ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 146

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

66. Jahrgang
27. April 2023


Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

ENTSCHLIEßUNGEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

576. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 22.2.2023-23.2.2023

2023/C 146/01

Entschließung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: Ukraine: Ein Jahr nach der russischen Invasion — die Perspektive der europäischen Zivilgesellschaft

1

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

576. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 22.2.2023-23.2.2023

2023/C 146/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Energiepolitik und Arbeitsmarkt: beschäftigungspolitische Folgen der Energiewende für die betroffenen Regionen (Initiativstellungnahme)

4

2023/C 146/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Unterstützung der Arbeitsmarktentwicklung: Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit, Steigerung der Produktivität und Entwicklung von Kompetenzen, insbesondere in KMU (Initiativstellungnahme)

15


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

576. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 22.2.2023-23.2.2023

2023/C 146/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 260/2012 und (EU) 2021/1230 im Hinblick auf Sofortüberweisungen in Euro(COM(2022) 546 final — 2022/0341 (COD))

23

2023/C 146/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erhebung und den Austausch von Daten im Zusammenhang mit Dienstleistungen im Bereich der kurzfristigen Vermietung von Unterkünften und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1724(COM(2022) 571 final — 2022/0358 (COD))

29

2023/C 146/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Behandlung von kommunalem Abwasser(COM(2022) 541 final — 2022/0345 (COD))

35

2023/C 146/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, der Richtlinie 2006/118/EG zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung und der Richtlinie 2008/105/EG über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik(COM(2022) 540 final — 2022/0344 (COD))

41

2023/C 146/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Luftqualität und saubere Luft für Europa(COM(2022) 542 final — 2022/0347 (COD))

46

2023/C 146/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Mitteilung über Leitlinien für eine Reform des EU-Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung (COM(2022) 583 final)

53

2023/C 146/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2023(COM(2022) 780 final)

59


 

Berichtigungen

2023/C 146/11

Berichtigung des Untertitels 575. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 14.12.2022-15.12.2022 in Abschnitt I (Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen) unter der Überschrift Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss( ABl. C 140 vom 21.4.2023 )

65

2023/C 146/12

Berichtigung des Untertitels 575. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 14.12.2022-15.12.2022 in Abschnitt III (Vorbereitende Rechtsakte) unter der Überschrift Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss( ABl. C 140 vom 21.4.2023 )

66


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

ENTSCHLIEßUNGEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

576. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 22.2.2023-23.2.2023

27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/1


Entschließung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema: „Ukraine: Ein Jahr nach der russischen Invasion — die Perspektive der europäischen Zivilgesellschaft“

(2023/C 146/01)

Berichterstatter:

Stefano MALLIA

Oliver RÖPKE

Séamus BOLAND

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 4 der Geschäftsordnung

Verabschiedung im Plenum

23.2.2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

160/1/4

DER EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS (EWSA),

Zum Beitritt der Ukraine zur EU

1.

weist darauf hin, dass Ukrainerinnen und Ukrainer nach wie vor für die Verteidigung der Demokratie ihr Leben lassen und dass das entschlossene Streben des Landes in die EU in konkreter und praktischer Weise anerkannt werden muss;

2.

betont, dass die Erweiterung für beide Seiten von Vorteil ist, da sie zur Stabilität der EU beiträgt, ihre geopolitische Position stärkt, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker fördert (1) und allen durch einen größeren Binnenmarkt Vorteile bringt, wobei der Weg dorthin der Ukraine zugleich helfen wird, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu stärken;

3.

betont, dass die EU in Bezug auf den Beitrittsprozess der Ukraine geschlossen auftreten muss, und schlägt vor, dem Beispiel anderer osteuropäischer Länder zu folgen, die der EU zwischen 2004 und 2013 beigetreten sind. Dies erfordert die Einrichtung von Arbeitsgruppen zur Integration in die EU unter der Ägide der jeweiligen Ministerien, um Beamte in Fragen der Angleichung an die Standards, Normen, Verfahren und den Besitzstand der EU im Allgemeinen zu schulen;

4.

stellt fest, dass die Regeln für den Beitritt zur EU eingehalten werden müssen, dass jedoch klar ist, dass der Beitrittsprozess der Ukraine (wie bei allen Bewerberländern des westlichen Balkans und der Östlichen Partnerschaft) nach möglichst praktischen Gesichtspunkten und auf der Grundlage der Umsetzung der notwendigen Reformen in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Grundfreiheiten, Marktwirtschaft und Umsetzung des EU-Besitzstands durchgeführt werden muss;

Zum internationalen Sondergerichtshof für Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine und zu Sanktionen gegen die Russische Föderation

5.

unterstützt uneingeschränkt die Entschließung des Europäischen Parlaments (2), in der die Einrichtung eines internationalen Sondergerichtshofes für Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine gefordert wird. Dieser Gerichtshof sollte in enger Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und den Vereinten Nationen eingerichtet werden; fordert die EU ferner nachdrücklich auf, bei der internationalen Unterstützung der Untersuchung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord voranzugehen;

6.

unterstützt die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Einstufung der Russischen Föderation als dem Terrorismus Vorschub leistender Staat (3) und begrüßt insbesondere die Ziffer, in der die EU und ihre Mitgliedstaaten aufgefordert werden, einen EU-Rechtsrahmen für die Einstufung eines Landes als dem Terrorismus Vorschub leistender oder terroristische Mittel einsetzender Staat auszuarbeiten. Die Umsetzung eines solchen EU-Rechtsrahmens sollte zu erheblichen wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Sanktionen gegen entsprechend eingestufte Länder führen;

7.

bringt seine Unterstützung für den Vorschlag zum Ausdruck, die Wagner-Gruppe in die EU-Terroristenliste aufzunehmen;

Zur Verhinderung von „Ukraine-Müdigkeit“

8.

betont, dass es für die Demokratie weltweit eine Katastrophe wäre, wenn die Ukraine den Krieg gegen Russland verlieren würde. Die EU muss alles in ihrer Macht Stehende tun, um eine „Ukraine-Müdigkeit“ zu verhindern. Die EU als Friedensprojekt ist moralisch verpflichtet, die Ukraine so lange wie nötig und mit allen denkbaren Kräften, u. a. auch durch humanitäre Hilfe und Infrastruktur, zu unterstützen;

Zum Wiederaufbau und zur Unterstützung der Ukraine

9.

weist darauf hin, dass die EU bereits jetzt Pläne und Instrumente für den Wiederaufbau der Ukraine ausarbeiten muss. Die von vielen Akteuren getragene Geberkoordinierungsplattform für die Ukraine ist ein starkes Zeichen dafür, dass die internationale Gemeinschaft der Ukraine jetzt und auch künftig zur Seite steht. Dabei gilt es jedoch, den Schwerpunkt nicht nur auf kurzfristige Hilfe, sondern auch auf den langfristigen Wiederaufbau der Ukraine zu legen;

10.

betont, dass Pläne für den Wiederaufbau und die Unterstützung der Gesellschaft und Infrastruktur der Ukraine faire Arbeitsbedingungen, die Durchsetzung des Arbeitsrechts, die Förderung menschenwürdiger Arbeit und das Recht auf ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für alle umfassen sollten;

11.

betont, dass der Wiederaufbau der Ukraine eine gewaltige Aufgabe ist und dass jetzt alles dafür getan werden muss, damit die Ukrainer nach dem Ende des Krieges so rasch wie möglich zu einem normalen Leben zurückkehren und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft aufbauen können, die den grünen, den digitalen und den gerechten Übergang bewältigt und Wohlstand für alle Ukrainer schafft. Darüber hinaus sollte auch die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Ukraine unterstützt werden, die infolge des russischen Überfalls verloren gegangen sind;

12.

fordert die Einbeziehung der Sozialpartner und der Organisationen der organisierten Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung, Umsetzung und Überwachung der Pläne für den Wiederaufbau und die Erholung der Ukraine. Dies wird für Transparenz und Fairness sorgen und sicherstellen, dass die Mittel dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten benötigt werden;

13.

weist darauf hin, dass es im beiderseitigen Interesse der EU und der Ukraine liegt, ukrainischen Unternehmen in all ihrer Vielfalt dabei zu helfen, in Zeiten des Krieges zu überleben, und sie dabei zu unterstützen, die Grundlagen für eine florierende Wirtschaft in der Wiederaufbauphase zu schaffen. Über die Einbindung in das Binnenmarktprogramm hinaus muss der Ukraine auch Zugang zu anderen wichtigen EU-Programmen gewährt werden. Für Unternehmen sind weitere und verbesserte Unterstützungsmaßnahmen in den Bereichen Wissensaustausch, Logistik und Zugang zu direkter und indirekter Finanzierung erforderlich;

14.

fordert trotz der damit verbundenen Herausforderungen, den sozialen Dialog in der Ukraine noch unter den Bedingungen des Kriegsrechts wiederaufzunehmen. Der soziale Dialog steht im Mittelpunkt der Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine und wird eines der wichtigsten Instrumente der Konsultationen zwischen Regierung, Arbeitgebern und Arbeitnehmern über Fragen des wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbaus des Landes sein;

15.

begrüßt die positiven dreiseitigen Vereinbarungen über die Reformen des Arbeitsrechts in der Ukraine und die erwartete Verbesserung der Rechtsvorschriften über Tarifverträge und betont, dass Experten aus der Ukraine, der IAO und der EU in die Umsetzung internationaler Arbeitsnormen und sozialer und arbeitsrechtlicher Garantien einbezogen werden müssen;

Zur Unterstützung der Zivilgesellschaft und zu direkten persönlichen Kontakten

16.

würdigt die Solidarität der Organisationen der Zivilgesellschaft in der EU und der Ukraine, die Erstunterstützung und Hilfe für Menschen, die vor dem Krieg fliehen, geleistet haben;

17.

betont, wie wichtig es ist, ein EU-Instrument zur Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft einzurichten, indem Finanzmittel bereitgestellt und ihre Beteiligung an den zivilgesellschaftlichen Netzen auf EU-Ebene erleichtert wird. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Bereitstellung und Koordinierung finanzieller und administrativer Unterstützung für die Plattform der Zivilgesellschaft „EU-Ukraine“ im Rahmen des Assoziierungsabkommens EU-Ukraine und für andere ukrainische Organisationen der Zivilgesellschaft, einschließlich Dachverbänden mit Sitz in Brüssel und Organisationen der ukrainischen Diaspora, gewidmet werden;

18.

fordert, dass die Haushaltsmittel im Rahmen des Programms Erasmus+ für die Ukraine im Jahr 2024 aufgestockt werden, damit weitere 1 000 Teilnehmer aus der Ukraine von dem Programm profitieren können und so Brücken zwischen der Zivilgesellschaft der EU und der Ukraine gebaut und gestärkt werden; ist der Auffassung, dass derartige Praktika und Austauschmöglichkeiten innerhalb des EWSA und weiterer EU-Institutionen das Bewusstsein der ukrainischen Jugend für die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile der EU-Integration schärfen würden.

Brüssel, den 23. Februar 2023

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union.

(2)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Januar 2023 zur Einrichtung eines Gerichtshofs für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine (2022/3017(RSP)).

(3)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. November 2022 zur Einstufung der Russischen Föderation als dem Terrorismus Vorschub leistender Staat (2022/2896(RSP)).


STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

576. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 22.2.2023-23.2.2023

27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/4


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Energiepolitik und Arbeitsmarkt: beschäftigungspolitische Folgen der Energiewende für die betroffenen Regionen“

(Initiativstellungnahme)

(2023/C 146/02)

Berichterstatterin:

Maria del Carmen BARRERA CHAMORRO

Beschluss des Plenums

20.1.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 GO

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

30.1.2023

Verabschiedung auf der Plenartagung

22.2.2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

123/43/20

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stellt fest, dass die Verschärfung der negativen Auswirkungen des Klimanotstands sowie die Unsicherheiten und Krisen infolge der neuen geopolitischen Gegebenheiten und der Lage auf dem Energiemarkt die EU dazu zwingen, den Übergang zu sauberer Energie drastisch zu beschleunigen und Europa unabhängiger von unzuverlässigen Energielieferanten und schwankungsanfälligen fossilen Brennstoffen zu machen. Er begrüßt daher die einschlägigen Pläne der Europäischen Kommission (z. B. den REPowerEU-Plan und seine zusätzliche Finanzierung über die Aufbau- und Resilienzfazilität).

1.2.

Der EWSA weist ebenfalls darauf hin, dass sich Umweltrisiken (Klimanotstand) und Energierisiken (Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen) auf die Wirtschaftstätigkeiten und alle damit verbundenen politischen Maßnahmen auf unterschiedliche Weise auswirken und in hohem Maße die am stärksten gefährdeten Regionen, Branchen, Arbeitnehmer und Bevölkerungsgruppen treffen. Er hält es daher für notwendig, besonderes Augenmerk auf die Zielregionen für einen gerechten Übergang zu legen, in denen es eine engere Verknüpfung zwischen der Entwicklung des Energiesektors und den Anforderungen des Arbeitsmarkts gibt und spezifische politische Maßnahmen ergriffen werden müssen.

1.3.

In diesem Zusammenhang zeigen die aussagekräftigsten Studien, dass ein erfolgreicher ökologischer Wandel im Allgemeinen und eine erfolgreiche Energiewende im Besonderen das BIP (einigen Studien zufolge beträgt die Zunahme des BIP 5,6 % bis 2050) und das Beschäftigungsniveau steigern könnten. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) und der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) werden viermal mehr Arbeitsplätze geschaffen als verloren gehen. Zudem wird die Qualität der Arbeitsplätze (aufgrund der höheren erforderlichen Qualifikationen) steigen. Die Verbilligung von Energie durch die Steigerung verfügbarer Energiequellen, insbesondere erneuerbarer Quellen, die im Rahmen einer angemessenen grünen Taxonomie der EU ermittelt und gefördert werden, führt zu einer Verbesserung des Zugangs zu diesen Dienstleistungen wie auch der Produktion, wodurch mehr Arbeitsplätze entstehen. Gemeinhin ist es schwieriger, die im Bereich der erneuerbaren Energien entstandenen Arbeitsplätze zu verlagern, was vielen Regionen zugutekommen wird — insbesondere solchen, die in höherem Maße von Entvölkerung bedroht sind. Auch sollten die positiven Auswirkungen der Arbeitsumgebungen auf die Gesundheit Berücksichtigung finden.

1.4.

Der EWSA ist dennoch sehr besorgt über die schwerwiegenden und negativen — kurz- und mittelfristigen — Folgen der Energiewende in den Bereichen Wirtschaft, Beschäftigung und Soziales, die durch die gegenwärtige Krise im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg und die Wirtschaftslage (hohe Inflation) noch verschärft werden. Steigende Energiepreise beeinträchtigen die finanziell schwächsten Haushalte wie auch viele Unternehmen in der gesamten EU. Teure Energierechnungen erhöhen die Kosten für die Unternehmen und wirken sich auf ihr Produktions- und Beschäftigungsniveau aus, sodass sie letztlich Umstrukturierungen erwägen müssen. Das zeigt, dass die Energiepolitik und ihr Wandel für die Anpassung und das Gleichgewicht der Akteure des Arbeitsmarkts, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, von wesentlicher Bedeutung sind. Deshalb ist es notwendig, den Energiemarkt umgehend zu stabilisieren und durch die neuen Vorschriften, die dem zweifachen — grünen und digitalen — Wandel, der Resilienz und der Wettbewerbsfähigkeit Rechnung tragen sollten, zukunftsfähig zu machen.

1.5.

Um diese negativen Auswirkungen der Energiewende im aktuellen Kontext der neuen Notlagen zu korrigieren oder abzufedern, schlägt der EWSA vor, dass die Mitgliedstaaten angemessene Wege prüfen, um die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen (Stimulierung hochwertiger nachhaltiger Beschäftigung als Mehrwert der Energiewende; Fonds zur Umverteilung der Kosten infolge zeitweiliger bzw. endgültiger Umstrukturierungen; Umschulungsprogramme zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit in einer CO2-armen Wirtschaft usw.) und die sozialpolitischen Maßnahmen (Garantien für den allgemeinen Zugang zu Energiedienstleistungen, Zugang zu Entgeltersatzleistungen, angemessenen Mindesteinkommen usw. gewähren) besser in den Rechtsrahmen und die Umwelt- und Energiepolitik zu integrieren. Im Rahmen der nationalen Maßnahmen zur Umsetzung des Aktionsplans zur europäischen Säule sozialer Rechte sollte diese Integration stets mithilfe des sozialen Dialogs und von Tarifverhandlungen erreicht werden, unbeschadet der Autonomie und Vielfalt der verschiedenen Systeme der Arbeitsbeziehungen in den einzelnen Staaten.

1.6.

Angesichts dieser äußerst komplexen Herausforderungen schlägt der EWSA vor, den Wechselbeziehungen zwischen den Bereichen Energiewende, Arbeitsmärkte und regionale Entwicklung im Zuge einer erneuerten Politik des (wirtschaftlichen, sozialen und territorialen) Zusammenhalts Vorrang einzuräumen. Obschon das Verhältnis zwischen der EU-Energiepolitik und dem Arbeitsmarkt in einem regionalen Kontext für alle EU-Regionen relevant ist, sind die Zielregionen für einen gerechten Übergang ein Sonderfall. Sie sind stark geprägt durch konventionelle Energien und die Auswirkungen auf die damit zusammenhängenden Industriezweige. Zu diesem Zweck sollten nützliche Indikatoren, wie der Indikator für das Beschäftigungspotenzial der Dekarbonisierung, berücksichtigt werden. Der EWSA bekräftigt seine Überzeugung, dass im Interesse einer effektiven Verwirklichung der Ziele der Klimapolitik und der Energiewende der Mechanismus für einen gerechten Übergang wirksam eingesetzt werden sollte. Dabei ist ein Tempo zu wählen, das der Lage von Klein- und Großunternehmen entspricht. Unter diesen Bedingungen müssen neue ergänzende Maßnahmen auf regionaler Ebene durchgeführt werden, um so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten und um sicherzustellen, dass die neuen Arbeitsplätze von guter Qualität sind. Dies muss immer — praktisch oder effektiv — den sozialen Dialog und Tarifverhandlungen sowie sozialwirtschaftliche Einrichtungen einschließen. Die Kommission sollte diese wichtige soziale Dimension fördern. Alle erwogenen Maßnahmen oder Strategien müssen stets so formuliert sein, dass die Merkmale der nationalen Systeme der Arbeitsbeziehungen sowie die Rolle, Zuständigkeit und Autonomie der Sozialpartner geachtet werden.

1.7.

Der EWSA ersucht die Kommission und das Parlament, die Mitgliedstaaten und die Regionen der EU, die Sozialpartner und andere Organisationen der Zivilgesellschaft auf innovativere und wirkungsvollere Weise in die Konzipierung und Umsetzung von Strategien für die Energiewende mit hohem Mehrwert für Beschäftigung und Sozialschutz sowie in deren Überwachung und Bewertung einzubeziehen. In den einschlägigen Fallstudien wurde bereits auf die territorialen Ungleichgewichte in diesem Bereich hingewiesen. Deshalb werden die Kommission und die Mitgliedstaaten aufgefordert, Maßnahmen für eine ausgewogenere territoriale und sozioökonomische Entwicklung — im Zuge des sozialen Dialogs und unter Beteiligung der Sozialwirtschaft — zu ergreifen. So könnten etwa Konsultationen und gegebenenfalls Sozialpakte gefördert werden, um eine wirtschafts-, beschäftigungs- und sozialpolitisch gerechte Energiewende zu gewährleisten.

1.8.

Der EWSA hält es für notwendig, angesichts der derzeitigen geopolitischen Krise und der negativen Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Großunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der EU und auf die finanziell schwächsten Haushalte die Maßnahmen für öffentliche und private Investitionen und für eine soziale Abfederung zu verstärken. Unter anderem sollte der REPowerEU-Plan im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität dazu genutzt werden, die Marktbedingungen zu stabilisieren und die Grundversorgung der europäischen Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen. Dafür sind dringend mehr wirtschaftliche und soziale Investitionen erforderlich (bspw. Ausgleichszahlungen für höhere Unternehmenskosten, Garantie von Mitteln zur Verhinderung von Energiearmut usw.), ohne aber die gesteckten Dekarbonisierungsziele zu senken. Denn eine weitere Verlangsamung des Prozesses zum jetzigen Zeitpunkt wäre negativer als eine mittel- bis langfristige Beschleunigung.

1.9.

Der EWSA ist der Ansicht, dass sowohl Großunternehmen als auch KMU eine wichtige Rolle dabei zukommt, das Ziel der Energiewende zu erreichen. Diesbezüglich gelten anspruchsvolle Bedingungen für die Förderung nachhaltiger und hochwertiger Arbeitsplätze und des sozialen Schutzes sowie für die Gewährleistung des Zugangs zu Energiedienstleistungen für alle (z. B. durch die Verhinderung von Energiearmut). Um die größten Schwierigkeiten der KMU anzugehen, fordert der EWSA indes, die Programme für ihren Zugang zu Finanzmitteln zu verbessern, zu erleichtern und zu vereinfachen. Ebenso sind Dienste für eine kontinuierliche Unterstützung und Begleitung erforderlich.

1.10.

Der EWSA empfiehlt ferner eine stärkere Beteiligung von Prosumenten (die von passiven Energieverbrauchern zu aktiven Bürgern und Erzeugern erneuerbarer Energien werden) und Bürgern (Energiegemeinschaften), um die Energiewende in Europa zu beschleunigen.

1.11.

Der EWSA ist der Auffassung, dass territoriale Pläne für die Energiewende von geeigneten Vereinbarungen oder Abkommen für eine faire soziale Konsultation flankiert werden sollten. Darin müssen die Schaffung und Aufrechterhaltung nachhaltiger hochwertiger Beschäftigung und die Unterstützung der Menschen notwendige Voraussetzungen für die Konzeption, Umsetzung und Bewertung der geplanten Maßnahmen sein. Dies gilt auch für die zur Förderung der Energiewende erhaltenen Mittel.

1.12.

Die derzeitigen Erfahrungen mit dem sozialen Dialog und den Tarifverhandlungen im Zusammenhang mit der Energiewende auf makroökonomischer Ebene sind jedoch nicht positiv. In den meisten Ländern gilt die Beteiligung der Sozialpartner an der Gestaltung, Umsetzung und Entwicklung von Maßnahmen im Zusammenhang mit dem zweifachen (digitalen und grünen) Wandel als unzureichend.

2.   Hintergrund und Kernpunkte

2.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt, dass sich die EU als einer der größten CO2-Emittenten der Welt verbindlich dazu verpflichtet hat, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Diese Zusage wurde auf der COP 27 (7./8. November 2022) trotz der Zweifel anderer weltweiter Emittenten erneuert. Er betont jedoch, dass die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft und des Energiesystems der EU in den kommenden Jahren nicht nur von der Verwirklichung eines solchen Umweltziels abhängen wird. Vielmehr geht es auch um die Frage, ob der Wandel für alle gerecht ist und zur Förderung einer nachhaltigen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft und einem hohen Niveau guter Arbeitsplätze beiträgt.

2.2.

Der EWSA erkennt in seiner Rahmenstellungnahme „Eine strategische Vision der Energiewende für eine nachhaltige Entwicklung“ (1) die Chancen des Prozesses der Dekarbonisierung für den wirtschaftlichen Wohlstand an. Er warnt aber auch vor den sozialen und wirtschaftlichen Risiken im Zusammenhang mit der derzeitigen Energiekrise. Zu den konjunkturellen Problemen, die zusätzlichen Druck erzeugen und die Verwirklichung der gesteckten Dekarbonisierungsziele erschweren (Ukraine-Krieg, Inflationskrise usw.), kommen strukturelle Probleme, wie etwa der Klimawandel, dessen negative Auswirkungen auf die EU und ihre Regionen immer deutlicher sichtbar werden.

2.3.

Der EWSA ist sich bewusst, dass hohe Gas- und Strompreise schwerwiegende Folgen für alle Unternehmen wie auch für die finanziell schwächsten Haushalte haben. Die Inflationsspirale führt zur Schließung von Industriebetrieben (z. B. Slovalco in der Slowakei) und schadet der Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher Unternehmen.

2.4.

Der EWSA nimmt ferner die Berichte von Eurofound (2) zur Kenntnis, denen zufolge die Energiearmut zugenommen hat. Die Mitgliedstaaten haben zwar deutlich mehr Anstrengungen unternommen, um soziale Maßnahmen zur Abmilderung der sozioökonomischen Folgen neuer Krisen und Notfälle zu ergreifen, die sich aber als unzureichend erweisen. Daher ist es wichtig, die sozialen Ziele zu stärken. Wie die Europäische Umweltagentur betont, müssen Konzipierung und Umsetzung von Paketen von Klimaschutzpolitiken und -maßnahmen die Verteilung der sozialen Auswirkungen berücksichtigen und dazu beitragen, dass sie fairer werden, sofern sie sich nicht vermeiden lassen (Exploring the social challenges of low carbon energy policies in Europe, Oktober 2021 (3)).

2.5.

Angesichts neuer Notlagen fordert der EWSA die EU und die Mitgliedstaaten auf, die gezielten Maßnahmen zur Abfederung der schädlichsten wirtschafts-, sozial- und beschäftigungspolitischen Folgen der Verwirklichung ehrgeiziger Klimaziele auszuweiten und zu verstärken, ohne diese Ziele jedoch grundsätzlich in Frage zu stellen. Er ist zudem der Ansicht, dass diese Strategien in die Kohäsionspolitik eingebettet werden sollten. Die Bedeutung kohäsionspolitischer Maßnahmen im Rahmen der EU-Klimapolitik wurde bereits in der EWSA-Stellungnahme ECO/579 (4) unterstrichen. Gleichzeitig wurden Maßnahmen zur Erleichterung der Anpassung der Unternehmen an die Erfordernisse der Energiewende, einschließlich der sich daraus ergebenden Umstrukturierungen, und zur Vermeidung von Energiearmut hervorgehoben.

2.6.

Auf einer stärker strukturellen Ebene zielt das Paket „Fit für 55“ darauf ab, die EU-Rechtsvorschriften zu überarbeiten, zu aktualisieren und Initiativen einzuleiten. Damit soll sichergestellt werden, dass die EU-Maßnahmen mit den vom Rat und dem Europäischen Parlament vereinbarten Klimazielen im Einklang stehen, wie sie durch den europäischen Grünen Deal zugesagt und in den europäischen Klimavorschriften verbindlich verankert wurden. Der EWSA ist daher der Auffassung, dass Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimanotstands zu großen wirtschaftlichen Veränderungen führen und kurz-, mittel- und langfristig soziale Störungen mit Folgen für Beschäftigung und Wohlstand, insbesondere in bestimmten Regionen, verursachen können. Außerdem kann es keinen sozialen Fortschritt ohne solide Wirtschaftsleistung geben, ebenso wenig ist ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum ohne einen sozial- und beschäftigungspolitisch gerechten Übergang im Umwelt- und Energiebereich möglich.

2.7.

Die Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte werden in bestimmten Sektoren und Regionen mit CO2-intensiven Industriezweigen, die schließen könnten, dramatischer sein. Die notwendige Beschleunigung der Energiewende muss mit einem „Mechanismus für einen gerechten Übergang“ einhergehen. Da die positiven Auswirkungen dieses Übergangs nicht automatisch eintreten, hält es der EWSA für eine erfolgreiche Energiewende für entscheidend, Investitionsstrategien zu konzipieren und zu implementieren, die inklusiv (abhängig von der Förderung nachhaltiger angemessener Arbeitsplätze) sind und die Beteiligung der Gesellschaft vorsehen. Dabei sollte den Arbeitnehmern und ihren Vertretern auf Makro- (EU und national), Meso- (sektoral) und Mikroebene (Unternehmen, Betriebe) ein Mitspracherecht gegeben werden.

2.8.

In diesen unsicheren und sich rasch verändernden Zeiten hält der EWSA die Rahmen der Energieunion und des europäischen Grünen Deals für richtig. Sie reichen aber nicht aus für die Umsetzung einer Klima- und Energiepolitik, die den sozialen und regionalen Zusammenhalt durch massive Investitionen in technologische Innovation, die Schaffung nachhaltiger hochwertiger Arbeitsplätze, die Stärkung des Humankapitals und den Aufbau von regionalem Sozialkapital gewährleistet. Der EWSA spricht sich dafür aus, diesbezüglich bewährte Verfahren zu nutzen (5). Er erinnert daran, dass es solche Ansätze gibt, wie die Projekte zur Errichtung von Solaranlagen in ehemaligen Braunkohleabbaugebieten in Portugal und Griechenland oder die strategisch exzellent ausgerichtete Prosumentenförderung in Litauen zeigen. Der EWSA stellt fest, dass diese Erfahrungen nach wie vor keine weit verbreitete oder vorherrschende Praxis sind.

2.9.

Laut einem vom Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie des Europäischen Parlaments in Auftrag gegebenen Bericht werden die Kosten des mangelnden Ehrgeizes bei den Maßnahmen für eine gerechte Energiewende in Europa im Jahr 2050 auf 5,6 % des BIP der EU geschätzt. Der EWSA teilt die Auffassung, dass zur Vermeidung dieser Kosten ein auch in Bezug auf die Beschäftigung gerechter Übergang sichergestellt werden muss. In dem Bericht werden zu diesem Zweck mehrere EU-Maßnahmen empfohlen und quantifiziert (6):

ehrgeizige EU-Finanzierung zusätzlich zu den Mitteln der Mitgliedstaaten zur Förderung von Innovationen im Bereich der sauberen Energietechnologien. Der EWSA hat sich bereits in seiner Stellungnahme INT/913 in diesem Sinne geäußert;

die weltweite Führungsrolle der EU bei der multilateralen Zusammenarbeit bei der Energiewende würde 94 Mrd. EUR pro Jahr generieren;

die EU-Taxonomie-Verordnung würde dazu beitragen, das BIP der EU um 39 Mrd. EUR pro Jahr zu steigern, indem klargestellt wird, was verantwortungsvolle Energieinvestitionen bedeuten, und indem die ökologische und soziale Governance gefördert wird.

2.10.

Der EWSA ist der Auffassung, dass nicht nur Großunternehmen, sondern auch KMU wesentlich zur Lösung für eine wettbewerbsfähige, klimaneutrale und inklusive Kreislaufwirtschaft in der EU beitragen können. Es sollten die richtigen Bedingungen für ihre Finanzierung und Unterstützung geschaffen und beibehalten werden. Die Finanzierung für KMU sollte durch vereinfachte und angepasste Verwaltungsverfahren leichter zugänglich gemacht werden. Die Einrichtung von Unterstützungsdiensten für KMU wird den effektiven Zugang zu diesen Maßnahmen erleichtern und die Schaffung nachhaltiger Unternehmensökosysteme in allen EU-Regionen (NUTS I, II und III) fördern — und zwar nicht nur in jenen, die derzeit als Regionen mit gerechtem Übergang gelten (etwa 100 NUTS-III- und 31 NUTS-II-Regionen) (7).

2.11.

Der EWSA begrüßt die Einrichtung eines Fonds für einen gerechten Übergang und eines Klima-Sozialfonds (8). Gleichwohl ist er davon überzeugt, dass mit diesen Fonds nicht die finanzielle Unterstützung bereitgestellt wird, die insgesamt erforderlich ist, um die sozioökonomischen Effekte und die Auswirkungen auf die Beschäftigung sozial verantwortlich zu bewältigen. Der EWSA betont, dass eine gerechte Energiewende nicht nur eine Frage der Finanzierung ist. Vielmehr geht es auch um die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, die Stärkung der demokratischen Teilhabe (auch auf Unternehmensebene) und die Erhaltung und weitere Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen, wobei es die Autonomie und Vielfalt der nationalen Systeme der Arbeitsbeziehungen zu achten gilt. Der EWSA fordert spezifische Maßnahmen auf allen Ebenen, auch im Rahmen der Funktionsweise des Europäischen Semesters, um die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und die Sozialpartner stärker einzubeziehen. Auch hält der EWSA Verfahren für notwendig, um die ordnungsgemäße Verwendung der Mittel für eine gerechte Energiewende zu überwachen und zu bewerten. Dabei sollte die Verwirklichung der Sozial- und Beschäftigungsziele durch die Unternehmen, die diese öffentlichen Mittel erhalten, überprüft werden.

2.12.

Der EWSA fordert die Kommission auf, bei der Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne sowie in den territorialen Plänen der Mitgliedstaaten für einen gerechten Übergang die beschäftigungs- und sozialpolitischen Ziele zu stärken, u. a. durch die

Aufnahme aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, die den beruflichen Wechsel durch Umschulung und Investitionen in hochwertige grüne Arbeitsplätze erleichtern;

Unterstützung von Menschen, die aufgrund der Dekarbonisierung ihren Arbeitsplatz verlieren, mit Mitteln von Staaten und nutznießenden Unternehmen, um sicherzustellen, dass sich die Energiewende positiv auf die Beschäftigung auswirken kann;

Entwicklung des regionalen wirtschaftlichen Potenzials erneuerbarer Energien und neuer Formen der Beteiligung an der Stromproduktion (Einrichtung von Eigenverbrauchsgemeinschaften, die in der Lage sind, Überschüsse für die Gemeinschaft zu erwirtschaften; Förderung der Selbstständigkeit bei der Erzeugung erneuerbarer Energien usw.);

wirksame Bekämpfung der Energiearmut. Die Garantie des Zugangs der gesamten Bevölkerung zu Energiedienstleistungen ist in der europäischen Säule sozialer Rechte verankert (Grundsatz 20).

Der EWSA hält es zur Verwirklichung dieser ehrgeizigen Ziele für wesentlich, die Entwicklung territorialer Pläne für Beschäftigung und Weiterqualifizierung für die Zukunft unter aktiver Einbeziehung aller Interessenträger, insbesondere der Sozialpartner, zu fördern.

3.   Hintergrund und zentrale internationale wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich der beschäftigungsspezifischen Auswirkungen einer gerechten Energiewende

3.1.

Der EWSA stellt fest, dass die Ersetzung konventioneller fossiler Kraftwerke durch erneuerbare Energiequellen sich unterschiedlich auf die Beschäftigung auswirken kann. Dadurch könnten neue grüne Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen, aber auch Arbeitsplätze in anderen Sektoren verdrängt werden. Es gilt, den möglichen Anstieg der Energiepreise zu berücksichtigen. Dieser könnte zu einem Rückgang der Nachfrage nach Arbeitskräften in energieintensiven Sektoren und zu Kaufkraftverlust der privaten Haushalte führen. Die Daten belegen, dass die Energiepolitik zugunsten erneuerbarer Energien Arbeitsplätze in Industriestaaten schafft, vernichtet oder verändert.

3.2.

Der EWSA stellt fest, dass es keinen umfassenden wissenschaftlichen Konsens über die letztlichen Auswirkungen der Energiewende auf die Beschäftigung gibt. In bestimmten Studien werden Fälle aufgezeigt, in denen es kein Nettobeschäftigungswachstum (Polen) bzw. nur ein sehr bescheidenes (Deutschland) gab. Nach Schätzung der IAO indes wird die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu einem Verlust von rund 6 Millionen Arbeitsplätzen führen; die neu entstandenen Arbeitsplätze werden sich jedoch vervierfachen, und zwar von 11 auf 43 Millionen im Jahr 2030 in den Ländern der IRENA (9). In allen Szenarien der Internationalen Energieagentur (IEA) wird die Nutzung sauberer Energie zunehmen und den Verlust von Arbeitsplätzen in den Sektoren fossiler Brennstoffe kompensieren. Im Falle der Verwirklichung der Klimaneutralität bis 2050 werden 16 Millionen Arbeitnehmer zu neuen Aufgaben im Zusammenhang mit sauberer Energie gewechselt sein. Der Energie- und Beschäftigungsbericht der US-Regierung (USEER) (10) 2022 für die USA enthält ähnliche Schätzungen: Die Zahl der Arbeitsplätze im Energiesektor stieg aufgrund sauberer Energien um 4 % (im Vergleich zu einem Wachstum der Gesamtbeschäftigung von lediglich 2,8 %).

3.3.

Der EWSA stellt eine Reihe von Ungleichgewichten fest. Neue Arbeitsplätze im Bereich der sauberen Energie entstehen nicht immer am gleichen Ort wie die zu ersetzenden Arbeitsplätze und erfordern neue Kompetenzen. Daher sollten die nationalen Rechtsvorschriften und energiepolitischen Maßnahmen sicherstellen, dass der Kompetenzerwerb für den Übergang erfolgreich ist und der Mehrheit so weit wie möglich zugutekommt. Außerdem ist der Beschäftigungsanteil der Frauen in der Branche der erneuerbaren Energien (mit 32 %) höher als in anderen Teilen des Energiesektors. Gleichwohl beträgt er im Windkraftsektor nur 21 %, was wiederum belegt, dass nach wie vor Geschlechterstereotypen in diesem Bereich bestehen. Daher muss in den nationalen Rechtsvorschriften und den Maßnahmen zu ihrer Umsetzung das Augenmerk auf Gleichstellungsziele im Zusammenhang mit diesen neuen Arbeitsplätzen gerichtet werden.

3.4.

Nach Ansicht des EWSA muss unbedingt anerkannt werden, dass die Energiewende nicht nur eine Frage von Technologien und öffentlichen und privaten Investitionen, sondern auch eine tiefgreifende globale gesellschaftliche Herausforderung ist. Deshalb muss die Beteiligung der Zivilgesellschaft (Nutzer) und der Beschäftigungs- und Produktionsakteure (Unternehmen und Arbeitnehmer, direkt und über ihre Vertretungen) sichergestellt und gefördert werden. Das Klima muss in allen Politikbereichen und bei allen Entscheidungen berücksichtigt werden. Zudem ist der EWSA der Auffassung, dass Maßnahmen und Entscheidungen im Zuge von Verfahren und ggf. Vereinbarungen über soziale Konsultationen zwischen den Behörden auf allen Ebenen und den Sozialpartnern beruhen sollten. Dabei gilt es, stets die Autonomie und Vielfalt der nationalen Systeme der Arbeitsbeziehungen sowie der repräsentativen Organisationen der Zivilgesellschaft zu achten. Ziel ist es, eine inklusive Energiewende für Arbeitnehmer, Verbraucher und die breite Öffentlichkeit zu ermöglichen.

3.5.

Der EWSA stellt fest, dass es nach der Auswertung der wissenschaftlichen Literatur und einiger — teils erfolgreicher, teils erfolgloser — Fallbeispiele keinen vorab feststehenden Transformationspfad gibt. Vielmehr hängen die Auswirkungen der Energiewende auf Beschäftigung und Arbeitsplätze von den sozialen Bedingungen ab, unter denen Technologien eingeführt werden und Veränderungen bei der Energiewende stattfinden. Daten in Fallstudien auf Unternehmensebene (z. B. Renault, Siemens Energy (11)) belegen, dass dort, wo Mitarbeiter beteiligt wurden, mit den Veränderungen positive Ergebnisse erzielt wurden (mehr berufliche Fortbildung, Produktivität und Produktqualität).

3.6.

Die Schlussfolgerungen bezüglich des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen im Zusammenhang mit der Energiewende auf makroökonomischer Ebene sind jedoch nicht positiv. In den meisten Ländern gilt die Beteiligung der Sozialpartner an der Gestaltung, Umsetzung und Entwicklung von Maßnahmen im Zusammenhang mit dem zweifachen (digitalen und grünen) Wandel als unzureichend. Basierend auf den Erfahrungen einiger Länder kann dieser Mangel auf zwei grundlegende Herausforderungen für die Sozialpartner zurückgeführt werden:

Ungeachtet der Tatsache, dass es sehr unterschiedliche institutionelle Rahmen gibt, mangelt es überall an Maßnahmen zur Förderung des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen bei der Ausgestaltung der Sozial- und Arbeitnehmerrechte im Zusammenhang mit der gerechten Energiewende (so in Italien, Spanien, Polen, Deutschland usw.).

Die Sozialpartner haben nur unzureichende Möglichkeiten, sich angemessen an den Diskussionen über die Zukunft der Arbeit bei der Energiewende zu beteiligen, Prioritäten zu formulieren und ihre Agenden wirksam umzusetzen, trotz nationaler Rechtsvorschriften wie z. B. in Spanien (Gesetz Nr. 7/2021), mit denen eine soziale Konzertierung im Sinne einer gerechten Energiewende gefördert werden.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA nimmt die Studien zur Kenntnis, die belegen, dass sowohl politische als auch rechtliche Instrumente der EU wichtig sind, um die Herausforderungen der Energiewende unter wirtschafts-, sozial- und beschäftigungspolitischen Aspekten fair anzugehen. Er ist aber auch der Auffassung, dass die bestehenden Instrumente (z. B. die Richtlinie über Europäische Betriebsräte oder die Rahmenrichtlinie über Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer), die in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden, wirksam angewandt und durchgesetzt werden sollten. Der EWSA fordert, auf den verschiedenen geeigneten Ebenen die entsprechenden Reformen anzuregen und vorzunehmen, um den sozialen Dialog und die Rolle von Tarifverhandlungen bei dieser gerechten Energiewende zu stärken. Es geht darum, für eine positive Bilanz bei der Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze und dem Schutz der Arbeitnehmer zu sorgen, wobei es gilt, ein angemessenes Wirtschafts- und Unternehmensumfeld in allen Mitgliedstaaten und Regionen aufrechtzuhalten und die Autonomie der Sozialpartner stets gebührend zu achten.

4.2.

Die Erfahrung zeigt auch, dass die wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen strukturellen Veränderungen infolge der Energiewende im Hinblick auf einen gerechten sozialen und beruflichen Wandel erfolgreich sein oder scheitern können. Dies hängt davon ab, ob das Beschäftigungsvolumen durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen von nicht nachhaltigen Tätigkeiten aufgrund ihres CO2-Fußabdrucks auf andere nachhaltige Arbeitsplätze im Wesentlichen erhalten bleibt. Die Wechselwirkung zwischen Energie- und Beschäftigungspolitik bestimmt auch das breitere regionale Umfeld bzw. den regionalen Kontext. Dabei entstehen Chancen und Risiken (z. B. Einspeisetarife und steigende Energiepreise, die Arbeitsplätze in der Industrie gefährden, wie im Falle Deutschlands und Spaniens). Der EWSA stellt fest, dass in einigen Regionen, wie im Bergbaurevier in Nordspanien, die im Zuge der Energiewende neu geschaffenen Arbeitsplätze deutlich geringer und schlechter bezahlt sind als die bisherigen Arbeitsplätze.

4.3.

Bei einer globaleren Betrachtung der Sachlage stellt der EWSA fest, dass laut den fundiertesten Studien ca. 45 % der weltweit Beschäftigten im Energiebereich hochqualifizierte Berufe ausüben, verglichen mit fast 25 % in der gesamten Wirtschaft. Dies ist jedoch nicht überall der Fall. Es muss mehr Gewicht auf die Gewährleistung eines gerechten und auf die Menschen ausgerichteten Übergangs für die betroffenen Arbeitnehmer gelegt werden, um zu vermeiden, dass die Dekarbonisierung — wie in Polen — zu Nettoarbeitslosigkeit führt.

4.4.

Im Einklang mit den Berichten der IRENA und IAO (12) ist der EWSA davon überzeugt, dass das Potenzial erneuerbarer Energien für die Schaffung nachhaltiger menschenwürdiger Arbeit ein klarer Hinweis darauf ist, dass es keinen Zielkonflikt zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und der Schaffung von Arbeitsplätzen gibt. Beides kann und soll Hand in Hand gehen, indem probate rechtliche, politische und finanzielle Bedingungen geschaffen werden, eine angemessene Rechenschaftspflicht für alle Unternehmen, die Mittel erhalten, vorgeschrieben und die Einbeziehung aller Interessenträger (Gebiete, Sozialpartner und Bürger) in ihre Governance sichergestellt wird.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der EWSA stellt fest, dass die Energiewirtschaft eine zunehmend strategische Position in der Wirtschaft einnehmen wird, da sie eine wichtige Triebkraft für alle Sektoren ist. Angesichts aktueller Krisen und Veränderungen weist dieser Sektor jedoch eine Reihe von Ungleichgewichten und Risiken auf. Diese müssen durch geeignete Investitionen, kohärente politische Maßnahmen und neue Governance-Strukturen bewältigt werden. Es gilt, die Einbeziehung der Wirtschaft vor Ort, der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner sicherzustellen. Die territorialen Pläne für die Energiewende sind von geeigneten Vereinbarungen für eine faire soziale Konsultation zu flankieren. Darin müssen die Schaffung und Erhaltung nachhaltiger und hochwertiger Arbeitsplätze und die Unterstützung der Menschen notwendige Voraussetzungen für die Konzeption, Umsetzung und Bewertung der geplanten Maßnahmen sein.

5.2.

Der EWSA erinnert daran, dass einer der wichtigsten Steuerungsmechanismen für die Umsetzung und Überwachung der Fortschritte eines sozial gerechten Übergangs das Europäische Semester ist. Der EWSA hat bereits festgestellt, dass die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte im Rahmen des Semesterzyklus und ihrer Überwachung durch das sozialpolitische Scoreboard ein Schritt in die richtige Richtung ist (13). Er ist jedoch der Ansicht, dass die Wechselwirkung zwischen Umwelt- und Arbeitspolitik stärker herausgestellt werden sollte, damit mit Blick auf hochwertige und nachhaltige Arbeitsplätze und die Garantie ausreichender Einkommen für die, die ihre Stelle verlieren und sich nicht wiedereingliedern können, die Bilanz letztlich positiv ausfällt. Die Rolle der Regionen und ihr soziales Kapital, die intelligente Spezialisierung und eine Agenda für Humankapital müssen gestärkt werden.

5.3.

Der EWSA bekräftigt, dass der einschlägige Besitzstand der EU und der Mitgliedstaaten im Bereich des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit umgesetzt werden muss. Analog zu dem vom EWSA bereits zuvor durch die Proklamation der Europäischen Säule sozialer Rechte auf dem Gipfel in Göteborg im November 2017 vertretenen Standpunkt bekräftigten die Kommission und das Europäische Parlament ihr Engagement für ein faireres und gerechteres Europa. Die Säule soll als Richtschnur für eine erneuerte Aufwärtskonvergenz dienen, die sich in besseren Arbeits- und Lebensbedingungen niederschlägt, und Leitlinien für Reformen in den Bereichen Arbeitsmarkt und Sozialpolitik vorgeben (14).

5.4.

Der EWSA stellt bei den Rechtsvorschriften zur Umsetzung des Europäischen Klimagesetzes erhebliche Unterschiede fest. In einigen Fällen, wie etwa den Rechtsvorschriften Frankreichs, wird dieser Aspekt der Einbeziehung der Unternehmen und der Arbeitnehmervertretungen bezüglich der Wechselwirkung zwischen dem grünen Wandel und sozial- und beschäftigungspolitischen Fragen betont. In anderen Fällen werden diese Pflichten und Rechte nur gestreift, so etwa in den Rechtsvorschriften Italiens und Spaniens oder denen aller osteuropäischer Zielregionen für einen gerechten Übergang. Beispielsweise nimmt der EWSA die erfolgreichen Erfahrungen Frankreichs (Gesetz Nr. 2021-1104) zur Kenntnis, wonach der Begriff der „Herausforderungen des grünen Wandels“ in das Arbeitsgesetzbuch aufgenommen wurde. Dies umfasst Zuständigkeiten für Branchenvereinbarungen, Systeme für zukunftsorientiertes Arbeitsplatzmanagement und Kompetenzen zur Bewältigung der spezifischen Herausforderungen des grünen Wandels und der Energiewende (Artikel L 2242-20) sowie das Recht der Gewerkschaften, Warnungen in den Bereichen Umwelt und öffentliche Gesundheit auszusprechen (L 4133-L 4133-4). Daher fordert der EWSA die Kommission auf, Initiativen für den Austausch bewährter Verfahren zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und Regionen — unter strikter Wahrung der Autonomie und Vielfalt der verschiedenen europäischen Systeme der Arbeitsbeziehungen — zu fördern.

5.5.

Nach Ansicht des EWSA ist ein proaktiver und inklusiver Ansatz, der eine spezifische Arbeits- und Sozialpolitik gewährleistet und fördert, die wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Übergang. Ein wichtiges Merkmal erfolgreicher Maßnahmen sollte darin bestehen, dass sie auf die tatsächlichen Erfordernisse des Arbeitsmarkts zugeschnitten sind — vor allem, aber nicht nur in jenen Gebieten, die am stärksten vom Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien betroffen sind und die Chancen nutzen, die sich in ressourcenreichen Regionen bieten. Der Fonds für einen gerechten Übergang ist zwar nützlich, hat aber seine Grenzen und muss diesbezüglich korrigiert werden. Denn er stellt keine allumfassende Antwort auf die Herausforderungen eines gerechten Übergangs dar, sondern sollte durch zusätzliche politische Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten unterstützt werden.

5.6.

Um die Umweltpolitik und die Energiewende besser mit der Arbeitsmarkt- und der Sozialschutzpolitik zu verzahnen, sollte nach Ansicht des EWSA den Indikatoren für nachhaltige Beschäftigung, die für die Konzeption und Umsetzung des geplanten Mechanismus für einen gerechten Übergang zur Verfügung stehen, mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Der Indikator für das Beschäftigungspotenzial der Dekarbonisierung sollte auf den verschiedenen NUTS-Ebenen berücksichtigt werden. Um Daten zu den Auswirkungen der neuen Energiekrise auf die Beschäftigung zu erhalten, bietet die Datenbank „Europäische Beobachtungsinstrument für Umstrukturierungen“ (15) (Eurofound) (ERM) eine beträchtliche Zahl an Erfahrungsberichten.

5.7.

Der EWSA fordert ferner, die Umsetzung des Mechanismus für einen gerechten Übergang zu beschleunigen und zu verbessern (16). Er begrüßt die Bereitstellung von 55 Mrd. EUR bis 2027 in den am stärksten von der Energiewende betroffenen Regionen, um das Ziel „niemanden zurückzulassen“ zu verwirklichen und die sozioökonomischen Folgen des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft mithilfe dreier Säulen auszugleichen: eines neuen Fonds für einen gerechten Übergang (Investitionen in Höhe von über 25 Mrd. EUR), der Übergangsregelung im Rahmen von InvestEU (15 Mrd. EUR für den Privatsektor) und der neuen Darlehensfazilität für den öffentlichen Sektor (damit sollen öffentliche Investitionen in Höhe von 18,5 Mrd. EUR mobilisiert werden).

5.8.

Nach Auffassung des EWSA sollten außerdem bei der Formalisierung der territorialen Pläne für die Energiewende nicht nur Übergangsvereinbarungen (regionale soziale Konsultation), sondern auch bewährte Verfahren bei Tarifverhandlungen und die Einbeziehung der Arbeitnehmer in die sozial gerechte Energiewende gefördert werden. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass ein Übergang zu mehr erneuerbaren Energiequellen die Qualität der Umwelt verbessert, indem die Emissionen von Luftschadstoffen verringert werden. Dies kommt der Gesundheit und der Arbeitsproduktivität zugute.

5.9.

Nach Ansicht des EWSA muss sichergestellt werden, dass die grüne Politik Europas und die Energiewende positive Synergien mit dem inklusiven Übergang schaffen. Es gilt, zum Erfolg der Unternehmen, zu mehr nachhaltigen und hochwertigen Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitnehmer und zum Wohlergehen aller Bürgerinnen und Bürger in einem Ökosystem beizutragen, das das Wohl unseres Planeten achtet.

Brüssel, den 22. Februar 2023

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 75 vom 28.2.2023, S. 102.

(2)  https://www.eurofound.europa.eu/publications/customised-report/2022/the-cost-of-living-crisis-and-energy-poverty-in-the-eu-social-impact-and-policy-responses-background

(3)  https://www.eea.europa.eu/publications/exploring-the-social-challenges-of

(4)  ABl. C 323 vom 26.8.2022, S. 54.

(5)  Siehe ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 30, und ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 269.

(6)  https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2021/694222/EPRS_STU(2021)694222_DE.pdf

(7)  https://ec.europa.eu/eurostat/web/nuts/background

(8)  ABl. C 152 vom 6.4.2022, S. 158.

(9)  https://irena.org/-/media/Files/IRENA/Agency/Publication/2019/Jan/IRENA_Gender_perspective_2019.pdf

(10)  https://www.energy.gov/policy/us-energy-employment-jobs-report-useer

(11)  https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2022/733972/IPOL_STU(2022)733972_EN.pdf

(12)  https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---dcomm/---publ/documents/publication/wcms_823807.pdf

(13)  Stellungnahme des EWSA „Ergänzende Überlegungen zum Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2022“ (ABl. C 75 vom 28.2.2023, S. 35).

(14)  EWSA-Stellungnahme „Angemessene Mindestlöhne in ganz Europa“ (ABI. C 429 vom 11.12.2020, S. 159).

(15)  https://www.eurofound.europa.eu/observatories/emcc/european-restructuring-monitor.

(16)  https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal/finance-and-green-deal/just-transition-mechanism_de.


ANHANG

Folgende abgelehnte Änderungsanträge erhielten mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen (Artikel 74 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

ÄNDERUNGSANTRAG 1

SOC/718 — Energiepolitik und Arbeitsmarkt

Ziffer 2.12

Ändern:

Stellungnahme der Fachgruppe

Änderung

Der EWSA fordert die Kommission auf, bei der Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne sowie in den territorialen Plänen der Mitgliedstaaten für einen gerechten Übergang die beschäftigungs- und sozialpolitischen Ziele zu stärken , u. a. durch die

Der EWSA fordert die Kommission auf, bei der Bewertung der nationalen Energie- und Klimapläne sowie in den territorialen Plänen der Mitgliedstaaten für einen gerechten Übergang eine stärkere Ausrichtung auf die beschäftigungs- und sozialpolitischen Ziele und Maßnahmen anzuregen , u. a. durch die

Aufnahme aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, die den beruflichen Wechsel durch Umschulung und Investitionen in hochwertige grüne Arbeitsplätze erleichtern;

Aufnahme aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, die den beruflichen Wechsel durch Umschulung und Investitionen in hochwertige grüne Arbeitsplätze erleichtern;

Unterstützung von Menschen, die aufgrund der Dekarbonisierung ihren Arbeitsplatz verlieren, mit Mitteln von Staaten und nutznießenden Unternehmen, um sicherzustellen, dass sich die Energiewende positiv auf die Beschäftigung auswirken kann;

Unterstützung von Menschen, die aufgrund der Dekarbonisierung ihren Arbeitsplatz verlieren, mit geeigneten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und, falls gemäß den nationalen Vorschriften erforderlich, mit Mitteln von Staaten und nutznießenden Unternehmen, um sicherzustellen, dass sich die Energiewende positiv auf die Beschäftigung auswirken kann;

Entwicklung des regionalen wirtschaftlichen Potenzials erneuerbarer Energien und neuer Formen der Beteiligung an der Stromproduktion (Einrichtung von Eigenverbrauchsgemeinschaften, die in der Lage sind, Überschüsse für die Gemeinschaft zu erwirtschaften; Förderung der Selbstständigkeit bei der Erzeugung erneuerbarer Energien usw.);

Entwicklung des regionalen wirtschaftlichen Potenzials erneuerbarer Energien und neuer Formen der Beteiligung an der Stromproduktion (Einrichtung von Eigenverbrauchsgemeinschaften, die in der Lage sind, Überschüsse für die Gemeinschaft zu erwirtschaften; Förderung der Selbstständigkeit bei der Erzeugung erneuerbarer Energien usw.);

wirksame Bekämpfung der Energiearmut. Die Garantie des Zugangs der gesamten Bevölkerung zu Energiedienstleistungen ist in der europäischen Säule sozialer Rechte verankert (Grundsatz 20).

wirksame Bekämpfung der Energiearmut. Die Garantie des Zugangs der gesamten Bevölkerung zu Energiedienstleistungen ist in der europäischen Säule sozialer Rechte verankert (Grundsatz 20).

Der EWSA hält es zur Verwirklichung dieser ehrgeizigen Ziele für wesentlich, die Entwicklung territorialer Pläne für Beschäftigung und Weiterqualifizierung für die Zukunft unter aktiver Einbeziehung aller Interessenträger, insbesondere der Sozialpartner, zu fördern.

Der EWSA hält es zur Verwirklichung dieser ehrgeizigen Ziele für wesentlich, die Entwicklung territorialer Pläne für Beschäftigung und Weiterqualifizierung für die Zukunft unter aktiver Einbeziehung aller Interessenträger, insbesondere der Sozialpartner, zu fördern. In diesen Plänen sollte auch den wirtschaftlichen Auswirkungen des Tempos des Übergangs auf Unternehmen, insbesondere KMU, Rechnung getragen werden.

Begründung

Mit der vorgeschlagenen Änderung soll der Wortlaut präzisiert und auf die eine stärkere Ausrichtung auf sozial- und beschäftigungspolitische Ziele hingewiesen werden. Auch soll klargestellt werden, dass Zahlungen aus Fonds (sofern die nationalen Vorschriften dies erfordern) allein nicht ausreichen, um das Problem des Verlusts von Arbeitsplätzen zu lösen: Es bedarf mehr (politische und administrative Maßnahmen usw.), um Arbeitslose zu unterstützen und wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern.

Schließlich ist es, wie auch in Ziffer 1.6 des Stellungnahmeentwurfs hervorgehoben wird, wichtig, ein Tempo zu wählen, das der Lage von Unternehmen, insbesondere KMU, entspricht.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

73

Nein-Stimmen:

78

Enthaltungen:

8

ÄNDERUNGANTRAG 2

SOC/718 — Energiepolitik und Arbeitsmarkt

Ziffer 5.2

Ändern:

Stellungnahme der Fachgruppe

Änderung

Der EWSA erinnert daran, dass einer der wichtigsten Steuerungsmechanismen für die Umsetzung und Überwachung der Fortschritte eines sozial gerechten Übergangs das Europäische Semester ist. Der EWSA hat bereits festgestellt, dass die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte im Rahmen des Semesterzyklus und ihrer Überwachung durch das sozialpolitische Scoreboard ein Schritt in die richtige Richtung ist (1). Er ist jedoch der Ansicht, dass die Wechselwirkung zwischen Umwelt- und Arbeitspolitik stärker herausgestellt werden sollte, damit mit Blick auf hochwertige und nachhaltige Arbeitsplätze und die Garantie ausreichender Einkommen für die, die ihre Stelle verlieren und sich nicht wiedereingliedern können , die Bilanz letztlich positiv ausfällt . Die Rolle der Regionen und ihr soziales Kapital, die intelligente Spezialisierung und eine Agenda für Humankapital müssen gestärkt werden.

Der EWSA erinnert daran, dass einer der wichtigsten Steuerungsmechanismen für die Umsetzung und Überwachung der Fortschritte eines sozial gerechten Übergangs das Europäische Semester ist. Der EWSA hat bereits festgestellt, dass die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte im Rahmen des Semesterzyklus und ihrer Überwachung durch das sozialpolitische Scoreboard ein Schritt in die richtige Richtung ist (1). Er ist jedoch der Ansicht, dass die Wechselwirkung zwischen Umwelt- und Arbeitspolitik stärker herausgestellt werden sollte, damit mit Blick auf hochwertige und nachhaltige Arbeitsplätze die Bilanz letztlich positiv ausfällt . Die Mitgliedstaaten sollten auch im Einklang mit ihren nationalen Vorschriften den Zugang zu Arbeitslosenunterstützung oder einem angemessenen Mindesteinkommen für die, die ihre Stelle verlieren und sich nicht wiedereingliedern können, gewähren und sicherstellen. Die Rolle der Regionen und ihr soziales Kapital, die intelligente Spezialisierung und eine Agenda für Humankapital müssen gestärkt werden.

Begründung

Da im Text von „Personen, die ihren Arbeitsplatz verlieren und sich nicht wiedereingliedern können“ die Rede ist, erscheint es logisch, dass sich das Wort „Einkommen“ auf „Mindesteinkommen“ bezieht. In diesem Fall sollte die verwendete Terminologie der Formulierung in Ziffer 1.5 des Stellungnahmeentwurfs entsprechen, nämlich „Zugang zu (…) angemessenen Mindesteinkommen (…) gewähren“. Darüber hinaus könnte auf die Arbeitslosenunterstützungssysteme der Mitgliedstaaten Bezug genommen werden.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

79

Nein-Stimmen:

98

Enthaltungen:

8

ÄNDERUNGSANTRAG 3

SOC/718 — Energiepolitik und Arbeitsmarkt

Ziffer 1.9

Ändern:

Stellungnahme der Fachgruppe

Änderung

Der EWSA ist der Ansicht, dass sowohl Großunternehmen als auch KMU eine wichtige Rolle dabei zukommt, das Ziel der Energiewende zu erreichen. Diesbezüglich gelten anspruchsvolle Bedingungen für die Förderung nachhaltiger und hochwertiger Arbeitsplätze und des sozialen Schutzes sowie für die Gewährleistung des Zugangs zu Energiedienstleistungen für alle ( z. B. durch die Verhinderung von Energiearmut). Um die größten Schwierigkeiten der KMU anzugehen, fordert der EWSA indes, die Programme für ihren Zugang zu Finanzmitteln zu verbessern, zu erleichtern und zu vereinfachen. Ebenso sind Dienste für eine kontinuierliche Unterstützung und Begleitung erforderlich.

Der EWSA ist der Ansicht, dass sowohl Großunternehmen als auch KMU eine wichtige Rolle dabei zukommt, das Ziel der Energiewende zu erreichen , indem sie nachhaltige und hochwertige Arbeitsplätze fördern und bereitstellen und so den Sozialschutz unterstützen sowie einen potenziellen Beitrag zur Gewährleistung des Zugangs zu Energiedienstleistungen für alle leisten ( und damit etwa Energiearmut verhindern ). Um die größten Schwierigkeiten der KMU anzugehen, fordert der EWSA indes, die Programme für ihren Zugang zu Finanzmitteln zu verbessern, zu erleichtern und zu vereinfachen. Ebenso sind Dienste für eine kontinuierliche Unterstützung und Begleitung erforderlich.

Begründung

Mit der vorgeschlagenen Änderung soll klargestellt werden, wie Unternehmen und KMU zur Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze und so zur Bereitstellung von Sozialschutz beitragen.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen:

76

Nein-Stimmen:

99

Enthaltungen:

8


(1)  Stellungnahme des EWSA „Ergänzende Überlegungen zum Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2022“ (noch nicht veröffentlicht).

(1)  Stellungnahme des EWSA „Ergänzende Überlegungen zum Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2022“ (noch nicht veröffentlicht).


27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Unterstützung der Arbeitsmarktentwicklung: Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit, Steigerung der Produktivität und Entwicklung von Kompetenzen, insbesondere in KMU“

(Initiativstellungnahme)

(2023/C 146/03)

Berichterstatterin:

Mariya MINCHEVA

Befassung

Beschluss des Präsidiums, 18.1.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

20.1.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 52 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

30.1.2023

Verabschiedung im Plenum

22.2.2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

153/2/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der europäische Arbeitsmarkt befindet sich im Umbruch und steht vor neuen Herausforderungen aufgrund der Beschleunigung des technologischen Fortschritts und des nachhaltigen intelligenten Wachstums, aber auch des Klimawandels, des demografischen Wandels und der Bevölkerungsalterung, der Migration und des digitalen und des grünen Wandels. Dies erfordert ein gründliches Verständnis der Art von Kompetenzen, die für künftige Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, auch in KMU, benötigt werden, um eine nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten, zu einem hohen Produktivitätsniveau beizutragen und den Arbeitskräftemangel zu verringern.

1.2.

Die Kompetenzentwicklung und die wirksame Umsetzung des Rechts auf lebenslanges Lernen und des Zugangs dazu müssen integraler Bestandteil umfassenderer Strategien zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums sowie der Aufbau- und Resilienzpläne sein. Die technologische Revolution wirkt sich stark auf die Art der Arbeit und der Arbeitsplätze aus und beschleunigt bereits vorhandene Trends bei der Umstrukturierung der Beschäftigung. Die Beschäftigungsfähigkeit steht somit in direktem Zusammenhang zur Fähigkeit, Arbeitnehmer auf Unternehmensebene weiterzubilden und umzuschulen, um Veränderungen bewältigen und die Einstellung der Menschen gegenüber neuen Kompetenzen und Chancen und die Motivation, diese weiterzuentwickeln, beeinflussen zu können.

1.3.

Verschiedene Faktoren wie alternde Gesellschaften und demografische Trends führen zu einer Reihe von Herausforderungen in Bezug auf die Bewältigung von Übergängen im Lebensarbeitszyklus. Diese betreffen die gerechte und gleiche Behandlung der verschiedenen Generationen, die Motivation und Chancengleichheit bei Ausbildung und Kompetenzentwicklung sowie die Möglichkeiten zur Weiterbildung und Umschulung zur Erhöhung der Produktivität, zur Verbesserung der individuellen beruflichen Fähigkeiten, für den Umgang mit Unterschieden zwischen den Generationen sowie die Zusammenarbeit und die gegenseitige Unterstützung der Generationen am Arbeitsplatz. Die Erwachsenenbildung ist für die Weiterqualifizierung Erwachsener von wesentlicher Bedeutung und kann eine Reihe persönlicher, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und sozialer Vorteile mit sich bringen.

1.4.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) teilt die Auffassung, dass die EU eine Kompetenzrevolution braucht, um sicherzustellen, dass Menschen erfolgreich sein können (1), und fordert die Mobilisierung und ein wirksames gemeinsames Vorgehen von Institutionen, Unternehmen, Sozialpartnern und Interessenträgern im Rahmen des Kompetenzpakts und der Verwirklichung der in der Agenda festgelegten ehrgeizigen Ziele. Er begrüßt deshalb den Vorschlag der Europäischen Kommission, das Jahr 2023 zum Europäischen Jahr der Kompetenzen zu erklären (2).

1.5.

Die Sozialpartner sind wichtige Akteure bei der Entwicklung des menschlichen Potenzials im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung und der Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit. Sie spielen eine entscheidende Rolle in soliden und effizienten Systemen der Tarifverhandlungen und tragen dazu bei, die Kluft zwischen den Erwartungen der Arbeitnehmer in Bezug auf ihre berufliche Entwicklung und dem Bedarf der Unternehmen sowie der Anerkennung von Kompetenzen zu überbrücken und die Verbindung zwischen den Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung und den Arbeitsvermittlungsdiensten mit Strategien zur Entwicklung von Innovation, Industrie, Handel und Technologie zu verbessern. Der soziale Dialog und Tarifverhandlungen sind wirksame Instrumente zur Verwirklichung dieser Ziele. Die Organisationen der Zivilgesellschaft sind hervorragend in der Lage, nichtformale und informelle Lernumgebungen sowie ein wirksames Engagement für Freiwillige von Unternehmen zur Entwicklung von Schlüsselkompetenzen anzubieten. Den Organisationen der Zivilgesellschaft kommt auch eine wichtige Rolle zu, insbesondere denjenigen, die im Bereich des sozialen Unternehmertums oder für verschiedene schutzbedürftige Gruppen in der Gesellschaft tätig sind.

1.6.

Neue Beschäftigungsformen, die angemessen geschützt sind und sich aus Veränderungen der Art der Arbeit ergeben, können den Menschen vielfältige Möglichkeiten eröffnen, unternehmerisch tätig zu werden, ihr Einkommen zu diversifizieren und in Berufe und Tätigkeiten einzusteigen, die ihnen zuvor nicht offenstanden. Die Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit unter diesen Bedingungen erfordert angemessene rechtliche Regelungen, u. a. durch Tarifverhandlungen, ein professionelles System der beruflichen Bildung, das unternehmerische Fähigkeiten und berufliche Qualifikationen entsprechend dem Bedarf des Arbeitsmarkts fördert, neue Motivationsanreize und die richtige Rechts- und Wirtschaftskultur.

1.7.

Für große Teile unserer Gesellschaft kann die Digitalisierung eine Herausforderung für die Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit und die erfolgreiche Teilhabe am Arbeitsmarkt darstellen. Sie birgt unter Umständen die Gefahr, dass sich die bestehenden Ungleichheiten aufgrund der Unterschiede im Bildungsniveau, etwa der grundlegenden Kompetenzen und der funktionalen Schreib- und Lesefähigkeiten, der Altersbarrieren, des Zugangs zu modernen Technologien und des Umfangs ihres Einsatzes je nach Qualifikation und Einkommen vergrößern. Die Fähigkeit, digitale Kompetenzen ständig den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und der Einführung neuer Technologien anzupassen, wird künftig zweifellos zu den wichtigsten Herausforderungen gehören. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die in den nationalen Aufbau- und Resilienzplänen vorgesehenen umfangreichen Investitionen zur Förderung des Ausbaus digitaler Kompetenzen (3).

1.8.

Damit der grüne Wandel erfolgreich ist, braucht es Menschen mit den richtigen Kompetenzen und Arbeitsplätze mit der richtigen Arbeitsumgebung sowie ökologische Produktionssysteme. Von entscheidender Bedeutung für einen gerechten Übergang in einer Reihe von Wirtschaftszweigen, in denen sich die bestehenden Arbeitsplätze grundlegend verändern werden, sind die Sozialpartner. Vier Gruppen von Kompetenzen sind besonders wichtig für grüne Berufe: Ingenieurwissen und technisches Know-how, wissenschaftliche Fähigkeiten, Kenntnisse im Betriebsmanagement und Kenntnisse im Bereich der Überwachung. Der EWSA unterstützt die auf EU-Ebene bereits ergriffenen Maßnahmen zur Förderung des Lernens in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit und den ökologischen Wandel in der EU (4) und fordert praktische Lösungen für die europäischen Bürger und Unternehmen.

1.9.

Der Arbeitsmarkt von morgen verlangt zunehmend Arbeitskräfte mit kognitiven Fähigkeiten höherer Ordnung, die in einem unvorhersehbaren und sich stetig wandelnden Umfeld, in dem es keine Routine gibt, arbeiten und Entscheidungen treffen können. Metakompetenzen, die den Erwerb weiterer Kompetenzen erleichtern und beschleunigen und Katalysatoren für schnelleres Lernen und eine erfolgreiche lebenslange Entwicklung sind, sind der Schlüssel zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen.

1.10.

Die Rolle von Systemen zum Erwerb sowie zur Prognose und Klassifizierung von Kompetenzen wird vor dem Hintergrund sich dynamisch wandelnder Arbeitsmarkterfordernisse immer wichtiger. Gleichzeitig müssen die Konzeption und Umsetzung von Instrumenten zur Antizipierung des Qualifikationsbedarfs in den einzelnen Ländern verbessert werden, und alle Interessenträger sollten aktiv einbezogen werden und die Ergebnisse dieses Prozesses in vollem Umfang nutzen.

1.11.

Indem Kompetenzen und Qualifikationen stärker in den Mittelpunkt der europäischen politischen Debatte gerückt werden, sollten Anreize geschaffen werden

1.11.1.

zur Mobilisierung von Regierungen, Unternehmen, Sozialpartnern und Interessenträgern zur Entwicklung und Umsetzung moderner, umfassender Kompetenzstrategien auf nationaler Ebene und auf Branchenebene, zur Schaffung von mehr und besseren Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, zur Anwerbung und Bindung qualifizierter Arbeitskräfte zur Entwicklung digitaler, grüner und kognitiver Schlüsselkompetenzen, persönlicher Kompetenzen, der Fähigkeit, mit Veränderungen umzugehen, und zur Mobilisierung zusätzlicher öffentlicher und privater Investitionen,

1.11.2.

zur Nutzung KI-gestützter Systeme zur Abstimmung von Kompetenzen (AI-based skill matching systems) sowie zur Sensibilisierung für bestehende bewährte Verfahren in diesem Bereich. Dabei kann es sich um Systeme handeln, die sowohl in den öffentlichen Arbeitsverwaltungen als auch in der Privatwirtschaft funktionieren,

1.11.3.

zur Beschleunigung der Modernisierung und Integration der beruflichen Aus- und Weiterbildung, der Steigerung ihrer Attraktivität, Qualität, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse unterschiedlicher Altersgruppen und Kategorien von Arbeitnehmern, an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes und an die Notwendigkeit, Schlüsselkompetenzen zu erwerben, um faire Wettbewerbsbedingungen, Nachhaltigkeit und den Übergang zu einer grünen und digitalen Wirtschaft zu gewährleisten,

1.11.4.

zur Schaffung von Voraussetzungen und zur besseren Motivation junger Menschen für die Teilnahme am Arbeitsmarkt durch Berufsberatung mit dem Ziel, ihnen Zugang zu guten Arbeitsbedingungen und einer echten Laufbahnentwicklung zu verschaffen.

1.12.

Die KMU müssen dazu ermutigt werden, in Netzwerken zusammenzuarbeiten, zu interagieren, gemeinsam die Kosten für Forschungsarbeiten zum Kompetenzbedarf zu tragen und ihre Kapazitäten zu bündeln, um auf die Herausforderungen des grünen und des digitalen Wandels und der Kompetenzentwicklung reagieren zu können. Entscheidend für ihr nachhaltiges Funktionieren sind die Bedingungen der örtlichen Gemeinschaft, in der sie tätig sind, die regionalen Beschäftigungssysteme, die Unterstützung durch die lokalen Verwaltungen sowie ihr Zugang zu neuen Technologien, Innovation und den Diensten der Exzellenzzentren.

1.13.

Die Antizipation von Kompetenzen muss von den Wirtschaftsakteuren und den Interessenträgern umfassend ausgebaut werden. KMU müssen bei der Entwicklung ihrer Strategien zur Ausbildung und Entwicklung des Humankapitals unterstützt werden. Vor allem duale Ausbildungsprogramme und Lernen am Arbeitsplatz sind in besonderem Maße geeignet für die Bedürfnisse von KMU. In dieser Hinsicht kommt den Sozialpartnern eine grundlegende Rolle im Rahmen des sozialen Dialogs in ihren Tätigkeitsbereichen zu.

2.   Allgemeine Bemerkungen und Hintergrund

2.1.

Die COVID-19-Pandemie hat ein neues Umfeld geschaffen, das zu Veränderungen im Verhalten, in den Einstellungen sowie in der Kultur der Gesellschaft geführt hat. Die Erwartungen und das Verhalten der Verbraucher haben sich verändert (mehr Kommunikation und Interaktion über das Internet), und auch die Geschäftsmodelle und die Arbeitsorganisation sind nicht mehr dieselben (mehr Telearbeit sowie hybride Arbeitsmodelle). Der grüne und der digitale Wandel bereiten den Weg für die Anpassung der derzeitigen Systeme und Verfahren der allgemeinen und beruflichen Bildung, damit diese die richtigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen vermitteln können.

2.2.

Kompetenzen, Qualifikationen und Beschäftigung, der Wandel in der Arbeitswelt und die Entwicklung eines integrativen Arbeitsmarktes sind Gegenstand zahlreicher EWSA-Stellungnahmen (5), die bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. In dieser Stellungnahme soll untersucht werden, welche Art von Kompetenzen für künftige Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden, wie die Beschäftigungsfähigkeit erhalten und ein Beitrag zur Steigerung der Produktivität geleistet werden kann und welche wirksamen Strategien zur Verbesserung der Arbeitskräfteentwicklung und zur Behebung des Arbeitskräftemangels, auch für KMU, geeignet sind.

2.3.

Strategien zur Kompetenzentwicklung müssen in die nationalen Wachstumsstrategien und -pläne einfließen, wobei Synergien mit der Industrieforschung und der wirtschaftlichen Entwicklung zu nutzen sind. Die Mitgliedstaaten sollten die Entwicklung von Branchen mit hoher Wertschöpfung fördern, Arbeitnehmer und Unternehmen bei der Bewältigung des Wandels unterstützen und in der Lage sein, mit der Innovation im technologischen, digitalen und grünen Bereich Schritt zu halten. Dies wird weitere Investitionen in Ressourcen und Planung für ein System der allgemeinen und beruflichen Bildung erfordern, das in der Lage ist, die neuen Herausforderungen zu bewältigen und das Missverhältnis auf dem Arbeitsmarkt zu beheben.

2.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Aufrechterhaltung einer nachhaltigen Beschäftigungsfähigkeit ein vielschichtiges Thema ist, bei dem sich die größten Herausforderungen aus den naturgemäßen Veränderungen der Art der Arbeit, der Arbeitsplätze und der Berufe sowie der Notwendigkeit ergeben, das Recht auf lebenslanges Lernen und Weiterentwicklung wirksam umzusetzen. Eine Rolle spielen auch die Digitalisierung, die zunehmende Bedeutung des Humankapitals und der Arbeitsproduktivität, Veränderungen der Arbeitsorganisation, der demografische Wandel und die Notwendigkeit, für neue Modelle der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben mit flexiblen Arbeitszeiten zu sorgen und Strategien für aktives Altern zu fördern (6). Es bedarf günstiger Rahmenbedingungen, damit die Menschen unabhängig von der Lebensphase die Bedeutung der beruflichen Bildung für ihr Berufsleben verstehen und erfassen und in der Lage und in der Lage und motiviert sind, alle Möglichkeiten, die das lebenslange Lernen bietet, wahrzunehmen. In diesem Sinne hängt die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung einer Beschäftigung unmittelbar mit der persönlichen Einstellung und der Fähigkeit zusammen, neue Kompetenzen zu entwickeln, die der Arbeitsmarktdynamik Rechnung tragen.

2.5.

Die Sozialpartner sind wichtige Akteure bei der Entwicklung und Erhaltung von Kompetenzen im Interesse der Beschäftigungsfähigkeit. Sie können in hohem Maße dazu beitragen, dass die Bestrebungen der Arbeitnehmer im Rahmen ihrer beruflichen Laufbahn und der Qualifikationsbedarf der Unternehmen in Einklang gebracht werden können. Ihre Rolle (insbesondere im Rahmen eines soliden und effizienten Systems der Tarifverhandlungen) ist für die Anerkennung von Kompetenzen von wesentlicher Bedeutung. Der EWSA ist der Auffassung, dass zur Verbesserung der Gesamtsituation auf den Arbeitsmärkten eine bessere Koordinierung zwischen den Bildungssystemen, den Berufsbildungssystemen und den Arbeitsverwaltungen sowie Maßnahmen zur Entwicklung von Innovation, Industrie, Handel und Technologie und makroökonomischen Maßnahmen erforderlich ist. Dies könnte auf lokaler Ebene besonders wirksam sein.

2.6.

Veränderungen bezüglich der Art der Arbeit führen auch zur Entwicklung neuer und flexibler Formen von Beschäftigungsverhältnissen und zu atypischen Beschäftigungsmodellen, die die Struktur des europäischen Arbeitsmarkts verändern. Neue Beschäftigungsformen, die angemessen geschützt sind, können den Menschen neue Möglichkeiten eröffnen, unternehmerisch tätig zu werden, ihr Einkommen zu diversifizieren und in Berufe und Tätigkeiten einzusteigen, die ihnen zuvor nicht offenstanden. Andererseits sollten die neuen Beschäftigungsformen den Zugang zum Sozialschutz sicherstellen, da dies unmittelbar mit der finanziellen Tragfähigkeit der Sozialschutzsysteme verbunden ist. Die Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit unter diesen Bedingungen erfordert angemessene rechtliche Regelungen, u. a. durch Tarifverhandlungen, neue Motivationsanreize, eine neue Rechts- und Wirtschaftskultur sowie die Bereitschaft, unternehmerische und berufliche Fähigkeiten zu entwickeln, die den sich verändernden Rahmenbedingungen entsprechen.

2.7.

Die Einführung digitaler Technologien und ihre Auswirkungen auf die Art und Organisation der Arbeit können erhebliche Herausforderungen für die Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit und eine erfolgreiche Teilhabe am Arbeitsmarkt mit sich bringen. Die Digitalisierung birgt möglicherweise die Gefahr einer Vertiefung der bestehenden Ungleichheiten aufgrund der enormen Unterschiede im Bildungsniveau, einschließlich der Grundkompetenzen und der funktionalen Schreib- und Lesefähigkeiten, der Altersbarrieren sowie des Zugangs zu modernen Technologien und des Umfangs ihres Einsatzes je nach Qualifikation und Einkommen. Da die heranwachsende Generation weitgehend digital orientiert ist und ältere Menschen lieber in einem analogen Umfeld agieren, können sich unterschiedliche Generationen gegenseitig zu ihrem Vorteil ergänzen. Der EWSA begrüßt die massiven Investitionen in digitale Kompetenzen im Rahmen der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne.

2.8.

Grüne Kompetenzen sind Kenntnisse, Fähigkeiten, Werte und Einstellungen, die erforderlich sind, um in einer nachhaltigen und ressourceneffizienten Gesellschaft leben und sie weiterentwickeln und voranbringen zu können (7). Der grüne Wandel wird Änderungen der Produktionsverfahren und Geschäftsmodelle erfordern, unweigerlich die erforderlichen Kompetenzen und Aufgaben in vielen bestehenden Berufen verändern und Programme zur Weiterbildung und Umschulung der Arbeitnehmer erforderlich machen. Damit der grüne Wandel erfolgreich ist, braucht es Menschen mit den richtigen Kompetenzen. Der EWSA nimmt die entsprechende Reaktion der Politik zur Kenntnis und fordert praktische Lösungen für die Bürger und Unternehmen in der EU.

2.9.

Angesichts unumkehrbarer demografischer Entwicklungen, einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und einer höheren Lebenserwartung ist es erforderlich, neue Strategien für die Arbeitsorganisation, generationenübergreifende Austauschprogramme, neue Modelle für die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben mit ausgehandelten flexiblen Arbeitszeiten sowie Maßnahmen zu fördern, die zu einer höheren Arbeitsproduktivität beitragen und ein aktives Altern fördern können. Im Zusammenhang mit der Beschäftigungsfähigkeit ergeben sich viele Probleme und Herausforderungen bei der Bewältigung von Übergängen in der Erwerbsbiografie, etwa die gerechte und gleiche Behandlung der verschiedenen Generationen auf dem Arbeitsmarkt, eine Kultur des Verständnisses für das Alter sowie den Umgang mit Unterschieden zwischen den Generationen und mit dem sozialen Kapital. Chancengleichheit für alle in Bezug auf lebenslanges Lernen trägt zur Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit und zur Steigerung der Produktivität in allen Lebensphasen bei und fördert die Zusammenarbeit und die gegenseitige Unterstützung der Generationen am Arbeitsplatz.

2.10.

Auch die Anwerbung von Migranten mit bestimmten Qualifikationen ist ein wichtiger Bestandteil jeder künftigen Strategie zur Versorgung mit Fachkräften. Die Mitteilung der Kommission „Anwerbung qualifizierter Arbeitskräfte aus Drittländern“ ist ein positiver Schritt in diese Richtung.

3.   Kompetenzen, die für künftige Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden

3.1.

Kompetenzen sind eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass Gesellschaften, Unternehmen und einzelne Menschen in einer zunehmend vernetzten und sich rasch wandelnden Welt gut zurechtkommen. Die Zukunft der Arbeit wird für Menschen mit unterschiedlichem Bildungsstand und unterschiedlichen Qualifikationen nicht dieselbe sein. Der Bedarf an Arbeitsplätzen, die geringe Qualifikationen erfordern, wird allmählich zurückgehen, allerdings wird eine bestimmte Zahl solcher Arbeitsplätze erhalten bleiben. Einige der Aufgaben, die mit physischen, manuellen oder numerischen Fähigkeiten und Fähigkeiten im Zusammenhang mit Dienstleistungen für Kunden verbunden sind, sind aufgrund der Automatisierung und der Nutzung intelligenter Systeme am stärksten von Veränderungen oder Verschwinden bedroht. Dies gilt nicht für das Handwerk und künstlerische Berufe, bei denen die Weiterbildung für die Teilhabe an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unerlässlich ist. Aufgrund des digitalen und des grünen Wandels wird die Nachfrage nach hohen Bildungs- und Qualifikationsabschlüssen erheblich zunehmen, während Arbeitsplätze, die ein mittleres Qualifikationsniveau erfordern, vorläufig noch bestehen bleiben, sich aber je nach Bedarf des Arbeitsmarkts zum großen Teil verändern werden.

3.2.

Die Rolle von Systemen zum Erwerb sowie zur Prognose und Klassifizierung von Kompetenzen wird vor dem Hintergrund sich dynamisch wandelnder Arbeitsmarkterfordernisse immer wichtiger. Der EWSA begrüßt den Trend zur Schaffung und Entwicklung europäischer Taxonomien und Handbücher für Qualifikationen und Kompetenzen wie die ESCO-Klassifikation, den Referenzrahmen für digitale Kompetenzen (DigComp 2.2), DigCompEdu, den e-Competence Framework, das Europäische Wörterbuch der Fertigkeiten und Kompetenzen (DISCO), EU Occupations, GreenComp usw., die erheblich zur Transparenz des Qualifikationsbedarfs auf dem Arbeitsmarkt, zur Übertragbarkeit von Qualifikationen und zur Einführung eines kompetenzorientierten Ansatzes in der allgemeinen und beruflichen Bildung und der Entwicklung der Humanressourcen beitragen. Zugleich unterstützen wir die Position (8), dass die Konzeption und Umsetzung von Instrumenten zur Antizipierung des Qualifikationsbedarfs in den einzelnen Ländern nicht auf dem erforderlichen Niveau ist und dass nicht alle Interessenträger aktiv einbezogen werden oder die Ergebnisse dieses Prozesses in vollem Umfang nutzen.

3.3.

Den Sozialpartnern kommt eine wesentliche Bedeutung bei der Festlegung von Strategien zur Kompetenzentwicklung unter Berücksichtigung der Daten der berufsständischen und territorialen Beobachtungsstellen zu. Es ist deshalb unerlässlich, die Sozialpartner von Anfang an einzubeziehen, um ein Missverhältnis zwischen den tatsächlichen Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Europa zu vermeiden.

3.4.

Digitale Kompetenzen werden künftig zweifellos zu den wichtigsten Kompetenzen gehören. In allen Bereichen der europäischen Wirtschaft nimmt der Bedarf an spezialisierten und hochentwickelten digitalen Kompetenzen erheblich zu.

3.5.

Auch der Bedarf an MINT-Kenntnissen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und interdisziplinären Kombinationen von Kompetenzen (Hybridkompetenzen, Querschnittskompetenzen oder fächerübergreifende Kompetenzen) steigt spürbar. Berufliches Fachwissen, Forschungs- und Prognosekompetenzen, die Fähigkeit zu komplexer Analyse und Interpretation komplexer Informationen sowie technologische Kompetenzen werden zunehmend geschätzt. Dem allgemeinen Index für grüne Kompetenzen (9) zufolge sind vier Gruppen von Kompetenzen besonders wichtig für grüne Berufe: Ingenieurwissen und technisches Know-how, wissenschaftliche Fähigkeiten sowie Kenntnisse im Betriebsmanagement und Kenntnisse im Bereich der Überwachung.

3.6.

Die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt von morgen verlangen zunehmend Arbeitskräfte mit kognitiven Fähigkeiten höherer Ordnung, die in einem unvorhersehbaren und sich stetig wandelnden Umfeld, in dem es keine Routine gibt, arbeiten und Entscheidungen treffen können. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um analytisches, kreatives, innovatives, atypisches, systemisches, konzeptionelles, strategisches, abstraktes, autonomes und kritisches Denken. Metakompetenzen, die den Erwerb weiterer Kompetenzen erleichtern und beschleunigen und Katalysatoren für schnelleres Lernen und eine erfolgreiche lebenslange Entwicklung sind, sind der Schlüssel zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen.

3.7.

Maschinen und Algorithmen werden den Bedarf an persönlichen Kompetenzen (soft skills) auf dem Arbeitsmarkt nicht ersetzen können. Die Zukunft der Arbeit und der Wandel in den beruflichen Profilen erfordern eine Vielzahl an sozialen und kommunikativen sowie verhaltensbezogenen Fähigkeiten, ganz besonders in den Bereichen emotionale Intelligenz, Empathie, Beziehungsaufbau, Vernetzung, effiziente Kommunikation, Durchsetzungsfähigkeit, Teamarbeit, Styling, Unternehmensetikette, interkulturelle Toleranz, Verhandlungsführung, Konfliktmanagement usw.

3.8.

Darüber hinaus zeichnet sich in Bezug auf den Bedarf des Arbeitsmarkts immer deutlicher ab, dass es zahlreiche funktionsübergreifende und verhaltensbezogene Kompetenzen gibt, die die persönliche Leistungsfähigkeit bestimmen. Die wichtigsten in diesem Zusammenhang sind unternehmerische Fähigkeiten und Teamfähigkeit, Entscheidungs- und Problemlösungsfähigkeit, Ergebnisorientierung, Multi-Tasking, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, Eigeninitiative, Einfallsreichtum, Verantwortungsbewusstsein, Selbstkontrolle, Umsicht, Detailgenauigkeit, Umgang mit Unsicherheit, Druck und Stress, Zeitmanagement usw.

4.   Entwicklung der Humanressourcen für einen integrativen Arbeitsmarkt und hohe Produktivität

4.1.

Damit der europäische Arbeitsmarkt den künftigen Herausforderungen gerecht werden kann, muss er in erster Linie integrativ sein, gleiche Wettbewerbsbedingungen bieten und die Bedingungen für Investitionen in gut funktionierende Beschäftigungssysteme schaffen, die zu mehr Produktivität beitragen und gemeinsam mit robusten und aktiven Arbeitsmarktstrategien Richtlinie für effiziente Strategien für die berufliche Ausbildung und Schulung sein könnten. Ungeachtet der unterschiedlichen Traditionen und Praktiken in den Mitgliedstaaten ist nach Ansicht des EWSA folgendes notwendig:

4.1.1.

Optimierung der Systeme zur Überwachung, Ermittlung und Prognose des Qualifikationsbedarfs auf dem Arbeitsmarkt,

4.1.2.

stärkere Einbeziehung der Sozialpartner und aller Interessenträger und dabei insbesondere Berücksichtigung der Frage, inwieweit die Unternehmen in der Lage sind, interne Verfahren zur Ermittlung der Qualifikationsdefizite und des Schulungsbedarfs zu entwickeln und Maßnahmen zur Weiterbildung und Umschulung ihrer eigenen Arbeitskräfte umzusetzen,

4.1.3.

Anwendung moderner Ansätze und Informationstechnologien für die branchen- und regionenübergreifende Konsolidierung, Systematisierung und Bereitstellung analytischer Daten über Kompetenzen, damit Schulungen und Qualifikationen angeboten werden können, die für die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes relevant sind. So können z. B. Informationen über Arbeitnehmer (ihre Kompetenzen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Wünsche nach beruflicher Entwicklung, Demografie, Ausbildungsbedarf, Entwicklungsmöglichkeiten) und die Bedürfnisse der Arbeitgeber in Systemen zur Suche nach Talenten zusammengeführt werden,

4.1.4.

strategische Bewertung der Herausforderungen und Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Berufe, Qualifikationen, Tätigkeiten und Kompetenzen im Zusammenhang mit dem Übergang zu einer grünen und digitalen Wirtschaft gemeinsam mit den Sozialpartnern, Entwicklung geeigneter Formen der Qualifizierung und Umschulung sowie Investitionen in die Kompetenzentwicklung und Unterstützung von Menschen, die vom Wandel oder der Umstellung auf grüne Arbeitsplätze betroffen sind,

4.1.5.

Analyse der Hindernisse, auf die junge Menschen beim Erwerb von MINT-Qualifikationen und -Kompetenzen stoßen, und Umsetzung gezielter Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität von MINT-Fächern und -Berufen bei Mädchen und Frauen,

4.1.6.

Maßnahmen zur Schaffung flexibler, resilienter und zukunftsfähiger Berufsbildungssysteme, die attraktiv für junge Menschen sind und ihnen beim Eintritt in einen sich wandelnden Arbeitsmarkt helfen können, und Sicherstellung, dass Erwachsene Zugang zu Berufsbildungsprogrammen haben, die ihren Bedürfnissen entsprechen und auf den ökologischen und digitalen Wandel zugeschnitten sind,

4.1.7.

eine aktivere strategische Rolle der Sozialpartner bei der Beschleunigung der Schaffung und des Angebots neuer Qualifikationen, der Aktualisierung der Lehrpläne, der Finanzierungsmechanismen und der Qualitätsprüfung. Besonderes Augenmerk sollte gelegt werden auf Microcredentials, ihre Qualitätsstandards und die Möglichkeiten ihrer Anerkennung und Einbeziehung in Netze allgemeinerer Qualifikationen sowie die Ausweitung der Einrichtung von Branchenausschüssen, auch auf territorialer Ebene, an denen Sozialpartner und Bildungseinrichtungen beteiligt sind, um das Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage zu beheben und auf eine flexible Weise Microcredentials zu schaffen, die den Schulungsbedarf der Unternehmen decken,

4.1.8.

stärkere Nutzung von Tarifverhandlungen, um den Zugang zum lebenslangen Lernen sicherzustellen und die Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern, auch durch individuelle Lernkonten, Prüfung der Möglichkeit eines bezahlten Bildungsurlaubs gemäß den nationalen Gepflogenheiten und eine jährliche Mindeststundenzahl für Qualifikationsmaßnahmen, Anreize für Weiterbildung und Umschulung, Anerkennung von Qualifikationen in anderen EU-Mitgliedstaaten, Entwicklung betrieblicher Wissensmanagementsysteme, Abschluss von Mentoring-Verträgen mit erfahrenen Arbeitnehmern im Ruhestand usw.,

4.1.9.

Entwicklung von Strategien, die einen gleichberechtigten Zugang zu Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten gewährleisten. Dies umfasst:

4.1.9.1.

Umsetzung der drei in der Empfehlung des Rates von 2016 „Weiterbildungspfade: Neue Chancen für Erwachsene“ enthaltenen Schritte — Bewertung der Kompetenzen, Bereitstellung eines maßgeschneiderten Lernangebots sowie Validierung und Anerkennung der erworbenen Kompetenzen,

4.1.10.

besondere Aufmerksamkeit für die Gruppen von Arbeitnehmern, die am häufigsten von Qualifizierungsmaßnahmen ausgeschlossen sind, aber gerade deswegen einen besonderen Qualifizierungsbedarf haben: Geringqualifizierte, Menschen über 45 Jahre, Menschen mit Behinderungen, Frauen, die nach längerer Abwesenheit auf Grund von familiären Verpflichtungen oder Pflege- und Betreuungsaufgaben auf den Arbeitsmarkt zurückkehren, Migranten und Flüchtlinge. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Sozialunternehmen spielen eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung dieser benachteiligten Gruppen in Bezug auf ihren Qualifizierungsbedarf.

5.   Herausforderungen für KMU bei der Entwicklung von Kompetenzen, die für künftige Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden

5.1.

Kleinstunternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen machen 99 % aller Unternehmen in der EU aus. Rund 24 Mio. KMU generieren einen Mehrwert von mehr als 4 Billionen Euro und beschäftigen mehr als 90 Mio. Menschen. Sie sind damit eine außerordentlich wichtige Quelle von Unternehmergeist und Innovation, die für die nachhaltige Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie von entscheidender Bedeutung sind (10). Die Bedeutung von KMU wurde stets anerkannt, aber COVID-19 hat deutlich gemacht, wie anfällig sie für äußere Faktoren sind, insbesondere vor dem Hintergrund einer Krise, die eine große Zahl von KMU in eine prekäre finanzielle Lage gebracht und Millionen von Arbeitsplätzen gefährdet hat.

5.2.

KMU stehen vor denselben Herausforderungen wie andere Unternehmen, haben jedoch besondere Probleme bei der Verbesserung des Zugangs zu Märkten und Finanzmitteln, der Einführung von Innovationen, der Digitalisierung sowie der Umstellung auf klimaneutrale Geschäftsmodelle und der Umstellung von linearer zu kreislauforientierter Produktion.

5.3.

Aufgrund begrenzter Ressourcen, unzureichenden Fachwissens und einer eher regionalen Verankerung hat die überwiegende Mehrheit der KMU ernsthafte Schwierigkeiten, Fachkräfte zu gewinnen, auszuwählen, zu schulen, zu entwickeln, zu motivieren und zu halten. Nur etwa 40 % der KMU verfügen über schriftliche Strategien und Programme für die Personalverwaltung. Aufgrund ihrer Schwierigkeiten, Mitarbeiter während externer Schulungen zu ersetzen, sowie ihrer begrenzten finanziellen Kapazitäten nutzen KMU Formen der Berufsausbildung mit Präsenzteilnahme im Vergleich zum EU-Durchschnitt in geringerem Maße.

5.4.

Die überwiegende Mehrheit der KMU ist in bestimmten Nischenmärkten und/oder nicht traditionellen Wirtschaftszweigen tätig, in denen die Art der Arbeit besondere berufliche Fähigkeiten erfordert, die in der Praxis erworben und entwickelt werden müssen. Angesichts der begrenzten Humanressourcen sind für die einzelnen Arbeitsplätze häufig eine breitere Spezialisierung und übertragbare hybride Fähigkeiten erforderlich, wenn ein breiteres Spektrum funktionaler Aufgaben wahrgenommen werden muss.

5.5.

Der spezifische Kompetenzbedarf von KMU betrifft hauptsächlich technologisches Unternehmertum, die Ermittlung von Geschäftsmöglichkeiten, Risikobewertung und -management, Finanzierungsquellen, die Entwicklung von Unternehmensstrategien, Geschäftsprojekten und -plänen, die Umsetzung innovativer Geschäftsmodelle, den Einsatz digitaler Technologien, das digitale Branding und das digitale Marketing, die Einhaltung des Regulierungsrahmens, die Personalverwaltung, die grüne Wirtschaft, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und die Kreislaufwirtschaft.

5.6.

Angesichts des technischen Charakters der Berufe in einer Vielzahl von KMU, deren Know-how einzigartig ist, insbesondere auf Nischenmärkten, ist die Ausbildung am Arbeitsplatz eine angemessene Lösung für das Problem des Fachkräftebedarfs. Auch um die Herausforderungen des digitalen und des ökologischen Wandels zu bewältigen, sind Schulungen am Arbeitsplatz erforderlich. Sie erleichtern die Kompetenzentwicklung in KMU, da innerbetriebliche Schulungen und die Weitergabe von Wissen innerhalb des Unternehmens leichter zu organisieren sind. Damit die Produktion auch während der schulungsbedingten Abwesenheit von Arbeitnehmern aufrechterhalten werden kann, sollten Arbeitgeber geeignete Formen der beruflichen Bildung und Ad-hoc-Instrumente nutzen, etwa gemeinsame Bildungsprogramme auf Branchen- oder territorialer Ebene, die Synergien zwischen KMU fördern, und Zugang zu gezielten finanziellen Unterstützungsmaßnahmen haben.

5.7.

Die Antizipation von Kompetenzen muss von den Wirtschaftsakteuren und den Interessenträgern umfassend ausgebaut werden. Dabei kommt den Sozialpartnern im Rahmen des sozialen Dialogs in den einzelnen Branchen und Berufsfeldern eine Schlüsselrolle zu.

Brüssel, den 22. Februar 2023

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Europäische Kompetenzagenda für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Resilienz (COM(2020) 274 final).

(2)  Siehe die Rede von Präsidentin von der Leyen zur Lage der Union 2022, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/SPEECH_22_5493.

(3)  https://ec.europa.eu/economy_finance/recovery-and-resilience-scoreboard/assets/thematic_analysis/scoreboard_thematic_analysis_digital_skills.pdf.

(4)  GreenComp: der Europäische Kompetenzrahmen für Nachhaltigkeit.

Empfehlung des Rates vom 16. Juni 2022 zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität (2022/C 243/04).

Empfehlung des Rates vom 16. Juni 2022 zum Lernen für den grünen Wandel und die nachhaltige Entwicklung (2022/C 243/01).

(5)  Studie der Arbeitsmarktbeobachtungsstelle (ABS) zum Thema „Die Arbeit der Zukunft: Sicherstellung von Möglichkeiten für das lebenslange Lernen sowie für Aus- und Weiterbildung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ (2022), „Die Zukunft der Arbeit — Aneignung der für die künftige Arbeitswelt notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen“ (2017), „Nachhaltige Finanzierung des lebenslangen Lernens und der Kompetenzentwicklung vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels“ (2019), „Die sich verändernde Arbeitswelt, Lebenserwartung und Bevölkerungsalterung — Voraussetzungen, damit ältere Arbeitnehmer in der neuen Arbeitswelt aktiv bleiben können“ (2019), „Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Gerechtigkeit — Wege zur Stärkung der EU im globalen Wettlauf um künftige Kompetenzen und Bildung bei gleichzeitiger Gewährleistung der sozialen Inklusion“ (2019), „Berufsbildung: Wirksamkeit von Antizipierung und Abstimmung von Qualifikationen und Arbeitsmarkterfordernissen sowie Rolle der Sozialpartner und Interessenträger“ (2020), „Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur beruflichen Aus- und Weiterbildung für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Resilienz“ (2020), „Lebenslanges Lernen im Rahmen der allgemeinen und beruflichen Bildung: Förderung der Kompetenzen für die Schaffung einer gerechteren, kohärenteren, nachhaltigeren, digitaleren und widerstandsfähigeren Gesellschaft in Europa“ (2020), „KMU-Strategie für ein nachhaltiges und digitales Europa“ (2020), „Industrielle Ökosysteme, strategische Autonomie und Wohlergehen“ (2021), „Blended Learning“ (2021), „Paket Hochschulbildung““ (2022) u. a.

(6)  https://www.eurofound.europa.eu/observatories/eurwork/industrial-relations-dictionary/active-ageing.

http://erc-online.eu/wp-content/uploads/2017/03/With-signatures_Framework-agreement-on-active-ageing.pdf.

(7)  Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung.

(8)  Siehe u. a.: „Skill needs anticipation: systems and approaches. Analysis of stakeholder survey on skill needs assessment and anticipation.“ ILO — Genf, 2017, ISBN: 978-92-2-130248-3 (https://www.cedefop.europa.eu/files/2223_en.pdf).

Entschließung des Rates zu einer neuen europäischen Agenda für die Erwachsenenbildung 2021-2030 (2021/C 504/02).

(9)  http://www.nber.org/papers/w21116.

(10)  https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/63/small-and-medium-sized-enterprises.


III Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

576. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, 22.2.2023-23.2.2023

27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/23


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 260/2012 und (EU) 2021/1230 im Hinblick auf Sofortüberweisungen in Euro“

(COM(2022) 546 final — 2022/0341 (COD))

(2023/C 146/04)

Berichterstatter:

Christophe LEFÈVRE

Befassung

Europäisches Parlament, 21.11.2022

Rat der Europäischen Union, 16.11.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

27.1.2023

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

64/0/1

Verabschiedung im Plenum

22.2.2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

146/1/1

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt diese Verordnung über Sofortüberweisungen in Euro und verweist auf seine jüngsten Stellungnahmen zum Massenzahlungsverkehr (1) und zum europäischen Wirtschafts- und Finanzsystem (2). Diese hat er als Beitrag zu einem einheitlichen EU-Finanzmarkt, zur Vereinfachung grenzüberschreitender Transaktionen und zur Absicherung von Finanzgeschäften zwischen Verbrauchern, Unternehmen und KMU vorgelegt.

1.2.

Nach Auffassung des EWSA kommt es für den Erfolg von Sofortzahlungen in der EU entscheidend darauf an, dass die Dienstleistungen für die europäischen Verbraucher und Unternehmen zugänglich sind. Je mehr Zahlungsdienstleister (3) Sofortzahlungen anbieten, desto erfolgreicher werden solche Zahlungen in der EU sein. Künftig können alle Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, die ein Bankkonto in der EU oder in einem EWR-Land besitzen, Sofortzahlungen in Euro vornehmen. Mit dem Vorschlag soll sichergestellt werden, dass Sofortzahlungen in Euro erschwinglich und sicher sind und EU-weit ungehindert verarbeitet werden.

1.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die sendende Bank keine Gebühr für die Überprüfung der Übereinstimmung zwischen der internationalen Kontonummer (IBAN) und dem Namen des Begünstigten verlangen, sondern diese im Preis der Sofortzahlung enthalten sein sollte. Der EWSA empfiehlt, Zahlungsdienstleistern vorzuschreiben, für Sofortzahlungen in Euro nicht mehr Gebühren zu erheben als für normale Überweisungen in Euro, insbesondere wenn die IBAN-Überprüfung auf alle Zahlungen im einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) ausgeweitet wird.

1.4.

Der EWSA spricht sich dafür aus, die IBAN-Prüfung nicht auf Sofortzahlungen zu beschränken, sondern auch auf klassische Überweisungen auszuweiten, bis diese von Zahlungsdienstleistern bereitgestellt werden.

1.5.

E-Geld-Institute und Zahlungsinstitute sind derzeit vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen. Diese Ausnahme sollte aufgehoben werden, sobald diese Institute im Zuge der Änderung der Richtlinie über die Wirksamkeit von Abrechnungen (98/26/EG) Zugang zu den Zahlungssystemen erhalten (4). Nicht-Bank-Zahlungsdienstleister sollten unter die Verordnung fallen, solange ihr Angebot an Zahlungsdiensten die Führung eines Zahlungskontos und die Ausführung von Überweisungen umfasst. Bis dahin muss geklärt werden, wie die Überprüfungs- und Haftungsvorschriften bei IBAN-Zahlungen angewendet werden, wenn Sofortzahlungen über Dritte eingeleitet werden.

1.6.

Mit dieser Verordnung wird die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (5) geändert. Deshalb muss darauf hingewiesen werden, dass Zahlungen im Zusammenhang mit Wertpapierdienstleistungen von der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates (6) ausgenommen sind (zweite Zahlungsdiensterichtlinie, Artikel 3 Buchstabe i).

1.7.

Nach Auffassung des EWSA sollte die Europäische Kommission:

eine gebührenfreie Kundenbenachrichtigung bei Nichtübereinstimmung zwischen dem Namen und der IBAN-Nummer des Zahlungsempfängers verbindlich vorschreiben;

sicherstellen, dass die entgegennehmende Bank die sendende Bank informiert, wenn die IBAN-Prüfung eine Nichtübereinstimmung ergibt;

in dem Fall, dass eine Nichtübereinstimmung festgestellt wird und der Verbraucher trotzdem die Sofortzahlung bestätigt, die sendende Bank von der Haftung für die Zahlung an einen falschen Begünstigten befreien;

gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Betrugsbekämpfung vorschlagen, da die IBAN nur autorisierte Push-Zahlungen (über Banking-Apps) betrifft.

1.8.

Der EWSA empfiehlt, um unterschiedliche Auslegungen bezüglich der Anwendung von Sanktionen zu vermeiden und eine einheitliche Anwendung des EU-Rechts zu gewährleisten, Bestimmungen zu folgenden Fragen in die Verordnung aufzunehmen und zu erläutern:

Wie sollen Zahlungsdienstleister, die in mehreren Ländern tätig sind, solche Situationen bewerten und welche Schritte sollen sie unternehmen?

Wie werden solche Informationen innerhalb der EU ausgetauscht?

Wie wird die Frage des Schadensersatzes in solchen Fällen geregelt?

Es sollte auf eine einzige Liste der EU-Sanktionen unterliegenden Einzelpersonen und Organisationen verwiesen werden, die in Form von Verordnungen des Rates nach Artikel 215 AEUV angenommen und den Zahlungsdienstleistern unverzüglich zur Verfügung gestellt wird. Diese Informationen bilden die offizielle Liste der EU-Sanktionen (restriktiven Maßnahmen) unterliegenden Organisationen und Einzelpersonen.

1.9.

Die Europäische Kommission sollte in der Begründung der Verordnung die allgemeine Haltung der EU spezifizieren und eine Auslegung der Sanktionen für Waren und Dienstleistungen vornehmen, die für die Einfuhr, die Ausfuhr, den Transport, das Verbot usw. bestimmter Waren u. a. gelten.

1.10.

Zahlungsdienstleister könnten Sanktionen wirksamer überwachen, wenn sie über interne Überwachungslisten verfügen und auf Listen anderer Länder (USA, Vereinigtes Königreich usw.) verweisen könnten. Dadurch würden (der aktuellen Marktpraxis entsprechende) Reputations- und Korrespondenzbankrisiken verringert. Einzelmaßnahmen in diesem Bereich:

Erstellen interner Überwachungslisten, mit denen standardmäßig Einrichtungen, die an Sanktionsverstößen beteiligt sind bzw. Sanktionsrisiken aufweisen, Güter mit doppeltem Verwendungszweck usw. erfasst werden.

Verwendung der von der zuständigen nationalen Behörde gemäß den EU-Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche bereitgestellten Liste.

1.11.

Der EWSA unterstützt die Idee, E-Geld-Institute und Zahlungsinstitute an Zahlungssystemen direkt zu beteiligen. Er sieht auch Chancen darin, den Kommissionsvorschlag zu Sofortzahlungen auf die sieben Mitgliedstaaten auszuweiten, die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehören und Teil des EU-Binnenmarkts sind.

2.   Der Kommissionsvorschlag

2.1.

Sofortzahlungen sind Überweisungen, mit denen Geldbeträge jederzeit, rund um die Uhr und an allen Tagen des Jahres in Sekundenschnelle von einem Konto auf ein anderes übertragen werden können. Dies unterscheidet Sofortzahlungen von anderen Überweisungen, die von Zahlungsdienstleistern nur während der Geschäftszeiten ausgeführt werden und bei denen der Geldbetrag dem Zahlungsempfänger erst am Ende des folgenden Geschäftstages gutgeschrieben wird.

2.2.

In der EU sind die Strukturen für Sofortzahlungen in Euro bereits vorhanden. Dazu gehören verschiedene Zahlungssysteme, die eine sofortige Abwicklung ermöglichen, sowie das Sofortüberweisungssystem Instant Credit Transfer Scheme (SCT Inst. Scheme) des einheitlichen europäischen Zahlungsverkehrsraums (SEPA).

2.3.

Die Kommission hatte in ihrer Mitteilung vom 24. September 2020 (7) einen Legislativvorschlag angekündigt, wonach Zahlungsdienstleister in der EU spätestens ab Ende 2021 Sofortzahlungen in Euro anbieten müssen. Darüber hinaus bekräftigte die Kommission in ihrer Mitteilung vom 20. Januar 2021 (8) die Bedeutung ihrer Strategie für den Massenzahlungsverkehr und der digitalen Innovation im Finanzwesen. In der Folge nahm sie eine Initiative zu Sofortzahlungen in ihr Arbeitsprogramm für 2022 (9) auf.

2.4.

Dem Vorschlag zufolge können künftig alle Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, die ein auf Euro oder eine andere EU-Währung lautendes Bankkonto in der EU oder in einem EWR-Land besitzen, Sofortzahlungen in Euro vornehmen. Mit dem Vorschlag soll sichergestellt werden, dass Sofortzahlungen in Euro erschwinglich und sicher sind und EU-weit ungehindert verarbeitet werden. Der Vorschlag wird die Innovation und den Wettbewerb auf dem EU-Binnenmarkt für Zahlungen in voller Übereinstimmung mit den geltenden Vorschriften über Sanktionen und zur Bekämpfung von Finanzkriminalität fördern. Er wird auch zu den weiter gefassten Zielen der Kommission in den Bereichen Digitalisierung und offene strategische Autonomie beitragen. Diese Initiative steht im Einklang mit der Priorität der Kommission, eine Wirtschaft im Dienste der Menschen und ein attraktiveres Investitionsumfeld zu schaffen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA hat in jüngster Zeit Stellungnahmen zum Massenzahlungsverkehr (10) und zum europäischen Wirtschafts- und Finanzsystem (11) als Beitrag zu einem einheitlichen EU-Finanzmarkt, zur Vereinfachung grenzüberschreitender Transaktionen und zur Absicherung von Finanzgeschäften zwischen Verbrauchern, Unternehmen und KMU vorgelegt.

3.2.

Ende 2022 waren etwas mehr als 13 % (12) aller Überweisungen in Euro Sofortzahlungen.

Jeder dritte Zahlungsdienstleister in der EU bietet keine Sofortzahlungen in Euro an.

70 Mio. Bankkonteninhaber im Euro-Währungsgebiet können keine Sofortzahlungen in Euro senden oder erhalten.

Bis zu 9,4 % der grenzüberschreitenden Euro-Sofortzahlungen werden von den Zahlungsdienstleistern infolge einer ineffizienten Sanktionslistenprüfung abgelehnt.

3.3.

Laut Untersuchung der Europäischen Kommission werden bis zu 200 Mrd. EUR der derzeit im Finanzsystem gebundenen Mittel täglich für produktive Zwecke freigegeben, was einem wirtschaftlichen Nutzen zwischen 1,34 und 1,84 Mrd. EUR pro Jahr entspricht. Bei dieser Bewertung bleibt die steigende Inflation in Europa infolge des russischen Krieges in der Ukraine und der COVID-19-Pandemie unberücksichtigt, die in einigen Ländern 10 bis 30 % erreicht.

3.4.

Für Verbraucher, Unternehmen, KMU und Einzelhändler sind Sofortzahlungen sicherere Transaktionen, da das Geld sofort eingeht. Bei einer zusätzlichen Zahlungsoption, d. h. bei grenzüberschreitenden Zahlungen in Euro, gewährleisten Kosteneinsparungen aufgrund nicht erforderlicher Zahlungsgarantien ein besseres Liquiditätsmanagement.

3.5.

Sofortzahlungen erhöhen auch die Auswahl an Zahlungsmitteln in physischen Verkaufsstellen (Points-of-Sale). In diesen Geschäften sind derzeit Zahlungen nur in bar oder per Karte möglich. Für grenzüberschreitende Transaktionen werden in der Praxis ausschließlich internationale Kartensysteme verwendet. Dank dieser Rechtsvorschriften werden Sofortzahlungen auch grenzüberschreitend möglich sein.

3.6.

Der EWSA begrüßt, dass

Zahlungsdienstleister, die reguläre Euro-Überweisungen anbieten, auch zur Entgegennahme und Versendung von Sofortzahlungen in Euro verpflichtet werden;

die Sanktionslistenprüfung durch sehr häufigen Abgleich der Kundendaten mit den Sanktionslisten der EU erfolgen muss (wie dies in einigen Mitgliedstaaten bei Inlandszahlungen bereits der Fall ist), anstatt jeden Zahlungsvorgang einzeln zu prüfen;

Zahlungsdienstleister verpflichtet werden, als Dienstleistung eine Kundenbenachrichtigung für den Fall anzubieten, dass der Name des Zahlungsempfängers und die vom Zahler angegebene IBAN nicht übereinstimmen.

3.7.

Der EWSA empfiehlt, Zahlungsdienstleistern vorzuschreiben, für Sofortzahlungen in Euro nicht mehr Gebühren zu erheben als für normale Überweisungen in Euro, insbesondere wenn die IBAN-Überprüfung auf alle Zahlungen im einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) ausgeweitet wird.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Die Verordnung dient der Änderung der Verordnung (EU) Nr. 260/2012 und hat daher denselben Anwendungsbereich. Es ist jedoch unklar, ob diese neuen Vorschriften auch für Zahlungen im Zusammenhang mit Wertpapierdienstleistungen gelten. Diese Dienste sind von der Richtlinie (EU) 2015/2366 (zweite Zahlungsdiensterichtlinie, Artikel 3 Buchstabe i) ausgenommen. Diese Ausnahme sollte verdeutlicht werden. Die Überprüfung der Übereinstimmung zwischen IBAN und Name des Begünstigten ist Aufgabe der entgegennehmenden Bank, die dafür aufkommen muss. Diese Bank kennt jedoch nicht den Absender, zu dem sie keine Beziehung hat. Deshalb kann diese Bank vom Absender auch keine Gebühr verlangen. Allenfalls könnte die sendende Bank vom Absender eine Gebühr verlangen, was jedoch unlogisch wäre, da die Hauptarbeit von der empfangenden Bank geleistet wird. Der EWSA ist der Auffassung, dass die sendende Bank keine Gebühr für diese Dienstleistung verlangen sollte. Diese sollte, wenn überhaupt, im Preis der Sofortzahlung selbst enthalten sein und nicht separat als Transaktionsgebühr in Rechnung gestellt werden. Dies könnte sich nämlich negativ auf die Bereitschaft der Zahler, die Dienstleistung zu nutzen, und damit auf die Sicherheit der Transaktionen für die Zahler auswirken.

Der EWSA bezweifelt auch, dass die IBAN-Prüfung eine rein optionale Dienstleistung ist, die der Verbraucher für jede einzelne oder sämtliche Transaktionen auswählen muss. In einigen Fällen (z. B. bei Zahlungen über mobile Anwendungen) kann dies sehr kompliziert sein und den Servicekomfort für den Zahler beeinträchtigen. Dieser wäre gezwungen, bei der Einleitung einer Überweisung jedes Mal neu zu entscheiden und häufiger zu klicken als unbedingt nötig.

Der EWSA spricht sich dafür aus, die IBAN-Prüfung nicht auf Sofortzahlungen zu beschränken, sondern auch auf klassische Überweisungen auszuweiten, bis diese von Zahlungsdienstleistern bereitgestellt werden.

E-Geld-Institute und Zahlungsinstitute sind derzeit vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen. Diese Ausnahme sollte aufgehoben werden, sobald diese Institute im Zuge der Änderung der Richtlinie über die Wirksamkeit von Abrechnungen Zugang zu den Zahlungssystemen erhalten. Nicht-Bank-Zahlungsdienstleister sollten unter die Verordnung fallen, solange ihr Angebot an Zahlungsdiensten die Führung eines Zahlungskontos und die Ausführung von Überweisungen umfasst. Bis dahin muss geklärt werden, wie die Überprüfungs- und Haftungsvorschriften bei IBAN-Zahlungen angewendet werden, wenn Sofortzahlungen über Dritte eingeleitet werden.

4.2.

Nach Auffassung des EWSA ist die Zugänglichkeit von Dienstleistungen für die europäischen Verbraucher und Unternehmen für den Erfolg von Sofortzahlungen in der EU von entscheidender Bedeutung. Je mehr Zahlungsdienstleister Sofortzahlungen anbieten werden, desto erfolgreicher werden solche Zahlungen in der EU sein. Daher unterstützt der EWSA die Idee, E-Geld-Institute und Zahlungsinstitute an Zahlungssystemen direkt zu beteiligen. Er sieht auch Chancen darin, den Kommissionsvorschlag zu Sofortzahlungen auf die sieben Mitgliedstaaten auszuweiten, die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehören und Teil des EU-Binnenmarkts sind.

4.3.

Nach Auffassung des EWSA sollte die Europäische Kommission zusätzlich zu dem Verordnungsvorschlag

die Möglichkeit für Kunden schaffen, bei Nichtübereinstimmung zwischen dem Namen und der IBAN-Nummer des Zahlungsempfängers bzw. einer anderen vom Zahler angegebenen Kennung, sofort eine elektronische Benachrichtigung zu erhalten. Diese Dienstleistung muss verbindlich und gebührenfrei angeboten werden;

sicherstellen, dass die entgegennehmende Bank, die sendende Bank informiert, wenn die IBAN-Prüfung eine Nichtübereinstimmung ergibt. Die sendende Bank informiert sodann ihren Verbraucher über diese Unstimmigkeit, und der Zahlungsvorgang wird ausgesetzt;

sicherstellen, dass sich der Verbraucher, sollte er eine Sofortzahlung trotz festgestellter Unstimmigkeit bestätigen, vollkommen im Klaren ist, dass die sendende Bank bei der Angabe eines falschen Begünstigten nicht mehr haftet;

gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Betrugsbekämpfung vorschlagen, da die IBAN nur autorisierte Push-Zahlungen (über Banking-Apps) betrifft. Dies kann in Abstimmung mit der Entwicklung des Zahlungsaufforderungs-Systems erfolgen, das vom Europäischen Zahlungsverkehrsausschuss eingerichtet wurde, der auch für das SCT Inst. Scheme zuständig ist.

5.   Sanktionen

5.1.

Ein sehr hoher Anteil der grenzüberschreitenden Zahlungen in Euro wird von Zahlungsdienstleistern aufgrund von Problemen bei der EU-Sanktionslistenprüfung zu Unrecht abgelehnt. Die für die Durchsetzung von Sanktionen zuständigen Behörden informieren die Zahlungsdienstleister über die Unternehmen, für die aufgrund von Kontrollen oder eigentumsrechtlicher Fragen Sanktionen Anwendung finden. Leider legen die Behörden verschiedener Länder die Kriterien oder die Gründe für einen Eigentümerwechsel häufig unterschiedlich aus und äußern sich unterschiedlich zur Anwendung von Sanktionen auf solche Unternehmen. Deshalb kann es vorkommen, dass ein Unternehmen in manchen Ländern Sanktionen unterliegt und in anderen nicht. Daher sollten:

a)

Bestimmungen in die Verordnung aufgenommen werden, um die einheitliche Anwendung des EU-Rechts sicherzustellen:

Wie sollen Zahlungsdienstleister, die in mehreren Ländern tätig sind, solche Situationen bewerten und welche Schritte sollen sie unternehmen?

Wie werden solche Informationen innerhalb der EU ausgetauscht?

Wie wird die Frage des Schadensersatzes in solchen Fällen geregelt?

b)

In der Begründung der Verordnung die allgemeine Haltung der EU spezifiziert werden und eine Auslegung der Sanktionen erfolgen, wie sie z. B. von der EU für Waren und Dienstleistungen angewandt werden. d. h. Sanktionen, wie sie für die Einfuhr, die Ausfuhr, die Beförderung, das Verbot usw. bestimmter Waren gelten.

5.2.

Zahlungsdienstleister könnten Sanktionen wirksamer überwachen, wenn sie über interne Überwachungslisten verfügen und auf Listen anderer Länder (USA, Vereinigtes Königreich usw.) verweisen könnten. Dadurch würden (der aktuellen Marktpraxis entsprechende) Reputations- und Korrespondenzbankrisiken verringert. Einzelmaßnahmen in diesem Bereich:

Erstellen interner Überwachungslisten, mit denen standardmäßig Einrichtungen, die an Sanktionsverstößen beteiligt sind bzw. Sanktionsrisiken aufweisen, Güter mit doppeltem Verwendungszweck usw. erfasst werden.

Verwendung der von der zuständigen nationalen Behörde gemäß den EU-Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche bereitgestellten Liste.

5.3.

Die Europäische Union folgt in Bezug auf Sanktionen u. U. einer anderen Auslegung als Drittländer. Im Hinblick auf die Übereinstimmung mit der internen Politik und der Außenpolitik empfiehlt der EWSA, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass die Aufsichtsbehörden den von ihnen beaufsichtigten Zahlungsdienstleistern die im Zusammenhang mit restriktiven Maßnahmen der EU erstellten Informationslisten über Personen oder Einrichtungen, die in Form von Verordnungen des Rates nach Artikel 215 AEUV angenommen werden, unverzüglich zur Verfügung stellen. Diese Informationen bilden die offizielle Liste der EU-Sanktionen (restriktiven Maßnahmen) unterliegenden Organisationen und Einzelpersonen. Diese Liste sollte von der zuständigen nationalen Behörde gemäß den EU-Rechtsvorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche bereitgestellt werden.

Brüssel, den 22. Februar 2023

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 220 vom 9.6.2021, S. 72.

(2)  ABl. C 341 vom 24.8.2021, S. 41.

(3)  Ein Zahlungsdienstleister ist ein Anbieter von Zahlungsdiensten im Sinne von Anhang I der Richtlinie (EU) 2015/2366 (PSD2), beispielsweise ein Kreditinstitut, ein Zahlungsinstitut oder ein E-Geld-Institut.

(4)  ABl. L 166 vom 11.6.1998, S. 45.

(5)  Verordnung (EU) Nr. 260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (ABl. L 94 vom 30.3.2012, S. 22).

(6)  Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (ABl. L 337 vom 23.12.2015, S. 35).

(7)  COM(2020) 592 final vom 24. September 2020.

(8)  COM(2021) 32 final vom 19. Januar 2021.

(9)  COM(2021) 645 final vom 19. Oktober 2021.

(10)  ABl. C 220 vom 9.6.2021, S. 72.

(11)  ABl. C 341 vom 24.8.2021, S. 41.

(12)  https://www.europeanpaymentscouncil.eu/what-we-do/sepa-instant-credit-transfer


27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/29


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erhebung und den Austausch von Daten im Zusammenhang mit Dienstleistungen im Bereich der kurzfristigen Vermietung von Unterkünften und zur Änderung der Verordnung (EU) 2018/1724“

(COM(2022) 571 final — 2022/0358 (COD))

(2023/C 146/05)

Berichterstatter:

Marinel Dănuț MUREȘAN

Befassung

Europäisches Parlament, 21.11.2022

Rat der Europäischen Union, 1.12.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

27.1.2023

Verabschiedung im Plenum

22.2.2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

190/0/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Verordnungsvorschlag entspricht der Erwartung aller redlichen Interessenträger, den Markt für kurzfristige Vermietungen zu regulieren, und steht im Einklang mit den übrigen EU-Vorschriften.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) empfiehlt, die in dieser Verordnung vorgeschlagenen technischen Instrumente umzusetzen, um ein faires Wettbewerbsumfeld für die kurzfristige Vermietung aufzubauen und sicherere, transparentere und korrektere kurzfristige Vermietungsdienstleistungen zu ermöglichen. Zudem spricht er sich dafür aus, den nationalen und lokalen Behörden wirksame Instrumente an die Hand gegeben, um die kurzfristige Vermietung entsprechend der spezifischen Situation und den jeweiligen Bedürfnissen in den verschiedenen EU-Regionen zu regulieren.

1.3.

In dieser Verordnung wird nicht festgelegt, wer und was bei der Registrierung über die einheitliche digitale Zugangsstelle anzugeben ist. Besondere Situationen gibt es in Bezug auf:

Informationen über den Gastgeber (Eigentümer, Vertreter des Eigentümers, Mieter/Untermieter, Makler sowie Hausverwaltungsfirmen, die mit der Verwaltung bzw. dem Unterhalt der Unterkünfte beauftragt sind),

Informationen über die Unterkünfte (die ganz oder teilweise für kurzfristige Vermietung genutzt werden, mit kostenpflichtigen oder gemeinschaftlichen Leistungen usw.),

maximale Beherbergungskapazität pro Einheit (zur Vermeidung der Überbelegung jenseits der normalen Beherbergungskapazität der Einheit).

1.3.1.

Die Registrierung über die einheitliche digitale Zugangsstelle mit einem EU-weit einheitlichen Format muss einfacher und flexibler gestaltet werden, damit den Bestimmungen in allen besonderen Situationen möglichst leicht entsprochen und die betreffenden Informationen unter Einhaltung der Regeln korrekt und effizient verwaltet werden können, sodass die Registrierung über die einheitliche digitale Zugangsstelle möglichst selten umgangen wird.

1.4.

Der EWSA schlägt der Kommission vor, dass den nationalen bzw. lokalen Behörden in der aktuellen Verordnung empfohlen wird, regelmäßig Folgenabschätzungen zur kurzfristigen Vermietung durchzuführen und dabei folgende Aspekte zu beleuchten:

tatsächliches lokales Tourismuspotenzial,

Beeinträchtigung des Wohlergehens der Einheimischen,

Auswirkungen auf den sozialen Wohnungsbau,

Auswirkungen auf den regionalen Immobilienmarkt,

soziale Auswirkungen der Lebenshaltungskosten in der Region,

Auswirkungen auf die Arbeitsplätze,

Umweltverschmutzung,

Folgen für die Achtung lokaler Traditionen,

Auswirkungen auf das direkte und indirekte Wirtschaftsgeschehen in der Region.

1.4.1.

All dies kann den Behörden helfen, frühzeitig durch geeignete Maßnahmen Extremsituationen zu vermeiden.

1.5.

In der Verordnung wird den nationalen und lokalen Behörden abgesehen von der Registrierung der Gastgeber über die einheitliche digitale Zugangsstelle nicht vorgeschrieben, welche Kriterien sie für die Genehmigung anwenden müssen, sondern es bleibt ihnen freigestellt, diese an die spezifischen örtlichen Gegebenheiten zu knüpfen. Allerdings sollte das Genehmigungsverfahren keine künstlichen Beschränkungen auferlegen und die normale kurzfristige Vermietungstätigkeit nicht beeinträchtigen. Der EWSA vertritt die Auffassung, dass ein System mit Versicherungspolicen, die vom Gastgeber für die von ihm vermieteten Einheiten abgeschlossen werden müssen und die meisten Risiken der kurzfristigen Vermietung abdecken, wirksam an die Stelle der Anforderungen für eine Genehmigung treten könnte. Versicherungsunternehmen würden nämlich bei der Bewertung der Versicherungspolice implizit prüfen, ob der Gastgeber die notwendigen Voraussetzungen erfüllt.

1.6.

Die Verordnung enthält keine strikten Vorschriften zu den Angaben, die die Gastgeber bei der Registrierung über die einheitliche digitale Zugangsstelle und die Plattformen bei der Berichterstattung an die Behörden machen müssen. Daher würde wie angegeben ein unter Federführung der europäischen Institutionen ausgearbeiteter standardisierter Ansatz für den Umfang der für alle kurzfristigen Vermietungstätigkeiten erforderlichen Informationen den nationalen und lokalen Behörden helfen, im Interesse ihrer jeweiligen Gemeinschaften zu entscheiden. Der Informationsaustausch zwischen den Behörden und die Einhaltung der Rechtsvorschriften würden verbessert, und es könnten geeignete Maßnahmen aus europäischen und regionalen Analysen abgeleitet werden.

1.7.

Außerdem empfiehlt der EWSA der Kommission, dass die nationalen bzw. lokalen Behörden die Auswirkungen der kurzfristigen Vermietung hinsichtlich der folgenden Aspekte überwachen:

deutliche Verknappung des Angebots an langfristig und nicht touristisch genutztem Mietwohnraum,

Verknappung des Mietangebots für Geringverdiener infolge der durch die rege Nachfrage am Markt für kurzfristige Vermietung bedingten Preissteigerungen,

Verschlechterung des Lebensumfelds der Lokalbevölkerung aufgrund von Lärmbelästigung durch Touristen und deren unangemessenen Verhaltens oder Respektlosigkeit gegenüber den Einheimischen in Bezug auf die Achtung der lokalen Traditionen sowie die Einhaltung von Ordnung, Hygiene und Sauberkeit im öffentlichen Raum und an den Orten für Müllsammlung und -trennung)

zum Schutz von Geschichts-, Architektur- und Naturdenkmälern erforderliche zusätzliche Maßnahmen,

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt als Ganzes.

1.7.1.

Der Vorschlag ermöglicht eine offene Herangehensweise an diese Herausforderungen zum Nutzen aller an der kurzfristigen Vermietung beteiligten Akteure. Die beschlossenen Maßnahmen werden weder zu nennenswerten Verzerrungen noch zur massiven Umgehung der Vorschriften führen, da die Lokalbevölkerung direkt zur harmonischen Integration der kurzfristigen Vermietung beitragen wird.

1.8.

Der EWSA empfiehlt, Online-Plattformen im Wege dieser Verordnung dazu zu verpflichten, den Gästen nicht nur die über die einheitliche digitale Zugangsstelle erfassten Informationen über den Gastgeber und allgemeine Informationen über die Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Sie sollten darüber hinaus auch über die Haftung der Gastgeber und der Plattform, die Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen zum Wohle der Gäste, die spezifischen Verhaltensregeln für die Gäste in der Unterkunft und im Lebensumfeld der Lokalbevölkerung sowie über lokale Traditionen informieren, was für alle Marktakteure und auch für die Gemeinschaften und die örtlichen Behörden von Bedeutung ist.

1.9.

In der Verordnung ist eine zweijährige Übergangszeit für ihre Anwendung auf nationaler Ebene vorgesehen. Nach Ansicht des EWSA wird die Einrichtung von Online-Plattformen nach dieser Zweijahresfrist dank Interoperabilität und Datenaustausch wesentlich leichter und ohne manuelle Dateneingabe möglich sein. Daher empfiehlt der EWSA, dass die manuelle Dateneingabe durch Online-Plattformen, die von Unternehmen, Kleinst- oder Kleinunternehmen betrieben werden, fakultativ sein sollte. Allerdings empfiehlt er, zu präzisieren, dass die Einhaltung der Meldung und Übermittlung von Daten aller Plattformen, die kurzfristige Vermietungen vermitteln oder ermöglichen, von den nationalen und lokalen Behörden überwacht werden muss, und dass diese etwaige unterlassene oder fehlerhafte Meldungen seitens der Administratoren von Online-Plattformen oder sonstigen Arten von Plattformen, die diese Dienstleistungen anbieten, sanktionieren.

1.10.

Der EWSA empfiehlt, in der Verordnung festzulegen, dass die EU-Institutionen kontinuierlich und direkt oder über nationale und lokale Behörden alle einschlägigen Akteure über sämtliche aktuelle oder vorgesehene wichtige wirtschaftliche, soziale, ökologische und sicherheitsrelevante Entwicklungen im Zusammenhang mit der kurzfristigen Vermietung informieren, die sich auf die lokale Bevölkerung in den jeweiligen Gebieten auswirken könnten. Dies würde dazu beitragen, dass rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden können und negativen Entwicklungen (Wirtschaftskrisen, größeren sozialen Krisen, größeren sozialen Bewegungen, zunehmender Armut und Obdachlosigkeit, erheblichen Schäden für Umwelt und öffentliche Gesundheit usw.) sowie sonstigen Ereignissen vorgebeugt werden kann, die die Behörden zu für die kurzfristige Vermietung nachteiligen Maßnahmen zwingen würden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Die kurzfristige Vermietung von Wohnraum in der EU entwickelt sich vor allem dank der Plattformwirtschaft dynamisch. In der EU macht diese Art der Vermietung rund ein Viertel aller touristischen Beherbergungen aus — mit EU-weit deutlich steigender Tendenz. Der Vorschlag der Kommission ist eine Schlüsselmaßnahme des im Februar 2022 veröffentlichten Übergangspfads für den Tourismus. Er wurde in der KMU-Strategie der Kommission vom März 2020 angekündigt, um eine ausgewogene und verantwortungsvolle Entwicklung der kollaborativen Wirtschaft auf dem Binnenmarkt zu fördern.

2.2.

Mit dem vorgeschlagenen neuen Rahmen werden folgende Ziele verfolgt:

Harmonisierung der Registrierungsanforderungen für Gastgeber und die von ihnen kurzfristig vermieteten Unterkünfte, soweit die nationalen Behörden solche Anforderungen eingeführt haben,

Präzisierung der Vorschriften zur Angabe und Prüfung der Registrierungsnummern,

Straffung des Datenaustauschs zwischen Online-Plattformen und Behörden,

Weiterverwendung von aggregierten Daten,

Schaffung eines wirksamen Umsetzungsrahmens.

2.3.

Die vorgeschlagene Verordnung steht im Einklang mit anderen Rechtsinstrumenten wie:

dem Gesetz über digitale Dienste,

der Dienstleistungsrichtlinie,

der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr,

der Platform-to-Business-Verordnung (P2B-Verordnung),

dem Vorschlag für das Datengesetz,

der Datenschutz-Grundverordnung,

der Verordnung über das einheitliche digitale Zugangstor.

Zudem fällt sie unter die DAC7-Richtlinie (1).

2.4.

Ziel der Verordnung ist es, in der gesamten EU einen harmonisierten und einheitlichen Rahmen für die Generierung und den Austausch von Daten über die kurzfristige Vermietung zu schaffen, um Divergenzen bei Datenanforderungen und -anfragen im Binnenmarkt zu vermeiden.

2.5.

Zudem werden Online-Plattformen mit dem Verordnungsvorschlag durch die Schaffung eines harmonisierten Rahmens und die Verringerung von Fragmentierung, semantischen Unklarheiten und Verwaltungsaufwand dabei unterstützt, ihre Verfahren zur Registrierung und Übermittlung von Daten zu vereinfachen und zu standardisieren und für die Interoperabilität der übermittelten Daten zu sorgen.

2.6.

Gemäß der Verordnung müssen sich die Gastgeber vorab über eine einheitliche digitale Zugangsstelle registrieren. Dies ermöglicht den Kunden von Online-Plattformen für kurzfristige Vermietung den Zugang zu transparenteren und genaueren Informationen, erhöht die Rechtssicherheit bezüglich der gehandelten Dienstleistungen, erleichtert den Austausch nützlicher Informationen und trägt zu einer reibungsloseren Verwaltung dieser Dienstleistungen in den verschiedenen Regionen bei.

2.7.

Mit der Verordnung wird ein gemeinsamer Rahmen für Information und Datenverarbeitung auf EU-Ebene geschaffen. Dadurch können die nationalen und lokalen Behörden Daten zurückverfolgen, was notwendig ist, um Vorschriften für die kurzfristige Vermietung zu entwickeln und zu verwalten, diese einzuhalten und fundierte politische Maßnahmen im Einklang mit dem geltenden EU-Recht zu ergreifen.

2.8.

Die Verordnung trägt etwaigen finanziellen und administrativen Schwierigkeiten von Online-Plattformen betreibenden Kleinst- und Kleinunternehmen Rechnung, die diese bei der Anpassung dieser Plattformen an die Vorschriften der Verordnung bezüglich der automatischen Interoperabilität des Datenaustauschs haben könnten, indem alternative, kostengünstige Lösungen angeboten werden.

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

3.1.

Die vorliegende Verordnung steht im Einklang mit den genannten EU-Rechtsvorschriften. Sie fördert ein faireres und ausgewogeneres Wettbewerbsumfeld für diesen wichtigen und dynamischen Geschäftsbereich und verpflichtet alle Dienstleister (Gastgeber) auf dem Markt für kurzfristige Vermietung zur verstärkten Einhaltung der einschlägigen (steuerlichen) Rechtsvorschriften. Dieser Markt ist im Übrigen ein Motor für die Entwicklung diverser Unternehmen in der EU.

3.2.

Die europäischen und nationalen Institutionen müssen diesen sich ständig weiterentwickelnden Bereich überwachen und regulieren, damit sich im Rahmen der kurzfristigen Vermietung erbrachte Dienstleistungen harmonisch in das Gesamtumfeld einfügen und dadurch im Einklang mit der sozialen Taxonomie implizit zur nachhaltigen Entwicklung der lokalen Wirtschaft beitragen.

3.3.

Die vorliegende Verordnung gibt den nationalen und lokalen Behörden keine Genehmigungskriterien vor. Vielmehr bleibt es ihnen überlassen, Genehmigungen an die jeweiligen Verhältnisse vor Ort zu knüpfen. So soll es möglich sein, die besonderen sozialen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt, die allgemeine soziale Lage, das Miteinander mit den Einheimischen sowie die ökologischen und wirtschaftlichen Bedingungen in den betreffenden Gebieten zu berücksichtigen. Allerdings gilt es, durch das Registrierungsverfahren keine künstlichen Beschränkungen aufzuerlegen und die normale kurzfristige Vermietungstätigkeit nicht zu beeinträchtigen.

3.3.1.

Die Bestimmungen der Verordnung für die Angaben durch Gastgeber bei ihrer Registrierung über die einheitliche digitale Zugangsstelle und für die Berichterstattung seitens der Plattformen sind nicht übermäßig strikt. Für die nationalen und lokalen Behörden ergeben sich daraus sowohl Chancen als auch Risiken für die Handhabung der bei der Registrierung von Gastgebern und der Genehmigung ihrer Tätigkeit sowie durch die Berichterstattung der Plattformen gesammelten Daten. Diese Daten müssen effizient genutzt werden, wobei keine Hemmnisse für die Entwicklung und Durchführung kurzfristiger Vermietungen entstehen dürfen. Die Kommission empfiehlt allerdings, die anzugebenden Informationen zu vereinheitlichen, um den erforderlichen Datenaustausch zwischen den Behörden zu erleichtern.

3.4.

Die europäischen Institutionen sollten gemeinsam mit den nationalen und lokalen Behörden die Bedingungen für den normalen Ablauf und die Entwicklung kurzfristiger Vermietungen regeln. Dabei sollte die Einhaltung einer sozialen und wirtschaftlichen Taxonomie sowie des Umwelt-, Denkmal- und Naturschutzes und die harmonische Integration in das lokale Umfeld verpflichtend sein.

3.5.

Die Plattformen werden von europäischen und außereuropäischen Kunden neben dem Tourismus zu unterschiedlichen Reisezwecken genutzt. Daher muss diese Verordnung in der Praxis dazu führen, dass sich ein faires Wettbewerbsumfeld mit fairen Preise und einem ausgewogenen Angebot aller Unterbringungsformen (darunter traditionelle Formen wie Hotels, Gasthäuser und Herbergen sowie neue Formen mit Gastgebern oder bei Privatpersonen) herausbildet und erhält. Dabei darf es nicht zum Rückgang des Angebots an kurzfristigen Vermietungen oder zum Anstieg der Kosten dafür kommen.

3.6.

In der Verordnung sollte vorgesehen werden, dass alle von den nationalen und lokalen Behörden für Gastgeber vorgeschriebenen spezifischen Zusatz- oder Compliance-Regeln schrittweise und rechtzeitig eingeführt werden, damit das Angebot an kurzfristigen Vermietungen auf den jeweiligen Märkten nicht zurückgeht oder in Richtung weniger offizieller Formen abdriftet. Dies würde sich nämlich auf die durch kurzfristige Vermietungen direkt und indirekt geschaffenen Arbeitsplätze, die betreffenden Unternehmen und die mit ihnen verbundenen Unternehmen sowie die freiwillige Einhaltung der Rechtsvorschriften durch die Gastgeber auswirken.

3.7.

Die dynamische Entwicklung des Tourismus und spezifischer Online-Plattformen hat Gastgebern und Gästen/Touristen neue Möglichkeiten eröffnet. Allerdings sind dadurch neben den zusätzlichen großen Geschäftsmöglichkeiten für die betreffenden Gemeinschaften auch etliche Probleme entstanden:

deutliche Verknappung des Angebots an langfristig und nicht touristisch genutztem Mietwohnraum,

Verknappung des Mietangebots für Geringverdiener infolge der durch die rege Nachfrage am Markt für kurzfristige Vermietung bedingten Preissteigerungen,

Verschlechterung des Lebensumfelds der Lokalbevölkerung aufgrund von Lärmbelästigung durch Touristen und deren unangemessenen Verhaltens oder Respektlosigkeit gegenüber den Einheimischen in Bezug auf die Achtung der lokalen Traditionen sowie die Einhaltung von Ordnung, Hygiene und Sauberkeit im öffentlichen Raum und an den Orten für Müllsammlung und -trennung)

zusätzliche Maßnahmen zum Schutz von Geschichts-, Architektur- und Naturdenkmälern,

Arbeitskräftemangel, hohe Arbeitskosten.

3.7.1.

Der EWSA ist über dieses in bestimmten Teilen der EU zu beobachtende Phänomen besorgt und ist sich bewusst, dass es nicht der Intention des Verordnungsvorschlags der Kommission entspricht. Deshalb fordert er, dass diese wichtigen bürgerschaftlichen und sozialen Belange in den Regelungen berücksichtigt werden.

3.8.

Die Verordnung enthält keine Bestimmungen darüber, wer und was bei der Registrierung über die einheitliche digitale Zugangsstelle anzugeben ist. Besondere Situationen gibt es in Bezug auf:

Informationen über den Gastgeber (Eigentümer, Vertreter des Eigentümers, Mieter/Untermieter, Makler sowie Hausverwaltungsfirmen, die mit der Verwaltung bzw. dem Unterhalt der Unterkünfte beauftragt sind),

Informationen über die Unterkünfte (die ganz oder teilweise für kurzfristige Vermietung genutzt werden, mit kostenpflichtigen oder gemeinschaftlichen Leistungen usw.),

maximale Beherbergungskapazität pro Einheit (zur Vermeidung der Überbelegung jenseits der normalen Beherbergungskapazität der Einheit).

3.8.1.

Alle diese Aspekte müssen vorab geklärt und die entsprechenden Informationen an die für die Einrichtung und Verwaltung der einheitlichen Zugangsstelle zuständigen Behörden übermittelt werden, um eine ordnungsgemäße und effiziente Handhabung der Informationen, die Einhaltung der Vorschriften, einen möglichst kohärenten Informationsaustausch und eine einheitliche Umsetzung auf EU-Ebene zu gewährleisten.

3.9.

Außerdem stellt der EWSA fest, dass die Kriterien für die Genehmigung von für die kurzfristige Vermietung genutzten Einheiten laut der vorliegenden Verordnung in die Zuständigkeit der nationalen und lokalen Behörden fallen. Dieser Aspekt könnte sich mit Blick auf die spezifischen örtlichen Gegebenheiten insofern als wirksam und praktisch erweisen, als allzu bürokratische Vorgehensweisen der Behörden bei der Genehmigung vermieden werden.

3.10.

Die Verordnung enthält keine Anforderungen an Online-Plattformen in Bezug auf den Umfang der den Gästen über die Unterkünfte oder seitens des Gastgebers zur Verfügung zu stellenden Informationen oder die Haftung der verschiedenen Parteien. Gleiches gilt für Informationen, die den Kunden über die Mietbedingungen zur Verfügung zu stellen sind. Diese Informationen werden in das Ermessen der Plattformen oder der nationalen und lokalen Behörden gestellt. Ein durchgängiger Compliance-Standard im Hinblick auf zweckdienliche Informationen für die Gäste über die Unterkunft, die Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften, die Haftung der einzelnen Parteien und die in der Unterkunft und im Lebensumfeld der Lokalbevölkerung geltenden Verhaltensregeln, wäre sowohl für die Marktteilnehmer als auch für die Gemeinschaften und die örtlichen Behörden nützlich.

3.11.

Die Verordnung steht im Einklang mit der europäischen Rechtssetzung, muss jedoch auf nationaler Ebene erst nach einer zweijährigen Übergangszeit angewendet werden. Nach Ansicht des EWSA wird die Einrichtung von Online-Plattformen nach dieser Zweijahresfrist dank Interoperabilität und Datenaustausch wesentlich leichter und ohne manuelle Dateneingabe möglich sein. Daher sollte in dieser Verordnung empfohlen werden, dass die manuelle Dateneingabe für Online-Plattformen, die von Unternehmen, Kleinst- oder Kleinunternehmen betrieben werden, fakultativ ist. Die Einhaltung der Vorschriften über die Meldung und Übermittlung von Daten aller Plattformen, die kurzfristige Vermietungen vermitteln oder ermöglichen, sollte durch nationale und lokale Behörden überwacht werden.

Brüssel, den 22. Februar 2023

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Mit der Richtlinie (EU) 2021/514 des Rates vom 22. März 2021 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung (ABl. L 104 vom 25.3.2021, S. 1) wurde der EU-Rahmen zum automatischen Austausch von Informationen im Bereich der Besteuerung erweitert. Die Mitgliedstaaten mussten diese Richtlinie bis zum 31. Januar 2022 in nationales Recht umsetzen und die neuen Bestimmungen sind ab dem 1. Januar 2023 anzuwenden.


27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/35


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Behandlung von kommunalem Abwasser“

(COM(2022) 541 final — 2022/0345 (COD))

(2023/C 146/06)

Berichterstatter:

Stoyan TCHOUKANOV

Befassung

Europäisches Parlament, 19.1.2023

Rat, 24.1.2023

Rechtsgrundlage

Artikel 192 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

3.2.2023

Verabschiedung im Plenum

22.2.2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

198/1/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortet das Ansinnen der Kommission, die EU-Vorschriften für kommunales Abwasser auf den neuesten Stand zu bringen und sie für die nächsten zwei Jahrzehnte passend zu machen. Dabei sollen nicht nur die Abwasserbehandlung, sondern auch Aspekte der Energie- und Kreislaufwirtschaft geregelt werden, um die Bewirtschaftung zu verbessern.

1.2.

Nach Ansicht des EWSA ist Wasser eine Ressource, die für das Funktionieren unserer Gesellschaft sowie für eine widerstandsfähige EU-Wirtschaft, die Umwelt und die menschliche Gesundheit von strategischer Bedeutung ist. Wasser muss daher mit entsprechender Sorgfalt behandelt werden. Etwa 60 % der Flussgebietseinheiten in der EU erstrecken sich über mehrere Länder und erfordern daher eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Die jüngste Umweltkatastrophe an der Oder sollte als warnendes Beispiel für fehlende Zusammenarbeit und mangelnde Transparenz dienen.

1.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Verschmutzung immer zuerst an der Quelle bekämpft werden muss. Allerdings ist die Aufbereitung von kommunalem Abwasser ein wichtiger letzter Schritt zum Schutz der aufnehmenden Gewässer, der sich positiv auf die Umwelt, die menschliche Gesundheit und die Gesellschaft auswirkt.

1.4.

Mikroschadstoffe wie zum Beispiel Arzneimittelrückstände geben zunehmend Anlass zur Sorge um die Wasserqualität. Der EWSA begrüßt daher den Vorschlag, in ausgewählten kommunalen Kläranlagen zusätzliche Filtersysteme einzubauen, um Mikroverunreinigungen zu entfernen, und betont, dass große Anstrengungen unternommen werden müssen, um alte Standards zu durchbrechen und neue innovative Behandlungsmethoden einzuführen.

1.5.

Um die Umsetzung des Verursacherprinzips zu gewährleisten und die Erschwinglichkeit der Wasserdienstleistungen zu gewährleisten, unterstützt der EWSA nachdrücklich den Vorschlag für eine erweiterte Herstellerverantwortung, die die Hersteller dazu verpflichten würde, die Kosten für die Entfernung von Mikroschadstoffen, die von ihren Produkten stammen, aus dem Abwasser zu tragen. Damit dieses Prinzip seine Wirksamkeit voll entfalten kann, müssen Ausnahmen strikt begrenzt sein.

1.6.

Bei einer Ausweitung der Richtlinie auf Gemeinden ab einem Einwohnerwert (EW) von 1 000 muss es Spielraum für dezentrale Lösungen durch kleine Anlagen geben, wobei der Funktionalität besonderes Augenmerk zu widmen ist.

1.7.

Kanalisationsüberläufe sind ein bedeutender Eintragspfad für Verschmutzung, unter anderem mit Genen, die antimikrobielle Resistenz bewirken, Mikroplastik und toxischen Substanzen, wodurch Wasserorganismen, die menschliche Gesundheit und der Zustand von Freizeitgewässern gefährdet werden. Mit der Richtlinie sollte eine Obergrenze für diese Substanzen eingeführt werden, und die Öffentlichkeit sollte ein vollständiges Bild von der Schadstoffbelastung erhalten, die durch Überläufe verursacht wird. Siedlungsabflüsse in Form von verunreinigtem Regenwasser (einschließlich Schnee) aus dem städtischen Umfeld, z. B. von Straßen, sollten aufgefangen und ordnungsgemäß aufbereitet werden, bevor sie in aufnehmende Gewässer eingeleitet werden.

1.8.

Der Klimawandel wirkt sich auf den Wasserkreislauf aus, und es wird mit einer Zunahme von sowohl heftigen Regenfällen als auch Dürren gerechnet. Präventivmaßnahmen wie blau-grüne Lösungen, die Regenwasser auffangen und zurückhalten, z. B. durch begrünte Dächer oder Regengärten, verringern die Belastung der Kanalisation (und verringern das Risiko von Abwasserüberläufen) und bringen viele positive Nebeneffekte für die städtische Landschaft mit sich.

1.9.

Der EWSA ist besorgt darüber, dass die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zwar öffentliche Dienstleistungen sind, mitunter jedoch von privaten Unternehmen erbracht werden. Durch entsprechende Regeln und Vorschriften muss sichergestellt werden, dass öffentliche Dienstleistungen nicht am Profit ausgerichtet werden und dass die Einnahmen in die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Dienstleistungen investiert werden.

1.10.

Der EWSA betont, dass Wasser eine lebenswichtige, aber zunehmend knappe Ressource ist. Zwei Drittel der europäischen Bürgerinnen und Bürger sehen die Wasserqualität und/oder die in ihrem Land zur Verfügung stehende Wassermenge als ernstes Problem an (1). Um das Nachhaltigkeitsziel Nr. 6 „Gewährleistung des Zugangs zu Wasser und Sanitärversorgung für alle“ erfolgreich umzusetzen und künftige Krisen zu vermeiden, müssen diese Anliegen mit der gebotenen Dringlichkeit behandelt werden. Die Erschwinglichkeit von Wasser zu gewährleisten, sollte für alle Mitgliedstaaten ein vorrangiges Anliegen sein.

1.11.

Der EWSA fordert die EU-Organe außerdem auf, Wasser als Priorität anzusehen und einen „europäischen Blauen Deal“ zu entwickeln. Dabei geht es um radikale Anstrengungen mit dem Ziel, Bedürfnisse frühzeitig zu erkennen sowie die Wasserressourcen zu erhalten und mithilfe eines umfassenden und koordinierten Fahrplans, in dem ehrgeizige Vorgaben und Maßnahmen mit vereinbarten Etappenzielen festgelegt werden, angemessen mit wasserbezogenen Herausforderungen umzugehen. Der EWSA wird im Laufe des Jahres 2023 konkrete Vorschläge für einen europäischen Blauen Deal vorlegen.

2.   Vorschlag der Kommission

2.1.

Der Geltungsbereich der Richtlinie soll so ausgeweitet werden, dass Gemeinden bereits ab einem Einwohnerwert (EW) von 1 000 darunterfallen, was bedeutet, dass auch Kleinstädte zur Sammlung und Behandlung kommunaler Abwässer verpflichtet sein werden und dafür EU-Mittel in Anspruch nehmen können. Die Kommission wird neue Normen für dezentrale Anlagen entwickeln, und die Mitgliedstaaten müssen für eine bessere Überwachung und Kontrolle solcher Anlagen sorgen.

2.2.

Kanalisationsüberläufe und Siedlungsabflüsse wurden als wichtige verbleibende Quellen für unbehandeltes Abwasser ermittelt, und die Mitgliedstaaten müssen Pläne für eine integrierte kommunale Abwasserbewirtschaftung ausarbeiten, um die Verschmutzung aus diesen Quellen zu verringern. Dabei sollte Präventivmaßnahmen wie blauen und grünen Lösungen und der Optimierung bestehender Systeme unter Einsatz digitaler Technologien Vorrang eingeräumt werden.

2.3.

Um den Eintrag von Nährstoffen einzudämmen, werden neue Grenzwerte für die Stickstoff- und Phosphorentfernung eingeführt, zunächst für größere Anlagen mit mehr als 100 000 EW und dann für mittelgroße Anlagen mit mehr als 10 000 EW in Gebieten, in denen nach wie vor Eutrophierung ein Problem darstellt. Für alle großen und mittelgroßen Anlagen wird auch die Entfernung von Mikroverunreinigungen vorgeschrieben, sofern eine Gefahr für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit besteht. Um die Belastung mit nicht behandelbaren Stoffen zu verringern und dadurch die Kreislauffähigkeit zu verbessern, werden neue Auflagen für die Mitgliedstaaten eingeführt, nach denen sie verpflichtet sind, die Einleitung von nichthäuslichem Abwasser in die Kanalisation an der Quelle zu unterbinden.

2.4.

Um die Kosten für die erforderliche Modernisierung und Überwachung im Hinblick auf die Beseitigung von Mikroverunreinigungen zu decken und Anreize für die Entwicklung umweltfreundlicherer Produkte zu schaffen, wird eine erweiterte Herstellerverantwortung eingeführt, mit der die Hersteller von Arzneimitteln und Erzeugnissen, die unter die EU-Kosmetikverordnung fallen, zu einem finanziellen Beitrag verpflichtet werden.

2.5.

Für die Abwasserwirtschaft wird ein neues Ziel der Energieneutralität bis 2040 eingeführt, d. h., dass der Energieverbrauch dieser Branche auf nationaler Ebene der von ihr erzeugten Energie aus erneuerbaren Quellen entsprechen sollte.

2.6.

In dem Vorschlag wird 2040 als Frist für die vollständige Einhaltung festgelegt, wobei Zwischenfristen zur Gewährleistung von Fortschritten vorgesehen sind.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Sauberes Wasser ist eine unserer wertvollsten Ressourcen und von entscheidender Bedeutung für das Funktionieren der Ökosysteme und unserer Gesellschaft sowie für sozioökonomische Aktivitäten. Die Landwirtschaft, die Energieerzeugung und der Fremdenverkehr sind in hohem Maße vom Zugang zu sauberem Wasser abhängig. Die Vereinten Nationen sehen unter den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung auch den Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen als ein Grundbedürfnis für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen an (2). Süßwasser steht jedoch durch eine Reihe von Tätigkeiten unter erheblichem Druck, der sich infolge des Klimawandels noch verstärken dürfte.

3.2.

Die Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser ist der wichtigste Rechtsakt der EU zum Schutz der Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen unbehandelten Abwassers. Die Richtlinie ist seit über 30 Jahren in Kraft, und seit ihrer Verabschiedung hat sich die Qualität der europäischen Flüsse, Seen und Meere erheblich verbessert. Dennoch befinden sich zwei Drittel der Oberflächengewässer nach wie vor nicht in einem guten Zustand. Mithilfe von EU-Mitteln haben die EU-Mitgliedstaaten Kanalisationssysteme und Abwasserbehandlungsanlagen gebaut. In ihrem derzeitigen Geltungsbereich wird die Richtlinie in der gesamten EU in hohem Maße eingehalten: So werden 98 % des Abwassers gesammelt und 92 % zufriedenstellend behandelt.

3.3.

Die laufende Überarbeitung bietet die Chance, die Richtlinie auf den neuesten Stand zu bringen, indem verbleibende Quellen für unbehandeltes Abwasser und neue Schadstoffe angegangen sowie die energie- und kreislaufwirtschaftlichen Aspekte der Abwasserbehandlung im Einklang mit dem Grünen Deal und der Digitalisierung Europas verbessert werden. Der EWSA fordert die EU-Organe jedoch auf, das Thema Abwasser in eine breiter angelegte Vision einzubeziehen, Wasser als Priorität anzusehen und einen „europäischen Blauen Deal“ zu entwickeln. Dabei geht es um radikale Anstrengungen mit dem Ziel, Bedürfnisse frühzeitig zu erkennen sowie die Wasserressourcen zu erhalten und mithilfe eines umfassenden und koordinierten Fahrplans, in dem ehrgeizige Vorgaben und Maßnahmen mit vereinbarten Etappenzielen festgelegt werden, angemessen mit wasserbezogenen Herausforderungen umzugehen. Der EWSA wird im Laufe des Jahres 2023 konkrete Vorschläge für einen europäischen Blauen Deal vorlegen.

3.4.

Im Wassersektor sind umfangreiche Investitionen erforderlich. Die OECD geht davon aus, dass alle Mitgliedstaaten außer Deutschland ihre Ausgaben um mindestens 25 % erhöhen müssen, um die Anforderungen der geltenden Richtlinie zu erfüllen (3). Bei dieser Schätzung werden jedoch die Kosten für die Instandhaltung der Kanalisation nicht berücksichtigt. Die neuen Vorschriften werden zusätzliche Investitionen erfordern, und es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Finanzierung über die Wassergebühren und den öffentlichen Haushalt hinaus auch auf die Sektoren ausgeweitet wird, die zur Verschmutzung des kommunalen Abwassers beitragen. Nur so wird der Zugang zu Wasser und die Abwasserentsorgung für die Haushalte erschwinglich bleiben.

3.5.

Die Abwasserbehandlung ist mit Kosten verbunden und erfordert den Einsatz von Ressourcen und Energie. Die Verschmutzung muss immer zuerst an der Quelle bekämpft werden und Vorrang vor nachgelagerten Lösungen haben. Politische Maßnahmen sollten daher zuerst darauf gerichtet sein, die Emission von Schadstoffen in die Umwelt und damit auch den Kontakt der Gesellschaft mit diesen Substanzen so weit wie möglich zu verhindern. Die Behandlung von kommunalem Abwasser als letzter Schritt dient dazu, die aufnehmenden Gewässer zu schützen und die Ziele der EU-Wasserschutzvorschriften zu erreichen. Der EWSA fordert daher mehr Synergien mit den Stadtentwicklungsstrategien (EU-Städteagenda, Abkommen von Ljubljana, verschiedene thematische Partnerschaften usw.).

3.6.

Es sollten mehr Anstrengungen unternommen werden, um die Eigenverantwortung der Bürger in Fragen der Sammlung, Behandlung und Bewirtschaftung von kommunalem Abwasser zu fördern. Die Öffentlichkeit sollte nicht nur über die Bewirtschaftung von Abwasser informiert werden, sondern unmittelbar mitwirken können: In allen Mitgliedstaaten sollten die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, festgestellte Mängel bei der Sammlung und/oder Behandlung von kommunalem Abwasser zu melden, wobei illegalen Einleitungen industrieller Abwässer besondere Aufmerksamkeit gelten sollte.

3.7.

Europa ist bestens dafür aufgestellt, im Bereich der Abwasserbehandlung neue Lösungsansätze zu entwickeln — von fortschrittlichen Behandlungstechnologien bis hin zu Energielösungen — und so eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Die Entwicklung des Abwassersektors bietet Raum für Innovation und Technologie sowie die Chance, Wissen zu exportieren und Jungunternehmer anzuziehen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Kommunales Abwasser ist ein Spiegelbild der Gesellschaft und unserer Konsum- und Produktionsmuster. Es besteht aus einer komplexen Mischung aus häuslichem Abwasser, Abflüssen von Straßen und Gebäuden sowie industriellen und anderen nichthäuslichen Einleitungen, die einer ordnungsgemäßen Behandlung bedürfen, damit sie keine Bedrohung für die menschliche Gesundheit und die Umwelt darstellen oder Freizeitgewässer beeinträchtigen. Die Arbeitsbedingungen sowie die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten im kommunalen Abwassersystem sollten vorrangige Bedeutung haben.

4.2.

Mit dem Gesamtziel bis 2040 und den Zwischenzielen wird ein klarer Weg für die Abwasserbehandlung in den kommenden beiden Jahrzehnten vorgegeben. Allerdings liegen bisher nur begrenzte Erkenntnisse darüber vor, welche Gefahren für Wasserorganismen von Chemikaliengemischen in Oberflächengewässern ausgehen, und viele dieser chemischen Stoffe stammen aus Produkten des häuslichen Gebrauchs. Darüber hinaus verursachen der Bau, die Instandhaltung und der Betrieb von Anlagen zur Abwassersammlung und -behandlung erhebliche finanzielle Kosten und Treibhausgasemissionen. Die Überprüfung und Bewertung wesentlicher Aspekte der Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser und der Richtlinie über Klärschlamm bieten die Gelegenheit zur Modernisierung und zur Verbesserung der Kohärenz in der gesamten Branche und tragen zur Verwirklichung der Ziele des europäischen Grünen Deals bei.

4.3.

Resistenzen gegen antimikrobielle Wirkstoffe sind ein zunehmendes Problem für die Gesellschaft, und gerade auch kommunales Abwasser — ob behandelt oder unbehandelt — sorgt für ihre Verbreitung (4). Ausgelöst werden Resistenzen gegen antimikrobielle Wirkstoffe nicht nur durch den übermäßigen Einsatz von Antibiotika, sondern auch durch andere antimikrobielle Mittel wie Fungizide, antivirale Mittel, Parasitizide sowie einige Desinfektionsmittel und Antiseptika, die allesamt im städtischen Umfeld und vor allem in Krankenhäusern eingesetzt werden. Wie aus einem alarmierenden Bericht der Vereinten Nationen (5) hervorgeht, werden bis 2050 voraussichtlich 10 Mio. Menschen pro Jahr an antibiotikaresistenten Infektionen sterben, wenn keine Gegenmaßnahmen wie die Einschränkung des übermäßigen Einsatzes antimikrobieller Mittel ergriffen werden.

4.4.

Siedlungsabflüsse sind ein wesentlicher Verbreitungsweg, über den toxische, nicht biologisch abbaubare und neue Kontaminanten, darunter Kunststoffabfälle, Kohlenwasserstoffe, Detergenzien, Hormone, Lösungsmittel, Pathogene, Pestizide, Schwermetalle und technisch hergestellte Nanomaterialien, in die Wasserökosysteme gelangen (6). Trotz ihrer Verunreinigung werden Siedlungsabflüsse aufgrund mangelnder Überwachung häufig als sauberes Regenwasser behandelt und vor ihrer Einleitung in aufnehmende Gewässer nicht aufbereitet. Dies führt zu einer starken Gefährdung der Ökosysteme; so wurde bspw. eine akute Mortalität bei Lachsen festgestellt, die mit einem giftigen Stoff (6PPD-Chinon) in Autoreifen in Zusammenhang steht (7).

4.5.

Die Überläufe von Abwasserkanälen gehören zu den Hauptquellen für den Eintrag von Mikroschadstoffen, Stoffen, die antimikrobielle Resistenzen (8) auslösen, Mikroplastik und Abfällen in die aufnehmenden Gewässer. Sie stellen eine Bedrohung für die Umwelt und die menschliche Gesundheit dar, aber auch für die Tourismusbranche, die auf saubere Freizeitgewässer angewiesen ist. Die in die Kanalisation einfließende Regenwassermenge kann durch die Umsetzung blauer und grüner Lösungen (z. B. Dachbegrünung, Beseitigung versiegelter Böden und Regengärten) verringert werden, durch die das Wasser zurückgehalten wird und im Boden versickert. Solche Lösungen sind nicht nur kostengünstige Möglichkeiten zur Rückhaltung von Regenwasser, sondern bieten gleichzeitig auch zahlreiche Vorteile für die Stadtlandschaft. So tragen sie bspw. dazu bei, das Überschwemmungsrisiko zu verringern, Wärmeinseln zu vermeiden, die biologische Vielfalt zu verbessern und die Lebensqualität in der Stadt zu steigern. Die erfolgreiche Umstellung auf eine effizientere Abwasserbehandlung und eine Kreislaufwirtschaft erfordert nicht nur Veränderungen bei den Ansätzen zur Regulierung und auf institutioneller Ebene. Auch wir als Bürgerinnen und Bürger müssen uns unserer persönlichen und kollektiven Verantwortung für die Behandlung von Abwässern bewusst werden.

4.6.

Der EWSA unterstützt die Einführung verpflichtender Pläne für eine integrierte kommunale Abwasserbewirtschaftung mit dem Ziel, Kanalisationsüberläufe und Verunreinigungen durch Siedlungsabflüsse zu verringern. Doch auch wenn hinter den Plänen für die Bewirtschaftung kommunaler Abwässer eine gute Absicht steht, besteht die Gefahr, dass sie zu leeren Hülsen werden, da die Vorgaben für Inhalte und Ziele (Verringerung von Mischwasserüberläufen auf 1 % des Trockenwetterabflusses) lediglich Richtwerte sind. Eine angemessene Regenwasserbewirtschaftung ist entscheidend — nicht nur, um die Verschmutzung der aufnehmenden Gewässer zu verhindern, sondern auch, um für eine Anpassung der Städte an sich wandelnde klimatische Verhältnisse zu sorgen, die dazu führen, dass sowohl heftige Niederschläge als auch längere Hitzewellen Teil der neuen Normalität sein werden, da Extremwetterereignisse und andere klimabedingte Bedrohungen in ganz Europa an Häufigkeit und Schwere zunehmen.

4.7.

Es hat sich gezeigt, dass die Belastung der aufnehmenden Gewässer mit einem breiten Spektrum an Schadstoffen durch eine weitergehende Aufbereitung („vierte Reinigungsstufe“) verringert werden kann (9). Die neuen Anforderungen an große und ausgewählte mittelgroße Anlagen zur Überwachung und Entfernung von Mikroschadstoffen sind daher zu begrüßen. Allerdings sollten die Kosten und Auswirkungen der Entfernung durch verschiedene Techniken wie Ozonbehandlung oder Einsatz von Aktivkohle berücksichtigt werden. Angemessene Finanzmittel für die Erforschung und Entwicklung neuer Technologien sowie EU-weit harmonisierte Schulungsprogramme für das Betriebspersonal werden dazu beitragen, die neuen Schadstoffe zu vermeiden und zu behandeln.

4.8.

Die Einführung einer erweiterten Herstellerverantwortung ist für die Verwirklichung des Verursacherprinzips ein großer Schritt nach vorn. Damit wird auf begrüßenswerte Weise auf die Feststellung des Europäischen Rechnungshofs reagiert, dass die Kosten der Umweltverschmutzung nach wie vor weitgehend von den Steuerzahlern getragen werden (10). Zudem steht sie in Einklang mit der Einbeziehung des Verursacherprinzips in das Umweltrecht, der Verbesserung der Umwelthaftung auf EU-Ebene und dem Ziel, EU-Mittel nicht zur Finanzierung von Projekten zu verwenden, die vom Verursacher finanziert werden sollten.

4.9.

Die Eutrophierung ist in der EU nach wie vor ein Problem, da mehr als 30 % der Flüsse, Seen und Küstengewässer und 81 % der Meeresgewässer in der EU davon betroffen sind und in den letzten zehn Jahren nur geringe Fortschritte erzielt wurden (11). Daher ist es positiv zu werten, dass die Vorschriften aktualisiert und harmonisiert wurden, um dafür zu sorgen, dass bis 2035 in allen großen Anlagen und bis 2040 auch in mittelgroßen Anlagen in von Eutrophierung bedrohten Gebieten Nährstoffe reduziert werden müssen. Die Fristen sind mit Blick auf die Herausforderungen und ihre praktische Bewältigung, die Investitionskapazität der Branche und die Lebensdauer der vorhandenen Infrastruktur sehr ehrgeizig, doch bestehen in vielen Mitgliedstaaten bereits entsprechende Auflagen zur Entfernung von Nährstoffen. Der EWSA begrüßt, dass diese nun EU-weit vereinheitlicht werden.

4.10.

Bei der Bewertung der Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser wurde festgestellt, dass ein Großteil der verbleibenden Quellen für unbehandeltes Abwasser kleine Gemeinden sind, die die Wasserkörper entsprechend belasten (12). Es wäre natürlich gut, wenn mehr Abwasser geklärt würde, doch bringt der Vorschlag mehrere Herausforderungen mit sich, da der Bau neuer Abwasserleitungen in dünn besiedelten Gebieten erhebliche Kosten verursacht und durch intensive finanzielle Unterstützung flankiert werden muss. Dezentrale Lösungen und gut funktionierende individuelle Systeme sollten gefördert werden. Trockentoiletten (Komposttoiletten) verringern den Trinkwasserverbrauch für das Spülen und können die Kreislaufwirtschaft fördern, indem menschliche Fäkalien ohne komplexe, teure und energieintensive Sammel-, Pump- und Behandlungssysteme in den Boden zurückgeführt werden. Die WHO hat solche Leitlinien für die gefahrlose Wiederverwendung von Abwasser, Ausscheidungen und Grauwasser entwickelt (13).

4.11.

Leckagen aus Abwasserleitungen sind eine häufig übersehene und weitgehend nicht gemeldete Quelle unbehandelter Abwässer, die das Grundwasser gefährden. Sie können einen erheblichen Anteil am Schadstoffeintrag aus städtischen Systemen in die Umwelt ausmachen (14). Das Problem dürfte sich angesichts der Überalterung des Kanalnetzes noch verschärfen. Eine angemessene Überwachung und Quantifizierung von Leckagen in der Kanalisation ist unabdingbar und sollte als Anforderung in die Richtlinie aufgenommen werden.

4.12.

Die Abwasserbehandlung erfordert erhebliche Energiemengen und macht vielfach einen großen Posten auf den Stromrechnungen der Kommunen aus. Zugleich enthält Abwasser Energie in verschiedenen Formen, u. a. chemische, kinetische und thermische Energie, die genutzt werden sollte, um im Einklang mit den Zielen der EU dazu beizutragen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Es ist positiv zu werten, dass das Thema Energieeffizienz mit dem Ziel angegangen wird, bis 2040 Energieneutralität für die Branche zu erreichen.

4.13.

Der Abwassersektor verfügt über ein großes Potenzial, zu einer Ressourcenschmiede zu werden. Es gibt bereits Abwasseraufbereitungsanlagen in der EU, die dank energiesparender Technologien und der Erzeugung erneuerbarer Energien, z. B. durch anaerobe Vergärung des Klärschlamms und anschließende Nutzung des entstehenden Biogases, energiepositiv sind (15). Ein weiteres Potenzial besteht darin, die von den Kläranlagen genutzten Flächen zusätzlich mit Photovoltaikanlagen zu bedecken, was gefördert werden sollte.

4.14.

In der EU haben zehn Millionen Menschen nach wie vor keinen Zugang zu Sanitärversorgung. Daher ist es zu begrüßen, dass die Mitgliedstaaten nach dem Vorschlag verpflichtet sind, den Zugang aller, insbesondere benachteiligter und marginalisierter Gruppen, zu sanitären Einrichtungen zu verbessern und u. a. bis 2027 kostenlos öffentliche Toiletten bereitzustellen. Diese Anforderung sollte jedoch dahingehend verschärft werden, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, bereits in einer frühen Phase der Stadtplanung den Zugang aller zu Sanitäreinrichtungen zu gewährleisten und die Erschwinglichkeit sowie den sozialen Aspekt der Wasserversorgungsdienste zu berücksichtigen. Dabei sollte auch dem langen Lebenszyklus von Abwassersammlungs- und -behandlungsanlagen und ihrer inhärenten Inflexibilität bei der Anpassung oder Modernisierung Rechnung getragen werden.

4.15.

Um die Erschwinglichkeit von Wasserdienstleistungen zu gewährleisten, müssen Ausnahmen von der erweiterten Herstellerverantwortung strikt eingeschränkt werden. Am besten sollte die Ausnahmeregelung für Produkte, die in einer Menge von weniger als zwei Tonnen pro Jahr in Umlauf gebracht werden, gestrichen werden, da einige Stoffe selbst in geringen Mengen sehr wirksam sind. Zumindest sollte klargestellt werden, dass sich die zwei Tonnen auf den EU-Markt und nicht auf die nationale Ebene beziehen. Ferner sollte sichergestellt werden, dass sich die erweiterte Herstellerverantwortung auch auf Online-Händler erstreckt.

4.16.

Die Kosten für die Abwasserbehandlung machen einen erheblichen Teil der Wasserrechnungen aus, aber viele Wassernutzer sind sich weder der Leistungen, die durch die Abwasserbehandlung erbracht werden, noch des Umfangs bewusst, in dem die Abwasseraufbereitung in ihrem Gebiet reibungslos funktioniert. Die neue Bestimmung über die öffentliche Berichterstattung wird daher begrüßt, da sie sicherstellen würde, dass aktuelle Informationen darüber verbreitet werden, wie viel Abwasser in dem betreffenden Gebiet behandelt (und nicht behandelt) wird und wie hoch die Schadstoffbelastung ist, die durch kommunale Abwasserbehandlungsanlagen und individuelle Systeme sowie über Abwasserüberläufe und Abflüsse in den Städten verursacht wird.

Brüssel, den 22. Februar 2023

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Europäische Wasservereinigung (EWA), EWA-Wassermanifest.

(2)  Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung; Ziel 6: „Wasser und Sanitätsversorgung für alle“.

(3)  OECD, Financing Water Supply, Sanitation and Flood Protection.

(4)  Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP): How drug-resistant pathogens in water could spark another pandemic (Wie arzneimittelresistente Krankheitserreger im Wasser eine weitere Pandemie auslösen könnten).

(5)  UNEP: Environmental Dimensions of Antimicrobial Resistance: Summary for policy makers (Umweltdimensionen der Antibiotikaresistenz: Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger).

(6)  Lapointe et al.: „Sustainable strategies to treat urban runoff needed“ (Nachhaltige Strategien zur Behandlung von Siedlungsabflüssen erforderlich), Nature Sustainability 5, S. 366-369 (2022).

(7)  Tian et al.: „A ubiquitous tire rubber-derived chemical induces acute mortality in coho salmon“ (Eine allgegenwärtige in Reifengummi enthaltene Substanz verursacht akute Mortalität bei Silberlachsen), Science, Bd. 371, 2021, S. 185-189.

(8)  Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag): Antibiotikaresistenzen im Abwasser überwachen.

(9)  Wilhelm et al., „Does wastewater treatment plant upgrading with activated carbon result in an improvement of fish health?“ (Führt die Nachrüstung von Kläranlagen mit Aktivkohle zu einer Verbesserung der Fischgesundheit?), Aquatic Toxicology, Bd. 192, 2017, S. 184-197.

(10)  Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 12/2021: Das Verursacherprinzip: uneinheitliche Anwendung im Rahmen der umweltpolitischen Strategien und Maßnahmen der EU.

(11)  Europäische Kommission, Bericht über die Durchführung der Richtlinie 91/676/EWG des Rates.

(12)  Europäische Kommission, Bewertung der Richtlinie 91/271/EWG des Rates.

(13)  WHO, Guidelines for the safe use of wastewater, excreta and greywater (WHO-Leitlinien für die gefahrlose Nutzung von Abwasser, Ausscheidungen und Grauwasser).

(14)  Nguyen & Venohr, Harmonised assessment of nutrient pollution from urban systems including losses from sewer exfiltration: a case study in Germany (Harmonisierte Bewertung der Nährstoffverschmutzung durch städtische Systeme, einschließlich der Verluste durch die Exfiltration aus der Kanalisation: eine Fallstudie aus Deutschland), Environmental Science and Pollution Research Bd. 28, 2021.

(15)  Siehe beispielsweise Marselisborg WWTP — from wastewater plant to power plant(Kläranlage Marselisborg — von der Kläranlage zum Kraftwerk).


27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/41


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, der Richtlinie 2006/118/EG zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung und der Richtlinie 2008/105/EG über Umweltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik“

(COM(2022) 540 final — 2022/0344 (COD))

(2023/C 146/07)

Berichterstatter:

Arnaud SCHWARTZ

Befassung

Europäisches Parlament, 19.1.2023

Rat, 24.1.2023

Rechtsgrundlage

Artikel 192 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

3.2.2023

Verabschiedung im Plenum

22.2.2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

156/01/06

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt nachdrücklich den Vorschlag der Europäischen Kommission, eine Reihe wichtiger Wasserschadstoffe in die Listen der prioritären Stoffe, die im Hinblick auf Oberflächengewässer und Grundwasser zu prüfen sind, aufzunehmen. Diese Listen werden zur Bewertung des chemischen Zustands gemäß der Wasserrahmenrichtlinie herangezogen. Die Mitgliedstaaten müssen das Vorhandensein dieser Stoffe im Wasser überwachen und sicherstellen, dass die Qualitätsnormen eingehalten werden. Der Vorschlag ist mehrere Jahre überfällig und ein begrüßenswerter Versuch, die Bewertung des chemischen Zustands der Gewässer auf den neuesten Stand zu bringen.

1.2.

Der EWSA weist darauf hin, dass sauberes Wasser für unsere Gesellschaft und die Umwelt sowie für sozioökonomische Tätigkeiten von grundlegender Bedeutung ist. Ein starker rechtlicher Rahmen für den Schutz des Wassers, der sich auf die Verringerung der Verschmutzung an der Quelle konzentriert, wird den Ökosystemen, den Menschen, die Gewässer für Freizeitaktivitäten nutzen, und der Industrie Vorteile bringen und für sauberes und erschwingliches Trinkwasser sorgen.

1.3.

Zwar sind mit der Initiative Kosten verbunden, z. B. für die Abwasserbehandlung, doch überwiegt der Nutzen von nicht verschmutztem Wasser diese Kosten nach Auffassung des EWSA, z. B. da eine Exposition gegenüber schädlichen Chemikalien vermieden wird und die Aufbereitung auf Trinkwasserqualität einen geringeren Aufwand erfordert. Eine grundsätzliche Änderung der Verwendung schädlicher Stoffe mit dem Ziel, ihr Vorkommen im Wasser zu verringern, kann auch positive Nebeneffekte, wie z. B. eine geringere Exposition der Arbeitskräfte in der Agrar- und Ernährungsindustrie gegenüber schädlichen Pestiziden, mit sich bringen.

1.4.

Für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz muss mehr getan werden. Der EWSA fordert konkrete Leitlinien für die Branchen, die in ihren Herstellungsverfahren Wasser in Kombination mit unterschiedlichen Stoffen verwenden.

1.5.

Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, sich verstärkt um die Erhebung, Bearbeitung und Auslegung von Wasserdaten zu bemühen und den Bedarf an Umweltdaten ganz oben auf ihre Prioritätenliste zu setzen. Es ist wichtig, Datenverzögerungen zu verringern und für spezifische Indikatoren in allen Mitgliedstaaten zu sorgen.

1.6.

Mehr als 60 % der europäischen Gewässer sind nach wie vor in keinem guten chemischen Zustand im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie (1). Allerdings bietet diese Feststellung kein vollständiges Bild des Problems, da bei der derzeitigen Bewertung die Auswirkungen chemischer Gemische unberücksichtigt bleiben, die selbst dann vorhanden sein können, wenn die Schadstoffwerte unbedenklich sind. Die Auswirkungen von Stoffgemischen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit müssen gründlicher bewertet und überwacht werden.

1.7.

In den europäischen Gewässern finden sich nach wie vor verbotene Pestizide. Der EWSA betont, dass in den Mitgliedstaaten, in denen übermäßige Mengen festgestellt werden, fortgesetzte Überwachungsmaßnahmen erforderlich sind, darunter auch die Beendigung der illegalen Verwendung und die Abschaffung von Ausnahmeregelungen, auch dann, wenn diese Stoffe auf EU-Ebene nicht mehr als prioritäre Stoffe eingestuft werden.

1.8.

Wasser ist eine lebenswichtige, aber immer knapper werdende Ressource. Zwei Drittel der europäischen Bürger sehen die Wasserqualität und/oder -quantität in ihrem Land als ernstes Problem an (2). Um das Nachhaltigkeitsziel 6 „Wasser und Sanitätsversorgung für alle“ erfolgreich umzusetzen und künftige Krisen zu vermeiden, müssen diese Aspekte mit der gebotenen Dringlichkeit angegangen werden. Die Erleichterung des Zugangs zu angemessenen Ressourcen, Ausrüstung und Humanressourcen sollte neben der Konsolidierung der Kontrollstellen und der Erhöhung der Zahl der Inspektoren für die Mitgliedstaaten an erster Stelle stehen.

1.9.

Der EWSA fordert die EU-Organe auch auf, Wasser endlich als Priorität zu behandeln und einen europäischen Blauen Deal ins Leben zu rufen, also radikale Anstrengungen mit dem Ziel zu unternehmen, den jeweiligen Bedarf frühzeitig zu erkennen, die Wasserressourcen zu erhalten und mithilfe eines umfassenden und koordinierten Fahrplans, in dem ehrgeizige Vorgaben und Maßnahmen mit vereinbarten Etappenzielen festgelegt werden, angemessen mit den Herausforderungen in diesem Bereich umzugehen. Der EWSA wird im Laufe des Jahres 2023 konkrete Vorschläge für einen europäischen Blauen Deal vorlegen.

2.   Hintergrund

2.1.

Mit der Überarbeitung der Listen von Oberflächen- und Grundwasserschadstoffen, die im Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zur Änderung der Wasserrahmenrichtlinie, der Richtlinie über Umweltqualitätsnormen und der Grundwasserrichtlinie vorgelegt wurden, sollen zwei Hauptprobleme angegangen werden:

Die Listen prioritärer Stoffe sind unvollständig und veraltet und gewährleisten keinen angemessenen Schutz der Ökosysteme und der menschlichen Gesundheit vor den Gefahren der Wasserverschmutzung.

Die Bandbreite der auf nationaler Ebene festgelegten Schadstoff- und Qualitätsnormen ist zu groß. Die Datenberichterstattung ist aufwendig, da sie nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik entspricht. Das Verfahren zur Überprüfung der Listen prioritärer Stoffe ist zu langwierig.

2.2.

Für Oberflächengewässer wird vorgeschlagen, 24 einzelne Stoffe (Pestizide, Arzneimittel und Industriechemikalien) und eine Gruppe von 24 per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) in die Liste prioritärer Stoffe aufzunehmen sowie die Umweltqualitätsnorm für 16 bereits aufgeführte Stoffe zu ändern und vier Stoffe zu streichen, die nicht mehr als EU-weite Bedrohung betrachtet werden. Darüber hinaus wird im Einklang mit den Bestimmungen für Grundwasser ein Schwellenwert für Pestizide eingeführt.

2.3.

Für Grundwasser wird vorgeschlagen, eine Gruppe von 24 PFAS, zwei Antibiotika und eine Reihe von Abbauprodukten von Pestiziden in Anhang I der Grundwasserrichtlinie mit EU-weiten Schwellenwerten aufzunehmen. Darüber hinaus wird ein Schwellenwert für Arzneimittel eingeführt. In Anhang II der Grundwasserrichtlinie wird ein Arzneimittel aufgenommen, weshalb die Mitgliedstaaten die Festlegung eines nationalen Schwellenwerts prüfen müssen.

2.4.

Die Kommission wird ein Verfahren zur Überwachung von Mikroplastik und antimikrobiellen Resistenzgenen entwickeln, damit diese künftig als Schadstoffe eingestuft werden können.

2.5.

Um die Überwachung von Grundwasserschadstoffen zu verbessern, ist das Verfahren der Beobachtungsliste für die Grundwasserüberwachung verbindlich geworden.

2.6.

Die Normen für Schadstoffe, die für Einzugsgebiete von Flüssen festgelegt wurden, wurden harmonisiert und sollen in die Bewertung des chemischen Zustands einbezogen werden.

2.7.

Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, östrogene Stoffe über einen Zeitraum von zwei Jahren parallel zur konventionellen chemischen Überwachung dreier östrogener Stoffe mittels wirkungsorientierter Verfahren zu überwachen. Die Definition der Umweltqualitätsnorm in der Wasserrahmenrichtlinie wird geändert und um wirkungsorientierte Auslösewerte für die wirkungsorientierte Überwachung erweitert.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Mehr als 20 Jahre nach der Annahme der Wasserrahmenrichtlinie ist die Wasserverschmutzung in Europa nach wie vor ein weit verbreitetes Problem mit negativen Auswirkungen auf Wasserorganismen, die Nutzung von Gewässern zur Freizeitgestaltung und die Trinkwasserversorgung. Die Wasserverschmutzung ist auch für die Landwirtschaft und die Industrie ein Problem. Zwei Drittel der Oberflächengewässer und ein Viertel des Grundwassers in Europa sind nach wie vor in keinem guten chemischen Zustand (3), doch wird dies nur anhand weniger Schadstoffe beurteilt, sodass das Ausmaß der Wasserverschmutzung nicht in vollem Umfang deutlich wird.

3.2.

Die Wasserverschmutzung verursacht hohe Kosten für die Gesellschaft, die allein infolge der Nährstoffbelastung auf 22 Mrd. EUR jährlich geschätzt werden (4). Zwar ist das Verursacherprinzip in den EU-Verträgen verankert, doch wird es nach wie vor nicht gut umgesetzt, sodass die Kosten der Umweltverschmutzung größtenteils von den Steuerzahlern getragen werden (5). Die Exposition von Mensch und Umwelt gegenüber schädlichen Stoffen ist mit hohen Kosten verbunden, und die Sanierung und Behandlung von kontaminiertem Wasser ist ebenfalls kostspielig. Deshalb muss alles für die Vermeidung von Umweltverschmutzung an der Quelle getan werden.

3.3.

Die Gefahr, die chemische Gemische für Wasserorganismen und die menschliche Gesundheit auslösen können, ist ein anerkanntes Problem, und die Mängel des derzeitigen Überwachungs- und Berichterstattungsrahmens waren eine der wesentlichen Ursachen für die laufende Überarbeitung. Dabei sollten Erkenntnisse und Empfehlungen der Wissenschaft, z. B. im Rahmen der EU-Projekte SOLUTIONS und NORMAN, berücksichtigt werden.

3.4.

Die Listen von Oberflächen- und Grundwasserschadstoffen sollten alle vier bzw. sechs Jahre überprüft werden. Nachdem die letzten Änderungen für Oberflächen- bzw. Grundwasserschadstoffe 2013 und 2014 vorgenommen wurden, ist die nun vorgeschlagene Überarbeitung überfällig. Das bedeutet nämlich, dass die neu hinzukommenden prioritären Stoffe erst in der vierten Auflage der Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete Teil der Bewertung des chemischen Zustands sein werden — mit einer vorgeschlagenen Einhaltungsfrist bis 2033. Angesichts des schlechten Zustands der europäischen Gewässer und der Tatsache, dass die vorgeschlagenen Stoffe bereits nachgewiesenermaßen EU-weit problematisch für Wasser sind, fordert der EWSA nachdrücklich, dass unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, um die Konzentration dieser und weiterer Schadstoffe in allen EU-Gewässern zu verringern. Die EU muss schneller auf wissenschaftliche Erkenntnisse über Wasserverschmutzung reagieren und diese in rechtliche Schritte und Lösungen umsetzen. Der Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, und die Mitgliedstaaten und die Europäische Union sollten für effiziente und schnellere Gerichts- und Verwaltungsverfahren sorgen (6).

3.5.

Der EWSA unterstützt die Aufnahme neuer Schadstoffe in die Liste der prioritären Stoffe, die im Hinblick auf Oberflächengewässer und Grundwasser zu prüfen sind. Durch die Listen werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, nicht nur die Freisetzung dieser Stoffe in die Umwelt zu verringern, sondern auch Maßnahmen im Rahmen anderer Richtlinien zu ergreifen (7). Sind die Listen jedoch nicht auf dem neuesten Stand oder zu restriktiv, können keine ausreichenden Umweltschutzmaßnahmen ergriffen werden. Zudem wurden Schadstoffe vor allem in Gestalt einzelner Stoffe aufgenommen, ohne dass die Auswirkungen chemischer Gemische berücksichtigt worden wären.

3.6.

Der EWSA begrüßt, dass PFAS als Gruppe von 24 Stoffen mit einem Schwellenwert für die gesamte Gruppe hinzugefügt werden, und er begrüßt die Einführung eines Schwellenwerts für Pestizide in Oberflächengewässern und eines Schwellenwerts für Arzneimittel im Grundwasser. Auch wenn einige dieser Schwellenwerte möglicherweise zu hoch sind, um wirklich Schutz zu bieten, steht dies im Einklang mit dem Ziel der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit, nämlich der Behandlung dieser Stoffe als Gruppe. Solche Schwellenwerte sollten jedoch auch für andere Stoffgruppen, darunter Bisphenole, Pyrethroide und Neonicotinoide, festgelegt werden.

3.7.

Auch wenn Pestizide verboten sind, treten sie mitunter nach wie vor in der Umwelt auf, wo sie eine Bedrohung für das Leben im Wasser und die menschliche Gesundheit darstellen. Ursache dafür sind entweder Ausnahmeregelungen, illegale Verwendung oder die Tatsache, dass der Stoff nur sehr langsam abgebaut wird. Die überwiegende Mehrheit der in einigen Mitgliedstaaten im Wasser nachgewiesenen Pestizide ist nicht zugelassen, darunter DDT, Lindan, Atrazin und Endosulfan (8). Entscheidend ist, dass die Überwachung und die Bemühungen zur Verringerung ihres Vorkommens fortgesetzt werden.

3.8.

Ferner wird vorgeschlagen, Artikel 16 der Wasserrahmenrichtlinie zu streichen, da er nicht mehr aktuell ist. Dies ist jedoch nur teilweise richtig, da mit der Streichung auch die 20-Jahres-Frist für die schrittweise Beendigung der Verschmutzung durch prioritäre gefährliche Stoffe abgeschafft werden würde. Die Verpflichtung zur schrittweisen Einstellung der Einleitung dieser Stoffe, eines der Hauptziele der Wasserrahmenrichtlinie, ist nur dann durchsetzbar, wenn eine eindeutige Frist dafür festgelegt ist. Je weniger konkret diese Verpflichtung, die schon im Rahmen der geltenden Wasserrahmenrichtlinie kaum eingehalten wurde, formuliert ist, desto mehr werden die zuständigen Stellen versuchen, sie zu ignorieren. Dies würde eine erhebliche Schwächung bedeuten.

3.9.

Unter Verweis auf das Konzept „ein Stoff, eine Bewertung“ im Rahmen der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit wird der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eine zentrale Rolle in Bezug auf die Übernahme einer Reihe von Zuständigkeiten der GD ENVI und der JRC bei der Ermittlung von Wasserschadstoffen und den damit verbundenen Qualitätsnormen zugewiesen. Da sich die ECHA in erster Linie mit Chemikalien befasst, die unter die Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) fallen, also nicht mit Pestiziden und Arzneimitteln, fordert der EWSA sie nachdrücklich auf, ihre (rechtlichen und technischen) Kapazitäten für Arzneimittel und Pestizide zu stärken, damit sie für ihre neuen Aufgaben gerüstet ist. Der EWSA empfiehlt auch, dass die ECHA diesbezüglich mit sachkundigen Partnern, z. B. Universitäten und deren Labors, zusammenarbeitet, auch auf regionaler Ebene.

3.10.

Für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, etwa in der Agrar- und Ernährungsindustrie, muss mehr getan werden. Der EWSA fordert dazu konkrete Leitlinien für die Branchen, die in ihren Herstellungsverfahren Wasser in Kombination mit unterschiedlichen Stoffen verwenden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt, dass die Überwachungsdaten und der daraus resultierende Zustand der Europäischen Umweltagentur und der Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich und nicht wie bisher alle sechs Jahre zur Verfügung gestellt werden sollen. Dies wird ein aktuelleres Bild des Zustands der europäischen Gewässer und der Fortschritte bei der Umsetzung des Ziels der Wasserrahmenrichtlinie vermitteln.

4.2.

Der EWSA begrüßt, dass wirkungsorientierte Verfahren zur Überwachung östrogener Stoffe angewendet werden sollen. Dies wird die Wirkung aller östrogenen Stoffe mit ähnlichen Wirkungen erfassen und nicht nur der drei mit konventionellen chemischen Verfahren überwachten östrogenen Stoffe. Während die Aufnahme von Auslösewerten in die Definition der Umweltqualitätsnormen die Möglichkeit eröffnet, bei der künftigen Bewertung des chemischen Zustands eine wirkungsorientierte Überwachung der Auswirkungen chemischer Gemische einzuführen, sollte der Kommission die Befugnis übertragen werden, delegierte Rechtsakte vorzulegen, um eine weitere wirkungsbasierte Überwachung vorzuschreiben.

4.3.

Die Qualitätsnormen für Glyphosat wurden festgelegt, bevor der Wissenschaftliche Ausschuss „Gesundheitsrisiken, Umweltrisiken und neu auftretende Risiken“ seine endgültige Stellungnahme vorgelegt hatte. Zudem gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Normen nach Vorlage der endgültigen wissenschaftlichen Stellungnahme überarbeitet werden, was bedeutet, dass die Beiträge der Zivilgesellschaft im Rahmen der Konsultation des Wissenschaftlichen Ausschusses unberücksichtigt bleiben. Der Wissenschaftliche Ausschuss „Gesundheitsrisiken, Umweltrisiken und neu auftretende Risiken“ sollte auch die Positionen der Zivilgesellschaft (9) zu der endgültigen Stellungnahme berücksichtigen. Dies ist noch möglich, da die in der Wasserrahmenrichtlinie vorgesehene Überarbeitung der Umweltqualitätsnormen für Glyphosat noch nicht abgeschlossen ist. Dies sollte die Grundlage für den Vorschlag der Kommission zur Festlegung von Schwellenwerten für Oberflächengewässer bilden.

4.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass keine der einzelnen Umweltqualitätsnormen für Pestizide höher sein sollte als der vorgeschlagene Gesamtschwellenwert für Pestizide (0,5 μg/l) (10). Für nicht der Entnahme von Trinkwasser dienende Binnenoberflächengewässer sollten die vorgeschlagenen Umweltqualitätsnormen (86,7 μg/l) deshalb nicht angewendet werden. Stattdessen empfiehlt der EWSA, dass die vorgeschlagenen Umweltqualitätsnormen für Oberflächenwasser, die für die Entnahme von Trinkwasser genutzt werden, (0,1 μg/l) gemäß dem Vorsorgeansatz für alle Binnenoberflächengewässer gelten sollten. Die Umweltqualitätsnormen für sonstige Oberflächengewässer sollten folglich auf 0,01 μg/l geändert werden, gemäß der Praxis, für sonstige Oberflächengewässer Schwellenwerte zu verwenden, die eine Größenordnung niedriger als die für Binnenoberflächengewässer liegen.

4.5.

Der individuelle Schwellenwert für Pestizide im Grundwasser beruht auf dem Stand der Analysetechnik der 1990er-Jahre (11). Dank einer Verfeinerung der Technik ist es nun möglich, geringere Konzentrationen festzustellen. In Oberflächengewässern wurden für mehrere Pestizide bereits geringere Schwellenwerte festgelegt. Der EWSA bedauert, dass die Kommission die einzelnen Schwellenwerte für Pestizide bei der Änderung der Liste der Oberflächen- und Grundwasserschadstoffe nicht überprüft hat. Für Grundwasser gilt ein willkürlicher Schwellenwert von 0,1 μg/l für Pflanzenschutzmittel, der auf den verfügbaren Analyseverfahren beruht. Inzwischen existieren jedoch bessere Methoden, die es ermöglichen, wissenschaftliche Informationen zur Festlegung von Schwellenwerten auf der Grundlage der tatsächlichen Risiken, die von den verschiedenen Stoffen ausgehen, zur Verfügung zu stellen.

4.6.

Es fehlt weiterhin an Indikatoren für die Überwachung der Gesundheit von Grundwassersystemen, wie z. B. der Temperatur, obwohl in der wissenschaftlichen Forschung bereits erhebliche Mittel für die Festlegung relevanter Kriterien bereitgestellt werden. Der EWSA fragt sich, warum die Kommission solche relevanten Kriterien nicht in ihren Vorschlag aufgenommen hat. Die Kriterien sollten im Einklang mit Erwägungsgrund 20 und Artikel 4 Absatz 5 der Grundwasserrichtlinie in Anhang I der Grundwasserrichtlinie aufgenommen werden und den in der Entschließung des Europäischen Parlaments zur Umsetzung der Wassergesetzgebung (17.12.2020) erhobenen Forderungen bezüglich des Grundwassers Rechnung tragen.

Brüssel, den 22. Februar 2023

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  EUA, Bericht Nr. 7/2018, European waters: Assessment of status and pressures 2018.

(2)  Europäische Wasservereinigung (EWA), Water Manifesto.

(3)  Europäische Umweltagentur, Bericht Nr. 9/2021, Drivers of and pressures arising from selected key water management challenges: A European overview.

(4)  Europäische Kommission, Green taxation and other economic instruments — Internalising environmental costs to make the polluter pay.

(5)  Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 12/2021: Das Verursacherprinzip: uneinheitliche Anwendung im Rahmen der umweltpolitischen Strategien und Maßnahmen der EU.

(6)  EWSA-Stellungnahme „Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus — Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“ (ABl. C 123 vom 9.4.2021, S. 66).

(7)  Beispielsweise müssen Zulassungen gemäß der Verordnung über Pflanzenschutzmittel überprüft werden, wenn der chemische Zustand nach der Wasserrahmenrichtlinie gefährdet ist.

(8)  PAN Europe and Ecologistas en Acción, Ríos hormonados: Contamination of Spanish Rivers with Pesticides.

(9)  Joint NGO analysis of the Commission’s proposal for a revised list of priority substances for surface and groundwater.

(10)  COM(2022) 540 final, Anhang I.

(11)  Siehe die Bemerkungen der Europäischen Arzneimittel-Agentur: Guideline on assessing the environmental and human health risks of veterinary medicinal products in groundwater und der Europäischen Umweltagentur: ETC/ICM Report 1/2020: Pesticides in European rivers, lakes and groundwater –Data assessment.


27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Luftqualität und saubere Luft für Europa“

(COM(2022) 542 final — 2022/0347 (COD))

(2023/C 146/08)

Berichterstatter:

Kęstutis KUPŠYS

Befassung

Europäisches Parlament, 19.1.2023

Rat, 24.1.2023

Rechtsgrundlage

Artikel 192 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

3.2.2023

Verabschiedung im Plenum

22.2.2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

145/9/12

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Saubere Luft ist ein grundlegendes Menschenrecht, daher begrüßt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nachdrücklich den Vorschlag zur Überarbeitung der Luftqualitätsrichtlinien. Der Ausschuss empfiehlt, die EU-Luftqualitätsnormen (durch die Festlegung von Grenzwerten auch für Ozon) bis spätestens 2030 vollständig an die aktualisierten globalen Luftqualitätsleitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anzugleichen und einen soliden unterstützenden Rahmen auf der Grundlage von Grenzwerten, Durchsetzungsmechanismen und klaren Kontrollvorschriften festzulegen. Die Verringerung der Luftverschmutzung hat erhebliche positive Nebeneffekte für den Klimaschutz, die Energieversorgungssicherheit und die biologische Vielfalt und erhöht die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung gegenüber Pandemien.

1.2.

Der EWSA begrüßt den Ansatz der Kommission, den Schwerpunkt auf das „Nutzen-Kosten-Verhältnis“ zu legen, bedauert jedoch, dass dieses Verhältnis und nicht der größtmögliche Schutz des Lebens und der Gesundheit des Menschen als wichtigster bei dieser Überarbeitung zu berücksichtigender Faktor angesehen wird. Dementsprechend wird als bevorzugte politische Option eine „stärkere Angleichung“ anstatt einer „vollständigen Angleichung“ empfohlen. Mit Ausnahme von Stickstoffdioxid wird mit dem Vorschlag offenbar eine Angleichung an die WHO-Leitlinien von 2005 und nicht an die jüngsten, im September 2021 veröffentlichten Leitlinien angestrebt.

1.3.

Luftreinhaltungsnormen bilden einen Rechtsrahmen, doch Emissionssenkungen müssen durch andere Legislativpakete herbeigeführt werden. Der EWSA ist zuversichtlich, dass ehrgeizige und fristgerecht durchgesetzte Grenzwerte und Vorschriften im Rahmen der Luftqualitätsrichtlinien zusammen mit wirksamen bereichsspezifischen Maßnahmen zu entschlossenem Handeln auf nationaler und lokaler Ebene führen werden.

1.4.

Auch die Bürgerinnen und Bürger sollten handeln und darüber aufgeklärt werden, wie sich ihr Lebensstil, ihr Handeln und ihr Konsumverhalten auf den Grad der Verschmutzung auswirken. Besser informierte Menschen sind wesentlich stärker zum Handeln motiviert, und es lassen sich leichter langfristige Verhaltensänderungen erreichen. Daher fordert der EWSA eine Aufstockung der Mittel für bürgerwissenschaftliche Projekte im Zusammenhang mit Umweltverschmutzung im Rahmen des Programms Horizont Europa.

1.5.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich das Recht auf Schadenersatz für Personen, die durch Luftverschmutzung gesundheitliche Schäden erlitten haben, sowie Sanktionen für natürliche und juristische Personen in dem jeweiligen Mitgliedstaat, die gegen die Vorschriften verstoßen haben.

2.   Hintergrund

2.1.

(Außen-)Luftverschmutzung ist die häufigste umweltbedingte Ursache für Gesundheitsschädigungen in der EU und verursacht Schätzungen zufolge mehr als 300 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr (1). Nach Angaben der WHO führt die Luftverschmutzung sowohl in Städten als auch in ländlichen Gebieten weltweit zu geschätzt 4,2 Mio. vorzeitigen Todesfällen pro Jahr (2). Dies ist auf die kumulativen Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die öffentliche Gesundheit zurückzuführen. So verursacht bspw. die Belastung durch Feinstaub mit einem Durchmesser von 2,5 Mikrometer oder weniger (PM2,5) zahlreiche Gesundheitsprobleme wie Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie Krebs. Zudem schädigt Luftverschmutzung unsere Umwelt und führt zu Versauerung, Eutrophierung und Ernteverlusten.

2.2.

Überschreitungen der Luftqualitätsgrenzwerte sind EU-weit zu verzeichnen (3), wobei die gemessenen Konzentrationen deutlich über den jüngsten Empfehlungen der WHO (4) liegen.

2.3.

In den Luftqualitätsrichtlinien (Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (5) über Luftqualität und saubere Luft für Europa und Richtlinie 2004/107/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (6) über Arsen, Kadmium, Quecksilber, Nickel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in der Luft) werden Vorschriften für die Luftreinhaltung und EU-Luftqualitätsnormen für 12 Luftschadstoffe festgelegt, namentlich Schwefeldioxid (SO2), Stickstoffdioxid (NO2)/Stickstoffoxid (NOx), Feinstaub (PM10 und PM2,5), Ozon (O3), Benzol (C6H6), Blei (Pb), Kohlenmonoxid (CO), Arsen (As), Kadmium (Cd), Nickel (Ni) und Benzo[a]pyren (C20H12).

2.4.

Aus der Eignungsprüfung (7) ging hervor, dass die aktuellen Luftqualitätsrichtlinien einen Beitrag zur Verringerung der Luftverschmutzung geleistet haben. Die Zahl der vorzeitigen Todesfälle aufgrund von Luftverschmutzung ist im Vergleich zu den 1990er-Jahren um 70 % zurückgegangen. Dennoch ist die Luftverschmutzung in Europa zu hoch, was sich negativ auf die menschliche Gesundheit und auf die Umwelt auswirkt.

2.5.

Die für den Menschen am stärksten gesundheitsgefährdenden Schadstoffe in Europa sind PM2,5, NO2 und bodennahes Ozon. Parallel zu ihren Bemühungen um Klimaneutralität will die Europäische Union bis spätestens 2050 das Null-Schadstoff-Ziel erreichen. In der Zwischenzeit zielt die aktuelle Überarbeitung der Luftqualitätsrichtlinien unter anderem darauf ab,

strengere Luftqualitätsnormen mit stärkerer Angleichung an die WHO-Leitlinien einzuführen;

das Recht auf saubere Luft zu unterstützen und den Zugang zu Gerichten zu verbessern;

wirksamere Sanktionen und Schadenersatzregelungen bei Verstößen gegen die Luftqualitätsvorschriften einzuführen;

die Vorschriften über die Luftqualitätsüberwachung und die Luftqualitätsmodellierung zu verschärfen, um präventive und gezielte Maßnahmen zu fördern;

die Anforderungen bezüglich der Festlegung, Annahme und Umsetzung vorschriftsmäßig erstellter und wirksamer Luftqualitätspläne zu präzisieren, um Verstöße gegen die Rechtsvorschriften zu verhindern und im Falle von Verstößen Abhilfe zu schaffen;

den Zugang zu öffentlichen Informationen zu erleichtern und für eine bessere Unterrichtung der Öffentlichkeit zu sorgen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

Weg zur Verwirklichung des Null-Schadstoff-Ziels

3.1.

Saubere Luft ist ein international anerkanntes grundlegendes Menschenrecht (8). Daher begrüßt der EWSA nachdrücklich den Vorschlag zur Überarbeitung der Luftqualitätsrichtlinien. Die EU-Rechtsvorschriften zur Luftqualität haben sich als wesentliches und grundlegendes Instrument zur Verringerung der Luftverschmutzung in der EU erwiesen.

3.2.

Inwieweit eine Angleichung der EU-Luftqualitätsnormen an die jüngsten WHO-Leitlinien möglich sein wird, hängt von politischen Entscheidungen und den Zielvorgaben auf einzelstaatlicher und städtischer Ebene ab. Drei Szenarien (und die entsprechenden politischen Optionen) wurden von der Kommission geprüft und in ihrer Folgenabschätzung beschrieben (9). Die Wahl zwischen diesen Szenarien ist eine politische und keine „rein wissenschaftliche“ Entscheidung. Mit den drei Optionen werden unterschiedlich ehrgeizige Ziele angestrebt, namentlich eine „vollständige Angleichung“ (I-1), eine „stärkere Angleichung“ (I-2) und eine „teilweise Angleichung“ (I-3).

3.3.

Der EWSA begrüßt den Ansatz der Kommission, den Schwerpunkt auf das „Nutzen-Kosten-Verhältnis“ zu legen, bedauert jedoch, dass dieses Verhältnis und nicht der größtmögliche Schutz des Lebens und der Gesundheit des Menschen als wichtigster bei dieser Überarbeitung zu berücksichtigender Faktor angesehen wird. Dementsprechend wird die politische Option I-2 („stärkere Angleichung“) empfohlen. Mit Ausnahme von NO2 wird mit dem Vorschlag somit offenbar eine Angleichung an die WHO-Leitlinien von 2005 und nicht an die neuen, 2021 veröffentlichten Leitlinien angestrebt.

3.4.

Der EWSA fordert, zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Bewertung der Fortschritte und eine Überprüfung der Ziele vorzunehmen und die EU-Luftqualitätsnormen bis spätestens 2030 vollständig an die aktualisierten WHO-Leitlinien anzugleichen. Diese Angleichung sollte durch einen soliden unterstützenden Rahmen auf der Grundlage von Grenzwerten, Durchsetzungsmechanismen und klaren Kontrollvorschriften flankiert werden.

Grenzen des vorliegenden Vorschlags

3.5.

Bedauerlicherweise halten die meisten Mitgliedstaaten die bestehenden EU-Luftqualitätsnormen immer noch nicht ein und ergreifen keine wirksamen Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität, wie die Zahl der aufgrund von Verstößen eingeleiteten Verfahren zeigt. Daher sollte die Überarbeitung nicht nur dazu dienen, im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen das richtige Ambitionsniveau vorzugeben und somit entschlossenere Initiativen anzustoßen, sondern auch dazu, die Umsetzungs- und Durchsetzungsbestimmungen zu verbessern, um die Mitgliedstaaten und die zuständigen Behörden besser zu unterstützen und anzuleiten.

3.6.

Der EWSA fordert, bei den Rechtsvorschriften, die die menschliche Gesundheit und den Umweltschutz betreffen, mögliche Schlupflöcher zu beseitigen. Die Artikel 16 und 17 enthalten Vorschriften, mit denen Luftverschmutzung aufgrund des Ausbringens von Streusand oder Streusalz im Winterdienst sowie natürliche Quellen von Luftverschmutzung von der Einhaltungspflicht ausgenommen werden. Dieser Ansatz steht nach Auffassung des EWSA im Widerspruch zu den Zielen der Richtlinie. Durch natürliche und vom Menschen verursachte Quellen ergibt sich ein Kombinationseffekt, der die Wirkung von Schadstoffen verstärkt. Durch die Vernachlässigung natürlicher Luftverschmutzungsquellen werden weiterhin Menschenleben gefährdet.

3.7.

Ebenso sollen die Mitgliedstaaten nach Artikel 29 wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für „natürliche und juristische Personen“ in dem jeweiligen Mitgliedstaat vorsehen, die gegen die Vorschriften verstoßen haben. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, den der EWSA nachdrücklich unterstützt, da eine funktionierende Sanktionsregelung zur Ahndung von Verstößen sehr wichtig ist, ebenso wie die Bestimmungen in Artikel 28 über Schadenersatz für Personen, die (auch nur teilweise) Gesundheitsschäden durch Luftverschmutzung erlitten haben. Der EWSA fordert, einen klaren, streng rationalen Zusammenhang zwischen der Verschmutzungsquelle und dem Verursacher herzustellen, mit dem die Verantwortlichkeiten und die entsprechenden Strafen klargestellt werden. Ferner fordert er eine weitere Klarstellung der Bestimmungen zu den Luftqualitätsplänen und entsprechenden Abhilfemaßnahmen (einschließlich finanzieller Sanktionen) für den Fall, dass Luftqualitätsnormen nicht fristgerecht eingehalten werden.

3.8.

Ein besonderer Schwerpunkt sollte auf Ozon gelegt werden. Nach Schätzungen der EUA sind 24 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr auf Ozonexposition zurückzuführen (10). Ozon ist ein Schadstoff, der nicht direkt aus einer Primärquelle emittiert wird. Es entsteht durch eine Reihe komplexer Reaktionen in der Atmosphäre, ausgelöst durch die bei der Absorption von Sonnenlicht an Stickstoffdioxidmoleküle übertragene Energie (11). Die gesundheitlichen Auswirkungen von bodennahem Ozon („toxischem“ Ozon) sind allgemein bekannt. So geht aus aktuellen epidemiologischen Untersuchungen hervor, dass Ozonexposition mit einer erhöhten Mortalität und Morbidität (12) sowie mit einer schweren Schädigung der Natur und der Anbaukulturen in Verbindung gebracht wird. Bisher wurden noch keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, um die Emissionen von Ozonvorläuferstoffen wie Methan rasch zu verringern, obwohl kürzlich im Rahmen der globalen Verpflichtung zur Reduzierung der Methanemissionen („Global Methane Pledge“) eine Methanstrategie der EU veröffentlicht wurde. Der EWSA begrüßt jedoch die Absicht, bei der 2025 anstehenden Überprüfung der Richtlinie über die Reduktion der nationalen Emissionen die mögliche Aufnahme von Methan in die Liste der regulierten Schadstoffe zu prüfen.

3.9.

In Artikel 13 schlägt die Kommission vor, für fast alle Luftschadstoffe, für die derzeit „Zielwerte“ gelten, „Grenzwerte“ festzulegen- mit Ausnahme von Ozon, für das nach wie vor nur „Zielwerte“ gelten. Diese Ausnahme wird damit gerechtfertigt, dass die „komplexen Merkmale seiner Bildung in der Atmosphäre […] es erschweren zu beurteilen, ob strenge Grenzwerte eingehalten werden können“.

3.10.

Nach Ansicht des EWSA werden solche „Zielwerte“ den Mitgliedstaaten und den zuständigen Behörden keinen ausreichenden Anreiz zum Abbau von bodennahem Ozon, einem der drei gefährlichsten Schadstoffe, geben. Es gibt Lösungen, um die Bildung von toxischem Ozon zu vermeiden. Die Verringerung von Ozonvorläuferstoffen wie NO2, flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) ohne Methan und Methanemissionen wird zu einer Senkung der Ozonkonzentrationen beitragen. Strengere Fahrzeugemissionsnormen, die Verringerung oder das Verbot von Lösungsmitteln, Farben oder Sprühgeräten mit hohem VOC-Gehalt, eine wirksame Senkung der Methanemissionen aus der Energieerzeugung, der Abfallwirtschaft und der Landwirtschaft (größter Verursacher) sind effiziente Möglichkeiten, bodennahes Ozon konsequent zu reduzieren. Diese bekannten Stellhebel sollten umfassend genutzt werden. Der EWSA empfiehlt, die Ozonnormen der EU in Form von „Grenzwerten“ vollständig an die globalen Luftqualitätsleitlinien der WHO von 2021 anzugleichen.

3.11.

Zusätzlich zum Vorschlag der Kommission sollten weitere Messstellen für Ultra-Feinstaub (Ultra Fine Particles — UFP), Ruß und Ammoniak eingerichtet werden. Die vorgeschlagene Dichte ist nicht ausreichend für die Entwicklung epidemiologischer Studien. Die Messstellen müssen so geplant sein, dass ihre Daten die lokalen Gesundheitsbehörden angemessen über die Gesundheitsrisiken informieren können, die durch lokale Verschmutzung sowie durch neu auftretende bedenkliche Schadstoffe entstehen, gerade auch in Hinsicht auf gefährdete Bevölkerungsgruppen und stark verschmutzte Gebiete.

Gezielte bereichsspezifische Maßnahmen

3.12.

Bezüglich Artikel 10 des Vorschlags regt der Ausschuss an, dass jeder Mitgliedstaat in jeder Stadt mit mehr als 250 000 Einwohnern mindestens eine Großmessstation an einer Messstation für den städtischen Hintergrund einrichtet. Mitgliedstaaten, in denen es keine Städte mit mehr als 250 000 Einwohnern gibt, müssen mindestens eine Großmessstation an einer Messstation für den städtischen Hintergrund einrichten.

3.13.

Neben rein medizinischen Leitlinien empfiehlt die WHO Maßnahmen zum Schutz der Natur und zur Reinhaltung der Luft sowie Investitionen in saubere Energie, um eine rasche und der Gesundheit zugutekommende Energiewende zu gewährleisten, die auch positive Nebeneffekte für die Bekämpfung des Klimawandels mit sich bringt. Weiterhin empfiehlt die WHO den Aufbau gesunder Städte mit hoher Lebensqualität. Dazu sollte eine sauberere und aktive Mobilität wie bspw. der öffentliche Nahverkehr sowie Radfahren und Zufußgehen gefördert werden. Steuergelder sollten nicht mehr in Subventionen für fossile Brennstoffe fließen, die Luftverschmutzung verursachen, und es sollte für eine gesunde Ernährung geworben werden.

3.14.

Diese Handlungsansätze sollten auch für die Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene als Richtschnur dienen. Der europäische Grüne Deal und so weitreichende Initiativen wie „Fit für 55“ und „REPowerEU“ sollten unter Berücksichtigung des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt (13) angenommen und umgesetzt werden sowie einen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an seine Folgen, zur Energieversorgungssicherheit oder zu geopolitischen Erwägungen leisten.

3.15.

Vor diesem Hintergrund sieht der EWSA Spielraum für weitere Verbesserungen in dem Vorschlag. Die Schwachstelle des Kommissionsvorschlags besteht eindeutig darin, dass nicht über das heute technisch bezifferbare Maß hinausgeschaut wird. Die Modellierung der Auswirkungen politischer Maßnahmen beschränkt sich auf die maximal technisch machbaren Verringerungen, wobei das Potenzial bereits beim Basisszenario unterschätzt wird. Zusätzliche strenge Rechtsvorschriften in einzelnen Bereichen (wie z. B. für den Verkehr, für Heizanlagen in Privathaushalten und für den Agrar- und Lebensmittelsektor) würden zweifellos zu einer saubereren Luft beitragen:

Regulierung aller Schadstoffe, die der menschlichen Gesundheit, der Umwelt und dem Klima schaden;

Festlegung strenger Emissionsgrenzwerte für Öfen und Heizkessel im Rahmen der Überarbeitung der Ökodesign-Vorschriften;

Gewährleistung eines Beitrags des Agrar- und Lebensmittelsektors zur Einhaltung der WHO-Leitlinien bis 2030, insbesondere durch die Verringerung von Ammoniak- und Methanemissionen;

Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und Schaffung negativer Anreize für die Nutzung von Privat-Pkws;

(unverzügliche) Senkung der EU-Emissionsgrenzwerte für Fahrzeuge auf das niedrigstmögliche Niveau weltweit und gleichzeitig schrittweise Abschaffung von Verbrennungsmotoren;

Verbesserung der Prüfung, Zulassung und Zertifizierung von Fahrzeugen;

Überwachung der Emissionen im Straßenverkehr, z. B. durch den Einsatz von Fernerkundungstechnologie;

Harmonisierung des europäischen Rahmens (14) für emissionsarme/emissionsfreie Zonen und Einführung eines einheitlichen Portals auf EU-Ebene für die Überprüfung und Zulassung von Fahrzeugen im Hinblick auf die Gewährung des Zugangs zu solchen Zonen.

3.16.

Luftreinhaltungsvorschriften bilden einen Rechtsrahmen, doch Emissionssenkungen müssen durch andere Legislativpakete herbeigeführt werden. Ein perfektes Beispiel für ein „bewährtes Verfahren“ ist nach Ansicht des EWSA das Konzept der emissionsarmen/emissionsfreien Zone. Beispielsweise gäbe es in Brüssel wohl keine Niedrigemissionszone, wenn die Durchsetzung von Maßnahmen zur Einhaltung der einschlägigen Ziele nicht durch Vorschriften gewährleistet würde. Später, wenn die Normen von immer mehr Städten eingehalten werden, müssen die Leitziele auf der Grundlage wissenschaftlicher Daten aktualisiert werden, um für eine kontinuierliche Verbesserung der Luftqualität zu sorgen.

3.17.

Durch den oben beschriebenen Prozess entsteht ein positiver Kreislauf von Maßnahmen und Folgen. Ehrgeizige und fristgerecht durchgesetzte Grenzwerte und Vorschriften im Rahmen der Luftqualitätsrichtlinien werden zusammen mit wirksamen bereichsspezifischen Maßnahmen zu entschlossenem Handeln auf nationaler und lokaler Ebene führen. So werden ehrgeizige Ziele für saubere Luft leichter zu erreichen sein. Alle mit dieser Kette von Maßnahmen verbundenen praktikablen Möglichkeiten werden nach Ansicht des EWSA in der Folgenabschätzung und in dem Vorschlag nicht in vollem Umfang berücksichtigt. Wenn die Option einer „vollständigen Angleichung“ (I-1) bei der anfänglichen Planung des Vorschlags berücksichtigt worden wäre, wäre sie vielleicht anstatt der weniger ehrgeizigen „stärkeren Angleichung“ (I-2) als bevorzugtes Szenario gewählt worden.

Stärkere Sensibilisierung der Öffentlichkeit

3.18.

Trotz Verbesserungen seit den 1990er-Jahren ist die Luftqualität nach wie vor ein ernstes Problem für die europäischen Bürgerinnen und Bürger. Die meisten (über 80 %) halten Gesundheitsprobleme wie Atemwegserkrankungen, Asthma und Herz-Kreislauf-Erkrankungen für ein schwerwiegendes durch Luftverschmutzung verursachtes Problem in ihrem Land (15).

3.19.

Während sich die Mehrheit der EU-Bürgerinnen und -Bürger nicht gut informiert fühlt (60 %), ist fast die Hälfte der Befragten der Ansicht, dass sich die Luftqualität in den letzten zehn Jahren verschlechtert hat (47 %). Auch wenn die Zahl der Menschen, die einem starken Maß an Luftverschmutzung ausgesetzt sind, stetig zurückgegangen ist, leiden die Betroffenen immer noch unter enormen gesundheitlichen Problemen und nehmen keine merkliche Verbesserung der Luftqualität wahr.

3.20.

Zwar ist derzeit noch unklar, inwieweit die Bürgerinnen und Bürger selbst bereit wären, proaktiv einen direkten oder indirekten Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität zu leisten, doch hätten Sensibilisierungsmaßnahmen eine zweifache Wirkung:

3.20.1.

Erstens sollten die Europäerinnen und Europäer darüber aufgeklärt werden, wie sich ihr Lebensstil, ihr Handeln und ihr Konsumverhalten auf den Grad der Verschmutzung auswirken. Wäre sich die Öffentlichkeit dieses Zusammenhangs klar bewusst, würde sie auf Verhaltensänderungen abzielende Maßnahmen leichter akzeptieren.

3.20.2.

Zweitens würden solche politischen Maßnahmen deutlich größere Wirkung zeigen und zu kumulativen Ergebnissen führen, wenn den Bürgerinnen und Bürgern die Wirkung ihrer Verhaltensänderungen bekannt wäre. Auch wenn sich eine bessere Luftqualität vor allem im städtischen Umfeld „mit bloßem Auge“ deutlich erkennen lässt, können interaktiv und leicht verständlich präsentierte wissenschaftliche Daten einen positiven Kreislauf begünstigen. Besser informierte Menschen sind wesentlich stärker zum Handeln motiviert, und es lassen sich leichter langfristige Verhaltensänderungen erreichen.

3.21.

Die Bürgerwissenschaft spielt eine entscheidende Rolle bei der öffentlichen Meinungsbildung zu allen Umweltverschmutzungsfragen und ihren Auswirkungen auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger. Der EWSA verweist auf den Erfolg von Initiativen wie „CurieuzeNeuzen“ (16), wodurch ein Beitrag zur Schaffung öffentlicher Akzeptanz für Niedrigemissionszonen in verschiedenen belgischen Städten geleistet wurde. Außerdem fordert er, im Rahmen von Horizont Europa mehr Mittel für bürgerwissenschaftliche Projekte im Zusammenhang mit der Umweltverschmutzung bereitzustellen.

4.   Besondere Bemerkungen zu neu auftretenden Luftschadstoffen

Ultra-Feinstaub

4.1.

Ultrafeine Partikel sind Partikel mit einem Durchmesser von 0,1 μm (100 nm) oder weniger. Diese Partikel stammen aus natürlichen oder anthropogenen Quellen wie Verbrennungstätigkeiten. Trotz zunehmender Hinweise auf die gesundheitlichen Auswirkungen von UFP sind diese Schadstoffe in den geltenden Luftqualitätsrichtlinien nicht geregelt. Der EWSA nimmt das zunehmende Bestreben zur Kenntnis, das bestehende Wissen über die Gesundheitsauswirkungen in politische Empfehlungen umzusetzen, hält aber weitere diesbezügliche Informationen für erforderlich.

4.2.

Daher fordert der EWSA zusätzliche gezielte Maßnahmen im Rahmen des Programms Horizont Europa zur systematischen Finanzierung der Forschung zu ultrafeinen Partikeln. Auch wenn spezifische Indikatoren für UFP fehlen, könnte die Einleitung einer öffentlichen Sensibilisierungskampagne sinnvoll sein, um die europäischen Bürgerinnen und Bürger über „neue“ Gefahren zu informieren, die von dieser wenig bekannten Schadstoffkategorie ausgehen.

Ruß

4.3.

Ruß besteht aus feinen Partikeln, die entstehen, wenn fossile Brennstoffe oder Biomasse verbrannt werden. Ruß hat gesundheitsschädigende Auswirkungen und verursacht Herz- oder Lungenkrankheiten, wirkt sich aber auch beschleunigend auf den Klimawandel aus, da 1 Tonne Ruß eine bis zu 1 500-mal stärkere Erderwärmungswirkung als 1 Tonne CO2 hat.

4.4.

Der EWSA nimmt die Verweise auf Studien der WHO (17) zur Kenntnis, denen zufolge bei einer Konzentration von 1,08 bis 1,15 μg/m3 statistisch relevante gesundheitliche Auswirkungen einer Rußexposition zu verzeichnen sind. Die WHO greift diese Werte in ihrer Empfehlung für bewährte Verfahren jedoch nicht auf. Nach Ansicht des EWSA sollte dies nicht zum Vorwand genommen werden, um von Maßnahmen gegen Rußemissionen abzusehen. Ebenso sollten Maßnahmen zur Verringerung der Belastung mit ultrafeinen Partikeln wie PM2,5 und PM10 ergriffen werden. Wenn weitere drei bis fünf Jahre auf Erkenntnisse aus EU-finanzierten Forschungsprojekten oder auf weitere WHO-Leitlinien gewartet wird, führt dies zu Tausenden weiteren Todesfällen und einer Beschleunigung der Klimakrise.

Ammoniak

4.5.

Ammoniak (NH3) ist eine anorganische Verbindung von Stickstoff und Wasserstoff. Eine hohe Ammoniakexposition schädigt die Lungen und kann zum Tod führen. NH3 trägt in großem Maße zu hohen Sekundärpartikelkonzentrationen bei. Außerdem belastet dieser Schadstoff die Umwelt und schadet der biologischen Vielfalt, da er zu Versauerung und Eutrophierung beiträgt. Eine Verringerung der Ammoniakemissionen kann im Agrar- und Lebensmittelsektor, im Straßenverkehr und in Bereichen erzielt werden, in denen Lösungsmittel und andere einschlägige Produkte zum Einsatz kommen.

4.6.

Es gibt keine WHO-Empfehlungen für Ammoniakkonzentrationen in der Luft im Zusammenhang mit gesundheitlichen Auswirkungen. Die Auswirkungen dieses Stoffes auf Gesundheit und Umwelt sind jedoch gut dokumentiert (18), denn Ammoniakemissionen tragen zur Bildung von Sekundärpartikeln (PM2,5) bei, für die es WHO-Luftqualitätsleitlinien gibt. Wissenschaftlichen Einschätzungen zufolge liegt die langfristige kritische Exposition für (höhere) Pflanzen bei 3 μg/m3.

4.7.

Der jüngste Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie über Industrieemissionen (19) und das damit verfolgte ehrgeizigere Ziel der Verringerung von Industrieemissionen und der Ausweitung des Anwendungsbereichs auf die größten Viehzuchtbetriebe der EU können erheblich zur Senkung der Ammoniakemissionen beitragen, da die Hauptquelle für NH3-Emissionen die Landwirtschaft ist und etwa drei Viertel der Emissionen in der EU durch die Dungbewirtschaftung aus der Tierhaltung verursacht werden (20). Die Industrieemissionsrichtlinie sollte jedoch verhältnismäßig und kosteneffizient umgesetzt werden, um einen zusätzlichen Anstieg der Produktionskosten im Agrar- und Lebensmittelsektor zu vermeiden (21).

4.8.

Der EWSA ist der Auffassung, dass auch ein solider Unterstützungsmechanismus für schutzbedürftige Personen und Wirtschaftszweige erforderlich ist, um die Lebensgrundlagen, die Gesundheit und das Wohl der Menschen zu sichern und praktische Lösungen zur Verringerung von NH3-Emissionen in der Tierhaltung auch an der Basis verfügbar zu machen. Diese Unterstützung sollte die Bereitstellung von Finanzmitteln sowohl für bereits bekannte technologische Neuerungen als auch für die weitere Forschung umfassen. Allgemein sollten Viehzuchtbetriebe zu Veränderungen ermutigt werden, die der Umwelt und der Gesundheit zugutekommen, während gleichzeitig ihre wesentliche Funktion als Lebensmittellieferant für die Bevölkerung erhalten bleiben muss (22).

Brüssel, den 22. Februar 2023

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  EUA: Health impacts of air pollution in Europe (Gesundheitliche Auswirkungen der Luftverschmutzung in Europa).

(2)  Weltgesundheitsorganisation (WHO): Ambient (outdoor) air pollution ((Außen-)Luftverschmutzung).

(3)  EUA: Europe’s air quality status 2022 (Zustand der Luftqualität in Europa 2022).

(4)  WHO: Global air quality guidelines (Globale Luftqualitätsleitlinien).

(5)  Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. L 152 vom 11.6.2008, S. 1).

(6)  Richtlinie 2004/107/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 über Arsen, Kadmium, Quecksilber, Nickel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in der Luft (ABl. L 23 vom 26.1.2005, S. 3).

(7)  Communication and Information Resource Centre for Administrations, Businesses and Citizens (CIRCABC): Air Policy (Luftqualitätspolitik).

(8)  Entschließung A/76/L.75 der Generalversammlung der Vereinten Nationen und EWSA-Stellungnahme NAT/824.

(9)  Europäische Kommission: Luftqualität — Überarbeitung der EU-Vorschriften.

(10)  EUA: Health impacts of air pollution in Europe (Gesundheitliche Auswirkungen der Luftverschmutzung in Europa).

(11)  WHO: Global air quality guidelines (Globale Luftqualitätsleitlinien).

(12)  Oberste Umweltschutzbehörde der USA (Environmental Protection Agency — EPA): Health Effects of Ozone in the General Population (Gesundheitliche Auswirkungen von Ozon auf die Gesundheit der allgemeinen Bevölkerung).

(13)  Besondere Aufmerksamkeit sollte den neuen Fahrzeugemissionsnormen Euro 7 gewidmet werden, da der Straßenverkehr die Hauptursache für die Luftverschmutzung in städtischen Gebieten ist. Viele Interessenträger haben ihren Unmut über die verfehlten Erwartungen im Zusammenhang mit Euro 7 zum Ausdruck gebracht (siehe z. B. Transport & Environment).

(14)  Der EWSA stellt fest, dass die Kommission in ihrer Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität (COM(2020) 789 final) zusagt, eine spezielle Studie in Auftrag zu geben, in der unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips Lösungen für wirksamere und benutzerfreundlichere Systeme zur Beschränkung des Zugangs von Fahrzeugen zu Städten entwickelt werden.

(15)  Eurobarometer-Umfrage: Attitudes of Europeans towards Air Quality (Ansichten der EU-Bürgerinnen und Bürger zur Luftqualität). In der Kommissionsmitteilung COM(2021) 44 final wird ein Zusammenhang zwischen Krebs und Umweltverschmutzung hergestellt. Nach Auffassung des EWSA sollten künftige Eurobarometer-Umfragen auch eine Frage dazu enthalten, inwieweit Krebserkrankungen (sowie Diabetes und Demenz) von den Befragten als Folge der Luftverschmutzung wahrgenommen werden.

(16)  CurieuzeNeuzen Vlaanderen. Ähnliche Kampagnen wurden von zivilgesellschaftlichen Gruppen in Deutschland, Irland, Italien, Litauen, Polen, der Slowakei und verschiedenen anderen EU-Ländern durchgeführt.

(17)  Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP): Health effects of black carbon (Gesundheitsauswirkungen von Ruß).

(18)  Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE): Towards Cleaner Air, Scientific Assessment Report 2016 (Wege zu saubererer Luft, wissenschaftlicher Bewertungsbericht 2016).

(19)  Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17).

(20)  Laut dem National air pollutant emissions dashboard 76,2 % im Jahr 2020.

(21)  Stellungnahme des EWSA „Überarbeitung der Richtlinie über Industrieemissionen und der E-PRTR-Verordnung“ (ABl. C 443 vom 22.11.2022, S. 130).

(22)  Stellungnahme des EWSA „Überarbeitung der Richtlinie über Industrieemissionen und der E-PRTR-Verordnung“ (ABl. C 443 vom 22.11.2022, S. 130).


27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/53


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Mitteilung über Leitlinien für eine Reform des EU-Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung

(COM(2022) 583 final)

(2023/C 146/09)

Berichterstatter:

Krister ANDERSSON

Ko-Berichterstatterin:

Dominika BIEGON

Befassung

Europäische Kommission, 19.12.2022

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

1.2.2023

Verabschiedung im Plenum

23.2.2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

202/3/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt nachdrücklich die Mitteilung der Kommission, in der Leitlinien für eine Reform des Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung dargelegt werden.

1.2.

Der EWSA stimmt mit der Kommission darin überein, dass eine rasche Einigung noch vor den Haushaltsverfahren der Mitgliedstaaten für das Jahr 2024 erforderlich ist. Die Kommission hat zu Recht auf die dringende Notwendigkeit einer entschiedenen Koordinierung der Haushalts- und Strukturpolitik sowie einer wirksamen wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung hingewiesen, um inklusives Wachstum zu fördern und die Europäische Zentralbank (EZB) beim Erreichen der vereinbarten Ziele zu unterstützen.

1.3.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass es den Mitgliedstaaten in guten Zeiten an einer umsichtigen Politik fehlte (1), während gleichzeitig die Haushaltsvorschriften den haushaltspolitischen Spielraum bei wirtschaftlichen Abschwüngen in einigen Mitgliedstaaten eingeschränkt haben.

1.4.

Der EWSA nimmt die Absicht der Kommission zur Kenntnis, die Referenzwerte beizubehalten. Das Defizitkriterium von 3 % des BIP hat eine politische und marktwirtschaftliche Signalwirkung. Der EWSA unterstreicht, dass die strukturellen finanzpolitischen Pläne gewährleisten müssen, dass die Schuldenquoten sinken oder auf einem dem Vorsichtsgebot entsprechenden Niveau bleiben.

1.5.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission, die starre 1/20-Regel nicht mehr anzuwenden, da sie zu einer Überlastung von Mitgliedstaaten mit hoher Verschuldung mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf das Wachstum und die Schuldentragfähigkeit selbst führen könnte. Der mittelfristige Zeitraum von vier Jahren für die Bewertung der haushaltspolitischen Anpassungen, der erforderlichenfalls um drei weitere Jahre verlängert werden kann, wird ebenfalls als angemessen angesehen.

1.6.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission die Nettoprimärausgaben als Hauptparameter für die Bewertung der neuen wirtschaftspolitischen Steuerung heranzieht.

1.7.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Haushaltspolitik ein klassischer Bereich der parlamentarischen Politik ist, da sich haushaltspolitische Entscheidungen auf die gesamte Struktur der Einnahmen und Ausgaben eines Staates auswirken. Für eine erfolgreiche Reform des Steuerungsrahmens ist die Eigenverantwortung von entscheidender Bedeutung.

1.8.

Der EWSA ist der Auffassung, dass eine entschiedene Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung in Europa im Interesse der Menschen, Unternehmen und Regierungen dringend erforderlich ist. Deshalb gilt es, weitere mögliche Maßnahmen zur Stärkung der Eigenverantwortung für die Vorschriften zu entwickeln, damit sich alle Regierungen auf den überarbeiteten Rahmen verpflichten.

1.9.

Der EWSA hält es für äußerst wichtig, dass in den künftigen Gesetzgebungsvorschlägen Mindeststandards für die Kontrolle durch die nationalen Parlamente und die Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung der nationalen mittelfristigen strukturellen finanzpolitischen Pläne festgelegt werden.

1.10.

Der EWSA hebt hervor, dass durch geeignete Vorschriften eine konsequente Durchsetzung gewährleistet werden muss. In den wenigen Ausnahmefällen, in denen Sanktionen in Betracht gezogen werden, müssen diese wirksam sein und auf transparente Weise umgesetzt werden. Die Vorschriften müssen auf alle Mitgliedstaaten gleichermaßen angewandt werden, damit sie glaubwürdig sind.

1.11.

Der EWSA begrüßt, dass die Steigerung der Qualität und der Höhe der öffentlichen Investitionen als Faktor auf dem Weg zur Schuldentragfähigkeit berücksichtigt wird. Der EWSA begrüßt auch die Verlängerung des Anpassungspfads um höchstens drei Jahre.

1.12.

Um die Klimaziele der EU zu erreichen, muss der Kapitalstock von Grund auf modernisiert werden, was mit einer Ausweitung der öffentlichen und privaten Investitionen einhergeht. In der Vergangenheit hat der EWSA Maßnahmen zur Schließung der immensen Investitionslücke gefordert (2). Der EWSA betont daher, dass möglicherweise weitere Initiativen erforderlich sind, damit privates und öffentliches Kapital in ausreichender Höhe für den ökologischen Wandel und den sozialen Zusammenhalt mobilisiert wird.

1.13.

Zur Gewährleistung der Transparenz und zur Erleichterung einer wirksamen Überwachung der Umsetzung der mittelfristigen strukturellen finanzpolitischen Pläne müssen die Mitgliedstaaten jährliche Fortschrittsberichte mit Informationen über den Stand der Durchführung von Reformen und Investitionen vorlegen. Diese Berichte und die im Rahmen der jährlichen Überwachung von der Kommission und vom Rat durchgeführten Bewertungen sollten öffentlich zugänglich sein.

2.   Hintergrund

2.1.

In der Mitteilung (3) der Europäischen Kommission werden die allgemeinen Grundsätze für eine Reform des wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmens der EU dargelegt. Mit der Initiative der Kommission sollen der derzeitige Rahmen verbessert und dazu die Schuldentragfähigkeit gestärkt und mittels Investitionen und Reformen ein nachhaltiges und integratives Wachstum gefördert werden.

2.2.

Die Nettoprimärausgaben, d. h. die vom Staat kontrollierten Ausgaben, werden dabei von der Kommission als Hauptindikator herangezogen. Die Nettoprimärausgaben werden auch die Grundlage für die Festlegung der haushaltspolitischen Anpassungspfade und für die jährliche haushaltspolitische Überwachung bilden, um die geltenden Vorschriften zu vereinfachen.

2.3.

Darüber hinaus wird die Kommission auf der Grundlage einer Methode zur Analyse und Bewertung der Schuldentragfähigkeit einen haushaltspolitischen Referenzanpassungspfad für jeden einzelnen Mitgliedstaat entwickeln, der für vier Jahre gilt. Der Anpassungspfad soll sicherstellen, dass die Schuldenquoten von Mitgliedstaaten mit besonderen Schuldenproblemen zurückgehen und das Defizit unter dem im Vertrag festgelegten Referenzwert von 3 % des BIP bleibt.

2.4.

Die Kommission wird die Umsetzung der Pläne kontinuierlich überwachen, wobei die Mitgliedstaaten im Interesse einer wirksameren und transparenteren Überwachung jährlich Fortschrittsberichte über die Durchführung ihrer Pläne vorlegen müssen. Das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (VÜD) wird beibehalten, während das Schuldenstandsverfahren gestärkt wird und ausgelöst werden soll, wenn ein Mitgliedstaat mit einem Schuldenstand von über 60 % des BIP von dem vereinbarten Ausgabenpfad abweicht.

2.5.

Der von der Kommission verfolgte mittelfristige Ansatz wird es ermöglichen, zwischen den Mitgliedstaaten auf der Grundlage ihrer Probleme in puncto Schuldentragfähigkeit zu differenzieren. Angesichts der Belastung der hoch verschuldeten Mitgliedstaaten wird der derzeitige Richtwert für den Schuldenabbau (die sogenannte 1/20-Regel) durch eine stärker risikobasierte Überwachung ersetzt, um negative Auswirkungen auf das Wachstum und die Schuldentragfähigkeit selbst zu vermeiden.

2.6.

Die Kommission beabsichtigt, die Durchsetzungsmechanismen als notwendiges Gegenstück zu einer risikobasierten Überwachung zu stärken. Die Durchführungsinstrumente umfassen u. a.: i) wirksame finanzielle Sanktionen, deren Höhe abgesenkt wird, um den Rückgriff darauf wahrscheinlicher zu machen; ii) über die Reputation wirkende Sanktionen im Falle von VÜD oder anderen Abweichungen; iii) eine makroökonomische Konditionalität bei der Inanspruchnahme von EU-Finanzmitteln.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt nachdrücklich die Mitteilung der Kommission, in der Leitlinien für eine Reform des Rahmens für die wirtschaftspolitische Steuerung dargelegt werden. Gleichzeitig stellt er fest, dass viele Details noch festgelegt werden müssen, sodass zunächst nur eine vorläufige Bewertung möglich ist.

3.2.

Der EWSA stimmt mit der Kommission darin überein, dass eine rasche Einigung noch vor den Haushaltsverfahren der Mitgliedstaaten für das Jahr 2024 erforderlich ist. Die Kommission hat zu Recht auf die dringende Notwendigkeit einer entschiedenen Koordinierung der Haushalts- und Strukturpolitik sowie einer wirksamen wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung hingewiesen. Dadurch sollen inklusives Wachstum gefördert und soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte in Abstimmung mit den institutionellen Maßnahmen, die die Europäische Zentralbank zur Verwirklichung der vereinbarten Ziele ergreift, abgebaut werden.

3.3.

Der EWSA begrüßt den ganzheitlichen Ansatz der Kommission auf der Grundlage nationaler mittelfristiger strukturellen finanzpolitischen Pläne, in denen die Haushalts-, Reform- und Investitionsziele an einem Ort zusammengeführt werden. Durch solche Pläne erhalten die Mitgliedstaaten auf faire Art und Weise und innerhalb eines risikobasierten, mittelfristig zu bewertenden Rahmens mehr Flexibilität.

3.4.

Der EWSA unterstützt die ehrgeizigen Ziele und die Kernelemente der Kommissionsinitiative, durch die die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten gestärkt, der Rahmen vereinfacht und eine stärker mittelfristige Ausrichtung in Verbindung mit einer energischeren und kohärenteren Durchsetzung erreicht werden soll (4).

3.5.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass es den Mitgliedstaaten in guten Zeiten an einer umsichtigen Politik fehlte (5), während gleichzeitig die Haushaltsvorschriften den haushaltspolitischen Spielraum bei wirtschaftlichen Abschwüngen in einigen Mitgliedstaaten eingeschränkt haben. Der EWSA stellt fest, dass in Jahren mit positivem Wachstum eine Verringerung der Schuldenquote erfolgen sollte, um Spielraum für haushaltspolitische Flexibilität in Jahren der Rezession zu schaffen. Haushaltspolitischer Spielraum ist auch notwendig, wenn Mitgliedstaaten mit Stagnation oder einer tiefen Rezession konfrontiert sind. Der EWSA erachtet den Vorschlag der Kommission als Schritt in die richtige Richtung, der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, künftig glaubwürdige antizyklische Maßnahmen zu ergreifen.

3.6.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die Kommission an den Referenzwerten festhalten will, da von klaren quantitativen Vorgaben eine eindeutige politische Signalwirkung, auch für die Märkte, ausgeht. Die Defizitschwelle von 3 % des BIP ist im Vertrag fest verankert, allgemein bekannt und gilt einheitlich für alle Mitgliedstaaten. Der EWSA ist wie die Kommission der Ansicht, dass die strukturellen finanzpolitischen Pläne gewährleisten müssen, dass die Schuldenquoten sinken oder auf einem dem Vorsichtsgebot entsprechenden Niveau bleiben.

3.7.

Nach Ansicht des EWSA könnten kurzfristige Abweichungen von diesem Richtwert erforderlich sein, um den immensen Investitionsbedarf für den ökologischen und den digitalen Wandel zu decken oder einen Anpassungspfad zu ermöglichen, der das Wachstum nicht gefährdet.

3.8.

Der EWSA hält den von der Kommission vorgeschlagenen mittelfristigen Rahmen für angemessen und geeignet, zwischen Mitgliedstaaten mit sehr unterschiedlichen Schuldenständen zu differenzieren und für heterogene nationale Situationen mit Schuldenquoten von unter 60 % bis über 150 % modular angepasste Ansätze zuzulassen. In diesem Zusammenhang unterstützt der EWSA den Vorschlag der Kommission, die starre 1/20-Regel nicht mehr anzuwenden, da sie zu einer Überlastung von Mitgliedstaaten mit hoher Verschuldung mit entsprechenden negativen Auswirkungen auf das Wachstum und die Schuldentragfähigkeit selbst führen könnte. Der mittelfristige Zeitraum von vier Jahren für die Bewertung der haushaltspolitischen Anpassungen, der erforderlichenfalls um drei weitere Jahre verlängert werden kann, wird angesichts der derzeitigen und absehbaren wirtschaftlichen und internationalen Bedingungen ebenfalls als angemessen angesehen.

3.9.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission die Nettoprimärausgaben als Hauptparameter für die Bewertung der neuen wirtschaftspolitischen Steuerung heranzieht. In diesem Zusammenhang fordert der EWSA, in den nationalen mittelfristigen strukturellen finanzpolitischen Plänen gezielte, strategische und durchdachte öffentliche Investitionen im Einklang mit den Prioritäten der EU vorzusehen. Solche Investitionen sollten einen größeren Teil der Staatsausgaben ausmachen und ein inklusives und nachhaltiges Wachstum fördern.

3.10.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Qualität der öffentlichen Ausgaben verbessert werden muss. Die Mitgliedstatten sollten wachstumsfördernde Reformen und Investitionen vorantreiben und gleichzeitig einen glaubwürdigen Pfad für den Schuldenabbau nach der Pandemie und in Zeiten internationaler Spannungen verfolgen.

3.11.

Der EWSA unterstützt den Vorschlag der Kommission für robuste Ausweichklauseln in Ausnahmesituationen, in denen der vereinbarte Anpassungspfad realistischerweise nicht eingehalten werden kann. Die strikte Einhaltung des vereinbarten mehrjährigen Pfads für die Nettoprimärausgaben würde eine antizyklische Finanzpolitik ermöglichen, die sich in guten Zeiten in sinkenden Schuldenquoten niederschlägt und in schwierigen Zeiten dafür sorgt, dass die notwendigen Reaktionsmaßnahmen getroffen und die Schwächsten geschützt werden können (6).

3.12.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Haushaltspolitik ein klassischer Bereich der parlamentarischen Politik ist, da sich haushaltspolitische Entscheidungen auf die gesamte Struktur der Einnahmen und Ausgaben eines Staates auswirken. Für eine erfolgreiche Reform des Steuerungsrahmens ist die Eigenverantwortung von entscheidender Bedeutung. Der EWSA hält es für äußerst wichtig, dass in den künftigen Gesetzgebungsvorschlägen Mindeststandards für die nationale parlamentarische Kontrolle und die Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft in die Ausarbeitung der nationalen mittelfristigen strukturellen finanzpolitischen Pläne festgelegt werden. Die Parlamente und die organisierte Zivilgesellschaft sowie die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften sollten wirksam einbezogen werden, denn die Eigenverantwortung für die mittelfristigen strukturellen finanzpolitischen Pläne kann nur durch die angemessene Einbindung der einschlägigen Interessenträger gestärkt werden (7). Die nationalen Parlamente sollten ihre Regierungen für die von ihnen verfolgte Haushalts- und Reformpolitik zur Rechenschaft ziehen.

3.13.

Im Falle eines Regierungswechsels müssen Änderungen an den mittelfristigen Strukturplänen möglich sein, soweit die mittelfristige Stabilität dadurch nicht beeinträchtigt wird. Wenn Regierungen neue diskretionäre einnahmenseitige Maßnahmen einführen und gleichzeitig die Tragfähigkeit ihrer Gesamtverschuldung aufrechterhalten, sollte eine Anpassung des Ausgabenpfads möglich sein, ohne dass das gesamte Validierungsverfahren für die strukturellen finanzpolitischen Pläne erneut durchlaufen werden muss.

3.14.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Kommission bei Umsetzung ihrer Vorschläge selbst mehr Einfluss auf die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten erlangen würde (8). Gleichzeitig werden die länderspezifischen Empfehlungen verbindlicher, da eine mangelnde Umsetzung zu Kürzungen bei den EU-Mitteln und zu einem restriktiveren Anpassungspfad führen könnte. Die Bedeutung des Europäischen Semesters würde ebenfalls zunehmen. Daher ist es wichtig, die Einbeziehung der nationalen Parlamente und der Organisationen der Zivilgesellschaft zu stärken, um mehr Eigenverantwortung für das regelbasierte System zu erreichen. Die Aufsicht und Kontrolle durch das Europäische Parlament ist insbesondere für die Durchsetzung und im Falle von Korrekturmaßnahmen wichtig. Gleichzeitig müssen das Subsidiaritätsprinzip und die Aufteilung der Zuständigkeiten gemäß den Verträgen geachtet werden.

3.15.

Der EWSA unterstützt die Initiative der Kommission, im Falle von Abweichungen den finanziellen und die Reputation betreffenden Durchsetzungsmechanismen mehr Nachdruck zu verleihen. Angesichts der größeren Flexibilität, über die die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung ihrer Haushalts-, Investitions- und Strukturreformen im Rahmen ihrer nationalen strukturellen finanzpolitischen Pläne verfügen würden, sollten die geltenden Vorschriften im Falle der Nichteinhaltung auch wirksam durchgesetzt werden. Dies würde eine rechtzeitige Konsolidierung der öffentlichen Finanzen fördern und so die Verschuldung auf einem tragbaren Niveau halten.

3.16.

Der EWSA hebt hervor, dass durch geeignete Vorschriften eine konsequente Durchsetzung gewährleistet werden muss. In den wenigen Ausnahmefällen, in denen Sanktionen in Betracht gezogen werden, müssen sie wirksam sein und auf transparente Weise umgesetzt werden. Die Vorschriften müssen auf alle Mitgliedstaaten gleichermaßen angewandt werden, damit sie glaubwürdig sind. Mögliche soziale Folgen und Auswirkungen auf die Entwicklung der Schuldentragfähigkeit sollten Teil der Durchsetzungsanalyse sein.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Da als wichtigster Bewertungsparameter die Pläne für Nettoprimärausgaben herangezogen werden sollen, sind nach Ansicht des EWSA unbedingt klare und transparente Regeln für die Berechnung dieser Primärausgaben erforderlich. Diskretionäre einnahmenseitige Maßnahmen sowie Ausgaben aufgrund konjunkturbedingter Arbeitslosigkeit müssen daher objektiv und klar definiert werden und die Zustimmung aller Mitgliedstaaten haben.

4.2.

Die Nichtberücksichtigung der Ausgaben aufgrund konjunkturbedingter Arbeitslosigkeit in den Ausgabenplänen ist zwar nachvollziehbar, doch darf dies die Mitgliedstaaten nicht an Maßnahmen hindern, um das Funktionieren des Arbeitsmarktes zu verbessern und so die strukturelle Arbeitslosigkeit zu verringern. Diese Kosten nämlich können, auch wenn sie nicht ausgeschlossen sind, mittelfristig erheblich zu mehr Wachstum und Beschäftigung und damit zur Verbesserung der Schuldentragfähigkeit beitragen. Gleichzeitig muss mittelfristig für gute Arbeitsbedingungen gesorgt werden. Die Regeln müssen klar und robust sein, um jegliche Form „kreativer Buchführung“ seitens der Mitgliedstaaten zu verhindern.

4.3.

Der EWSA begrüßt, dass die Steigerung der Qualität und der Höhe der öffentlichen Investitionen als Faktor auf dem Weg zur Schuldentragfähigkeit berücksichtigt wird. Der EWSA begrüßt zudem die mögliche Verlängerung des Anpassungspfads um maximal drei Jahre, sofern die Mitgliedstaaten ihre Pläne mit einer Reihe von Reformen und Investitionen flankieren, die nachhaltiges Wachstum und Schuldentragfähigkeit fördern.

4.4.

Um die Klimaziele der EU zu erreichen, muss der Kapitalstock von Grund auf modernisiert werden, was mit einer Ausweitung der öffentlichen und privaten Investitionen einhergeht. Der EWSA hat bereits früher die Einführung einer goldenen Regel für öffentliche Investitionen gefordert, um sicherzustellen, dass die immense Investitionslücke geschlossen wird. Die Kommission hat dies zwar nicht aufgegriffen, doch enthält ihr Vorschlag wichtige Aspekte zur Erhöhung der öffentlichen Investitionen. Es ist indes kaum möglich, die künftigen öffentlichen Investitionen zu beziffern, da vieles von den Verhandlungen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten über die strukturellen finanzpolitischen Pläne abhängen wird. Der EWSA betont daher, dass möglicherweise weitere Initiativen erforderlich sind, damit privates und öffentliches Kapital in ausreichender Höhe für den ökologischen Wandel und den sozialen Zusammenhalt mobilisiert wird.

4.5.

Aufgrund des von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen risikobasierten Ansatzes wird die Schuldentragfähigkeitsanalyse im künftigen EU-Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung einen zentralen Stellenwert einnehmen. Der EWSA weist darauf hin, dass die Festlegung der Modalitäten für die Schuldentragfähigkeitsanalyse, einschließlich der Frage, ob dabei auch klimabezogene Risiken berücksichtigt werden, eine hochpolitische Frage ist und mit den zuständigen Interessenträgern eingehend erörtert werden sollte. Die endgültigen Parameter der Schuldentragfähigkeitsanalyse müssen demokratisch und transparent festgelegt werden. Unabhängigen finanzpolitischen Institutionen käme eine wichtige Rolle dabei zu, die Angemessenheit der zugrunde liegenden Annahmen zu bewerten und sich dazu an der Debatte zu beteiligen und die nationalen Parlamente zu informieren.

4.6.

Zur Gewährleistung der Transparenz und zur Erleichterung einer wirksamen Überwachung der Umsetzung der mittelfristigen strukturellen finanzpolitischen Pläne müssen die Mitgliedstaaten jährliche Fortschrittsberichte mit Informationen über den Stand der Durchführung von Reformen und Investitionen vorlegen. Diese Berichte und die von der Kommission und dem Rat im Rahmen der jährlichen Überwachung durchgeführten Bewertungen sollten öffentlich zugänglich sein.

4.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die im Rahmen des Verfahrens bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht (MIP) vorgesehene verstärkte Berücksichtigung von Stromgrößen im Zuge der nächsten Schritte zur Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung präzisiert und quantifiziert werden muss, um die Reform ausgewogen, praktikabel und transparent zu machen.

4.8.

Nach Ansicht des EWSA ist es wichtig, ein geeignetes Verfahren für eine erste Prüfung auf Ungleichgewichte im Warnmechanismus-Bericht (WMB) zu entwickeln und einzuführen und im Rahmen der eingehenden Überprüfung ggf. bestehende Ungleichgewichte aufzudecken. Die Empfehlungen sollten im Hinblick auf die europäischen Wachstumsmotoren und ihre Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung bewertet werden. Die Notwendigkeit einer vorausschauenderen Überwachung, die darauf abzielt, neu auftretende Ungleichgewichte rasch zu entdecken und anzugehen, muss im Einzelnen dargelegt werden.

4.9.

Der EWSA unterstreicht die Bedeutung robuster Regeln, die den sich wandelnden wirtschaftlichen Bedingungen gerecht werden, sowie die Notwendigkeit von Engagement und Eigenverantwortung seitens der Mitgliedstaaten. Die Reform des haushaltspolitischen Rahmens darf nicht verzögert werden, da die Investitionen und die Produktivität in der gesamten EU gesteigert werden müssen.

4.10.

Der EWSA ist der Auffassung, dass eine entschiedene Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung in Europa im Interesse der Menschen, Unternehmen und Regierungen dringend erforderlich ist. Deshalb gilt es, weitere mögliche Maßnahmen zur Stärkung der Eigenverantwortung für die Vorschriften zu entwickeln, damit sich alle Regierungen auf den überarbeiteten Rahmen verpflichten.

4.11.

Der EWSA stellt fest, dass viele der im Kommissionsvorschlag vorgesehenen Verfahren im Detail weiter ausgearbeitet werden müssen. Er hofft daher, im Jahr 2023 mit seinen Standpunkten und Empfehlungen zu detaillierteren Vorschlägen Stellung nehmen zu können.

Brüssel, den 23. Februar 2023

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  COM(2022) 583 final, S. 3.

(2)  Stellungnahme des EWSA „Neugestaltung des haushaltspolitischen Rahmens der EU für einen nachhaltigen Aufschwung und einen gerechten Übergang“ (ABl. C 105 vom 4.3.2022, S. 11).

(3)  COM(2022) 583 final.

(4)  COM(2022) 583 final, S. 1.

(5)  COM(2022) 583 final, S. 3.

(6)  COM(2022) 583 final, S. 16.

(7)  Der EWSA verweist auf die Kritik an der unzureichenden Einbeziehung der Zivilgesellschaft bei der Verordnung über die Aufbau- und Resilienzfazilität.

(8)  Der EWSA erkennt an, dass für eine funktionierende Währungsunion bestimmte finanzpolitische Bedingungen und Stabilität erforderlich sind.


27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/59


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2023“

(COM(2022) 780 final)

(2023/C 146/10)

Hauptberichterstatter:

Gonçalo LOBO XAVIER

Befassung

Europäische Kommission, 19/12/2022

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Verabschiedung im Plenum

23/02/2023

Plenartagung Nr.

576

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

196/2/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die wichtigsten politischen Prioritäten des Jahresberichts zum nachhaltigen Wachstum 2023, mit denen die vier Dimensionen wettbewerbsfähiger Nachhaltigkeit umgesetzt werden sollen. Es steht außer Frage, dass gefährdete Haushalte angesichts der derzeit bestehenden Lage und Szenarien kurzfristig unterstützt werden sollten, um sie vor den schlimmsten Auswirkungen der Energiekrise zu schützen. Gleichzeitig sollte die Energieeffizienz in der Europäischen Union insgesamt weiterhin gefördert werden. Der EWSA ist der Auffassung, dass der digitale und der ökologische Wandel durch mittel- und langfristige Maßnahmen beschleunigt werden sollten. Seiner Ansicht nach sollte die Union zudem ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Energieangebot und -nachfrage schaffen und gleichzeitig Energie für den Winter sparen und höhere Kosten vermeiden. Es ist äußerst wichtig, Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz in allen Bereichen zu unterstützen. Dies muss unter Wahrung der Integrität des Binnenmarkts und unter Gewährleistung der makroökonomischen Finanzstabilität und einer kohärenten Finanz- und Geldpolitik geschehen.

1.2.

Der EWSA ist sich bewusst, dass der Zyklus des Europäischen Semesters 2023 von der effizienten Umsetzung der Aufbau- und Resilienzpläne geprägt sein wird. Bei diesen Plänen wird das Hauptaugenmerk auf den politischen Agenden der Mitgliedstaaten liegen, die eine Ankurbelung ihrer Volkswirtschaften ermöglichen müssen. Der EWSA begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, Anfang 2023 Dialoge mit den Mitgliedstaaten zu führen. Diese Dialoge können in eingehenden Gesprächen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten bestehen, um Einfluss auf die länderspezifischen Empfehlungen zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist der EWSA der Auffassung, dass diese Dialoge eine bessere Umsetzung der Aufbau- und Resilienzpläne fördern und dazu beitragen werden, im Rahmen der länderspezifischen Empfehlungen etwaige Bedenken besser zu berücksichtigen und zu ermitteln.

1.3.

Der EWSA fordert nachdrücklich faire Arbeitsbedingungen, einen wirksamen Wettbewerb und eine bessere Berücksichtigung der Anliegen der Zivilgesellschaft. Nur so kann die Funktionsweise des Binnenmarkts verbessert werden. Angesichts des Krieges und der Energiekrise ist dies umso wichtiger. Der EWSA unterstützt die Forderung nach Maßnahmen zur Stärkung des Binnenmarkts. Nach Ansicht des EWSA zeigen die jüngsten Schocks, worauf es ankommt: es gilt, solide fiskalpolitische Maßnahmen zu treffen und gut aufeinander abzustimmen, Haushaltspuffer in guten Zeiten aufzubauen, um bei Konjunkturabschwüngen auf sie zurückgreifen zu können, und gleichzeitig soziale Defizite abzubauen, die mittelfristig das Wirtschaftswachstum gefährden könnten. Ziel der finanzpolitischen Maßnahmen sollte es sein, mittelfristig eine vorsichtige Haushaltslage zu erreichen und durch schrittweise Konsolidierung und durch auf nachhaltiges Wachstum abstellende Investitionen und Reformen die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte sicherzustellen.

1.4.

Der EWSA fordert eine bessere Abstimmung zwischen den Mitgliedstaaten und mutige Entscheidungen, die Anreize schaffen, um die Energieabhängigkeit der EU, insbesondere von Russland, zu vermeiden. Diese Abhängigkeit könnte die Interessen der Union beeinträchtigen und muss entschieden angegangen werden.

1.5.

Der EWSA fordert einen maßvollen, realistischen und ausgewogenen Ansatz bei der Bekämpfung der Inflation, um alle an der Suche nach einer Lösung zu beteiligen, die der gesamten Union zugutekommt. Die Wettbewerbsbehörden müssen konsequent für Preistransparenz sorgen und im Hinblick auf etwaiges Marktversagen wachsam sein. Die Regierungen müssen ihre Verlautbarungen auf solide empirische Analysen stützen und dabei unbegründete Kritik an Wirtschaftsakteuren vermeiden, da dies zu Konflikten zwischen Bürgern, Unternehmen und Sozialpartnern führen kann. Der EWSA ist ferner der Ansicht, dass das Problem nur gelöst werden kann, wenn Regierungen, Unternehmen und die organisierte Zivilgesellschaft zusammenarbeiten.

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die Mitgliedstaaten bei der Nutzung der verfügbaren finanziellen Mittel und sonstigen öffentlichen Ressourcen nachweislich und kompromisslos Effizienz und Fairness anstreben müssen. Dies ist von entscheidender Bedeutung für die Sicherstellung neuer und hochwertiger Investitionen.

1.6.

Der EWSA wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass der Konsultation der organisierten Zivilgesellschaft (Sozialpartner und Organisationen der Zivilgesellschaft), des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente während des gesamten Zyklus des Europäischen Semesters ein größerer Stellenwert eingeräumt wird, um die nationale Eigenverantwortung zu stärken. Der EWSA ist der Auffassung, dass eine bessere und stärker organisierte Einbeziehung der im EWSA vertretenen Organisationen sowohl dem Prozess des Europäischen Semesters als auch der Umsetzung der Aufbau- und Resilienzpläne nutzen würde. Wenn über die Umsetzung politischer Maßnahmen gesprochen wird, bedarf es eines „Hauchs von Realismus“.

1.7.

Der EWSA ist sich auch bewusst, dass Europa in Qualifikationen und die Industrieagenda investieren muss, um seine Trümpfe, vor allem Investitionen in Innovation und Wissenschaft, zum Nutzen der Bürger auszuspielen und wirklich gewinnbringend einzusetzen.

1.8.

Der EWSA fordert die Kommission auf, besser mit den Bürgern zu kommunizieren. Starke, verbindliche und einheitliche Aussagen über anstehende Herausforderungen und die Maßnahmen, mit denen die Union diese Aufgaben bewältigen will, sind für die Menschen in Europa von grundlegender Bedeutung und tragen dazu bei, Missverständnisse bei Europathemen zu vermeiden. Investitionen in eine bessere Kommunikation (der EWSA meint damit nicht Werbung) könnten einen interessanten Wandel in Bezug auf antieuropäische Rhetorik bewirken und sollten Vorrang haben. Der EWSA begrüßt in diesem Zusammenhang die Initiative der Kommission, dieses Jahr eine Mitteilung zur Stärkung des sozialen Dialogs in der EU und einen Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Rolle des sozialen Dialogs auf nationaler Ebene vorzulegen. Eine bessere Kommunikation mit der organisierten Zivilgesellschaft und deren Konsultation sind unerlässlich und gehen Hand in Hand.

2.   Hintergrund

2.1.

Es ist kein Geheimnis, dass sich Europa in der schwierigsten Phase der letzten 70 Jahre befindet. Europa steht angesichts des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine, der die europäische Wirtschaft durch steigende Energiekosten, hohe Inflationsraten, Versorgungsengpässe, eine höhere Verschuldung und zunehmende Fremdkapitalkosten weiterhin schwächt, vor zahlreichen komplexen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Daher ist es an der Zeit, Entscheidungen über die Zukunft eines der weltweit erfolgreichsten Projekte für sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt zu treffen.

2.2.

Am 22. November 2022 nahm die Kommission das Herbstpaket des Europäischen Semesters 2023 an, in dem Möglichkeiten zur gemeinsamen Bewältigung dieser Herausforderungen und zur langfristigen Stärkung der europäischen Volkswirtschaften durch die Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz-, Arbeits- und Sozialpolitik vorgeschlagen werden. Ziel ist es, eine angemessene und erschwingliche Energieversorgung sicherzustellen, die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität zu wahren, schutzbedürftige Haushalte und Unternehmen zu unterstützen, das Wachstum und die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze zu fördern und den ökologischen und digitalen Wandel zu vollenden.

2.3.

Im Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2023 werden die politischen Prioritäten für das kommende Jahr dargestellt und eine Agenda für die Verstärkung dieser Koordinierung festgelegt, um die nachteiligen Auswirkungen abzumildern, die derzeitigen Herausforderungen anzugehen und die soziale und wirtschaftliche Resilienz zu erhöhen und gleichzeitig nachhaltiges und integratives Wachstum im Einklang mit den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung zu fördern. Die vier Prioritäten bei der Förderung wettbewerbsfähiger Nachhaltigkeit lauten: Förderung von ökologischer Nachhaltigkeit, Produktivität, Gerechtigkeit und makroökonomischer Stabilität.

2.4.

Die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Agenda sollte darauf ausgerichtet sein, Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen bei der Bewältigung der Herausforderungen zu unterstützen, die sich aus den gestiegenen Energiekosten und der Energieversorgung ergeben Gleichzeitig sollen die Bemühungen um die Förderung eines nachhaltigen Wachstums und des ökologischen und digitalen Wandels sowie zur Stärkung der sozialen Gerechtigkeit und der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit fortgesetzt werden.

2.5.

Gemäß diesem Grundsatz werden Vorschläge für länderspezifische Empfehlungen im Frühjahr 2023 erwartet; der Schwerpunkt der Länderberichte wird dabei auf folgenden Punkten liegen:

kurzer, aber ganzheitlicher Überblick über die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen und die Herausforderungen, mit denen die Mitgliedstaaten konfrontiert sind;

Überblick über den Stand der Umsetzung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne;

Weiterverfolgung eines maßvollen Ansatzes in Bezug auf die länderspezifischen Empfehlungen.

2.6.

Im Hinblick auf das Euro-Währungsgebiet hat die Kommission für 2023 fünf Empfehlungen ausgesprochen:

a)

Koordinierung der Haushaltspolitik;

b)

Aufrechterhaltung öffentlicher Investitionen;

c)

Überwachung der Lohn- und Sozialpolitik;

d)

Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen;

e)

Erhaltung makrofinanzieller Stabilität.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.   Das Europäische Semester und die Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft

3.1.1.

Das Europäische Semester ist nach wie vor der wichtigste bewährte Rahmen für eine wirksamere Koordinierung der Maßnahmen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Koordinierung hat sich bewährt, da die Erholung der EU von der COVID-19-Krise der schnellste Konjunkturaufschwung seit dem Nachkriegsboom war und sich die Arbeitsmärkte mit einem Beschäftigungsniveau auf Rekordhöhe als widerstandsfähig erwiesen haben. Im Rahmen des Europäischen Semesters und der Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität (einschließlich ihrer zusätzlichen Komponente REPowerEU) wird der EWSA weiterhin im Mittelpunkt des Transformationsprozesses stehen, um eine wettbewerbsfähige Nachhaltigkeit zu erreichen. Dementsprechend wird sich der EWSA weiterhin dafür einsetzen, dass die Konsultation der organisierten Zivilgesellschaft während des gesamten Zyklus des Europäischen Semesters eine größere Rolle spielt, um den verschiedenen gesellschaftlichen Interessen Rechnung zu tragen und die nationale Eigenverantwortung zu stärken.

3.1.2.

Der EWSA führt derzeit eine Konsultation der organisierten Zivilgesellschaft in den Mitgliedstaaten durch, um deren diesbezügliche Empfehlungen einzuholen (1). Daher begrüßt er die im Juli 2022 angekündigte Initiative (2) der Kommission, dieses Jahr eine Mitteilung zur Stärkung des sozialen Dialogs in der EU und einen Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Rolle des sozialen Dialogs auf nationaler Ebene vorzulegen.

3.1.3.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die bestehenden Foren im Rahmen des Europäischen Semesters zu erweitern und einen klaren Rahmen für sie zu schaffen, um die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft während des gesamten Zyklus des Europäischen Semesters zu informieren und einzubeziehen, damit sie tatsächlich zu maßgeblichen Akteuren bei der Koordinierung der Haushalts-, Wirtschafts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik auf EU-Ebene werden.

3.2.   Geopolitische Krise — Krieg in der Ukraine

3.2.1.

Durch die Folgen der russischen Invasion der Ukraine stehen die Wirtschaft und Gesellschaft der EU vor zahlreichen neuen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die ihre wirtschaftliche und soziale Stabilität und ihre Energieversorgung beeinträchtigen. Die EU muss weiterhin wettbewerbsfähige Nachhaltigkeit sowie soziale und wirtschaftliche Resilienz anstreben. In unmittelbarer Zukunft sind Unterstützungsmaßnahmen erforderlich, um die Auswirkungen der Aggression Russlands gegen die Ukraine auf europäische Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen, insbesondere auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Bezieher niedriger und mittlerer Einkommen, abzufedern.

3.2.2.

Insbesondere die Energiekrise spielt eine entscheidende Rolle: In Verbindung mit einer sehr hohen Inflation wird sie langfristig erhebliche Auswirkungen haben. In diesem Zusammenhang betont der EWSA, dass unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden müssen, um kurz- und mittelfristig eine weitere Verschlechterung der Lage zu verhindern und gleichzeitig den ökologischen Wandel gerecht zu gestalten. In vielen Ländern bleibt die Energieerzeugung hinter dem Energieverbrauch zurück.

3.2.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass einige Regierungen, die noch keine Pläne zur Energieerzeugung aus eigenen Ressourcen aufgestellt haben, nun die Möglichkeit prüfen müssen, die Produktion zu steigern und die in einigen Ländern vorhandenen Bedingungen und Ressourcen wie Solar-, Wellen- und Windenergie zu nutzen. Einer der Gründe für die Untätigkeit sind die allzu komplexen oder unklaren Rechtsvorschriften und die in vielen Mitgliedstaaten nach wie vor bestehende übermäßige Bürokratie. Dadurch wird die Erzeugung grüner Energie nicht unterstützt, obwohl ein enormes Potenzial besteht. Wir müssen den Mut haben, die notwendigen gemeinsamen Anstrengungen zu unternehmen. Dies erfordert Investitionen, insbesondere aus dem Privatsektor. Öffentliche Investitionen werden jedoch weiterhin eine wichtige Rolle dabei spielen, die Ziele des Grünen Deals zu erreichen, unseren künftigen Wohlstand und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und die strategische Autonomie der EU zu stärken. Dies muss sich auch in der Kohäsionspolitik widerspiegeln.

3.3.   Inflation

3.3.1.

Die hohe Inflation, die insbesondere durch den drastischen Anstieg der Energiepreise ausgelöst wurde, hat erhebliche negative Auswirkungen auf Arbeitnehmer und Unternehmen, die Finanzstabilität, die Kaufkraftparität und die wirtschaftliche und soziale Stabilität. Die Inflation weltweit und in der EU ist ein komplexes Phänomen, sowohl was ihre Ursachen als auch ihre Lösungen betrifft. Die wichtigsten Faktoren, die hier unmittelbar eine Rolle spielen, sind die Versorgungsengpässe bei der raschen Erholung von der pandemiebedingten Rezession in Verbindung mit einer expansiven Geldpolitik sowie die Energiekrise, die durch die russische Invasion in die Ukraine ausgelöst wurde. Die Inflation betrifft alle Wirtschaftsakteure und gesellschaftlichen Gruppen, besonders aber die schwächsten und die am stärksten benachteiligten Gruppen. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer und Verbraucher geht zurück, und die Gewinnspannen vieler Unternehmen sinken. Nur Spekulanten und bestimmte Wirtschaftszweige, wie z. B. der Energiesektor, verzeichnen starke Gewinnzuwächse. Um die Inflation in den Griff zu bekommen, verfolgen die Mitgliedstaaten unterschiedliche Ansätze, z. B. Unterstützung zur Vermeidung von Preiserhöhungen im Lebensmittelsektor und Bemühungen, die Löhne im Gleichgewicht zu halten, in Kombination mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Wir sind noch weit davon entfernt, unsere Ziele zu erreichen und eine Lösung zu finden, die das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen sichert.

3.3.2.

Die Wettbewerbsbehörden müssen konsequent für Preistransparenz sorgen und im Hinblick auf etwaiges Marktversagen wachsam sein. Die Regierungen müssen ihre Verlautbarungen auf solide empirische Analysen stützen und dabei unbegründete Kritik an Wirtschaftsakteuren vermeiden, da dies zu Konflikten zwischen Bürgern, Unternehmen und Sozialpartnern führen kann.

3.3.3.

Die Bekämpfung der Inflation muss in einer zwischen den EU-Organen und den nationalen Regierungen koordinierten europäischen Wirtschaftspolitik oberste Priorität haben. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken müssen beim Anziehen der geldpolitischen Zügel darauf achten, dass die Inflation nicht durch eine übermäßige Nachfrage angeheizt wird, und verhindern, dass ihre Entscheidungen zu einer neuen Rezession führen. Der EWSA fordert die EZB auf, die Kerninflation zu senken, ohne die wirtschaftliche Erholung der EU zu gefährden. Aufgrund der vorgenannten Risiken sollte die EZB bei der Normalisierung ihrer Geldpolitik behutsam vorgehen (3). Die EU und die nationalen Regierungen müssen Maßnahmen auf den Weg bringen, um den am besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppen und den am stärksten betroffenen Unternehmen zu helfen. Die dreiseitige Konsultation, der soziale Dialog und Tarifverhandlungen müssen zu Schlüsselinstrumenten werden, um die Inflationskrise durch eine gerechte Lastenverteilung zu bewältigen und Maßnahmen zur Überwindung dieser Krise in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen zu konzipieren. Der EWSA spricht sich daher für Maßnahmen wie eine Energiepreisbremse aus, um Inflationstendenzen einzudämmen.

3.4.   Umweltziele der EU/Energiekrise

3.4.1.

Der EWSA hält an den Standpunkten fest, die er in den letzten Monaten vertreten hat: Trotz der neuen Krisen dürfen die auf EU-Ebene festgelegten Ziele — Dekarbonisierung und ökologische Nachhaltigkeit — nicht aufgegeben werden. Unternehmen und Arbeitnehmer müssen gestärkt und alle Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzt werden, die Schwierigkeiten zu bewältigen, um die langfristigen Umweltziele zu erreichen.

3.4.2.

Der EWSA spricht sich daher für Maßnahmen zur Koordinierung der Energiepreise aus, um die Inflationstendenzen einzudämmen. Niedrigere Energiepreise sollten zu den Prioritäten der EU-Wirtschaftspolitik gehören. Der EWSA unterstützt die Deckelung der Strom- und Gaspreise und weist darauf hin, dass er in früheren Stellungnahmen und Entschließungen eine dringende Reform des von Natur aus inflationären Systems für Grenzauktionen auf dem Stromgroßhandelsmarkt gefordert hat. Um dieses Ziel zu erreichen, sind Investitionen in grüne Energie von grundlegender Bedeutung.

3.4.3.

Die Kommission hat den REPowerEU-Plan vorgelegt, um die EU unabhängig von Gas- und Erdölimporten aus Russland zu machen. Der EWSA hat dies begrüßt und dem Ansatz zugestimmt, der in die vier Bereiche Energieeinsparungen, Diversifizierung der Gaseinfuhren, Substitution fossiler Brennstoffe durch den beschleunigten Einsatz erneuerbarer Energien und Finanzierungslösungen gegliedert ist (4). Gleichzeitig fordert der EWSA, die Versorgungssicherheit zu „möglichst erschwinglichen“ Kosten sowohl für die Verbraucher als auch für die Industrie zu gewährleisten. Der EWSA weist darauf hin, dass die Änderung der nationalen Aufbau- und Resilienzpläne durch die Mitgliedstaaten zur Aufnahme eines speziellen Kapitels zu REPowerEU eine zusätzliche Gelegenheit für sie darstellt, die organisierte Zivilgesellschaft zu konsultieren und deren Ansichten zu berücksichtigen.

3.4.4.

Der EWSA betont, dass möglicherweise weitere Initiativen erforderlich sind, damit privates und öffentliches Kapital in ausreichender Höhe für den ökologischen Wandel mobilisiert wird. Darüber hinaus hält es der EWSA für ausgesprochen wichtig, die Verwendung der vorhandenen Finanzmittel besser zu koordinieren. Durch die öffentliche Kommunikation über dieses Thema können die Bürgerinnen und Bürger für ein gemeinsames Ziel gewonnen werden.

3.5.   Soziale und wirtschaftliche Krise/Mangel an Kompetenzen und Fachkräften

3.5.1.

Obwohl die Arbeitslosenquote in der EU nur 6 % beträgt, ist es weiterhin schwierig, Personen zu finden, die über die erforderlichen Kompetenzen verfügen, um den Konjunkturaufschwung und die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft sicherzustellen und die Ziele des digitalen und ökologischen Wandels zu verwirklichen. In einigen Ländern besteht ein erheblicher Mangel an Fachkräften in vielen wichtigen Arbeitsbereichen, nicht zuletzt, weil zahlreiche junge Menschen ihr Land verlassen, um anderenorts zu arbeiten. Wichtige Ausbildungsmaßnahmen müssen gefördert werden, doch ein erheblicher Teil der Fachkräfte geht nach Abschluss der Ausbildung verloren. Um die autonome Strategie der EU zu stärken, sollen einige Produktionslinien nach Europa zurückgeholt werden, es fehlt jedoch an Fachkräften, die in diesen Fabriken in Europa arbeiten könnten. Hier besteht kontinuierlicher Handlungsbedarf.

3.5.2.

Der EWSA betont, dass die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze eine der besten Möglichkeiten ist, hochqualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen. Darüber hinaus sind angemessene, existenzsichernde Löhne, formelle Arbeitsverhältnisse zur Vermeidung prekärer Arbeitsbedingungen, umfassende Weiterbildungsprogramme, hervorragende Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen und das Streben nach einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis in Verbindung mit einem angemessenen Sozialschutz auf nationaler Ebene nicht nur Ziele an sich, sondern auch die Grundlage für eine günstige wirtschaftliche und politische Entwicklung. Darüber hinaus fordert der EWSA im Rahmen der Aus- und Weiterbildung den verantwortungsvollen Einsatz ausgewogener und miteinander verknüpfter Maßnahmen (zwischen öffentlichen und privaten Ausbildungssystemen, um die verfügbaren Finanzmittel besser zu nutzen).

3.6.   Öffentliche und private Verschuldung und Investitionen

3.6.1.

Die EU benötigt dringend mehr öffentliche und private Investitionen, um die Ziele des Grünen Deals und des digitalen Wandels zu erreichen, die Energiewende zu beschleunigen und die neuen Herausforderungen der strategischen Autonomie zu bewältigen. Einerseits muss die Union das Investitionsdefizit der letzten zehn Jahre überwinden, und andererseits müssen die meisten Mitgliedstaaten ihr öffentliches Defizit und ihre Verschuldung abbauen. Dazu ist ein sehr ausgewogenes, aber entschlossenes Vorgehen erforderlich.

3.6.2.

Gleichzeitig müssen nach Ansicht des EWSA vor einer etwaigen außerordentlichen Aufstockung der EU-Mittel für öffentliche Investitionen und die Förderung privater Investitionen nach Ansicht des EWSA unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel der verschiedenen Programme — Struktur- und Kohäsionsfonds, ARF, InvestEU usw. — voll ausgeschöpft werden. Zu diesem Zweck sollte ein möglichst hohes Maß an Flexibilität bei ihrer Verwendung — sowohl in Bezug auf die Ziele als auch auf die Umsetzungsfristen — gelten, wobei dies stets mit einer strengen Überwachung ihrer ordnungsgemäßen Umsetzung einhergehen muss. Der EWSA ist der Auffassung, dass gemeinsame Projekte mehrerer Mitgliedstaaten ein interessanter Ansatz sein könnten, um Investitionen und Strukturreformen anzuregen.

3.6.3.

Der EWSA betont, dass Fortschritte bei der Vollendung der Kapitalmarktunion und der Bankenunion erreicht werden müssen, um einen gut funktionierenden Finanzsektor und gut funktionierende Finanzmärkte zu gewährleisten, die für die Finanzierung der für den ökologischen und den digitalen Wandel erforderlichen massiven Investitionen unerlässlich sind. Eine Vertiefung der Kapitalmarktunion und der Bankenunion bei gleichzeitiger Festlegung der Agenda für ein nachhaltiges Finanzwesen würde die Finanzierungskanäle konsolidieren, die Investitionsanstrengungen fördern und die Resilienz erhöhen.

3.6.4.

Sowohl die COVID-19-Krise als auch die russische Invasion haben sich sehr nachteilig auf die Außenbilanz ausgewirkt. Der EWSA fordert eine Erhöhung der Investitionen als wichtigste Triebkraft für die Wettbewerbsfähigkeit der EU.

3.6.5.

Nach Ansicht des EWSA sollten die Mitgliedstaaten die bereits verfügbaren Ressourcen effizienter nutzen, bevor sie neue fordern. Darüber hinaus fordert der EWSA mehr Flexibilität bei der Verwendung der EU-Finanzmittel, so für Umschichtungen von Mitteln, wenn diese nicht für die ursprünglich vorgesehenen Zwecke verwendet werden können oder wenn aufgrund sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer oder verteidigungspolitischer Herausforderungen Anpassungen nötig sind. Erforderlichenfalls sollte die EU auch geeignete Bedingungen und Instrumente schaffen, um die öffentlichen Investitionen zu erhöhen und private Investitionen in stärkerem Maße zu mobilisieren. Dabei müssen die gemeinsamen strategischen und Autonomieziele der EU verfolgt werden und es muss dafür gesorgt werden, dass der EU-Binnenmarkt in seiner Funktionsweise nicht untergraben wird oder in eine Schieflage gerät. Darüber hinaus betont der EWSA, dass die zugewiesenen Finanzmittel effizienter eingesetzt werden müssen: Die Mitgliedstaaten müssen sich verpflichten, Bestimmung und Art der Ausgaben zu erläutern. Der EWSA weist auch darauf hin, dass mit Blick auf die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen für eine effiziente Erhebung von Einnahmen Sorge getragen werden muss. So schaden beispielsweise aggressive Steuerplanung und Betrug den öffentlichen Haushalten erheblich. Insgesamt ist ein nachhaltiges und integratives Wachstum die beste Grundlage für die Stabilität der öffentlichen Haushalte. Dessen ungeachtet werden zusätzliche EU-Mittel nötig sein, um den Industrieplan für den Grünen Deal umzusetzen und das Ziel einer strategischen Energie- und Industrieautonomie unter Wahrung der Grundprinzipien des Binnenmarkts zu erreichen, wie der EWSA in einer Entschließung vom Mai 2022 (5) vorgeschlagen hat.

Brüssel, den 23. Februar 2023.

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  In einer Initiativstellungnahme, die dem Plenum im April 2023 vorgelegt werden soll, werden die Ergebnisse zusammengefasst und klare Empfehlungen abgegeben.

Initiativstellungnahme des EWSA — Empfehlungen des EWSA für eine gründliche Reform des Europäischen Semesters (ECO/600), die im April 2023 zur Verabschiedung ansteht.

(2)  Überprüfungsbericht über die Durchführung der Aufbau- und Resilienzfazilität — 29.7.2022.

(3)  Stellungnahme des EWSA „Ergänzende Überlegungen zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2022“ (ABl. C 75 vom 28.2.2023, S.43).

(4)  Stellungnahme des EWSA — REPowerEU-Plan, verabschiedet am 21. September 2022 (ABl. C 486 vom 21.12.2022, S. 185).

(5)  ABl. C 323 vom 26.8.2022, S. 1.


Berichtigungen

27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/65


Berichtigung des Untertitels „575. PLENARTAGUNG DES EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES, 14.12.2022-15.12.2022“ in Abschnitt I (Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen) unter der Überschrift „EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS“

( Amtsblatt der Europäischen Union C 140 vom 21. April 2023 )

(2023/C 146/11)

Auf der Titelseite und auf Seite 1, Untertitel:

Anstatt:

„575. PLENARTAGUNG DES EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES, 14.12.2022-15.12.2022“

muss es heißen:

„575. PLENARTAGUNG DES EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES, 24.1.2023-25.1.2023“

27.4.2023   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 146/66


Berichtigung des Untertitels „575. PLENARTAGUNG DES EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES, 14.12.2022-15.12.2022“ in Abschnitt III (Vorbereitende Rechtsakte) unter der Überschrift „EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS“

( Amtsblatt der Europäischen Union C 140 vom 21. April 2023 )

(2023/C 146/12)

Auf der Titelseite und auf Seite 28, Untertitel:

Anstatt:

„575. PLENARTAGUNG DES EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES, 14.12.2022-15.12.2022“

muss es heißen:

„575. PLENARTAGUNG DES EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES, 24.1.2023-25.1.2023“.