ISSN 1977-0642

Amtsblatt

der Europäischen Union

L 138

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Rechtsvorschriften

65. Jahrgang
17. Mai 2022


Inhalt

 

II   Rechtsakte ohne Gesetzescharakter

Seite

 

 

VERORDNUNGEN

 

*

Durchführungsverordnung (EU) 2022/748 des Rates vom 16. Mai 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/735 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Südsudan

1

 

*

Delegierte Verordnung (EU) 2022/749 der Kommission vom 8. Februar 2022 zur Änderung der in der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2417 festgelegten technischen Regulierungsstandards mit dem Ziel, der Umstellung auf neue Referenzzinssätze bei bestimmten OTC-Derivatkontrakten Rechnung zu tragen ( 1 )

4

 

*

Delegierte Verordnung (EU) 2022/750 der Kommission vom 8. Februar 2022 zur Änderung der in der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2205 festgelegten technischen Regulierungsstandards mit dem Ziel, der Umstellung auf neue Referenzzinssätze bei bestimmten OTC-Derivatkontrakten Rechnung zu tragen ( 1 )

6

 

*

Durchführungsverordnung (EU) 2022/751 der Kommission vom 16. Mai 2022 zur Nichtgenehmigung des Wirkstoffs Chlorpikrin gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln ( 1 )

11

 

 

BESCHLÜSSE

 

*

Beschluss (EU) 2022/752 des Rates vom 5. April 2022 zur Änderung des Beschlusses 1999/70/EG über die externen Rechnungsprüfer der nationalen Zentralbanken hinsichtlich der externen Rechnungsprüfer der Bank of Greece

13

 

*

Beschluss (GASP) 2022/753 des Rates vom 16. Mai 2022 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2019/938 zur Unterstützung eines Vertrauensbildungsprozesses mit dem Ziel der Schaffung einer von Kernwaffen und allen anderen Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen Osten

15

 

*

Beschluss (GASP) 2022/754 des Rates vom 16. Mai 2022 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2019/797 über restriktive Maßnahmen gegen Cyberangriffe, die die Union oder ihre Mitgliedstaaten bedrohen

16

 

*

Durchführungsbeschluss (GASP) 2022/755 des Rates vom 16. Mai 2022 zur Durchführung des Beschlusses (GASP) 2015/740 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Südsudan

17

 

*

Beschluss (EU) 2022/756 der Kommission vom 30. September 2021 über die von Italien und der Region Sardinien durchgeführten Beihilfemaßnahmen SA.32014, SA.32015, SA.32016 (2011/C) (ex 2011/NN) zugunsten von Saremar (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen C(2021) 6990)  ( 1 )

19

 

*

Durchführungsbeschluss (EU) 2022/757 der Kommission vom 11. Mai 2022 zur Änderung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2021/1182 hinsichtlich harmonisierter Normen für Qualitätsmanagementsysteme, Sterilisation und Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte

27

 

 

EMPFEHLUNGEN

 

*

Empfehlung (EU) 2022/758 der Kommission vom 27. April 2022. zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich öffentlich beteiligen, vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren (Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung)

30

 

 

GESCHÄFTS- UND VERFAHRENSORDNUNGEN

 

*

Beschluss 28/2022 des Verwaltungsrats vom 4. April 2022 über interne Vorschriften zur Beschränkung bestimmter Rechte betroffener Personen in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Tätigkeiten der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache

45

 


 

(1)   Text von Bedeutung für den EWR.

DE

Bei Rechtsakten, deren Titel in magerer Schrift gedruckt sind, handelt es sich um Rechtsakte der laufenden Verwaltung im Bereich der Agrarpolitik, die normalerweise nur eine begrenzte Geltungsdauer haben.

Rechtsakte, deren Titel in fetter Schrift gedruckt sind und denen ein Sternchen vorangestellt ist, sind sonstige Rechtsakte.


II Rechtsakte ohne Gesetzescharakter

VERORDNUNGEN

17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/1


DURCHFÜHRUNGSVERORDNUNG (EU) 2022/748 DES RATES

vom 16. Mai 2022

zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/735 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Südsudan

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) 2015/735 des Rates vom 7. Mai 2015 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Südsudan und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 748/2014 (1), insbesondere auf Artikel 22 Absatz 4,

auf Vorschlag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Der Rat hat am 7. Mai 2015 die Verordnung (EU) 2015/735 angenommen.

(2)

Gemäß Artikel 22 Absatz 4 der Verordnung (EU) 2015/735 hat der Rat die in Anhang II der Verordnung enthaltene Liste der Personen, die restriktiven Maßnahmen unterliegen, überprüft.

(3)

Der Rat ist zu dem Schluss gelangt, dass die restriktiven Maßnahmen gegen eine in der Liste in Anhang II der Verordnung (EU) 2015/735 geführte Peron aufrechterhalten werden sollten und der diese Person betreffende Eintrag aktualisiert und umnummeriert werden sollte.

(4)

Verordnung (EU) 2015/735 sollte daher entsprechend geändert werden —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Anhang II der Verordnung (EU) 2015/735 wird gemäß dem Anhang der vorliegenden Verordnung geändert.

Artikel 2

Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Geschehen zu Brüssel am 16. Mai 2022.

Im Namen des Rates

Der Präsident

J. BORRELL FONTELLES


(1)  ABl. L 117 vom 8.5.2015, S. 13.


ANHANG

In Anhang II der Verordnung (EU) 2015/735 erhält die Tabelle folgende Fassung:

 

Name

Angaben zur Identität

Gründe für die Aufnahme in die Liste

Zeitpunkt der Aufnahme in die Liste

„1.

Michael MAKUEI LUETH

Geburtsdatum: 1947

Geburtsort: Bor, Sudan (jetzt Südsudan)

Geschlecht: männlich

Michael Makuei Lueth übt seit 2013 das Amt des Ministers für Information und Rundfunkwesen aus und nimmt diese Funktion weiterhin innerhalb der Übergangsregierung der nationalen Einheit wahr. Er war ferner offizieller Sprecher der Delegation der Regierung bei den Friedensgesprächen bei der Zwischenstaatlichen Behörde für Entwicklung, die von 2014 bis 2015 sowie von 2016 bis 2018 stattgefunden haben.

Makuei hat den politischen Prozess in Südsudan behindert, indem er insbesondere durch aufstachelnde öffentliche Erklärungen die Umsetzung des Abkommens über die Beilegung des Konflikts in Südsudan (Agreement on the Resolution of the Conflict in South Sudan — ARCSS) vom August 2015 (das im September 2018 durch das neubelebte ARCSS (Revitalised ARCSS — R-ARCSS) ersetzt wurde) behinderte, die Arbeit des Gemeinsamen Überwachungs- und Evaluierungsausschusses (Joint Monitoring and Evaluation Commission — JMEC) des ARCSS, der im Rahmen des R-ARCSS in ‚wiedereingesetzter JMEC‘ umbenannt wurde, störte und die Einsetzung der Übergangsjustizeinrichtungen des ARCSS, deren Einrichtung auch im R-ARCSS vorgesehen ist, störte. Er behinderte ferner die Einsätze der Regionalen Schutztruppe der Vereinten Nationen.

Makuei ist ferner verantwortlich für schwere Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung.

3.2.2018“


17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/4


DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2022/749 DER KOMMISSION

vom 8. Februar 2022

zur Änderung der in der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2417 festgelegten technischen Regulierungsstandards mit dem Ziel, der Umstellung auf neue Referenzzinssätze bei bestimmten OTC-Derivatkontrakten Rechnung zu tragen

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (1), insbesondere auf Artikel 32 Absatz 1,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

In der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2417 der Kommission (2) ist unter anderem festgelegt, welche Kategorien der auf Euro (EUR), Pfund Sterling (GBP) und US-Dollar (USD) lautenden OTC-Derivate der in Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 genannten Derivathandelspflicht unterliegen. Die auf GBP und USD lautenden Kategorien haben als Referenzzinssätze die als LIBOR (London Inter-Bank Offered Rate) veröffentlichten Benchmarks.

(2)

Der LIBOR-Administrator IBA (die ICE Benchmark Administration) hat angekündigt, die Veröffentlichung sämtlicher GBP- und JPY-LIBOR-Werte Ende 2021 einzustellen und bestimmte USD-LIBOR-Werte im Juni 2023 folgen zu lassen. Am 5. März 2021 hat die Finanzaufsicht des Vereinigten Königreichs (United Kingdom Financial Conduct Authority) bestätigt, dass kein Administrator mehr LIBOR-Werte bereitstellen wird oder diese nicht mehr repräsentativ sein werden. Zusätzlich dazu haben die Kommission, die Europäische Zentralbank in ihrer Eigenschaft als Bankenaufsichtsbehörde (EZB-Bankenaufsicht), die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie die Marktteilnehmer nachdrücklich dazu anhalten, so bald wie möglich, auf jeden Fall aber ab dem 31. Dezember 2021 bei neuen Verträgen keinerlei LIBOR-Wert — auch keine USD-LIBOR-Werte — als Referenzzinssätze zu verwenden.

(3)

Nach dem 31. Dezember 2021 werden Marktteilnehmer somit keine OTC-Zinsderivatkontrakte mit dem GBP-LIBOR als Referenzzinssatz mehr schließen können, da dieser dann eingestellt ist, und wird von ihnen erwartet, dass sie keine OTC-Zinsderivatkontrakte mit dem USD-LIBOR als Referenzzinssatz mehr schließen. Das verbleibende Handelsvolumen bei diesen Derivaten dürfte folglich ausgesprochen gering oder gleich Null sein, was in gleichem Maße auch für ihre Liquidität gilt. Dies trifft auch auf das Handelsvolumen der von zentralen Gegenparteien (CCPs) geclearten oder an Handelsplätzen gehandelten derartigen Derivate zu, während bei Derivaten, deren Referenzzinssatz der USD-LIBOR ist, Volumen oder Liquidität zurückgehen werden. Diese Entwicklungen erfordern eine Änderung im Umfang der Clearingpflicht und infolgedessen auch eine Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2205 der Kommission (3) dahin gehend, dass Derivate, deren Referenzzinssatz der GBP-LIBOR oder USD-LIBOR ist, aus dem Geltungsbereich der Clearingpflicht herausgenommen werden. Derivate mit GBP-LIBOR oder USD-LIBOR als Referenzzinssatz, die derzeit unter die Derivathandelspflicht fallen, entsprechen somit nicht mehr den in Artikel 32 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 festgelegten Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit Derivate ab dem 3. Januar 2022 unter die Derivathandelspflicht fallen. Diese Derivatkategorien müssen deshalb aus dem Geltungsbereich der Handelspflicht herausgenommen werden.

(4)

Da die Einstellung des GBP-LIBOR für Ende 2021 geplant ist und die Regulierungsinstanzen in Form der Kommission, der EZB-Bankenaufsicht, der ESMA und der EBA die Erwartung geäußert haben, dass die Marktteilnehmer bei neuen Verträgen so schnell wie möglich, auf jeden Fall aber ab dem 31. Dezember 2021 auf jeden LIBOR-Wert als Referenzzinssatz verzichten, dürfte die Abkehr von LIBOR-basierten Zinsderivaten zügig vollzogen werden. Von den Marktteilnehmern wird stattdessen erwartet, dass sie nach dem 31. Dezember 2021 OTC-Zinsderivate mit anderen Referenzsätzen handeln oder clearen und zwar insbesondere solche, deren Referenzzinssätze die risikolosen Sätze für GBP oder den USD sind. Diese Verordnung sollte deshalb nach ihrer Veröffentlichung umgehend in Kraft treten.

(5)

Die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2417 sollte daher entsprechend geändert werden.

(6)

Diese Verordnung beruht auf dem Entwurf technischer Regulierungsstandards, der der Kommission von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) vorgelegt wurde.

(7)

Die ESMA hat zu diesem Entwurf öffentliche Konsultationen durchgeführt, die damit verbundenen potenziellen Kosten- und Nutzeneffekte analysiert und die Stellungnahme der nach Artikel 37 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates (4) eingesetzten Interessengruppe Wertpapiere und Wertpapiermärkte eingeholt —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2417

Im Anhang der Delegierten Verordnung (EU) 2017/2417 werden die Tabellen 2 und 3 gestrichen.

Artikel 2

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Brüssel, den 8. Februar 2022

Für die Kommission

Die Präsidentin

Ursula VON DER LEYEN


(1)  ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 84.

(2)  Delegierte Verordnung (EU) 2017/2417 der Kommission vom 17. November 2017 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente durch technische Regulierungsstandards zur Handelspflicht für bestimmte Derivate (ABl. L 343 vom 22.12.2017, S. 48).

(3)  Delegierte Verordnung (EU) 2015/2205 der Kommission vom 6. August 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Clearingpflicht (ABl. L 314 vom 1.12.2015, S. 13).

(4)  Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier-und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 84).


17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/6


DELEGIERTE VERORDNUNG (EU) 2022/750 DER KOMMISSION

vom 8. Februar 2022

zur Änderung der in der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2205 festgelegten technischen Regulierungsstandards mit dem Ziel, der Umstellung auf neue Referenzzinssätze bei bestimmten OTC-Derivatkontrakten Rechnung zu tragen

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (1), insbesondere auf Artikel 5 Absatz 2,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

In der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2205 der Kommission (2) ist unter anderem festgelegt, welche Kategorien der auf Euro (EUR), Pfund Sterling (GBP), Japanischer Yen (JPY) und US-Dollar (USD) lautenden OTC-Zinsderivate der Clearingpflicht unterliegen. Zu diesen Kategorien gehören eine auf EUR lautende Kategorie, deren Referenzzinssatz der Euro Overnight Index Average (EONIA) ist, sowie mehrere auf GBP, JPY oder USD lautende Kategorien, deren Referenzzinssatz der London Inter-Bank Offered Rate (LIBOR) ist; die Referenzsätze EONIA und LIBOR werden demnächst eingestellt.

(2)

Der EONIA-Administrator (das Europäische Geldmarktinstitut) hat die Einstellung des EONIA für Ende 2021 angekündigt. Der LIBOR-Administrator (die ICE Benchmark Administration) hat für Ende 2021 auch die Einstellung des GBP LIBOR, des JPY LIBOR und bestimmter USD LIBOR-Werte angekündigt, während alle verbleibenden USD LIBOR-Werte bis Juni 2023 veröffentlicht werden. Am 5. März 2021 hat die Finanzaufsichtsbehörde des Vereinigten Königreichs bestätigt, dass kein Administrator mehr LIBOR-Werte bereitstellen wird oder diese nicht mehr repräsentativ sein werden. Zusätzlich dazu haben die Kommission, die Europäische Zentralbank in ihrer Eigenschaft als Bankenaufsichtsbehörde (EZB-Bankenaufsicht), die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der sie die Gegenparteien nachdrücklich dazu anhalten, so bald wie möglich, spätestens aber ab dem 31. Dezember 2021 bei neuen Verträgen keinerlei LIBOR-Wert — auch keine USD LIBOR-Werte — als Referenzzinssätze mehr zu verwenden.

(3)

Nach dem 31. Dezember 2021 werden Gegenparteien somit keine OTC-Zinsderivatkontrakte mit dem EONIA, GBP LIBOR oder JPY LIBOR als Referenzzinssatz mehr schließen können, da diese dann eingestellt sind, und wird von ihnen erwartet, dass sie keine OTC-Zinsderivatkontrakte mit dem USD LIBOR als Referenzzinssatz mehr schließen. Somit werden an diesem Tag bei Derivaten mit dem EONIA, GBP LIBOR oder JPY LIBOR als Referenzzinssatz weder Volumen noch Liquidität vorhanden sein und werden diese Geschäfte auch nicht durch zentrale Gegenparteien (CCPs) gecleart. Am selben Tag sollte auch bei Derivaten mit dem USD LIBOR als Referenzzinssatz keine wesentliche Liquidität mehr vorhanden sein. Daher werden die Derivatekategorien, die derzeit der Clearingpflicht unterliegen und für die der EONIA, der GBP LIBOR oder der JPY LIBOR die Referenzzinssätze sind, zwei der in der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 festgelegte Bedingungen für die Clearingpflicht (nämlich ein ausreichendes Maß an Liquidität und Clearing durch eine zugelassene oder anerkannte CCP) nicht mehr erfüllen; Derivatekategorien, die derzeit der Clearingpflicht unterliegen und für die der USD LIBOR der Referenzzinssatz ist, werden eine der in der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 festgelegten Bedingungen für die Clearingpflicht (nämlich ein ausreichendes Maß an Liquidität) nicht mehr erfüllen. Daraus folgt, dass diese Kategorien von der Clearingpflicht ausgenommen werden sollten.

(4)

Regulierungsbehörden und Marktteilnehmer haben an Ersatzzinssätzen für diese Währungen gearbeitet, insbesondere an der Entwicklung neuer risikofreier Zinssätze, die nun als Referenzwerte für Finanzinstrumente und -kontrakte verwendet werden. Konkret werden der Euro Short-Term Rate (€STR), der Secured Overnight Financing Rate (SOFR), der Sterling Overnight Index Average (SONIA) und der Tokio Overnight Average Rate (TONA) für EUR, USD, GBP bzw. JPY erstellt. Mit Blick auf den OTC-Derivatemarkt bedeutet dies, dass nun OTC-Zinsderivatkontrakte mit dem €STR, SOFR, SONIA oder TONA als Referenzzinssatz von Gegenparteien gehandelt und durch bestimmte CCPs gecleart werden.

(5)

Der ESMA wurde mitgeteilt, für welche Kategorien von OTC-Zinsderivaten, deren Referenzzinssatz der €STR, SOFR, SONIA oder TONA ist, bestimmte CCPs eine Clearing-Erlaubnis erhalten haben. Für jede dieser Kategorien hat die ESMA die Kriterien geprüft, die ausschlaggebend dafür sind, ob die jeweiligen Kategorien der Clearingpflicht unterworfen werden; zu diesen Kriterien zählen der Grad der Standardisierung, das Volumen und die Liquidität sowie die Verfügbarkeit von Preisbildungsinformationen. Mit dem übergeordneten Ziel, das Systemrisiko zu verringern, hat die ESMA nach dem in der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 vorgesehenen Verfahren bestimmt, welche Kategorien von OTC-Zinsderivaten, für die einige dieser risikofreien Zinssätze als Referenzsätze dienen, der Clearingpflicht unterliegen sollten. Diese Kategorien sollten daher in den Geltungsbereich der Clearingpflicht aufgenommen werden.

(6)

Im Allgemeinen benötigen unterschiedliche Gegenparteien unterschiedlich viel Zeit, um die erforderlichen Vorkehrungen für das Clearing ihrer clearingpflichtigen OTC-Zinsderivate zu treffen. In diesem Fall hatten sie jedoch Zeit, sich auf die Umstellung auf die neuen Referenzzinssätze und die geplante Einstellung von EONIA, EUR LIBOR, GBP LIBOR und JPY LIBOR Ende 2021 vorzubereiten, was auch in Bezug auf ihre Clearingvereinbarungen gilt. Bei Gegenparteien, die bereits der Clearingpflicht unterliegen und OTC-Zinsderivate in EUR oder GBP clearen, erfordert das Clearing von Kategorien, bei denen die neuen risikofreien Zinssätze als Referenzzinssätze herangezogen werden, keine wesentlichen Änderungen an ihren Clearingkontrakten oder -prozessen. Wenn Gegenparteien Vereinbarungen für das Clearing von auf EUR oder GBP lautenden OTC-Zinsderivaten geschlossen haben, erfordert das Clearing von OTC-Zinsderivaten, für die die risikofreien Zinssätze als Referenzzinssatz dienen, keine völlig neuen Clearingvereinbarungen, wie dies der Fall war, als die auf diese Währungen lautenden OTC-Zinsderivaten erstmals von ihnen gecleart werden mussten. Da das Clearing von Derivaten, bei denen die neuen risikofreien Zinssätze als Referenzzinssätze dienen, Teil einer umfassenderen Vorbereitung auf die Umstellung von EONIA und LIBOR auf neue Referenzzinssätze ist, ist zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen und fristgerechten Umsetzung dieser Verpflichtung keine zusätzliche Übergangsphase erforderlich. Die Änderungen im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Kategorien von OTC-Zinsderivaten, bei denen die risikofreien Zinssätze als Referenzsätze dienen und die auf EUR und GBP lauten, sollten am Tag des Inkrafttretens dieser Verordnung wirksam werden.

(7)

Im Anschluss an die gemeinsame Erklärung der Kommission, der ESMA, der EZB-Bankenaufsicht und der EBA, in der die Gegenparteien nachdrücklich dazu angehalten wurden, so bald wie möglich, spätestens aber ab dem 31. Dezember 2021 in neuen Kontrakten keine LIBOR-Werte mehr als Referenzzinssätze zu verwenden, mussten die Gegenparteien unter anderem in Bezug auf ihre Clearingvereinbarungen die Einstellung des USD LIBOR planen. Die Erwägung, dass Gegenparteien, die über Vereinbarungen zum Clearing der auf eine bestimmte Währung lautenden OTC-Zinsderivate verfügen, diese Clearingvereinbarungen in einer relativ kurzen Umstellungszeit an das Clearing von OTC-Zinsderivaten anpassen können, bei denen die risikofreien Zinssätze in derselben Währung als Referenzzinssätze dienen, gilt auch für USD; allerdings führen hier zusätzliche Elemente dazu, dass die entsprechenden Vorbereitungen für den USD weniger weit fortgeschritten sind. Insbesondere haben die CCPs noch nicht mitgeteilt, wann sie beim Clearing von OTC-Zinsderivaten vom derzeit verwendeten USD LIBOR auf SOFR als Referenzsatz umstellen werden, und es ist auch noch nicht klar, wie die Clearingpflicht für diese Derivate auf dem Inlandsmarkt angepasst werden soll. Aufgrund dieser erhöhten Komplexität benötigen die Gegenparteien mehr Zeit, um sich auf die Clearingpflicht bei OTC-Zinsderivaten vorzubereiten, bei denen der risikofreie Zinssatz in USD als Referenzsatz dient, und es bedarf einer zusätzlichen Übergangsphase, um eine ordnungsgemäße und fristgerechte Umsetzung dieser Verpflichtung zu gewährleisten. Die Änderungen im Zusammenhang mit der Einführung der neuen Kategorie von OTC-Zinsderivaten, bei der der risikofreie Zinssatz in USD als Referenzsatz dient, sollten drei Monate nach Inkrafttreten dieser Verordnung wirksam werden.

(8)

Die Einstellung von EONIA, GBP LIBOR und JPY LIBOR ist für Ende 2021 geplant, sodass es ab dem 3. Januar 2022 nicht mehr möglich sein wird, OTC-Zinsderivate, bei denen die genannten Sätze als Referenzsätze dienen, zu handeln oder zu clearen. Ebenso wird von den Gegenparteien im Anschluss an die gemeinsame Erklärung der Kommission, der ESMA, der EZB-Bankenaufsicht und der EBA, in der diese nachdrücklich dazu angehalten wurden, so bald wie möglich, spätestens aber ab dem 31. Dezember 2021 bei neuen Kontrakten keine LIBOR-Werte mehr als Referenzzinssätze zu verwenden, erwartet, dass sie ab dem 3. Januar 2022 keine OTC-Zinsderivate mit dem USD LIBOR als Referenzzinssatz mehr handeln oder clearen. Stattdessen handeln oder clearen die Gegenparteien ab dem 3. Januar 2022 andere OTC-Zinsderivate, insbesondere solche, bei denen die risikofreien Zinssätze als Referenzsätze dienen. Diese Verordnung sollte daher unverzüglich nach ihrer Veröffentlichung in Kraft treten.

(9)

Die Delegierte Verordnung (EU) 2015/2205 sollte daher entsprechend geändert werden.

(10)

Diese Verordnung beruht auf dem Entwurf technischer Regulierungsstandards, der der Kommission von der ESMA vorgelegt wurde.

(11)

Die ESMA hat zu diesem Entwurf eine öffentliche Konsultation durchgeführt, die damit verbundenen potenziellen Kosten- und Nutzeneffekte analysiert, die Empfehlung der nach Artikel 37 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates (3) eingesetzten Interessengruppe Wertpapiere und Wertpapiermärkte eingeholt und den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken konsultiert —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2205 der Kommission

Die Delegierte Verordnung (EU) 2015/2205 wird wie folgt geändert:

1.

Artikel 3 wird wie folgt geändert:

a)

Die folgenden Absätze 1a und 1b werden eingefügt:

„(1a)   Abweichend von Absatz 1 wird bei Kontrakten, die einer im Anhang in Tabelle 4 Zeilen D.4.1 und D.4.2 aufgeführten Kategorie von OTC-Derivaten angehören, die Clearingpflicht wirksam am 18. Mai 2022.

(1b)   Abweichend von Absatz 1 wird bei Kontrakten, die einer im Anhang in Tabelle 4 Zeilen D.4.3 aufgeführten Kategorie von OTC-Derivaten angehören, die Clearingpflicht wirksam am 18. August 2022.“

b)

Absatz 2 Unterabsatz 1 erhält folgende Fassung:

„Abweichend von den Absätzen 1, 1a und 1b wird die Clearingpflicht bei Kontrakten, die einer im Anhang aufgeführten Kategorie von OTC-Derivaten angehören und von Gegenparteien geschlossen werden, die Mitglied derselben Unternehmensgruppe sind und von denen eine in einem Drittland und die andere in der Union ansässig ist, wirksam am:

a)

30. Juni 2022, wenn für die Zwecke des Artikels 4 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 kein Beschluss über die Gleichwertigkeit nach Artikel 13 Absatz 2 der genannten Verordnung erlassen wurde, der die im Anhang der vorliegenden Verordnung aufgeführten OTC-Derivatekontrakte abdeckt und sich auf das betreffende Drittland bezieht, oder

b)

späteren der folgenden Daten, wenn für die Zwecke des Artikels 4 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 ein Beschluss über die Gleichwertigkeit nach Artikel 13 Absatz 2 der genannten Verordnung erlassen wurde, der die im Anhang der vorliegenden Verordnung aufgeführten OTC-Derivatekontrakte abdeckt und sich auf das betreffende Drittland bezieht:

i)

60 Tage nach Inkrafttreten des für die Zwecke des Artikels 4 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 nach Artikel 13 Absatz 2 der genannten Verordnung erlassenen Beschlusses über die Gleichwertigkeit, der die im Anhang der vorliegenden Verordnung aufgeführten OTC-Derivatekontrakte abdeckt und sich auf das betreffende Drittland bezieht;

ii)

das Datum, an dem die Clearingpflicht nach Absatz 1 wirksam wird.“

c)

Absatz 3 erhält folgende Fassung:

„(3)   Abweichend von den Absätzen 1, 1a und 1b und 2 wird die Clearingpflicht bei Kontrakten, die einer im Anhang aufgeführten Kategorie von OTC-Derivaten angehören, am 18. Februar 2022 wirksam, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)

Die Clearingpflicht wurde nicht vor dem 18. Februar 2021 ausgelöst;

b)

Die Kontrakte werden zu dem alleinigen Zweck verlängert, die im Vereinigten Königreich ansässige Gegenpartei durch eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gegenpartei zu ersetzen.“

2.

Der Anhang erhält die Fassung des Anhangs der vorliegenden Verordnung.

Artikel 2

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Brüssel, den 8. Februar 2022

Für die Kommission

Die Präsidentin

Ursula VON DER LEYEN


(1)  ABl. L 201 vom 27.7.2012, S. 1.

(2)  Delegierte Verordnung (EU) 2015/2205 der Kommission vom 6. August 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für die Clearingpflicht (ABl. L 314 vom 1.12.2015, S. 13).

(3)  Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission (ABl. L 331 vom 15.12.2010, S. 84).


ANHANG

„ANHANG

Clearingpflichtige Kategorien von OTC-Zinsderivaten

Tabelle 1

Kategorien von Basisswaps

ID

Art

Referenzzinssatz

Abwicklungswährung

Laufzeit

Art der Abwicklungswährung

Option

Art des Nominalwerts

A.1.1

Basis

Euribor

EUR

28D-50Y

dieselbe Währung

nein

konstant oder variabel


Tabelle 2

Kategorien von Fixed-to-Float-Zinsswaps

ID

Art

Referenzzinssatz

Abwicklungswährung

Laufzeit

Art der Abwicklungswährung

Option

Art des Nominalwerts

A.2.1

Fixed-to-Float

Euribor

EUR

28D-50Y

dieselbe Währung

nein

konstant oder variabel


Tabelle 3

Kategorien von Forward Rate Agreements

ID

Art

Referenzzinssatz

Abwicklungswährung

Laufzeit

Art der Abwicklungswährung

Option

Art des Nominalwerts

A.3.1

FRA

Euribor

EUR

3D-3Y

dieselbe Währung

nein

konstant oder variabel


Tabelle 4

Kategorie von Overnight-Index-Swaps

ID

Art

Referenzzinssatz

Abwicklungswährung

Laufzeit

Art der Abwicklungswährung

Option

Art des Nominalwerts

A.4.2

OIS

FedFunds

USD

7D-3Y

dieselbe Währung

nein

konstant oder variabel

D.4.1

OIS

€STR

EUR

7D-3Y

dieselbe Währung

nein

konstant oder variabel

D.4.2

OIS

SONIA

GBP

7D-50Y

dieselbe Währung

nein

konstant oder variabel

D.4.3

OIS

SOFR

USD

7D-3Y

dieselbe Währung

nein

konstant oder variabel


17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/11


DURCHFÜHRUNGSVERORDNUNG (EU) 2022/751 DER KOMMISSION

vom 16. Mai 2022

zur Nichtgenehmigung des Wirkstoffs Chlorpikrin gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (1), insbesondere auf Artikel 13 Absatz 2,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Das Vereinigte Königreich (im Folgenden „Bericht erstattender Mitgliedstaat“) erhielt am 21. Dezember 2014 vom Unternehmen European Chloropicrin Group (ECG) einen Antrag auf Genehmigung des Wirkstoffs Chlorpikrin gemäß Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009.

(2)

Am 18. Juni 2014 informierte der Bericht erstattende Mitgliedstaat gemäß Artikel 9 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 den Antragsteller, die anderen Mitgliedstaaten, die Kommission und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (im Folgenden „Behörde“) über die Zulässigkeit des Antrags.

(3)

Die Auswirkungen des genannten Wirkstoffs auf die Gesundheit von Mensch und Tier sowie auf die Umwelt wurden gemäß Artikel 11 Absätze 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 für die vom Antragsteller vorgeschlagene Verwendung geprüft. Am 12. Dezember 2017 übermittelte der Bericht erstattende Mitgliedstaat der Kommission und der Behörde den Entwurf des Bewertungsberichts.

(4)

Gemäß Artikel 12 Absatz 1 der genannten Verordnung leitete die Behörde den vom Bericht erstattenden Mitgliedstaat übermittelten Entwurf des Bewertungsberichts an den Antragsteller und die anderen Mitgliedstaaten weiter und organisierte eine öffentliche Konsultation zu diesem Bericht.

(5)

Die Behörde ersuchte den Antragsteller gemäß Artikel 12 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 um Übermittlung zusätzlicher Informationen an die Mitgliedstaaten, die Kommission und sie selbst.

(6)

Während des Peer-Review-Verfahrens, nachdem das Vereinigte Königreich gemäß Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union seine Absicht mitgeteilt hatte, aus der Union auszutreten, übernahm Italien im Juni 2019 die Aufgabe des Bericht erstattenden Mitgliedstaats für diesen Wirkstoff.

(7)

Der Bericht erstattende Mitgliedstaat legte der Behörde seine Bewertung der zusätzlichen Informationen in Form eines aktualisierten Entwurfs des Bewertungsberichts vor.

(8)

Der Entwurf des Bewertungsberichts wurde von den Mitgliedstaaten und der Behörde geprüft. Am 30. Januar 2020 legte die Behörde der Kommission ihre Schlussfolgerung (2) zur Risikobewertung für den Wirkstoff Chlorpikrin vor.

(9)

In ihrer Schlussfolgerung wies die Behörde darauf hin, dass sie auf der Grundlage der verfügbaren Informationen die Risikobewertung für Verbraucher, Verwender, Arbeitnehmer, anwesende Personen und Anwohner nicht abschließen konnte, und sie stellte fest, dass potenzielle Bedenken in Bezug auf Grundwasser, Bodenmakro- und -mikroorganismen sowie im Boden lebende Nichtzielarthropoden bestünden.

(10)

Darüber hinaus konnte die Bewertung der Risiken für Wasserorganismen, Bienen, auf Blättern lebende Nichtzielarthropoden, Regenwürmer und nicht zu den Zielgruppen gehörende terrestrische Pflanzen nicht abgeschlossen werden.

(11)

Die Kommission forderte den Antragsteller auf, zu der Schlussfolgerung der Behörde und gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 zum Entwurf des Überprüfungsberichts Stellung zu nehmen. Die daraufhin vom Antragsteller vorgelegte Stellungnahme wurde eingehend geprüft.

(12)

Am 22. Oktober 2021 legte die Kommission dem Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel einen Überprüfungsbericht und einen Entwurf der Verordnung über die Nichtgenehmigung des Wirkstoffs Chlorpikrin vor. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass die von der Behörde festgestellten Bedenken nicht ausgeräumt werden konnten und daher nicht der Schluss gezogen werden könne, dass die Genehmigungskriterien erfüllt sind.

(13)

Mit Schreiben vom 18. Januar 2022 zog der Antragsteller seinen Antrag auf Genehmigung von Chlorpikrin zurück. Chlorpikrin sollte daher nicht genehmigt werden.

(14)

Die vorliegende Verordnung steht der Einreichung eines neuen Antrags auf Genehmigung von Chlorpikrin gemäß Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 nicht entgegen.

(15)

Die in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen entsprechen der Stellungnahme des Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel —

HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1

Nichtgenehmigung des Wirkstoffs

Der Wirkstoff Chlorpikrin wird nicht genehmigt.

Artikel 2

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.

Brüssel, den 16. Mai 2022

Für die Kommission

Die Präsidentin

Ursula VON DER LEYEN


(1)  ABl. L 309 vom 24.11.2009, S. 1.

(2)  EFSA Journal 2020;18(3):6028, Conclusion on the peer review of the pesticide risk assessment of the active substance chloropicrin. doi:10.2903/j.efsa.2020.6028.


BESCHLÜSSE

17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/13


BESCHLUSS (EU) 2022/752 DES RATES

vom 5. April 2022

zur Änderung des Beschlusses 1999/70/EG über die externen Rechnungsprüfer der nationalen Zentralbanken hinsichtlich der externen Rechnungsprüfer der Bank of Greece

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf das dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügte Protokoll Nr. 4 über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, insbesondere auf Artikel 27.1,

gestützt auf die Empfehlung der Europäischen Zentralbank vom 17. Februar 2022 an den Rat der Europäischen Union zu den externen Rechnungsprüfern der Bank of Greece (EZB/2022/3) (1),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Jahresabschlüsse der Europäischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, sind von unabhängigen externen Rechnungsprüfern zu prüfen, die vom EZB-Rat empfohlen und vom Rat der Europäischen Union anerkannt werden.

(2)

Das Mandat der gegenwärtigen externen Rechnungsprüfer der Bank of Greece, Deloitte Certified Public Accountants S.A., endet nach der Rechnungsprüfung für das Geschäftsjahr 2021. Es ist deshalb erforderlich, ab dem Geschäftsjahr 2022 externe Rechnungsprüfer zu bestellen.

(3)

Die Bank of Greece hat für die Geschäftsjahre 2022 bis 2026 Ernst & Young (Hellas) Certified Auditors Accountants S.A. als ihre externen Rechnungsprüfer ausgewählt, mit der Option, das Mandat für die Geschäftsjahre 2027 und 2028 zu verlängern.

(4)

Der EZB-Rat hat empfohlen, Ernst & Young (Hellas) Certified Auditors Accountants S.A. als externe Rechnungsprüfer der Bank of Greece für die Geschäftsjahre 2022 bis 2026 zu bestellen, mit der Option, das Mandat für die Geschäftsjahre 2027 und 2028 zu verlängern.

(5)

Gemäß der Empfehlung des EZB-Rates sollte der Beschluss 1999/70/EG des Rates (2) entsprechend geändert werden —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Artikel 1 Absatz 12 des Beschlusses 1999/70/EG erhält folgende Fassung:

„(12)   Ernst & Young (Hellas) Certified Auditors Accountants S.A. wird als externer Rechnungsprüfer der Bank of Greece für die Geschäftsjahre 2022 bis 2026 anerkannt.“

Artikel 2

Dieser Beschluss wird am Tag seiner Bekanntgabe wirksam.

Artikel 3

Dieser Beschluss ist an die Europäische Zentralbank gerichtet.

Geschehen zu Luxemburg am 5. April 2022.

Im Namen des Rates

Der Präsident

B. LE MAIRE


(1)  ABl. C 102 vom 2.3.2022, S. 1.

(2)  Beschluss 1999/70/EG des Rates vom 25. Januar 1999 über die externen Rechnungsprüfer der nationalen Zentralbanken (ABl. L 22 vom 29.1.1999, S. 69).


17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/15


BESCHLUSS (GASP) 2022/753 DES RATES

vom 16. Mai 2022

zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2019/938 zur Unterstützung eines Vertrauensbildungsprozesses mit dem Ziel der Schaffung einer von Kernwaffen und allen anderen Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen Osten

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel 28 Absatz 1 und Artikel 31 Absatz 1,

auf Vorschlag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Der Rat hat am 6. Juni 2019 den Beschluss (GASP) 2019/938 (1) angenommen.

(2)

Im Beschluss (GASP) 2019/938 war für die in Artikel 1 genannten Tätigkeiten ein Durchführungszeitraum von 36 Monaten ab dem Tag des Abschlusses der in Artikel 3 Absatz 3 genannten Finanzierungsvereinbarung vorgesehen.

(3)

Der Durchführungspartner, das Institut der Vereinten Nationen für Abrüstungsforschung, hat angesichts der aufgrund der COVID-19-Pandemie aufgetretenen Verzögerungen bei der Durchführung der Projekttätigkeiten im Rahmen des Beschlusses (GASP) 2019/938 um eine Verlängerung dieses Durchführungszeitraums um zwölf Monate bis zum 10. Juli 2023 ersucht.

(4)

Die Fortsetzung der in Artikel 1 des Beschlusses (GASP) 2019/938 genannten Tätigkeiten bis zum 10. Juli 2023 hat keinen weiteren finanziellen Mittelbedarf bis 10. Juli 2023 zur Folge.

(5)

Der Beschluss (GASP) 2019/938 sollte entsprechend geändert werden —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Artikel 5 Absatz 2 des Beschlusses (GASP) 2019/938 erhält folgende Fassung:

„(2)   Er gilt bis zum 10. Juli 2023.“

Artikel 2

Dieser Beschluss tritt am Tag seiner Annahme in Kraft.

Geschehen zu Brüssel am 16. Mai 2022.

Im Namen des Rates

Der Präsident

J. BORRELL FONTELLES


(1)  Beschluss (GASP) 2019/938 des Rates vom 6. Juni 2019 zur Unterstützung eines Vertrauensbildungsprozesses mit dem Ziel der Schaffung einer von Kernwaffen und allen anderen Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen Osten (ABl. L 149 vom 7.6.2019, S. 63).


17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/16


BESCHLUSS (GASP) 2022/754 DES RATES

vom 16. Mai 2022

zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2019/797 über restriktive Maßnahmen gegen Cyberangriffe, die die Union oder ihre Mitgliedstaaten bedrohen

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel 29,

auf Vorschlag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Der Rat hat am 17. Mai 2019 den Beschluss (GASP) 2019/797 (1) angenommen.

(2)

Der Beschluss (GASP) 2019/797 gilt bis zum 18. Mai 2022. Nach einer Überprüfung des genannten Beschlusses sollte dessen Gültigkeit bis zum 18. Mai 2025 und die darin festgelegten restriktiven Maßnahmen bis zum 18. Mai 2023 verlängert werden.

(3)

Der Beschluss (GASP) 2019/797 sollte daher entsprechend geändert werden —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Artikel 10 des Beschlusses (GASP) 2019/797 erhält folgende Fassung:

„Artikel 10

Dieser Beschluss gilt bis zum 18. Mai 2025 und wird fortlaufend überprüft. Die in den Artikeln 4 und 5 genannten Maßnahmen gelten für die im Anhang aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen bis zum 18. Mai 2023.“

Artikel 2

Dieser Beschluss tritt am Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Geschehen zu Brüssel am 16. Mai 2022.

Im Namen des Rates

Der Präsident

J. BORRELL FONTELLES


(1)  Beschluss (GASP) 2019/797 des Rates vom 17. Mai 2019 über restriktive Maßnahmen gegen Cyberangriffe, die die Union oder ihre Mitgliedstaaten bedrohen (ABl. L 129 I vom 17.5.2019, S. 13).


17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/17


DURCHFÜHRUNGSBESCHLUSS (GASP) 2022/755 DES RATES

vom 16. Mai 2022

zur Durchführung des Beschlusses (GASP) 2015/740 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Südsudan

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel 31 Absatz 2,

gestützt auf den Beschluss (GASP) 2015/740 des Rates vom 7. Mai 2015 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Südsudan und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/449/GASP (1), insbesondere auf Artikel 9 Absatz 2,

auf Vorschlag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Der Rat hat am 7. Mai 2015 den Beschluss (GASP) 2015/740 angenommen.

(2)

Gemäß Artikel 12 Absatz 2 des Beschlusses (GASP) 2015/740 hat der Rat die in Anhang II jenes Beschlusses enthaltene Liste der Personen, die restriktiven Maßnahmen unterliegen, überprüft.

(3)

Der Rat ist zu dem Schluss gelangt, dass die restriktiven Maßnahmen gegen eine in der Liste in Anhang II des Beschlusses (GASP) 2015/740 geführte Person aufrechterhalten werden sollten und der diese Person betreffende Eintrag aktualisiert und umnummeriert werden sollte.

(4)

Der Beschluss (GASP) 2015/740 sollte daher entsprechend geändert werden —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Anhang II des Beschlusses (GASP) 2015/740 wird gemäß dem Anhang des vorliegenden Beschlusses geändert.

Artikel 2

Dieser Beschluss tritt am Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Geschehen zu Brüssel am 16. Mai 2022.

Im Namen des Rates

Der Präsident

J. BORRELL FONTELLES


(1)  Beschluss (GASP) 2015/740 des Rates vom 7. Mai 2015 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Südsudan und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/449/GASP (ABl. L 117 vom 8.5.2015, S. 52).


ANHANG

In Anhang II des Beschlusses (GASP) 2015/740 erhält die Tabelle folgende Fassung:

 

Name

Angaben zur Identität

Gründe für die Aufnahme in die Liste

Zeitpunkt der Aufnahme in die Liste

„1.

Michael MAKUEI LUETH

Geburtsdatum: 1947

Geburtsort: Bor, Sudan (jetzt Südsudan)

Geschlecht: männlich

Michael Makuei Lueth übt seit 2013 das Amt des Ministers für Information und Rundfunkwesen aus und nimmt diese Funktion weiterhin innerhalb der Übergangsregierung der nationalen Einheit wahr. Er war ferner offizieller Sprecher der Delegation der Regierung bei den Friedensgesprächen bei der Zwischenstaatlichen Behörde für Entwicklung, die von 2014 bis 2015 sowie von 2016 bis 2018 stattgefunden haben.

Makuei hat den politischen Prozess in Südsudan behindert, indem er insbesondere durch aufstachelnde öffentliche Erklärungen die Umsetzung des Abkommens über die Beilegung des Konflikts in Südsudan (Agreement on the Resolution of the Conflict in South Sudan — ARCSS) vom August 2015 (das im September 2018 durch das neubelebte ARCSS (Revitalised ARCSS — R-ARCSS) ersetzt wurde) behinderte, die Arbeit des Gemeinsamen Überwachungs- und Evaluierungsausschusses (Joint Monitoring and Evaluation Commission — JMEC) des ARCSS, der im Rahmen des R-ARCSS in ‚wiedereingesetzter JMEC‘ umbenannt wurde, störte und die Einsetzung der Übergangsjustizeinrichtungen des ARCSS, deren Einrichtung auch im R-ARCSS vorgesehen ist, störte. Er behinderte ferner die Einsätze der Regionalen Schutztruppe der Vereinten Nationen.

Makuei ist ferner verantwortlich für schwere Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung.

3.2.2018“


17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/19


BESCHLUSS (EU) 2022/756 DER KOMMISSION

vom 30. September 2021

über die von Italien und der Region Sardinien durchgeführten Beihilfemaßnahmen SA.32014, SA.32015, SA.32016 (2011/C) (ex 2011/NN) zugunsten von Saremar

(Bekannt gegeben unter Aktenzeichen C(2021) 6990)

(Nur der italienische Text ist verbindlich)

(Text von Bedeutung für den EWR)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 108 Absatz 2 Unterabsatz 1,

gestützt auf das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, insbesondere auf Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe a,

nach Aufforderung der Beteiligten zur Stellungnahme gemäß den vorgenannten Artikeln (1) und unter Berücksichtigung ihrer Stellungnahmen,

in Erwägung nachstehender Gründe:

1.   VERFAHREN

(1)

Am 6. August 1999 beschloss die Kommission die Einleitung des Verfahrens nach Artikel 108 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden „AEUV“) wegen der auf der Grundlage der ursprünglichen Verträge für die Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Interesse (im Folgenden „ursprüngliche Verträge“) gezahlten Beihilfen an die sechs Unternehmen, die damals der Tirrenia-Gruppe angehörten. (2)

(2)

Während der Untersuchungsphase beantragten die italienischen Behörden, das Verfahren in der Sache der Tirrenia-Gruppe aufzuspalten, damit für Tirrenia di Navigazione (im Folgenden „Tirrenia“) separat ein vorrangiger abschließender Beschluss getroffen werden könne. Diesen Antrag begründeten die italienischen Behörden mit ihrem Plan, die Unternehmensgruppe zu privatisieren, und zwar beginnend mit Tirrenia. Außerdem sollte das Verfahren zur Privatisierung von Tirrenia beschleunigt werden.

(3)

Die Kommission gab dem Antrag der italienischen Behörden statt und schloss mit der Entscheidung 2001/851/EG der Kommission (3) das Verfahren über eine Beihilfe zugunsten von Tirrenia ab. Die Beihilfe wurde vorbehaltlich bestimmter Verpflichtungen seitens der italienischen Behörden als mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt.

(4)

Mit der Entscheidung 2005/163/EG der Kommission (4) (im Folgenden „Entscheidung von 2004“) erklärte die Kommission die den anderen Unternehmen der Tirrenia-Gruppe (5), mit Ausnahme von Tirrenia selbst, gewährten Ausgleichszahlungen als teilweise mit dem Binnenmarkt vereinbar, wobei die Vereinbarkeit teilweise an die Bedingung geknüpft war, dass sich die italienischen Behörden an bestimmte Verpflichtungen hielten, und als teilweise mit dem Binnenmarkt unvereinbar. Die Entscheidung von 2004 stützte sich auf Buchführungsdaten aus den Jahren 1992 bis 2001 und enthielt Bedingungen, die die Vereinbarkeit der Ausgleichsleistungen über die gesamte Laufzeit der ursprünglichen Verträge sicherstellen sollten (d. h. bis 2008).

(5)

Mit seinem Urteil vom 4. März 2009 in den verbundenen Rechtssachen T-265/04, T-292/04 und T-504/04 (6) erklärte das Gericht die Entscheidung von 2004 für nichtig.

(6)

Am 5. Oktober 2011 leitete die Kommission mit Beschluss C(2011) 6961 (im Folgenden „Beschluss von 2011“) (7)das Prüfverfahren in Bezug auf verschiedene Maßnahmen Italiens zugunsten der Unternehmen der ehemaligen Tirrenia-Gruppe ein. Die Untersuchung betraf unter anderem die Saremar — Sardegna Regionale Marittima (im Folgenden „Saremar“) gewährten Ausgleichszahlungen für die Bedienung einer Reihe von Seeverkehrsrouten ab dem 1. Januar 2009 und eine Reihe weitere Maßnahmen zugunsten des Unternehmens.

(7)

Der Beschluss von 2011 wurde im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Die Kommission forderte die Beteiligten auf, ihre Stellungnahmen zu den zu prüfenden Maßnahmen zu übermitteln.

(8)

Am 7. November 2012 erweiterte die Kommission das Prüfverfahren unter anderem hinsichtlich bestimmter weiterer Unterstützungsmaßnahmen der Region Sardiniens zugunsten von Saremar. Am 19. Dezember 2012 erließ die Kommission eine geänderte Fassung (8) dieses Beschlusses (Beschluss C(2012) 9452 der Kommission, im Folgenden „Beschluss von 2012“).

(9)

Der Beschluss von 2012 wurde im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. (9) Die Kommission forderte die Beteiligten auf, ihre Stellungnahmen zu den zu prüfenden Maßnahmen zu übermitteln.

(10)

Mit Schreiben vom 14. Mai 2013 bat die Region Sardinien die Kommission um eine Abtrennung des Verfahrens betreffend Saremar von dem durch die Beschlüsse von 2011 und 2012 eingeleiteten förmlichen Prüfverfahren und um eine vorrangige Prüfung der Maßnahmen insbesondere wegen der unmittelbar anstehenden Privatisierung des Unternehmens.

(11)

Die Kommission gab dem Ansinnen der sardischen Behörden statt und schloss mit Beschluss (EU) 2018/261 (10) (im Folgenden „Beschluss von 2014“) das förmliche Prüfverfahren hinsichtlich verschiedener Maßnahmen ab, die von der Region Sardinien zugunsten von Saremar getroffen worden waren. Von den fünf Maßnahmen der Region Sardinien zugunsten von Saremar wurden vier im Beschluss von 2014 behandelt. Die Ausnahme bildete das „Bonus Sardo — Vacanza-Projekt“ (siehe Erwägungsgrund 29 dieses Beschlusses).

(12)

Saremar und die Region Sardinien haben gegen den Beschluss von 2014 Nichtigkeitsklage vor dem Gericht erhoben. Das Gericht wies die Klagen mit seinen Urteilen vom 6. April 2017 in den Rechtssachen T-219/14 (11) und T-220/14 (12) ab. Weder Saremar noch die Region Sardinien haben gegen diese Urteile Rechtsmittel eingelegt, sodass diese inzwischen rechtskräftig sind.

(13)

Mit Beschluss (EU) 2020/1411 (13) schloss die Kommission die Untersuchung in Bezug auf die anderen Unternehmen der Tirrenia-Gruppe für den Zeitraum 1992–2008 ab (mit Ausnahme von Tirrenia selbst). Die Kommission kam zu dem Schluss, dass es sich bei den für die Erbringung von Seeverkehrsdiensten im Seekabotagesektor gewährten Beihilfen um bestehende Beihilfen handelte, während die für die Erbringung internationaler Seeverkehrsdienste gewährten Beihilfen mit dem Rahmen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (im Folgenden „DAWI“) von 2011 (im Folgenden „DAWI-Rahmen von 2011“) vereinbar waren. (14)

(14)

Mit Beschluss (EU) 2020/1412 (15) schloss die Kommission das förmliche Prüfverfahren in Bezug auf die Tirrenia und seinem Erwerber CIN für den Zeitraum 2009–2020 gewährten Maßnahmen ab.

(15)

Mit den Beschlüssen (EU) 2021/4268 (16) und (EU) 2021/4271 (17) schloss die Kommission das förmliche Prüfverfahren in Bezug auf die Siremar und Toremar und ihren Erwerbern für den Zeitraum ab 2009 gewährten Maßnahmen ab.

(16)

Dieser Beschluss betrifft lediglich die Maßnahmen, die Gegenstand der Beschlüsse von 2011 und 2012 waren, aber nicht vom Beschluss von 2014 erfasst wurde (siehe Erläuterungen in den Erwägungsgründen 28 und 29). Die Kommission wird alle verbliebenen Maßnahmen, die Gegenstand der Beschlüsse von 2011 und 2012 waren, unter den Nummern SA.32014, SA.32015 und SA.32016 in separaten Beschlüssen behandeln. Im Einzelnen betreffen alle diese verbliebenen Maßnahmen andere Unternehmen der ehemaligen Tirrenia-Gruppe (d. h. Caremar und Laziomar).

2.   HINTERGRUND UND BESCHREIBUNG DER MAßNAHMEN, DIE GEGENSTAND DER UNTERSUCHUNG SIND

2.1.   Hintergrund

2.1.1.   Die ursprünglichen Verträge

(17)

Die Tirrenia-Gruppe befand sich über das Unternehmen Finanziaria per i Settori Industriale e dei Servizi S.p.A (im Folgenden „Fintecna“) (18) ehemals im Besitz des italienischen Staats und umfasste sechs Unternehmen: Tirrenia, Adriatica, Caremar, Saremar, Siremar und Toremar. Diese Unternehmen erbrachten Seeverkehrsdienste im Rahmen separater Verträge für die Erbringung von Dienstleistungen im öffentlichen Interesse, die sie 1991 mit dem italienischen Staat abgeschlossen hatten und die von Januar 1989 bis Dezember 200820 Jahre lang in Kraft waren. Fintecna hielt 100 % des Aktienkapitals von Tirrenia. Tirrenia war seinerseits alleiniger Eigentümer von Adriatica, Caremar, Saremar, Siremar und Toremar (im Folgenden zusammen „Regionalgesellschaften“). Adriatica, das zuvor eine Reihe von Routen zwischen Italien und Albanien, Kroatien, Griechenland und Montenegro bediente, fusionierte 2004 mit Tirrenia.

(18)

Zweck der ursprünglichen Dienstleistungsverträge war es, die Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit einer großen Zahl von Seeverkehrsdiensten sicherzustellen, die größtenteils die Verbindung des italienischen Festlands mit Sizilien, Sardinien und anderen kleineren italienischen Inseln betrafen. Zu diesem Zweck gewährte der italienische Staat Unterstützung in Form von Subventionen, die direkt an die einzelnen Unternehmen der Tirrenia-Gruppe ausgezahlt wurden.

(19)

Auf der Grundlage des ursprünglichen Vertrags unterhielt Saremar einige rein lokale Kabotage-Verbindungen zwischen Sardinien und den Inseln im Nordosten und Südwesten Sardiniens sowie eine Auslandsverbindung nach Korsika.

2.1.2.   Verlängerung der ursprünglichen Verträge

(20)

Die ursprünglichen Verträge, einschließlich des für Saremar geltenden Vertrags, wurden dreimal verlängert.

(21)

Zunächst wurde mit Artikel 26 des Gesetzesdekrets Nr. 207 vom 30. Dezember 2008, umgewandelt in das Gesetz Nr. 14 vom 27. Februar 2009, die Verlängerung der ursprünglichen Verträge, die eingangs am 31. Dezember 2008 auslaufen sollten, bis zum 31. Dezember 2009 festgelegt.

(22)

Anschließend sah Artikel 19-ter des Gesetzesdekrets Nr. 135 vom 25. September 2009 (im Folgenden „Gesetzesdekret 135/2009“), umgewandelt in das Gesetz Nr. 166 vom 20. November 2009 (im Folgenden „Gesetz von 2009“) vor, dass hinsichtlich der Privatisierung der Unternehmen der Tirrenia-Gruppe die Anteile der Regionalgesellschaften, mit Ausnahme von Siremar, von der Muttergesellschaft Tirrenia wie folgt übertragen werden sollten:

a)

Caremar auf die Region Kampanien; anschließend übertrug die Region Kampanien den bestehenden Betrieb der Verkehrsverbindungen mit den Pontinischen Inseln auf die Region Latium (wodurch Laziomar errichtet wurde); (19)

b)

Saremar auf die Region Sardinien;

c)

Toremar auf die Region Toskana.

(23)

Das Gesetz von 2009 legte außerdem fest, dass bis zum 31. Dezember 2009 neue „Verträge“ zwischen dem italienischen Staat und Tirrenia bzw. Siremar abgeschlossen werden sollten. Entsprechend sollten die regionalen Dienste in neuen „öffentlichen Dienstleistungsverträgen“ festgeschrieben werden, die zwischen Saremar, Toremar und Caremar und den betreffenden regionalen Behörden bis zum 31. Dezember 2009 (Sardinien und Toskana) bzw. bis zum 28. Februar 2010 (Kampanien und Latium) abzuschließen waren. Die neuen Verträge bzw. öffentlichen Dienstleistungsverträge würden zusammen mit den Unternehmen selbst ausgeschrieben. Die neuen Eigentümer dieser Unternehmen würden dann den jeweiligen Vertrag bzw. öffentlichen Dienstleistungsvertrag unterzeichnen. (20)

(24)

Zu diesem Zweck wurden mit dem Gesetz von 2009 die ursprünglichen Verträge, einschließlich des für Saremar geltenden Vertrags, vom 1. Januar 2010 bis zum 30. September 2010 verlängert.

(25)

Schließlich wurde im Gesetz Nr. 163 vom 1. Oktober 2010 zur Umwandlung des Gesetzesdekrets Nr. 125 vom 5. August 2010 (im Folgenden „Gesetz von 2010“) die weitere Verlängerung der ursprünglichen Verträge, einschließlich des für Saremar geltenden Vertrags, vom 1. Oktober 2010 bis zum Abschluss der Verfahren zur Privatisierung von Tirrenia und Siremar festgelegt.

2.1.3.   Die Umsetzung des Beschlusses von 2014

(26)

In ihrem Beschluss von 2014 hatte die Kommission zwei Beihilfemaßnahmen zugunsten von Saremar für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt und zwei weitere Maßnahmen nicht als Beihilfen im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV eingestuft. In diesem Zusammenhang ordnete sie die Rückforderung folgender Beihilfen an:

a)

Ausgleichszahlung an Saremar für den Betrieb zweier zusätzlicher Verbindungen zwischen Sardinien und dem Festland in Höhe von 10 Mio. EUR,

b)

geplante Rekapitalisierung in Höhe von 6 099 961 EUR (von denen 824 309,69 EUR bereits an Saremar ausgezahlt worden waren).

(27)

Italien hat den Beschluss von 2014 umgesetzt, wenngleich bestimmte Rückforderungsverfahren bei Annahme dieses Beschlusses noch nicht abgeschlossen waren. Im Einzelnen wurden folgende Maßnahmen ergriffen:

a)

Mit Schreiben vom 10. April 2015 teilten die italienischen Behörden mit, dass das Tribunale die Cagliari Saremar am 15. Januar 2015 zum Gläubigerschutzverfahren (concordato preventivo) zugelassen worden war. Dieses Verfahren zielte darauf ab, sämtliche Vermögenswerte von Saremar zu veräußern und die ausstehenden Forderungen zu bedienen; Saremar sollte seine Geschäftstätigkeit zu einem festen Termin (ursprünglich war der 31. Dezember 2015 angesetzt) einstellen. Die Beihilfe-Rückforderungen waren dabei in dem ihnen zustehenden Rang vermerkt, einschließlich der bis 1. Juli 2014 angelaufenen Zinsen. Der Betrag belief sich auf 11 131 231,60 EUR. Beim 1. Juli 2014 handelt es sich um den Tag, an dem Saremar das Gläubigerschutzverfahren beantragte. Nach italienischem Recht dürfen ab diesem Termin keine Zinsen mehr auf ausstehende Forderungen berechnet werden. (21)

b)

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2015 teilte Italien der Kommission mit, dass der Verkauf der Saremar-Flotte und die Zuteilung der Saremar übertragenen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen getrennt ausgeschrieben werden sollten. Ferner übermittelte Italien den Erlass des Tribunale di Cagliari vom 22. Juli 2015 zur Bestätigung des Gläubigerschutzes („omologazione) und teilte der Kommission mit, das sich bislang acht Interessenten für den Erwerb der Saremar-Flotte gemeldet hatten. Mit Schreiben vom 21. Januar 2016 bestätigten die italienischen Behörden, dass Saremar seinen Betrieb zum 31. März 2016 einstellen werde. Zudem teilten sie mit, dass die Saremar-Flotte an das Unternehmen Delcoservizi Srl (im Folgenden „Delcoservizi“) veräußert worden war und die tatsächliche Übertragung bis 30. April 2016 abgeschlossen sein werde. Das Verfahren zur Vergabe des Dienstleistungsvertrags laufe noch, mit bislang zwei Interessenten;

c)

Am 19. Mai 2016 teilten die italienischen Behörden mit, dass das Unternehmen Delcomar Srl (im Folgenden „Delcomar“) den Zuschlag für den Auftrag über die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen erhalten habe. Dementsprechend stellte Saremar am 31. März 2016 den Betrieb sämtlicher Seeverbindungen ein, und Delcomar übernahm ab dem 1. April 2016 den unter die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen fallenden Seeverkehrsbetrieb. Zudem erklärten die italienischen Behörden, dass der Regionalrat Sardiniens nach der ebenfalls am 31. März 2016 vollzogenen Übertragung der Vermögenswerte von Saremar mit Beschluss Nr. 24/23 vom 22. April 2016 die Liquidation von Saremar angeordnet hat. In seinem Beschluss stellt der Regionalrat fest, dass Saremar jedwede Tätigkeit zum 31. März 2016 eingestellt hatte, keinen Unternehmenszweck mehr verfolgte und liquidiert werden musste. Ein neuer Liquidator wurde von der Region ernannt.

d)

Mit Schreiben vom 20. Juli 2016 haben die italienischen Behörden dargelegt, dass auf der Grundlage der Erlöse aus der Liquidierung der Vermögenswerte von Saremar und der Terminierung der Verbindlichkeiten lediglich 4 452 226,42 EUR für beihilferechtlich bedingte Forderungen verwendet werden konnten (das entspricht ungefähr 40 % des geschuldeten Betrags). Zudem bestätigten sie, dass Saremar sein gesamtes Personal entlassen hatte und das Unternehmen nach dem Vollzug der Liquidation aus dem Gewerberegister gestrichen werde. Zwischen dem Verkäufer der Vermögenswerte (Saremar) und ihrem Erwerber (Delcoservizi) bestünden keinerlei Verbindungen. Schließlich übermittelte Italien mit Schreiben vom 17. Juli 2017 Belege über eine Zahlung des Liquidators von Saremar an die Region in Höhe von 4 452 226,42 EUR.

2.2.   Maßnahmen im Rahmen der Beschlüsse von 2011 und 2012

(28)

Folgende Maßnahmen wurden im Rahmen des durch die Beschlüsse von 2011 und 2012 eingeleiteten förmlichen Prüfverfahrens bewertet:

1.

die im Rahmen der Verlängerung der ursprünglichen Verträge gezahlten Ausgleichsleistungen für die Erbringung von DAWI (Maßnahme 1);

2.

die rechtswidrige Verlängerung der Rettungsbeihilfe für Tirrenia und Siremar (Maßnahme 2);

3.

die Privatisierung der Unternehmen der ehemaligen Tirrenia-Gruppe (22)(Maßnahme 3);

4.

die Ausgleichsleistungen für die Erbringung von DAWI im Rahmen künftiger Verträge/öffentlicher Dienstleistungsverträge (Maßnahme 4);

5.

der Liegeplatzvorrang (Maßnahme 5);

6.

die durch das Gesetz von 2010 festgelegten Maßnahmen (Maßnahme 6);

7.

die fünf von der Region Sardinien angenommenen Zusatzmaßnahmen zugunsten von Saremar (Maßnahme 7).

(29)

Mit ihrem Beschluss von 2014 schloss die Kommission das förmliche Prüfverfahren in Bezug auf vier der fünf von der Region Sardinien beschlossenen Maßnahmen zugunsten von Saremar (Maßnahme 7) ab. Eine fünfte Maßnahme wurde jedoch nicht von dem Beschluss erfasst: das Projekt „Bonus Sardo — Vacanza“ (23). Somit steht eine endgültige Stellungnahme der Kommission zur Vereinbarkeit der Maßnahmen 1, 3, 4, 5, 6 und des Projekts „Bonus Sardo — Vacanza“ noch aus.

3.   LIQUIDATION DES BEGÜNSTIGTEN UND FEHLENDE WIRTSCHAFTLICHE KONTINUITÄT

(30)

Die Vorabprüfung neuer Beihilfemaßnahmen durch die Kommission gemäß Artikel 108 Absatz 3 AEUV soll vermeiden helfen, dass mit den Binnenmarkt unvereinbare Beihilfen zur Auszahlung gelangen. (24) Zur Unvereinbarkeit von binnenmarktinkompatiblen Beihilfen hat der Gerichtshof wiederholt geurteilt, dass die Befugnis der Kommission, den Mitgliedstaaten die Rückforderung solcher Beihilfen anzuordnen, die durch den Wettbewerbsvorteil, den der Beihilfeempfänger erlangt hat, verursachte Wettbewerbsverzerrung beseitigen und die vor Auszahlung der Beihilfe bestehende Lage wiederherstellen soll. (25) Kann ein Unternehmen die Beihilfe nicht zurückzahlen, verpflichtet die Durchführung des Rückforderungsgebots den betroffenen Mitgliedstaat, die Abwicklung des Unternehmens herbeizuführen (26), d. h. die Einstellung seiner Tätigkeiten und den Verkauf seiner Vermögenswerte zu Marktbedingungen.

(31)

Mit anderen Worten liegt das Hauptziel der Beihilfenkontrolle darin, die Gewährung von mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfen zu verhindern. Wird der Wettbewerb im Binnenmarkt durch die Auszahlung einer unrechtmäßigen und unvereinbaren staatlichen Beihilfe verzerrt, muss infolgedessen sichergestellt werden, dass die vor der Wettbewerbsverzerrung bestehende Lage wiederhergestellt wird, erforderlichenfalls durch die Abwicklung des Begünstigten.

(32)

Vor diesem Hintergrund stellt die Kommission fest, dass die in den Erwägungsgründen 28 und 29 aufgeführten Maßnahmen sich entweder auf die jetzt in Abwicklung befindliche Gesellschaft Saremar (Maßnahmen 1 und Bonus Sardo Vacanza) oder auf die Nachfolger Saremars nach dessen Privatisierung (Maßnahmen 3 und 4) oder auf beide (Maßnahmen 5 und 6) beziehen. Allerdings fand die Privatisierung von Saremar nicht wie in den Erwägungsgründen 149f, 238-246 und 305f des Beschlusses von 2012 beschrieben und bewertet statt. Stattdessen wurde Saremar abgewickelt und seine Vermögenswerte sowie der Vertrag über öffentliche Dienstleistungen wurden separat ausgeschrieben.

(33)

Nach italienischem Recht (27) werden, sobald ein Unternehmen in die Abwicklung eintritt, die Vermögenswerte veräußert und die Erlöse den Gläubigern, entsprechend der Rangordnung ihrer Forderungen, ausbezahlt. Daher muss die Kommission zuerst prüfen, ob die Fortsetzung der Untersuchung in der Saremar-Sache noch zweckmäßig ist. Sollte das nicht der Fall sein, muss sie prüfen, ob zwischen Saremar und anderen Unternehmen eine wirtschaftliche Kontinuität im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht.

(34)

Saremar beantragte am 15. Januar 2015, also nach dem Beschluss von 2014, das Liquidationsverfahren nach dem „concordato preventivo“, und es wurde ein Liquidator ernannt. Ziel des „concordato preventivo“-Verfahrens ist in der Regel, die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit zu gewährleisten. In diesem Falle hingegen wurde ein Verfahren nach dem „concordato preventivo con cessione dei beni“ eröffnet, d. h. ein Liquidationsverfahren, bei dem mit Einverständnis der Gläubiger die Vermögenswerte des Unternehmens veräußert werden und die Geschäftstätigkeit nur befristet fortgesetzt und letztendlich eingestellt wird. Das Verfahren wird von einem Richter beaufsichtigt, der jegliche Vereinbarung zwischen den Gläubigern bestätigen muss. Am 22. Juli 2015 bestätigte das Tribunale die Cagliari die Vereinbarung der Gläubiger von Saremar, nach der die Geschäftstätigkeit bis zum 31. Dezember 2015 fortgesetzt werden sollte (Erwägungsgrund 27). Somit ging nach Auffassung der Kommission schon aus dem gewählten Verfahren hervor, dass Saremar am Ende den Markt verlassen würde.

(35)

Tatsächlich stellte Saremar sämtliche Geschäftstätigkeiten zum 31. März 2016 ein (siehe Erwägungsgrund 27), auch seine im Rahmen seines öffentlichen Auftrags betriebenen Fährdienste. Der öffentliche Auftrag wurde dann auf Delcomar übertragen. Gleichzeitig wurde die Flotte an Delcoservizi veräußert. Nach der am 22. April 2016 vollzogenen Übertragung der Vermögenswerte ordnete der Regionalrat Sardiniens mit Beschluss Nr. 24/23 vom 22. April 2016 die Liquidation von Saremar an.

(36)

Zudem hat Italien den Beschluss von 2014 ordnungsgemäß, wenngleich mit Verzögerungen, umgesetzt. Die Beihilferückforderung in Höhe von 10 824 309,69 EUR zuzüglich Zinsen wurde ordnungsgemäß in die Forderungstabelle eingetragen. Davon konnten nach der Veräußerung der Vermögenswerte lediglich etwa 4,4 Mio. EUR an Italien ausbezahlt werden. Da das Insolvenzverfahren von Saremar jedoch zur Abwicklung des Unternehmens führte und Letzteres keinerlei Tätigkeit mehr ausübt (28), hat die Kommission das Rückforderungsverfahren mit Schreiben an Italien vom 13. September 2017 vorläufig eingestellt.

(37)

Inzwischen übt Saremar, wie aus obigen Ausführungen hervorgeht, seit mehr als fünf Jahren keine wirtschaftliche Tätigkeit mehr aus. Seine Vermögenswerte wurden veräußert, das Personal entlassen, und nach Abschluss des Liquidationsverfahrens wird Saremar aus dem Unternehmensregister gestrichen. Jegliche durch die in den Erwägungsgründen 28 und 29 genannten Maßnahmen verursachten Folgen für Wettbewerb und Handel endeten mit der Einstellung der Wirtschaftstätigkeit von Saremar. Schon die Rückforderung gemäß dem Beschluss von 2014 konnte nur teilweise (in Höhe von ungefähr 40 % aller Forderungen, siehe Erwägungsgründe 27 und 36) erfüllt werden.

(38)

Damit sieht die Kommission die oben dargelegten Ziele der Beihilfenkontrolle und der Rückforderung, nämlich die Verhinderung unvereinbarer Beihilfen und die Wiederherstellung der durch ihre Gewährung verfälschte Wettbewerbslage, als bereits erfüllt an. Saremar ist nicht länger wirtschaftlich auf dem Markt tätig und wird abgewickelt, und die Rückforderung konnte wegen der zu geringen Erlöse aus dem Verkauf der Vermögenswerte von Saremar nur partiell erfüllt werden. Deshalb erscheint eine Weiterführung der Untersuchung zu Saremar nicht länger zweckmäßig.

(39)

Für die Beurteilung einer etwaigen wirtschaftlichen Kontinuität zwischen Saremar und seinen Nachfolgeunternehmen müssten laut der Rechtsprechung folgende Gesichtspunkte berücksichtigt werden: der Gegenstand der Übertragung (Aktiva und Passiva, Fortbestand der Belegschaft, gebündelte Aktiva), der Übertragungspreis, die Identität der Eigentümer des erwerbenden und des ursprünglichen Unternehmens, der Zeitpunkt der Übertragung (nach Beginn der Untersuchung, nach Verfahrenseinleitung oder nach der abschließenden Entscheidung) und die ökonomische Folgerichtigkeit der Transaktion. (29)

(40)

Die Kommission hatte bereits im Rahmen des Rückforderungsverfahrens für die Umsetzung des Beschlusses von 2014 geprüft, ob die Pflicht zur Rückzahlung der Saremar gewährten Beihilfe auf die Unternehmen erweitert werden müsste, auf die die Vermögenswerte bzw. die Geschäftstätigkeit von Saremar übertragen worden war. Dabei hatte die Kommission akzeptiert, dass die Rückforderungspflicht lediglich für Saremar galt, weil eine wirtschaftliche Kontinuität zu Delcomar oder Delcoservizi (die „Nachfolgeunternehmen“) aus folgenden Gründen ausgeschlossen werden konnte:

a)

Der Betrieb von Fährdiensten im öffentlichen Auftrag und die Flotte wurden im Rahmen von separaten, transparenten öffentlichen und diskriminierungsfreien Ausschreibungen ausgeschrieben.

b)

Das Personal von Saremar war entlassen und nur zum Teil von den Nachfolgeunternehmen wiedereingestellt worden. (30)

c)

Die Nachfolgeunternehmen sind private Gesellschaften, wohingegen sich Saremar zur Gänze im Besitz der Region Sardinien befand, sodass zwischen dem Verkäufer und dem Käufer der Vermögenswerte keinerlei Verbindung festgestellt werden konnte.

d)

Die Investitionen und Gebote der Nachfolgeunternehmen wurden von diesen nach Marktgesichtspunkten entschieden.

(41)

Seit der vorläufigen Einstellung der Rückforderungssache sind der Kommission keine Informationen zugegangen, die ihre Einschätzung ändern könnten. Deswegen kann eine wirtschaftliche Kontinuität zwischen Saremar und Delcomar oder Delcoservizi oder gar zu beiden Nachfolgeunternehmen ausgeschlossen werden. Die Kommission wird die Abwicklung von Saremar bis zu seiner Streichung aus dem Unternehmensregister begleiten. Erst dann kann sie das aus dem Beschluss von 2014 herrührende Rückforderungsverfahren endgültig abschließen. (31)

(42)

Wegen der Abwicklung von Saremar und der fehlenden wirtschaftlichen Kontinuität zu den Nachfolgeunternehmen ist die Fortsetzung des Verfahrens zur Prüfung der verbleibenden Maßnahmen zugunsten von Saremar oder seinen Nachfolgeunternehmen, das gemäß Artikel 108 Absatz 2 AEUV eingeleitet worden war, nicht länger sinnvoll.

(43)

Dieser Beschluss betrifft keine anderen Fragen, die unter die Beschlüsse von 2011 und 2012 (32) fallen oder die der Kommission im Zuge des im Rahmen dieser Beschlüsse eingeleiteten Prüfverfahrens durch Beteiligte zur Kenntnis gebracht wurden, noch greift er etwaigen diesbezüglichen Entscheidungen vor —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Das am 5. Oktober 2011 eingeleitete und am 19. Dezember 2012 erweiterte Verfahren gemäß Artikel 108 Absatz 2 AEUV betreffend Saremar und seine Nachfolgeunternehmen wird hiermit eingestellt.

Artikel 2

Dieser Beschluss ist an die Italienische Republik gerichtet.

Brüssel, den 30. September 2021

Für die Kommission

Margrethe VESTAGER

Mitglied der Kommission


(1)  ABl. C 28 vom 1.2.2012, S. 18 und ABl. C 84 vom 22.3.2013, S. 58.

(2)  ABl. C 306 vom 23.10.1999, S. 2. Die ehemalige Tirrenia-Gruppe bestand aus den Unternehmen Tirrenia di Navigazione S.p.A., Adriatica S.p.A., Caremar — Campania Regionale Marittima S.p.A., Saremar — Sardegna Regionale Marittima S.p.A., Siremar — Sicilia Regionale Marittima S.p.A. und Toremar — Toscana Regionale Marittima S.p.A.

(3)  Entscheidung 2001/851/EG der Kommission vom 21. Juni 2001 über eine staatliche Beihilfe Italiens zugunsten der Seeverkehrsgesellschaft Tirrenia di Navigazione (ABl. L 318 vom 4.12.2001, S. 9).

(4)  Entscheidung 2005/163/EG der Kommission vom 16. März 2004 über eine staatliche Beihilfe Italiens zugunsten der Seeverkehrsgesellschaften Adriatica, Caremar, Siremar, Saremar und Toremar (Tirrenia-Gruppe) (ABl. L 53 vom 26.2.2005, S. 29).

(5)  Insbesondere: Adriatica, Caremar, Siremar, Saremar und Toremar.

(6)  Verbundene Rechtssachen T-265/04, T-292/04 und T-504/04, Tirrenia di Navigazione/Kommission, ECLI:EU:T:2009:48.

(7)  ABl. C 28 vom 1.2.2012, S. 18.

(8)  Sämtliche Änderungen betrafen Maßnahmen zugunsten von Saremar.

(9)  ABl. C 84 vom 22.3.2013, S. 58.

(10)  Beschluss (EU) 2018/261 der Kommission vom 22. Januar 2014 über die Maßnahmen SA.32014 (2011/C), SA.32015 (2011/C), SA.32016 (2011/C) der Region Sardinien zugunsten von Saremar, notifiziert mit Schreiben C(2013) 9101 (ABl. L 49 vom 22.2.2018, S. 22).

(11)  Rs. T-219/14 Regione autonoma della Sardegna/Kommission, ECLI:EU:T:2017:266.

(12)  Rs. T-220/14 Saremar/Kommission ECLI:EU:T:2017:267.

(13)  Beschluss (EU) 2020/1411 der Kommission vom 2. März 2020 über die staatliche Beihilfe C 64/99 (ex NN 68/99), die Italien zugunsten der Seeverkehrsgesellschaften Adriatica, Caremar, Siremar, Saremar und Toremar (Tirrenia-Gruppe) durchgeführt hat (ABl. L 332 vom 12.10.2020, S. 1).

(14)  Mitteilung der Kommission — Rahmen der Europäischen Union für staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (2011) (ABl. C 8 vom 11.1.2012, S. 15).

(15)  Beschluss (EU) 2020/1412 der Kommission vom 2. März 2020 über die Maßnahmen SA.32014, SA.32015, SA.32016 (11/C) (ex 11/NN), die Italien zugunsten von Tirrenia di Navigazione und seinem Erwerber Compagnia Italiana di Navigazione durchgeführt hat (ABl. L 332 vom 12.10.2020, S. 45).

(16)  Noch nicht im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

(17)  Noch nicht im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

(18)  Fintecna steht vollständig im Eigentum des Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen und ist auf die Durchführung von Börsengängen und Privatisierungsverfahren spezialisiert; ferner ist das Unternehmen mit Projekten zur Rationalisierung und Umstrukturierung von Unternehmen befasst, die sich in industriellen, finanziellen oder organisatorischen Schwierigkeiten befinden.

(19)  Diese Übertragung wurde am 1. Juni 2011 formal abgeschlossen.

(20)  Artikel 19-ter Absatz 10 des Gesetzesdekrets 135/2009.

(21)  Siehe Randnummern 130 und 133 der Bekanntmachung der Kommission über die Rückforderung rechtswidriger und mit dem Binnenmarkt unvereinbarer staatlicher Beihilfen (ABl. C 247 vom 23.7.2019 S. 1).

(22)  Dies umfasst den CIN eingeräumten Zahlungsaufschub für einen Teil des Kaufpreises für den Erwerb der Tirrenia-Sparte und einige mutmaßliche zusätzliche Beihilfemaßnahmen im Zusammenhang mit der Privatisierung der Siremar-Sparte (z. B. Rückbürgschaft und Kapitalerhöhung von CdI durch den Staat).

(23)  Im Beschluss von 2014 hatte die Kommission angekündigt, das Projekt separat zu bewerten.

(24)  Urteil des Gerichtshofs vom 3. März 2020, Vodafone Magyarország, Rs. C-75/18, ECLI:EU:C:2020:139, Rn. 19.

(25)  Urteil des Gerichtshofs vom 11. Dezember 2012, Kommission/Spanien („Magefesa II“), Rs. C-610/10, ECLI:EU:C:2012:781, Rn. 105.

(26)  Urteil des Gerichtshofs vom 17. Januar 2018, Kommission/Griechenland („United Textiles“), Rs. C-363/16, ECLI:EU:C:2018:12, Rn. 36.

(27)  Regio Decreto 16 marzo 1942, n. 267, geändert durch das als „Legge Fallimentare“ bekannte Gesetz.

(28)  Siehe Randnummer 129 der Bekanntmachung der Kommission über die Rückforderung rechtswidriger und mit dem Binnenmarkt unvereinbarer staatlicher Beihilfen (ABl. C 247 vom 23.7.2019 S. 1).

(29)  Urteil des Gerichts vom 24. September 2019, Fortischem/Kommission, T-121/15, ECLI:EU:T:2019:684, Rn. 208.

(30)  Nach den der Kommission zur Verfügung stehenden Informationen wurden weniger als 20 % der Belegschaft von Saremar von Delcomar wiedereingestellt.

(31)  Siehe Randnummern 136 bis 140 der Bekanntmachung der Kommission über die Rückforderung rechtswidriger und mit dem Binnenmarkt unvereinbarer staatlicher Beihilfen (ABl. C 247 vom 23.7.2019 S. 1).

(32)  Siehe Erwägungsgründe 6 und 8 des Beschlusses von 2012.


17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/27


DURCHFÜHRUNGSBESCHLUSS (EU) 2022/757 DER KOMMISSION

vom 11. Mai 2022

zur Änderung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2021/1182 hinsichtlich harmonisierter Normen für Qualitätsmanagementsysteme, Sterilisation und Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur europäischen Normung, zur Änderung der Richtlinien 89/686/EWG und 93/15/EWG des Rates sowie der Richtlinien 94/9/EG, 94/25/EG, 95/16/EG, 97/23/EG, 98/34/EG, 2004/22/EG, 2007/23/EG, 2009/23/EG und 2009/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung des Beschlusses 87/95/EWG des Rates und des Beschlusses Nr. 1673/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (1), insbesondere auf Artikel 10 Absatz 6,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Gemäß Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) wird bei Produkten, die den einschlägigen harmonisierten Normen oder den betreffenden Teilen dieser Normen entsprechen, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden, die Konformität mit den Anforderungen der genannten Verordnung, die mit den betreffenden Normen oder Teilen davon übereinstimmen, angenommen.

(2)

Die Verordnung (EU) 2017/745 ersetzt seit dem 26. Mai 2021 die Richtlinien 90/385/EWG (3) und 93/42/EWG des Rates (4).

(3)

Mit dem Durchführungsbeschluss C(2021) 2406 (5) beauftragte die Kommission das Europäische Komitee für Normung (CEN) und das Europäische Komitee für elektrotechnische Normung (Cenelec) mit der Überarbeitung bestehender harmonisierter Normen für Medizinprodukte, die zur Unterstützung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG ausgearbeitet worden waren, sowie mit der Ausarbeitung neuer harmonisierter Normen zur Unterstützung der Verordnung (EU) 2017/745.

(4)

Auf der Grundlage des im Durchführungsbeschluss C(2021) 2406 formulierten Normungsauftrags überarbeiteten das CEN und das Cenelec die bestehenden harmonisierten Normen EN ISO 285:2015 und EN ISO 14971:2019, deren Fundstellen nicht im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht sind, mit dem Ziel, den jüngsten technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen und die Normen an die Anforderungen der Verordnung (EU) 2017/745 anzupassen. Dies führte zur Annahme der überarbeiteten harmonisierten Norm EN 285:2015+A1:2021 zur Sterilisation und der Änderung EN ISO 14971:2019/A11:2021 der harmonisierten Norm EN ISO 14971:2019 über die Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte.

(5)

Die Kommission hat gemeinsam mit dem CEN und dem Cenelec geprüft, ob die harmonisierten Normen EN 285:2015+A1:2021 und EN 14971:2019, in der durch EN ISO 14971:2019/A11:2021 geänderten Fassung, dem im Durchführungsbeschluss C(2021) 2406 formulierten Normungsauftrag entsprechen.

(6)

Die harmonisierten Normen EN 285:2015+A1:2021 und EN ISO 14971:2019, geändert durch EN ISO 14971:2019/A11:2021, erfüllen die Anforderungen gemäß der Verordnung (EU) 2017/745, die sie abdecken sollen. Daher ist es angezeigt, die Fundstellen der harmonisierten Normen EN 285:2015+A1:2021 und EN ISO 14971:2019 sowie deren Änderung im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröffentlichen.

(7)

In Anhang des Durchführungsbeschlusses (EU) 2021/1182 der Kommission (6) sind die Fundstellen harmonisierter Normen zur Unterstützung der Verordnung (EU) 2017/745 aufgeführt.

(8)

Um sicherzustellen, dass die Fundstellen der harmonisierten Normen, die zur Unterstützung der Verordnung (EU) 2017/745 ausgearbeitet wurden, in einem einzigen Rechtsakt aufgeführt sind, sollten die Fundstellen der Normen EN 285:2015+A1:2021 und EN ISO 14971:2019 sowie deren Änderung in den Durchführungsbeschluss (EU) 2021/1182 aufgenommen werden.

(9)

Die Fundstellen der harmonisierten Norm EN ISO 13485:2016 über Qualitätsmanagementsysteme und ihrer Änderung EN ISO 13485:2016/A11:2021 werden mit dem Durchführungsbeschluss (EU) 2021/1182 veröffentlicht. Diese Veröffentlichung enthält jedoch nicht die Fundstelle der Berichtigung dieser Norm EN ISO 13485:2016/AC:2018. Mit der Berichtigung werden nur formale Aspekte des europäischen Vorworts und der informativen Anhänge berichtigt, ohne dass der Inhalt der harmonisierten Norm berührt wird. Die harmonisierte Norm EN ISO 13485:2016, geändert durch EN ISO 13485:2016/A11:2021 und berichtigt durch EN ISO 13485:2016/AC:2018, erfüllt die Anforderungen, die sie abdecken soll und die in der Verordnung (EU) 2017/745 festgelegt sind. Um sicherzustellen, dass die gemäß EN ISO 13485:2016/AC:2018 vorgenommenen Berichtigungen für die Zwecke der Konformitätsvermutung in Bezug auf die einschlägigen Anforderungen der Verordnung (EU) 2017/745 gelten, ist es erforderlich, die Fundstelle dieser Berichtigung in den Durchführungsbeschluss (EU) 2021/1182 aufzunehmen. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte die Fundstelle der Berichtigung EN ISO 13485:2016/AC:2018 rückwirkend im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden.

(10)

Der Durchführungsbeschluss (EU) 2021/1182 sollte daher entsprechend geändert werden.

(11)

Die Einhaltung einer harmonisierten Norm begründet die Konformitätsvermutung in Bezug auf die entsprechenden wesentlichen Anforderungen, die in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union festgelegt sind, ab dem Datum der Veröffentlichung der Fundstelle dieser Norm im Amtsblatt der Europäischen Union. Dieser Beschluss sollte daher am Tag seiner Veröffentlichung in Kraft treten —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Der Anhang des Durchführungsbeschlusses (EU) 2021/1182 wird gemäß dem Anhang des vorliegenden Beschlusses geändert.

Artikel 2

Dieser Beschluss tritt am Tag seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Nummer 1 des Anhangs gilt ab dem 5. Januar 2022.

Brüssel, den 11. Mai 2022

Für die Kommission

Die Präsidentin

Ursula VON DER LEYEN


(1)  ABl. L 316 vom 14.11.2012, S. 12.

(2)  Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates (ABl. L 117 vom 5.5.2017, S. 1).

(3)  Richtlinie 90/385/EWG des Rates vom 20. Juni 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte (ABl. L 189 vom 20.7.1990, S. 17).

(4)  Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169 vom 12.7.1993, S. 1).

(5)  Durchführungsbeschluss C(2021) 2406 der Kommission vom 14. April 2021 über einen Normungsauftrag an das Europäische Komitee für Normung und das Europäische Komitee für elektrotechnische Normung in Bezug auf Medizinprodukte zur Unterstützung der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates und auf In-vitro-Diagnostika zur Unterstützung der Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates.

(6)  Durchführungsbeschluss (EU) 2021/1182 der Kommission vom 16. Juli 2021 über die harmonisierten Normen für Medizinprodukte zur Unterstützung der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 256 vom 19.7.2021, S. 100).


ANHANG

Der Anhang des Durchführungsbeschlusses (EU) 2021/1182 wird wie folgt geändert:

1.

Eintrag 10 erhält folgende Fassung:

Nr.

Norm

„10.

EN ISO 13485:2016

Medizinprodukte — Qualitätsmanagementsysteme — Anforderungen für regulatorische Zwecke (ISO 13485:2016)

EN ISO 13485:2016/AC:2018

EN ISO 13485:2016/A11:2021“

2.

Folgende Einträge werden angefügt:

Nr.

Norm

„15.

EN 285:2015+A1:2021

Sterilisation — Dampf-Sterilisatoren — Groß-Sterilisatoren

16.

EN ISO 14971:2019

Medizinprodukte — Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte (ISO 14971:2019)

EN ISO 14971:2019/A11:2021“


EMPFEHLUNGEN

17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/30


EMPFEHLUNG (EU) 2022/758 DER KOMMISSION

vom 27. April 2022.

zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich öffentlich beteiligen, vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren („Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 292,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Gemäß Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union sind die Werte, auf die sich die Union gründet, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.

(2)

Gemäß Artikel 10 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union haben alle Bürgerinnen und Bürger der Union das Recht, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen. In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden die „Charta“) sind unter anderem das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 7), das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten (Artikel 8), das Recht auf die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Achtung der Freiheit der Medien und ihrer Pluralität (Artikel 11), und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Artikel 47) vorgesehen.

(3)

Das in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierte Recht auf die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Zwar handelt es sich nicht um ein absolutes Recht, doch müssen etwaige Einschränkungen dieses Rechts gesetzlich vorgesehen sein, den Wesensgehalt des Rechts achten und dürfen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (Artikel 52 Absatz 1 der Charta).

(4)

Im Einklang mit Artikel 52 Absatz 3 der Charta und den Erläuterungen zur Charta sollte Artikel 11 der Charta der Bedeutung und dem Geltungsbereich von Artikel 10 über die Freiheit der Meinungs- und Informationsfreiheit der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden „Europäische Menschenrechtskonvention“) in der Auslegung des Gerichtshofs für Menschenrechte gleichgesetzt werden. Mit Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention werden die Freiheit der Meinungsäußerung und die Freiheit, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben, geschützt. Innerhalb des Geltungsbereichs der Europäischen Menschenrechtskonvention muss jede Einschränkung gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein und zur Verfolgung der berechtigten Zwecke nach Artikel 10 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention erfolgen.

(5)

In der Europäischen Menschenrechtskonvention wird den Vertragsstaaten auch eine positive Verpflichtung auferlegt, die Freiheit und den Pluralismus der Medien zu schützen und ein günstiges Umfeld für die Beteiligung an der öffentlichen Debatte zu schaffen. (1) In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heißt es weiter, dass das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft ist und nicht nur für Informationen oder Ideen gilt, die positiv aufgenommen oder als harmlos oder gleichgültig angesehen werden, sondern auch für solche, die für den Staat oder eine Gruppe der Bevölkerung beleidigend, schockierend oder störend sind. (2) Der Gerichtshof hat ferner klargestellt, dass in einer demokratischen Gesellschaft auch kleine und informelle Kampagnengruppen in der Lage sein müssen, ihre Tätigkeiten wirksam auszuüben, und dass ein starkes öffentliches Interesse daran besteht, dass solche Gruppen und Einzelpersonen außerhalb der allgemeinen öffentlichen Meinung einen Beitrag zur öffentlichen Debatte leisten können, indem sie Informationen und Ideen zu Angelegenheiten von allgemeinem Interesse verbreiten. (3)

(6)

Journalisten leisten einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Debatte und zur Vermittlung und Aufnahme von Informationen, Meinungen und Ideen. (4) Daher müssen sie den nötigen Raum haben, um zu einer offenen, freien und gerechten Debatte beizutragen und Desinformation und sonstigen manipulativen Eingriffen, darunter auch seitens Akteuren aus Drittländern, entgegenzuwirken. Journalisten sollten in der Lage sein, ihre Tätigkeit wirksam auszuüben, um dafür Sorge zu tragen, dass die Bürgerinnen und Bürger in den europäischen Demokratien Zugang zu einer Vielzahl von Meinungen haben.

(7)

Menschenrechtsverteidiger spielen in den Demokratien Europas ebenfalls eine wichtige Rolle, insbesondere bei der Wahrung der Grundrechte, der demokratischen Werte, der sozialen Inklusion, des Umweltschutzes und der Rechtsstaatlichkeit. Sie sollten in der Lage sein, sich aktiv am öffentlichen Leben zu beteiligen und sich in politischen Fragen und bei der Entscheidungsfindung Gehör zu verschaffen, ohne Angst vor Einschüchterung haben zu müssen. Menschenrechtsverteidiger sind Einzelpersonen oder Organisationen, die sich für die Verteidigung der Grundrechte und einer Vielzahl anderer Rechte einsetzen, einschließlich Umwelt- und Klimarechten, Frauenrechten, Rechten von LGBTIQ-Personen, Rechten von Angehörigen einer rassischen oder ethnischen Minderheit, Arbeitsrechten oder religiösen Freiheiten.

(8)

Eine gesunde und lebendige Demokratie setzt voraus, dass die Menschen sich aktiv an der öffentlichen Debatte beteiligen können. Um eine sinnvolle Beteiligung sicherzustellen, müssen die Menschen Zugang zu verlässlichen Informationen haben, die sie in die Lage versetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden und ihr eigenes Urteil in einem öffentlichen Raum zu fällen, in dem unterschiedliche Meinungen frei geäußert werden können.

(9)

Um dieses Umfeld zu fördern, müssen Journalisten und Menschenrechtsverteidiger vor offenkundig unbegründeten und missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung (gemeinhin als „SLAPP-Klagen“ (strategic lawsuits against public participation) bezeichnet) geschützt werden. Bei diesen Gerichtsverfahren handelt es sich entweder um offenkundig unbegründete oder ganz oder teilweise unbegründete Verfahren, die Elemente des Missbrauchs enthalten, die die Annahme rechtfertigen, dass der Hauptzweck des Gerichtsverfahrens darin besteht, die öffentliche Beteiligung zu verhindern, einzuschränken oder zu sanktionieren. Anhaltspunkte für einen solchen Missbrauch sind die Unverhältnismäßigkeit, Maßlosigkeit oder Unangemessenheit der Forderung oder eines Teils davon, das Vorhandensein mehrerer Klagen, die vom Kläger in ähnlichen Angelegenheiten vorgebracht wurden, oder Einschüchterungen, Belästigungen oder Drohungen von Seiten des Klägers oder seinen Vertretern vor der Einleitung eines offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahrens. Diese Verfahren stellen einen Missbrauch von Gerichtsverfahren und eine unnötige Belastung der Gerichte dar, da ihr Zweck nicht darin besteht, Zugang zur Justiz zu erhalten, sondern die Beklagten zu schikanieren und zum Schweigen zu bringen. Langwierige Verfahren belasten die nationalen Gerichtssysteme.

(10)

Bei offenkundig unbegründeten und missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung kann eine Fülle von Rechtsmissbräuchen zum Einsatz kommen, vor allem in Zivil- oder Strafsachen, aber auch in verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten, oder sie können auf verschiedenen Gründen beruhen.

(11)

Solche Gerichtsverfahren werden häufig von einflussreichen Einzelpersonen oder Einrichtungen (z. B. Lobbygruppen, Unternehmen oder staatliche Organen) angestrengt, um die öffentliche Debatte zum Schweigen zu bringen. Dabei besteht häufig ein Machtungleichgewicht zwischen den Parteien, bei dem der Kläger eine mächtigere Position einnimmt als der Beklagte, zum Beispiel in finanzieller oder politischer Hinsicht. Ein Machtungleichgewicht ist zwar kein unverzichtbarer Bestandteil von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren, aber wenn es vorhanden ist, verstärkt es die schädlichen Auswirkungen und die abschreckende Wirkung von Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung erheblich.

(12)

Offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung können sich negativ auf die Glaubwürdigkeit und den Ruf insbesondere von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern auswirken und ihre finanziellen und sonstigen Ressourcen erschöpfen. Sie können negative psychologische Folgen für die Betroffenen und ihre Familienangehörigen haben. Offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung gefährden die Fähigkeit von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, ihre Tätigkeiten auszuüben. Infolge derartiger Verfahren kann die Veröffentlichung von Informationen über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse verzögert oder gänzlich verhindert werden. Das Vorhandensein solcher Verfahren kann insbesondere auf die Arbeit von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern allgemein abschreckend wirken, da sie in Erwartung möglicher künftiger Gerichtsverfahren zur Selbstzensur führen, wodurch die öffentliche Debatte zum Nachteil der gesamten Gesellschaft erschwert wird. Die Dauer der Verfahren, der finanzielle Druck und die Androhung strafrechtlicher Sanktionen sind mächtige Instrumente, um kritische Stimmen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.

(13)

Gegen Personen, die eine Partei von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung sind, können gleichzeitig mehrere Gerichtsverfahren in mehreren Rechtsordnungen anhängig sein. Gerichtsverfahren, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gegen eine Person mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat angestrengt werden, sind für den Beklagten in der Regel komplexer und kostspieliger. Kläger in offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung können auch verfahrenstechnische Instrumente nutzen, um die Dauer der Verfahren zu verlängern und die Kosten in die Höhe zu treiben, und Fälle vor ein Gericht in einem Rechtsraum bringen, der ihrer Ansicht nach für ihren Fall günstig ist, anstelle vor das Gericht, das am besten in der Lage wäre, über den Fall zu entscheiden.

(14)

Offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung sind in der Europäischen Union auf dem Vormarsch. Jüngsten Studien (5) zufolge werden solche Verfahren in den Mitgliedstaaten immer häufiger eingesetzt.

(15)

In seiner Entschließung vom 25. November 2020 (6) verurteilte das Europäische Parlament den Einsatz von SLAPP-Klagen, um Enthüllungsjournalisten und Medien zum Schweigen zu bringen oder einzuschüchtern und ein Klima der Angst rund um ihre Berichterstattung über bestimmte Themen zu schüren, und forderte die Kommission auf, einen Vorschlag mit dem Ziel vorzulegen, diese Klagen zu bekämpfen. In seiner Entschließung (7) vom 11. November 2021 zur Stärkung der Demokratie, der Medienfreiheit und des Medienpluralismus in der EU in Anbetracht des unrechtmäßigen Rückgriffs auf zivil- und strafrechtliche Verfahren zur Einschüchterung von Journalisten, nichtstaatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft hob das Europäische Parlament erneut hervor, dass dieses Phänomen sehr häufig vorkommt und dass es notwendig ist, wirksame Schutzmaßnahmen für die Opfer in der gesamten Union zu ergreifen.

(16)

Nach Angaben der Plattform des Europarates zur Förderung des Schutzes des Journalismus und der Sicherheit der Journalisten (Platform to Promote the Protection of Journalism and Safety of Journalists) (8) häufen sich die Meldungen über ernsthafte Bedrohungen der Sicherheit von Journalisten und der Medienfreiheit in Europa, einschließlich mehrerer Fälle von Einschüchterung durch die Justiz. Im Jahresbericht 2021 der Partnerorganisationen der Plattform des Europarates zur Förderung des Schutzes des Journalismus und der Sicherheit von Journalisten wird hervorgehoben, dass die Zahl der im Jahr 2020 gemeldeten Warnmeldungen im Zusammenhang mit SLAPP-Klagen im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen ist, und zwar sowohl in Bezug auf die Zahl der Warnmeldungen als auch auf die Gerichtsbarkeit der betroffenen Mitgliedstaaten des Europarates. (9) In seiner Empfehlung vom 13. April 2016 zum Schutz des Journalismus und zur Sicherheit von Journalisten und anderen Medienschaffenden (Recommendation on the protection of journalism and safety of journalists and other media actors) (10) hat der Europarat seinen Mitgliedstaaten empfohlen, die erforderlichen gesetzgeberischen und/oder sonstigen Maßnahmen zu ergreifen, um die unseriöse, schikanöse oder bösgläubige Anwendung von Gesetzen und rechtlichen Verfahren, mit denen Journalisten und andere Medienschaffende eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht werden sollen, zu verhindern.

(17)

In den Berichten der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit von 2020 (11) und 2021 (12) wird hervorgehoben, dass Journalisten und andere Personen, die sich für den Schutz des öffentlichen Interesses einsetzen, in einer Reihe von Mitgliedstaaten zunehmend Drohungen und Angriffen im Zusammenhang mit ihren Veröffentlichungen ausgesetzt sind, wobei verschiedene Formen von Gefahren und Angriffen erkennbar sind, darunter auch SLAPP-Klagen.

(18)

Ein eindeutiges Beispiel für den Einsatz von Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung in der Union ist der Fall der Journalistin Daphne Caruana Galizia, die sich zum Zeitpunkt ihrer Ermordung über 40 zivil- und strafrechtlichen Verleumdungs- und Diffamierungsklagen im Zusammenhang mit ihren Investigativtätigkeiten gegenübersah.

(19)

In dem von der Kommission am 3. Dezember 2020 vorgelegten Europäischen Aktionsplan für Demokratie (13) wird die wichtige Rolle freier und pluralistischer Medien in Demokratien sowie die Bedeutung der Zivilgesellschaft hervorgehoben. Darin wird unter anderem herausgestellt, dass unabhängige und pluralistische Medien eine wichtige Rolle dabei spielen, die Bürgerinnen und Bürger zu befähigen, fundierte Entscheidungen zu treffen, aber auch im Kampf gegen Informationsmanipulation und Einmischung in den Informationsraum, einschließlich Desinformation, unerlässlich sind. In diesem Zusammenhang hat die Kommission bereits die Empfehlung (EU) 2021/1534 zur Gewährleistung des Schutzes, der Sicherheit und der Handlungskompetenz von Journalisten und anderen Medienschaffenden in der Europäischen Union (14) angenommen. Ziel dieser Empfehlung ist es, sicherere Arbeitsbedingungen für alle im Medienbereich Tätigen zu gewährleisten, frei von Angst und Einschüchterung, online ebenso wie offline. Angesichts der zunehmenden Bedrohung der Medienfreiheit und der öffentlichen Beteiligung durch offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung sollte die Union einen kohärenten und wirksamen Ansatz ausarbeiten, um solchen Verfahren entgegenzuwirken. Diese Empfehlung ergänzt die Empfehlung (EU) 2021/1534, denn sie enthält spezifische Empfehlungen zu offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung. Sie geht über den Schutz von Journalisten und anderen Medienschaffenden hinaus und schließt auch Menschenrechtsverteidiger mit ein. Diese Empfehlung sollte auf die besondere Bedrohung ausgerichtet sein, die von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung ausgeht; dadurch sollte das ordnungsgemäße Funktionieren der Gewaltenteilung in einer gesunden Demokratie unterstützt werden. Sie sollte Leitlinien für die Mitgliedstaaten enthalten, damit sie wirksame, geeignete und verhältnismäßige Maßnahmen treffen können, um gegen solche Verfahren vorzugehen und in diesem Zusammenhang insbesondere den Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern sicherzustellen. Es wird empfohlen, Maßnahmen zur Sensibilisierung und zum Aufbau von Fachwissen zu ergreifen, insbesondere bei Angehörigen der Rechtsberufe und den Betroffenen von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung, um dafür Sorge zu tragen, dass die Betroffenen solcher Verfahren Unterstützung erhalten, und um eine verstärkte Überwachung sicherzustellen.

(20)

Um einen wirksamen Schutz vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung sicherzustellen und zu verhindern, dass dieses Phänomen in der Union Schule macht, sollten die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass ihr jeweiliger Rechtsrahmen für Zivil-, Straf-, Handels- und Verwaltungsverfahren die erforderlichen Schutzmaßnahmen bietet, um gegen solche Gerichtsverfahren unter uneingeschränkter Achtung der demokratischen Werte und Grundrechte, einschließlich des Rechts auf ein unparteiisches Gericht und des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung, vorzugehen. Um einen konsequenten und wirksamen Schutz vor offenkundig unbegründeten Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung zu bieten, sollten die Mitgliedstaaten darauf hinwirken, dass eine vorzeitige Einstellung des Verfahrens möglich ist. Sie sollten auch bestrebt sein, andere Rechtsbehelfe gegen missbräuchliche Gerichtsverfahren vorzusehen, vor allem die Erstattung von Kosten, sodass einem Kläger, der ein missbräuchliches Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung angestrengt hat, die gesamten Kosten des Verfahrens auferlegt werden können, die Entschädigung einer natürlichen oder juristischen Person, die durch ein missbräuchliches Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung geschädigt wurde, sowie die Möglichkeit, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen gegen die Partei zu verhängen, die ein missbräuchliches Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung angestrengt hat. Mit der Möglichkeit für die Gerichte, Sanktionen zu verhängen, wird das Ziel verfolgt, potenzielle Kläger davon abzuhalten, missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung anzustrengen. Solche Sanktionen sollten in einem angemessenen Verhältnis zu den festgestellten Missbrauchsmerkmalen stehen. Bei der Festsetzung der Sanktionen könnten die Gerichte die potenziell schädliche oder abschreckende Wirkung des Verfahrens auf die öffentliche Beteiligung berücksichtigen, einschließlich der Art des Anspruchs und der Frage, ob der Kläger mehrere oder abgestimmte Verfahren in ähnlichen Angelegenheiten angestrengt hat oder ob es Versuche gab, den Beklagten einzuschüchtern, zu belästigen oder ihm zu drohen.

(21)

Die Mitgliedstaaten sollten danach trachten, ähnliche Schutzmaßnahmen für einzelstaatliche Fälle, wie sie in den Rechtsinstrumenten der Union vorgesehen sind, in ihr nationales Recht aufzunehmen, mit denen gegen offenkundig unbegründete und missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug vorgegangen werden soll. Dies würde einen kohärenten und wirksamen Schutz gegen solche Gerichtsverfahren bieten und dazu beitragen, dass sich das Phänomen in der Union nicht weiter ausbreitet.

(22)

Die Mitgliedstaaten sollten insbesondere ihre rechtlichen Rahmenbedingungen für den Tatbestand der Verleumdung überprüfen, um dafür Sorge zu tragen, dass die bestehenden Konzepte und Begriffsbestimmungen nicht von Klägern gegen Journalisten und Menschenrechtsverteidiger im Rahmen von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung eingesetzt werden können.

(23)

Damit die öffentliche Debatte nicht beeinträchtigt wird, sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Sanktionen gegen Verleumdung nicht übermäßig und unverhältnismäßig sind. Den Leitlinien und Empfehlungen des Europarates (15), in denen die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Tatbestand der Verleumdung, insbesondere das Strafrecht, behandelt werden, sollten dabei besonders berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Haftstrafen wegen Verleumdung aus ihrem Rechtsrahmen zu beseitigen. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat in ihrer Entschließung 1577 (2007) (16) die Mitgliedstaaten, die immer noch Haftstrafen wegen Verleumdung vorsehen, selbst wenn sie tatsächlich nicht verhängt werden, aufgefordert, diese unverzüglich abzuschaffen. Ferner wird es den Mitgliedstaaten nahegelegt, in Verleumdungsfällen bevorzugt auf das Verwaltungs- oder Zivilrecht zurückzugreifen, sofern diese Bestimmungen eine weniger sanktionierende Wirkung haben als diejenigen des Strafrechts. (17)

(24)

Die strafrechtliche Verfolgung von Verleumdungsfällen sollte nur als letztes Mittel eingesetzt werden; stattdessen sollten verwaltungs- oder zivilrechtliche Maßnahmen bevorzugt werden, wie dies auch von internationalen Organisationen empfohlen wird. Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen (18) und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (19) haben empfohlen, den Tatbestand der Verleumdung aus den Strafgesetzen zu streichen. Auch der Europarat hat in diesem Zusammenhang Vorbehalte (20) geäußert.

(25)

Das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten wird in der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates (21) weiter präzisiert. Das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten ist kein uneingeschränktes Recht. In Artikel 85 DSGVO heißt es, dass die Mitgliedstaaten durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang bringen.

(26)

Die Mitgliedstaaten sollten Gremien zur Selbstkontrolle und Verbände von Angehörigen der Rechtsberufe dazu anhalten, ihre berufsethischen Standards, einschließlich der Verhaltenskodizes, erforderlichenfalls an diese Empfehlung anzupassen. Die Mitgliedstaaten sollten außerdem sicherstellen, dass die berufsethischen Standards — mit denen das Ziel verfolgt wird, Angehörige der Rechtsberufe von Verhaltensweisen abzuhalten, die einen Verfahrensmissbrauch oder einen Missbrauch ihrer sonstigen beruflichen Pflichten gegenüber der Integrität des Gerichtsverfahrens darstellen könnten, oder ihnen diese zu untersagen — sowie die entsprechenden Disziplinarstrafen auch für offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung gelten. Dies sollte mit entsprechenden Sensibilisierungs- und Schulungsmaßnahmen einhergehen, um das Wissen um und die Wirksamkeit der bestehenden berufsethischen Standards zu verbessern, die für offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung von Bedeutung sind.

(27)

Angehörige der Rechtsberufe sind wichtige Akteure in offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung, indem sie entweder die Parteien vertreten, Einzelpersonen strafrechtlich verfolgen oder über Streitigkeiten entscheiden. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie über die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Die Mitgliedstaaten sollten diese Angehörigen der Rechtsberufe unterstützen und ihnen Schulungsmöglichkeiten anbieten. Schulungen können wesentlich dazu beitragen, ihr Wissen und ihre Fähigkeit zu verbessern, offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung, einschließlich solcher Verfahren mit Bezug zu Drittländern, zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Diese Schulungen sollten sich an die Justiz und die Justizbediensteten auf allen Gerichtsebenen richten, einschließlich Richtern, Staatsanwälten, Gerichtsbediensteten und Bediensteten der Staatsanwaltschaft sowie allen anderen Angehörigen der Rechtsberufe, die mit der Justiz in Verbindung stehen oder anderweitig an der Rechtspflege mitwirken, unabhängig von der Bestimmung im nationalen Recht, dem Rechtsstatus oder der internen Organisation, auf regionaler und lokaler Ebene, wo offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung in erster Instanz auftreten können. Solche Schulungen sollten sich auch an andere Angehörige der Rechtsberufe wie qualifizierte Anwälte richten. Der Aufbau von Schulungskapazitäten vor Ort kann zur langfristigen Nachhaltigkeit der Ausbildung beitragen.

(28)

Durch die Ausweitung der Schulungen auf Journalisten, Presseratsmitglieder, Medienschaffende und Menschenrechtsverteidiger könnten diese besser erkennen, wann sie mit solchen Gerichtsverfahren konfrontiert sind, und es könnten ihnen wichtige juristische Kenntnisse vermittelt werden, um ihr Risiko zu verringern, offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung ausgesetzt zu sein, oder sie könnten besser dagegen vorgehen. Dadurch könnten sie auch in die Lage versetzt werden, zuverlässig über SLAPP-Klagen zu berichten. Bei der Schulung von Journalisten sollte auch auf die ethischen Standards und Leitlinien der nationalen Presse- oder Medienräte hingewiesen werden. An solchen Schulungen könnten als Beitrag zum allgemeinen Kapazitätsausbau und zur Stärkung der institutionellen Reaktion auf offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung auch Datenschutzbehörden, nationale Menschenrechtsinstitutionen, Ombudsstellen und staatliche Medienaufsichtsbehörden teilnehmen.

(29)

Anbieter von juristischen Schulungen und Verbände von Angehörigen der Rechtsberufe sind sehr gut in der Lage, Schulungen zu offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung zu vermitteln, die Ziele einer solchen Schulung festzulegen und die am besten geeignete Schulungsmethode zu bewerten. Schulungen, die von Angehörigen der Rechtsberufe für andere Angehörige der Rechtsberufe durchgeführt werden, ermöglichen es allen, als Gruppe zu lernen, Erfahrungen besser auszutauschen und das gegenseitige Vertrauen aufzubauen und zu stärken. Der Austausch einschlägiger Verfahren auf europäischer Ebene sollte gefördert werden, auch mit Unterstützung der Kommission und unter Einbeziehung des Europäischen Netzes für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten (EJTN). Die Beteiligung von Angehörigen der Rechtsberufe und ihren Berufsverbänden — von der Erstellung von Bedarfsanalysen bis zur Bewertung der Ergebnisse — ist für die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Schulungsmaßnahmen von zentraler Bedeutung.

(30)

In den Schulungen sollten das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung, das Recht auf Information und andere Grundrechte gemäß der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie die nationalen Rechtsvorschriften behandelt werden und praktische Anleitungen zur Anwendung der einschlägigen Rechtsprechung, zu Einschränkungen der Grundrechte, einschließlich des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung, zu Verfahrensgarantien sowie zu anderen einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts gegeben werden. Das Handbuch des Europarates für Angehörige der Rechtsberufe zum Schutz des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (Protecting the right to freedom of expression under the European Convention on Human Rights — A handbook for legal practitioners) (22) sollte gebührend berücksichtigt werden.

(31)

In den Schulungen sollte unter anderem der Schutz personenbezogener Daten thematisiert werden, da sie dazu verwendet werden können, offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung einzuleiten. Außerdem sollten Informationsmanipulationen und Einmischung, einschließlich Desinformation, behandelt werden.

(32)

Der nationale Rechtsrahmen und der nationale Kontext sollten bei den Schulungen berücksichtigt werden. Werden sie in strukturierter und kohärenter Weise mit den vom Europarat entwickelten Leitlinien, Erfahrungsberichten von Betroffenen von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung oder bewährten Verfahren aus anderen Mitgliedstaaten kombiniert, könnten sie dazu beitragen, die Lernziele im Zusammenhang mit Schulungen zu offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren erfolgreich zu erreichen. Schulungen können auch dazu genutzt werden, den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.

(33)

Um eine größere Zielgruppe zu erreichen und die Unterstützung zu fördern, sollten bei Schulungen zu offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung auch die neuen Technologien, einschließlich Online-Schulungen, optimal genutzt werden. Der Zugang zu elektronischen Ressourcen, aktuellem Material und eigenständigen Lerninstrumenten zu sachdienlichen Gesetzen und Leitlinien würde den Nutzen solcher Schulungsmaßnahmen erhöhen.

(34)

Um Synergien mit ähnlichen Initiativen zur Schulung von Angehörigen der Rechtsberufe zu fördern, könnten Schulungsmodule über offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung in Schulungen zu verwandten Themen wie Meinungsfreiheit und Rechtsethik aufgenommen werden. Der Einsatz bestehender Materialien und Schulungspraktiken, wie z. B. der auf dem Europäischen Justizportal angebotenen Materialien, des Global Toolkit for Judicial Actors der Unesco (23) und der Online-Kurse des Europarates zu Menschenrechten für Angehörige der Rechtsberufe (HELP — Human Rights Education for Legal Professionals) (24), sollte gefördert werden.

(35)

Werden offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung in die Lehrpläne für Rechtswissenschaften und Journalismus aufgenommen, könnte dies dazu beitragen, Angehörige der Rechtsberufe und Journalisten das Wissen zu vermitteln, um solche Verfahren zu erkennen, und sie mit spezifischen Kenntnissen auszustatten, um entsprechend zu reagieren. Zudem würde die Entwicklung von Fachwissen und beruflichen Kompetenzen bei den Dozenten unterstützt. Dieses Wissen könnte von den Hochschulen in ergänzenden Kursen oder Seminaren während der letzten Jahre eines Studiengangs vermittelt werden, zum Beispiel an Studierende der Rechtswissenschaften und des Journalismus.

(36)

Die Mitgliedstaaten sollten Sensibilisierungskampagnen in Bezug auf offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung fördern, die unter anderem von nationalen Einrichtungen, einschließlich nationaler Menschenrechtsinstitutionen und Organisationen der Zivilgesellschaft, organisiert werden.

(37)

Kommunikationsmaßnahmen zu offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung könnten in Form von Veröffentlichungen, Mitteilungen, öffentlichen Sitzungen, Konferenzen, Workshops oder Webinaren erfolgen.

(38)

Die Betroffenen von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung haben oftmals Schwierigkeiten, Informationen über verfügbare Ressourcen zu ihrer Unterstützung zu finden. Damit es leichter ist, Stellen oder Einrichtungen zu ermitteln, die bei offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren Unterstützung leisten können, und die Wirksamkeit der Unterstützung bei solchen Verfahren gewährleistet ist, sollten die Informationen an einer einzigen Stelle erhoben und bereitgestellt werden, entgeltfrei und leicht zugänglich sein. Zu diesem Zweck sollte jeder Mitgliedstaat eine nationale Anlaufstelle einrichten, die Informationen über verfügbare Ressourcen sammelt und weitergibt.

(39)

Ein grundlegendes Ziel von Sensibilisierungsmaßnahmen zu offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung sollte darin bestehen, das Bewusstsein für die Bedeutung eines öffentlichen Raums zu fördern, der die demokratische Teilhabe ermöglicht und den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu einer Vielzahl von Meinungen und verlässlichen Informationen ohne Voreingenommenheit erlaubt.

(40)

Sensibilisierungskampagnen sollten mit nationalen Anlaufstellen und anderen zuständigen Behörden koordiniert werden, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten. Es sollten auch Synergien mit Sensibilisierungskampagnen zu kompatiblen Themen angestrebt werden, z. B. solchen, die auf die Förderung einer offenen, freien und gerechten Debatte und den Schutz des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung ausgerichtet sind, und sie sollten bei Sensibilisierungskampagnen berücksichtigt werden, mit denen eine aktive Bürgerbeteiligung, der Meinungspluralismus und der Zugang zu zuverlässigen Informationen gefördert werden. Außerdem sollten gegebenenfalls Synergien mit den Themen Stärkung der Medienkompetenz und der Informationskompetenz, journalistische Standards und Überprüfung von Fakten im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation, Informationsmanipulation und Einmischung, auch aus dem Ausland, angestrebt werden. Zur Zielgruppe könnten unter anderem bestimmte Gruppen gehören, wie Medienschaffende, Angehörige der Rechtsberufe, Mitglieder von Organisationen der Zivilgesellschaft, Kommunikationsexperten, Wissenschaftler, Denkfabriken, Politiker, Beamte, Behörden und private Unternehmen.

(41)

Die Mitgliedstaaten sollten mit allen Mitteln, die sie für angemessen halten, die Verfügbarkeit von Informationen über die Verfahrensgarantien und andere Schutzmaßnahmen im Rahmen ihres nationalen Rechtsrahmens gewährleisten, einschließlich Informationen über die Einrichtungen oder Stellen, die kontaktiert werden können, um Unterstützung bei offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung zu erhalten.

(42)

Dazu gehören Anwaltskanzleien, die die Betroffenen von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung kostenfrei verteidigen, Rechtskliniken („legal advice clinics“) von Hochschulen, die solche Unterstützung leisten, Organisationen, die SLAPP-Klagen registrieren und darüber berichten, und Organisationen, die den Betroffenen offenkundig unbegründeter oder missbräuchlicher Gerichtsverfahren finanzielle und sonstige Unterstützung bieten.

(43)

Die Betroffenen von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung müssen ausreichend gegen solche Verfahren gewappnet sein. Daher ist es notwendig, die Kapazitäten in den Mitgliedstaaten auszubauen, um denjenigen, die von solchen Verfahren betroffen sind, Unterstützung zu bieten. Die Mitgliedstaaten sollten Organisationen, die Betroffene von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren beraten und unterstützen, Finanzmittel zur Verfügung stellen und die Finanzierungsmöglichkeiten auf Unionsebene besser bekannt machen.

(44)

Es ist eine systematischere Überwachung von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung erforderlich, um das Phänomen besser zu bekämpfen. Die erhobenen Daten sollten ausreichende Informationen für Behörden und andere einschlägige Interessenträger umfassen, damit sie quantifiziert werden können und besser verständlich sind, auch im Hinblick auf die Bereitstellung der notwendigen Unterstützung für die Betroffenen. Die Mitgliedstaaten sollten unter Berücksichtigung ihrer institutionellen Regelungen für Justizstatistiken (25) eine oder mehrere Behörden damit beauftragen, Daten über offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung, die vor nationalen Gerichten angestrengt wurden, zu erheben und zu aggregieren. Diese Behörden können die Daten von mehreren Interessenträgern erheben. Für eine vereinfachte Datenerhebung können die mit der Datenerhebung betrauten Behörden Anlaufstellen einrichten, damit Justizbehörden, Berufsverbände, nichtstaatliche Organisationen, Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und andere Interessenträger Daten über offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren austauschen können. Die Mitgliedstaaten sollten eine dieser Behörden damit beauftragen, die Informationen zu koordinieren und die auf nationaler Ebene gesammelten aggregierten Daten ab Ende 2023 jährlich an die Kommission zu melden. Die Mitgliedstaaten sollten die Verlässlichkeit der erhobenen Daten sicherstellen. Zu diesem Zweck sollten sie sicherstellen, dass die Datenerhebung nach geltenden Standards erfolgt und dass die mit der Datenerhebung und -statistik betrauten Behörden über ausreichend Autonomie verfügen. Die Datenschutzanforderungen sollten eingehalten werden.

(45)

Beauftragen die Mitgliedstaaten Behörden mit der Datenerhebung und Berichterstattung, könnten sie Synergien mit den einschlägigen Instrumenten im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und des Schutzes der Grundrechte in Betracht ziehen. Nationale Menschenrechtsinstitutionen, falls vorhanden, können eine wichtige Rolle spielen, ebenso wie andere Einrichtungen wie Ombudsstellen, Gleichstellungsstellen oder zuständige Behörden, wie die gemäß der Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates (26) benannten, ebenfalls von Bedeutung sein können. Nationale Anlaufstellen, die einen Überblick über die Ressourcen zur Unterstützung bieten, und die mit der Datenerhebung und der Berichterstattung über die Daten betrauten Stellen oder Behörden könnten in derselben Organisation angesiedelt sein, wobei die in dieser Empfehlung beschriebenen Anforderungen und Kriterien zu berücksichtigen sind.

(46)

Die mit der Datenerhebung betrauten Behörden sollten Informationen über offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung in barrierefreien Formaten auf ihren Websites und gegebenenfalls über andere geeignete Instrumente veröffentlichen. Dabei sollten sie sicherstellen, dass die Grundrechte, einschließlich des Rechts auf Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten von Personen, die Streitpartei eines offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahrens gegen öffentliche Beteiligung sind, uneingeschränkt gewahrt werden.

(47)

Um die Dauer von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren zu ermitteln, sollten, wann immer möglich, genaue Informationen über die Ereignisse, Handlungen oder Tätigkeiten, durch die solche Verfahren eingeleitet und abgeschlossen wurden, sowie die Daten, an denen sie stattfanden, erhoben werden. Die erhobenen Daten sollten gegebenenfalls auch Informationen über den Hintergrund eines Falles enthalten, z. B. wenn in der Vergangenheit wiederholt Gerichtsverfahren gegen denselben Beklagten oder durch denselben Kläger stattgefunden haben.

(48)

Die von der Kommission eingesetzte EU-Expertengruppe für SLAPP-Klagen (27) könnte bei Bedarf die Entwicklung vergleichbarer Kriterien in allen Mitgliedstaaten unterstützen, die von den Behörden, die mit der Erhebung und Meldung von Daten über offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung betraut sind, leicht angewandt werden können.

(49)

Die Expertengruppe für SLAPP-Klagen der Union unterstützt den Austausch und die Verbreitung von bewährten Verfahren und Wissen im Zusammenhang mit SLAPP-Klagen unter Angehörigen der Rechtsberufe. Sie könnte die Behörden unter anderem bei der Einrichtung von Anlaufstellen, der Entwicklung von Schulungsmaterial und der Organisation von Rechtshilfe technisch unterstützen.

(50)

Das Programm „Bürgerinnen und Bürger, Gleichstellung, Rechte und Werte“ (CERV), das mit der Verordnung (EU) 2021/692 des Europäischen Parlaments und des Rates (28) eingerichtet wurde, hat den Schutz und die Förderung der in den Verträgen und in der Charta verankerten Rechte und Werte zum Ziel. Zum Erhalt und zur Weiterentwicklung demokratischer, auf Rechtsstaatlichkeit beruhender Gesellschaften ist im Rahmen des CERV-Programms unter anderem die Möglichkeit vorgesehen, Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Aufbau von Kapazitäten und der Sensibilisierung für die Charta, einschließlich des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung, zu finanzieren. Bei dem mit der Verordnung (EU) 2021/692 eingerichteten Programm „Justiz“ (29) ist unter anderem die Möglichkeit vorgesehen, Maßnahmen im Zusammenhang mit der justiziellen Aus- und Weiterbildung mit Blick auf die Herausbildung einer gemeinsamen Kultur des Rechts und der Justiz sowie einer Kultur, die auf Rechtsstaatlichkeit beruht, und die Unterstützung und Förderung der einheitlichen und wirksamen Umsetzung der für das Programm relevanten Rechtsinstrumente der Union zu finanzieren —

HAT FOLGENDE EMPFEHLUNG ABGEGEBEN:

GEGENSTAND

(1)

Diese Empfehlung enthält Leitlinien für die Mitgliedstaaten, um wirksame, angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen zu ergreifen, um gegen offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung vorzugehen und insbesondere Journalisten und Menschenrechtsverteidiger vor solchen Verfahren zu schützen, wobei die demokratischen Werte und Grundrechte uneingeschränkt zu achten sind.

GELTENDE RECHTSRAHMEN

(2)

Die Mitgliedstaaten sollten generell dafür sorgen, dass die notwendigen Schutzmaßnahmen in ihren geltenden Rechtsrahmen vorgesehen sind, um gegen offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung vorzugehen, wobei die demokratischen Werte und Grundrechte, einschließlich des Rechts auf ein unparteiisches Gericht und des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung, uneingeschränkt zu achten sind.

(3)

Die Mitgliedstaaten sollten darauf hinwirken, dass Verfahrensgarantien zur Verfügung stehen, die eine vorzeitige Einstellung von offenkundig unbegründeten Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung ermöglichen. Sie sollten auch bestrebt sein, andere Rechtsbehelfe gegen missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung vorzusehen, vor allem die Erstattung von Kosten, sodass einem Kläger, der ein missbräuchliches Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung eingeleitet hat, die gesamten Kosten des Verfahrens auferlegt werden können, die Entschädigung einer natürlichen oder juristischen Person, die durch ein missbräuchliches Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung geschädigt wurde, und die Möglichkeit, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen gegen die Partei zu verhängen, die ein missbräuchliches Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung eingeleitet hat.

(4)

Die Mitgliedstaaten sollten danach trachten, ähnliche Schutzmaßnahmen für einzelstaatliche Fälle, wie sie in den Rechtsinstrumenten der Union vorgesehen sind, in ihr nationales Recht aufzunehmen, mit denen gegen offenkundig unbegründete und missbräuchliche Klagen gegen öffentliche Beteiligung in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug vorgegangen werden soll.

(5)

Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass ihre Rechtsvorschriften in Bezug auf Verleumdung keine ungerechtfertigten Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit, das Bestehen eines offenen, freien und pluralistischen Medienumfelds und auf die öffentliche Beteiligung haben.

(6)

Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass ihre auf den Tatbestand der Verleumdung anwendbaren Vorschriften, einschließlich ihrer Begriffe, hinreichend klar sind, um das Risiko zu verringern, dass sie missbräuchlich verwendet oder ausgenutzt werden.

(7)

Die Mitgliedstaaten sollten ferner sicherstellen, dass die Sanktionen gegen Verleumdung nicht übermäßig und unverhältnismäßig sind. Die Mitgliedstaaten sollten den Leitlinien und Empfehlungen des Europarates (30) in Bezug auf den Rechtsrahmen für Verleumdung und insbesondere das Strafrecht bestmöglich Rechnung tragen. In diesem Zusammenhang werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Haftstrafen wegen Verleumdung aus ihrem Rechtsrahmen zu beseitigen. Den Mitgliedstaaten wird nahegelegt, in Verleumdungsfällen bevorzugt auf das Verwaltungs- oder Zivilrecht (31) zurückzugreifen, sofern diese Bestimmungen eine weniger sanktionierende Wirkung haben als diejenigen des Strafrechts.

(8)

Die Mitgliedstaaten sollten sich darum bemühen, das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten von der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in ihren Rechtsvorschriften angemessen abzugrenzen, um diese beiden Rechte miteinander in Einklang zu bringen, wie dies in Artikel 85 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2016/679 gefordert wird.

(9)

Die Mitgliedstaaten sollten geeignete Maßnahmen ergreifen, um dafür Sorge zu tragen, dass die berufsethischen Standards, mit denen das Verhalten von Angehörigen der Rechtsberufe geregelt wird, und die Disziplinarstrafen bei Verstößen gegen diese Vorschriften geeignete Maßnahmen umfassen, die abschreckend in Bezug auf die Einleitung offenkundig unbegründeter oder missbräuchlicher Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung wirken. Die Mitgliedstaaten sollten Gremien zur Selbstkontrolle und Verbände von Angehörigen der Rechtsberufe dazu anhalten, ihre berufsethischen Standards, einschließlich ihrer Verhaltenskodizes, an diese Empfehlung anzupassen. Eine angemessene Sensibilisierung und Schulung werden auch empfohlen.

SCHULUNG

(10)

Die Mitgliedstaaten sollten Schulungsmöglichkeiten zu offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung für Angehörige von Rechtsberufen wie Richter und Justizbedienstete auf allen Gerichtsebenen, für qualifizierte Rechtsanwälte sowie für potenzielle Betroffene solcher Gerichtsverfahren fördern. Der Schwerpunkt der Schulungen sollte auf dem Aufbau von Fachwissen liegen, um solche Verfahren zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.

(11)

Die Mitgliedstaaten sollten Verbände von Angehörigen der Rechtsberufe und Anbieter von juristischen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen anhalten, Schulungen zum Umgang mit offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung anzubieten. Die Kommission wird Anbieter von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen auf europäischer Ebene, zum Beispiel über das Europäische Netz für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten (EJTN), dabei unterstützen, solche Schulungen anzubieten. Die Angehörigen der Rechtsberufe und ihre Berufsverbände sollten in die Entwicklung, Organisation, Durchführung und Bewertung der Schulungsmaßnahmen einbezogen werden.

(12)

Die Schulungen sollten die einschlägigen Aspekte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Menschenrechtskonvention abdecken. Sie sollten praktische Anleitungen zur Anwendung des Unionsrechts, der nationalen Rechtsprechung, der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, zur Feststellung, ob Einschränkungen der Ausübung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung den Anforderungen nach Artikel 52 der Charta bzw. nach Artikel 10 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention gerecht werden, sowie zur Vereinbarkeit des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung mit der Informationsfreiheit und anderen Grundrechten enthalten.

(13)

Im Rahmen der Schulungen sollten auch die Verfahrensgarantien gegen offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung, sofern vorhanden, sowie die Zuständigkeit und das einschlägige anwendbare Recht in Grundrechts-, Straf-, Verwaltungs-, Zivil- und Handelssachen behandelt werden.

(14)

Bei den Schulungen sollte ferner auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten gemäß der Verordnung (EU) 2016/679 eingegangen werden, das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit dem Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit im Gesetz in Einklang zu bringen. Sie sollten sich auf die von den Mitgliedstaaten zu diesem Zweck erlassenen Vorschriften und die spezifischen Ausnahmen oder Abweichungen von der Verordnung (EU) 2016/679 erstrecken, die für die Datenverarbeitung zu journalistischen oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgen (32). Die im Anhang dieser Empfehlung aufgeführten Elemente sollten gebührend berücksichtigt werden.

(15)

Die Mitgliedstaaten sollten in Erwägung ziehen, solche Schulungen in Schulungen zum Thema Meinungsäußerung und Rechtsethik einzubetten.

(16)

Durch Schulungen sollten Journalisten, andere Medienschaffende und Menschenrechtsverteidiger in die Lage versetzt werden, offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung zu bewältigen. Sie sollten darin geschult werden, offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung zu erkennen, und es sollte die Frage behandelt werden, wie damit umzugehen ist, wenn man zum Ziel solcher Gerichtsverfahren wird. Zudem sollten die Akteure über ihre Rechte und Pflichten informiert werden, damit sie in der Lage sind, die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um sich gegen solche Verfahren zu schützen. Bei der Schulung von Journalisten sollte auch auf die ethischen Standards und Leitlinien der nationalen Presse- oder Medienräte eingegangen werden.

(17)

Die Mitgliedstaaten könnten Hochschuleinrichtungen dazu anhalten, Kenntnisse darüber, wie sich offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung erkennen lassen, in ihre Lehrpläne aufzunehmen, insbesondere für Studiengänge der Rechtswissenschaften und des Journalismus.

(18)

Im Rahmen der Schulungen könnten auch Zeugenaussagen von Betroffenen von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung berücksichtigt werden. Die Schulungen könnten auch den Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fördern, indem das im Rahmen der Expertengruppe für SLAPP-Klagen der Union entwickelte Wissen optimal angewendet wird.

SENSIBILISIERUNG

(19)

Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, Initiativen zu unterstützen, einschließlich derjenigen der nationalen Menschenrechtsinstitutionen und der Organisationen der Zivilgesellschaft, mit denen das Ziel verfolgt wird, das Wissen über offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung zu vertiefen und Informationen darüber zu verbreiten. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf den Umgang mit potenziellen Betroffenen solcher Verfahren gelegt werden.

(20)

Mit Sensibilisierungsmaßnahmen sollte das Ziel verfolgt werden, das Problem offenkundig unbegründeter oder missbräuchlicher Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung auf einfache und zugängliche Weise zu erläutern, damit solche Verfahren leicht erkannt werden.

(21)

Im Rahmen von Sensibilisierungsmaßnahmen sollten Informationen über bestehende Strukturen zur Unterstützung geliefert werden, einschließlich Hinweisen auf nationale Anlaufstellen, die Informationen über verfügbare Ressourcen erheben und weitergeben. Außerdem muss ein klarer Überblick über die rechtlichen Verteidigungsmöglichkeiten im Rahmen der Maßnahmen gegeben werden, die im Falle eines offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahrens gegen öffentliche Beteiligung zur Verfügung stehen, und wie diese wirksam genutzt werden können.

(22)

Mit Sensibilisierungskampagnen zur Bekämpfung negativer Einstellungen, Stereotypen und Vorteile könnten auch offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung angegangen werden.

(23)

Im Rahmen von Sensibilisierungsmaßnahmen zum Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung, die sich an bestimmte Gruppen wie Medienschaffende, Angehörige von Rechtsberufen, Mitglieder von Organisationen der Zivilgesellschaft, Wissenschaftler, Denkfabriken, Kommunikationsexperten, Beamte, Politiker, Behörden und private Unternehmen richten, sollte ein besseres Verständnis der Art und des Ausmaßes der Auswirkungen offenkundig unbegründeter oder missbräuchlicher Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung gefördert werden.

UNTERSTÜTZUNGSMECHANISMEN

(24)

Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass Betroffene von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung Zugang zu individueller und unabhängiger Unterstützung haben. Zu diesem Zweck sollten die Mitgliedstaaten Organisationen ermitteln und unterstützen, die Hilfestellungen und Unterstützung für solche Betroffene bieten. Zu diesen Organisationen können Verbände von Angehörigen der Rechtsberufe, Medien- und Presseräte, Dachverbände für Menschenrechtsverteidiger, Verbände auf Unions- und nationaler Ebene, Anwaltskanzleien, die Betroffene von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung kostenfrei verteidigen, Rechtskliniken von Hochschulen und andere nichtstaatliche Organisationen gehören.

(25)

Jeder Mitgliedstaat sollte eine Anlaufstelle einrichten, die Informationen über alle Organisationen erhebt und weitergibt und die Beratung und Unterstützung für Betroffene von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung anbietet.

(26)

Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die auf nationaler und Unionsebene zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um Organisationen, die Betroffene von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung beraten und ihnen Hilfe leisten, finanziell zu unterstützen und zu fördern, insbesondere um sicherzustellen, dass sie über ausreichende Ressourcen verfügen, um schnell gegen solche Verfahren vorzugehen.

(27)

Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass den Beklagten von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung Rechtsbeistand, der erschwinglich und leicht zugänglich ist, zur Verfügung steht.

(28)

Die Mitgliedstaaten sollten den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren zwischen Organisationen, die Beratung und Unterstützung für Betroffene von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung anbieten, erleichtern.

DATENERHEBUNG, BERICHTERSTATTUNG UND MONITORING

(29)

Die Mitgliedstaaten sollten unter Berücksichtigung ihrer institutionellen Regelungen für Justizstatistiken eine oder mehrere Behörden damit beauftragen, Daten über offenkundig unbegründete oder missbräuchliche Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung, die in ihrem Zuständigkeitsbereich angestrengt wurden, unter uneingeschränkter Einhaltung der Datenschutzanforderungen zu erheben und zu aggregieren. Die Mitgliedstaaten sollten eine Behörde damit beauftragen, die Informationen zu koordinieren und die auf nationaler Ebene erhobenen aggregierten Daten ab Ende 2023 jährlich unter uneingeschränkter Einhaltung der Datenschutzanforderungen an die Kommission zu melden. Die Kommission wird jedes Jahr eine Zusammenfassung der eingegangenen Beiträge veröffentlichen.

(30)

Bei Bedarf könnte die Expertengruppe für SLAPP-Klagen der Union die Entwicklung und optimale Anwendung von Standards und Vorlagen für die Datenerhebung unterstützen.

(31)

Die in Nummer 29 genannten Daten sollten Folgendes umfassen:

a)

die Anzahl der offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung, die in dem betreffenden Jahr eingeleitet wurden,

b)

die Anzahl der offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung, die in dem betreffenden Jahr ab 2022 vorzeitig eingestellt wurden, und zwar sowohl in der Sache als auch aus verfahrensrechtlichen Gründen,

c)

die Anzahl der Gerichtsverfahren, aufgeschlüsselt nach der Art des Beklagten (z. B. Journalist, Menschenrechtsverteidiger, Pressestelle),

d)

die Anzahl der Gerichtsverfahren, aufgeschlüsselt nach der Art des Klägers (z. B. Politiker, Privatperson, Unternehmen und ob es sich bei dem Kläger um eine ausländische Einrichtung handelt),

e)

Daten über Handlungen der öffentlichen Beteiligung, aufgrund derer Gerichtsverfahren eingeleitet wurden,

f)

Daten über die geschätzte Höhe des von den Klägern geforderten ursprünglichen Schadenersatzes,

g)

Beschreibung der verschiedenen Rechtsgrundlagen, die von den Klägern herangezogen wurden, und entsprechende Daten,

h)

Angaben zur Dauer des Verfahrens, einschließlich aller Instanzen,

i)

Angaben zu grenzüberschreitenden Elementen, und

j)

soweit verfügbar, weitere Angaben, u. a. zu den Kosten von Gerichtsverfahren und, soweit relevant und angemessen, einschlägige Angaben zum historischen Hintergrund der Fälle.

(32)

Die in Nummer 29 genannte Behörde, die die Koordinierung sicherstellt, sollte die Daten in einem zugänglichen Format auf ihrer Website und gegebenenfalls über andere geeignete Instrumente veröffentlichen und gleichzeitig die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um den Schutz der Rechte derjenigen zu gewährleisten, die an offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung als Streitpartei beteiligt sind.

SCHLUSSBESTIMMUNGEN

(33)

Die Mitgliedstaaten sollten die auf Unionsebene verfügbare finanzielle Unterstützung für die Umsetzung der spezifischen Bestimmungen dieser Empfehlung in vollem Umfang nutzen und die Finanzierungsmöglichkeiten für öffentliche und private Einrichtungen, einschließlich Organisationen der Zivilgesellschaft, insbesondere im Rahmen des Programms „Bürgerinnen und Bürger, Gleichstellung, Rechte und Werte“ (CERV) und des Programms „Justiz“, fördern.

(34)

Die Mitgliedstaaten sollten der Kommission bis Ende 2023 und danach auf Ersuchen unter Einhaltung der Datenschutzvorschriften einen Bericht über die Umsetzung dieser Empfehlung übermitteln, der auf der Ebene der Mitgliedstaaten konsolidierte, aggregierte Daten enthält. Die Kommission wird erforderlichenfalls mit den Mitgliedstaaten und Interessenträgern in den einschlägigen Gremien Gespräche über die Maßnahmen und Schritte zur Umsetzung der Empfehlung führen.

(35)

Die Kommission wird spätestens fünf Jahre nach dem Tag der Annahme dieser Empfehlung ihre Auswirkungen auf die Entwicklung von offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung in der Europäischen Union evaluieren. Auf dieser Grundlage wird die Kommission entscheiden, ob weitere Schritte erforderlich sind, um den angemessenen Schutz der Betroffenen solcher Verfahren zu gewährleisten, und dabei den Ergebnissen der Berichte über die Rechtsstaatlichkeit der Kommission und anderen einschlägigen Informationen, einschließlich externer Daten, Rechnung tragen.

Brüssel, den 27. April 2022

Für die Kommission

Didier REYNDERS

Mitglied der Kommission


(1)  Siehe z. B. Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 14. September 2010, Dink/Türkei (Beschwerde-Nr. 2668/07, 6102/08, 30079/08, 7072/09 und 7124/09), Rn. 137. Siehe auch zu den positiven Verpflichtungen nach Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention den Bericht der Forschungsabteilung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, abrufbar unter https://www.echr.coe.int/documents/research_report_article_10_eng.pdf.

(2)  Siehe das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 7. Dezember 1976, Handyside/Vereinigtes Königreich (Beschwerde-Nr. 5493/72), Rn. 49.

(3)  Siehe das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15. Februar 2005, Steel und Morris/Vereinigtes Königreich (Beschwerde-Nr. 68416/01), Rn. 89.

(4)  In der Empfehlung CM/Rec(2022)4 des Ministerkomitees des Europarates zur Förderung eines günstigen Umfelds für Qualitätsjournalismus im digitalen Zeitalter (Recommendation CM/Rec(2022)4 of the Committee of Ministers of the Council of Europe on promoting a favourable environment for quality journalism in the digital age) heißt es, dass mit dem Qualitätsjournalismus, der auf berufsethischen Standards beruht und je nach geografischem, rechtlichem und gesellschaftlichem Kontext unterschiedliche Formen annimmt, das doppelte Ziel verfolgt wird, in demokratischen Gesellschaften als öffentlicher Wächter zu fungieren und zur Sensibilisierung und Aufklärung der Öffentlichkeit beizutragen (siehe https://search.coe.int/cm/pages/result_details.aspx?objectid=0900001680a5ddd0). In der von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates verabschiedeten Entschließung 2213 (2018) zur Stellung von Journalisten in Europa (Resolution 2213 (2018) on the status of journalists in Europe) wird in Bezug auf professionelle Journalisten auf den Auftrag, die Öffentlichkeit so verantwortungsvoll und objektiv wie möglich über allgemeine oder spezielle Themen von Interesse zu informieren, verwiesen. https://search.coe.int/cm/pages/result_details.aspx?objectid=0900001680a5ddd0.

(5)  Academic network on European citizenship rights, Ad hoc request — SLAPP in the EU context (Ad-hoc-Antrag — SLAPP-Klagen im Kontext der EU), 29. Mai 2020, abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/ad-hoc-literature-review-analysis-key-elements-slapp_en.pdf, S. 4, und Academic network on European citizenship rights, Strategic Lawsuits Against Public Participation (SLAPP) in the European Union: A comparative study (strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP-Klagen) in der Europäischen Union: eine vergleichende Studie), 30. Juni 2021, abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/files/strategic-lawsuits-against-public-participation-slapp-european-union-comparative-study_en.

(6)  P9_TA(2020)0320. In dieser Entschließung bekräftigte das Parlament auch den Wortlaut seiner Entschließung vom 28. März 2019 (P8_TA(2019)0328).

(7)  P9_TA(2021)0451.

(8)  Die Plattform des Europarats unterstützt seit 2015 die Zusammenstellung und Verbreitung von Informationen über ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Medienfreiheit und der Sicherheit von Journalisten in den Mitgliedstaaten des Europarates. Die Partnerorganisationen, zu denen internationale nichtstaatliche Organisationen und Journalistenverbände gehören, geben Warnmeldungen über Verstöße gegen die Medienfreiheit heraus und veröffentlichen Jahresberichte über den Stand der Medienfreiheit und die Sicherheit von Journalisten in Europa. Von den Mitgliedstaaten des Europarates wird erwartet, dass sie tätig werden und die Mängel beheben und ferner die Plattform über die Maßnahmen, die als Reaktion auf die Warnmeldungen ergriffen wurden, informieren. Die niedrige Antwortrate der Mitgliedstaaten des Europarates, zu denen auch Mitgliedstaaten der EU gehören, zeigt, dass weiterer Handlungsbedarf besteht. https://www.coe.int/en/web/media-freedom.

(9)  Im Jahr 2021 wurden 282 Warnmeldungen auf der Plattform zur Förderung des Schutzes und der Sicherheit von Journalisten (coe.int) veröffentlicht, darunter mehrere Fälle von Einschüchterung durch die Justiz, d. h. die opportunistische, willkürliche oder schikanöse Anwendung von Gesetzen, einschließlich Gesetzen über Verleumdung, Terrorismusbekämpfung, nationale Sicherheit, Hooliganismus oder Extremismusbekämpfung. Im Jahresbericht 2021 der Partnerorganisationen der Plattform des Europarates zur Förderung des Schutzes des Journalismus und der Sicherheit von Journalisten wird gezeigt, dass die Zahl der Warnmeldungen und der betroffenen Mitgliedstaaten des Europarates im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist — 1680a2440e (coe.int).

(10)  Recommendation CM/Rec(2016)4 of the Committee of Ministers to Member States on the protection of journalism and safety of journalists and other media actors (Empfehlung CM/Rec(2016)4 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zum Schutz des Journalismus und zur Sicherheit von Journalisten und anderen Medienakteuren), abrufbar unter https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=09000016806415d9#_ftn1.

(11)  COM(2020) 580 final vom 30. September 2020.

(12)  (COM(2021) 700 final vom 20. Juli 2021.

(13)  COM(2020) 790 final vom 3. Dezember 2020.

(14)  Empfehlung (EU) 2021/1534 der Kommission vom 16. September 2021 zur Gewährleistung des Schutzes, der Sicherheit und der Handlungskompetenz von Journalisten und anderen Medienschaffenden in der Europäischen Union (ABl. L 331 vom 20.9.2021, S. 8).

(15)  Siehe unter anderem die Entschließung 1577 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Entkriminalisierung der Diffamierung (Towards decriminalisation of defamation) (2007), abrufbar unter https://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=17588&lang=en, die Empfehlung 1814 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Entkriminalisierung der Diffamierung (Towards decriminalisation of defamation) (2007), abrufbar unter https://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=17587&lang=en, die Studie des Generalsekretariats des Europarates über die Freiheit der Meinungsäußerung und Verleumdung: Eine Studie zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Freedom of expression and defamation. A study of the case-law of the European Court of Human Rights) (2012), abrufbar unter https://rm.coe.int/study-on-the-alignment-of-laws-and-practices-concerning-alignment-of-l/16804915c5, und schließlich die Studie des Europarates zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Bereich Freiheit der Meinungsäußerung und Verleumdung (Freedom of expression and defamation. A study of the case-law of the European Court of Human Rights) (2016), abrufbar unter https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?documentId=09000016806ac95b.

(16)  Resolution 1577 (2007) of Parliamentary Assembly of the Council of Europe of 4 October 2007 on towards descriminalisation of defamation, https://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=17588&lang=en.

(17)  Siehe auch die Allgemeine Bemerkung Nr. 34 des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen zu Artikel 19: Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung (Freedoms of opinion and expression) vom 12. September 2011, abrufbar unter https://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf, und den Sonderbericht des Beauftragten für Medienfreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa über Rechtsschikanen und den Missbrauch des Justizsystems gegenüber Medien (Special report — legal harassment and abuse of the judicial system against the media) vom 23. November 2021, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/c/f/505075_0.pdf.

(18)  Allgemeine Bemerkung Nr. 34 des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen zu Artikel 19: Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung (Freedoms of opinion and expression) vom 12. September 2011, abrufbar unter https://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf.

(19)  Beauftragter für Medienfreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Special report — legal harassment and abuse of the judicial system against the media (Sonderbericht über Rechtsschikanen und den Missbrauch des Justizsystems gegenüber Medien) vom 23. November 2021, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/c/f/505075_0.pdf.

(20)  Recommendation CM/Rec(2016)4 of the Committee of Ministers to Member States on the protection of journalism and safety of journalists and other media actors (Empfehlung CM/Rec(2016)4 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zum Schutz des Journalismus und zur Sicherheit von Journalisten und anderen Medienakteuren), Nummer 6.

(21)  Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1).

(22)  Handbuch des Europarates mit dem Titel „Protecting the right to freedom of expression under the European Convention on Human Rights — A handbook for legal practitioners“ (Schutz des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention — ein Handbuch für Angehörige der Rechtsberufe) (2017), abrufbar unter https://rm.coe.int/handbook-freedom-of-expression-eng/1680732814.

(23)  Global Toolkit for Judicial Actors: international legal standards on freedom of expression, access to information and safety of journalists (allgemeines Toolkit für Angehörige der Rechtsberufe: internationale rechtliche Standards für die Freiheit der Meinungsäußerung, den Zugang zu Informationen und die Sicherheit von Journalisten) (2021), abrufbar unter https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000378755.

(24)  https://www.coe.int/en/web/help/home

(25)  Siehe die Leitlinien zur Justizstatistik der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) des Europarates (CEPEJ Guidelines on judicial statistics), die bei der 12. Plenarsitzung (Straßburg, 10.–11. Dezember 2008) angenommen wurden, abrufbar unter CEPEJ-GT-EVAL (coe.int).

(26)  Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (ABl. L 305 vom 26.11.2019, S. 17).

(27)  Register der Expertengruppen der Kommission und anderer ähnlicher Einrichtungen (europa.eu).

(28)  Verordnung (EU) 2021/692 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. April 2021 zur Einrichtung des Programms „Bürgerinnen und Bürger, Gleichstellung, Rechte und Werte“ und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1381/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EU) Nr. 390/2014 des Rates (ABl. L 156 vom 5.5.2021, S. 1).

(29)  Die Verordnung (EU) 2021/692 zielt darauf ab, einen Beitrag zur Entwicklung eines europäischen Rechtsraumes zu leisten und die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Grundrechte zu stärken.

(30)  Siehe unter anderem die Entschließung 1577 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Entkriminalisierung der Diffamierung (Towards decriminalisation of defamation) (2007), abrufbar unter https://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=17588&lang=en, die Empfehlung 1814 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Entkriminalisierung der Diffamierung (Towards decriminalisation of defamation) (2007), abrufbar unter https://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=17587&lang=en, die Studie des Generalsekretariats des Europarates über die Freiheit der Meinungsäußerung und Verleumdung: Eine Studie zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Freedom of expression and defamation. A study of the case-law of the European Court of Human Rights) (2012), abrufbar unter https://rm.coe.int/study-on-the-alignment-of-laws-and-practices-concerning-alignment-of-l/16804915c5, und schließlich die Studie des Europarates zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Bereich Freiheit der Meinungsäußerung und Verleumdung (Freedom of expression and defamation. A study of the case-law of the European Court of Human Rights) (2016), abrufbar unter https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?documentId=09000016806ac95b.

(31)  Abgesehen vom Europarat (siehe vorherige Fußnote) gibt es auf internationaler Ebene zunehmend die Forderung nach einer Entkriminalisierung der Verleumdung. Siehe die Allgemeine Bemerkung Nr. 34 des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen zu Artikel 19: Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung (Freedoms of opinion and expression) vom 12. September 2011, abrufbar unter https://www2.ohchr.org/english/bodies/hrc/docs/gc34.pdf, und den Sonderbericht des Beauftragten für Medienfreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa über Rechtsschikanen und den Missbrauch des Justizsystems gegenüber Medien (Special report — legal harassment and abuse of the judicial system against the media) vom 23. November 2021, abrufbar unter https://www.osce.org/files/f/documents/c/f/505075_0.pdf.

(32)  Weitere Informationen zur Umsetzung von Artikel 85 DSGVO sind in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (S. 26) enthalten.


ANHANG

Elemente, die Bestandteil der Schulungen zu Datenschutzklagen im Zusammenhang mit offensichtlich unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung (gemeinhin als „SLAPP-Klagen“ (strategic lawsuit against public participation) bezeichnet) sein könnten:

von den Mitgliedstaaten erlassene Rechtsvorschriften, um das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf die Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen, welche Ausnahmen oder Abweichungen von den in Artikel 85 Absatz 2 der Datenschutzgrundverordnung (im Folgenden „DSGVO“) aufgeführten Bestimmungen über die Verarbeitung, die zu journalistischen oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, enthalten, sofern diese erforderlich sind, um diese beiden Rechte miteinander in Einklang zu bringen.

Für die Ausübung der Rechte der betroffenen Person nach der DSGVO ist in Artikel 12 Absatz 5 DSGVO festgelegt, dass offenkundig unbegründete oder exzessive Anträge abgelehnt werden können (oder ein angemessenes Entgelt dafür verlangt werden kann).

Das Recht auf Berichtigung nach Artikel 16 DSGVO betrifft lediglich Fälle, in denen personenbezogene Daten unrichtig sind. Außerdem ist das Recht auf die Vervollständigung unvollständiger personenbezogener Daten kein automatisches Recht und hängt vom Zweck der Verarbeitung ab.

Für die Ausübung des Rechts auf Vergessenwerden ist in der DSGVO vorgesehen, dass dieses Recht nicht gilt, soweit die Verarbeitung zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information erforderlich ist (Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe a DSGVO).

Als Hindernis für die Wahl des günstigsten Gerichtsstands ist in Artikel 79 Absatz 2 DSGVO vorgesehen, dass bei Klagen gegen einen Verantwortlichen oder gegen einen Auftragsverarbeiter — z. B. Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, zivilgesellschaftliche Akteure, Medienunternehmen usw. — die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter eine Niederlassung hat, es sei denn, es handelt sich bei dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter um eine Behörde eines Mitgliedstaats, die in Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse dort tätig geworden ist, wo die betroffene Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese Bestimmung lässt keinen Spielraum für Klagen wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutzvorschriften vor anderen Gerichten ohne Bezug zur Verarbeitung der personenbezogenen Daten, zur Niederlassung des Journalisten oder der Medien oder zum gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers, auch nicht für Schadenersatz.


GESCHÄFTS- UND VERFAHRENSORDNUNGEN

17.5.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 138/45


BESCHLUSS 28/2022 DES VERWALTUNGSRATS

vom 4. April 2022

über interne Vorschriften zur Beschränkung bestimmter Rechte betroffener Personen in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Tätigkeiten der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache

DER VERWALTUNGSRAT —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 16,

gestützt auf die Verordnung (EU) 2018/1725 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2018 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG (1) (im Folgenden „die Verordnung“), insbesondere auf Artikel 25,

gestützt auf die Verordnung (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2019 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624 (2) (im Folgenden „Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache“), insbesondere auf Artikel 86 Absatz 2,

nach Anhörung des Europäischen Datenschutzbeauftragten am 16. November 2021,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (im Folgenden „die Agentur“) ist befugt, Verwaltungsuntersuchungen, Vordisziplinar-, Disziplinar- und Dienstenthebungsverfahren gemäß dem Statut der Beamten der Europäischen Union und den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union, so wie diese in der Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates (3) (im Folgenden: Statut) niedergelegt sind, sowie gemäß Beschluss 26/2018 des Verwaltungsrats vom 25. Oktober 2018 zur Annahme allgemeiner Durchführungsbestimmungen für Verwaltungsuntersuchungen und Disziplinarverfahren, durchzuführen. Erforderlichenfalls werden Fälle auch an das OLAF gemeldet.

(2)

Die Bediensteten der Agentur sind verpflichtet, potenziell rechtswidrige Handlungen zum Nachteil der Interessen der Union, einschließlich Betrug oder Korruption, zu melden. Die Bediensteten sind auch verpflichtet, Verhaltensweisen zu melden, die mit der Ausübung beruflicher Pflichten im Zusammenhang stehen und eine schwerwiegende Verletzung der Pflichten von Beamten der Union darstellen könnten. Dies ist im Beschluss 17/2019 des Verwaltungsrats vom 18. Juli 2019 zur Annahme der Frontex-Leitlinien für die Meldung von Missständen („Whistleblowing“) geregelt.

(3)

Die Agentur hat Grundsätze für die Prävention von Mobbing und sexueller Belästigung im Arbeitsumfeld sowie ein wirksames Vorgehen bei erwiesenen oder mutmaßlichen Fällen aufgestellt; diese Grundsätze sind im Beschluss 16/2019 des Verwaltungsrats vom 18. Juli 2019 zur Annahme von Durchführungsmaßnahmen gemäß dem Statut niedergelegt. Mit dem Beschluss wurde ein formloses Verfahren eingeführt, nach dem sich mutmaßliche Opfer von Mobbing bzw. sexueller Belästigung an die „Vertrauenspersonen“ der Agentur wenden können.

(4)

Die Agentur kann auf der Grundlage ihrer Sicherheitsvorschriften für den Schutz von Verschlusssachen der Europäischen Union (EU-VS) auch Ermittlungen zu möglichen Verstößen gegen die Sicherheitsvorschriften für EU-VS durchführen.

(5)

Die Agentur unterliegt hinsichtlich ihrer Tätigkeiten sowohl internen als auch externen Audits, auch durch den Europäischen Rechnungshof. Die internen Audits werden von der internen Auditstelle der Agentur durchgeführt, die durch den Beschluss 43/2020 des Verwaltungsrats vom 9. Dezember 2020 zur Annahme der geänderten Organisationsstruktur der Agentur und der entsprechenden Entscheidung des Exekutivdirektors gemäß Artikel 80 des Beschlusses 19/2019 des Verwaltungsrats vom 23. Juli 2019 zur Annahme der Finanzierungsbestimmungen für Frontex eingerichtet wurde.

(6)

Die Agentur bearbeitet externe Beschwerden, insbesondere jene, die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eingehen, das gemäß Artikel 111 der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache zur Überwachung und Gewährleistung der Achtung der Grundrechte bei allen Tätigkeiten der Agentur eingerichtet wurde.

(7)

Beteiligte an Aktivitäten von Frontex sind verpflichtet, schwerwiegende Vorfälle gemäß Artikel 38 Absatz 3 Buchstabe h der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache und dem Beschluss des Exekutivdirektors vom 19. April 2021 über Standardverfahren für die Meldung schwerwiegender Vorfälle (4) zu melden. Die Agentur hat auch einen Aufsichtsmechanismus zur Kontrolle der Anwendung der Bestimmungen der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache in Bezug auf Zwangsanwendung durch Statutspersonal eingerichtet, u. a. Meldevorschriften und spezifische Maßnahmen beispielsweise disziplinarrechtlicher Art im Zusammenhang mit Zwangsanwendung bei Einsätzen. Dies wird durch den Beschluss 7/2021 des Verwaltungsrats vom 20. Januar 2021 zur Einrichtung eines Aufsichtsmechanismus zur Kontrolle der Anwendung der Bestimmungen in Bezug auf Zwangsanwendung durch Statutspersonal der ständigen Reserve der Europäischen Grenz- und Küstenwache geregelt. Gemäß dem einschlägigen Beschluss des Exekutivdirektors überwacht die Agentur auch die Zwangsanwendung bei operativen Tätigkeiten von Frontex durch von den Mitgliedstaaten langfristig an die Agentur abgeordnetes Personal, durch kurzfristig entsendetes Personal oder durch Personal, das Teil der Reserve für Soforteinsätze zu Grenzsicherungszwecken ist.

(8)

Im Zusammenhang mit den zuvor erwähnten Verwaltungsuntersuchungen, Audits und der Prüfung von Beschwerden sowie mit Untersuchungen, Meldungen schwerwiegender Vorfälle und Überwachungstätigkeiten arbeitet die Agentur mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten (5) sowie mit anderen Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zusammen.

(9)

Die Agentur kann mit den zuständigen Behörden von Drittländern und internationalen Organisationen auf deren Ersuchen oder von sich aus zusammenarbeiten.

(10)

Die Agentur ist an Rechtssachen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union und nationalen Gerichten beteiligt, wenn sie dort Klage erhebt, einen von ihr erlassenen Beschluss, der vor Gericht angefochten wird, verteidigt oder in Rechtssachen, die ihre Aufgaben betreffen, als Streithelfer dem Rechtsstreit beitritt. Dabei kann es vorkommen, dass die Agentur die Vertraulichkeit personenbezogener Daten in den von den Parteien oder Streithelfern eingeholten Dokumenten wahren muss.

(11)

Zur Erfüllung ihrer Aufgaben sammelt und verarbeitet die Agentur Informationen und verschiedene Kategorien personenbezogener Daten, darunter Daten zur Identifizierung natürlicher Personen, Kontaktdaten, Daten über berufliche Zuständigkeiten und Aufgaben, Angaben zu Verhalten und Leistungen auf privater und beruflicher Ebene sowie Finanzdaten. Die Agentur fungiert somit als für die Datenverarbeitung verantwortliche Stelle.

(12)

Gemäß der Verordnung ist die Agentur daher verpflichtet, die betroffenen Personen über diese Verarbeitungstätigkeiten zu informieren und deren Rechte als betroffene Personen zu wahren.

(13)

Die Agentur ist unter Umständen gehalten, diese Rechte mit den Zielen von Verwaltungsuntersuchungen, Audits, Untersuchungen, Meldungen schwerwiegender Vorfälle, der Überwachung der Anwendung der Bestimmungen der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache in Bezug auf Zwangsanwendung sowie von Gerichtsverfahren in Einklang zu bringen. Sie könnte auch gehalten sein, die Rechte einer betroffenen Person gegen die Grundrechte und Grundfreiheiten anderer betroffener Personen abzuwägen. Zu diesem Zweck bieten Artikel 25 der Verordnung und Artikel 86 Absatz 2 der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache der Agentur die Möglichkeit, unter strengen Voraussetzungen die Anwendung der Artikel 14 bis 22, 35 und 36 sowie — sofern die Bestimmungen des Artikels 4 den in den Artikeln 14 bis 20 vorgesehenen Rechten und Pflichten entsprechen — des Artikels 4 der Verordnung zu beschränken. Sofern diese Beschränkungen nicht in einem auf der Grundlage der Verträge erlassenen Rechtsakt vorgesehen sind, ist es erforderlich, interne Vorschriften zu erlassen, die die Agentur zur Beschränkung der betreffenden Rechte berechtigen.

(14)

Die Agentur könnte beispielsweise die Informationen beschränken müssen, die sie einer betroffenen Person über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten während der Vorprüfungsphase einer Verwaltungsuntersuchung oder während der Untersuchung selbst, vor einer etwaigen Verfahrenseinstellung oder im Vordisziplinarverfahren zur Verfügung stellt; auch könnte sie so vorgehen müssen, wenn gegen die betroffene Person möglicherweise spezifische Maßnahmen beispielsweise disziplinarrechtlicher Art im Zusammenhang mit Zwangsanwendung bei Einsätzen verhängt werden. Unter bestimmten Umständen könnte die Weitergabe solcher Informationen die Fähigkeit der Agentur, eine Untersuchung oder die Überwachung von Zwangsanwendung wirksam durchzuführen, erheblich beeinträchtigen, beispielsweise wenn die Gefahr besteht, dass die von der Untersuchung betroffene Person Beweise vernichten oder potenzielle Zeugen beeinflussen könnte, bevor diese befragt werden.

(15)

Es könnte auch erforderlich sein, dass die Agentur die Rechte und Freiheiten von Zeugen oder anderen beteiligten Personen schützt. Ebenso könnte die Agentur gezwungen sein, die Informationen zu beschränken, die sie einer von der Datenverarbeitung betroffenen Person über die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zur Verfügung stellt, wenn die Weitergabe dieser Informationen die Bewertungs- und Validierungsschritte des Verfahrens für die Meldung schwerwiegender Vorfälle gemäß Artikel 38 Absatz 3 Buchstabe h der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache ernsthaft beeinträchtigen könnte.

(16)

Es könnte erforderlich sein, die Anonymität von Zeugen oder Hinweisgebern zu wahren, die darum ersucht haben, dass ihre Identität nicht offengelegt wird. In solchen Fällen könnte die Agentur beschließen, über die Identität, die Erklärungen und sonstige personenbezogene Daten solcher Personen nur eingeschränkt Auskunft zu geben, um deren Rechte und Freiheiten zu schützen. Insbesondere muss die Agentur — im Einklang mit dem Aufsichtsmechanismus zur Kontrolle der Anwendung der Bestimmungen der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache in Bezug auf Zwangsanwendung — unter Umständen die Anonymität von Zeugen oder anderen Personen schützen, die Fälle von Zwangsanwendung melden. Gleichermaßen könnte die Agentur im Zusammenhang mit der Meldung schwerwiegender Vorfälle gemäß Artikel 38 Absatz 3 Buchstabe h der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache die Anonymität von Beteiligten an Frontex-Tätigkeiten schützen müssen, die einen solchen Vorfall gemeldet haben.

(17)

Es könnte notwendig sein, vertrauliche Informationen über Bedienstete zu schützen, die sich mit den Vertrauenspersonen der Agentur in Verbindung gesetzt haben. In solchen Fällen könnte die Agentur gehalten sein, über die Identität, die Erklärungen und sonstige personenbezogene Daten des mutmaßlichen Opfers, des mutmaßlichen Täters und anderer beteiligter Personen nur eingeschränkt Auskunft zu geben, um die Rechte und Freiheiten aller Beteiligten zu schützen.

(18)

Die Agentur verarbeitet personenbezogene Daten ihres Statutspersonals zur medizinischen und psychologischen Tauglichkeit, gegebenenfalls auch für die Genehmigung des Tragens und Gebrauchs von Waffen gemäß Artikel 82 Absatz 7 der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache und dem Beschluss 3/2021 des Verwaltungsrats vom 15. Januar 2021 (6). Angesichts der Sensibilität der medizinischen Daten und zum Schutz der betroffenen Person vor direktem Zugang zu Akten, der ihrer Gesundheit und psychischen Verfassung schaden könnte, gewährt die Agentur über ihren medizinischen Berater indirekten Zugang zu relevanten medizinischen Informationen oder stellt relevante medizinische Informationen und Beratung durch einen externen medizinischen Dienstleister bereit.

(19)

Die Agentur sollte nur dann Beschränkungen vornehmen, wenn diese den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achten, unbedingt notwendig sind und eine in einer demokratischen Gesellschaft verhältnismäßige Maßnahme darstellen. Sie muss begründen, warum die Beschränkungen gerechtfertigt sind.

(20)

Nach dem Grundsatz der Rechenschaftspflicht sollte die Agentur Aufzeichnungen über die von ihr vorgenommenen Beschränkungen führen.

(21)

Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, die die Agentur im Rahmen ihrer Aufgaben mit anderen Organisationen austauscht, sollte eine wechselseitige Konsultation zwischen der Agentur und diesen Organisationen über etwaige Gründe für die Vornahme von Beschränkungen sowie über deren Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit erfolgen, es sei denn, dies würde die Tätigkeiten der Agentur gefährden.

(22)

Gemäß Artikel 25 Absatz 6 der Verordnung ist der für Datenverarbeitung Verantwortliche verpflichtet, betroffene Personen über die wesentlichen Gründe für die Beschränkung und über ihr Recht auf Beschwerde beim EDSB zu unterrichten.

(23)

Die Agentur kann die Unterrichtung der betroffenen Person über die Gründe für die Beschränkung gemäß Artikel 25 Absatz 8 der Verordnung zurückstellen, unterlassen oder ablehnen, wenn die Unterrichtung die Wirkung der vorgenommenen Beschränkung zunichtemachen würde. Die Agentur sollte im Einzelfall prüfen, ob die Mitteilung der Beschränkung ihre Wirkung zunichtemachen würde.

(24)

Die Agentur sollte die Beschränkung aufheben, sobald die sie rechtfertigenden Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind, und diese Voraussetzungen regelmäßig überprüfen.

(25)

Zur Gewährleistung des größtmöglichen Schutzes der Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen und gemäß Artikel 44 Absatz 1 der Verordnung sollte der Datenschutzbeauftragte rechtzeitig zu allen Beschränkungen konsultiert werden, die möglicherweise Anwendung finden, und überprüfen, ob die Beschränkungen mit diesem Beschluss im Einklang stehen.

(26)

Die Agentur hat im Einklang mit Artikel 90 der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache gesonderte Vorschriften für die Verarbeitung operativer personenbezogener Daten festgelegt, darunter spezifische interne Vorschriften über die Speicherung operativer personenbezogener Daten und Vorschriften über Beschränkungen der einschlägigen Rechte betroffener Personen (7) —

BESCHLIEßT:

Artikel 1

Gegenstand, Anwendungsbereich und Verantwortlichkeit

(1)   Mit diesem Beschluss werden Vorschriften in Bezug auf die Bedingungen festgelegt, unter denen die Agentur gemäß Artikel 25 der Verordnung und Artikel 86 Absatz 2 der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache die Anwendung der Artikel 4, 14 bis 22, 35 und 36 der Verordnung beschränken darf.

Dieser Beschluss findet Anwendung bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zu administrativen Zwecken durch die Agentur gemäß Artikel 87 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache.

(2)   Im Einklang mit Absatz 1 und unter den in diesem Beschluss festgelegten Bedingungen können die folgenden Rechte beschränkt werden: Recht auf Unterrichtung der betroffenen Person, Auskunftsrecht der betroffenen Person sowie Recht der betroffenen Person auf Berichtigung, Löschung und Einschränkung der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten, auf Benachrichtigung im Falle einer Verletzung des Schutzes ihrer personenbezogenen Daten und auf Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation.

(3)   Die von diesem Beschluss betroffenen Datenkategorien sind objektive („harte“) Daten (wie Identifikationsdaten, Kontaktdaten, berufsbezogene Daten, Verwaltungsdaten, Daten aus bestimmten Quellen, elektronische Kommunikations- und Verkehrsdaten) und subjektive („weiche“) Daten (wie Begründungen, verhaltensbezogene Daten, Beurteilungen, Leistungs- und Verhaltensdaten sowie Daten, die mit dem Gegenstand des jeweiligen Verfahrens oder der jeweiligen Tätigkeit in Beziehung stehen oder im Zusammenhang damit vorgebracht werden).

(4)   Die Agentur wird als die für die Datenverarbeitung verantwortliche Stelle durch ihren Exekutivdirektor vertreten. Es gelten die Vorschriften der Agentur zur Durchführung der Verordnung in Bezug auf Datenverantwortlichkeit (8).

(5)   Den betroffenen Personen wird durch auf der Website und/oder im Intranet der Agentur veröffentlichte Informationen oder Aufzeichnungen mitgeteilt, welche Personen als für die Datenverarbeitung Verantwortliche benannt wurden.

Artikel 2

Beschränkungen

(1)   Die Agentur kann im Zusammenhang mit dem Zweck der Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Artikel 1 Absatz 1 des Beschlusses die Anwendung der Artikel 14 bis 22, 35 und 36 sowie des Artikels 4 der Verordnung, insofern dessen Bestimmungen den in den Artikeln 14 bis 22 vorgesehenen Rechten und Pflichten entsprechen, wie folgt beschränken:

a)

im Einklang mit Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben b, c, f, g und h der Verordnung bei der Durchführung von Verwaltungsuntersuchungen, Vordisziplinar-, Disziplinar- oder Dienstenthebungsverfahren gemäß Artikel 86 und Anhang IX des Statuts und dem Beschluss 26/2018 des Verwaltungsrats vom 25. Oktober 2018 zur Annahme allgemeiner Durchführungsbestimmungen für Verwaltungsuntersuchungen und Disziplinarverfahren, bei der Meldung von Fällen an das OLAF und gemäß Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben c, g und h der Verordnung sowie bei der Untersuchung von Angelegenheiten durch den DSB, die in direktem Zusammenhang mit dessen Aufgaben stehen, insbesondere bei Untersuchungen zu Datenverarbeitungstätigkeiten in der Agentur gemäß Artikel 5 Absatz 11 des Beschlusses 56/2021 des Verwaltungsrats vom 15. Oktober 2021 (9). Die Agentur kann einige der in Artikel 1 Absatz 2 des Beschlusses genannten Rechte eines Bediensteten, einer betroffenen Person oder eines Dritten in Bezug auf jegliche Informationen beschränken, die künftige oder laufende Untersuchungen, Vordisziplinar-, Disziplinar- oder Dienstenthebungsverfahren ernsthaft beeinträchtigen könnten, einschließlich Zeugenaussagen und anderer Unterlagen;

b)

im Einklang mit Artikel 25 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung kann die Agentur — gemäß dem Beschluss 17/2019 des Verwaltungsrats vom 18. Juli 2019 zur Annahme der Frontex-Leitlinien für die Meldung von Missständen („Whistleblowing“) — unter Sicherstellung, dass Bedienstete Sachverhalte vertraulich melden können, wenn sie der Auffassung sind, dass schwerwiegende Unregelmäßigkeiten vorliegen, einige der in Artikel 1 Absatz 2 des Beschlusses genannten Rechte betroffener Personen beschränken, die möglicherweise an mutmaßlichem Fehlverhalten im Zusammenhang mit jeglichen Informationen beteiligt sind, die die Anonymität von Personen beeinträchtigen könnten, die eine schwerwiegende Unregelmäßigkeit melden;

c)

gemäß Artikel 25 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung, wenn sichergestellt wird, dass Bedienstete der Agentur die Unterstützung durch Vertrauenspersonen im Sinne des Beschlusses 16/2019 des Verwaltungsrats vom 18. Juli 2019 über die Frontex-Strategie zum Schutz der Menschenwürde und gegen Mobbing und sexuelle Belästigung nutzen können. Die Agentur kann zum Schutz der Anonymität des potenziellen Opfers vor Belästigung und der Anonymität von Zeugen gegebenenfalls einige der in Artikel 1 Absatz 2 des Beschlusses genannten Rechte mutmaßlicher Belästiger beschränken;

d)

gemäß Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben c, g und h der Verordnung bei der Durchführung interner und externer Audits betreffend Tätigkeiten oder Abteilungen der Agentur, insbesondere wenn die interne Auditstelle der Agentur interne Prüfungen vornimmt. Die Agentur kann einige der in Artikel 1 Absatz 2 des Beschlusses genannten Rechte betroffener Personen im Zusammenhang mit Informationen beschränken, die die Vertraulichkeit der im Rahmen eines Audits gewonnen Informationen oder die Durchführung eines laufenden Audits beeinträchtigen können;

e)

gemäß Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben b, e, g und h der Verordnung im Rahmen von Untersuchungen der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA); Die Agentur kann einige der in Artikel 1 Absatz 2 des Beschlusses genannten Rechte betroffener Personen im Zusammenhang mit Informationen beschränken, die zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Durchführung und der Vertraulichkeit von Untersuchungen der EUStA erforderlich sind;

f)

gemäß Artikel 25 Absatz 1, Buchstaben c, e, g, und h der Verordnung bei der Bearbeitung von Beschwerden, einschließlich jener, die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eingehen, das gemäß Artikel 111 der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache zur Überwachung und Gewährleistung der Achtung der Grundrechte bei allen Tätigkeiten der Agentur sowie gemäß dem einschlägigen Beschluss des Exekutivdirektors eingerichtet wurde. Die Agentur kann einige der in Artikel 1 Absatz 2 des Beschlusses genannten Rechte von an Tätigkeiten der Agentur beteiligten Bediensteten (10), gegen die Beschwerde geführt wird, im Zusammenhang mit jeglichen Informationen beschränken, die die Überprüfung und Bearbeitung der Beschwerde ernsthaft beeinträchtigen könnten;

g)

gemäß Artikel 25 Absatz 1, Buchstaben c, e, g und h der Verordnung bei der Bearbeitung von Vorfallberichten im Einklang mit Artikel 38 Absatz 3 Buchstabe h der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache sowie mit dem Beschluss des Exekutivdirektors vom 19. April 2021 über Standardverfahren für die Meldung schwerwiegender Vorfälle. Die Agentur kann einige der in Artikel 1 Absatz 2 dieses Beschlusses genannten Rechte betroffener Personen, die im Bericht über schwerwiegende Vorfälle erwähnt werden, in Bezug auf Informationen beschränken, die die Validierung und Bewertung dieses Berichts sowie Folgemaßnahmen und die Anonymität von Zeugen oder anderen Personen, die Vorfälle melden, einschließlich Migranten und Rückkehrern, ernsthaft beeinträchtigen könnten;

h)

im Einklang mit Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben b, c, f, g und h der Verordnung bei der Überwachung der Anwendung der Bestimmungen in Bezug auf Zwangsanwendung durch Statutspersonal der ständigen Reserve der Europäischen Grenz- und Küstenwache im Sinne von Artikel 55 Absatz 5 Buchstabe a der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache und von Beschluss 7/2021 des Verwaltungsrats vom 20. Januar 2021 sowie gemäß dem einschlägigen Beschluss des Exekutivdirektors bei der Überwachung der Zwangsanwendung bei operativen Tätigkeiten von Frontex durch von den Mitgliedstaaten langfristig an die Agentur abgeordnetes Personal, durch kurzfristig entsendetes Personal oder durch Personal, das Teil der Reserve für Soforteinsätze zu Grenzsicherungszwecken ist. Die Agentur kann einige der in Artikel 1 Absatz 2 dieses Beschlusses genannten Rechte betroffener Personen, die in einer Meldung über Zwangsanwendung vorkommen, in Bezug auf Informationen (darunter Zeugenaussagen und andere Dokumente) beschränken, die die Überprüfung der Meldung und künftige oder laufende Folgemaßnahmen, einschließlich Untersuchungen, Vordisziplinar-, Disziplinar- oder Dienstenthebungsverfahren, ernsthaft beeinträchtigen könnten;

i)

gemäß Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben b, c, d, g und h der Verordnung, wenn die Agentur anderen Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union Unterstützung leistet, Unterstützung von ihnen erhält oder mit ihnen im Rahmen von Tätigkeiten im Sinne der Buchstaben a bis h dieses Absatzes zusammenarbeitet, sowie gemäß einschlägigen Dienstgütevereinbarungen, Absichtserklärungen und Arbeitsvereinbarungen;

j)

gemäß Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben b, c, g und h der Verordnung, wenn die Agentur zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten Unterstützung leistet, Unterstützung von ihnen erhält oder mit ihnen auf ihr Ersuchen oder aus eigener Initiative zusammenarbeitet, insbesondere im Rahmen von Tätigkeiten im Sinne der Buchstaben f bis h dieses Absatzes und gemäß den Bestimmungen der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache sowie den Beschlüssen des Verwaltungsrats;

k)

gemäß Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben b, c, g und h der Verordnung, wenn die Agentur zuständigen nationalen Behörden von Drittstaaten und internationalen Organisationen Unterstützung leistet, Unterstützung von ihnen erhält oder mit ihnen zusammenarbeitet, insbesondere im Sinne von einschlägigen Absichtserklärungen und Arbeitsvereinbarungen;

l)

gemäß Artikel 25 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen von Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union oder vor nationalen Gerichten;

m)

gemäß Artikel 25 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung bei der Bearbeitung von Anträgen von Bediensteten auf Zugang zu ihren medizinischen Akten im Zusammenhang mit ihrer medizinischen und psychologischen Tauglichkeit, wenn ein direkter Zugang zu diesen Akten für die Gesundheit oder psychische Verfassung der betroffenen Person schädlich sein könnte. In solchen Fällen gewährt die Agentur über ihren medizinischen Berater oder einen externen medizinischen Dienstleister indirekten Zugang zu den einschlägigen medizinischen Informationen;

n)

gemäß Artikel 25 Absatz 1 Buchstaben c, d, g und h der Verordnung bei der Durchführung von Sicherheitsanalysen, auch mit externer Beteiligung (z. B. von CERT-EU), die zu internen Untersuchungen bezüglich der Cybersicherheit oder des Missbrauchs von IT-Systemen führen können, bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit durch Videoüberwachung, Zugangskontrollen und Untersuchungen, der Sicherung von Kommunikations- und Informationssystemen sowie der Umsetzung von technischen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Die Agentur kann einige der in Artikel 1 Absatz 2 des Beschlusses genannten Rechte betroffener Personen im Zusammenhang mit Informationen beschränken, die diese Sicherheitsanalysen, Instrumente zur Gewährleistung der internen Sicherheit einschließlich Zugangskontrolle, Sicherheitsuntersuchungen und technische Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ernsthaft beeinträchtigen könnten.

(2)   Jede Beschränkung muss den Wesensgehalt der Grundrechte und Grundfreiheiten achten und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und verhältnismäßig sein.

(3)   Bevor etwaige Beschränkungen vorgenommen werden, ist deren Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit im Einzelfall zu prüfen. Beschränkungen sind auf das zur Erreichung ihres Zwecks unbedingt erforderliche Maß zu begrenzen.

(4)   Zu Rechenschaftszwecken erstellt die Agentur Aufzeichnungen über die Gründe für die vorgenommenen Beschränkungen, die angewandten Rechtsgrundlagen gemäß Absatz 1 sowie das Ergebnis der Notwendigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung. Diese Aufzeichnungen sind Teil eines Registers, das dem Europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB) auf Anfrage zur Verfügung gestellt wird. Die Agentur erstellt und veröffentlicht regelmäßige Berichte über die Anwendung von Artikel 25 der Verordnung.

(5)   Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, die sie im Rahmen ihrer Aufgaben von anderen Organisationen erhält, konsultiert die Agentur diese Organisationen hinsichtlich möglicher Gründe für die Vornahme von Beschränkungen sowie der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der betreffenden Beschränkungen, es sei denn, dies würde die Tätigkeiten der Agentur gefährden.

Artikel 3

Risiken für die Rechte und Freiheiten betroffener Personen

(1)   Die Bewertungen der sich aus der Vornahme von Beschränkungen ergebenden Risiken für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen sowie die Angaben zur Geltungsdauer dieser Beschränkungen sind im Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten einzutragen, das von der Agentur gemäß Artikel 31 der Verordnung geführt wird. Außerdem sind sie in den einschlägigen Datenschutz-Folgenabschätzungen gemäß Artikel 39 der Verordnung zu vermerken.

(2)   Bei jeder Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Beschränkung berücksichtigt die Agentur die möglichen Risiken für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person.

(3)   Beschränkungen finden keine Anwendung, wenn die Ausübung des beschränkten Rechts die Einschränkung ihres Zwecks berauben oder die Rechte oder Freiheiten anderer betroffener Personen beeinträchtigen würde.

Artikel 4

Garantien und Aufbewahrungsfristen

(1)   Die Agentur trifft Schutzvorkehrungen, die verhindern, dass personenbezogene Daten, die Beschränkungen unterliegen oder unterliegen könnten, Missbrauch, unrechtmäßigem Zugriff oder unrechtmäßiger Übermittlung ausgesetzt sind. Diese Schutzvorkehrungen umfassen technische und organisatorische Maßnahmen und werden erforderlichenfalls in Beschlüssen des Verwaltungsrats der Agentur, in Beschlüssen des Exekutivdirektors, in gemäß Artikel 38 der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache erstellten Einsatzplänen sowie in internen Beschlüssen, Verfahren oder Verwaltungsmitteilungen einzeln aufgeführt. Die Schutzvorkehrungen umfassen

a)

eine klare Definition der Rollen, Zuständigkeiten und Verfahrensschritte;

b)

gegebenenfalls eine sichere elektronische Umgebung, die verhindert, dass elektronische Daten rechtswidrig und versehentlich unbefugten Personen zugänglich gemacht oder übermittelt werden;

c)

gegebenenfalls die sichere Aufbewahrung und Verarbeitung von Papierdokumenten;

d)

die ordnungsgemäße Überwachung der Beschränkungen und die regelmäßige Überprüfung ihrer Anwendung.

Die in Buchstabe d genannten Überprüfungen sind mindestens alle sechs Monate durchzuführen und können zur Aufhebung der Beschränkungen gemäß Absatz 2 führen. Die Überprüfungen sind von dem für die Datenverarbeitung Verantwortlichen aus Gründen der Rechenschaftspflicht zu dokumentieren.

(2)   Sobald die sie rechtfertigenden Umstände nicht mehr gegeben sind, sind die Beschränkungen aufzuheben.

(3)   Die personenbezogenen Daten werden im Einklang mit den geltenden Datenspeicherungsregeln der Agentur gespeichert, die in den gemäß Artikel 31 der Verordnung geführten Datenschutzaufzeichnungen festzulegen sind. Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist sind die personenbezogenen Daten gemäß Artikel 13 der Verordnung zu löschen, zu anonymisieren oder zu archivieren.

Artikel 5

Mitwirkung des Datenschutzbeauftragten

(1)   Jede Beschränkung der Rechte betroffener Personen, die gemäß diesem Beschluss vorgenommen wird, ist unverzüglich dem DSB mitzuteilen. Der DSB erhält Zugang zu allen Aufzeichnungen und Dokumenten, die den zugrunde liegenden sachlichen oder rechtlichen Zusammenhang betreffen.

(2)   Der DSB kann die Überprüfung einer vorgenommenen Beschränkung verlangen. Die Agentur informiert den DSB schriftlich über das Ergebnis der Überprüfung.

(3)   Die Agentur dokumentiert die Mitwirkung des DSB bei der Vornahme von Beschränkungen sowie die dem DSB mitgeteilten Informationen.

(4)   Die für Datenverarbeitung Verantwortlichen unterrichten den DSB, wenn eine Beschränkung aufgehoben wurde.

Artikel 6

Unterrichtung betroffener Personen über Beschränkungen ihrer Rechte

(1)   In die Datenschutzhinweise, die sie auf ihrer Website und im Intranet veröffentlicht, nimmt die Agentur allgemeine Informationen auf, die die betroffenen Personen über mögliche Beschränkungen ihrer Rechte gemäß Artikel 2 Absatz 1 unterrichten. Darin ist darzulegen, welche Rechte beschränkt und aus welchen Gründen und für welche Dauer die Beschränkungen vorgenommen werden können.

(2)   Betroffene Personen sind von der Agentur einzeln, schriftlich und unverzüglich über gegenwärtige oder künftige Beschränkungen ihrer Rechte zu unterrichten. Die Agentur unterrichtet betroffene Personen über die wesentlichen Gründe für die Beschränkung, über das Recht betroffener Personen, sich an den DSB zu wenden, um gegen die Beschränkung vorzugehen, sowie über ihr Recht, beim EDSB Beschwerde einzulegen.

(3)   Solange die Unterrichtung über die Gründe für die Beschränkung und das Recht auf Einlegung der Beschwerde beim EDSB die Wirkung der Beschränkung zunichtemachen würde, kann sie von der Agentur zurückgestellt, unterlassen oder abgelehnt werden. Die Beurteilung, ob dies gerechtfertigt wäre, erfolgt auf Einzelfallbasis. Sobald die Unterrichtung die Wirkung der Beschränkung nicht mehr zunichtemachen würde, ist die betroffene Person von der Agentur zu unterrichten.

Artikel 7

Benachrichtigung betroffener Personen über eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten

(1)   Ist die Agentur gemäß Artikel 35 Absatz 1 der Verordnung zur Benachrichtigung über eine Datenschutzverletzung verpflichtet, ist es in Ausnahmefällen möglich, die Benachrichtigung ganz oder zum Teil zu beschränken. Die Agentur muss die Gründe für die Beschränkung, die Rechtsgrundlage gemäß obigem Artikel 2 sowie die Bewertung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Beschränkung in einem Vermerk dokumentieren. Der Vermerk ist dem EDSB zum Zeitpunkt der Meldung der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten mitzuteilen.

(2)   Sind die Gründe für die Beschränkung nicht mehr gegeben, muss die Agentur die betroffene Person über die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten benachrichtigen, wobei die wesentlichen Gründe für die Beschränkung anzugeben sind und auf das Recht der betroffenen Person, beim EDSB Beschwerde einzulegen, hinzuweisen ist.

Artikel 8

Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation

(1)   In Ausnahmefällen kann die Agentur das Recht auf Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation im Sinne von Artikel 36 der Verordnung beschränken. Derartige Beschränkungen müssen der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (11) genügen.

(2)   Beschränkt die Agentur das Recht auf Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation, muss sie die betroffene Person in der Antwort auf deren Anfrage über die wesentlichen Gründe für diese Beschränkung unterrichten sowie über das Recht der betroffenen Person, beim EDSB Beschwerde einzulegen.

(3)   Solange die Unterrichtung über die Gründe für die Beschränkung und das Recht auf Einlegung der Beschwerde beim EDSB die Wirkung der Beschränkung zunichtemachen würde, kann sie von der Agentur zurückgestellt, unterlassen oder abgelehnt werden. Die Beurteilung, ob dies gerechtfertigt wäre, erfolgt auf Einzelfallbasis.

Artikel 9

Inkrafttreten

Dieser Beschluss tritt am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Geschehen im schriftlichen Verfahren am 4. April 2022.

Für den Verwaltungsrat

Marko GAŠPERLIN

Vorsitzender


(1)  ABl. L 295 vom 21.11.2018, S. 39.

(2)  ABl. L 295 vom 14.11.2019, S. 1.

(3)  Verordnung (EWG, Euratom, EGKS) Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Sondermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommission anwendbar sind (ABl. L 56 vom 4.3.1968, S. 1).

(4)  Beschluss des Exekutivdirektors Nr. R-ED-2021-51 vom 19. April 2021 über Standardverfahren für die Meldung schwerwiegender Vorfälle.

(5)  Für die Zwecke dieses Beschlusses umfasst der Begriff „Mitgliedstaaten“ auch die Staaten, die sich an der entsprechenden Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands im Sinne des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und des dazugehörigen Protokolls Nr. 19 über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstand beteiligen.

(6)  Beschluss 3/2021 des Verwaltungsrats vom 15. Januar 2021 zur Annahme von Vorschriften, nach denen der Exekutivdirektor das Tragen und den Gebrauch von Waffen durch Statutspersonal genehmigen kann, unter anderem bei der verpflichtenden Zusammenarbeit mit den zuständigen nationalen Behörden, und durch die sichergestellt werden soll, dass das Statutspersonal die Bedingungen für die Erteilung solcher Genehmigungen kontinuierlich erfüllt.

(7)  Beschluss 69/2021 des Verwaltungsrats vom 21. Dezember 2021 zur Annahme von Vorschriften für die Verarbeitung operativer personenbezogener Daten durch die Agentur.

(8)  Beschluss 56/2021 des Verwaltungsrats vom 15. Oktober 2021 zur Annahme von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EU) 2018/1725 über die Aufgaben, Pflichten und Befugnisse des Datenschutzbeauftragten sowie zur Annahme von Vorschriften über benannte Verantwortliche bei Frontex.

(9)  Beschluss 56/2021 des Verwaltungsrats vom 15. Oktober 2021 zur Annahme von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EU) 2018/1725 über die Aufgaben, Pflichten und Befugnisse des Datenschutzbeauftragten sowie zur Annahme von Vorschriften über benannte Verantwortliche bei Frontex.

(10)  Zu „an Tätigkeiten der Agentur beteiligten Bediensteten“ gehören Teammitglieder wie Bedienstete der Agentur oder Mitglieder der Kategorien 2, 3 und 4 der ständigen Reserve.

(11)  Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. L 201 vom 31.7.2002, S. 37).