeitnehmer im Niveau ihrer Fähigkeiten nach oben zu bringen.

Gewiss wirkt sich die Demografie auf das europäische Sozialmodell aus — das Umgekehrte gilt aber auch. Vernünftige Maßnahmen zur Kinderbetreuung versetzen Frauen und Männer in die Lage zu arbeiten, ohne sich zwischen Karriere und Familie entscheiden zu müssen; durch Maßnahmen zur Förderung des aktiven Alterns können ältere Arbeitnehmer länger erwerbstätig sein, wodurch sie und die Gesellschaft als Ganzes von der höheren Lebenserwartung profitieren. Das lebenslange Lernen bewirkt eine bessere Anpassungsfähigkeit und eine höhere Produktivität und Beschäftigung. Ferner sind alle Gesellschaften mit demografischen Problemen konfrontiert.

Schließlich ist es eine durchaus anerkannte Tatsache, dass Europa mehr, und nicht weniger, europäische wirtschaftspolitische Maßnahmen mit der entsprechenden Koordinierung benötigt, die als Instrumente dafür dienen, Marktstörungen wie dem schädlichen Steuerwettbewerb entgegenzuwirken. Solche Störungen üben Druck auf die Sozialsysteme und ihre Finanzgrundlagen aus. Andererseits ist das europäische Einigungswerk eine gewaltige Kraft, die Handel und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit begünstigt, und eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, einige Aspekte des Arbeitslebens und der sozialen Bedingungen auf der sachdienlicheren europäischen Ebene zu regeln. Dies in Anbetracht der institutionellen Vielfalt zu verwirklichen, ist eine große Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger und nicht zuletzt für die Sozialpartner.

2.4   Ein dynamisches Modell

2.4.1

Soll das europäische Sozialmodell Bestand haben und die künftige Politik beeinflussen können, muss es dynamisch und für Debatten und Reformen offen sein. In der Geschichte sind jede Menge Beispiele für unvorhersehbare Herausforderungen zu finden, mit denen das Modell konfrontiert wurde: bedrohliche Umweltkatastrophen, drastische Veränderungen in der Demografie und der Familienstruktur, Energieversorgungskrisen, die Wissensrevolution, die neuen leistungsfähigen Informations- und Kommunikationstechnologien, die sich wandelnden Produktionsmuster und das sich verändernde Berufsleben.

2.4.2

Richtet man nun den Blick nach vorn, so zeigt sich, dass die größte, mit dem europäischen Sozialmodell verbundene Herausforderung die Ermittlung derjenigen Aspekte des Modells ist, die einen Gewinn für beide oder für alle drei Bereiche bringt. Mit anderen Worten: Wir müssen uns darauf konzentrieren festzustellen, mit welchen vorhandenen und neuen Politiken sowohl der soziale Zusammenhalt und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als auch eine nachhaltige Entwicklung gefördert werden kann.

2.4.3

Gleichzeitig sind beständige, wohldosierte Reformen derjenigen Institutionen erforderlich, bei denen sich deutlich zeigt, dass sie nachteilige wirtschaftliche, soziale oder ökologische Auswirkungen haben. Hier können Folgenabschätzungen im Hinblick auf die Wirkung politischer Maßnahmen, mit denen das Ziel einer wirklich besseren Rechtsetzung anstelle einer bloßen Deregulierung verfolgt wird, nützlich sein.

2.4.4

Worin liegen die neuen Herausforderungen des europäischen Sozialmodells? In erster Linie in drei Bereichen: Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, soziale Integration und Armutsbekämpfung sowie den Folgen der Globalisierung. Auf längere Sicht können die ökologischen Herausforderungen zu weitreichenden Produktions- und Arbeitsplatzverlagerungen führen. In diesem Zusammenhang sollten auch Fragen der Migration (Zuwanderung in die EU aus anderen EU-Mitgliedstaaten sowie aus Drittländern) und der Geschlechtergleichstellung erwähnt werden; beide Themen werden die Zukunftsperspektiven des europäischen Sozialmodells stark beeinflussen.

2.4.5

Eine Weiterentwicklung der wissensintensiven Gesellschaft sowohl im Bereich der Forschung als auch des lebenslangen Lernens wird unerlässlich sein. Wissen wird mehr noch als heute ein entscheidender Faktor für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und somit die Schaffung von Ressourcen für die Sozialpolitik sein. In diesem Zusammenhang wird die weitere Förderung des Unternehmertums und des Wachstums kleiner Unternehmen wichtig sein. Die sozialen Auswirkungen der Wissensrevolution sind eventuell eine Frage, die im Rahmen des sozialen Dialogs sinnvoll behandelt werden könnte. Die Entwicklung neuer und wirkungsvoller Systeme für das lebenslange Lernen wird für die Regierungen und die Sozialpartner eine besondere Herausforderung sein.

2.4.6

Es ist es wichtig, ein neues Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Sicherheit zu untersuchen, das Beschäftigung und Innovation fördert, wie auch die Sozialpartner erst kürzlich in ihrem gemeinsamen Arbeitsprogramm betont haben (3). Besonders wichtig ist eine Einigung der Sozialpartner über Maßnahmen zur Senkung der Jugendarbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit als solche ist schon eine Tragödie, aber Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen ist eine Bedrohung des gesamten Gefüges der demokratischen europäischen Gesellschaft.

2.4.7

Mit Blick auf ökologische Herausforderungen werden mehr Investitionen in den Verkehr und den Wohnungsbau sowie in Stadtplanung und -reform erforderlich sein. Der Anstieg der Energiepreise wird tiefgreifende Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt und die Strukturpolitik haben. Dies ist ein Schlüsselbereich, der für alle drei Bereiche gewinnbringende Lösungen verspricht.

2.4.8

Die makroökonomischen Governance-Strukturen müssen eine bessere Unterstützung der Lissabon-Ziele gewährleisten. Auf längere Sicht, d.h. nach Lissabon, wird es von entscheidender Bedeutung sein, ein auf Wachstum ausgerichtetes Gleichgewicht zwischen einer angebots- und einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik herzustellen.

2.4.9

Die Globalisierung stellt nicht nur in Bezug auf Handel und Preise eine Herausforderung dar. Sie ist auch eine Chance, beispielsweise für die Öffnung neuer Märkte für umweltfreundliche Technologien. Europa muss weitaus stärker in moderne Technologien investieren, insbesondere im Umweltbereich, da andere Länder, wie die USA, rasch begreifen, welche Chancen sich hier bieten. Die Globalisierung ist nicht nur eine Frage des Sich-darauf-Einstellens; es geht vielmehr sehr stark darum, proaktiv zu handeln und sich bietende Chancen zu erkennen.

2.4.10

Die schwerwiegendste der möglicherweise bevorstehenden Veränderungen wäre eine Rückkehr Europas zu einer stärker nationalstaatlich ausgerichteten Politik mit Protektionismus und sich verschließenden Märkten. Dies wäre sowohl in wirtschaftlicher als auch sozialer Hinsicht schädlich.

2.4.11

Kein Sozialmodell beschreibt etwas Endgültiges, und keines wird jemals eine Endgestalt erreichen. Der Grundgedanke eines Sozialmodells ist, dass sich in dem Maße, in dem es voranschreitet, neue Ideen und Erkenntnisse ergeben. Ein Sozialmodell muss dynamisch sein, anderenfalls wird es erstarren — und untergehen. Das Sozialmodell muss in einem fortlaufenden demokratischen Prozess geprüft und diskutiert werden. Bewertungen sind vorzunehmen und geeignete Governance-Instrumente zu entwickeln und zu verfeinern.

2.5   Kann das europäische Sozialmodell als weltweites Bezugsmodell dienen?

2.5.1

Das europäische Sozialmodell kann als ein Versuch gesehen werden, einen Plan für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Union mit nachhaltigen Wohlfahrtssystemen zu entwerfen, die von einer hoch wettbewerbsfähigen Industrie, sehr ehrgeizigen sozialen Zielen und einem hohen Maß an Verantwortung für ökologische Herausforderungen geprägt ist. Solchermaßen beschrieben und mit der Betonung auf seinen demokratischen Funktionen, kann das europäische Sozialmodell für andere Länder oder Ländergruppen eine Quelle an Ideen und Erfahrungen sein.

2.5.2

Kann das europäische Sozialmodell zu einem weltweiten Bezugsmodell werden? Jedes Land und jede Ländergruppe muss ein eigenes Sozialmodell und eigene Anwendungsmethoden entwickeln. Was sich in Europa als nützlich erwiesen hat, ist nicht unbedingt in anderen Ländern und im Zusammenhang mit anderen Herausforderungen von Nutzen. Das europäische Sozialmodell könnte aber dennoch nützliche Anregungen geben, nicht zuletzt weil es versucht, wirtschaftliche, soziale und ökologische Fragen in eine Konzeption eines für alle seine Bürger demokratischen, umweltfreundlichen, wettbewerbsfähigen, solidarischen, sozial inklusiven und wohlfahrtsstaatlichen Europas einzubetten. Das Modell wird von anderen Ländern danach beurteilt werden, inwieweit es ihm gelingt, diese Ziele zu verwirklichen.

2.5.3

Die Partner der EU zeigen ein immer größeres Interesse an dem Ansatz, der wirtschaftliche, beschäftigungspolitische, soziale und ökologische Ziele miteinander verbindet und dadurch festigt. Das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell kann den Partnerregionen und -ländern der EU bei der regionalen Integration Denkanstöße liefern. Der Drei-Säulen-Ansatz hat seinen Wert in der EU unter Beweis gestellt.

2.5.4

Die IAO verwies in ihrer Studie über die soziale Dimension der Globalisierung ausdrücklich auf das europäische Sozialmodell als eine mögliche Quelle der Inspiration für Schwellenländer (4). Als ein Beispiel mag hier China dienen, das ein beständiges rasches Wirtschaftswachstum erreicht hat, sich jedoch mehr und mehr sozialer Spannungen und der Umweltproblematik bewusst wird.

2.6   Die Bürger mit ins Boot nehmen

2.6.1

Das europäische Sozialmodell wird nur solange fortbestehen und überleben, wie es von den EU-Bürgern mitgetragen wird. Wenn das Modell aufrechterhalten bleiben soll, muss es offen für die Debatte und den Dialog mit den Bürgern sein. Dies würde den Bürgern die grundlegend notwendige Gelegenheit bieten, sich in die übergreifende Debatte über die Zukunft der europäischen Gesellschaft einzubringen.

2.6.2

Der EWSA hat in dieser Stellungnahme eine erste grobe Analyse des europäischen Sozialmodells vorgenommen. Diese Analyse sollte weiter vertieft werden. Insbesondere müssen die Verbindungen zwischen Konzeption und Realität klar herausgestellt werden. Damit könnte das Modell als Grundlage für weitere Diskussionen über die Frage dienen, was für eine europäische Gesellschaft sich die Bürger wünschen. Im Rahmen der neuen Informations- und Kommunikationsstrategie der EU könnte das Sozialmodell als Grundlage für den Dialog genommen werden.

2.6.3

Letztendlich sind es Debatte, Dialog und Bewusstseinsbildung, durch die die Bürgerinnen und Bürger Europas dafür gewonnen werden, sich für die Verteidigung des europäischen Sozialmodells und dessen Weiterentwicklung zu engagieren.

2.7   Die Rolle des EWSA

2.7.1

Die Mitglieder des EWSA spielen für die in ihren jeweiligen Verbänden organisierten Bürgerinnen und Bürger eine wichtige Vermittlerrolle. Der EWSA hält regelmäßig mit den beteiligten Interessengruppen in einem weit gefassten Kontext Foren zum Austausch von Meinungen und Ansichten ab.

2.7.2

Der EWSA wird sich mit der Frage befassen, wie das europäische Sozialmodell als eine Grundlage für breiter angelegte Anstrengungen der EU im Bereich der Kommunikation verwendet werden kann. Auf diese Weise kann der EWSA einen konkreten Beitrag zu der Debatte über die Frage leisten, was für ein Europa und was für ein Sozialmodell die europäischen Völker in Zukunft wollen. Die Sozialpartner, die organisierte Zivilgesellschaft und die nationalen Wirtschafts- und Sozialräte sind aufgefordert, sich hieran zu beteiligen.

Brüssel, den 6. Juli 2006

Die Präsidentin des

Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Dr. Didier Fouarge (3. Januar 2003). Cost of non-social policy: Towards an economic framework of quality social policies — and the costs of not having them

(URL: http://www.lex.unict.it/eurolabor/documentazione/altridoc/costs030103.pdf).

(2)  Der europäische soziale Besitzstand umfasst Richtlinien über Fragen wie die Unterrichtung über individuelle Beschäftigungsbedingungen (91/533/EWG), schwangere Arbeitnehmerinnen (92/85/EWG), Elternurlaub (96/34/EG), Arbeitszeiten (2003/88/EG), Jugendarbeit (94/33/EG) und Teilzeitarbeit (97/81/EG).

(3)  „Arbeitsprogramm der europäischen Sozialpartner 2006-2008“. Siehe auch Stellungnahme des EWSA vom 17. Mai 2006 zum Thema „Flexicurity nach dänischem Muster“, Berichterstatterin: Frau Vium (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(4)  URL: http://www.ilo.org/public/english/wcsdg/globali/synthesis.pdf.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/126


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Rolle der Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Kohäsionspolitik und der Politik der regionalen Entwicklung“

(2006/C 309/26)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 13./14. Juni 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Die Rolle der Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Kohäsionspolitik und der Politik der regionalen Entwicklung“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. Juni 2006 an. Berichterstatterin war Frau MENDZA-DROZD.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 6. Juli ) mit 47 gegen 36 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Kohäsionspolitik ist seit langem ein Gegenstand des regen Interesses des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, der sich mit seinen Stellungnahmen zur Regelung der Struktur- und des Kohäsionsfonds (1) sowie zum Partnerschaftsprinzip als einem der wesentlichen Grundsätze für ihre Umsetzung bereits mehrmals zu diesem Thema geäußert hat.

1.2

Das Festhalten des Ausschusses am Partnerschaftsprinzip resultierte stets aus der von der Kommission geteilten Überzeugung, dass„eine angemessene Beteiligung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure sowie der anderen betroffenen Organisationen der Zivilgesellschaft ganz entscheidend für die Wirksamkeit der Kohäsionspolitik ist […]“  (2).

1.3

Im Hinblick auf die Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft an der Umsetzung der Kohäsionspolitik besteht nach Auffassung des Ausschusses jedoch weiterhin großer Handlungsbedarf. Mit der vorliegenden Stellungnahme will der Ausschuss zu einer besseren Umsetzung des Partnerschaftsprinzips in der nächsten Zukunft beitragen und hofft, dass die Kommission und der Rat noch die notwendigen Änderungen vornehmen und konkrete Schritte zur Gewährleistung der Einbindung der Organisationen der Zivilgesellschaft in die Umsetzung der Kohäsionspolitik einleiten können. Ferner meint er, dass die vorliegende Stellungnahme angesichts der derzeitigen Arbeiten an den Programmdokumenten in den Mitgliedstaaten den Organisationen der Zivilgesellschaft gegenüber der nationalen und regionalen Verwaltung ebenfalls eine wertvolle Hilfe sein kann.

2.   Die Organisationen der Zivilgesellschaft

2.1

Der Ausschuss spricht sich dafür aus, dass eine weitgefasste Definition der Zivilgesellschaft „die Gesamtheit aller Organisationsstrukturen, deren Mitglieder [....]dem allgemeinen Interesse dienen“ (3) und die den Repräsentativitätskriterien entsprechen, zu denen er sich in seinen früheren Stellungnahmen (4) bereits geäußert hat, umfassen sollte. Nach dieser Definition können insbesondere folgende Akteure zu den Organisationen der Zivilgesellschaft gezählt werden:

die Sozialpartner: Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen;

nichtstaatliche Organisationen, deren Ziele und Aufgaben in ihrem offiziellen und rechtlichen Statut verankert sind: Vereinigungen, sozioprofessionelle Organisationen, Verbände, Foren, Netze und Stiftungen (in zahlreichen Mitgliedstaaten unterscheiden sie sich von den Vereinigungen nur durch ihre Rechtsform). Diese verschiedenen Organisationsformen werden auch als „Non-Profit-Organisationen“ oder als „der dritte Sektor“ bezeichnet. Sie befassen sich mit Bereichen wie Umweltschutz, Verbraucherschutz, lokale Entwicklung, Menschenrechte, Sozialfürsorge, Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung, Förderung der Unternehmertätigkeit, Sozialwirtschaft u.v.a.

2.2

Der Ausschuss ist sich bewusst, dass eine solch weitreichende Definition der Zivilgesellschaft Schwierigkeiten praktischer Art aufwerfen kann, insbesondere wenn es um die Kohäsionsproblematik geht. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass eine klar definierte Repräsentativität die Teilnahme der Organisationen der Zivilgesellschaft an den einzelnen Phasen der Umsetzung der Kohäsionspolitik stärker als bislang legitimieren könnte. In seiner Stellungnahme zu der Repräsentativität der europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft formulierte der Ausschuss bestimmte grundlegende Kriterien der Repräsentativität (5), deren Einhaltung er forderte — insbesondere bei der Programmplanung und Überwachung. In Anlehnung an die Vorschläge des Ausschusses könnte eine entsprechende Kriterienliste auch für die Ebene der Mitgliedstaaten bzw. der regionalen Gebietskörperschaften erstellt werden, insbesondere wenn es sich um die Beteiligung an Programmplanung und Überwachung handelt. Nach Ansicht des Ausschusses könnte eine solche Liste u.a. folgende Kriterien enthalten:

Zugriff auf die Expertise der Mitglieder;

Gemeinnützigkeit und Tätigkeit von allgemeinem Interesse;

ausreichende Mitgliederanzahl, um die Effizienz und Expertise sowie demokratische Bedingungen zu gewährleisten (Wahl von Verantwortlichen, interne Debatten und Informationen, Transparenz in den Entscheidungsstrukturen und in finanzieller Hinsicht u.a.);

ausreichende Finanzstärke und finanzielle Unabhängigkeit, um eigenständig agieren zu können;

erwiesene Unabhängigkeit gegenüber externen Interessen und Druck von außen;

Transparenz, vor allem in finanzieller Hinsicht und in den Entscheidungsstrukturen.

2.3

Die Frage der Repräsentativität ist von grundlegender Bedeutung. Sie sollte aber auch die in der vorerwähnten EWSA-Stellungnahme aufgeführten Eignungskriterien berücksichtigen. Außerdem sollte klar unterschieden werden zwischen Partizipation und Konsultation bei der Politikgestaltung und der Förderungswürdigkeit hinsichtlich der Projektfinanzierung aus Kohäsionsfondsmitteln. Alle Organisationen, die zu den politischen Zielen in einem bestimmten Bereich beitragen können, sollten für eine Förderung in Betracht kommen.

2.4

Mit Blick auf eine wirkungsvolle Umsetzung der Kohäsionspolitik sollte nach Auffassung des Ausschusses entschieden auf eine stärkere Nutzung des Potenzials der Organisationen der Zivilgesellschaft hingewirkt werden, die je nach ihrer Zielsetzung sehr häufig über Stärken verfügen können, die für die Umsetzung kohäsionspolitischer Maßnahmen von großer Bedeutung sind. Dazu zählen:

Erfahrung und Kompetenz im Bereich des wirtschaftlichen und sozialen Lebens;

gute Kenntnis der Bedürfnisse auf regionaler und örtlicher Ebene;

unmittelbare Kontakte zu den Bürgern und den eigenen Mitgliedern und die damit zusammenhängende Möglichkeit, als deren Sprachrohr aufzutreten;

unmittelbare Kontakte zu den Zielgruppen und Kenntnis ihrer Bedürfnisse;

Fähigkeit, örtliche gesellschaftliche Gruppen und Freiwillige zu mobilisieren;

große Effizienz und Bereitschaft, nach modernen Handlungsmethoden vorzugehen;

Möglichkeit der Kontrolle des Handelns der öffentlichen Verwaltung;

gute Kontakte zu den Medien.

2.5

Generell bringt nach Auffassung des Ausschusses die Einbindung der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die das Vertrauen der Bürger genießen, die Bürger am nächsten mit der EU in Berührung und dürfte zur Förderung der Transparenz bei der Verwendung der verfügbaren Fonds beitragen. Denn durch das Engagement der Zivilgesellschaft kann erreicht werden, dass Entscheidungen transparenter und ausschließlich auf der Grundlage sachlicher Kriterien getroffen werden. Außerdem kann die Einbindung dieser Organisationen bewirken, dass die umgesetzten Maßnahmen auch wirklich den Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechen. Und schließlich können die Organisationen der Zivilgesellschaft ein wichtiger Partner in der Debatte über die Zukunft der europäischen Politiken, auch der Kohäsionspolitik, sein, da sie diese Themen auf die lokale, bürgernähere Ebene übertragen können.

2.6

Darüber hinaus weist der Ausschuss auf das Potenzial der Organisationen der Zivilgesellschaft — je nach ihren Besonderheiten und ihrem satzungsgemäßen Zweck — in folgenden konkreten Bereichen hin:

Arbeitsmarkt, Beschäftigung und Unternehmertum — hier können sie zu einer besseren Festlegung von Prioritäten und wachstumsfördernden Maßnahmen beitragen;

Wirtschaftswandel — mit ihrer Sachkunde können sie dazu beitragen, negative und unbeabsichtigte, aber nicht hinreichend wahrgenommene Folgen einzudämmen;

Umweltschutz — hier können sie auf die Festlegung strategischer Ziele, Prioritäten und Projektauswahlkriterien hinwirken, die dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung folgen;

soziale Ausgrenzung und Gleichstellung von Mann und Frau — mit ihrem Praxiswissen können sie sicherstellen, dass bei der Umsetzung der Kohäsionspolitik das Prinzip der Chancengleichheit eingehalten, den einschlägigen Rechtsvorschriften entsprochen und dem sozialen Aspekt Rechnung getragen wird;

lokale Entwicklung — ihr Wissen um die Probleme und Bedürfnisse ist der erste Schritt auf dem Weg zu deren Lösung;

grenzüberschreitende Zusammenarbeit — bei der Verwirklichung von Projekten können sie ein sehr guter Partner sein;

Überwachung der Verwendung öffentlicher Mittel, einschließlich des Aufzeigens und der Bekanntmachung von Korruptionsfällen.

3.   Die Rolle der Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Kohäsionspolitik

3.1

Der Ausschuss stimmt mit der Europäischen Kommission und dem Rat darin überein, dass das Partnerschaftsprinzip in allen Phasen der Umsetzung der Kohäsionspolitik anzuwenden ist, angefangen bei der Programmplanung über die Durchführung bis hin zur Bewertung der Folgen. Der Ausschuss betont ferner, dass die Mitwirkung der Organisationen der Zivilgesellschaft zu einer besseren Umsetzung und Erreichung der angestrebten Ergebnisse beitragen kann. Nach Auffassung des Ausschusses sollte die Beteiligung von Organisationen der Zivilgesellschaft in folgenden Bereichen gewährleistet sein:

Programmplanung auf Gemeinschaftsebene;

Planung auf einzelstaatlicher Ebene (Schaffung nationaler strategischer Benchmarks und operationeller Programme);

Bekanntmachung der Strukturfonds und Information über die Möglichkeiten der Mittelverwendung;

Umsetzung der Strukturfonds;

Überwachung und Evaluierung der Mittelverwendung.

3.2

Schließlich weist der Ausschuss darauf hin, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Kohäsionspolitik eine dreifache Funktion ausüben können: Bei der Festlegung der Ziele und Prioritäten kommt ihnen eine beratende Funktion zu, im Hinblick auf die von der öffentlichen Verwaltung ergriffenen Maßnahmen erfüllen sie eine Kontrollfunktion und in Bezug auf die mit Strukturfondsmitteln kofinanzierten Projekte, bei denen sie als Projektträger und Partner auftreten, üben sie eine ausführende Funktion aus.

3.3

Der Ausschuss möchte daran erinnern, dass er sich in seiner Stellungnahme zu den allgemeinen Bestimmungen der Fonds (6) kritisch zu der Handhabung des Partnerschaftsprinzips geäußert hatte. Gleichwohl würdigt er die Tatsache, dass im Kommissionsvorschlag (7) zum ersten Mal die Zivilgesellschaft und die nichtstaatlichen Organisationen erwähnt wurden. Dass im Laufe der Legislativarbeiten im Rat auf diesen Wortlaut verzichtet und lediglich die Formulierung „any other appropriate body“ verwendet wurde, nahm der Ausschuss mit großer Sorge zur Kenntnis. Umso erfreuter ist er deshalb darüber, dass in der letzten Fassung (April 2006) die Vertreter der Zivilgesellschaft, die Umweltorganisationen, die Nichtregierungsorganisationen und die auf dem Gebiet der Geschlechtergleichstellung tätigen Organisationen erneut in die Gruppe der Akteure aufgenommen wurden, auf die das Partnerschaftsprinzip Anwendung findet. Der Ausschuss hofft, dass seine bisherigen Anmerkungen zu dieser Änderung beigetragen haben.

4.   Programmplanung auf Gemeinschaftsebene

4.1

Da die Programmplanung auf gemeinschaftlicher Ebene den ersten Schritt der Umsetzung der Strukturfonds darstellt, möchte der Ausschuss die Bedeutung einer Konsultierung gerade auf dieser Ebene herausstellen. Bei den jüngst durchgeführten Konsultationen der Kommission zu dem Vorschlag über die Strategischen Leitlinien für den Zeitraum 2007-2013 (8) wurde bestätigt, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft Interesse an diesen Themen bekunden. Der Ausschuss, der selbst darum bemüht ist, andere Organisationen der Zivilgesellschaft an den Arbeiten zu beteiligen, ist der Auffassung, dass ein solches Engagement bei der Erarbeitung von strategischen Dokumenten möglichst umfassend genutzt werden sollte.

4.2

Der Ausschuss ist ferner der Ansicht, dass eine aktive Einbeziehung der Organisationen der Zivilgesellschaft in alle auf europäischer Ebene tätigen Beratungsorgane überaus wertvoll sein könnte. Insbesondere in diesem Zusammenhang stellt sich eindeutig die Frage der Repräsentativität und die Notwendigkeit der Festlegung geeigneter Kriterien. Insbesondere die Kriterien, die der Ausschuss unlängst in Bezug auf die europäischen nichtstaatlichen Organisationen formulierte (9), können in diesem Kontext zum Tragen kommen.

5.   Planung der Strukturfonds auf einzelstaatlicher Ebene

5.1

Auch wenn die von der Europäischen Kommission geplanten Vereinfachungen zu mehr Transparenz in der Kohäsionspolitik führen können, weist der EWSA erneut auf das Risiko dieser Vorschläge hin. Insbesondere befürchtet er, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft von den nationalen Regierungen und den regionalen Behörden nicht berücksichtigt werden könnten, da diese nicht immer bereit sind, diese Organisationen an der Umsetzung der Strukturfonds und des Kohäsionsfonds zu beteiligen (was unter anderem in einem von Umweltorganisationen erarbeiteten Bericht (10) und vom Europäischen Gewerkschaftsbund (11) bestätigt wird), was eine eingeschränkte Kontrolle der Gesellschaft über die Mittelverwendung bedeutet.

5.2

In seinem für ECAS (European Citizen Action Service) verfassten Bericht (12), der sich allerdings nur auf die nichtstaatlichen Organisationen bezieht, beschreibt Brian Harvey die bei der Ausarbeitung der wichtigsten Programmplanungsdokumente für die Jahre 2004-2006 gemachten Erfahrungen, die leider nicht eben Anlass zu Optimismus sind. Dass Konsultationstermine oftmals verschoben und Programmdokumente nach Abschluss der Konsultation noch umfassend geändert werden (z.B. in den Folgenabschätzungsstudien im Umweltbereich), dass gar der Konsultationsprozess zu spät eingeleitet wird und somit zu wenig Zeit für eventuelle Anmerkungen und Kommentare bleibt: das sind nur einige der von Vertretern der Zivilgesellschaft kritisierten Verfahrensmängel. Noch schlimmer verhielt es sich in Fällen, in denen die Ausarbeitung der Dokumente Consulting-Agenturen aufgetragen wurde, die überhaupt keinen Kontakt zu den Organisationen der Zivilgesellschaft unterhielten.

5.3

Dies führt nicht nur zu einem geringeren Interesse am Konsultationsprozess. Vielmehr — und das wiegt noch viel schwerer — wird dadurch die Möglichkeit vertan, wichtige Änderungen in die Programmplanung einzubringen. An dieser Stelle möchte der Ausschuss sehr deutlich betonen, dass im Rahmen eines ordnungsgemäß durchgeführten Konsultationsprozesses nicht nur der Zugang aller betroffenen Organisationen zu den erörterten Dokumenten, sondern auch eine angemessene Frist für eventuelle Anmerkungen gewährleistet sein muss (die das Arbeitsprogramm nicht durcheinander bringt und gleichzeitig genügend Zeit lässt, um sich mit den Dokumenten vertraut zu machen).

5.4

Positive Erfahrungen, beispielsweise die Durchführung der Konsultation zum Nationalen Entwicklungsplan 2005 in Polen, wo die nationale Regierung detaillierte Bestimmungen darüber aufnahm, wie Konsultationen durchzuführen sind, wie ihr Verlauf zu dokumentieren ist, wie die vorgebrachten Anmerkungen festzuhalten sind und wie ihre Annahme bzw. Ablehnung begründet werden soll, sind Beispiele für gute Verfahrensweisen und belegen, dass der gesamte Prozess solide und effizient durchgeführt werden kann.

5.5

Aus Informationen unterschiedlicher Länder geht ferner hervor, dass an den Arbeiten der für die Ausarbeitung der Programmplanungsdokumente zuständigen Arbeitsgruppen in der Regel keine Organisationen der Zivilgesellschaft teilnehmen, so dass sie kaum die Möglichkeit haben, sich bereits zu Beginn dazu zu äußern.

5.6

Somit vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass von der Kommission festgelegte Mindestanforderungen (oder zumindest Leitlinien), die die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Konsultationen erfüllen müssen, sowie die Notwendigkeit, Informationen über den Verlauf des Konsultationsprozesses vorzulegen, zu einem Wandel der Situation beitragen könnten. Solche Maßnahmen vonseiten der Kommission könnten zumindest ein Stück weit dazu beitragen, das Risiko auszuräumen, dass ein guter Plan zur Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung des Nationalen Entwicklungsplans in einem der Mitgliedstaaten lediglich ein Stück Papier bleibt.

6.   Bekanntmachung der Strukturfonds

6.1

Auch wenn sich die Verfügbarkeit von Informationen über die Strukturfonds in den letzten Jahren gebessert hat (beispielsweise im Hinblick auf deren Veröffentlichung auf den amtlichen Seiten), möchte der Ausschuss betonen, dass nur wenige Mitgliedstaaten auch andere Mittel für Bekanntmachungs- und Informationszwecke einsetzen (beispielsweise Presse, Fernsehen, Seminare, Konferenzen), die genau auf die Zielgruppen ausgerichtet sind. Durch die Nutzung der Möglichkeiten der Organisationen der Zivilgesellschaft ließe sich hier einiges deutlich verbessern.

6.2

Nach Auffassung des Ausschusses ist es um die Bekanntmachung der Strukturfonds auf regionaler Ebene leider nicht besser bestellt. Bei der Aufstellung von Bekanntmachungs- und Informationsplänen werden Konsultierungen überhaupt nicht bzw. nur um des guten Rufes willen durchgeführt. Dabei könnte die Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft an diesem Prozess sowie deren Kenntnis der verschiedenen Gebiete und Probleme zur Ausarbeitung realistischerer Bekanntmachungs- und Informationsstrategien beitragen.

6.3

Da die Strukturfonds für konkrete gesellschaftliche und wirtschaftliche Zwecke bestimmt sind und die Finanzmittel für die Bekanntmachungs- und Informationsmaßnahmen lediglich zu deren Umsetzung beitragen, sollte der Effektivität der Bekanntmachungs- und Informationsmaßnahmen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

6.4

Es ist natürlich schwierig, eindeutig festzustellen, wie die Mittel für Bekanntmachungs- und Informationszwecke einzusetzen sind, um die Empfänger am wirkungsvollsten zu erreichen. Gute Beispiele gibt es sowohl für Maßnahmen, die die umsetzenden Einrichtungen selbst ergriffen haben, als auch für solche, die Werbeagenturen bzw. PR-Unternehmen aufgetragen wurden. Andererseits lassen sich auch Fälle finden, in denen keine der vorgenannten Optionen die betroffenen Empfänger erreicht bzw. das angebotene Produkt nicht an die Bedürfnisse der Empfänger angepasst ist.

6.5

Infolgedessen kommt es häufig zu der absurden Situation, dass Organisationen der Zivilgesellschaft gezwungen sind, von sich aus Informationsinitiativen zu ergreifen und sie aus eigener Tasche zu finanzieren, da sie keinen Zugang zu den für Bekanntmachungsmaßnahmen bereitgestellten Mitteln haben.

6.6

Es zeigt sich also, dass die Gewährleistung eines Zugangs der Organisationen der Zivilgesellschaft (die an die Bedürfnisse der Empfänger angepasste Informationsmaßnahmen durchführen können und bereit sind, die entsprechenden Maßnahmen oftmals kostengünstiger umzusetzen) zu den Finanzmitteln für Bekanntmachungs- und Informationsmaßnahmen eine der Bedingungen für deren effektive Verwendung darstellt.

6.7

Für den Ausschuss liegt es auf der Hand, dass sich das Problem der Bekanntmachung von Struktur- und Kohäsionsfonds nicht nur auf die Frage begrenzen darf, wer hierfür zuständig ist und wer sie durchführt. Von wesentlicher Bedeutung ist vielmehr die Frage, welche Ziele mit der Verwendung der Strukturmittel verfolgt werden und welche Probleme sie lösen helfen sollen. Nach Ansicht des Ausschusses muss diese Frage im Vorfeld der Verwendung der Struktur- und des Kohäsionsfonds umfassender behandelt und öffentlich diskutiert werden.

7.   Umsetzung der Strukturfonds

7.1

In seinen früheren Stellungnahmen hat der EWSA bereits auf die Bedeutung von Globalzuschüssen hingewiesen. An dieser Stelle möchte er betonen, dass er mit Sorge zur Kenntnis nimmt, dass unter den zehn neuen Mitgliedstaaten nur die Tschechische Republik das System der Globalzuschüsse eingeführt hat, und selbst dort wurde die Tragweite dieser Art der Abwicklung durch die Einführung einer Reihe formeller Hürden durch die öffentliche Verwaltung eingeschränkt. Damit es im kommenden Zeitraum nicht erneut zu einer solchen Situation kommt, möchte der Ausschuss darauf hinweisen, dass die Erfahrungen der Länder, die mit diesem Mechanismus arbeiten, sehr positiv sind, insbesondere wenn es darum geht, besonders benachteiligte Gruppen (z.B. Langzeitarbeitslose) zu erreichen.

7.2

Ein weiterer Aspekt, auf den der Ausschuss bereits mehrmals aufmerksam gemacht hat, ist die Zugänglichkeit der technischen Hilfe für die Organisationen der Zivilgesellschaft. Im Vereinigten Königreich beispielsweise wurden die für die technische Hilfe vorgesehenen Mittel (auch in Bezug auf den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung) in großem Umfang für die Beteiligung dieser Organisationen an der Umsetzung der Strukturfonds verwendet. So wurde mit Mitteln der technischen Hilfe beispielsweise die Arbeit von „Dachorganisationen“ finanziert, die nichtstaatliche Organisationen beraten und schulen, um sie in die Lage zu versetzen, Programme und Projekte mit Mitteln aus den Strukturfonds durchzuführen. Dies ist jedoch eher die Ausnahme. Dort, wo solche Maßnahmen bislang nicht ergriffen wurden, sollten die Organisationen der Zivilgesellschaft nach Auffassung des Ausschusses ausdrücklich als Antragsberechtigte für Mittel der technischen Hilfe aufgeführt werden (13).

7.3

Der Ausschuss möchte ferner darauf aufmerksam machen, dass die Notwendigkeit der Kofinanzierung von Projekten mit öffentlichen Mitteln die Organisationen der Zivilgesellschaft in eine ungünstige Lage bringen kann. Die Folge ist nämlich ein eingeschränkter Zugang zu Strukturfondsmitteln, was wiederum dazu führt, dass die Möglichkeiten der Durchführung von Projekten geschmälert werden. Der Ausschuss möchte mit aller Deutlichkeit hervorheben, dass seiner Auffassung nach die (privaten) Eigenmittel der Organisationen der Zivilgesellschaft ein Element der Kofinanzierung (auf der einzelstaatlichen Ebene) von Strukturfonds-Projekten bilden können sollten. Der Ausschuss spricht sich mit Nachdruck dafür aus, diese Formulierung um die nichtstaatlichen Organisationen zu ergänzen, die in zahlreichen Fällen die mit Strukturfonds finanzierten Projekte durchführen.

7.4

Der Ausschuss möchte gleichzeitig betonen, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft in den operationellen Programmen als Endempfänger definiert werden müssen, was in der Regel leider nicht der Fall ist. Dabei zeugt die Erfahrung in Ländern, in denen die Organisationen der Zivilgesellschaft die verfügbaren Mittel in Anspruch nehmen konnten (z.B. in Spanien), von deren großer Wirksamkeit, unter anderem bei der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung, der Entwicklung des Tourismus und der lokalen Entwicklung. Insbesondere im Hinblick auf die Erreichung der Ziele von Lissabon und der Strategischen Leitlinien für 2007-2013 ist es überaus wichtig, den Organisationen der Zivilgesellschaft die Möglichkeit zu gewährleisten, Projekte durchzuführen, die mit Strukturfondsmitteln finanziert werden.

7.5

Für den Ausschuss ist klar, dass die Umsetzung der Kohäsionspolitik letztendlich von der Art der Projekte abhängt, für die eine Kofinanzierung vorgesehen wird. Mithilfe dieser Projekte wird zur Gewährleistung eines größeren wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts beigetragen (oder auch nicht). Der Ausschuss steht auf dem Standpunkt, dass die für die Projektauswahl zuständigen Einrichtungen von den Kompetenzen der Organisationen der Zivilgesellschaft und von deren hervorragenden Kenntnissen der lokalen und regionalen Bedürfnisse profitieren können. Besonderes Augenmerk ist dabei allerdings auf einen eventuellen Interessenkonflikt zu richten.

8.   Überwachung und Evaluierung des Mitteleinsatzes

8.1

Der Ausschuss ist fest davon überzeugt, dass die Überwachung und Evaluierung wichtige Bestandteile der Umsetzung von Strukturfonds sind. Sie gewährleisten nicht nur eine erfolgreiche Verwaltung der Mittel, sondern auch die Erreichung der anvisierten Ziele und Ergebnisse der Kohäsionspolitik. Deshalb ist es zweckmäßig, dort, wo dies noch nicht gang und gäbe ist, das Urteil der Organisationen der Zivilgesellschaft in Bezug auf die Umsetzung und Erreichung der Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zum Ausdruck zu bringen und zu berücksichtigen. Die Einbeziehung von Organisationen der Zivilgesellschaft in die Begleitausschüsse, die über die Umsetzung der nationalen strategischen Benchmarks und der einzelnen operationellen Programme wachen, ist hierfür unerlässlich.

8.2

In seiner früheren Stellungnahme von 2003 zur Partnerschaft im Rahmen der Strukturfonds (14) machte der Ausschuss bereits darauf aufmerksam, dass die Informationen über die Mitwirkung in Begleitausschüssen in den einzelnen Ländern deutlich variieren. Und obwohl es dem Ausschuss nicht um eine Vereinheitlichung der angewandten Lösungen geht, so möchte er dennoch sichergestellt sehen, dass sich alle Mitgliedstaaten an gewisse Mindestnormen halten.

8.3

Den neuen Mitgliedstaaten, beispielsweise Polen und der Tschechischen Republik, ist es gelungen, die Organisationen der Zivilgesellschaft an praktisch allen Begleitausschüssen zu beteiligen. Die nichtstaatlichen Organisationen schlugen selbst ein Rekrutierungsverfahren vor, in dessen Rahmen Personen mit entsprechenden Qualifikationen zur Einreichung ihrer Kandidatur aufgefordert wurden, die Wahl über das Internet erfolgte und jene Kandidaten ausgewählt wurden, die die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten. Der Ausschuss sieht durchaus, dass nicht in allen Mitgliedstaaten so verfahren wird. Mehr noch — selbst positive Erfahrungen (die oftmals das Ergebnis von Protesten sind) sind kein Garant dafür, dass im folgenden Programmzeitraum Ähnliches erreicht wird. Umfang und Art der Beteiligung von Vertretern der Zivilgesellschaft hängen derzeit nämlich zum größten Teil vom guten Willen der einzelstaatlichen Regierungen ab und nicht von der Notwendigkeit, klar festgelegte Prinzipien zu befolgen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Berücksichtigung der Rolle der Organisationen der Zivilgesellschaft in Zukunft zwei Faktoren zugrunde liegen werden: zum einen die Pflicht der nationalen Regierungen und regionalen Behörden, konkrete Bestimmungen (bzw. Leitlinien) einzuhalten, und zum anderen die Fähigkeit der Organisationen der Zivilgesellschaft (hauptsächlich der Nichtregierungsorganisationen), sich selbst zu organisieren und eigene Vertreter zu ernennen. Der Ausschuss unterstreicht, dass sich der Platz der Akteure der Zivilgesellschaft und die Anerkennung ihrer Rolle durch die staatlichen Einrichtungen nur aus einer unbestreitbaren Repräsentativität ergeben kann, die ihnen Legitimität und folglich Förderungswürdigkeit für die ihren Tätigkeitsbereich betreffenden Strukturfondsprogramme zukommen lässt.

8.4

Nach Ansicht des Ausschusses sollte darüber hinaus alles daran gesetzt werden, die Effizienz der Begleitausschüsse im Allgemeinen zu stärken, damit sie nicht nur als formale Organe fungieren, denen, wie dies oftmals der Fall ist, die bereits von der staatlichen Verwaltung getroffenen Entscheidungen vorgelegt werden. Es sollte sichergestellt sein, dass sie als ein echtes Forum für Diskussionen und die Suche nach den besten Lösungen dienen. Dies kann nach Auffassung des Ausschusses unter anderem durch die Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft erreicht werden, die in eine solche Diskussion neue Sichtweisen einbringen können.

8.5

Der Ausschuss macht darauf aufmerksam, dass zu den am häufigsten kritisierten Problemen im Zusammenhang mit der Beteiligung an der Überwachung der Strukturfonds auch der eingeschränkte Zugang zu Dokumenten, der Mangel an für die Erfüllung solcher Aufgaben unentbehrlichen Finanzmitteln sowie ein undurchsichtiges System zur Auswahl der Organisationen der Zivilgesellschaft zählen. Solche Bemerkungen sind nach Auffassung des Ausschusses ein sehr wichtiges Zeichen dafür, dass im kommenden Programmplanungszeitraum auf einen Wandel der Situation hingewirkt werden muss. Er ist der Auffassung, dass die nationalen und/oder regionalen Wirtschafts- und Sozialräte — soweit vorhanden — den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sie in diesem Sinne um Unterstützung ersuchen, beratend zur Seite stehen könnten.

8.6

Der Ausschuss ist überdies der Ansicht, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft in den Begleitausschüssen Schulungsmöglichkeiten sowie eine Erstattung der (Reise-)Kosten erhalten sollten, um ihrer Rolle gerecht werden zu können.

9.   Empfehlungen des Ausschusses

9.1

Der Ausschuss hat bereits mehrmals zur Kohäsionspolitik und den Strukturfonds Stellung genommen und auf die bedeutende Rolle der Organisationen der Zivilgesellschaft hingewiesen. Auch andere Einrichtungen haben sich zu diesem Thema geäußert. Gestützt auf den Dritten Kohäsionsbericht, in dem es heißt, dass „[die Sozialpartner und Vertreter der Zivilgesellschaft] zur Förderung einer besseren Governance über geeignete Mechanismen stärker in die Konzipierung, Durchführung und Begleitung der Interventionen einbezogen werden [sollten]“, hofft der Ausschuss, dass dieser Standpunkt in den endgültigen Bestimmungen und dem kommenden Programmplanungszeitraum zum Tragen kommt. Ferner hofft er, dass die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten Fingerzeige gibt, die auf den Ausführungen dieser Stellungnahme beruhen.

9.2

Sehr zweckmäßig wäre es, eine spezielle Übersicht über die Lösungen aufzustellen, die derzeit in den Mitgliedstaaten eingeführt werden und eine wirksame Umsetzung des Partnerschaftsprinzips gewährleisten. Der Ausschuss zieht ferner in Erwägung, ob in seinen Reihen nicht ein Partnerschaftsbeobachtungsgremium berufen werden könnte.

9.3

Der Ausschuss ist sich jedoch bewusst, dass die Berücksichtigung seiner Empfehlungen und Vorschläge hauptsächlich von den Mitgliedstaaten abhängen wird. Aus diesem Grund ruft er sowohl die nationalen als auch die regionalen Regierungen dazu auf, unabhängig von der Ausgestaltung der letztlich beschlossenen Regelungen eine größere Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft an der Umsetzung der Kohäsionspolitik zu gewährleisten.

10.   Gestützt auf die vorhergehenden Ausführungen unterbreitet der Ausschuss der Kommission und dem Rat folgende Empfehlungen und appelliert an die Mitgliedstaaten (die nationalen und regionalen Regierungen) und die Organisationen der Zivilgesellschaft:

10.1   Programmplanung auf Gemeinschaftsebene

Der Ausschuss, der seit langem das beratende Organ der Europäischen Kommission, des Parlaments und des Rates ist, möchte betonen, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit um die Beteiligung anderer Organisationen an seinen Arbeiten bemüht ist, damit in seinen Stellungnahmen den Anmerkungen und Standpunkten der Vertreter der Zivilgesellschaft bestmöglich Rechnung getragen wird.

In seiner Stellungnahme zu der Repräsentativität der europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft formuliert der Ausschuss bestimmte Grundkriterien der Repräsentativität, zu deren Befolgung er auffordert (15). Eine klar definierte Repräsentativität könnte die Teilnahme zivilgesellschaftlicher Akteure an der Verwirklichung der Kohäsionspolitik stärker als bislang legitimieren.

Der Ausschuss schlägt vor, die strategischen Leitlinien für 2007-2013 um die Festlegung eines Rahmens für die Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft zu ergänzen.

Der Ausschuss hofft, dass in den allgemeinen Bestimmungen (vom April 2006) bezüglich der Konsultation auf Unionsebene auch anderen europäischen repräsentativen Organisationen ein Recht auf Teilnahme gewährleistet wird.

Der Ausschuss ruft die Kommission und den Rat auf, in den Bestimmungen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit deutlich hervorzuheben, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft Partner bei den durchzuführenden Tätigkeiten sein können.

Der Ausschuss ruft die Kommission auf, Mindestnormen für die Durchführung von Konsultationen im Zusammenhang mit der Kohäsionspolitik zu fördern und einzuhalten und verstärkt auf elektronische Medien zurückzugreifen.

10.2   Programmplanung auf einzelstaatlicher Ebene

Der Ausschuss ruft die Kommission auf, für die Konsultation zu den in den Mitgliedstaaten verfassten strategischen und Programmplanungsdokumenten Leitlinien festzulegen. Nach Auffassung des Ausschusses ist nicht nur die Vorlage eines Plans für die Konsultation gesellschaftlicher Akteure, sondern auch die Rückmeldung über dessen Umsetzung von großer Bedeutung.

Der Ausschuss appelliert an die Mitgliedstaaten sowie deren nationale und regionale Regierungen, die für die Ausarbeitung der Programmdokumente zuständig sind, sich zu einer ordnungsgemäßen Durchführung des Konsultationsprozesses zu verpflichten und dabei unter anderem angemessene Fristen für Anmerkungen der betroffenen Organisationen der Zivilgesellschaft sowie den Zugang zu den Dokumenten, die Gegenstand der Konsultation sind, zu gewährleisten, den Verlauf der Konsultation zu dokumentieren und die vorgebrachten Anmerkungen festzuhalten.

Der Ausschuss ruft die Organisationen der Zivilgesellschaft auf, sich insbesondere am Konsultationsprozess aktiv zu beteiligen.

Der Ausschuss ruft die Mitgliedstaaten sowie deren nationale Regierungen und regionale Behörden, die für die Ausarbeitung der Programmdokumente verantwortlich sind, auf, den Standpunkten und Anmerkungen der Organisationen der Zivilgesellschaft große Aufmerksamkeit zu schenken und sie bei der Ausarbeitung der Dokumente zu berücksichtigen.

10.3   Bekanntmachung der Strukturfonds

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass sich die Mitgliedstaaten und die regionalen Regierungen das Potenzial der Organisationen der Zivilgesellschaft stärker zu Nutze machen und sie in die Ausarbeitung der Bekanntmachungspläne einbeziehen sollten. Ferner sollten die Mitgliedstaaten und die regionalen Regierungen von der Basis ausgehende Initiativen unterstützen und dafür angemessene Finanzmittel bereitstellen, die für die Bekanntmachung und Information über die Strukturfonds verfügbar sind.

Der Ausschuss ruft die auf der nationalen bzw. regionalen Ebene tätigen Organisationen der Zivilgesellschaft auf, ihr Umfeld aktiv über die Ziele der Kohäsionspolitik und die mit den Strukturfonds zusammenhängenden Möglichkeiten zu informieren.

10.4   Umsetzung der Strukturfonds

Nach Auffassung des Ausschusses sollte darauf hingewirkt werden, die Mitgliedstaaten zur Nutzung des Mechanismus der Globalzuschüsse zu ermutigen. Für diese Aufgabe scheinen die Europäische Kommission, aber auch die in den einzelnen Mitgliedstaaten tätigen Organisationen der Zivilgesellschaft am besten geeignet zu sein.

Der Ausschuss ruft insbesondere jene Mitgliedstaaten, die sich bislang nicht für die Einführung des Mechanismus der Globalzuschüsse entschieden haben, dazu auf, sich die positiven Erfahrungen anderer zu Nutze zu machen und ihn im Zeitraum 2007-2013 anzuwenden.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass den im Sinne der Ziffer 2.2 dieser Stellungnahme förderfähigen Organisationen der Zivilgesellschaft unbedingt Zugang zu den Mitteln der technischen Hilfe gewährleistet werden muss.

Angesichts der positiven Rolle, die die im Sinne der Ziffer 2.2 dieser Stellungnahme förderfähigen Organisationen der Zivilgesellschaft spielen können, ruft der Ausschuss die regionalen und nationalen Regierungen der Mitgliedstaaten dazu auf, die Verfahren zur Beantragung von Mitteln der technischen Hilfe zu vereinfachen.

Der Ausschuss appelliert an die Mitgliedstaaten, bei der Aufstellung der Budgets die Eigenmittel der im Sinne der Ziffer 2.2 dieser Stellungnahme förderfähigen Organisationen der Zivilgesellschaft (Sozialpartner und nichtsstaatliche Organisationen) als ein Element der Kofinanzierung von Projekten zu berücksichtigen.

Der Ausschuss ruft die Mitgliedstaaten auf, die Organisationen der Zivilgesellschaft, die im Sinne der Ziffer 2.2 dieser Stellungnahme förderfähig sind, in den operationellen Programmen ausdrücklich als Endempfänger zu bestimmen. Gleichzeitig ruft der Ausschuss die Kommission auf, dafür Sorge zu tragen, dass in den von den Mitgliedstaaten vorgelegten Dokumenten den Organisationen der Zivilgesellschaft der Zugang zu Strukturfondsmitteln gewährleistet wird.

Der Ausschuss appelliert an die Mitgliedstaaten, bei der Projektauswahl auf die Kenntnisse und Erfahrungen der im Sinne der Ziffer 2.2 dieser Stellungnahme förderfähigen Organisationen der Zivilgesellschaft zurückzugreifen, und betont, dass Anstrengungen unternommen werden müssen, um einen potenziellen Interessenkonflikt zu vermeiden.

Der Ausschuss macht ferner auf die Notwendigkeit der Beseitigung bzw. Reduzierung einiger formaler und technischer Hürden aufmerksam, die den im Sinne der Ziffer 2.2 dieser Stellungnahme förderfähigen Organisationen der Zivilgesellschaft die Nutzung der Strukturfonds erschweren.

10.5   Überwachung und Evaluierung der Mittelverwendung

Nach Auffassung des Ausschusses sollte die Kommission Fingerzeige zu den Regeln der Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft an Überwachung und Evaluierung geben, insbesondere durch deren Berücksichtigung als vollberechtigte Mitglieder in der Zusammensetzung von Begleitausschüssen, um der Notwendigkeit der Objektivität und Neutralität der beteiligten Personen und Organisationen Rechnung zu tragen.

Der Ausschuss hofft, dass die von den Mitgliedstaaten vorgelegte Berichterstattung Feedback-Informationen darüber enthalten wird, inwiefern dem Partnerschaftsprinzip in den Begleitausschüssen Rechnung getragen wird.

Der Ausschuss ruft die Mitgliedstaaten auf, Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen Zugang zu Schulungsmöglichkeiten zu gewähren, damit diese ihrer Rolle als Mitglieder der Begleitausschüsse gerecht werden können.

Der Ausschuss ruft die Organisationen der Zivilgesellschaft auf, mit ihren Vertretern in den Begleitausschüssen in ständigem Kontakt zu stehen und einen Informationsfluss in beide Richtungen zu gewährleisten.

Brüssel, den 6. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  In jüngster Zeit wurden Stellungnahmen zu dem Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates bezüglich der Schaffung eines Europäischen Verbunds für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 76), zu den allgemeinen Bestimmungen über die Fonds (ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 79), zum EFRE (ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 91), zum ESF (ABl. C 234 vom 22.9.2005, S. 27), die Stellungnahme zum Thema „Partnerschaft bei der Durchführung der Strukturfonds“ (ABl. C 10 vom 14.1.2004, S. 21) und die Stellungnahme zum dritten Kohäsionsbericht (ABl. C 302 vom 7.12.2004, S. 60) sowie die Stellungnahme über die strategischen Leitlinien der Kohäsionspolitik für den Zeitraum 2007-2013 erarbeitet.

(2)  Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds“, ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 79.

(3)  Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, an das Europäische Parlament, an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und an den Ausschuss der Regionen: Zivilgesellschaftlicher Dialog zwischen der EU und den Kandidatenländern“, ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 97.

(4)  Stellungnahme zum Thema „Die Repräsentativität der europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft im Rahmen des zivilen Dialogs“, ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 41.

(5)  Um als „repräsentativ“ zu gelten, muss eine Organisation neun Kriterien erfüllen:

auf Gemeinschaftsebene dauerhaft organisiert sein;

einen direkten Zugriff auf die Expertise ihrer Mitglieder gewährleisten;

allgemeine Anliegen vertreten, die dem Wohl der europäischen Gesellschaft dienen;

aus Organisationen bestehen, die auf der Ebene des jeweiligen Mitgliedstaats anerkanntermaßen repräsentativ für die von ihnen vertretenen Interessen sind;

über Mitgliedorganisationen in der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU verfügen;

eine Rechenschaftspflicht gegenüber den Mitgliedern der Organisation vorsehen;

über ein Vertretungs- und Handlungsmandat auf europäischer Ebene verfügen;

unabhängig und weisungsungebunden gegenüber externen Instanzen sein;

transparent sein, vor allem in finanzieller Hinsicht und in den Entscheidungsstrukturen.

(6)  Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds“, ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 79.

(7)  KOM(2004) 492 endg.

(8)  Working document of Directorate-General Regional Policy summarising the results of the public consultation on the Community Strategic Guidelines for Cohesion, 2007-2013, 7. Oktober 2005.

(9)  Stellungnahme zum Thema „Die Repräsentativität der europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft im Rahmen des zivilen Dialogs“, ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 41.

(10)  „Best available practices. Public participation in Programming, Implementing and Monitoring EU Funds“, Institute of Environmental Economics, CEE Bankwatch Network, Friends of the Earth Europe, September 2004.

(11)  Partnership in the 2000-2006 programming periodAnalysis of the implementation of the partnership principleDiscussion paper of DG REGIO, November 2005.

(12)  Brian Harvey, „Illusion of inclusion“ ECAS.

(13)  Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds“, ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 79.

(14)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Partnerschaft bei der Durchführung der Strukturfonds“, ABl. C 10 vom 14.1.2004, S. 21.

(15)  Um als „repräsentativ“ zu gelten, muss eine Organisation neun Kriterien erfüllen:

auf Gemeinschaftsebene dauerhaft organisiert sein;

einen direkten Zugriff auf die Expertise ihrer Mitglieder gewährleisten;

allgemeine Anliegen vertreten, die dem Wohl der europäischen Gesellschaft dienen;

aus Organisationen bestehen, die auf der Ebene des jeweiligen Mitgliedstaats anerkanntermaßen repräsentativ für die von ihnen vertretenen Interessen sind;

über Mitgliedorganisationen in der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten der EU verfügen;

eine Rechenschaftspflicht gegenüber den Mitgliedern der Organisation vorsehen;

über ein Vertretungs- und Handlungsmandat auf europäischer Ebene verfügen;

unabhängig und weisungsungebunden gegenüber externen Instanzen sein;

transparent sein, vor allem in finanzieller Hinsicht und in den Entscheidungsstrukturen.


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/133


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens für die Errichtung des europäischen Flugverkehrsmanagementsystems der neuen Generation (SESAR)“

KOM(2005) 602 endg. — 2005/0235 (CNS)

(2006/C 309/27)

Der Rat beschloss am 4. Januar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 171 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 30. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr McDONOGH.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 6. Juli) mit 37 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einführung

1.1

SESAR ist der technologische Teil einer Initiative zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums, die 2004 eingeleitet wurde, um die Flugsicherung neu zu organisieren. Es soll neue Kommunikations-, Kontroll- und computergestützte Technologien zwischen Boden und Luftfahrzeug einführen, die die Tätigkeit der Fluglotsen und Flugzeugführer optimieren. Während die Automatisierung mehr und mehr Einzug in das Cockpit hält, kommunizieren Fluglotse und Flugzeugführer immer noch per Sprechfunk.

1.2

SESAR ist ein Flugverkehrsmanagementsystem der neuen Generation, das für die Bewältigung des Flugverkehrswachstums unerlässlich sein wird. SESAR wird die Sicherheit und Umweltleistung des Flugverkehrs deutlich steigern und sicherstellen, dass sich Europa weiterhin am weltweiten Luftverkehrsmarkt behauptet. Die Kommission wird dieses industriepolitische Großvorhaben gemeinsam mit EUROCONTROL und Industriepartnern entwickeln.

1.3

Europa wird die leistungsfähigste Flugsicherungsinfrastruktur der Welt haben. Durch die effizientere Bewältigung des Flugverkehrs wird SESAR einen geschätzten Netto-Kapitalwert von 20 Mrd. EUR zu heutigen Preisen haben. Der direkte und indirekte Auftragswert des Vorhabens wird auf 50 Mrd. EUR geschätzt. Im Zuge des Vorhabens werden nahezu 200.000 qualifizierte Arbeitsplätze entstehen.

1.4

Wachstumsprognosen zufolge wird das Luftverkehrsaufkommen in Europa bis zum Jahre 2025 erheblich ansteigen. Dieses Wachstum wird ohne die komplette Modernisierung der Flugsicherungsinfrastruktur, um die Flugstrecken zu optimieren und Engpässe auszuschalten, nicht machbar sein. SESAR wird außerdem auch die Sicherheit des Luftverkehrs steigern, die gegenwärtig aufgrund veralternder Technologien und fragmentierter Flugsicherung beeinträchtigt ist.

1.5

Die Europäische Kommission und EUROCONTROL finanzieren gemeinsam den Auftrag über 43 Mio. EUR (50,5 Mio. US-Dollar), der an ein Konsortium aus 30 Fluggesellschaften, Luftfahrtorganisationen und Luft- und Raumfahrtherstellern vergeben wurde. Der Vertrag umfasst die Definitionsphase der Forschung zur Errichtung eines Flugverkehrsmanagementsystems (ATM) für einen gemeinsamen europäischen Luftraum, das früher die Bezeichnung SESAME trug und jetzt in SESAR umbenannt wurde. Die zweijährige Definitionsphase wird nicht nur die Konzipierung des künftigen Flugverkehrsmanagementsystems, sondern auch den Zeitplan für dessen Einführung bis zum Jahr 2020 umfassen.

1.6

Die Gesamtkosten der Definitionsphase werden sich einschließlich des Vertrags über 43 Mio. EUR auf 60 Mio. EUR belaufen. Die Europäische Kommission und EUROCONTROL übernehmen jeweils die Hälfte der Kosten, wobei der Beitrag von EUROCONTROL Geld, Personalsachverstand und Forschungstätigkeit beinhaltet. Die Europäische Kommission hat erklärt, dass für die Entwicklungsphase Mittel in Höhe von ca. 300 Mio. EUR jährlich erforderlich sein werden, die von der Kommission, der Industrie im Allgemeinen und von EUROCONTROL bereitzustellen sind. 200 Mio. EUR jährlich werden bereits für die Forschung und Entwicklung des Flugverkehrsmanagementsystems bereitgestellt und werden SESAR zugeführt.

1.7

Die Definitionsphase wird vollständig von der Kommission und EUROCONTROL finanziert. Für die Entwicklungsphase soll die Industrie ein Drittel des Programms finanzieren, was im Laufe von sieben Jahren etwa 100 Mio. EUR jährlich ausmacht. Sowohl die Europäische Union als auch EUROCONTROL werden jährlich je 100 Mio. EUR beitragen.

1.8

Es ist noch nicht klar, wie die jährliche Finanzierung von 100 Mio. EUR unter der Industrie aufgeteilt wird. Der Beitrag der Industrie muss festgelegt werden, zuerst sind jedoch komplizierte Fragen wie etwa Rechte am geistigen Eigentum (IPR), Wettbewerbsklauseln u.a. zu klären.

1.9

Ein Hinweis auf den Betrag, den die Industrie zu SESAR beisteuern wird, ergibt sich jedoch aus der derzeitigen Höhe der FuE-Ausgaben im Rahmen des Flugverkehrsmanagements. Es handelt sich um 200 Mio. EUR jährlich, von denen etwa 75 Mio. EUR durch Anbieter von Flugsicherungsdienstleistungen (ANSP) bereitgestellt werden. Ein wesentlicher Teil davon, wenn nicht sogar der gesamte Betrag, wird in SESAR einfließen und nicht in fragmentierter Weise verwendet werden.

1.10

Die Projektpartner sind die Forschungs- und Entwicklungszentren für das Flugverkehrsmanagement (ATM R&D Centres), die „Military Domain“ von EUROCONTROL (EURAMID), die Luftfahrtbehörde des Vereinigten Königreiches (UK CAA), außereuropäische Industrieunternehmen (Boeing, Honeywell, Rockwell-Collins), Berufsverbände wie die Internationale Föderation der Fluglotsenverbände (IFATCA), der Europäische Pilotenverband (ECA) und die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF).

1.11

Folgende Gesellschaften sind in die Definitionsphase eingebunden:

 

NUTZER: Air France, Iberia, KLM, Lufthansa, Verband der europäischen Fluggesellschaften (AEA), Verband der Europäischen Regionalen Fluggesellschaften (ERAA), Internationaler Luftfrachtverband (IATA), Internationaler Flugzeughalter- und Pilotenverband (IAOPA).

 

ANBIETER VON FLUGSICHERUNGSDIENSTLEISTUNGEN (ANSP): die spanischen „Aeropuertos Espanoles y Navegacion Aerea“ (AENA), Austrocontrol, DFS, das Direktorat für Flugnavigationsdienste in Frankreich (DSNA), das Italienische Unternehmen für Flugnavigationsdienste (ENAV), der schwedische Flughafenbetreiber „Luftfartsveket“ (LFV), der niederländische Flugsicherungsanbieter „Luchtverkeersleidins Nederland“ (LVNL), die britische Flugsicherung (NATS), NAV.

 

FLUGHÄFEN: Flughäfen von Paris, BAA, Fraport, Amsterdam, München, AENA, LFV.

 

INDUSTRIE: Airbus, BAE Systems, Europäische Luft- und Raumfahrtgesellschaft (EADS), Indra, Selex, Thales ATM, Thales Avionics, und Air Traffic Alliance.

2.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

2.1

Alle auf die Modernisierung der Flugsicherung in Europa gerichteten Initiativen sind als konstruktiver Schritt zu begrüßen.

2.2

Diese dürften zu effizienterer Flugstreckenführung, größerer Treibstoffersparnis und geringeren Flugzeiten für die Reisenden führen.

2.3

Die Einrichtung funktionaler Luftraumblöcke (FAB) dürfte eine optimale Luftraumnutzung bei gleichzeitiger Respektierung regionaler Übereinkommen sowie die Berücksichtigung der Lebensbedingungen und Interessen der unter den Luftraumblöcken gelegenen örtlichen Gemeinschaften (Städte und Dörfer) ermöglichen.

2.4

Durch Vermeidung von Doppelarbeit bei Forschung und Entwicklung dürfte das Vorhaben SESAR nicht zu einer Steigerung des Gesamtbeitrags der Luftraumnutzer zu Forschungs- und Entwicklungsarbeiten führen.

2.5

Nach dem Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zu EUROCONTROL haben die Kommission und EUROCONTROL eine Rahmenvereinbarung über die Zusammenarbeit bei der Schaffung des einheitlichen europäischen Luftraums sowie bei Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten im Bereich des Flugverkehrsmanagements geschlossen. Dadurch dürften sowohl die Sicherheit als auch die Leistungsfähigkeit der Anbieter von Flugsicherungsdienstleistungen (ANSP) verbessert werden.

2.6

Das Gemeinsame Unternehmen muss nach einem integrierten Ansatz angelegt sein, bei dem in allen Fragen (technischen, betrieblichen, rechtlichen und institutionellen) gemeinsame Anstrengungen im Wege der öffentlich-privaten Partnerschaften unternommen werden, um einen nahtlosen Übergang von der Definitions- zur Umsetzungsphase sowie von der Forschung und Entwicklung zur Anwendung zu sichern.

2.7

Das Finanzierungskonzept für das Gemeinsame Unternehmen sollten nach Abschluss der Definitionsphase überprüft werden. Alle Beteiligten müssen die Auswirkungen jeglicher zusätzlicher Kosten, die durch den privaten Sektor über ein System von Benutzungsgebühren zu finanzieren wären, in Betracht ziehen, da dies indirekte Auswirkungen auf die Reisenden haben könnte.

2.8

Die öffentlichen Mittel für die Umsetzungsphase des Vorhabens SESAR sollten durch Beiträge des Privatsektors ergänzt werden.

2.9

Wegen der Zahl der an dem Prozess zu beteiligenden Akteure, der erforderlichen finanziellen Mittel und des notwendigen technischen Fachwissens ist die Errichtung einer juristischen Person für die koordinierte Verwaltung der Mittel des Vorhabens SESAR während seiner Umsetzungsphase unabdingbar.

2.10

Die Zahl der in die Definitionsphase eingebunden Unternehmen ist begrenzt und für die gesamte europäische Luftfahrtindustrie nicht repräsentativ. Die Europäische Kommission sollte die Beteiligung in der Definitionsphase auf kleinere Unternehmen und insbesondere auf die neuen Mitgliedstaaten ausweiten.

2.11

SESAR ist Schritt für Schritt umzusetzen. Die letzte, sprich Umsetzungsphase sollte so schnell wie möglich abgewickelt werden. Zur Beschleunigung des Vorhabens und Verkürzung der Umsetzungsdauer sollte die Kommission klare Etappenziele festlegen.

2.12

Die europäischen Luftfahrtgebühren sollten aufgrund der höheren Effizienz, die SESAR mit sich bringt, gesenkt werden.

Brüssel, den 6. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


16.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 309/135


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Zukunft der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“

(2006/C 309/28)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juli 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Zukunft der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 30. Mai 2006 an. Berichterstatter war Herr HENCKS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 428. Plenartagung am 5./6. Juli 2006 (Sitzung vom 6. Juli) mit 46 gegen 9 Stimmen bei 7 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, deren Definition von den einzelstaatlichen Regierungen ausgehend von sozialem und staatsbürgerlichem Handeln bzw. unter Bezugnahme auf dieses Handeln festgelegt wird, erfüllen Grundbedürfnisse und spielen eine Schlüsselrolle für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts der Union und den Erfolg der Lissabon-Strategie.

1.2

Da der Europäische Rat eine Phase des Nachdenkens über die großen europäischen Themen verordnet hat, muss die Zivilgesellschaft entschlossen und offensiv tätig werden, um effiziente Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sicherzustellen und diese zu einem grundlegenden Baustein der Union zu machen.

1.3

Der EWSA wiederholt seine Forderung, auf Gemeinschaftsebene gemeinsame grundlegende Prinzipien für alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse festzulegen, die in einer Rahmenrichtlinie festzuhalten sind und ggf. für die einzelnen Wirtschaftszweige durch Richtlinien für einzelne Bereiche spezifiziert werden können.

1.4

Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip sollten die Mitgliedstaaten daher durch einen zu notifizierenden offiziellen Rechtsakt die Arten hoheitlicher Dienstleistungen oder Dienstleistungen von nationalem, regionalem oder kommunalem Interesse festlegen können, die nicht unter die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und auch nicht in den Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln und der Regeln für staatliche Beihilfen fallen.

1.5

Für die sonstigen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse muss in der Rahmenrichtlinie und in den branchenspezifischen Rechtsvorschriften die Freiheit der Mitgliedstaaten und Kommunen verankert sein, die Art der Verwaltung und der Finanzierung der Dienstleistungen festzulegen. Ebenso müssen die Grundsätze und Grenzen für die Tätigkeit der Gemeinschaft, die Bewertung ihrer Leistungen, die Rechte der Verbraucher und Nutzer und ein Mindestgemeinwohlauftrag eindeutig festgehalten werden.

1.6

Damit sich alle Nutznießer der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Natur in die Maßnahmen eingebunden fühlen, müssen alle Akteure — der Staat, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die Sozialpartner, Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen, sozialwirtschaftliche Einrichtungen und Organisationen, die gegen soziale Ausgrenzung vorgehen usw. — im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ihren Platz neben den Regulierungsbehörden und den Betreibern haben und in alle Phasen, also von der Organisation bis zur Festlegung, Kontrolle und Anwendung von Qualitätsstandards, eingebunden werden.

1.7

Auf europäischer Ebene müssen die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen im Rahmen der neuen Ausschüsse für den europäischen strukturierten sektoralen sozialen Dialog immer dann zu branchenspezifischen Richtlinien zur Regulierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse gehört werden, wenn diese soziale Auswirkungen auf Qualifikationen und Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Arbeitnehmern haben.

1.8

Da sich Dienstleistungen von allgemeinem Interesse kontinuierlich verändern und wegen ihrer Bedeutung für die Umsetzung der Lissabon-Strategie ist eine regelmäßige Bewertung unerlässlich — nicht nur die Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, für die es gemeinschaftliche Rechtsvorschriften gibt, sondern auch die Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Hinblick auf die Ziele der Union. Der EWSA schlägt die Einrichtung einer Beobachtungsstelle zur Bewertung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Natur) vor, die sich aus politischen Vertretern des Europäischen Parlaments, des Ausschusses der Regionen und Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zusammensetzen sollte.

1.9

Der EWSA fordert, dass die oben ausgeführten Grundsätze auch in die Positionen der EU für die Handelsverhandlungen insbesondere im Rahmen der WTO und des GATS einfließen. Es wäre nicht hinnehmbar, wenn die Europäische Union in den internationalen Handelsverhandlungen Verpflichtungen zur Liberalisierung bestimmter Branchen oder Tätigkeiten einginge, die nicht zuvor im Rahmen der Binnenmarktvorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse beschlossen worden wären. Die Notwendigkeit, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur Regulierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Natur mit dem Ziel zu erhalten, die von der Union aufgestellten Ziele in den Bereichen Soziales und Entwicklung zu erreichen, macht es erforderlich, die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse aus den oben genannten Handelsverhandlungen auszuklammern.

2.   Gegenstand der Initiativstellungnahme

2.1

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse bilden das Herzstück des europäischen Gesellschaftsmodells und haben eine wesentliche Funktion für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts der Union. Sie vervollständigen den Binnenmarkt und gehen über dessen Rahmen hinaus, sie sind eine Voraussetzung für das wirtschaftliche und soziale Wohl der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmen.

2.2

Die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Natur) erfüllen Grundbedürfnisse, sie sind von wesentlicher Bedeutung für ein Zugehörigkeitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger zur Gemeinschaft und sind ein Bestandteil der kulturellen Identität für alle Länder Europas — selbst bei den Verrichtungen des täglichen Lebens.

2.3

Im Mittelpunkt dieser Überlegungen steht daher das Interesse der Bürger, dessen Wahrung erfordert, dass der Zugang zu als wesentlich erachteten Diensten ebenso gewährleistet wird wie die Einbeziehung in die Verfolgung vorrangiger Ziele.

2.4

Gestützt auf diese Wertegemeinschaft besteht jedoch eine Vielfalt an Organisationsformen der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die sich von Land zu Land, von Region zu Region und innerhalb der einzelnen Wirtschaftszweige unterscheiden. Die Definition der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wird von den einzelstaatlichen Regierungen festgelegt, ausgehend von sozialem und staatsbürgerlichem Handeln und unter Bezugnahme auf dieses Handeln.

2.5

Eine solche Vielfalt an unterschiedlichen Gegebenheiten ist jedoch für die europäische Integration eine Herausforderung. Sie ist deswegen aber kein unüberwindbares Hindernis, sondern bietet vielmehr die Gelegenheit, im Wege der Annahme von Grundsätzen, die auf alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse anwendbar sind, einen geeigneten Rahmen zu schaffen, der dem Gemeinwohl in einem sich ständig ändernden wirtschaftlichen und sozialen Umfeld dient.

2.6

Eine positive Wechselwirkung zwischen dem großen europäischen Markt mit seiner Forderung nach Freizügigkeit, einem freien Wettbewerb, Effizienz, Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftlicher Dynamik auf der einen Seite und der Berücksichtigung von Zielen des Gemeinwohls auf der anderen Seite zu erzeugen, ist — wie sich gezeigt hat — ein langwieriger und komplizierter Prozess. Hierbei kann auf weitreichende Erfolge verwiesen werden, obwohl etliche Probleme noch offen sind und einer Lösung bedürfen.

3.   Hintergrund

3.1

Im EWG-Vertrag von Rom werden öffentliche Dienstleistungen nur in Artikel 77 (Artikel 73 des konsolidierten derzeitigen Vertrags) genannt, in dem auf den öffentlichen Dienst für den Verkehrsbereich Bezug genommen wird, sowie in Artikel 90 Absatz 2 (Artikel 86 Absatz 2 des derzeitigen Vertrags), der unter bestimmten Bedingungen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Ausnahmen von den Wettbewerbsregeln zulässt.

3.2

Durch Artikel 86 Absatz 2 des EG-Vertrags erhalten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, eine rechtliche Regelung zugunsten von Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, einzurichten, die vom Gemeinschaftsrecht, insbesondere den Wettbewerbsregeln, abweicht: „Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten die Vorschriften dieses Vertrags, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.“  (1)

3.3

Auf der Grundlage dieses Artikels erkennt der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (seit 1993) an, dass der mit der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen betraute Betreiber bei der Erfüllung der ihm übertragenen besonderen Aufgaben über Freiheiten bei den Wettbewerbsregeln des Vertrags verfügen darf, die bis zum Ausschluss jeglicher Konkurrenz gehen können, sofern diese Beschränkungen erforderlich sind, damit das Unternehmen die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse unter wirtschaftlich annehmbaren Bedingungen sicherstellen kann (2).

3.4

So hat der Gerichtshof (EuGH) festgestellt, dass die Einräumung von Wettbewerbsvorteilen bei wirtschaftlich rentablen Tätigkeiten mit dem Vertrag vereinbar ist, um Verluste auszugleichen, die dem Unternehmen durch Tätigkeiten entstehen, die wirtschaftlich nicht rentabel, jedoch von allgemeinem Interesse sind (3).

3.5

In diesem Sinne urteilte der EuGH auch, eine staatliche Maßnahme sei unter bestimmten Voraussetzungen nicht als staatliche Beihilfe im Sinne des EG-Vertrags zu qualifizieren, sofern ein finanzielles Eingreifen als Ausgleich anzusehen ist, der die Gegenleistung für Leistungen darstellt, die von dem begünstigten Unternehmen zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden (4). Zugleich stellte der EuGH klar, dass für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Natur) die allgemeinen Grundsätze des Vertrags zu beachten sind: Transparenz, Verhältnismäßigkeit, Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung.

3.6

Seit der Einheitlichen Akte aus dem Jahr 1986 wurde Europa in seinem Einigungswerk mit der Schaffung eines Binnenmarktes auch auf dem Feld der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse tätig, insbesondere indem die spezifischen Rechte, die (öffentlichen oder privaten) Betreibern in den Mitgliedstaaten erteilt worden waren, in Frage gestellt und eine umfassende Liberalisierung der großen öffentlichen Versorgungsnetze in Gang gesetzt wurde.

3.7

In Artikel 16 des Vertrags von Amsterdam aus dem Jahr 1997 werden der Stellenwert der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse innerhalb der gemeinsamen Werte der Union sowie ihre Bedeutung bei der Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts hervorgehoben. Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten werden dazu aufgerufen, dafür Sorge zu tragen, „dass die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, dass sie ihren Aufgaben nachkommen können“, wobei sie weitgehend den Grundsätzen des Wettbewerbs unterliegen.

3.8

Dieser Artikel 16 hat keine praktischen Auswirkungen auf die Politik der Kommission in Bezug auf die Erbringer öffentlicher Dienstleistungen. Der Europäische Rat hat jedoch im März 2000 in Lissabon beschlossen, den Binnenmarkt zu vollenden und für ein einwandfreies Funktionieren zu sorgen, indem eine stärkere Liberalisierung bei den öffentlichen Diensten und Versorgungsnetzen sowie eine Ausweitung des Wettbewerbs auf die nationalen Märkte in Bereichen wie Schienenverkehr, Postdienste, Strom, Gas und Telekommunikation empfohlen werden.

3.9

In der in Nizza im Jahr 2000 proklamierten Charta der Grundrechte wird zum ersten Mal eine Verbindung zwischen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und den Grundrechten hergestellt. So sind der Zugang zu diesen Dienstleistungen und die Rechte in Bezug auf spezifische Teilbereiche der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (soziale Sicherung und soziale Unterstützung, Gesundheitsschutz, Umweltschutz usw.) in der Charta der Grundrechte verankert (Artikel II-34 bis II-36).

3.10

Der Europäische Rat hatte auf seiner Tagung in Barcelona am 15./16. März 2002 die ausdrückliche Absicht geäußert, „weiter zu prüfen, wie die in Artikel 16 des Vertrags niedergelegten Grundsätze für die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse unter Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelnen betroffenen Sektoren sowie der Bestimmungen von Artikel 86 des Vertrags mittels eines Vorschlags für eine Rahmenrichtlinie konsolidiert und präzisiert werden können“.

4.   Aktueller Kontext

4.1

Zwar wurden Fortschritte erzielt, diese werden aber von vielen Vertretern der Zivilgesellschaft angesichts der Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse für das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger der Union als unzureichend erachtet. Von den Vertretern der Zivilgesellschaft gingen viele Initiativen zur Verankerung der Grundsätze der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in den gemeinsamen Zielen der Union im Rahmen der Erarbeitung der künftigen europäischen Verfassung aus. Dadurch sollten soziale Sicherheit und Gerechtigkeit durch Dienstleistungen von hoher Qualität gesichert und gefördert werden, die auf den Grundsätzen der Universalität, des gleichberechtigten Zugangs, der Neutralität des Eigentums und erschwinglichen Gebühren gründen.

4.2

Artikel III-122 des Verfassungsvertragsentwurfs sollte unbeschadet der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten die Grundlage für abgeleitetes positives Recht zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse schaffen, indem bestimmt wird, dass durch Europäisches Gesetz die Grundsätze und Prinzipien festgelegt werden, „insbesondere jene wirtschaftlicher und finanzieller Art, die für das Funktionieren dieser Dienste [Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse] so gestaltet sind, dass diese ihren Aufgaben nachkommen können“.

4.3

Ferner sollte in Artikel III-122 der Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung anerkannt und die Möglichkeit, dass die lokalen Gebietskörperschaften selbst Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringen, zu einem Verfassungsgrundsatz erhoben werden, wodurch das Subsidiaritätsprinzip in Bezug auf die Zuständigkeiten der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in konkrete Form gegossen wird.

4.4

Aufgrund der Vertagung des Ratifizierungsprozesses des Verfassungsvertrags hält es der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss für erforderlich, unverzüglich auf der Grundlage der bestehenden Verträge mit der Ausarbeitung der Rahmenrichtlinie für die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Natur) zu beginnen, was der EWSA seit Jahren in seinen Stellungnahmen fordert (5).

4.5

Die Rechtsgrundlage kann in der heutigen Situation allein die Vollendung des Binnenmarkts sein. Dabei muss diese Grundlage natürlich durch die Berücksichtigung weiterer Bestimmungen des Vertrags ergänzt werden, die der Art von Binnenmarkt, der für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse entstehen soll, einen genauen Inhalt geben:

Artikel 16, der vorsieht, dass die Union dafür Sorge trägt, dass die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ihren Aufgaben nachkommen können;

Artikel 36 der Charta der Grundrechte, in dem gefordert wird, dass die Union den Zugang aller zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse achtet;

Artikel 86, der bestimmt, dass im Falle einer Kollision zwischen den Wettbewerbsregeln und Gemeinwohlaufgaben die Wettbewerbsregeln Vorrang haben;

Artikel 5, der der Achtung des Subsidiaritätsprinzips gewidmet ist;

Artikel 295, der die Neutralität der Union bezüglich der Eigentumsordnung von Unternehmen vorschreibt;

Titel VIII über die Beschäftigung, aufgrund der zahlreichen, von den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse unmittelbar oder mittelbar betroffenen Arbeitsplätze;

Titel XIV über den Verbraucherschutz, der spezifische Bestimmungen zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse enthält;

Titel XV über die transeuropäischen Netze, der der Union Zuständigkeiten zuweist;

Titel XVI über die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, für die moderne, effiziente und qualitativ hochwertige Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Voraussetzung sind;

Titel XVII über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, in dem gefordert wird, bestehende Ungleichgewichte auszugleichen;

Titel XIX über den Umweltschutz, der aufgrund der externen Effekte von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse von besonderer Bedeutung für diese ist.

4.6

Werden diese Artikel miteinander kombiniert, so kann als integraler Bestandteil einer Rahmenrichtlinie für alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse spezifisches Recht für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse geschaffen werden, das unter Einhaltung der Ziele des Vertrags neben der Vollendung des Binnenmarktes auch die Besonderheiten von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse berücksichtigt.

5.   Unterscheidung zwischen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse

5.1

Im Gegensatz zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse werden die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in ihrer Gesamtheit nicht als solche in den Verträgen genannt.

5.2

Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nichtwirtschaftlicher Natur unterliegen weder spezifischen Gemeinschaftsregeln noch den Regeln für den Binnenmarkt, für den Wettbewerb oder für staatliche Beihilfen. Sie zählen jedoch zu einigen Zielen der Europäischen Union (Achtung der Grundrechte, Förderung des Wohlergehens der Bürger, soziale Gerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt usw.), die für die Gesellschaft unverzichtbar sind. Hieraus ergibt sich, dass die Union, die mit zuständig ist für die Erhöhung des Lebensniveaus und der Lebensqualität auf dem gesamten Gebiet der Europäischen Union, daher auch eine gewisse Verantwortung für die Instrumente zur Wahrung der Grundrechte und des sozialen Zusammenhalts hat — also für die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Die Union muss daher zumindest darauf achten, dass die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse allen zur Verfügung stehen, zugänglich, bezahlbar und von guter Qualität sind.

5.3

Die Unterscheidung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Natur bleibt unscharf und unsicher. Fast jede im allgemeinen Interesse liegende Leistung, auch wenn sie ohne Erwerbszweck oder ehrenamtlich erbracht wird, hat einen bestimmten wirtschaftlichen Wert, fällt jedoch deswegen nicht unter das Wettbewerbsrecht. Außerdem kann ein und dieselbe Dienstleistung gleichzeitig handelsfähig und nicht handelsfähig sein. Ebenso kann eine Dienstleistung von handelsfähiger Art sein, ohne dass der Markt deswegen imstande wäre, die Diensterbringung im inhaltlichen Sinne der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und nach den für sie geltenden Grundsätzen zu gewährleisten.

5.4

Hierdurch entstehen Zweideutigkeiten und Widersprüche zwischen Wettbewerb und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, deren wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Natur von der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bzw. Kurswechseln in dessen Rechtsprechung abhängt. Dies führt dazu,

dass zahlreiche öffentliche Betreiber, die vor allem im Sozialbereich bzw. nicht gewinnorientiert arbeiten oder auf kommunaler Ebene tätig sind, in eine prekäre Lage geraten;

dass die Betreiber der Gefahr von Sanktionen seitens der Kommission oder des Europäischen Gerichtshofs ausgesetzt sind;

dass die Bürger/Verbraucher verunsichert werden, da sie befürchten, dass öffentliche Dienstleistungen verschwinden könnten.

5.5

Zudem bestehen terminologische Unterschiede zwischen den einzelnen EU-Institutionen. Für die Kommission umfassen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse — ob marktbezogen oder nichtmarktbezogen. Für das Europäische Parlament hingegen umfassen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nur die Dienstleistungen nichtwirtschaftlicher Natur. Der EWSA fordert die Institutionen daher dazu auf, sich auf eine gemeinsame Terminologie zu einigen.

6.   Künftige Ausrichtung

6.1

Da der Europäische Rat nach den Referenden über den Verfassungsvertrag eine Phase des Nachdenkens über die großen europäischen Themen verordnet hat, muss die Zivilgesellschaft entschlossen und offensiv tätig werden, um effiziente Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sicherzustellen und diese zu einem grundlegenden Baustein der Union zu machen.

6.2

Vor diesem Hintergrund muss die Frage gestellt werden, welche Initiativen in Europa einzuleiten sind, um eine harmonische Kombination der Marktmechanismen und der im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben in den Bereichen zu erreichen, in denen eine derartige Komplementarität mit den Zielen der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse vereinbar ist und im Sinne des europäischen Sozialmodells zu Wirtschaftswachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und dauerhaftem Wohlergehen zur Verbesserung der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger der Union beitragen kann.

6.3

Das europäische Sozialmodell zeichnet sich insbesondere durch den sozialen Dialog aus. Die Unterrichtung, Anhörung und Beteiligung der Sozialpartner und Akteure der Zivilgesellschaft sind unverzichtbare Voraussetzungen für den Erhalt und eine erfolgreiche Modernisierung des europäischen Sozialmodells. Es geht also darum, ein soziales Europa zu schaffen, das auf einer positiven Wechselwirkung zwischen Rechtsvorschriften und sozialem Dialog beruht.

6.4

Alle Akteure — der Staat, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die Sozialpartner, Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen, sozialwirtschaftliche Einrichtungen und Organisationen, die engagiert gegen soziale Ausgrenzung vorgehen, und weitere Akteure — müssen im Rahmen der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse ihren Platz neben den Regulierungsbehörden und den Betreibern haben.

6.5

Daher muss auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene gewährleistet sein, dass diese Akteure bei der Regulierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in alle Phasen eingebunden werden — also von der Organisation bis zur Festlegung, Kontrolle, zum Kosten-Nutzen-Verhältnis und der Anwendung von Qualitätsstandards.

6.6

Auf europäischer Ebene muss den Rechtsetzungsinitiativen der Europäischen Kommission immer dann ein europäischer strukturierter sozialer Dialog vorangehen, wenn branchenspezifische Richtlinien soziale Auswirkungen auf Qualifikationen und Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Arbeitnehmern haben.

6.7

Anders ausgedrückt muss der in Artikel 139 des EG-Vertrags festgelegte Grundsatz, dem zufolge die Kommission dafür Sorge trägt, dass die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen zur sozialen Dimension der von ihr vorgeschlagenen Maßnahmen gehört werden, auch bei der Regulierung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in den einzelnen Wirtschaftszweigen zum Tragen kommen.

6.8

So werden die Ausschüsse für den strukturierten sektoralen sozialen Dialog zum Garanten für die Förderung des branchenspezifischen bzw. branchenübergreifenden sozialen Dialogs, der angesichts von Sozialdumping und der Einstellung ungelernter Arbeitskräfte zum Abschluss europäischer Tarifverträge führen soll, in denen die Rechte und Arbeitsplätze der Arbeitnehmer geschützt werden.

6.9

Dies entbindet die Kommission jedoch nicht von der Verpflichtung zur Durchführung einer Folgenabschätzung in Bezug auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse für jeden einzelnen ihrer Vorschläge zur Änderung eines branchenspezifischen gemeinschaftlichen Rechtsinstruments bzw. für die Schaffung eines neuen Instruments im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse.

7.   Ein europäisches Konzept für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

7.1

Die Bürgerinnen und Bürger erhofften sich Europa als einen gemeinsamen Lebensraum, der mit Fragen der Lebensqualität, der Solidarität, der Beschäftigung und der Schaffung von Wohlstand nicht nur materieller Art verknüpft ist. Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sind hierfür unverzichtbar.

7.2

Daher müssen auf Gemeinschaftsebene gemeinsame grundlegende Prinzipien für alle Dienstleistungen von allgemeinem Interesse festgelegt werden, die in einer Rahmenrichtlinie festzuhalten sind und ggf. für die einzelnen Wirtschaftszweige durch Richtlinien für einzelne Bereiche spezifiziert werden können.

7.3

Die Annahme einer Rahmenrichtlinie mit Querschnittszielsetzung ist unerlässlich, um den mit Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Natur betrauten Betreibern und den Behörden die erwünschte Rechtssicherheit und den Nutzern und Verbrauchern die erforderliche Sicherheit zu geben.

8.   Ziele der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

8.1

Im Sinne ihrer Funktion als Grundpfeiler des europäischen Sozialmodells und einer sozialen Marktwirtschaft müssen die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse durch die Integration und Interaktion von wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt

das Recht jedes Einwohners auf Zugang zu grundlegenden Gütern und Dienstleistungen sicherstellen (Recht auf Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Beschäftigung, Strom, Gas und Wasser, Transportmöglichkeiten, Kommunikation usw.);

den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenhalt sicherstellen;

Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Eingliederung förderlich sein, Solidarität schaffen und dem Gemeinwohl der Gemeinschaft dienen;

die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung schaffen.

9.   Definition des Gemeinwohls

9.1

Zunächst muss ein institutioneller Rahmen geschaffen werden, der im Einklang mit der Charta eine solide Grundlage für die Schaffung rechtlicher Stabilität für die Unterscheidung zwischen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nichtwirtschaftlicher Natur bildet, denn in der Charta ist keine Anwendung der Wettbewerbsregeln und der Regeln für staatliche Beihilfen auf letztere vorgesehen.

9.2

Da es sehr schwierig ist, diesen Begriff einerseits umfassend zu definieren und andererseits einen restriktiven Ansatz zu vermeiden, muss die Definition auf die besonderen Aufgaben dieser Dienstleistungen sowie auf die Anforderungen (Gemeinwohlverpflichtungen) konzentriert sein, die mit ihnen zur Erfüllung ihrer Aufgabe verbunden sind, und die eindeutig festgelegt werden müssen.

9.3

Gemäß Artikel 86 Absatz 2 des EG-Vertrags hat die effektive Erfüllung einer Gemeinwohlaufgabe im Falle einer Kollision Vorrang vor der Anwendung des Wettbewerbsrechts. Und dies entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH.

10.   Rolle des Staates

10.1

Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips muss es jedem Mitgliedstaat freigestellt bleiben, die Unterscheidung zwischen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wirtschaftlicher Natur und Dienstleistungen nichtwirtschaftlicher Natur zu treffen. Bei offensichtlichen Fehleinschätzungen sollte jedoch die Kommission einschreiten können.

10.2

Die Mitgliedstaaten sollten daher durch einen offiziellen Rechtsakt, der den EU-Institutionen zu notifizieren ist, die Arten hoheitlicher Dienstleistungen, die aus zwingenden Gründen von öffentlichem bzw. von nationalem, regionalem oder kommunalem Interesse sind, festlegen, die keine Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind und auch nicht in den Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln und der Regeln für staatliche Beihilfen fallen.

10.3

Unbeschadet der Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten ist der EWSA der Ansicht, dass Dienstleistungen im Bereich der allgemeinen Schulpflicht und der gesetzlichen Gesundheits- und Sozialsysteme sowie kulturelle Aktivitäten, karitative Tätigkeiten, Dienste sozialer Art oder auf Solidarität oder Spenden basierende Dienste sowie Dienste im audiovisuellen Bereich, der Wasserversorgung und der Abwasserbehandlung zu den Dienstleistungen von nationalem, regionalem oder kommunalem Interesse gerechnet werden sollten.

10.4

Für andere Dienste sind in der Rahmenrichtlinie und in den bereichsspezifischen Vorschriften die Regulierungsgrundsätze und -modalitäten klar zu definieren, die ergänzend neben das gemeinsame Wettbewerbsrecht treten; diese legislative Definition muss es erlauben, im Zuge der Weiterentwicklung der Bedürfnisse und der Ansprüche der Nutzer und Verbraucher sowie aufgrund von Änderungen des wirtschaftlichen und technologischen Umfelds notwendig werdende Anpassungen vorzunehmen.

10.5

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Wassersektor aufgrund des besonderen Status von Wasser, der Kontinuität und Regelmäßigkeit der Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Wasserversorgung und der Investitions- und Preispolitik zum Gemeinwohl gezählt werden sollte und sich nicht für eine systematische Liberalisierung eignet.

10.6

Dieser Regelungsrahmen muss also die Existenz der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, die Freiheit der Definition und Organisation der Dienstleistungen durch die Mitgliedstaaten und Kommunen, die Verwaltungsfreiheit (6) und die Finanzierung, die Grundsätze und Grenzen für die Tätigkeit der Gemeinschaft, die Bewertung ihrer Leistungen, die Rechte der Verbraucher und Nutzer und einen Mindestgemeinwohlauftrag sicherstellen.

10.7

Dieser Gemeinwohlauftrag, der in den Verpflichtungen zum Ausdruck kommt, die die Mitgliedstaaten eingehen bzw. den Leistungserbringern auferlegen, besteht vor allem in einem gleichberechtigten und universellen Zugang, der Vermeidung jeder Art von Diskriminierung sowie Kontinuität, Qualität, Transparenz, Sicherheit und Anpassungsfähigkeit an die notwendigen Entwicklungen.

10.8

Unter Achtung von Artikel 295 des Vertrags, in dem keine Aussage über den öffentlichen oder privaten Charakter der Verwaltungsform von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gemacht wird, und in dem die Mitgliedstaaten nicht zur Liberalisierung von Dienstleistungen aufgefordert werden, ruft der EWSA zu einer größeren Vielfalt der Verwaltungsformen und zu Partnerschaften zwischen den Behörden, den mit der Erbringung dieser Dienstleistungen betrauten Betreibern, den Sozialpartnern sowie den Nutzern und Verbrauchern auf.

11.   Regulierung

11.1

Die Regulierung ist ein dynamischer Prozess, der mit der Entwicklung des Marktes und dem technologischen Wandel einhergeht.

11.2

Wie der Wettbewerb in einem liberalisierten Markt funktioniert, wird von den Besonderheiten der jeweiligen Branche bestimmt; dies kann in Form öffentlicher Ausschreibungen, öffentlich-privater Partnerschaften, einer Preiskontrolle, der Verhinderung eines diskriminierenden Netzzugangs oder durch die Schaffung von Wettbewerb zwischen Versorgungsnetzen geschehen.

11.3

Ein Vergleich der unterschiedlichen Regulierungssysteme der Mitgliedstaaten zeigt, dass kein Modell als Beispiel dienen kann, da immer die Geschichte, die Institutionen und Traditionen des jeweiligen Landes, die Situation der jeweiligen Branche bzw. die geografische Lage sowie der Stand der Technik in einem bestimmten Sektor eine Rolle spielen.

11.4

Daher muss die Wahrung der mit der Geschichte, den Traditionen und Institutionen und den Dienstleistungsarten verbundenen Vielfalt in Einklang gebracht werden mit den genauen gemeinschaftlichen Zielen und begrenzten gemeinsamen Vorschriften, um differenziertere Lösungen für die größtmögliche Effizienz auf transeuropäischer, grenzüberschreitender, regionaler, kommunaler oder lokaler Ebene zu finden.

11.5

Zwar sollten der Austausch und die Koordinierung auf EU-Ebene bevorzugt werden, doch darf keine einheitliche Lösung auf europäischer Ebene aufgezwungen werden. Es muss den Mitgliedstaaten überlassen sein, die für sie zweckmäßige Regulierungsart für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse festzulegen, und zwar unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und unter Wahrung der Neutralität gegenüber dem öffentlichen oder privaten Charakter der Verwaltungsart einer solchen Dienstleistung.

12.   Bewertung

12.1

Da sich Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und die ihnen zugeordneten Ziele kontinuierlich verändern und wegen ihrer Bedeutung für die Umsetzung der Lissabon-Strategie ist eine regelmäßige Bewertung unerlässlich — nicht nur die Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, für die es gemeinschaftliche Rechtsvorschriften gibt, sondern auch die Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Hinblick auf die Ziele der Union (Achtung der Grundrechte, Förderung des Wohlergehens der Bürger, soziale Gerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt usw.).

12.2

Der EWSA teilt daher nicht die Auffassung der Kommission (7), der zufolge die nichtmarktbezogenen Leistungen der Daseinsvorsorge nicht im Rahmen der Methodik der horizontalen Bewertung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse bewertet werden dürfen.

12.3

Eine solche Bewertung würde zur Effizienzsteigerung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sowie zu ihrer Anpassung an den geänderten Bedarf von Bürgern und Unternehmen beitragen. Ferner würde sie den Behörden ein Hilfsmittel an die Hand geben, um die für sie zweckmäßigste Wahl treffen zu können.

12.4

Das Europäische Parlament hatte die Kommission aufgefordert (8), die Diskussion zwischen den verschiedenen bestehenden Beobachtungsstellen (Wirtschafts- und Sozialausschuss, Ausschuss der Regionen, Organisationen des sozialen Dialogs, Initiativen für Leistungen der Daseinsvorsorge und Verbraucherverbände) zu organisieren. Die Ergebnisse dieser Diskussion sollten bei der Festlegung von Leitlinien für eine jährliche branchenübergreifende Bewertung berücksichtigt werden, wobei auch die Bewertung selbst erörtert werden sollte.

12.5

Das bedeutet, dass die von der Kommission in ihrer Mitteilung KOM(2002) 331 eingegangene Verpflichtung, die Zivilgesellschaft in die horizontale Bewertung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse einzubinden, insbesondere durch die Entwicklung eines „permanente[n] Mechanismus zur laufenden Beobachtung der Meinungen der Bürger und der Fortentwicklung dieses Meinungsbildes“ in die Tat umgesetzt wird. Die Kommission führte selbst Folgendes aus: „Außerdem werden die Betroffenen, einschließlich der Sozialpartner, auf Ad-hoc-Basis zu bestimmten Fragen konsultiert.“

12.6

Es ist daher an der Union, der Bewertung unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips Dynamik zu verleihen, durch die Entwicklung einer harmonisierten Bewertungsmethodik auf europäischer Ebene auf der Grundlage gemeinsamer Indikatoren und im Dialog mit den Vertretern der betroffenen Akteure.

12.7

Diese Bewertungsmethodik darf nicht nur die rein wirtschaftlichen Ergebnisse, sondern muss auch die sozialen und ökologischen Auswirkungen sowie den langfristigen Erhalt des Gemeinwohls berücksichtigen.

12.8

Dies bedeutet, dass die potenziellen Nutzer von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Natur) über ein Mittel verfügen, mit dessen Hilfe sie ihre Bedürfnisse und Wünsche zum Ausdruck bringen können, insbesondere durch die Beteiligung ihrer Vertreter an der Entwicklung der Bewertungsmethodik und der Auswertung der Ergebnisse.

12.9

In diesem Zusammenhang schlägt der EWSA die Einrichtung einer Beobachtungsstelle zur Bewertung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Natur) vor, die sich aus politischen Vertretern des Europäischen Parlaments, des Ausschusses der Regionen und Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zusammensetzen sollte.

12.10

Zu dieser Beobachtungsstelle sollte ein Lenkungsausschuss gehören, der die Ziele und Spezifikationen für die Bewertungen festlegt, die Einrichtungen für die Durchführung von Studien auswählt, die Berichte prüft und eine Stellungnahme abgibt. Ihm wird ein wissenschaftlicher Rat zur Seite gestellt, um die gewählte Methodik zu prüfen und einschlägige Empfehlungen abzugeben. Der Lenkungsausschuss wird dafür Sorge tragen, dass die Bewertungsberichte in allen Mitgliedstaaten bekannt gemacht und mit allen Beteiligten öffentlich erörtert werden. Dies bedeutet, dass die Bewertungsberichte in allen Arbeitssprachen der Europäischen Union zur Verfügung stehen müssen.

13.   Finanzierung

13.1

Die Sicherung der langfristigen Finanzierung der Investitionen und der Gemeinwohlverpflichtungen bleibt eine wesentliche Frage, um allen Bürgern auf dem gesamten Gebiet der Union den Zugang zu hochwertigen und erschwinglichen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu garantieren.

13.2

Das Gemeinwohl und die Gemeinwohlverpflichtungen, die der Staat einem oder mehreren Erbringern von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse unter bestimmten Bedingungen und mit bestimmten Spezifikationen übertragen hat, erfordern jeweils angemessene Finanzierungsweisen.

13.3

Es ist daher Sache der Mitgliedstaaten, eine langfristige Finanzierung einerseits der für die Kontinuität und Nachhaltigkeit der Dienstleistungen erforderlichen Investitionen und andererseits angemessener Ausgleichszahlungen für die Erbringung einer öffentlichen Dienstleistung oder Universaldienstleistung sicherzustellen; die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften müssen diese Finanzierungssicherheit begünstigen und dürfen sie nicht einschränken.

13.4

Wird bewusst keine europäische Richtlinie betreffend die Definition, Organisation und Finanzierung von Gemeinwohlverpflichtungen angenommen, so lässt dies den Mitgliedstaaten jede Freiheit, ihre Finanzierungsweisen im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wählen.

13.5

Den Mitgliedstaaten müssen mehrere unterschiedliche Finanzierungsweisen für Gemeinwohlaufgaben und -verpflichtungen zur Verfügung stehen: direkte Ausgleichszahlungen aus dem Staatshaushalt bzw. dem regionalen oder kommunalen Haushalt, eine Finanzierung auf der Grundlage sozialer oder territorialer Solidarität zwischen Nutzung und Nutzern, Beiträge von Betreibern und Nutzern, Steuergutschriften, Exklusivrechte usw., aus öffentlicher und privater Finanzierung kombinierte Instrumente (öffentlich-private Partnerschaft) insbesondere bei der öffentlichen Infrastruktur, durch deren Nutzung Einkünfte erzielt werden.

13.6

Da die Finanzierungsweise nach Mitgliedstaat und Branche erhebliche Unterschiede aufweist und aufgrund der technologischen Entwicklung, die einem ständigen Wandel unterliegt, hält es der EWSA nicht für zweckmäßig, die möglichen Finanzierungsquellen auf Gemeinschaftsebene zu beschränken bzw. einer Quelle den Vorzug zu geben. Vielmehr sollten die Mitgliedstaaten auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ausgehend von ihren politischen Prioritäten und ihrer Einschätzung des wirtschaftlichen Nutzens frei entscheiden können, wie sie die Dienstleistungen, für die sie die Verantwortung übernommen haben, finanzieren wollen.

13.7

Angesichts der geringen Finanzkraft eines Teils der neuen Mitgliedstaaten sollte die Union ihnen die notwendigen Mittel an die Hand geben, damit sie die Entwicklung effizienter Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Natur) fördern können.

Brüssel, den 6. Juli 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Artikel III-166 Absatz 2 des Vertrags über eine Verfassung für Europa ist praktisch eine wörtliche Wiedergabe von Artikel 86 Absatz 2 des EG-Vertrags.

(2)  Vgl. die Urteile „Poste Italiane“, „Corbeau“, „Gemeinde Almelo“, „Glöckner“ und „Altmark“.

(3)  Siehe Urteil „Glöckner“ vom 25.10.2001.

(4)  Urteil „Altmark“ vom 24.7.2003.

(5)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Leistungen der Daseinsvorsorge“, Initiativstellungnahme, ABl. C 241 vom 7.10.2002, S. 119-127; Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ KOM(2003) 270 endg., ABl. C 80 vom 30.3.2004, S. 66-76; Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ KOM(2004) 374 endg., ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 17-21.

(6)  Artikel 295 des EG-Vertrags bestätigt den Grundsatz der Neutralität im Hinblick auf öffentliches oder privates Eigentum an Unternehmen. KOM(2004) 374 endg. vom 12.5.2004.

(7)  KOM(2002) 331, Ziffer 3.2.

(8)  EP-Bericht A5/0361/2001; Werner Langen-Bericht vom 17. Oktober 2001.