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Amtsblatt
der Europäischen Union

DE

Serie C


C/2024/1823

11.3.2024

Urteil des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 25. Januar 2024 (Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato — Italien) — GC u. a./Croce Rossa Italiana, Ministero della Difesa, Ministero della Salute, Ministero dell’Economia e delle Finanze, Presidenza del Consiglio dei ministri

(Rechtssache C-389/22 (1), Croce Rossa Italiana u. a.)

(Vorlage zur Vorabentscheidung - Art. 267 AEUV - Umfang der Vorlagepflicht der in letzter Instanz entscheidenden einzelstaatlichen Gerichte - Ausnahmen von dieser Pflicht - Kriterien - Fälle, in denen die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass kein Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt - Voraussetzung, dass das in letzter Instanz entscheidende einzelstaatliche Gericht überzeugt sein muss, dass auch für die letztinstanzlichen Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde - Richtlinie 1999/70/EG - EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit - Paragrafen 2 und 3 - Begriff „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ - Mitglieder des Militärkorps des italienischen Roten Kreuzes - Paragraf 5 - Maßnahmen zur Verhinderung und gegebenenfalls zur Ahndung von Missbräuchen durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse - Umwandlung des Status von „befristet beschäftigte Arbeitnehmer“ in den Status „Dauerbeschäftigte“ - Paragraf 4 - Grundsatz der Nichtdiskriminierung)

(C/2024/1823)

Verfahrenssprache: Italienisch

Vorlegendes Gericht

Consiglio di Stato

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: GC u. a.

Beklagte: Croce Rossa Italiana, Ministero della Difesa, Ministero della Salute, Ministero dell’Economia e delle Finanze, Presidenza del Consiglio dei ministri

Tenor

1.

Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, davon absehen kann, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung des Unionsrechts vorzulegen und sie stattdessen in eigener Verantwortung lösen darf, wenn die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt. Ob eine solche Möglichkeit besteht, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Europäischen Union zu beurteilen. Das einzelstaatliche Gericht muss nicht substantiiert darlegen, dass die letztinstanzlichen Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und der Gerichtshof die gleiche Auslegung vornehmen würden, es muss aber anhand einer Beurteilung unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte zu der Überzeugung gelangt sein, dass auch für diese anderen einzelstaatlichen Gerichte und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde.

2.

Paragraf 5 Nr. 1 der am 28. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge enthalten ist,

ist dahin auszulegen, dass er

auf ein Verhältnis, wie es zwischen den zur Ableistung eines vorübergehenden Dienstes einberufenen Beschäftigten des Militärkorps des Croce Rossa Italiana (italienisches Rotes Kreuz) und Letzterem besteht insoweit Anwendung findet, als dieses Verhältnis als „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse“ im Sinne der Rahmenvereinbarung eingestuft werden kann, und,

sofern er auf ein solches Verhältnis anwendbar ist, einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Verlängerung und die Erneuerung von Einberufungsbefehlen über mehrere Jahre und ohne Unterbrechung für solche Beschäftigte erlaubt, sofern diese Regelung keine in Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a bis c genannte Maßnahme zur Vermeidung und gegebenenfalls Ahndung einer missbräuchlichen Verwendung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen oder gleichwertige gesetzliche Maßnahmen enthält.

3.

Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, wie er mit dem Paragrafen 4 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, die im Anhang der Richtlinie 1999/70 enthalten ist, umgesetzt und konkretisiert wurde,

ist dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die nach der Neuordnung einer Einrichtung wie dem italienischen Roten Kreuz Personen wie den Beschäftigten des Militärkorps dieser Einrichtung, die zur Erbringung eines kontinuierlichen Dienstes einberufen sind, erlaubt, ihre Tätigkeit im Dienst dieser Einrichtung weiter auszuüben, diese Möglichkeit aber nicht für Personen wie die Beschäftigten dieses Militärkorps vorsieht, die zur Erbringung eines vorübergehenden Dienstes einberufen sind, deren Tätigkeit im Dienst dieser Einrichtung zu dem hierzu vorgesehenen Zeitpunkt geendet hat.


(1)   ABl. C 35 vom 30.1.2023.


ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/1823/oj

ISSN 1977-088X (electronic edition)