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Amtsblatt
der Europäischen Union

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Serie C


C/2024/1379

19.2.2024

Urteil des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 21. Dezember 2023 (Vorabentscheidungsersuchen des Kammergerichts Berlin — Deutschland) — in dem von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin betriebenen Verfahren betreffend die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (Generalstaatsanwaltschaft Berlin)

(Rechtssache C-396/22 (1), Generalstaatsanwaltschaft Berlin [Verurteilung in Abwesenheit])

(Vorlage zur Vorabentscheidung - Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen - Rahmenbeschluss 2002/584/JI - Europäischer Haftbefehl - Art. 4a Abs. 1 - Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten - Vollstreckungsvoraussetzungen - Gründe, aus denen die Vollstreckung abgelehnt werden kann - Ausnahmen - Pflicht zur Vollstreckung - In Abwesenheit verhängte Strafe - Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ - Verfahren, in dem zuvor verhängte Strafen abgeändert werden - Entscheidung, mit der eine Gesamtstrafe gebildet wird - Entscheidung, die ergangen ist, ohne dass der Betroffene persönlich erschienen wäre - Nationale Regelung, die ein absolutes Verbot der Übergabe des Betroffenen im Fall einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung vorsieht - Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung)

(C/2024/1379)

Verfahrenssprache: Deutsch

Vorlegendes Gericht

Kammergericht Berlin

Partei des Ausgangsverfahrens

Klägerin: Generalstaatsanwaltschaft Berlin

Tenor

1.

Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Wendung „Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat“ in dieser Bestimmung ein Verfahren, in dem ein Urteil ergangen ist, mit dem aus zuvor verhängten Strafen nachträglich eine Gesamtstrafe gebildet wurde, erfasst, wenn das Organ, das dieses Urteil erlassen hat, in diesem Verfahren weder den gegen den Betroffenen ergangenen Schuldspruch überprüfen noch die zuvor verhängten Strafen abändern kann, ihm aber ein Ermessen bei der Festlegung der Höhe dieser Gesamtstrafe zusteht.

2.

Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung zur Umsetzung dieser Bestimmung, die es einer vollstreckenden Justizbehörde generell verwehrt, einen zur Vollstreckung einer Strafe ausgestellten Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken, wenn der Betroffene in der Verhandlung, die zu der betreffenden Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen ist, gegen die genannte Bestimmung verstößt. Ein nationales Gericht ist verpflichtet, diese nationale Regelung unter Berücksichtigung seines gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der nach diesem Recht anerkannten Auslegungsmethoden so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks dieses Rahmenbeschlusses auszulegen.


(1)   ABl. C 359 vom 19.9.2022.


ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2024/1379/oj

ISSN 1977-088X (electronic edition)