ISSN 1725-2407

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 185

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

49. Jahrgang
8. August 2006


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II   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

426. Plenartagung am 19./20. April 2006

2006/C 185/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss — Nanowissenschaften und Nanotechnologien: Ein Aktionsplan für Europa 2005-2009

1

2006/C 185/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Themen — Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das von der Gemeinsamen Forschungsstelle innerhalb des 7. Rahmenprogramms der Europäischen Gemeinschaft (2007-2013) im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration durch direkte Maßnahmen durchzuführende spezifische Programm — Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das spezifische Programm Zusammenarbeit zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms (2007-2013) der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration — Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das spezifische Programm Ideen zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms (2007-2013) der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration — Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das spezifische Programm Menschen zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms (2007-2013) der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration — Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das spezifische Programm Kapazitäten zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms (2007-2013) der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration — Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das von der Gemeinsamen Forschungsstelle innerhalb des 7. Rahmenprogramms (2007-2011) der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Kerntechnik durch direkte Maßnahmen durchzuführende spezifische Programm — Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das spezifische Programm zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms (2007-2011) der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen auf dem Gebiet der KerntechnikKOM(2005) 439, 440, 441, 442, 443, 444, 445 endg.

10

2006/C 185/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für die Sicherheit in der ZivilluftfahrtKOM(2005) 429 endg. — 2005/0191 (COD)

17

2006/C 185/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt (Meeresstrategie-Richtlinie)KOM(2005) 505 endg. — 2005/0211 (COD)

20

2006/C 185/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Bewältigung des industriellen Wandels in grenzüberschreitenden Regionen nach der Erweiterung der Europäischen Union

24

2006/C 185/6

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken über Wanderung und internationalen SchutzKOM(2005) 375 endg. — 2002/0156 (COD)

31

2006/C 185/7

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der UnterhaltspflichtenKOM(2005) 649 endg. — 2005/0259 (CNS)

35

2006/C 185/8

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Portabilität von ZusatzrentenansprüchenKOM(2005) 507 endg. — 2005/0214 (COD)

37

2006/C 185/9

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs (2008)KOM(2005) 467 endg. — 2005/0203 (COD)

42

2006/C 185/0

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu derMitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Situation behinderter Menschen in der erweiterten Europäischen Union: Europäischer Aktionsplan 2006-2007KOM(2005) 604 endg.

46

2006/C 185/1

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission: Die Kohäsionspolitik im Dienste von Wachstum und Beschäftigung — Strategische Leitlinien der Gemeinschaft für den Zeitraum 2007-2013KOM(2005) 299 endg. — SEK(2005) 904

52

2006/C 185/2

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Auswirkungen internationaler Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen auf den industriellen Wandel in Europa

62

2006/C 185/3

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Rechtsrahmen für die Verbraucherpolitik

71

2006/C 185/4

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Ein politischer Rahmen zur Stärkung des Verarbeitenden Gewerbes in der EU — Auf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die IndustriepolitikKOM(2005) 474 endg.

80

2006/C 185/5

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Zusammenarbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen UnionKOM(2005) 706 endg.

87

2006/C 185/6

Stellungnahme der Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Übermittlung von Angaben zum Auftraggeber bei GeldtransfersKOM(2005) 343 endg. — 2005/0138 (COD)

92

2006/C 185/7

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, an das Europäische Parlament, an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und an den Ausschuss der Regionen — Verringerung der Klimaauswirkungen des LuftverkehrsKOM(2005) 459 endg.

97

2006/C 185/8

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Der institutionelle Rahmen für die europäische Binnenschifffahrt

101

2006/C 185/9

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu demVorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 vom 15. Juli 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für FlugsicherheitKOM(2005) 579 endg. — 2005/0228 (COD)

106

DE

 


II Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

426. Plenartagung am 19./20. April 2006

8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss — Nanowissenschaften und Nanotechnologien: Ein Aktionsplan für Europa 2005-2009“

(2006/C 185/01)

Die Europäische Kommission beschloss am 7. Juni 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 28. März 2006 an. Berichterstatter war Herr PEZZINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 19./20. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 117 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Vorwort

1.1

Der Ausschuss hielt es in seiner vorhergehenden Stellungnahme (1) zum Thema Nanowissenschaften und Nanotechnologien (N&N) für erforderlich, eine kurze Erklärung vorauszuschicken, in der — auch angesichts der Tatsache, dass sich die Stellungnahme mit einem teilweise neuartigen Themengebiet mit kaum bekannter oder zumindest kaum verwendeter Terminologie befasste — die gebräuchlichsten Begriffe kurz definiert werden. Folglich erscheint es sinnvoll, diese Terminologie in der Einleitung der vorliegenden Stellungnahme aufzugreifen.

1.1.1

Ferner sollen aufgrund der Tatsache, dass in 2006 neben dem sechsten Rahmenprogramm weiterhin zahlreiche andere europäische, ab 2000 begonnene Programme in Kraft sind, die wichtigsten, für die N&N relevanten Programme in den Fußnoten aufgeführt werden. Insbesondere sollen die Programme mit spezifischer Bedeutung für die neuen Mitgliedstaaten genannt werden, da diese noch nicht die Möglichkeit hatten, sich mit deren Start und der vor 2004 geführten Debatte über die Zielsetzungen zu befassen.

1.2   Terminologie (2)

1.2.1

Nano: Ist der milliardste Teil eines Ganzen. Da wir in unserem Fall von Maßen sprechen, benutzen wir „Nano“ als milliardsten Teil des Meters.

1.2.2

Mikro: Bezeichnet den millionsten Teil eines Ganzen. In unserem Fall den millionsten Teil des Meters.

1.2.3

Nanowissenschaften: Die Nanowissenschaften stellen bezüglich der Grundstruktur und der Eigenschaften von Materie auf der atomaren und molekularen Ebene einen neuen Ansatz der traditionellen Wissenschaften dar (Chemie, Physik, elektronische Biologie usw.). Es sind dies die Wissenschaften, die die Möglichkeiten der Atome in den einzelnen Disziplinen untersuchen (3).

1.2.4

Nanotechnologien: Dies sind Technologien, die es erlauben, Atome und Moleküle so zu manipulieren, dass neue Oberflächen und Objekte entstehen. Diese erlangen durch die anders geartete Zusammensetzung und die neue Anordnung der Atome besondere Eigenschaften, die im täglichen Leben nutzbar sind (4). Es sind dies also die Technologien eines milliardstel Meters.

1.2.5

Neben der oben gegebenen Definition ist es angebracht, eine vom wissenschaftlichen Standpunkt aus prägnantere hinzuzufügen. Nanotechnologie ist ein multidisziplinärer Ansatz zur Schaffung von Materialien, Ordnungen und Systemen durch die Kontrolle der Materie auf der nanometrischen Ebene. Wegen dieses multidisziplinären Ansatzes ist eine breite Wissensbasis in den Bereichen Elektronik, Physik und Chemie erforderlich, um eine Qualifikation in Nanotechnologien zu entwickeln.

1.2.6

Nanomechanik: Für die Beschaffenheit eines Objekts werden die Maße bereits wichtig, wenn die Maßeinheit von einem Nanometer auf einige Dutzend Nanometer wechselt (es handelt sich um Objekte, die aus einigen Dutzend bis zu einigen Tausend Atomen bestehen). Auf dieser Ebene der Dimensionen hat ein aus 100 Eisenatomen bestehendes Objekt völlig andere physikalisch-chemische Eigenschaften als ein anderes, aus 200 solcher Atome bestehendes Objekt, auch wenn beide mit den gleichen Atomen hergestellt worden sind. Analog dazu weist ein Festkörper aus Nanopartikeln völlig andere mechanische und elektromagnetische Eigenschaften auf als ein traditioneller Festkörper derselben chemischen Zusammensetzung. Diese Eigenschaften hängen von den Eigenschaften der einzelnen Einheiten ab, aus denen sich ein Festkörper zusammensetzt.

1.2.7

Mikroelektronik. Ein Teilbereich der Elektronik, der sich mit der Entwicklung von integrierten Schaltkreisen beschäftigt, die in einem „einzigen Bereich eines Halbleiters“, in sehr kleinen Maßeinheiten verwirklicht werden. Heutzutage ist die mikroelektronische Technologie in der Lage, einzelne Komponenten in der Größenordnung von weniger als 0,1 Mikrometer oder 100 Nanometer zu konstruieren (5).

1.2.8

Nanoelektronik. Ist die Wissenschaft, die sich mit der Erforschung und der Herstellung von Schaltkreisen beschäftigt, die mit Hilfe von Technologien und verschiedenen Materialien aus „Silizium“ geschaffen werden und die nach grundsätzlich anderen Prinzipien wie die heutigen funktionieren (6).

1.2.9

Die Nanoelektronik ist dabei, ein Hauptgebiet der Nanotechnologien zu werden. Etwa so, wie sich Elektronik heute in allen Bereichen der Wissenschaft und industriellen Verfahren befindet (7).

1.2.10

Biomimetik  (8) : Die Wissenschaft, die die Gesetze untersucht, welche der in der Natur vorkommenden molekularen Zusammensetzung zugrunde liegen. Das Wissen um diese Gesetze könnte es erlauben, künstliche Nanomotoren herzustellen, die auf den gleichen Prinzipien basieren, wie sie in der Natur vorkommen (9).

1.3   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.3.1

Der Ausschuss begrüßt die von der Kommission vorgelegten Vorschläge zur Umsetzung des Aktionsplans für N&N bis 2009, insbesondere im Zusammenhang mit:

der Notwendigkeit, eine nachhaltige, wettbewerbsfähige, stabile und dauerhafte Entwicklung einzuhalten;

der deutlichen weltweiten Zunahme von Investitionen in Forschung und Entwicklung und in Anwendungen im N&N-Bereich;

der Notwendigkeit, die Risiken und Möglichkeiten des N&N-Ansatzes zu untersuchen und der Dringlichkeit einer gemeinsamen, strukturierten und allgemein verbreiteten und akzeptierten Vision seitens der politisch-institutionellen Entscheidungsträger, der Sozialpartner sowie der breiten Öffentlichkeit und der Medien; dies soll die N&N angesichts ihrer Nützlichkeit für die Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Bürger zum Erfolg führen;

der Nachfrage nach hochmoderner Ausrüstung und leistungsfähigen Infrastrukturen, integrierten europäischen Netzwerken und gemeinsamen Datenbanken;

der notwendigen Ausbildung qualifizierter Humanressourcen für Wissenschaft, Technik und Produktion sowie von Führungskräften in der Industrie, die mit den N&N vertraut sind;

der angezeigten Einrichtung einer europäischen Förderungs- und Koordinierungsstelle (Focal Point) als ständiger und proaktiver Mittler — v.a. zwischen Industrie und Wissenschaft — sowohl innerhalb der EU als auch auf internationaler Ebene, die durch ein Sekretariat unterstützt werden sollte.

1.3.1.1

Die Mitarbeiter des Focal Point müssen gründliche und nachgewiesene Kompetenzen in Wissenschaft und Management sowie ein hohes Maß an Sensibilität für das allgemeine Umfeld, in dem sich die Entwicklung der N&N abspielt, besitzen.

1.3.1.2

Auch im Bereich der N&N gilt, dass die „von der Europäischen Gemeinschaft geförderte Forschung und Entwicklung (…) einen wesentlichen europäischen Mehrwert (schafft). Sie eröffnet Potenziale, welche die Fähigkeiten einzelner Mitgliedstaaten deutlich übersteigen, und sie ermöglichte bereits europäische Entwicklungen von Weltgeltung“ (10). Daher ist ein gemeinschaftlicher Focal Point wichtig, der diesen Bereich leitet, wobei die Zuständigkeiten klargestellt werden müssen.

1.3.2

Der Ausschuss ist mit Blick auf die revolutionäre Entwicklung der N&N der Auffassung, dass die Möglichkeit Europas, in punkto wissensbasierter Wirtschaft — und in einer durch immer neue und aggressiv auf dem Weltmarkt auftretende Wettbewerber gekennzeichneten Lage — weltweit führend zu sein, von der Fähigkeit zur Koordinierung und zur Bildung einer kritischen Masse in Europa für Nanotechnologien auf sicherer Grundlage abhängt.

1.3.3

Für den Ausschuss ist es von grundlegender Bedeutung, dass es der Europäischen Union gelingt, einen Aktionsplan für die N&N zu erarbeiten, von dem Impulse für eine gemeinschaftliche Governance ausgehen und der eine Integration der verschiedenen Ebenen (Union, Mitgliedstaaten und Regionen) unter Achtung des Subsidiaritätsprinzips ermöglicht. Dieser Aktionsplan sollte insbesondere folgende Punkte gewährleisten:

ein sichtbarer und transparenter Dialog mit der Zivilgesellschaft, der ein auf objektiver Abschätzung der Risiken und Chancen der N&N beruhendes Bewusstsein gewährleistet;

permanente Aufmerksamkeit für die Wahrung ethischer und ökologischer Grundsätze sowie der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer und der Verbraucher;

ein gemeinschaftliches Zentrum als eindeutiger Bezugspunkt zum Zweck der Gewährleistung einer starken Koordinierung der verschiedenen Maßnahmen und der verschiedenen Handlungsebenen;

einen einheitlichen internationalen Bezugspunkt zur Förderung von Initiativen im Bereich gemeinsamer Erklärungen und Verhaltenskodizes zur Gewährleistung einer verantwortungsbewussten Verwendung der N&N, zur Gewährleistung der Zusammenarbeit im Bereich der Grundlagenforschung;

eine Bekämpfung der „N&N-Kluft“ (Ausschluss von der Entwicklung des Wissens in punkto N&N) zusammen mit den am wenigsten entwickelten Ländern;

Rechtssicherheit für die Anstrengungen im Bereich der Forschung, Anwendung und Innovation bezüglich der Markts für N&N;

einen Fahr- und Zeitplan für die vorgesehenen Maßnahmen sowohl auf gemeinschaftlicher als auch auf einzelstaatlicher Ebene mit Verfahren zur Überprüfung der Ausführung und mit klarer Zuweisung der Zuständigkeiten.

1.3.4

Der Ausschuss legt nahe, den Aktionsplan durch nationale Aktionspläne zu flankieren, die eine laufende Koordinierung und ein konstantes Benchmarking der Konvergenzen und Synergien in folgenden Bereichen gewährleisten sollen: Infrastrukturen; Bildung und Ausbildung; Risikobewertung; Ausbildung für die Sicherheit am Arbeitsplatz; normen- und patentspezifische Standardisierung sowie schließlich Dialog mit der Zivilgesellschaft — und insbesondere mit den Verbrauchern.

1.3.5

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die europäische Industrie ihren Einsatz bezüglich Forschung und Anwendung im Bereich der N&N vervielfachen und beschleunigen muss und zumindest das Investitionsniveau der fortschrittlichsten Wettbewerber erreichen sollte. Dies kann mithilfe folgender Maßnahmen erreicht werden: Konzeption europäischer Technologieplattformen; Anreize für den Schutz und die industrielle Verwertung der N&N setzen; Förderung einer gezielten Ausbildung im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen; Entwicklung europäischer Netzwerke für Innovation und Anwendung der N&N; Förderung der interdisziplinären Ausbildung von Arbeitnehmern und technischen Führungskräften; Ausbildung von betriebsinternen Nanotechnologiespezialisten und Einrichtung von Laboratorien zur Prototypanfertigung und Zertifizierung; Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für technische Normierung und zum Schutz des geistigen und gewerblichen Eigentums.

1.3.6

Der zweijährige Bericht über die Kontrolle und Überwachung der Ausführung des gemeinschaftlichen Aktionsplans und seiner Übereinstimmung mit den übrigen Gemeinschaftspolitiken sollte nach Auffassung des Ausschusses durch einen jährlichen Fortschrittsanzeiger bezüglich des angenommenen Zeitplans ergänzt und den Berichten der Mitgliedstaaten über die Durchführung der nationalen Aktionspläne beigefügt werden.

1.3.7

Dieser Bericht sollte neben dem Europäischen Parlament und dem Rat auch dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vorgelegt werden.

2.   Begründung

2.1

Die Nanowissenschaften und Nanotechnologien (N&N) sind ein schnell expandierender und äußerst vielversprechender Bereich für die Umsetzung von Grundlagenforschung in erfolgreiche Innovationen. Dies ist ein Sektor von enormer Bedeutung sowohl für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der gesamten europäischen Industrie als auch für die Schaffung neuer Erzeugnisse und Dienstleistungen zur Mehrung des gesellschaftlichen Wohlstands und zur Verbesserung der Lebensqualität der Bürger.

2.2

Die Analysten gehen im Allgemeinen davon aus, dass es für Materialien, Produkte und Dienstleistungen auf der Grundlage von N&N bis zum Jahr 2015 einen mehrere hundert Milliarden Euro jährlich umfassenden Weltmarkt (11) gibt, sofern es gelingt, Spitzenforschung in vermarktbare Erzeugnisse, Prozesse und Dienstleistungen umzuwandeln und sofern — wie die Kommission betont — die „Wiederholung des europäischen Paradoxons, das bei anderen Technologien beobachtet wurde“ (12), vermieden werden kann.

2.3

Diesbezüglich sind nach Auffassung des Ausschusses folgende Maßnahmen erforderlich:

Verstärkte Anstrengungen und verbesserte Koordinierung sowie mehr Investitionen bezüglich Forschung und Entwicklung (FuE);

Schaffung entsprechender Infrastrukturen auf Spitzenniveau;

sorgfältige Risikobewertung während des gesamten wissenschaftlichen und anwendungsspezifischen Lebenszyklus;

ethischen Grundsätzen einen hohen Stellenwert einräumen;

Förderung günstiger Bedingungen und proaktiver Vorgehensweisen in Bezug auf Innovation im gesamten Wirtschaftsgefüge, insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen;

Ausbildung qualifizierter Humanressourcen;

Anpassung der Rechtsvorschriften und des Patentrechts;

Förderung von öffentlich/privaten Partnerschaften.

2.4

Der Ausschuss befasste sich bereits mit dem Thema (13) und sprach u.a. folgende Empfehlungen aus:

Entwicklung von gemeinsamen gemeinschaftlichen/einzelstaatlichen Anstrengungen auf dem Gebiet der FTE sowie der wissenschaftlichen und technologischen Ausbildung mit starken Wechselwirkungen zwischen Industrie und Wissenschaft; besonderer Berücksichtigung industrieller und multisektoraler Anwendungen; verstärkter Koordinierung der Politiken, Maßnahmen, Strukturen und Netzwerke der Akteure; der Einhaltung ethischer Grundsätze und der Gewährleistung von Umweltschutz, Gesundheit und Sicherheit sowie eine angemessene technische Normung;

Schaffung einer engen Verbindung zwischen den N&N und der Gesellschaft, um zu gewährleisten, dass sich die Forschungsergebnisse positiv auf die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, auf die Gesundheit der Bevölkerung, auf die Umwelt sowie auf die Sicherheit und Lebensqualität der Bürger auswirken;

Zuweisung angemessener Mittel im Rahmen der Finanziellen Vorausschau 2007-2013 und insbesondere im Rahmen des siebten Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung (RP7) und Ausbau der europäischen Technologieplattformen;

Annahme eines ehrgeizigen gemeinschaftlichen Aktionsplans, dem ein konkreter Fahr- und Zeitplan beiliegt und der auf einem, durch die nationalen Aktionspläne ergänzten Ansatz beruht. Dadurch soll die notwendige Zustimmung aller gesellschaftlichen Akteure zu einer gemeinsamen Vision gewonnen werden;

Aufbau europäischer Infrastrukturen auf Spitzenniveau für Forschung und Technologietransfer, die auf marktgängige Innovationen ausgerichtet sind;

Optimierung der Regelungen bezüglich des geistigen Eigentums und Schaffung eines „Nano-IPR-Helpdesks“ auf europäischer Ebene, um den Bedürfnissen der Wissenschaftler, Unternehmen, Forschungszentren und v.a. der Zivilgesellschaft zu entsprechen;

Ausbau der internationalen Zusammenarbeit in ethischen und risikorelevanten Fragen, Sicherheit und Normen, Patente und Messtechnik;

Durchführung von Maßnahmen zur Entwicklung von Industrieprozessen im Bereich der N&N und zur Sensibilisierung in Bezug auf die Verwendung von N&N mittels Errichtung einer europäischen Informationsstelle (Clearing-House) für die Vermarktung der Erzeugnisse, den Technologietransfer und den Austausch bewährter Verfahren;

Aufbau eines ständigen Dialogs mit den Medien und der Öffentlichkeit auf soliden populär wissenschaftlichen Grundlagen, um den Bürgern die Gewissheit zu geben, dass die möglichen Gefahren für Gesundheit und Umwelt beherrscht werden, und um falsche Vorstellungen von den nanotechnologischen Entwicklungen zu vermeiden.

2.5   Die N&N in den neuen Mitgliedstaaten

2.5.1

Die Europäische Kommission hat im Laufe der vergangenen fünf Jahre ca. 30 Exzellenzzentren im Zusammenhang mit den verschiedenen thematischen Prioritäten des Rahmenprogramms für Forschung mit Gemeinschaftsmitteln unterstützt: Viele dieser im N&N-Bereich aktiven Zentren (14) sind an Universitäten, Forschungszentren und Unternehmen der neuen Mitgliedstaaten angebunden.

2.5.2

Der Ausschuss hält es für wichtig, dass die Gemeinsame Forschungsstelle sich auch weiterhin für die Unterstützung und Entstehung von Exzellenzzentren insbesondere im N&N-Bereich in den neuen Mitgliedstaaten und den Bewerberländern einsetzt, indem diese Thematik explizit in die Arbeitsprogramme aufgenommen wird.

2.5.3

Nach Auffassung des Ausschusses sollte die Kommission jedoch auch die Entwicklung europäischer Netzwerke für Innovation, Anwendung und Prototypanfertigung im N&N-Bereich insbesondere für kleinere Unternehmen fördern, die den weitaus größten Teil der industriellen Struktur Europas ausmachen.

2.5.4

Insbesondere sollten spezifische Dienstleistungsangebote vorgesehen werden, um Unternehmer beim Erkennen der Vorteile und der Notwendigkeiten bei N&N-Anwendungen zu helfen, und die Zahl erfolgreicher Initiativen — wie „Gate2Growth“ (15) und „MINANET“ (16) — sollte vervielfacht werden. Deshalb sind neue Möglichkeiten der Risikofinanzierung zu erschließen und über die bereits bestehenden Systeme hinaus zusätzliche Schutzsysteme auszumachen.

2.5.5

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass auch die Gemeinschaftsinitiative PHANTOMS für die Technologien der Informationsgesellschaft, ein Spitzenleistungs-Netzwerk für Nanotechnologien im Rahmen des Gemeinschaftsprogramms IST/FET, weiterentwickelt werden und größere Sichtbarkeit erhalten sollte.

2.5.6

Der Ausschuss ist ferner der Auffassung, dass die Forschungs- und Innovationsaktivitäten in den neuen Mitgliedstaaten und den Bewerberländern verstärkt zu fördern sind und dass Synergien mit den Initiativen EUREKA und COST — die bereits in vielen dieser Staaten durchgeführte N&N-Aktivitäten umfassen — entwickelt und erleichtert werden sollten.

2.6   Der internationale Rahmen

2.6.1

Die insgesamt von den Regierungen, den Unternehmen und der Finanzwelt weltweit getätigten Ausgaben im Bereich der N&N wurden im Januar 2005 auf ca. 7 Mrd. EUR jährlich veranschlagt (17) (mehr als die Hälfte dieser Mittel stammt aus öffentlichen Kassen), die sich geografisch folgendermaßen verteilen: Nordamerika 35 %, Asien 35 %, Europa 28 % und sonstige Räume 2 %.

2.6.1.1

Pro-Kopf-Ausgaben: während die Unterschiede bei öffentlichen Investitionen Ende der 90er Jahre noch sehr gering waren (ca. 1 EUR in den USA und Japan, 0,50 EUR in der EU), gaben die USA 2005 5 EUR pro Kopf, Japan 6,50 EUR und die EU 3,50 EUR aus. Prognosen für 2011 gehen von über 9 EUR pro Kopf in den USA und Japan, 6,50 EUR pro Kopf in der EU aus (18).

2.6.2

Die Ausgaben der Industrie betragen weltweit ca. 3 Mrd. EUR jährlich, wovon 46 % von Unternehmen in den USA, 36 % von Unternehmen in Asien, 17 % von europäischen Unternehmen und weniger als 1 % von Unternehmen in den übrigen Teilen der Welt aufgebracht wurden. Ca. 1.500 Gesellschaften wollen sich stark in der Forschung und Entwicklung bezüglich der N&N engagieren, davon sind 80 % — zu mehr als die Hälfte in den USA gelegene — Start-ups. Die Medienberichterstattung über den Themenbereich Nanotechnologien ist von 7.000 auf gegenwärtig 12.000 Berichte und Artikel gestiegen (19).

2.6.3

Die Regierung der USA hat in den fünf Jahren seit Ende 2000 bis heute über vier Mrd. Dollar in die Nanotechnologien investiert. Die Bush-Regierung hat allein für 2006 eine Mrd. Dollar für die N&N-Forschung im Rahmen der elf Forschungsagenturen auf Bundesebene beantragt. Wie im Bericht „5-Years Assessment on Nanotechnology Initiative“ von 2005 dargelegt wird, sind die USA anerkanntermaßen weltweit führend in der FuE im N&N-Bereich bei einem jährlichen öffentlichen und privaten Investitionsaufkommen von drei Mrd. Dollar, was in etwa einem Drittel der diesbezüglichen Ausgaben weltweit entspricht.

2.6.3.1

In den Bereichen Unternehmensgründungen, Veröffentlichungen und Patente sind die USA ebenfalls führend. Die Ausgaben für neues Wissen und neue Infrastrukturen auf Bundesebene, so heißt es, seien angemessen und umfangreich, was langfristig eine beträchtliche wirtschaftliche Ertragskraft ermögliche.

2.6.4

In Japan beliefen sich die jährlichen Ausgaben in 2003 auf ca. 630 Mio. EUR, die zu 73 % vom Bildungsministerium und zu 21 % vom Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie aufgebracht wurden. Die Forschung ist hauptsächlich auf Nanomaterialien ausgerichtet. Das Mitsui hat beschlossen, in den nächsten vier Jahren über 700 Mio. EUR in Form von Risikokapital in die Nanotechnologien zu investieren, im Rahmen des Fonds für entscheidende Technologien sollen ca. 30 Mio. EUR für die N&N-Forschung aufgebracht werden (20).

2.6.5

Taiwan, um im asiatischen Raum zu bleiben, sieht bis 2008 Investitionen von über 600 Mio. EUR jährlich vor, wobei ca. 800 Unternehmen im N&N-Sektor aktiv sind. Man rechnet damit, dass bis 2006 Erzeugnisse mit einem Wert von knapp 7,5 Mrd. EUR hergestellt werden, wobei die Anzahl der Unternehmen bis zum Jahr 2012 auf 1.500 bei einem Gesamtwert der Erzeugnisse von bis zu 25 Mrd. EUR — vor allem in verschiedenen Sektoren der Nanoelektronik — anwachsen soll.

2.6.5.1

Unerlässliche Voraussetzung für diesen Anstieg ist allerdings, dass Probleme im Bereich des geistigen und gewerblichen Eigentums gelöst werden.

2.6.6

Was Südkorea betrifft, so haben die Unternehmen des Landes mit als erste erfolgreich N&N-Produkte vermarktet (21). Das heimische Marktpotenzial für Nanotechnologien wird auf über 2 Mrd. EUR veranschlagt. Südkorea hat ein N&N-Programm mit einer Mittelausstattung von 168 Mio. EUR verabschiedet (das „Next Generation Core Development Program“), in dem u.a. Nanomaterialien, Nanokomposit-Materialien und Bio-Nanotechnologien Priorität haben.

2.6.7

In Australien sind in den letzten Jahren über 30 Unternehmen im N&N-Sektor entstanden, die Zuwachsrate liegt bei über 50 % im Jahr. Öffentliche und private Aufwendungen in N&N-Forschung betragen jährlich ca. 60 Mio. EUR und konzentrieren sich hauptsächlich auf neue Materialien, Bio-Nanotechnologie und Anwendungen im medizinisch-therapeutischen Bereich.

2.6.8

Bezüglich China wird in einer unlängst in Peking veröffentlichten Studie über die Entwicklung der Nanotechnologien in China im Zeitraum 2005-2010 mit einem Ausblick auf 2015 (22) dargelegt, dass China bezüglich der Registrierung neuer Unternehmen sowie der Veröffentlichungen und Patentierungen im N&N-Bereich zur Weltspitze gehöre und über einen Binnenmarkt für N&N-Erzeugnisse und -Systeme verfüge, der bereits jetzt auf über 4,5 Mrd. EUR veranschlagt wird, bis 2010 auf über 27 Mrd. EUR anwachsen soll und im Jahr 2015 über 120 Mrd. EUR betragen soll (23).

2.6.9

Der internationale Rahmen zeigt dem EWSA zufolge, wie wichtig ein proaktives Umfeld ist, das Forschung und Innovation in allen EU-Ländern fördert, um erfolgreich an den F&E-Investitionen dieses Sektors teilnehmen zu können.

3.   Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss betont seit jeher, dass die Erhöhung der FuE-Investitionen — in absoluten und relativen Zahlen — verstärkt vorangetrieben werden muss, um die 3 %-Ziele von Barcelona zu erreichen. Angesichts der internationalen Entwicklungen ist er der Auffassung, dass der N&N-Bereich dabei Priorität haben sollte.

3.1.1

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass ein solcher Einsatz viel weniger Früchte trägt, wenn er nicht im Rahmen einer starken europäischen Koordinierung der einzelstaatlichen und regionalen Forschungsprogramme bezüglich N&N — u.a. mittels des ERA-NET und des ERA-NET PLUS Systems (24) — stattfindet. Ferner sollten begleitende Maßnahmen zur Sensibilisierung und Förderung der Universitäten, Forschungszentren und Unternehmen mittels COST (25), ESF (26), EUREKA (27) durchgeführt sowie Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB) gewährt werden.

3.1.2

Nach Auffassung des Ausschusses sollte diese europäische Koordinierung und Zusammenarbeit auch die einzelstaatlichen Maßnahmen zum Aufbau von interdisziplinären Infrastrukturen und Kompetenz- und Exzellenzzentren im N&N-Bereich betreffen, damit diese — auch zur Steigerung von Synergien und zur Vermeidung von Doppelungen — europaweit vernetzt werden.

3.2   Auf Gemeinschaftsebene

3.2.1

Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass ein solcher gemeinschaftlicher Aktionsplan im Sinne der praktischen Durchführbarkeit und der Glaubwürdigkeit mit einem Zeit- und Terminplan ausgestattet sein muss, der Fortschritte in den folgenden Bereichen zwingender und besser überprüfbar macht:

Erhöhung der Investitionen in Forschung, Innovation und Ausbildung im N&N-Bereich sowohl auf Gemeinschaftsebene als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten und ihrer Regionen, die jedoch stets mit einer starken europäischen Koordinierung durch die Europäische Kommission und einem gesteigerten Einsatz der Industrie einhergeht;

Aufbau einer europäischen Koordinierungsstelle im Zuge des RP7, die als gemeinsame Anlaufstelle und ständiger proaktiver Ansprechpartner sowohl in der innergemeinschaftlichen Zusammenarbeit als auch im internationalen Dialog dient. Sie sollte über ein mit adäquaten Mitteln ausgestattetes Europäisches „Nano-Janus“-Zentrum (28) verfügen;

Ausbildung qualifizierter Humanressourcen mit multidisziplinären Profilen für Wissenschaft, Technik und Produktion sowie Verstärkung der für den neuen N&N-Ansatz empfänglichen Führungskräfte in der Industrie;

Gewährleistung der Akzeptanz und des Erfolgs der Nanowissenschaften und Nanotechnologien mittels eines sichtbaren und transparenten Dialogs mit der Zivilgesellschaft, nicht nur angesichts ihres Beitrags zur Wettbewerbsfähigkeit Europas, sondern auch zum Nutzen der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Bürger;

Konzeption von Verfahren zur Bewertung toxikologischer und umwelttoxikologischer Risiken und entsprechender Ausbildungsprogramme für ihre Realisierung bereits in der Planungsphase von Projekten und ihrer Anwendungen;

Erfassung der mit öffentlichen Mitteln zu realisierenden Forschungsvorhaben mithilfe von Systemen zur ethischen Überwachung, wie sie bereits für das Rahmenprogramm vorgesehen sind, und systematische Erhebung der ethischen Fragen, die im Zusammenhang mit den N&N auftreten können;

Wahrung eines angemessenen Gleichgewichts zwischen den Notwendigkeiten in punkto sozialer Entwicklung, wissenschaftlicher Verbreitung und Gesundheits- und Umweltschutz einerseits und den Anforderungen in Bezug auf geistiges und gewerbliches Eigentum andererseits.

3.2.2

Der Ausschuss setzt sich nachdrücklich für eine wesentliche Erhöhung der Investitionen in Forschung, Innovation und Ausbildung im Bereich der N&N auf Unionsebene — parallel zu und in enger Koordinierung mit den entsprechenden Vorhaben auf einzelstaatlicher und regionaler Ebene — ein.

3.2.2.1

Der Ausschuss weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Unterschied zu anderen Forschungsgebieten das Volumen der für den Bereich der N&N eingesetzten Gemeinschaftsmittel den Aufwendungen der Mitgliedstaaten entspricht (im Allgemeinen betragen die von der EU aufgebrachten Forschungsmittel etwa 4-5 % der europäischen Gesamtausgaben für die Forschung, 87 % davon werden hingegen von den Mitgliedstaaten aufgebracht).

3.2.3

Nach Auffassung des Ausschusses sollte im siebten Rahmenprogramm (2007-2013) für die thematische Priorität der N&N mindestens 10 % der für das spezifische Programm „Zusammenarbeit“ bestimmten Haushaltsmittel gewidmet werden.

3.2.3.1

Im Programm „Kapazitäten“ sollten KMU bezüglich Forschung und Innovation im N&N-Bereich sowie insbesondere in Bezug auf nanotechnologische Cluster, Exzellenznetze und Vorausplanung bei N&N entsprechend berücksichtigt werden.

3.2.3.2

Im spezifischen Programm „Menschen“ sollte die Ausbildung und Mobilität von Forschern im N&N-Bereich angemessen gefördert werden. Dies muss auch für die Aktivitäten der Gemeinsamen Forschungsstelle in Bezug auf Sicherheit und Normung sowie auf technologische Zukunftsforschung gelten.

3.2.4

Bezüglich des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation sollte es ab 2007 — im Rahmen seiner Mittelausstattung — möglich sein, Maßnahmen für die Ausbildung einer Unternehmenskultur im Sinne der Übernahme von N&N-Forschung zu finanzieren.

3.2.5

Der Ausschuss befürwortet nachdrücklich die Entwicklung europäischer Technologieplattformen — nach dem Vorbild der bereits bestehenden Plattformen für Nanoelektronik oder Nanomedizin. Solche Plattformen sind ein besonders geeignetes Instrument zur Mobilisierung aller öffentlichen und privaten Akteure in den verschiedenen Bereichen (Wissenschaft, Ausbildung, Technologie, Industrie und Finanzen) für gemeinschaftliche, einzelstaatliche/regionale oder gemeinsame Projekte und Initiativen auf der Grundlage einer geteilten und gemeinsamen Vision und Vorausplanung (foresight).

3.2.6

Investitionen in eine hochmoderne Aus- und Weiterbildung sind für den Ausschuss von grundlegender Bedeutung. Die neuen Gemeinschaftsprogramme für die Zeit nach 2006 sollten ausdrücklich Aktionslinien zum interdisziplinären Ausbau der N&N enthalten.

3.2.7

Die Kommission sollte die industrielle Verwertung der N&N erleichtern, indem sie bis 2007 im Rahmen des N&N-Arbeitsprogramms des RP7:

einen vom Ausschuss bereits in seiner vorherigen Stellungnahme zu den N&N vorgeschlagenen „Nano-IPR-Helpdesk“ einrichtet;

eine europäische Informationsstelle (Clearing-House) für den Austausch bewährter Verfahren und zur Überwachung der Patente und der neuen Anwendungen auf dem Weltmarkt errichtet;

eine digitale Bibliothek einrichtet, wie dies in der Mitteilung, die der vorliegenden Stellungnahme zugrunde liegt, vorgesehen ist;

CEN/STAR (29)-Ausschreibungen zu Projekten prä- und konormativer technologischer Forschung durchführt;

Pilotaktionen im Bereich der Demonstration zur industriellen Anwendung von N&N realisiert.

3.2.8

Die Kommission sollte schon jetzt die Überwachung ethischer Fragen stärken, um eine systematische Erfassung der ethischen Fragen zu gewährleisten, die sich im Zusammenhang mit N&N — insbesondere in den Bereichen Medizin, Landwirtschaft und Lebensmittel sowie Kosmetik — ergeben könnten.

3.3   Auf Ebene der Mitgliedstaaten

3.3.1

Der Ausschuss weist darauf hin, dass der Aktionsplan durch nationale Aktionspläne flankiert werden muss, die innerhalb des ersten Halbjahrs 2006 dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission vorgelegt werden sollten. Ziel ist es, Konvergenzen und Synergien in den Bereichen Infrastrukturen, Bildung und Ausbildung, normen- und patentspezifische Standardisierung sowie Risikobewertung und schließlich Dialog mit der Zivilgesellschaft, den Verbrauchern und den Medien — zu gewährleisten.

3.3.2

Die Mitgliedstaaten sollten nach Ansicht des Ausschusses einen größeren Anteil der zur Verfügung stehenden öffentlichen und privaten Investitionsmittel für die N&N widmen und dem EP und dem Rat regelmäßige Fortschrittsberichte bezüglich der Investitionen und der Umsetzung der nationalen Aktionspläne vorlegen.

3.3.3

Diese Berichte sollten in den zweijährigen gemeinschaftlichen Bericht aufgenommen werden, und insbesondere auf folgende Punkte eingehen:

Schaffung eines regulatorischen und rechtlichen Umfelds, das förderlich ist in Bezug auf: den neuen industriellen Zyklus von N&N-Anwendungen, neue Unternehmenskonzeptionen, neue Qualifikationsmerkmale und Anforderungen bezüglich der Ausbildung von Unternehmern, Arbeitnehmern und Technikern, die Normen, die Zertifizierung der Erzeugnisse und schließlich die Beachtung ethischer Fragen und der Transparenz in diesem Bereich, insbesondere im Zusammenhang mit der medizinisch-wissenschaftlichen Ausbildung, der Zugänglichkeit und der Gleichberechtigung;

Förderung innovativer Anwendungen der N&N in der Fläche mittels Aufbau eines Netzwerks von Laboratorien zur Prototypanfertigung, zur Zertifizierung und zur Risikobewertung, das für alle Unternehmen, Einrichtungen, Hochschulen und Forschungszentren zugänglich ist. Zu diesem Zweck sind finanzielle Maßnahmen für Unternehmensgründungen und im Bereich des Risikokapitals — insbesondere in den vom Kohäsionsfonds geförderten Regionen — erforderlich. Ferner müssten Zentren zur Information über Chancen und Risiken der N&N aufgebaut werden;

Lancieren von Aktionen, die die Entstehung einer „N&N-Kluft“, vor allem in den Fördergebieten der Struktur- und des Kohäsionsfonds und in Inselgebieten sowie in Gebieten in Randlagen, verhindern sollen. Dabei sind auch Maßnahmen vorzusehen, die der Abkoppelung weniger entwickelter Drittländer von der Entwicklung der N&N vorbauen sollen.

3.3.4

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten gezielte Maßnahmen zur Wahrung eines angemessenen Gleichgewichts zwischen zwei Erfordernissen ergreifen müssen: der Notwendigkeit der Zusammenarbeit, der raschen wissenschaftlichen und anwendungsspezifischen Verbreitung im Sinne des Gesundheits- und Umweltschutzes einerseits und den Anforderungen in punkto Schutz von Erfindungen sowie des geistigen und gewerblichen Eigentums andererseits.

3.3.5

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass sich auch hier der Mangel eines Gemeinschafts-Patents und eines einheitlichen gemeinschaftlichen Patentrechts nachteilig bemerkbar macht. Dies betrifft sowohl z.B. die Frage, in welchen Mitgliedstaaten Erfindungen im Bereich der Bio-Nanotechnologie patentierbar sind, als auch den einfachen Zugang interessierter Akteure zu Informationen über neue Erfindungen und Patente.

3.4   Auf internationaler Ebene

3.4.1

Der Ausschuss unterstützt die im Aktionsplan vorgeschlagenen Ausrichtungen bezüglich des Aufbaus der Zusammenarbeit und des strukturierten Dialogs auf internationaler Ebene voll und ganz. Er empfiehlt allerdings, sie durch folgende Vorschläge zu ergänzen:

regelmäßige Veranstaltung von internationalen Foren unter der Schirmherrschaft der EU zur Förderung des Dialogs, des Austausches und der Kommunikation mit dem Zweck, die internationale wissenschaftliche, industrielle und akademische Gemeinschaft zu stärken;

Entwicklung europäischer Führungsqualitäten zur Förderung von Initiativen im Bereich gemeinsamer Erklärungen und Verhaltenskodizes im Sinne eines verantwortlichen Einsatzes und einer verantwortlichen Entwicklung der N&N;

Aufbau eines elektronischen Archivs der EU bis 2008 für wissenschaftliche und technische Veröffentlichungen zu weltweiten Nanoprodukten;

Aufnahme von Maßnahmen zum Kapazitätsaufbau der Mittler in den Entwicklungsländern, zur Ausbildung des wissenschaftlichen Personals und zur Förderung der Aufgeschlossenheit lokaler Stellen gegenüber den Nanotechnologien in die Leitlinien der europäischen Entwicklungszusammenarbeit. Dadurch soll die Entstehung einer „N&N-Kluft“ (Abkoppelung von der Entwicklung nanospezifischen Wissens) verhindert werden;

Freisetzung benutzerfreundlicher Synergien mit europäischen — z.B. EUREKA — und internationalen Initiativen — wie Human Frontiers.

3.5   Auf Ebene der Unternehmen, der Arbeitswelt und der Zivilgesellschaft

3.5.1

Nach Auffassung des Ausschusses können die Unternehmen, insbesondere KMU, großen Nutzen ziehen aus den Forschungsaktivitäten im N&N-Bereich und ihrer Verbreitung zum Zweck des Technologietransfers, vor allem mittels Ergänzung und Übernahme von Energiespar- und Umweltschutztechnologien, Nanotechnologien im Bereich der Informatik und neuer Materialien für den Einsatz bei Prozessen, Produkten und Dienstleistungen sowie konvergierender Technologien (Nano-Bio-Info).

3.5.2

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die europäische Industrie ihren Einsatz bezüglich Forschung und Anwendung im Bereich der N&N vervielfachen und beschleunigen und zumindest das Investitionsniveau der fortschrittlichsten Wettbewerber erreichen muss. Dieser Einsatz sollte durch die Schaffung eines günstigen regulatorischen und rechtlichen Umfelds sowohl auf gemeinschaftlicher, als auch auf einzelstaatlicher/regionaler Ebene maßgeblich unterstützt werden.

3.5.3

Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass ein solcher Ansatz, der eine umfassende Einbeziehung der Unternehmen vorsieht, für die Forschung und Entwicklung und für die Anwendung von N&N von grundlegender Bedeutung ist, sofern unterstützende Maßnahmen auf europäischer und auf nationaler/regionaler Ebene sowie vor allem im Verbund mit folgenden Zielsetzungen vorgesehen werden:

Gewährleistung transparenter, einfacher und klarer Informationen im Rahmen der Erkundung von Forschungsergebnissen („Nanotechnology Scouting“), die für Arbeitnehmer, Techniker, Verbraucher, Umwelt und Gesundheit permanent und sicher anwendbar sind. Diese Ergebnisse müssen durch eine Bescheinigung über die umfassende Akzeptanz durch Gesellschaft und Markt abgesichert werden;

Konzeption von Ausbildungsmaßnahmen, die auf die Probleme des Unternehmertums, insbesondere im Bereich der Kleinunternehmen, zugeschnitten sind und den Zweck der Übernahme und des bewussten und verantwortungsvollen Einsatzes von N&N gemäß den Anforderungen der neuen Produktionsprozesse in Anwendung von N&N verfolgen (30);

Förderung von interdisziplinären Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen des technischen und wissenschaftlichen Personals bezüglich neuer betrieblicher Konzepte und Organisationsformen zur Anwendung neuer Produktionsprozesse und entsprechender Dienstleistungen im N&N-Bereich und zu erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung toxikologischer und ökotoxikologischer Risiken;

eindeutig vorab die Möglichkeiten und Grenzen des geistigen und gewerblichen Eigentums aufzeigen zur Gewährleistung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Zusammenarbeit und Wettbewerb, Produktionsgeheimnis und Verbreitung der Fortschritte im N&N-Bereich, Veröffentlichung und freier Informationsaustausch über die neuen Kenntnisse in der europäischen und internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft und Schutz der Rechte des geistigen Eigentums;

Erleichterung des Zugangs von Unternehmen, insbesondere von KMU oder von Unternehmen in Insel- und Randgebieten, zu den Instituten des GFS (31), zu den Laboratorien der Prototypanfertigung und den Einrichtungen für die Zertifizierung, Messung und Erprobung. Ebenfalls von Bedeutung ist der Zugang zu den nationalen und europäischen Einrichtungen technischer Normierung, die zum Zweck der Erarbeitung international anerkannter und akzeptierter Normen auszubauen sind;

im Bereich der EIB und des EIF, des Rahmenprogramms für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (32) sowie der gemeinschaftlichen Strukturfonds den Zugang der Unternehmen, insbesondere KMU, zu finanzieller Unterstützung, zu Kapital für Unternehmensgründungen und zu Risikokapital sowie zu Maßnahmen zur Förderung von „Spin-offs“ im Hochschulbereich erleichtern. Dadurch soll die Entstehung neuer Unternehmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen im Bereich der N&N und die Bildung von Netzwerken für Einkauf, Produktion und Vertrieb und für Dienstleistungen im N&N-Bereich gefördert werden;

Ausbau der Kontakte zwischen Universitäten, Forschungszentren und Unternehmen, insbesondere KMU mittels gemeinsam verwalteter Kompetenzzentren für die verschiedenen Anwendungsbereiche, mittels Einfügung von Nanotechnologieexperten in das betriebliche Umfeld sowie auch mittels Ausbildungsmaßnahmen im Rahmen der neuen, im Marie-Curie-Programm vorgesehenen Aktionen.

3.5.4

Der Ausschuss betont, dass vor allem im N&N-Bereich die Arbeitnehmer und die technischen und wissenschaftlichen Führungskräfte die Stärke der sozial verantwortlichen europäischen Unternehmen ausmachen.

3.5.4.1

Der Ausschuss unterstreicht die Bedeutung diesbezüglicher Maßnahmen zur Gewährleistung sicherer Produktionsbedingungen und –prozesse sowie sinnvoller Ausbildungsmaßnahmen für Humanressourcen, vor allem in den Sektoren Diagnostik und medizinische Therapeutik. Dabei sollten insbesondere Aspekte der Prävention und der Folgenabschätzung von Risiken — auch mithilfe von auf europäische Ebene geprüfter technischer Handlungsanleitungen — berücksichtigt werden.

3.5.4.2

Die Auswirkung der für die industrielle Anwendung von N&N erforderliche neue Organisation der Arbeit sowie die Erfordernisse in punkto Ausbildung, Sicherheit und Gesundheitsschutz sollte gründlich bewertet werden und Gegenstand von Studien sein, die von der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin zu erarbeiten sind.

3.5.5

Der europäische Dialog mit allen Beteiligten in Sachen „Nano“ sollte bis zum Jahr 2007 strukturiert werden mittels Schaffung einer Institution oder eines beratenden Forums, das über nötige Öffentlichkeitswirkung und Transparenz verfügen sollte, um gegenüber den Medien und der Zivilgesellschaft als kompetenter und akzeptierter Mittler fungieren zu können.

3.5.6

Erfolgreiche Pilotaktionen zur Sensibilisierung der Bürger sollten bis 2007 dauerhafte Gestalt annehmen, von Anfang an auf der Europa-Website zugänglich sein und anderen Institutionen der EU übermittelt werden, insbesondere dem EP und dem Rat. Ferner muss mit der jährlichen Verleihung eines „interdisziplinären Preises für N&N“ anlässlich der „Europäischen N&N-Woche“ ab 2008 für internationale Resonanz gesorgt werden.

3.5.7

Die Kommission sollte bis 2007 konsolidierte Verfahren zur Feststellung von Risiken bei der Anwendung und/oder dem Einsatz von N&N sowie bis zum ersten Halbjahr 2008 diesbezügliche europäische Leitlinien vorlegen.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. C 157 vom 28.6.2005.

(2)  Siehe ebenda.

(3)  Interview mit dem Kommissionsmitglied BUSQUIN (Zusammenfassung in IP/04/820 vom 29. Juni 2004).

(4)  Vgl. Fußnote 2.

(5)  Zentrum für Mikro- und Nanoelektronik am Polytechnikum in Mailand, Prof. Alessandro Spinelli.

(6)  Ebd.

(7)  Die Investitionen in die Nanoelektronik belaufen sich heute auf 6 Mrd. EUR, die sich wie folgt verteilen: 1/3 für Nano und Mikro, 1/3 für die Diagnostik, 1/3 für die Materialien (Quelle: Europäische Kommission, GD Forschung).

(8)  Von Griechisch mimesis – das Nachahmen der Natur.

(9)  Z.B. die selbstständige Fortbewegung der Spermatozoen.

(10)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(11)  Vgl. „Nanotechnologies and nanosciences, kwowlegde-based multifunctional materials & new production processes and devices“, vorgestellt auf dem „Euronanoforum“ im September 2005 in Edinburgh.

(12)  KOM(2005) 243 endg. und KOM(2005) 24 endg.

(13)  ABl. C 157 vom 28.6.2005

(14)  Zu den wichtigsten Exzellenzzentren gehören: das Zentrum für Molekularforschung DESMOL, das Zentrum für Hochdruck und das Forschungszentrum CELDIS des Physikalischen Instituts der polnischen Akademie der Wissenschaften, das Forschungszentrum KFKI-CMRC und das „Forschungsinstitut für Festkörperphysik und Optik“ der ungarischen Akademie der Wissenschaften, das „Centre for Advanced Material Research and Technology (CAMART)“ des Instituts für Festkörperphysik der Universität von Lettland.

(15)  Die Gemeinschaftsinitiative „Gate2Growth“ bietet eine Reihe von Dienstleistungen und Netzwerken für die Beschleunigung und Kostensenkung beim Zugang zu Investitionen für neue innovative Unternehmen mittels thematischer paneuropäischer Netze für Investoren und Vermittler, wie z.B. I-TecNet.

(16)  MINANET ist eine über das Internet zugängliche Datenbank zu europäischen Forschungsprojekten in den Bereichen Mikrosysteme und Nanotechnologie. Diese Datenbank umfasst N&N-Projekte, die in der Tschechischen Republik, in Polen, der Slowakei, Ungarn, Bulgarien, Litauen, Lettland, Zypern und Rumänien entwickelt wurden.

(17)  Lux Research and Technology Review on Nanotechnology 2005.

(18)  Siehe http://cordis.europa.eu.int/nanotechnology, Europäische Kommission, GD Forschung, Referat G 4 (8.12.2005).

(19)  Lux Research and Technology Review on Nanotechnology 2005..

(20)  Was die privaten Investitionen in N&N betrifft, geben ca. 60 japanische Unternehmen schätzungsweise 170 Mio. EUR jährlich für die nanotechnologische FuE aus, die jährlichen Zuwachsraten liegen seit 2003 bei 20 %.

(21)  Samsung hatte bereits 2002 Flash Memory Chips mit 90 nanometrischen Komponenten auf den Markt gebracht.

(22)  Beijin Report 2005 on Nanotech Development to 2010-2015.

(23)  Die Weltmarktquote Chinas wird laut dieser Studie im Jahr 2010 über 6 % und 16 % in 2015 betragen. Die erhebliche Zunahme von Fertigerzeugnissen wird aber stark von anwendungsspezifischen Konvergenzen der Nano-Bio-Technologien und von anwendungsorientierten Forschungen der drei großen nationalen Forschungszentren und der über 20 im N&N-Bereich tätigen Institute abhängen.

(24)  Europäischer Forschungsraum: Zusammenarbeit und Koordinierung der einzelstaatlichen und regionalen Forschungsaktivitäten. Das mit 148 Mio. EUR ausgestattete ERA-NET-Programm sieht bis Ende 2005 halbjährliche Ausschreibungen für Projekte vor, an denen Rechtspersönlichkeiten aus mindestens drei Mitgliedstaaten beteiligt sein müssen. Für die nächsten Jahre wurde ERA-NET Plus lanciert, das in Bezug auf das vorhergehende Programm ausgebaut wurde.

(25)  COST: Europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der wissenschaftlichen und technischen Forschung.

(26)  ESF: Europäische Wissenschaftsstiftung (European Science Foundation).

(27)  EUREKA: Europäische Initiative zur Entwicklung marktgängiger Technologien.

(28)  Siehe das 2003 in den USA mit dem Gesetz zur Förderung der Nanotechnologien eingerichtete „National Nanotechnology Coordination Office“.

(29)  CEN: Europäisches Komitee für Normung. STAR: Normung und Forschung.

(30)  Der EWSA begrüßt die von der DG Forschung herausgegebenen und verbreiteten Veröffentlichungen in Papierform oder auf CD sowie das darin enthaltene, für interessierte Laien konzipierte pädagogische Material.

(31)  GFS = Gemeinsame Forschungsstelle.

(32)  Vgl. Stellungnahme CESE INT/270, Berichterstatter: Herr Welschke, Mitberichterstatterin: Frau Fusco.


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/10


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Themen

„Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das von der Gemeinsamen Forschungsstelle innerhalb des 7. Rahmenprogramms der Europäischen Gemeinschaft (2007-2013) im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration durch direkte Maßnahmen durchzuführende spezifische Programm“

„Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das spezifische Programm ‚Zusammenarbeit‘ zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms (2007-2013) der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration“

„Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das spezifische Programm ‚Ideen‘ zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms (2007-2013) der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration“

„Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das spezifische Programm ‚Menschen‘ zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms (2007-2013) der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration“

„Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das spezifische Programm ‚Kapazitäten‘ zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms (2007-2013) der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration“

„Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das von der Gemeinsamen Forschungsstelle innerhalb des 7. Rahmenprogramms (2007-2011) der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Kerntechnik durch direkte Maßnahmen durchzuführende spezifische Programm“

„Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über das spezifische Programm zur Durchführung des 7. Rahmenprogramms (2007-2011) der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Kerntechnik“

KOM(2005) 439, 440, 441, 442, 443, 444, 445 endg.

(2006/C 185/02)

Der Rat beschloss am 14. November 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 166 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 28. März 2006 an. Berichterstatter war Herr WOLF, Mitberichterstatter Herr PEZZINI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 132 Ja-Stimmen bei 2 Nein-Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Die Vorschläge der Kommission betreffen die Forschungsinhalte bzw. Forschungsthemen der vom Ausschuss bereits kommentierten Vorschläge der Kommission zum 7. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung (2007-2013) und zum 7. Rahmenprogramm Euratom (2007-2011). Die hier vorliegende Stellungnahme des Ausschusses ist dementsprechend eine Ergänzung der bereits vorgelegten Stellungnahme zu den beiden Rahmenprogrammen.

1.2

Dort hatte der Ausschuss empfohlen, die von der Kommission vorgeschlagenen, dringend benötigten Investitionen in Forschung und Entwicklung in vollem Umfang zur Verfügung zu stellen und nicht zum Spielball oder Opfer der Verhandlungen um den zukünftigen Gesamthaushalt der EU werden zu lassen.

1.3

Das in der Lissabon-Strategie formulierte Ziel, Europa zum führenden Wirtschaftsraum auszubauen, erfordert nämlich eine deutliche Verstärkung der Investitionen in Forschung und Entwicklung. Hier steht Europa in globalem Wettbewerb nicht nur mit Staaten wie USA, Japan und Korea, sondern auch mit China, Indien und Brasilien. Gerade haben die USA und Japan Investitionen in F&E als nationale Priorität zur Stärkungen ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit formuliert und die entsprechenden Mittel bereitgestellt. Das in Unterstützung der Lissabon-Strategie vom Rat in Barcelona beschlossene und noch nicht erreichte Ziel, 3 % des Bruttosozialprodukts der EU in Forschung und Entwicklung zu investieren, ist also angesichts der weitergehenden globalen Entwicklungen ein „Moving Target“. Wer es zu spät erreicht, ist immer noch nicht vorne.

1.4

Angesichts des inzwischen vom Rat beschlossenen EU-Gesamthaushalts und dessen Auswirkungen auf das Forschungsbudget bekräftigt der Ausschuss daher seine weitere diesbezügliche Empfehlung, dem Thema Forschung und Entwicklung einen gegenüber bisher deutlich höheren Anteil — nämlich rund 8 % — zuzuordnen, und den im Ratsbeschluss vorgesehenen Aufwuchs schon frühzeitig zu beginnen und keinesfalls erst in sieben Jahren zu verwirklichen.

1.5

Kernstück der Vorschläge der Kommission ist das Spezifische Programm „Zusammenarbeit“. Der Ausschuss unterstützt die Förderung der darin enthaltenen wichtigen Forschungsthemen wie Energie, Gesundheit, Informationstechnologie, Nanotechnologie, Umwelt, Verkehr und Sozial-, Wirtschafts-, und Geisteswissenschaften, sowie die neuen Themen Weltraum und Sicherheit. Dies wird in Kapitel 4 ausführlich kommentiert, wobei in Einzelfällen auch relative Verstärkungen empfohlen werden.

1.6

Der Ausschuss empfiehlt generell, keine starre budgetäre Zuordnung zu den verschiedenen Themen vorzunehmen, sondern größtmögliche Flexibilität zu ermöglichen. Damit soll sicher-gestellt werden, dass die Kommission während der Programmdurchführung auf zwischenzeitlich erkennbare Akzentverschiebungen, auf neu auftauchende Fragen oder, wegen des Querschnittscharakters vieler Programmthemen, auf erforderlich werdende Umstrukturierungen zügig und ohne weitere politische Schritte reagieren kann.

1.7

Der Ausschuss wiederholt seine Unterstützung zum Spezifischen Programm „Ideen“. Er sieht dessen Herausforderung — neben einer angemessenen Ausstattung — primär im Auswahlverfahren der Förderanträge und im Management des Programms. Er begrüßt, dass diese anspruchsvolle Aufgabe in die Hände des autonomen Europäischen Forschungsrats EFR (European Research Council, ERC) gelegt werden soll.

1.8

Der Ausschuss hat mehrfach betont, dass der Schlüssel zu erfolgreicher und wettbewerbsfähiger europäischer Forschung und Entwicklung, neben hochwertiger apparativer Ausstattung, finanzieller Unterstützung und adäquaten Rahmenbedingungen, in einer ausreichenden Anzahl hochqualifizierter, kreativer Wissenschaftler liegt. Das Spezifische Programm „Menschen“ adressiert jene Maßnahmen, mit denen die Kommission diesem Ziel näher kommen möchte. Diese Maßnahmen werden vom Ausschuss mit Nachdruck unterstützt. Der Ausschuss verweist zudem auf seine früheren Bemerkungen zu der von der Kommission veröffentlichten Europäischen Charta für Forscher.

1.9

Das Spezifische Programm „Kapazitäten“ ist ein besonders gutes Beispiel für die subsidiären Aufgaben der Gemeinschaft. Dies betrifft insbesondere jene Forschungsinfrastrukturen (wie Großgeräte, wissenschaftliche Instrumente, Rechner, etc.) deren Aufwand und Nutzbarkeit die Fähigkeiten eines einzelnen Mitgliedstaats übersteigt. Aber auch das dort angesiedelte Teilprogramm „Forschung zu Gunsten von KMU“ entspricht früheren Empfehlungen des Ausschusses, KMU stärker in den Innovationsprozess einzubinden.

1.10

Der Ausschuss verweist abschließend auf seine frühere Empfehlung, den seitens der Antragsteller erforderlichen administrativen Aufwand drastisch zu reduzieren, die Verfahren zu vereinfachen, sowie gleichzeitig ein Höchstmaß an Kontinuität bezüglich Förderinstrumenten und Vergabeprozeduren zu gewährleisten.

2.   Einleitung

2.1

Die von der Kommission unterbreiteten, in sieben getrennten Dokumenten enthaltenen Vorschläge ergänzen den Vorschlag der Kommission (1) zum 7. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung (2007-2013) und zum 7. Rahmenprogramm Euratom (2007-2011), und sie liefern detaillierte Informationen über die Forschungsinhalte bzw. Forschungsthemen der vorgesehenen Fördermaßnahmen.

2.1.1

Dementsprechend handelt es sich bei der hier vorliegenden Stellungnahme des Ausschusses um eine ergänzende, kompakte Ausgestaltung der bereits für die Beschlussfassung zum 7. Rahmenprogramm Forschung und Entwicklung (2007-2013) und zum Euratom-Programm (2007-2011) vorgelegten Stellungnahme  (2) samt deren Anmerkungen und Empfehlungen.

2.1.2

Daher geht es in der hier vorliegenden Stellungnahme primär um Forschungsinhalte, nicht um Strukturen und Instrumente. So wird z.B. auf die wichtige Frage der Optimierung des Innovationsdreiecks „Grundlagenforschung, angewandte Forschung und Entwicklung“ nicht erneut eingegangen, ebenso wenig auf die Empfehlung, dass die das Programm betreuenden Beamten der Kommission auch in Zukunft forschungserfahrene und mit dem jeweiligen Fachthema bestens vertraute Experten sein sollten, was eine ausreichende personelle Kontinuität erfordert. Diese Gesichtspunkte wurden bereits in vorangegangenen Stellungnahmen (3) ausführlich behandelt.

2.1.3

Allerdings soll hier gleich eingangs auf einen wichtigen Gesichtspunkt eingegangen werden, der die budgetäre Zuordnung zu den bzw. Untergliederung der einzelnen Programmelemente betrifft. Dazu hatte der Ausschuss bereits empfohlen, hier größtmögliche Flexibilität anzuwenden, um während der Programmdurchführung seitens der Kommission auf zwischenzeitlich erkennbare Akzentverschiebungen, neu auftauchende Fragen oder wegen des Querschnittscharakters vieler Programmthemen erforderlich werdende Umstrukturierungen zügig und ohne weitere politische Schritte reagieren zu können.

2.2

Für die Budgets der beiden Rahmenprogramme hatte die Kommission eine Steigerung auf insgesamt 72,7 (4) Mrd. EUR vorgeschlagen. Dies läge noch immer unter 8 % des vorgeschlagenen EU-Gesamtbudgets 2007 — 2013 in Höhe von 1.025 Mrd. EUR. In seiner obengenannten Stellungnahme zum 7. FTE-Rahmenprogramm hatte der Ausschuss empfohlen, die von der Kommission vorgeschlagenen, dringend benötigten Investitionen in Forschung und Entwicklung in vollem Umfang zur Verfügung zu stellen und nicht zum Spielball oder Opfer der Verhandlungen um den zukünftigen Gesamthaushalt der EU werden zu lassen.

2.2.1

Allerdings hat sich der Europäische Rat am 19. Dezember 2005 auf ein EU-Gesamtbudget von nur 862,4 (5) Mrd. EUR geeinigt. Dementsprechend könnte auch das EU-Forschungsbudget deutlich niedriger ausfallen (6) als von der Kommission vorgeschlagen, allerdings sollten „nach dem Dafürhalten des Europäischen Rates  (7) die EU-Mittel für Forschung so aufgestockt werden, dass die verfügbaren Mittel im Jahr 2013 real etwa 75 % mehr betragen als 2006“. Dazu wird die Kommission einen dieser Vorgabe entsprechenden, revidierten Vorschlag erarbeiten. Der politische Entscheidungsprozess zu den beiden Rahmenprogrammen ist also noch nicht abgeschlossen.

2.2.2

Das in der Lissabon-Strategie formulierte Ziel, Europa zum führenden Wirtschaftsraum auszubauen, erfordert nämlich eine deutliche Verstärkung der Investitionen in Forschung und Entwicklung. Hier steht Europa in globalem Wettbewerb nicht nur mit Staaten wie USA, Japan und Korea, sondern auch mit China, Indien und Brasilien. Gerade haben die USA und Japan Investitionen in F&E als nationale Priorität zur Stärkungen ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit formuliert und die entsprechenden Mittel bereitgestellt. Das in Unterstützung der Lissabon-Strategie vom Rat in Barcelona beschlossene und noch nicht erreichte Ziel, 3 % des Bruttosozialprodukts der EU in Forschung und Entwicklung zu investieren, ist also angesichts der weitergehenden globalen Entwicklungen ein „Moving Target“. Wer es zu spät erreicht, ist immer noch nicht vorne.

2.3

Angesichts dieser gegenwärtigen Sachlage hält es der Ausschuss für notwendig, nochmals aus seiner obengenannten Stellungnahme zu zitieren und erneut darauf hinzuweisen, dass (1.) ausreichend geförderte, effiziente und exzellente Forschung und Entwicklung die entscheidende Basis und Voraussetzung für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand sind, und damit auch für kulturelle Entfaltung und soziale Leistungen, dass (2.) der Vorschlag der Kommission (…) der längerfristig noch zu steigernde Mindesteinsatz ist in dem Bemühen, die Position Europas, der Wiege der modernen Wissenschaft und Technik, nicht aufs Spiel zu setzen, sondern zu erhalten und zu stärken und dass (3.) die Ziele von Lissabon ohne diesen Einsatz selbst längerfristig nicht erreichbar sind.

2.4

Der Ausschuss wiederholt zudem seinen Hinweis, dass europäische Kooperation in Forschung und Entwicklung ein wirksamer Katalysator europäischer Integration und Kohäsion ist. Dies ist gerade in einer Phase, in welcher die Europäische Union mit der Akzeptanz ihrer Verfassung seitens der Bürger ringt, ein besonders wichtiger Gesichtspunkt. Nicht zuletzt sind ausreichende Forschung und Entwicklung nicht nur für die Ziele von Lissabon von entscheidender Bedeutung, sondern auch zur Lösung der anstehenden Fragen und Probleme z.B. bei den Themen Gesundheit, Energieversorgung, Umwelt etc.

2.5

Der Ausschuss bekräftigt also seine Empfehlung, innerhalb des beschlossenen EU-Gesamtbudgets dem Thema Forschung und Entwicklung einen gegenüber bisher deutlich höheren Anteil — nämlich rund 8 % — zuzuordnen, und den im Ratsbeschluss vorgesehenen Aufwuchs schon frühzeitig zu beginnen und nicht erst in sieben Jahren zu verwirklichen.

2.6

Der Ausschuss hat den Vorschlag der Kommission (8) zur Kenntnis genommen, ein Europäisches Technologieinstitut (EIT) einzurichten. Ohne sich an dieser Stelle schon jetzt inhaltlich zu diesem Vorschlag zu äußern, sei hier nur angemerkt, dass die dazu erforderlichen Kosten keinesfalls zu Lasten des Budgets für die hier diskutierten „Spezifischen Programme“ aufgebracht werden sollten.

2.7

Der Ausschuss verweist zugleich auch auf seine frühere Empfehlung, den seitens der Antragsteller erforderlichen administrativen Aufwand drastisch zu reduzieren, die Verfahren zu vereinfachen, sowie gleichzeitig ein Höchstmaß an Kontinuität bezüglich Förderinstrumenten und Vergabeprozeduren zu gewährleisten. Der Ausschuss wird sich zu diesem Punkt noch ausführlicher äußern, wenn er sich mit den Vorschlägen der Kommission zu den „Beteiligungsregeln“ (9) befassen wird.

3.   Inhalt der Vorschläge der Kommission (10)

3.1

Die Vorschläge der Kommission umfassen und spezifizieren den gesamten Bereich dessen, was innerhalb des 7. Rahmenprogramms sowie des Euratom-Programms geforscht und entwickelt werden soll — also die Gesamtheit der Forschungsthemen, Inhalte, Methoden und Hilfsmittel. Zudem wird vorgeschlagen, welchen Beitrag die Gemeinsame Forschungsstelle dazu leisten soll. Darüber hinaus werden Maßnahmen dargelegt, um das erforderliche Humanpotenzial zu gewinnen und zu stärken. Es handelt sich um insgesamt sieben Dokumente der Kommission, die mit einer großen Fülle von Informationen auch die einzelnen dazugehörigen Teilprogramme darlegen.

3.2

Zusammengefasst lassen sich diese wie folgt strukturieren, wobei die angeführten Prozentzahlen den jeweiligen Anteil am Gesamtbudget angeben:

A — zum Rahmenprogramm F&E (Gesamtbudget 72.726 Mio. EUR) 2007 — 2013

Zusammenarbeit

61,1%

Ideen

16,3%

Menschen

9,8%

Kapazitäten

10,3%

Maßnahmen der Gemeinsamen Forschungsstelle außerhalb des Nuklearbereichs

2,5%

B — zum Rahmenprogramm Euratom (Gesamtbudget 3.092 Mio. EUR) 2007 — 2011

Fusionsforschung

69,8%

Kernspaltung und Strahlenschutz

12,8%

Maßnahmen der Gemeinsamen Forschungsstelle im Nuklearbereich

17,4%

3.3

Eine ausführliche Darlegung der Kommissionsvorschläge findet sich in Kapitel 3 der Stellungnahme zum 7. FTE-Rahmenprogramm (CESE 1484/2005)

4.   Bemerkungen des Ausschusses

4.1

Die folgenden Bemerkungen basieren auf den Aussagen der Kapitel 4 — 6 der obengenannten Stellungnahme zum 7. FTE-Rahmenprogramm und sind ohne deren Kenntnis schwer verständlich.

4.1.1

Der Ausschuss unterstützt die Kommission in ihrer Absicht, dem Querschnittscharakter vieler Programmelemente Rechnung zu tragen sowie durch themenübergreifende Ansätze Multidisziplinarität zu fördern.

4.1.2

Dazu hat der Ausschuss auch die Frage behandelt, ob Teilgebiete der zu solchen Querschnittsthemen gehörenden Forschungsarbeiten, wie z.B. IKT in der Medizin, eher bei IKT gebündelt werden oder stattdessen im fachspezifischen Teilprogramm Gesundheit angesiedelt sein sollten. So empfiehlt er bei IKT in der Tat, einen Teil der dort vorgesehenen Aktivitäten stärker den fachspezifischen Teilprogrammen wie z.B. Gesundheit, Energie, Verkehr oder ggf. auch Sozialwissenschaften zuzuordnen, weil dadurch die fachbezogenen Probleme in den Vordergrund gestellt werden.

4.1.3

Allerdings kann diese Frage nicht allgemeingültig beantwortet werden, sondern sollte im Einzelfall davon abhängig gemacht werden, wo einerseits die meisten methodischen Synergien erwartet werden können, und wo andererseits die beste Verbindung mit der jeweiligen konkreten Problemstellung gewährleistet werden kann. Der Ausschuss wiederholt seine Empfehlung, hierzu auf jeden Fall jeweils „für eine übergeordnete Koordinierung und für die nötigen Querverbindungen zu sorgen.“

4.1.4

Der Ausschuss begrüßt auch den Vorsatz der Kommission, flexibel auf sich abzeichnende Erfordernisse, neue Erkenntnisse und Vorschläge sowie auf unvorhergesehene politische Erfordernisse einzugehen. Die Förderung und Koordinierung der vorwettbewerblichen Forschung und Entwicklung seitens der Kommission werden dazu beitragen, die Wettbewerbsposition der EU zu stärken.

4.2   Zusammenarbeit — das Kernstück des Programms

4.2.1

Gesundheit. Der Ausschuss betont die notwendige Breite des Ansatzes von der Vorbereitung auf bzw. der Verhütung von Epidemien und Pandemien bis zur Berücksichtigung der demographischen Entwicklung mit allen sozialen und gesundheitlichen Begleiterscheinungen und Langzeitfolgen, einschließlich Alterungsforschung und Behindertenforschung (wobei letztere auch eigenständige z.B. soziale oder technische Anliegen hat, die über Gesundheitsfragen hinausgehen). Der Ausschuss unterstützt die Absicht der Kommission, dabei auch die Erforschung seltener Krankheiten nicht zu vernachlässigen. Das Programm sollte alle einschlägigen wissenschaftlich-technischen Bereiche umfassen — einschließlich Biotechnologie, Genomik, Stammzellenforschung und sonstiger multidisziplinärer Ansätze, und einschließlich der Frage nach den erforderlichen Qualitäts- und Sozialstandards. Dies betrifft sowohl die biologisch-medizinische Forschung in Universitäten, Kliniken und öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen, als auch die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen medizinisch-pharmazeutischen Industrie. Dementsprechend empfiehlt der Ausschuss, dem vorgeschlagenen Programmrahmen zuzustimmen. Forschung und Entwicklung für Gesundheit sind von vorrangigem europäischen, ja sogar globalem Interesse.

4.2.2

Lebensmittel, Landwirtschaft und Biotechnologie (wobei Biotechnologie auch eine wichtige Methode für das Thema Gesundheit (Punkt 4.2.1) ist). Der Ausschuss erkennt in diesem Programm das richtige Bemühen um den Aufbau bzw. Erhalt einer europäischen wissensgestützten Bio-Wirtschaft. Ziel ist die Anwendung der Biowissenschaften und Technologien zur Bereitstellung umweltfreundlicher und wettbewerbsfähiger Produkte und Prozesse der Landwirtschaft, Fischerei, Aquakultur, Lebensmittel-, Gesundheits- und Forstindustrie sowie verwandter Industriezweige. Angesichts des auf dem Landwirtschaftssektor besonders harten Wettbewerbs mit Ländern wie z.B. Brasilien ist dies ein ebenfalls sehr wichtiger Sektor. Ein möglicher neuer Entwicklungszweig könnte die Züchtung von Pflanzen sein, welche dazu beitragen, kontaminierte Böden zu reinigen, indem sie sich mit Schadstoffen anreichern, oder aber alternativ, welche aus kontaminierten Böden gerade keine Schadstoffe aufnehmen und daher unbedenklich genutzt werden können.

4.2.3

Informations- und Kommunikationstechnologien „IKT“. Die Produkte und Leistungen auf dem Sektor IKT haben in revolutionärer Weise Wissenschaft, Technik, Verwaltung und sogar das Alltagsleben der Bürger bereichert und verändert. Das Thema IKT stellt sowohl in seiner relativen budgetären Ausstattung als auch in der Vielfalt der Aufgaben das umfangreichste Element des Programms „Zusammenarbeit“ dar, welches in alle anderen Bereiche eingreift oder eingreifen kann. Ziel ist die Bereitstellung innovativer, auf IKT gestützter Produkte und Dienstleistungen in Wissenschaft, Technik, Verwaltung und Logistik. Das Programm IKT reicht also von der Entwicklung neuartiger Hardware (wobei z.B. die Chipentwicklung eine deutliche Überlappung zum Programm Nanotechnologie aufweist), Hardwaresysteme und Netze bis zu neuen Programmierwerkzeugen, wobei zudem auf die Zugänglichkeit von IKT-Dienstleistungen für alle Bevölkerungsgruppen Wert gelegt werden sollte. Der Ausschuss verweist zugleich auf seine Anmerkung dazu unter Ziffer 4.1.2. Dementsprechend kommt es genau auf die Erfüllung dieser Leistungen an, nämlich wie viel das IKT-Programm zu den anderen Programmen auch in Zukunft beitragen wird und ob es seinen deutlich herausragenden Umfang tatsächlich begründen kann.

4.2.4

Nanowissenschaften, Nanotechnologien, Werkstoffe und neue Produktionstechnologien. Auch hierbei handelt es sich um ein neues, außerordentlich innovatives Gebiet (11), welches im Spannungsfeld zwischen Grundlagenforschung und Anwendung aus vielerlei Wurzeln und Verästelungen physikalischer und chemischer Forschung und Technologie hervorgegangen ist. Es hat das Potenzial, in vielen Bereichen der Technik neue oder verbesserte Produkte und Verfahren hervorzubringen. Es ist gleichzeitig allerdings so vielfältig und verzweigt, dass große Übersicht erforderlich ist, um Gemeinsamkeiten und Querverbindungen dieser von der Atomphysik bis zur Plasmatechnologie, von der Nano-Mechanik bis zur Textil-Veredelung reichenden Disziplin zu erkennen und zu nutzen. Da sich die Nano-Prozesse gleichzeitig in einer mikroskopischen Dimension abspielen, welche der Vorstellungskraft der Bürger nur sehr schwer zugänglich ist, erfordert dieses Thema von Anfang an den konstruktiven Dialog mit den Verbrauchern, um Gefährdungen zu erkennen und auszuschließen, aber andererseits unbegründete Besorgnisse zu zerstreuen. Der breite Ansatz der Kommission, der auch Bemühungen zur Wissensvermittlung umfasst, wird dementsprechend sehr begrüßt und unterstützt.

4.2.5

Energie. Der Ausschuss hat wiederholt auf das Schlüsselthema Energie hingewiesen und sich dazu schon in zahlreichen spezifischen Stellungnahmen geäußert, wobei er auch den umfangreichen Forschungsbedarf betont (12) hat. Es besteht mittel- bis langfristig ein sehr ernstes Energieproblem (13). Dies betrifft sowohl die erwartete Ressourcenverknappung und Verteuerung bei den „klassischen“ Energieträgern Erdöl und Erdgas sowie die kritische Versorgungssicherheit Europas mit diesen Energieträgern als auch die meistens sogar globalen Auswirkungen der Energienutzung auf die Umwelt, insbesondere auf das Klima. Die Lösung des Energieproblems kann nur aus verbesserten oder neuen, und dennoch möglichst preiswerten Technologien kommen. Dazu ist Energieforschung der Schlüssel. Sie muss alle Themen (14) von der besseren Erschließung — und Speicherung! — umweltfreundlicher Energieträger umfassen, bis zu Techniken der Energieeinsparung und effizienterer Energienutzung, einschließlich Verfahren zur teilweisen oder vollständigen Abtrennung und Speicherung von Klimagasen. Besonders wichtig ist auch der Umstieg auf hocheffiziente Kraftwerke zur Stromerzeugung. Der Ausschuss hält die Vorschläge der Kommission dazu für richtig und ausgewogen, ist allerdings sehr besorgt, dass der dafür vorgesehene Budget-Anteil angesichts der vitalen Bedeutung der zu lösenden Aufgabe zu gering ist. Der Ausschuss empfiehlt hier einen relativen Zuwachs.

4.2.6

Umwelt (einschließlich Klimaänderung). Für die Lebensqualität und die Lebensvoraussetzungen der heutigen und künftiger Generationen ist Umweltschutz von grundlegender Bedeutung. Die damit verbundenen Probleme — seien sie anthropogener oder naturgegebener Ursache — zu erkennen und zu lösen, ist ein besonders ehrgeiziges und möglicherweise vitales Ziel. Diese Aufgabe ist eng mit Fragen der verschiedensten Forschungs- und Politikbereiche verbunden: Wirtschaftspolitik, Energiepolitik, Gesundheitspolitik und Landwirtschaftspolitik, einschließlich Überwachungsaufgaben und, wegen der globalen Aspekte, internationaler Vereinbarungen. Während die Umweltforschung mehr darauf abzielt, die verschiedenen Probleme und deren Ursachen zu erkennen bzw. erkennen zu können, spielt sich die Suche nach Lösungen stärker in anderen Themenbereichen ab, insbesondere auch im Bereich Energie. Dem sollte durch budgetäre Flexibilität Rechnung getragen werden.

4.2.7

Verkehr (einschließlich Luftfahrt). Europäische Verkehrssysteme sind ein wesentliches Element des wirtschaftlichen und sozialen Wohlstands in Europa und seiner Kohäsion. Das Teilprogramm Verkehr dient der Entwicklung integrierter, umweltfreundlicher, intelligenter und sicherer gesamteuropäischer Verkehrssysteme und Transportmittel. Es adressiert dementsprechend konkrete technische und logistische Entwicklungsziele der verschiedenen Verkehrsträger und Verkehrssysteme. Die Entwicklung/Weiterentwicklung energiesparender und emissionsarmer Verkehrsträger (Flugzeuge, Automobile etc.) ist eine mit den Teilprogrammen Energie und Umwelt verknüpfte wissenschaftlich-technische Aufgabe, in welche auch KMU eingebunden werden könnten. Ein wesentliches Instrument dazu sind entsprechende Technologieplattformen (ACARE für Luftfahrt und Luftverkehr, ERRAC für den Schienenverkehr, ERTRAC für den Straßenverkehr, WATERBORNE für die Schifffahrt, Wasserstoff und Brennstoffzellen). Angesichts der Bedeutung, auch für die neuen Mitgliedstaaten, eines funktionsfähigen europäischen Verkehrsnetzes, und angesichts des immer noch anwachsenden gesamten Verkehrsaufkommens — hier stellt sich auch die Vermeidung von Verkehrsstaus als sehr aktuelle und wichtige Aufgabe -, sowie seiner Bedeutung für die europäische Wettbewerbsfähigkeit (und seiner Auswirkungen auf die Umwelt!), ist das Ziel dieses Teilprogramms ebenfalls sehr wichtig und wird dementsprechend unterstützt.

4.2.8   Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften

4.2.8.1

Nach Meinung des Ausschusses sollte es Ziel dieses Programms sein, zu einem umfassenden Verständnis der komplexen, miteinander verknüpften sozioökonomischen, rechtlichen und kulturellen Herausforderungen Europas beizutragen, einschließlich der Frage nach Europas historischen Wurzeln und Gemeinsamkeiten sowie nach seinen Grenzen und Nachbarn. Eine für die geistigen Grundlagen und die Identitätsbildung der Gemeinschaft besonders wichtige Aufgabe, die auch den Umgang der Mitgliedstaaten und der Bürger Europas untereinander betrifft, wäre es, zu einer gemeinsamen, also für alle Mitgliedstaaten gleichen Beschreibung und Bewertung der Europäischen Geschichte zu kommen und dieses Ergebnis zur Grundlage des Lehrstoffes im Geschichtsunterricht in den Mitgliedstaaten zu machen bzw. bereits dazu bestehende Ansätze zu verstärken.

4.2.8.2

Dieser Themenbereich betrifft aber auch Aspekte wie Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik, Wissenschaftspolitik, Wachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit, sozialen Zusammenhalt und Nachhaltigkeit, Lebensqualität, Bildung, kulturelle und rechtspolitische Fragen sowie globale Verflechtung. Darin sind auch solche speziellen Herausforderungen der modernen Gesellschaft enthalten wie demographische Entwicklung (Fakten, Folgen, Maßnahmen), Migration, soziale Ausgrenzung, kulturelle Aufspaltung, sowie Entwicklung zur Wissensgesellschaft. Um die Kohärenz dieses Teilprogramms zu stärken und zu profilieren, empfiehlt der Ausschuss zudem, aus dem in „Kapazitäten“ angegliederten Programm „Wissenschaft und Gesellschaft“ jenen Teil auszugliedern und beim Teilprogramm Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften einzugliedern, der nicht der Vermittlung von Wissenschaft und dem besseren Verständnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft dient (siehe auch Ziffer 4.5.3), sondern der Erforschung der Beziehungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Insgesamt hält der Ausschuss das Teilprogramm „Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften“ für sehr wichtig, zumal es auch eine entscheidende Rolle für die Politikberatung spielt; es sollte um einige der obengenannten Themen ergänzt und deswegen erforderlichenfalls auch relativ verstärkt werden.

4.2.9   Sicherheit und Weltraum.

Sowohl Sicherheit als auch Weltraum sind bedeutende Themen, die vom Ausschuss unterstützt werden.

4.2.9.1

Die Frage ausreichender Sicherheit ist den Bürgern der westlichen Welt durch die Terror-Attacken der letzten Jahre noch deutlicher bewusst geworden und erfordert einen breiten rechtlichen, sozialen, kulturellen, aber auch technisch-wissenschaftlichen Ansatz. Das Thema Sicherheit und Sicherheitsforschung beschränkt sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, sondern es betrifft auch Bereiche wie Verkehr, Gesundheit (z.B. das Gesundheitssicherheitsprogramm der EU), Katastrophenschutz (z.B. Naturkatastrophen und Industrieunfälle), Energie und Umwelt.

4.2.9.2

Die überwältigenden Fortschritte auf dem Gebiet der Weltraumforschung und Weltraum-Technologie sind bisher nur zum Teil im allgemeinen Bewusstsein der Bürger verankert. Sie sind sowohl von geostrategischer als auch welterklärender Bedeutung; schließlich waren die Beobachtung des Himmels und das daraus gewonnene Verständnis z.B. der Planetenbewegung entscheidende Ausgangspunkte der modernen Naturwissenschaft. Zudem sind Weltraumforschung und Weltraumtechnologie Pionierfelder zur Entwicklung innovativer Techniken. Bei der Weltraumforschung hält der Ausschuss eine balancierte Kooperation des vorgesehenen Programms mit schon existierenden Europäischen Organisationen wie ESA und ESO für erforderlich.

4.3

Ideen. Hier betritt die Kommission mit ihrer Forschungsförderung fruchtbares Neuland. Auch dies wurde vom Ausschuss mehrfach begrüßt (15). Durch Förderung von im europaweiten Wettbewerb herausragenden Forschungsvorschlägen — bei Verzicht auf die bisher übliche Bedingung grenzüberschreitender Zusammenarbeit — wird Exzellenz möglich, sichtbar und damit zugleich Anziehungspunkt für europäisch und international herausragende Wissenschaftler. So wird ein besonders fruchtbarer Boden für Innovationen geschaffen. In diesem Zusammenhang betont der Ausschuss erneut, dass für das Überwinden des Mittelmaßes auch ein Risiko des Nicht-Erfolgs in Kauf genommen werden muss. Damit liegt die Schwierigkeit — neben einer angemessenen Ausstattung dieses Programms — primär im Auswahlverfahren und Management dieses Programms. Der Ausschuss hält es darum für richtig, dass diese anspruchsvolle Aufgabe in die Hände eines autonomen Gremiums besonders erfolgreicher und anerkannter, ad personam berufener Wissenschaftler gelegt werden soll: den Europäischen Forschungsrat EFR (European Research Council, ERC).

4.4

Menschen. Der Ausschuss hat mehrfach betont (16), dass der Schlüssel zu erfolgreicher und wettbewerbsfähiger europäischer Forschung und Entwicklung — neben hochwertiger apparativer Ausstattung und finanzieller Unterstützung — in einer ausreichenden Anzahl hochqualifizierter, kreativer Wissenschaftler liegt. Also muss das Interesse für Wissenschaft und Technik schon im Kindesalter und bei Jugendlichen geweckt werden, damit die dazu begabten in ausreichender Zahl ein entsprechendes — sehr schwieriges und forderndes — Studium beginnen und auch zu Ende führen.

4.4.1

Auf die Schlüsselfunktion der Universitäten als Institution der Forschung und Ausbildung, und auf deren in Europa unbefriedigende Situation, hatte der Ausschuss bereits in seiner Stellungnahme zum 7. FTE-Rahmenprogramm (17) hingewiesen. Dabei muss u.a. auch dafür gesorgt werden, dass die für eine Forscherkarriere wichtige Doktorarbeit unter angemessenen fachlichen und persönlichen Rahmenbedingungen (18) durchgeführt werden kann. Nach Abschluss einer exzellenten Ausbildung benötigen diese dann zudem internationale Erfahrung, ein attraktives Forschungsumfeld mit ausreichendem Freiraum sowie eine international wettbewerbsfähige Vertragsgestaltung und Karriereplanung. (Zu der für dieses Thema relevanten „Europäischen Charta für Forscher“ hat sich der Ausschuss bereits teils anerkennend und teils kritisch geäußert (19).)

4.4.2

Angesichts der für Wissenschaft und Forschung wichtigen internationalen Mobilität von Forschern insbesondere zwischen den auf diesem Gebiet besonders leistungsfähigen Staaten muss allerdings dafür gesorgt werden, dass daraus kein einseitiger „brain-drain“ entsteht; also müssen u.a. auch die persönlichen Bezüge so ausgestattet sein, dass damit z.B. auch amerikanische Spitzenwissenschaftler nach Europa geholt werden können, was derzeit kaum möglich ist. Der Ausschuss unterstützt daher dieses wiederholt betonte Ziel der Kommission, die erforderlichen Instrumente und Rahmenbedingungen zu implementieren sowie bei den Mitgliedstaaten darauf hinzuwirken, die in dem Programm „Menschen“ vorgeschlagenen und zum Teil auch schon jetzt verfügbaren Instrumente einzusetzen. Besonders wichtig für den Europäischen Forschungsraum ist es zudem, attraktive Mobilitätsbedingungen zu schaffen und Hindernisse zu beseitigen. Es ist zu begrüßen, dass die Kommission dieses Ziel mit Nachdruck verfolgt.

4.5

Kapazitäten. Dieses Programm ist ein gutes Beispiel für die subsidiären Aufgaben der Gemeinschaft.

4.5.1

Dies betrifft insbesondere das Ziel, jene Forschungsinfrastrukturen — wie Großgeräte, wissenschaftliche Instrumente, Rechner, etc. — zu entwickeln/installieren, gemeinschaftlich zu nutzen und zu optimieren, deren Aufwand und Nutzbarkeit die Fähigkeiten eines einzelnen Mitgliedstaats übersteigt. Dabei begrüßt der Ausschuss, dass entsprechend seiner früheren Empfehlung beim Vorschlag entsprechender Projekte eine bottom-up-Vorgehensweise bevorzugt werden soll.

4.5.2

Aber auch die anderen unter „Kapazitäten“ geführten Aufgaben, wie z.B. „Forschung zu Gunsten von KMU“ und „KMU-Zusammenschlüssen“, oder „Wissensorientierte Regionen“ sowie „Freisetzung und Entwicklung des Forschungspotenzials in den Konvergenz- und äußersten Randregionen der EU“ sind sehr wichtige Aufgaben, die insbesondere für die neuen Mitgliedstaaten und für die KMU Bedeutung haben.

4.5.3

Mit dem Teilprogramm „Wissenschaft und Gesellschaft“ soll die harmonische Integration wissenschaftlicher und technologischer Bemühungen — und der damit verbundenen Forschungspolitik — in das europäische Sozialgefüge angeregt werden. Dabei geht es um die Fähigkeit, Wissen zu erzeugen, zu nutzen, zu verbreiten und Innovationen hervorzubringen. Anliegen dieses Teilprogramms ist es also einerseits, den Bürgern Europas ein Bild der Wissenschaft, der Wissenschaftler, und ihrer Ergebnisse zu vermitteln. Der Ausschuss begrüßt diese Ziele; und er sieht vor allem auch in der Verbreitung des Wissens eine wichtige kulturelle und innovationsfördernde Aufgabe. Andererseits gilt es aber auch zu erforschen, warum ein Teil der Bürger die Wissenschaft (oder Teile davon), ihre Methodik und ihre potenziellen Auswirkungen mit Skepsis betrachtet. Nach Auffassung des Ausschusses sollten letztere primär soziologischen Forschungsarbeiten in das Spezielle Programm „Zusammenarbeit“, dort in das Teilprogramm „Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften“, eingegliedert und somit in den dort gegebenen breiteren Kontext europäischer Kooperation behandelt werden.

4.6   EURATOM-Programm

Hierzu verweist der Ausschuss zunächst auf seine ausführliche Darlegung in seiner Stellungnahme zum 7. Rahmenprogramm F&E plus EURATOM-Programm sowie auf seine Bemerkungen unter dem Spezifischen Teilprogramm „Energie“.

4.6.1

In der Fusionsforschung  (20) gilt es jetzt, (i) den Bau von ITER vorzubereiten und durchzuführen, (ii) alle Vorbereitungen — einschließlich Ausbildung und Training des wissenschaftlichen Personals, Einbindung und Mobilisierung des Forschungspotenzials der sogenannten assoziierten Laboratorien der Mitgliedstaaten sowie internationaler Arbeitsteilung — zu seiner Nutzung zu treffen, (iii) die technologischen (insbesondere Materialien und Brennstoffkreislauf) Entwicklungen in Richtung DEMO voranzutreiben sowie (iv) verschiedene (magnetische) Einschlusskonzepte zu erforschen und zu optimieren. ITER und die weitere Entwicklung müssen in den Forschungseinrichtungen der Mitgliedstaaten verankert sein und von dort unterstützt werden. Die Vorschläge der Kommission entsprechen diesen Aufgaben und den eingegangenen internationalen Verpflichtungen; sie werden vom Ausschuss voll unterstützt.

4.6.2

In der Kernspaltung  (21) gilt es jetzt, (i) die Sicherheit bestehender Nuklearkraftwerke noch weiter zu erforschen und zu erhöhen (vorwiegend eine Aufgabe der industriellen Hersteller und Betreiber) sowie (ii) neue Reaktorkonzepte mit noch besseren Sicherheits-, Brennstoffverwertungs- und Entsorgungseigenschaften zu entwickeln. Darin sind auch Forschungsarbeiten zur Umwandlung von verbrauchten Brennstoffen (Transmutation, Wiederverwertung) eingeschlossen. Weiter sind (iii) die Endlagerfrage zu lösen und auf politischer Ebene zur Akzeptanz zu bringen, (iv) die Nichtverbreitungs-Bemühungen von Kernwaffenmaterial zu unterstützen sowie (v) weiterer Aufschluss über die biologische Wirkung von (niedrigen) Strahlendosen (22) zu gewinnen und die entsprechenden Messtechniken (insbesondere Personendosimetrie) zu entwickeln. Für dies alles ist die Ausbildung geeigneter Fachleute, also ausreichenden Nachwuchses, eine wichtige Teilaufgabe. Der Ausschuss ist besorgt über den Nachwuchsmangel in einigen Mitgliedstaaten und die schwindende Expertise, und er gibt zu bedenken, dass angesichts der absehbaren längerfristigen und globalen Kernkraft-Nutzung diesen sehr wichtigen Fragen mehr Gewicht gegeben werden sollte.

4.7   Gemeinsame Forschungsstelle GFS

4.7.1

Die GFS ist zu Recht in den Aktivitäten sowohl des 7. Rahmenprogramms für Forschung und Entwicklung (2007-2013) als auch des 7. Rahmenprogramms Euratom (2007-2011) engagiert. Gerade weil sie in dieser Eigenschaft direkt der Kommission zugeordnet ist, und gerade weil darin auch ihre Stärke für Politikberatung und flexible Einsatzfähigkeit liegt, muss sichergestellt sein, dass sie den für alle Forschungseinrichtungen der Mitgliedstaaten geforderten hohen und transparenten Standards bezüglich internationaler Peer-Review, Wettbewerb, Berufungsverfahren/Personalpolitik und Monitoring unterliegt, und dass sie in die internationale Wissenschaftsgemeinschaft eingebunden ist. Der Ausschuss hält eine solche Einbindung auch bezüglich der oben angesprochenen Sozial-, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften für wichtig.

4.7.2

Zu ihren Aufgaben im 7. Rahmenprogramms für Forschung und Entwicklung (2007-2013) gehört das für die Gemeinschaft wichtige Generalthema „Nachhaltige Entwicklung“. (z.B. Klimaschutz, Ernährung, Energie, Verkehr, Chemikalien, Dekontamination). Dies schließt die Erarbeitung wissenschaftlich-technologischer Referenzdaten für verschiedene Bereiche der Umwelt- und Nahrungsüberwachung ein; darin liegt auch ein wertvoller Beitrag zur Ausarbeitung von Rechtsvorschriften der Gemeinschaft. Eine weitere Gemeinschaftsaufgabe liegt in der Entwicklung und Verbreitung international anerkannter Referenzgrundlagen und die Förderung eines gemeinsamen europäischen Messsystems. Dies könnte die arbeitsteilige Koordinierung der nationalen Institutionen für Metrologie (Messkunde) und Standardisierung mit gleichzeitiger Beteiligung an deren Programmen umfassen. Im Sinne des Europäischen Binnenmarkts und generell der europäischen Integration könnte daher überlegt werden, ob unter Einbeziehung der entsprechenden nationalen Laboratorien und von Institutionen wie CEN und CELENEC, sowie einschlägiger Industrien und der GFS, ein „European Bureau of Standards“ geschaffen werden sollte.

4.7.3

Es ist richtig, dass die GFS auf dem Gebiet des 7. Rahmenprogramms Euratom (2007-2011) die politische Entscheidungsfindung im Nuklearbereich unterstützt, einschließlich Umsetzung und Überwachung vorhandener Strategien und Reaktion auf neue Anforderungen. Der Ausschuss hält auch die Schwerpunktsetzung des „nuklearen“ GFS-Programms auf Entsorgung, Sicherheit und Überwachung für folgerichtig (wobei auch diese Tätigkeiten mit jenen der Mitgliedstaaten vernetzt und koordiniert werden); genau hier liegen einerseits die Besorgnisse der Bürger, andererseits die Notwendigkeit für verlässliche Lösungen. Nach Meinung des Ausschusses ist es besonders wichtig, Verfahren (weiter) zu entwickeln, die eine noch bessere Überwachung der Nichtverbreitung von Kernwaffenmaterial oder Kernwaffen-Techniken erlauben.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2005) 119 endg./2 - 2005/0043 (COD) - 2005/0044 (CNS).

(2)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(3)  ABl. C 157 vom 28.6.2005„Leitlinien für die Forschungsförderung der Europäischen Union“, sowie ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(4)  Preisbasis 2005 ohne Inflationsanpassung; je nach vorgenommener Inflationsindexierung gibt es unterschiedliche Zahlenangaben.

(5)  Preisbasis 2005.

(6)  Derzeitige Schätzungen bewegen sich um ca. 49,5 Mrd. EUR (z.B. FAZ Nr. 11 2006, Seite 14).

(7)  Rat der Europäischen Union 1591505, CADREFIN 268, Punkt 10, vom 19. Dezember 2005.

(8)  Presse Kommuniqués, IP/06/201 vom 22. Februar 2006.

(9)  KOM(2005) 705 endg.

(10)  Siehe auch Kapitel 3 von ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(11)  ABl. C 157 vom 28.6.2005.

(12)  ABl. C 241 vom 7.10.2002; ABl. C 28 vom 3.2.2006; ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(13)  Siehe vorherige Fußnote.

(14)  Bezüglich des EURATOM-Programms siehe Kapitel 4.6.

(15)  ABl. C 110 vom 30.4.2004.

(16)  ABl. C 110 vom 30.4.2004 – „Forscher im europäischen Forschungsraum: ein Beruf, vielfältige Karrieremöglichkeiten“.

(17)  ABl. C 65 vom 17.3.2006, Punkt 4.12.2.

(18)  Siehe u.a. Kapitel 5.6 der Referenz von Fußnote 16.

(19)  Punkt 4.13.2 von ABl. C 65 vom 17.3.2006, sowie Punkt 5.1.5 von CESE ABl. C 110 vom 30.4.2004.

(20)  ABl. C 302 vom 7.12.2004.

(21)  ABl. C 133 vom 6.6.2003; ABl. C 110 vom 30.4.2004.

(22)  Siehe z.B. RTDinfo Nr. 47, der Europäischen Kommission, Januar 2006.


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/17


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt“

KOM(2005) 429 endg. — 2005/0191 (COD)

(2006/C 185/03)

Der Rat beschloss am 16. November 2005 gemäß Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 24. März 2006 an. Berichterstatter war Herr McDONOGH.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 134 gegen 2 Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

Die Mitgliedstaaten sollten das Recht haben, aufgrund von Sicherheitsbewertungen strengere Maßnahmen als die in dieser Verordnung festzulegenden zu ergreifen unter der Bedingung, dass sie diese aus ihrem Haushalt finanzieren.

1.2

Jeder Mitgliedstaat sollte eine einzige Behörde benennen, die für die Koordinierung und Überwachung der Anwendung der Sicherheitsnormen zuständig ist.

1.3

Jeder Mitgliedstaat sollte ein nationales Sicherheitsprogramm für die Zivilluftfahrt ausarbeiten.

1.4

Zur Überwachung der Anwendung des neuen Rechtsaktes durch die Mitgliedstaaten und zur Aufdeckung von Schwachstellen in der Luftsicherheit sollte die Europäische Kommission — auch unangekündigte — Inspektionen durchführen.

1.5

Um zu ermöglichen, dass umsteigende Fluggäste und umgeladenes Gepäck bei Ankunft mit einem Flug aus einem Drittland von der Kontrolle ausgenommen werden (Konzept der einmaligen Sicherheitskontrolle — „one stop security“) und dass mit solchen Flügen angekommene Fluggäste mit sicherheitskontrollierten abfliegenden Fluggästen zusammenkommen können, sollten harmonisierte Abkommen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern gefördert werden, in denen festgehalten wird, dass die in dem betreffenden Drittland angewendeten Sicherheitsvorschriften denen der Gemeinschaft gleichwertig sind.

1.6

Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Europäischen Kommission und unterstützt uneingeschränkt die wesentlichen Grundsätze dieses Vorschlags.

1.7

Der Ausschuss befürwortet außerdem der Einführung gemeinsamer Bestimmungen für die Flughafensicherheit. Da es innerhalb Europas sehr unterschiedliche Vorschriften gibt, ist es wichtig, diese zu harmonisieren.

1.8

Im Zusammenhang mit Kapitel 1, Ziffer 1.2, Punkt 5 und 11 des Anhangs und vor dem Hintergrund der Freizügigkeit in der Europäischen Union und der Verfügbarkeit von Arbeitskräften aus Drittstaaten kann die Europäische Kommission die nationalen Behörden, Flughäfen, Luftfahrtunternehmen usw. bei der Prüfung der persönlichen Informationen potenzieller Mitarbeiter unterstützen, um die Anforderungen für die Zuverlässigkeitsprüfungen zu erfüllen.

1.9

Die in Artikel 1 Absatz 1 des Verordnungsvorschlags festgehaltenen Ziele sollten geändert werden, um klarzustellen, dass die Sicherheitsmaßnahmen dem Schutz der Zivilluftfahrt vor unrechtmäßigen Eingriffen dienen, die eine Gefahr für die Sicherheit der Zivilluftfahrt darstellen, aber nicht dazu gedacht sind, andere Arten unrechtmäßiger Eingriffe wie Diebstahl und Schmuggel anzugehen.

1.10

Die Europäische Kommission sollte eine umfassende Politik zur Finanzierung der Sicherheitsmaßnahmen in der Zivilluftfahrt ausarbeiten und umsetzen. Diese Maßnahmen sind Teil der Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten zur Sicherstellung der nationalen Sicherheit zum Schutz ihrer Bürger vor Terrorgefahren.

1.11

In diesem Verordnungsvorschlag sollte ein Mechanismus zur Folgenabschätzung für jedweden weiteren Vorschlag für Sicherheitsmaßnahmen für die Industrie vorgesehen werden, um sicherzustellen, dass die Kosten und die Auswirkungen einer bestimmten Maßnahme im Vergleich zu ihrer Wirksamkeit nicht überproportional hoch ist.

2.   Einleitung

2.1

Die Europäische Kommission bezweckt mit ihrem Legislativvorschlag, den bestehenden Rechtsrahmen der Europäischen Union (Verordnung (EG) Nr. 2320/2002) klarer zu fassen, eine Grundlage für die gemeinsame Auslegung der von der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) festgelegten internationalen Anforderungen zu schaffen, sensible Informationen nicht öffentlich zugänglich zu machen und ein noch größeres Augenmerk auf die sich weiterentwickelnden Anforderungen für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt zu richten. Dies soll durch die Durchführung dieser Verordnung gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates zu dem Komitologieverfahren erfolgen, mit dem ein Beschlussfassungsverfahren eingerichtet wurde, in das Vertreter der EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission eingebunden sind.

2.2

Der Vorschlag soll die bestehende Verordnung ersetzen, um eine bessere Rechtsetzung nach folgenden vier Grundsätzen zu erreichen: Vereinfachung, Harmonisierung, Klarheit und höheres Sicherheitsniveau.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Mit diesem Vorschlag wird das Ziel verfolgt, die rechtlichen Anforderungen klarer zu fassen, zu vereinfachen und weiter zu harmonisieren, um die Sicherheit in der Zivilluftfahrt insgesamt zu verbessern.

3.2

Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Verordnung zu sehr ins Detail geht und vereinfacht werden muss.

3.3

Die Kommission stellt zwar den Grundsatz der Subsidiarität nicht in Frage, hält aber bei Sicherheitsmaßnahmen und -verfahren ein größeres Maß an Harmonisierung als bisher für wünschenswert.

3.4

Es sind 25 nationale Systeme entstanden, die Wettbewerbsverzerrungen zur Folge haben können, und es der Industrie unmöglich machen, von den Freiheiten des Binnenmarktes zu profitieren.

3.5

Eine stärkere Harmonisierung ist auch ein wesentliches Element im Konzept der einmaligen Sicherheitskontrolle („one-stop security“), nach dem umsteigende und weiter fliegende Fluggäste sowie Gepäck und Fracht nach dem Umladen bzw. auf dem Weiterflug nicht erneut kontrolliert werden müssen, wenn darauf vertraut werden kann, dass am Abgangs-Flughafen grundlegende Sicherheitsniveaus eingehalten wurden. Auch dieses Element ist von Vorteil für Akteure in einem stark wettbewerbsbestimmten Markt und für die Fluggäste.

3.6

Nach Auffassung der Kommission ist die Fähigkeit, rasch auf sich ständig verändernde Bedrohungen zu reagieren und zu handeln, für die Verbesserung des allgemeinen Sicherheitsniveaus von entscheidender Bedeutung.

3.7

Ihrer Meinung nach ist es jedoch nicht wünschenswert, dass detaillierte Sicherheitsmaßnahmen und -verfahren öffentlich zugänglich sind. Dieses Problem kann gelöst werden, indem betriebspezifische Einzelheiten in Durchführungsbestimmungen aufgenommen werden. Der Ausschuss verweist darauf, dass es von grundlegender Bedeutung ist, dass diese neuen gemeinsamen Bestimmungen den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit eingeschränkter Mobilität gemäß den in der vor kurzem verabschiedeten Ausschussstellungnahme zu diesem Thema festgehaltenen Empfehlungen Rechnung tragen. Sicherheitskontrollen und andere Sicherheitsmaßnahmen sind zwar zulässig und notwendig, könnten aber zum Aufbau weiterer Hürden für Menschen mit eingeschränkter Mobilität und zur Beschneidung ihrer Rechte führen, was den Bemühungen der Europäischen Kommission zuwiderliefe, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität im Luftverkehr die gleichen Möglichkeiten wie den übrigen Bürgern zu bieten.

3.8

Die Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates enthält gemeinsame Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt. Der vorliegende Vorschlag soll diesen Rechtsakt ersetzen.

3.9

Die Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 soll durch eine vereinfachte und klarer gefasste Verordnung ersetzt werden, in der allgemeine Grundsätze festgelegt werden.

3.10

Die einzige neue Zuständigkeit, die angestrebt wird, betrifft Vorschriften für Sicherheitsmaßnahmen während des Flugs, und zwar so verschiedene Bereiche wie den Zugang zum Cockpit, sich Anordnungen widersetzende Fluggäste und Begleitung der Flüge durch Sicherheitsbeamte (sog. „Sky Marshals“). Der Ausschuss spricht sich mit Ausnahme von außergewöhnlichen Umständen gegen den Einsatz derartiger Sicherheitsbeamter aus.

3.11

Die Forderung nach Sicherheitsprogrammen entspricht der derzeit bewährtesten Praxis im Luftfahrtsektor und stellt an sich keine besondere Belastung für die Wirtschaft oder die Verwaltungen dar. Für die Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft sollten diese von den einzelstaatlichen Behörden genehmigt und von den anderen Mitgliedstaaten gegenseitig anerkannt werden.

3.12

Nach Artikel 13 ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, im Rahmen eines nationalen Qualitätskontrollprogramms Maßnahmen zur Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften durchzuführen.

3.13

Laut Artikel 14 kann die Europäische Kommission Inspektionen unter anderem an Flughäfen der Gemeinschaft durchführen.

3.14

Artikel 17 ersetzt den bestehenden Artikel 10 über die Sicherheit von Flügen aus Drittländern. Er sieht Abkommen zwischen der Gemeinschaft und Drittländern vor, die die Möglichkeit beinhalten, das Umsteigen und den Weiterflug von Fluggästen sowie die Umladung oder Weiterbeförderung von Gepäck und Fracht auf Flughäfen der Gemeinschaft ohne nochmalige Durchsuchung und/oder zusätzliche Sicherheitskontrollen abzuwickeln.

3.15

Dieses Ziel sollte sowohl durch die Festlegung gemeinsamer Vorschriften und Normen für die Luftsicherheit als auch durch Mechanismen für die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften erreicht werden.

3.16

Der Inhalt der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 sollte im Lichte der gewonnenen Erfahrungen überprüft werden, und die Verordnung selbst sollte durch einen neuen Rechtsakt ersetzt werden, dessen Ziel die Vereinfachung, Harmonisierung und klarere Fassung der bestehenden Vorschriften sowie die Verbesserung des Sicherheitsniveaus ist.

3.17

Da bei der Verabschiedung von Sicherheitsmaßnahmen und -verfahren mehr Flexibilität notwendig ist, um auf sich verändernde Risikobewertungen zu reagieren und die Einführung neuer Technologien zu ermöglichen, sollten in der neuen Rechtsvorschrift die grundlegenden Prinzipien für Maßnahmen zum Schutz der Zivilluftfahrt vor unrechtmäßigen Eingriffen festgelegt werden.

3.18

Mit diesem neuen Regelwerk sollen Sicherheitsmaßnahmen festlegt werden, die an Bord von Luftfahrzeugen oder während der Flüge von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft gelten.

4.   Besondere Bemerkungen

Folgende Aspekte sollten bei der Durchführung dieser Verordnung berücksichtigt werden:

4.1

Es müssen gemeinsame Vorschriften zu verbotenen Gegenständen erlassen werden, um Missverständnissen und Kontroversen bei der Sicherheitskontrolle vorzubeugen.

4.2

Im Anhang zu dem Verordnungsvorschlag wird auf „ständige stichprobenartige Durchsuchungen“ hingewiesen, ohne diesen Begriff jedoch näher zu erläutern. Es gilt, eine Begriffsbestimmung einzufügen, um eine einheitliche Auslegung dieses Grundsatzes in ganz Europa sicherzustellen, wenn er bei den Sicherheitskontrollen zur Anwendung kommt.

4.3

Strengere Maßnahmen sollten nur als Reaktion auf eine von der Behörde des Mitgliedstaates im Zuge einer Sicherheitsbewertung festgestellten Terrorgefahr eingeführt werden. Die Einführung strengerer Sicherheitsmaßnahmen widerspricht dem Ziel, die Sicherheitsmaßnahmen in der Zivilluftfahrt in der Europäischen Union zu harmonisieren und einen Raum der einmaligen Sicherheitskontrolle („one-stop security“) einzurichten. Jede weitere zu Abschreckens- oder Vorbeugungszwecken von einem Mitgliedstaat als erforderlich erachtete Sicherheitsmaßnahme muss daher in Absprache mit dem Flughafenbetreiber vereinbart werden, und der Mitgliedstaat muss die Kosten für diese zusätzliche Sicherheitsmaßnahme als Teil seiner Verpflichtung zur Sicherstellung der nationalen Sicherheit zum Schutz seiner Bürger vor Terrorgefahren tragen.

4.4

Bei einigen Fluggesellschaften ist Metallbesteck (z.B. Messer und Gabeln) an Bord untersagt, wohingegen andere derartige Verbote nicht kennen. Daher sollte eine Harmonisierung unter allen Fluggesellschaften gefördert werden.

4.5

Im Gegensatz zu Scheren, Nagelfeilen usw. dürfen Glasflaschen sehr wohl an Bord mitgeführt werden, obwohl es sich um gefährliche Waffen handelt, insbesondere wenn sie zerbrochen werden. Es wird vorgeschlagen, dass alle im zollfreien Verkauf erhältlichen Flaschen sowie alle Flaschen an Bord aus Plastik sind. Andernfalls sollten sie mit dem restlichen Gepäck im Laderaum befördert werden. Vor ihrer Einführung muss eine derartige Regelung allerdings auf internationaler Ebene abgesprochen werden.

4.6

Rettungsausrüstung wie Feuerlöscher und Sicherheitsäxte müssen in einem der Besatzung vorbehaltenen Schließschrank aufbewahrt werden, zu denen die Fluggäste keinen Zugang haben dürfen.

4.7

Die Luftfahrtunternehmen sollten nach Möglichkeit Gepäckcontainer mit verstärkten Wänden verwenden, um sich dem Beispiel der israelischen Fluggesellschaft El Al folgend vor Bombenexplosionen zu schützen.

4.8

Im Interesse der Sicherheit sollten die nationalen Behörden unter dem Blickwinkel auf Alkoholeinfluss zurückzuführender Zwischenfälle die Menge an alkoholischen Getränken, die an Bord ausgeschenkt werden darf, strikt überwachen.

4.9

Das Cockpit ist zwar durch eine verstärkte Tür geschützt, doch könnte sich ein Flugzeugentführer über die dünne Toilettenwand Zugang zum Cockpit verschaffen, befindet sich die Flugzeug-Toilette doch oftmals unmittelbar neben dem Cockpit. Daher müsste auch die Toilettenwand verstärkt werden.

4.10

Artikel 11 sollte auch die Mitarbeiter der Fluggesellschaften und die Handling-Agents erfassen, die oftmals Sicherheitsleistungen erbringen.

4.11

Im Zusammenhang mit Kapitel 11 des Anhangs ist anzumerken, dass alle Sicherheitsausbilder an anerkannten Ausbildungseinrichtungen, z.B. der Europäischen Bildungsanstalt für Luftfahrtsicherheit (EASTI), ausgebildet werden sollten, um die Präsentation der Sicherheitsschulungskurse der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) zu vereinheitlichen. Die nationalen Behörden sollten zur Einführung von nationalen Schulungsprogrammen mit EASTI-zertifizierten Ausbildern verpflichtet werden.

4.12

In Bezug auf Kapitel 4, Ziffer 4.3 des Anhangs sollten die nationalen Behörden (angesichts der steigenden Zahl an Rückführungen illegal aufhältiger Personen usw.) dazu verpflichtet werden, eine Mindestfrist für die Unterrichtung der Luftfahrtunternehmen, Flughafenbetreiber und Bordbesatzungen über die Beförderung eines potenziell gefährlichen Fluggastes festzulegen, damit diese die erforderlichen Vorbereitungsmaßnahmen treffen können, wenn es sich um einen gewöhnlichen Linienflug handelt.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt (Meeresstrategie-Richtlinie)“

KOM(2005) 505 endg. — 2005/0211 (COD)

(2006/C 185/04)

Der Rat beschloss am 29. November 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 175 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 21. März 2006 an. Berichterstatterin war Frau SÁNCHEZ MIGUEL.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 137 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt den Vorschlag für eine Richtlinie im Rahmen der thematischen Strategie zum Schutz und Erhalt der Meeresumwelt, da seines Erachtens einige der bereits bestehenden rechtlichen Maßnahmen in die Richtlinie integriert und koordiniert werden können, und zwar insbesondere im Hinblick auf ein Verfahren für die Meeresumwelt, wie z.B. die in der Wasser-Rahmenrichtlinie aufgestellte Regelung.

1.2

Allerdings hält der EWSA den Richtlinienvorschlag kritisch gesehen zwar für erforderlich aber für unzureichend. Der Zustand unserer Meere und Ozeane ist so schlecht, dass für die Umsetzung und Kontrolle der Einhaltung von bereits existierenden Aktionen zwingendere Maßnahmen erforderlich wären. Zudem sieht der Vorschlag ein Verfahren vor, das einseitig auf den Zustand der Meeresumwelt bezogen ist. Aus diesem Grunde ist der EWSA der Auffassung, dass die Ziele besser durch eine Rahmenrichtlinie zu erreichen wären, wenn die in diesem Vorschlag nicht eingeschlossenen Aspekte zu einem späteren Zeitpunkt weitreichend und umfangreich integriert und weiterentwickelt würden.

1.3

Da keine neuen rechtlichen bzw. verwaltungstechnischen Instrumente geschaffen, sondern die bereits existierenden genutzt werden, entstehen für die Mitgliedstaaten keinerlei neue Finanzierungskosten und insbesondere keine Zunahme der Bürokratie. Gleichzeitig werden dabei die vorgesehenen Systeme zur Beteiligung und Konsultation der Öffentlichkeit und der interessierten Parteien integriert, was für die stärkere Einbindung der Bevölkerung in Umweltthemen so wesentlich ist.

1.4

Der EWSA möchte einige Vorschläge unterbreiten, die nach seiner Auffassung für die Verbesserung des Inhalts des Richtlinienvorschlags erforderlich sind. Die Kommission kann daher die Ausführungen als Teilhabe der betroffenen Zivilgesellschaft werten.

1.4.1

Als erstes muss präzisiert und festgelegt werden, welche Koordinierungs- und Kontrollfunktion der Kommission gegenüber den regionalen Gebietskörperschaften zukommt, deren Aufgabe die Bewertung und Festlegung der Ziele und Durchführungsmaßnahmen für die in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Meeresumwelt ist. Dadurch sollen in allen Meeresregionen einheitliche und ausgewogene Verfahren erreicht werden, denn in diesem Zusammenhang muss auch der grenzübergreifende Charakter unserer Meere und Ozeane berücksichtigt werden. Zudem würde eine zentralisierte Koordinierung das Ergreifen von Maßnahmen in Drittstaaten ermöglichen, in denen Gemeinschaftsmaßnahmen ausgeführt werden können, insbesondere in solchen, mit denen uns internationale Abkommen verbinden.

1.4.2

In Bezug auf die existierenden Definitionen, insbesondere auf die Definition des guten Umweltzustands auf der Basis generisch qualitativer Deskriptoren, hält der EWSA eine Einbeziehung quantitativer Deskriptoren für erforderlich, wie z.B. in der Wasser-Rahmenrichtlinie für die Binnengewässer, da der gute Zustand der Meere weitgehend von der Quantität abhängt. Als Mindestziele für die Umwelt sollten die Inhalte der Mitteilung gesetzt werden, wie in Ziffer 5.5 erläutert wird, denn die Aufrecherhaltung der im Richtlinienvorschlag vorgesehenen generischen Vorgehensweise kann die Wirksamkeit der Richtlinie insgesamt beeinträchtigen.

1.4.3

Die Festlegung von Sondergebieten, die als solche gelten, da in diesen Gebieten die Umweltziele nicht erreicht werden können, könnte aufgrund ihrer mehrdeutigen Abfassung in der Praxis zu Missbräuchen führen. Daher schlägt der EWSA vor, die Gründe für den Sonderstatus sowie das Genehmigungsverfahren durch die Kommission eindeutig und genau zu definieren.

1.5

Abschließend ist auf zwei Themen hinzuweisen, die für die Umsetzung der hier aufgeführten Vorschläge äußerst wichtig sind. Das erste Thema bezieht sich auf die unverzügliche Anwendung sämtlicher früher festgelegten Maßnahmen wie sie in den Paketen ERIKA I, II und III enthalten sind, insbesondere hinsichtlich der für die Aufnahme von Schiffen zuständigen Häfen, des transeuropäischen Netzes der Seeverkehrsüberwachung, der Errichtung eines Audit-Systems der Staaten für die Registrierung von Schiffen, der Erforschung und Bestandsaufnahme verklappter Produkte (einschließlich chemischer Kampfstoffe, Behälter mit radioaktiven Erzeugnissen) usw.

1.5.1

Als zweites muss das Thema Forschung im Bereich Meeresumwelt in Erinnerung gerufen und umgesetzt werden, so dass anhand umfangreicherer und fundierterer Kenntnisse die Ziele konkretisiert und die Programme der für die Wiederherstellung des guten Umweltzustands erforderlichen Maßnahmen festgelegt werden können. In dieser Hinsicht wäre eine stärkere Einbindung in das europäische Forschungsrahmenprogramm erforderlich.

2.   Begründung

2.1

Die Kommission hat im Jahr 2002 (1) eine Mitteilung vorgelegt, auf die sich dieser Richtlinienvorschlag stützt, in dem die Strategie für den Schutz und die Erhaltung der Meeresumwelt aus ökologischer Sicht entwickelt wird, die dem Ziel dient, eine nachhaltige Nutzung der Meere zu fördern und die Meeresökosysteme zu erhalten. Im 6. Umweltaktionsprogramm wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Entwicklung von Maßnahmen für den Schutz und die Erhaltung der Meersumwelt erforderlich ist und es wurde deutlich gemacht, dass das Ziel, eine nachhaltige Nutzung der europäischen Meere und Ozeane zu gewährleisten, nicht durch Einzelmaßnahmen zu erreichen ist. Es hat sich gezeigt, dass ein schnelles Vorgehen dringend erforderlich ist, da viele der bei der Ausarbeitung des 6. Umweltaktionsprogramms erkannten Gefahren in einem Ausmaß, das die schlimmsten Vorhersagen übertrifft, Wirklichkeit geworden sind (2).

2.2

Der Ausgangspunkt für die in der genannten Mitteilung vorgeschlagene Strategie ist die Situation der europäischen Meeresumwelt, die sich durch die Auswirkungen des Klimawandels, die Verschmutzung der Meere durch gefährliche Stoffe, die Handelsfischerei, die Eutrophierung der Meere und darüber hinaus durch die gefährliche Einbringung nicht einheimischer Arten in hohem Maße verschlechtert hat. Angesichts weiterer Hindernisse institutioneller Art, wie z.B. die Alleinzuständigkeit der Mitgliedstaaten für ihre Territorialgewässer, das Bestehen internationaler Übereinkommen mit Auswirkungen auf Drittländer und eine Reihe schwierig umsetzbarer und kontrollierbarer globaler Vereinbarungen (3), wird deutlich, dass diese Strategie trotz aller erkannten Hindernisse ausgearbeitet werden muss.

2.3

Jüngst wurde zeitgleich mit diesem Richtlinienvorschlag eine weitere Mitteilung (4) herausgegeben, mit der der EWSA nicht befasst worden ist und in der die bevorstehende Erarbeitung eines Grünbuchs über die Strategie der Meeresumwelt angekündigt wird. Die Kommission sollte den Inhalt unserer Stellungnahmen und die darin enthaltenen Bemerkungen zur Kenntnis nehmen. Um dies zu erreichen, wäre es am besten, dass eine neue Befassung erfolgt, die auf unsere Fachkenntnisse und Stellungnahmen zu den die Meeresumwelt betreffenden Politiken (Fischerei, Transport, Kohlenwasserstoffe usw.) Bezug nimmt. Der EWSA hat als Vertreter der Zivilgesellschaft ein Interesse daran, sich hierzu zu äußern.

3.   Zusammenfassung der Vorschläge

3.1

Der zu untersuchende Richtlinienvorschlag ist ein Instrument zur Umsetzung der Strategie zur Erhaltung und zum Schutz der Meeresumwelt. Zudem werden die internationalen Übereinkommen, insbesondere die im Rahmen der Vereinten Nationen (5) von der Kommission und den Mitgliedstaaten unterzeichneten Übereinkommen und die regionalen Übereinkommen (6) berücksichtigt, deren Ziele durch die vorliegende Richtlinie erreicht werden sollen.

3.2

Der Vorschlag für eine Richtlinie gliedert sich in fünf Kapitel. Im ersten Kapitel werden die allgemeinen Bestimmungen dargelegt, die Folgendes festlegen: den Gegenstand (Artikel 1), den Anwendungsbereich (Artikel 2), die Meeres- und Unterregionen (Artikel 3), die Meeresstrategien (Artikel 4), die Normen für die Koordinierung und Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten (Artikel 5) sowie die zuständigen Stellen (Artikel 6).

3.3

In diesem ersten Teil ist besonders auf den Inhalt von Artikel 4 über die Meeresstrategien hinzuweisen. Die Mitgliedstaaten sollen für jede Meeresregion eine Meeresstrategie entwickeln, die mindestens Folgendes beinhaltet:

Anfangsbewertung zur Erfassung des aktuellen Umweltzustands der Gewässer und der Umweltauswirkungen menschlichen Handelns;

Beschreibung eines guten Umweltzustands dieser Gewässer;

Festlegung von Umweltzielen;

Erstellung und Durchführung eines Überwachungsprogramms für die laufende Beurteilung der Ziele.

Zudem soll bis spätestens 2016 ein Maßnahmenprogramm mit dem Ziel eines guten Umweltzustands der Meere und Ozeane erstellt werden.

3.4

In den Kapiteln zwei und drei werden die Meeresstrategien entwickelt. Das zweite Kapitel enthält die Normen für die Erstellung der Meeresstrategien und das dritte Kapitel die Maßnahmenprogramme.

3.4.1

Als Ausgangspunkt für die Erarbeitung der Meeresstrategien unterziehen die Mitgliedstaaten ihre europäischen Meeresgewässer einer Anfangsbewertung (Artikel 7), die verschiedene Elemente umfassen muss. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Analyse der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzungsaspekte und der Kosten einer Verschlechterung der Meeresumwelt. Weiterhin werden der gute Umweltzustand beschrieben (Artikel 8 und Anhang II), die Umweltziele festgelegt (Artikel 9 und Anhang III) und zum Schluss Verfahren für die Entwicklung von Überwachungsprogrammen (Artikel 10 und Anhang II und IV) und für die Genehmigung festgelegt (Artikel 11).

3.4.2

In Kapitel III werden die Maßnahmenprogramme festgelegt, die von den Mitgliedstaaten in ihren Meeresgewässern umzusetzen sind (Artikel 12 und Anhang V), damit ein guter Umweltzustand erzielt werden kann. Außerdem muss die Kommission auf der Grundlage der Anfangsbewertung über die Maßnahmenprogramme informiert werden (Artikel 14), um anschließend die Programme (Artikel 15) und die Ad-hoc-Maßnahmen für die Sondergebiete (Artikel 13) zu genehmigen.

3.5

Im Kapitel IV werden die Bestimmungen zur Aktualisierung der Meeresstrategien für die betroffenen Meeresregionen (Artikel 16) und die Übermittlung eines Zwischenberichts innerhalb von drei Jahren festgelegt (Artikel 17). Besonders hervorgehoben werden muss Artikel 18, der die Bestimmungen für die Anhörung und Unterrichtung der Öffentlichkeit gemäß der Richtlinie 2003/35/EG enthält. Darüber hinaus wird auf die Verpflichtung der Kommission hingewiesen, Bewertungsberichte über die Umsetzung der Richtlinie zu veröffentlichen (Artikel 19) und die Richtlinie 15 Jahre nach Inkrafttreten zu überarbeiten.

3.6

Das abschließende Kapitel V enthält die technischen Bestimmungen mit einem besonderen Hinweis auf die dazugehörigen Anhänge (Artikel 21) und auf den Ausschuss, von dem die Kommission bei dieser Aufgabe unterstützt wird (Artikel 22).

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Der vorliegende Vorschlag für eine Richtlinie muss im Zusammenhang mit der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament eingehender erörtert werden — siehe die bereits genannte Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: „Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt“ und die Stellungnahme CESE 578/2003 des EWSA zu diesem Thema. Die Mitteilung enthält folgende Schwerpunkte:

Die Einzelmaßnahmen der Mitgliedstaaten und die Meere der Gemeinschaft zeigen nicht die gewünschte Wirkung der Verbesserung der Meeresumwelt, sondern ihr Zustand verschlechtert sich fortlaufend;

es findet keine effektive nationale Überwachung des Zustands der Gewässer statt;

die wissenschaftlichen Kenntnisse im Bereich Meeresumwelt sind unzureichend und erfordern ein höheres Forschungsengagement;

die Definition der Elemente und Ziele im Zusammenhang mit der notwendigen Strategie zum Schutz und zur Wiederherstellung der Meeresumwelt ist zufriedenstellend und es werden 23 mögliche Maßnahmen vorgeschlagen.

4.2

In der Stellungnahme des EWSA werden folgende Aspekte ausgeführt:

a)

Die Mitteilung ist ein erster Schritt zur Einführung der Handlungsschwerpunkte zum Schutz und zur Wiederherstellung der Meeresumwelt;

b)

trotzdem fehlt ein klares und wirksames Verfahren, wie z.B. die in der Wasser-Rahmenrichtlinie aufgestellte Regelung;

c)

dieses Verfahren auf der Basis von Ökosystemen sollte Bestimmungen zu dem „guten Meereszustand“, der Aufteilung der Meeresumwelt in Zonen, der Festlegung von Kriterien und Mechanismen für die Koordinierung zwischen den Behörden usw. umfassen.

4.3

In dieser Hinsicht werden wichtige Beiträge der Stellungnahme des EWSA in bestimmter Form der Auslegung in die Richtlinie integriert und ein Verfahren für die Aktivitäten in Anlehnung an die Regelung in der Wasser-Rahmenrichtlinie festgelegt. Dennoch bestehen wesentliche Unterschiede und zwar im Hinblick auf die Rolle der Kommission, der Mitgliedstaaten und der Organisation der verschiedenen Verfahrenselemente. Die Gründe für diese Unterschiede oder ihr Nutzen wurden aber nicht ausreichend dargelegt und vor allem sind in der Richtlinie auch schwerwiegende Widersprüche enthalten, wie z.B.:

a)

Die Mitteilung legt die Unzulänglichkeit der Einzelmaßnahmen und des gemeinschaftlichen Rahmens dar und in dem vorliegenden Richtlinienvorschlag wird dieses Handlungsverfahren beibehalten;

b)

die Mitteilung enthält erschöpfende Definitionen von Elementen, Zielen und Maßnahmen und in der vorliegenden Richtlinie werden diese Faktoren nur geringfügig berücksichtigt.

4.4

Nach Ansicht des EWSA ist der vorliegende Vorschlag für eine Richtlinie:

a)

notwendig aber unzureichend bezüglich der für die Europäische Union wichtigen Frage der Wiederherstellung und des Schutzes der Meeresumwelt, die über die Hoheitsgewässer hinausgeht;

b)

ein guter Ausgangspunkt, bei dem in wichtigen Aspekten differenziert werden muss;

c)

unvollständig und daher ist die Entwicklung neuer Punkte im Nachhinein erforderlich. Diese müssen dann in den Vorschlag integriert werden, damit die Rahmenrichtlinie die erforderliche Reichweite und Tiefe erhält.

4.5

Die Umsetzung liegt fast ausschließlich bei den Mitgliedstaaten und die Ausrichtung der Maßnahmen bei der Kommission. Die Mitgliedstaaten informieren die Kommission, die die Definitionen des Umweltzustands, die Umweltziele und Indikatoren, den Überwachungsplan und das Maßnahmenprogramm für die Sondergebiete sinngemäß genehmigt oder ablehnt.

4.6

Es werden weder neue Rechts- noch neue Verwaltungsinstrumente geschaffen, sondern die auf Gemeinschaftsebene bestehenden Instrumente und die Instrumente in den von der Europäischen Union unterzeichneten internationalen Übereinkommen genutzt.

4.7

Es wird dargelegt, in welcher Form die Öffentlichkeit und die Interessenvertreter in allen EU-Mitgliedstaaten einbezogen werden sollen.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1

Aus der Umsetzung weitreichenderer europäischer Bestimmungen in den Mitgliedstaaten (Wasser-Rahmenrichtlinie, IVU-Richtlinie) gewonnene Erfahrungen zeigen, dass die Kommission nicht nur für die Überwachung eine wichtige Rolle übernehmen muss, sondern unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips auch hinsichtlich der Koordination und Zentralisierung der Maßnahmen zur Unterstützung der Staaten. Zu diesem Zweck sollte die Kommission unter ihrer Leitung ein Forum der für die Regionen und Meeresgebiete zuständigen Behörden zusammenstellen und zwar mit Beteiligung der interessierten Parteien aus wissenschaftlichen Instituten, die nachweislich auf diesem Gebiet spezialisiert sind, sowie der für Fischereipolitik und Radionukliden zuständigen Behörden.

5.2

In dem Vorschlag für eine Richtlinie sollten daher nicht nur die Berichterstattungs- und Genehmigungspflicht in Bezug auf die vorgeschlagene Anfangsbewertung, der gute Umweltzustand, die Umweltziele, das Überwachungsprogramm und das Maßnahmenprogramm, einschließlich der Ad-hoc-Maßnahmen für die Sondergebiete aufgenommen, sondern auch ein Handlungsverfahren und eine Handhabungsfrist für mögliche Ablehnungen festgelegt werden. Dieses Verfahren sollte die Beteiligung der interessierten Parteien und der Öffentlichkeit vorsehen und Elemente mit genügend Anreizen enthalten.

5.3

Die Inhalte der Anfangsbewertung sind im Anhang II beschrieben. In der Tabelle zu den „Belastungen und Auswirkungen“ müssten im Sinne der Mitteilung, die dem Vorschlag für eine Richtlinie vorangegangenen ist, die anthropogenen Ursachen sowie deren Zusammenhang mit den Belastungen und Auswirkungen und den Elementen und Zielen zum Schutz der Meeresumwelt definiert werden, damit die Aktionen und politischen Maßnahmen der Strategie wirksam darauf abgestimmt werden können.

5.4

Der „gute Umweltzustand“ und „Umweltzustand der Meeresumwelt“ wird auf der Grundlage „generischer qualitativer Deskriptoren sowie ausführlicher Kriterien und Normen“ festgelegt. Es sollten aber auch quantitative Deskriptoren einbezogen werden, denn dieses Merkmal ist für die Deskriptoren einiger Variablen erforderlich, die sich sowohl auf die Anfangsbewertung als auch den guten Umweltzustand beziehen können. Für die Nachverfolgung der Variablen in den Überwachungsprogrammen werden zudem quantitative Richtgrößen benötigt (z.B. Phytoplanktondichte).

5.5

In Artikel 9 und Anhang III werden die Umweltziele auf der Grundlage zu allgemeiner Kriterien definiert. Es wäre nützlich, Mindestelemente und -ziele festzulegen, wobei zumindest die Inhalte der Mitteilung aus dem Jahr 2002 berücksichtigt werden sollten:

Rückgang der biologischen Vielfalt und Zerstörung von Lebensräumen,

gefährliche Stoffe,

Eutrophierung,

Radionuklide,

chronische Ölverschmutzung,

Abfälle,

Seeverkehr,

Gesundheit und Umwelt,

Klimawandel.

5.6

Das Maßnahmenprogramm (Artikel 12 Anhang IV) muss mindestens die Maßnahmen enthalten, die gemäß den europäischen Rechtsvorschriften obligatorisch sind, besonders die hinsichtlich der Küstengewässer, durch deren Aktionsprogramm versucht wird, die Schäden zu vermeiden, die durch die verschiedenen unter der vorangehenden Ziffer aufgelisteten Verschmutzungsquellen verursacht werden. Des Weiteren müssen die Maßnahmen enthalten sein, die gemäß den internationalen Vereinbarungen und Übereinkommen obligatorisch sind, sowie die Ad-hoc-Maßnahmen zur Minderung der Verschlechterung der Meeresumwelt in den Sondergebieten. Das hat den Vorteil, dass alle Maßnahmen und Aktionen, die auf verschiedene Bestimmungen und Rechtsnormen verteilt sind, in einer Einheit integriert werden können und ihre Umsetzung erleichtert werden kann.

5.6.1

Andererseits muss vermieden werden, dass die Maßnahmenprogramme auf dieses Minimum beschränkt bleiben, denn wie sich gezeigt hat, waren die Maßnahmen nicht ausreichend, um die Verschlechterung der Umwelt zu vermeiden, und so werden sie schwerlich genügen, um das Ziel eines guten Umweltzustands in den Meeresgebieten zu erreichen. Insofern wäre es von größter Wichtigkeit, in den Meeresanrainerstaaten in regelmäßigen Abständen für bewährte Verfahren der Ökotechnologie zu werben (umweltfreundliche Toiletten, phosphatfreie Waschmittel, Pufferzonen und Einschränkungen in Küstengebieten usw.).

5.7

Gemäß dem Richtlinienvorschlag können die Mitgliedstaaten Sondergebiete festlegen, in denen sie die Umweltziele aus folgenden Gründen nicht erreichen können:

Maßnahmen oder Untätigkeit eines anderen Mitgliedstaates oder eines Drittlandes;

natürliche Ursachen oder höhere Gewalt;

Veränderungen der physikalischen Merkmale aufgrund von „Maßnahmen aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“.

5.7.1

Diese Abfassung ist so doppeldeutig, dass sie leicht fehlinterpretiert werden kann. Daher ist Folgendes erforderlich:

1.

Eine klare und genaue Definition dieser Ursachen durch:

die Ausarbeitung einer Liste aller Maßnahmen oder Unterlassungen eines anderen Mitgliedstaates, die das Erreichen der Umweltziele beinträchtigen können;

die Definition von Ereignissen, die als natürliche Ursachen gelten, und Kriterien, durch die höhere Gewalt bestimmt wird;

die Definition des Konzepts „öffentliches Interesse“;

2.

die Festlegung eines Verfahrens für die Genehmigung dieser Ausnahmen durch die Kommission unter Beteiligung der interessierten Parteien und der Öffentlichkeit.

5.8

In Bezug auf die Fragen der Koordinierung und Zusammenarbeit muss an die Drittstaaten gedacht werden, die an unsere Meere und Ozeane angrenzen, und hierbei nicht nur an die, die internationale Übereinkommen unterzeichnet haben. Die betreffenden Länder sollten zu einer guten Zusammenarbeit angeregt werden, um einen verbesserten Umweltschutz zu erreichen.

5.9

Schließlich wird die Beteiligung der interessierten Parteien und der Öffentlichkeit durch den Richtlinienvorschlag über die bestehenden staatlichen Systeme gelenkt. Letztere werden aber in vielen Ländern in Frage gestellt, in einigen Fällen aufgrund fehlender Transparenz, in anderen angesichts später Beantwortung der Fragen, und manchmal aufgrund der Unklarheit im Zusammenhang mit Organisationen, die als „interessierte Parteien“ gelten usw. Daher sollte die Kommission ein schlankes und wirksames Verfahren festlegen, über das die Beschwerden und Anzeigen der interessierten Parteien, d.h. der Öffentlichkeit, angenommen und abgewickelt sowie ihre Rechte auf Informationen, Beratung und Beteiligung gewährleistet werden können. In diesem Sinne sollte, wie bereits erwähnt, der Aspekt „sinngemäß“ aus dem Genehmigungsverfahren entfernt werden.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  KOM(2002) 539 endg. - Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt.

(2)  Für eine eingehendere Erörterung siehe Stellungnahme (ABl. C 133 vom 6.6.2003) - Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Hin zu einer Strategie zum Schutz und zur Erhaltung der Meeresumwelt. (Berichterstatterin: Maria Candelas Sánchez Miguel).

(3)  Auf dem Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung in Johannesburg vom 26. August bis 4. September 2002 wurden in den Kapiteln I bis IV Übereinkommen über Ozeane und Meere, Fischereien, Meeresverschmutzung und Forschung aufgenommen. Siehe Stellungnahme (ABl. C 133 vom 6.6.2003).

(4)  KOM(2005) 505 endg. vom 14.10.2005.

(5)  Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS), das mit dem Beschluss 98/392/EG des Rates vom 23. März 1998 gebilligt wurde.

(6)  Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebiets, Beschluss 94/157/EG; Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordatlantiks, Beschluss 98/249/EG; Übereinkommen zum Schutz des Mittelmeers vor Verschmutzung, Beschluss 77/585/EWG in der 1995 geänderten Fassung.


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/24


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Bewältigung des industriellen Wandels in grenzüberschreitenden Regionen nach der Erweiterung der Europäischen Union“

(2006/C 185/05)

Am 20. Juli 2005 beschloss die künftige österreichische Ratspräsidentschaft, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen: „Bewältigung des industriellen Wandels in grenzüberschreitenden Regionen nach der Erweiterung der Europäischen Union“

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 22. März 2006 an. Berichterstatter war Herr KRZAKLEWSKI.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 21. April) mit 69 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Teil 1: Zusammenfassung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen des EWSA

Die österreichische Regierung ersuchte offiziell um die Ausarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema „Der industrielle Wandel in der erweiterten EU: Aussichten und Auswirkungen in grenzüberschreitenden Regionen“ durch die Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI).

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass unter dem neuen Ratsvorsitz in einer eigenen Definition genau geklärt werden sollte, was unter „Region“ in einem grenzüberschreitenden und industriellen Kontext zu verstehen ist. Dabei sollten Regionen, die an Nicht-EU-Länder grenzen, differenziert betrachtet und zudem berücksichtigt werden, ob der Nachbarstaat ein EU-Kandidatenland ist oder nicht.

Unter anderem soll die Frage beantwortet werden, wo und wie die Trennlinie zwischen den Auswirkungen des in den 90er Jahren in diesen Regionen vollzogenen Wandels und den Folgen der beitritts- und erweiterungsbedingten Veränderungen verläuft. Zudem gilt es zu bewerten, mit welchem Ergebnis die Gemeinschaftsinstrumente vor und nach dem Beitritt in diesen Regionen zum Einsatz kamen und mit welcher Verzögerung dies im Vergleich zu anderen Regionen geschah.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass ein wichtiger und sogar entscheidender Faktor bei der Gestaltung und Umsetzung der Industriepolitik in den grenzüberschreitenden Regionen der erweiterten EU darin lag und immer noch liegt, dass in diesen Gebieten Mittel aus den EU-Strukturfonds eingesetzt werden können. Eine Aufstockung des Anteils dieser Strukturmittel in diesen Regionen ist jedoch unbedingt notwendig. Die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den „Europäischen Verbund für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (EVGZ)“ bietet eine neue Chance in diesem Bereich. Mit besonderem Nachdruck unterstreicht der Ausschuss die Notwendigkeit der Einbeziehung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte sowie anderer interessierter Organisationen der Zivilgesellschaft, insbesondere von Bildungsinstitutionen, in den Kreis der EVGZ-Gründer. Die Errichtung von EVGZ-Gesellschaften könnte zu einer stärkeren Motivation für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit beitragen, würde diesen Regionen eine aktivere Rolle geben und die Harmonisierung der Rechtsvorschriften fördern.

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die Entwicklung der Arbeitsmärkte in den betroffenen Regionen einen nicht zu unterschätzenden Faktor für den industriellen Wandel darstellt. Zurzeit bestehen nach wie vor temporäre Mobilitätshemmnisse für Arbeitnehmer bei der grenzüberschreitenden Mobilität innerhalb der EU. Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, ernsthaft zu überprüfen, ob die Übergangsperioden nicht früher beendet werden können. Dabei bedarf es einer entsprechenden Einbindung und Konsultation der Sozialpartner auf allen relevanten Ebenen. In Bezug auf die anderen Instrumente zur Beeinflussung der Industriepolitik hebt der Ausschuss insbesondere die mögliche Einführung einer einheitlichen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage hervor.

Der Ausschuss hat in seinen Stellungnahmen wiederholt hervorgehoben, dass dem sozialen Dialog und dem Engagement der Zivilgesellschaft eine besonders wichtige Rolle bei der Gestaltung der Industriepolitik in den hier behandelten Regionen zukommt, und zwar sowohl bei der Umsetzung dynamischer industriepolitischer Maßnahmen als auch bei der Überwindung bestimmter Probleme im Verhältnis zwischen verschiedenen Nationalitäten, Volksgruppen und kulturellen Gemeinschaften.

Teil 2: Argumente für die Stellungnahme

1.   Einleitung

1.1

Die österreichische Regierung hatte kurz vor der Übernahme des Ratsvorsitzes formal darum ersucht, dass die Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) eine Sondierungsstellungnahme zum Thema „Der industrielle Wandel in der erweiterten EU: Aussichten und Auswirkungen in grenzüberschreitenden Regionen“ erarbeitet. Eine Sondierungsstellungnahme wird per definitionem vorgelegt, bevor die jeweilige EU-Institution einen Vorschlag unterbreitet oder eine politische Entscheidung trifft.

1.2

Der Übergang zur Marktwirtschaft und die Umsetzung der Binnenmarkt- und Wettbewerbsvorschriften der EU haben in vielen Regionen Mittel- und Osteuropas eine neue Dynamik in Gang gebracht. Der Beitritt der neuen Mitgliedstaaten brachte Grenzregionen einander näher und belebte in vielen Fällen einst bestehende Handels- und Geschäftsbeziehungen neu. Die neue Dynamik brachte jedoch auch neue, vor allem arbeitsmarktpolitische Probleme mit sich und offenbarte die infrastrukturellen Defizite der miteinander kooperierenden Grenzregionen.

1.3

Um sich einen genaueren Überblick über den derzeitigen industriellen Wandel in den grenzüberschreitenden Regionen der erweiterten EU zu verschaffen und Material für die Erarbeitung dieser Stellungnahme zu sammeln, veranstalteten die CCMI und die Europäische Stelle zur Beobachtung des Wandels (ESBW) am 17./18. Oktober 2005 in Bratislava in der grenzüberschreitenden Region CENTROPE einen Workshop, an dem Mitglieder der CCMI, Vertreter der Sozialpartner aus Österreich, der Slowakei und Ungarn sowie Experten teilnahmen.

2.   Allgemeine Bemerkungen zur Lage in den grenzüberschreitenden Regionen der erweiterten EU

2.1

In den Grenzregionen, die in Europa derzeit ca. 40 % der Gesamtfläche ausmachen, leben rund 33 % der EU-Bevölkerung (1).

2.2

Die Grenzen der EU haben sich seit der Unterzeichnung des EGKS-Vertrags stetig verändert. Sie werden sich auf mittlere Sicht noch weiter verschieben. Angesichts der damit verbundenen Veränderungsprozesse muss die EU ihre auf die Grenzregionen ausgerichtete Politik fortwährend aktualisieren.

2.2.1

An die EU grenzende Regionen in Kandidatenländern bauen bereits in der Phase der Vorbereitung des Beitritts und der Anpassung ihrer Rechtsvorschriften und ihres sozialen und wirtschaftlichen Systems Beziehungen der Zusammenarbeit zu benachbarten Regionen am äußeren Rand der EU auf.

2.2.2

Ein Sonderfall der Grenze war der „Eiserne Vorhang“. Ein großer Teil dieser Grenze liegt heute innerhalb der EU-25. Als 1989, neun Jahre nach der Solidarnosc-Revolution von 1980, die Berliner Mauer fiel, gab es in den Gebieten an der Grenze zwischen der Gemeinschaft und den ehemaligen Ostblockstaaten und insbesondere im sogenannten Niemandsland praktisch keinerlei Infrastruktur. Trotz der bedeutenden Fortschritte bei der Beseitigung der Folgen der politischen Entscheidungen, die zu dieser Situation geführt hatten, ist dieses Problem noch lange nicht gelöst.

2.2.3

Ein weiterer Sonderfall der EU-Grenzen ist das Mittelmeer. Obgleich es zwischen der EU und den Ländern des Mittelmeerraums seit vielen Jahren eine Politik der Zusammenarbeit gibt, hatte diese in letzter Zeit angesichts der Entwicklung der internationalen Lage offenbar keine hohe Priorität für Europa.

2.3

Schon vor dem EU-Beitritt entstanden in den Grenzregionen der neuen Mitgliedsländer enge, über die Grenzen hinweg reichende Beziehungen (z.B. die sog. Euroregionen) als neue Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die das Ergebnis von Nachbarschaftsvereinbarungen zwischen aneinander grenzenden Regionen waren. Für das Funktionieren der Euroregionen waren keine zwischenstaatlichen Vereinbarungen erforderlich. Sie basierten auf freien Entscheidungen der Gebietskörperschaften und anderer Beteiligter. Ziel der Zusammenarbeit innerhalb der Euroregionen war die gemeinsame Lösung von Problemen unabhängig von den politischen Grenzen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit in den Bereichen Verkehrsverbindungen und Umwelt.

2.4

Die praktische Umsetzung der interregionalen Zusammenarbeit in der EU erfolgte seit den 90er Jahren bis heute im Wesentlichen im Rahmen der verschiedenen INTERREG-Programme. Mit einigen Aspekten dieser Kooperation beschäftigte sich auch der EWSA in Stellungnahmen zur interregionalen Zusammenarbeit auf der Grundlage der Erfahrungen im Mittelmeer- und im Ostseeraum (2), (3), (4):

2.4.1

Die Arbeiten des EWSA ergaben, dass die von der Gemeinschaft geförderte interregionale Zusammenarbeit nach folgenden Kriterien definiert werden kann:

a)

nach der Art des Zielgebietes: Region, Großstadt, lokale Gebietskörperschaft unterhalb der regionalen Ebene;

b)

nach der räumlichen Kategorie: aneinander grenzende oder nicht aneinander grenzende Gebiete (grenzüberschreitende oder transnationale Zusammenarbeit);

c)

nach dem geografischen Gebiet: Zusammenarbeit innerhalb der EU oder zwischen EU-Regionen und benachbarten Regionen in Ländern, die nicht Mitglied der Gemeinschaft sind;

d)

nach dem Niveau der Zusammenarbeit, nämlich:

Sammeln gemeinsamer Erfahrungen, Schaffen eines Netzes für den Transfer von Know-how;

Raumplanung;

gemeinsame Projekte zur Werbung von Investitionen für Infrastrukturen und andere Einrichtungen.

2.4.2

Der Ausschuss stellte in seinen Stellungnahmen zum Thema INTERREG fest, dass es in den 90er Jahren relativ wenige Verbindungen zwischen den verschiedenen Kategorien der Zusammenarbeit gab. So funktionierte die Kooperation z.B. nur auf einigen der genannten Ebenen und war auf feste räumliche Kategorien und geografische Gebiete beschränkt.

2.4.3

Im Hinblick auf die grenzüberschreitenden Regionen zwischen Frankreich, Belgien, Deutschland und Luxemburg, die einen intensiven Strukturwandel durchmachten, war für die EU besonders der Einsatz solcher Methoden hilfreich, die der Bevölkerungsabwanderung aus diesen Regionen und dem Entstehen „postindustrieller Wüsten“ auf ihrem Gebiet entgegenwirkten. Einen prägenden Einfluss auf den Verlauf der Umstrukturierungen hatten die Mittel und Maßnahmen des EGKS-Vertrags.

2.5

Derzeit gibt es in Europa ungefähr 180 grenzüberschreitende Partnerschaften. Die meisten davon dienen als Instrument zum Ausgleich der negativen Auswirkungen der Grenzlage. Auf dem Gebiet der neuen Mitgliedstaaten befinden sich 32 Euroregionen. Daran wird die große Aktivität der neuen Mitgliedstaaten bei der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit deutlich.

2.6

In den meisten dieser 32 grenzüberschreitenden Regionen zwischen „neuen“ und an sie angrenzenden „alten“ Mitgliedstaaten gibt es bislang keine Initiativen, die sich direkt auf die Industriepolitik beziehen, obgleich viele gemeinsame Schritte diese Politik mittelbar betreffen.

2.7

Neue Initiativen im Bereich der Industriepolitik finden in der Regel in den Grenzregionen statt, die in der Nähe von Metropolregionen (z.B. innerhalb des Dreiecks Wien — Budapest — Bratislava) oder dort liegen, wo sich Industriezentren oder mehrere Großstädte befinden, die nicht als Metropolregionen gelten (die Region von Kattowitz/Katowice und Ostrau/Ostrava an der Grenze zwischen der Tschechischen Republik und Polen).

2.7.1

Ein interessantes neues Beispiel für den industriellen Wandel ist die Region Friaul-Julisch-Venetien an der italienisch-slowenischen Grenze, in der unmittelbar vor und nach der EU-Erweiterung ein Aufschwung im produzierenden Gewerbe und insbesondere in der Möbelindustrie zu verzeichnen war.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1   Schlüsselmerkmale grenzüberschreitender Regionen in der erweiterten EU

3.1.1

Die Merkmale grenzüberschreitender Regionen mit einer sich entwickelnden Industriepolitik werden in dieser Stellungnahme hauptsächlich anhand der CENTROPE-Region ermittelt (5).

3.1.1.1

Diese Region umfasst Gebiete aus drei neuen und einem der fünfzehn alten Mitgliedstaaten (in Österreich die Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland, dem Kreis Südmähren in der Tschechischen Republik, den Kreisen Bratislava und Trnava in der Slowakischen Republik sowie den Komitaten Győr-Moson-Sopron und Vas in Ungarn). Die gesamte Region vereint Bereiche mit typischen Problemen von Randlagen und benachbarte wirtschaftlich dynamische, urbane Zentralräume.

3.1.1.2

In den 90er Jahren vollzog sich hier ein intensiver Strukturwandel, in dessen Gefolge Investitionen in Teile dieser Region strömten. Dies führte auch zu Verschiebungen auf den Arbeitsmärkten, wo eine erhebliche Zahl vor allem älterer Arbeitnehmer ausschied und später parallel zu den Investitionen — nicht immer am selben Ort — eine Nachfrage nach Arbeitskräften entstand.

3.1.1.3

Die Erweiterung der EU hat im Vierländereck Österreich, Tschechische Republik, Slowakei und Ungarn vielfältige regionale Arbeitsmärkte zusammengeführt, deren Integration eine Herausforderung darstellt. Die Abwanderung von Betrieben und Arbeitskräften in Richtung der Städte sowie die mangelhafte (Verkehrs-)Infrastruktur belasten den Arbeitsmarkt nach wie vor in seiner Struktur ebenso wie ein ausgeprägtes Lohngefälle zwischen Österreich und den neuen EU-Staaten sowie ein prognostizierter Fachkräftemangel.

3.1.1.4

Es gab Anzeichen für die Herausbildung grenzübergreifender Produktionsketten. Dazu trug auch die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur bei, für die erhebliche Investitionen notwendig waren. Das führte dazu, dass bestehende Lücken gefüllt und einstige Bindungen, die auseinandergerissen waren, wiederhergestellt werden konnten.

3.1.2

Die Schlüsselimpulse für den industriellen Wandel in diesen Regionen kamen und kommen von ausländischen und inländischen Investitionen, auch im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen. In den Ländern, in denen vor dem Beitritt so genannte „Sonderwirtschaftszonen“ oder „Industrieräume“ geschaffen wurden, zogen diese die meisten Investitionen an. Diese Gebiete überschnitten sich nur in seltenen Fällen mit grenzüberschreitenden Regionen (siehe Stellungnahme des EWSA CCMI/025). Deshalb entwickelte sich nur in einer geringen Zahl von Grenzregionen eine neue Industriepolitik.

3.1.2.1

Der wichtigste Wachstumsmotor waren Investitionen in bestehende Gebäude („brown-field investment“) und Neubauten auf der grünen Wiese („green-field investment“) sowie die Unternehmensverlagerung. Die Erschließung neuer Märkte, Unterschiede in der Unternehmensbesteuerung, erhebliche Lohnunterschiede und staatliche Förderungen waren u.a. die Triebfedern dieser Investitionen. Diese Faktoren förderten den Prozess des Strukturwandels und trugen zum Wirtschaftswachstum bei.

3.1.2.2

Sie trugen dazu bei, dass Arbeitskräfte mit hoher und mittlerer Qualifikation angeworben werden konnten, und führten zur Senkung der Arbeitskosten sowie der nicht personalbezogenen Kosten. Besonders stieg die Nachfrage nach Fachpersonal für die Bedienung von Maschinen, Monteuren, Facharbeitern für Metallbearbeitung, Schweißern, Maschinenbauingenieuren und Informatikern — was im Übrigen im produzierenden Gewerbe in der gesamten EU immer stärker deutlich wird.

3.1.2.3

Im Ergebnis führten diese Maßnahmen zu einer besseren Management-Fähigkeit und Personalpolitik sowie zu besseren Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen. Dadurch konnten auch Finanzmittel für Investitionen gefunden und eine Verknüpfung mit den Beschaffungs- und den Kundenmärkten hergestellt werden.

3.1.2.4

An der Investitionstätigkeit beteiligten sich nicht nur Großunternehmen aus der EU, sondern auch kleinere und mittlere Unternehmen sowie Firmen aus Drittstaaten. Diese Unternehmen bündelten die Investitionen in so genannten „Clustern“, setzten auf Multiplikationseffekte und knüpften Beziehungen zu örtlichen Unternehmen, inländischen Firmen und ausländischen Tochtergesellschaften.

3.1.3

Die Untersuchung der Merkmale des industriellen Strukturwandels in den grenzüberschreitenden Regionen zeigt, dass dort im Allgemeinen die „step by step“-Methode (also ein Vorgehen „Schritt für Schritt“) angewandt wird.

3.1.3.1

Im ersten Schritt nehmen die Hersteller eine arbeitsintensive Produktion mit relativ gering qualifizierten Arbeitnehmern auf. Im nächsten Schritt greifen sie jedoch auf besser ausgebildete Arbeitnehmer und komplexere Dienstleistungen zurück. Bei Gelingen des ersten Schritts erfolgt der Übergang zur teilweisen Auslagerung in externe, allerdings noch auf dem Gebiet der Region gelegene Unternehmen mit dem Ziel, die Arbeitskosten zu senken.

3.1.3.2

Wesentliche Bedeutung für die strukturellen Fragen, die den industriellen Wandel begleiten, hatten strukturelle Zusammenschlüsse in zwei Richtungen: einmal nach oben (im Ausland im Rahmen der Region und darüber hinaus) und nach unten (auf lokaler Ebene) mit dem Ziel, Wettbewerbsvorteile im Netzverbund oder in der Region zu erzielen.

3.1.3.3

Zur Anwendung kamen auch mit einem höheren Risiko verbundene Konzepte (nach dem Schneeballprinzip), die, wie sich herausstellte, stärkere Verbindungen hervorgebracht haben. Die bei diesem Prozess entstehenden „Ableger“ einer expandierenden Firma zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich leicht auf weitere neue Unternehmen verpflanzen lassen.

3.1.3.4

Eine in den grenzüberschreitenden Regionen auch in den neuen EU-Mitgliedsländern zu beobachtende Erscheinung ist die Gründung neuer Tochterunternehmen oder Niederlassungen durch dynamische Investoren, die in der zweiten Entwicklungsetappe in der Region auf den Plan treten. Zu beobachten ist auch eine Förderung der Industriepolitik in diesen Regionen durch grenzübergreifende und häufig internationale Firmennetze, z.B. auf dem Gebiet des interaktiven grenzüberschreitenden Personalmanagements.

3.2   Wachstums- und Integrationsfaktoren im Rahmen des industriellen Wandels in grenzüberschreitenden Regionen

3.2.1

Im Bereich der Industriepolitik geht es hier um die Anwendung direkter Anreize und Lockinstrumente und die Entstehung von Asymmetrien zwischen Unternehmen. Größere Probleme im Umgang mit einer solchen Asymmetrie haben Firmen, welche zu Netzen kleiner und mittelständischer Unternehmen gehören.

3.2.1.1

Wie Roberto Pedersini in seinen Ausführungen (siehe Fußnote 5) feststellt, wird es in naher Zukunft möglicherweise zu einer Verkürzung der Tätigkeitsdauer von Unternehmen auf einen mittleren Zeithorizont kommen, was zweifellos soziale Auswirkungen haben wird und durch den Einsatz geeigneter und im Dialog mit den sozialen und wirtschaftlichen Partnern abgestimmter Mechanismen erfolgen sollte.

3.2.2

Eine sehr große Herausforderung für die Entwicklung der gesamten EU sowie die Zukunft der Industriepolitik in der gesamten Gemeinschaft und besonders in den grenzüberschreitenden Regionen sind die Unterschiede bei den Unternehmenssteuern insbesondere im Zusammenhang mit der Körperschaftsteuer (6).

3.2.2.1

Ungemein wichtig ist die Entscheidung, ob die Körperschaftsteuer harmonisiert werden sollte und wie die Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage bestimmt werden soll, das heißt, entweder nach dem Land des Hauptsitzes (Home State Taxation — HST) oder nach einer gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (Common Corporate Consolidated Tax Base — CCCTB).

3.2.2.2

Bei der Besteuerung nach dem HST-Prinzip entfällt in den grenzüberschreitenden Regionen in der EU die Anwendung unterschiedlicher Rechtsvorschriften zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage. Damit sind jedoch mehr Risiken verbunden (7).

3.2.2.3

Kommt die gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage zum Einsatz, bedeutet dies, dass alle grenzübergreifend tätigen Unternehmen unabhängig davon, in welchem Land ihr Hauptsitz liegt, einheitliche Grundsätze für die Ermittlung des versteuerbaren Einkommens anwenden (8). Zudem erfordert die gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage keine Änderungen der geltenden nationalen Rechtsvorschriften, sondern nur, dass man sich auf die Verabschiedung neuer, zusätzlicher und allgemein geltender Vorschriften für Unternehmen, die in mehreren Ländern tätig sind, einigt.

3.2.2.4

Ein Nachteil der gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage ist sicherlich das Risiko, dass zwei Unternehmen aus dem gleichen Land mit einer ähnlichen Leistungskraft und ähnlichen Marktanteilen auf dem Inlandsmarkt ihr zu versteuerndes Einkommen nach unterschiedlichen Kriterien ermitteln würden.

3.2.3

Einer der wichtigsten Faktoren, der die Entwicklung der Industriepolitik in diesen Regionen beeinflusst, ist sowohl der derzeitige Entwicklungsstand als auch das Tempo des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur innerhalb der Region und an ihren Zugangskorridoren. Aus diesem Grund muss nicht nur intensiv in den Bau und die Modernisierung der regionalen Verkehrsnetze investiert werden, sondern auch gemeinsame Verkehrsprojekte initiiert und diese nach modernen Kriterien und unter Nutzung von Innovationen und wissenschaftlicher Forschung geleitet und umgesetzt werden.

4.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

4.1

Das Konzept grenzüberschreitender Regionen mit einer neuen operativen Industriepolitik ist sowohl allgemein gesehen als auch im Hinblick auf konkrete Fälle und Standorte sehr komplex. Aus diesem Grund ist der Ausschuss der Ansicht, dass unter dem neuen Ratsvorsitz im Rahmen einer separaten Definition genau geklärt werden sollte, was unter dem Begriff „Region“ in einem grenzüberschreitenden und industriellen Kontext zu verstehen ist. Dabei sollten Regionen, die an Nicht-EU-Länder grenzen, differenziert betrachtet und zudem berücksichtigt werden, ob der Nachbarstaat ein EU-Kandidatenland ist oder nicht.

4.1.1

Insbesondere in Bezug auf diese Regionen sowohl in den neuen Mitgliedsländern als auch an der Grenze zu den alten EU-Ländern muss die Frage beantwortet werden, wo und wie die Trennlinie zwischen den Auswirkungen des in den 90er Jahren in diesen Regionen vollzogenen Wandels und den Folgen der beitritts- und erweiterungsbedingten Veränderungen verläuft. Zudem gilt es zu bewerten, mit welchem Ergebnis die Gemeinschaftsinstrumente vor und nach dem Beitritt in diesen Regionen zum Einsatz kamen.

4.1.2

Die Arbeiten des neuen Ratsvorsitzes in Zusammenarbeit mit dem EWSA müssten die Beantwortung folgender Fragen zum Gegenstand haben:

Wurden die direkten und indirekten Gemeinschaftsinstrumente in den grenzüberschreitenden Regionen angesichts der Bedürfnisse dieser Regionen und der ganzen EU nicht verspätet eingesetzt?

Wie kann die zwischen den Arbeitgebern und Gewerkschaften im Hinblick auf viele wirtschaftliche Projekte in grenzüberschreitenden Regionen offensichtlich herrschende Übereinstimmung optimal genutzt werden?

Wie kann der für die nahe Zukunft bestehenden doppelten Gefahr einer Unternehmensverlagerung einmal aus den Grenzregionen in die osteuropäischen Länder und letztendlich nach Asien begegnet werden?

Sollten angesichts der Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen einer verspäteten Politik in vielen grenzüberschreitenden Regionen (was zum einen historisch bedingt ist und zum anderen damit zusammenhängt, dass die Gemeinschaftspolitik den Bedürfnissen dieser Regionen hinterherhinkt) bestimmte Gemeinschaftsinstrumente in diesen Regionen nicht schon im voraus zum Einsatz kommen, auch als Prüfstein für diese Politik und im Zuge von Pilotprojekten?

4.2

Im Hinblick auf den charakteristischen Ansatz für grenzüberschreitende Regionen in der erweiterten EU, die sich durch Folgendes auszeichnen:

Streben nach Minimierung der Arbeitskosten;

dynamischer Standortwechsel der Unternehmen;

Versuche einer Verkürzung der geplanten Tätigkeitsdauer von Unternehmen auf einen „mittelfristigen Zeithorizont“;

dynamische Veränderungen in der Beschäftigungsstruktur im Ergebnis eines schrittweisen Vorgehens,

vertritt der EWSA die Auffassung, dass es vor allem darauf ankommt, den sozialen Zusammenhalt sicherzustellen und einen Absenkungswettbewerb bei den arbeitsrechtlichen und sozialen Standards zu vermeiden. Daher ist es notwendig, dass diese Prozesse unter Einsatz der in der EU im Rahmen der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen existierenden modernen, konsolidierten Instrumente und insbesondere des sozialen Dialogs bzw. des Stakeholder-Dialogs verlaufen.

4.2.1

Angesichts der für grenzüberschreitende Regionen typischen Probleme auf dem Arbeitsmarkt, die die Folge einer historischen Vernachlässigung, des Strukturwandels sowie von dynamischen Veränderungen in Folge der Umsetzung einer spezifischen Industriepolitik in diesen Regionen sind, schlägt der EWSA vor, in diesen Fällen als Anreiz zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Anhebung der Qualifikation vorübergehend die früher bereits häufig in der EU eingesetzten Mechanismen der Beschäftigungsförderung anzuwenden, nämlich die Subventionierung von Unternehmen, die dauerhafte Arbeitsplätze schaffen.

4.2.2

Ein solches Konzept sollte über entsprechende Sicherheitsmechanismen verfügen, die einen Missbrauch öffentlicher Gelder verhindern und sicherstellen, dass die auf diese Weise geschaffenen Arbeitsplätze unbestritten neu und von dauerhafter Art sind. Die technischen Aspekte solcher Sicherheitsmechanismen wurden im Hinblick auf öffentliche Aufträge bei der Überarbeitung der entsprechenden EU-Richtlinien über das öffentliche Auftragswesen behandelt.

4.2.3

Insbesondere sollten solche Unternehmen nicht in den Genuss staatlicher Beihilfen oder von Fördermitteln der Strukturfonds kommen können, die nach erfolgter früherer Förderung Arbeitsplätze verlagerten oder die im Zuge von Standortverlagerungen Arbeitskräfte an ihrem ursprünglichen Standort entlassen haben, ohne die nationalen und internationalen Rechtsvorschriften einzuhalten.

4.3

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass ein wichtiger und sogar entscheidender Faktor bei der Entwicklung und Umsetzung der Industriepolitik in den grenzüberschreitenden Regionen der erweiterten EU darin lag und immer noch liegt, dass in diesen Regionen Mittel aus den EU-Strukturfonds eingesetzt werden können. Eine Aufstockung des Anteils dieser Strukturmittel in diesen Regionen ist sowohl im Hinblick auf die Abmilderung des Verlaufs intensiver Übergangsprozesse als auch zur Anpassung an den dynamischen Charakter der dort angewandten Politik jedoch unbedingt notwendig.

4.3.1

Auf dieser Grundlage knüpft der Ausschuss an seine Stellungnahme (9) zu der Verordnung des EP und des Rates über den Europäischen Verbund für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (EVGZ) an und unterstreicht mit besonderem Nachdruck die Notwendigkeit, die Bestimmungen der Verordnung über die Ziele und die Zusammensetzung eines EVGZ weiter zu fassen und dazu die Einbeziehung „der wirtschaftlichen und sozialen Akteure sowie der anderen betroffenen Organisationen der Zivilgesellschaft“ in den Text aufzunehmen.

4.3.1.1

Die im Rahmen der EGVZ und im Rahmen anderer Strukturfonds gegründeten Gesellschaften könnten die Koordinierung der verschiedenen Finanzquellen und die Entwicklung und Durchführung von aus diesen Fonds finanzierten Projekten zur Förderung der Industriepolitik in der Region übernehmen, wobei die Mittel Vertretern der verschiedenen Beteiligten vor Ort zugänglich sein sollten. Die Gründung solcher juristischen Personen könnte zur Stärkung der Motivation für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit beitragen, würde diesen Regionen eine aktivere Rolle geben und die Harmonisierung der Rechtsvorschriften fördern.

4.3.2

Bei der Entwicklung und späteren Umsetzung von aus den Strukturfonds finanzierten Projekten sollte die Möglichkeit der kombinierten Finanzierung aus öffentlichen Quellen und durch private Investoren genutzt werden, ohne dass der Anteil öffentlicher Mittel als unzulässige Beihilfe eingestuft wird. Das Kriterium sollte nicht der Nutzen für das Wirtschaftssubjekt, sondern der Nutzen für die Region in Form von Arbeitsplätzen, Infrastrukturentwicklung und auch Produktivität der Wirtschaft sein.

4.4

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die Entwicklung der Arbeitsmärkte in den betroffenen Regionen einen nicht zu unterschätzenden Faktor für den industriellen Wandel darstellt. Zurzeit bestehen nach wie vor temporäre Mobilitätshemmnisse für Arbeitnehmer bei der grenzüberschreitenden Mobilität innerhalb der EU. Der Ausschuss fordert die Mitgliedstaaten auf, ernsthaft zu überprüfen, ob die Übergangsperioden nicht früher beendet werden können. Dabei bedarf es einer entsprechenden Einbindung und Konsultation der Sozialpartner auf allen relevanten Ebenen.

4.4.1

Bei der Verbesserung der Mobilität der Arbeitnehmer in grenzüberschreitenden Regionen sollte man jedoch die Möglichkeit von Spannungen zwischen verschiedenen Nationalitäten bzw. ethnischen Gemeinschaften nicht übersehen. Die Besonderheit und Erfahrung von Regionen, in denen verschiedene Kulturen und Volksgruppen seit langem vermischt leben, sollte es ermöglichen, diese schwierigen Fragen wirkungsvoller als anderswo zu entschärfen und zu lösen. Dem sozialen Dialog und dem Engagement der Zivilgesellschaft kommt eine besonders wichtige Rolle bei der Bewältigung der Probleme im wechselseitigen Verhältnis zwischen verschiedenen Nationalitäten, Volksgruppen und kulturellen Gemeinschaften zu (10).

4.5

Die Maßnahmen im Zuge des dynamischen Strukturwandels in grenzüberschreitenden Regionen sollten unter den einzelnen EU-Präsidentschaften systematisch von Fachleuten bewertet und wissenschaftlich untersucht werden, da spontane Initiativen sich als unwirksam erweisen und sogar destabilisierend wirken könnten.

Brüssel, den 21. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  A. Zölner: Ausführungen in der 216. Sitzung des außenpolitischen Ausschusses des Senats der Republik Polen, Warschau, 26.10.2004.

(2)  ABl. C 133 vom 31.5.2006

(3)  ABl. C 39 vom 12.2.1996

(4)  ABl. C 39 vom 12.2.1996

(5)  Gemeinsamer CCMI/EMCC-Workshop, Bratislava, 17./18.10.2005; Ausführungen von Roberto Pedersini und Klára Fóti (und anderen).

(6)  KOM(2005) 532.

(7)  Rafał Lipniewicz: „Jeden system dla wszystkich przedsiębiorców“ (Ein System für alle Unternehmen), erschienen in Rzeczpospolita vom 27.7.2004, Ausgabe Nr. 174.

(8)  Ebenda.

(9)  ABl. C 234 vom 22.9.2005

(10)  Europäische Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, Bericht über das soziale Kapital der Regionen in Europa, 2005.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende abgelehnte Änderungsanträge wurden mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt:

Ziffer 3.2.2.1

Text streichen.

Ungemein wichtig ist die Entscheidung, ob die Körperschaftsteuer harmonisiert werden sollte und wie die Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage bestimmt werden soll , das heißt, entweder nach dem Land des Hauptsitzes (Home State Taxation HST) oder nach einer gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (Common Corporate Consolidated Tax Base CCCTB).“

Ziffer 3.2.2.2

Die Ziffer streichen.

Ziffer 3.2.2.3

Die Ziffer streichen.

Ziffer 3.2.2.4

Die Ziffer streichen.

Begründung

Die Erörterung möglicher steuerpolitischer Lösungen hat in diesem Text keinen Stellenwert. Das ist auch nicht die Aufgabe der Stellungnahme.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 20

Nein-Stimmen: 50

Stimmenthaltungen: 3


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/31


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken über Wanderung und internationalen Schutz“

KOM(2005) 375 endg. — 2002/0156 (COD)

(2006/C 185/06)

Der Rat beschloss am 17. November 2005 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. Februar 2006 an. Berichterstatterin war Frau SCIBERRAS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 131 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

1999 trat der Vertrag von Amsterdam in Kraft. Zu den Zielen dieses Vertrags zählt „die Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität der freie Personenverkehr gewährleistet ist“ (1).

1.2

Dies bedeutete einen geradezu revolutionären Schritt, da die Migrationspolitik von der dritten, auf Regierungszusammenarbeit beruhenden Säule der Europäischen Union auf die erste Säule übertragen wurde, bei der die Europäische Kommission das Initiativrecht für die Politikgestaltung besitzt. Am 1. Mai 2004 begann zudem eine neue Etappe der Migrationspolitik in den nun 25 Mitgliedstaaten: Der allmähliche Wandel von einer einzelstaatlichen Politik hin zu einer gemeinschaftlichen Politik wurde weiter ausgedehnt.

1.3

Am 17. Dezember 2005 gelang es dem britischen Ratsvorsitz, eine Einigung über die Finanzielle Vorausschau 2007-2013 — den Rahmen für die Finanzen der EU im nächsten Planungszeitraum — herbeizuführen (2).

1.4

Unter der Rubrik „Unionsbürgerschaft, Freiheit, Sicherheit und Recht“ sind Ausgaben für verschiedene Initiativen (z.B. im Bereich des Grenzschutzes) vorgesehen, um die Sicherheit der Unionsbürger in den 25 Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Diese Ausgaben dürften in den kommenden acht Jahren deutlich zunehmen. Andererseits gibt es auch Initiativen im Bereich der Sozialpolitik, z.B. die sozial ausgerichteten Vorhaben, einen Europäischen Flüchtlingsfonds und einen Integrationsfonds ins Leben zu rufen, die auf bessere Leistungen für Einwanderer in den Mitgliedstaaten abzielen.

1.5

Der Europäische Rat von Thessaloniki 2003 drängte darauf, „legale Wege für die Einwanderung von Drittstaatsangehörigen in die Union zu sondieren, wobei der Aufnahmekapazität der Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen ist“ (3).

1.6

In den einschlägigen Beratungen — insbesondere bei der Beurteilung der Aufnahmekapazität der einzelnen Mitgliedstaaten — müssen nicht nur die Größe der Bevölkerung, des Staatsgebiets und der Wirtschaftsleistung, sondern auch die Zahl der bereits eingewanderten Personen und die aktuellen Migrationsbewegungen berücksichtigt werden. Eine korrekte Beurteilung dieser Aspekte ist jedoch nicht möglich ohne eine Harmonisierung statistischer Metadaten (Regeln für die Datenerhebung) in den Mitgliedstaaten, die die interne Kohärenz der Statistiken im Unionsgebiet gewährleisten würde.

1.7

Die mangelnde Harmonisierung der Statistiken resultiert teilweise aus unterschiedlichen Definitionen des Begriffs „Migration“ (bzw. „Wanderung“), die wiederum auf Unterschiede im Migrationsrecht zurückgeführt werden können. Darüber hinaus zeichnet sich die Datenerhebung durch Ineffizienzen und Defizite aus, die die Entwicklung und Förderung einer schrittweisen Harmonisierung erschweren.

1.8

Außerdem sind illegale Einwanderung und Schwarzarbeit weit verbreitet und — teilweise aufgrund der Einschränkungen der Möglichkeiten zur legalen Einwanderung — weiter im Vormarsch. In diesem Bereich der nicht registrierten Migration erweisen sich statistische Messungen häufig als ungenau. Gerade hier zeigt sich, dass Umfang und Methode der statistischen Berechnung oftmals zwischen den einzelnen nationalen Statistikbehörden variieren. Dies macht die Harmonisierung von Metadaten umso dringlicher. So führte in den Vereinigten Staaten das Problem der Dunkelziffer illegaler Einwanderer zu einer Diskussion über die Frage, ob das in Volkszählungen erhobene Zahlenmaterial durch jene Daten über nicht gemeldete Personen ergänzt werden sollte, die mittels Stichprobentechniken gesammelt werden. Neben Stichprobentechniken gibt es noch andere Methoden, die für statistische Erhebungen verwandt werden können. Beispielsweise sind in Frankreich die lokalen Gebietskörperschaften an der Datenerfassung beteiligt.

1.9

Im Entwurf des Verfassungsvertrags wird das Recht der Mitgliedstaaten anerkannt, „festzulegen, wie viele Drittstaatsangehörige aus Drittländern in ihr Hoheitsgebiet einreisen dürfen, um dort als Arbeitnehmer oder Selbstständige Arbeit zu suchen“ (4). Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat die Auffassung vertreten, dass dieser Verfassungszwang die EU aber nicht darin hindert, bei den Rechtsvorschriften über die Aufnahme von Einwanderern ein hohes Harmonisierungsniveau zu erreichen. Der EWSA hat zudem die Notwendigkeit einer aktiven EU-Politik für Wirtschaftsmigration und einer Harmonisierung der diesbezüglichen Rechtsvorschriften herausgestellt (5).

1.10

Das Erfordernis einer Weiterentwicklung des Rechtsrahmens für Migration liegt teilweise in demografischen Veränderungen sowie der Umsetzung der Lissabon-Strategie begründet. Der EWA hat festgestellt, dass „die Bevölkerungsentwicklung in der EU und die Strategie von Lissabon […] aktive Maßnahmen zur Aufnahme von Wirtschaftsmigranten […] notwendig erscheinen [lassen]. Zwar weist jedes Land eigene Erfordernisse und Besonderheiten auf, doch ein gemeinsames Merkmal aller Mitgliedstaaten ist die Öffnung der Kanäle für die Wirtschaftsmigration“ (6). Die EU und die Mitgliedstaaten benötigen Rechtsvorschriften, die Arbeitsmigration ermöglichen und dafür sorgen, dass sie über legale und transparente Kanäle erfolgt. Der EWSA ist der Auffassung, dass dieses Konzept — auch wenn es vornehmlich auf den wirtschaftlichen Aspekt der Migration abhebt — für sich genommen auf eine Reduzierung ausgerichtet ist und dass die Mitgliedstaaten auch aktive Maßnahmen zur Aufnahme von Nicht-Wirtschaftsmigranten ergreifen sollten.

1.11

Umfangreiche Migrationsströme führen wegen der erhöhten Belastung der öffentlichen Leistungsträger und der möglichen Folgen für den Arbeitsmarkt auch zu Anpassungsschwierigkeiten in den Aufnahmeländern. Diese Folgen fallen indes — in Abhängigkeit vom Absorptionsvermögen der Aufnahmeländer — unterschiedlich ins Gewicht. Damit sich die Bürger eine Meinung zu den Auswirkungen der Migrationsströme bilden können, benötigen sie präzise und zwischen allen Mitgliedstaaten übereinstimmende statistische Informationen. Darüber hinaus können exakte Statistiken dazu beitragen, fremdenfeindlichen Tendenzen in Teilen der Bevölkerung zu begegnen, z.B. Ansichten wie „Die Einwanderer nehmen den Einheimischen die Arbeitsplätze weg!“ oder „Unser Land wird von Einwanderern überschwemmt!“.

1.12

Zuverlässige statistische Informationen können der Entwicklung eines gemeinsamen Rechtsrahmens, der zum Schutz der Rechte von Einwanderern beiträgt, förderlich sein. Der EWSA ruft die Kommission dazu auf, die Bedeutung der sorgfältigen Zusammenstellung und Auswertung statistischer Informationen herauszustellen, um so Fehlinterpretationen von Daten vorzubeugen.

1.13

Da Arbeitsmigranten einen erheblichen Teil der Arbeitskräfte ausmachen, müssen bei der Verwirklichung des Ziels, Mobilität auf dem EU-weiten Arbeitsmarkt zu erreichen, die Konsequenzen von Beschränkungen berücksichtigt werden, denen Arbeitsmigranten aus Drittstaaten bei der Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten und einer Neuansiedlung in einem anderen Mitgliedstaat unterliegen. Darüber hinaus dürfte eine solche EU-interne Migration die Anpassungsschwierigkeiten der Aufnahmeländer mit geringem Absorptionsvermögen erleichtern.

1.14

Der EWSA vertritt den Standpunkt, dass zur Gewährleistung der Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde jedes Einzelnen sämtliche Prozesse der Sammlung/Verarbeitung persönlicher Daten zu statistischen und/oder anderen amtlichen Zwecken vor Verfahrensmissbrauch oder anderen Verstößen wirkungsvoll geschützt werden sollten.

2.   Bedeutung statistischer Daten in einem Rechtsrahmen

2.1

Statistiken über die politische, soziale und wirtschaftliche Situation sowie die Einstellung der einzelnen Mitgliedstaaten zur Migrationsproblematik können die Gestaltung, Bewertung und Überarbeitung der Migrationspolitik in diesen Ländern beeinflussen und unterstützen.

2.2

Exakte statistische Daten sind für die Beschreibung der Migrantenpopulationen in den Mitgliedstaaten (z.B. ihre Größe und andere demografische Merkmale) äußerst wichtig. Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich dazu auf, die Notwendigkeit präziser statistischer Daten auf diesem Gebiet zu unterstreichen, damit sich die Mitgliedstaaten der Bedeutung dieses Handlungsfeldes bewusst werden und dafür mehr Mittel vorsehen.

3.   Migrationsdaten

3.1

Folgende Merkmale des Migrationsszenarios müssen bedacht werden: 1. Die Ströme der Migranten, die auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen sind, verlaufen vornehmlich von Osten nach Westen. 2. Immer mehr Drittstaatsangehörige wandern in die neuen Mitgliedstaaten ein, da sie sich offenkundig von den potenziellen Vorteilen, die sich aus der EU-Mitgliedschaft dieser Länder ergeben, angezogen fühlen und sie diese Länder außerdem als Sprungbrett nutzen können, um in den Westen zu gelangen. Statistische Informationen über Migrationsmuster sind für die Mitgliedstaaten erforderlich, um frühere und aktuelle Migrationsströme zu untersuchen und künftige Trends vorherzusagen, aber auch um die demografischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen und Chancen, die ihrerseits für die einschlägigen Maßnahmen von Bedeutung sind, zu analysieren.

4.   Vorteile statistischer Daten

4.1

Die meisten Mitgliedstaaten besitzen bereits umfangreiche Statistiken über die Herkunftsländer von Asylsuchenden. Dennoch besteht ein großer Bedarf an noch eingehenderen Statistiken, die auf zwischen den Mitgliedstaaten übereinstimmenden und damit länderübergreifende Vergleiche erlaubenden Kriterien basieren.

4.2

Die vorgeschlagene Verordnung für einen gemeinsamen Rahmen für die Sammlung und Erstellung von Statistiken erweist sich in den Ländern als besonders dringlich, in denen die migrations- und asylspezifischen Informationen nicht in einer zentralen Datenbank, sondern in den Datenbänken verschiedener Behörden gespeichert werden.

4.3

Statistiken sind u.a. deshalb von entscheidender Bedeutung, weil sie auf die Politikgestaltung und -reformierung einwirken. Beispielsweise haben die Statistiken, denen zufolge unter den illegalen Einwanderern auch Kinder, unbegleitete Minderjährige, Schwangere und Behinderte sind, zur Entwicklung nationaler Maßnahmen für (aus der Haft zu entlassende) „schutzbedürftige Personen“ und „unbegleitete Minderjährige“ geführt. Demzufolge wirkt sich eine größere Tiefengliederung von Statistiken — bei der es nicht nur um die zahlenmäßige Erfassung der Zuwanderer, sondern auch um die Sammlung umfangreicherer demografischer und sozioökonomischer Informationen (z.B. zu den Sprachkenntnissen) geht — auf die Politikgestaltung aus. Sie kann sich auch auf die Eingliederung von Migranten in den Arbeitsmarkt auswirken.

4.4

Präzisere und umfassendere Datenbestände ermöglichen zuverlässigere Projektionen und bieten somit eine Grundlage für Finanzplanungen usw. Statistiken sind zudem zuverlässige Instrumente zur Begründung für den Einsatz von Finanzmitteln. Zeigen beispielsweise die jährlichen Statistiken eine stetige Zunahme illegaler unbegleiteter Minderjähriger in einem Land auf, sollten die Mittel zur Bereitstellung von Sonderunterkünften und Betreuungsangeboten für diese Personen eingeplant bzw. aufgestockt werden.

4.5

Zuverlässige Statistiken tragen dazu bei, dass die bereitgestellten Leistungen den Bedürfnissen der Leistungsempfänger entsprechen und die Ressourcenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten gerecht und verhältnismäßig erfolgt.

4.6

Durch eine vergleichende Studie über sämtliche Einwanderungsgesetze in der EU-25 könnte die Europäische Kommission die Migrationspolitik auf Gemeinschaftsebene zweifellos besser koordinieren. Auch wenn Migration in die Säule „Justiz und Inneres“ fällt, wächst die Forderung der europäischen Bürger, Einwanderungsfragen auf EU-Ebene anzugehen, vor allem in den Ländern, die mit diesem humanitären Problem konfrontiert sind, unaufhörlich. Ziel einer entsprechenden Studie wäre es, den Weg für eine statistische Harmonisierung zu bereiten und damit die EU-Maßnahmen im Bereich der Migration kohärenter zu gestalten.

4.7

Zuverlässige statistische Informationen und Umfragen zu den Merkmalen illegaler Einwanderer würden den EU-Mitgliedstaaten helfen, die eigentlichen Ursachen der illegalen Einwanderung zu analysieren. Solche Daten könnten sich auf den sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund der Einwanderer, ihre Qualifikationen, ihre Erwartungen und ihre Gründe für die Auswanderung beziehen. Die Umfragen könnten ihrerseits zu einem besseren Bestand an Informationen über Einwanderer und zur Zuweisung von Mitteln für Bildungs- und Ausbildungsprogramme für diese Personen führen. Die Erhebung von Statistiken — z.B. zu folgenden Fragen: Wie viele Einwanderer sind über die Beantragung internationalen Schutzes informiert? Wie viele entsprechende Anträge werden gestellt? Welcher Status wird wie oft gewährt/verweigert? (Artikel 4) — ist ebenfalls entscheidend für die Gestaltung der Politik zum Schutz von Einwanderern. Die Erfassung und Verarbeitung dieser Daten muss unter Kontrolle der Behörden der Mitgliedstaaten erfolgen. Diese würden mit neuen Ressourcen in Bezug auf Personal, Qualifikationen und Instrumente ausgestattet und wären gehalten, die Vertraulichkeit der angeforderten personenbezogenen Daten zu gewährleisten und Jahresberichte für ihr jeweiliges Parlament zu erstellen. Ein Vergleich solcher Informationen und statistischen Daten setzt gemeinsame Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Einstellung von Berufsdolmetschern voraus, die in der Lage sind, mit den Einwanderern zu kommunizieren und alle für eine erfolgreiche Umfrage notwendigen Daten zu ermitteln. Diese Datenerhebung würde den Mitgliedstaaten helfen, angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Die vorgenannten Programme tragen zur Integration von Einwanderern in die Gesellschaft der Mitgliedstaaten bei. Zur Sammlung von Daten (z.B. über den sozialen Hintergrund von Migranten) stehen bestimmte Fonds zur Verfügung. Derartige statistische Instrumente würden darüber hinaus Einrichtungen wie der Europäischen Beobachtungsstelle ihre Arbeit im Bereich Schutz der Menschenrechte erleichtern.

4.8

Es werden auch Statistiken über geschlossene und offene Zentren zur Aufnahme illegaler Einwanderer benötigt, damit die Europäische Kommission zu dieser Frage eine gemeinsame Politik vorschlagen kann.

4.9

Die Mitgliedstaaten sollten ferner bei der Zusammenstellung von Daten zu (legaler und illegaler) Arbeit von Einwanderern und ihrer Unterbringung zusammenarbeiten. Auf der Grundlage dieser Daten könnten die Mitgliedstaaten der EU-25 Tendenzen ermitteln und Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Arbeitsmigranten einleiten. Demnach sollten die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die Vertraulichkeit der gesammelten persönlichen Daten in der Praxis sichergestellt ist; die zuständigen Dienststellen sollten zur Erstellung von Jahresberichten für ihr jeweiliges Parlament verpflichtet sein.

4.10

Statistiken könnten auch bei Sensibilisierungs- und Integrationskampagnen verwandt werden. Datenmaterial, das sich insbesondere auf den sozialen Hintergrund und den Bildungsstand von Einwanderern bezieht, könnte es den Unionsbürgern erleichtern, diese Personen zu integrieren. Deshalb fordert der EWSA die Europäische Kommission auf, die Bedeutung der Erhebung von Daten zu sozialen und Bildungsaspekten herauszustellen.

4.11

Von größter Bedeutung sind auch Statistiken zu den Ausgaben für die Kontrolle, Inhaftierung, Rückführung und Eingliederung von Einwanderern, da sie der EU-25 die Entwicklung eines auf Solidarität beruhenden gemeinsamen Migrationsfonds bzw. einer gemeinsamen Migrationspolitik erleichtern würden. Statistiken ermöglichen auch eine bessere Einschätzung des Finanzierungsbedarfs.

4.12

Der EWSA fordert die Europäische Kommission dazu auf, neue Kriterien für den Begriff „Neuankömmlinge“ einzuführen und darunter Personen zu fassen, die über den Land-, Luft- oder Seeweg einwandern, um umfassendere Statistiken über die Verhinderung der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts (Artikel 5) und eine Verbesserung der Datenquellen und Qualitätsstandards (Artikel 9) zu ermöglichen.

5.   Notwendigkeit des internationalen Schutzes von Einwanderern

5.1

In den letzten Jahren hat der Zustrom illegaler Einwanderer aus Ländern südlich der Sahara und anderen afrikanischen Staaten zugenommen. Bei illegalen Einwanderern und Asylsuchenden handelt es sich vielfach um Personen, die aus ihren Heimatländern u.a. vor religiös, ethnisch oder politisch begründeter Verfolgung, Bürgerkrieg, Hungersnot, Armut und Naturkatastrophen sowie aus wirtschaftlichen Gründen geflohen sind. Sie mussten vielfach mit ansehen, wie ihre Familienmitglieder getötet, gefoltert oder gequält wurden, und/oder sie wurden von ihren Verwandten getrennt. Sie sind durch ihre Erfahrungen auf den Migrationswegen traumatisiert, verletzlich geworden und damit schutzbedürftig. Durch zuverlässige statistische Informationen über die Gründe für die Auswanderung können gleichzeitig die Gründe für die Einwanderung aufgedeckt sowie die Weiterentwicklung und Bewertung der Maßnahmen in den Bereichen Asyl und Bekämpfung von Menschenhandel unterstützt werden.

5.2

Die Entscheidungsträger in den Aufnahmeländern illegaler Einwanderer bzw. die für illegale Einwanderer zuständigen Personen sollten die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen sowie die nationalen Einwanderungs- und Flüchtlingsvorschriften einhalten, um einen entsprechenden Schutz gewähren zu können. Die Sicherheitskräfte der Aufnahmeländer (Armee und Polizei) sind zunächst dazu verpflichtet, Hilfs- und Lebensrettungsmaßnahmen durchzuführen und EU-Mindestnormen bei der Aufnahme zu gewährleisten. Letzteres umfasst häufig die medizinische Versorgung des betreffenden illegalen Einwanderers sowie — sofern irgend möglich — die Ermittlung seines Herkunftslandes und anderer demografischer Daten. Einwanderer haben auch ein Grundrecht auf Informationen über die Beantragung von Asyl. Die Erhebung von Statistiken — z.B. zu folgenden Fragen: Wie viele Einwanderer sind über die Beantragung internationalen Schutzes informiert? Wie viele entsprechende Anträge werden gestellt? Welcher Status wird wie oft gewährt/verweigert? (Artikel 4) — ist ebenfalls entscheidend für die Gestaltung der Politik zum Schutz von Einwanderern.

5.3

Aufnahmeländer müssen den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen, die sie durch die Unterzeichnung internationaler oder regionaler Übereinkommen, Erklärungen oder Verträge eingegangen sind, nachkommen. Die Europäische Union setzt als Kernbestandteil des Acquis communautaire voraus, dass die Mitgliedstaaten die Flüchtlingskonvention von 1951 und die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1967 einhalten. Das grundlegende Dokument für diese Konventionen ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, die das Recht auf Beantragung von Asyl einschließt. Die Flüchtlingskonvention ist ein zentraler Bestandteil des Rahmens der internationalen Menschenrechte. Inzwischen gibt es weitere Konventionen, z.B. gegen Folter (1984) oder für den Schutz von Kindern (7). Die Mitgliedstaaten müssen ferner die einschlägigen EU-Richtlinien befolgen, insbesondere 2003/9/EG über Mindestnormen für die Aufnahme (8), 2004/83/EG über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status (9) und 2005/85/EG über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (10).

5.4

Es ist also von wesentlicher Bedeutung, dass die Aufnahmeländer diese Übereinkommen einhalten, um zunächst zu gewährleisten, dass Asylsuchende einen grundlegenden Schutz erhalten und nicht abgeschoben werden, bevor ihr Asylantrag geprüft und ihr humanitärer Status (Flüchtlingsstatus usw.) festgestellt worden ist.

5.5

Vergleichende Untersuchungen zur Frage, wie die Mitgliedstaaten die in Artikel 2 festgelegten Definitionen im Bereich der Migration sowie die Bestimmungen in Artikel 4 (siehe Kommissionsmitteilung KOM(2005) 375 endg.) anwenden, tragen erheblich dazu bei, den internationalen Schutz von Einwanderern sicherzustellen.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Artikel 1-B.

(2)  Stellungnahme des EWSA vom 19.1.2006 zum Thema „Grundrechte und Justiz“, Berichterstatterin: Frau KING (ABl. C 69 vom 21.3.2006);

Stellungnahme des EWSA vom 14.2.2006 zum Thema „Steuerung der Migrationsströme“, Berichterstatterin: Frau LE NOUAIL-MARLIÈRE (ABl. C 88 vom 11.4.2006);

Stellungnahme des EWSA vom 14.12.2005 zum Thema „Sicherheit und Schutz der Freiheitsrechte“, Berichterstatter: Herr CABRA DE LUNA (ABl. C 65 vom 17.3.2006).

(3)  Punkt 30 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes.

(4)  Artikel III-267-5.

(5)  Stellungnahme des EWSA vom 9.6.2005 zu dem „Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration“ Berichterstatter: Herr PARIZA CASTAÑOS (ABl. C 286 vom 17.11.2005).

(6)  Ebenda, Ziffer 1.5.

(7)  Mackey, Allan (einer der für Einwanderungsrecht zuständigen Obersten Richter in Großbritannien) - „Policies serving migratory purposes and the need to assure protection to asylum seekers and refugees“ („Maßnahmen für Migrationszwecke und die Notwendigkeit, Asylsuchenden und Flüchtlingen Schutz zu gewähren“); Titel des Referats auf dem TAIEX-Seminar am 15./16. Dezember 2005 in Malta.

(8)  Stellungnahme des EWSA vom 7.11.2001 zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten“ Berichterstatter: Herr MENGOZZI und Herr PARIZA (ABl. C 48 vom 21.2.2002).

(9)  Stellungnahme des EWSA vom 13.5.2002 zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen“ Berichterstatterin: Frau LE NOUAIL MARLIÈRE (ABl. C 221 vom 17.9.2002).

(10)  Stellungnahme des EWSA vom 6.4.2001 zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft“ Berichterstatter: Herr MELÍCIAS (ABl. C 193 vom 10.7.2001).


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten“

KOM(2005) 649 endg. — 2005/0259 (CNS)

(2006/C 185/07)

Der Rat beschloss am 13. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. März 2006 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 133 gegen 3 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Stellungnahme

1.1

Der Verordnungsvorschlag betrifft eine in Artikel 65 EGV genannte Materie, seine Rechtsgrundlage ist Artikel 61 Buchstabe c EGV. Angesichts der Besonderheiten von Unterhaltsforderungen und deren grenzüberschreitender Einziehung entspricht der Vorschlag in angemessener Weise dem Verhältnismäßigkeits- und dem Subsidiaritätsgrundsatz sowohl hinsichtlich der Justizbehörden und der nationalen Rechtsordnungen als auch der Rechtsuchenden.

1.2

Die Materie berührt das Familienrecht und die Einziehung von Unterhaltsforderungen; in sozialer Hinsicht beinhaltet sie eine Verarmungsgefahr, der ebenfalls Rechnung getragen werden muss.

1.3

Der Vorschlag wird ebenfalls den Ansprüchen an Klarheit und Rechtssicherheit für die jeweiligen Parteien, mitbetroffene Dritte und die zuständigen Verwaltungen gerecht; er schützt gleichermaßen die personenbezogenen Daten vor jedwedem Gebrauch, der weder der Regelung des Streitfalles noch der Erfüllung der Unterhaltspflichten dient.

1.4

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die Legislativmaßnahme der Kommission vorbehaltlich einiger besonderer Anmerkungen und begrüßt die Bemühungen um eine gelungene Rechtsetzung vor allem mittels der vorhergehenden Anhörungen und der vorläufigen Folgenabschätzung, die einer hochwertigen juristischen Redaktionsarbeit vorangegangen sind; er befürwortet außerdem die gewählte Form der Verordnung sowie die Rechtsgrundlage, auf die sie sich stützt, die besser in der Lage ist, eine Materie, die eine europäische Komponente aufweist, trotz der Unterschiede, die weiterhin zwischen den nationalen Rechtsordnungen bestehen, zu harmonisieren.

1.5

Nur wenige Mitgliedstaaten haben das Haager Übereinkommen über das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die meisten (17 von 25) jedoch das Übereinkommen über die Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen ratifiziert. Nichtsdestotrotz kann es sich angesichts der ausgedrückten Vorbehalte und der Möglichkeit, eine in einem anderen Staat getroffene Entscheidung a priori mit dem Hinweis auf eigene Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung abzulehnen, als unmöglich erweisen, eine solche Entscheidung durchzusetzen, auch wenn sie aus einem der anderen Unterzeichnerstaaten stammt. Ein solcher Zustand behindert den freien Verkehr von gerichtlichen Entscheidungen im Gemeinschaftsgebiet und muss daher ein Ende haben.

1.6

Der Ausschuss bittet daher den Rat, der Verordnung zuzustimmen, da sie Rechtssicherheit schafft und im Interesse der Europäer(innen) den Unterhaltsberechtigten konkrete Maßnahmen zur grenzüberschreitenden Ausführung von Unterhaltsentscheidungen bietet.

1.7

Abschließend bittet der Ausschuss die Regierungen des Vereinigten Königreichs und der Republik Irland, die Möglichkeit zu erwägen, sich durch diese Verordnung binden zu lassen (opt in), und die Regierung Dänemarks, die Vollstreckung der Entscheidungen in Unterhaltssachen gemäß dem von diesem Land ratifizierten Haager Übereinkommen über die Durchsetzung von Unterhaltspflichten zu erleichtern und zu diesem Zwecke Ad-hoc-Kooperationen mit den anderen Mitgliedstaaten für den Fall vorzusehen, dass ein Antrag an sie gestellt wird.

2.   Der Vorschlag der Kommission

2.1   Ausgangspunkt und internationale Bedeutung des Vorschlags

2.1.1

In dem am 30. November 2000 verabschiedeten Maßnahmenprogramm für die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen wird die Abschaffung des Exequaturverfahrens für Unterhaltsberechtigte gefordert, für die die Verordnung „Brüssel I“ (1) über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen gilt. Dieses Programm sieht überdies vor, dass es erforderlich sein kann, im Rahmen der Harmonisierung der Verfahren eine Reihe von gemeinsamen Verfahrensvorschriften festzulegen, die auf eine hohe Wirksamkeit der Vollstreckung der im Ausland ergangenen gerichtlichen Entscheidungen im ersuchten Mitgliedstaat abzielen, vor allem durch die Feststellung der Vermögenswerte des Unterhaltspflichtigen.

2.1.2

Die gegenseitige Anerkennung muss im Rahmen einer Zusammenarbeit der Justizbehörden zwischen den Mitgliedstaaten und mittels einer Harmonisierung der Kollisionsnormen erfolgen.

2.1.3

Die Haager Konferenz über Internationales Privatrecht bereitet eine Aktualisierung der bestehenden Übereinkommen vor. Laut Kommission ergänzen sich der europäische und der internationale Ansatz gegenseitig; die Haager Initiative wird die zukünftige Entwicklung einer Zusammenarbeit mit Drittländern erlauben und könnte Ergebnisse hervorbringen, die später auf die EU übertragen werden können.

2.2   Ziele des Verordnungsvorschlags

2.2.1

Mit dem Vorschlag sollen alle Hindernisse beseitigt werden, die der Durchsetzung von Unterhaltsforderungen in einem Mitgliedstaat der Union durch einen Unterhaltsberechtigten mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat entgegenstehen.

2.2.2

Der Unterhaltsberechtigte soll kostenfrei einen Vollstreckungstitel erhalten, der im europäischen Rechtsraum unmittelbar vollstreckbar ist und der es ihm ermöglicht, regelmäßige Unterhaltszahlungen zu erhalten.

2.2.3

Ein einziges, ehrgeiziges Instrument, das alle Bereiche zivilrechtlicher Zusammenarbeit abdeckt, hat sich auf diesem Gebiet als unentbehrlich erwiesen, da keine einheitlichen Regelungen bestehen. Die Konzepte von Unterhaltspflicht und Unterhaltsberechtigten sind von Land zu Land unterschiedlich; etwaiger Widerstand gegen die Vollstreckung einer Entscheidung gründet sich auf Vorbehalte aus dem Haager Übereinkommen von 1973 (Artikel 26), das gegenwärtig Vorrang vor dem Gemeinschaftsrecht besitzt. Es wird vorgeschlagen, diese in Artikel 71 der Verordnung „Brüssel I“ vorgesehene Ausnahme mit Hilfe des Ad-hoc-Instruments zur Durchsetzung von Unterhaltsforderungen abzuschaffen.

2.3   Inhalt des Verordnungsvorschlags

2.3.1

Harmonisierung des Kollisionsrechts; durch eine Festlegung des anwendbaren Rechts mittels harmonisierter Regelungen wird die grenzüberschreitende Verbreitung einer Unterhaltsentscheidung erleichtert, da sie somit einer Rechtsordnung entspricht, die in einem ausreichenden und unbestreitbaren Zusammenhang mit der familiären Situation sowohl des Unterhaltsberechtigten wie des Unterhaltspflichtigen steht.

2.3.2

Anerkennung und unmittelbare Vollstreckbarkeit der Entscheidung im gesamten Gebiet der Europäischen Union.

2.3.3

Ergreifung konkreter Vollstreckungsmaßnahmen durch den Staat, in dem der Unterhaltspflichtige seinen Wohnsitz hat, einschließlich des Zugangs zu Informationen über dessen wirtschaftliche Situation und der Schaffung von rechtlichen Instrumenten, die einen direkten Zugriff auf Gehaltszahlungen oder Bankkonto gestatten.

2.3.4

Stärkung der Vorrangigkeit von Unterhaltsforderungen; Stärkung der zivilrechtlichen Zusammenarbeit: hierzu sind der Verordnung einheitliche Vordrucke beigefügt.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Der Ausschuss erkennt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Vorschlags einer spezifischen Verordnung über den grenzüberschreitenden Einzug von Unterhaltsforderungen an. Als lex specialis hat sie Vorrang vor den anderen, allgemeinen Bestimmungen der Zusammenarbeit in Zivilsachen; sie stellt den Vorrang des Gemeinschaftsrechts in einem Bereich her, der bisher nach dem Willen der Mitgliedstaaten davon ausgenommen war, ohne jedoch die interne Rechtsordnung der Mitgliedstaaten zu ändern.

3.2

Die vorgesehenen Verfahren zur Feststellung der Vermögenswerte des Unterhaltspflichtigen und zum Forderungseinzug gewährleisten die Wahrung des Rechts auf Privatsphäre und die Vertraulichkeit der Daten. Der Unterhaltspflichtige muss den Unterhaltsberechtigten und die Justizbehörden des Ursprungslandes jedoch über jeglichen Wechsel des Arbeitgebers oder des Bankkontos benachrichtigen.

3.3

Die Verordnung löst die Probleme, denen Unterhaltsberechtigte bisher ausgesetzt sind, ohne das Recht des Unterhaltspflichtigen zu übergehen, bei den Justizbehörden des Ursprungslandes Einspruch gegen die Forderung einzulegen oder einen Antrag auf Überprüfung der Höhe der Forderung zu stellen; der Antrag auf Überprüfung geht mit einem Aufschub der Vollstreckungsmaßnahmen einher.

3.4

Die Vollstreckung erfolgt gemäß dem Verfahren des ausführenden Staates, ungeachtet dessen, in welchem Staat die Entscheidung getroffen wurde.

3.5

Die vorherige Herausgabe eines Grünbuchs (2), die Organisation von Konsultationen und Sachverständigensitzungen sowie eine Studie über die Situation in jedem einzelnen Mitgliedstaat haben die Ausarbeitung eines kohärenten, klaren und praxistauglichen Vorschlags ermöglicht, mittels dessen sich die anhaltenden Hindernisse für die grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsforderungen beseitigen lassen sollten.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1   Artikel 3

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass das erste Definitionskriterium für die gerichtliche Zuständigkeit der Ort, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sein muss, und empfiehlt deshalb die Umkehrung der Absätze a) und b).

4.2   Artikel 15

Nach Auffassung des Ausschusses muss der Unterhaltsberechtigte seinen gesetzlichen Anspruch stets wahrnehmen können, sodass die Anwendung anderer Rechtsvorschriften, die diesem Anspruch entgegenstehen, unzulässig ist, es sei denn, die vorliegende Verordnung nimmt etwaige unabdingbare Gründe der öffentlichen Ordnung hiervon aus.

4.3   Artikel 35

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Anordnung einer Kontensperrung nicht das gesamte Guthaben betreffen darf, sondern auf den zur Erfüllung der Unterhaltspflicht erforderlichen Betrag beschränkt sein muss, da sonst dem Kontoinhaber die zum Überleben notwendigen Mittel auf unbestimmte Zeit vorenthalten werden, bis eine Sachentscheidung getroffen wurde (was offenkundig im Missverhältnis zum angestrebten Ziel steht).

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

(2)  KOM(2004) 254 endg.


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/37


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen“

KOM(2005) 507 endg. — 2005/0214 (COD)

(2006/C 185/08)

Der Rat beschloss am 15. Dezember 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. März 2006 an. Berichterstatterin war Frau ENGELEN-KEFER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 103 gegen 19 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Ausschusses

1.1

Der EWSA bewertet die von der Kommission vorgeschlagenen Ziele positiv und unterstützt sie, auch wenn die Maßnahmen zur Ereichung dieser Ziele unterschiedlich bewertet werden.

1.2

Es bestehen insbesondere Zweifel, ob die Abweichungs- und Ausnahmeregelungen im Hinblick auf die tatsächliche Zielerreichung sachdienlich sind. Dies betrifft zum einen die Ausnahmeregelungen bei der Übertragbarkeit und zum anderen die langen Übergangsfristen für die Absenkung der Unverfallbarkeitsvorschriften.

1.3

Vor allem aber kann das Ziel, Mobilität zu erleichtern und eine wirksame zusätzliche Absicherung des Einkommens im Alter zu gewährleisten, nur erreicht werden, wenn auch die unterschiedlichen steuerlichen Systeme in den Mitgliedstaaten angepasst werden.

1.4

Folgende Gesichtspunkte sollten bei der weiteren Bearbeitung des Richtlinienvorschlags deshalb berücksichtigt werden:

Um Hemmnisse bei der Mobilität von Arbeitnehmer(inne)n abzubauen, ist es notwendig, ein weitgehend aufeinander abgestimmtes System, sowohl bezüglich des Erwerbs als auch bezüglich des Erhalts und der Übertragung von Zusatzrentenansprüchen, zu haben. Dabei müssen die Auswirkungen auf die unterschiedlichen Systeme der Zusatzenten in den Mitgliedstaaten und die möglicherweise höheren Ausgaben innerhalb der Zusatzrentensysteme ausreichend berücksichtigt werden.

Die finanzielle Beteiligung von Arbeitgebern beim Aufbau zusätzlicher Altersversorgung ist notwendig und wünschenswert. Um negative Auswirkungen zu vermeiden, sind deshalb Übergangsregelungen notwendig, die es Arbeitgebern ermöglichen, Versorgungsordnungen sukzessive anzupassen.

Um den grundsätzlichen Zielen der Richtlinie Rechnung zu tragen, sind die Umsetzungsfristen so kurz wie möglich zu fassen und an den tatsächlichen nationalen Notwendigkeiten zu messen.

Ebenso sollte die generelle und zeitlich unbegrenzte Herausnahme bestimmter Durchführungswege überdacht werden.

Aktivitäten für den Abbau von Mobilitätshindernissen im Bereich der Zusatzrentesysteme müssen flankierend auf dem Gebiet der steuerlichen Behandlung dieser Systeme entwickelt werden.

2.   Einleitung

Am 20. Oktober 2005 hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen vorgelegt. Sie begründet ihren Vorschlag damit, dass die zunehmende Bedeutung der Zusatzrentensysteme für die Alterssicherung es erforderlich mache, Mobilitätshindernisse zu beseitigen. Die Hindernisse sollen dabei sowohl für den Arbeitsplatzwechsel zwischen den Mitgliedstaaten als auch innerhalb der Mitgliedstaaten abgebaut werden.

2.1

Die Kommission benennt sodann die Hindernisse, die es zu beseitigen gilt:

Voraussetzungen für den Erwerb von Rentenansprüchen,

Vorschriften bezüglich der Wahrung ruhender Ansprüche,

Regelungen der Übertragbarkeit von Ansprüchen.

Außerdem kann die Mobilität nach Auffassung der Kommission dann gesteigert werden, wenn die Arbeitnehmer(innen) über die Folgen für die Zusatzrentenansprüche bei Arbeitgeberwechsel (besser) aufgeklärt werden.

2.2

Die Kommission sieht in dem Vorschlag die Konsequenz aus einem langjährigen Informations- und Erfahrungsaustausch auf europäischer Ebene. Verhandlungen über eine Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern wurden wegen der unterschiedlichen Vorstellungen über Zweck und Mittel einer Gemeinschaftsaktion nicht aufgenommen.

2.3

Auf der Grundlage von Artikel 42 und 94 EG-Vertrag will die Kommission mit dem Vorschlag gemeinsame Grundsätze für die Ausgestaltung der einschlägigen Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten herbeiführen. Damit soll auch erreicht werden, dass die Niederlassung von Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat nicht dadurch behindert wird, dass qualifiziertes Personal deshalb schwierig zu beschaffen ist, weil dieses Personal durch Regelungen der Zusatzversorgungssysteme an andere Unternehmen gebunden ist.

2.4

Die Kommission begründet die Wahl des Instruments der Richtlinie damit, dass nur so ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den erforderlichen Rechten der Arbeitnehmer(innen) in Bezug auf Freizügigkeit und der notwendigen Flexibilität der nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten der Zusatzrentensysteme hergestellt werden kann.

3.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags

3.1

Die Richtlinie definiert in Übereinstimmung mit den Definitionen der Richtlinie 98/49/EG die für den Regelungsbereich verwendeten Begriffe.

3.2

Der Vorschlag legt den Grundsatz fest, dass Beiträge zu einem Zusatzrentensystem, die von einem Arbeitnehmer bzw. vom Arbeitgeber im Namen des Arbeitnehmers in ein Zusatzrentensystem geleistet worden sind, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verloren gehen dürfen, auch wenn aus diesen Beiträgen noch keine Ansprüche auf eine spätere Rentenzahlung erworben wurden. Also muss sichergestellt werden, dass die eingezahlten Beiträge entweder ausgezahlt oder übertragen werden können.

3.3

Um zu erreichen, dass gerade junge Arbeitnehmer(innen) bei einem Arbeitgeberwechsel ihre Ansprüche nicht verlieren, soll nach Auffassung der Kommission das Mindestalter, ab dem Zusatzrentenansprüche erworben werden können, in den Mitgliedstaaten 21 Jahre nicht überschreiten.

Außerdem soll die Wartezeit, d.h. die Zeit, die nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses verstreichen muss, bevor ein(e) Arbeitnehmer(in) Mitglied des Zusatzrentensystems werden kann, maximal ein Jahr betragen.

Ebenso soll die so genannte Unverfallbarkeitsfrist, also die Frist, die ab Beginn der Beitragszahlung verstreichen muss, bevor die Beiträge zu Anwartschaften führen, nicht länger als zwei Jahre sein dürfen.

3.4

Nach Meinung der Kommission ist es notwendig, eine faire Anpassung ruhender Rentenanwartschaften vorzusehen, wobei die Entscheidung, in welcher Form und mit welchen Mitteln dies geschehen soll, den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Außerdem kann für niedrige Anwartschaften dem Zusatzrentensystem bei Arbeitgeberwechsel neben der Möglichkeit der Übertragung auch die Erstattung der Anwartschaften eingeräumt werden, soweit die Anwartschaft einen bestimmten (von den Mitgliedstaaten festgelegten) Schwellenwert nicht übersteigt.

3.5

Um die Mobilität zu fördern und Nachteile bei Arbeitgeberwechsel abzubauen, soll die Übertragung von erworbenen Ansprüchen von einem Zusatzrentensystem eines Arbeitgebers zu einem Zusatzrentensystem eines neuen Arbeitgebers erleichtert werden. Dazu gehört auch, dass die Übertragung nicht zu finanziellen Nachteilen etwa infolge unterschiedlicher Berechnungen oder Auferlegung von übermäßigen Kosten führen darf.

3.6

Dem Arbeitnehmer soll jeweils die Entscheidung vorbehalten sein, ob er seine Ansprüche übertragen oder in der alten Versorgungseinrichtung belassen will.

3.7

Arbeitnehmer(innen) sollen nach dem Vorschlag außerdem auf ihr Verlangen und innerhalb einer angemessenen Frist darüber aufgeklärt werden, welche Auswirkungen der Wechsel des Arbeitsplatzes auf die Ansprüche aus den zusätzlichen Altersversorgungssystemen hat.

3.8   Umsetzung

Die Richtlinie soll bis spätestens 1. Juli 2008 in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden.

Für die Absenkung der Unverfallbarkeitsfrist auf zwei Jahre können die Mitgliedstaaten eine zusätzliche Frist von 60 Monaten (ab 1. Juli 2008 gerechnet) in Anspruch nehmen. Die Inanspruchnahme muss konkret begründet werden.

3.9

Außerdem können Unterstützungskassen, Unternehmen, die Pensionsrückstellungen vornehmen, und umlagefinanzierte Zusatzrentensysteme unbeschränkt lange von den Übertragungsmöglichkeiten ausgenommen werden. Die Kommission ist über die konkreten Gründe zu informieren. Der betreffende Mitgliedstaat muss mitteilen, welche Maßnahmen getroffen wurden oder geplant sind, um die Übertragbarkeit herbeizuführen. Spätestens 2018 soll dann geprüft werden, ob weitere Maßnahmen erforderlich sind, um auch für diese Systeme die Übertragbarkeit zu verbessern.

4.   Allgemeine Bewertung

4.1

Da die Auffassungen der Sozialpartner zu Reichweite und Inhalten einer europäischen Regelung zu weit auseinander liegen, wurde von der Möglichkeit einer Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern, die in Artikel 139 EGV vorgesehen ist, kein Gebrauch gemacht.

4.2

Allerdings haben EGB, UNICE und CEEP in der Präambel der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge anerkannt, dass „Innovationen in den betrieblichen Sozialsystemen erforderlich sind, um sie an die Bedingungen von heute anzupassen und insbesondere die Übertragbarkeit von Ansprüchen zu ermöglichen.“

4.3

Darin wird die übereinstimmende Absicht deutlich, sich grundsätzlich mit der Notwendigkeit einer Angleichung der Rechtsgrundlagen für den Erwerb und Erhalt der Zusatzrentenansprüche auseinander zu setzen. Auch wenn der Kontext befristeter Arbeitsverhältnisse ein anderer ist als die Freizügigkeit von Arbeitnehmer(inne)n, erkennen die Parteien der Vereinbarung an, dass sich die Beschäftigungsbedingungen ändern und dies das Bedürfnis nach Anpassungen der betrieblichen Sozialsysteme bedingt.

4.4

Dies entspricht im Übrigen auch der wichtigen Rolle, die den Sozialpartnern in den meisten Mitgliedstaaten bei der Gestaltung der Zusatzrentensysteme zukommt. Da sich die Maßnahmen der Sozialpartner aber auf den nationalen Bereich beschränken (müssen), ist gleichwohl das Vorhaben der Kommission zur Gestaltung einer Richtlinie sinnvoll.

4.4.1

Die genauen Bestimmungen für die Zusatzrentensysteme sollten auf Ebene der Mitgliedstaaten, auch mittels Kollektivverträgen zwischen den Sozialpartnern festgelegt werden. Auf europäischer Ebene erlassene Vorschriften über die Bedingungen des Anspruchserwerbs sollten sich folglich auf grundsätzliche Fragen beschränken und lediglich Leitlinien für die auf einzelstaatlicher Ebene zu ergreifenden Maßnahmen vorgeben, wobei den Sozialpartnern ein ausreichender Spielraum für Kollektivverhandlungen zu gewähren ist.

4.4.2

Artikel 4 des Richtlinienvorschlags sollte durch folgenden Wortlaut ersetzt werden: „Werden Bedingungen für den Anspruchserwerb wie z.B. Mindestalter, Warte- und/oder Unverfallbarkeitsfristen festgelegt, müssen solche Bedingungen fair sein und auf objektiven (und nicht diskriminierenden) Gründen basieren“.

4.5

Ein Arbeitgeberwechsel kann sich auf den Erwerb und die Höhe von Zusatzrentenansprüchen negativ auswirken.

Diese beeinflusst die Entscheidung von Arbeitnehmer(inne)n für oder gegen einen Arbeitgeberwechsel, auch wenn diese Entscheidung von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängt.

4.6

Vor allem durch die demografische Entwicklung werden die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch in den Mitgliedstaaten, in denen die gesetzliche Rentenversicherung die wichtigste Quelle des Einkommens im Alter ist, zukünftig alleine zur Lebensstandardsicherung nicht ausreichen. Deshalb gewinnen Zusatzrentensysteme zunehmend an Bedeutung, auch wenn diese Systeme ebenfalls negativ von der demografischen Entwicklung beeinflusst werden können.

4.7

In Anerkennung des grundsätzlichen Ziels des Europäischen Binnenmarktes, die Freizügigkeit von Personen zu gewährleisten, aber auch im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Rahmenbedingungen für die Zusatzrentensysteme zu verbessern, ist deshalb der Ansatz der Kommission positiv zu bewerten, auf den Abbau von Mobilitätshindernissen bei den Zusatzrentensystemen hinzuarbeiten.

4.8

Darüber hinaus verpflichtet der EG-Vertrag in Artikel 40 den Rat „… durch Richtlinien und Verordnungen alle erforderlichen Maßnahmen (zu treffen), um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer(innen) … fortschreitend herzustellen“. Insofern wird die Grundlage aus Artikel 42 für den Vorschlag durch Artikel 40 noch verstärkt.

4.9

Auch für das Erreichen des grundsätzlichen Ziels der Lissabon-Strategie, durch Schaffung einer Wissensgesellschaft den europäischen Wirtschaftsraum zu stärken, ist der Abbau von Mobilitätshindernissen von großer Bedeutung. Eine Wissensgesellschaft ist Voraussetzung für gesellschaftliche Entwicklung und gleichzeitig wichtigste Produktivkraft. Sie basiert auf Innovation und Ideenreichtum der Bürger. Um sie zu stärken, muss ein ständiger Austausch von Kenntnissen und Erfahrungen erfolgen. Mobilität von Arbeitnehmer(inne)n kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Darüber hinaus ist auch die Gewährleistung des sozialen Zusammenhalts Teil der Lissabon-Strategie. Deshalb kann die Zielsetzung des Richtlinienentwurfs der Kommission auch unter diesem Gesichtspunkt unterstützt werden.

4.10

Im Übrigen ist anzumerken, dass sich bereits die Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer(innen) und ihre Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, mit der Frage der Vermeidung von Nachteilen (auch) für die Altersversorgung auseinander setzte. Als eines der ersten sozialpolitischen Instrumente sollten Hindernisse der bzw. negative Folgen von Freizügigkeit abgebaut werden. Insofern ist der Vorschlag der Kommission eine konsequente Fortsetzung dieser Politik, vor allem auch im Hinblick darauf, dass bezüglich der zusätzlichen Altersversorgungssysteme eine Regelungslücke besteht, die angesichts ihrer wachsenden Bedeutung für die Lebensstandardsicherung im Alter geschlossen werden muss.

4.11

Das von der Europäischen Kommission für 2006 ausgerufene „Jahr der Arbeitskräftemobilität“ lässt Aktivitäten zum Abbau von Mobilitätshindernissen zum jetzigen Zeitpunkt richtig erscheinen.

4.12

In den Mitgliedstaaten bestehen unterschiedliche Zusatzversorgungssysteme, insofern liegt es in der Natur der Sache, dass nur durch einen europäischen Rahmen eine schrittweise Angleichung dieser unterschiedlichen Systeme mit dem Ziel herbeigeführt werden kann, den Wechsel von einem Zusatzrentensystem in ein anderes Zusatzrentensystem zu erleichtern.

4.13

Wenn dies für die europäische Ebene festgestellt werden kann, so wäre es im Hinblick auf eine Homogenität der Lebens- und Arbeitsbedingungen wenig sachdienlich, einerseits eine Angleichung bei Wechsel über Staatsgrenzen hinaus zu verbessern, andererseits den Wechsel innerhalb eines Mitgliedstaates unberücksichtigt zu lassen. Es scheint deshalb angemessen, dem Ansatz der Kommission zu folgen, sowohl die grenzüberschreitenden als auch die innerstaatlichen Hemmnisse für die Mobilität von Arbeitnehmer(inne)n abzubauen.

4.14

In dem Richtlinienentwurf wird allerdings ein wesentlicher Regelungsbereich ausgeklammert, nämlich die Frage der Angleichung der steuerlichen Behandlung der Zusatzrentensysteme. Hier stellt die unterschiedliche steuerliche Behandlung in den Mitgliedstaaten aber ein wesentliches Mobilitätshindernis dar, da Arbeitnehmer doppelt besteuert werden können (hinsichtlich der Beiträge und der Leistungen). Die Besteuerung bleibt deshalb unberücksichtigt, weil anderenfalls eine einstimmige Billigung durch den Rat erforderlich wäre, was die Gefahr einer Blockierung der Richtlinie in sich birgt. Die Kommission hat daher versucht, das Besteuerungsproblem in ihrer Mitteilung vom 19. April 2001 anzugehen, und leitet derzeit gegen mehrere Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren ein. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass ohne diese Maßnahmen der Kommission das Ziel der Verbesserung der Portabilität von Zusatzrentenansprüchen nicht erreicht werden kann.

5.   Zu den einzelnen Regelungen

5.1

Es spricht viel dafür, dass lange Wartezeiten, eine lange Frist für den Erwerb von unverfallbaren Anwartschaften und ein hohes Mindestalter tatsächlich die Entscheidung negativ beeinflussen können, einen Arbeitsplatz zu wechseln.

Deshalb geht der Ansatz der Kommission, sowohl die Wartezeit als auch das Zugangsalter und die Frist für die Unverfallbarkeit zu senken, in die richtige Richtung. Insofern wäre es möglicherweise denkbar, die gewählten Maßnahmen als ersten Schritt hin zum Ziel der gänzlichen Aufhebung von diesen Zugangshemmnissen zu sehen.

5.2

Zu berücksichtigen sind allerdings auch die Wirkungen, die die vorgeschlagenen Regelungen insbesondere für freiwillige arbeitgeberfinanzierte Zusatzrentensysteme haben könnten. Denn es muss auch den Bedenken Rechnung getragen werden, dass diese Maßnahmen zu einem höheren finanziellen Aufwand führen können. Dies könnte die Bereitschaft gefährden, solche Systeme weiter aufrecht zu erhalten.

5.3

Freiwillige arbeitgeberfinanzierte Zusagen sind aber andererseits auch ein wichtiges personalpolitisches Instrument. Unter dem Gesichtspunkt „Wettbewerb um die besten Köpfe“ könnte es deshalb auch unter den sich ändernden demografischen Verhältnissen und bei einem zunehmenden Fachkräftebedarf durchaus im Interesse der Arbeitgeberseite sein, frühzeitig und nach einer kurzen Beschäftigungszeit eine Zusage zu erteilen. Darüber hinaus ist Zusatzversorgung nur ein personalpolitisches Instrument unter vielen, bei dem der Versorgungscharakter immer im Vordergrund steht. Andererseits belohnen längere Warte- und Unverfallbarkeitsfristen die Betriebstreue des Arbeitnehmers und erhöhen damit die Verweildauer im Betrieb.

5.4

Insgesamt muss auch berücksichtigt werden, dass das Verhältnis zwischen Zusatzrentensystemen, die (allein) vom Arbeitgeber finanziert werden, und solchen, die der Arbeitnehmer durch eigene Beiträge finanziert, in den Mitgliedstaaten unterschiedlich entwickelt ist. Um diesen Unterschieden Rechnung zu tragen wäre es denkbar, Differenzierungsmöglichkeiten für die Mitgliedstaaten nach der Finanzierung der Systeme vorzusehen.

5.5

Der Ansatz der Kommission, Wettbewerbshindernisse für Unternehmen, die Niederlassungen in anderen EU-Staaten gründen wollen, abzubauen, muss deutlich hervorgehoben werden. Denn lange Fristen und ein hohes Eintrittsalter binden Personal und hemmen damit Mobilität.

5.6

Die Kommission trägt im Übrigen dem Bedürfnis nach einer schrittweisen Anpassung dadurch Rechnung, dass für die Umsetzung der Vorschrift über die Anwartschaftszeiten eine verlängerte Umsetzungsfrist in Anspruch genommen werden kann.

5.7

Was die Wahrung ruhender Rentenansprüche anbetrifft, ist nicht zu bestreiten, dass die Verpflichtung zu einer Anpassung den finanziellen Aufwand innerhalb der Zusatzrentensysteme erhöhen könnte.

Andererseits ist dies in erster Linie abhängig von der Form der erteilten Zusage. Handelt es sich um eine Beitragszusage, macht die Anpassung ruhender Ansprüche wenig Sinn, da der Wert des aufgelaufenen Kapitals von den Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt und der Erträge abhängt. Dies könnte dann allerdings mögliche negative Folgen für Leistungszusagen haben, da keine Zusagen mehr erteilt werden.

5.8

Im Hinblick auf die Funktion der zusätzlichen Altersversorgung, die Ansprüche aus den gesetzlichen Rentensystemen angemessen zu ergänzen, scheint aber eine Anpassung notwendig. Die bislang im Vorschlag enthaltene Formulierung hat allerdings nur geringe Verbindlichkeit für entsprechende Maßnahmen der Mitgliedstaaten, und auch die Beispiele in Erwägungsgrund 7 sind lediglich als Anregungen zu werten. Unklar ist darüber hinaus, ob die Bewertung von Betriebstreue als Motiv für eine unterschiedliche Anpassung oder die Verpflichtung zur Anpassung der Auszahlungen und nicht der Anwartschaften den Vorstellungen der Kommission von einer „fairen“ Anpassung entspricht.

5.9

Die Möglichkeit, Anwartschaften unterhalb eines bestimmten, nach den nationalen Gepflogenheiten festzusetzenden, Schwellenwertes nicht zu übertragen, sondern zu erstatten, scheint sachgerecht.

5.10

Allerdings soll die Entscheidung, ob die Anwartschaft ausgezahlt oder erhalten wird, allein bei den Zusatzrentensystemen liegen. Aber auch eine nach den allgemeinen Vorschriften als geringfügig eingestufte Anwartschaft kann für den einzelnen Arbeitnehmer als regelmäßige zusätzliche Einnahme im Alter durchaus von Interesse sein. Eine Erstattung, die gegen seinen Willen erfolgen würde, könnte ihn deshalb eventuell am Arbeitgeberwechsel hindern.

5.11

Der EWSA unterstützt die Ziele des Kommissionsvorschlags zur Übertragbarkeit von Zusatzrentenansprüchen. Insbesondere begrüßt der EWSA, dass sich die Kommission nicht darauf beschränkt, ausschließlich Vorschläge zur Verbesserung der Übertragbarkeit von Zusatzrentenansprüchen zu unterbreiten, sondern in einem umfassenden Ansatz Mobilitätshemmnisse bei den Systemen der Zusatzversorgung abbauen will.

5.12

Bei der Regelung zur Übertragung ist besonders positiv hervorzuheben, dass nach den Vorstellungen der Kommission für den (die) Arbeitnehmer(in) durch die Übertragung kein finanzieller Nachteil entstehen soll. Dies dient dem Zweck, den die Richtlinie verfolgt. Denn nur wenn die Übertragung ohne finanzielle Nachteile für den (die) Arbeitnehmer(in) durchgeführt werden kann, wird er sich im Zweifel für die Übertragung und damit für den Arbeitgeberwechsel entscheiden.

5.13

Auch bezüglich der verbesserten Auskunftspflichten ist festzustellen, dass die konkreten Vorschläge dem Ziel der Richtlinie dienlich sein können, auch wenn berücksichtigt werden muss, dass diese Pflichten an den konkreten Möglichkeiten, vor allem kleinerer Unternehmen zu messen sind.

5.14

Kritisch anzumerken ist allerdings, dass Artikel 6 Absatz 1 in Verbindung mit der Definition in Artikel 3 f so interpretiert werden könnte, dass nur die Arbeitnehmer(innen) Anspruch auf die Übertragung ihrer Zusatzrentenansprüche haben, die aufgrund eigener Entscheidung ihren Arbeitsplatz wechseln. Arbeitnehmer(innen), die gekündigt werden, würden damit aber erheblich benachteiligt. Es scheint deshalb, auch im Hinblick auf das notwendige Ziel, Altersarmut zu verhindern, sachdienlich, jede Form des Arbeitgeberwechsels in den Anwendungsbereich von Artikel 3 Absatz 1 einzubeziehen.

5.15

Dem grundsätzlichen Ziel der Richtlinie könnte es außerdem entgegenstehen, dass bestimmte Zusatzrentensysteme grundsätzlich von der Übertragbarkeit ausgenommen werden können. Zwar sollen die Mitgliedstaaten die Kommission darüber informieren, welche Maßnahmen sie ergreifen, um auch diese Systeme mit einzubeziehen, im Hinblick auf die seit vielen Jahren geführten Diskussionen und die drängende Notwendigkeit, eine stabile zweite Säule der Alterssicherung aufzubauen, scheint dies möglicherweise nicht ausreichend. Andererseits kann nur bei entsprechenden Übergangsfristen wegen der Unterschiedlichkeit der Systeme in den Mitgliedstaaten mit einer Akzeptanz der Kommissionsvorschläge gerechnet werden. Deshalb könnten konkrete Fristen und Vorgaben vorgesehen werden.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgender Änderungsantrag, auf den mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfielen, wurde im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 4.10

Nach Ziffer 4.10 neue Ziffer einfügen:

4.10.1   Der Vorschlag, die Richtlinie auf die Übertragung von Rentenkapital beim Arbeitsplatzwechsel zu stützen, ist nicht in allen Fällen zweckmäßig. Sinnvoller wäre es, eine Möglichkeit zur Kumulierung von erworbenen Rentenansprüchen, wie dies in der Verordnung Nr. 1408/71 für die gesetzliche Rente geregelt ist, zu gewährleisten.

Begründung

Es bietet praktische Vorteile, wenn für die Angleichung der verschiedenen gesetzlichen Rentensysteme sowie der Zusatzrentensysteme die selben Grundsätze gelten.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 49

Nein-Stimmen: 54

Stimmenthaltungen: 19


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs (2008)“

KOM(2005) 467 endg. — 2005/0203 (COD)

(2006/C 185/09)

Der Rat beschloss am 16. November 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. März 2006 an. Berichterstatterin war Frau CSER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 79 gegen 39 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Wesentlicher Inhalt des Entscheidungsvorschlags

Gegenstand des von der Europäischen Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates ist die Ausrufung des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs (2008).

Der Vorschlag ist Teil der vom Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission vertretenen Strategie, die mit der Einführung des Konzepts des „Europäischen Jahres“ im Interesse der Verwirklichung der Grundziele der gemeinsamen Strategie durch die Thematisierung der Kenntnis und Akzeptanz der Menschenrechte auf Gemeinschaftsebene und durch die Förderung der nationalen, regionalen und lokalen Zusammenarbeit zum Konzept der Unionsbürgerschaft beiträgt.

Der interkulturelle Dialog ist als ein Instrument anzusehen, das die Verwirklichung zahlreicher für die Union strategisch wichtiger Ziele erleichtert. Neben der nationalen, regionalen und lokalen Zusammenarbeit wird innerhalb der gesamten Union aber auch im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik der Dialog zwischen den gesellschaftlichen, den wirtschaftlichen und verschiedenen beruflichen Gruppen und den Einzelnen gefördert.

1.1   Allgemeine Ziele des Vorschlags

Der Vorschlag umfasst folgende allgemeine Ziele:

Der kulturelle Dialog soll als ein Instrument gefördert werden, das es den europäischen Bürgern und sich ständig oder zeitweilig in der Europäischen Union aufhaltenden Personen ermöglicht, Kenntnisse, Qualifikationen und Fertigkeiten zu erwerben, mit deren Hilfe sie sich an eine offenere, aber auch komplexere Umwelt anpassen sowie die Hindernisse überwinden können, die sie in Europa und überall in der Welt an der Nutzung der durch die pluralistische und dynamische Gesellschaft eröffneten Möglichkeiten hindern.

Die Aufmerksamkeit der europäischen Bürger und aller sich in der Europäischen Union aufhaltenden Personen sollte darauf gelenkt werden, wie wichtig es ist, eine aktive und weltoffene Unionsbürgerschaft zu bilden, die die kulturellen Unterschiede achtet und auf den gemeinsamen Werten der Europäischen Union aufbaut, d.h. Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Nichtdiskriminierung, Solidarität, demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen sowie den Menschenrechten, einschließlich der Minderheitenrechte.

1.2   Spezifische Ziele des Vorschlags

In dem Vorschlag werden folgende spezifische Ziele des interkulturellen Dialogs festgelegt:

Erhöhung der Öffentlichwirksamkeit der Gemeinschaftsprogramme und -aktionen zur Förderung des interkulturellen Dialogs;

Hervorhebung des Einflusses unseres unterschiedlichen kulturellen Erbes auf unsere Lebensweise; Sensibilisierung der europäischen Bürger und aller, die in der Europäischen Union leben, — vor allem der jungen Menschen — für die Suche nach Mitteln und Wegen, mit denen im Rahmen des interkulturellen Dialogs eine aktive und weltoffene Unionsbürgerschaft gebildet werden kann, die kulturelle Vielfalt achtet und auf den gemeinsamen Werten der Europäischen Union aufbaut;

Beitrag zur Innovation und zur horizontalen und sektorübergreifenden Dimension der Initiativen zur Förderung des interkulturellen Dialogs vor allem bei jungen Menschen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der EWSA begrüßt, dass in dem Vorschlag für eine Entscheidung unter den Begriff „aktive Unionsbürgerschaft“ neben den in Artikel 17 des EG-Vertrags genannten Bürgern auch alle Personen fallen, die sich ständig oder vorübergehend in der Europäischen Union aufhalten.

2.2

Der EWSA begrüßt, dass laut dem Vorschlag für eine Entscheidung durch den interkulturellen Dialog auch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten gestärkt werden soll.

2.3

Der EWSA begrüßt, dass der interkulturelle Dialog ein Kooperationsinstrument darstellt, das durch partnerschaftliche Beziehungen Stabilität und Demokratie nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Union stärkt.

2.4

Der EWSA begrüßt, dass mit diesem Vorschlag für eine Entscheidung auch die Harmonisierung und Koordinierung der Aktionen und Programme zur Umsetzung der gemeinsamen Strategien der europäischen Institutionen in die Wege geleitet bzw. ausgebaut wird. Denn die Arbeitsweise sowie die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen auf Gemeinschaftsebene sowie auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene ist aufgrund der kulturellen Unterschiede uneinheitlich und diskrepant sowie unterschiedlich effizient und erfolgreich. Wenn die europäischen Kulturen tatsächlich in einem ständigen Dialog stünden, der es ihnen ermöglichte, ihre jeweilige Identität zu vertreten, so würde dies Arbeitsweise, Effizienz und Leistung der verschiedenen europäischen, nationalen, regionalen und lokalen Institutionen verbessern und dynamisieren.

2.5

Der EWSA begrüßt, dass durch die Entwicklung des Bildungswesens, der Innovation und der Chancengleichheit für alle, durch die Förderung des interkulturellen Dialogs auf Gemeinschaftsebene sowie durch dessen Koordinierung auf einzelstaatlicher Ebene für jedermann die Möglichkeit hat, das europäische Kulturerbe nicht nur kennenzulernen, sondern auch zu nutzen und zu leben.

2.6

Der EWSA begrüßt, dass die Verwirklichung der Gemeinschaftsziele während des Jahres des interkulturellen Dialogs durch die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten gefördert werden soll und unterstützt deshalb die Ausrufung des Jahres 2008 zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs.

2.7

Der EWSA empfiehlt, das Jahr des interkulturellen Dialogs dazu zu nutzen, die wirtschaftlich, sozial, ökologisch und politisch bedingt scheinenden Unterschiede, Ungleichheiten, Widersprüche und Konflikte nicht nur auf ethnische und kulturelle Gründe zurückzuführen, sondern durch das Kennenlernen und die Annahme unserer kulturellen Unterschiede, durch die Nutzung des interkulturellen Dialogs als Instrument sowie durch die Feststellung der Entstehungsgründe dieser Konflikte diese auch zu vermeiden.

2.8

Deshalb und entsprechend seiner Stellungnahmen und ergänzenden Stellungnahmen zur gesellschaftlichen Dimension der Kultur „drängt der EWSA […] darauf, dass die Europäische Union einen Raum für die Selbstreflektierung und die gegenseitige Hinterfragung der Kulturpolitiken der einzelnen Mitgliedstaaten bietet — einen geeigneten Raum für neue kulturelle Überlegungen zur Kultur. Die Kommission sollte die Vorarbeiten für das Jahr des interkulturellen Dialogs (2008) zum Anlass nehmen, einen detaillierten Bericht über das tatsächliche Ausmaß dieses Dialogs, nach wie vor bestehende bzw. neue Hindernisse sowie mögliche Wege für dessen tatsächliche Vertiefung vorzulegen. Der EWSA ist bereit, unter besonderer Berücksichtigung der ‚sozialen Dimension der Kultur‘ […] aktiv an der Ausarbeitung eines solchen Berichts mitzuarbeiten“ (1).

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Dank seiner Struktur als beratendes Gremium des Europäischen Parlaments, des Rates der Europäischen Union und der Europäischen Kommission hat der EWSA besondere Verbindungen zwischen den europäischen Kulturen geknüpft. Seine Mitglieder sind echte Europäer, da sie die Interessen der verschiedenen Sozialpartner und ihre jeweilige Kultur bei der Ausarbeitung der Stellungnahmen des Ausschusses respektieren und ausgewogen berücksichtigen und so konsensgetragene Entscheidungen zum Wohl der europäischen Bürger treffen.

3.2

Durch ihre aktive Mitarbeit und ihre Tätigkeit nicht nur auf Gemeinschaftsebene, sondern auch auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene vertreten die EWSA-Mitglieder den interkulturellen Dialog und fördern und verwirklichen ihn innerhalb der Zivilgesellschaft (2).

3.3

Der EWSA lenkt die Aufmerksamkeit des Europäischen Parlaments, des Rates der Europäischen Union und der Europäischen Kommission darauf, dass die Achtung der Kulturen von Drittstaaten und deren Vielfalt in den Zielsetzungen der Gemeinschaft nicht eindeutig zum Ausdruck kommt, da bei der Formulierung der Ziele des Kommissionsvorschlags auf Artikel 151 EG-Vertrag (Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu gegenseitigem Respekt) Bezug genommen wird. Obwohl jegliche Einmischung der Europäischen Gemeinschaft in die Rechtsetzung der Mitgliedstaaten zu vermeiden ist, müssen die Europäische Kommission und die anderen Institutionen diese dazu aufrufen, die Achtung der kulturellen Unterschiede zu fördern und den friedlichen Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen zu unterstützen.

3.4

Unsere Zeit ist leider mehr und mehr von aus Konflikten zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen entstehenden Spannungen geprägt, weshalb zu überlegen ist, ob die Europäische Union auch die gegenseitige Achtung der verschiedenen Kulturen in den Gemeinschaftsvertrag aufnehmen sollte. Diese Konflikte und Spannungen zeigen, dass sich die Europäische Union konsequent das Ziel der gegenseitigen Achtung der verschiedenen Kulturen setzen muss. Die Förderung der europäischen kulturellen Werte lässt sich in dieser von einer „Krise des europäischen Bewusstseins“ und interkulturellen Konflikten geprägten Zeit als Zeichen des Optimismus und des Vertrauens in die Zukunft der Europäischen Union auffassen. Deshalb muss sich die Europäische Union durch die Unterstützung des Kulturtourismus auch für die Entwicklung eines ständigen kulturellen und religiösen Dialogs mit den anderen Völkern einsetzen (3).

3.5

Der interkulturelle Dialog sollte in erster Linie auf der Förderung der Achtung der verschiedenen Kulturen, Bräuche und Traditionen der in der Europäischen Union lebenden Bürger gründen.

3.6

Die zunehmende Mobilität der EU-Bürger und die immer höhere Zahl von Wanderarbeitnehmern, denen oft ihre Familien oder Verwandte folgen, legen eine gezielte Maßnahme zur Förderung der Achtung der Kulturen und Traditionen nahe, die sich von den europäischen unterscheiden; diese Aufgabe sollte von den europäischen Institutionen und den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Koordinierungsaufgaben geleistet werden.

3.7

Der EWSA schlägt vor, auf der Grundlage der bereits erwähnten Dokumente der Unesco die Aufgaben der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu erweitern und sie zu einer Koordinierungsstelle auf Gemeinschaftsebene zu machen, die im Interesse des gegenseitigen Kennenlernens und der gegenseitigen Achtung der verschiedenen Kulturen die kulturelle Integration der mehreren zehn Millionen Migranten unterstützt.

3.8

Der EWSA bedauert, dass zu den Instrumenten zur Umsetzung der in dem Vorschlag für eine Entscheidung festgelegten Zielsetzungen nicht ein auf Gemeinschaftsebene einzurichtendes Medium gehört, das in allen EU-Sprachen verfügbar wäre. Dabei hat die Europäische Kommission — nach ihrem Aktionsplan für Kommunikation und dem Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion — inzwischen ihr Weißbuch zur europäischen Kommunikationspolitik fertiggestellt. In jedem dieser Dokumente steht der Dialog mit den europäischen Bürgern im Mittelpunkt. Mittels der privaten elektronischen und gedruckten Medien allein lassen sich die Gemeinschaftsziele nicht vollständig verwirklichen.

3.9

Der EWSA hat bereits in mehreren Stellungnahmen seiner Besorgnis bezüglich der Projektfinanzierung, der Weiterverfolgung der im Rahmen des sehr nützlichen Konzepts des „Europäischen Jahres“ festgelegten Ziele bzw. ihrer ausgewogenen Verstetigung Ausdruck verliehen (4).

Die Einführung des Konzepts des „Europäischen Jahres“ erfordert schon an sich eine Bewertung, um festzustellen, wie sich ein Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen der Sensibilisierung und der Nachhaltigkeit herstellen und beibehalten lässt, da es nicht möglich ist, die auf ein Jahr ausgelegten Programme weiterzuverfolgen. Die bereitgestellten Gemeinschaftsmittel sind in den folgenden Jahren nicht gewährleistet und bei der Umsetzung der Ziele sind Diskrepanzen festzustellen. Deshalb stellt sich die Frage, wie sich für alle Bürger und Institutionen mit den auf ein Jahr ausgelegten Zielen des Vorschlags für eine Entscheidung das gegenseitige Kennenlernen und die Akzeptanz ihrer jeweiligen Kultur garantieren lässt?

3.10

Zweifellos lassen sich die Ziele des Jahres der Chancengleichheit für alle und des Jahres des interkulturellen Dialogs oder die im Rahmen der Kommunikationsstrategie der Europäischen Kommission festgelegte aktive Bürgerschaft und partizipative Demokratie jeweils nicht im Rahmen eines Jahresprogramms erreichen; deshalb müssen die Programme und die Verwendung der Mittel aufeinander abgestimmt werden, damit die Ziele längerfristig bzw. fortgesetzt verwirklicht werden können.

3.11

Der EWSA zweifelt daran, dass die vorrangigen Ziele mit den vorgeschlagenen Haushaltsmitteln verwirklicht werden können. Diese sind größtenteils für die Unterstützung von Gemeinschaftsaktionen vorgesehen und es stellt sich die Frage, ob die acht vorgesehenen Veranstaltungen für die Umsetzung der festgelegten Ziele ausreichen. Dadurch wird auch die Unterstützung der von den Bürgern ergriffenen lokalen Initiativen unsicher.

3.12

Der EWSA schlägt vor, dass die Kommission angesichts der zahlreichen Formen des interkulturellen Dialogs für die Bewertung der Verwirklichung der Ziele des Europäischen Jahres nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Indikatoren ausarbeitet. Der EWSA verpflichtet sich, hierbei als Vertreter der Zivilgesellschaft mitzuwirken.

3.13

Der EWSA schlägt vor, auf der Grundlage der Ereignisse und Aktionen des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs (2008) eine Enzyklopädie der europäischen Kultur zusammenzustellen, die ihrerseits als Grundlage für ein Handbuch der europäischen Kulturen dienen würde, das wiederum als Basisdokument für die Entwicklung der Unionsbürgerschaft fungieren könnte. Das Sammelwerk der vorbildlichen Verfahrensweisen und das Handbuch wären auch für die Förderung der Integration der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienmitglieder unabdingbar.

4.   Förderung der verschiedenen Bräuche, Traditionen und Kulturen

4.1

Der EWSA unterstützt die Allgemeine Erklärung der Unesco zur kulturellen Vielfalt („Der kulturelle Reichtum der Welt besteht in der Vielfalt des Dialogs“) (5) und die in der Konvention zum Schutz und zur Förderung kultureller Ausdrucksformen (Convention on the Protection and Promotion of the Diversity of Cultural Expressions) (6) festgelegten Ziele, darunter insbesondere die Förderung der Interkulturalität zur Entwicklung des kulturellen Austauschs für den Brückenschlag zwischen den Völkern.

4.2

Im Rahmen der Ziele des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs stellt die Darstellung der menschlichen Gefühle mittels der verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen einen der größten Werte des europäischen Kulturerbes dar. Das Kennenlernen und die Akzeptanz der verschiedenen Kulturen ist nicht möglich, ohne die Gefühle und Werte des anderen kennenzulernen, zu akzeptieren und anzunehmen. Wenn die Hauptzielgruppe die Jugend ist, dann darf insbesondere die gesunde emotionale Entwicklung nicht außer Acht gelassen werden, weshalb die Initiativen zur Entwicklung eines multikulturellen Bewusstseins unterstützt werden müssen.

4.3

Der EWSA befürwortet den Vorschlag, einen Tag des interkulturellen Dialogs einzurichten, der mit dem von der Unesco bereits eingeführten Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung am 21. Mai zusammenfallen könnte. Zu diesem Anlass könnten die Gemeinschaftsinstitutionen denjenigen Bildungseinrichtungen und Organisationen der Zivilgesellschaft einen symbolischen Preis verleihen, die bei der Einleitung und Verwirklichung des interkulturellen Dialogs mit gutem Beispiel vorangehen. Dieser Tag würde auch die Möglichkeit zu Festveranstaltungen bieten.

4.4

Die Einbindung der Organisationen der Zivilgesellschaft, der Bildungseinrichtungen und der europäischen Bürger ist für die Förderung des interkulturellen Dialogs von grundlegender Bedeutung. Deshalb würde der EWSA die Einführung eines solchen — selbst symbolischen — Preises (der betreffende Preisträger dürfte auch das Logo des Tages des interkulturellen Dialogs benutzen) außerordentlich begrüßen, der denjenigen europäischen Bürgern, Organisationen der Zivilgesellschaft oder Bildungseinrichtungen verliehen werden könnte, die sich bei der Förderung des interkulturellen Dialogs über Initiativen hervortun, die darauf abzielen, den Jugendlichen zu vermitteln, wie wichtig es nicht nur auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, sondern auch auf Gemeinschaftsebene ist, dass die Mitglieder einer Gesellschaft die traditionellen und kulturellen Werte des anderen achten.

4.5

Der EWSA stimmt mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament darin überein, dass die Jugendlichen die Hauptadressaten der Initiativen zur Förderung des interkulturellen Dialogs sein sollen. Dennoch macht er die europäischen Institutionen darauf aufmerksam, dass auch die älteren Bevölkerungsgruppen nicht außer Acht gelassen werden dürfen.

5.   Koordinierung mit den anderen Programmen

5.1

Im Interesse einer wirksameren Umsetzung der in dem Vorschlag für eine Entscheidung formulierten Ziele weist der EWSA darauf hin, dass die Ziele und das Instrumentarium des Europäischen Jahres der Chancengleichheit für alle (2007) und des Plans D für Demokratie, Dialog und Diskussion aufeinander abgestimmt und vereinheitlicht werden sollten.

5.2

Angesichts der Vielfalt der durch die verschiedenen Mitgliedstaaten eingeleiteten Initiativen, die alle auf die Förderung des interkulturellen Dialogs abzielen, sollten die europäischen Institutionen nach Ansicht des EWSA eine Koordinierungsstelle zur Harmonisierung, Förderung und Verbreitung dieser Initiativen einrichten.

5.3

Zu den erfolgreichen interkulturellen Initiativen zählen u.a. das Programm Leonardo, das die europäische Dimension der Bildung fördert, indem es die Entwicklung innovativer Initiativen im Bildungsbereich und Projekte im Rahmen internationaler Partnerschaften (7) unterstützt, die Anna-Lindh-Stiftung (8) sowie das EuromedCafé (9), das den Dialog zwischen den europäischen Staaten und den Ländern des Mittelmeerraums fördert.

5.4

Mit dem Vorschlag für eine Entscheidung, der auch die Globalisierung der Wirtschaft berücksichtigt, soll die Harmonie gefördert und die kulturelle Vielfalt vereinheitlicht werden, um so den Mehrwert und die Energie zu schaffen, die zur Verwirklichung der Ziele der überarbeiteten Lissabon-Strategie erforderlich sind.

5.5

Der EWSA möchte in Zusammenarbeit mit den NGO an Folgendem mitwirken:

den interkulturellen Dialog zu einer ständigen Einrichtung zu machen;

den Feierlichkeiten anlässlich des 25. Jahrestages (November 2006) der UN-Erklärung (in der Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Glauben abgelehnt werden);

der Auswertung des Jahres 2008.

Auf dieser Grundlage wird der EWSA einen geeigneten ergänzenden Vorschlag unterbreiten.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Stellungnahme des EWSA vom 15.3.2006 zum Thema „Die soziale Dimension der Kultur“, Berichterstatter: Herr Le Scornet (SOC/191).

(2)  Arbeitsprogramm von Dr. Anne-Marie SIGMUND, Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, für ihre Mandatsperiode 2004-2006 und Jahresbilanz des Arbeitsprogramms von Dr. Anne-Marie SIGMUND, Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, für ihre Mandatsperiode 2004-2006.

(3)  Konzept, das bereits in der Initiativstellungnahme des EWSA vom 15.3.2006 zum Thema „Tourismus und Kultur: zwei Kräfte im Dienste des Wachstums“ (Berichterstatter: Herr PESCI) vertreten wird.

(4)  Stellungnahme des EWSA vom 14.2.2006 zur Bewertung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen, Berichterstatterin: Frau ANČA (ABl. C 88 vom 11.4.2006).

(5)  Auf der 31. Sitzung der UNESCO-Generalkonferenz verabschiedete Allgemeine Erklärung der Unesco zur kulturellen Vielfalt (2. November 2001, Paris).

(6)  Verabschiedet auf der Generalkonferenz der Unesco im Oktober 2005.

(7)  Von den laufenden Initiativen unter Beteiligung von Drittstaaten sind u.a. erwähnenswert: der Wettbewerb der Thswane University of Technology (Südafrika), der West-Virginia-Wettbewerb (USA) und der GE4 Student Exchange in Engineering (USA, Lateinamerika und Asien).

(8)  Die Anna-Lindh-Stiftung, die mit dem Ziel gegründet wurde, das gegenseitige Kennenlernen und die gegenseitige Achtung der europäischen und mediterranen Völker zu fördern, ist Teil des Aktionsplans des Barcelona-Prozesses.

(9)  Das EuromedCafé ist eine Website, die von der Stiftung Laboratorio Mediterraneo mit dem Ziel eingerichtet wurde, Dialog und Austausch zwischen den europäischen und mediterranen Völkern zu erneuern und neuen Schwung zu verleihen.


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der„Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Situation behinderter Menschen in der erweiterten Europäischen Union: Europäischer Aktionsplan 2006-2007“

KOM(2005) 604 endg.

(2006/C 185/10)

Die Kommission beschloss am 28. November 2005 gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. März 2006 an. Berichterstatterin war Frau GREIF.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 55 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die Vorschläge der Kommission bezüglich der im Aktionsprogramm 2006-2007 vorgesehenen Maßnahmen.

1.2

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass auch im neuen Zeitraum des Aktionsprogramms die Umsetzung der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vorrangig und aus der Nähe verfolgt werden sollte.

1.3

Der EWSA ersucht die Kommission, im Anschluss an die Machbarkeitsstudie über EU-Antidiskriminierungsvorschriften eine spezifische Behindertenrichtlinie vorzuschlagen.

1.4

Die Tatsache, dass es in der Europäischen Beschäftigungsstrategie sichtbar an konkreten Maßnahmen mangelt, macht das unzureichende Engagement der EU mehr als deutlich. Die Europäische Beschäftigungsstrategie (EBS) war ein wichtiger Prüfstein für das Engagement der EU und der Mitgliedstaaten für den Aktionsplan. Alle haben ausnahmslos versagt. Im Rahmen der überarbeiteten Ziele der Europäischen Beschäftigungsstrategie sollte die Behindertenthematik noch stärker und umfassender in die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen und die nationalen Reformprogramme einbezogen werden.

1.5

Die EU sollte sich grundsätzlich zu einer allumfassenden Einbeziehung in verschiedene Initiativen verpflichten:

Bei den Strukturfonds muss sichergestellt werden, dass das Diskriminierungsverbot und die Barrierefreiheit für behinderte Menschen als Grundsätze in die geltende Verordnung, die strategischen Leitlinien und die operationellen Programme aufgenommen werden.

Im 7. FTE-Rahmenprogramm ist zu gewährleisten, dass Forschungsprojekte in Bereichen wie „Design für alle“, IKT-Systeme, Übergang zur eigenständigen Lebensführung usw. durchgeführt werden.

Im Bereich Verkehr sind Initiativen für mehr Barrierefreiheit im Eisenbahnverkehr, grenzüberschreitenden Reisebusverkehr und Seeverkehr zu fördern.

1.6

Der EWSA stellt mit Bedauern das mangelnde Interesse der EU-Mitgliedstaaten fest, etwas zur umfassenden Einbeziehung der Behindertenthematik in den Prozess der Politikgestaltung auf nationaler Ebene zu unternehmen. Der Erfolg des Aktionsplans steht und fällt mit dem Willen der Mitgliedstaaten, sich die Grundsätze des Aktionsplans zu eigen zu machen.

1.7

Zudem fordert der EWSA die Gemeinschaftsinstitutionen auf, die Ziele des Aktionsplans zu verinnerlichen und auf europäischer Ebene umzusetzen. Die Bemühungen auf dem Gebiet der internen Kommunikation und Bewusstseinsbildung müssen sich in einer stärkeren Sichtbarkeit der Behindertenthematik bei der Gestaltung der EU-Politik niederschlagen.

1.8

Die Arbeit der auf europäischer Ebene tätigen Organisationen wie des Europäischen Behindertenforums und anderer repräsentativer NGO sollte weiterhin im Rahmen des neuen „PROGRESS-Programms“ der EU unterstützt werden.

1.9

Im Hinblick auf die künftige Agenda ersucht der EWSA die Kommission dringend, insbesondere folgenden Fragen zu berücksichtigen:

die grundlegende Bedeutung des Konzepts der eigenständigen Lebensführung und des Rechts behinderter Menschen, nicht in geschlossenen Einrichtungen oder abgeschottet von der Gesellschaft zu leben; für eine eigenständige Lebensführung Behinderter kommt es vor allem auf den Zugang zu Informationen, auf Mobilität, auf die Wohnungsfrage, die bauliche Umgebung und insbesondere auf die persönliche Unterstützung an. Im Hinblick darauf ist die Modernisierung der Sozialschutzsysteme eine vorrangige Aufgabe (1).

Die Schlüsselbedeutung einer aktiven politischen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft. Behinderte Menschen sollten gleichberechtigte Chancen haben, ihr Recht auf aktive Beteiligung an den Beschlussfassungsprozessen, an der Politikgestaltung und der Kontrolle sowie Beurteilung usw. über ihre repräsentativen NGO und Netze zu verwirklichen. Die Rolle der auf diesem Gebiet tätigen Nichtregierungsorganisationen sollte auf nationaler wie auf EU-Ebene gestärkt werden, wobei neben den großen Verbänden auch kleineren und schwächeren NGO ein Platz eingeräumt werden sollte.

Außerhalb der Beschäftigung liegende Bereiche wie Bildung, Kultur, Freizeit usw. sollten in der Zukunft stärker berücksichtigt werden.

Es gilt, den Auswirkungen von Mehrfachdiskriminierung, kulturellen Unterschieden, Armut usw. stärker Beachtung zu schenken. Werden diese Aspekte in geeigneter Weise in den Mittelpunkt gerückt, treten möglicherweise innerhalb der Gruppe der Menschen mit Behinderungen neue, bislang verdeckte Kategorien zutage.

Behindertengerecht angepasste Arbeitsplätze (einschließlich unterstützende Technologien, berufliche Betreuung) und die Einsetzung von Gleichstellungsbeauftragten in Unternehmen könnte die Chancengleichheit im Beschäftigungsbereich fördern.

Der Sicherheit am Arbeitsplatz sollte im Hinblick auf die Verhütung von Behinderungen verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt werden.

2.   Einleitung

2.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat die Mitteilung mit großem Interesse zur Kenntnis genommen (2).

2.2

Mit dem 2003 angenommenen und für den Zeitraum 2004 bis 2010 angelegten mehrjährigen Aktionsplan der EU zugunsten behinderter Menschen (Disability Action Plan — DAP) (3) wird die Einbeziehung der Behindertenthematik in alle einschlägigen EU-Politikbereiche und die konkrete Förderung einer stärkeren Eingliederung behinderter Menschen in die europäischen Gesellschaften angestrebt.

2.2.1

Der Schwerpunkt der ersten Phase des DAP lag auf dem Zugang behinderter Menschen zum Arbeitsmarkt, der Nutzung von Informationstechnologien und der Zugänglichkeit öffentlicher Gebäude.

2.2.2

Die für die zweite Phase des DAP vorgesehenen vorrangigen Aktionen betreffen die aktive Teilhabe behinderter Menschen an der Gesellschaft, den Zugang zu hochwertigen Unterstützungs-, Betreuungs- und Gesundheitsleistungen, die Bereitstellung von mehr barrierefreien Produkten und Dienstleistungen und die Stärkung der Analysekapazitäten.

2.3

Im Aktionsplan ist vorgesehen, dass alle zwei Jahre ein Bericht erstellt wird, um die Ziele des Aktionsplans zu überprüfen und die Lage von Menschen mit Behinderungen im Berichtszeitraum zu untersuchen.

2.4

Der EWSA bedauert die Tatsache, dass dieser Zweijahresbericht letztendlich die Form einer kurzen Mitteilung angenommen hat, deren erster Teil die eigentliche Berichterstattung über den Zeitraum 2004-2005 umfasst, während ihr zweiter Teil den Aktionsplan für die zweite Phase 2006-2007 beinhaltet.

2.4.1

Die in den Anhängen zu der Mitteilung enthaltenen Informationen sind für die Bewertung äußerst nützlich. Dessen ungeachtet bemängelt der EWSA ihren begrenzten Aussagewert, da bei der Analyse nicht alle derzeit in der EU laufenden Initiativen berücksichtigt wurden. Die Mitgliedstaaten hätten den Fragebogen der Kommission zur Erstellung des Berichts ausführlicher beantworten müssen.

2.4.2

Der Ausschuss bedauert zudem, dass die Anhänge bislang nur in englischer Sprache vorliegen.

2.5

Behinderte Menschen machen zehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus, wobei dieser Anteil mit der zunehmenden Alterung unserer Gesellschaften noch steigt. Demnach leben in der erweiterten Europäischen Union mehr als 50 Millionen Menschen mit Behinderungen (4).

2.6

Behinderte Menschen (Männer wie Frauen, Jungen wie Mädchen) bilden eine vielfältige, heterogene Gruppe. Diese Vielfältigkeit sollte auf allen Ebenen der Politikgestaltung berücksichtigt werden.

2.7

Der EWSA hat sich regelmäßig und nachdrücklich für die volle Integration von Menschen mit Behinderungen ausgesprochen und eine spezifische Richtlinie zum Thema Behinderung gefordert (5).

2.8

In seiner Stellungnahme zum Aktionsplan 2004-2006 formulierte der Ausschuss eine Reihe von spezifischen Empfehlungen (6). Einige dieser Empfehlungen sind zwar übernommen worden, doch viele andere wurden leider nicht berücksichtigt, was insbesondere für die Forderung nach einer spezifischen Richtlinie zur Behindertenthematik und nach umfassender Einbeziehung des Themas Behinderung in die Europäische Beschäftigungsstrategie gilt.

2.9

Der EWSA prüft diesen Aktionsplan im Lichte der derzeit laufenden Verhandlungen über die UN-Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen (7).

3.   Aktuelle Lage

Überblick

3.1

Der Ausschuss unterstützt die Kommission hinsichtlich der Bedeutung der für die zweite Phase des Aktionsplans ausgewählten Ziele.

3.2

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass die Kommission die Behindertenthematik in ihren Dokumenten im Einklang mit dem sozialen Ansatz behandeln sollte, was die Verwendung einer neutralen und auf Inklusion abstellenden Sprache im weiteren Themenbereich Behinderung fördern würde. In den übersetzten Fassungen einiger englischsprachiger Kommissionsvorlagen werden Formulierungen verwendet, die mit diesem sozialen Ansatz bei der Behindertenthematik nicht wirklich vereinbar sind.

3.3

Der Ausschuss teilt die Besorgnis der Europäischen Kommission in Bezug auf den Mangel an einschlägigen statistischen Daten über Behinderte, die für die Gestaltung der künftigen Politik auf diesem Gebiet benötigt werden. Die Untersuchungen erstrecken sich bisher nur auf erwerbstätige/beschäftigte Menschen mit Behinderungen und berücksichtigen somit die meisten Behinderten nicht (in Betreuungseinrichtungen lebende Menschen, Kinder).

3.4

Der EWSA zeigt sich besorgt angesichts der großen Unterschiede zwischen der Erwerbstätigenquote behinderter und nicht behinderter Menschen. Eurostat bestätigte im Jahr 2003: „Die Erwerbsbeteiligung ist bei behinderten Menschen erheblich geringer: 78 % der Menschen mit schweren Behinderungen im Alter von 16-64 nehmen nicht am Erwerbsleben teil, bei den Menschen mit lang andauernden Gesundheitsproblemen und Behinderungen sind es 27 %. Und selbst innerhalb der Erwerbsbevölkerung ist die Arbeitslosenquote der Menschen mit schweren Behinderungen annähernd doppelt so hoch wie die der Nichtbehinderten. Lediglich 16 % der Menschen mit Einschränkungen am Arbeitsplatz erhalten Unterstützung zur Ausübung der Erwerbstätigkeit“ (8).

3.5

In Bezug auf einige Aspekte kann sich der EWSA nicht vollständig den Gründen anschließen, die im Kommissionsbericht dafür angeführt werden, dass die Nichterwerbstätigenquote behinderter Menschen doppelt so hoch liegt wie die der übrigen Bevölkerung. Das Argument der so genannten „Leistungsfallen“ (9) erklärt das Phänomen nur unvollständig und schiebt den Behinderten die volle Verantwortung zu.

3.5.1

Hinter den negativen Statistiken verbergen sich komplexere Barrieren wie Ablehnung seitens der Arbeitgeber, nicht barrierefreie Arbeitsplätze, ungleiche Zugangsmöglichkeiten zum Arbeitsmarkt, mangelnde Unterstützung für selbstständiges Wohnen (Betreuung bzw. Hilfsmittel), Diskriminierung in den Bereichen Verkehr und Bildung sowie beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen, Informationstechnologien usw. Obgleich 43,7 % der Befragten glauben, dass sie mit angemessener Unterstützung arbeiten könnten, erhalten nur 15,9 % diese Unterstützung auch tatsächlich (10).

3.5.2

Der EWSA vertritt daher die Ansicht, dass bei einer Reform der Sozialversicherungssysteme und Beschäftigungsprogramme die vielfältigen Gründe für den fehlenden Zugang von Menschen mit Behinderungen zum Arbeitsmarkt bzw. ihr Herausfallen aus dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden sollten (11).

3.6   Beschäftigungsförderung

3.6.1

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Kommission entschieden Schritte unternimmt, um die rechtliche Umsetzung und Durchführung der Richtlinie zur Gleichbehandlung im Bereich der Beschäftigung (12) genau zu überwachen. Diese Überwachung sollte in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und repräsentativen NGO erfolgen. Der EWSA ist davon überzeugt, dass diese Richtlinie, in der die Diskriminierung im Beschäftigungsbereich aufgrund bestimmter Merkmale — so auch aus Gründen der Behinderung — verboten wird, eine gesetzliche Verpflichtung und nicht nur ein Recht ist, das Menschen mit Behinderungen geltend machen können, und dass der Kommission als Hüterin der Richtlinie eine Schlüsselrolle bei ihrer wirksamen Umsetzung zukommt.

3.6.2

Der EWSA kann sich der von der Kommission vertretenen Ansicht über die Sichtbarkeit der Behindertenthematik in der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) (13) nicht anschließen. Behindertenfragen wurden in der EBS nur begrenzt berücksichtigt, zumal diese Dimension in den nationalen Reformprogrammen schlichtweg übersehen wurde.

3.6.3

Der Ausschuss hat seine Unterstützung für die Verordnung der Kommission über die Anwendung der Artikel 87 und 88 des EG-Vertrags auf Beschäftigungsbeihilfen (14) und für Freistellungen für staatliche Beihilfen zur Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zum Ausdruck gebracht.

3.6.4

Der EWSA ersucht die Sozialpartner dringend, weitere Schritte zur Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen zu unternehmen. 2004 bilanzierten die Sozialpartner in einem Bericht die von ihnen auf diesem Gebiet unternommenen Initiativen (15).

3.6.5

Der EWSA befürwortet zudem die im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF) ergriffenen Maßnahmen für die Eingliederung behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt. Die Gemeinschaftsinitiative EQUAL hat sich als nützliches Instrument zur Förderung der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen erwiesen. Im neuen Rahmen des Europäischen Sozialfonds sollten bestimmte, in den geltenden Rechtsvorschriften vernachlässigte Grundsätze Berücksichtigung finden, so sollte für alle aus dem ESF finanzierten Projekte das Prinzip der Barrierefreiheit und des „Design für alle“ gelten.

3.6.6

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission einen EU-Aktionsplan gegen Diskriminierung aufgestellt hat (16).

3.6.7

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass den anderen Initiativen wie dem Gleichstellungsgipfel und dem Europäischen Jahr der Chancengleichheit 2007 wichtige politische Entscheidungen, Maßnahmen und Rechtsvorschriften folgen müssen.

3.6.8

Der EWSA stellt mit Bedauern fest, dass die nationalen Behindertenorganisationen von der Aufstellung der nationalen Reformprogramme weitgehend ausgeschlossen blieben. In der überarbeiteten Lissabon-Strategie sollte eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft vorgesehen werden, um die Ziele besser zu erreichen.

3.6.9

Nach Ansicht des Ausschusses kommt es im Hinblick auf die Wirksamkeit der Beschäftigungsstrategien darauf an, auf europäischer wie nationaler Ebene den Dialog mit der Zivilgesellschaft (den Sozialpartnern und entsprechenden NGO) zu führen. Dabei ist vor allem die Einbeziehung von Vertretern von Behinderten-NGO wesentlich.

3.7   Gesellschaftliche Integration behinderter Menschen

3.7.1

Der EWSA hat kürzlich zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen (EJMB) Stellung genommen und dabei die Kommission ersucht, in ihrem nächsten Zweijahresbericht über die Situation behinderter Menschen die Umsetzung der während des Europäischen Aktionsjahres eingegangenen politischen Verpflichtungen zu bewerten, insbesondere die Folgemaßnahmen zu den Entschließungen des Rates über die Förderung der Beschäftigung, Bildung, barrierefreien Informations- und Kommunikationstechnik (eAccessibility) und Kultur, sowie Empfehlungen für die Einbeziehung der Behindertenthematik in die Methode der offenen Koordinierung im Rahmen der Lissabon-Strategie vorzulegen (17).

3.7.2

Der EWSA begrüßt die vorbildlichen Praktiken im Rahmen der Verordnung über die Rechte von Flugreisenden als Beispiel für eine erfolgreiche bereichsübergreifende Berücksichtigung der Behindertenthematik.

3.7.3

Der EWSA begrüßt die im Hinblick auf die Barrierefreiheit von IKT für Behinderte erzielten Ergebnisse (18) und die anderen Initiativen auf diesem Gebiet (19). Auch in anderen Bereichen könnte man weitere Fortschritte erzielen, so mit einem rechtlichen Rahmen für den Telekommunikationsbereich und beim Fernsehen.

3.7.4

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Europäische Union mit den Strukturfonds über ein Instrument zur Förderung ihrer Prinzipien verfügt und das Diskriminierungsverbot sowie die Barrierefreiheit in die Rechtsvorschriften und die Programme dieser Fonds aufnehmen sollte. Behindertenfragen sollten ein Querschnittsthema in allen Strukturfonds bilden.

3.7.5

Der EWSA zeigt sich besorgt darüber, dass die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der EU in unterschiedlichem Ausmaß geschützt sind. Das Ausmaß des Schutzes und die Rechte des Einzelnen hängen vom Wohnort ab.

3.7.6

Der Ausschuss stellt zudem mit Besorgnis fest, dass bestimmte Aspekte der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen im Bericht über die erste Phase des Aktionsprogramms vernachlässigt bzw. nicht wirksam angesprochen werden. So sollte zum Beispiel untersucht werden, wie sich Diskriminierungen Behinderter aus anderen Gründen — aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung  (20) — auswirken. Gleiches gilt für das Recht Behinderter auf ein selbstbestimmtes Leben.

Nach Auffassung des EWSA wird die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen im Alltag nicht ausschließlich durch ihre Behinderung an sich bestimmt bzw. beeinträchtigt, sondern auch durch die sonstigen Umstände bzw. Voraussetzungen.

4.   Aktionsplan der EU zugunsten behinderter Menschen (Disability Action Plan — DAP) 2006-2007

4.1

Die Kommission hat eine Reihe neuer Ziele für die zweite Phase festgelegt. Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass diese Ziele nach wie vor auf die Hauptprobleme behinderter Menschen gerichtet sind.

4.2

Der EWSA teilt nicht die Aussage, „dass das Mainstreaming in einigen Bereichen geglückt ist, insbesondere bei Beschäftigung, IKT und Bildung (E-Learning)“. Dies steht im Widerspruch zu einer Reihe von Feststellungen, die in den gemeinsamen Berichten über die soziale Eingliederung enthalten sind. Dort wird zum Beispiel eingeräumt, dass sich „[…]jedoch keine nennenswerte Verbesserung der Situation — angesichts einer Wirtschaftsleistung, die bestenfalls als 'durchwachsen' bezeichnet werden kann“, erkennen lässt. „Hier bestätigt sich eindeutig die bei der Überprüfung der Lissabon-Strategie gewonnene Erkenntnis, dass eine Umsetzungslücke klafft zwischen den Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten mit der Festlegung gemeinsamer Ziele eingegangen sind, und den politischen Anstrengungen, die zur Verwirklichung dieser Ziele unternommen worden sind“ (21).

4.3

Der EWSA ist der Auffassung, dass der hochrangigen EU-Gruppe „Behinderungsfragen“ große Bedeutung bei der Umsetzung des Aktionsplans zukommt und diese Gruppe deshalb gestärkt werden sollte. Die Gruppe sollte dem Rat der Europäischen Union konkrete Ergebnisse und Empfehlungen zur Beschlussfassung vorlegen.

4.3.1

Der EWSA stimmt dem Vorschlag, das Europäische Behindertenforum und weitere auf Gemeinschaftsebene tätige Behindertenorganisationen in die Arbeit der hochrangigen Gruppe „Behindertenfragen“ einzubeziehen, um die Beteiligung der Behindertenbewegung an der Politikgestaltung für behinderte Bürger in der EU sicherzustellen, vorbehaltlos zu.

4.4

Mit Genugtuung nimmt der Ausschuss zur Kenntnis, dass die Kommission Schritte unternimmt, um Vertragsverletzungsverfahren gegen diejenigen Mitgliedstaaten einzuleiten, welche die Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf noch nicht in einzelstaatliches Recht überführt oder noch nicht richtig umgesetzt haben (22).

4.5   Vorrangige Bereiche der zweiten Phase

4.5.1

In der zweiten Phase des Aktionsplans geht es um die aktive Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen ausgehend vom bürgerbezogenen Verständnis von Behinderung (23). Das bürgerbezogene Konzept impliziert, dass behinderte Menschen in ihrem Alltagsleben über dieselbe Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung verfügen wie nicht behinderte Menschen.

4.6   Die Erwerbstätigkeit fördern

4.6.1

Der EWSA hat in einer früheren Stellungnahme festgestellt, dass in der neu überarbeiteten Lissabon-Strategie Menschen mit Behinderungen nicht erwähnt werden (24).

4.6.2

Der EWSA weist nachdrücklich darauf hin, dass eine Erhöhung der Erwerbstätigen- und Erwerbsquoten behinderter Menschen nur dann möglich ist, wenn bessere Arbeitsbedingungen geschaffen und Diskriminierungen in Bereichen wie Bildung, Verkehr, IKT, Zugang zu Waren und Dienstleistungen usw. bekämpft werden.

4.6.3

Der EWSA ist der Ansicht, dass bei der Überprüfung der Ziele der Europäischen Beschäftigungsstrategie die Behindertenthematik voll einbezogen werden muss. Andernfalls bleibt der Schutz behinderter Menschen auf dem bisherigen geringen Niveau.

4.6.4

Werden das Diskriminierungsverbot und die Barrierefreiheit für behinderte Menschen als Grundsätze in den EU-Strukturfonds verankert, kann damit die Integration nachhaltig unterstützt werden. In dem neuen Programmplanungszeitraum der Strukturfonds muss verhindert werden, dass neue bauliche Barrieren entstehen, und zugleich gefördert werden, dass beim Einsatz der Fondsmittel stärker der Aspekt der Teilhabe berücksichtigt wird.

4.6.5

Mit der neuen Verordnung der Kommission zur Gruppenfreistellung für Beschäftigungs- und Ausbildungsbeihilfen muss ein gerechtes System geschaffen werden, das die Teilnahme von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt fördert. In dieser Neufassung sollten die Verfahren so vereinfacht werden, dass Arbeitgeber leichter auf Mittel zur Unterstützung ihrer behinderten Arbeitnehmer zugreifen können.

4.6.6

Sozialwirtschaftliche Unternehmen können einen wertvollen Beitrag zur Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt leisten.

4.7   Den Zugang zu hochwertigen Unterstützungs- und Betreuungsleistungen erleichtern

4.7.1

In Bezug auf die Bedeutung, die dieser Frage beigemessen wird, schließt sich der Ausschuss der Kommission an.

4.7.2

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass alle Maßnahmen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Leben in den europäischen Gesellschaften auf den grundlegenden Menschenrechten fußen sollten:

Freizügigkeit und Recht der freien Wahl des Wohnortes;

Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens;

Schutz vor willkürlichem Freiheitsentzug;

Recht auf Schutz vor Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung;

Recht auf Bildung;

Recht auf Gesundheitsversorgung sowie auf Zugang zu Informationen und Dienstleistungen im Bereich Gesundheit und reproduktive Gesundheit;

Schutz vor willkürlicher Beraubung des Eigentums.

4.7.3

Daher begrüßt der EWSA die Aussage der Kommission, wonach eine eigenständige Lebensführung, die Deinstitutionalisierung und die Aufhebung des abgeschotteten Lebens behinderter Menschen in großen Betreuungseinrichtungen gefördert werden soll.

4.7.3.1

Der Ausschuss fordert die Kommission auf sicherzustellen, dass alle an der eigenständigen Lebensführung interessierten Kreise — nationale Behörden, Behindertenverbände und die EU — aktiv an diesem Prozess mitwirken.

4.7.3.2

Bei einer eigenständigen Lebensführung geht es nicht nur um das Leben in der Gesellschaft, sondern auch um die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft. Eigenständige Lebensführung heißt, an allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens voll teilzunehmen.

4.7.3.3

Der EWSA vertritt die Ansicht, dass bei einer Reform der Betreuungssysteme die eigenständige Lebensführung von Menschen mit Behinderungen gefördert werden sollte. Die Deinstitutionalisierung und Entwicklung von alternativen gemeindegetragenen Betreuungsdiensten sollte als spezifisches Ziel in die neue Strategie der langfristigen Betreuung sowie in die neue Strategie des sozialen Schutzes aufgenommen werden. Als Alternativen sollten auch Maßnahmen wie persönliche Helfer, technische Hilfen, unterstützende Leistungen, Information, Coaching, selbstbestimmte Pflege und Betreuung usw. vorgesehen werden.

4.7.4

Der EWSA fordert außerdem die Verbesserung der Standards für die Qualität von Leistungsangeboten für behinderte Menschen. Diese Leistungsstandards sollten in enger Zusammenarbeit mit den Behindertenorganisationen entwickelt werden. Bei jedem Modell für Betreuungs- und Unterstützungsdienste sollten Qualität, Kontinuität, Barrierefreiheit und langfristige Finanzierbarkeit grundlegende Kriterien sein.

4.7.5

Bei der Methode der offenen Koordinierung im Bereich Gesundheit sollten zudem die Bedürfnisse behinderter Menschen und ihre Grundrechte auf Zugang zu Dienstleistungen berücksichtigt werden.

4.8   Mehr barrierefreie Produkte und Dienstleistungen bereitstellen

4.8.1

Der EWSA begrüßt die Verordnung über die Rechte von Flugreisenden eingeschränkter Mobilität und die Initiativen im Bereich Verkehr (Eisenbahnverkehr, Reisebusverkehr und Seeverkehr) und Tourismus, mit denen es Behinderten ermöglicht wird, sich frei zu bewegen und frei zu reisen.

4.8.2

Der Zugang zu neuen Technologien ist von grundlegender Bedeutung, um die digitale Kluft in den europäischen Gesellschaften zu überwinden. Die EU muss sicherstellen, dass innerhalb des 7. FTE-Rahmenprogramms Projekte entwickelt werden, mit denen die Forschung im Bereich neue Technologien, technische Hilfen und DFA-Güter und -Dienstleistungen gefördert wird.

4.8.3

Der Ausschuss glaubt, dass in den derzeitigen Verhandlungen über die Dienstleistungsrichtlinie bei der Erörterung der Frage des Zugangs zu Waren und Dienstleistungen die Bedürfnisse behinderter Verbraucher berücksichtigt werden sollten.

4.8.4

Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, in der künftigen Mitteilung über Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse die Prinzipien der Kontinuität und der Barrierefreiheit sowie europäische Qualitätsstandards und die langfristige Finanzierbarkeit zu berücksichtigen.

4.9   Die Analysekapazitäten der EU verstärken

4.9.1

Die Europäische Union muss in der Lage sein, die Situation von Menschen mit Behinderungen richtig einzuschätzen.

4.9.2

Der EWSA glaubt, dass mehr zuverlässige und vergleichbare Daten über Menschen mit Behinderungen erhoben werden müssen. Die derzeitigen EU-Statistiken umfassen auch Untersuchungen nach Geschlecht und Alter. Im Hinblick auf die Untersuchung der Stellung von Behinderten und die künftige Politikgestaltung ist auf europäischer Ebene unbedingt eine umfassende Aufschlüsselung der Statistiken erforderlich.

4.9.3

Zudem bedarf es weiterführender Forschung im Hochschulbereich, um insbesondere die von den Behinderten selbst zum Ausdruck gebrachten Bedürfnisse zu untersuchen, sowie einer besseren Analyse der Fälle von Mehrfachdiskriminierung.

Das Europäische Jahr für Chancengleichheit 2007 bietet für die Kommission die einmalige Gelegenheit, die Verantwortung für eine ausgewogene Gestaltung und Harmonisierung des gesetzlichen Schutzes behinderter Menschen vor Diskriminierungen in der gesamten EU zu übernehmen und Verstöße zu ahnden.

Der EWSA sieht dem nächsten Zweijahresbericht zum Aktionsplan im Jahr 2008 mit Interesse entgegen.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Eine Reihe von repräsentativen NGO fordern, dass die persönliche Unterstützung deshalb als Recht behinderter Menschen festgeschrieben werden sollte, das durch Direktfinanzierung verwirklicht werden könnte. Dies ist eine Voraussetzung für einen grundsätzlichen Wandel bei der Gewährleistung grundlegender Menschenrechte.

(2)  KOM(2003) 650 endg.

(3)  Aktionsplan der EU zugunsten behinderter Menschen (Disability Action Plan – DAP).

(4)  In der Eurostat-Veröffentlichung „Beschäftigung behinderter Menschen in Europa 2002“ heißt es dazu: „Von den Befragten im erwerbsfähigen Alter (16 - 64 Jahre) gaben 44,6 Mio., d.h. jeder Sechste (15,7 %), an, ein lang andauerndes Gesundheitsproblem oder eine Behinderung zu haben“.

(5)  Stellungnahme des EWSA vom 14.2.2006 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Durchführung, Ergebnisse und Gesamtbeurteilung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003“. Berichterstatterin: Frau Anca (ABl. C 88 vom 11.4.2006).

Stellungnahme des EWSA vom 25.2.2004 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen: Ein europäischer Aktionsplan“. Berichterstatter: Herr Cabra de Luna (ABl. C 110 vom 30.4.2004).

Stellungnahme des EWSA vom 26.3.2003 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Auf dem Weg zu einem rechtsverbindlichen Instrument der Vereinten Nationen zur Förderung und zum Schutz der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderungen“, Berichterstatter: Herr Cabra de Luna (ABl. C 133 vom 6.6.2003).

Initiativstellungnahme des EWSA vom 17.7.2002 zu dem Thema „Gesellschaftliche Integration von Menschen mit Behinderungen“, Berichterstatter: Herr Cabra de Luna (ABl. C 241 vom 7.10.2002).

Stellungnahme des EWSA vom 17.10.2001 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003, Berichterstatter: Herr Cabra de Luna (ABl. C 36 vom 8.2.2002).

(6)  Stellungnahme des EWSA vom 25.2.2004 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen: Ein europäischer Aktionsplan“, Berichterstatter: Herr Cabra de Luna (ABl. C 110 vom 30.4.2004).

(7)  International Convention on the Rights of persons mith Disabilities, UNO, New York, 2006 (Arbeitsfassung).

(8)  Beschäftigung behinderter Menschen in Europa 2002, Statistik kurz gefasst, Thema 3, Eurostat 26/2003.

(9)  Dabei wird angenommen, dass die Sozialleistungen über den Löhnen liegen und die Gefahr besteht, dass bei einer Arbeitsaufnahme Leistungen verloren gehen.

(10)  Beschäftigung behinderter Menschen in Europa 2002, Statistik kurz gefasst, Thema 3, Eurostat 26/2003.

(11)  Bei 57 Prozent aller Behinderten tritt die Behinderung während ihres Erwerbslebens auf.

(12)  Richtlinie 2000/78, 27. November 2000.

(13)  Beschluss des Rates vom 12.7.2005 über die Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Einbeziehung der Behindertenthematik in die Europäische Beschäftigungsstrategie: http://europa.eu.int/comm/dgs/employment_social/index_en.htm .

(14)  Verordnung (EG) Nr. 2204/2002 der Kommission.

(15)  Bericht 2004 von CEEP, UNICE/UEAPME und EGB über Maßnahmen der Sozialpartner in den Mitgliedstaaten zur Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien.

(16)  Beschluss des Rates 2000/750/EG vom 27. November 2000 über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft zur Bekämpfung von Diskriminierungen (20012006).

(17)  Siehe 5.

(18)  Mitteilung zum Thema „e-Accessibility“ - KOM(2005) 425 endg. vom 13.9.2005.

(19)  Initiativen zur Harmonisierung der Barrierefreiheitsanforderungen im IKT-Bereich. Barrierefreiheit des Internets, Europäisches Curriculum zum Thema „Design für alle“.

(20)  Diskriminierungsgründe aus Artikel 13 EG-Vertrag.

(21)  Gemeinsamer Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2006 (KOM(2006) 62 endg.).

(22)  Deutschland, Finnland, Luxemburg und Österreich.

(23)  Dies ergibt sich aus Artikel 26 der Grundrechtecharta der EU: „Die Union anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft“.

(24)  Stellungnahme des EWSA vom 14.2.2006 zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über Durchführung, Ergebnisse und Gesamtbeurteilung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003“, Berichterstatterin: Frau Anca (ABl. C 88 vom 11.4.2006).


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/52


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission: Die Kohäsionspolitik im Dienste von Wachstum und Beschäftigung — Strategische Leitlinien der Gemeinschaft für den Zeitraum 2007-2013“

KOM(2005) 299 endg. — SEK(2005) 904

(2006/C 185/11)

Am 5. Juli 2005 beschloss die Kommission, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 23. März 2006 an. Berichterstatter war Herr VEVER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 21. April) mit 47 Ja-Stimmen ohne Gegenstimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bedauert, dass die strategischen Leitlinien der Kohäsionspolitik für den Zeitraum 2007-2013 erst ein Jahr nach den Vorschlägen für die Haushaltsplanung und für Verordnungen über die Strukturfonds vorgelegt wurden, anstatt sie zusammen mit den Vorschlägen, wenn nicht schon vor diesen zu unterbreiten. So scheint es sich eher um Zusatzbestimmungen zu handeln als um wirkliche Leitlinien, was sie eigentlich sein sollten.

1.2

Diese Verzögerung ist umso bedauerlicher, als in Anbetracht der ebenso zahlreichen wie komplexen Herausforderungen, die sich im Zeitraum 2007-2013 im Zusammenhang mit der Kohäsion stellen, dringender Bedarf an solchen Leitlinien besteht: Es geht darum, die Erweiterungen zu begleiten, den Euro zu stärken und die Rückstände bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie angesichts der beschleunigten Globalisierung aufzuholen. Angesichts der Schwierigkeiten, die sich aus einem unzureichenden Wachstum, den beträchtlichen Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten und den zu geringen Haushaltsmitteln der Gemeinschaft ergeben, kann die EU auf Stärken bauen, die jedoch nach wie vor eher Möglichkeiten als gesicherte Tatsachen darstellen (Konsolidierung des erweiterten Binnenmarktes, künftige Infrastrukturen, auf Anpassung ausgerichtete Reformen).

1.3

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Verbindungen zwischen den Prioritäten der strategischen Leitlinien und den Zielen der Strukturfonds nicht klar dargelegt sind und dass die Bedingungen ihrer Umsetzung genauer festgelegt werden sollten. So wirft die erste Priorität, die Stärkung der Anziehungskraft für Investitionen, die zentrale Frage der erforderlichen Stärkung des Vertrauens in die Entwicklung der EU selbst auf. Die zweite Priorität, die Unterstützung von Innovation und Unternehmertum, wirft die Frage der weiterhin bestehenden mangelnden Anpassung der Handlungsmöglichkeiten der Gemeinschaft auf (Blockierung des Gemeinschaftspatents, Lücken bei der Verwirklichung eines europäischen Unternehmensstatuts, zu stark auf Zuschüsse beschränkte Fondsinterventionen). Mit Blick auf die dritte Priorität, die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen, stellt sich angesichts des Globalisierungsdrucks die Frage, wie die Verzögerungen bei der Lissabon-Strategie aufzuholen sind und ein optimales wirtschaftliches und soziales Funktionieren des Binnenmarktes zu erreichen ist, das noch in weiter Ferne liegt.

1.4

Der Ausschuss stellt — ebenso wie das Parlament — mit Besorgnis fest, dass die auf dem Europäischen Rat im Dezember 2005 eingeplanten Haushaltsmittel für den Zeitraum 2007-2013 unzureichend sind: Durch die dauerhafte Begrenzung der Haushaltsmittel auf 1,045 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) (d.h. auf 0,36 % für die Kohäsionsmittel) sind diese geringer als vor der Erweiterung von 15 auf 25 Mitgliedstaaten, obwohl die durch das unionsinterne Gefälle und den internationalen Wettbewerb bedingten Herausforderungen erheblich gewachsen sind. Somit muss mit den strategischen Leitlinien der Kohäsionspolitik für den Zeitraum 2007-2013 die zentrale Frage beantwortet werden, wie mit weniger Mitteln mehr zu erreichen ist. Der Ausschuss empfiehlt, die Interventionsmöglichkeiten der Kohäsionspolitik breiter zu fächern, die Interventionen stärker zu konzentrieren und die Verwaltungsverfahren zu vereinfachen.

1.5

Der EWSA regt an, die Interventionsmöglichkeiten der Kohäsionspolitik durch ein innovatives Finanz-Engineering der Union breiter zu fächern.

1.5.1

Im Rahmen der Strukturfonds sollten neben den Zuschüssen weitere Instrumente bereitstehen und gemeinsam mit der EIB und dem EIF Kredite, Zinsvergünstigungen, Kreditbürgschaften sowie Unterstützung für Investitionskapital und Risikokapital entwickelt werden können.

1.5.2

Eine solche Umschichtung — in wesentlich größerem Maßstab als nur über das Programm Jeremie — würde bei den so besser auf die öffentlichen und privaten Investitionen abgestimmten Fondsinterventionen zu einem Multiplikatoreffekt führen, der die geringeren Haushaltsmittel ausgleichen würde.

1.5.3

Zu diesem Zweck spricht sich der EWSA für eine erhebliche Aufstockung der Kapazitäten für EU-Kredite und -Bürgschaften, eine verstärkte Partnerschaft mit dem Banken- und Finanzsektor sowie entsprechende Anpassungen in den neuen Strukturfondsverordnungen aus. Um diese drei Voraussetzungen zu schaffen, wären dringend einschlägige Vorschläge der Europäischen Kommission erforderlich.

1.6

Der EWSA empfiehlt, die Maßnahmen im Rahmen der Strukturfonds stärker auf die prioritären Interessen Europas zu konzentrieren.

1.6.1

Neben der direkten Unterstützung der Staaten und der bedürftigsten Regionen, die fortgesetzt und intensiviert werden muss, sind hierzu die verstärkte Finanzierung der transeuropäischen Infrastrukturnetze und die verstärkte Förderung der Grenzregionen mit Hilfe öffentlich-privater Partnerschaften erforderlich.

1.6.2

Zu diesem Zweck fordert der EWSA eine erhebliche Aufstockung der Finanzmittel für die transeuropäischen Netze, die bei der Haushaltsplanung im Dezember 2005 trotz der Ziele der Lissabon-Strategie nicht berücksichtigt wurden.

1.6.3

Das setzt auch voraus, dass Gemeinschaftsbeihilfen in stärkerem Maße dafür eingesetzt werden, die Mitgliedstaaten bei der besseren Umsetzung der Leitlinien, Entscheidungen und Verpflichtungen der EU zu unterstützen, egal ob es um Richtlinien oder die Lissabon-Strategie geht. Insbesondere die Mittel für Ausbildungsbeihilfen, die im Dezember 2005 ebenfalls extrem gekürzt wurden, sollten aufgestockt werden.

1.7

Schließlich empfiehlt der EWSA, die Verwaltungsverfahren der Kohäsionspolitik zu modernisieren, um Transparenz und Interaktivität zu fördern.

1.7.1

Dazu müssen die Gemeinschaftsbeihilfen, ebenso wie die staatlichen Beihilfen, voll und ganz mit der europäischen Wettbewerbspolitik vereinbar sein.

1.7.2

Dazu ist auch eine bessere Einbindung der Akteure der organisierten Zivilgesellschaft, vor allem der Sozialpartner, in die Ausarbeitung, Umsetzung und Überwachung der europäischen Kohäsionspolitik notwendig.

1.7.3

Deshalb fordert der Ausschuss, in die strategischen Leitlinien ausdrückliche Bestimmungen für die Einbindung der sozialen und wirtschaftlichen Akteure aufzunehmen. Die Bedingungen für ihre Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten sollten im Anhang zu den Programmplanungs- und Überprüfungsdokumenten enthalten sein.

2.   Einleitung

2.1

Die am 5. Juli 2005 angenommene Mitteilung der Kommission über die strategischen Kohäsionsleitlinien der Gemeinschaft für den Zeitraum 2007-2013 ergänzt eine Reihe vorangegangener Vorschläge.

2.1.1

Die am 17. Februar 2004 vorgelegten Haushaltsleitlinien für den Zeitraum 2007-2013 wurden auf der Basis von 1,14 % des BNE berechnet.

2.1.2

Die Entwürfe von Verordnungen zur Änderung der Bestimmungen für die Strukturfonds (EFRE, ESF, Kohäsionsfonds) für den Zeitraum 2007-2013 wurden am 14. Juli 2004 vorgelegt (1). Die Kommission schlägt für die Fonds drei Ziele vor:

2.1.2.1

das Ziel „Konvergenz“, das das derzeitige Ziel 1 ersetzt und die Regionen der Union mit dem größten Entwicklungsrückstand betrifft, deren Pro-Kopf-BIP weniger als 75 % des EU-Durchschnitts beträgt: Die für das Ziel „Konvergenz“ vorgesehenen Mittel belaufen sich auf 78,54 % der Gesamtmittel;

2.1.2.2

das Ziel „Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“. Es tritt an die Stelle des derzeitigen Ziels 2 und kommt für die Regionen der EU in Frage, die nicht unter Ziel 1 fallen. Diese sollen bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie und der Verbesserung der Beschäftigungslage unterstützt werden. Die hierfür vorgesehenen Mittel betragen 17,22 % der Gesamtmittel;

2.1.2.3

das Ziel „Europäische territoriale Zusammenarbeit“, das die derzeitige Gemeinschaftsinitiative Interreg ersetzen soll: Hierfür sind 3,94 % der Gesamtmittel veranschlagt.

2.1.3

Darüber hinaus legte die Kommission am 14. Juli 2004 den Entwurf eines Statuts für den Europäischen Verbund für grenzübergreifende Zusammenarbeit vor, der solche innergemeinschaftlichen Initiativen erleichtern soll (2).

2.2

Am 5. Juli 2005 legte die Kommission die strategischen Leitlinien der Kohäsionspolitik für den Zeitraum 2007-2013 vor und legte drei Prioritäten fest, die anders formuliert sind als die oben genannten Interventionsziele der Strukturfonds, obwohl sie sich mit diesen decken:

2.2.1

Die erste Priorität der strategischen Leitlinien ist auf eine Verbesserung der Attraktivität für Investitionen ausgerichtet.

2.2.2

Die zweite Priorität der strategischen Leitlinien betrifft die Förderung von Innovation und Unternehmertum.

2.2.3

Die dritte Priorität der strategischen Leitlinien stellt darauf ab, die Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen.

2.3

Zur Umsetzung dieser strategischen Leitlinien sollen zu einem späteren Zeitpunkt von der Kommission, den Mitgliedstaaten und den Regionen einzelstaatliche strategische Rahmenpläne festgelegt werden.

2.4

Die Vorlage der strategischen Leitlinien war der letzte noch fehlende Teil für die Diskussion eines Gesamtpakets zur Kohäsionspolitik im Zeitraum 2007-2013. Im Übrigen wäre es logischer gewesen, wenn die Kommission die Aussprache über die Kohäsionspolitik mit der Vorlage dieser strategischen Leitlinien eröffnet hätte, mit denen ein politischer Gesamtrahmen festgelegt werden soll, statt mit den Entwürfen für die Strukturfondsverordnungen, die die Bestimmungen für die Durchführung dieser Leitlinien darstellen sollten. In Ermangelung einer besseren Verknüpfung dieser beiden Elemente, wobei den strategischen Leitlinien nicht eine flankierende, sondern die maßgebliche Rolle gebührt, besteht die Gefahr, dass sich der aus der europäischen Kohäsionspolitik ergebende zusätzliche Nutzen in seiner Wirkung abschwächt und so einer Renationalisierung der Entwicklungsstrategien Vorschub geleistet wird, die sich sehr nachteilig auf die Kohärenz, die Wettbewerbsfähigkeit sowie die wirtschaftliche und soziale Effizienz der Union auswirken würde.

2.5

Die Debatte über die Haushaltsleitlinien für den Zeitraum 2007-2013 und die Strukturfondsverordnungen für diesen Zeitraum wurde unter schwierigen Bedingungen eröffnet und ist von erheblichen Unterschieden zwischen den 25 Mitgliedstaaten gekennzeichnet, was die Einschätzung der Interventionsbeträge und -modalitäten betrifft. Nach einem ersten Misserfolg im Juni 2005 einigte sich der Europäische Rat am 17. Dezember 2005 auf einen Haushalt auf einer sehr eingeschränkten Grundlage: Die Haushaltsmittel für den Zeitraum 2007-2013 werden auf 1,045 % des BNE begrenzt, wobei 252 Mrd. EUR, d.h. 82 %, für das Ziel „Konvergenz“, 48,5 Mrd. EUR, d.h. 15,5 %, für das Ziel „Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ und 7,5 Mrd. EUR, d.h. weniger als 2,5 %, für das Ziel „Europäische territoriale Zusammenarbeit“ vorgesehen sind.

2.6

Das Europäische Parlament hat diese weit hinter seinen Erwartungen zurückbleibende Haushaltsplanung am 18. Januar 2006 abgelehnt. Folglich wurden wieder Gespräche zwischen Rat und Parlament aufgenommen, die am 4. April 2006 zu einem Kompromiss führten. Dieser Kompromiss sieht eine Mittelaufstockung von 4 Mrd. EUR vor (2 davon als Reserve) und muss noch von beiden Seiten ratifiziert werden.

3.   Anmerkungen zu den Herausforderungen der Kohäsionspolitik im Zeitraum 2007-2013

3.1

Der Zeitraum 2007-2013, auf den sich die strategischen Leitlinien für die Kohäsion erstrecken, wird von sehr großen Herausforderungen gekennzeichnet sein:

3.1.1

Zunächst gilt es, die Erweiterung fortzuführen und zu festigen. Nach ihrer Erweiterung von 15 auf 25 Mitgliedstaaten im Jahr 2004 wird die Europäische Union 2007 voraussichtlich zwei weitere Mitgliedstaaten aufnehmen. Nach 2013, wenn nicht schon früher, könnten andere Staaten folgen, denn die Liste der Beitrittskandidaten ist derzeit bei weitem noch nicht komplett. Auf jeden Fall wird die stetige Zunahme der wirtschaftlichen und sozialen Disparitäten einen echten Qualitätssprung in der Koordinierung der europäischen und der nationalen Politik, der Verwaltung und Stärkung des Binnenmarktes und der gemeinsamen Raumordnungspolitik der Union erforderlich machen, selbst wenn die Erweiterungen dem Binnenmarkt ein größeres Gewicht verleihen und seine Kapazitäten mit Blick auf Wachstum, Beschäftigung, Handel, Produktion, Konsum und Wettbewerbsfähigkeit angesichts der Globalisierung erhöhen.

3.1.2

Darüber hinaus sollte auch die Erweiterung der Eurozone gelingen, wobei zugleich die Stärkung der gemeinsamen Währung, ihre Attraktivität und die Verbesserung ihrer Wachstums- und Beschäftigungswirksamkeit gewährleistet werden müssen. Bisher ist der Euro nur in zwölf der 25 Mitgliedstaaten eingeführt. Bis 2013 soll die Eurozone auf die meisten Mitgliedstaaten ausgedehnt werden, sofern diese alle einschlägigen Bedingungen erfüllen. Ebenso wie die Erweiterung der Union erfordert auch die Erweiterung der Eurozone unter Wettbewerbsbedingungen mehr Konvergenz, und zwar in erster Linie auf wirtschaftlichem Gebiet, aber auch in zahlreichen damit zusammenhängenden Bereichen, von der Besteuerung, insbesondere der Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen, bis zur Sozialpolitik.

3.1.3

Im Verlauf dieses Zeitraums wird der Strukturwandel weiter Raum greifen:

3.1.3.1

Die Globalisierung und der Durchbruch der aufstrebenden neuen Wirtschaftsmächte werden den Wettbewerbsdruck verstärken und zu einer noch größeren Zahl von Standortverlagerungen führen.

3.1.3.2

Der technologische Wandel wird sich, insbesondere beflügelt durch die Innovationen einer globalisierten Informationsgesellschaft, weiter beschleunigen.

3.1.3.3

Die Bevölkerungsalterung in Europa wird mit dem Renteneintritt der Baby-Boom-Generation der Nachkriegszeit weiter anhalten und die Lebens- und Beschäftigungsbedingungen sowie das Gleichgewicht der Sozialleistungssysteme in den Mitgliedstaaten verändern.

3.1.3.4

Der Migrationsdruck aus weniger entwickelten Drittländern dürfte sich weiter verstärken. Er sollte auf angemessenere Weise gelenkt werden, und zwar einerseits durch eine bessere Anpassung an die Bedürfnisse und die Integrationskapazitäten der Union und andererseits durch eine erheblich wirksamere Entwicklungshilfe für die Auswanderungsländer, um vor Ort mehr Arbeitsplätze zu schaffen sowie wirtschaftliche und soziale Fortschritte zu erzielen. Zudem müssen die Lehr- und Ausbildungspläne auf den verschiedenen Ebenen besser an die durch Zuwanderung entstehenden Erfordernisse angepasst werden.

3.1.3.5

Die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Armut sowohl der Arbeitslosen als auch der unter der Armutsgrenze lebenden Erwerbstätigen ist nach wie vor eine wichtige Anforderung an die europäische Kohäsionspolitik. Werden solche Probleme, die über Beschäftigungsfragen als solche hinausgehen, nicht gelöst, so wird es in der Praxis nicht nur schwierig sein, den sozialen Zusammenhalt, sondern auch den wirtschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten.

3.1.4

Der Zieltermin 2010 für die Lissabon-Strategie, der vom Europäischen Rat im Jahr 2000 festgelegt wurde, liegt genau in der Mitte dieses Zeitraums tief greifender Veränderungen. Bei der Umsetzung dieser Strategie ist es jedoch zu Verzögerungen gekommen. Es wird für Europa dringlicher, aber auch schwieriger sein, diese Verzögerungen aufzuholen, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

3.2

Angesichts dieser großen Herausforderungen der kommenden Jahre kann sich die europäische Kohäsionspolitik auf mehrere wichtige Pluspunkte stützen. Es sei insbesondere verwiesen auf:

3.2.1

die spezifische Bedeutung des EU-Binnenmarktes, der mehr als eine halbe Milliarde Europäer umfasst und ein Wirtschafts-, Handels- und Humanpotenzial darstellt, das mit Blick auf Angebot und Nachfrage in der Wirtschaft sowie auf den Arbeitsmarkt noch nicht voll ausgeschöpft wird;

3.2.2

das europäische Modell der Arbeitsbeziehungen und der europäische soziale Dialog, bei denen der Schwerpunkt angesichts der Herausforderungen, die sich für Beschäftigung, Entwicklung, Gesundheit und Lebensqualität in einer globalisierten Welt stellen, auf der Nutzung der Humanressourcen liegt;

3.2.3

die Wachstumsdynamik der neuen Mitgliedstaaten, die häufig doppelt so groß ist wie im Gemeinschaftsdurchschnitt und dazu beitragen dürfte, die großen Entwicklungsunterschiede zu verringern und die Dynamik von Wirtschaft und Handel der Union zu unterstützen;

3.2.4

die neuen Gestaltungs- und Investitionsmöglichkeiten, die sich durch die Vereinigung des gesamten europäischen Kontinents ergeben und die es ermöglichen, seine interne wirtschaftliche Organisation zu überdenken und innovative Infrastruktur- und Raumordnungsmodelle umzusetzen;

3.2.5

die Wirtschafts- und Sozialreformen der Lissabon-Strategie, sofern sie mit aktiver Unterstützung der Sozialpartner erfolgreich verlaufen und sich gegenseitig Impulse geben, die ebenfalls eine maßgebliche Unterstützung für eine erfolgreiche Kohäsionspolitik der Europäischen Union darstellen dürften.

3.2.6

Insgesamt sollte mit den Beihilfen der europäischen Kohäsionspolitik durch positive Interaktionen zwischen diesen Elementen (Vertiefung und Erweiterung des Binnenmarktes, Investitionen und Raumordnung, Reformen in den Mitgliedstaaten) vor allem eine nach oben verlaufende Wachstums- und Beschäftigungsspirale gefördert werden.

3.3

Die europäische Kohäsionspolitik wird voraussichtlich auch auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, die ihre Aufgabe verkomplizieren werden.

3.3.1

Zunächst sei darauf verwiesen, dass es nach wie vor schwierig ist, in Europa wieder eine starke wirtschaftliche Dynamik in Gang zu setzen. Die Europäische Union ist weit davon entfernt, den Rückstand gegenüber ihren Wettbewerbern aufzuholen, der sich derzeit noch vergrößert. Das Wachstum ist insgesamt gering, in vielen Mitgliedstaaten besteht eine hohe Arbeitslosigkeit, von der sowohl Jugendliche als auch ältere Menschen betroffen sind, die Schaffung von Arbeitsplätzen lässt häufig zu wünschen übrig, im Bereich der Forschung ist nach wie vor ein Defizit zu verzeichnen und die Betriebsverlagerungen nehmen zu. Der derzeitige Stand Europas im weltweiten Leistungsvergleich entspricht keinesfalls den vor fünf Jahren gehegten Ambitionen. Eine deutliche Verbesserung dieser Lage ist offenbar noch nicht in Sicht.

3.3.2

Eine weitere große Herausforderung für die Kohäsionspolitik hängt mit den starken wirtschaftlichen und sozialen Unterschieden infolge der Erweiterungen zusammen, deren Ausgleich viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Der Ansatz und die Vorgehensweisen der Kohäsionspolitik sollten gegenüber denen der vorangegangenen Jahre, in denen die Entwicklungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten wesentlich geringer waren, erneuert werden.

3.3.3

Ein maßgeblicher Schwachpunkt der Kohäsionspolitik ist die unzureichende Koordinierung der Wirtschaftspolitik einschließlich der Steuerpolitik, die selbst zwischen den Ländern, die den Euro eingeführt haben, nach wie vor zu halbherzig ist. Angesichts der wachsenden Zahl von Mitgliedstaaten muss dem dringend abgeholfen werden, obwohl dies ebenfalls schwieriger wird. Eine solche stärkere wirtschaftliche Koordinierung sollte auch mit einer besseren Abstimmung der sozialen Ansätze einhergehen.

3.3.4

Schließlich sei als eine der zu beseitigenden Fehlfunktionen die zu geringe Einbindung der Akteure der Zivilgesellschaft im Vergleich zu der herausragenden Stellung der Behörden und der stark bilateral ausgerichteten Zusammenarbeit der Kommission mit den Mitgliedstaaten, bei der Umsetzung der Kohäsionspolitik genannt (3).

3.3.5

Die EU-Finanzmittel sind in Anbetracht des noch gewachsenen Bedarfs verhältnismäßig gering, und das wird sich auch nicht ändern. Durch die am 17. Dezember 2005 für den Zeitraum 2007-2013 erzielte Einigung, den EU-Haushalt auf 1,045 % des BNE zu begrenzen, verringern sich die Haushaltsmittel für die Kohäsionspolitik auf 0,36 % des BNE. Die EU-Haushaltsmittel sind somit geringer als vor der Erweiterung von 15 auf 25 Mitgliedstaaten, was den EWSA ebenso wie das Europäische Parlament mit Besorgnis erfüllt. Eine solche Größenordnung, die natürlich nichts mit einem föderalen Haushalt gemein hat (der Haushalt der USA entspricht mehr als 20 % des BIP), erscheint auch für sich genommen extrem gering angesichts der Herausforderungen, die die Union für den Zusammenhalt bewältigen muss.

3.3.6

Demnach stellt sich die zentrale Frage, die mit den strategischen Leitlinien der Kohäsionspolitik für den Zeitraum 2007-2013 beantwortet werden muss, wie mit weniger Mitteln mehr zu erreichen ist. Aus diesem Grund muss mehr denn je auf die bestmögliche Verwendung der sehr begrenzten Mittel geachtet werden, d.h. statt einer auf Dauer angelegten Hilfe gilt es, die Bedingungen für eine autonome und nachhaltige Entwicklung sicherzustellen. Dazu ist es erforderlich, einerseits auf eine größtmögliche Konvergenz und Komplementarität mit den einzelstaatlichen Haushalten und andererseits auf die Aktivierung und Unterstützung der Marktkräfte abzustellen, da sie gemeinsam mit dem Staat in der Lage sind, Mittel in einer Größenordnung zu mobilisieren, die den Erfordernissen der kollektiven Entwicklung Europas angemessen ist.

3.3.7

Um all diese Herausforderungen bewältigen zu können, sollten die Möglichkeiten der Kohäsionspolitik breiter gefächert, die Maßnahmen stärker konzentriert und die Verwaltungsverfahren vereinfacht werden. Diese Überlegungen werden in den folgenden Abschnitten genauer dargelegt.

4.   Anmerkungen zu den Zielen der Kohäsionspolitik im Zeitraum 2007-2013

4.1

Die Leitlinien für die Kohäsionspolitik im Zeitraum 2007-2013 sind auf die Hauptpriorität „Wachstum und Beschäftigung“ ausgerichtet und betreffen insbesondere die Partnerschaft, auf die der Europäische Rat im März 2005 unter diesem Titel Bezug nahm, sowie die integrierten Leitlinien, die die Kommission ebenfalls unter diesem Titel im Juni 2005 vorlegte.

4.2

In der Kommissionsmitteilung werden als Beitrag zur Verwirklichung dieser allgemeinen Priorität „Wachstum und Beschäftigung“ drei Einzelprioritäten genannt: Förderung der Attraktivität Europas für Investitionen, Entwicklung von Innovation und Unternehmertum sowie Förderung von Beschäftigung und Ausbildung. Ergänzt werden diese drei Prioritäten durch das Querschnittsanliegen, Raumordnungsfragen der Union mit Blick auf die ländlichen und die städtischen Gebiete sowie auf nationale und regionale grenzübergreifende Verbindungen besser zu lösen.

4.3

Die erste Priorität, die auf eine größere Attraktivität Europas für Investitionen ausgerichtet ist, erscheint besonders sinnvoll. Sie sollte vor allem in den weniger entwickelten Gebieten der erweiterten Union verfolgt werden, die bei Interventionen vorrangig berücksichtigt werden sollten, wobei jedoch auch Übergangsregelungen für die Regionen bereitgestellt werden müssen, denen ehemals Vorrang eingeräumt wurde. Da die europäischen Interventionsfonds Beschränkungen unterliegen, ist vor allem eine Förderung privater Investitionen im Dienste der Entwicklungsprioritäten der europäischen Wirtschaft anzustreben.

4.3.1

Der Europäischen Union ist es jedoch trotz der Fortschritte, die bei der Verwirklichung des Binnenmarktes, bei der Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion und bei einigen Reformen im Rahmen der Lissabon-Strategie erzielt wurden, noch nicht gelungen, einen Mechanismus für ein starkes selbsttragendes Wachstum zu schaffen, durch den die Synergien und ergänzenden Elemente ihrer nationalen Volkswirtschaften zum Tragen kommen. Daher wird es schwierig sein, eine wirksame Kohäsionspolitik durchzuführen, ohne wieder mehr Vertrauen aller beteiligten Gruppen (Unternehmer, Arbeitnehmer, Investoren) in die Zukunft der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und natürlich auch der politischen und institutionellen Zukunft der Union herzustellen.

4.3.2

Das setzt also voraus, dass in den nächsten Jahren die Unsicherheitsfaktoren abgebaut werden, die derzeit auf so wichtigen Fragen wie der Vollendung des Binnenmarktes, der Verwirklichung einer integrierten wettbewerbsfähigen Wirtschaft auf der Grundlage des Euro, der Stärkung von Wachstum und Beschäftigung, der Verbesserung der Lebensbedingungen, der erfolgreichen Umsetzung der Lissabon-Strategie, dem effizienten Regieren der EU-Institutionen sowie einer optimalen und nachhaltigen Gestaltung des erweiterten Europas im Sinne einer Harmonisierung des wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fortschritts lasten.

4.3.3

In der Mitteilung der Kommission wird der Schwerpunkt auf Investitionen in Infrastrukturnetze, vor allem Verkehrsinfrastrukturnetze gelegt. Es fehlt jedoch eine Analyse der Ursachen für die anhaltenden Verzögerungen in diesem Bereich. Um diese Verzögerungen aufzuholen, sollte der Finanzierung der transeuropäischen Transport-, Energie- und Telekommunikationsinfrastruktur, die eine Voraussetzung für den Zusammenhalt der EU darstellt, höhere Priorität eingeräumt werden. Die in der Einigung vom 17. Dezember 2005 vorgesehene drastische Reduzierung der Finanzmittel für diese Netze ist bedauerlich: Die Tatsache, dass der Europäische Rat bei dieser Priorität die größten Einschnitte vorgenommen hat, steht in direktem Widerspruch zu den Verpflichtungen von Lissabon, deren Zieltermin genau in der Mitte des Zeitraums 2007-2013 liegt. Folglich fordert der EWSA, in Anlehnung an die Position des Europäischen Parlaments, dass die Haushaltsmittel zur Finanzierung der transeuropäischen Netze deutlich aufgestockt werden.

4.3.4

Darüber hinaus werden in der Mitteilung der Kommission zwei weitere Investitionsschwerpunkte für die Kohäsionspolitik hervorgehoben: die Förderung von Umweltinvestitionen und die Stärkung der Autonomie Europas auf dem Gebiet der Energie.

4.3.4.1

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass eine direkte Verbindung zwischen diesen Schwerpunkten und der zuvor erwähnten Unterstützung für die europäischen Infrastrukturnetze gewährleistet werden muss.

4.3.4.2

Ferner ist sicherzustellen, dass die Empfänger von EU-Beihilfen die Umweltauflagen einhalten.

4.4

Die zweite Priorität, die für die Kohäsionspolitik festgelegt wurde, ist die Verbesserung von Innovation und Unternehmertum. Damit greift die Kommission unmittelbar die Prioritäten der Lissabon-Strategie in Bezug auf die Förderung eines Europas des Wissens auf.

4.4.1

Diese Priorität schließt in erster Linie die Erhöhung der Investitionsausgaben für Forschung ein.

4.4.1.1

Es ist einfach eine Tatsache, dass Europa insgesamt gegenüber seinen großen Technologiepartnern an Boden verliert. In den vergangenen Jahren wurden die Forschungsmittel der Mitgliedstaaten, die häufig um mehr als ein Drittel unter dem in der Lissabon-Strategie festgelegten Ziel von 3 % des BIP liegen, häufig begrenzt, ja sogar gekürzt statt aufgestockt. Die für das Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung bereitgestellten EU-Haushaltsmittel sind verglichen mit den Forschungsbudgets der Mitgliedstaaten gering und eine Koordinierungsfunktion gegenüber den einzelstaatlichen Programmen wird nur in unzureichendem Maße wahrgenommen. Darüber hinaus bestehen in den institutionellen Verfahren der Gemeinschaft nach wie vor ernsthafte Blockaden selbst auf höchster Ebene, die ein ganz schlechtes Signal darstellen. Das Scheitern des Gemeinschaftspatents, das sich nun schon dreißig Jahre hinzieht, ist kennzeichnend für die höchst besorgniserregende Unfähigkeit der Union, die Voraussetzungen für die Verwirklichung ihrer Ambitionen zu schaffen.

4.4.1.2

Daher sollte eine echte europäische Forschungspolitik auf den Weg gebracht werden, die sich durch eine hohe Glaubwürdigkeit auszeichnet. Dies würde im Rahmen einer dazu erforderlichen Umschichtung des Gemeinschaftshaushalts eine erhebliche Aufstockung der EU-Forschungsmittel voraussetzen, wobei in stärkerem Maße sicherzustellen wäre, dass die einzelstaatlichen Programme durch diese Mittel tatsächlich auch koordiniert werden. Eine weitere Voraussetzung wäre, dass in der Frage des Gemeinschaftspatents endlich ein Durchbruch erzielt wird, auf die Gefahr hin, dass es, wenn nach wie vor keine Einstimmigkeit erzielt werden kann, zunächst nicht in allen Mitgliedstaaten angewandt wird. Was wäre aus dem Euro, aus Schengen oder aus der europäischen Sozialpolitik geworden, wenn ihre Umsetzung ebenso von einer einstimmigen Entscheidung abhängig gemacht worden wäre?

4.4.2

Ein weiteres in der Mitteilung der Kommission hervorgehobenes Erfordernis ist die Förderung der Gründung und der Entwicklung von Unternehmen — insbesondere zur Abdeckung neuer technologischer Nischen — sowie ihrer europaweiten Vernetzung.

4.4.2.1

In diesem Zusammenhang ist zu bedauern, dass kleine Unternehmen immer noch nicht die Möglichkeit haben, sich für eine vereinfachte europäische Rechtsform zu entscheiden, die ihre grenzübergreifende Geschäftstätigkeit erleichtern würde.

4.4.2.2

Daher bekräftigt der EWSA die in seiner Initiativstellungnahme zum Thema „Ein europäisches Rechtsstatut für KMU“ (4) aufgestellte Forderung nach Vorlage einer solchen europäischen Rechtsform für kleine und mittlere Unternehmen durch die Kommission und nach ihrer raschen Annahme.

4.4.2.3

Darüber hinaus bedauert der EWSA, dass die Kommission im Herbst 2005 Vorschläge für ein europäisches Statut für Gegenseitigkeitsgesellschaften und europäische Verbände, das notwendiger denn je ist, zurückgezogen hat.

4.4.3

In der Mitteilung der Kommission wird ferner der Frage der Unternehmensfinanzierung große Bedeutung beigemessen und die Notwendigkeit betont, den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten insbesondere für innovative Unternehmen zu erleichtern.

4.4.3.1

Es sei darauf hingewiesen, dass die Strukturfonds in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nach wie vor nur in sehr begrenztem Maße in der Lage sind, den Zugang der Unternehmen zu Finanzierungsmöglichkeiten maßgeblich zu erleichtern, und in diesem Bereich nur eine untergeordnete Rolle spielen, auch wenn die begrenzte Unterstützung und die Kofinanzierung von Pilotprojekten in ganz gezielt ausgewählten und beispielhaften Bereichen nützlich sein können. Der EWSA stellt zu seiner Zufriedenheit fest, dass die Initiativen Jaspers und Jeremie gemeinsam von der Kommission, der Europäischen Investitionsbank, dem Europäischen Investitionsfonds und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung auf den Weg gebracht wurden. Mit der Initiative Jaspers sollen die nationalen und regionalen Behörden in den unter dem Konvergenzziel förderfähigen Regionen bei der Vorbereitung auf die großen Infrastrukturprojekte unterstützt werden. Das Programm Jeremie zielt auf einen besseren Zugang der kleinen Unternehmen zu Finanzmitteln ab. Der EWSA wünscht, dass diese Initiativen auf lokaler Ebene wirklich operativ und verständlich gestaltet werden, so dass dieser neue Aktionsrahmen sich maximal auf die Wirtschaftsentwicklung und die Erhöhung der Wirtschaftsaktivität, also die Schaffung von Arbeitsplätzen, vor Ort auswirkt.

4.4.3.2

Um eine stärkere direkte Wirkung von Fondsinterventionen auf die Finanzierung von Unternehmen zu erzielen, müssten die Fonds in die Lage versetzt werden, auf breiterer Basis zu wirken, was die Vergabe von Bankkrediten, die Bereitstellung von Risikokapital, den Zugang zu Mikrokrediten und Bürgschaften für Kleinunternehmen betrifft. Dies würde eine Neufestlegung der den Fonds zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und insbesondere ihres Finanz-Engineering voraussetzen, das derzeit im Wesentlichen auf die Gewährung von Zuschüssen begrenzt ist. Nach dem Vorbild des Programms Jeremie, aber in wesentlich größerem Maßstab, würden diese Zuschüsse in Finanzprodukte umgewandelt werden: So könnten mit einem für die Bürgschaft für einen Risikokapitalkredit bereitgestellten Euro fünf bis zehn Euro Investitionen eines KMU finanziert werden, wodurch die Interventionen im Rahmen der europäischen Fonds einen Multiplikatoreffekt hätten. Die Empfehlungen des EWSA zu dieser zentralen Frage sind in Kapitel 5 dieser Stellungnahme dargelegt.

4.4.3.3

Es sei auch daran erinnert, dass die rasche und effektive Verwirklichung des europäischen Finanzbinnenmarktes in Verbindung mit einer wirksamen Wettbewerbspolitik und einer Festigung der Wirtschafts- und Währungsunion es ermöglichen würde, den Zugang von Unternehmen jeder Größenordnung zu Finanzierungsmöglichkeiten entscheidend zu verbessern. Darauf wird jedoch in der Mitteilung der Kommission kaum hingewiesen, obwohl die Verwirklichung dieses Ziels im Verlauf der nächsten Jahre eine der Hauptaufgaben der Kommission bleibt.

4.5

Die dritte Priorität der Kohäsionspolitik ist der Kommissionsmitteilung zufolge die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen und die Verbesserung ihrer Qualität.

4.5.1

Für mehr Beschäftigung ist es in erster Linie erforderlich, das Wirtschaftswachstum zu beleben und in diesem Rahmen die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erleichtern. Dieses Ziel setzt eine Wirtschaft mit größerer Angebots- und Nachfragedynamik und mit beschäftigungsfreundlicheren verwaltungstechnischen, steuerlichen und sozialen Bedingungen, die vor allem der Lage von Kleinunternehmen, Selbstständigen und Handwerkern entsprechen, sowie die Förderung der beruflichen Qualifikationen voraus. Wie bereits erwähnt, sind die direkten Einflussmöglichkeiten der Strukturfonds in diesen Bereichen begrenzt, aber sie können Einzelmaßnahmen und Pilotprojekte sinnvoll unterstützen sowie vorbildliche Verfahrensweisen fördern.

4.5.2

Ferner sollten, wie die Kommission betont, Korrekturen am Arbeitsmarkt erfolgen. Die Strukturfonds sollten insbesondere auf ein besseres Funktionieren des Binnenmarktes in diesem Bereich ausgerichtet sein. Hierfür gilt es, die Mobilität, einschließlich der Übertragbarkeit von Rentenansprüchen, zu fördern, die Hindernisse auf dem europäischen Arbeitsmarkt unter Respektierung der in Gesetzen und Tarifvereinbarungen festgelegten sozialen Bedingungen zu beseitigen, vor allem im Dienstleistungssektor (5), in dem mehr als zwei Drittel der neuen Arbeitsplätze entstehen.

4.5.3

Außerdem betont die Kommission richtigerweise die Notwendigkeit, Verbesserungen auf dem Gebiet der Berufsbildung zu erzielen. Allerdings ist der EWSA sehr darüber besorgt, dass die von der Kommission vorgeschlagenen Haushaltsmittel für das lebenslange Lernen bei der Haushaltsplanung im Dezember 2005 um die Hälfte gekürzt wurden. Der EWSA fordert ihre Aufstockung auf ein Niveau, das den im Rahmen der Lissabon-Strategie eingegangenen Verpflichtungen entspricht. In diesem Bereich werden in Zukunft neue Kompetenzen erforderlich sein, die mehr Verantwortung und Eigeninitiative umfassen. Insofern sollte bei den künftigen Programmen die Berücksichtigung der regionalen Prioritäten möglich sein. Es ist von grundlegender Bedeutung, dass die Finanzierungen über den Europäischen Sozialfonds so weit wie möglich den Bedürfnissen der Regionen angepasst werden und nicht allein der Kofinanzierung der nationalen Politik vorbehalten sind.

4.5.3.1

Ganz allgemein unterstreicht der EWSA, dass alles dafür getan werden sollte, die Komplementarität und Wirksamkeit der Maßnahmen zu fördern und die öffentlichen und privaten Akteure im Rahmen einer nachhaltigen Partnerschaft für regionale Strategien zu mobilisieren, die sich auf folgende Schwerpunkte stützen: Förderung des Zugangs aller zur Innovation und zum lebenslangen Lernen, Verbesserung der Verwaltung und Entwicklung der Humanressourcen in allen Unternehmen, Erhöhung der Beschäftigungsquote von Frauen, Erhöhung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte bis zum Rentenalter, bessere Abstimmung zwischen den Anforderungen der Wirtschaft und der Beratungs- und Bildungspolitik, Förderung der Berufs- und der Lehrlingsausbildung auf allen Ebenen, insbesondere in Berufen mit Einstellungsschwierigkeiten, Privilegierung von Ausbildungen über die eine wachsende Gruppe von Ausgegrenzten durch eine Erwerbstätigkeit de facto integriert wird.

4.5.3.2

Über die Strukturfonds sollten auch vorrangig Bildungsprogramme auf EU-Ebene kofinanziert werden, entsprechend den erfolgreichen Programmen Erasmus und Leonardo. Diese Programme sollten künftig ausgebaut werden, um zwei bis drei Mal so viele junge Europäer unterstützen zu können.

4.5.4

Besondere Erwähnung sollte darüber hinaus die Bevölkerungsalterung finden, die im Zusammenhang mit der Schaffung von Arbeitsplätzen und mit den Sozialsystemen eine spezielle Anpassung der verschiedenen oben erwähnten Aspekte erfordert (siehe verwaltungstechnische, steuerliche und soziale Aspekte, Angebote für Kinder, darunter Betreuung zu erschwinglichen Preisen, Arbeitsmarkt, Bildung und Humanressourcen).

4.6

Ergänzt werden diese drei Prioritäten der strategischen Leitlinien durch eine Querschnittsanforderung als eine Art vierte Priorität, die die Berücksichtigung der territorialen Dimension der Kohäsionspolitik betrifft.

4.6.1

In der Mitteilung wird auf den Beitrag der Städte zu Wachstum und Beschäftigung verwiesen (bessere wirtschaftliche, soziale und ökologische Kontrolle der Stadtentwicklung) und darüber hinaus die wirtschaftliche Diversifizierung des ländlichen Raums befürwortet (Sicherung der Leistungen der Daseinsvorsorge, Ausbau der Netze, Förderung von Entwicklungszentren). Die Wechselwirkungen zwischen diesen Anforderungen und den drei Prioritäten der strategischen Leitlinien hätten genauer dargelegt werden sollen.

4.6.2

Ferner wird in der Mitteilung auf die Notwendigkeit der territorialen Zusammenarbeit auf drei Ebenen verwiesen:

4.6.2.1

grenzübergreifende Zusammenarbeit, vor allem zur Entwicklung des gegenseitigen Austauschs und zur Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Integration;

4.6.2.2

transnationale Zusammenarbeit zur Verstärkung mitgliedstaatenübergreifender Maßnahmen in strategisch wichtigen Bereichen (Verkehr, Forschung, soziale Eingliederung);

4.6.2.3

interregionale Zusammenarbeit, insbesondere zur Förderung der Verbreitung vorbildlicher Verfahrensweisen in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umwelt.

4.6.3

Der EWSA bedauert allerdings, dass dieser Verweis auf die Notwendigkeit der territorialen Zusammenarbeit nur als ergänzender wenn nicht gar nebensächlicher Aspekt der Prioritäten der strategischen Leitlinien erscheint anstatt ausdrücklicher Bestandteil zu sein.

4.7

Insgesamt wirft die Prüfung der drei Prioritäten der strategischen Leitlinien, die durch die territoriale Dimension ergänzt werden, mehrere wichtige Fragen auf:

4.7.1

Erstens sind die Prioritäten der strategischen Leitlinien zu unpräzise, um einen wirklichen „strategischen“ Interventions- und Handlungsrahmen für die Kohäsionspolitik darzustellen. Sie sind eher ein Verweis auf vorbildliche Verfahrensweisen, die es durch verschiedene Maßnahmen zu fördern gilt.

4.7.2

Vor allem die Zusammenhänge zwischen den Prioritäten der strategischen Leitlinien und den drei Interventionszielen der Fonds sind nicht genau festgelegt. Das ist ein erheblicher Nachteil: Während die strategischen Leitlinien eigentlich den Rahmen für die Interventionen der Fonds bilden sollten, haben sie in Wirklichkeit nur eine flankierende Funktion. So erscheinen sie eher als Begleit- und Durchführungsanweisungen denn als die Leitlinien, die sie sein sollten.

4.7.3

Damit die strategischen Leitlinien diesen Namen verdienen und ihrer Rolle wirksamer entsprechen können, müssten ihre prioritären Ziele in den nachstehend genannten Bereichen genauer herausgearbeitet werden:

4.7.3.1

dem „zusätzlichen Nutzen“ der Kohäsionspolitik gegenüber der Politik auf nationaler und kommunaler Ebene;

4.7.3.2

der „räumlichen Konzentration“ auf die europäischen Entwicklungsschwerpunkte und -achsen, um eine allgemeine Sogwirkung zu erzielen;

4.7.3.3

dem „Leitrahmen“ für die Interventionen der europäischen Fonds, der sicherstellt, dass die strategischen Leitlinien einen effizienten und kohärenten Rahmen bilden und nicht nur einfach flankierende Bestimmungen darstellen.

5.   Anmerkungen zu den Mitteln der Kohäsionspolitik im Zeitraum 2007-2013

5.1

Die Kommission verweist insbesondere auf die Rolle der Strukturfonds (Regionalfonds und Sozialfonds) sowie des Kohäsionsfonds bei der Unterstützung der Kohäsionspolitik. Sie erklärt, dass die Strukturfondsinterventionen im Rahmen der oben genannten strategischen Ziele es ermöglichen müssen, das Wachstum zu stimulieren, die Möglichkeiten des Binnenmarktes besser zu nutzen, eine stärkere Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern, die regionale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken sowie eine bessere Integration des Gebiets der Union in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht zu bewirken.

5.2

Zunächst ist festzustellen, dass die Europäische Union mit einer immer größeren Kluft zwischen der begrenzten Ausstattung mit Fondsmitteln und dem Ausmaß des Bedarfs konfrontiert sein wird (Entwicklungsgefälle zwischen den Mitgliedstaaten, Verzögerungen beim Ausbau der Infrastrukturanlagen, bei der Verwirklichung des Binnenmarktes, bei der Wettbewerbsfähigkeit sowie bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie). Eine interne Neufestsetzung der Prioritäten des Gemeinschaftshaushalts ist erforderlich, einschließlich der Weiterführung der laufenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Dadurch wird der Spielraum für eine Aufstockung der Strukturfondsmittel jedoch nur geringfügig erweitert, da der Umfang des Gemeinschaftshaushalts insgesamt sehr begrenzt bleiben wird. Jedenfalls scheinen dem EWSA die 0,36 % (308 Mrd. EUR bei einem Haushalt von 862 Mrd. EUR, vorbehaltlich des am 4. April 2006 vereinbarten Nachtragshaushalts von 4 Mrd. EUR, der noch von Parlament und Rat ratifiziert werden muss), die bei einer Obergrenze des Gemeinschaftshaushalts von 1,045 % des BIP auf die Kohäsionspolitik entfallen würden, an sich nicht auszureichen, damit die EU ihre Kohäsionsziele für den Zeitraum 2007-2013 erreichen kann.

5.3

Daher sollte folgenden Aspekten größte Aufmerksamkeit gewidmet werden:

5.3.1

einerseits den Modalitäten für den Einsatz der Strukturfonds, die eine stärkere Hebelwirkung auf die Investitionen haben müssen; dafür ist es erforderlich, dass in diesem Bereich innovativer vorgegangen wird als in der Vergangenheit;

5.3.2

andererseits der tatsächlichen Konzentration der Fondsinterventionen, die eine in stärkerem Maße strukturierende Wirkung vor allem auf transnationaler und grenzübergreifender Ebene haben muss.

5.4

Was die Modalitäten für den Einsatz der Fonds betrifft, so sind folgende Punkte besonders hervorzuheben:

5.4.1

Zunächst sei daran erinnert, dass Strukturfondsinterventionen lediglich flankierende Maßnahmen zur Kohäsionspolitik der EU sein können. Sie sind weder als ausschließliches noch als vorherrschendes Instrument dieser Politik geeignet. Strukturfondsinterventionen müssen im Wesentlichen darauf abzielen, im Dienste der gemeinsamen Leitlinien die Mobilisierung der auf den Märkten verfügbaren Gelder und eine stärkere Konvergenz bei der Verwendung der nationalen und regionalen Haushaltsmittel zu fördern. Es geht also vor allem darum, eine Hebelwirkung zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang müssen die Strukturinstrumente der Union als zentrales Mittel der europäischen Raumordnung fungieren und zugleich die laufende Gemeinschaftspolitik sowie den derzeitigen wirtschaftlichen und sozialen Wandel flankieren.

5.4.2

Zu diesem Zweck sollte bei der Verwendung von Mitteln des EU-Haushalts und der Europäischen Investitionsbank eine flexiblere und innovativere Konzeption des Finanz-Engineering zugrunde gelegt werden. Wie die Kommission richtigerweise anerkennt, sollten die Fonds nicht auf die Gewährung von Zuschüssen beschränkt bleiben, sondern weitere Instrumente wie Kredite, Kreditbürgschaften, wandelbare Instrumente, Investitionskapital und Risikokapital unterstützen. Der EWSA stimmt diesen Erwägungen nicht nur zu, sondern fordert darüber hinaus, alle entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen und eine wirkliche Reform der Modalitäten für finanzielle Interventionen der Union auf den Weg zu bringen.

5.4.2.1

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass die Wirksamkeit der Gemeinschaftsinterventionen erheblich gesteigert werden könnte und sie sich besser auf öffentliche und private Investitionen abstimmen ließen, wenn solche alternativen Interventionsmöglichkeiten der Strukturfonds in enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Investitionsfonds und der Europäischen Investitionsbank entwickelt würden. Sie würden vor allem zu einer öffentlich-privaten Finanzierung von Investitionen, insbesondere bei KMU beitragen, die von den herkömmlichen Finanzpartnern als zu riskant eingestuft werden und für die künftig infolge des Basel-II-Übereinkommens wahrscheinlich noch schärfere Kreditvergabebedingungen gelten. Sie würden ein wirksames Mittel darstellen, die Beschränkungen des EU-Haushalts auszugleichen. Denn ein als Zuschuss verwendeter Euro wäre häufig sinnvoller als Bürgschaft für fünf bis zehn Euro Kredit eingesetzt worden. Dadurch wäre es insbesondere möglich, die Zahl der Begünstigten zu erhöhen und diese gleichzeitig stärker in die Pflicht zu nehmen, als dies bei nicht rückzahlbaren Zuschüssen der Fall ist.

5.4.2.2

Diese neuen Interventionsmöglichkeiten sollten möglichst nah vor Ort umgesetzt werden, um eine maximale Hebelwirkung auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu gewährleisten. Durch eine bessere Koordinierung der Strukturfondsinterventionen mit den Maßnahmen anderer Finanzinstitutionen, die bereits im Bereich der europäischen Entwicklung tätig sind, wie zum Beispiel die EBWE, könnten noch weitere Ressourcen mobilisiert werden. Ein vorrangiger Interventionsbereich sollte — unter transparenten und offenen Wettbewerbsbedingungen — die viel umfassendere und aktivere Förderung von öffentlich-privaten Partnerschaften auf EU-Ebene sein, vor allem wenn es um die Finanzierung großer Infrastrukturprojekte geht, die sowohl für die durchgängige Kohäsion als auch für die Wettbewerbsfähigkeit Europas insgesamt unabdingbar sind. Wie weiter oben festgestellt (6), müssten die Haushaltsmittel für die transeuropäischen Netze auf jeden Fall erheblich aufgestockt werden, da die öffentlich-privaten Partnerschaften für die europäische Infrastruktur ohne eine ausreichende Grundlage an Gemeinschaftsmitteln nicht erfolgreich sein können.

5.4.2.3

Eine solche Reform bei den Interventionsmodalitäten der Gemeinschaftsfonds würde eine Erhöhung der Kreditkapazität der Europäischen Union voraussetzen. Darüber hinaus würde sie, abgesehen von einer intensiveren Koordinierung mit der EIB und anderen Finanzinstitutionen, den Aufbau einer wirklichen Partnerschaft mit dem europäischen Banken- und Finanznetz erfordern. Zugleich müssten Beihilfen auf der Ebene der Mitgliedstaaten und der Direktbegünstigten in stärkerem Maße an Auflagen geknüpft werden. Schließlich sollte die Reform der europäischen Fonds für 2007-2013 in diesem Sinne ergänzt werden, um die neuen Finanz-Engineering-Systeme voll einsatzfähig zu machen. Deshalb fordert der EWSA, dass die Europäische Kommission in diesen drei Bereichen neue Vorschläge unterbreitet.

5.4.3

Darüber hinaus ist zu bedauern, dass die eigentliche Verwaltung der Strukturfonds in den letzten Jahren zu undurchsichtig und zu sehr von bilateralen Beziehungen zwischen Gemeinschaftsbehörden und nationalen Behörden beherrscht war, wobei weder eine wirksame Gesamtkoordinierung noch eine ausreichende Kontrolle und Überwachung der ordnungsgemäßen Mittelverwendung erkennbar waren. Der Europäische Rechnungshof hat diese Situation zwar häufig beklagt, aber die daraufhin vorgenommenen, punktuellen Anpassungen waren zu begrenzt. Der allgemeine Grundsatz von mehr Transparenz bei der Gestaltung, Annahme und Umsetzung der Gemeinschaftspolitik wurde noch nicht auf das Funktionieren und die Verwaltung der Fonds ausgedehnt, wie dies eigentlich hätte geschehen müssen. Die strategischen Leitlinien für die Kohäsionspolitik sollten künftig die Basis für einen klaren Kurswechsel in diesem Sinne darstellen.

5.4.4

Was die für dieses bessere Management der EU-Beihilfen erforderlichen Innovationen betrifft, so sei auf die Notwendigkeit einer systematischeren Überprüfung der Vereinbarkeit der Gemeinschaftsbeihilfen mit den Wettbewerbsregeln hingewiesen. In der Vergangenheit haben einige Fondsinterventionen, die nicht in ausreichendem Maße überprüft wurden, unter dem Deckmantel der Verringerung regionaler Unterschiede zu schwerwiegenden und nachteiligen Verstößen gegen die Grundsätze des lauteren Wettbewerbs geführt, obwohl es durchaus möglich ist, diese zwei Ziele miteinander in Einklang zu bringen. Bei EU-Beihilfen handelt es sich um öffentliche Beihilfen, die mit staatlichen Beihilfen vergleichbar sind und ebenso wie diese kontrolliert werden müssen. Dieser Grundsatz entspricht auch der Notwendigkeit einer besseren gegenseitigen Verknüpfung der EU-Beihilfen und der nationalen und regionalen Beihilfen. Daher sollte der Jahresbericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik künftig ein Kapitel über die Bedingungen der Kontrolle der Gemeinschaftsbeihilfen gemäß der EU-Wettbewerbspolitik enthalten. Diese vom EWSA bereits früher ausgesprochene Empfehlung ist bislang ohne Ergebnis geblieben.

5.5

Was die Konzentration der Interventionen betrifft, so sollte die Kommission sicherstellen, dass die Interventionen der Europäischen Strukturfonds ausgehend von einer stärker europäisch ausgerichteten Dimension der EU-Raumordnung — über die punktuellen, durch die Pläne für Gemeinschaftsinterventionen eingeleiteten Fortschritte hinaus — gezielter eingesetzt werden, was derzeit bei weitem noch nicht der Fall ist.

5.5.1

Bislang wurde beim Einsatz der Strukturfonds trotz der rechtlichen und wirtschaftlichen Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes, dem nunmehr 25 Mitgliedstaaten angehören, de facto kaum versucht, einer transnationalen Dimension den Vorrang einzuräumen. Die Strukturfonds wurden von der Kommission hauptsächlich auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten vorgelegten nationalen Prioritäten verwaltet, ohne direkten Bezug zu den neuen Kooperationserfordernissen, die sich aus der Beseitigung der physischen, technischen und steuerlichen Handelshemmnisse ergeben, während sich die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede vergrößert haben, was eine Verstärkung der transnationalen Beziehungen und Netze erfordert hätte.

5.5.2

Hier sollte durch die Festlegung klarerer Prioritäten für die Interventionen Abhilfe geschaffen werden, um die „Nahtstellen“ zwischen den Mitgliedstaaten auf transnationaler, transregionaler und grenzübergreifender Ebene zu verstärken. Die stichhaltigen Feststellungen der Kommission zu diesen Aspekten sollten neu bewertet, weiterentwickelt und direkt in die Interventionsprioritäten der Fonds einbezogen werden, statt diese nur zusätzlich zu ergänzen.

6.   Anmerkungen zur Integration in die nationalen und regionalen Politiken

6.1

Die Integration der Kohäsionspolitik in die nationale und regionale Politik ist ein zentrales Erfordernis, auf das die Kommission zutreffend verweist. Der Ausschuss betont die Notwendigkeit, in zwei Bereichen Fortschritte zu erzielen:

6.2

Erstens sollte sichergestellt werden, dass die Gemeinschaftsbeihilfen tatsächlich dafür verwendet werden, die optimale Umsetzung der Leitlinien, Beschlüsse und Verpflichtungen der EU in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu unterstützen. Es sei insbesondere verwiesen auf:

6.2.1

die richtige und fristgemäße Umsetzung der EU-Richtlinien;

6.2.2

die Verstärkung der Verwaltungszusammenarbeit auf EU-Ebene, insbesondere mit Blick auf ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes;

6.2.3

eine bessere Anwendung beider Bestandteile des Stabilitäts- und Wachstumspakts, der statt die Länder lediglich von übermäßigen Defiziten abzuhalten, den Weg zu einer gemeinsamen Wirtschaftsführung eröffnen sollte.

6.3

Zweitens sollte sichergestellt werden, dass die Gemeinschaftsbeihilfen dazu beitragen, die Kohärenz zwischen europäischer und einzelstaatlicher Politik zu stärken, vor allem damit die Lissabon-Strategie wirksamer umgesetzt werden kann. Es sei insbesondere verwiesen auf:

6.3.1

flankierende Maßnahmen zu Strukturreformen in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Verwaltung;

6.3.2

die Vereinfachung des Regelungsrahmens und die Weiterentwicklung der europäischen Ansätze zur Selbstverwaltung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure, die Unterstützung verdient (7);

6.3.3

die rasche Vollendung des Europäischen Finanzraums zur Optimierung der Vorteile des Euro;

6.3.4

die Angleichung der Steuersysteme auf investitions- und innovationsfreundlicher Basis, um einen geeigneteren Rahmen für den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Systemen der Mitgliedstaaten zu schaffen.

6.4

Damit die erforderliche Flexibilität bei der Festlegung der Inhalte künftiger Programme gewahrt bleibt, muss möglichst vermieden werden, dass dem von der EU festgelegten Rahmen zusätzliche nationale oder regionale Kriterien hinzugefügt werden. Ebenso sollte die Einführung von Verfahren, bei denen die Zuweisung von Mitteln von vornherein für sieben Jahre erfolgt, vermieden werden. Deshalb sollte die Möglichkeit bestehen, die Programme im Verlauf ihrer Umsetzung ohne weiteres anzupassen.

6.5

Der EWSA wünscht zudem, dass die Gemeinschaftsbeihilfen zur Förderung eines europäischen Ansatzes für die Industriepolitik beitragen, der die Koordinierung der Arbeit der Behörden und der Akteure der organisierten Zivilgesellschaft auf den verschiedenen Ebenen (europäischer, nationaler und regionaler Ebene) ermöglicht (8).

6.6

Schließlich begrüßt der EWSA, dass sich der Europäische Rat im Dezember 2005 grundsätzlich mit der Einrichtung eines Fonds zur Anpassung an die Globalisierung einverstanden erklärt hat, „der zusätzliche Unterstützung für Arbeitnehmer, die aufgrund größerer Strukturveränderungen im Welthandelsgefüge arbeitslos geworden sind, bereitstellen und sie bei Umschulung und Stellensuche unterstützen soll“. Die Staats- und Regierungschefs haben den Rat aufgefordert, die Kriterien für die Förderfähigkeit im Rahmen dieses Fonds festzulegen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die branchenübergreifenden oder auch sektoralen europäischen Sozialpartner dabei eingebunden werden könnten.

7.   Anmerkungen zur Beteiligung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure

7.1

Die Beteiligung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure an der Kohäsionspolitik stellt eine nachdrückliche Forderung dar. Der EWSA hatte bereits in seiner Stellungnahme von 2003 zum Thema „Partnerschaft bei der Durchführung der Strukturfonds“ (9) eine stärkere Beteiligung dieser Akteure gefordert. Die Kommission erkennt diese Notwendigkeit an und betont, dass sich die Akteure vor Ort die Kohäsionspolitik so stärker zu Eigen machen. Sie unterbreitet jedoch keine Vorschläge für die Gestaltung der entsprechenden Modalitäten und ihre Einbeziehung in die strategischen Leitlinien für die Kohäsion.

7.2

Daher schlägt der EWSA vor, die strategischen Leitlinien der Kohäsionspolitik für den Zeitraum 2007-2013 durch eine entsprechende Rahmenregelung für die Beteiligung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure zu ergänzen. Ebenso wie die Bestimmungen des Abkommens von Cotonou zugunsten der nicht staatlichen Akteure in den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifikraums, die ausdrücklich angehört und in die Verwaltung der EU-Beihilfen eingebunden werden, sollte diese Rahmenregelung als vollwertiger Bestandteil in die strategischen Leitlinien aufgenommen werden und für die Mitgliedstaaten verbindlich sein.

7.3

Die Rahmenregelung sollte die nachstehend genannten Ziele umfassen:

7.3.1

Einbeziehung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure sowie der Sozialpartner in die Festlegung der Grundzüge auf EU-Ebene (insbesondere des allgemeinen Strategiepapiers) und ihrer dezentralen Umsetzung auf nationaler Ebene (insbesondere der von den Mitgliedstaaten festgelegten einzelstaatlichen strategischen Rahmenpläne) sowie auf regionaler und lokaler Ebene;

7.3.2

Vertiefung dieses Dialogs in den verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereichen im Interesse einer effizienten, partizipativen und nachhaltigen Entwicklung;

7.3.3

direkte Einbeziehung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure in die Bemühungen um die Verbesserung der Beschäftigungslage, vor allem durch die Vertragspolitik der Sozialpartner, insbesondere um die Modernisierung der Systeme der beruflichen Bildung und die bessere Anpassung des Arbeitsmarktes voranzutreiben;

7.3.4

Ermutigung der Akteure der Zivilgesellschaft zu einer besseren Nutzung des Binnenmarktes durch den Ausbau der transeuropäischen Produktions-, Handels- und Infrastrukturnetze und durch die Einführung von Selbst- und Koregulierung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure, die zur Vollendung des Binnenmarktes beitragen;

7.3.5

Festlegung effizienter Modelle für öffentlich-private Partnerschaften gemeinsam mit den wirtschaftlichen und sozialen Akteuren, unter Einbeziehung entsprechend angepasster Formen von Konzessionen, Anreizen, Garantien und der Vergabe von Unteraufträgen;

7.3.6

Entwicklung zusätzlicher Programme im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften auf dieser Grundlage, vor allem von Infrastrukturprogrammen und Programmen zur Finanzierung von KMU auf lokaler Ebene;

7.3.7

Ermutigung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure zur Intensivierung der Kooperationsinitiativen auf EU-Ebene in den Bereichen Forschung und technologische Innovation;

7.3.8

Unterstützung innovativer Ansätze der wirtschaftlichen und sozialen Akteure, die zu den Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung beitragen.

7.4

Ein solcher Dialog muss im Interesse seiner Wirksamkeit sowohl in Brüssel als auch in den verschiedenen Mitgliedstaaten und in den Regionen besser organisiert und strukturiert sein. So sollte der Rahmen hierfür folgende Bestimmungen enthalten:

7.4.1

Der Dialog muss auf einschlägigen, von den Behörden der Mitgliedstaaten reibungslos übermittelten Informationen zu den strategischen Leitlinien und den Modalitäten für ihre Umsetzung basieren.

7.4.2

Die Konsultationen müssen in einem entsprechend frühen Stadium stattfinden, damit die wirtschaftlichen und sozialen Akteure an der Folgenabschätzung mitwirken können.

7.4.3

Die wirtschaftlichen und sozialen Akteure müssen über die Folgemaßnahmen im Anschluss an die Konsultationen und die von ihnen unterbreiteten Vorschläge in Kenntnis gesetzt werden.

7.4.4

Den offiziellen Programmplanungs- bzw. Überprüfungsdokumenten ist ein Überblick über die Bedingungen der Konsultation der wirtschaftlichen und sozialen Akteure beizufügen.

7.4.5

Bei grenzübergreifenden bzw. interregionalen Programmen müssen gemeinsame Konsultationen und Partnerschaften von wirtschaftlichen und sozialen Akteuren gefördert werden, die ebenfalls grenzübergreifend bzw. interregional angelegt sind.

7.4.6

Ermutigung zu Initiativen für einen grenzübergreifenden und interregionalen sozialen Dialog, insbesondere durch die konkrete Gestaltung des optionalen Rahmens für transnationale Tarifverhandlungen, wie er in der Sozialpolitischen Agenda für den Zeitraum 2005-2010 angekündigt wurde.

7.5

Darüber hinaus bekräftigt der EWSA seine Unterstützung für den Kommissionsvorschlag, 2 % der Mittel des Europäischen Sozialfonds für den Ausbau der Kapazitäten der Sozialpartner und der von ihnen gemeinsam durchgeführten Aktivitäten bereitzustellen.

7.6

Der EWSA hat mit ausdrücklicher Unterstützung des Europäischen Rates vom März 2005 vereinbart, ein europäisches Informations- und Unterstützungsnetz für die Initiativen der zivilgesellschaftlichen Akteure aufzubauen, die sich an der Umsetzung der Lissabon-Strategie beteiligen. Die Initiativen, die die betreffenden Akteure im Interesse einer größeren Wirksamkeit der europäischen Kohäsionspolitik im Zeitraum 2007-2013 auf den Weg bringen, sollen vollständig in dieses Netz aufgenommen werden.

Brüssel, den 21. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Stellungnahme des EWSA zu den „Fonds (allgemeine Bestimmungen)“, dem „Kohäsionsfonds“ und dem „Fonds für regionale Entwicklung“, ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 79, 88 und 91.

(2)  Stellungnahme des EWSA, ABl. C 255 vom 14.10.2005, S. 76.

(3)  Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen. Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union 2007-2013“, ABl. C 74 vom 23.3.2005, S. 32.

(4)  ABl. C 125 vom 27.5.2002, S. 100.

(5)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt“, ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 113.

(6)  Siehe Ziffer 4.3.3.

(7)  Informationsbericht der Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch zum Thema „Aktueller Stand der Koregulierung und der Selbstregulierung im Binnenmarkt“.

(8)  Siehe Stellungnahme des EWSA zum Thema „Moderne Industriepolitik“ (INT/288) (ABl. C 110 vom 9.5.2006).

(9)  ABl. C 10 vom 14.1.2004, S. 21.


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/62


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Auswirkungen internationaler Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen auf den industriellen Wandel in Europa“

(2006/C 185/12)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Februar 2005, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu erarbeiten: „Die Auswirkungen internationaler Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen auf den industriellen Wandel in Europa“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 30. Januar 2006 an. Berichterstatter war Herr ZBOŘIL, Mitberichterstatter Herr ČINČERA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 79 gegen 11 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einführung: Die Ziele der Europäischen Union bei der Reduzierung der Treibhausgasemissionen

1.1

Der globale Klimawandel ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit — sowohl in den Diskussionen und Aktivitäten in Wissenschaft und Politik als auch im täglichen Leben der Gesellschaft. Die Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre auf internationaler Ebene eingeleiteten Aktivitäten führten zunächst zur Schaffung des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimafragen (IPCC) im Jahre 1989, später zur Aufnahme von Verhandlungen auf UNO-Ebene (1990) und schließlich zur Annahme des UNO-Rahmenvertrags über den Klimawandel (UNFCCC) im Jahr 1992. Der Rahmenvertrag trat am 21. März 1994 in Kraft.

1.2

Klimatische Veränderungen gab es schon in früheren Erdzeitaltern. Die Erkenntnisse über das historische Klima ergeben sich lediglich aus paläoklimatologischen Messungen und Beobachtungen, z.B. aus geologischen Erscheinungen und archäologischen Funden (proxy data), denn qualitativ hochwertige meteorologische Daten stehen aus jener Zeit nicht zur Verfügung. Neue Analysen der Proxy-Messdaten auf der Nordhalbkugel weisen darauf hin, dass sich die Erdatmosphäre im 20. Jahrhundert stärker erwärmt hat, als in irgendeinem anderen Zeitraum in den vergangenen 1000 Jahren.

1.3

Die überwiegende Mehrheit der Staaten und Regionen, die besonders anfällig gegenüber klimatischen Veränderungen sind, stehen gewöhnlich auch unter dem Druck weiterer Faktoren wie einem rasanten Bevölkerungswachstum, der Ausbeutung natürlicher Ressourcen und der Armut. Eine mit Hilfe der Industriestaaten entwickelte Politik, die den Bedürfnissen der Entwicklungsländer Rechnung trägt, kann in Verbindung mit den entsprechenden Maßnahmen die nachhaltige Entwicklung und die Chancengleichheit fördern und zugleich zu einer effizienteren Wirkung der Anpassungsmechanismen führen. Dies würde den Druck auf die Ressourcen verringern, das Management ökologischer Risiken und die Lebensbedingungen der ärmsten Mitglieder der Gesellschaft verbessern. Gleichzeitig kann dies eine geringere Empfindlichkeit gegenüber klimatischen Veränderungen bewirken. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass bei der Konzipierung und Umsetzung internationaler und nationaler Entwicklungsinitiativen die Risiken im Zusammenhang mit einem Klimawandel berücksichtigt werden.

1.4

Dem Dritten Bewertungsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaveränderungen (IPCC) aus dem Jahr 2001 zufolge hat sich die Durchschnittstemperatur der Erdatmosphäre seit 1861 erhöht, und nach einer Analyse der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) wurden gerade in neun der letzten zehn Jahre die höchsten Temperaturen gemessen. Das Jahr mit der höchsten Durchschnittstemperatur war 1998, gefolgt von den Jahren 2002, 2003, 2004 und 2001. Im 20. Jahrhundert betrug der Temperaturanstieg durchschnittlich zwischen 0,6 °C und 0,2 °C, und die Prognosen über die weitere Entwicklung zeigen, dass ohne entsprechende Gegenmaßnahmen die Temperatur bis zum Ende des 21. Jahrhundert um weitere 1,4 bis 5,8 °C ansteigen wird.

1.5

Einer von der Forschergemeinde überwiegend in Europa unterstützten Annahme folgend, der auf politischer Ebene außergewöhnliche Bedeutung beigemessen wird, wird als Hauptursache des Klimawandels die Zunahme von Treibhausgasen in der Erdatmosphäre angesehen, die wiederum ursprünglich auf menschliches Handeln — insbesondere auf die Nutzung fossiler Brennstoffe — zurückgehen. Diese Annahme stützt sich auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen der langfristig zunehmenden Konzentration von Treibhausgasen (vor allem Kohlendioxid) in der Atmosphäre und dem weltweiten Temperaturanstieg im Laufe des 20. Jahrhunderts sowie auf die aus Klimamodellen gewonnenen Erkenntnisse, mit deren Hilfe die Tragweite und die Auswirkungen künftiger Klimaveränderungen, gestützt auf Szenarien zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen und ihrer Konzentration in der Atmosphäre, abgeschätzt werden.

1.6

Der Einfluss des Menschen auf den globalen Klimawandel ist trotz der Unklarheiten hinsichtlich der Wirkung von Aerosolen und einiger Umweltfaktoren (vulkanische Aktivität und Strahlung — solar irradiance) bereits nachweisbar. Das Klima auf der Erde wird jedoch auch von den Zyklen der Sonnenaktivität und geophysikalischen Faktoren beeinflusst. Aus diesem Grunde ist es bisher nicht möglich, genau zu bestimmen, wie hoch der menschliche Anteil an diesen Veränderungen des natürlichen Klimas ist, und das wird wahrscheinlich noch lange so bleiben. Die Unsicherheiten sind auch bedingt durch die Frage der Repräsentativität der verfügbaren Daten wie auch durch die aus den einzelnen Klimamodellen zu ziehenden Schlussfolgerungen, die immer noch nicht ganz genau alle auftretenden Interaktionen beschreiben. Deshalb ist es nicht möglich, sämtliche Elemente des Klimasystems mit abschließender Genauigkeit zu simulieren.

1.7

Im Rahmen der Ausarbeitung von Prognosen für die Konzentration von Treibhausgasen und Aerosolen in der Atmosphäre und, davon ausgehend, von Prognosen bezüglich der künftigen Klimaentwicklung gestatten die im Spezialbericht des IPCC enthaltenen Emissionsszenarien die Entwicklung von Klimamodellen. In diesen Szenarien finden zahlreiche Hypothesen bezüglich der sozioökonomischen, energetischen und demographischen Entwicklung in der Welt bis zum Ende des 21. Jahrhunderts Berücksichtigung.

1.8

Wie verletzlich die gesellschaftlichen und natürlichen Systeme gegenüber den Folgen klimatischer Extremerscheinungen sind, wird dann deutlich, wenn Dürren, Überschwemmungen, Hitzewellen, Lawinen und Stürme Menschenleben fordern und Sachschäden und erschwerte Lebensbedingungen nach sich ziehen. Gemäß den Prognosen über die weitere Klimaentwicklung müsste die Häufigkeit der extremen Witterungserscheinungen im 21. Jahrhundert zunehmen, und es muss davon ausgegangen werden, dass auch Ausmaß und Intensität ihrer Auswirkungen zunehmen werden.

1.9

Um die klimatischen Veränderungen besser ermitteln, zuordnen und gänzlich begreifen zu können, ist weitere Forschung vonnöten, damit die mit den Szenarien der künftigen Klimaänderungen zusammenhängenden Unsicherheiten weiter abgebaut werden können. Besonders zu fördern sind weitere genauere Messungen und systematische Beobachtungen, die Modellierung sowie detailliertere Analysen der Auswirkungen von Klimaveränderungen müssen dabei im Mittelpunkt stehen und besonders gefördert werden.

1.10

Die Hypothese des durch den Menschen verursachten weltweiten Klimawandels aufgrund des erhöhten Gehalts von Treibhausgasen in der Atmosphäre wurde durch die politischen Entscheidungen der betroffenen Staaten und der Europäischen Union anerkannt als Grundlage für die Anwendung des Vorsorgeprinzips wie auch für die Ausarbeitung politischer Maßnahmen und Strategien zur Beschränkung der Klimaveränderungen durch Reduzierung der Treibhausgasemissionen — besonders von Kohlendioxid aus der Verwendung fossiler Brennstoffe.

1.11

Die praktische Folge dieser politischen Entscheidungen war die Hinzufügung des Kyoto-Protokolls zur Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (Dezember 1997) sowie dessen Inkrafttreten am 16. Februar 2005.

1.12

Die unterzeichnenden Parteien sind durch das Protokoll von Kyoto gehalten, ausgehend von der Höhe der Emissionen im Jahr 1990 ihre Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2008-2012 in dem Umfang zu reduzieren, der sich aus ihren in Anlage B des Protokolls festgelegten Verpflichtungen ergibt. Die Mitgliedstaaten der EU-15 sind verpflichtet, die gesamten Treibhausgasemissionen um 8 % zu verringern (in absoluten Zahlen entspricht dies 336 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente jährlich). Die neuen Mitgliedstaaten haben hingegen nach den Bestimmungen der Anlage B des Protokolls jeweils eigene Reduktionsziele. Die meisten von ihnen haben sich ebenfalls zu einer Reduktion um 8 % verpflichtet, Ungarn und Polen um 6 %. Für Ungarn, Polen und Slowenien wird in Anlage B darüber hinaus ein anderes Referenzjahr festgelegt. Das Protokoll erlaubt ebenfalls die Anwendung flexibler Mechanismen (Handel mit Emissionsberechtigungen, Projekte der gemeinsamen Umsetzung — „Joint Implementation“ (JI) — in den Industriestaaten sowie Projekte des Verfahrens für saubere Entwicklung — „Clean Development Mechanisms“ (CDM) — in den Entwicklungsländern), die die Industriestaaten dazu bewegen sollen, die Emissionen zu verringern und ihren im Kyoto-Protokoll festgeschriebenen Verpflichtungen zu den günstigsten wirtschaftlichen Bedingungen nachzukommen und gleichzeitig die Entwicklungsländer beim Technologietransfer zu unterstützen.

1.13

Die Mitgliedstaaten der EU-15 verursachen etwa 85 % der gesamten Treibhausgasemissionen der EU-25, während die neuen Mitgliedstaaten daran nur einen Anteil von 15 % haben. Aktuelle Bestandsaufnahmen zu den Emissionswerten zeigen deutlich, dass es den EU-15-Mitgliedstaaten als Unterzeichner des Kyoto-Protokolls bis 2003 lediglich gelungen ist, eine Reduzierung der gesamten Treibhausgasemissionen um 1,7 % herbeizuführen, wodurch die reellen Aussichten auf das Erreichen der Ziele von Kyoto für den Zeitraum 2008-2012 erheblich getrübt werden. Obwohl in der EU-15 seit 1995 ein Anstieg der Treibhausgasemissionen um 3,6 % und in den letzten fünf Jahren sogar um 4,3 % zu verzeichnen ist, wird in den jüngsten Prognosen davon ausgegangen, dass zusätzliche gemeinsame Anstrengungen unter Anwendung der Mechanismen von Kyoto zu einer Emissionsreduktion von 8,8 % bis 2010 führen können — was über den Vorgaben von Kyoto für die EU-15 liegt. In den neuen EU-Mitgliedstaaten ist es im Zeitraum 1990-2003 zu einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 22 % gekommen, wobei allerdings der größte Teil davon auf den Transformationsprozess insbesondere in der ersten Hälfte der neunziger Jahre zurückzuführen ist; nach 1995 sanken die Emissionen um 6 %, während in den letzten fünf Jahren eine Stabilisierung zu verzeichnen ist.

1.14

Eine Bestandsaufnahme der Umsetzung des Protokolls von Kyoto in den Mitgliedstaaten der EU-15 zeigt, dass die Reduktion der Treibhausgase bis zum Jahr 2012 zum Problem werden kann. In einem für die Ratstagung im März 2005 vorbereiteten Dokument werden die Werte für die mittel- und langfristigen Reduktionsziele der wirtschaftlich entwickelten Staaten in einer Größenordnung von 15-30 % bis zum Jahr 2020 und 60-80 % bis zum Jahr 2050 im Vergleich zu 1990 beziffert. Nach Einschätzung des IPCC werden diese Maßnahmen dazu führen, dass sich das weltweite BIP-Wachstum im Zeitraum 1990-2100 um 0,003 bis 0,06 % jährlich verlangsamen wird (1). In ihren Prognosen rechnet die Europäische Kommission (bei einer angestrebten CO2-Konzentration von 550 ppmv in der Atmosphäre) mit einem Rückgang des BIP-Wachstums der EU-25 um 0,5 % bis zum Jahr 2025, wenn nach 2012 eine CO2-Reduzierung um jährlich 1,5 % angenommen wird. Die Voraussetzung ist allerdings, dass sich alle Länder an der Bekämpfung des Klimawandels und am System für den Handel mit Emissionsberechtigungen beteiligen. Bei einem alleinigen Vorgehen der EU könnte der Rückgang des BIP in der Union zwei- bis dreimal höher ausfallen — und dies ohne spürbare ökologische Vorteile (2).

1.15

Das Hauptproblem im Zusammenhang mit dem Kyoto-Protokoll ist die Tatsache, dass die USA, das Land mit den mit Abstand höchsten Treibhausgasemissionen (beinahe 25 % der Emissionen weltweit), nicht zu den Unterzeichnerstaaten gehört, und dass die Länder, für die die höchsten Zuwachsraten an Treibhausgasemissionen erwartet werden (Indien, China u.a., in denen die Emissionen seit 1990 um mehr als 20 % gestiegen sind), sich bis jetzt noch gar keine Ziele für eine Reduzierung der Emissionswerte im Kontrollzeitraum 2008-2012 gesetzt haben. Während zu Beginn der internationalen Verhandlungen im Jahre 1990 der Anteil der Entwicklungsländer an den Treibhausgasemissionen etwa 35 % betrug, stieg er bis 2000 auf ungefähr 40 % an, und es steht zu erwarten, dass ihr Anteil bis 2010 auf 50 % und bis 2025 auf bis zu 75 % ansteigen wird. Dies ist eine ernste Bedrohung für die Ziele dieser Initiative insgesamt. Sollte es nicht gelingen, durch politische Verhandlungen zu einem allgemeinen Konsens darüber zu gelangen, wie dem Klimawechsel zu begegnen sei, können die isolierten Bemühungen der europäischen Staaten (EU) nicht die erwünschten positiven Wirkungen zeigen. Vielmehr können diese zu einem ernst zu nehmenden Ungleichgewicht bei der wirtschaftlichen Entwicklung führen.

1.16

Trotz aller denkbaren Vorbehalte hinsichtlich des aktuellen Kenntnisstandes zu den Ursachen der zu beobachtenden Klimaveränderungen und der Art, wie politische Entscheidungen in diesem Bereich bisher angegangen, ausgearbeitet und umgesetzt wurden, muss festgestellt werden, dass viele der zur Verringerung der Treibhausgasemissionen ergriffenen Maßnahmen bemerkenswert positive Auswirkungen haben können, wie z.B. die Verminderung des Energiebedarfs in Unternehmen und Privathaushalten. Um dieses Ziel zu erreichen, muss nach angemessenen Fördermaßnahmen gesucht und vor allem in Wissenschaft, Forschung und Entwicklung neuer Technologien sowie in grundlegende Innovationen investiert werden.

2.   Die Mittel zur Erreichung der EU-Ziele im Hinblick auf die Verminderung von Treibhausgasen

2.1

Um die von ihr im Kyoto-Protokoll eingegangenen Verpflichtungen erfüllen zu können, die Treibhausgasemissionen bis zum Zeitraum 2008-2012 um 8 % zu reduzieren und um die Emissionen von Treibhausgasen insgesamt weiter wirksam zu verringern, hat die Europäische Union bereits das Europäische Programm zur Klimaänderung verabschiedet und in diesem Rahmen zahlreiche konkrete gesetzliche Maßnahmen von mehr oder weniger großer Tragweite ergriffen. Die wichtigsten hiervon sind die Folgenden:

2.1.1

Mit der Richtlinie 2003/87/EG (3) wird ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen eingeführt. Diese Richtlinie soll ein entscheidendes Instrument zur Einhaltung der Verpflichtungen bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen sein. Die Richtlinie wurde im Laufe des Jahres 2004 umgesetzt, wobei auch nationale Pläne zur Einführung von Emissionsberechtigungen aufgestellt und in den meisten Fällen bestätigt wurden, in denen jedem Emittenten und ihren Betreibern eine Anzahl von Quoten zur Treibhausgasemission zugeteilt werden. Die Richtlinie trat endgültig am 1. Januar 2005 in Kraft und soll es den Emittenten von Treibhausgasemissionen erlauben, mit Emissionsberechtigungen zu handeln und so ihre Aufwendungen für die Reduzierung der Emissionen zu optimieren

2.1.2

Die „Verbindungsrichtlinie“, mit der die flexiblen Mechanismen des Protokolls von Kyoto an den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen angepasst werden, soll gewährleisten, dass die flexiblen Mechanismen JI und CDM mit dem gemeinschaftlichen System des Handels mit Treibhausgasemissionsrechten in Einklang gebracht werden. Auf diese Weise könnten die selbstgesetzten Ziele der Mitgliedstaaten und Unternehmen im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit mit Drittstaaten, die das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben, erreicht werden.

2.1.3

Die Richtlinie 2001/77/EG (4) zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen ist ein sehr wichtiges Instrument zur Einführung und Nutzung erneuerbarer Energiequellen (Wasser, Wind, Sonne, Biomasse und geothermische Energie), um die durch die praktische Nutzung erneuerbarer Energiequellen anfänglich entstehenden wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen.

2.1.4

Durch die Richtlinie 2003/30/EG (5) zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen oder anderen erneuerbaren Kraftstoffen im Verkehrssektor wurden günstige Voraussetzungen geschaffen, den Verbrauch fossiler Flüssigbrennstoffe einzuschränken und im Gegenzug verstärkt auf Brennstoffe aus erneuerbaren Energiequellen zu setzen.

2.1.5

Mit der Richtlinie 2004/8/EG (6) über die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung auf der Grundlage des Nutzwärmebedarfs im Energiebinnenmarkt wird eine effizientere Nutzung der Energie aus fossilen Flüssigbrennstoffen über die Kraft-Wärme-Kopplung angestrebt.

2.1.6

Mit der Richtlinie 2003/96/EG (7) zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom wurde auf dem Territorium der EU eine spezielle Kohlenstoff-Steuer eingeführt oder, anders ausgedrückt, der Rahmen für eine ökologische Steuerreform und eine Internalisierung von Externalitäten geschaffen.

2.1.7

Der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte fluorierte Treibhausgase (HFC, PFC und SF6) (8) dürfte Ende diesen Jahres angenommen werden.

2.1.8

Durch bestimmte Maßnahmen werden eine Bewertung der thermischen technischen Parameter von Gebäuden, ihre Verbesserung und weitere technisch-regulatorische Instrumente eingeführt.

2.2

Während mit dem Regelungsrahmen aus Richtlinien zu den erneuerbaren Energieträgern, zur Kraft-Wärme-Kopplung, zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Förderung von Biokraftstoffen Marktbedingungen geschaffen wurden, die eine einfachere und effizientere Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und grundsätzlich auch gleiche Bedingungen für die Unternehmer einer Branche gewährleisten, hat die Durchführung der Richtlinie über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen eine ganze Reihe widersprüchlicher Reaktionen hervorgerufen — besonders was die Aufstellung der nationalen Zuteilungspläne für die einzelnen Ressourcen und die Genehmigungsverfahren anbelangt. Die in ihr enthaltenen Regelungen lassen gerade die Grundvoraussetzungen vermissen, die zur Schaffung gleicher Bedingungen für die Teilnehmer an diesem Handelssystem notwendig sind, und zwar sowohl auf nationaler Ebene zwischen den verschiedenen Produktionszweigen als auch auf Gemeinschaftsebene zwischen den Mitgliedstaaten.

2.3

Zur Anwendung der Richtlinie zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen ist festzustellen, dass die Auswirkungen dieses Instruments auf dem Markt viel deutlicher zu spüren sind. In der Richtlinie werden im Vorfeld klare Regeln bezüglich der Bedingungen festgelegt, nach denen auf nationaler Ebene der Ankauf von Energie für die Verteilernetze vonstatten gehen wird. Es ist anzunehmen, dass diese Bedingungen sich naturgemäß in den einzelnen Staaten unterscheiden, was aber auch als eine Verzerrung gleicher wirtschaftlicher Wettbewerbsbedingungen aufgefasst werden kann. Jedenfalls obliegt es jedem Mitgliedstaat, seine Prioritäten und Möglichkeiten selbst festzulegen und zu bestimmen, welche Vergünstigungen er — für die einzelnen erneuerbaren Energieträger — beim Ankauf von Strom gewähren will.

2.4

Etwas verdeckt durch die Regulierungsmaßnahmen sind Unterstützungsmaßnahmen zu suchen, insbesondere für Wissenschaft und Forschung im Zusammenhang mit dem Sechsten Rahmenprogramm (9), in dem für Wissenschaft und Forschung im Zusammenhang mit dem Klimawandel im Zeitraum 2003-2006 Mittel in Höhe von 2.120 Mio. EUR zur Verfügung gestellt wurden. Diese Mittel sind für folgende Bereiche bestimmt: „Nachhaltige Energiesysteme“, „Nachhaltiger Landverkehr“ und „Globale Veränderungen und Ökosysteme“. Im Vorschlag für das siebte Rahmenprogramm (10) für den Zeitraum 2007-2013 werden im Kapitel „Energie“, für das 2.931 Mio. EUR veranschlagt werden, Themen wie Wasserstoff und Brennstoffzellen, Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen und flüssige Biokraftstoffe für Motoren, aber auch saubere Kohletechnologien, Kohlenstoffspeicherung sowie Energieeinsparung und wirtschaftliche Nutzung zu den Prioritäten gezählt. Für das Programm „Umwelt (einschließl. Klimaveränderungen)“, in dem es um die Erforschung des Klimawandels und der Möglichkeiten geht, die Anfälligkeit für die Auswirkungen von Klimaveränderungen und Risiken zu verringern, stehen Mittel in einer Höhe von insgesamt 2.535 Mio. EUR zur Verfügung.

2.5

Zu den Bereichen, in denen eine beträchtliche Reduzierung der Treibhausgasemissionen erreicht werden kann, gehören insbesondere die zunehmende Verwendung von Biomasse, die Sorge um eine höhere Qualität bei der Pflege und Erneuerung der Waldflächen sowie die verstärkte Aufforstung brachliegender Ackerflächen in geeigneten Gebieten. Eine Reduzierung von Treibhausgasemissionen kann ferner durch Förderung von Maßnahmen erreicht werden, die auf die Bindung von Kohlendioxid in geologischen Formationen sowie die sichere Nutzung von Kernenergie abzielen.

2.6

Während einige Länder entschieden haben, aus der Kernenergie auszusteigen oder von vornherein darauf verzichtet haben, kommt der Kernenergie in anderen Ländern immer noch eine große Rolle bei der Energieerzeugung zu. Obwohl an der Entwicklung der Kernfusion gearbeitet wird, dürfte erst in frühestens 50 Jahren mit ihrer wirtschaftlichen Nutzbarkeit zu rechnen sein. Infolgedessen ist die Förderung der Sicherheit bei der Kernspaltung, die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennstäbe und die Lösung der Probleme der Endlagerung weiterhin eine Herausforderung. In vielen Ländern wird die Förderung und Beibehaltung der Kernenergie als adäquates Instrument der Eindämmung von Treibhausgasen angesehen. Andere wiederum äußern Vorbehalte gegenüber einem solchen Konzept wegen der mit der Kernenergie verbundenen Risiken.

2.7

Verhältnismäßig geringe Aufmerksamkeit wird der äußerst wichtigen Problematik gewidmet, wie erreicht werden kann, dass das Territorium Europas als Ganzes und das Gebiet einzelner Mitgliedstaaten weniger anfällig für die negativen Folgen möglicher klimatischer Veränderungen wird. Diese ganz besonders wichtige Thematik verdient größere Aufmerksamkeit, und die in diesem Bereich investierten Mittel erzielen die größte Wirkung.

3.   Die Auswirkungen der Umsetzung des Kyoto-Protokolls sowie der politischen Maßnahmen zur Einschränkung des Klimawandels auf den industriellen Wandel

3.1

Die Durchführung des Kyoto-Protokolls, die darauf ausgerichtete Politik sowie die entsprechenden Maßnahmen haben Auswirkungen, die in zwei Gruppen eingeteilt werden können: Einerseits werden Strukturveränderungen in bestimmten Industriezweigen hervorgerufen (einschließlich möglicher Standortverlagerungen von Herstellern oder ganzer Branchen); andererseits kommt es zunächst zu einer Effizienzerhöhung bei der Energienutzung und im Weiteren dann zu inneren Veränderungen in einzelnen Branchen, insbesondere in Branchen mit hohem Energiebedarf. Um Erfolge ohne unnötige Verluste zu erziehen, müssen solche Mittel gewählt werden, die eine ausgewogene Regulierung und eine positive Stimulierung des Marktes gewährleisten. Andernfalls droht die Gefahr, dass der Erfolg der politischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels hinter den tatsächlichen Möglichkeiten zurückbleibt.

3.2

Strukturveränderungen können durch die Anwendung von Instrumenten entstehen, die eine Verteuerung der Primärenergie (fossile Energiequellen) und der Elektrizität nach sich ziehen. Gründe für den Preisanstieg sind (a) die bisher erst teilweise Liberalisierung des Energiemarktes mit dem daraus erwachsenden Risiko einer monopolistischen Haltung der großen Energiegesellschaften, die es sich erlauben können, die höheren Kosten für Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels (Emissionsauflagen, Einkaufspreise für Energie aus erneuerbaren Energiequellen) auf die Marktpreise abzuwälzen, und (b) extern bedingte Preiserhöhungen infolge steuerlicher Auflagen. Es muss festgestellt werden, dass es in dem teilweise liberalisierten EU-Energiemarkt Volkswirtschaften gibt, die einen vollkommen liberalisierten Energiemarkt haben und die zu Strompreiserhöhungen unter dem Vorwand des Kampfes gegen den Klimawandel neigen — zum Beispiel durch eine vollständige Umlage der Kosten für Kohle. Es steht zu erwarten, dass die Umsetzung folgender Maßnahmen einen bedeutenden Anstieg der Strompreise sowie Veränderungen in der Struktur der Industrielandschaft nach sich zieht:

3.2.1

Die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern bringt eine ganze Reihe von Folgen und Wirkungen mit sich — je nach der Art des verwendeten erneuerbaren Energieträgers. Relativ unproblematisch ist die Verwendung von Wasserkraft (unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, Wasserläufe nur nach eingehenden Überlegungen und möglichst schonend zu regulieren, sowie der Probleme im Zusammenhang mit großen Wasserkraftwerken). Bei Energie aus Windkraft nimmt die Zahl der Probleme im Hinblick auf ihre praktische Nutzung und die Gewährleistung der Versorgungssicherheit jedoch bereits zu. Die Verbrennung von Biomasse ist wiederum an eine ganze Reihe von Beschränkungen und administrative Regelungen gekoppelt, damit die Vorteile die Kosten aufwiegen, die durch die Verwendung dieser erneuerbaren Energie entstehen. Es geht hier insbesondere um die Gefahr, dass große Stromversorgungsunternehmen durch den Aufkauf von Biomasse, die als Zusatz für Brennstoffe in Wärmekraftwerken verwendet wird, deren Preis in eine solche Höhe treiben, dass sie für lokale Heizwerke bzw. das angebundene verarbeitende Gewerbe zu teuer wird. Die wirklich sauberen Ressourcen (Photovoltaik und Geothermik) befinden sich derzeit in einem solchen Stadium der Entwicklung, dass ihre schnelle Einführung in größerem Maßstab noch nicht erwogen werden kann. Eine Folge ist in jedem Fall ein höherer Einkaufspreis für Energie aus erneuerbaren Energieträgern, der willkürlich festgelegt wird und sich im Strompreis für den Verbraucher niederschlägt. Allgemein ist es jedoch wünschenswert, die Verwendung erneuerbarer Energiequellen zu fördern und optimale Methoden ausfindig zu machen, wie sie wirtschaftlich rentabel genutzt werden können.

3.2.2

Angesichts der Tatsache, dass die Besteuerung im Energiesektor in allen Mitgliedstaaten unterschiedlich ist, und dass sich die besonderen innerstaatlichen Bedingungen auf diesem Gebiet erheblich voneinander unterscheiden, führt die Besteuerung der Primärenergien zu einem Ungleichgewicht, das in Branchen mit hohem Energieverbrauch Auswirkungen auf die Allokation von Investitionen in die Entwicklung von Kapazitäten und in neue Technologien sowie auf den industriellen Wandel haben kann. Dieses Mittel sollte allenfalls zuletzt und nur mit äußerster Vorsicht angewandt werden, besonders im Hinblick darauf, dass sich die Besteuerung von Primärenergie im europäischen Raum unvorteilhaft auf die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit jener Länder auswirkt, die eine derartige Besteuerung eingeführt haben.

3.2.3

Die Einführung eines europäischen Systems für den Handel mit Emissionsberechtigungen (EU-ETS) ist mit einem Anstieg der Energiepreise (die Spanne reicht verschiedenen Quellen zufolge in unterschiedlichen Gebieten von 8-40 %) und einer Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit verbunden, die sich in einem Rückgang des BIP um 0,35-0,82 % niederschlägt. In gleicher Weise wird ein Rückgang der europäischen Ausfuhren sowie eine Verschärfung der Konkurrenz aus den Ländern erwartet, in denen die Energiepreise niedrig sind und keine Maßnahmen zur Vermeidung eines Klimawandels die Produktion erschweren. Die Einführung dieses Systems verläuft äußerst chaotisch und erschwert allgemein den Überblick über das Umfeld für Investitionen; wobei das System eher jene bevorzugt, die in ihren Verfahrensweisen und Leitungsstrukturen nicht effizient arbeiten.

3.2.4

Neben der Entwicklung der Energiepreise verstärkte die Einführung des Europäischen Emissionshandelssystems EU-ETS die strukturelle Anpassung in einigen Industriezweigen (Eisen- und Metallindustrie, Produktion von Baumaterialien, chemische und papiererzeugende Industrie u.ä.). Diese Branchen haben seit Beginn der 90er Jahre umfangreiche Mittel in ihre Modernisierung investiert und an der Verringerung ihres Energiebedarfs gearbeitet, und in einigen dieser Branchen konnte die Produktion sogar erheblich gesteigert werden. Das europäische Emissionshandelssystem bildet in der Tat einen Standard für die Zuteilung von Emissionsrechten, nach dem die modernisierten Unternehmen diese Rechte erwerben müssen, während jene, die keinerlei Anstrengungen unternommen noch Maßnahmen getroffen haben, „Zuschüsse“ zu ihrer weiteren Entwicklung in Form dieser Berechtigungen sowie der Möglichkeit erhalten, sie zu verkaufen. Bereits im Zeitraum 2008-2012, in dem hauptsächlich gehandelt werden wird, können diese Unternehmen in eine ausweglose wirtschaftliche Lage geraten, da sie in vielen Fällen bereits technisch und technologisch ein Minimum an Emissionen sowie eine effiziente Energieausbeute erreicht haben und eine weitere Verringerung der Emissionen außerhalb des rational Möglichen liegt.

3.2.5

In einigen Branchen (vor allem in der Stahlindustrie) werden Treibhausgase als Folge physikalisch-chemischer Prozesse freigesetzt. In den meisten Fällen wurden diese Emissionen bereits auf die niedrigsten technisch möglichen Werte reduziert. Diese physikalisch-chemischen Emissionen, die nicht weiter verringert werden können, sollten aus dem Emissionshandel ausgeklammert werden. Das entbindet diese Industriezweige aber nicht von ihrer Pflicht, die derzeitigen Emissionen in anderen Produktionsbereichen (Energieproduktion) zu reduzieren. Ein kritischer Faktor ist auch die Obergrenze für den Gesamtumfang der Berechtigungen einzelner Staaten und Emittenten. Da das System erst beginnt, seine Wirkung zu entfalten, liegen bislang noch keine aussagekräftigen praktischen Erfahrungen über die Zweckmäßigkeit und die praktischen Auswirkungen vor. Das Meinungsspektrum hinsichtlich der Auswirkungen reicht von vollkommener Skepsis bis hin zu übertriebenem Optimismus. Es bleibt die Tatsache, dass auch die Väter dieses Systems bei ihrer Beurteilung der Vorteile der erwogenen Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen keine konkreten Zahlen darüber veröffentlicht haben, in welchem Ausmaße die Emission von Treibhausgasen nach Einführung des EU-ETS verringert werden soll. Dennoch wird in der Wirtschaft ein gut funktionierendes, Ungleichbehandlungen ausschließendes System für den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen einer Besteuerung der Energie vorgezogen.

3.3

Die durch die sonstigen Instrumente hervorgerufenen Veränderungen können als wesentlich wichtiger angesehen werden. Ihnen wird zwar in den Medien weniger Aufmerksamkeit als dem Europäischen Emissionshandelssystem geschenkt, sie können jedoch eine beträchtliche Reduzierung des absoluten Energieverbrauchs bzw. einen Rückgang des Verbrauchs fossiler Brennstoffe bei der Energieerzeugung bewirken. Die Entwicklung geht also in die gewünschte Richtung, wobei ein konkretes Potenzial zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen freigesetzt wird, auch wenn dabei bestimmte Risiken nicht außer Acht gelassen werden dürfen.

3.3.1

Die vollständige Durchführung der Richtlinie zur Förderung der Elektrizitätsgewinnung aus erneuerbaren Energieträgern im angestrebten Umfang müsste in den Mitgliedstaaten der EU-15 eine Reduzierung der Emission von Treibhausgasen in einer Größenordnung von 100-125 Mio. Tonnen Kohlendioxidäquivalenten bewirken, wobei es sich um den größten Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgase überhaupt handeln würde. Neben dem Primäreffekt einer Emissionsverringerung kann mit einer verstärkten Entwicklung von Technologien und Einrichtungen gerechnet werden, und zwar sowohl bei der Energieerzeugung durch physikalische Prozesse (Wasser, Wind, Photovoltaik) als auch durch thermische Prozesse bei der energetischen Verwertung von Biomasse. Bei der Nutzung von Biomasse besteht das Risiko, dass für die verarbeitende Industrie einige erneuerbare Energieträger (v.a. Holz) verloren gehen. Aus diesem Grund müssen angemessene Unterstützungsmaßnahmen vorgesehen werden, um den Verlust der Primärressourcen zu verhindern. Das Risiko bei der Energieproduktion durch Windkraft besteht in ihrer Instabilität. Ein hoher Anteil Windenergie könnte die Versorgungssicherheit im Stromnetz gefährden und erfordert somit Reservekapazitäten aus stabilen Ressourcen.

3.3.2

Mit der Richtlinie zur Förderung der Verwendung von Biokraftstoffen dürfte bei vollständiger Durchführung in der EU-15 eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 35-40 Mio. Tonnen CO2 erreicht werden. Ein Nebeneffekt wären zugleich neue Chancen für die Landwirtschaft und das verarbeitende Gewerbe hinsichtlich der Lieferung von Rohstoffen sowie von Biokraftstoffen für Kraftfahrzeuge.

3.3.3

Die Richtlinie über die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung ist ein wesentlicher Bestandteil des Europäischen Emissionshandelssystems, da durch sie in den EU-15 der Ausstoß von Treibhausgasen um 65 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr verringert werden kann. Zudem soll die Energieeffizienz bei der Wärmeerzeugung überall dort erhöht werden, wo bislang das System nicht zur Anwendung kam (insbesondere im Zusammenhang mit den Wärmequellen für das Heizen von Privatwohnungen usw.). Zahlreiche Industrieanlagen nutzen dieses System bereits seit langem. Der Nachteil ist der zumeist relativ hohe Brennstoffpreis im Verhältnis zur gewonnenen Energie und folglich ein geringer Rückfluss der Investitionen, ferner die Notwendigkeit erheblicher Investitionen überall dort, wo es nötig ist, bei der Einführung des Systems Umstrukturierungen der Basiseinrichtungen durchzuführen, und schließlich die Tatsache, dass diese Quellen nicht durchgängig genutzt werden können, wodurch ihr Zugang zum Netz erschwert wird. Im Bereich der Energieversorgung ist weltweit eine Reduzierung von Treibhausgasen in einer Größenordnung von 250-285 Mio. Tonnen an CO2-Äquivalenten möglich.

3.3.4

Steuerliche Instrumente sollten nur sehr behutsam zum Einsatz kommen und sich positiv und motivierend auf die Unternehmen auswirken, indem bei einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen ihre steuerliche Belastung gesenkt wird. Auch die Besteuerung der Kraftstoffe für den Luftverkehr steht zur Debatte. Zur Zeit genießt der Luftverkehr im Gegensatz zu anderen Verkehrsträgern steuerliche Vergünstigungen, wobei sein Anteil an der Emission von Treibhausgasen lediglich 2 % ausmacht. Eine eventuelle Besteuerung der Kraftstoffe für die Luftfahrt muss global erfolgen, Maßnahmen müssen unter Berücksichtigung des starken Wettbewerbsdrucks im Luftfahrtbereich vorgeschlagen und umgesetzt werden und dürfen nicht einseitig auf die Europäische Union beschränkt bleiben.

3.3.5

Beim Verbrauch beläuft sich die mögliche Reduzierung auf schätzungsweise 215-260 Mio. Tonnen an CO2-Äquivalenten, wobei bessere Wärmeeigenschaften von Gebäuden bereits eine Einsparung von insgesamt 35-45 Mio. Tonnen an CO2-Äquivalenten bewirken können. Im Verkehr wird die mögliche Reduzierung auf 150-180 Mio. Tonnen an CO2-Äquivalenten geschätzt.

3.3.6

Die Verordnung über bestimmte fluorierte Treibhausgase (HFC, PFC und SF6), die in den politischen Bereich gehört, betrifft die Treibhausgase nur zu einem relativ geringen Teil. Zur Zeit machen diese Substanzen etwa 2 % aller Treibhausgase in der EU aus, eine Größenordnung, die 2012 voraussichtlich auf etwa 3 % angestiegen sein wird. Die Möglichkeiten, diese Emissionen zu reduzieren, liegen vor allem in der Beschränkung der Verwendung dieser Substanzen in den gewerblichen Kühleinrichtungen, bei der Herstellung von HFC-23 und in fest installierten oder transportablen Klimaanlagen. Nach jüngsten Schätzungen des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimafragen (IPCC) können die Kosten im Bereich von 10-300 Dollar pro Tonne CO2 liegen (Unterschiede je nach Gebiet und Branche). Die mögliche Reduktion der Emissionen wird auf 18-21 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente geschätzt.

3.3.7

Über ein bedeutendes Potenzial zur Verringerung von Treibhausgasen verfügt die Kohlenstoffspeicherung in der Biomasse; sie kann 60-100 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente erreichen, sofern die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden.

3.4

Für die Abscheidung und Lagerung von Kohlendioxid in geeigneten geologischen Formationen oder in ausgedienten Bergwerken (geologische Bindung) ist es erforderlich, ihn von den dafür geeigneten anthropogenen Ressourcen abzuscheiden, ihn zu den Endlagerstätten zu befördern und für einen langen Zeitraum von der Atmosphäre fernzuhalten. Das Ausmaß der Reduzierung von Treibhausgasemissionen wird bedingt durch die Menge des aufgefangenen Kohlendioxids, durch die Verringerung der allgemeinen Effizienz der Kraftwerke und Industrieunternehmen wegen der Energiemenge, die für den Prozess des Auffangens, Transportierens und Einlagerns benötigt wird, sowie schließlich durch die Menge an CO2, die in den Endlagern gebunden wird. Derzeit ist es technisch möglich, etwa 90 % des aufgefangenen Kohlendioxids dauerhaft durch Einlagerung zu binden. Für den Betrieb solcher Systeme wird etwa 15-30 % mehr Energie benötigt (in der Hauptsache für das Auffangen des Gases), was zu einem Gesamtwirkungsgrad von etwa 85 % bei der Reduzierung von Treibhausgasemissionen führt.

4.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

4.1

Der Klimawandel ist ein einzigartiges Problem, mit dem die Menschheit in der Neuzeit noch nie konfrontiert wurde. Es handelt sich um ein globales, langfristiges Problem (mehrere Jahrhunderte), das durch komplizierte Wechselwirkungen klimatischer, umweltbezogener, wirtschaftlicher, politischer, institutioneller, sozialer und technologischer Prozesse gekennzeichnet ist. Daraus ergeben sich bedeutende internationale und generationenübergreifende Folgen im Hinblick auf die weiteren Ziele der Gesellschaft wie Gleichheit und nachhaltige Entwicklung. Die Suche nach einer angemessenen Reaktion auf den Klimawandel wird dadurch charakterisiert, dass bei den getroffenen Entscheidungen eine große Unsicherheit mitschwingt und dass die Gefahr gegeben ist, nicht lineare und eventuell unumkehrbare Veränderungen herbeizuführen.

4.2

Die negativen Erscheinungsformen globaler Klimaveränderungen äußern sich in der Zunahme extremer Witterungserscheinungen (z.B. Hochwasser und Überschwemmungen, Erdrutsche, Dürren, Wirbelstürme u.ä.), die fortwährend und in steigendem Maße Menschenleben fordern und Sachwerte beschädigen. Die Kosten-Nutzen-Berechnungen der Maßnahmen zur Abschwächung der Folgen des Klimawandels fallen unterschiedlich aus, je nachdem, wie Wohlstand gemessen wird, in welchem Umfang und nach welcher Methode die Analyse durchgeführt wird und welche Grundannahmen für die Analyse angesetzt werden. Daraus folgt, dass Kosten und Nutzen laut Berechnung nicht unbedingt die tatsächlichen Kosten und den Nutzen widerspiegeln, die durch die Aktivitäten zur Abschwächung des Klimawandels entstehen.

4.3

Solange für die Festlegung der weiteren Politik zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen nicht alle wirtschaftlichen Berechnungen erfolgt sind, droht den Staaten, die das Kyoto-Protokoll unterzeichnet haben, die Gefahr der Abwanderung von Industrieproduktionen in wirtschaftlich entwickelte Staaten, die die Unterzeichnung des Protokolls noch hinauszögern, bzw. auch in Entwicklungsländer, für die aus dem Kyoto-Protokoll bislang noch keine quantitativen Verpflichtungen erwachsen. Die Folge können wirtschaftliche Verluste und ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit sein, ohne dass global gesehen die Emissionen abnehmen würden.

4.4

Zur Durchführung erfolgreicher Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels müssen zahlreiche technische, wirtschaftliche, politische, kulturelle, soziale, verhaltensbedingte und institutionelle Hindernisse überwunden werden, die einer vollen Ausnutzung der technischen, wirtschaftlichen und sozialen Chancen im Wege stehen, die diese Aktivitäten zur Abschwächung des Klimawandels bieten. Das Potenzial dazu wie auch die Art der Hindernisse unterscheiden sich von Region zu Region, von Branche zu Branche und verändern sich auch mit der Zeit.

4.5

Die Effizienz der Maßnahmen zur Abschwächung des Klimawandels kann gesteigert werden, wenn die politischen Aktionen in Bezug auf den Klimawandel mit anderen, nicht klimabezogenen Zielen der nationalen und sektorspezifischen Politikbereiche einhergehen und in eine breite Strategie des Übergangs hin zu langfristigen sozialen und technologischen Veränderungen eingebettet werden, die sowohl im Hinblick auf das Konzept der nachhaltigen Entwicklung als auch zur Eindämmung des Klimawandels erforderlich sind.

4.6

Koordinierte Aktionen zwischen den Ländern und Wirtschaftszweigen können dazu beitragen, die Kosten für die Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels zu reduzieren. Durch sie können zudem die mit der Wettbewerbsfähigkeit zusammenhängenden Fragen und die möglichen Konflikte im Zusammenhang mit den Regeln des internationalen Handels gelöst sowie das Problem der Kohlenstoffemission angegangen werden. Die Gruppe der Staaten, die gemeinsam ihre Treibhausgasemissionen begrenzen wollen, sollte sich auf detailliert geplante und wirkungsvolle internationale Instrumente verständigen.

4.7

Der Klimawandel ist eine globale Erscheinung und muss aus diesem Grunde auch in globalem Zusammenhang angegangen werden. Alle politischen Instrumente und Verhandlungsmöglichkeiten müssen genutzt werden, um die weltweit größten Emittenten von Treibhausgasen in die Bemühungen um eine Verringerung der globalen Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre einzubeziehen. Bei ihrer „Auswahl“ sollten die für die Zeit nach 2012 geschätzten Mengen an freigesetzten Treibhausgasen mit in Rechnung gestellt werden. Echte Fortschritte sind indes nicht möglich, ohne auf angemessene politische und wirtschaftliche Mittel zurückzugreifen.

4.8

Im Hinblick auf die Lissabon-Strategie und die aus der Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen bislang erzielten Ergebnisse ist auch eine realistische Einschätzung des Entschlusses der EU-Mitgliedstaaten vonnöten, allein noch ehrgeizigere Ziele zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen nach dem Jahr 2012 zu verfolgen. In diesem Sinne begrüßt der Ausschuss die Vorschläge, die in der Kommissionsmitteilung „Strategie für eine erfolgreiche Bekämpfung der globalen Klimaänderung“ (KOM(2005) 35 endg.) sowie in den Anhängen enthalten sind.

4.9

Der Ansatz der EU sollte in nächster Zeit darauf ausgerichtet sein, sachliche Argumente für die internationalen Verhandlungen über den Klimawandel auszuarbeiten. Diese Verhandlungen müssen künftig dazu führen, dass ein akzeptabler Weg gefunden wird, um den Prozess zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen nach 2012 unter Teilnahme aller Industriestaaten und der größten Schadstoffproduzenten unter den sich rasch entwickelnden Volkswirtschaften und den Entwicklungsländern insgesamt weiterzuführen. Sollte dies nicht gelingen, muss die Tatsache in Betracht gezogen werden, dass das Kyoto-Protokoll in seiner jetzigen Form im Jahre 2012 lediglich etwa ein Viertel der gesamten Treibhausgasemissionen abdecken wird. Aus diesem Grund kann es in seiner gegenwärtigen Form nicht als geeignetes Instrument zur Lösung der globalen Klimafrage der Zukunft angesehen werden, so dass es notwendig sein wird, nach einer Lösung zu suchen, die an das Protokoll unmittelbar anknüpft. Dazu gehört auch eine Neubewertung der Instrumente zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen einschließlich des EU-ETS, und zwar im Hinblick auf ihre tatsächliche Wirkung bei der Reduzierung der weltweit freigesetzten Menge der Treibhausgase, wie auch im Hinblick auf ihre Kosteneffizienz und den administrativen Aufwand. Eine vergleichende Untersuchung der Vorschläge und Pläne der einzelnen Staatengruppen zur langfristigen Reduktion der Treibhausgasemissionen sollte unverzüglich in Angriff genommen werden, damit rechtzeitig die richtigen Entscheidungen getroffen werden können.

4.10

Die internationale Gemeinschaft sollte durch politische Mittel in die Lösung der globalen Probleme einbezogen werden. Es liegt jedoch auf der Hand, dass eine derartige Einbindung nicht notwendigerweise im Interesse aller großen Emittenten liegen muss, für die sich schon aus geographischen Gründen ein unilateraler Ansatz eher rechnet (USA, China). Wenn im Falle eines politischen Scheiterns die EU auf ihrer führenden Rolle auf dem Gebiet des Klimawandels beharrt, droht die Gefahr, dass ihre Anpassungsfähigkeit in Mitleidenschaft gezogen wird, ohne dass eine merkliche Beeinflussung des Klimawandels zu verzeichnen wäre.

4.11

Diese Probleme können nur gelöst werden, wenn die Kenntnisse darüber bedeutend vertieft werden, welche Ursachen diese Erscheinungen haben und welche Möglichkeiten bestehen, die von Menschen verursachten Wirkungen zu begrenzen. Ohne ausreichende Mittel für Wissenschaft und Forschung, für Überwachung und systematische Beobachtung kann die erforderliche raschere Erweiterung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die tatsächlichen Ursachen des Klimawandels nicht gewährleistet werden.

4.12

Es besteht kein Zweifel daran, dass der Schlüsselfaktor sowohl für den wirtschaftlichen Erfolg als auch für die allmähliche Verringerung der Treibhausgasemissionen in vielerlei Hinsicht eine ressourcenschonende Erzeugung und in erster Linie der sparsame Umgang mit Energie sind. Angemessene und effiziente Instrumente auf dem Gebiet der Energieerzeugung sind nach Ansicht des Ausschusses je nach den spezifischen Bedingungen in den einzelnen Staaten eine verstärkte Energieerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern, unter anderem die Verwendung von Biokraftstoffen für den Verkehr, die rationale Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung sowie die Effizienzsteigerung bei der Elektrizitäts- und Wärmeerzeugung insgesamt — stets in dem Bewusstsein der Grenzen für die Wirksamkeit dieser Instrumente. Mit relativ geringem Aufwand führen die Warmwasserbereitung mit Hilfe der Solarenergie (zum Heizen oder zur Erzeugung von warmem Brauchwasser) und die Nutzung von Wärmepumpen, die gegenwärtig bereits vollkommen rentabel im kleinen Rahmen zum Beispiel zur Beheizung von Einfamilienhäusern genutzt werden, zur Verringerung von Treibhausgasemissionen.

4.13

Als weiteres wirkungsvolles Instrument wird die kohlenstofffreie Elektrizitäts- und Wärmeerzeugung mit Hilfe aller zugänglichen Brennstoffe und Energieträger angesehen, einschließlich der Förderung der Stromerzeugung aus Atomenergie, mit Hilfe der Photovoltaik oder der Wasserstofftechnologie vor allem im Bereich der Forschung und Entwicklung sowie der Erhöhung der Sicherheit der Systeme in Erzeugung und Verbrauch. Auf dem Gebiet der Energiespeicherung geht es neben der klassischen Reduzierung des Energieverbrauchs in der industriellen Fertigung auch um die Qualitätsverbesserung der thermischen Eigenschaften von Gebäuden sowie um eine erhebliche Steigerung des Einsatzes effizienter öffentlicher Verkehrsmittel. Will die EU wirklich die führende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel übernehmen, so werden für diese Instrumente beträchtliche Mittel für Wissenschaft und Forschung sowie bedeutende Anstrengungen zu ihrer Durchführung erforderlich sein.

4.14

Für alle Maßnahmen müssen zunächst gründliche Analysen der Zusammenhänge und möglichen Auswirkungen durchgeführt werden, damit unangemessene Schritte nicht die Wettbewerbsfähigkeit und damit im Grunde genommen auch die Handlungsfähigkeit der EU als Ganzes und der einzelnen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Beispielsweise darf die Förderung der Energieerzeugung aus Biomasse keine negativen Auswirkungen auf bestimmte Industriezweige haben, denen so die Rohstoffbasis entzogen würde. Der Preisanstieg für Energie als Folge einer Maßnahme zur Eindämmung der Treibhausgasemissionen darf keine prohibitive Wirkung entfalten, mit gravierenden sozialen Folgen.

4.15

Zur Gewährleistung der Sicherheit der Bevölkerung sollten unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten Pläne ausgearbeitet werden, um die Anfälligkeit der einzelnen Staaten gegenüber dem Klimawandel zu begrenzen. Außerdem sollte die Entwicklung von Alarm- und Frühwarnsystemen, die mit einer Überwachung und systematischer Beobachtung einhergehen, gefördert werden. Effiziente Schritte auf diesem Gebiet erfordern eine eingehende strategische und wirtschaftliche Analyse, die konkrete Planung sowie die Zuteilung entsprechender Finanzmittel sowohl auf EU-Ebene als auch auf einzelstaatlicher und regionaler Ebene.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  IPCC Working Group 3 report „Climate Change 2001: Mitigation“, technical summary, S. 61.

(2)  Strategie für eine erfolgreiche Bekämpfung der globalen Klimaänderung, KOM(2005) 35 endg. vom 9. Februar 2005, S. 15.

(3)  ABl. L 275 vom 25. Oktober 2003.

(4)  ABl. L 283 vom 27. Oktober 2001, S. 33.

(5)  ABl. L 123 vom 17. Mai 2003, S. 42.

(6)  ABl. L 52 vom 21. Februar 2004, S. 50.

(7)  ABl. L 283 vom 31. Oktober 2003, S. 51.

(8)  KOM(2003) 492 endg.

(9)  Entscheidung 2002/835/EG des Rates vom 30. September 2002.

(10)  KOM(2005) 119 endg. vom 6. April 2005.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgender Änderungsantrag, auf den mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurde bei der Abstimmung abgelehnt:

Ziffer 4.13

Die Ziffer wie folgt ändern:

„Als weiteres wirkungsvolles Instrument wird die kohlenstofffreie Elektrizitäts- und Wärmeerzeugung mit Hilfe aller anderer zugänglicher Brennstoffe und Energieträger angesehen, einschließlich der Förderung der Stromerzeugung aus Atomenergie, insbesondere mit Hilfe der Photovoltaik oder der Wasserstofftechnologie vor allem im Bereich der Forschung und Entwicklung sowie der Erhöhung der Sicherheit der Systeme in Erzeugung und Verbrauch. ...“

Begründung

Die Streichung der Argumentation für Kernenergie ergibt sich aus dem Änderungsantrag zu Ziffer 2.6.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 25

Nein-Stimmen: 54

Stimmenthaltungen: 12


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/71


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Rechtsrahmen für die Verbraucherpolitik“

(2006/C 185/13)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Februar 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Rechtsrahmen für die Verbraucherpolitik“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 28. März 2006 an. Berichterstatter war Herr PEGADO LIZ.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2005 (Sitzung vom 20. April) mit 45 gegen 26 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1

Die Politik jedweder Rechtsgemeinschaft muss auf einer Rechtsgrundlage beruhen, durch die die Grenzen der Zuständigkeit dieser Gemeinschaft und die Parameter ihres Handelns festgelegt sind. Die Europäische Union ist eine solche Rechtsgemeinschaft und muss folglich dieser Anforderung Genüge leisten.

1.2

Eine Rechtsgrundlage muss — wenn sie angemessen, operationell und wirksam sein soll — klar, präzise und eigenständig sein. Sie muss die Ziele, Grundprinzipien und Kriterien für die Durchführung der Politik enthalten, die diese Rechtsgemeinschaft zu gestalten beabsichtigt. Sie muss sämtliche Bereiche der Politik abdecken, für die sie konzipiert wurde.

1.3

Nach der Verabschiedung des Vertrags von Maastricht war die neue Rechtsgrundlage der Europäischen Union für Maßnahmen im Bereich der Verbraucherschutzpolitik Artikel 129a, der sich jedoch rasch als unzulängliche Ausgangsbasis für die Entwicklung einer eigenständigen Politik in diesem Bereich erwies.

1.4

Die mangelhafte Umsetzung dieser Rechtsgrundlage über die Jahre hinweg hat noch weiter untermauert, dass sie nicht als angemessenes und wirksames Fundament für die Förderung einer wirklichen Politik der Interessen der Verbraucher auf Gemeinschaftsebene taugt.

1.5

Die durch den neuen Artikel 153 des Vertrags von Amsterdam eingeführten Änderungen vermochten die genannten Mängel nicht zu beseitigen, und auch die im Hinblick auf die Verabschiedung der Europäischen Verfassung vorgeschlagenen Texte haben keine Abhilfe geschaffen.

1.6

Die Verbraucherpolitik ist ganz offenkundig eines der bürgernächsten Politikfelder. Sie ist imstande, die Zustimmung der Unionsbürger zum europäischen Ideal zu beeinflussen, sofern dieses ihren Bedürfnissen und Wünschen gerecht wird; dem war jedoch nicht immer so (1).

1.7

In den Leitlinien der Kommission im Bereich der Verbraucherschutzpolitik (2) bestätigt sich die — leider beunruhigende — Verschlechterung des Schutzes und der Förderung der Verbraucherinteressen. Diese Unzulänglichkeiten machen Überlegungen bezüglich der Rechtsgrundlage, die der Vertrag in dieser Frage enthält, noch stärker notwendig und vordringlich.

1.8

In dieser Stellungnahme werden derartige Überlegungen ausgeführt. Sie veranlassen den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) zu der Feststellung, dass — neben dem unentbehrlichen politischen Willen, die Politik zum Schutz der Verbraucherinteressen im Sinne einer gesteigerten Förderung der Teilnahme der Verbraucher und des Schutzes ihrer Interessen in allen Bereichen der Gemeinschaftspolitik voranzutreiben — eine grundlegende Untersuchung über die Neugestaltung des Rechtsrahmens für die Verbraucherschutzpolitik erforderlich ist.

1.9

Der EWSA ist dank der zahlreichen Beiträge vieler europäischer Rechtswissenschaftler, deren Sachverstand generell anerkannt wird, in der Lage, als Fazit einen Vorschlag für eine neue Rechtsgrundlage für die Verbraucherpolitik vorzulegen. Diese Rechtsgrundlage könnte entscheidend zu einer Verbesserung, einer Vereinfachung und sogar einer Verringerung der Rechtsvorschriften führen, insofern sie die Empfehlung an die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten enthält, diesen Vorschlag im Zuge einer künftigen Überprüfung des Vertragstextes zu berücksichtigen.

2.   Einleitung: Ziel der Initiativstellungnahme

2.1

Als der EWSA den Beschluss zur Ausarbeitung dieser Initiativstellungnahme fasste, wollte er damit zu eingehenden Überlegungen darüber anregen, auf welche Rechtsgrundlage die Verbraucherpolitik auf europäischer Ebene (d.h. Artikel 153 des EG-Vertrags) zu stützen sei, und zwar sowohl in Anbetracht des den einzelnen Mitgliedstaaten vorgelegten Verfassungstextes als auch des abgeleiteten Rechts. Er war ebenfalls bedacht, die von dieser Frage betroffenen Interessenvertreter sowie Experten auf dem Gebiet des gemeinschaftlichen Verbraucherrechts mit einzubeziehen.

2.1.1

Viele waren sich der derzeitigen mängelbehafteten Formulierung von Artikel 153 EGV bewusst und darin einig, dass diese Unzulänglichkeit der Grund ist, warum dieser Artikel in der Praxis nicht als Rechtsgrundlage des abgeleiteten Rechts auf dem Gebiet der Förderung der Rechte und Interessen der Verbraucher und der Entwicklung der Verbraucherpolitik in der Europäischen Union verwendet wurde. Der Verbraucherpolitik könnte es demnach nur nutzen, wenn sie mit einer geeigneten, praktikablen und effizienten Rechtsgrundlage ausgestattet würde.

2.2

Die europäischen Institutionen im Allgemeinen und die Organisationen der Zivilgesellschaft, die Verbraucherorganisationen und die Sozialpartner im Besonderen wären zweifellos die ersten, denen eine bessere Rechtsgrundlage der Verbraucherpolitik im Vertrag zugute käme.

2.2.1

Der EWSA als institutionelle Vertretung der organisierten Zivilgesellschaft wurde als idealer Ort angesehen, diese Aufgabe im Zeichen des Dialogs zwischen den Sozialpartnern und mit Unterstützung von Hochschulexperten auf diesem Gebiet zu übernehmen.

2.2.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Verbraucherpolitik ganz offenkundig eines der bürgernächsten Politikfelder ist. Sie kann und muss die Zustimmung der Unionsbürger zum europäischen Ideal beeinflussen, sofern dieses ihren Bedürfnissen und Wünschen gerecht wird.

2.2.3

Der EWSA führte am 14. Oktober 2005 eine Anhörung zahlreicher Vertreter durch, die ihr Interesse in dem zu diesem Zweck erstellten Fragebogen bekundet hatten. Die bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck gekommenen Meinungen und Vorschläge haben es ermöglicht, diese Stellungnahme auf ein solideres Fundament zu stellen. Der EWSA dankt an dieser Stelle allen, die die Erarbeitung dieses Textes ermöglicht haben (3).

3.   Fragestellung: Eine Rechtsgrundlage für die Verbraucherpolitik

3.1

Die derzeitige Rechtsgrundlage für die Verbraucherschutzpolitik ist Artikel 153 unter Titel XIV „Verbraucherschutz“ des EG-Vertrags. Dort heißt es wie folgt:

„1.

Zur Förderung der Interessen der Verbraucher und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zum Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher sowie zur Förderung ihres Rechtes auf Information, Erziehung und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen.

2.

Den Erfordernissen des Verbraucherschutzes wird bei der Festlegung und Durchführung der anderen Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen Rechnung getragen.

3.

Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele durch

a)

Maßnahmen, die sie im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts nach Artikel 95 erlässt;

b)

Maßnahmen zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten.

4.

Der Rat beschließt gemäß dem Verfahren des Artikels 251 und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses die Maßnahmen nach Absatz 3 Buchstabe b.

5.

Die nach Absatz 4 beschlossenen Maßnahmen hindern die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Diese Maßnahmen müssen mit diesem Vertrag vereinbar sein. Sie werden von der Kommission mitgeteilt.“ (4)

3.2

Soll der Verbraucherschutz zu einem unter die Zuständigkeit der Europäischen Union fallenden Bereich gemacht werden, so muss er gemäß Artikel 5 des EU-Vertrags unbedingt Gegenstand einer spezifischen Vertragsbestimmung sein. In der konsolidierten Fassung des EU-Vertrags heißt es wie folgt:

„Das Europäische Parlament, der Rat, die Kommission, der Gerichtshof und der Rechnungshof üben ihre Befugnisse nach Maßgabe und im Sinne der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie der nachfolgenden Verträge und Akte zu deren Änderung oder Ergänzung einerseits und der übrigen Bestimmungen des vorliegenden Vertrags andererseits aus.“

3.3

Die Bedeutung dieser Bestimmung, wonach die Mitgliedstaaten die Befugnis haben, über die eigene Zuständigkeit zu entscheiden, muss deshalb unterstrichen werden, weil insbesondere Unzulänglichkeiten des Wortlauts — ein ungenauer oder widersprüchlicher Text — dazu führen können, dass die von den europäischen Institutionen kraft dieses Vertrags später erlassenen Bestimmungen ungültig sind.

3.4

Es sollte an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 5. Oktober 2000 daran erinnert hat, dass ein auf der Grundlage von Artikel 100a EG-Vertrag (jetzt Artikel 95 EGV) erlassener Rechtsakt tatsächlich den Zweck haben muss, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern. Wenn bereits die bloße Feststellung von Unterschieden zwischen den nationalen Vorschriften sowie die abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder Wettbewerbsverzerrungen genügen würden, um die Wahl von Artikel 100 a als Rechtsgrundlage zu rechtfertigen, so könnte der gerichtlichen Kontrolle hinsichtlich der Wahl der Rechtsgrundlage jede Wirksamkeit genommen werden (5).

3.5

Dieses Erfordernis einer klaren und unter einer internationalen Perspektive somit kontrollierbaren Rechtsgrundlage kann auf politischer Ebene auch als unbestreitbares konstitutionelles Signal für die Notwendigkeit einer Verbraucherschutzpolitik verstanden werden. Es sei hier auch daran erinnert, dass in der Einheitlichen Europäischen Akte vom 17./28. Februar 1986 die Unzulänglichkeit des Vertrags von Rom teilweise dadurch behoben wurde, dass ein ausschließlich dem Thema Umwelt gewidmeter Titel — bestehend aus den Artikeln 130 r bis 130 t (jetzt Artikel 174 bis 176 EGV) — aufgenommen wurde. Die in Artikel 175 verfolgten Ziele und die mit diesem Text festgelegten Kriterien für das Tätigwerden der Gemeinschaft im Umweltbereich haben offenbar die Einführung einer effizienten Gesamtheit einschlägiger Normen begünstigt.

3.5.1

Diesbezüglich geht aus der vergleichenden Lektüre der derzeitigen Artikel 175 und 153 des EG-Vertrags deutlich hervor, dass die Qualität der Rechtsgrundlage für ein späteres Tätigwerden entscheidend ist. Im Umweltbereich werden die Ziele klar und präzise dargelegt.

In Artikel 175 werden zudem die Grundprinzipien für ein Tätigwerden der Gemeinschaft in diesem Bereich definiert.

Schließlich sind auch die in Artikel 175 Absatz 3 definierten technischen Parameter Faktoren, die zu einer rationellen und zweckmäßigen Umsetzung der Umweltpolitik beitragen.

3.5.2

Es liegt auf der Hand, dass die Qualität der Rechtsgrundlage in dem Maße, wie der Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Beurteilung der Angemessenheit der Maßnahmen, die er zu erlassen gedenkt, über einen Ermessensspielraum verfügt, von entscheidender Bedeutung ist, da sie die Möglichkeit eines offensichtlichen Irrtums oder Ermessensmissbrauchs oder eines Überschreitens der Grenzen des Ermessensspielsraums verringert (6).

4.   Ist Artikel 153 EGV eine akzeptable Rechtsgrundlage einer Gemeinschaftspolitik für die europäischen Verbraucher?

4.1

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse ist festzustellen, dass der derzeitige Artikel 153 des EG-Vertrags keine Rechtsgrundlage mehr darstellt, die mit Blick auf die Ziele des Verbraucherschutzes ausreichende Garantien bietet.

4.2

Es sei daran erinnert, dass sich das europäische Verbraucherrecht im Wesentlichen gestützt auf Artikel 95 des EG-Vertrags entwickelt hat und den davon ausgehenden Impulsen für die Verwirklichung des Binnenmarkts einiges verdankt. Obwohl die Verbraucherschutzpolitik ein Querschnittsthema darstellt und an anderen Stellen des Vertrags ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung des Verbraucherschutzes verwiesen wird, herrscht generell die Meinung, dass Artikel 153 in seinem derzeitigen Wortlaut unzureichend ist.

4.3

Es ist ferner festzustellen, dass Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher eigentlich nur in Ausnahmefällen auf Artikel 153 (bzw. früher Artikel 129a) gestützt wurden.

4.4

Zu dieser Kritik, die aus der Verbraucherpolitik ein Anhängsel der Regelungen für die Entwicklung des Binnenmarktes macht, kommen die Konsequenzen hinzu, die sich aus dem vorstehend erwähnten Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 5. Oktober 2000 (7) ergeben. Die Ungewissheit, die insbesondere mit dieser Rechtsprechung verbunden ist, kann zur Folge haben, dass die Rechtsgrundlage bestimmter Richtlinien im Bereich des Verbraucherschutzes (Garantie, Versandhandel u.a.) insbesondere durch Vorabentscheidungen in Frage gestellt wird.

4.5

Zudem legt der derzeitige Text das Kriterium des „hohen Verbraucherschutzniveaus“ fest. Dieses hohe Verbraucherschutzniveau, wie es in Artikel 153 definiert ist, bewirkt nicht zwangsläufig, dass innerhalb der Mitgliedstaaten das Rechtssystem ermittelt wird, das die meisten Garantien bietet. Artikel 153 Absatz 5 ermöglicht es in einem solchen Fall, Rechtssysteme mit einer stärkeren Schutzwirkung anzuwenden, sofern diese mit dem Vertrag vereinbar sind.

4.5.1

Darüber hinaus ist die Definition eines „hohen Schutzniveaus“ alles andere als einfach. Die Parameter, die es dabei zu berücksichtigen gilt, werden in Artikel 153 nicht aufgeführt und können zu vielfältigen Interpretationsschwierigkeiten führen.

4.6

Somit ergibt sich heute vor dem Hintergrund der nachstehenden Überlegungen die Notwendigkeit einer Neufassung der Rechtsgrundlage.

4.6.1

Die Verbraucherschutzpolitik muss zu den eigenen Zuständigkeiten der EU gehören, statt eine bloße Ergänzung der Politik der Mitgliedstaaten zu sein. Es passt nicht recht zusammen, vom Verbraucherschutz zu sagen, er könne zur Verbesserung des Binnenmarktes beitragen, und ihn in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zu belassen.

4.6.2

Gesundheit, Sicherheit und die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher werden als Bereiche dargestellt, in denen die Europäische Union ihren Beitrag leisten muss. Es wäre zweckmäßiger, sie eher als Ziele zu betrachten, die auf jeden Fall erweitert werden sollten. Sind ferner die wirtschaftlichen Interessen die einzigen Verbraucherinteressen, die es zu berücksichtigen gilt? Zwischen der Förderung dieser Interessen und dem Beitrag zu ihrem Schutz besteht offenbar ein mehr als augenfälliger Widerspruch.

4.6.3

Das Recht auf Information, Erziehung und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung dieser Interessen sind Prinzipien, die als Grundregeln für die Gestaltung der Politik der EU anerkannt werden sollten.

4.6.4

Die Kriterien, die zur Festlegung des hohen Schutzniveaus herangezogen werden müssen, sind nicht festgelegt, und man sollte sie daher im Vertrag selbst erwähnen.

4.6.5

Überlegungen hinsichtlich eines Verbraucherschutzes mit eigenständiger Rechtsgrundlage sollten von der Priorität, die der Gemeinschaftspolitik sowohl inhaltlich als auch formell zuerkannt werden muss, geleitet sein. Das Prinzip der doppelten Subsidiarität ist eine offenkundige Einschränkung, die sowohl auf europäischer als auch auf einzelstaatlicher Ebene jede Politik zum Ausbau des Verbraucherschutzes lähmt. Die in Artikel 153 enthaltene doppelte Subsidiarität muss unter diesen Bedingungen natürlich aufgegeben werden.

4.6.6

Die Rechtsgrundlage im Vertrag sollte auch Teil eines Ansatzes sein, wonach der Verbraucher nicht nur geschützt oder verteidigt wird, sondern aktiv handelt. Der Verbraucher ist ein Bürger, der bei den Wahlmöglichkeiten, die ihm die Gesellschaft bietet, ein offenkundiges Mitspracherecht haben und gehört werden muss.

4.6.7

Es sollte auch geprüft werden, ob den Verbrauchervereinigungen — als den von den Rechtsakten der Europäischen Union betroffenen repräsentativen Gruppen — in den Vertragsbestimmungen über den Zugang zum Gerichtshof nicht ein direktes Anrufungsrecht gewährt werden sollte.

4.6.8

Hinzuzufügen ist, dass der Text in seinem derzeitigen Wortlaut auf einem restriktiven Konzept des Verbraucherschutzes beruht, das praktisch nur die Vorteile der Information in den Mittelpunkt stellt.

5.   Ziele, Grundsätze und Kriterien für die Festlegung einer Rechtsgrundlage für die Verbraucherpolitik

5.1

Welche Kriterien müssen generell herangezogen werden, um die Qualität einer Rechtsgrundlage in einem Vertrag zu bestimmen?

Aus den oben aufgeführten Elementen geht hervor, dass die Rechtsgrundlage

klar und präzise sein muss,

die im Rahmen der definierten Politik gesetzten Ziele, die Grundprinzipien dieser Politik und die Umsetzungskriterien enthalten muss,

eigenständig sein muss.

Diese verschiedenen Merkmale sind von zentraler Bedeutung, wenn man die genannten Schwierigkeiten beseitigen will.

5.2

Darüber hinaus können in dem Bemühen um eine Nuancierung der Rechtsgrundlage auch Randfragen mit aufgenommen werden. So sollten Wahlmöglichkeiten bezüglich der Qualität der Harmonisierung ins Auge gefasst werden. Von der Kommission wird zum Beispiel die Politik der maximalen bzw. vollkommenen Harmonisierung unterstützt. Es muss zudem sichergestellt werden, dass das gewählte Schutzniveau auch wirklich ein hohes Schutzniveau ist, da ansonsten die Gefahr besteht, dass sich die maximale oder Vollharmonisierung zu Lasten der Verbraucherinteressen entwickelt.

5.3

Mit dem vorgeschlagenen Text soll Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe t des Vertrags dahingehend geändert werden, dass die Politik der Förderung und des Schutzes der Verbraucherinteressen im gleichen Atemzug mit den von den Institutionen verfolgten Zielen genannt wird.

5.4

Der vorgeschlagene Artikel 153 untergliedert sich in drei Teile:

5.4.1

Er enthält eine Auflistung der Ziele der Europäischen Union im Bereich des Verbrauchs. Es sind dies traditionelle Ziele. Dennoch sollten einige ihrer Besonderheiten hervorgehoben werden:

Die Förderung des Rechts auf Information, Erziehung und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung und Vertretung der Interessen der Verbraucher, insbesondere durch die Anerkennung der individuellen und kollektiven Rechte in diesem Bereich, stellt eine Neuerung dar. Sie bringt zwar deutlich zum Ausdruck, dass Verfahren für Verbandsklagen eingerichtet werden müssen, aber auch, dass die Modalitäten für eine kollektive Einbeziehung der Verbraucher in die Gestaltung der sie betreffenden Vorschriften geregelt werden müssen.

Der Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher ist natürlich ein traditionelles Thema, das als eines der Ziele des Vertrags festgeschrieben werden muss.

Die Förderung der rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen der Verbraucher schließlich ist offenkundig ein neues Element. Hier wird der Verbraucher als gesellschaftlicher Akteur statt als einfacher Nutzer von Produkten und Dienstleistungen gesehen. Erst nach der Anerkennung dieser Förderung können Maßnahmen — insbesondere im Bereich der nachhaltigen Entwicklung — erarbeitet werden. In gleicher Linie ist auch eine Politik zu erarbeiten, bei der die Förderung der Verbraucherinteressen eng mit der Achtung der Umwelt verknüpft ist.

5.4.2

In Stadium der Formulierung von Artikel 153 können folgende Grundsätze bekräftigt werden:

Grundsatz der Vorbeugung;

Grundsatz der effizienten Wiedergutmachung;

Grundsatz der Entwicklung eines nachhaltigen Verbrauchs;

Grundsatz, wonach der Verursacher zahlt;

Grundsatz der Teilhabe.

Diese fünf Grundsätze sind notwendige Voraussetzungen, um die oben angesprochene Politik verwirklichen zu können.

5.4.3

Der vorgeschlagene Text erinnert auf traditionelle Weise daran, dass die Erfordernisse, die hier auf einer eigenständigen Basis fußen, auch bei der Entwicklung anderer Politikfelder der EU nicht mehr unberücksichtigt gelassen werden dürfen.

5.4.4

Vor allem bei der Entwicklung dieser Maßnahmen müssen bestimmte Parameter in Betracht gezogen werden. Im Rahmen des Konzepts des hohen Schutzniveaus sind insbesondere die zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen und sozialen Daten zu berücksichtigen, mit denen sich das Verhalten der Verbraucher beim Kauf und der Nutzung von Gütern und Dienstleistungen auf dem Markt genau definieren lässt. Darüber hinaus muss auch die ausdrückliche Anerkennung von Verbandsklagen festgeschrieben werden.

5.4.5

In Artikel 153a wird in seiner hier vorgeschlagenen Form festgelegt, welche Politik vom Rat verfolgt werden muss.

Eine der erörterten Fragen ist die der direkten Wirkung von Richtlinien. Die vorgeschlagene Lösung lautet dahingehend, dass Verordnungen als Harmonisierungstechnik der Vorzug gegeben werden sollte, wodurch die aktuelle Debatte über die Wirkung von Richtlinien denn auch hinfällig wird. So entsteht eine flexible Formel, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, Stellung zu beziehen, wenn sie Schutzmaßnahmen beibehalten oder erlassen wollen.

Diese Lösung begünstigt die maximale Harmonisierung, die jedoch einer Beurteilung von Fall zu Fall unterliegt.

5.4.6

Schließlich enthält der Text von Artikel 153 eine Neuerung in dem Sinne, dass er die Verbrauchervereinigungen nach Maßgabe von Artikel 230 des Vertrags zu Adressaten macht. Mit anderen Worten: Gegen die Gemeinschaftsakte, in denen die Bestimmungen dieses Vertrags verletzt werden, kann von den Verbrauchervereinigungen unmittelbar vor dem Gerichtshof Klage erhoben werden.

6.   Fazit: Vorschlag für eine neue Rechtsgrundlage

In Anbetracht obiger Ausführungen wird der Vorschlag wie folgt formuliert:

Artikel 153

„1.   Die Politik der Gemeinschaft im Bereich Verbraucherfragen gewährleistet die Erreichung der folgenden Ziele:

Förderung des Rechtes auf Information, Erziehung, Teilhabe, Bildung von Vereinigungen zur Verteidigung und Vertretung der Interessen der Verbraucher, insbesondere durch die Anerkennung der individuellen und kollektiven Rechte in diesen Bereichen;

Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucher;

Förderung der rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen der Verbraucher.

2.   Die Politik der Gemeinschaft im Bereich des Verbraucherschutzes zielt auf das höchste Schutzniveau ab. Sie beruht auf den folgenden Grundsätzen:

Grundsatz der Vorbeugung;

Grundsatz der effizienten Wiedergutmachung von Verletzungen der individuellen und kollektiven Rechte und Interessen der Verbraucher;

Grundsatz, wonach der Verursacher zahlt;

Grundsatz der Entwicklung einer Politik des nachhaltigen Verbrauchs und Schutzes;

Grundsatz der Teilhabe der Verbraucher an der Ausarbeitung und Anwendung der Vorschriften über Instanzen, die ihre Interessen vertreten.

3.   Den Erfordernissen des Verbraucherschutzes wird bei der Festlegung und Durchführung der anderen Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen Rechnung getragen.

4.   Bei der Erarbeitung ihrer Verbraucherschutzpolitik berücksichtigt die Gemeinschaft

ein hohes Schutzniveau, das den Verbrauchern in den Mitgliedstaaten zuerkannt wird;

die verfügbaren wirtschaftlichen und sozialen Daten in Bezug auf den Erwerb und die Nutzung der auf dem Markt angebotenen Produkte und Dienstleistungen;

die Effizienz des Klagerechts im Falle einer Beeinträchtigung der Rechte oder Interessen der Verbraucher, insbesondere durch die Anerkennung von Verbandsklagen.

Artikel 153a

1.   Der Rat kann nach dem Verfahren von Artikel 251 und nach Anhörung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses geeignete Vorkehrungen treffen, um zur Verwirklichung der in Artikel 153 Absatz 1 genannten Ziele beizutragen; diese Maßnahmen sind Gegenstand einer regelmäßigen Überprüfung, mit der gewährleistet werden soll, dass sie auch weiterhin ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherstellen.

2.   Die nach Absatz 1 anzuwendenden Harmonisierungsmaßnahmen hindern die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Diese Maßnahmen müssen mit diesem Vertrag vereinbar sein. Sie werden der Kommission mitgeteilt.

3.   Die Kommission beschließt binnen sechs Monaten nach der Mitteilung nach Absatz 2, die betreffende einzelstaatliche Maßnahme abzulehnen, nachdem sie geprüft hat, ob diese das Funktionieren des Binnenmarkts behindert. Trifft die Kommission innerhalb dieser Frist keine Entscheidung, so gilt die Maßnahme als angenommen, außer wenn es aufgrund des schwierigen Sachverhalts geboten ist, die Frist bis auf höchstens ein Jahr zu verlängern. In diesem Fall wird dies dem Mitgliedstaat innerhalb der ersten Sechsmonatsfrist mitgeteilt.

4.   Die Kommission stellt in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten sicher, dass die beschlossenen Maßnahmen zum Schutz der Rechte und Interessen der Verbraucher tatsächlich umgesetzt werden. Insbesondere ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um

a)

bei Verstößen gegen Maßnahmen, die Verpflichtungen oder Verbote für den Verbraucherschutz umfassen, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen aufzuerlegen und anzuwenden;

b)

solche Verstöße abzustellen;

c)

vereinfachte gerichtliche und außergerichtliche Verfahren zur Vorbeugung und Wiedergutmachung bei Verletzung der Rechte und Interessen der Verbraucher und einen gerechten Ausgleich des erlittenen Schadens vorzusehen.

5.   Die Verbrauchervereinigungen, die nach dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten oder durch die Europäische Kommission ordnungsgemäß anerkannt sind, gelten im Sinne von Artikel 230 des Vertrags als Adressaten der Maßnahmen, die gemäß diesem Artikel sowie Artikel 153 ergriffen wurden.“

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Der EWSA hat hierauf insbesondere in seiner Stellungnahme zum Thema „Die Verbraucherpolitik nach der EU-Erweiterung“ (veröffentlicht im ABl. C 221 vom 8.9.2005) aufmerksam gemacht, und auch das Europäische Parlament hat dies in seinem Bericht über die Förderung und den Schutz von Verbraucherinteressen in den neuen Mitgliedstaaten (Berichterstatter: Herr KRISTENSEN, PE 359.904/02-00) anerkannt. Des Weiteren könnte eine derartige Berücksichtigung durch die Entwicklung zusätzlicher Ansätze für Selbstregulierung, Koregulierung und alternative Streitbeilegungsmöglichkeiten besser gewährleistet werden.

(2)  Dies geht eindeutig hervor aus der neuen Richtlinie 2005/29/EG vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken (ABl. L 149 vom 11.6.2005), dem Aktionsprogramm der Gemeinschaft in den Bereichen Gesundheit und Verbraucherschutz (2007-2013) (KOM(2005) 115 endg.) und dem Rückzug des Vorschlags für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt (KOM(2005) 462 endg. vom 27.9.2005).

(3)  An der Anhörung am 14. Oktober 2005 nahmen teil: Carlos ALMARAZ (UNICE), Professor Thierry BOURGOIGNIE (Université du Québec in Montreal), Nuria RODRÍGUEZ (BEUC - Bureau Européen des Unions de Consommateurs), Denis LABATUT und Kalliopi SPYRIDAKI (UGAL - Union of Groups of Independant Retailers of Europe), Jon-Andreas LANGE (Forbrukerradet - Norwegischer Verbraucherrat), William VIDONJA (CEA), Patrick VON BRAUNMÜHL (VZBV – Verbraucherzentrale Bundesverband) und Hubert J.J. VAN BREEMEN (VNO-NVW).

Darüber hinaus haben folgende Personen in Beantwortung des Fragebogens, der an einige Dutzend Juristen und Hochschulexperten in Europa übersandt wurde, schriftliche Bemerkungen übermittelt: Professeur Thierry BOURGOIGNIE (Université du Québec in Montreal), Professor Jean CALAIS-AULOY (Faculté de Droit et des Sciences Economiques de Montpellier), Stephen Crampton (Which?), Professor Mário FROTA (APDC - Associação Portuguesa de Direito do Consumo), Cornelia KUTTERER (BEUC - Bureau Européen des Unions de Consommateurs), Jon-Andreas LANGE (Forbrukerradet - Norwegischer Verbraucherrat), René-Claude MÄDER (CLCV - Consommation, Logement et Cadre de Vie), Professor Stephen WEATHERILL (ECLG), Professor Hans MICKLITZ (Institut für Europäisches Wirtschafts-und Verbraucherrecht e.V. Universität Bamberg), Gaëlle PATETTA (UFC - Que Choisir?), Professor Norbert REICH (Universität Bremen, Fachbereich Rechtswissenschaften), UNICE und Euro Commerce.

(4)  Außer auf diesem Artikel beruht die Verbraucherpolitik auf verschiedenen weiteren Bestimmungen des EU-Vertrags, insbesondere auf dem Vorsatz der Mitgliedstaaten in der Präambel, „den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Völker unter Berücksichtigung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung und im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts zu fördern“ und „eine gemeinsame Unionsbürgerschaft für die Staatsangehörigen ihrer Länder einzuführen“, auf den Bestimmungen in Artikel 2 und 6 des EU-Vertrags sowie auf den Bestimmungen in Artikel 2, Artikel 3 Absatz 1 Buchst. t, Artikel 17 Absatz 2, Artikel 33 Absatz 1 Buchst. e, Artikel 34 Absatz 2 Unterabsatz 2, Artikel 75 Absatz 3 Unterabsatz 2, Artikel 81 Absatz 3 und Artikel 87 Absatz 2 Buchst. a des EG-Vertrags in der sich aus dem Vertrag von Nizza ergebenden Fassung.

(5)  Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, 5. Oktober 2000, Bundesrepublik Deutschland gegen Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union, Rechtssache C-376/98, Slg. 2000, I-8419, insbesondere Rndn. 76-89.

(6)  Vgl. hierzu Urteil des Gerichtshofes vom 20. Oktober 1977, S.A. Roquette Frères gegen französischen Staat, Slg. 1977, S. 1835.

(7)  C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Bundesrepublik Deutschland gegen Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union.


ANHANG I

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge wurden im Verlauf der Debatte abgelehnt, hatten jedoch jeweils mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigt:

Ziffer 1.3

Den ganzen Absatz streichen.

Begründung

Ziffer 1.3 enthält die klare Aussage, dass sich „Artikel 129a [des Vertrags von Maastricht] rasch als unzulängliche Ausgangsbasis für die Entwicklung einer eigenständigen Politik in diesem Bereich erwies“. Diese harte Kritik ist jedoch keineswegs belegt.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 23

Nein-Stimmen: 39

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 1.4

Den ganzen Absatz streichen.

Begründung

Ziffer 1.4 enthält die klare Aussage, „Die mangelhafte Umsetzung dieser Rechtsgrundlage über die Jahre hinweg [habe] noch weiter untermauert, dass sie nicht als angemessenes und wirksames Fundament für die Förderung einer wirklichen Politik der Interessen der Verbraucher auf Gemeinschaftsebene taugt.“ Diese harte Kritik ist jedoch keineswegs belegt.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 23

Nein-Stimmen: 39

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 1.5

Den ganzen Absatz streichen.

Begründung

Ziffer 1.5 enthält die klare Aussage, „Die durch den neuen Artikel 153 des Vertrags von Amsterdam eingeführten Änderungen vermochten die genannten Mängel nicht zu beseitigen, und auch die im Hinblick auf die Verabschiedung der Europäischen Verfassung vorgeschlagenen Texte haben keine Abhilfe geschafft.“ Diese harte Kritik ist jedoch keineswegs belegt.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 23

Nein-Stimmen: 39

Stimmenthaltungen: 5

Ziffer 4.6.1

Ziffer ersatzlos streichen.

Begründung

Durch diese Ziffer, mit der die Verbraucherschutzpolitik zu einer Zuständigkeit der EU gemacht werden soll, würde der Erlass geeigneterer Vorschriften für die Verbraucher in den Mitgliedstaaten unmöglich gemacht.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 26

Nein-Stimmen: 35

Stimmenthaltungen: 8

Ziffer 4.6.7

Text streichen.

Begründung

Es ist nicht wünschenswert, dass die Verbrauchervereinigungen über ein direktes Anrufungsrecht beim Gerichtshof verfügen, da dann alle Interessenverbände dies im Namen ihrer Mitglieder fordern könnten. Ein derartiges Recht könnte inakzeptable Situationen zur Folge haben, wie sie in den Vereinigten Staaten als „class actions“ bekannt sind.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 30

Nein-Stimmen: 38

Stimmenthaltungen: 4

Ziffer 5.4.1

Folgenden Wortlaut streichen:

„Die Förderung des Rechts auf Information, Erziehung und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung und Vertretung der Interessen der Verbraucher, insbesondere durch die Anerkennung der individuellen und kollektiven Rechte in diesem Bereich, stellt eine Neuerung dar. Sie bringt zwar deutlich zum Ausdruck, dass Verfahren für Verbandsklagen eingerichtet werden müssen, aber auch, dass die Modalitäten für eine kollektive Einbeziehung der Verbraucher in die Gestaltung der sie betreffenden Vorschriften geregelt werden müssen.“

Begründung

Es ist nicht wünschenswert, dass die Verbrauchervereinigungen über ein direktes Anrufungsrecht beim Gerichtshof verfügen, da dann alle Interessenverbände dies im Namen ihrer Mitglieder fordern könnten. Ein derartiges Recht könnte inakzeptable Situationen zur Folge haben, wie sie in den Vereinigten Staaten als „class actions“ bekannt sind.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 30

Nein-Stimmen: 40

Stimmenthaltungen: 3

Ziffer 5.4.4

Letzten Satz streichen:

„Vor allem bei der Entwicklung dieser Maßnahmen müssen bestimmte Parameter in Betracht gezogen werden. Im Rahmen des Konzepts des hohen Schutzniveaus sind insbesondere die zur Verfügung stehenden wirtschaftlichen und sozialen Daten zu berücksichtigen, mit denen sich das Verhalten der Verbraucher beim Kauf und der Nutzung von Gütern und Dienstleistungen auf dem Markt genau definieren lässt. Darüber hinaus muss auch die ausdrückliche Anerkennung von Verbandsklagen festgeschrieben werden.

Begründung

Es ist nicht wünschenswert, dass die Verbrauchervereinigungen über ein direktes Anrufungsrecht beim Gerichtshof verfügen, da dann alle Interessenverbände dies im Namen ihrer Mitglieder fordern könnten. Ein derartiges Recht könnte inakzeptable Situationen zur Folge haben, wie sie in den Vereinigten Staaten als „class actions“ bekannt sind.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 27

Nein-Stimmen: 42

Stimmenthaltungen: 4

Ziffer 5.4.6

Text streichen.

Begründung

Es ist nicht wünschenswert, dass die Verbrauchervereinigungen über ein direktes Anrufungsrecht beim Gerichtshof verfügen, da dann alle Interessenverbände dies im Namen ihrer Mitglieder fordern könnten. Ein derartiges Recht könnte inakzeptable Situationen zur Folge haben, wie sie in den Vereinigten Staaten als „class actions“ bekannt sind.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 26

Nein-Stimmen: 44

Stimmenthaltungen: 2

Ziffer 6

Den ganzen Absatz streichen.

Begründung

Ziffer 6 enthält einen ehrgeizigen „Vorschlag für eine neue Rechtsgrundlage“ der Verbraucherschutzpolitik. Wie bezüglich Ziffer 1.3, 1.4 und 1.5 ausgeführt, fehlt es in der Stellungnahme an Belegen dafür, dass solche Änderungen erforderlich sind. Statt eines ausführlichen Änderungsvorschlags zur derzeitigen Rechtsgrundlage der Verbraucherpolitik sollte die Stellungnahme durch wirkliche Argumente gestärkt werden, die aufzeigen, warum die neue Rechtsgrundlage bei der nächsten Revision des Vertragstextes prioritär sein sollte.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 23

Nein-Stimmen: 39

Stimmenthaltungen: 5

Artikel 153

In Absatz 4 den letzten Spiegelstrich streichen:

die Effizienz des Klagerechts im Falle einer Beeinträchtigung der Rechte oder Interessen der Verbraucher, insbesondere durch die Anerkennung von Verbandsklagen.

Begründung

Es ist nicht wünschenswert, dass die Verbrauchervereinigungen über ein direktes Anrufungsrecht beim Gerichtshof verfügen, da dann alle Interessenverbände dies im Namen ihrer Mitglieder fordern könnten. Ein derartiges Recht könnte inakzeptable Situationen zur Folge haben, wie sie in den Vereinigten Staaten als „class actions“ bekannt sind.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 27

Nein-Stimmen: 44

Stimmenthaltungen: 2

Artikel 153a

Ziffer 4 ersatzlos streichen.

Begründung

Durch diesen Text würde die Verbraucherpolitik den Regeln des Binnenmarktes unterworfen. Dies widerspricht dem Tenor der restlichen Stellungnahme.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 27

Nein-Stimmen: 34

Stimmenthaltungen: 14


ANHANG II

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Der folgende Text der Stellungnahme der Fachgruppe, auf den mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurde zugunsten eines Änderungsantrags abgelehnt:

Ziffer 6, Artikel 153a

2.

Die Harmonisierungsmaßnahmen erhalten vorrangig die Form von Verordnungen.

Abstimmungsergebnis

31 Ja-Stimmen zugunsten der Streichung dieser Ziffer

24 Nein-Stimmen

14 Stimmenthaltungen


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/80


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission — Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Ein politischer Rahmen zur Stärkung des Verarbeitenden Gewerbes in der EU — Auf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“

KOM(2005) 474 endg.

(2006/C 185/14)

Die Europäische Kommission beschloss am 5. Oktober 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 28. März 2006 an. Berichterstatter war Herr EHNMARK.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 38 gegen 1 Stimme bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung der Stellungnahme

1.1

Die Lissabon-Strategie bietet eine breite Palette an horizontalen Maßnahmen, um einen Rahmen für die Verbesserung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen. Sektorale Herangehensweisen fehlten dabei bislang. Mit der neuen Mitteilung der Europäischen Kommission unternimmt die EU einen weiteren Schritt zur Schaffung einer gemeinsamen Industriepolitik. Eine gemeinsame Politik und gemeinsame Prioritäten sind dazu angetan, die europäische Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext zu stärken. Die Mitteilung der Kommission zu Rahmenbedingungen für eine „integrierte Industriepolitik“ ist daher sehr zu begrüßen.

1.2

Der EWSA befürwortet die in der Mitteilung vorgenommene ausgedehnte Analyse der notwendigen Fördermaßnahmen in 27 Sektoren der verarbeitenden Industrie. Der EWSA unterstützt auch die Einsetzung von 14 sektorspezifischen und sektorübergreifenden Task-Forces, die das Ziel haben, konkretere Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu entwerfen.

1.3

In der Mitteilung werden jedoch wesentliche Aspekte der Gestaltung und der Umsetzung einer europäischen Industriepolitik ausgelassen. Die Zuständigkeit für die Umsetzung wird anderen Referaten innerhalb der Kommission, nationalen und regionalen Behörden und der Industrie selbst übertragen. Die Frage, wer wofür zuständig ist, bleibt zunächst offen.

1.4

Insbesondere wird in der Mitteilung nicht auf die notwendige Arbeitsverteilung zwischen der EU und der jeweiligen nationalen Ebene hingewiesen. Die 14 neuen sektorspezifischen Task-Forces werden in erster Linie auf EU-Ebene zum Einsatz kommen. Der EWSA hebt hervor, dass die Koordinierung mit der nationalen Ebene gewährleistet werden muss. Hierdurch könnte ein Zeitverlust, den die Industrie sich kaum leisten kann, verhindert werden.

1.5

Die Rolle der Regierung bei Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Grenze zwischen verarbeitender Industrie und Dienstleistungen sind zwei Themen, zu denen die Mitteilung wenige Anhaltspunkte bietet.

1.6

Für die künftige Arbeit hebt der EWSA die Bedeutung einer engen Einbeziehung der Interessenträger, insbesondere der Sozialpartner, hervor. Der EWSA sieht es als erforderlich an, dass die Sozialpartner die Möglichkeit haben, sich auf ein Abkommen über industriellen Wandel und Innovation zu einigen, wie dies bereits in einigen EU-Staaten geschehen ist.

1.7

Die Mitteilung stellt eine Antwort der EU auf die Frage dar, ob die europäische verarbeitende Industrie eine Zukunft hat. Der EWSA seinerseits ist bereit, Themen im Zusammenhang mit der europäischen Industriepolitik in das Netzwerk zur Lissabon-Strategie einzubeziehen.

2.   Einleitung

2.1

Die Halbzeitüberprüfung der Lissabon-Strategie, die im März 2005 dem Europäischen Rat vorgelegt wurde, vermittelt ein sehr gemischtes Bild von den in den ersten fünf Jahren erzielten Ergebnissen.

2.2

Insbesondere in den Bereichen Wirtschafts- und Industriewachstum und Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen ist die Lissabon-Strategie gescheitert. Im Hinblick auf den globalen Wettbewerb hat Europa mit Schwierigkeiten zu kämpfen. In einer Reihe von Index-Rankings zu Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit nehmen die Vereinigten Staaten, zusammen mit den skandinavischen Ländern, eine Spitzenposition ein. Die großen europäischen Volkswirtschaften fallen weit ab. Ein kürzlich veröffentlichtes Ranking des Weltwirtschaftsforums platzierte Großbritannien auf Platz 13, Deutschland auf Platz 15 und Frankreich, unmittelbar gefolgt von Spanien, auf Platz 30. Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass einige der neuen EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Wachstums durchaus Erfolge aufweisen können: 2005 lagen die Wachstumsraten in der Slowakei und in Polen bei 5,5 bzw. 5,4 %.

2.3

Eine kürzlich von dem global operierenden Unternehmensverband „Conference Board“ durchgeführte Untersuchung über den Produktivitätszuwachs zeigt, dass die führenden europäischen Volkswirtschaften innerhalb von zehn Jahren weiter hinter die USA zurückgefallen sind. Die 15 alten Mitgliedstaaten konnten 2005 einen Produktivitätszuwachs von 0,5 % verzeichnen, die USA und Japan im Vergleich dazu 1,8 bzw. 1,9 %.

2.4

Als Reaktion auf die vom Europäischen Rat im März 2005 gefassten Beschlüsse hat die Europäische Kommission im Laufe des Jahres eine beträchtliche Anzahl von Vorschlägen und Mitteilungen vorgelegt, die sich auf die Themen Strukturwandel, Produktivitätssteigerung, Wettbewerbsfähigkeit und Unterstützung von Unternehmergeist sowie von kleineren und mittleren Betrieben bezogen.

2.5

In der Palette der neuen Vorschläge fehlen jedoch gezielte Ansätze für die einzelnen Industriebranchen, insbesondere für das verarbeitende Gewerbe, sowie eine Basis für branchenbezogene bzw. vertikale Unterstützungsmaßnahmen. Mit der neuen Mitteilung „Auf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“ will die Kommission diesem Bedarf nachkommen.

3.   Kurze Darstellung des Vorschlags für eine neuen politischen Rahmen

3.1

Die Mitteilung kann als Auftakt für einen neuen Prozess auf der Grundlage einer Analyse der Wettbewerbssituation in 27 Bereichen der verarbeitenden Industrie gelten.

3.2

Dabei liegt der Schwerpunkt auf den Punkten, die die die Unternehmen selbst als Hindernis für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum ansehen. Der Umstand, dass dabei hauptsächlich kleine und mittlere Unternehmen (KMU) berücksichtigt werden, erklärt sich logischerweise daraus, dass das verarbeitende Gewerbe in der EU überwiegend aus kleinen und mittleren Unternehmen besteht, die 58 % der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe zur Verfügung stellen. Während der Vorbereitungsarbeiten wurden auch zahlreiche Interessenträger konsultiert.

3.3

Die in der Mitteilung analysierten Sektoren des verarbeitenden Gewerbes decken vier Hauptbereiche ab: Nahrungsmittelindustrie und Biowissenschaften, Maschinenbau- und Systemindustrie, Mode- und Designindustrie sowie Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie. Konkret reichen die Industriebranchen von Biotechnologie und Arzneimittel über Maschinenbau und Elektrotechnik, Verteidigungs- und Raumfahrtindustrie, Textilien- und Möbel-, Keramik-, Stahl-, Chemie- bis hin zu Zellstoff- und Papierindustrie.

3.4

Bei der Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit von 27 Sektoren wurden die folgenden Kriterien angelegt:

Gewährleistung eines offenen und wettbewerbsfähigen Binnenmarkts;

Wissen, zum Beispiel Forschung, Innovation und Qualifikationen;

bessere Rechtsetzung;

Schaffung von Synergien zwischen Wettbewerbs-, Energie- und Umweltpolitik;

Sicherstellung einer vollständigen und fairen Beteiligung an den Weltmärkten;

Erleichterung des sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalts.

3.5

Die Schlussfolgerungen für die Sektoren zeigen Fälle auf, in denen, so wörtlich, „einer politischen Herausforderung von den zahlreichen Herausforderungen für den jeweiligen Sektor die höchste Priorität beigemessen wird“. Auch mit diesem Hinweis sind die Schlussfolgerungen nicht ganz verständlich. Für den Bereich Biotechnologie zum Beispiel wird die Forderung nach mehr Forschung, aber nicht die Forderung nach verbesserten Qualifikationen verzeichnet. In der Textilbranche wird die Forderung nach mehr Forschung und verbesserter Qualifikation verbunden mit dem Zugang zu Märkten, aber nicht mit der Notwendigkeit der Bekämpfung von Handelsverzerrungen.

3.6

Die Kommission schlägt sieben wichtige sektorübergreifende politische Maßnahmen vor, um die gemeinsamen Herausforderungen anzugehen und Synergien zu erzeugen. Diese sektorübergreifenden Maßnahmen sind:

Eine Initiative für Rechte an geistigem Eigentum und gegen Nachahmungen;

Eine Hochrangige Gruppe für Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt;

Externe Aspekte der Wettbewerbsfähigkeit und des Markzugangs;

Ein neues Programm zur Vereinfachung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften;

Verbesserung sektorbezogener Qualifikationen;

Management des Strukturwandels im verarbeitenden Gewerbe;

Ein integriertes europäisches Konzept für industrielle Forschung und Innovation.

3.7

Neben den sektorübergreifenden Initiativen geht die Kommission auf eine Reihe von neuen sektorspezifischen Initiativen ein. Diese sind: ein Arzneimittel-Forum, eine Halbzeitüberprüfung der Strategie für Biowissenschaften und Biotechnologie, neue hochrangige Gruppen für die chemische Industrie und die Verteidigungsindustrie, eine Initiative für die europäische Raumfahrtindustrie, eine Task-Force IKT-Wettbewerbsfähigkeit sowie die Aufnahme eines Dialogs über die Politik im Bereich Maschinenbau.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1

Die neue Mitteilung stellt den ersten größeren Versuch dar, umfassende sektorspezifische Initiativen für die Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Innovation in der verarbeitenden Industrie zu entwickeln. Diese Initiative ist zu begrüßen, denn horizontale Maßnahmen und Initiativen sind nicht ausreichend. Aufgrund ihrer Struktur bietet die Mitteilung eine wertvolle Grundlage für Beschlüsse über konkrete Maßnahmen. Die Initiative beinhaltet die genaue Analyse von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in einer Reihe von Industriesektoren.

4.2

Die Kommission hat den Vorschlag als Rahmen zur Prioritätensetzung vorgelegt. Die Einführung von Maßnahmen zur Bewältigung der Globalisierung steht dabei im Mittelpunkt.

4.3

Versäumt wurde, zwischen den Maßnahmen auf EU-Ebene und der notwendigen Einbeziehung der Regierungen, der Industrie und der Interessenträger auf nationaler und regionaler Ebene einen klar erkennbaren Bezug herzustellen. Dieser soll im weiteren Verlauf, insbesondere im Rahmen der neuen sektorspezifischen und sektorübergreifenden Task-Forces entwickelt werden. Es besteht jedoch die deutliche Gefahr dass hiermit ein hohes Maß an Planung verbunden sein wird und die Umsetzung zu kurz kommt.

4.4

Um dies zu vermeiden, empfiehlt der EWSA, gezielte Maßnahmen zu treffen, um die erforderliche Koordinierung zu gewährleisten. Hierdurch würde auch der Spielraum für eine aktive Beteiligung verschiedener Interessenträger erweitert.

4.5

Die neue Mitteilung stellt zusammen mit verschiedenen anderen Vorschlägen und Mitteilungen einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Industriepolitik dar. Ist dieser Ansatz realistisch? Angesichts der Herausforderungen, die auf die europäische Industrie zukommen, ist der EWSA der Ansicht, dass dies zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und zur Nutzung der EU-spezifischen Vorteile, wie das hohe Bildungsniveau und der sehr große Binnenmarkt, wahrscheinlich der geeignetste Weg ist.

4.6

Die Kommission legt Wert darauf hervorzuheben, dass die neue Mitteilung dem Geist der Lissabon-Strategie entsprechen und zu dem Gesamtmaßnahmenpaket der Strategie einen Beitrag leisten soll. Für die tatsächliche Umsetzung im Sinne von mehr Forschung, Bildung oder Rechtsetzung werden andere Referate innerhalb der Kommission sowie nationale und regionale Organe zuständig sein. Planung und Umsetzung müssen koordiniert werden.

4.7

Der Ansatz der Kommission ist nicht ganz eindeutig. Das Gleichgewicht zwischen horizontalen Programmen und neuen sektorspezifischen Maßnahmen sollte überprüft werden.

4.8

Mit der Mitteilung ist nicht zugleich auch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die verschiedenen Maßnahmen verbunden. Stattdessen sollen die notwendigen Mittel auf EU-Ebene aus dem Programm für Wettbewerb und Innovation, dem Forschungsrahmenprogramm, den Strukturfonds und den Bildungsprogrammen fließen, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Koordinierung der einzelnen Politikbereiche, einschließlich der finanziellen Mittel, wird eine schwierige und heikle Aufgabe darstellen, insbesondere da die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel auf europäischer Ebene im Verhältnis zu Bedarf und Erfordernissen relativ begrenzt sind.

4.9

Zur Einführung neuer fortschrittlicher Produktionsmethoden und -maschinen, insbesondere in den KMU, werden günstige Kredite benötigt. Die EIB und der EIF sollten eng in die Arbeit der sektorspezifischen und sektorübergreifenden Planungsgruppen eingebunden werden.

4.10

In dem neuen Vorschlag konzentriert sich die Kommission auf die EU-Ebene, während regionale Aspekte nur am Rande behandelt werden. Die Bedeutung der Ballungsgebiete mit ihrem großen Potenzial zur Förderung von industrieller Innovation und Wettbewerbsfähigkeit ist nicht Bestandteil der Analyse. Diese Aspekte werden ebenso wie Themen in Zusammenhang mit einer regionalen Industriepolitik im weiteren Vorgehen berücksichtigt werden müssen.

4.10.1

Der Ausschuss vermisst konkrete Vorschläge der Kommission bezüglich der Industriesektoren mit einer besonders hohen regionalen Konzentration.

4.11

In den Reaktionen der Industrie und der betroffenen Kreise auf die Maßnahmen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit sind drei Themen vorherrschend: mehr Forschung und mehr Kontakte zur Forschung, mehr Aus- und Fortbildung, insbesondere bei berufsbezogenen Qualifikationen, sowie leichterer Zugang zu Finanzierungshilfen, insbesondere für Existenzgründer und Kleinstunternehmen.

4.12

Die Mehrzahl der in der neuen Mitteilung analysierten Sektoren des verarbeitenden Gewerbes zählen die Verbesserung der sektorspezifischen Qualifikationen zu den Fällen, „in denen einer politischen Herausforderung […] die höchste Priorität beigemessen wird“. Die Themen Qualifikation und Verbesserung von Qualifikation sind von grundlegender Bedeutung. Es bleibt zu hoffen, dass die vorgeschlagene sektorübergreifende Initiative zu Fragen der Qualifikation innovative Vorschläge bieten wird.

4.13

In der Mitteilung wird der Bedeutung der Regierungen bei der Schaffung von fairen Voraussetzungen für die Industrie und insbesondere die verarbeitende Industrie wenig Bedeutung beigemessen. Während der bevorstehenden Arbeit wird sicherlich auch die Frage thematisiert, wie Regierungen die Industrie bezüglich Bildung, Verkehrssysteme, Energielösungen sowie Informations- und Kommunikationstechnologie-Netzen (IKT) — um nur einige Beispiele zu nennen — unterstützen kann.

4.14

In der Mitteilung bleibt die Tatsache unerwähnt, dass die Grenze zwischen verarbeitender Industrie und Dienstleistungen immer mehr verschwimmt. Wie wirkt sich dieser Umstand auf die Humanressourcen, den Marktzugang, auf die Rechtsetzung und den Zugang zu Finanzmitteln aus?

4.15

In der Sparte Zugang zu Finanzmitteln für kleine und mittlere Unternehmen ist zu beobachten, dass lediglich bei fünf von den 27 analysierten Branchen, nämlich der Arzneimittel-, der Biotechnologie-, Medizinprodukte-, der Maschinenbau- und der Elektrotechnikindustrie ein spezifischerer Bedarf festgestellt wird. Es überrascht, dass dieser Bedarf nicht zum Beispiel auch für Industriebranchen aus dem Bereich „Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie“ festgestellt wurde.

5.   Auf dem Weg zu einer europäischen Industriepolitik

5.1

Mit der neuen Mitteilung der Europäischen Kommission unternimmt die EU einen weiteren Schritt zur Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für eine Europäische Industriepolitik. Dies ist zu begrüßen. Eine gemeinsame Politik und gemeinsame Prioritäten sind dazu angetan, die europäische Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext zu stärken. Zugleich muss die europäische Industriepolitik im Zusammenhang mit den Strukturen zur Unterstützung der Industrie (z.B. Bildung und Forschung) und zur Konsultation von Arbeitnehmern — um nur einige Aspekte zu nennen — betrachtet werden. Eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit für Europa ist ohne eine umfassende Beteiligung der Gesellschaft und der Bürger nicht möglich.

5.2

Der Industrie geht es — wie bereits häufig dargelegt — darum, unter gleichen Wettbewerbsbedingungen mit klaren (und unbürokratischen) Signalsystemen zu arbeiten. Eine vielerorts geteilte Haltung ist: So wenig Bürokratie wie möglich, so viel Förderung allgemeiner Art wie möglich. Der Rat für Wettbewerbsfähigkeit äußerte sich auf einer seiner jüngsten Tagungen dahingehend, dass die gesetzlichen und behördlichen Auflagen sich nicht negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken sollten. Ebenso kann auch die Auffassung vertreten werden, dass die durch die EU auferlegten Verwaltungsverpflichtungen nicht als reiner Kostenfaktor zu sehen sind, da sie häufig 25 unterschiedliche nationale Gesetzgebungen ersetzen, wodurch die laufenden Kosten gesenkt werden. Die Kommission gab unlängst in einer Mitteilung zu bedenken, dass die Regulierungskosten — die administrativen Pflichten sind nur eine Komponente — umfassend und unter Einbeziehung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Kosten sowie des Regulierungsnutzens zu analysieren sind.

5.3

Der globale Wettbewerb, dem sich die EU (ebenso wie andere Staatengruppen) stellen muss, ist hart. Selbstzufriedenheit ist hier nicht am Platz. Andererseits kann Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit für Europa kein Selbstzweck sein. Die Existenz einer gesellschaftlichen Vision für Europa wird allgemein anerkannt und folgendermaßen in der Lissabon zusammengefasst: ein hohes Maß an wissensbasierter Wettbewerbsfähigkeit, ein starkes Streben nach sozialem Zusammenhalt, eine verantwortungsvolle Umweltpolitik. Eine europäische Industriepolitik ist zum einen Bestandteil der Lissabon-Strategie, zum anderen aber auch ein Bestreben, das viele Jahre über die Laufzeit der Strategie hinausreicht. Doch ungeachtet des Zeithorizontes wird eine europäische Industriepolitik zu den grundlegenden Zielen der Lissabon-Strategie gezählt werden.

5.3.1

Die Kommission hat dem Rat eine überarbeitete Strategie für nachhaltige Entwicklung zur Beschlussfassung im Laufe des Jahres vorgelegt. Der Rahmen für eine Industriepolitik steht in Einklang mit den Prioritäten der Strategie für nachhaltige Entwicklung.

5.4

Eine europäische Industriepolitik sollte vor diesem Hintergrund hauptsächlich drei Ziele verfolgen: die Feststellung prioritärer Sektoren im Hinblick auf nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, die Durchführung prioritärer Maßnahmen zu deren Erlangung und die beschleunigte Vollendung des Binnenmarktes als einer der wichtigsten Schritte zur Förderung gleicher Wettbewerbsbedingungen. Auf EU-Ebene bedeutet dies, dass genau geprüft werden muss, welche Ziele realistischerweise durch Initiativen auf europäischer Ebene erreicht werden können. Eine Industriepolitik, die dieses Ziel verfolgt, könnte für die Industrie, für Regierungen auf nationaler wie regionaler Ebene, für die Sozialpartner sowie für die organisierte Zivilgesellschaft einen echten zusätzlichen Nutzen darstellen.

5.5

Der Ausschuss begrüßt die Ankündigung der Kommission, Arbeitsgruppen zu mehreren Aspekten einzusetzen. Er ist jedoch der Auffassung, dass die Beziehungen der Industriepolitik zu zwei anderen Bereichen noch zu klären sind, wenn gewisse Unklarheiten beseitigt werden sollen, die der Entwicklung von großen europäischen Industrieprojekten geschadet haben.

5.5.1

Erstens müssen die Beziehungen zwischen der Wettbewerbs- und der Industriepolitik geklärt werden.

5.5.2

Zweitens hat die Kommission einen Aktionsplan zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts vorgelegt, der unter anderem eine Stärkung der Aktionärsrechte vorsieht. Diese Modernisierung darf jedoch Industrieinvestitionen nicht beeinträchtigen.

5.5.3

Die für Wirtschaft, Binnenmarkt, Wettbewerb und Lissabon-Strategie verantwortlichen Mitglieder der Kommission sollten sich untereinander absprechen, um jegliche etwaige Unstimmigkeit zu vermeiden, durch die die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit eines Neuanfangs in der Industriepolitik gefährdet werden könnte.

5.6

Eine europäische Industriepolitik muss der bedeutenden Rolle des öffentlichen Sektors bei der Bereitstellung von Wissen und Infrastruktur — um nur zwei wichtige Aspekte zu nennen — Rechnung tragen. In manchen Ländern werden zwischen der Industrie und dem öffentlichen Sektor enge Verbindungen hergestellt, in anderen Ländern ist dies nicht der Fall. Die Bedeutung des öffentlichen Sektors für die Innovation wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass das Volumen der öffentlichen Ausgaben für Innovationen in den USA doppelt so groß ist wie in Europa. Selbst wenn man berücksichtigt, dass ein großer Teil davon für militärische Zwecke aufgewandt wird, verdeutlicht dies die Bedeutung des öffentlichen Sektors. Mit Blick auf Europa können als einschlägiges Beispiel die vergangenen (und teilweise gegenwärtigen) Ausgaben einiger Länder für die Entwicklung neuer pharmazeutischer Produkte angeführt werden. Die Bedeutung des öffentlichen Sektors zeigt sich auch in seiner Rolle bei der Verbreitung von Informations- und Telekommunikationseinrichtungen, insbesondere von Breitbandnetzen.

5.7

Die Halbzeitüberprüfung der Lissabon-Strategie hat auch die Sozialpartner dazu angeregt, Pläne zur Zukunftssicherung des europäischen verarbeitenden Gewerbes zu entwickeln. Die europäische Arbeitgeberorganisation UNICE hat umfangreiche Kommentare und Vorschläge zu den bisherigen Ergebnissen der Lissabon-Strategie vorgelegt. ORGALIME, die Vertretung der mechanischen, elektronischen und metallverarbeitenden Industrie aus 23 europäischen Ländern, hat als Bestandteil ihrer Kommentare zu der Mitteilung der Kommission einen umfangreichen Plan zur Entwicklung der europäischen verarbeitenden Industrie vorgelegt. Auf Arbeitnehmerseite hat der Europäische Metallgewerkschaftsbund (EMB) im Herbst 2005 unter dem Titel „Aufschwung des europäischen verarbeitenden Gewerbes“ einen Plan vorgelegt, in dem zahlreiche, bereits in den anderen Plänen enthaltene Vorschläge zusammengefasst wurden.

5.8

In dem Plan des EMB werden 15 zentrale, in zwei Themenblöcke aufgeteilte Maßnahmen genannt. Im ersten wird, unter dem Titel „Forschung und Entwicklung“, die Notwendigkeit zusätzlicher Mittel für die Forschung sowie einer stärkeren Beachtung sozialer Innovationen hervorgehoben. Unter der zweiten Überschrift „Soziale Rahmenbedingungen für Innovation“ werden zusätzliche konkrete Maßnahmen zur Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen, von Unternehmertum und lebensbegleitendem Lernen sowie zur Umstrukturierung der europäischen Arbeitsmärkte unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Sicherheit aufgeführt.

5.9

In diesem Aktionsplan spiegelt sich, wie auch in manchen anderen Plänen der Sozialpartner, ein gewisses Maß an Übereinstimmung bei der Analyse der Herausforderungen, denen sich die europäische Industrie gegenübersieht. Allgemein lässt sich ein breiter Konsens hinsichtlich des für Europa einzuschlagenden Weges feststellen. Durch diese Parallelität bei der Feststellung der zentralen Herausforderungen und der zu ergreifenden Maßnahmen ist eine Ausgangsbasis für den sozialen Dialog und für Vereinbarungen der Sozialpartner zur Förderung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit (siehe Kapitel 6) gegeben.

5.10

Durch die Lissabon-Strategie werden die Konzepte einer wissensintensiven Gesellschaft sowie der führenden Rolle Europas bei Qualifikation, Kompetenz, Forschung und Entwicklung erfolgreich gefördert. Das auf dem europäischen Gipfel von Barcelona beschlossene Ziel, 3 % des BIP als Mittel für die Forschung aufzuwenden, fand — in der Theorie — allgemeinen Beifall und allgemeine Unterstützung.

5.11

Es ist bemerkenswert, dass die Kommission bei ihren Dialogen und Diskussionen mit Vertretern der Industrie kaum auf neue Ideen und Lösungen für den wichtigen Wissenstransfer von den Universitäten zur Industrie gestoßen ist. Sie wird diese Themen in einer kommenden Mitteilung selbst wieder aufgreifen. Es muss jedoch den Unternehmen selbst überlassen bleiben, die notwendige Verantwortung für die Herstellung einschlägiger Kontakte zur Forschung zu übernehmen. Angesichts des langsamen Fortschrittes bei der Umsetzung des Ziels, 3 % des europäischen BIP für Forschung und Entwicklung aufzuwenden, ist dieser Mangel an Ideen für den Wissenstransfer besorgniserregend. Ebenfalls Anlass zur Sorge bietet die im Vergleich zu den Hauptkonkurrenten der EU sinkende Zahl von Studenten naturwissenschaftlicher und ingenieurwissenschaftlicher Fächer. Für die kleinen und mittleren Unternehmen ist es besonders wichtig, ihr vorhandenes Humankapital fortzubilden sowie für die Bereiche Produktion und Innovation Hochschulabsolventen einzustellen. Durch das 7. Rahmenprogramm sollten kleine und mittlere Unternehmen bei der Einführung moderner Technologieforschung und Produktionstechnik unterstützt werden.

5.12

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass Europa auch mit der Aufwendung von 3 % seines BIP für Forschung hinter den USA und Japan zurückbleibt. Das Ziel von 3 % ist, wie einige Mitgliedstaaten bereits erklärt haben, ein Zwischenschritt. Der globale Wettbewerb wird es in den kommenden 15-20 Jahren erforderlich machen, dass die Ziele noch höher gesteckt werden.

5.13

Ähnliches gilt auch für den größeren Bedarf an Verbesserung der Qualifikationen sowie lebenslangem Lernen. In Industriekreisen werden verstärkte Maßnahmen zur Verbesserung von Qualifikationen u.ä. bereits thematisiert. Probleme dieser Art können allerdings nicht auf EU-Ebene gelöst werden. Auf EU-Ebene kann lediglich der Bedarf spezifiziert und analysiert werden, die tatsächliche Umsetzung muss jedoch auf nationaler und regionaler Ebene erfolgen. Das Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (CEDEFOP) könnte zweifellos Informationen über wichtige Erfahrungen verbreiten.

5.14

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die weitgefasste bildungspolitische Debatte über lebensbegleitendes Lernen eigentlich in den frühen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts aufkam und die OECD hierzu eine wichtige Analyse beigetragen hat. Seitdem wurden jedoch nicht sehr viele wirklich neue Ansätze erprobt, um die jeweiligen Optionen und Mittel der Industrie, des öffentlichen Sektors und der Einzelpersonen — die mehr Möglichkeiten für eine die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt fördernde Verbesserung ihrer Qualifikation fordern könnten — zusammenzuführen.

5.15

Die Betriebsverlagerungen ins Ausland machen deutlich, dass die zentralen Arbeitnehmerrechte weltweit gewährleistet werden müssen. Das ILO-Übereinkommen von 1998 über die „Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ stellt eine Grundlage für Arbeitsmarktregulierungen und einen Standard dar, der in allen Bereichen der internationalen Governance Anwendung finden sollte. Die Leitsätze der OECD sind politische Engagements der Regierungen. Soll Wandel als etwas Positives aufgefasst werden, dann muss deutlich gemacht werden, dass Wandel zum einen nicht unbedingt ein Nullsummenspiel zu sein hat und zum anderen in den Unternehmen, Branchen, Regionen und Arbeitsmärkten sozial gerecht gestaltet werden kann.

5.15.1

In diesem Zusammenhang ist die Bedeutung der Europäischen Betriebsräte anzuerkennen. Die Betriebsräte sind eine konkrete Reaktion auf die Forderungen nach einer weithin anwendbaren Struktur zur Information und Konsultation in grenzüberschreitend tätigen Unternehmen. Trotz des Zeitaufwandes, der mit dem Aufbau solcher Strukturen verbunden ist, und trotz des etwas unbestimmten Inhaltes der aktuellen Richtlinie zu Betriebsräten, sind diese ein unverzichtbarer Teil der allgemeinen Bemühungen zur Entwicklung einer europäischen Industriepolitik.

5.16

Eine europäische Industriepolitik kann einen wesentlichen Beitrag zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit leisten. Die Mitteilung der Kommission ist hierzu ein Baustein. Der EWSA hat noch zahlreiche weitere Elemente aufgelistet. Der EWSA möchte die Kommission dazu anregen, die Initiative für weitere Diskussionen und Dialoge im Zusammenhang mit dem sozialen Dialog und anderen einschlägigen Foren zu ergreifen.

6.   Bemerkungen zu den sektorspezifischen Vorschlägen

6.1

Der EWSA begrüßt die Wahl der Prüfungsparameter für die Analyse der 27 Bereiche der verarbeitenden Industrie. Trotz dieses sehr anspruchsvollen Ansatzes sind in den einzelnen Ergebnissen der Analyse einige Unstimmigkeiten festzustellen. Der EWSA unterstützt das Vorgehen wie auch die Schlussfolgerungen. Der EWSA kann sich auch der Wahl der Themen für die erste Partie von sektorspezifischen und sektorübergreifenden Task-Forces anschließen.

6.2

Der EWSA begrüßt insbesondere die geplante hochrangige Gruppe für Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Umwelt. Umweltschutz- und Energiespar-Technologien können der EU im weltweiten Wettbewerb einen bedeutenden Vorteil verschaffen. Das neue weltweite Bewusstsein für die Gefahren des Klimawandels als Ergebnis der allzu großen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen dürfte den Bemühungen, Produktions- und Konsumverhalten zu verändern, deutlichen Aufwind geben. Die Aufgaben für die hochrangige Gruppe sind gewaltig. Der Umstand, dass andere Staaten, wie zum Beispiel die USA, jetzt auch stark in umweltfreundliche Technologien investieren, ändert daran nichts.

6.3

Design entwickelt sich zu einem zentralen Element bei Produktentwicklung und Produktmarketing. Das Thema Design sollte nicht in einer einzigen sektorspezifischen Task-Force zum Schwerpunkt werden, sondern als Querschnittsthema in einer Reihe von Task-Forces die nötige Aufmerksamkeit erhalten. In mehreren EU-Staaten ist Industriedesign bereits seit langem erfolgreich. Auf dieser Grundlage sollte weitergearbeitet werden.

6.4

In der Mitteilung der Kommission werden die Themen Kommunikation und Kontakt zur Industrie selbst sowie zu den verschiedenen Stakeholder-Gruppen nicht ausdrücklich behandelt. In Anbetracht dessen, dass die Umsetzung zu einem beträchtlichen Teil durch Information und Kommunikation erfolgen muss, ist diesen Aspekten jedoch große Aufmerksamkeit zu widmen. Auf welchem Wege sollte die große Gruppe von KMU andernfalls an relevante Informationen über gemeinsame Partnerschaften und verschiedene Fördermaßnahmen gelangen?

6.5

Ein weiterer für die Umsetzung zentraler Aspekt wird der Zeitfaktor sein. Die Produktentwicklung in der verarbeitenden Industrie ist — aufgrund des globalen Wettbewerbs — ein rascher Prozess. Die verschiedenen Task-Forces auf europäischer Ebene werden sich enge Zeitrahmen stecken müssen, um denjenigen, die die Entscheidungen über Investitionen und Entwicklungen in der Industrie treffen, einen zusätzlichen Nutzen bieten zu können.

6.6

Der EWSA teilt die Besorgnis der Kommission, dass die Verlagerung von Arbeitsplätzen aus der EU in Niedriglohnländer schmerzhafte Folgen auf lokaler und sektoraler Basis haben kann, insbesondere für gering qualifizierte Arbeitskräfte, denen geholfen werden sollte, die Folgen der industriellen Umstrukturierung zu bewältigen. Der EWSA hat sich bereits in anderen Zusammenhängen dafür ausgesprochen, die Strukturfonds stärker und effizienter für aktive und proaktive Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels zu nutzen. Der jüngste Vorschlag für einen Globalisierungsfonds wird vom EWSA weiter geprüft.

7.   Die Notwendigkeit eines erweiterten sozialen Dialogs

7.1

In einigen Ländern existieren bereits ambitionierte Vereinbarungen der Sozialpartner über Industrieinnovation, die Ausdruck der beiderseitigen Interessen und Prioritäten in Bezug auf die weitere Entwicklung der verarbeitenden Industrie sind.

7.2

Beispielsweise wurde in Schweden 1977 ein Industrieabkommen zwischen den Sozialpartnern unterzeichnet. Seitdem haben die Vertragspartner eine Reihe von Vorschlägen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie unterbreitet. Insbesondere verfolgen die Unterzeichner das Ziel, wettbewerbsfähige Industrieforschungsinstitute einzurichten, den Austausch zwischen Industrie und Bildungseinrichtungen bzw. -instituten zu stärken, neue und expandierende Unternehmen bei Innovationen zu unterstützen sowie Industrieentwicklungszentren zu fördern. Zahlreiche dieser Vorschläge wurden von der Regierung angenommen.

7.3

Der EWSA hebt hervor, dass es gänzlich unverzichtbar ist, die Interessenträger, insbesondere die Sozialpartner, eng in den Prozess der Innovation, Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Umstrukturierung einzubinden. Das Tempo der Veränderungen wird nicht abnehmen. Ein proaktiver, auf gegenseitigem Vertrauen basierender Ansatz gegenüber Veränderungen stellt daher eine Notwendigkeit dar. Für die erfolgreiche Bewältigung des industriellen Wandels ist ein sozialer Dialog erforderlich, der auf gefestigten und vertrauensbasierten Partnerschaften sowie auf einer durch effiziente Repräsentation und stabile Strukturen gekennzeichneten Dialogkultur beruht. Effiziente Repräsentation erfordert auch ein hohes Maß an Wissen über die aktuellen Themen und Möglichkeiten.

7.3.1

Hierbei ist auf die Bemühungen zahlreicher Europäischer Betriebsräte (siehe Ziffer 5.13.1) zu verweisen, die die Kompetenzen der in den Räten tätigen Personen stärken wollen. Dies ist für beide Dialogpartner von Bedeutung. Ohne ein hohes Maß an Wissen und Kompetenz werden die Räte ihrer Aufgabe als einem wichtigem Bestandteil der Konsultation und des Dialogs nicht gerecht werden können.

7.4

Der EWSA hofft, dass die Mitteilung der Kommission über eine integrierte Industriepolitik, in Verbindung mit anderen Initiativen, eine Quelle für Anregungen zur engen Einbindung der Interessenträger, insbesondere der Sozialpartner, in den Veränderungsprozess sein wird. Der EWSA hat seine Haltung zum Thema „Sozialer Dialog und industrieller Wandel“ in einer im September 2005 verabschiedeten Stellungnahme dargelegt (1).

7.5

Als Reaktion auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates 2005 hat der EWSA ein interaktives Netzwerk für den Austausch von Erfahrungen bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie ins Leben gerufen. Der EWSA wird die Ausweitung dieses Netzwerkes auf die Beteiligung von Interessenträgern, insbesondere der Sozialpartner, an der Gestaltung der europäischen Industriepolitik befürworten.

8.

Die Beratende Kommission für den Industriellen Wandel nahm im November 2005 eine zusätzliche Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission „Auf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“ an. Berichterstatter war Herr PEZZINI.

8.1

Die CCMI sieht es darin als äußerst beachtenswert an, dass die Kommission nun im Rahmen der Industriepolitik das Thema sektorspezifische Politik aufgreift. Insbesondere bringt die CCMI ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass diese sektorspezifische Politik wirklich effektiv sein könnte, wenn sie innerhalb des sozialen Dialogs auf lokaler, einzelstaatlicher und europäischer Ebene strukturiert angewandt würde.

8.2

Die CCMI hebt indes hervor, dass in dem Kommissionsdokument konkrete Initiativen, Aktionspläne und vor allem adäquate Finanzmittel für die Durchführung der Maßnahmen fehlen. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es besonders wichtig, die EIB und den EIF in die unternehmerischen Projekte einzubeziehen.

8.3

Die CCMI betont überdies, dass die Kommission die Bedeutung eines zusehends modernen öffentlichen Sektors anerkennen sollte.

8.4

Des Weiteren unterstreicht die CCMI die Bedeutung einer proaktiv konzipierten regionalen Industriepolitik. Sie hebt auch deutlich hervor, dass Handelspolitik für eine erfolgreiche Industriepolitik wichtig ist. Schließlich weist die CCMI nachdrücklich auf die Bedeutung der Kernarbeitsrechte hin, wie sie in den Übereinkommen der ILO festgelegt sind.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  ABl. C 24 vom 31.1.2006.


ANHANG

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Der folgende Änderungsantrag, der mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigen konnten, wurde abgelehnt:

Ziffer 7.5

Den zweiten Satz streichen.

„Als Reaktion auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates 2005 hat der EWSA ein interaktives Netzwerk für den Austausch von Erfahrungen bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie ins Leben gerufen. Der EWSA wird die Ausweitung dieses Netzwerkes auf die Beteiligung von Interessenträgern, insbesondere der Sozialpartner, an der Gestaltung der europäischen Industriepolitik befürworten.“

Begründung

Die Betonung der besonderen Beteiligung der Sozialpartner an der Gestaltung der europäischen Industriepolitik bedeutet, dass die Rolle von KMU, Berufsorganisationen, Branchenverbänden und Wissenschaftsverbänden bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie herabgesetzt wird.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 11

Nein-Stimmen: 27

Stimmenthaltungen: 1


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/87


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Zusammenarbeiten, zusammen mehr erreichen: ein neuer Rahmen für die offene Koordinierung der Sozialschutzpolitik und der Eingliederungspolitik in der Europäischen Union“

KOM(2005) 706 endg.

(2006/C 185/15)

Die Kommission beschloss am 22. Dezember 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. März 2006 an. Berichterstatter war Herr OLSSON.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 31 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Kurzfassung der Position des Ausschusses

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss stimmt den in der Mitteilung unterbreiteten Vorschlägen grundsätzlich zu. Die Kommissionsvorlage wird zur Stärkung der sozialen Dimension der Lissabon-Strategie beitragen, wenn die Mitgliedstaaten dem Ziel, den Sozialschutz zu modernisieren und zu verbessern, mithilfe der neuen Rahmenregelung ein größeres politisches Gewicht einräumen. Wenn die durch die Globalisierung und die alternde Bevölkerung entstehenden Herausforderungen gemeistert werden sollen, muss die soziale Dimension stärker im Vordergrund stehen. Die einzelnen Zielsetzungen der Lissabon-Strategie, insbesondere nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum, mehr und bessere Arbeitsplätze und engerer sozialer Zusammenhalt müssen sowohl unterstützt als auch langfristig gefördert werden.

1.2

Die Europäische Kommission muss einen Dialog mit den Mitgliedstaaten in die Wege leiten, um das Bewusstsein für angemessene Sozialpolitik zu schärfen.

1.3

Auch wenn der EWSA die vorliegende Initiative begrüßt, gibt er zu bedenken, dass den Besonderheiten der drei einzelnen Bereiche, ihrem jeweiligen unterschiedlichen Fortschrittsstand sowie den Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden muss.

1.4

Eines der drei übergreifenden Ziele besteht darin, „die Governance, Transparenz und Einbeziehung von Stakeholdern bei Gestaltung, Durchführung und Monitoring der Politik [zu] verbessern.“ Die Sozialpartner und andere wichtige Akteure der Zivilgesellschaft müssen sehr viel stärker in alle wichtigen Bereiche des Prozesses einbezogen werden.

1.5

Der neue Rahmen und seine Ziele bieten den Mitgliedstaaten eine hervorragende Gelegenheit, die soziale Dimension in ihren Nationalen Reformprogrammen zu betonen und spezifische nationale Prioritäten zu verwirklichen.

1.6

Als Teil seiner fortlaufenden Bemühungen sollte der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss den neuen Rahmen für die offene Koordinierung beobachten und vor der Frühjahrstagung des Rats im Jahr 2007 einen Fortschrittsbericht vorlegen.

2.   Zusammenfassung der Kommissionsvorlage

2.1

Die Kommission schlägt im Einklang mit ihren Plänen aus dem Jahr 2003 vor, in der Sozialschutz- und Eingliederungspolitik die offene Koordinierungsmethode (OKM) in gestraffter Form anzuwenden. Es werden übergreifende Ziele beschrieben, die durch besondere Zielsetzungen für jeden der drei folgenden Teilbereiche ergänzt werden:

(1)

Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung,

(2)

angemessene und tragfähige Altersversorgung,

(3)

für alle zugängliche, qualitativ hochwertige und nachhaltige Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege.

2.2

Dieser Vorschlag zielt darauf ab, neue Rahmenbedingungen festzulegen, um die OKM zu einem wirkungsvolleren, eine stärkere Außenwirkung entfaltenden und besser in die Lissabon-Strategie integrierten Prozess zu machen. Verfahren und Arbeitsweisen müssen verbessert werden (Einbeziehung von Akteuren, Governance, Zeitplan, Berichterstattung, Bewertung, Austausch von vorbildlichen Verfahrensweisen, voneinander lernen, Information). Der neue Rahmenvorschlag umfasst eine Zeitspanne von drei Jahren (2005-2008).

2.3

Auf der Grundlage der gemeinsamen Zielsetzungen sollen die Mitgliedstaaten bis September 2006 Nationale Strategien für Sozialschutz und soziale Eingliederung vorlegen, damit diese bis 15. Oktober 2006 in die Nationalen Reformprogramme (NRP) einfließen können.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Um dem Ausschuss die Möglichkeit zu geben, seiner beratenden Funktion gerecht zu werden, hätte der Vorschlag vor dem 22. Dezember 2005 veröffentlicht werden müssen. Durch die Verspätung war es dem EWSA nicht möglich, einen entsprechenden Beitrag zu den maßgeblichen Ministertreffen und der Frühjahrstagung des Europäischen Rates im März 2006 zu leisten.

3.1.1

Der EWSA hat die knappen Konsultationsfristen bereits bei anderen wichtigen Themen wie dem Vorschlag der Kommission zu der Integrierten Leitlinie für Wachstum und Beschäftigung festgestellt und kritisiert (1).

Der Ausschuss betont, dass bei den Vorarbeiten zu wichtigen Vorschlägen im Rahmen der revidierten Lissabon-Strategie ein Konsultationsverfahren beibehalten werden muss, das diesen Namen auch wirklich verdient.

3.2

Abgesehen davon kann diese Stellungnahme aber, da sich der Vorschlag auf einen Zeitraum von drei Jahren bezieht, zur Umsetzung der neuen Rahmenregelung sowohl durch die Mitgliedstaaten als auch die Kommission und zu den Folgemaßnahmen beitragen.

3.3

Der EWSA hat jüngst seine Standpunkte zur Governance der Lissabon-Strategie dargelegt und sich in diesem Rahmen auch zur Umsetzung der OKM geäußert (2). Im Jahr 2003 verabschiedete der Ausschuss eine Stellungnahme zu dem ersten Vorschlag der Kommission zur Straffung der offenen Koordinierung (3). Ferner nahm er zur Anwendung der OKM im Bereich der Renten und Gesundheitsfürsorge Stellung (4). Derzeit erarbeitet der Ausschuss noch Stellungnahmen zu weiteren Themen in diesem Zusammenhang (5).

3.4

Zum Bedauern des Ausschusses enthalten nur wenige der im Oktober 2005 vorgelegten NRP Elemente zur Förderung von Sozialschutz und sozialer Eingliederung. Die betroffenen Akteure müssen nun nationale Strategien und Reformprogramme entwerfen und umsetzen, um dafür Sorge zu tragen, dass auch die soziale Dimension einbezogen wird. Diese Stellungnahme des EWSA sollte als Beitrag zu diesem Prozess gesehen werden.

3.5

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss stimmt den in der Mitteilung unterbreiteten Vorschlägen grundsätzlich zu. Die Kommissionsvorlage wird zur Stärkung der sozialen Dimension der Lissabon-Strategie beitragen, wenn die Mitgliedstaaten dem Ziel, den Sozialschutz zu modernisieren und zu verbessern, mithilfe der neuen Rahmenregelung ein größeres politisches Gewicht einräumen. Wenn die durch die Globalisierung und die alternde Bevölkerung entstehenden Herausforderungen gemeistert werden sollen, muss die soziale Dimension stärker im Vordergrund stehen. Die einzelnen Zielsetzungen der Lissabon-Strategie, insbesondere nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum, mehr und bessere Arbeitsplätze und engerer sozialer Zusammenhalt müssen sowohl unterstützt als auch langfristig gefördert werden.

3.6

Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der nach wie vor alarmierenden sozialen Lage in der Europäischen Union ruft der Ausschuss die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten dazu auf, den Bürgern ein klares und positives Signal zu geben und dazu verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um die soziale Dimension als dritte Säule der Lissabon-Strategie hervorzuheben.

3.7

Der Ausschuss stellt fest, dass die Politik des Sozialschutzes weitgehend in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Die Kommission muss jedoch einen Dialog mit den Mitgliedstaaten einleiten, um das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer angemessenen Sozialpolitik zu stärken. Der Ausschuss ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, sich ihrer politischen Verantwortung bezüglich der künftigen politischen Herausforderungen zu stellen. Er betont, dass die in der neuen Rahmenregelung aufgeführten europäischen Zielsetzungen nur erreicht werden können, wenn jeder einzelne Mitgliedstaat entschlossen und in der Lage ist, seinen jeweiligen Verpflichtungen zur Förderung des sozialen Fortschritts bei gleichzeitiger Modernisierung und finanziell nachhaltiger Gestaltung des Sozialschutzes gerecht zu werden.

3.8

Das notwendige und positive Wechselspiel zwischen Wirtschaftspolitik, Beschäftigungsstrategien und Sozialschutz muss in vollem Umfang genutzt werden. Ehrgeizige Sozialpolitik auf der Grundlage von Solidarsystemen sollte als Produktivfaktor gesehen werden, der positive Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung hat (6). Gleichzeitig hängt die Nachhaltigkeit der Sozialpolitik vom Wirtschaftswachstum und somit von einer besseren Koordinierung der Wirtschaftspolitik in Europa ab.

3.9

Auch wenn der EWSA die vorliegende Initiative begrüßt, gibt er zu bedenken, dass bei der Zusammenführung der sehr unterschiedlich weit vorangeschrittenen drei Teilbereiche, die einen sehr unterschiedlichen Fortschrittsstand aufweisen, weiterhin ihren jeweiligen Besonderheiten und Entwicklungsstufen sowie den Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden muss.

Die qualitativen Unterschiede der europäischen Instrumente zur Koordinierung der nationalen Politiken müssen in die Überlegungen einbezogen werden. Während im Bereich der sozialen Eingliederung konkrete Leitlinien und Zielvorgaben — vergleichbar den Beschäftigungspolitischen Leitlinien — Sinn machen, bleibt die europäische Koordinierung im Bereich der Rentensysteme wie auch im Gesundheitsbereich weitgehend auf die Verständigung über allgemeine qualitative Ziele beschränkt.

3.10

Bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen in den drei Teilbereichen sollten die Mitgliedstaaten die zwischen ihnen bestehenden Synergien in vollem Umfang nutzen, denn in vielen Fällen gibt es Überschneidungen. Eine Maßnahme, die in einem Teilbereich ergriffen wird, kann direkte Auswirkungen auf die anderen Teilbereiche haben. Außerdem ist es wichtig, dass die Mitgliedstaaten ihren politischen Willensbekundungen konkrete Taten folgen lassen.

4.   Besondere Bemerkungen

Einbeziehung von Akteuren

4.1

Eines der drei übergreifenden Ziele besteht darin, „die Governance, Transparenz und Einbeziehung von Stakeholdern bei Gestaltung, Durchführung und Monitoring der Politik [zu] verbessern.“

Die Sozialpartner und andere wichtige Akteure der Zivilgesellschaft werden immer noch viel zu wenig einbezogen. Die Nutzung der OKM in bestimmten Bereichen hat nicht die erwarteten Ergebnisse erbracht, da die Mitgliedstaaten kein echtes Engagement für die vereinbarten Ziele und Maßnahmen an den Tag gelegt haben. So weisen die nationalen Aktionspläne mehrerer Staaten insbesondere Mängel in Bezug auf die Festlegung eindeutiger nationaler Ziele und Strategien sowie in Bezug auf die aktive Beteiligung aller einschlägigen Akteure auf. Aus den nationalen Plänen für Beschäftigung, soziale Eingliederung und andere Bereiche sind zum Teil bloße bürokratische Tätigkeitsberichte geworden.

4.2

Der Ausschuss ist überzeugt, dass durch eine stärkere Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft in die einzelnen Schritte des Prozesses die Qualität der Nationalen Aktionsprogramme steigen wird. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Bedenken und Hoffnungen der Bürger in den Plänen berücksichtigt werden.

4.3

Die Kommission argumentiert zu Recht, dass die OKM die Mitwirkung bei der Gestaltung der Sozialpolitik fördern kann. Im Einvernehmen mit den Sozialpartnern und sonstigen maßgeblichen Akteuren der Zivilgesellschaft muss ein Konsens über Reformen im Hinblick auf eine Modernisierung des Sozialschutzes bei finanzieller Nachhaltigkeit erzielt werden. Der Ausschuss befürwortet eine umfassende Einbeziehung in allen Phasen — von der Politikgestaltung bis zur Umsetzung und Bewertung. Eine partizipative Beschlussfindung entbindet die gewählten Gesetzgeber jedoch nicht von ihrer Verantwortung, den sozialen Fortschritt und ein hohes Maß an Sozialschutz zu fördern.

4.4

Der Ausschuss nimmt zur Kenntnis, dass die Fortschritte der OKM in den drei Bereichen, die die neue Rahmenregelung umfasst, voneinander abweichen. Bei der OKM zur sozialen Eingliederung hat mehr Partizipation stattgefunden als bei der OKM zu den Renten. Im letztgenannten Bereich sind die Sozialpartner und andere Schlüsselakteure nur in sehr begrenztem Maße eingebunden worden. Obschon auch im Bereich der OKM zur sozialen Eingliederung weitere Verbesserungen dringend vonnöten sind, möchte der Ausschuss mit Nachdruck den Standpunkt der Kommission betonen, dass hinsichtlich der beiden anderen Teilbereiche eine stärkere Einbeziehung der verschiedenen Interessenträger angestrebt werden muss.

4.5

Im Gegensatz zu der begrenzten Partizipation im Rahmen der OKM zur Rentenstrategie hat der Ausschuss eine sehr viel stärkere Einbindung der Akteure im Bereich von Legislativmaßnahmen zur betrieblichen Altersvorsorge auf europäischer Ebene festgestellt. Dieser Gegensatz zeigt, dass die OKM für die betroffenen Akteure interessanter und lohnender gemacht werden muss.

4.6

Der EWSA schlägt vor, dass die Treffen des Ausschusses für Sozialschutz regelmäßiger und auf einer breiteren Basis — mit Vertretern der Sozialpartner und sonstiger maßgeblicher Organisationen der Zivilgesellschaft aus Europa und den Mitgliedstaaten — organisiert werden sollten. Der EWSA ist außerdem der Ansicht, dass die Regierungsvertreter im Ausschuss für Sozialschutz stark in der Verantwortung stehen, in ihren Heimatländern Konsultationen mit den Sozialpartnern und anderen maßgeblichen Akteuren der Zivilgesellschaft zu veranstalten sowie an diesen teilzunehmen.

4.7

Als Teil seiner fortlaufenden Bemühungen zur Umsetzung der Lissabon-Strategie (7) sollte der EWSA die Sozialpartner, die wichtigen Organisationen der Zivilgesellschaft und, wo es sie gibt, die Wirtschafts- und Sozialräte in die Beobachtung des neuen Rahmens für die offene Koordinierung und die Berichterstattung vor der Frühjahrstagung im Jahr 2007 einbinden. Der Ausschuss sollte sein Hauptaugenmerk auf die Governance sowie auf Bereiche richten, in denen sich eine echte Einbeziehung der betroffenen Akteure als erfolgreiches Instrument zur Gestaltung und Umsetzung der nationalen Prioritäten erwiesen hat.

4.8   Transparenz

Damit Partizipation nicht nur ein leeres Wort bleibt, müssen politische Schlüsseldokumente rechtzeitig für die interessierten Kreise zugänglich sein. Transparenz ist außerdem notwendig, wenn die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten die neue Rahmenregelung analysieren und bewerten und z.B. Peer Reviews durchgeführt und Indikatoren festgelegt werden.

4.9   Voneinander lernen und bewährte Verfahrensweisen

Der wechselseitige Lernprozess ist in allen drei Bereichen von größter Bedeutung. Es müssen effiziente Systeme zur Verbreitung bewährter Verfahrensweisen und zur Nutzung nicht legislativer Maßnahmen entwickelt werden. Bei dem Erfahrungsaustausch und den Prozessen des Voneinander-Lernens müssen Entscheidungsträger aller Ebenen einbezogen werden. Da die Sozialpartner und die übrigen maßgeblichen Akteure der Zivilgesellschaft über außerordentliches Wissen und umfassende Erfahrung in der Sozialpolitik verfügen, müssen sie bei der Ermittlung und Bewertung der Möglichkeiten zur Verbreitung bewährter Verfahrensweisen einbezogen werden. Zu den horizontalen Faktoren, die für den Erfolg der neuen Rahmenregelung entscheidend sind, gehören u.a. Modelle zur partizipativen Entscheidungsfindung und zur Einbindung der Akteure. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Wege und Methoden zur Schaffung einer integrativen Gesellschaft gefunden werden. Schließlich besteht die Notwendigkeit, Sozialschutz und Wettbewerbsfähigkeit miteinander in Einklang zu bringen, ohne dabei Gruppen aus dem Arbeitsmarkt auszuschließen. In dieser Hinsicht bezieht sich der EWSA auf die aktuellen Debatten über den Ansatz eines lebenslangen Zugangs zum Arbeitsmarkt und einer Ausgeglichenheit zwischen Flexibilität und Arbeitsplatzsicherheit (8).

4.10   Peer Reviews

Peer Reviews und der Austausch bewährter Praktiken sind hilfreiche Instrumente, weil sie konkret sind und den Betroffenen Ideen vermitteln. Die Kommission muss dafür Sorge tragen, dass die Sozialpartner und andere wichtige Organisationen der Zivilgesellschaft im Rahmen der Peer Reviews einbezogen werden.

4.11   Das „PROGRESS-Programm“ der EU

Die Sozialpartner und sonstige maßgebliche Organisationen der Zivilgesellschaft müssen berechtigt sein, Projekte in allen Bereichen des neuen PROGRESS-Programms auszuführen. Der EWSA hat in seiner Stellungnahme Bedenken hinsichtlich der bescheidenen finanziellen Ausstattung des Programms geäußert (9). Die Bedenken des EWSA haben sich nach dem Beschluss des Rates zur Finanziellen Vorausschau für 2007-2013 noch verstärkt. Der Ausschuss wiederholt mit Nachdruck seine Forderung nach ausreichenden Finanzmitteln, die für alle Bereiche des Programms einschließlich Projekten auf dem Gebiet des Sozialschutzes und der sozialen Eingliederung zur Verfügung gestellt werden müssen.

4.12   Indikatoren

Ein analytischer Ansatz, der auf aussagekräftigen, verlässlichen und vergleichbaren Indikatoren beruht, ist unerlässlich, um eine ausreichend detailgenaue und wirklichkeitsgetreue Beschreibung der Fortschritte bei der Erreichung der Zielsetzungen zu liefern. Forschungsmittel sind nötig, um die entscheidenden Indikatoren herauszuarbeiten. Die Zuverlässigkeit bei der Datensammlung und -auswertung muss garantiert sein. Während Indikatoren sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene aufgestellt werden, ruft der EWSA zum wiederholten Male dazu auf, die Akteure aufzufordern, sich an der Formulierung und Bewertung der Indikatoren zu beteiligen (10). Sowohl der Ausschuss für Sozialschutz als auch die Mitgliedstaaten sollten in diesem Bereich tätig werden.

Es müssen auch qualitative Indikatoren entwickelt werden, und es ist von Bedeutung, dass auf der Grundlage der menschlichen Bedürfnisse einschlägige Kriterien bei der Wahl der Indikatoren berücksichtigt werden, um beispielsweise die allgemeine Zugänglichkeit des Sozialschutzes, die Qualität im Verhältnis zu den Erwartungen sowie die Einbeziehung der Nutzer und eine nutzerfreundliche Behandlung zu bewerten.

Die in der OKM benutzten Indikatoren müssen notwendigerweise mit denen der Lissabon-Strategie verknüpft werden, um ein umfassendes Bild der erzielten Fortschritte zu vermitteln.

4.13   Außenwirkung steigern

Der Ausschuss hat vielfach hervorgehoben, dass die Kommunikation zwischen Europa und seinen Bürgern durch den bestehenden Mangel an zweckdienlichen und transparenten Informationen behindert wird. Da es bei der neuen Rahmenregelung um Themen geht, die die Bürger unmittelbar betreffen, hebt der EWSA hervor, dass es wichtig ist, auf allen Ebenen eine ständige Debatte über die künftigen Herausforderungen und strategischen Entscheidungen in Bereichen wie Sozialschutz, Renten, Gesundheitswesen und soziale Eingliederung zu organisieren. In diesem Zusammenhang muss die Europäische Kommission auch für eine öffentlichkeitswirksamere Darstellung ihrer eigenen Tätigkeiten Sorge tragen. In anderen Stellungnahmen (11) hat der EWSA Vorschläge unterbreitet, wie eine solche Debatte im Rahmen der Lissabon-Strategie gefördert werden kann.

5.   Ergänzende Bemerkungen zu den Zielsetzungen

5.1

Der neue Rahmen und seine Ziele bieten den Mitgliedstaaten eine hervorragende Gelegenheit, die soziale Dimension in ihren Nationalen Reformprogrammen zu betonen und spezifische nationale Prioritäten zu verwirklichen, die an die Gesamtziele von Lissabon bei umfassender Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips anknüpfen. Der EWSA ruft die Mitgliedstaaten jedoch mit Nachdruck dazu auf, die von der Europäischen Kommission ausgearbeiteten Leitlinien durchweg zu beachten (12).

5.2

Im Bereich der sozialen Eingliederung („Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung“) werden die Mitgliedstaaten im Jahre 2006 neue Nationale Aktionspläne zur sozialen Eingliederung erstellen.

5.2.1

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass in Bezug auf die prioritären Handlungsbereiche, die auf dem Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung im März 2005 festgelegt wurden, konkrete Maßnahmen eingeleitet werden müssen. Der EWSA ruft die EU-Zielsetzung in Erinnerung, derzufolge die Mitgliedstaaten entschiedene Schritte zu unternehmen haben, um die Armut bis 2010 zu beseitigen (13). Außerdem betont der Ausschuss, dass politische Maßnahmen zur Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung in Anbetracht der demografischen Herausforderung von Bedeutung sind.

5.2.2

Nach Ansicht des Ausschusses müssten folgende Themen im Mittelpunkt stehen:

Bekämpfung der Armut, insbesondere der Kinder- und Jugendarmut, in einem politischen Rahmen, der Kinder und Familien (insbesondere alleinerziehende Eltern) unterstützt und Gleichheit fördert, wobei auch eine Weitergabe von Armut zwischen den Generationen zu verhindern ist;

neue und bessere Arbeitsplätze für die am stärksten Benachteiligten — auch für die unter der Armutsgrenze lebenden Erwerbstätigen;

Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen;

Förderung der Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen;

Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung;

Eingliederung ethnischer Minderheiten;

Bekämpfung und Vermeidung von Obdachlosigkeit;

Zugang zu qualitativ hochstehender Gesundheitsversorgung und sozialen Diensten — unabhängig vom Einkommen;

die Lage chronisch kranker Menschen;

Garantie eines Mindesteinkommens, Maßnahmen zur Verminderung von Verschuldung und Zugang zu Finanzdienstleistungen und Mikrokrediten.

5.3

Im Bereich der Rente („Angemessene und tragfähige Altersversorgung“) wurden im vergangenen Jahr nationale Rentenstrategien vorgelegt. Für das Jahr 2006 ist nur noch eine Feinabstimmung zu erwarten.

5.3.1

Vorrangige Themen könnten sein:

Gewährleistung eines Einkommens im Alter, mit dem ältere Menschen in Würde leben können, um so zu verhindern, dass sie an den Rand gedrängt werden;

Rentensysteme, bei denen auch Personen adäquat abgesichert sind, die neuartige Beschäftigungsverhältnisse eingegangen sind oder eine selbstständige Tätigkeit ausüben;

Unterstützung bei der individuellen Rentenplanung.

5.4

Im Bereich der Gesundheitsfürsorge und der Langzeitpflege („für alle zugängliche, qualitativ hochwertige und nachhaltige Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege“) werden die Mitgliedstaaten nun erstmalig nationale Pläne erstellen.

5.4.1

Der Ausschuss möchte betonen, dass qualitativ hochstehende und dem technischen Stand entsprechende Pflegedienste für alle zugänglich sein müssen. Um die Gesundheitsfürsorge und die Langzeitpflege nachhaltig finanzierbar zu machen, müssen die Mitgliedstaaten unbedingt Maßnahmen im Präventionsbereich ergreifen.

5.4.2

Vorrangige Themen der neuen nationalen Aktionspläne könnten sein:

Gesundheitliche Vorsorge (sowohl medizinisch als auch nichtmedizinisch);

Gesundheitspflege am Arbeitsplatz für alle, um insbesondere psychische und physische Krankheiten zu verhindern und so eine Verlängerung des Arbeitslebens zu ermöglichen;

Zusammenarbeit zwischen sozialen Dienstleistern und Leistungserbringern im Gesundheitswesen;

Die Beziehung zwischen den Leistungserbringern im Pflege- und Gesundheitswesen und den Erzeugern von Waren und Dienstleistungen für diesen Sektor;

Leistungen zur Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen;

Qualitätsstandards;

Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für die verschiedenen Kategorien von Arbeitnehmern im Pflege- und Gesundheitswesen, um das Pflegepersonal in diesem Sektor zu halten bzw. um neue Arbeitskräfte zu gewinnen;

Patientenrechte;

Bereitstellung häuslicher Pflege.

Brüssel, den 20. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Siehe die Stellungnahme des EWSA „Beschäftigungspolitische Leitlinien – 2005/2008“, Berichterstatter Herr MALOSSE, ABl. C 286 vom 17.11.2005.

(2)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Auf dem Weg zur europäischen Wissensgesellschaft - Der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zur Lissabon-Strategie“ (Sondierungsstellungnahme), Berichterstatter: Herr OLSSON, Mitberichterstatter: Frau BELABED und Herr VAN IERSEL (ABl. C 65 vom 17.3.2006).

(3)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Stärkung der sozialen Dimension der Lissabonner Strategie - Straffung der offenen Koordinierung im Bereich Sozialschutz“, Berichterstatter: Herr BEIRNAERT, veröffentlicht im ABl. C 32 vom 5.2.2004.

(4)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss: Unterstützung nationaler Strategien für zukunftssichere Renten durch eine integrierte Vorgehensweise“, Berichterstatterin: Frau CASSINA, veröffentlicht im ABl. C 48 vom 21.2.2002, Seite 101.

(5)  Siehe die laufenden Arbeiten des EWSA zu den Themen „Sozialer Zusammenhalt: Ein europäisches Sozialmodell mit Inhalt füllen“, SOC/237 und „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“, SOC/197.

(6)  Siehe die EWSA-Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission - Sozialpolitische Agenda“, Ziffer 1.2, Berichterstatterin: Frau ENGELEN-KEFER, ABl. C 294 vom 25.11.2005.

(7)  Umsetzung der Lissabon-Strategie, Beiträge auf Grund des Auftrages durch den Europäischen Rat vom 22./23. März 2005.

(8)  Siehe die laufenden Arbeiten des EWSA zum Thema „Flexicurity nach dänischem Muster“, Berichterstatterin: Frau VIUM, ECO/167, und die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Auf dem Weg zur europäischen Wissensgesellschaft - Der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zur Lissabon-Strategie“ (Sondierungsstellungnahme), Berichterstatter: Herr OLSSON, Mitberichterstatter: Frau BELABED und Herr VAN IERSEL, ABl. C 65 vom 17.3.2006.

(9)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinschaftsprogramm für Beschäftigung und soziale Solidarität - PROGRESS“, Berichterstatter: Herr GREIF, ABl. C 255 vom 14.10.2005.

(10)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zu den „Sozialindikatoren“ (Initiativstellungnahme), Berichterstatterin: Frau CASSINA, ABl. C 221 vom 19.9.2002.

(11)  Siehe die Stellungnahme des EWSA zu dem „Beitrag der Kommission in der Zeit der Reflexion und danach: Plan D für Demokratie, Dialog und Diskussion“ (Initiativstellungnahme), Berichterstatterin: Frau TURNHOUT (ABl. C 65 vom 17.3.2006), und die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Auf dem Weg zur europäischen Wissensgesellschaft - Der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zur Lissabon-Strategie“ (Sondierungsstellungnahme), Berichterstatter: Herr OLSSON, Mitberichterstatter: Frau BELABED und Herr VAN IERSEL, CESE 1500/2005.

(12)  Arbeitsdokument der Europäischen Kommission über Leitlinien für die Erstellung der Nationalen Berichte über Strategien im Bereich des Sozialschutzes und der sozialen Eingliederung.

(13)  Europäischer Rat von Lissabon im März 2000.


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/92


Stellungnahme der Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Übermittlung von Angaben zum Auftraggeber bei Geldtransfers“

KOM(2005) 343 endg. — 2005/0138 (COD)

(2006/C 185/16)

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 26. September 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 23. März 2006 an. Berichterstatter war Herr BURANI.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 21. April 2006 mit 85 gegen 15 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Mit der vorgeschlagenen Verordnung soll die Sonderempfehlung VII (SE VII) der Arbeitsgruppe „Finanzielle Maßnahmen gegen die Geldwäsche und die Terrorismusfinanzierung“ (FATF) in das Gemeinschaftsrecht umgesetzt werden. Die SE VII wurde abgegeben, um zu verhindern, dass Terroristen und andere Straftäter für die Verbringung ihrer Gelder unbeschränkten Zugang zu elektronischen Finanztransfermöglichkeiten haben, und um die Aufdeckung von Missbrauchsfällen zu gewährleisten (1). Die Verordnung gehört zu einer Reihe von Rechts- und Verwaltungsvorschriften, deren Ziel es ist, zum einen Vermögensgegenstände von Terroristen einzufrieren  (2) und zum anderen die Geldwäsche zu verhindern  (3).

1.2

Grundsätzlich sind die in dem Kommissionsvorschlag vorgesehenen Maßnahmen einfach in der Form, jedoch inhalts- und folgenschwer in der praktischen Umsetzung. Gemäß dem Vorschlag sollen die Zahlungsverkehrsdienstleister — in der Regel die Finanzinstitute, die die Überweisungen ausführen — verpflichtet werden, die Angaben zum Auftraggeber zu ermitteln: diese Angaben müssen die gesamte Geldbewegung vom Zahlungsverkehrsdienstleister des Auftraggebers bis zum Zahlungsverkehrsdienstleister des Endempfängers (Begünstigter) begleiten. Die Rechtsvorschrift soll für Geldüberweisungen innerhalb der EU und, mit einigen Ausnahmen und Abweichungen, auch für Geldtransfers aus und in Drittländer(n) gelten.

1.3

Der EWSA stimmt vollkommen zu, dass es einer Verordnung bedarf, die ihre Legitimität aus Artikel 95 EG-Vertrag bezieht; diese Lösung wurde darüber hinaus im Vorfeld von den Mitgliedstaaten und dem Sektor der Zahlungsverkehrsdienstleister befürwortet. Es besteht generelles Einvernehmen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit, ein unmittelbar anzuwendendes Rechtsinstrument wie die Verordnung anstatt einer Richtlinie zu erlassen, deren Umsetzung in einzelstaatliches Recht einer uneinheitlichen Anwendung Vorschub leisten würde. Die in dem Kommissionsdokument vorgesehenen Maßnahmen sind grundsätzlich richtig und vernünftig; gleichwohl hegt der EWSA einige Bedenken in Bezug auf deren praktische Wirksamkeit, zumindest auf kurze Sicht.

1.4

Nach Auffassung des EWSA weist diese Verordnung nämlich einige „Schwachstellen“ auf, weil sie den Zahlungsverkehrsdienstleistern großen individuellen Ermessensspielraum gewährt und technische Verfahren vorsieht, die den Straftätern viel Freiraum lassen, um sie zu umgehen.

2.   Allgemeine Bemerkungen und Kommentare

2.1

Das Problem der Bekämpfung rechtswidriger Handlungen (ein Euphemismus, mit dem die Aktivitäten der organisierten Kriminalität bisweilen im Gemeinschaftsjargon bezeichnet werden und der endlich aufgegeben werden sollte) wurde erstmals zusammenhängend — zumindest in konzeptioneller Hinsicht — vom Europäischen Rat in Dublin 1996 behandelt und in einen Aktionsplan umgemünzt, der vom Europäischen Rat in Amsterdam 1997 angenommen wurde (4). Es handelte sich dabei um 30 detaillierte und aufeinander abgestimmte Programme, die bis spätestens Ende 1998 umgesetzt werden sollten; inzwischen sind acht Jahre vergangen, und der größte Teil von ihnen wurde immer noch nicht verwirklicht.

2.2

Der Begriff der „organisierten Kriminalität“ wurde später mehrfach weiterentwickelt: 1998 lenkte OLAF (5) (damals UCLAF) die Aufmerksamkeit auf im großen Umfang und zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaft betriebenen Steuerbetrug als Phänomen, das der organisierten Kriminalität zuzurechnen ist; danach bewirkten die Anschläge auf die Twin Towers und die weiteren, die darauf folgten, dass auch der Terrorismus besonders nachdrücklich und augenfällig in den Begriff mit eingeschlossen wurde.

2.3

In gleicher Richtung entwickelten sich auch Denkweise und Vorgehen der von den Mitgliedern der G-8 geschaffenen Arbeitsgruppe „Finanzielle Maßnahmen gegen die Geldwäsche und die Terrorismusfinanzierung“ (FATF), die immer noch das offiziellste Verbindungsorgan zwischen den Regierungen ist. Ursprünglich gegründet, um gegen Geldwäsche in Verbindung mit organisierter Kriminalität vorzugehen, hat die FATF ihre Zuständigkeit nunmehr auf alle Formen finanzieller Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Terrorismus ausgedehnt: von besonderer Bedeutung sind ihre neun „Sonderempfehlungen“ (SE), die zu einem Großteil in Bestimmungen der Gemeinschaft über Geldwäsche und Zahlungssysteme eingeflossen sind. Die SE VII betreffend den von Terroristen und anderen Straftätern abgewickelten „elektronischen Zahlungsverkehr“ wird durch den nun vorliegenden Vorschlag für eine Verordnung umgesetzt.

2.4

Die Anwendung des Konzepts, wonach rechtswidrige finanzielle Aktivitäten — seien sie nun mit dem Terrorismus oder mit der organisierten Kriminalität verbunden — eine globale Erscheinung sind, die gemeinsam bekämpft werden muss, hätte den Vorteil, eine klarere Sprache einzuführen, die auch, aber nicht nur, für die praktische Bekämpfung vor Ort wichtig ist. Heutzutage wird sowohl auf Ebene der Gemeinschaft als auch auf einzelstaatlicher Ebene der Schwerpunkt gelegentlich auf das eine oder das andere Element gelegt: Im Rahmen der vielfältigen erlassenen Maßnahmen wird bisweilen von „organisierter Kriminalität einschließlich des Terrorismus“ oder von „Terrorismus und anderen Straftaten“ gesprochen. Es ist für die Ermittlungsbehörden, geschweige denn für die Zahlungsverkehrsdienstleister, nicht immer leicht, gesetzeswidrige finanzielle Aktivitäten einem konkreten Sektor zuzuordnen, zumal der Terrorismus in bestimmten Bereichen, wie Waffen- und Drogenhandel, illegale Einwanderung, Geld- und Urkundenfälschung usw., enge Verbindungen zur organisierten Kriminalität geknüpft hat und umgekehrt.

2.5

Unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung gesetzeswidriger finanzieller Aktivitäten stellen organisierte Kriminalität und Terrorismus demnach zwei Aspekte ein und desselben Phänomens dar. Der Eindruck, dass dieses Konzept nicht immer gegenwärtig ist, ergibt sich auch aus der einleitenden Begründung dieses Vorschlags für eine Verordnung, in dem wiederholt von „Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung“ die Rede ist. Ohne hier genauer auf den Inhalt der vorgesehenen Maßnahmen einzugehen, vertritt der EWSA die Auffassung, dass diese Ausdrucksweise irreführend ist: aus Gründen, die in den Bemerkungen zu den einzelnen Artikeln genauer dargelegt werden, sollte klargestellt werden, dass es hier um organisiertes Verbrechen und Terrorismus geht.

2.6

Andererseits hat diese Begriffsdualität ihren Ursprung in der FATF selbst: der Titel der neun unter Ziffer 2.3 genannten Sonderempfehlungen lautet „Terrorismusfinanzierung“, ohne weitere Spezifizierung; die ihnen beigefügten „Auslegungsvermerke“ sind überschrieben mit „Sonderempfehlungen zur Terrorismusfinanzierung“ (6), doch im Text steht geschrieben, es gelte „zu verhindern, dass Terroristen und andere Straftäter ... unbeschränkten Zugang haben ...“ (7) . Die Kommission hat diese Trennung bei der Umsetzung der FATF-Empfehlung übernommen, indem sie den Verordnungsvorschlag in die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung aufnahm. Nach Ansicht des EWSA sollten diese jedoch den allgemeineren Maßnahmen zu Bekämpfung der Geldwäsche und der organisierten Kriminalität zugeordnet werden. Vom juristischen Standpunkt aus betrachtet ist diese Unterscheidung nicht wichtig, wohl aber auf der praktischen und operativen Ebene. In den nachstehenden Bemerkungen wird versucht, dies zu erläutern.

3.   Bemerkungen zum Text des Vorschlags

3.1

Artikel 2: Geltungsbereich. Die Verordnung gilt für Geldtransfers von oder an Zahlungsverkehrsdienstleister(n) mit Sitz in der Gemeinschaft, die an Begünstigte gerichtet sind oder von Auftragebern kommen, die ihren Sitz in der Gemeinschaft haben; sie gilt außerdem für Geldtransfers aus der Gemeinschaft an Begünstigte in Drittländern (Artikel 7) sowie für Geldtransfers aus Drittländern in die Gemeinschaft (Artikel 8) — mit einigen Anpassungen.

3.1.1

Von ihrem Geltungsbereich ausgenommen sind Geldtransfers, die im Rahmen eines Handels geschäfts mit einer Kredit- oder Debetkarte getätigt werden und bei denen eine kundenbezogene Identifikationsnummer übermittelt wird, anhand deren alle im Rahmen dieses Geschäfts getätigten Zahlungen bis zu ihrem Auftraggeber zurückverfolgt werden können. Nicht ausdrücklich ausgenommen, aber auch nicht explizit erwähnt werden Vorgänge, die unter Verwendung elektronischen Geldes (e-money), also mit vorausbezahlten Karten (prepaid cards) ausgeführt werden. Zu den technischen Modalitäten werden sich die Zahlungsverkehrsdienstleister äußern; der EWSA stellt seinerseits fest, dass bei über Karten laufenden Geschäften im Vergleich zu den Zahlungsaufträgen ein umgekehrter Weg beschritten wird: der Zahlungsverkehrsdienstleister des Auftraggebers (dem ein Kontoauszug mit genauen Angaben zur Verwendung der Karte übermittelt wird) hat weder Kenntnis von den Aktivitäten des Begünstigten, noch weiß er, welcher Art die Beziehungen zwischen Auftraggeber und Begünstigtem sind. In den meisten Fällen wird es nicht nur unmöglich sein, Handelsgeschäfte von anderen Geschäften zu unterscheiden, sondern oft auch technisch unmöglich, den Auftraggeber zu ermitteln.

3.2

Artikel 5: Bei Geldtransfers zu übermittelnde Angaben. Die Zahlungsverkehrsdienstleister müssen bei Geldtransfers den vollständigen Auftraggeberdatensatz übermitteln, nachdem sie zuvor dessen Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft und festgestellt haben; bei Geldtransfers an Begünstigte in Drittländern, die nicht über 1000 Euro hinausgehen, „können“ die Zahlungsverkehrsdienstleister den Umfang dieser Prüfung entscheiden. Dieser — vernünftige und realistische — Ermessensspielraum, den die Verordnung gewährt, könnte allerdings das Abfließen beträchtlicher Geldströme ermöglichen, die zwar als „Emigrantenüberweisungen“ deklariert werden, doch nur dem Anschein nach für die Ursprungsfamilien bestimmt sind. Andererseits erweist sich die normalerweise für alle anderen Aufträge geforderte Überprüfung bei dieser Art von Überweisungen als problematisch, da sie oftmals von einer Vielzahl von Personen bar über diverse Zahlungsverkehrsdienstleister abgewickelt werden, wobei deren Ermittlung keine besondere Bedeutung erlangt.

3.2.1

In jedem Fall müssen die Zahlungsverkehrsdienstleister aufgrund der Ausnahmeregelung für Prüfungen von Aufträgen unter 1000 EUR gesonderte, kostenaufwendige und unnötige Verfahren durchführen; besser wäre es, im Text dieses Artikels die bereits in Kraft befindlichen Bestimmungen zur Geldwäschebekämpfung anzuführen, die für Aufträge von Auftraggebern gelten, die keine Girokontoinhaber sind.

3.3

Artikel 9: Transfers mit fehlenden oder unvollständigen Angaben zum Auftraggeber. Laut Artikel 6 muss der Zahlungsverkehrsdienstleister des Auftraggebers dem Zahlungsverkehrsdienstleister des Begünstigten die Kenndaten übermitteln. Fehlen diese Angaben oder sind sie unvollständig, müssen sie durch den Zahlungsverkehrsdienstleister des Begünstigten beim Zahlungsverkehrsdienstleister des Auftraggebers angefordert werden: außerdem kann er die Zahlung verweigern, aussetzen oder aber eigenverantwortlich, jedoch unter Einhaltung der Vorschriften zur Geldwäschebekämpfung, durchführen. Sollte sich dieser Vorfall wiederholen, so gibt der Zahlungsverkehrsdienstleister des Begünstigten alle Transferaufträge dieses Zahlungsverkehrsdienstleisters zurück oder beendet seine Geschäftsbeziehungen zu ihm. Derartige Entscheidungen sind „den für die Bekämpfung der Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung zuständigen Behörden“ zu melden.

3.3.1

Die Vorschrift, dass ein Kreditinstitut in den vorgesehenen Fällen die Geschäftsbeziehungen abzubrechen hat, wirft ein deutliches Problem der Verhältnismäßigkeit auf: denn die Beziehungen zwischen internationalen Kreditinstituten beschränken sich ja nicht auf Geldüberweisungen; diese sind vielmehr in der Regel nur ein kleiner Teil von Beziehungen, die Kreditlinien, Dienstleistungen, Wertpapieroperationen usw. umfassen und Beträge ausmachen, die weit über unregelmäßige oder als unregelmäßig geltende Geldüberweisungen hinausgehen. Ein sofortiger Abbruch der Geschäftsbeziehungen, wie von der Kommission vorgeschlagen, würde sowohl den Zahlungsverkehrsdienstleistern als auch ihren Kunden riesige und nicht zu rechtfertigende Schäden verursachen.

3.3.2

Die Formulierung „zuständige Behörden“ wirft das Grundproblem auf, das in der Einleitung der Stellungnahme erläutert wurde. Da die allgemeinen Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche den Zahlungsverkehrsdienstleistern und ihrem Personal gewaltige — auch strafrechtliche — Verpflichtungen auferlegen, ist nicht immer leicht zu verstehen, ob ein Vorgang, nachdem er als „verdächtig“ eingeschätzt wurde, der „gewöhnlichen“ Kriminalität oder dem Terrorismus zuzuordnen ist. In jedem Staat gibt es Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden unterschiedlicher Art: Kriminalpolizei (bisweilen in zwei gesonderte Organe unterteilt), Finanzpolizei, Zoll, Geheimdienste. Mangels konkreter Vorgaben wird der Zahlungsverkehrsdienstleister selbst herausfinden müssen, an welche Behörde er sich wenden muss. Entsprechend der Verordnung wird somit von den Zahlungsverkehrsdienstleistern eine Einschätzung verlangt, die über ihre berufliche Kompetenz hinausgeht.

3.3.3

Notwendig wäre daher eine Vorschrift, der zufolge die Mitgliedstaaten zur Schaffung einer einzigen Kontaktstelle verpflichtet werden, die für die Erfassung der Meldungen und deren Weiterleitung an die zuständigen Ermittlungsorgane verantwortlich ist (8). Diese Maßnahme war übrigens bereits im Programm des Rates von 1998 vorgesehen.

3.4

Artikel 10: Einschätzung des Risikos. Dieser Artikel legt fest, dass unvollständige Angaben zum Auftraggeber vom Zahlungsverkehrsdienstleister des Begünstigten als verdächtig gewertet und den zuständigen Behörden gemeldet werden müssen. Die Vorschrift überlässt es dem Zahlungsverkehrsdienstleister, fallweise zu ermitteln, ob es sich um einen Fehler, ein Versäumnis oder einen „echten“ Verdachtsfall handelt: eine Aufgabe, die sehr beschwerlich werden kann, wenn man bedenkt, dass jeder Zahlungsverkehrsdienstleister tagtäglich eine beachtliche Menge von Vorgängen zu bearbeiten hat. Für die anschließende Meldung gelten die Bemerkungen in Ziffer 3.3.2 und 3.3.3.

3.5

Artikel 13: Technische Beschränkungen. Die Bestimmungen dieses Artikels gelten für Geldtransfers aus Drittländern: demnach sind die Angaben zum Auftraggeber unabhängig von deren Vollständigkeit mindestens fünf Jahre lang vom Zahlungsverkehrsdienstleister des Begünstigten aufzubewahren. Sofern ein zwischengeschalteter Zahlungsverkehrsdienstleister mit Sitz in der Gemeinschaft existiert, ist dieser verpflichtet, dem Endzahlungsverkehrsdienstleister das Fehlen eines vollständigen Datensatzes mitzuteilen. Diese Bestimmungen geben keinen Anlass zu besonderen Bemerkungen außer jener, dass die Aufbewahrung der Angaben über einen so langen Zeitraum eine erhebliche Belastung darstellen und zu einer millionenfachen Informationsanhäufung führen kann: eine Vorschrift, die nur dann gerechtfertigt ist, wenn man wirklich der Auffassung ist, dass sie sich als nützlich erweisen kann. Vielleicht wäre es ratsam, diesen Punkt zu überdenken und die Datenaufbewahrung auf Beträge über einem bestimmten Schwellenwert zu beschränken.

3.6

Artikel 14: Pflicht zur Zusammenarbeit. Die Zahlungsverkehrsdienstleister sind verpflichtet, mit den für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten, indem sie die in ihrem Besitz befindlichen Angaben und Informationen unverzüglich weiterleiten. Diese Behörden dürfen die auf diesem Wege erhaltenen Informationen „nur zur Prävention, zur Ermittlung, zur Aufdeckung und zur strafrechtlichen Verfolgung von Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung verwenden“.

3.6.1

Der EWSA erklärt sich vollkommen einverstanden mit diesen Bestimmungen. Er fügt lediglich eine Bemerkung hinzu, um den Anliegen bestimmter Kreise Rechnung zu tragen, die Vorbehalte wegen einer möglichen Schwächung der Normen zum Schutz der Privatsphäre geäußert haben: das höhere Interesse der Allgemeinheit, die sich im Kampf gegen eine sehr schwere Gefahr für die Gesellschaft engagiert, erfordert in bestimmten Fällen eine Abweichung von hehren Grundsätzen, um deren Schutz zu gewährleisten. Die den Behörden auferlegte Verpflichtung, die Informationen ausschließlich zu den vorgesehenen Zwecken zu verwenden, bietet an sich eine Garantie gegen mögliche Verstöße. Allgemeiner gesagt sollte die Erwägung gelten, dass niemand etwas zu befürchten hat, der eine Überweisung zugunsten von Einrichtungen vornimmt, die „wirkliche“ gesellschaftliche oder gemeinnützige Ziele verfolgen: denn es geht nicht um Steuerhinterziehung, Gesetzesverstöße oder verwerfliche Taten.

3.6.2

Aus anderer Sicht muss man sich fragen, welche praktische Wirksamkeit diese Maßnahmen haben. Für die Zahlungsverkehrsdienstleister sollte die allgemeine Regel „kenne deinen Kunden“ gelten, der zufolge keine Kontrollen und keine Meldung bei Kunden vorgenommen werden, deren Ehrenhaftigkeit bekannt und erwiesen ist. Auf den Empfänger lässt sich diese Regel ziemlich leicht anwenden; viel schwerer und umständlicher ist jedoch die Kontrolle des Auftraggebers, v.a. wenn die Zahlungen auf die unter obiger Ziffer 3.1.1 genannten Weisen erfolgen.

3.7

Artikel 19: Geldtransfers an karitative Einrichtungen innerhalb eines Mitgliedstaats. Dieser Artikel enthält eine Ausnahmeregelung zu den Bestimmungen von Artikel 5: die Mitgliedstaaten können Zahlungsverkehrsdienstleister in Bezug auf Geldtransfers an karitative, religiöse, kulturelle, edukative, ökologische oder soziale Einrichtungen, an Vereine oder zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung von den Pflichten zur Einhaltung der Vorschriften betreffend die Übermittlung des Auftraggeberdatensatzes ausnehmen, sofern:

a)

diese Organisationen Offenlegungspflichten unterliegen, von einer Behörde beaufsichtigt werden oder ihre Rechnungsführung von einem externen Prüfer überprüfen lassen müssen,

b)

die einzelnen Geldtransfers nicht über 150 EUR hinausgehen,

c)

die Geldtransfers auf das Gebiet dieses Mitgliedstaats beschränkt bleiben.

3.7.1

Für die Mitgliedstaaten, die die vorgesehene Ausnahmeregelung anwenden, wird es sicherlich eine große Herausforderung sein, ein Verzeichnis von einschlägigen Organisationen zu führen und die Einhaltung der Vorschriften zu kontrollieren. Darüber hinaus müsste der Zahlungsverkehrsdienstleister fallweise überprüfen, dass der Auftraggeber in eine ständig aktualisierte „weiße Liste“ eingetragen ist, was sicherlich eine beschwerliche Aufgabe darstellt. Die Lage ist jedoch von Land zu Land verschieden; in Ländern mit lückenhaften Vorschriften wird die unter 3.7 a) genannte Voraussetzung nur sehr schwer eingehalten werden können.

3.7.2

Die in dem Verordnungsvorschlag vorgesehene Ausnahmeregelung gründet sich auf die Erwägung, dass die sozialen Ziele dieser Einrichtungen an sich die Gewähr für eine korrekte Mittelverwendung bieten. Dies gilt sicher für die Mehrzahl jener Einrichtungen, für bekannte Organisationen und für Spendenaktionen bei Katastrophenfällen; zutreffend ist jedoch auch, dass sich unter dem Deckmantel kleinerer, weniger bekannter Einrichtungen mit vorgeblich sozialen oder gemeinnützigen Zielsetzungen auch terroristische Organisationen einschleichen und finanziert werden. Was die im letzten Teil von Ziffer 3.7 genannten Tätigkeiten anbelangt, so kann die Verordnung keine Unterschiede zwischen den Religionen machen: Trotzdem ist bekannt, dass die Terrorismusfinanzierung mitunter über Organisationen ohne Erwerbszweck erfolgt, die dem Anschein nach harmlos sind und deren Gefährlichkeit erst im Nachhinein entdeckt wird. Mit anderen Worten operieren im Bereich der NGO neben den mehrheitlich „transparenten“ Organisationen manche, die aufmerksam verfolgt werden müssen; die Schwierigkeit besteht darin, wie sie ausfindig gemacht werden können.

3.7.3

Ein weiterer Mangel besteht darin, dass nicht berücksichtigt wurde, dass sich hinter dem Aushängeschild von Organisationen ohne Erwerbszweck kriminelle Vereinigungen verbergen könnten, die nicht unbedingt terroristisch sein müssen: die Einnahmen aus Drogendealerei, Prostitution und Schutzgelderpressung können problemlos als Spenden an Organisationen ohne Erwerbszweck mit äußerst ansprechenden Namen getarnt werden, deren Repräsentanten — zumindest für die Zahlungsverkehrsdienstleister — über jeden Verdacht erhaben sind. Tatsächlich gibt es indirekte Aufsichtssysteme, mit denen manchmal verdächtige Fälle aufgedeckt werden können: z.B. ist die Häufigkeit von Überweisungen derselben Personen, die immer in bar erfolgen, typisch für die o.g. Aktivitäten. Doch diese Methoden sind den Straftätern wohlbekannt, sodass sie entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen: Aufteilung der Überweisungen, Inanspruchnahme unterschiedlicher Zahlungsverkehrsdienstleister usw. Insbesondere auf der Seite des Zahlungsverkehrsdienstleisters des Begünstigen könnten sich somit Verdachtsmomente aufgrund der Häufigkeit der stets von denselben Auftraggebern kommenden Überweisungen ergeben. Angesichts der aktuellen elektronischen Kontoführungssysteme könnte eine derartige Aufsicht jedoch nur mithilfe „maßgeschneiderter“ Programme geführt werden: eine Lösung, die kaum durchführbar ist.

3.7.4

Der EWSA macht daher darauf aufmerksam, dass die Ausnahmeregelung, über die laut Verordnung die Zahlungsverkehrsdienstleister aus eigener Initiative und auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden Angaben über Zweck, Kontrollen, Ehrenhaftigkeit der Vertreter usw. entscheiden sollen, einen Schwachpunkt des Systems darstellt. Die Mitarbeit der Zahlungsverkehrsdienstleister wird, so eifrig sie auch erfolgt, immer unzureichend sein, um Erscheinungen wie die Geldwäsche und die Finanzierung der Kriminalität einzudämmen: In erster Linie müssen die Behörden selbst eine aktive Rolle übernehmen und verdächtige Namen melden. Hierzu ist es jedoch erforderlich, dass eine zentrale Behörde, wie sie weiter oben in Erwägung gezogen wurde, auch wirklich geschaffen wird.

3.7.5

Ferner möchte der EWSA den verantwortlichen Organen eine weitere Erwägung nahe legen. Abgesehen von den Fällen, in denen die Meldung direkt durch die Zahlungsverkehrsdienstleister erfolgt, werden die Angaben fünf Jahre lang aufbewahrt — in der Regel, um von den Behörden als Beweis für bereits geschehene Straftaten herangezogen zu werden. Demzufolge handelt es sich weitgehend um Maßnahmen zur Beweisaufnahme und nicht zur Vorbeugung oder Bekämpfung. Die Frage ist, wie es in der Praxis möglich sein soll, einzelne Vorfälle unter den vielen hundert Millionen Vorgängen, die sich mit den Jahren angesammelt haben, herauszufiltern.

3.7.6

Abschließend sei bemerkt, dass in der Begründung zu der Verordnung kein einziger Hinweis auf die Kosten des Systems im Verhältnis zum potenziellen Nutzen zu finden ist. Nicht alle Zahlungsverkehrsdienstleister verfügen über ausreichende Strukturen, um die Vorschriften einzuhalten, doch selbst diejenigen, die sie besitzen, werden zusätzliche Belastungen und einen erhöhten Organisationsaufwand auf sich nehmen müssen. Die Kosten hierfür würden unweigerlich auf alle Nutzer der Zahlungssysteme umgelegt: ein Opfer, das nur vertretbar ist, wenn nachgewiesen werden kann, dass die neue Verordnung konkrete und greifbare Vorteile mit sich bringt.

Brüssel, den 21. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  FATF, Überarbeitete Fassung des Auslegungsvermerks zur Sonderempfehlung VII: Elektronische Überweisungen.

(2)  Verordnungen (EG) des Rates Nr. 2580/2001 und Nr. 881/2002.

(3)  Richtlinien 91/308/EWG, 2001/97/EG, ...

(4)  Aktionsplan zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, ABl. C 251 vom 15.8.1997.

(5)  KOM(1998) 276 endg. „Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft und Betrugsbekämpfung - Jahresbericht 1997“.

(6)  Special recommendations on terrorist financing.

(7)  Preventing terrorists and other criminals from having unfettered access.

(8)  Die Forderung nach einer einzigen Kontaktstelle ist nicht neu, noch stammt sie ursprünglich vom EWSA: tatsächlich ist sie bereits in dem in Ziffer 2.1 erwähnten Aktionsplan des Rates von 1997 enthalten, wonach jeder Mitgliedstaat „eine einzige Kontaktstelle“ einrichten sollte, „die den Zugang zu allen Strafverfolgungsbehörden ermöglicht“. Nachdem so viele Jahre vergangen sind, existiert diese Kontaktstelle noch immer nicht, und die Zusammenarbeit zwischen den Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden auf nationaler Ebene und auf Ebene der Gemeinschaft ist nach wie vor ein Problem, das nicht vollständig gelöst ist.


ANHANG 1

zur Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Auf folgende Änderungsanträge, die in der Debatte abgelehnt wurden, entfiel mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen (Art. 54 Abs. 3 GO):

Ziffer 3.7.2

Text wie folgt ändern:

„Die in dem Verordnungsvorschlag vorgesehene Ausnahmeregelung gründet sich auf die Erwägung, dass die sozialen Ziele dieser Einrichtungen an sich die Gewähr für eine korrekte Mittelverwendung bieten. Dies gilt sicher für die Mehrzahl jener Einrichtungen., für bekannte Organisationen und für Spendenaktionen bei Katastrophenfällen; zZutreffend ist jedoch auch, dass sich unter demdiesem Deckmantel kleinerer, weniger bekannter Einrichtungen mit vorgeblich sozialen oder gemeinnützigen Zielsetzungen auch terroristische Organisationen einschleichen und finanziert werden. Was die im letzten Teil von Ziffer 3.7 genannten Tätigkeiten anbelangt, so kann die Verordnung keine Unterschiede zwischen den Religionen machen: Trotzdem ist bekannt, dass die Terrorismusfinanzierung mitunter über Organisationen ohne Erwerbszweck erfolgt, die dem Anschein nach harmlos sind und deren Gefährlichkeit erst im Nachhinein entdeckt wird. Mit anderen Worten operieren im Bereich der NGO neben den mehrheitlich ‚transparenten‘ Organisationen manche, die aufmerksam verfolgt werden müssen; die Schwierigkeit besteht darin, wie sie ausfindig gemacht werden können..

Begründung

Die Begründung erfolgt mündlich.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 37

Nein-Stimmen: 44

Stimmenthaltungen: 8

Ziffer 3.7.4

Ziffer wie folgt ändern:

Der EWSA macht daher darauf aufmerksam, dass Zwar kann die Ausnahmeregelung, über die laut Verordnung die Zahlungsverkehrsdienstleister aus eigener Initiative und auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden Angaben über Zweck, Kontrollen, Ehrenhaftigkeit der Vertreter usw. entscheiden sollen, einen Schwachpunkt des Systems darstellt darstellen, doch ist sie unter Berücksichtigung der Funktion von Einrichtungen ohne Erwerbszweck in einer demokratischen Gesellschaft gerechtfertigt. Die Mitarbeit der Zahlungsverkehrsdienstleister wird, so eifrig sie auch erfolgt, immer unzureichend sein, um Erscheinungen wie die Geldwäsche und die Finanzierung der Kriminalität einzudämmen: In erster Linie müssen die Behörden selbst eine aktive Rolle übernehmen und verdächtige Namen melden. Hierzu ist es jedoch erforderlich, dass eine zentrale Behörde, wie sie weiter oben in Erwägung gezogen wurde, auch wirklich geschaffen wird.“

Begründung

Die Erklärung für die vorgeschlagenen Streichungen geht aus dem eingefügten Satzteil hervor. Der Widerstand unter den NGO gegen die von der FATF vorgeschlagenen Vorschriften ist groß. Wenn sich der EWSA für diese Vorschriften ausspräche, würde dies das Verhältnis zwischen dem Ausschuss und den NGO zudem stark belasten.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen: 43

Nein-Stimmen: 52

Stimmenthaltungen: 7


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/97


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, an das Europäische Parlament, an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und an den Ausschuss der Regionen — Verringerung der Klimaauswirkungen des Luftverkehrs“

KOM(2005) 459 endg.

(2006/C 185/17)

Die Europäische Kommission beschloss am 27. September 2005, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 21. März 2006 an. Berichterstatter war Herr SIMONS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 21. April) mit 55 Ja-Stimmen ohne Gegenstimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

A.   Schlussfolgerungen

A.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist wie die Kommission der Ansicht, dass zusätzliche (politische) Maßnahmen erforderlich sind, um die Auswirkungen des Luftverkehrs auf den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Die Treibhausgasemissionen im Luftverkehr werden immer noch um etwa 50 % der jährlichen Zunahme des Luftverkehrsaufkommens ansteigen, selbst wenn alle ehrgeizigen Ziele von Forschung und Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten erreicht werden. Die hierfür im 7. Rahmenprogramm vorgesehenen Haushaltsmittel müssen gezielt und wirksam eingesetzt werden.

A.2

Um den Klimawandel einzudämmen setzt sich die Europäische Kommission zunächst einmal für den Zeitraum 2008-2012 selbst ein politisches Ziel für die Verringerung der CO2- und NOx-Emissionen im europäischen Luftverkehr. Unter Berücksichtigung internationaler Verträge, Übereinkünfte und laufender Studien hält es der Ausschuss für sinnvoll, mögliche Maßnahmen erst einmal nur auf CO2-Emissionen des innereuropäischen Luftverkehrs anzuwenden, um potenziell langwierige Verzögerungen bei der Anwendung zu minimieren.

A.3

Um für die weltweite Anwendung eines Systems verhandelbarer Emissionsrechte zu sorgen, sollte die Einführung dieses Systems über die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) erfolgen; als erster praktischer Schritt könnte — falls dies während der Verhandlungen zweckmäßig ist — die Einführung eines EU-internen Emissionshandelssystems eine gut umsetzbare Option darstellen.

A.4

Aufgrund seines (jährlich wachsenden) CO2–Beitrags zum Klimawandel sollte der gesamte innereuropäische Luftverkehr zum frühestmöglichen Zeitpunkt in ein offenes europäisches Emissionshandelssystem mit einem realistischen Basisszenario aufgenommen werden. Die Zuteilungen sollten auf EU-Ebene erfolgen und zusätzliche Beitrags- bzw. Reduktionsziele direkt auf die Fluggesellschaften als Akteure angewandt werden, wobei der Marktzugang — ohne Wettbewerbsnachteile für die neuen Marktteilnehmer — weiterhin möglich bleiben muss. Für die übrigen Auswirkungen sollten geeignetere lokale Instrumente eingesetzt werden, wie eine NOx-Abgabe oder operative Maßnahmen.

A.5

Investitionen in die Erforschung der klimatischen Auswirkungen von Nicht-CO2-Emissionen des Luftverkehrs sowie technologische Entwicklungen für einen saubereren Luftverkehr sollten für die EU und die Industrie eine entscheidende Priorität darstellen, mit besonderem Gewicht auf der Vermeidung schlechter Kompromisse zwischen lokaler Lärmbelastung sowie lokalen und globalen Flugzeugemissionen.

A.6

Angesichts der Möglichkeiten, die Emissionen im Luftverkehr zu reduzieren, sollte auch ein verbessertes Luftverkehrsmanagement mit Hilfe der Initiative für einen einheitlichen Luftraum und des Programms SESAR Priorität haben.

A.7

Nicht diskriminierende Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsposition der Landverkehrsträger sollten eingehender geprüft werden, um attraktivere Alternativen für den Passagier- und Frachtverkehr innerhalb der EU zu bieten.

B.   Begründung

B.1

Der Beitrag der Luftverkehrsemissionen zum Klimawandel ist zwar relativ gering (ca. 3 %), soll aber aufgrund der steigenden Nachfrage, des Fehlens alternativer Treibstoffquellen und der relativ weit gediehenen Entwicklung der Flugzeugtechnologie voraussichtlich zunehmen. Selbst wenn die EU alle ihre ehrgeizigen Forschungs- und Entwicklungsziele in den kommenden Jahrzehnten erreicht und anwendet, werden die CO2–Emissionen im Luftverkehr immer noch um ungefähr 2 bis 2,5 % ansteigen, d.h. um etwa die Hälfte der jährlichen Zunahme des Luftverkehrsaufkommens (das den Prognosen zufolge 4 bis 5 % pro Jahr betragen wird).

B.2

Ein Emissionshandelssystem ist die kosteneffizienteste Lösung zur Begrenzung der klimatischen Auswirkungen und ermöglicht gleichzeitig die nachhaltige Entwicklung des Luftverkehrs.

B.3

Es handelt sich um ein globales Problem, das somit auch eine globale Lösung erfordert. Inzwischen stellt die Einführung eines EU-internen Systems — falls dies zweckmäßig ist — einen ersten Schritt dar, der als Modell für die weltweite Anwendung über die ICAO dienen kann.

B.4

Deshalb sollte ein EU-internes System möglichst unumstritten sein und anfänglich ohne die Anwendung von Multiplikationsfaktoren auf CO2 begrenzt werden. Über die Auswirkungen von Nicht-CO2-Emissionen (für die es im Kyoto-Protokoll keine Äquivalenzwerte gibt) liegen weniger wissenschaftliche Erkenntnisse vor, aber es gibt Hinweise dafür, dass sich bestimmte Nicht-CO2-Emissionen in einigen Fällen auf die Umwelt auswirken könnten. Solange weitere Forschungsergebnisse ausstehen, sollten für solche Auswirkungen erforderlichenfalls EU-weit standardisierte, lokale Instrumente, wie eine NOx-Abgabe, zur Verfügung stehen.

B.5

Bestehende Hochgeschwindigkeitszüge haben sich auf bestimmten europäischen Strecken, mit Flugzeiten von einer Stunde oder weniger und einem enormen Verkehrsaufkommen als nützliche Alternative für den Passagierluftverkehr erwiesen. Es sollten Studien durchgeführt werden, um ihr Expansionspotenzial und die Möglichkeit solcher Dienstleistungen für den Frachtverkehr zu bewerten, wobei auf die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen durch Zuschüsse der Mitgliedstaaten oder der EU zu achten ist. Allerdings sollte nicht erwartet werden, dass Züge jemals eine absolut gleichwertige Alternative für den gesamten EU-internen Luftverkehr werden.

1.   Einleitung

1.1

Der Luftverkehr ist zu einem festen Bestandteil der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts geworden, der es Passagieren und Fracht ermöglicht, große Entfernungen schneller als je zuvor zurückzulegen und den regionalen und nationalen Volkswirtschaften erhebliche wirtschaftliche Vorteile bringt. Leider trägt der Luftverkehr auch zu dem sich auf unserem Planeten vollziehenden Klimawandel bei. Obwohl der Brennwert von Flugtreibstoff in den vergangenen 40 Jahren um mehr als 70 % verbessert wurde, ist die Gesamtmenge an verbrauchtem Treibstoff aufgrund der noch größeren Zunahme des Luftverkehrsaufkommens als direkte Folge der Nachfrage nach bzw. des Bedarfs an Reisen in diesem Zeitraum um über 400 % gestiegen.

1.2

Dadurch verstärken sich auch die Auswirkungen des Luftverkehrs — der am schnellsten wachsenden Einzelquelle für Treibhausgase im Transportbereich — auf das Klima: Während die Gesamtmenge der Emissionen in der EU dank des Kyoto-Protokolls zwischen 1990 und 2003 um 5,5 % gesunken ist (d.h. -287 Mio. t CO2-Äq.), nahmen die Treibhausgasemissionen aus dem internationalen Luftverkehr um 73 % zu (d.h. +47 Mio. t CO2-Äq.), was einem jährlichen Zuwachs von 4,3 % entspricht. Das Luftverkehrsaufkommen in der EU ist jedoch seit 1990 noch wesentlich rasanter gestiegen. Daran kann man grundsätzlich erkennen, dass die Luftfahrtindustrie versucht, den Umweltauswirkungen bei den Ursachen und mit effizienten Techniken zu begegnen.

1.3

Damit ist die an den Emissionsquellen ansetzende Politik eine (erste) wirksame Maßnahme. Der übrige Beitrag lässt sich kurz-, mittel- und langfristig vom Luftverkehrssektor selbst nur durch einen erzwungenen, aber unrealistischen Wachstumsrückgang des Luftverkehrs eigenständig ausgleichen.

1.4

Obwohl der Anteil des Luftverkehrs an der Gesamtmenge von Treibhausgasemissionen noch bescheiden ist (ca. 3 % (1)), untergräbt sein rasches Wachstum die in anderen Sektoren erzielten Fortschritte. Wenn das aktuelle Wachstum weiter anhält, werden die Emissionen aus internationalen Flügen von Flughäfen in der EU bis 2012 gegenüber 1990 um 150 % zunehmen. Diese Zunahme der internationalen Luftverkehrsemissionen in der EU würde über ein Viertel der Reduktionen zunichte machen, die im Rahmen des Kyoto-Protokolls von der Gemeinschaft gefordert werden.

1.5

Wenn die derzeitige Tendenz anhält, werden sich die Emissionen aus dem Luftverkehr längerfristig zu einem bedeutenderen Faktor des Klimawandels entwickeln: Bei einer Verdoppelung des Luftverkehrs würde z.B. dessen Anteil an der Gesamtmenge der CO2-Emissionen in der EU von 3 % im Jahr 2005 auf 5 % im Jahr 2030 ansteigen. Ein Emissionshandelssystem würde die Nachfrage bis zu einem gewissen Grad verringern, jedoch dadurch, dass beim erwarteten Wachstum des Luftverkehrs zum Ausgleich der Erwerb von Rechten bei anderen Lizenzinhabern erforderlich ist, gewährleisten, dass die Ziele der Gemeinschaft im Rahmen des Kyoto-Protokolls nicht unterhöhlt werden.

2.   Zusammenfassung der Kommissionsmitteilung

2.1

Am 27. September 2005 legte die Kommission ihre Mitteilung zu bestehenden und möglichen zusätzlichen politischen Maßnahmen vor, mit deren Hilfe diese Entwicklung indirekt oder direkt aufgehalten werden soll.

2.2

Die bestehenden politischen Maßnahmen dienen u.a. dazu, das öffentliche Bewusstsein anzusprechen, alternative Verkehrsträger zu fördern und Forschung für einen saubereren Luftverkehr durchzuführen — beispielsweise über das 6. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung (Bereich Umwelt) und in Kürze in noch stärker auf die Auswirkungen des Klimawandels ausgerichteter Form über das 7. Rahmenprogramm.

2.3

Mit den geplanten politischen Maßnahmen, wie die bessere Verwaltung des Luftverkehrs (über das Programm für einen einheitlichen europäischen Luftraum) wird durch eine effizientere Nutzung des europäischen Luftraums mittelfristig eine Reduktion von 10 % angestrebt.

2.4

Durch bereits früher geprüfte politische Maßnahmen, wie die Möglichkeit, eine Energieabgabe auf den Luftverkehr (Flugtreibstoff) oder (in der EU) einen entsprechenden Preisaufschlag auf Flugscheine zu erheben, ließen sich die Auswirkungen des Luftverkehrs auf den Klimawandel eventuell — wenn auch nur teilweise — in den Griff bekommen.

2.5

Die Kommission empfiehlt denn auch, die Auswirkungen des Luftverkehrs auf den Klimawandel als Ergänzung zu bereits bestehenden politischen Maßnahmen in das einheitliche europäische Emissionshandelsystem aufzunehmen. Das entspricht laut Kommission dem Ansatz der (ICAO), die sich nicht für Steuererhebungen, wohl aber nachdrücklich für einen offenen internationalen Emissionshandel auf freiwilliger Basis oder die Einbeziehung des internationalen Luftverkehrs in die bestehenden Regelungen der Staaten ausspricht.

2.6

In ihrer Mitteilung spricht sich die Kommission vorläufig für folgende von ihr aufgestellte Hauptgestaltungsparameter aus:

Betroffene: Flugzeugbetreiber;

Art der Emissionen: CO2 und möglichst auch Erfassung der nicht CO2-abhängigen Umweltauswirkungen;

Anwendungsbereich: alle abgehenden Flüge (sowohl EU-interne als auch Drittlandsflüge);

Zuteilungsmethode: auf EU-Ebene harmonisiert.

2.7

Eine Arbeitsgruppe, die sich aus Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten sowie aus den wichtigsten beteiligten Wirtschafts-, Verbraucher- und Umweltschutzverbänden zusammensetzt, muss die europäischen Beamten vor Mai 2006 darüber beraten, wie sich der Luftverkehr in das Emissionshandelssystem integrieren lässt; vgl. Auftragsprofil im Anhang der Mitteilung. Ende 2006 ist dann mit Legislativvorschlägen zu rechnen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Nahezu alle Länder der Welt erkennen inzwischen an, dass (durch den Menschen verursachte) Treibhausgasemissionen zu weltweiten Klimaauswirkungen führen. Über die beste Vorgehensweise gehen die Meinungen jedoch noch immer beträchtlich auseinander. Staaten mit einem sehr großen Anteil an den weltweiten Treibhausgasemissionen, wie die Vereinigten Staaten und China, haben den Schwerpunkt vor allem auf innovative, an den Emissionsquellen ansetzende Maßnahmen gelegt und darüber kürzlich internationale Übereinkommen geschlossen.

3.2

In dem 1997 unterzeichneten Kyoto-Protokoll, das außer von der EU u.a. von Russland und Kanada ratifiziert wurde, wird für die EU für den Zeitraum von 2008 bis 2012 eine durchschnittliche Verringerung der Treibhausgasemissionen von 8 % gegenüber 1990 angestrebt, wobei die Reduktionsprozentsätze je nach Mitgliedstaat variieren. Ein Teil dieser Reduktionsverpflichtungen kann durch (kosteneffizientere) Maßnahmen in Drittstaaten erfüllt werden.

3.3

So gibt es in der EU seit 2000 das Europäische Programm für den Klimawandel (ECCP), in dessen Rahmen u.a. das neue Instrument des europäischen Emissionshandelssystems für CO2 entwickelt wurde, das für alle festen Emissionsquellen in der EU am 1. Januar 2005 angelaufen ist. Der Verkehr fällt im ersten Handelszeitraum bis einschließlich 2007 (noch) nicht unter das europäische Emissionshandelssystem, möglicherweise jedoch im zweiten Zeitraum von 2008 bis 2012. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass beispielsweise auch der internationale Luftverkehr noch nicht Teil des heutigen Kyoto-Vertrags und seiner Zielsetzungen ist.

3.4

Für die weltweite Anwendung von Luftverkehrsbestimmungen sind Initiativen und Verhandlungen innerhalb der ICAO der richtige Weg.

3.5

Gewerbliche Luftfahrzeuge erreichen Reiseflughöhen zwischen 8 und 13 km, wo sie Gase und Partikel ausstoßen, die die Zusammensetzung der Atmosphäre verändern und zum Klimawandel beitragen.

Kohlendioxid (CO 2 ) ist aufgrund der großen Emissionsmengen und seiner langen Verweildauer in der Atmosphäre das wichtigste Treibhausgas. Steigende Konzentrationen haben eine gut bekannte und direkte Wirkung, die in der Erwärmung der Erdoberfläche besteht.

Stickoxide (NO x ) haben zwei indirekte Klimaauswirkungen. Sie führen unter Einwirkung von Sonnenlicht zur Bildung von Ozon und bewirken eine Verringerung der Methankonzentration in der Atmosphäre. Sowohl Ozon als auch Methan sind starke Treibhausgase. Im Endeffekt setzt sich die Wirkung von Ozon gegenüber dem Methan durch, und es kommt zur Erwärmung der Erde.

Wasserdampf (H 2 0) , der von den Flugzeugen ausgestoßen wird, hat einen direkten Treibhausgaseffekt, der, da der Wasserdampf durch Niederschläge rasch wieder verschwindet, allerdings nur gering ist. Die in großer Höhe ausgestoßenen Wasserdämpfe führen jedoch oft zur Bildung von Kondensstreifen, die zur Erwärmung der Erdoberfläche beitragen können. Auch können sich aus diesen Kondensstreifen Zirruswolken bilden (Wolken aus Eiskristallen). Diese stehen im Verdacht, einen erheblichen Erwärmungseffekt zu haben, was jedoch noch unbewiesen ist.

Sulfat- und Rußpartikel haben im Vergleich zu anderen Flugzeugemissionen wesentlich geringere direkte Auswirkungen. Ruß absorbiert Wärme und trägt zur Erwärmung bei; Sulfatpartikel reflektieren Strahlung und haben geringfügige abkühlende Wirkung. Sie können außerdem zur Bildung von Wolken beitragen und deren Eigenschaften beeinflussen.

3.6

1999 schätzte der Zwischenstaatliche Ausschuss für den Klimawandel (IPCC) die Gesamtwirkung des Luftverkehrs auf das Klima potenziell 2- bis 4-mal größer ein als den alleinigen Effekt der CO2-Emissionen; nach den jüngsten Erkenntnissen liegt der Wirkungsfaktor höchstwahrscheinlich bei etwa 2 und in Kürze werden aktualisierte Schlussfolgerungen des IPPC erwartet.

3.7

Da im internationalen Luftverkehr eingesetzter Treibstoff vertraglich steuerbefreit ist, genießt der Luftverkehr eine privilegierte Position gegenüber anderen Verkehrsträgern. Es ist richtig, dass Flugzeugbetreiber für ihre Infrastrukturkosten in Form einer Luftverkehrs-Emissionsabgabe und von Flughafengebühren selbst aufkommen (wobei in letztere in steigendem Maße Umweltaspekte einfließen), Umweltgebühren in Form von Passagiergebühren entrichten und Zuschüsse nur für Strecken erhalten, deren Betrieb unter die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen fällt, aber das gilt auch für andere Verkehrsträger.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Ein EU-internes Emissionshandelssystem, das, falls dies zweckmäßig ist, während der Verhandlungen im Rahmen der ICAO als erster praktischer Schritt eingeführt werden kann, würde bestehende politische Instrumente, wie die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für nachhaltige Mobilität, die Förderung alternativer Verkehrsträger oder die Unterstützung der Forschung für einen saubereren Luftverkehr, ergänzen.

4.2

Mögliche zusätzliche Instrumente zur Eindämmung der Auswirkungen des Luftverkehrs:

Steuern: Kerosin-Verbrauchsteuer (fester Prozentsatz) oder MwSt auf Flugscheine;

Abgaben: fester oder relativer (pro Flugkilometer) Betrag pro Passagier oder Flugzeug;

Emissionshandel: Aufnahme des Luftverkehrssektors der EU in das offene europäische Emissionshandelssystem.

4.3

Die Alternative, Steuererhebungen (eine von der EU festgesetzte Kerosin-Verbrauchsteuer oder eine MwSt auf Flugscheine), wirkt sich laut früherer Untersuchungen im Auftrag der Kommission maximal auf die Nachfrage nach Flügen (mindestens -7,5 % im Jahr 2010) und minimal auf die CO2-Emissionen (-0,9 bis -1,5 %) aus, wodurch sie keinen Anreiz für einen saubereren Luftverkehr darstellt.

4.4

Eine andere Alternative, Abgaben pro Passagier , sind relativ einfach einzuführen, stellen jedoch keinen Anreiz für die Verringerung der Treibhausgasemissionen pro Flug, dem vorliegenden politischen Ziel, dar. Diese Form der Abgabe hat jedoch, je nach ihrer Höhe, möglicherweise große Folgen für die Nachfrage nach Flügen und damit für die Wettbewerbsposition der europäischen (Luftverkehrs)Wirtschaft.

4.5

Eine realistischere Alternative ist, zumindest kurzfristig, die Einführung von Abgaben pro Flugzeug , selbst als flankierende Politik für nicht CO2-abhängige Umweltauswirkungen. Diese Abgaben stellen durchaus einen Anreiz für einen saubereren Luftverkehr dar und haben weniger Folgen für die Nachfrage nach Flügen. Abgaben pro Flugzeug lassen sich auch bei Luftfahrtunternehmen aus Drittstaaten erheben, vorausgesetzt die Einnahmen fließen in den Umweltschutz.

4.6

Allerdings hätte eine Aufnahme des Luftverkehrssektors in das europäische Emissionshandelssystem folgende Vorteile:

es ist die kosteneffizienteste Lösung;

der Nutzen für die Umwelt in Form einer CO2–Reduktion ist von vornherein bekannt;

es handelt sich nicht um ein neues politisches Instrument, die erste Phase ist bereits angelaufen.

4.7

Für den Ausschuss sieht die wahrscheinlichste Form eines ersten europäischen Emissionshandelssystems für den Luftverkehr folgendermaßen aus:

Bei einer frühen Aufnahme des Luftverkehrssektors ist von entscheidender Bedeutung, dass ausschließlich CO2 betroffen ist:

es handelt sich um den einzigen Stoff mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen über seine Wirkung;

andere Optionen sind (noch) nicht operativ, führen zu Verzögerungen oder entbehren hinreichender wissenschaftlicher Erkenntnisse (ein und derselbe Maßstab für alle nicht CO2-abhängigen Umweltauswirkungen).

Für weitere umweltbelastende Stoffe wie NOx werden geeignetere flankierende Instrumente eingesetzt.

Die Emissionsrechte werden auf EU-Ebene zugeteilt:

bei Zuteilung auf einzelstaatlicher Ebene wurden mit nationalen Zuteilungsplänen für feste Emissionsquellen schlechte Erfahrungen gemacht;

der Luftverkehr ist der Markt für internationalen Wettbewerb schlechthin und Marktstörungen werden so verhindert.

Die Emissionsrechte werden den Luftfahrtunternehmen zugeteilt:

Gewährleistung der wirksamsten und effizientesten Anreize innerhalb des Systems.

Die Zuteilungsmethodik darf nicht diskriminierend sein:

Besitzstandswahrung, Benchmarking von Leistungen oder Versteigerung;

Gleichbehandlung im Vergleich zu anderen Sektoren innerhalb des offenen europäischen Emissionshandelssystems;

keine Sanktionierung von bereits effizienten Luftfahrtunternehmen und neuen Anbietern.

Das System wird ausschließlich auf EU-interne Flüge, (noch) nicht auf alle Abflüge/Landungen angewandt:

es gibt keine Ideallösung, die pragmatischste Variante sind Verhandlungen im Rahmen des ICAO-Forums;

so werden alle Luftfahrtunternehmen, unabhängig davon in welchem Land sie ihren Sitz haben, einbezogen.

4.8

Die Kommission hat für die Mitteilung eine begrenzte Folgenabschätzung durchgeführt und festgestellt, dass ein endgültiger Vorschlag mit einer eingehenderen Folgenabschätzung einhergehen wird. Die tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen werden u.a. vom wahrscheinlichen Handelspreis und der Zuteilungsmethodik abhängen.

4.9

Ein auf EU-interne Flüge angewandtes System wird sich auf die Betreiber in der EU unterschiedlich auswirken. Erstens wird der Nachfrageeffekt durch die unterschiedliche Preiselastizität erheblich variieren. Zudem könnte der Effekt von dem Prozentsatz abhängen, den die EU-internen Dienstleistungen des Betreibers an seinem Gesamtoutput ausmachen. Es bestehen Bedenken, dass Betreiber, deren Aktivitäten nur zu einem geringen Anteil unter das System fallen, zum Nachteil von Luftfahrtunternehmen, deren Operationen zu einem großen Prozentsatz (oder vollständig) unter das System fallen, über Flugpreiskategorien oder Mittel- und Langstreckendienste quersubventionieren. Diese Aspekte sind in der Folgenabschätzung stärker zu berücksichtigen.

4.10

Nach Ansicht des Ausschusses bleiben noch viele Aspekte des Luftverkehrs in einem europäischen Emissionshandelssystem — z.B. im Rahmen der vorgeschlagenen und bereits aktiven Sachverständigenarbeitsgruppe — zu untersuchen, bevor sich ein endgültiger Standpunkt zu Vorgehensweise und Zeitplan äußern lässt:

Lehren aus der Bewertung des Emissionshandels für feste Emissionsquellen, bevor Maßnahmen im Luftverkehr ergriffen werden können;

Probleme, die sich durch die Aufnahme des Luftverkehrssektors in ein europäisches Emissionshandelssystem nach Beginn des zweiten Handelszeitraums ergeben können;

Höhe der künftigen Handelspreise und ihre Auswirkungen auf das Wachstum des Luftverkehrs;

Verhältnis zwischen den Gemeinkosten des Emissionshandels im Luftverkehr und den angestrebten Zielen;

Durchführbarkeit und Durchsetzbarkeit des Emissionshandels im Luftverkehr;

Möglichkeit, das System über die ICAO zu einem weltweiten System ausbauen und wenn das nicht geht, Vor- und Nachteile einer möglicherweise rein regionalen Anwendung;

nähere Untersuchung der Interferenzen zwischen der Zuteilung von Zeitfenstern (slots) und Emissionshandel im Luftverkehr;

nähere Untersuchung der Folgen eines möglichen Kompromisses zwischen CO2- und NOx-Emissionen (ebenfalls ein Treibhausgas, aber auch ein lokales Problem in der Umgebung von in Stadtgebieten gelegenen Flughäfen in der EU).

Brüssel, den 21. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Der Luftverkehr ist einer der saubersten und wirtschaftlichsten Verkehrsträger. Der Anteil der Emissionen des gesamten Verkehrssektors an den weltweit durch Nutzung fossiler Brennstoffe entstehenden CO2-Emissionen beträgt ca. 22 %. Die Ergebnisse des Zwischenstaatlichen Ausschusses für den Klimawandel (IPCC) zeigen, dass der Straßenverkehr innerhalb des Verkehrssektors am stärksten zu den Treibhausgasemissionen beiträgt (75 % der gesamten CO2-Emissionen dieses Sektors). Der Anteil des Luftverkehrs ist auf 12 % der Verkehrsemissionen begrenzt. Folglich ist der Luftverkehr für etwa 2 % bis 3 % der gesamten CO2-Emissionen weltweit verantwortlich (12 % von 22 %).


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/101


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der institutionelle Rahmen für die europäische Binnenschifffahrt“

(2006/C 185/18)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juli 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Der institutionelle Rahmen für die europäische Binnenschifffahrt“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 24. März 2006 an. Berichterstatter war Herr SIMONS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 21. April) mit 57 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen

1.1

In den EWSA-Stellungnahmen vom 16. Januar 2002 bzw. 24. September 2003 werden alle beteiligten Seiten ersucht, in Richtung von Harmonisierung und Integration des Transports mit Binnenschiffen in Europa weiterzuarbeiten. Diese Stellungnahmen sind in ihrer Aussage noch immer uneingeschränkt gültig und können vor dem Hintergrund der seitherigen Entwicklungen in Bezug auf den institutionellen Rahmen präzisiert werden.

1.2

Von großer Bedeutung ist hierbei, dass die Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Akteuren, nämlich der Europäischen Kommission, der Zentralen Kommission für die Rheinschifffahrt und der Donaukommission, direkt weiter ausgebaut und intensiviert wird. Ein fester Kooperationsverbund ist nötig, der strukturell, umfassend und in einem frühen Stadium in den einzelnen Binnenschifffahrtsbereichen tätig sein sollte — wo erforderlich unter voller Einbeziehung der Sozialpartner -, um die Beschlussfassung so stabil, einheitlich und umfassend wie möglich zu gestalten.

1.3

Um schließlich zu einer einheitlichen Rechtsregelung in ganz Europa zu gelangen, sind einige Punkte zu berücksichtigen.

1.3.1

Zunächst die geografische Reichweite: Anders als beispielsweise bei anderen Verkehrsarten, wie etwa dem Luft- und Straßenverkehr, sind bei der Binnenschifffahrt nicht alle EU-Mitgliedstaaten unmittelbar betroffen.

1.3.2

Zweitens sind auch Länder, die keine EU-Mitgliedstaaten sind, wichtig für die europäische Binnenschifffahrt und somit auch für Europa.

1.3.3

Drittens können die erforderlichen infrastrukturellen Anpassungen auf und an den Binnenwasserstraßen, die in den nationalen Zuständigkeitsbereich aller Staaten fallen, nur durch gemeinsames politisches Handeln in die Tat umgesetzt werden.

1.3.4

Viertens ist eindeutig, dass nicht alle Regeln auf alle europäischen Flüsse im gleichen Umfang und mit derselben Tragweite angewandt werden müssen, da die natürlichen Gegebenheiten, die Infrastruktur und die Intensität der Binnenschifffahrt unterschiedlich sind.

1.3.5

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen sollte die Strukturierung der gesamteuropäischen Binnenschifffahrt vor allem einen einzigartigen und speziellen Charakter erhalten.

1.4

Der politische Druck, eine gesamteuropäische Regelung zu schaffen, ist vorhanden, wovon die Aussagen der Ministerkonferenzen zeugen, doch wurde er bislang noch nicht spezifisch und energisch genug zum Ausdruck gebracht. Die Ministerkonferenz 2006 in Rumänien muss zeigen, inwieweit hier auch in der Politik tatsächlich zum Handeln übergegangen werden kann.

1.5

Eine einheitliche, integrierte Rechtsregelung darf dem hohen Niveau an Schutz, Sicherheit und einheitlicher Rechtsanwendung, das vor allem für die Rheinschifffahrt erreicht worden ist, nicht schaden. Es ist zu erwarten, dass die ZKR-Mitgliedstaaten bei einem möglichen Übergang zu einer neuen Regelung den Erhalt des sog. „acquis rhénan“ einfordern werden. Enge und direkte Beziehungen zur Binnenschifffahrtswirtschaft machen ebenso Teil dieses hohen Niveaus aus wie das „erworbene Recht“.

1.6

Sozialvorschriften werden in den bestehenden Regelwerken für die Binnenschifffahrt in Europa weitgehend vernachlässigt und müssen in diesem neuen System besonders berücksichtigt werden. Die Sozialpartner müssen umfassend in die Entwicklung eingebunden werden.

1.7

Alles in allem unterstützt der EWSA die Bemühungen, in der Endphase über einen Vertrag eine unabhängige Organisation zu schaffen, die zumindest sowohl die internationalen Organisationen, wie die EU selbst, die Binnenschifffahrt betreibenden EU-Mitgliedstaaten als auch Nicht-EU-Mitgliedstaaten, wie die Schweiz und die Donauanrainerstaaten, die nicht Mitglied der EU sind, umfassen könnte. Innerhalb einer Organisation mit solchen Vertragsparteien kann ein Treffen der Minister politische, rechtlich durchsetzbare Beschlüsse fassen und die Aufsicht über die nationalen Kontrollen ausüben. Außerdem könnten in dieser Organisation nicht nur alle Sach- und Fachkenntnisse gebündelt werden, die bislang in den unterschiedlichen bestehenden Gremien versammelt sind. Gleichzeitig könnte auch darauf geachtet werden, dass das bestehende Schutz- und Sicherheitsniveau zumindest bestehen bleibt und der sektorale soziale Dialog fortgeführt wird.

1.8

Der EWSA fordert alle Seiten einmal mehr auf, ihre Bemühungen in der vorstehend beschriebenen Richtung fortzusetzen, vor allem in Bezug auf eine engere Zusammenarbeit und die Schaffung einer im Obenstehenden angesprochenen unabhängigen Organisation. Die aktive Beteiligung des Ausschusses an diversen Foren im Bereich der Binnenschifffahrt zeigt, dass der Ausschuss selbst sich weiterhin aktiv dafür einsetzt, dass dies alles so schnell wie möglich verwirklicht wird. Er beabsichtigt, dieses Jahr an den einschlägigen Anhörungen des Europäischen Parlaments und, falls möglich, auch an der Ministerkonferenz über die gesamteuropäische Binnenschifffahrt Ende 2006 in Rumänien teilzunehmen.

2.   Einleitung

2.1

In seiner Stellungnahme vom 16. Januar 2002 zum Thema „Die Zukunft des transeuropäischen Binnenwasserstraßennetzes“ und seiner Stellungnahme vom 24. September 2003 zum Thema „Streben nach einer gesamteuropäischen Regelung der Binnenschifffahrt“ hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Lage der europäischen Binnenschifffahrt analysiert (1). In der Stellungnahme aus dem Jahr 2003 wird auf die Probleme der Binnenschifffahrt sowie auf das Erfordernis einer harmonisierten Regelung eingegangen. Dies gilt sowohl für die öffentlich-rechtliche als auch für privatrechtliche Aspekte. Ferner werden in der besagten Stellungnahme Fragen wie Umwelt und Sicherheit, die Arbeitsmarktsituation und soziale Aspekte behandelt. Die sozialen Aspekte werden in der Initiativstellungnahme vom September 2005 zum Thema „Sozialpolitische Maßnahmen im Rahmen einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrt“ noch ausführlicher erörtert.

2.2

Der EWSA ersucht in der zweitgenannten Stellungnahme u.a. alle an der Binnenschifffahrt beteiligten Seiten, sich weiterhin um die Verwirklichung integrierter Regelungen und einheitlicher Rechtsvorschriften in Bezug auf die Binnenschifffahrt zu bemühen. Die bestehenden Verträge, Übereinkommen und bilateralen Abkommen, die für nationale und internationale Wasserstraßen gelten, müssten laut dieser Stellungnahme harmonisiert werden, um die Binnenschifffahrt auf gesamteuropäischer Ebene zu fördern.

2.3

Der Ausschuss bringt in all diesen Stellungnahmen ferner zum Ausdruck, dass er selbst auch weiterhin Impulse geben wird, um ein baldmöglichstes Zustandekommen integrierter rechtlicher Regelungen für sämtliche europäischen Binnenwasserstraßen zu erreichen.

2.4

Diese Absicht beruht vor allem auf der Überzeugung, dass die Binnenschifffahrt als die im Vergleich sauberste und umweltfreundlichste Verkehrsart mit genügend Wachstumspotenzial in der Zukunft einen erheblichen Beitrag leisten kann, um das unvermeidliche Verkehrswachstum in nachhaltiger Weise aufzufangen.

2.5

Ein Problem der europäischen Binnenschifffahrt ist die Existenz dreier unterschiedlicher Regelwerke, die sich geografisch teilweise überlappen.

2.6

Aufgrund einiger wichtiger Entwicklungen in diesem Bereich in jüngerer Zeit hält der Ausschuss es für zweckmäßig und erforderlich, nun eine diesbezügliche Initiativstellungnahme vorzulegen.

3.   Der bestehende institutionelle Rahmen

3.1

In der Stellungnahme vom 24. September 2003 wird auf die drei bestehenden Regelwerke in Europa eingegangen, nämlich die revidierte Mannheimer Akte von 1868 für die Rheinschifffahrt, das Belgrader Übereinkommen von 1948 für die Donau sowie der Geltungsbereich der EU-Verträge und der gemeinsame Besitzstand der EU.

3.2

Die revidierte Mannheimer Akte zählt derzeit fünf Vertragsstaaten, und zwar die EU-Mitgliedstaaten Belgien, Deutschland, Frankreich und die Niederlande sowie die Schweiz als Nicht-EU-Mitgliedstaat. Durch die Festschreibung des Rechts der Freiheit der Schifffahrt und eine einheitliche und harmonisierte Regelung auf dem Rhein und seinen Seitenflüssen entstand im 19. Jahrhundert eine Art „Binnenmarkt in Reinkultur“, der für die wirtschaftliche Entwicklung in Europa von großer Bedeutung war und noch immer ist.

3.3

Zwar ließe ihr Alter anderes vermuten, doch handelt es sich bei der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) um eine äußerst moderne Organisation mit einem kleinen Sekretariat, einem großen Netzwerk (nationaler) Spezialisten und engen Verbindungen zur Binnenschifffahrtswirtschaft, die in der Lage ist, schnell auf Entwicklungen zu reagieren, um die Rheinschifffahrtsregelung immer auf dem optimalen und aktuellsten Stand zu halten.

3.4

Die ZKR ist befugt, Vorschriften zu erlassen und fasst ihre Beschlüsse einstimmig. Die Vertragsstaaten der Mannheimer Akte sind verpflichtet, die Beschlüsse ggf. in nationales Recht umzusetzen. Die Befugnisse der ZKR erstrecken sich auf technische Normen, die Schiffsbesatzung, Sicherheit, Umwelt und Freiheit der Schifffahrt. Die Mannheimer Akte schreibt vor, dass die Binnenschifffahrt von den Vertragsparteien gefördert werden soll. Die ZKR hat Entscheidungsbefugnis in Streitigkeiten in den von der Akte erfassten Bereichen.

3.5

Die Regelung für die Donau ist im Belgrader Übereinkommen festgelegt. Die Donauanrainerstaaten, die Vertragsstaaten sind, sind Mitglieder der Donaukommission, die, anders als die ZKR, nur über beratende Befugnisse verfügt. Ferner soll auch nur der zwischenstaatliche Schiffsverkehr auf der Donau geregelt werden. Der Kabotageverkehr (der auf dem Rhein der Mannheimer Akte unterliegt) fällt nicht in den Anwendungsbereich des Belgrader Übereinkommens. Auf der Donau ist ein einheitliches Regelwerk daher keine Selbstverständlichkeit. Die Donaukommission zählt EU-Mitgliedstaaten, EU-Kandidatenländer auf dem Balkan und weitere Staaten, wie Serbien-Montenegro, die Republik Moldau, die Ukraine und Russland, zu ihren Mitgliedern.

3.6

Seit dem Vertrag von Rom aus dem Jahr 1957 wurde der EU-Binnenmarkt allmählich geschaffen und auch auf dem Gebiet der Binnenschifffahrt ausgebaut. Die Europäische Kommission ist in diesem Zusammenhang mit Aufgaben u.a. im Zusammenhang mit technischen Normen, der Schiffsbesatzung, Umwelt und Sicherheit betraut worden.

3.7

In der Praxis arbeiten die ZKR, die Donaukommission und die Europäische Kommission glücklicherweise immer stärker zusammen, wobei vor allem das technische Fachwissen und die Erfahrung der ZKR eine wichtige Rolle spielen. Die Zusammenarbeit zwischen ZKR und Europäischer Kommission hat am 3. März 2003 durch den Abschluss einer Kooperationsvereinbarung neue Impulse erhalten. Die Zusammenarbeit mit der Donaukommission findet bislang nur gelegentlich statt.

4.   Entwicklungen der jüngeren Zeit

4.1

Im Oktober 2004 legte eine Gruppe unabhängiger ost- und westeuropäischer Persönlichkeiten einen Bericht vor, in dem der heutige institutionelle Rahmen für die Binnenschifffahrt auf europäischer Ebene analysiert wird und Empfehlungen für eine Stärkung dieses Rahmens ausgesprochen werden. Es handelt sich hierbei um eine niederländische Initiative, die von Deutschland, Belgien, Frankreich und der Schweiz unterstützt wurde. Die Gruppe unter der Leitung des ehemaligen niederländischen Wirtschaftsministers und Vizepremierministers Jan Terlouw nannte sich die „EFIN-Gruppe“ (European Framework for Inland Navigation) und veröffentlichte einen Bericht mit dem Titel „Neuer institutioneller Rahmen für die Europäische Binnenschifffahrt“ . Daneben zählte die Gruppe noch sieben weitere Mitglieder aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Ungarn, Österreich, Rumänien und der Schweiz.

4.2

Die EFIN-Gruppe stellte fest, dass die Binnenschifffahrt über ein großes Potenzial verfügt, dessen Wert nur unzureichend anerkannt wird. Die Binnenschifffahrt kann einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des europäischen Gütertransportsystems leisten. Der institutionelle Rahmen trägt nach Einschätzung der EFIN-Gruppe nicht in ausreichendem Maße zur optimalen Nutzung des Potenzials der europäischen Binnenschifffahrt bei. Außerdem wird der bestehende Rahmen als zu schwach erachtet, um auf politischer Ebene die erforderliche Aufmerksamkeit für eine Weiterentwicklung des Sektors zu erzeugen.

4.3

Wie der EWSA schon in seinen Stellungnahmen vom 16. Januar 2002 bzw. 24. September 2003 empfohlen hatte, kommt auch die EFIN-Gruppe in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass eine stärkere Harmonisierung von technischen Vorschriften, Qualifikationen, Zertifizierungsmechanismen und Marktzugangsbedingungen auf allen europäischen Binnenwasserstraßen erforderlich ist. Zudem wird eine Instanz für wünschenswert erachtet, die bei der Verbesserung der Binnenschifffahrtinfrastruktur, der Entwicklung technischer Anwendungen an Bord, bei der Stimulation von Innovation und der Förderung von beruflicher Qualifikation Unterstützung leisten kann. Eine aktive Unterstützung der Institutionen ist erforderlich, um die der Entwicklung der Binnenschifffahrt im Wege stehenden Hindernisse zu beseitigen. Zu diesem Zweck sollte eine eigene Organisation eingerichtet werden.

4.4

Die EFIN-Gruppe hat einige Optionen für die Schaffung einer solchen neuen Organisation geprüft, wobei immer die gesamteuropäische Dimension berücksichtigt wurde. Eine engere Zusammenarbeit zwischen den heutigen Einrichtungen und vor allem zwischen der ZKR, der Donaukommission und der Europäischen Kommission (aber auch mit der Europäischen Verkehrsministerkonferenz (CEMT) und der UN-Wirtschaftskommission für Europa (UN-ECE)) wird empfohlen; dies allein reicht jedoch nicht aus, um der vorgeschlagenen neuen Organisation konkrete Gestalt zu geben.

4.5

Daher wird die Gründung einer „Europäischen Binnenschifffahrtsorganisation“ empfohlen, die mit umfassenden Befugnissen ausgestattet sein sollte, um alle Aspekte der Binnenschifffahrt abdecken zu können. Für diese Organisation ist kein neuer Vertrag erforderlich. Bestehende Verträge und Regelungen sollten daher auch intakt bleiben und nicht geändert werden. Auch sollte die neue Organisation flexibel sein, d.h. veränderten Gegebenheiten angepasst werden können, und aus verschiedenen Komponenten bestehen, die auch unabhängig voneinander arbeiten können.

4.6

Die Organisation sollte aus drei Komponenten bestehen, und zwar aus einer politischen Versammlung in Form einer Europäischen Ministerkonferenz für die Binnenschifffahrt, einem administrativen Organ (das Europäische Binnenschifffahrtsamt) und einem Finanzinstrument (der Europäische Interventionsfonds für die Binnenschifffahrt). Nähere Einzelheiten sind dem Bericht der EFIN-Gruppe zu entnehmen.

4.7

Es sei noch erwähnt, dass die EFIN-Gruppe als eine Option die Möglichkeit einer Gemeinschaftsagentur für die Binnenschifffahrt geprüft hat. Die EFIN-Gruppe fragt sich, ob genügend politischer Wille vorhanden ist, um zu einer solchen Agentur zu gelangen. Zudem wird vorgebracht, dass diese Agenturen normalerweise nicht die Befugnis haben, Vorschriften zu erlassen, sondern über Durchführungs- und Kontrollbefugnisse verfügen und Informationen sammeln sollen. Da viele Wasserstraßen nicht dem Gemeinschaftsrecht unterliegen, würde eine solche Agentur eine nur begrenzte geografische Reichweite haben. Insgesamt kommt die Gruppe hier zu einem ablehnenden Urteil.

4.8

Die Europäische Kommission legte am 14. Juli 2005 ein Konsultationspapier mit dem Titel „Integriertes Europäisches Aktionsprogramm für die Binnenschifffahrt“ vor. Die Kommission nennt hier einige Bereiche, in denen sie den Transport auf den Binnenwasserstraßen der Gemeinschaft verbessern möchte. Die betroffenen Akteure wurden um ihre Kommentare gebeten. Daraufhin hat die Europäische Kommission am 17. Januar 2006 die Mitteilung „NAIADES“ über die Förderung der Binnenschifffahrt mit dem Titel „Integriertes Europäisches Aktionsprogramm für die Binnenschifffahrt“ (2) vorgelegt.

4.9

Neben zahlreichen Maßnahmen in fünf strategischen Bereichen untersucht die Kommission auch die bestehenden Möglichkeiten für eine Modernisierung des Regelwerks, um dieses für künftige Herausforderungen zu rüsten. Zu diesem Zweck müsste die Organisationsstruktur, die heute stark fragmentiert und daher nicht effizient genug ist und eine zu geringe politische Bedeutung hat, modernisiert und verbessert werden. Die Änderungen an den bestehenden Instrumenten müssen jedoch den bestehenden Verpflichtungen und internationalen Übereinkünften Rechnung tragen. Der bestehende „Acquis“ muss daher respektiert werden.

4.10

Die Kommission führt aus, dass dieser Prozess bereits begonnen hat und verweist in diesem Zusammenhang auf die Empfehlung der Kommission an den Rat vom 1. August 2003 zur Ermächtigung der Kommission zur Aufnahme und Führung von Verhandlungen über die Bedingungen und Modalitäten des Beitritts der Europäischen Gemeinschaft zur Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und zur Donaukommission sowie auf den Bericht der EFIN-Gruppe. Der Kommission zufolge stehen derzeit vier Optionen zur Debatte, und zwar: a) eine intensivere Zusammenarbeit zwischen den internationalen Stromkommissionen und der Europäischen Kommission, b) der Beitritt der EU zu den beiden Stromkommissionen, c) die Schaffung einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrtsorganisation und d) Betrauung der Gemeinschaft mit der strategischen Entwicklung der Binnenschifffahrt in Europa unter Berücksichtigung der Interessen von Drittstaaten.

5.   Gesamteuropäische Binnenschifffahrt

5.1

Die Idee, eine gesamteuropäische Regelung für die Binnenschifffahrt zu schaffen und so den Binnenschiffstransport auf dem gesamten Kontinent zu fördern, ist nicht neu und wird von vielen Seiten unterstützt. Bereits 1991 sprach sich eine Ministerkonferenz in Budapest in dieser Richtung aus. Die Gesamteuropäische Binnenschifffahrtskonferenz hat am 5./6. September 2001 in Rotterdam in einer Erklärung angegeben, dass die gesamteuropäische Zusammenarbeit mit dem Ziel eines freien und leistungsstarken Transports auf den Binnenwasserstraßen beschleunigt werden muss. Die Erklärung enthält einige Ausgangspunkte, Ziele und Maßnahmen. Ein Ausgangspunkt ist, dass die Harmonisierung nicht zu Lasten des bestehenden Niveaus der Sicherheits- und Qualitätsnormen gehen darf und dass vorteilhafte soziale Bedingungen — zumindest die bestehenden — zu wahren sind. Die Schaffung eines transparenten und integrierten gesamteuropäischen Marktes für den Transport auf den Binnenwasserstraßen, der auf den Prinzipien der Gegenseitigkeit, der freien Schifffahrt, des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung der Benutzer von Binnenwasserstraßen beruht, wird gefordert.

5.2

Neben Bemühungen u.a. im Infrastrukturbereich — bekanntermaßen auch in der EU noch eine nationale Angelegenheit — wird in der Erklärung dazu aufgerufen, die Zusammenarbeit zwischen Europäischer Kommission, UN-ECE und den beiden Stromkommissionen im Bereich der gesamteuropäischen Harmonisierung der technischen, Sicherheits- und Besatzungsbedingungen zu intensivieren und diese zu ermuntern, sich gemeinsam für die Verbesserung der beruflichen Bildung und Ausbildung einzusetzen. Ferner werden die UN-ECE, die Europäische Kommission, die beiden Stromkommissionen und die CEMT ersucht, bis Ende 2002 in enger Zusammenarbeit die rechtlichen Hindernisse zu ermitteln, die der Schaffung eines harmonisierten und konkurrierenden gesamteuropäischen Transportmarkts auf den Binnenwasserstraßen im Wege stehen, und hierfür Lösungen zu entwickeln.

5.3

Es ist festzustellen, dass die Überlegungen über einen institutionellen Rahmen für die Binnenschifffahrt seit der Konferenz gut angelaufen sind. In diesen Zusammenhang sei noch auf den Workshop der CEMT, UN-ECE und der Stromkommissionen vom September 2005 in Paris mit dem vielsagenden Titel „On the Move“ verwiesen.

5.4

Als Nachgang zu der Konferenz von Rotterdam findet 2006 in Rumänien erneut eine Ministerkonferenz statt.

6.   Bemerkungen

6.1

Der Bericht der EFIN-Gruppe liefert nach Ansicht des EWSA einen wertvollen Beitrag zu der Debatte über das institutionelle Problem. Insbesondere die in dem Bericht enthaltenen Analysen tragen hierzu bei und können daher auch unterstützt werden. Jedoch wird die logische Konsequenz aus der Analyse nicht in vollem Umfang gezogen, da die vorgeschlagene Lösung mit einer nur unzureichend verbindlichen Beschlusskraft ausgestattet zu sein scheint. Zudem ist auch im Bericht der EFIN-Gruppe, ebenso wie in den bestehenden Verträgen und Regelungen, ein „blinder Fleck“ in Bezug auf die Sozialvorschriften festzustellen.

6.2

Begrüßenswert ist, dass die Kommission die Debatte über die institutionellen Reformen im Gegensatz zur Vergangenheit nun gänzlich offen hält. Dass die Kommission dieses Problem von den fünf strategischen Bereichen völlig trennt, trägt sicher hierzu bei. Zu den vorgeschlagenen Optionen merkt der EWSA an, dass auf kurze Sicht eine intensivere Zusammenarbeit sicherlich geboten ist, wie von der Kommission in Option 1 vorgeschlagen wird. Der Beitritt der Kommission zur ZKR, über den der Beschluss des Rates seit nunmehr zwei Jahren aussteht, kann ein Schritt im Rahmen dieser Intensivierung sein. Um die angestrebte Effizienz zu erreichen und auch um mehr politische Aufmerksamkeit zu erzeugen, werden jedoch weiter gehende Maßnahmen erforderlich sein.

6.3

Mit Blick auf die beiden weiteren Optionen, die für die Endphase der Reformen vorgesehen sind, also eine gesamteuropäische Binnenschifffahrtsorganisation und die Betrauung der Gemeinschaft mit der Entwicklung der Binnenschifffahrt in Europa, zählt die Kommission zwar Vor- und Nachteile auf, um die Debatte offen zu halten, entscheidet sich jedoch für eine der Optionen.

6.4

Der EWSA will sich, auch um zu der Debatte beizutragen, nach Abwägung der vorgebrachten Argumente, hier sehr wohl für eine Option entscheiden. Nach Auffassung des EWSA würde die von der Kommission vorgeschlagene Option, die Gemeinschaft mit der Entwicklung der Binnenschifffahrt in Europa zu betrauen, nicht das gesamte Unionsgebiet abdecken. Die Regelungen für den Rhein und (in geringerem Ausmaß) auch für die Donau blieben bestehen, was dann doch wieder eine zusätzliche institutionelle Ebene mit sich bringt und Koordinierungsaufwand erfordert. Diese Option verlangt auch den Abschluss von Übereinkommen mit Drittstaaten, was zu Differenzen führen kann. Die Zusammenarbeit mit den Stromkommissionen würde praktisch bedeuten, dass die Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und die Donaukommission das Fachwissen und die Fähigkeiten zur Verfügung stellen müssten. Das auf Gemeinschaftsebene zu entwickelnde Fachwissen käme tatsächlich einer Duplizierung des in den Stromkommissionen vorhandenen Wissens gleich und wäre eine Überlappung — was die Kommission erklärtermaßen ja nun gerade vermeiden möchte.

6.5

Hingegen kann der EWSA den von der Kommission aufgezählten positiven Argumenten für die Option einer gesamteuropäischen Binnenschifffahrtsorganisation, in der alle an der Binnenschifffahrt interessierten europäischen Länder und Organisationen — und somit auch die Europäische Union — innerhalb eines Koordinierungsgremiums zusammengeführt werden, durchaus zustimmen; eine solche Organisation würde der Binnenschifffahrt eine größere politische Bedeutung verleihen, und die Binnenschifffahrt könnte besser strategisch gefördert werden; außerdem würde die Harmonisierung der Rechtsvorschriften gefördert. Ein von der Kommission weder positiv noch negativ bewertetes Argument, dass diese Organisation über Beiträge der beteiligten Parteien finanziert werden muss, ist gerade deswegen als positiv auszulegen, weil im Rahmen dieser Option nicht nur die EU-Mitgliedstaaten, sondern auch die Drittstaaten einen Beitrag zur Entwicklung der Binnenschifffahrt leisten würden.

6.6

Zu den von der Kommission aufgeführten negativen Argumenten ist Folgendes anzumerken: Das Zustandekommen und die Ratifizierung eines Vertrags würde sicherlich einige Zeit in Anspruch nehmen, doch im Grunde ist dieser Prozess bereits eingeleitet worden und dürfte, ausreichenden politischen Willen vorausgesetzt, in ein paar Jahren abgeschlossen werden können. Der Erfolg der Ministerkonferenzen für die Binnenschifffahrt der Jahre 1991 und 2001 und der 2006 in Rumänien geplanten Konferenz kann als Zeichen in diese Richtung gesehen werden. Der Einwand, dass eine solche Organisation außerhalb des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens operieren würde, ist nicht aufrecht zu erhalten, wenn durch die Beteiligung der EU die Verbindung zur Gemeinschaft gewährleistet bleibt. Auch die praktische Umsetzung der Beschlüsse der Organisation kann vertraglich abgesichert werden, wie es bei der Mannheimer Akte für den Rhein schon der Fall ist.

6.6.1

Auf dem Binnenschifffahrtskongress (Inland Navigation Summit, Industry Congress), der vom 13. bis 15. Februar 2006 in Wien stattfand, hat die Europäische Kommission ein weiteres Argument gegen die Vertragsoption ins Spiel gebracht, nämlich dass die Binnenschifffahrt laut Vertrag ganz in den Zuständigkeitsbereich der EU fällt und nicht durch einen anderen zwischenstaatlichen Vertrag übertragen werden kann. Hierzu ist anzumerken, dass sich die europäische Binnenschifffahrt gerade dadurch auszeichnet, dass bestimmte Zuständigkeiten, insbesondere bei der Rheinschifffahrt, gemäß der revidierten Mannheimer Akte den Rheinanrainerstaaten vorbehalten sind. Hinzu kommt, dass hierbei auch Nicht-EU-Mitgliedstaaten in ein europäisches Regelwerk eingebunden werden möchten, wofür die Zuständigkeit der Gemeinschaft auch nicht gelten kann.

6.6.2

Die Option eines Vertrags würde ferner bedeuten, dass auch Nicht-EU-Mitgliedstaaten in das Regelwerk eingebunden werden könnten. Außerdem könnten „Stromkammern“ mit unterschiedlichen Zuständigkeiten eingerichtet werden. Auf EU-Gewässern könnte dann das EU-Binnenschifffahrtsrecht uneingeschränkt weiter gelten. Der große Vorteil einer solchen Option wäre, dass über gesamteuropäische Angelegenheiten beraten und beschlossen werden könnte und dass außerdem neue Zuständigkeiten, beispielsweise im Infrastrukturbereich, in Vertragstexten niedergeschrieben werden könnten.

Brüssel, den 21. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Siehe ABl. C 80 vom 3.4.2002 und ABl. C 10 vom 14.1.2004.

(2)  KOM(2006) 6 endg.


8.8.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 185/106


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem„Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 vom 15. Juli 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung einer Europäischen Agentur für Flugsicherheit“

KOM(2005) 579 endg. — 2005/0228 (COD)

(2006/C 185/19)

Der Rat beschloss am 31. Januar 2006 gemäß Artikel 80 Absatz 2 des EG-Vertrags, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

Die mit der Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 24. März 2006 an. Berichterstatter war Herr SIMONS.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 21. April) mit 71 gegen 3 Stimmen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die Zielsetzung uneingeschränkt, den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 auf den Flugbetrieb, die Flugzeitbegrenzung (FCL) und Luftfahrzeuge aus Drittstaaten auszuweiten. Die Wirksamkeit und Sicherheit würden durch eine einzige, für die gesamte Flugsicherheit zuständige Regulierungsbehörde gesteigert.

1.2

Die Gemeinschaft sollte hinsichtlich der zusätzlichen Zulassung von gewerblichen Betreibern aus Drittstaaten über klar definierte Möglichkeiten verfügen, bilaterale Abkommen mit Drittstaaten über die gegenseitige Anerkennung von relevanten Bescheinigungen zu unterzeichnen. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass auch Maßnahmen eingeleitet werden sollten, die die Erfüllung der Verpflichtungen aller ICAO-Mitgliedstaaten gewährleisten, wodurch derartige zusätzliche Zulassungen überflüssig würden.

1.3

Die EASA muss zur Erfüllung der im Kommissionsvorschlag beschriebenen Aufgaben über mehr Mittel verfügen, um hohe Standards in der Luftverkehrssicherheit zu garantieren. Hierzu sind Gemeinschaftsmittel in viel größerem Umfang notwendig als gegenwärtig geplant. Gleichzeitig liegt in der Zusammenlegung von Ressourcen auf EU-Ebene nicht nur für die Industrie sondern auch für die einzelstaatlichen Regierungen die Möglichkeit umfassender Kosteneinsparungen. Dieser Themenbereich wird in dem Vorschlag nicht behandelt.

1.4

Der EWSA ist der Überzeugung, dass die Definition gewerblicher Tätigkeiten sowohl den Betrieb durch Unternehmen als auch den Betrieb im Rahmen einer Teileigentümerschaft umfassen sollte, um für alle Fluggäste innerhalb der EU den gleichen Sicherheitsschutz zu gewährleisten.

1.5

Entsprechend den sicherheitsrelevanten Zielen, wie sie insbesondere unter Ziffer 1.1 und 1.4 oben genannt werden, und im Interesse der Benutzer ist es von herausragender Bedeutung, dass die EASA sicherstellt, dass die Aufnahme der JAR-OPS-Vorschriften in das Gemeinschaftsrecht im Wege der anhängigen Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 bzw. im Rahmen eines anderen Verfahrens einen tatsächlichen Fortschritt darstellt und ein genügendes Maß an Harmonisierung in den verschiedenen unter ihrer Verantwortung regulierten Bereichen gewährleistet.

2.   Einführung und Zusammenfassung des Kommissionsvorschlags

2.1

Im Jahr 2002 wurden gemeinsame Vorschriften für die Zivilluftfahrt festgelegt und die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) durch die Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates gegründet.

2.2

Das Hauptziel dieser Verordnung ist die Schaffung und Aufrechterhaltung eines einheitlichen, hohen Niveaus der zivilen Flugsicherheit in Europa. Zusätzlich bezweckt die Verordnung die Sicherstellung eines einheitlichen, hohen Umweltschutzniveaus, eine Erleichterung des freien Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehrs, eine Steigerung der Kosteneffizienz in Bezug auf die Regulierungs- und Zertifizierungsverfahren und die Vermeidung einer doppelten Verwaltung auf nationaler und europäischer Ebene. Des Weiteren sollen die Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen im Rahmen des Chicago-Übereinkommens der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) unterstützt und die gemeinsamen Ansichten zur zivilen Flugsicherheit verbreitet werden.

2.3

Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) hat im Rahmen der Verordnung insbesondere die Aufgabe,

die Kommission bei der Erfüllung ihrer Legislativaufgaben zu unterstützen,

die Kommission bei der Ausführung von Standardisierungsinspektionen der nationalen Behörden der zivilen Flugsicherheit zu unterstützen,

die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten in Bezug auf die Beziehungen zu Drittstaaten zu unterstützen,

den Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen zu helfen;

Zulassungsspezifikationen und Anleitungen herauszugeben,

Typenzeugnisse und Ersatzteiltypenzeugnisse für Erzeugnisse, Teile und Ausrüstungen auszustellen und deren fortwährende Lufttüchtigkeit sicherzustellen;

Zeugnisse für Entwicklungs-, Herstellungs- und Wartungsorganisationen außerhalb des Gebietes der Mitgliedstaaten, für Entwicklungs- und auch, so vom Mitgliedstaat gewünscht, für Herstellungsorganisationen in den Mitgliedstaaten auszustellen und die fortwährende Aufsicht über diese sicherzustellen.

2.4

Die nationalen Flugsicherheitsbehörden sind weiterhin für die Ausstellung individueller Zeugnisse der Lufttüchtigkeit für in ihrem Land ansässige Organisationen (der Bereich der Entwicklung ausgenommen) und Belegschaften zuständig, die jedoch mit den gemeinsamen Vorschriften übereinstimmen müssen und Standardisierungsinspektionen der EASA unterliegen.

2.5

Im Allgemeinen wird anerkannt (1), dass aus Gründen der Effizienz, Sicherheit und Standardisierung die Bündelung aller regulierenden Tätigkeiten im Bereich der Flugsicherheit in einer einzigen Behörde (der EASA) unentbehrlich ist.

2.6

In ihrer Begründung erinnert die Kommission daran, dass die Gemeinschaft seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 im September 2002 über die ausschließliche Zuständigkeit auf dem Gebiet der Lufttüchtigkeit und der Umweltverträglichkeit von Luftfahrterzeugnissen, Teilen und Ausrüstungen verfügt. Bereits bei der Verabschiedung dieses Textes herrschte Einigkeit darüber, dass zur Sicherstellung eines einheitlichen, hohen Niveaus der zivilen Flugsicherheit und zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für Luftverkehrsunternehmen der Anwendungsbereich dieses Textes auf den Flugbetrieb und auf die Zulassungserteilung für Flugbesatzungen ausgeweitet werden muss.

2.7

Die Kommission ruft in Erinnerung, dass die Aufnahme der JAR-OPS-Vorschriften in das Gemeinschaftsrecht infolge der anhängigen Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 (EU-OPS-1) zweifellos als Fortschritt zu bewerten ist, dass dadurch aber noch kein ausreichendes Harmonisierungsniveau erreicht wird, da nur der gewerbliche Transport per Flugzeug abgedeckt ist. Alle anderen Luftfahrzeugtypen sowie der sonstige gewerbliche bzw. nicht-gewerbliche Luftverkehr werden durch diese gemeinsamen Vorschriften nicht abgedeckt, genauso wenig wie sie die Zulassung der Flugbesatzungen und die Drittlandluftfahrzeuge betreffen. Deshalb wurde vorgeschlagen, die Verordnung (EG) Nr. 1592/2002 zu ändern.

2.8

Der Vorschlag beinhaltet darüber hinaus Zulassungsbedingungen für gewerbliche Betreiber aus Drittstaaten, die europäische Flughäfen anfliegen.

2.9

Am 16. November 2005 veröffentlichte die Kommission ihren Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) 1592/2002 vom 15. Juli 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) (KOM(2005) 579 endg.).

2.10

Der Vorschlag beinhaltet die Ausweitung der gemeinsamen Regeln auf den gesamten Flugbetrieb und der Zulassungsbedingungen auf alle gewerblichen Betreiber. Die Zeugnisse werden von den nationalen Zulassungsorganen der Mitgliedstaaten oder gegebenenfalls von der EASA ausgestellt. Diese kann darüber hinaus, wo erforderlich, betriebliche Anweisungen festlegen.

2.11

Für den nicht-gewerblichen Luftverkehr werden die Vorschriften zur Komplexität der Luftfahrzeuge angepasst; eine Zulassung wird jedoch nicht erforderlich sein. Wenn dieser Flugbetrieb mit technisch komplizierten motorgetriebenen Luftfahrzeugen durchgeführt wird, ist von den betroffenen Betreibern festzustellen, ob sie den wesentlichen Anforderungen an den Flugbetrieb genügen.

2.12

Der Verordnungsvorschlag wird für die meisten innerhalb der Gemeinschaft tätigen Piloten eine Lizenz erforderlich machen. Diese wird auf der Grundlage gemeinsamer Anforderungen erteilt werden. Die Ausbildungseinrichtungen für Luftfahrzeugführer, deren Personal sowie die Übungsgeräte müssen ebenfalls gemäß den gemeinsamen Vorschriften zugelassen sein. Die EASA wird Standardisierungsinspektionen der für die Überprüfung dieser Vorschriften zuständigen nationalen Zulassungsorgane durchführen und ist selbst für die Zulassung der Organisationen und der synthetischen Flugübungsgeräte in den Drittstaaten verantwortlich.

2.13

Die innerhalb der Gemeinschaft verkehrenden Luftfahrzeuge aus Drittländern müssen gemäß dem Vorschlag den gemeinsamen Betriebsvorschriften entsprechen. Dadurch wird für eine ausreichende Gewährleistung der Sicherheit gesorgt. Darüber hinaus werden die gewerblichen Betreiber aus Drittstaaten, deren Luftfahrzeuge innerhalb der Gemeinschaft verkehren, die ihnen erteilte Zulassung nachweisen müssen.

2.14

Des Weiteren werden Änderungen in Bezug auf die Funktionsweise der Behörde, besonders auf die des Verwaltungsrats vorgeschlagen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Die Luftfahrt in Europa braucht eine einzige Regulierungsbehörde für die Sicherheit aller Bestandteile der luftfahrtbezogenen Wertschöpfungskette, um eine folgerichtige und zusammenhängende Herangehensweise in Bezug auf eine Regulierung der Sicherheitsvorschriften für den gemeinsamen Luftverkehrsmarkt zu gewährleisten. Die Wirksamkeit und Sicherheit würden durch eine einzige, die gesamte Regulierungstätigkeit zur Flugsicherheit abdeckende Behörde gesteigert, da die verschiedenen Aspekte der Regulierung von Sicherheitsvorschriften nicht klar voneinander abgegrenzt sind. Daher unterstützt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die Zielsetzung uneingeschränkt, den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 1592/2002 auf den Flugbetrieb, die FCL und Luftfahrzeuge aus Drittstaaten auszuweiten.

3.2

Es besteht die Notwendigkeit, die Sicherheit der innerhalb der Gemeinschaft eingesetzten Drittlandluftfahrzeuge zu gewährleisten. Ferner müssen wieder gleiche Wettbewerbsbedingungen mit anderen Teilen der Welt (so mit den USA) hergestellt werden, die solche Anforderungen an die EU-Fluggesellschaften stellen, die Flugverbindungen in diese Länder unterhalten, und die diese Anforderungen dazu genutzt haben, ihren eigenen Fluggesellschaften auf Kosten der EU-Fluggesellschaften unfaire Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Die Gemeinschaft sollte jedoch hinsichtlich der zusätzlichen Zulassung von gewerblichen Betreibern aus Drittstaaten über klar definierte Möglichkeiten verfügen, bilaterale Abkommen mit Drittstaaten über die gegenseitige Anerkennung von relevanten Bescheinigungen zu unterzeichnen, um die internationalen Fluggesellschaften nicht mit zu vielen zusätzlichen Zulassungen zu belasten. Der EWSA ist daher der Ansicht, dass auch Maßnahmen eingeleitet werden sollten, die die Erfüllung der Verpflichtungen aller ICAO-Mitgliedstaaten gewährleisten, wodurch derartige zusätzliche Zulassungen überflüssig würden.

3.3

Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) braucht die nötige öffentliche Finanzierung durch die EU, um ihrer zusätzlichen Rolle auf dem Gebiet der Sicherheit gerecht zu werden. Sie muss insbesondere in der Lage sein, ausreichende Standardisierungsinspektionen aller nationalen Behörden für zivile Flugsicherheit innerhalb der Gemeinschaft und Sicherheitsanalysen durchzuführen und die Wettbewerbsfähigkeit Europas in Bezug auf andere Teile der Welt zu gewährleisten. Daher muss die EASA zur Erfüllung ihrer Aufgaben über mehr Mittel verfügen, um hohe Standards in der Luftsicherheit zu garantieren. Dazu werden viel mehr als die bisher veranschlagten Gemeinschaftsmittel benötigt.

3.4

Die Aufstockung der Mittel und des Personals der EASA muss mit einer allmählichen Verringerung des Personals der nationalen Behörden für zivile Flugsicherheit einhergehen, um die Ziele in Bezug auf Kosteneffizienz zu erreichen und um einen Kostenanstieg für die Industrie und die Fluggesellschaften der EU zu verhindern. Die Entwicklung eines Plans für die zukünftige Rolle und den Personalbedarf der nationalen Behörden für zivile Flugsicherheit vorausgesetzt, kann die Bündelung der Mittel auf EU-Ebene nicht nur in der Industrie, sondern auch bei den nationalen Regierungen zu erheblichen Kosteneinsparungen führen. Dieser Aspekt wurde im Kommissionsvorschlag nicht berücksichtigt.

3.5

Es ist unverzichtbar, dass die anhängige Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 (EU-OPS-1) entsprechend den sicherheits- und harmonisierungsrelevanten Zielen analysiert wird und dass die Ausführungsbestimmungen der EASA in Bezug auf den Luftfahrtbetrieb im Sinne eines gemeinsamen kohärenten Ansatzes der Verordnung und aufgrund klarer wissenschaftlicher Daten und Sicherheitsangaben ausgearbeitet werden.

3.6

Es ist darüber hinaus unverzichtbar, einen reibungslosen Übergang von den gegenwärtigen (auf JAR-OPS-1-Regelungen beruhenden) nationalen Systemen zu gewährleisten und die Veränderungen der bestehenden Regelungen auf Anpassungen an das Gemeinschaftsrecht und das neue EASA-System zu beschränken.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1

Die Definition eines gewerblichen Betriebs (Artikel 1) sollte den Betrieb durch Unternehmen und den Betrieb im Rahmen einer Teileigentümerschaft einschließen. Insbesondere sollten die Betreiber dazu verpflichtet sein, ihre Befähigung nachzuweisen, und sie sollten den gleichen Ausführungsbestimmungen unterliegen. Innerhalb der EU sollten alle Passagiere den gleichen Sicherheitsschutz genießen. Darüber hinaus ist es aus Sicherheitsgründen aufgrund der Tatsache, dass der Betrieb von technisch komplizierten motorgetriebenen Luftfahrzeugen (Boeing 737, Airbus A319) häufig innerhalb desselben Luftraumes wie der gewerbliche Betrieb stattfindet, von höchster Wichtigkeit, dass er den gleichen Vorschriften und der gleichen Anwendung dieser Vorschriften wie der gewerbliche Betrieb unterliegt.

4.2

Die anhängige Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 (EU-OPS-1) beinhaltet eine Harmonisierung der Sicherheitstrainingsanforderungen für die Kabinenbesatzung, lässt dahingegen den Aspekt der Ausstellung von Zeugnissen für die Mitgliedstaaten außer Acht. Einige Mitgliedstaaten stellen Zeugnisse aus, andere sehen hierzu jedoch keine Veranlassung. Die EASA muss daher überprüfen, ob sich diese mangelnde Harmonisierung der Arbeitsbedingungen von Kabinenbesatzungen nachteilig auf die Sicherheit der Passagiere auswirken könnte.

4.3

Hinsichtlich der anhängigen Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 (Unterteil Q von EU-OPS-1) ist es von äußerster Wichtigkeit, dass die Regelung zur Begrenzung der Flugzeit Gegenstand einer wissenschaftlichen und medizinischen Auswertung durch die EASA ist, und zwar nach Maßgabe der Bestimmungen, die in der Verordnung zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 (EU-OPS-1) festzulegen sind. Dies gilt auch für jedes, ggf. von der EASA im Rahmen ihrer künftigen Kontrolltätigkeit festgestelltes Sicherheitsproblem.

4.4

In Bezug auf den Verwaltungsrat (Artikel 25) und den vorgesehenen Vorstand (Artikel 28) der EASA muss unbedingt vermieden werden, die Agentur mit zu vielen Verwaltungsinstanzen zu überladen. Deshalb sollte der Verwaltungsrat nur ein oder zwei Mal jährlich zusammentreten, wenn ein Vorstand berufen wird. In diesem Zusammenhang ist es ebenfalls wichtig, die Berufung von Vertretern nationaler Flugsicherheitsbehörden in dieses Gremium zu vermeiden. Dies könnte nämlich angesichts der Tatsache, dass die nationalen Flugsicherheitsbehörden auf Einnahmen aus der Industrie angewiesen sind und daher einem effizienteren EASA-System möglicherweise nicht zugeneigt sind, zu Interessenkonflikten führen.

4.5

Der Vorschlag, vier Vertreter aus dem EASA-Beirat interessierter Kreise (EAB) in den Verwaltungsrat (und den Vorstand) der EASA zu berufen, stellt die logische Konsequenz der Tatsache dar, dass die EASA im Dienst der Industrie steht, die über die Entrichtung von Gebühren und Beiträgen für den größten Teil des EASA-Budgets aufkommt. Berücksichtigt man jedoch diesen großen Beitrag der Industrie zum Budget der EASA, wäre es logisch, den Vertretern der Industrie ein ähnliches Stimmrecht einzuräumen, wenn es sich um Themen handelt, die die allgemeine Funktionsweise und strategische Aspekte der Agentur betreffen.

4.6

Die Änderungen in Bezug auf die Ernennung des Exekutivdirektors und der Direktoren (Artikel 30 Buchstabe b Absatz 4) ergeben sich aus den allgemeinen Änderungen, die alle EU-Agenturen betreffen. Nichtsdestotrotz besteht im Falle einer hochqualifizierten Agentur wie der EASA die Notwendigkeit einer Überprüfung dieses Vorschlags, der erfolgreiche Kandidaten davon abhalten würde, ihren Pflichten länger als zwei Mal fünf Jahre nachzukommen. Dies könnte dahin führen, dass die EASA nicht in der Lage sein wird, die geeignetsten Kandidaten anzuwerben.

4.7

Die grundlegende Anforderung an die theoretische Ausbildung (Anhang III Absatz 1.i.1) übergeht anscheinend den Gebrauch von CD-ROMs im Rahmen der theoretischen Ausbildung, obwohl es sich hierbei um eine in der Industrie bereits bewährte Standardtrainingsmethode handelt. Daher sollte der Absatz folgendermaßen geändert werden: „1.i.1 Theoretische Ausbildung: ‚Die theoretische Ausbildung muss durch entsprechend qualifizierte Lehrer erfolgen oder entwickelt werden.‘“

4.8

Die grundlegende Anforderung an den Luftfahrtbetrieb und die Sitze (Anhang IV Absatz 3.a.3) sollte folgendermaßen geändert werden: „Je nach Luftfahrzeugmuster sollte der verantwortliche Luftfahrzeugführer während des Starts und der Landung, während des Rollens und wenn er es aus Sicherheitsgründen für notwendig hält, dafür sorgen, dass jeder Fluggast an Bord ordnungsgemäß sitzt und durch den Anschnallgurt gesichert ist.“ Der Grund dieser Änderung besteht darin, den gegenwärtigen Sicherheitsvorschriften Rechnung zu tragen, die es Kleinkindern (unter 2 Jahren) erlauben, auf dem Schoß zu sitzen, und die den Gebrauch von Liegen während des Starts, der Landung und dem Rollen aus Sicherheitsgründen verbietet (Liegen können nur während des Fluges benutzt werden, um Kleinkindern eine komfortable Reise zu ermöglichen).

4.9

Die grundlegenden Anforderungen an Umfang und Zusammensetzung des Flugpersonals (Anhang IV Absatz 7.a) haben den Umfang und die Zusammensetzung der Flugbesatzung anscheinend mit dem Umfang und der Zusammensetzung der Kabinenbesatzung zusammengefasst. Der Umfang und die Zusammensetzung der Flugbesatzung wurde bereits anderweitig behandelt, da die diesbezüglichen Bestimmungen von dem Zeugnis des Luftfahrzeuges (im Flughandbuch angegebene Betriebsgrenzen, siehe Absatz 4.a) und den Bestimmungen zur Flugzeitbegrenzung (siehe Artikel 15.b.3) abhängen. Maßgeblich zur Bestimmung des Mindestumfangs der Kabinenbesatzung sind Sicherheitsvorschriften wie JAR-OPS 1990.

4.10

Der Vorschlag zu Sicherheitsprogrammen (Anhang IV Absatz 8.d(iv)) in Bezug auf den Schutz von elektronischen und Computersystemen zur Verhinderung eines vorsätzlichen Eingriffs in das System und seiner Zerstörung sollte gestrichen werden, da es für Betreiber von Fluggesellschaften unmöglich ist, solch einer Anforderung zu genügen. Dieser Aspekt betrifft die Erteilung von Zeugnissen für Luftfahrzeuge und Luftfahrzeugsysteme (Fluggesellschaften sollten nur für die Verhinderung von nicht vorsätzlichen Eingriffen verantwortlich sein, wofür bereits Sicherheitsanweisungen erteilt werden; dies betrifft jedoch nicht die Sicherheitsvorrichtungen).

4.11

Der Vorschlag sieht augenscheinlich nur 20 zusätzliche Stellen bei der EASA vor (siehe S. 59, „total number of human resources“ (Gesamtzahl der Mitarbeiter), um die Aufgaben im Rahmen der erweiterten Zuständigkeit zu erfüllen (Diese Zahl sollte mit den gegenwärtig rund 200 Beschäftigten in den nationalen Flugsicherheitsbehörden der EU, die die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Flugbetriebs und der FCL ausarbeiten, verglichen werden. Dazu kommt, dass in dem gegenwärtigen, durch die Arbeitsgemeinschaft europäischer Luftfahrtverwaltungen (Joint Aviation Authorities — JAA) koordinierten nationalen System die Industrie den Entwurf neuer Vorschriften in bedeutendem Umfang unterstützt, was in dem EASA-System nicht mehr möglich sein wird). 20 Stellen bei der EASA werden zur Erfüllung ihrer zusätzlichen Aufgaben völlig unzureichend sein. Dies könnte zu weiteren Verzögerungen bei wichtigen Regulierungstätigkeiten der EASA führen (was gegenwärtig bereits auf anderen Gebieten geschieht), was ein Sicherheitsrisiko darstellen und die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie untergraben könnte. Des Weiteren werden für die EASA-Standardisierungsinspektionen der nationalen Flugsicherheitsbehörden und für die Sicherheitsanalyse innerhalb dieser neuen Kompetenzfelder viel mehr Mittel gebraucht, um ein einheitliches Niveau an Sicherheitsaufsicht zu gewährleisten.

Brüssel, den 21. April 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Hier sei auf die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für die Zivilluftfahrt und zur Errichtung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit“ (Berichterstatter: Herr von Schwerin) (ABl. Nr. C 221 vom 7.8.2001) verwiesen.