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Amtsblatt |
DE Reihe C |
C/2025/1183 |
21.3.2025 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Unterstützung sozialwirtschaftlicher Einrichtungen im Einklang mit den Vorschriften über staatliche Beihilfen: Überlegungen zu den Vorschlägen aus dem Bericht von Enrico Letta
(Initiativstellungnahme)
(C/2025/1183)
Berichterstatter:
Giuseppe GUERINI
Berater |
Samuel CORNELLA |
Beschluss des Plenums |
11.7.2024 |
Rechtsgrundlage |
Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung |
Zuständiges Arbeitsorgan |
Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch |
Annahme im Arbeitsorgan |
12.12.2024 |
Verabschiedung im Plenum |
22.1.2025 |
Plenartagung Nr. |
593 |
Ergebnis der Abstimmung (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen) |
216/4/1 |
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. |
Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) betont, dass die notwendige starke öffentliche Unterstützung für sozialwirtschaftliche Einrichtungen, die häufig Aufgaben und Funktionen wahrnehmen, die früher den Staaten oblagen, mit dem Unionsrahmen für staatliche Beihilfen in Einklang gebracht werden muss. |
1.2. |
Auch im Bericht von Mario Draghi über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit wird auf den Zusammenhang zwischen Wettbewerbsfähigkeit und europäischem Sozialmodell hingewiesen und betont, dass die europäischen Sozial- und Sozialschutz-Systeme bewahrt werden müssen. Vor diesem Hintergrund bekräftigt der EWSA, wie wichtig die Einrichtungen der Sozialwirtschaft sind, wenn es darum geht, den sozialen Bedürfnissen der europäischen Bürgerinnen und Bürger konkret gerecht zu werden. Diese dem Gemeinwohl dienenden Aufgaben sollten daher in den europäischen Beihilfevorschriften anerkannt werden. |
1.3. |
Der EWSA verweist darauf, dass die Tätigkeiten sozialwirtschaftlicher Einrichtungen in einer Reihe von Fällen einen solidarischen Charakter haben und nicht als wirtschaftliche Tätigkeit gelten. Gleichzeitig gibt es viele Fälle, in denen der grenzüberschreitende Charakter der Tätigkeiten dieser Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialbereich zweitrangig und so geringfügig ist, dass der Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Weitere Klarstellungen der Kommission zum Konzept der wirtschaftlichen Tätigkeit und der grenzüberschreitenden Bedeutung in diesen Bereichen wären daher dringend erforderlich. |
1.4. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass die in Abschnitt 6 der Allgemeinen Freistellungsverordnung (EU) Nr. 651/2014 festgelegten Regeln für die Gewährung von Beihilfen für benachteiligte Arbeitnehmer und Arbeitnehmer mit Behinderungen gestärkt und vereinfacht werden sollten. Wie im Bericht von Enrico Letta zum Binnenmarkt und in der Mitteilung der Kommission über die Kriterien für die Bewertung der Vereinbarkeit einzeln anzumeldender staatlicher Beihilfen für die Beschäftigung von benachteiligten und behinderten Arbeitnehmern mit dem gemeinsamen Markt (Mitteilung über Beschäftigungsbeihilfen, ABl. C 188 vom 11.8.2009) vorgeschlagen, sollten diese Vorschriften aktualisiert werden, um der derzeitigen wirtschaftlichen Realität Rechnung zu tragen. |
1.5. |
Der EWSA teilt die Auffassung, dass bei der geplanten Überarbeitung der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) diese beiden spezifischen und gesonderten Beihilfekategorien beibehalten werden müssen, und betont, wie wichtig die Einhaltung der festgelegten Fristen für die Überarbeitung des Rechtsrahmens ist. |
1.6. |
Der EWSA begrüßt auch den im Letta-Bericht unterbreiteten Vorschlag in Bezug auf die notwendige Anpassung des geltenden Rechtsrahmens für staatliche Beihilfen, um sozialwirtschaftlichen Unternehmen einen besseren Zugang zu Krediten und Finanzmitteln zu sichern. |
1.7. |
Der EWSA stellt fest, dass der Rechtsrahmen für Beihilfen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) von den Behörden nicht angemessen ausgeschöpft wird, da sie den weiten Ermessensspielraum, den ihnen die Verträge in Bezug auf die Einstufung bestimmter Tätigkeiten als DAWI einräumen, oftmals nicht nutzen. Der EWSA ist der Auffassung, dass dieser Ermessensspielraum bei Gesundheits- und Sozialdienstleistungen in besonderem Maße besteht, und zwar sowohl aus Gründen der vertikalen Subsidiarität und des sozialen Zusammenhalts als auch wegen des Fehlens spezifischer regulatorischer Zwänge, die beispielsweise für andere, wirtschaftlich relevantere DAWI gelten, z. B. netzgebundene Wirtschaftszweige. Da es für soziale DAWI in den EU-Mitgliedstaaten oft keine ausreichende Finanzierung gibt, sollten die Bedeutung und Relevanz von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c des DAWI-Beschlusses propagiert werden. Statt der allgemeinen Anwendung der De-minimis-Verordnung auf den Bereich der sozialen DAWI sollten die EU-Mitgliedstaaten systematisch und vorrangig Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c des DAWI-Beschlusses heranziehen, wenn der Anwendungsbereich dieser Bestimmung dies zulässt. |
1.8. |
Der EWSA begrüßt, dass in den am 18. Juli 2024 veröffentlichten politischen Leitlinien für die neue Europäische Kommission 2024–2029 Folgendes angekündigt wird: „Wir werden auch unsere Beihilfevorschriften überarbeiten, um Fördermaßnahmen, insbesondere für erschwinglichen energieeffizienten und sozialen Wohnraum, zu ermöglichen“. Er weist darauf hin, dass die Vorschriften über staatliche Beihilfen als Ausgleich für die Erbringung von DAWI in dieser Hinsicht von Bedeutung sein können, auch mit Blick darauf, was sozialwirtschaftliche Einrichtungen bei der Bekämpfung der Wohnungskrise erreichen können, wie das Wohnungsgenossenschaften, Wohnungsstiftungen, Gegenseitigkeitsgesellschaften und viele gemeinnützige Organisationen unter Beweis gestellt haben. |
1.9. |
Der EWSA weist darauf hin, dass bei europäisch-nationalen Mischfinanzierungen (z. B. Finanzierungen aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), die auf staatlicher Ebene gewährt werden), die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen durch Flexibilitätsklauseln gelockert werden könnte. Derzeit unterliegen diese Fonds zwar weitgehend dem EU-Recht, aufgrund des Ermessensspielraums der nationalen Behörden bei der Zuweisung gelten für sie aber die Vorschriften für staatliche Beihilfen, die wiederum nicht auf Fonds rein europäischen Ursprungs wie Horizont Europa angewandt werden, die ohne Eingreifen der Mitgliedstaaten auf EU-Ebene verwaltet werden. |
1.10. |
Im Einklang mit dem am 12. Februar 2024 von Vertretern von 19 Regierungen unterzeichneten Fahrplan von Lüttich für die Sozialwirtschaft in der EU fordert der EWSA die Europäische Kommission nachdrücklich auf, ihre Bemühungen zur Umsetzung des Aktionsplans für die Sozialwirtschaft fortzusetzen und einem Mitglied der neuen Europäischen Kommission ein spezifisches Mandat für die Koordinierung der Umsetzung zu übertragen. |
2. Hintergrund der Stellungnahme
2.1. |
Laut dem unlängst von der Europäischen Kommission veröffentlichten Bericht zum Benchmarking der sozioökonomischen Leistung der EU-Sozialwirtschaft sind mindestens 11,5 Mio. Menschen – 6,3 % der erwerbstätigen Bevölkerung – in den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union in sozialwirtschaftlichen Einrichtungen beschäftigt. 246 000 von den insgesamt 4,3 Mio. sozialwirtschaftlicher Einrichtungen sind Unternehmen und bieten Lösungen für die wichtigsten Herausforderungen in Bezug auf Pflege und Betreuung in Europa. Diese Einrichtungen decken ein breites Spektrum von Sektoren ab, darunter Sozial- und Gesundheitsdienste, Kreislaufwirtschaft, Armutsbekämpfung, Sozialwohnungen, Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung und gemeinschaftliche Erzeugung erneuerbarer Energie. |
2.2. |
Im Aktionsplan für die Sozialwirtschaft (COM(2021) 778 final) weist die Europäische Kommission darauf hin, dass „‚geduldiges‘ langfristiges Anlagekapital [...] für sozialwirtschaftliche Einrichtungen nicht immer ohne Weiteres verfügbar [ist]. Die Behörden nutzen weder die bestehenden Möglichkeiten zur Erleichterung des Zugangs von Sozialunternehmen zu öffentlichen Aufträgen oder Finanzmitteln noch die Flexibilität, die ihnen durch die geltenden EU-Beihilfevorschriften eingeräumt wird.“ |
2.3. |
In dem Aktionsplan wird auch darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten das Potenzial der Vorschriften über staatliche Beihilfen für Sektoren von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse einerseits und die Allgemeine Freistellungsverordnung andererseits nicht ausschöpfen. Diese Vorschriften könnten die Gewährung von staatlichen Beihilfen ermöglichen, die mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. |
2.4. |
In der Empfehlung des Rates zur Entwicklung der Rahmenbedingungen für die Sozialwirtschaft (2023/0179 (NLE)) wird folgendes festgestellt: „In Fällen, in denen der Markt allein nicht in der Lage ist, für einen zufriedenstellenden Zugang zum Arbeitsmarkt und soziale Inklusion zu sorgen, schöpfen Behörden den vorhandenen Spielraum im Rahmen der Vorschriften über staatliche Beihilfen oft nicht optimal aus, um die Sozialwirtschaft zu unterstützen, sondern beschränken sich auf Maßnahmen, die unterhalb des allgemeinen De-minimis-Schwellenwerts bleiben, und lassen die Möglichkeit ungenutzt, Maßnahmen gemäß der Verordnung der Kommission (EU) Nr. 651/2014 75 (allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung) festzulegen, etwa Regionalbeihilfen, Risikofinanzierungsbeihilfen und Beihilfen für die Einstellung benachteiligter Arbeitnehmer“. |
2.5. |
In einer aktuellen Studie (1) über staatliche Beihilfen im Hinblick auf den Zugang zu Finanzmitteln für Sozialunternehmen und für die Einstellung benachteiligter Arbeitnehmer in Form von Lohnzuschüssen wurden die Anwendung und die Auswirkungen der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) auf Sozialunternehmen untersucht, die benachteiligte Arbeitnehmer in den Mitgliedstaaten beschäftigen. Die Ergebnisse zeigen, dass die nationalen Behörden häufig alternative Vorschriften zur AGVO anwenden und dafür Gründe wie die mangelnde Kenntnis des europäischen Rahmens für staatliche Beihilfen, die Komplexität der AGVO und andere administrative Schwierigkeiten anführen. |
3. Allgemeine Bemerkungen
3.1. |
Im Draghi-Bericht über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit wird auf den Zusammenhang zwischen Wettbewerbsfähigkeit und dem europäischen Sozialmodell hingewiesen und unterstrichen, wie wichtig es ist, die europäischen Sozial- und Sozialschutzsysteme zu bewahren. In diesem Zusammenhang wird in der vorliegenden Stellungnahme betont, dass die notwendige starke öffentliche Unterstützung für sozialwirtschaftliche Einrichtungen, die häufig Aufgaben und Funktionen wahrnehmen, die früher den Staaten oblagen, mit dem Unionsrahmen für staatliche Beihilfen in Einklang gebracht werden muss. Insbesondere sollten die Besonderheiten des Marktes für Gesundheits- und Sozialdienstleistungen, auf dem sozialwirtschaftliche Einrichtungen tätig sind, angemessen berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund weist der EWSA darauf hin, dass das Ziel sozialwirtschaftlicher Unternehmen nicht darin besteht, die Gewinne zur Ausschüttung an die Investoren zu maximieren, sondern diese Gewinne in die Tätigkeiten der Einrichtung bzw. zumindest zur Erreichung sozialer Ziele oder auch im allgemeinen Interesse zu reinvestieren. |
3.2. |
In diesem Zusammenhang wird auf das wichtige Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union vom 8. September 2011 in den verbundenen Rechtssachen C-78/08 und C-80/08 („Paint Graphos“) verwiesen, in dem der EuGH über die Regelung zur Befreiung von der Körperschaftsteuer für Genossenschaften entschieden hat. Dabei vertrat er die Auffassung, dass sich Genossenschaften gerade aufgrund ihrer Besonderheiten nicht in der gleichen Situation befinden wie Handelsgesellschaften. Die Anerkennung der Rechtmäßigkeit einer besonderen Steuerregelung für diese Einrichtungen aufgrund ihrer besonderen Merkmale sollte die beiden gesetzgebenden Organe dazu veranlassen, für die verschiedenen Einrichtungen der Sozialwirtschaft dieselbe politische Richtung einzuschlagen. |
3.3. |
Der EWSA begrüßt nachdrücklich die jüngste Anpassung der De-minimis-Höchstbeträge über drei Jahre auf 300 000 EUR für normale Unternehmen und auf 750 000 EUR für DAWI, stellt jedoch fest, dass De-minimis-Beihilfen im Rahmen der EU-Beihilfevorschriften nicht als ausreichende Rechtsgrundlage für die Gewährung öffentlicher Unterstützung für sozialwirtschaftliche Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialbereich (2) angesehen werden können. Nichtsdestotrotz nehmen viele nationale Verwaltungen statt der AGVO, der Mitteilung über Beschäftigungsbeihilfen oder des DAWI-Beihilferahmens vorwiegend den De-minimis-Rahmen in Anspruch, wegen seiner vereinfachten Struktur und der leichten Anwendung oder weil sie sich mit der allgemeinen Freistellungsverordnung nicht ausreichend auskennen, auch wenn diese bereits seit 2014 in Kraft ist. |
3.4. |
Der EWSA ist sich bewusst, dass es nicht möglich ist, im Vorfeld einen Katalog wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten zu erstellen und auf dieser Grundlage letztlich eine Bewertung der einzelnen Fälle vorzunehmen. Er betont jedoch, dass die Tätigkeiten sozialwirtschaftlicher Einrichtungen einen solidarischen, nicht gewinnorientierten Charakter haben können, wenn es sich um Tätigkeiten von Vereinen, Verbänden usw. unter Mitarbeit von Freiwilligen in einem gemeinnützigen Kontext oder um Tätigkeiten sozialwirtschaftlicher Akteure wie Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften und Stiftungen handelt. Diese Tätigkeiten sollten deshalb vom Anwendungsbereich von Artikel 107 AEUV ausgenommen werden. |
3.5. |
Der EWSA stellt fest, dass im Bereich der Gesundheits- und Sozialdienste die grenzüberschreitende Mobilität und Relevanz auf der Nachfrageseite oft ganz fehlen oder nur geringfügig vorhanden sind, da es sich um rein lokale Dienstleistungen handelt, die vor Ort erbracht werden. In einigen Fällen mangelt es sogar an interner Mobilität zwischen den verschiedenen Regionen desselben Landes, was den starken lokal ausgerichteten Charakter der Gesundheits- und Sozialdienste unterstreicht. |
3.6. |
Auch wenn es die grenzüberschreitende Mobilität im Bereich der Gesundheits- und Sozialdienstleistungen potenziell auf der Angebotsseite gibt, ist der EWSA der Auffassung, dass die nationalen Behörden einen diskriminierungsfreien Zugang zu einem umfassenden System der finanziellen Unterstützung für Gesundheits- und Sozialdienstleistungen sicherstellen sollten, das mit Artikel 107 AEUV vereinbar ist, wobei die Beihilfevorschriften nicht zur Rechtfertigung für die Kürzung der öffentlichen Mittel in einem Schlüsselbereich des sozialen Zusammenhalts auf lokaler Ebene werden dürfen. |
3.7. |
Im Einklang mit dem politischen Willen, der im Aktionsplan für die Sozialwirtschaft und in der Empfehlung zum Ausdruck kommt, in der die Institutionen aufgefordert werden, das Potenzial sozialwirtschaftlicher Einrichtungen zu erschließen, ist der EWSA der Auffassung, dass in den Vorschriften über staatliche Beihilfen der besondere Charakter und die Aufgaben dieser Einrichtungen anerkannt und dazu rechtliche Rahmenbedingungen gewährt werden sollten, die den Merkmalen der Sozialwirtschaft Rechnung tragen. Dazu gehört in erster Linie die gesetzliche Verpflichtung, die Gewinne und Überschüsse ganz oder zum größten Teil in Ziele von allgemeinem Interesse zu reinvestieren, wie in den nationalen Rechtsrahmen und in der Empfehlung des Rates dargelegt. |
4. Für Beihilfevorschriften, die den Zielen der Sozialwirtschaft entsprechen
4.1. |
In Bezug auf die mögliche Gewährung von Beihilfen, die mit dem Binnenmarkt vereinbar sind, ist der EWSA der Auffassung, dass die in Abschnitt 6 der Allgemeinen Freistellungsverordnung (EU) Nr. 651/2014 festgelegten Regeln für die Gewährung von Beihilfen für benachteiligte Arbeitnehmer und Arbeitnehmer mit Behinderungen gestärkt und vereinfacht und die Mitteilung über Beschäftigungsbeihilfen an die aktuellen wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden sollten. Konkrete und rasche Maßnahmen, die die Kommission in diesem Zusammenhang ergreifen könnte, bestünden darin, die Höchstbeträge für Beihilfen, die im Zusammenhang mit der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gewährt werden können, anzupassen. Der EWSA betont zudem, dass diese beiden spezifischen und gesonderten Beihilfekategorien im Rahmen der für 2026 geplanten Überarbeitung der Verordnung beibehalten und die festgelegten Fristen für die Überarbeitung der AGVO eingehalten werden müssen. |
4.2. |
Der EWSA unterstützt nachdrücklich den im Bericht von Enrico Letta zum Binnenmarkt enthaltenen Vorschlag, diese Vorschriften zu überprüfen und zu optimieren (Much More than a Market, S. 106). |
4.3. |
Der EWSA begrüßt den ebenfalls im Letta-Bericht unterbreiteten Vorschlag, den geltenden Rechtsrahmen für staatliche Beihilfen anzupassen, um sozialwirtschaftlichen Unternehmen einen besseren Zugang zu Krediten und Finanzmitteln zu sichern. |
4.4. |
Der EWSA ist der Auffassung, dass bei einer Überarbeitung der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (EU) Nr. 651/2014 an der Stelle, an der die spezifischen Voraussetzungen für mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen festgelegt werden, die ohne vorherige Genehmigung durch die Kommission gewährt werden können, sozialwirtschaftliche Einrichtungen ausdrücklich anerkannt werden sollten. Dies würde, wie auch im Letta-Bericht vorgeschlagen, eine rechtliche Definition des Begriffs „sozialwirtschaftliche Einrichtungen“ in der AGVO erfordern. Daher würden Tätigkeiten sozialwirtschaftlicher Einrichtungen in vielen Fällen nicht gegen die marktbezogenen EU-Wettbewerbsregeln verstoßen, da sie im Rahmen eines Unternehmensmodells durchgeführt werden, das nicht darauf abzielt, die Gewinne zu maximieren, sondern diese in die Verwirklichung sozialer oder ökologischer Ziele auf der Grundlage der Solidarität zu reinvestieren. |
4.5. |
Der EWSA stellt ferner fest, dass Artikel 56 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (EU) Nr. 651/2014 über Investitionsbeihilfen für lokale Infrastrukturen von den nationalen Behörden nicht in ausreichendem Maße in Anspruch genommen wird, insbesondere in Bezug auf die erforderlichen Investitionen in Gesundheits- und Sozialdienstleistungen, obwohl dieser Artikel in vielen Fällen eine geeignetere Rechtsgrundlage für die Vereinbarkeit der Beihilfen bieten kann als die De-minimis-Vorschriften. |
4.6. |
Der EWSA stellt ferner fest, dass der Rechtsrahmen für Beihilfen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse von den öffentlichen Behörden in Bezug auf Gesundheits- und Sozialdienstleistungen nicht angemessen ausgeschöpft wird. Die zuständigen Behörden nutzen nämlich den Ermessensspielraum, den ihnen die Verträge in Bezug auf die Einstufung bestimmter Tätigkeiten als DAWI einräumen, oftmals nicht. Der EWSA ist der Auffassung, dass dieser Ermessensspielraum bei Gesundheits- und Sozialdienstleistungen in besonderem Maße besteht, und zwar sowohl aus Gründen der vertikalen Subsidiarität und des sozialen Zusammenhalts als auch wegen des Fehlens spezifischer regulatorischer Zwänge, die beispielsweise für andere, wirtschaftlich relevantere DAWI gelten, z. B. netzgebundene Wirtschaftszweige. |
4.7. |
Der EWSA stellt fest, dass Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c des Beschlusses 2021/21/EU, in dem festgelegt wird, unter welchen Voraussetzungen bestimmte Beihilfen für DAWI als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden, keine Obergrenze für „Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zur Deckung des sozialen Bedarfs im Hinblick auf Gesundheitsdienste und Langzeitpflege, Kinderbetreuung, den Zugang zum und die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, den sozialen Wohnungsbau sowie die Betreuung und soziale Einbindung sozial schwacher Bevölkerungsgruppen“ vorsieht. Der EWSA fordert daher die nationalen Behörden auf, diese Rechtsvorschriften stärker zu nutzen. |
4.8. |
Der EWSA stimmt der Feststellung zu, dass der Bereich der Gesundheits- und Sozialdienstleistungen bereits seit langem als Trennlinie zwischen der negativen Auslegung der DAWI-Bestimmungen als Ausnahme vom EU-Wettbewerbsrecht und der neuen positiven Auslegung dieser Bestimmungen als Ausdruck der Rechte der Bürgerinnen und Bürger fungiert (Fiedziuk, Services of general economic interest and the Treaty of Lisbon: Opening doors to a whole new approach or maintaining the „status quo“, European Law Review, 2011, S. 229). |
4.9. |
Die Anwendung der DAWI-Vorschriften für die nationalen Behörden ist aus technischen und bürokratischen Gründen oft schwierig, insbesondere im Hinblick auf spezifische Betrauungsakte oder die Möglichkeit, komplexe Rechtsbegriffe wie „angemessener Gewinn“ anzuwenden. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass der bürokratische Aufwand und der Befolgungsaufwand für die netzgebundenen Wirtschaftszweige mit einer starken Handelsstruktur auch auf den ganz anders beschaffenen Bereich der Gesundheits- und Sozialdienstleistungen ausgeweitet werden, was sich im Hinblick auf rein soziale Dienstleistungen, die zumeist auf lokaler Ebene erbracht werden, als problematisch erweisen kann (Merola, 2012, ESTLQ, 2/2012, S. 29). |
4.10. |
Der EWSA fordert daher spezifische Investitionen auf nationaler und europäischer Ebene, um die nationalen Verwaltungen in Bezug auf das Potenzial der DAWI-Vorschriften, insbesondere im Bereich der Gesundheits- und Sozialdienste, zu schulen, und spricht sich dafür aus, dass bewährte nationale Verfahren und Erfahrungen zusammengetragen und als Referenzbeispiele zugänglich gemacht werden. |
4.11. |
Der EWSA betont in diesem Zusammenhang den großen praktischen Nutzen, den der „Leitfaden zur Anwendung der Vorschriften der Europäischen Union über staatliche Beihilfen, öffentliche Aufträge und den Binnenmarkt auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse und insbesondere auf Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse“ (SWD(2013) 53 final/2) in der Vergangenheit gezeigt hat, und fordert, diesen vor über zehn Jahren erstmals veröffentlichten Leitfaden zu aktualisieren. |
4.12. |
Der EWSA begrüßt, dass in den politischen Leitlinien für die neue Europäische Kommission 2024–2029 Folgendes angekündigt wird: „Wir werden auch unsere Beihilfevorschriften überarbeiten, um Fördermaßnahmen, insbesondere für erschwinglichen energieeffizienten und sozialen Wohnraum, zu ermöglichen“. Er weist darauf hin, dass die Vorschriften über staatliche Beihilfen als Ausgleich für die Erbringung von DAWI in dieser Hinsicht von Bedeutung sein können, auch mit Blick darauf, was sozialwirtschaftliche Einrichtungen bei der Bekämpfung der Wohnungskrise erreichen können, wie das Wohnungsgenossenschaften, Wohnungsstiftungen, Gegenseitigkeitsgesellschaften und viele gemeinnützige Organisationen unter Beweis gestellt haben. |
4.13. |
Schließlich weist der EWSA darauf hin, dass bei Finanzierungen z. B. aus dem ESF und EFRE, die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen durch Flexibilitätsklauseln gelockert werden könnte. Derzeit unterliegen diese Fonds zwar weitgehend dem EU-Recht, aufgrund des Ermessensspielraums der nationalen Behörden gelten für sie aber die Vorschriften für staatliche Beihilfen, die wiederum nicht auf Fonds rein europäischen Ursprungs angewandt werden, die ohne Eingreifen der Mitgliedstaaten auf EU-Ebene verwaltet werden. |
4.14. |
Am 12. Februar 2024 unterzeichneten Vertreter von 19 Regierungen unter belgischem Ratsvorsitz den Fahrplan von Lüttich für die Sozialwirtschaft in der EU, in dem 25 spezifische Verpflichtungen für die Umsetzung des Aktionsplans für die Sozialwirtschaft vorgeschlagen werden. Der EWSA hofft, dass die neue Kommission diese Vorschläge während ihres Mandats berücksichtigen wird. |
Brüssel, den 22. Januar 2025
Der Präsident
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Oliver RÖPKE
(1) Study on State aid for access to finance for social enterprises and for the recruitment of disadvantaged workers in the form of wage subsidies .
(2) In Bezug auf die Definition von Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen wird auf den Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte bzw. insbesondere auf die Mitteilung zur Europäischen Strategie für Pflege und Betreuung (COM(2022) 440 final) verwiesen.
ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2025/1183/oj
ISSN 1977-088X (electronic edition)